Der liebe vnd werthe Fried: Kriegskonzepte und Neutralitätsvorstellungen in der Frühen Neuzeit 9783412221423, 3412221422

Wie dachten frühneuzeitliche Menschen über den Frieden, wie über den Krieg, wie über diejenigen, die sich »neutral« aus

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German Pages 964 [968] Year 2013

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Der liebe vnd werthe Fried: Kriegskonzepte und Neutralitätsvorstellungen in der Frühen Neuzeit
 9783412221423, 3412221422

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FORSCHUNGEN ZUR KIRCHLICHEN RECHTSGESCHICHTE UND ZUM KIRCHENRECHT Begründet von H. E. FEINE, J. HECKEL, H. NOTTARP Herausgegeben von Andreas Thier und Heinrich de Wall

32. Band

Der liebe vnd werthe Fried Kriegskonzepte und Neutralitäts­vorstellungen in der Frühen Neuzeit

von

Axel Gotthard

2014 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Dreißigjähriger Krieg 1618–1648. »Raubende Soldateska«. Holzstich nach einer Radierung von Hans Ulrich Franck, 1643. © akg-images.

© 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier. ISBN 978-3-412-22142-3

Inhalt

Vorworte, Fragestellungen ........................................................................... 13 A. Kein goldener Rahmen: was wir über die Voraussetzungen von Krieg und Frieden so alles nicht wissen .......................................................... 19

1. »Qui bellum dixit, malum omne dixit«? Zur Wertschätzung des Friedens in der Vormoderne ...................................................................... 21 1.1 Was uns befremden könnte ........................................................ 21 1.2 Hat der Frieden einen moralischen Bonus? ............................... 23 1.2.1 Tour d’horizon durch die vormoderne Publizistik ..................... 23 1.2.2 Wie dachten die Entscheidungsträger über den Frieden?.......... 40 1.2.3 Läßt sich eine Verlaufskurve der Wertschätzung des Friedens nachzeichnen?............................................................................ 51 1.2.3.1 »Dulce bellum inexpertis«. Wird der Diskurs der Neuzeit zu friedlicher oder vielstimmiger? ................................ 51 1.2.3.2 »Ausser Ainigkait des Glaubens, kain beständiger Frid«. Ist der interkonfessionelle Frieden nur Waffenstillstand? .......... 56 1.2.3.3 »Zwischen Hundt vnd Katzen«. Ist der politische Frieden anthropologisch verfehlt? ............................................. 60 1.2.3.4 »Fides Haereticis servanda«. Das universalhistorische Dilemma der Erwartungsverläßlichkeit spitzt sich zu ............... 63 1.2.3.5 »Die Recht sind vmb Friedens willen gemacht«. Machen Kriegserfahrungen friedfertig?..................................... 75 1.2.3.6 Ausblicke .................................................................................. 80 1.3 Gilt Frieden als Normalzustand? ................................................ 83 1.3.1 Der offizielle und der subjektive Kriegszustand ......................... 83 1.3.2 Seitenblicke auf die Guerre de la plume .................................... 89 1.3.3 Die Gefährdung des »ordo« ...................................................... 98 2. »Hier streitet Gott und der Teufel«? Zur Säkularisierung des Krieges .... 103 2.1 Die Säkularisierung der Doktrin ................................................ 103 2.1.1 Die Kriegsschuldfrage verliert ihre theologische und ethische Brisanz ........................................................................ 103 2.1.1.1 Der Ausgangspunkt: »Hier streitet Gott und der Teufel« ...................................................................................... 103 2.1.1.2 Das Ius ad bellum büßt Prägnanz und intellektuelle Anziehungskraft ein ................................................................. 107

6

Inhalt

2.1.1.3 Die »Trennung von Moral und Politik« .................................... 113 2.1.2 Zur gewundenen Verlaufskurve................................................. 120 2.1.3 Gab es einen Resakralisierungsschub?........................................ 126 2.1.3.1 Die »idea that God commands certain wars«............................. 128 2.1.3.2 Ein erster Siedepunkt konfessioneller Emphase: die Jahre um 1620 ..................................................................... 135 2.1.3.3 Ein zweiter Siedepunkt konfessioneller Emphase: die frühen 1630er Jahre ............................................................. 144 2.1.3.4 Ein Blick in weitere Teile Europas ............................................ 154 2.1.3.5 Militante Kritik am »Bluetdurst« .............................................. 156 2.1.4 Anhangsweise: einige weltgeschichtliche Betrachtungen .......... 161 2.1.4.1 Ist das Oszillieren zwischen dem erlaubten und dem gebotenen Krieg eine universalhistorische Konstante? .............. 161 2.1.4.2 Erleben wir eine Renaissance des Gerechten Kriegs? ................ 165 2.2 Eine Säkularisierung der Kriegspraxis? ...................................... 172 2.2.1 Forschungsspuren...................................................................... 172 2.2.2 Weltanschauung als parteibildender Faktor............................... 178 2.2.3 Ein »Zeitalter der Glaubenskriege«?.......................................... 185 2.2.3.1 Frühe deutsche Konfessionskriege ............................................ 185 2.2.3.2 »A final apocalyptic clash«: Blicke in Europas Nordwesten und Westen ........................................................... 193 2.2.3.3 Der große deutsche Konfessionskrieg........................................ 197 2.2.4 »Machiavellus gallicus«: Schrittmacher Frankreich?................... 210 2.2.4.1 Ein Clash of cultures................................................................. 210 2.2.4.2 Auto- und Heterostereotypen.................................................... 213 2.2.4.3 Die Hohe Schule des Zynismus................................................. 216 2.2.4.4 Auch die Memoria wird entkonfessionalisiert............................ 224 2.2.4.5 Resümee und Ausblicke............................................................. 226 3. Weitere konzeptionelle und strukturelle Unklarheiten ............................ 232 3.1 »Ehre« und vormoderne Bellizität .............................................. 232 3.1.1 Säkularisierung als Rationalisierung? ........................................ 232 3.1.2 Ruhm, Ehre, Gloire .................................................................. 235 3.1.3 Eine kriegstreibende mentale Disposition der Vormoderne?............................................................................. 238 3.1.4 Eine Epoche der »Ehrensucht«?................................................ 247 3.2 Vertrauenerweckend: die trügerischen Schlagworte »Gleichgewicht« und »Staatensystem« ....................................... 252 3.2.1 Die »Balance of Power«, oder: ein Running Gag der Geschichte der Internationalen Beziehungen ........................... 252 3.2.2 Ein »System« aus »Staaten«?...................................................... 259

Inhalt

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3.2.3 Wann war das Völkerrecht »klassisch«?......................................... 271 3.3 Zur Verlaufskurve zwischenstaatlicher Erwartungsverläßlichkeit . 272 4. Einige methodische Bemerkungen ........................................................... 279 B. »Guerra di stato« oder »guerre de religion«? Zur Wahrnehmung des böhmischen Aufstands in Europa ........................................................... 292

1. Die »Torheit der Regierenden«, oder: was zeitgenössische Akteure und was Historiker für wichtig halten ...................................................... 292 2. Religionskrieg oder Rebellion? Die Deutungsangebote der unmittelbar Beteiligten an Europas Höfe ..................................................................... 295 3. Um »Religion« oder »Region«? Die Interpretationsarbeit der Flugschriften ............................................................................................. 299 4. Wahrnehmungsmuster der Entscheidungsträger ...................................... 310 4.1 Divergierende Deutungen – zum Beispiel Wettin ........................ 310 4.2 Wahrnehmungsweisen außerhalb des Reiches .............................. 316 4.2.1 »Guerra di stato«: Deutungsmuster Jakobs I. von England............ 316 4.2.2 »Guerre de religion«: Deutungsmuster an der Seine...................... 322 4.2.3 Ein Rundblick.............................................................................. 325 4.3 Wahrnehmungsweisen im Reichsverband ..................................... 326 4.3.1 Der Fenstersturz in evangelischer Wahrnehmung......................... 326 4.3.2 Die böhmische Königswahl in evangelischer Wahrnehmung ............................................................................. 332 4.3.3 Katholische Beobachter ............................................................... 337 5. Zwei Nachträge ......................................................................................... 343 5.1 Geschichte als Argument ............................................................... 343 5.2 Ein Desiderat: Wahrnehmungsmuster außerhalb der Rats- und Gelehrtenstuben ............................................................................. 351 C. Akzeptanzprobleme der vorklassischen Neutralität ............................... 353

1. Aktuelle und forschungsgeschichtliche Zugänge ..................................... 1.1 Wie wir die Neutralität kennen ..................................................... 1.2 Das forschungsgeschichtliche Manko ........................................... 1.3 Einzelne Veröffentlichungen – ein Überblick ............................... 1.4 Aufschlußreich: welche Fragen nach wie vor offen sind ...............

353 353 363 367 385

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Inhalt

1.4.1 Wann verdichten sich Verhaltenserwartungen zu Normen?....... 385 1.4.2 Der langwierige Abschied von binären Codes............................ 387 1.4.3 »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt« ............................................................................ 392 1.5 Was diese Studie vielleicht leisten kann und was sicher nicht ... 395 2. Die Bewertung der Neutralität in Druckwerken ...................................... 398 2.1 Wider das »abscheuliche Monster der Neutralitet«: die Polemik der Flugschriften ........................................................................ 398 2.1.1 Was sollen uns Flugschriften? ................................................... 398 2.1.2 Zwischen Widerstands- und Neutralitätsdiskurs ...................... 399 2.1.3 Zwischen konfessionspolitischer und militärischer Neutralität ................................................................................ 403 2.1.4 »Welcher nur halb vnsers Herr Gotts seyn will, der ist gar des Teuffels«: eine erste Aufgipfelung der Neutralitätskritik....................................................................... 408 2.1.5 »Der HErr Christus verwirfft die Neutralitet«: die zweite Aufgipfelung der Neutralitätskritik............................................ 417 2.1.6 Ein Blick über den Kanal........................................................... 423 2.1.7 Die Überwindung des Konfessionellen Zeitalters im Spiegel der Neutralitätsdiskurse ............................................................ 425 2.1.7.1 Beiläufigkeit kehrt ein ............................................................... 425 2.1.7.2 Neutralitätskritik kommt ohne »Teuffel« und »Hölle« aus ........ 430 2.1.7.3 Moralisch einwandfrei oder gewitzt? Multiperspektivität wird möglich ............................................................................. 434 2.2 »Neutralitas stultitia est«: politologische Pionierwerke, Dissertationen ............................................................................. 437 2.2.1 Tour d’horizon durch die europäische Gelehrtenrepublik ......... 437 2.2.2 Exkurs in ihre Zettelkästen ....................................................... 446 2.2.3 Die deutsche Politikwissenschaft .............................................. 449 2.2.4 Der Niederschlag in Dissertationen .......................................... 460 2.2.5 Seitenblick in Sentenzensammlungen ....................................... 472 2.3 »Ius necessitatis« oder »ius gentium«? Die späte Begriffskonturierung im völkerrechtlichen Diskurs ................... 474 2.4 Fragen quer zu den Gattungsgrenzen ........................................ 486 2.4.1 Moralischer Defekt oder Rechtsfigur?....................................... 486 2.4.1.1 Das fortwährende Renommeedefizit ......................................... 486 2.4.1.2 Der Verrechtlichungsprozeß ..................................................... 489 2.4.1.3 Die »Politica« – nichts als überlanger Anlauf zum Völkerrecht? .............................................................................. 494 2.4.2 »Wetterhanen« oder stabile Äquidistanz?................................... 496

Inhalt



2.4.3 2.4.4 2.4.4.1 2.4.4.2 2.4.4.3 2.4.5 2.4.6

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Ist jedes Staatswesen jederzeit zur Neutralität berechtigt?......... 505 Soll der Neutralenstatus vor Kriegsunbilden schützen? ............. 512 Zum Beispiel: Truppentransfers; das »grotianische« Erbe ......... 512 Der Eigentumsbegriff des Hugo Grotius wird fraglich.............. 515 Andere Problemfelder ............................................................... 522 Schützt der Neutralenstatus vor Kriegsunbilden? ...................... 525 Zwei kleine Epiloge .................................................................. 529

3. Zur Praxis der Neutralität ......................................................................... 535 3.1 Noch einmal: was diese Studie nur streift und was sie fokussiert ..................................................................................... 535 3.1.1 Neutralité, neutralità, neutrality. Ein europäischer Rundblick ... 535 3.1.1.1 Das Quellenproblem ................................................................. 535 3.1.1.2 Warum eidgenössische Außenpolitik für diese Studie unergiebig ist ................................................................. 537 3.1.1.3 Vielfältige vormoderne Neutralitätstraditionen ......................... 546 3.1.2 Rechercheschwerpunkte ........................................................... 555 3.1.2.1 Die späten Kriege Karls V. ........................................................ 555 3.1.2.2 Die Zeit der zugespitzten konfessionellen Konfrontation ........................................................................... 566 3.1.2.3 Der Dreißigjährige Krieg .......................................................... 570 3.1.2.4 Seitenblicke: der Erste Nordische Krieg ................................... 579 3.1.2.5 Der Holländische Krieg ............................................................ 582 3.1.3 Einige Beobachtungen im näheren Umfeld von Neutralitätsverträgen ................................................................ 587 3.1.3.1 »Gratia indulsimus«: kein abrufbares Recht, sondern Gnadenerweis ............................................................. 587 3.1.3.2 Zum Beispiel: die »rudes conditions« des Schwedenkönigs Gustav Adolf ................................................. 589 3.1.3.3 »Papier und Dinte«: Neutralitätsverträge schaffen auf beiden Seiten keine »Gewißheit« ........................................ 596 3.1.3.4 »Sera toûjours prest à donner des preuves de son affection«: der Neutralfreund ist stets zu Diensten .................... 601 3.2 Die Akzeptanzprobleme der Neutralität im Spiegel diplomatischer Akten ................................................................. 607 3.2.1 Beispielsweise: Eine Fußnote zum Dreißigjährigen Krieg ........ 607 3.2.2 Um Neutralität muß man »bitten«............................................. 613 3.2.2.1 »Ich will von keiner neutralität nichts wissen noch hören«: Fundamentalkritik an Neutralitätserklärungen ......................... 613 3.2.2.2 »Ob er fraindt oder feindt sein wölle«: zur Reaktion auf Neutralitätserklärungen im Schmalkaldischen Krieg................... 616

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Inhalt

3.2.2.3 »Von ainer solchen gemainen sach nit absonndern«: zur Reaktion auf Neutralitätserklärungen im Fürstenkrieg ........ 621 3.2.2.4 »Welcher uns am Narrenseil so lang herumgeführt«: zur Reaktion auf Neutralitätserklärungen im Dreißigjährigen Krieg ............................................................... 625 3.2.2.5 »Was für schädliche frücht«: zur Reaktion auf Neutralitätserklärungen im Holländischen Krieg ...................... 633 3.2.3 Unklare Begriffskonturen........................................................... 637 3.2.3.1 Der sachliche Umfang neutraler Indifferenz als Variable des Machtgefälles ........................................................ 637 3.2.3.2 Keine Äquidistanz .................................................................... 657 3.2.4 Kein Schutz der territorialen Integrität des Neutralen .............. 675 3.2.4.1 Drei Indikatoren ....................................................................... 675 3.2.4.2 »Menigelichen plindt unnd alles genommen«: Beobachtungen im 16. Jahrhundert ........................................... 680 3.2.4.3 »Landt unnd Leutte außgemergelet«: Beobachtungen im Dreißigjährigen Krieg .......................................................... 687 3.2.4.4 Die »raison de guerre« der Söldnerführer .................................. 693 3.2.4.5 »Das sich die underthonnen sobaldt nicht erhollen dürffen«: Beobachtungen im Holländischen Krieg .................................. 695 4. Topoi des vormodernen Neutralitätsdiskurses .......................................... 4.1 Neutralität ist unklug .................................................................. 4.2 Neutralität ist unehrenhaft ......................................................... 4.3 Neutralität ist sündhaft ...............................................................

701 703 715 723

5. »Moyenner la paix« – kompensieren Friedensvermittlungen das Sicherheits- und Ehrdefizit? ..................................................................... 729 5.1 Politisches oder militärisches Schutzschild? .................................. 730 5.1.1 Neutralität, Frieden und Vermittlung in der Publizistik ............... 730 5.1.2 »Die gutte unnd gegenrustung sich nit wol neben eynander gedulden«: was sich Akten des 16. Jahrhunderts von der Vermittlerpose erhoffen ............................................................... 736 5.1.3 »Da wissen wür Jhnen dermahlen hierinfahls nichts specials vorzuschreiben«: die Vermittlerpose in Akten des 17. Jahrhunderts ........................................................................... 742 5.1.4 »Armirte« Neutralität und »tiers parti« ........................................ 751 5.2 Diplomatische Einigelung oder erhöhte politische Aktivitäten? .. 759 5.2.1 Das Quellenproblem; und einige Schlaglichter ............................ 759 5.2.2 Für die »salvirung unserer landen, benebens erhaltung rechter neutralitaet«: der mikroskopische Blick auf ein Beispiel ............... 763

Inhalt

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6. Zugleich ein Resümee: konzeptionelle und strukturelle Gründe für das Akzeptanzproblem vormoderner Neutralität ..................................... 774 6.1 Schimpf und Schande – Neutralität verscherzt »Ehre« und »Ruhm« ................................................................................ 775 6.2 Sündenbesudelt – Neutralität verscherzt das Seelenheil ............ 785 6.2.1 »Let cursed neutrality go to Hell« ............................................. 785 6.2.2 Ein Indikator für Säkularisierungsprozesse?.............................. 799 6.2.3 Noch einmal: die Beharrungskraft binärer Codes ..................... 811 6.3 »Papier und Dinte« – das Problem der Erwartungsverläßlichkeit ............................................................ 813 6.3.1 Neutralität ist nicht völkerrechtlich bewehrt ............................. 813 6.3.2 Ein Indikator für die Ausformung des regelgesteuerten modernen Staatensystems?........................................................ 817 6.3.2.1 Der neue Götze »souveraineté« ................................................. 817 6.3.2.2 Und das Gleichgewicht?............................................................ 824 6.4 »Neutralitet wider das oberhaupt« – Neutralität verstößt gegen »gehorsam« und »trew« ............................................................... 828 6.4.1 Präliminarien; und einige weitere Seitenblicke aufs Baltikum ................................................................................... 828 6.4.2 »Comme prince electeur et nre vassal et du st empire«: Neutralität und Lehnsbande im 16. Jahrhundert........................ 832 6.4.3 Neutralität zwischen territorialer »ratio status« und Reichspatriotismus ................................................................... 837 6.4.3.1 Inwiefern Wiener Gehorsamsappelle in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wirkten und wo nicht .................... 837 6.4.3.2 Patriotische versus Friedensdiskurse: Beobachtungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts................................ 847 6.4.4 Ausblicke .................................................................................. 855 6.5 Schlußbetrachtung ...................................................................... 866 Quellen- und Literaturverzeichnis ............................................................... 877 Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe ............................... 942

Vorworte, Fragestellungen

Daß es einem eines Morgens in der Duschkabine zufliegt oder plötzlich beim Smalltalk mit der Lektorin im Raum steht: das soll ja vorkommen. Manche Themen trägt man indes ein halbes Leben lang mit sich im Kopf herum, was die Sache nicht einfacher macht. Denn wenn die im Lauf der Jahre labyrinthisch verwucherten Gedanken dann endlich, endlich aufs Papier gebracht werden sollen, dann wollen der volle Kopf und das leere Blatt nicht recht zueinanderfinden. Das Gedankengestrüpp will nicht mehr in Reih und Glied. Dies ist so ein Buch mit wundersam verschlungenen Wurzeln. Sein Verfasser begann über manche Merkwürdigkeiten des Aktenbegriffs »neutralitet« zu staunen, als er sich überhaupt zum ersten Mal wissenschaftlich mit der Vormoderne beschäftigte. Tatort war das Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Die Mental map verlegt es tief unter die Erde, ein Bunker, tageslichtfreie Fron zwischen dicken Kerkerwänden. Andere mögen einwenden, es handle sich um ein modern und zweckmäßig errichtetes Funktionsgebäude, und übrigens liege der Benützersaal im ersten Stock, doch das tut nichts zur Sache. Die Wochen waren damals, nach 1985, zweigeteilt. Manche Tage gehörten der archivalischen Recherche für die Doktorarbeit über württembergische Außenpolitik im frühen 17. Jahrhundert; andere, weil diese finanziert werden mußte und sich dann ein Brotberuf anschließen sollte, dem Tagesjournalismus. Stand keine Urlaubsvertretung bei der »Gmünder Tagespost«, keine Reportage für eines der größeren schwäbischen Blätter (wie die damals vortreffliche »Stuttgarter Zeitung«) dem Gang ins Archiv im Wege – und den Gemeinderat für den »Reutlinger Generalanzeiger« konnte man ja abends dranhängen –, dann stieg ich also, diese Erinnerung muß man mir lassen, hinab, tief hinab in den Kerkerkeller zu den Akten. Es gab einen umfangreichen zentralen Bestand für mein Thema: natürlich, wie könnte ich es je vergessen, A90A – vierzig Tomi zu jeweils etwa tausend Blatt. Bevor man sie aufschlug, mußte man brüchige Kordeln entknoten, und weil das 350 Jahre lang niemand getan hatte, rieselte beim Umblättern so viel Sand aus den Wälzern, daß man damit abends, vor dem Schritt in die Freiheit, mit den Armen immer ein kleines Sandhäufchen zusammenfegen konnte. A90A, »Unionsakten«: schon ein Zeitgenosse hatte den Auslesebestand chronologisch geordnet, und so konnte ich die württembergische Außenpolitik seit 1608 buchstäblich Tag für Tag rekonstruieren. Natürlich kam später vieles aus anderen Beständen und anderen Archiven hinzu1, aber in der Erinnerung zieht sich die Recherche auf »A90A« zusammen. An einem Tag in den 1980er Jahren 1 Nicht nur, weil die in A90A versammelten Quellen ohnehin lediglich die Jahre der Union von Auhausen, also bis 1621 dokumentieren. – Heraus kam dieses Buch: Axel Gotthard,

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Vorworte, Fragestellungen

erlas ich mir so zehn oder fünfzehn Tage des frühen 17. Jahrhunderts, schön einen nach dem anderen, mitsamt dem routinierten oder aufgeregten Hin und Her diplomatischer Missionen, den dafür entworfenen Propositionen, den hinterher erstatteten Relationen: alles in allem Mühsal, wie sie schon damals nur die Aussicht, all die toten Buchstaben hinterher in eigenen Worten wieder verlebendigen zu können, erträglich gemacht hat; Mühsal, für die später, und schon in der Habilitationszeit, Energie wie Ausdauer nicht mehr vorhanden sind; Mühsal, die modularisierten Studenten und Doktoranden abzuverlangen heutzutage nicht mehr politisch korrekt wäre. Historiker auf der Höhe der Zeit zeichnen sich ohnehin durch die Konsequenz aus, mit der sie anstößige Archivarbeit meiden. Tag auf Tag, Woche für Woche ..., und dann ahnt man ja anfangs kaum, was sich einmal als Spreu herausstellen, deshalb jetzt ganz vergebens exzerpiert wird (und insofern – diese Einbildung muß man den Mühseligen der Archive lassen – auf immer toter Buchstabe zwischen Aktendeckeln bleiben muß). Man weiß anfangs nicht, welche Motive wiederbegegnen werden, sich zu jenen Denkstrukturen und Handlungsmustern aufbauend, denen man später einmal seine Kapitel widmet. In der Flut der Daten, Fakten, Begriffe wurde mir irgendwann, wohl viel zu spät, ein Terminus im doppelten Wortsinn merkwürdig: die »neutralitet«. Ich begann, die Fundstellen, Kontexte und (für mich zunächst ganz eigenartigen) Konnotationen festzuhalten. Ist man einmal auf den Begriff aufmerksam geworden, der in der Literatur zum Dreißigjährigen Krieg überhaupt keine Rolle spielt, findet man ihn erstaunlich häufig in den Akten. Viele damalige Politiker trösteten sich, von der Aussicht auf den befürchteten, den möglichen, den wahrscheinlichen Konfessionskrieg2 verschreckt, mit ihrer dann hochzuhaltenden »neutralitet«, suchten sich, als die Kampfhandlungen tatsächlich Mitteleuropa erreichten, also seit 1619, unter Berufung auf ihre »neutralitet« herauszuhalten. »Neutralitet«: das war einerseits ein ganz geläufiger Terminus des damaligen außenpolitischen Diskurses. Andererseits ein ziemlich suspekter – das eben war es, was mich dann doch auf diesen Terminus aufmerksam gemacht hat: die verächtliche Herablassung, mit der die um die Gewährung von »neutralitet« angeflehten Kriegsparteien auf diesen Begriff reagierten, den ich zwar so tief in der Vergangenheit gar nicht gesucht hätte, der aber doch andererseits in meiner

Konfession und Staatsräson. Die Außenpolitik Württembergs unter Herzog Johann Friedrich (1608–1628), Stuttgart 1992. 2 Er schwebte seit 1608 jedem Politiker vor Augen, der Augen hatte zu sehen; wer das als »Krieg-in-Sicht-Krise« verulken oder überhaupt abstreiten will, kennt die Akten nicht. Aber das ist hier nicht mein Thema.

Vorworte, Fragestellungen

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eigenen Gegenwart durchgehend »wertneutral« verwendet wurde (im beginnenden 21. Jahrhundert noch wird?3). Irgendwann, wohl viel zu spät, begann ich also, eine kleine Sammlung anzulegen. Es wurde damals kein Buchkapitel daraus, die Zusammenstellung blieb Materialstäpelchen, verstaubte irgendwo. Was lag schon daran? Ich würde mir mein Gehalt als Journalist nicht mit der Kriegsethik des frühen 17. Jahrhunderts verdienen können. Nachdem sich in einer der verrücktesten Wochen meines Lebens binnen Tagen hatte herausstellen müssen, ob ich denn nun lieber als Volontär einer großen Tageszeitung nach Frankfurt oder aber als Habilitand eines kleinen geschichtswissenschaftlichen Instituts nach Erlangen ziehen wolle, landeten die Zettel in einem Ordner, der Ideen für künftige Aufsätze barg. Alle Berufswissenschaftler besitzen wohl solche Ordner, und Aufsätze werden recht selten daraus: denn welch schreckliche Vorstellung, die Sammlung köstlicher Ideen könnte sich vor dem 80. Geburtstag leeren! Ich habe mich danach viele Jahre lang nicht mehr konzentriert mit außenpolitischen Fragen befaßt. Das der Neutralität gewidmete Stäpelchen wuchs sich trotzdem zum kleinen Stapel aus: Man recherchiert nach irgendwelchen anderen Sachverhalten, stolpert unvermutet über die »neutralitet«, macht eine kurze Notiz, und ab in den Ideenordner! Es geht gar nicht anders, nicht, ehe eines vermutlich fernen Tages alle unsere Archivbestände eingescannt sein werden und am Computer nach »Suchworten« durchforstet werden können. Da mich in der auf meine Doktorarbeit folgenden Dekade, soweit ich mich überhaupt der politischen Geschichte verschrieb, vor allem das politische System des Alten Reiches interessierte, stammen meine meisten Funde aus Mitteleuropa. So gruben frühere Publikationen ihre Spuren in die jetzige – meiner Doktorarbeit wegen stammen viele Beobachtungen aus dem Konfessionellen Zeitalter, meiner Studien zum Reichsverbund wegen überwiegen eigene Archivfunde zur »neutralitet« die zur »neutralité« oder zur »neutrality«. Das ist bedauerlich, indes, erneut sei es ganz ohne schlechtes Gewissen gesagt: Es geht gar nicht anders! Vormoderne Druckwerke durchstöbernd, und natürlich erst recht durch die Lektüre punktuell hilfreicher Sekundärliteratur weitete ich den Fokus über Mitteleuropa hinaus aus, soweit das meine Sprachkenntnisse zuließen4. ***

Rückkehr also, viel Dejà-vu und wenig Neues? Nein, es kam ganz anders. Gewiß, Rückkehr war es schon auch: zu jener Friedens- und Konfliktforschung, der ich 3 Ich gehe auf die jüngsten kriegstheoretischen wie -praktischen Entwicklungen, in diesem Zusammenhang beispielsweise auch die Frage einer eventuellen Wiederbelebung des Gerechten Krieges, weiter unten noch wiederholt ein. 4 Ihretwegen sind Skandinavien und Osteuropa unterbelichtet.

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Vorworte, Fragestellungen

bereits als Achtzehnjähriger bei der Vorbereitung auf meine »Gewissensprüfung« begegnet war, einige Jahre, ehe die geächteten »Wehrdienstverweigerer« zu »unseren lieben Zivis« zu mutieren begannen; und insbesondere Rückkehr zum Umfeld meines ersten wissenschaftlichen Themas. Aber vielen Problemen, Kontroversen und Desideraten rund um den Krieg, um den Frieden begegnete ich bei den Recherchen für dieses Buch zum ersten Mal. Denn als Doktorand reizte mich die Herausforderung, vergilbten Papierstapeln eine (wie ich im jugendlichen Elan, von allen erkenntnistheoretischen Zweifeln unangekränkelt hoffte) authentische und möglichst spannende Geschichte erwachsen zu lassen, ich wollte mich nicht im Wissenschaftsdiskurs der Achtzigerjahre wichtigmachen – der hat mich damals gar nicht interessiert, ich ging ja auch nicht davon aus, einmal ›dazuzugehören‹, und folgte ernsthaft der Devise, zu viel Sekundärliteratur verstelle mir den Blick auf die Akten. Ich finde meine damalige Haltung im Rückblick ehrenwert und sogar tapfer, naiv war sie schon auch, und nicht nur aus Bequemlichkeit gehe ich mittlerweile anders an historische Themen heran. Also versuchte ich nun erst einmal, großflächig zu sondieren, was die Forschungsliteratur zu den strukturellen und konzeptionellen Voraussetzungen der vormodernen Bellizität so zu sagen hat. Mit großen Lücken oder Unsicherheiten (meine »neutralitet« hielt ich für die sprichwörtliche – und eine kleine – Ausnahme zur Regel) habe ich an sich nicht gerechnet, eher mit einem ehernen, seit Jahrzehnten festgezurrten Koordinatensystem, das nur noch immer weiter verfeinert werde und in das sich meine Neutralität punktgenau einpassen lasse. Weil sich Neutralität besser zu einer horizontalen Ordnung gleichberechtigter Akteure fügt als zu einer hierarchisch gestuften Christianitas mit steilem charismatischem und lehnrechtlichem Gefälle, interessierte mich beispielsweise die Physiognomie des europäischen Staatensystems zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in den Generationen zuvor, den Jahrzehnten danach. Weil die damaligen Möchtegernneutralen noch nicht einmal versuchten, sich auf völkerrechtliche Besitzstände zu versteifen, interessierte mich, seit wann das Völkerrecht nach Ansicht seiner (inzwischen weiß ich: wenigen) Kenner aus den Gelehrtenstuben hinausdrängte, praxisrelevant wurde, die Erwartungsverläßlichkeit im internationalen Verkehr erhöhte. Mit größeren Unschärfen rechnete ich dabei, wie gesagt, nicht. Wissen wir nicht alle, daß die politische Geschichte übererforscht ist, und Diplomatiegeschichte ohnehin? Hat dazu nicht eigentlich Ranke schon alles gesagt, oder doch jedenfalls mehr als ein moderner Historiker davon wissen muß? Sollten es forschungsstrategisch motivierte Kampfparolen sein, die aus einer Zeit herüberhallen, als einer sich ins Sozialwissenschaftliche wendenden Historiographie das Interesse an außenpolitischen Fragestellungen ausgetrieben werden sollte? Das Umfeld meines engeren Themas, also der »neutralitet« erkundend, frappierte mich, wieviel beim zweiten Hinschauen ziemlich unklar wird, und daß gerade die großen Linien oft schwer auszumachen sind. Nach denen hatte ich ja eigentlich

Vorworte, Fragestellungen

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gesucht. Ich wollte ja nicht beim Kleinklein einzelner Schlachten, Friedensschlüsse und Kriegsmanifeste anfangen, sondern gleich die abgeklärten Gesamtdeutungen einer angeblich gealterten, jedenfalls aber reifen Teildisziplin der Geschichtswissenschaft abschöpfen. Ich hielt es nicht für problematisch, gleich ohne viel Zeitverlust mit den größten und letzten Fragen zu beginnen, anspruchsvoller formuliert: wollte zügig die konzeptionellen und strukturellen Rahmenbedingungen für mein engeres Thema abklären. Was hielten denn die vormodernen Entscheider in den Ratsstuben und auf den Herrscherthronen vom Krieg, was vom Frieden? Rekurrierten sie in konkreten Entscheidungssituationen auf elaborierte Konzepte der Theoretiker, beispielsweise die Doktrin vom Gerechten Krieg? Kann man sich überhaupt darauf verlassen, daß die adeligen vormodernen Letztentscheider den Frieden für einen Wert an sich hielten? Oder, zu den Strukturen: Seit wann gibt es denn ein europäisches Staatensystem, also eine feststehende, eindeutig eruierbare Anzahl prinzipiell gleichberechtigter Elemente der Staatengemeinschaft, die ihre wechselseitigen Beziehungen an bestimmten Regeln ausrichten? Seit wann gibt es so etwas wie ein leitendes regulatives Prinzip, beispielsweise mit dem Namen »Gleichgewicht«, seit wann so etwas wie ein Regelbuch, das wir »Völkerrecht« betiteln können? War die vormoderne Staatenwelt jene Anarchie kaum gefesselter Partikularegoismen, die manche Politologen und die meisten Politiker in der Gegenwart wahrnehmen, und wie verlief, noch ohne UN-Charta und Internationalen Gerichtshof, die Verlaufskurve vormoderner Erwartungsverläßlichkeit? So naiv kann vielleicht nur der Außenstehende fragen. Daß ich all die Jahre über dem Treiben jener vergleichsweise wenigen Historiker, die sich der Diplomatiegeschichtsschreibung im weitesten Sinne verschrieben haben, gleichsam als Zaungast zugeschaut habe, ja, vieles kaum mitbekam: das ist einerseits schade, aber nur geschadet hat es wahrscheinlich nicht. Ich erlaubte mir Fragen, die sich der abgebrühte Profi nicht durchgehen läßt, weil er weiß, daß er die Antwort in einem Forscherleben nicht finden wird; und erlaubte mir eine Zeitlang das Staunen. Wie viele hochspannende Fragen sind noch nicht abschließend geklärt! Ja, ich saß wohl einer forschungsstrategisch motivierten Kampfparole auf. Auch das hat mich dann gewundert, hielt ich mich doch immer für einen Historiker, den Mainstream und Moden nicht sonderlich interessieren. Zu vielen Fehleinschätzungen im Vorfeld dieses Buches kam denn offenbar auch noch die Selbsttäuschung. Es muß schon etwas Besonderes sein, was einen heutzutage auf die verrückte Idee bringt, ein dickes Buch zu schreiben, sich damit leichtfertig dem Verdacht auszusetzen, alles zu vernachlässigen, was einen modernen Hochschullehrer ausmacht. Daß ich mich, statt an einigen Aufsätzen über die Akzeptanzprobleme der vormodernen Neutralität, an einem Buch über konzeptionelle und strukturelle Voraussetzungen der vormodernen Bellizität versucht habe, liegt an besagtem Erstaunen. Deshalb durfte es nicht stummbleiben, deshalb gehört es in die Einleitung.

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Vorworte, Fragestellungen

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Die Deutsche Forschungsgemeinschaft honorierte mein Interesse an der vormodernen »neutralitet« zwei Jahre lang durch pünktlich eintreffende Gehaltszahlungen5 und ermöglichte ferner durch einen sehr erheblichen Druckkostenzuschuß6 die Herstellung dieses Buches, wofür ihr mein Dank gebührt! Seit dem Frühjahr 2008 versehe ich eine aus Studienbeiträgen finanzierte Stelle am Department für Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg, die (mindestens) vierzehn Semesterwochenstunden Lehre vorsieht, konzentriertes wissenschaftliches Arbeiten nicht ermöglichen kann und soll.7 Daß ich das ausformulierte, aber nicht für den Druck hergerichtete Manuskript nach über vier Jahren doch wieder aus dem Regal holte, entstaubte, noch einmal gründlich durchlas und in die Druckerei trug, verdankt sich den hartnäckigen Nachfragen von Helmut Neuhaus, an dessen Lehrstuhl ich viele Jahre lang beschäftigt war; auch hierfür mein herzlicher Dank! Meinen Erlanger Frühneuzeit-Kolleginnen, Birgit Emich und Natalie Krentz, möchte ich für das große Verständnis danken, das sie unvermeidlichen Zerstreutheiten der letzten Monate entgegengebracht haben; solche mußte privat geduldig meine Frau Anette ertragen. Dorothee Rheker-Wunsch vom Böhlau-Verlag hat die letzten Stationen vom Manuskript zum fertigen Buch engagiert begleitet! Nicht zuletzt gebührt Heinrich de Wall und Andreas Thier ein Dankeschön dafür, daß sie das Manuskript eines Historikers, das die Nahtstellen zwischen Diplomatie-, Ideen-, Mentalitäts-, Rechts- und Kirchengeschichte inspiziert, ohne disziplinäre Scheuklappen in ihre Reihe »Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht« aufgenommen haben, wo es nach Ansicht seines Autors sehr gut aufgehoben ist.

5 Über dem Projektantrag stand: »Neutralität im frühneuzeitlichen Europa – politische Theorie und Praxis«. Daß ich »die Neutralität«, auch ihre »Praxis«, und das über mehrere Jahrhunderte hinweg, nicht umfassend darstellen konnte, liegt einfach daran, daß das in einem Menschenleben nicht zu recherchieren wäre, und in zwei Jahren jedenfalls schon gar nicht. Warum aber habe ich dann mein Thema – neben vielen Einschränkungen freilich, hauptsächlich hinsichtlich der »Praxis« der Neutralität – in manchen Hinsichten sogar noch ausgeweitet? Das versuche ich gleich zu erklären! 6 Für die unkomplizierte und zügige Behandlung meiner Anliegen will ich mich ausdrücklich bei Cornelia Niebus von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bedanken. 7 Ich formulierte das Manuskript auf der Basis der Literaturlage von 2007; Nachträge waren nur noch punktuell möglich.

A. Kein goldener Rahmen: was wir über die Voraussetzungen von Krieg und Frieden so alles nicht wissen

Beginnen wir mit dem Ende! Wenn sich der an Fragen der internationalen Politik interessierte Frühneuzeitler an den Ausgang der ihm arbeitsteilig zugewiesenen Jahrhunderte stellt und von dort aus ins Hohe Mittelalter zurückschaut, sieht er, daß lange Wegstrecken zurückgelegt worden sind. Schicken wir ihn der Einfachheit halber mit seinem Fernglas ins Jahr 1770 – dann sind die erste Dekolonisation der Weltgeschichte und die häßliche Antizipation des »geeinten Europa« in den Händen eines korsischen Clans noch nicht in die Bilanz einzubeziehen, was die Sache erleichtert. Wir plazieren unseren diplomatischer Beobachter, wenn wir unsere imaginäre Zeitmaschine auf »1770« justieren, in eine horizontale Ordnung gleichberechtigter, wenn auch sehr verschieden mächtiger Völkerrechtssubjekte. Sie sind gleichberechtigt, weil sie gleichermaßen souverän sind. Die Souveränität ist überhaupt das Axiom, auf das die ganze internationale Ordnung gestellt ist, und diese Souveränität ist noch nicht zum Allerweltswort verkommen, wie heutzutage, da sein aufgequollenes Bedeutungsspektrum bis zu postmoderner Coolness reicht (»souverän gemanaget«). Das 18. Jahrhundert hatte festumrissene Vorstellungen von Souveränität, beispielsweise konnte es ihnen zufolge per definitionem keinen ›Obersouverän‹ geben: Schon deshalb war die Staatenordnung eine horizontal gegliederte. Und diesen konsensfähigen Vorstellungen von Souveraineté zufolge hatte jeder Souverän ganz selbstverständlich das Ius ad bellum, ohne daß er sich, zu den Waffen greifend, vor einer politischen Instanz nach bestimmten moralischen Maßstäben hätte rechtfertigen müssen: also etwa – eine längst absurd gewordene Vorstellung! – den als Mitchristen betroffenen Kirchenbrüdern allgemein, dem Papst speziell hätte darlegen müssen, daß ihm gerade gar nichts anderes übrigbleibe als einen Gerechten Krieg zu führen. Die europäische Staatenwelt um 1770 ist fraglos gut, meines Erachtens auch mit Gewinn als System beschreibbar. Eben weil ein fixer Numerus clausus namens Souveraineté existierte, stand die Anzahl der Elemente des Systems fest. Es fanden ziemlich regelmäßige Interaktionen zwischen ihnen statt, die bestimmten Regeln folgten: Man denke nur an die großen Friedenskongresse der Zeit, oder an die ersten umfassenden, systematisch vorgehenden Völkerrechtsdarstellungen; mit dem Gleichgewichtsideal gab es ein zentrales regulatives Prinzip. Hingegen dürfen wir das Über-, Unter-, Neben- und Durcheinander hochmittelalterlicher Personenverbände vermutlich1 nicht als horizontale Ordnung 1 Seit wann wir von einem europäischen Staatensystem sprechen dürfen, ist unter den vergleichsweise wenigen Experten für solche Fragen ganz strittig – wie so viele Sachverhalte, die hier angesprochen werden. Alles wird weiter unten noch nuancierter betrachtet werden.

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beschreiben, und der Systembegriff will noch nicht recht passen: keine einsichtig begründbare Anzahl an Elementen, da kein Numerus clausus für Völkerrechtssubjekte und eigentlich auch noch kein Völkerrecht (nämlich kein Ius inter gentes); vielmehr eine hierarchisch gestufte Christianitas mit (jedenfalls theoretisch) unstrittigen Leitmächten, die auch (jedenfalls theoretisch) Richter über die strengen moralischen Maßstäbe sind, die die (jedenfalls theoretisch) unstrittige Kriegsdoktrin der Zeit anlegt. Noch nicht einmal theoretisch existierte damals ein staatliches Gewaltmonopol: Befehdet nämlich haben sich ganz legal auch Recken, die der Neuzeitler als Privatpersonen, jedenfalls keinesfalls als Staatschefs apostrophieren würde. So weit der Weg, so unklar die Route! Gewiß können wir, vom 18. Jahrhundert ins Mittelalter zurückblickend, eine Säkularisierung2 der Kriegsdoktrin ausmachen, aber seit wann und warum? Und wirkte sich dieser vorerst nur unscharf faßbare Prozeß überhaupt außerhalb der Gelehrtenstuben aus? Gab es eine Säkularisierung auch der Kriegspraxis, oder gehorchte diese schon immer ganz ihren eigenen, profanen Sachzwängen? Ist diese Säkularisierung (jedenfalls der Doktrin) auch als Rationalisierung beschreibbar, wiewohl doch der moderne, politologische Bemühungen um die internationalen Beziehungen dominierende Rational-Choice-Ansatz mit »Gloire« und »Ehre« – Herrschern des 18. Jahrhunderts besonders zentralen Werten! – wenig anzufangen wüßte? Seit wann können wir die europäische Staatenwelt als horizontale Ordnung gleichermaßen souveräner Akteure beschreiben, seit wann bietet es sich an, sie als System zu fassen, mit geregelten Interaktionen zwischen allen Elementen? Wie ist die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Verlaufskurve – Hoffentlich finden Mediävisten meine Vorstellungen vom Mittelalter, bei allem Verständnis für konstrastiv notwendige Vereinfachungen, nicht so verfehlt wie Neuzeithistoriker die Vorstellungen, die sich ihre politikwissenschaftlichen Kollegen von den finsteren Zeiten »vor 1648« (vgl. unten S. 268ff.) machen! 2 »Was meint das Zauberwort ›Säkularisierung‹?«: vgl. hierzu zuletzt, mit Hinweisen auf die überbordende Literatur, Axel Gotthard, Der Augsburger Religionsfrieden, Münster 2004, unveränderter Ndr. 2005, S. 501–510. – Selbstverständlich verwende ich den Terminus als Historiker wertfrei. Säkularisierung als frühneuzeitlicher Elementartrend (als solchen verstehe ich sie – vergleichbar etwa der Verrechtlichung oder der sog. Sozialdisziplinierung) meint nicht die Eliminierung des Religiösen aus der Gesellschaft (gar dem Bereich privater Kontingenzbewältigung), sondern wachsende Trennschärfe zwischen Religion und Politik (in Vollzug wie Reflexion, also von politischen Entscheidungen in der Ratsstube bis hin zu politikberatender Literatur). Im Zuge der funktionalen Ausdifferenzierung verschiedener Lebensbereiche, wie sie beispielsweise auch die »Privatsphäre« erst generiert, grenzt sich ein wachsender Bereich politischer Eigengesetzlichkeit deutlich von außerpolitischen Maßstäben ab. Politik – so auch die diese Studie besonders interessierende Außenpolitik – kann sich sukzessive von theologischen Postulaten emanzipieren, folgt umgekehrt proportional zunehmend eigenen Sachlogiken, einer eigenen Zweckrationalität, die die Vormoderne häufig als »ratio status« apostrophiert hat. – Diese Studie wird den Terminus »Säkularisierung« mehrmals wiederaufgreifen, problematisieren und umkreisen, vgl. nur unten S. 126ff. und S. 799ff.

Was uns befremden könnte

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zwischenstaatlicher Erwartungsverläßlichkeit, wie konnte in der Vormoderne mit ihrem Denken in Summenkonstanzen, ohne internationale »Institutionen« und »Regimebildungen«, überhaupt ein Grundvertrauen in die Mitakteure aufgebaut werden? Oder war und ist die internationale »Staatenwelt« nie »in Ordnung«, weil nie mehr als eine ganz ungeregelte »Staatenanarchie«? Einige dieser Fragen will ich im Folgenden noch präzisieren: indem ich dem Verblassen der Bellum-iustum-Doktrin nachgehe und nach der Praxisrelevanz dieses Vorganges fahnde; indem ich über die Voraussetzungen für einen systemischen Charakter der vormodernen europäischen Staatenwelt nachdenke; indem ich schließlich nach in der Vormoderne handlungsleitenden Kategorien frage und nach den methodischen Voraussetzungen, um sie aufspüren zu können – diese Passagen werden in das Plädoyer für eine Mentalitätsgeschichte der vormodernen Entscheider über Krieg und Frieden münden: Welche Wahrnehmungsraster, Werte und Normen steuerten das Tun der Steuerleute? Erst, wenn diese Fragenkaskaden auf den Leser niedergegangen sind, versucht mein Buch, anhand zweier unterschiedlich ambitionierter Fallstudien, über die Wahrnehmung des böhmischen Aufstands von 1618/19 an Europas Residenzen und über die Akzeptanzprobleme der vormodernen Neutralität, einige vorsichtig Antworten zu geben. Die erste Fallstudie ist in allen Hinsichten von viel kleinerem Zuschnitt – das reicht von der zeitlichen Erstreckung bis hin zum methodischen Anregungspotential. Es geht mir hier um den eigentlich banalen, indes so häufig mißachteten Sachverhalt, daß kognitive und normative Vorprägungen der Entscheidungsträger die Einschätzung vermeintlich objektiv gegebener Problemlagen und der vermeintlichen »Staatsräson« beeinflussen, damit politikrelevant sind. Erst die darauf folgenden Sondierungen zur Neutralität werden dann, von einem beim ersten Hinsehen ebenfalls recht kleinen Ausschnitt her, vorläufige Antworten aufs Gesamtspektrum der im Einleitungskapitel aufgereihten Fragestellungen und Desiderate suchen.

1. »Qui bellum dixit, malum omne dixit«? Zur Wertschätzung des Friedens in der Vormoderne 1.1

Was uns befremden könnte

Wer, nach Krieg3 oder Frieden fragend, das ausgehende Mittelalter und die ersten beiden neuzeitlichen Jahrhunderte in den Blick nimmt, der merkt rasch, daß er sich auf einige moderne Selbstverständlichkeiten nicht verlassen kann: beispiels3 Ich habe nicht den Ehrgeiz, den zahlreichen Kriegsdefinitionen der Sozialwissenschaften eine eigene hinzuzufügen; eine brauchbare von vielen bietet Klaus Jürgen Gantzel, Kriegsursachen – Tendenzen und Perspektiven, in: Ethik und Sozialwissenschaften 8 (1997), S. 258.

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Zur Wertschätzung des Friedens in der Vormoderne

weise auf das Postulat derzeitiger politischer Korrektheit, im Frieden unter fast allen Umständen einen Wert an sich zu sehen; oder auf die für uns heutigen Europäer banalen Tatsachen, daß Kriege von Staaten geführt werden und die seltene Störung jenes friedlichen Normalzustands darstellen, wie wir ihn schätzen – und wie wir ihn hierzulande seit Jahrzehnten gewohnt sind, wiewohl moderne Staatsoberhäupter, wenn sie einen Krieg ausrufen, vorher ja weder Beichtväter noch theologische Fakultäten konsultieren müssen. Noch an der Schwelle zur Neuzeit war Krieg eine große Fehde4, und Fehden führten auch, modern formuliert, Privatleute: Das Gewaltmonopol der öffentlichen Hand etablierte sich erst im Lauf des 16. Jahrhunderts – Gewalt anzuwenden, um Rechtsansprüche durchzusetzen, wurde innerstaatlich erfolgreich5 kriminalisiert, war nun nur noch, als Krieg, zwischenstaatlich legitim. Es gehörte nicht zum vormodernen Common Sense, Frieden unter fast allen Umständen einen moralischen Bonus vor dem Krieg einzuräumen. Und Kriege tobten dauernd irgendwo auf dem Kontinent, nur sehr selten war in Europa gerade einmal kein Krieg im Gange! Dabei gab es, anders als heute, eine theoretisch unstrittige Kriegsdoktrin mit strengen moralischen Maßstäben, die Lehre vom Bellum iustum. Stand sie nur auf dem Papier? Wurde sie allenfalls in Gelehrtenstuben ernstgenommen, nicht aber in Ratsstuben? Gingen womöglich auch Wirkungen von ihr aus, die gar nicht friedfördernd (einen Frieden nach modernen Vorstellungen befördernd!) gewesen sind – weil sie nämlich den Frieden nicht als Wert für sich nahm, sondern in Relation zu anderen Werten setzte, konkreter: Pax eng mit Iustitia koppelte, in eine untrennbare Troika Frieden-Recht-Gerechtigkeit6 einband? 4 »Eine Geschichte des Fehderechts ist eine Aufgabe der Zukunft«: das liest der darob verblüffte Neuzeithistoriker in einem sehr lesenswerten Aufsatz von Rolf Sprandel, Die Legitimation zur Gewaltanwendung und Kriegführung. Strafrecht im Wandel vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Heinz Duchhardt/Patrice Veit (Hgg.), Krieg und Frieden im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit/Guerre et paix du moyen âge aux temps modernes, Mainz 2000, S. 53. 5 Der Prozeß erstreckte sich überall in Europa über Generationen. Er verlief nie ohne Stockungen und Rückschläge, man könnte das etwa für die Lombardei oder für Venezien noch im späten 16. Jahrhundert aufzeigen. Im Reichsverband erfolgte der theoretische Durchbruch 1495, mit dem Ewigen Landfrieden des Wormser Reichstags (vgl. hierzu zuletzt Axel Gotthard, Das Alte Reich 1495–1806, 5. Aufl. Darmstadt 2013, S. 32–34; ich würdige ihn dort überhaupt als Beginn der rechtsgeschichtlichen Neuzeit); für die praktischen Rückschläge im 16. Jahrhundert mögen nur chiffrenhaft die Begriffe Sickingen-Fehde und Grumbach-Fehde stehen, dazwischen könnte man zwanglos die Umtriebe des Kulmbacher Mordbrenners Albrecht Alkibiades einreihen. 6 Daß Pax in den Gelehrtenstuben des 16. und alles in allem auch noch des 17. Jahrhunderts Glied einer untrennbaren Troika Frieden-Recht-Gerechtigkeit war, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch deutlicher werden. Und in den Ratsstuben, bei den Praktikern des Politikbetriebs? Das ist nicht untersucht und eine wichtige Facette jener noch nicht geschriebenen

Hat der Frieden einen moralischen Bonus?

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Der Übergang vom Zeitalter der Fehde zum Zeitalter der Kriege: das ist ein interessanter Ausdifferenzierungsprozeß zwischen Strafrechtspflege und militärischer Machtentfaltung, damit auch zwischen Innen- und Außenpolitik, der Modernisierungstheoretiker interessieren sollte, aber nicht diese Studie. Dem Gewicht der Doktrin vom Gerechten Krieg für die politische Theorie und die militärische Praxis der Frühen Neuzeit wird das nächste Kapitel auf der Spur sein. Und der Frieden? Nach ihm frage ich als Kind meiner Zeit zuerst!

1.2 Hat der Frieden einen moralischen Bonus? 1.2.1 Tour d’horizon durch die vormoderne Publizistik Wir kennen zahlreiche Friedensschlüsse, aber was wissen wir vom Frieden? Wir können die Paragraphen hunderter vormoderner Friedensverträge abrufen, bald auch im Internet7, aber können wir einschätzen, wie vormoderne Menschen über den Frieden dachten? War er dem Krieg auch in ihren Augen unter fast allen Umständen vorzuziehen, weil ethisch geboten? Und war er nach ihrem Empfinden überhaupt der Normalzustand – Krieg hingegen, wie uns Heutigen, die große Ausnahme, Folge des schlimmsten anzunehmenden diplomatischen Betriebsunfalls? Wir sind weit davon entfernt, solche Fragen pauschal beantworten zu können. Voraussetzen dürfen wir, daß frühneuzeitliche Menschen anders über den Frieden dachten als ein heutiger Mitteleuropäer, der Kriegsunbilden nur aus Opas gesammelten Erzählungen kennt oder weil der abendlich ermüdete Blick ab und an von der Bierdose auf Kurzfilmchen der »Tagesschau« vor exotischer Landschaftskulisse abschweift. Wir dürfen das Postulat postmoderner Political Correctness, im Frieden unter fast allen Umständen einen Wert an sich zu sehen, ja noch nicht einmal in die Moderne, in die beiden nationalstaatlichen Jahrhunderte seit 1800 zurückprojizieren. Für frühneuzeitliche Europäer war der Krieg allgegenwärtig, fast immer war auch in allernächster Nähe, war auch im eigenen Lebensumfeld damit zu rechnen. Eine realistische Lebensplanung hatte Kriege einzukalkulieren. Machte das den Frieden umso erstrebenswerter, war an ihm festzuhalten eine mit allen ethischen und theologischen Postulaten erhärtete Maxime? Mentalitätsgeschichte der vormodernen Entscheider über Krieg und Frieden, für die diese Studie plädiert. 7 Unter der Federführung von Heinz Duchhardt wird in Mainz daran gearbeitet, frühneuzeitliche Friedensverträge in moderner Edition und Kommentierung elektronisch zugänglich zu machen.

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Daß der Frieden für manche der besten Köpfe unter den frühneuzeitlichen Gelehrten einen moralischen Bonus besaß, wissen wir zweifelsfrei, beispielsweise, weil ihre »Friedensrufe und Friedenspläne«8 seit Generationen gesammelt wurden und mittlerweile als gut dokumentiert gelten dürfen – insofern haben die auf anderen historiographischen Terrains vielleicht allzu vorschnell verlästerten »Gipfelwanderungen«, haben Höhentouren zu den kühnsten Friedensutopien selbst so gar nichts kühnes mehr an sich; diese ausgetretenen Pfade dürfen wir verlassen. Die Gipfel sind erklommen, die Spitzenprodukte europäischen Geistes haben wir gesammelt und zwischen Buchdeckel gepreßt, wie aber steht es um die Mittelgebirge, die breiten Täler? Was hielten Allerweltspamphletisten und Kleinstadtprediger, was durchschnittliche Hofräte und kleine Markgrafen vom Frieden, was Herr Hinz und Frau Kunz? Stichproben im unermeßlichen Fundus der allfälligen Traktätchen, Pamphlete, Flugschriften9 und Manifeste legen die Einschätzung nahe, daß der Frieden im frühneuzeitlichen Normensystem schon einen gewissen Wert besaß.10 Sonn8 Das spielt auf diesen Klassiker an: Kurt von Raumer, Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, Freiburg 1953; vgl. ferner Hans-Jürgen Schlochauer, Die Idee des Ewigen Friedens. Ein Überblick über Entwicklung und Gestaltung des Friedenssicherungsgedankens auf der Grundlage einer Quellenauswahl, Bonn 1953; sowie zuletzt Heinz Duchhardt, Reich und europäisches Staatensystem seit dem Westfälischen Frieden, in: Volker Press/ Dieter Stievermann (Hgg.), Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit?, München 1995, hier S. 183–186 und Heinz Duchhardt, Zwischenstaatliche Friedens- und Ordnungskonzepte im Ancien Régime: Idee und Realität, in: Ronald G. Asch/ Wulf Eckart Voß/Martin Wrede (Hgg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt, München 2001, S. 37–45 passim; Duchhardt nennt weitere neuere Literatur, ich füge noch diese beiden Titel an: Rolf Hellmut Foerster (Hg.), Die Idee Europa 1300–1946. Quellen zur Geschichte der politischen Einigung Europas, München 1963; Anita und Walter Dietze (Hgg.), Ewiger Friede? Dokumente einer deutschen Diskussion um 1800, Leipzig/Weimar 1989. Überall werden Friedenspläne der Vormoderne ausgebreitet, die gleichermaßen ambitioniert und utopisch waren, zumeist auf der Basis einer Weltregierung oder doch einer Europäischen Gemeinschaft konstruiert wurden. 9 Die Frage, inwiefern wir aus Einblattdrucken, Flugschriften, später auch Journalen auf Denkweisen, Werte, Einstellungen breiter nichtpublizierender Bevölkerungskreise schließen können, ist meines Erachtens (mit weitgehend positivem Ergebnis) ausdiskutiert. Ich will dem hier nichts hinzufügen. Vgl. etwa, pointiert und mit der einschlägigen mediengeschichtlichen Literatur, Georg Schmidt, Die Idee »deutsche Freiheit«. Eine Leitvorstellung der politischen Kultur des Alten Reiches, in: ders./Martin van Gelderen/Christopher Snigula (Hgg.), Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400–1850), Frankfurt u. a. 2006, besonders S. 168f. Diskussion einiger methodischer Probleme im Umgang mit Flugschriften: unten Kapitel A.1.3.2 und Kapitel C.2.1.1. 10 Ähnlich sieht es dieser Kenner: Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt 1992, S. 14 (»die Frage der geschichtlichen Bewertung des Friedens ist noch nicht ausdiskutiert, doch wird man davon ausgehen können, daß der Friede im frühneuzeitlichen Normensystem zwar kein zentraler, wohl aber ein mit anderen konkurrierender Wert war«). –

Hat der Frieden einen moralischen Bonus?

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tagsreden, Grußadressen und salbungsvolle Aufrufe bekannten sich zu diesem »preißwehrten11 Gut«. Selbst Kriegsallianzen betonten wieder und wieder in ihren Verlautbarungen, man lebe eigentlich »viel lieber in fried und ruhe, dann in disem grausahmen und blutigen Krieg«.12 Weil es offenbar unter Begründungszwang setzte, zu den Waffen zu greifen, verfaßte man Kriegsmanifeste, wer sich gerade nicht im Kriegszustand befand, sah sich keinesfalls genötigt, dies eigens durch ein Friedensmanifest zu legitimieren.13 Von Ausnahmen im Konfessionellen Zeitalter, die freilich noch zu Wort kommen müssen, hier einmal abgesehen, warnen Abhandlungen aller Niveauund Stilebenen doch üblicherweise vor leichtsinnig riskierten Kriegen, nicht vor eilfertiger Friedenssehnsucht. Man hielt es »mit der gemeinen Politisch Historischen Regul, die da heisset: Zu Kriegen soll man nicht liederlich anheben, sondern den eusseristen Nothfall erwarten, vnd da man lenger nicht kan Frieden haben«.14 Waren die vom Prager Fenstersturz ausgelösten Turbulenzen ein solcher »Nothfall«, war einem Christenmenschen nun der Griff zu den Waffen erlaubt, geboten gar? Nahezu alle Flugschriften, die damals zu dieser Frage Stellung nahmen, bejahten sie für diese oder für jene Seite, aber alle betonten sie auch den grundsätzlich großen Wert des Friedens. »Friden vber nacht würdt besser als Gold geacht«, reimt ein populär gehaltenes Schriftchen.15 Ein »Memorial« weiß wortreicher, daß »die Erfahrung« zeige, »wie dem Krieg alles Vnglück vnnd

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Selbstauskünfte der Vormoderne über den »Wert des Friedens« finden wir schon deshalb nicht, weil der »Wert« damals, und allemal bis Immanuel Kant, keine philosophische und theologische, sondern eine ökonomische Kategorie gewesen ist. Zum wissenschaftlichen Terminus wurde der »Wert« in der politischen Ökonomie. Ich muß demnach einräumen, daß meine Studie vom heutigen Sprachgebrauch ausgeht. Des Lobpreises wert, nicht billig! Der Teutsche Kriegs-Kurier begrüßte das Jahr 1679 mit dem »höchst ersprießlichen Wunsche«, es möge doch, da »ganz Teutschland nach dem edlen Frieden seuffzet«, diesem »preißwehrten Gut«, eben diesen Frieden bringen. Aus dem kaiserlich privilegierten Nachrichtenorgan der Reichsstadt Nürnberg zitiert Sonja SchultheißHeinz, Politik in der europäischen Publizistik. Eine historische Inhaltsanalyse von Zeitungen des 17. Jahrhunderts, Stuttgart 2004, hier S. 222. Resolution der Frankfurter Tagung des Heilbronner Bundes für neuburgische Emissäre, 1634, Juli 8 (Kopie), Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (im Folgenden: BayHStA) Kasten blau 102/4 I (unfol.). Wir werden freilich noch sehen, daß die Erklärung, sich »neutral« herauszuhalten, auf wenig Respekt rechnen konnte, vielmehr auf »despekt« stieß, dem Anfangsverdacht moralischer Minderwertigkeit aussetzte. Das Thema muß, auf den kleinen Ausschnitt der »Neutralität« verdichtet, noch einmal gründlicher durchgespielt werden. [Anonym], Wohlgemeinte Rettung des Politischen Discurs, Von der Dennemärckischen vnnd NiederSächsischen Kriegsverfassung, zu beantwortung der dagegen publicirten Erinnerung, o. O. 1626, S. 46. [Anonym], Spanischer Curier und Paßöffner …, o. O. 1620, S. 2.

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endtliche Verderben, also hingegen demselbigen Frieden, alles Glück vnnd Heil ... auff dem Fuß nachfolge«. Frieden sei »das Hauptstück, ohn welches alle andere zeitliche Güter, dem Menschen nicht recht erfrewlich, lieblich vnnd ergetzlich seyn können«.16 Sogar ein Pamphletist, der in Böhmen die spanische »Tyranei«, ja, »Indianische Exempel« ausmacht, um die Aufständischen zum Widerstand und Europas Protestanten zum Mitkämpfen anzustacheln, hält das fest: »Niemand unter allen Menschen ist also närrisch, daß er lieber Krieg, als Friden begere«.17 Ehe eine ungewöhnlich militante Flugschrift zum selben Thema klarmacht, daß jeder Christ »wegen Gottes Ehr, Wort, Warheit« »tam offensivè quàm defensivè« Krieg führen dürfe und dabei als Jahwes streitbarer Arm fungiere, stellt sie eingangs doch das klar: »Der so an statt deß edlen Friedens den hochschädlichen Vnfried wünschet vnnd begeret, der muß meines erachtens entweder ein Blutdürstiger vnmensch, oder ein Raubbegieriger Vnglücks Vogel ... seyn. Der liebe Fried ist der Natur eingepflantzet, ist derselben förderlich vnd angenem«.18 Selbst dieser hitzige Pamphletist war offensichtlich der Ansicht, ein Bekenntnis zur Friedensliebe erhöhe seine Vertrauenswürdigkeit beim Leser. Ehe »Beatus Modestinus Seuberlich« über viele Seiten hinweg detaillierte Kriegspläne gegen habsburgische Bedrückung ausmalt – dabei sogar die von Europas evangelischen Gemeinwesen jeweils nach Böhmen abzustellenden Truppenstärken, Geschütze, Munitionswagen veranschlagt –, seufzt er doch in hohem Tone: »O der edle Fried«! »Ach Gott verley vns den Güldenen, edlen, werthen vnd H. Frieden«, denn: Im Krieg »ligt gute Policey gute Ordnung, Recht vnd Gerechtigkeit alles zu boden, Leges inter arma silent, das Faustrecht ist da das beste recht, wer den andern vermag, der steckt jhn in Sack. Im Haußstand wird der fromme Haußvatter turbirt, betrübt, erwürgt, Weiber vnd Kinder gemordet, geschendet, geschmächt, gefangen weg geführt«, am Ende vergleichbarer verbaler Kaskaden steht diese »Summa«: »Nulla salus bello, pacem te poscimus omnes. O der Edle Fried«!19 Es folgen, wie gesagt, eingehende Kriegsplanungen.20 16 [Anonym], Memorial oder Motiven, Warumb Ihr Kays. Mayest. mit den Bohemen vnnd den benachbarten Königreichen vnnd Landen Frieden machen, vnd den Krieg nicht continuiren solle?, o. O. 1620, S. 4; hier garniert das Friedenslob untypischer Weise einmal keine kämpferische ›Gesamtaussage‹. 17 »Johan Huß redivivus genandt Martyr«, Böhmische Fridensfahrt ..., o. O. 1619 (unfol.). Vgl. zu diesem Pseudonym unten Anm. 172. 18 Zacharias Theobaldus, Heerpredigt ... Gehalten In dem Christlichen Feldläger vor Pilsen, 7 Octobris Greg. deß 1618 Jahrs, Friedberg o. J., S. 1. 19 »Beatus Modestinus Seuberlich«, Examen Der Recepten vnd Medicamenten, so etliche Politische Medici vor die Böhmische Kranckheit oder Fieber geordnet ..., o. O. 1620, fol. G. 20 Denn: »Gewalt muß man mit Gewalt wehren« (fol. S). Vgl. auch diese Persiflage auf einen pazifistischen Vortrag (fol. Biiij): »Wenn es nur bey vns wol zugehet, Pax, Pax, es hat kein Noth, wir sitzen zu hoch in Parnasso«.

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Ohne wenigstens beiläufiges, sozusagen pflichtschuldiges Bekenntnis zum Wert des Friedens frohgemut zu den Waffen zu rufen, war selbst im unzimperlichen Genre der Flugschrift ganz ungewöhnlich. Es scheint in der reichhaltigen Publizistik zum Böhmischen Krieg eine einzige Ausnahme zu geben. Ein angeblich im kurpfälzischen Frankenthal verlegter »Politischer Rathschlag« überrascht den Leser gleich eingangs mit dieser Analyse: Die allenthalben zu hörenden Mahnungen, sich nicht übereilt in den Krieg zu stürzen und ihn überdies »allein defensiuè« zu führen, »die seyndt nichts werth«. Damit hätten sich die Protestanten stets nur selbst geschwächt, sie müßten teure Truppen finanzieren, die sich auf feindlichem katholischem Grund wohlfeiler unterhalten ließen. »Soll man disem nach das jenig, was man thun will, bald thun, vnnd den Krieg vnführsehener ding anfangen.« »Auß dem Raub den wir vnserm gegentheil abnemmen, können wir vns stärcken vnnd groß machen«.21 Erst die Eskalationsspirale solcher militanter Ratschläge, die sich von Seite zu Seite in immer dreistere Eroberungsphatasien auswachsen, weckt zunehmende Zweifel, am Ende ist sich der Leser sicher: Hinter der evangelischen Larve steckt ein katholischer Autor. Selbst aus dieser Maskerade können wir etwas lernen: Den Frieden – und sei es nur mit Worten, publizistisch – mit leichter Hand dahinzugeben, konnte auch in der Vormoderne schockieren, konnte (und sollte ja in diesem Fall offensichtlich!) sogar in der militanten Atmosphäre der Jahre um 1620 schockieren. Zwölf Jahre später, als die Militanz der Flugschriftenliteratur ihr zweites Allzeithoch erklomm22, »wundert[e]« sich ein schreibender Pastor darüber, daß sich kriegerisch tönende »Theologen und Feldprediger haben lassen so bald abwenden vom Evangelio Jesu Christi, welches ja ein Evangelium des friedens ist«.23 Ein Kollege im schwedischen Feldlager rief, als wolle er sich diesen Tadel redlich verdienen, die Deutschen dazu auf, auch nach Gustav Adolfs Schlachtentod beherzt weiterzukämpfen, doch wußte selbst er: »Pace nihil melius maximus Orbis habet!«24 Nochmals einige Jahre danach stellte ein Flugschriftenautor alle von ihm vorgebrachten »Motiven« für eine kriegsverkürzende Generalamnestie axiomatisch auf diesen Eröffnungssatz: »Vnd zwar anfänglich darff es in genere keines Beweises, daß der Friede dem Kriege

21 [Pseudonymer Herausgeber: »Ernst Victor von Ehrnfels«], Politischer Rathschlag Wie die Röm. Catholischen in Teutschlandt, vnnd zugleich auch deß Spannischen Königs Macht im Niderlandt zuschwächen ..., angeblich »Franckenthal« 1621, die Zitate: fol. A2 und fol. A3. 22 Was ich hier salopp zusammenfasse, wird Kapitel A.2.1.3 ausführlich darlegen. 23 Christoph Andreas R[oselius], Trewhertzige BußPosaune ..., o. O. 1632, S. 49. 24 Johannes Corberus, Threnologia Sveco-Regia. Königliche Schwedische Leicht-Predigt, Vber Den ... Hintritt ... Gustavi Adolphi ..., Tübingen 1633, S. 70. Die außerordentlich militante(!) Schrift wird uns in anderen Zusammenhängen noch begegnen.

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vorzuziehen sey«.25 Wir können es auf allen Anspruchsniveaus nachlesen: Der Frieden hatte seinen Wert. Aber doch selten einen absolut gesetzten. Auch das zeigte sich soeben schon, als wir Schlaglichter auf die erregte Publizistik zum Prager Fenstersturz warfen, und ließe sich in zahlreichen Flugschriften des Konfessionellen Zeitalters aufzeigen. Ein »wolmeinender Discurs« von 1616 findet, es sei »ausser allem zweiffel ..., daß niemand zu kriegen begeren soll, wer im frieden leben, vnd noch einige Mittel, den Krieg abzuwenden, haben kan« 26; um auf den Folgeseiten viele kriegsverherrlichende Zitate aus römischen Klassikern aneinanderzureihen, ferner den ›Nachweis‹ zu führen, daß auch die Bibel Kriege kenne und gutheiße. Unter den »Gutthaten« Gottes für den Menschen ist »keine höhrere, keine fürtrefflichere, vnd keine Edlere, als der liebe vnd werthe Fried«, weiß eine Abhandlung aus der Spätphase des Dreißigjährigen Krieges. Pazifistische Lehre aus langen quälenden Kriegsjahren? Es folgt diese Einschränkung: Doch sei es besser, »anstatt eines tückischen Friedens, einen offenbahren Krieg zu erwählen«. 27 Möglicherweise variieren solche Empfehlungen des Konfessionellen Zeitalters zwei damals geläufige Cicero-Zitate, die noch den ungerechtesten Frieden dem gerechtesten Krieg vorzogen (wobei der römische Klassiker freilich Bürgerkriege, also die innere Stabilität des Imperiums, nicht dessen notorische Expansion im Visier hatte)28; oder sie lehnen sich an die Einschätzung des Erasmus von Rotterdam an, daß kaum ein Frieden so ungerecht sei, daß er nicht dem gerechtesten Krieg zu präferieren wäre29 – nur eben sinnverkehrend: Die Katholiken geben »alle Krieges vortel gar zu leicht pro turpi pace (ubi non est pax, dilatio tantum) aus Händen«, lamentiert beispielsweise eine

25 [Anonym], Gegründete vnd nachdenckliche Motiven, So allen Christlichen Hohen Potentaten billich Anlaß vnd Vrsach geben sollen ... viel lieber eine General Amnistiam zuverstatten ... als den werthen Frieden deßwegen auffzuhalten ..., o. O. 1639, fol. Aij. 26 [Anonym], Wolmeinender, warhaffter Discurs, warumb, vnnd wie die Römisch Catholischen in Deutschland, sich billich von Spaniern vnd Jesuiten, absondern ... sollen ..., o. O. 1616, S. 12. Der Satz steht wortgleich, nur mit orthographischen Varianten, in der »Böhmischen Fridensfahrt« (vgl. Anm. 17): offenbar war er eben damals gängig. – Spekulationen zum Verfasser des offenbar vielbeachteten »wolmeinenden Discurses«: Alexander Schmidt, Vaterlandsliebe und Religionskonflikt. Politische Diskurse im Alten Reich (1555–1648), Leiden/ Boston 2007, S. 323 Anm. 388. 27 Welchen »tückischen Frieden« der Autor meint, zeigt der Titel seiner Schrift: »Justus Asterius«, Klagrede Vber den ... Anno 1635 ... auffgerichten Vertrag, vnd vermeinten Frieden ..., o. O. 1638, die Zitate: S. 3f. Vgl. zum Pseudonym (nicht zu dieser Schrift) Heinrich Hitzigrath, Die Publicistik des Prager Friedens (1635), Halle 1880, S. 92 und S. 98. 28 Vgl. unten Anm. 115. 29 Vgl. unten Anm. 116.

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altgläubige Flugschrift30, »ein rechtmässiger Krieg ist einem schändlichen Frid vorzuziehen«.31 In theologischen Traktaten des 16. und 17. Jahrhunderts wie in den politologischen Pionierwerken dieses Zeitraums sind Warnungen vor unbedingter Friedensliebe gängig, freilich aus unterschiedlichen Gründen. Klugheitslehren, die eine vorsichtige Emanzipation der Politik von theologischen Postulaten propagierten, konnten – nach modernen Maßstäben ganz unrational32 – auf die kriegeheischende »Ehre« des Fürsten abstellen oder – nach modernen Maßstäben rational, doch politisch unkorrekt – darauf hinweisen, daß Kriege die Staatsmaschinerie fithielten, wohingegen der Frieden alle träge mache: die Untertanen verweichliche, die Räte einschläfere, wollüstige und ausschweifende Fürsten hervorbringe. Theologen betonten durchgehend, daß Frieden gerecht sein müsse: Gerechtigkeit ist der Zentralwert, nicht Gewaltlosigkeit. Rhetorisch eindringlich erklärt die deutschsprachige Ausgabe von Diego de Saavedras »Idea de un Príncipe Christiano-Político«, »der Friede« sei »ein Hauffen alles Guttes, welches GOTT den Menschen schencket, wie dan der Krieg hingegen, das gröste vnter allen Vbelen«. »Wie schön seind die Städte geziret vnd mit aller Reichthumb erfüllet, welche den Frieden geniesen; entgegen aber wie wüst und wild sehen die Länder auß, wo der Krieg gewütet vnd getobet. Man erkennet nun kaum die Städt vnd Schlösser in Teutschland nicht mehr also seind sie mit ihrer Aschen besudelt vnd bedecket.« Don Diego de Saavedra Fajardo wußte, wovon er da sprach, er kannte neben dem Gelehrtenpult die Ratsstuben, kannte neben mehreren anderen europäischen Ländern auch das Reich aus eigener Anschauung. Im selben Jahr 1640, in dem sein emblematischer Fürstenspiegel erschien, weilte er am Regensburger Reichstag, zeitweise hatte er spanische Interessen am Hof des bayerischen Kurfürsten Maximilian vertreten. Die Friedenseloge gipfelt in dieser Erkenntnis: »Die Natur hat keinen grössern Feind alß den Krieg.«33 War damit zum Thema alles gesagt, der Krieg unter allen Umständen zu meiden, Frieden das Kardinalziel jedes einsichtigen Herrschers? Mitnichten! Viel wortreicher weiß der Autor, daß ein Volk nur durch 30 Und zwar schon vor dem Ausbruch des großen deutschen Konfessionskriegs, freilich in Erwartung eines solchen: [Anonym], Newe Zeitung Darinnen ein Wolmeinend vnd vertrawlich Colloquium oder Gesprech etli­cher Personen von jtzigen Zustande des Römischen Reichs begriffen ..., o. O. 1614, fol. Biiij. 31 »Johan Huß redivivus genanndt Martyr«, Böhmische Fridensfahrt (unfol.). 32 Wir merken, worauf diese Studie noch vielfach stoßen wird: Säkularisierung heißt nicht zwangsläufig Rationalisierung! »Ehre« und »Ruhm« im Diskursumfeld von »Krieg und Frieden« werden uns weiter unten wiederholt begegnen, besonders in Kapitel A.3.1 und C.6.1. 33 Diego de Saavedra Fajardo, Abris Eines Christlich-Politischen Printzens, In CI Sinn-Bildern vnd mercklichen Symbolischen Sprüchen ... Zuvor auß dem Spanischen ins Lateinisch: Nun in Teutsch versetzet, Köln 1674, S. 1109f.

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stete Kriegsübung mann- und wehrhaft bleibe, daß der Fürst nirgends so trefflich Ruhm und Ehre akkumulieren könne wie im Krieg. »Es ist kein grösser list als ein Reich in seiner ruhe vnd müssiggang lassen. Wo die Kriegsvbung vergehet, da verlieret sich alle Tugend.«34 Frieden war eine himmlische Verheißung, »bey den menschen aber mag kein Friede bestand haben, wo nicht die furcht der gewalt den ehrgeitz zwinget«35, was stets nur vorübergehend gelingen konnte. Unter Menschen erwiesen sich Friedensschlüsse letztlich immer als Waffenstillstände. Also hatte sich der kluge Fürst auf viele Krieg einzustellen, und er mußte sie beherzt führen, durfte nicht »die waffen schläfferig gebrauchen«. »Wo das schwert gezucket vnd nit wird bluttig gemacht muß mit schanden wieder eingestecket werden ... wo das ansehen verlohren ist, da kommen auch die allermächtigsten in gefahr«.36 Zwischen den Staaten herrschte immerwährender Konkurrenzkampf, gab es ein stetes Auf und Ab, keine Stabilität, keinen Stillstand, der Erfolgreiche mußte wachsen, weil die Alternative seine Marginalisierung war. »Alle reiche seind im anfang schlecht gewesen, hernacher aber haben solche mit einnehmen vnd erhalten37 zugenommen.« Über Dutzende von Seiten hinweg zeichnet Saavedra seinen Idealfürsten als zwar kühl kalkulierenden, nicht hazardierenden, doch zupackenden Kriegsherrn. Sogar vermeintlich irrationale, keinesfalls aufgenötigte Kriege hatten ihren tieferen Sinn, folgten einer höheren Notwendigkeit, denn »der wird nicht freventlich angegriffen, welcher sich hinwider was vnterfanget«.38 Das eingangs zitierte Friedenslob liest sich in diesem Kontext wie ein erratisches Einsprengsel. Eine ungewöhnlich wortreiche Friedenseloge bietet der heute vergessene, einst viel gelesene spanische Franziskanerbischof Antonio de Guevara im dritten Band seines erstmals 1529 vorgelegten Fürstenspiegels »Reloj de príncipes«. Er wurde in alle wichtigeren europäischen Sprachen übersetzt, jede größere Bibliothek besitzt verschiedene lateinische Ausgaben, auch noch aus dem 17. Jahrhundert. Caput XIV ist so überschrieben: »Suadet autor Principibus & dynastis, ut paci studeant, & belli occasiones fugiant«. Das ganze Kapitel malt in emphatischem Ton die Segnungen des Friedens aus, »absque pace neminem fortunis suis 34 Ebda., S. 1115. S. 1095: »Die tugendt erkaltet vnd wird matt, wan sie nicht gelegenheit hat sich zu üben«. 35 Ebda., S. 1114. 36 Ebda., S. 1094f. 37 Meint nicht: »innehalten«, sondern »das Eroberte behalten«, man darf es nicht wieder eines rascheren Friedens wegen herausrücken, davor warnt der Autor immer aufs Neue besonders eindringlich: »Waß sie erobert, das macht das man sie fürchte, waß sie wiedergeben verächtlich« (ebda., S. 1092f.). 38 Ebda., S. 1097. Ein guter Fürst mußte gefürchtet sein, »wer wird sein schneidendes schwert nit an einem mächtigen Fursten wetzen, wan er ein solches ohne seinen schaden thun mag?« (S. 1098).

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frui, sine superventu cibum capere, quietè dormire, securè iter facere, vicino tutò fidere posse ajo«. »O si intelligerent Principes & megistanes, quantum malarum cumulum & sibi & suis domibus illo die attraherent, quo die bella suspiciunt!« Kriege entspringen einem kranken oder gewissenlosen Gehirn: »Consiliarium enim, qui levi de caussa Principi suscipiendi belli autor est, aut bili abundare, aut conscientia carere dixerim«. Unter der Überschrift »Recitat autor commoda pacis, & quo pacto multi Principes ex caussis levissimis gravissima bella moverint, ostendit« (Caput XV ) geht das noch seitenlang so weiter. Vom Jahwe-Krieg des Alten Testaments kündet dieser Autor nicht, hingegen weiß er gut neutestamentarisch: »Redemtor mundi ex hoc mundo abiturus (& in coelum adscensurus) non dixit; Bellum relinquo vobis, bellum meum do vobis; sed Pacem relinquo vobis, pacem meam do vobis: unde effiicitur; veri Christiani esse pacem potius tantopere à Christo commendatam conservare, quàm bellum ulciscendae injuriae sibi illatae gratia movere«.39 Und doch betont auch dieser Autor: »Non petit stili mei mucro Principes, qui bella gerunt, universos; sed qui bella gerunt injusta. Nam ut Trajanus dicebat: Justum bellum pace suspectâ tutius est«.40 »Gerechte« Kriege also waren erlaubt, nur »ungerechte« Aggressionen verurteilt der Autor, das immerhin mit Grimm: »Erit ... haec condemnatio, ut de omnibus damnis, caedibus, incendiis, stupris & rapinis, quae in utraq commissa fuerint republica, rationem cogatur injusti belli autor reddere: qui si nullum in hac vita habeat, à quo reddendam rationem cogatur: At Judicem habebit justum, cui poenas in altera vita persolvet«.41 Diese Gerechtigkeit war nicht die Ciceros oder anderer Apologeten der Pax Romana, war christlich imprägniert. Der Theologie des abendländischen Mittelalters war Frieden nicht ohne Iustitia denkbar.42 Frieden, Gerechtigkeit, Recht – diese Troika durfte man nicht auf39 Antonio de Guevara, Horologium Principum, Sive de vita M. Aurelii Imp. Libri III ..., Ausgabe [des erstmals 1529 erschienenen Werks] Leipzig 1632, die Zitate: Liber III, S. 493f., S. 497, S. 501. 40 Ebda., S. 501. 41 Ebda., S. 489. 42 Vgl. hierzu ausführlicher Gotthard, Religionsfrieden, Kapitel B.III.3.1 und Kapitel D.I.2. Ich will, hinsichtlich der engen Koppelung von Pax und Iustitia im scholastischen Denken, noch auf diese gründliche Monographie hinweisen: Gerhard Beestermöller, Thomas von Aquin und der gerechte Krieg. Friedensethik im theologischen Kontext der Summa Theologiae, Köln 1990, passim (beispielsweise S. 67). Diese Koppelung war dem Mittelalter schon der Friedensethik des Augustinus wegen selbstverständlich. Zu Recht betonte deshalb Wilhelm Janssen in einer 1975 maßstabsetzenden Arbeit (Art. Friede, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck [Hgg.], Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, Stuttgart 1975) die »enge Verbindung des abendländischen Friedensbegriffs mit den Begriffen ›Recht‹ und ›Gerechtigkeit‹« (S. 555), ja, er konnte zugespitzt konstatieren: »für das Mittelalter waren Friede und Recht identisch«

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sprengen, fehlte ein Glied, konnte wohl momentane Gewaltlosigkeit herrschen, aber diese Pax iniqua war kein wahrer Frieden. Erst die zweite Hälfte der Frühen Neuzeit wird ja aus den Glaubenskriegen des Konfessionellen Zeitalters die Lehre ziehen, Pax von Gerechtigkeitskriterien abzukoppeln – Krieg wird sittlich neutrales Attribut der Staatssouveränität, Frieden schrumpft ein auf Ruhe und Ordnung.43 Übrigens war die Gerechtigkeit dem Frieden ursprünglich vorangegangen: so schon im wirkungsgeschichtlich bis in die Frühe Neuzeit hinein ungemein wichtigen, jedem Gebildeten geläufigen Psalm 85 (»Gerechtigkeit und Friede haben sich geküßt«); oder – eine der Moderne, modernen Abhandlungen über dieses Thema aus den Augen geratene, einst wichtige Bibelstelle – bei Jesaja 32,17 (»der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein«); danach in anderen biblischen Schriften, der Patristik, mittelalterlichen theologischen Traktaten, noch frühneuzeitlichen Flugschriften.44 Die Grundanlage des dritten Bands von Guevaras »Horologium Principum« ist diese: Caput I bis XIII sind der »Iustitia« gewidmet, es folgen die skizzierten Kapitel zur »Pax«. Frieden folgt der Gerechtigkeit, ist ihre Frucht. Gerechtigkeit vor Frieden: das ist uns Heutigen geradezu (S. 546). – Erst jüngst stieß ich auf diesen eigenartigen Essay: Hans Hattenhauer, Pax et iustitia. Vorgelegt in der Sitzung [der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften e. V.] am 1. Juli 1983, Hamburg 1983. Hattenhauer nimmt von der damals wegweisenden Studie Janssens keine Notiz, er scheint sie wirklich nicht gekannt zu haben, bietet indes eine Fülle interessanter eigener Beobachtungen; doch ist der Versuch in seinen großen Linien (also, knapp zusammengefaßt: reicher, an Gerechtigkeit gekoppelter Friedensbegriff im Alten Testament; seit der Christianisierung des Imperium Romanum indes nur noch römischrechtlich induzierte Deformationen; letztes Aufflackern der alten, über Ruhe und Ordnung hinausreichenden Friedenskonzeption unter dem Staufer Friedrich II., ehe ausgerechnet Thomas von Aquin darunter einen kräftigen »Schlußstrich« gezogen, Pax und Iustitia irreversibel entkoppelt habe) zweifelsohne verfehlt. Wie eng noch die gelehrte Welt der anhebenden Neuzeit Frieden und Recht, Pax und Iustitia zusammensah, wird meine Arbeit verschiedentlich deutlich machen. 43 Ich pointiere einen elementaren Trend des Völkerrechts, den der Formalisierung und ›EntEthisierung‹. Bei der Pax ging diesen Weg von den Theoretikern der Vormoderne nur Thomas Hobbes zu Ende. Vgl. zu ihm zuletzt Ulrike Kleemeier, Grundfragen einer philosophischen Theorie des Krieges. Platon – Hobbes – Klausewitz, Berlin 2000; nach Kleemeier verfügt Hobbes »über keinen Begriff des Friedens, der mehr wäre als ein Begriff des Nicht-Krieges« (S. 125), »Frieden ist somit nichts weiter als die Abwesenheit von Krieg« (S. 133), und wer mehr wollte als die Absenz militärischer Gewalt, gefährdete in Hobbes’ Augen sogar diese ›bloße‹ Abwesenheit. – In der Moderne wurde eine derart säkulare Sicht auf den Frieden dann selbstverständlich, deshalb können wir (aber das ist ein Beleg für hundert) bei Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Aufl. Stuttgart 1950, S. 169 solche Synonyme finden: »die Rechtssicherheit, d.h. die Ordnung, der Friede«. 44 Vgl. nur [Anonym] (Hg.), Abtruck Chur Sächsischen Jubel, Lob, Danck vnd Denckfestes ... wegen der Herrlichen Victori vnd Sieg, so Jhre Churfürstliche Genaden ... den 7. Septemb. 1631 Sieghafftig erhalten ..., Dresden 1632, unfol. (»Ach so lasse doch Gerechtigkeit vnnd Friede einander küssen«).

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anstößig, unwillkürlich verdrehen wir die vormoderne Reihenfolge, sie weckt innere Widerstände. Weil Pax Gerechtigkeit im Rahmen einer alle einenden Rechtsordnung voraussetzte, konnte sie auch nur unter Christen herrschen; diese konnten Heiden gegenüber momentanen Gewaltverzicht üben, einen solchen auch vereinbaren, nie wurde Frieden daraus. Eine untrennbare Troika aus Frieden, Gerechtigkeit, Recht also – und dann zerfiel die Christianitas in Konfessionen. Es zerfiel damit auch das Recht, Fundamentum pacis. Die mittelalterliche Kopplung der Pax an die Iustitia wurde dem Reformationszeitalter zum großen Problem. Daß ein ›nur‹ politischer Frieden über Konfessionsgrenzen hinweg halten könne, daß es wenigstens mittelfristig hinnehmbar sei, die Konfessionsspaltung nicht inhaltlich zu überwinden, sondern politisch handhabbar zu machen: das hielten die ersten beiden Generationen nach dem Öffentlichwerden der »causa Lutheri« für undenkbar. Ein nur politischer war notwendigerweise ein »gleserner«45, brüchiger, trügerischer Frieden, konnte nicht währen. Es sei »nit wol verhoffentlich«, belehrt uns der Frankfurter Anstand von 1539, »das ain bestendiger und entlicher frid, rue der gewissen, lieb, freuntschaft und rechtschaffens vertrauen im Hayligen Reich erlangt werden moge, es sei dan sach, daß in der religion als der rechten hauptsach ain gut christlich und entlich vergleichung gemacht werde«. 46 Im Sommer 1552 gelang an einer Reihe von Fürstenhöfen gleichsam der mentale Durchbruch47, hin zu einer funktionalen Ausdifferenzierung zwischen transzendentalem Wahrheitsproblem und säkularer Rechtsordnung; doch scheiterte damals der Versuch, diese umstürzend neue Einsicht der Reichsverfassung einzuschreiben. Noch 1555 wurden die Straßburger Vertreter am Augsburger Reichstag von ihrer Instruktion belehrt, ohne »vergleichung« der Religion, also ohne theologische Wiedervereinigung, sei »nicht leichtlich ein bestendiger friden in Teitscher nation zu verhoffen«, es sei

45 So formulierte Martin Bucer: Winfried Schulze, Concordia, Discordia, Tolerantia. Deutsche Politik im konfessionellen Zeitalter, in: Johannes Kunisch (Hg.), Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, Berlin 1987, S. 54 mit Anm. 34. 46 Frankfurter Anstand vom 19. 4. 1539, Abdr.: Wilhelm H. Neuser (Hg.), Die Vorbereitung der Religionsgespräche von Worms und Regensburg 1540/41, Neukirchen-Vluyn 1974, Anhang Nr. 1. 47 Nämlich partiell schon an der Wormser Versammlung vermittelnder Neutraler im Mai des Jahres, dann vollends während der Sommermonate in Passau. Noch die würzburgische Instruktion für die Wormser Tagung beispielsweise urteilt, es sei »offenbar und augenscheinlich, dweill man des glaubens halben nit verglichenn, das die hertzen der menschen in andern sachen auch desto langsamer oder unvertreuwlicher zusamen stymmen«; deshalb sei »die vergleichung der Religion«, also die inhaltlich-theologische ›Wiedervereinigung‹, »zum höchsten von nötten«. Aus der undat. Instruktion zitiert Albrecht Pius Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik 1530–1552 (Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg), Göttingen 1982, S. 626.

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»nit zu vermueten, das under sollicher uneinigkeit ein recht herzlich vertrauwen under den stenden wider inngepflanzt werden möchte«.48 Das gab 1555 aber nicht mehr den Ton vor. Es gehört zu den avantgardistischen Zügen des Augsburger Reichsabschieds, daß er beanspruchte, »beharlichen und beständigen friden« zu stiften, auf daß man sich »beständiger, gewisser sicherheit ... zu getrösten« habe, wieder in »ruhe und vertrau[en]« leben könne, doch all das »in werender spaltung der religion« 49, also ohne Klärung der Wahrheitsfrage. Ohne zur ihr überhaupt Stellung zu nehmen50, sollte der Religionsfrieden jenes unabläßliche Grundvertrauen wiederherstellen, auf dessen Basis ein gedeihliches Miteinander zwischen verschiedenen Gliedern eines politischen Systems (in diesem Fall des Reichsverbandes) überhaupt erst gelingen kann. Die bereits damals dezidiert föderalistische Organisation51 der Mitte Europas hat jene Augsburger Ordnung ermöglicht, die schon deshalb nicht zum europäischen Modellfall taugte. In Augsburg wurde nicht das Musterbuch zur Beilegung konfessionell motivierter oder aufgeladener internationaler Konflikte niedergeschrieben. Wir verließen zuletzt die Gelehrtenstuben, inspizierten Texte, die in der Ratsstube entstanden. Doch gab der Augsburger Religionsfrieden der mitteleuropäischen Publizistik der nächsten hundert Jahre ihr großes Thema vor. Seit den 1580er Jahren werden die Diskurse wieder hinter das 1555 erreichte Modernitätslevel zurückfallen. Die Vorgriffe von Augsburg stellten sich in manchen Hinsichten als zu avantgardistisch heraus. Die 1555 ausgeklammerte Wahrheitsfrage drängte eine Generation danach machtvoll in die gelehrten und die politischen Diskurse zurück. Erstere stellten immer lautstärker die Entkoppelung vollgülti­gen Menschseins von religiösen Wahrheitskriterien, letztere die Rol­ lenausdifferenzierung zwischen dem Politiker und dem Angehörigen einer Bekenntnisgemeinschaft in Frage. Diese Segmentierungen wa­ren zukunftsweisend, aber den damaligen Eliten wurden sie um und nach 1600 immer unglaubwürdiger. Es wurde immer schwieriger, einen Kernbereich reichspolitischen Aus48 Weshalb ein Nationalkonzil Therapie der Wahl sei, nicht ein politischer Friedensschluß: Instruktion vom 15. 2. 1555, abgedr. bei Walter Friedensburg (Bearb.), Politische Correspondenz der Stadt Straßburg im Zeitalter der Reformation, Bd. 5, Heidelberg 1928, Nr. 460. 49 So sagen es zur Dispositio des Religionsfriedens hinführende narrative Passagen: Rosemarie Aulinger/Erwein H. Eltz/Ursula Machoczek (Hgg.), Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. [im Folgenden: RTA]. Der Reichstag zu Augsburg 1555, Teilbd. 4, München 2009, Nr. 390 (hier S. 3107f.). 50 Das gilt hinsichtlich der beiden nun im Reichsverband zugelassenen Konfessionen; »secten« blieben illegal. 51 Vgl. hierzu (wie auch zur Frage, ob man die dezentrale politische Organisationsform des Reiches überhaupt »föderalistisch« nennen darf ): Axel Gotthard, Einleitung, in: Werner Künzel/ Werner Rellecke (Hgg.), Geschichte der deutschen Länder. Entwicklungen und Traditionen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Münster 2005, S. 7–33.

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handelns und reichspoliti­schen Krisenmanagements gegen das anbrandende Wahrheitspro­blem abzuschirmen. Es ist faszinierend, zu beobachten, wie sich das vom doppelten Wahrheitsmonopol bedrohte Reich 1555 auf den säkularen Boden eines politischen Friedens rettete, aber nach gut einer Generation pochte das Wahrheitsproblem kraftvoller denn je wieder an die Türe – wenn ich in Kapitel A.1.2.3 nach der Verlaufskurve der Wertschätzung des Friedens und in Kapitel A.2.1.3, im Rahmen einiger um die Säkularisierung des Kriegsbegriffs kreisender Überlegungen, nach einem »Resakralisierungsschub« frage, werden verschiedene Facetten dieses Prozesses noch eingehender analysiert werden. In Kapitel A.1.2.3 werden wir beispielsweise sehen, daß die Publizistik der Konfessionellen Zeitalters gern zwischen dem »inneren« und einem lediglich »äusseren« Frieden unterschied, ersteren mit der theologischen Wiedervereinigung gleichsetzte, letzteren, also den interkonfessionellen Frieden, als notwendig fragil abwertete, ja, seine Bindewirkung für den Rechtgläubigen in Frage stellte. Wenn Georg Eder 1579 den Protestanten entgegenschleuderte, daß »ausser Ainigkait des Glaubens, kain beständiger Frid« denkbar sei 52, war das natürlich auch ein Werturteil. Gewaltlosigkeit war kein Wert an sich. Kapitel A.2.1.3 wird zeigen, daß der Gerechte Krieg in Pamphleten der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts zum gottgewollten Bellum necessarium mutierte, zum Holy War; sich diesem himmlischen Schlachtruf zu versagen, war nicht gottgefällig. Friedfertigkeit ist in diesen Pamphleten sündhaft. Solche – an sich auch für den nur relativen Wert von Pax aussagekräftige – publizistische Muster des Konfessionellen Zeitalters werden wir also noch in anderen Kontexten genauer kennenlernen, bereits hier können wir resümieren: Die durchgreifende Säkularisierung einer darüber auf »Ruhe und Ordnung« einschrumpfenden Pax ließ auf sich warten, linear progressiv war dieser Prozeß nicht. Interessante Illustrationen der vormodernen Friedensethik präsentieren uns neuerdings einige Arbeiten von Kunsthistorikern. Sie zeigen, wie häufig damals Pax und Iustitia zusammen ins imaginäre Welttheater gestellt wurden.53 (Weil in dieser Studie noch verschiedentlich über Säkularisierungsprozesse räsonniert 52 Vgl. unten S. 57. 53 Vgl. Klaus Arnold, Friedensallegorien und bildliche Friedensappelle im späteren Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Heinz Duchhardt/Patrice Veit (Hgg.), Krieg und Frieden im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit/Guerre et paix du moyen âge aux temps modernes, Mainz 2000, S. 13–34 passim; Wolfgang Augustyn, Friede und Gerechtigkeit – Wandlungen eines Bildmotivs, in: ders. (Hg.), Pax. Beiträge zu Idee und Darstellung des Friedens, München 2003, S. 243–300; sowie auch Hans-Martin Kaulbach, Europa in den Friedensallegorien des 16.-18. Jahrhunderts, in: Klaus Bußmann/Elke Anna Werner (Hgg.), Europa im 17. Jahrhundert. Ein politischer Mythos und seine Bilder, Wiesbaden 2004, S. 57 mit Anm. 18. – Biblischer Bezugspunkt war natürlich Psalm 85, Zeile 11 (»iustitia et pax oculatae sunt«). – Augustyn zeigt, daß man Pax manchmal als heilsgeschichtliche Kategorie ins Bild setzte, auf die Erlösung des Menschen bezog (und Iustitia mal die Gerechtigkeit, etwa die

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wird, verdient freilich auch Erwähnung, daß die Bildprogramme nach 164854 oder doch im 18. Jahrhundert55 von der innigen Verschränkung des Friedens mit der Gerechtigkeit ablassen werden.) Der neben Luther bedeutendste evangelische Lieddichter, Paul Gerhardt, schwelgte fünf Jahre nach dem Westfälischen Friedensschluß in dieser Utopie: »Die Güt und Treue werden schön/ einander grüßen müssen;/ Gerechtigkeit wird einhergehn,/ und Friede wird sie küssen«.56 Der Nürnberger »Pegnitz-Schäfer« Johannes Klaj faßte es zeitgleich in diese Worte: »Fried und Gerechtigkeit/ sehr nah beschwestert sind/ Wer Rechtseyn hintergeht/ den Frieden nimmer findt/ ... Fort wird Fried und Gerechtigkeit/ sich freudlich küssen weit und breit.«57 Acht Jahre nach dem Ende des großen deutschen Konfessionskriegs deklamierte Veit Ludwig von Seckendorff in seinem »Teutschen Fürsten-Staat«: »Der Friede, oder die innerliche ruhe des landes, und sicherheit von den feinden58 fließet her aus der gerechtigkeit, und die wird hiniustitia distributiva des Aquinaten meinte, mal die Rechtsordnung), daß sie aber in Mittelalter wie Früher Neuzeit häufig auch einen rechtlichen und politischen Friedenszustand meinte. 54 In den bei Kaulbach, Europa, geschilderten und/oder abgebildeten Allegorien aus der zweiten Hälfte der Frühen Neuzeit ist die enge Verschränkung gelöst, oft tritt Iustitia gar nicht mehr auf. Kaulbach selbst freilich geht darauf explizit nicht ein, ihn interessiert der räumliche Bezugsrahmen von Pax, und auch da darf man eine Säkularisierung konstatieren: Aus der Christianitas wird »Europa«, im Lauf des 18. Jahrhunderts unter Einbeziehung eines nun ikonographisch friedensfähig werdenden islamischen, nämlich des Osmanischen Reiches. 55 Augustyn, Friede und Gerechtigkeit, konstatiert, daß die zuvor zum »herkömmlichen Motivschatz der Friedensikonographie« gehörende Verschwisterung von Pax mit Iustitia im 18. Jahrhundert seltener werde und am Ende dieses Säkulums »obsolet geworden« sei (S. 276). – Ein Zufallsfund in Flugschriftenliteratur, der nicht gegen Augustyns Diagnose ins Feld geführt, nur erwähnt werden soll: Eine 1757 erschienene anonyme Abhandlung über »Die Neutralität« endet so: »Alleine, bey dem allen seye es ferne, daß Alemannien nicht den lieben Frieden auf sehnliche Art wünschen sollte«, weshalb Brennus aus Gustavs Land abziehen und sich mit Miriam versöhnen muß, auf daß, so der Schlußsatz, »Gerechtigkeit und Friede sich unaufhörlich in Alemannien küssen« (S. 14). Das skurrile und wohl auch seltene (ich stieß in Jena darauf: ThULB A 5002 :2[23]) Schriftchen findet es lustig, allen Räumen und Personen Pseudonyme zu verpassen, »Alemannien« meint das Reich, »Fürst Brennus« ist unverkennbar Friedrich von Preußen, Maria Theresia heißt »Groß-Fürstin Miriam«, als »Gustav« firmiert Friedrich August von Sachsen. 56 Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Bayern und Thüringen, o. O. o. J., S. 533. 57 Johann Klaj, Friedensdichtungen und kleinere poetische Schriften, hg. von Conrad Wiedemann, Tübingen 1968, S. 45f. 58 Diese Quasi-Synonyma sind für die Haltung des Autors bezeichnend. Der Sohn eines fürstbischöflich-bambergischen Amtmannes war, als er den »Fürsten-Staat« 1656 erstmals vorlegte, Hof- und Justizrat in Sachsen-Gotha, mit inneren Reformen in der Verwaltung dieses kleinen Fürstentums befaßt und, allgemeiner gesagt, ganz Kind der deutschen ›Kleinstaaterei‹. Das verlieh seinem – gleichwohl generationenlang vielbenützten – Handbuch Züge, die eigentlich schon 1656 altertümlich waren, wenig auf die innenpolitischen Exzesse des höfischen Absolutismus vorauswiesen und schon gar nicht auf die machtpolitischen Exzesse

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wiederum durch friede und ruhe befördert, also, daß diese beyde stücke freylich, nach der lehre des Königes Davids einander küssen, und eines ohne das andere nicht wohl bestehet«. Und wenn Frau Iustitia den Kuß verweigerte? Es ist für uns Heutige unvorstellbar, die ›bloße‹ Abwesenheit massiver physischer Gewaltausübung geringzuschätzen59, doch zahlreiche theologische Traktate und religiös aufgeladene Pamphlete des Mittelalters wie der ersten beiden neuzeitlichen Jahrhunderte warnen vor dem faulen Frieden. Um die qualitative Spannweite andeuten zu können, will ich mit dem großen Nikolaus von Cues beginnen: »Oportet se custodire: a pace inquinata ... et a pace simulata ... et a pace inordinata ... Talis pax est deterior quam guerra.«60 In den Niederungen der Pamphletistik liest sich das dann beispielsweise so: Frieden »in it selfe is ... neither ... good nor bad«, er gehört zu den Gütern, die nicht »absolutely desired or refused« werden sollen, »therefore truth must give Law to peace«.61 Eine »Zeitung aus der Christenheit« will »mit Jedermann ... Fried halten«, doch unter einer wichtigen Voraussetzung: »so fern daß man Gottes fried darüber nicht verliere«. Wiewohl während des großen deutschen Konfessionskriegs vorgelegt, lernte ihr Autor, wie so viele seiner Kollegen, lieber aus den Kriegen des Alten Testaments, und dort fand er, »Daß die Kinder Jsrael wol hätten Frieden haben können, wann sie hätten in Egypten im Diensthaus sein und den Abgöttern fröhnen wollen«.62 In »Gesprächen und Discursen zweyer Evangelischer Eydtgenossen« behauptet jener »Hans«, der durchgehend grundverkehrte Ansichten äußert, daß der Krieg »für sich nichts

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des Französischen Zeitalters. Es mußte in dieser Kürze holzschnittartig bleiben. – Das Zitat: Veit Ludwig von Seckendorff, Teutscher Fürsten-Staat ... mit dienlichen Anmerckungen ... versehen, durch Hn. Andres Simson von Biechling ..., Jena 1737, S. 205. Ebda., S. 140 postuliert dieser wenig martialische Autor, daß »das Röm. Reich durch gewisse satzungen zu friede und ruhe eingerichtet« sei und daß »ein teutscher fürst für sich ordentlicher weise ein friedsamer regent seyn solte«. – Daß dem Prager Frieden publizistisch vorgehalten wurde, »ein annehmbarer Frieden müsse sich mit der Gerechtigkeit ›küssen‹«, zeigt Hitzigrath, Publicistik, S. 31f. Es gab freilich auch in der Moderne Versuche, säkularisierte Versionen der werthaltigen Pax auszuarbeiten; die meines Wissens jüngste, in den Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts durchaus einflußreiche, dann aber doch rasch wieder vergessene stammt von Johan Galtung, der Frieden als Abwesenheit auch »struktureller Gewalt« verstand. Vgl. aus dem großen Œuvre beispielsweise Johan Galtung, Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung, Hamburg 1975. Nikolaus von Cues, Sermo XVI: Gloria in excelsis Deo, in: Nicolai de Cusa, Opera omnia, Bd. 16.3, hg. von Rudolf Haubst und Martin Bodewig, Hamburg 1977, S. 268. [Anonym], Neutrality condemned, by declaring the Reasons Why the Deputy-Lieutenants, intrusted by the Parliament for Chesire, cannot agree to the Treaty of Pacification made by some of that County, o. O. 1643, S. 1. Julius Opel/Adolf Cohn (Hgg.), Der Dreißigjährige Krieg. Eine Sammlung von historischen Gedichten und Prosadarstellungen, Halle 1862, Nr. 50.

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guts in jhm hat ... ist warlich ein gefährliches vnd beschwärliches ding, vnd soll man allezeit wol vnd viel sich bedencken, eh man daran kommt«; doch macht ihm dann der kluge, weise und fromme »Stephan« klar, daß nicht etwa Krieg, sondern »forchthaffte friedensbegirde« sündhaft, schändlich und schädlich ist.63 »Blessed are the peacemakers, who make such peace indeed as standeth with Gods honor and the publique good«, konzediert eine englische Kampfschrift gegen die irenische Kontinentalpolitik des Londoner Hofes unter Jakob I., »otherwise, as authors averre, and experience teacheth, A just war is to be preferred to an unjust peace«.64 »Christianus Pura« weiß schon auf dem Titelblatt seines »Classicum paciferum Daniae«65: »Melior est talis pugna, quae Deo proximum facit, quam pax illa, quae separat à Deo«. Die Stuttgarter Hochzeit zwischen Herzog Johann Friedrich von Württemberg und Barbara Sophia von Brandenburg im November 1609 sah einen aufwendigen Festumzug.66 An achter Stelle beteiligte sich der württembergische Hofrat Benjamin Bouwinghausen von Wallmerode mit Waffenträgern, Herolden und Schauwagen. Wie seine Festgenossen, ließ er feierlich Thesen vortragen, darunter die, »das wenn gleichwol deß Vatterlands Lieb und Freyheit, oder einer gerechten Sach notturfft solches erforderet, ein ordentlicher, wollbestelter und rechtgeführter Krieg einem ungewissen oder Prejudicirlichen, und dem Gewissen und der Freyheit abbrüchigen Frieden fürzuziehen« sei.67 Bouwinghausen war kein konfessioneller Eiferer, wir wissen noch nicht einmal – bei einer so exponierten Persönlichkeit des Konfessionellen Zeitalters ist das bemerkenswert! –, welcher Konfession er im Innersten seines Herzens an63 [Anonym], Gespräche und Discursen zweyer Evangelischer Eydtgenossen, von dem gegenwertigen Zustand, o. O. o. J. [1632], fol. 7. 64 Alexander Leighton, Speculum Belli Sacri: or the Looking glasse of the Holy War, o. O. 1624, S. 5. 65 Lübeck o. J. (1627?). 66 Er wurde jüngst zweimal nach unterschiedlichen Fragestellungen analysiert: Gregor Horstkemper, Die protestantische Union und der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Konfliktverschärfung als Auswirkung der gescheiterten Integration von Bündniszielen und Partikularinteressen, in: Winfried Schulze (Hg.), Friedliche Intentionen – kriegerische Effekte. War der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unvermeidlich?, St. Katharinen 2002, S. 21–51 passim; Alexander Schmidt, Vaterlandsliebe, S. 328–350. 67 Johann Oettinger, Wahrhaffte Historische Beschreibung Der Fürstlichen Hochzeit, und deß Hochansehnlichen Beylagers, So der Durchleuchtig Hochgeborn Fürst unnd Herr, Herr Johann Friederich Hertzog zu Würtemberg ... gehalten hat ..., Stuttgart 1610, S. 137. – Die tagesaktuelle Botschaft des Bouwinghausenschen Aufzugs war eindeutig: Der am Niederrhein begüterte Hofrat plädierte dafür, den »Possedierenden« in Jülich und Kleve aktiv zu Hilfe zu kommen, den Streit um diese Herzogtümer zur Unionssache zu machen. Allgemein zu Bouwinghausens Engagement für die Jülicher Sache: Gotthard, Konfession und Staatsräson, S. 62–66.

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hing.68 Speist sich seine These aus politologischer Literatur? Auch Autoren, die sich, Klugheitsmaximen einer ihren eigenen Sachzwängen gehorchenden Politik absteckend, mehr oder weniger entschieden von theologischen Postulaten freimachten, pflegten vor den Gefahren der Friedfertigkeit zu warnen. Natürlich fällt uns in diesem Zusammenhang zuerst der Name Niccolò Machiavelli ein. Für diesen »wohl entschiedensten Bellizisten der nachantiken politischen Theorie vor dem 19. und 20. Jahrhundert« wurde der Krieg »zum leitenden Prinzip eines Zurück zur Robustheit der Anfänge«, »antizivilisatorischer Schlachtruf«69; langandauernder Frieden ließ die von ihm befallenen verweichlichen, erschlaffen, regelrecht degenerieren.70 Ob das Europas Gelehrten- und Ratsstuben nachhaltig beeinflußt hat? Die Wirkung des Florentiners ist ja schwer zu taxieren, sonntags verdammte man den verruchten Machiavell, werktags ließ man sich mehr oder weniger verhohlen von ihm inspirieren. Viel zitiert (wenn auch zumeist vorgeblich entrüstet), hat er doch in mehreren Hinsichten nicht den Ton vorgegeben. Wichtiger als seine untypisch republikanische Orientierung ist in unseren Zusammenhängen seine 68 Da sie es ablehnten, ihr Gewissen »weiter als Gott uns ufferlegt gefangen zu geben«, lehnten Benjamin und sein Bruder Daniel Bouwinghausen die Unterzeichnung der Konkordienformel ab. Das Konsistorium attestierte ihnen 1610 eine »ambidextra confessio«. Bei Verhandlungen mit dem Konsistorium im Januar 1611 lehnten es die Bouwinghausens ab, den Calvinismus zu »condemnieren«, weil dadurch »societas civilis uffgehalten« werde. Benjamin erklärte außerdem, er glaube zuversichtlich, daß auch große Heiden selig würden. Vgl. zur ›Persönlichkeit‹ dieses außergewöhnlich interessanten (freilich nicht publizierenden) Diplomaten: Axel Gotthard, Benjamin Bouwinghausen. Wie bekommen wir die »Männer im zweiten Glied« in den Griff ?, in: Helmut Altrichter (Hg.), Persönlichkeit und Geschichte, Erlangen/Jena 1997, S. 69–103. ›Der Politiker‹ (französische Gesandte charakterisierten ihn 1620 in einer Relation nach Paris als »le plus intelligent« aller Unionspolitiker!): Axel Gotthard, »Bey der Union ain directorium«. Benjamin Bouwinghausen und die protestantische Aktionspartei, in: Friedrich Beiderbeck/Gregor Horstkamper/Winfried Schulze (Hgg.), Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, Berlin 2003, S. 161–186. 69 Volker Reinhardt, Machiavelli und der Krieg, in: Norbert Brieskorn/Markus Riedenauer (Hgg.), Suche nach Frieden: Politische Ethik der Frühen Neuzeit, Bd. 2, Stuttgart 2002, die Zitate: S. 353 und S. 359. 70 Das soll jedenfalls das vermeintliche Beispiel der Meder nahelegen: Niccolò Machiavelli, Il Principe. Der Fürst. Übersetzt und herausgegeben von Philipp Rippel, Stuttgart 1986, S. 43. Zwischenstaatlicher Frieden war Machiavelli nur als Waffenstillstand möglich, eine Zeit, die genutzt werden mußte, um sich für den nächsten Krieg fitzumachen; ob es zweckmäßig war, Krieg zu führen, entschied ausschließlich die Erfolgsaussicht (vgl. S. 27), und: Krieg war ein vorzügliches Disziplinierungsmittel nach innen (vgl. S. 173). – Nur erwähnen kann ich, daß Machiavellis Bellizismus dem nationalstaatlichen 19. Jahrhundert zu und vollends in diesem selbst viel Nachhall fand –­ in Gegenschriften zu Kants Friedensutopie, auch für Hegel führte langdauernder oder, horribile dictu, gar permanenter Frieden zu Fäulnis und Degeneration. Doch das liegt außerhalb des zeitlichen Fokus dieser Studie.

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Überzeugung von der Unbrauchbarkeit des (allzu duldsamen, mitleidigen und insofern friedensaffinen) Christentums für ein starkes dynamisches Staatswesen: Denn hierin folgte ihm der Mainstream der Fürstenberater des 16. und 17. Jahrhunderts keinesfalls. Doch mahnten auch christlich durchtränkte politologische Werke den Leser, die Gefahr einzukalkulieren, »vt ne ex pace fiat ignauus, socors, ac negligens«.71 Ein antihabsburgisches Pamphlet von 1620 will wissen, daß Justus Lipsius, vom spanischen König wegen des Kriegs gegen die niederländischen Nordprovinzen um Rat befragt, empfohlen habe, sie durch Friedfertigkeit zu ruinieren. Militärisch seien sie derzeit nicht zu bezwingen, er würde versuchen, sie »durch den Fried, in Sicherheit« zu wiegen, denn: »die sichern ergeben sich der Faulkeit, die jhnen so schädlich, als ein eingenommener Schlafftrunck«. Es sei ein alter Erfahrungsschatz, daß »zu Friedenszeiten, die Gemüther vnnd Hertzen der Menschen sich endern, vnd auff allerley Wollust vnd Begierde zeitlicher Nahrung vnd Reichthumb sich begeben«. Kurz, man gewähre den Holländern Frieden, auf daß sie »darüber einschlaffen, deß Feindes vergessen« und sich so »selbsten ... ins Elend stürtzen und verderben«.72 1.2.2 Wie dachten die Entscheidungsträger über den Frieden? Was hielt jenes Gros der Entscheidungsträger vom Frieden, das ihn herbeiführte oder verwirkte, aber keine Traktate über ihn verfaßt hat? Daß unbedingte Friedfertigkeit in solchen Kreisen keinesfalls als Herrschertugend galt, merken wir am galligen Spott, mit dem Europas Diplomaten im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts Jakob I. von England zu überschütten pflegten, der seine »ungemessene

71 Princeps christianus adversus Nicolaum Machiavellum, caeterosque huius temporis Politicos, a P. Petro Ribadeneira nuper Hispanicè, nunc Latinè a P. Joanne Orano utroque Societatis IESV Theologo, editus ..., Mainz 1603, Lib. 2, cap. XXXI (S. 453). Der heute vergessene Autor Pedro de Ribadeneyra begegnet in politologischer Literatur der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts sehr häufig. – Ich sollte auch anführen, was unmittelbar davor steht: »Quanquam verò pax semper principi spectanda est, atque ad illam, vt ad imperij finem, administratio dirigenda ...« 72 [Anonym], Dormi secure oder Spanischer Schlafftrunck ..., o. O. 1620, S. 4. – In den militärkundlichen oder der Neutralität gewidmeten Traktaten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist der Zusammenhang Frieden – Erschlaffung stets präsent. Um nur eine unaufgeregte, unspektakuläre, also typische Stelle anzuführen: »In pace semper ad bellum parata esse debent Principis brachia; Nam deficiente exercitio militari virtus quoque deficit: Subditos enim disciplina armorum habiles reddit, ad tuendam pacem et sustinendum bellum.« So urteilt Georg Schröder, De Neutralitate Bono Deo praeside Henrico Rudolpho Redekern, Profess. Juris Ordinario, Rostock 1659, Abschnitt Nr. 5.

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Friedensliebe ... überall zur Schau« stelle73, notorisch »anxious for the peace of the world« sei, »naturally inclined to peace«74. Was heute für diesen Monarchen einnehmen könnte75, führten die damaligen diplomatischen Beobachter auf schlimme charakterliche Defizite zurück. »Involved in his extreme irresolution«76, scheue Jakob außenpolitische Konflikte »wegen seiner Schwäche« und »Nachlässigkeit«, weil er sich ohnehin »den Geschäften nicht gewachsen fühlt ... Und so glaubt er nun, während des Friedens könne er ... seine Fehler leichter verdecken, als im Kriege, und dann seiner Natur gemäß in aller Freiheit der Ruhe und den Vergnügungen leben.«77 Der Friedfertige ist in diesem Fall der Dumme, und nicht nur in diesem Fall einfach faul. Frieden hatte nicht unter allen Umständen einen moralischen Bonus. Wie dachten die Entscheidungsträger über den Frieden? Reichskanzler Axel Oxenstierna, an dessen grimmiger Entschlossenheit, Schweden nicht anders denn »medh ähren« und »reputation« aus dem großen mitteleuropäischen Konfessionskrieg herauskommen zu lassen, alle Friedensappelle aus Stockholm verpufften78, erklärte, kaum heimgekehrt, im schwedischen Reichsrat, es sei mü73 Bericht Beaumonts aus London, 1604, Mai 13: Friedrich von Raumer (Hg.), Briefe aus Paris zur Erläuterung der Geschichte des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, Bd. 2, Leipzig 1831, S. 257; Raumer gibt leider nur seine Übersetzungen. Jakob ist »überall dem Frieden geneigt«: Beaumont am 10. Juli 1603, ebda., S. 251. »So lang Jakob lebt, wird er unter keiner Veranlassung jemals einen Krieg beginnen, sondern den Frieden, selbst durch schlechte, unverständige und beschimpfende Mittel, zu erhalten suchen. Er haßt den Krieg aus Gewohnheit, aus Grundsatz und von Natur, und will ihn, nach seinen Worten, meiden wie seine eigene Verdammniß«: Beaumont am 22. Oktober 1604, ebda., S. 261f. 74 Relation der venezianischen Gesandten Piero Contarini und Antonio Donato, 1618, November 23: Allen B. Hinds (Hg.), Calendar of State Papers and Manuscripts, Relating to English Affairs, existing in the Archives and Collections of Venice, and in other Libraries of Northern Italy, Bd. 15, London 1909, Nr. 600; Relation des venezianischen Gesandten Girolamo Lando, 1619, Dezember 27: ebda., Bd. 16, Nr. 161. Es handelt sich natürlich auch hier um Übersetzungen des Herausgebers, der originale Wortlaut wird leider nicht angegeben. 75 Tatsächlich wirkte seine handwerklich katastrophale »policy of unadventurous and inoffensive goodfellowship« (auf diese Formel bringt es Maurice Lee Jr., James I. and Henry IV. An Essay in English Foreign Policy 1603–1610, Urbara/Chicago/London 1970, S. 13) destabilisierend, vgl. dazu zuletzt Gotthard, Konfession und Staatsräson, Personenregister, s. v. Jakob von England, und zusammenfassend S. 301. 76 Relation des venezianischen Gesandten Girolamo Lando, 1620, März 13: Hinds, State Papers, Bd. 16, Nr. 287. 77 So Beaumont am 22. Oktober 1604: Raumer, Briefe aus Paris, S. 261f. 78 Er könne den mitteleuropäischen Kriegsschauplatz nicht sich selbst überlassen, nicht ohne »ähra och reputation«, schrieb der Reichskanzler am 5. September 1634 seinem Bruder Gabriel Gustavsson Oxenstierna. Man führe diesen Krieg »pro reputatione« (an Baner, 1634, Oktober 28), müsse »medh ähren« aus ihm herauskommen (an Gabriel Gustavsson Oxenstierna, 1635, August 14; dieser an Axel Oxenstierna am 2. Mai 1636: man muß Frieden

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ßig, wortreiche Grundsatzdiskussionen darüber zu führen, ob man nun Frieden wolle oder nicht, »effter som ingen förer krig uthan för fridhen skuldh«.79 Sollen wir Heinrich Rantzau als gelehrten Humanisten rubrizieren, geht er als Politiker durch? Dieser wichtige Berater der Dänenkönige Christian III. und Friedrich II.80 schrieb am 20. Dezember 1585 an Herzog Ulrich von Mecklenburg, »ein beschwerlicher Friedt ist alle Zeit beser alß ein gerechter Krieg«.81 Würden intensive Archivstudien durch ähnliche Einschätzungen in größerer Anzahl belohnt? Uns fehlt jeder Anhaltspunkt, um das prognostizieren zu können. Wie dachten die Entscheidungsträger über den Frieden? Natürlich, wie können die schriftlichen Hinterlassenschaften von Friedenskongressen durchforsten, aber ob wir sie beim Wort nehmen dürfen? Jedenfalls müssen wir den Anlaß (keine Kriegserklärung, man will den anfangs wie auch immer bewerteten Krieg ja nun endlich warum auch immer beenden!), außerhalb der raren internen Besuchen, natürlich einen »medh reputation«). Aus solchen und vergleichbaren (Per Baner am 23. Oktober 1635 an einen nicht erwähnten Adressaten: man muß aufpassen, nicht »all vår reputation« zu verlieren) Schreiben zitiert Jenny Öhman, Der Kampf um den Frieden. Schweden und der Kaiser im Dreißigjährigen Krieg, Wien 2005 ausgiebig (ohne ihrerseits die hier interessierende Frage nach Friedenskonzepten anzuschneiden). Die Zitate: S. 245 Anm. 260, ebda. Anm. 262, S. 247 Anm. 278, S. 251 Anm. 370, S. 248 Anm. 306. Hier wird nicht mehr die Pax vera et iusta beschworen, der gerechte wird zum Prestigefrieden. – Nur anmerkungsweise (da auf mündliche Mitteilungen gestützt) kann ich erwähnen, daß dem besten Kenner der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges, Christoph Kampmann, auffiel, daß die für den Westfälischen Friedensschluß maßgeblichen Entscheidungsträger wieder und wieder die »Pax honesta« im Munde führten, Frieden und »Ehre« verschwisterten – man könne die Kriegshandlungen nicht ohne einen »ehrenvollen« Frieden einstellen. Wie ist dieser mich überraschende Befund zu deuten? Selbst, wenn die Pax honesta nur ein euphemistischer Sammelbegriff (bzw. die damals eben sagbare Formel) für das Hochhalten der zentralen eigenen Kriegsziele gewesen sein sollte, wäre das für eine Archäologie des modernen Friedensbegriffs doch interessant. Aber was genau lernen wir aus der Beobachtung? Handelt es sich um ein frühes Indiz friedenskonzeptioneller Säkularisierung? Den Indikator für eine fortschreitende Entkonfessionalisierung des Dreißigjährigen Krieges? Müssen wir eher sozial denn zeitlich differenzieren, waren konfessionspolitische Ziele für die europäischen Entscheidungsträger einfach nicht so zentral wie für einen deutschen Durchschnittsfürsten (vgl. noch unten Kapitel A.2.2.4)? Ich kann vorerst nur die Fragen formulieren. S. zur »Ehre« allgemein noch unten Kapitel C.6.1, zu Pax und Ehre dort beispielsweise S. 777 mit Anm. 8. Vgl. ferner, zur gleichsam »rationalen« Atmosphäre in Westfalen, unten S. 55 mit Anm. 133. 79 Also: »... da niemand Krieg führen würde, ohne den Frieden zu wollen« – Erklärung Axel Oxenstiernas im Reichsrat am 17. Oktober 1636; Öhman, Schweden, S. 256 Anm. 475 gibt ein längeres Zitat daraus. 80 Er war außerdem seit 1556 königlicher Statthalter in den Herzogtümern Schleswig und Holstein, andererseits als Verfasser gelehrter Abhandlungen (darunter ein »Commentarius bellicus«) produktiv. 81 Zit. nach Reimer Hansen, Heinrich Rantzau und das Problem des europäischen Friedens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln 1991, S. 103.

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ratungsprotokolle ferner die Wirkungsabsicht der Texte im Auge behalten, und doch: daß Beteuerungen der eigenen Friedfertigkeit eine Wirkung zugetraut wurde, daß man offenbar davon ausging, das setze den Verhandlungspartner unter moralischen Druck, ist auch schon bemerkenswert. Die Friedensgirlanden, die das Kleinklein des Interessenausgleichs an solchen Kongressen umrankten, sind regelmäßig zu üppig – bei diesem Thema so wortreich zu sein, kostete ja mit Zeit ein für Politikprofis auch damals kostbares Gut! –, als daß wir das gedankenloser absichtsfreier Routine zuschreiben dürften. Oder war doch keine raffiniert ausgeklügelte Wirkungsabsicht der Motor, merkten die damaligen Politiker vielmehr instinktiv, daß sie durch stets aufs Neue vorgetragene Friedensappelle die Voraussetzungen für einen beide Seiten zufriedenstellenden materiellen Interessenausgleich schufen, weil erst solche moralischen Valeurs eine tragfähige kommunikative Basis für die Verfolgung der eigenen strategischen Ziele schufen? Jürgen Habermas hat einmal so betont, wie wichtig gemeinsame Lebenserfahrungen für das Gelingen von »sprachlich vermittelter Interaktion«82 sind: »Es wäre gar nicht zu erklären, wie die alltäglichen Konsensbildungsprozesse die Schwelle des Dissensrisikos, das mit den kritisierbaren Geltungsansprüchen83 in die Verständigungspraxis eingebaut ist, immer wieder nehmen könnten, wenn wir nicht die massive Vorverständigung der Kommunikationsteilnehmer in den kulturell eingewöhnten und einsozialisierten Selbstverständlichkeiten einer intuitiv gegenwärtigen, präreflexiv gewußten und als unproblematisch vorausgesetzten Lebensform in Anschlag bringen könnten«.84 Diese gemeinsame »Lebensform« kann und konnte man in der internationalen Diplomatie nicht voraussetzen – schufen geteilter und verbalisierter Schmerz über Kriegserfahrungen sowie gemeinsamer, regelmäßig beschworener Friedenswunsch ein hinreichendes Surrogat, das die interkulturelle und interkonfessionelle Verständigung ermöglichte? Jedenfalls »contestierte« man bei Gesprächen, die einen Friedensvertrag vorbereiten sollten, einleitend, ehe man zu materiellen 82 Ich spiele auf diesen Titel an: Jürgen Habermas, Handlungen, Sprechakte, sprachlich vermittelte Interaktionen und Lebenswelt, in: ders., Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze, Frankfurt 1992, S. 63–104. 83 Nach der Theorie verständigungsorientierten Handelns von Habermas erhebt der Sprecher dreierlei Geltungsansprüche, deren Anerkennung durch den Hörer Voraussetzung gelingender Kommunikation ist: faktische und normative Wahrheit sowie Wahrhaftigkeit. Der Hörer muß an die Übereinstimmung des Gesagten mit den Fakten glauben, an die Gültigkeit der erhobenen normativen Ansprüche, und er muß sich sicher sein, daß der Sprecher auch meint, was er sagt. Das kann er sein, wenn beide eine gemeinsame Lebenswelt teilen, also ein Reservoir kulturell überlieferter, sprachlich übermittelter Deutungsmuster. 84 Jürgen Habermas, Entgegnung, in: Axel Honneth/Hans Joas (Hgg.), Kommunikatives Handeln. Beiträge zu Jürgen Habermas’ »Theorie des kommunikativen Handelns«, Frankfurt 1988, S. 369.

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Besitzständen, Grenzverläufen und Geldzahlungen vorstieß, durchgehend erst einmal »zum allerhöhsten«, daß im eigenen Lager alle »nichts anders suechten, wünschten noch begerten« als »frieden«85; man sei »necessitate quadam inevitabili in dießen kriegsschwall mit eingeflochten und wider allen dero willen darein gezogen« worden, habe »niemals waß höchers und mehrers verlangt, alß wie doch ein allgemeiner friden zwischen denen christlichen potentaten« wiederhergestellt werde, sei doch »so viel unschuldiges christenbluet« zu »vergiessen ja einmahl gegen gott nit zu veranttwortten«.86 Belanglos sind solche wortreiche Beteuerungen nicht, aber anzunehmen, ihre Sprecher legten dabei Gehirn und Herz auf die Zunge, wäre naiv. Wie dachten die Entscheidungsträger über den Frieden? Natürlich können wir auch Politische Testamente durchforsten, aber ob wir dort auf jene Grundüberzeugungen stoßen, denen die politischen Alltagsentscheidungen erwuchsen?87 Ist es bedenkenswert, daß die hochadeligen Letztentscheider offenbar nicht nur als markante Autoritätspersonen und martialische Schlachtenlenker, sondern auch als Friedensfürsten nachleben wollten? Man wünschte dem ältesten Sohn friedliche Regierungsjahre88, mahnte ihn auch meistens zur 85 So referierte einer der Vertreter der Hofburg an den Westfälischen Friedenskongressen, Isaak Volmar, was ihm der Vertreter Frankreichs in Münster, Longueville, bei einem Besuch im kaiserlichen Quartier einleitend erklärt habe: Volmar an Ferdinand III., 1645, November 14, abgedr. bei Wilhelm Engels (Bearb.), Acta Pacis Westphalicae (im Folgenden: APW), Serie II Abt. A Bd. 2, Münster 1976, Nr. 293. 86 Diesen Wortschwall sah die kaiserliche Geheiminstruktion vom 22. November 1642 für den Dominikanerprovinzial Georg von Herberstein anläßlich damals geplanter Sondierungen desselben in Paris vor: APW I.1, Nr. 24 (S. 388f.). –­ Instruktiv auch, was Markus Vogl, Friedensvision und Friedenspraxis in der Frühen Neuzeit 1500–1649, Augsburg 1996, S. 170 aus einem Bericht über die erste Visite der kaiserlichen Gesandten am westfälischen Friedenskongreß beim schwedischen Gesandten Oxenstierna am 9. April 1644 zitiert: Zunächst »sein wir in terminis generalibus complementorum gepliben, von dießseidts auffrichtiger intention zum frieden ... Dergleichen hatt der Oxenstirn auch gethaen unnd ... hinzugesetzt, daß der krieg schon ein geraume zeitt von jahren gewehrt unnd es kein christliches hertz geheißen werden sölte, so nitt den frieden warnach soviell million seelen verlangen, begehren sölte.« Damit sind ein gemeinsamer Erfahrungsrahmen (langjähriger Krieg) und ein prinzipiell konsensfähiger Wertehorizont (Friedensliebe) abgesteckt. 87 Die Frage ist für streng geheime Dokumente, die in der Dynastie verblieben, noch einmal anders zu stellen als für jene Mehrzahl der Politischen Testamente, die für eine begrenzte Öffentlichkeit gedacht waren (und keinesfalls zuletzt für jene Landstände, die ja in Alteuropa ziemlich konstant für eine friedliche, kostensparende Außenpolitik einzutreten pflegten, vgl. Anm. 91). 88 Vgl. exemplarisch, aus dem Politischen Testament des Großen Kurfürsten: Er bitte »Gott von Hertzen, das Er Euch eine langwirige, bestendige undt fridtfertige Regirung verleihen undt geben wolle, dan der Fride ernehret, der Krieg aber verzehret«. Abdr.: Heinz Duchhardt

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Friedfertigkeit89, allerdings durften militärische Ratschläge an die Nachgeborenen daneben nie fehlen. Eine der ausführlichsten Friedenselogen stammt vom Brandenburger Joachim II., der als Feldherr »in peinlicher Weise«90 versagt hatte, dann doch lieber als Mahner zum Frieden bei den Nachkommen im Gedächtnis bleiben wollte: Also empfahl er den Söhnen »ganz vaterlich und freundlich«, daß sie sich »den lieben frieden wolden lassen befohlen sein«, sich überhaupt »kegen menniglich friedlichen halten« sollten, »dan es schickets gott der almechtige gemeniglich also, daß er denen hern, welche zu kriegen und unfrieden lust und willen haben, kriegs und unlusts, darüber dan mancher von landen und leuten kommet, gnug gibet und hinwiderumb denen, die den frieden lieben und friedfertig sein, denselben auch gnediglich verleihet und sie darbei erhelt«. Vom Kriegführen überhaupt abraten wollte er freilich nicht.91 Übrigens wird noch der aus ganz anderem Holz geschnitzte »Soldatenkönig« den »lieben Succeßor« bitten, »um Gottes willen kein ungerechten krihgk anzufangen und nicht ein agressör [zu] sein«. Freilich, »wozu Ihr recht habet, da laßet nicht ab«!92 Ausgerechnet Karl V., der fast immer irgendwo in Europa oder sogar Afrika Krieg führte, ermahnte seinen Sohn Philipp in den »Avisos«93 wiederholt zur

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(Hg.), Politische Testamente und andere Quellen zum Fürstenethos der frühen Neuzeit, Darmstadt 1987, S. 165–186, hier S. 177. »Vor Krigen und Fähden [sic] warnen Wir«: so das Politische Testament Landgraf Georgs II. von Hessen-Darmstadt, Abdr.: Duchhardt, Politische Testamente, S. 43–76, hier S. 60. Wolfgang Neugebauer, Die Hohenzollern, Bd. 1, Stuttgart/Berlin/Köln 1996, S. 96; »zum Feldherrn war Joachim nicht geboren«, er sei »ein eher friedlicher Herr« gewesen. Neugebauer zitiert ebda. ausführlich aus dem Testament von 1562. Die Nachkommen sollten sich nicht etwa generell, sondern lediglich »one ihrer getreuen landschaft rath und bewilligung« auf keine »krieg ... einlassen«! Nun vertraten die an Landtagen versammelten Honoratioren natürlich die Interessen ihres Standes, ihrer Region, die Außenpolitik der fürstlichen Zentrale hat sie üblicherweise wenig interessiert, und kosten durfte sie noch weniger. Ständeversammlungen des Ancien Régime waren immer für eine vorsichtige, eingezogene Außenpolitik. – Vorvorgänger Johann »Cicero« hatte den Vorgänger, Joachim (II.) ermahnt: »Vom kriegführen halte ich nichts. Sie bringen nichts gutes«. Zit. nach Dieter J. Weiß, Die ersten Hohenzollern in der Mark (1415–1499), in: Frank-Lother Kroll (Hg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 2000, S. 50. »Instruckcion wie sich mein Successor ... nach mein toht sich zu richten hat« vom 22. Januar 1722: Richard Dietrich (Hg.), Die politischen Testamente der Hohenzollern, Köln/Wien 1986, S. 221–243, die Zitate: S. 239 (mit zeittypischem Changieren zwischen Gottes gerechtem Arm und einer gleichsam vulgärpsychologischen ›Erklärung‹: die »Sexische Armée« war »so furchtsahm vor die schwehden«, weil die Soldaten nicht an die Gerechtigkeit der Sache glaubten, »die Saxen sein sonsten Brafe leutte ... aber sobaldt Ihr Köhnig im ungerechten Krig wahr, da wahr Ihr hertze fordt«) bzw. S. 237. Abdrr. in deutscher Übersetzung: Armin Kohnle (Hg.), Das Vermächtnis Kaiser Karls V. Die Politischen Testamente, Darmstadt 2005. Die »Avisos« bieten Regierungshandreichungen für Zeiten kaiserlicher Abwesenheit.

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Friedfertigkeit, beispielsweise so: »Eines der Dinge, die ich am meisten von Gott erbitte, ist der Frieden, ohne den ihm nicht gut gedient werden kann, einmal abgesehen von den anderen zahllosen Nachteilen, die der Krieg mit sich bringt. Ihr müßt also ständig Sorge und Eifer darauf verwenden, den Krieg auf jeden Fall zu vermeiden und niemals in einen zu treten«.94 »Auf jeden Fall«, »niemals«? Der Satz geht so weiter: »... außer wenn Ihr dazu gezwungen seid«!95 An anderer Stelle96 heißt es, Philipp dürfe sich nicht auf einen »Krieg« mit Karls notorischem Gegner Frankreich »einlassen« – »es sei denn, es ergäbe sich ein guter Grund oder eine günstige Gelegenheit dazu«! Es gibt zu denken, wenn sich ausgerechnet Maximilian I. von Bayern in seinen »Monita paterna« als Mahner auch zum Frieden stilisieren läßt97. »Bellum optimum quod nullum«, »qui bellum dixit, malum omne dixit«98: beeindruckende Lehren aus den Qualen eines langwierigen Konfessionskriegs? Man mag es diesem Wolf im Schafspelz99 nicht abnehmen. Georg Friedrich von Baden-Durlach versuchte sich als Autor einer kriegswissenschaftlichen Abhandlung, in der er den Krieg als ein »an sich selbst 94 Kohnle, Vermächtnis, S. 71; weitere Friedensmahnungen ebda., S. 25–29 passim. – Vor der Abreise an den spanischen Alterssitz zu den Deputierten der niederländischen Generalstände sprechend (freilich ist das natürlich keine interne Bekundung!), rühmte sich Karl, er habe »mit Gottes Hilfe nie aufgehört«, seinen »Feinden zu widerstehen«, um anschließend damit zu prahlen, wohin ihn all seine Feldzüge so gebracht hätten. Doch »indem ich von Euch Abschied nehme, ist nichts schmerzlicher für mich, als dass ich nicht im Stande gewesen bin, Euch einen festen und gesicherten Frieden zu hinterlassen«: scheinbar ein krasser Widerspruch! Er läßt sich allenfalls ein Stückweit auflösen, wenn man zwischen dem gerechten und dem faulen Frieden, zwischen Tranquillitas ordinis und Pax iniqua unterscheidet. Ich zitierte die Übersetzung bei Alfred Kohler (Hg.), Quellen zur Geschichte Karls V., Darmstadt 1990, Nr. 117. 95 Etwas später (Kohnle, Vermächtnis, S. 72) wird ausgeführt, daß »die Vermeidung und Abwendung eines Krieges nicht immer in der Hand desjenigen liegt, der dies wünscht, wie es mir oft ergangen ist«, alles hänge »vom guten oder bösen Willen der Nachbarn« ab. Interessant auch ebda., S. 86 die Ratschläge hinsichtlich einer Rückgewinnung des Hesdin. 96 Die fragwürdige Friedensmahnung steht hier, auf S. 89, in einem spezifischen Kontext: die Spannungen zwischen Frankreich und Savoyen, soll sich Philipp einklinken? 97 Die Monita paterna von 1639 wurden »unter tätiger Mithilfe des Jesuiten Vervaux« verfertigt: Rainer A. Müller, Die deutschen Fürstenspiegel des 17. Jahrhunderts. Regierungslehren und politische Pädagogik, in: Historische Zeitschrift 40 (1985), S. 584. 98 Walter Ziegler (Bearb.), Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern, Abt. I, Bd. 3, München 1992, Nr. 317 (hier S. 1124). 99 Maximilian ließ eine Dekade vor Kriegsausbruch, mit verheerenden reichspolitischen Auswirkungen, Truppen in Donauwörth einmarschieren, hat dann, seit 1619, lange Jahre nahezu unumschränkt ein konfessionelles Kriegsbündnis, die »Liga« geleitet. – Ich hätte diesen Aufsatz auch »Maximilian und der Dreißigjährige Krieg« betiteln können: Axel Gotthard, Maximilian und das Reich, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 65 (2002), S. 35–68, vgl. vor allem die resümierenden und vorsichtig wertenden Schlußpassagen; ich begründe dort, warum Maximilian von Bayern – bei allen sonstigen, und zumal den finanzpolitischen Verdiensten – meines Erachtens schon ein gerüttelt Maß an Kriegsschuld trägt.

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bös, verhaßt Werk« bezeichnete; und dankte im April 1622 als Markgraf ab, um nur noch Feldherr sein zu können.100 Nicht nur Politische Testamente, auch ›normale‹ Fürstentestamente haben Herrschaftswissen transportiert, wenngleich im Rahmen einer anderen und deutlich größeren Öffentlichkeit, was auch den Rahmen für das in dieser Textsorte Sagbare anders abgesteckt hat. Nehmen wir Stichproben im riesigen Quellencorpus der urkundengebundenen fürstlichen Testamente, blickt uns der Frieden ähnlich janusköpfig an wie in jenen »Instruckciones« und »Avisos«, für die der Forschungsterminus »Politisches Testament« üblich geworden ist. Zwischen grundsätzlichem (»in alleweg«) Friedensbekenntnis, krämerhaft fiskalischer Begründung hierfür und abschließender Relativierung (»soviel immer müglichen«) changiert, was der hessische Landgraf Philipp »der Großmütige« dem Nachfolger an die Hand gibt: »Es ist vnser treuer Rath, vätterliches Bedenken vnd Verordnen: daß sie sich in alleweg vor Krieg wollen hüten, vnd keinen Krieg anfangen; dann es ist nicht mehr zu kriegen als vor Zeiten. Das Kriegsvolk ist zu theuer, man kanns nicht mehr erhalten ... der Vinanzzen seind zu viel; darumb wollen sie sich hüten vor Kriegen, vnd das Sprichwort merken: dulce bellum inexpertis101, vnd darumb sich vor Kriegen hüten, soviel immer müglichen; sie müssens dann thun, so sie vberzogen würden«. Grundsätzlicher, auch scheinbar persönlicher spricht uns Johann Friedrich von Sachsen in seinem Testament von 1553 an: »Was aus Kriegen folget, haben Wir mit Unsern großen beschwerungen, Schaden und Nachtheil erfahren, so ist es sonsten am Tage offenbar.«102 War da jemand tatsächlich aus Schaden klug geworden? Jener Schaden – Verlust des Kurhuts sowie von Teilen des seitherigen Territoriums im Schmalkaldischen Krieg – war auch denkbar groß gewesen, schon deshalb läßt sich die herzogliche Bekundung nicht unbesehen verallgemeinern. König Friedrich I. in Preußen legte seinem Testament 1709 eine »Ermahnung« bei, die eindringlich zu Wachsamkeit und 100 Als solcher suchte er bekanntlich fortan die katholische Liga niederzuringen, auf eigene Faust (Debakel von Wimpfen), später in schwedischen Diensten. Lebensbild dieser markanten Persönlichkeit, die einmal eine moderne Biographie verdiente: Axel Gotthard, Georg Friedrich von Baden-Durlach, demnächst im ersten Band des »Who ’s who in the Habsburg Empire 1526–1848«. Aus Georg Friedrichs Traktat zitiert Felix Berner, »Verteidige die Wahrheit bis in den Tod«. Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach, 1573–1638, in: ders., Baden-württembergische Portraits. Gestalten aus tausend Jahren 800–1800, Stuttgart 1985, S. 143. 101 Vgl. zu diesem Diktum unten S. 54; Testament vom 6. April 1562: Hermann Schulze (Hg.), Die Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstenhäuser, Bd. 2, Jena 1878, S. 50–71, hier S. 61. Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt riet im Testament vom 6. Oktober 1625 dem Nachfolger, er möge »dem geliebten hochnützlichen Frieden nachjagen« (ebda., S. 90– 100, hier S. 99). 102 Testament Johann Friedrichs vom 9. Dezember 1553, abgedr. bei Gottfried August Arndt, Archiv der sächsischen Geschichte, Theil 2, Leipzig 1785, S. 353–367 (hier S. 363).

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Wehrhaftigkeit aufruft, viel Wert auf eine gute militärische Verfassung der Composite monarchy legt, »nur aber haben S. Lbdn. dabei zu gedenken und allemal vor Augen zu haben, dass die Waffen und Armeen zu nichts anders als zu Beibehaltung des Friedens dienen müssen, und man denselben, ohne das Seinige dabei zuzusetzen, haben kann und dennoch Krieg anfängt, solches weder vor Gott noch der vernünftigen Welt zu verantworten, auch insgemein von dem Höchsten mit Unsegen und wiedrigem Succeß bestraft zu werden pflege«.103 Der Frieden hatte seinen Wert, durfte indes kein Verzichtfrieden sein – wie sollte bei so vielfältigen »Praetensiones« aller Akteure in Europa stabiler Frieden einkehren, wenn keiner »das Seinige dabei zuzusetzen« gedachte? Susan Richter hat jüngst die Testamente von rund sieben Dutzend Reichsfürsten untersucht – auf formale Gesichtspunkte, Gattungs- und Überlieferungsfragen hin, besonders gründlich geht sie den »Rechtsgrundlagen« nach, während erste Sondierungen nach dem politischen Gehalt recht flüchtig blieben.104 Die Fragen dieser Arbeit hat sich Richter nicht gestellt, immerhin erwähnt sie, daß »der Krieg ... als zerstörerische Kraft bewertet« werde; »ein Krieg zur Expansion« werde »von keinem Fürsten in seinem Testament befürwortet«.105 Interessant, leider unscharf ist sodann die Beobachtung, »dass der Krieg im 16. Jahrhundert zur Ausräumung von Unrecht noch Bedeutung besitzt, bei der Betrachtung nachfolgender Testamente im 17. Jahrhundert106 aufgrund der Erfahrungen von 1618 103 Zweite Ermahnung Friedrichs I. vom 9. Mai 1709: Hermann von Caemmerer (Hg.), Die Testamente der Kurfürsten von Brandenburg und der beiden ersten Könige von Preußen, München 1915, Beilage Nr. 7 (S. 435). Albrecht V. von Bayern mahnte 1578: »So soll kainer aus vnnsern Sönen ainichen Krieg ...nit anfahen noch zu demselben yemannd nit Raitzen noch vrsachen, Sonnder do ye ainer aus Jnen von yemannd wider den Lanndfriden vergewelltiget wollt werden«. Der Frieden hatte seinen Wert, durfte aber nicht mit Wehrlosigkeit verwechselt werden. Das Zitat: Walter Ziegler, Das Testament Herzog Albrechts V. von Bayern (1578), in: ders./Egon Johannes Greipl (Hgg.), Aus Bayerns Geschichte. Forschungen als Festgabe zum 70. Geburtstag von Andreas Kraus, St. Ottilien 1992, S. 295. 104 Vgl. Susan Richter, Fürstentestamente der Frühen Neuzeit. Politische Programme und Medien intergenerationeller Kommunikation, Göttingen 2009. Eine systematische, vergleichende, typisierende, quantifizierende Analyse des politischen Gehalts wird nicht geboten – die politischen Botschaften der Testamente beschäftigen weniger als ein Drittel der Monographie, und dieses bleibt gleichsam pointilistisch, lebt ganz von Einzelfällen, reiht ausgiebige Zitate und Paraphrasen aneinander. Es ist dennoch ein wichtiger und verheißungsvoller Anfang! Er macht auf eine systematische Auswertung des aus Fürstentestamenten sprechenden Politikverständnisses neugierig. 105 Richter, Fürstentestamente, S. 335 bzw. S. 338. Das folgende Zitat: ebda., S. 338. 106 Nach 1648, seit den 1630er Jahren, genau seit 1618? In Testamenten der Regenten kleinerer Territorien, der Regenten besonders geschädigter Territorien, denen aller, in fast allen? Solche Fragen bleiben in dem ganz auf interessante Einzelfälle abgestellten, auf die Anschaulichkeit langer Einzelzitate bauenden Kapitel offen. Richters Studie hat ihre beträchtlichen Stärken eben außerhalb des quasi angehängten Kapitels über »Inhalte politischer Verfügungen in fürstlichen Testamenten«.

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jedoch zunehmend107 an negativer Bedeutung gewinnt«. Wir dürfen vorsichtig konstatieren, daß dem Frieden in Fürstentestamenten offenbar ein gewisser Wert zugesprochen wird, während frohgemute Bekenntnisse zur Kriegslust nicht zum in dieser Textgattung Sagbaren gehört haben. Pazifistische Positionen wurden in einigen Gelehrtenstuben ausformuliert, aber je in Ratsstuben und an Verhandlungstischen? »Kriegen ... wer deß Sathans selbs«, erklärte der württembergische Votant am Augsburger Reichstag von 1555108. »Derhalben er auch die befürderung solchen sathanswercks deß kriegß er für vil erger dan alles ander ermesse, sonderlich cum Deus noster sit Deus pacis ac concordiae et non Deus belli ac dissensionis. Darumb dahin zu laborieren, daß gemainer, bestendiger friden aufgericht und derhalb nit allain aufs papir, sonder auch in die hertzen zu schreiben«. Aber derart grundsätzliche Bekenntnisse zur Friedfertigkeit waren sogar 1555, als sich Mitteleuropa nach einer Dekade voller konfessionspolitisch motivierter Querelen, Scharmützel und auch veritabler Kriege zu seinem Religionsfrieden zusammenraufte, selten. »Nach dem wort Gottes were kein grossere gabe dann zeitlicher frieden«, resümierte das Protokoll des Gesandten von Brandenburg-Küstrin die Voten einiger evangelischer Gesandten, die so in der Schlußphase des Reichstags dafür plädierten, lieber den Geistlichen Vorbehalt hinzunehmen als ein Scheitern der Friedensverhandlungen zu riskieren.109 Viel häufiger begegnen aber sogar 1555 Warnungen vor übereilter Friedfertigkeit, vor dem faulen Kompromißfrieden. »Es solte je Gottes ehr dem zeitlichen frieden furgezogen werden«, hält das soeben zitierte Protokoll an anderer Stelle fest.110 Wieder und wieder warnte der Vertreter des Fürstbischofs von Augsburg, Konrad Braun, vor prinzipienloser Friedfertigkeit: »Das er aber von fridens wegen sein treu und aid ubertretten, Gottes und seiner kirchen verleugnen, das gut boß, das boß gut haissen soll oder moge, das ist ime nit allain nit zugelassen, sonder in gotlichen und menschlichen rechten verbotten«.111 Frieden war eine angenehme Begleiterscheinung von Iustitia, ohne letztere nichts wert. Sogar Kurfürst August von Sachsen, der sich wie vielleicht kein anderer Reichsfürst fürs Gelingen der Augsburger Friedensverhandlungen und deshalb für größtmögliche Konzessionsbereitschaft eingesetzt hat, konnte seine Reichstagsgesandten mahnen, es sei »dorauf achtung zu geben, das wir mit und durch solchen eußerlichen fride nicht 107 Tatsächlich eine lineare Entwicklung, und tatsächlich just seit 1618? Siehe vorige Fußnote! 108 Es wird Hieronimus Gerhard gewesen sein. Das Zitat bietet das Zasius-Protokoll der Reichstagsberatungen: RTA, Bd. 20, Nr. 145 (hier S. 1328). 109 Ebda., Nr. 222 (hier S. 2093). 110 »Sachsen hat vermeldet«: ebda., S. 2095. 111 Gutachten Brauns, wohl Ende März oder Anfang April 1555: ebda., Nr. 165. Gerade aus Brauns Munde oder Feder ließen sich zahlreiche vergleichbare Einschätzungen zitieren.

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etwas willigten, das uns izundt oder kunftig in unserm gewißen beschwerlich oder unserer christlichen religion, die wir aus dem befelch Gots zu befurdern und zu erweitern schuldig, hinderlich ... sein mochte, dan wir (wi billich) das ewige dem zeitlichen und den innerlichen fride des gewißens dem eußerlichen112 weltlichen vorsezen mußten.« Daß der Frieden ein Wert an sich sei, bekunden vormoderne Akten nur selten. Systematisch in den Archiven nach solchen Bekundungen zu fahnden, will nicht gelingen, man würde nicht jeden Tag, vielleicht kaum jede Woche einmal fündig. Deshalb ist man auf Zufallsfunde angewiesen, und unter solchen ist eine kurpfälzische Instruktion vom 26. Mai 1552113 erwähnenswert, die gleichsam deklamiert, Frieden, »so etwan durch onzimbliche mittel erlangtt«, sei »dennocht dem Krieg wie rechtmessig auch der sej, furzusetzen«. Die Grundsatzerklärung mitten in einem Tagesdokument klingt ›irgendwie‹ nach Sentenzensammlung, aber wo hat sie ihr Autor tatsächlich aufgeschnappt? Georg Lauterbecks offenbar vielgelesenes114 Regentenbuch kommt noch nicht in Frage, wo es 1559 heißen wird: »Ich kan nicht auffhören zu dem friede zuuermanen, dieweil der vngerechtigste friede, den Bürgern nützer ist, denn der aller gerechtigste Krieg«.115 Wußte der Verfasser der Instruktion, daß für Erasmus von Rotterdam »kaum ein Friede ... jemals so

112 In seiner Abwertung des »äußeren«, »zeitlichen«, nur »weltlichen« Friedens könnte das Zitat aus jedem katholischen Pamphlet seit den 1580er Jahren stammen, vgl. unten S. 57; Kurfürst August an seine Emissäre, 1555, September 14, ebda., Nr. 388 (hier S. 3092). 113 Für Verhandlungen Hartmann Hartmannis in Würzburg: BayHStA Kasten blau 105/2b (unfol.). Fürstbischof Melchior wurde damals von einem der letzten ›Fehdeunternehmer‹, dem Kulmbacher Markgrafen Albrecht Alkibiades bedrängt – ob ihn die friedensethische Lektion aus Heidelberg getröstet hat? 114 »In ihm haben die Fürsten, Räte, Amtleute, Hofprediger, Prinzenerzieher, Ratsherren, ein breites Publikum gelesen und nachgeschlagen«: Bruno Singer, Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation, München 1981, S. 112. Es gab bis 1629 (!) immer wieder Neuauflagen und Nachdrucke. 115 Georg Lauterbeck, Regentenbuch, Aus vielen trefflichen alten und newen Historien, mit sonderm fleis zusammen gezogen ..., o. O. 1559, fol. 46. Lauterbeck verweist wiederum, ohne nähere Fundortangabe, auf Cicero (also tatsächlich: Epistolae ad Atticum VII, 14,3 – »equidem ad pacem hortari non desino quae vel iniusta utilior est quam iustissimum bellum cum civibus«; Lauterbeck hätte auch Epistulae ad familiares VI, 6,5 anführen können: »... cum vel iniquissimam pacem iustissimo bello anteferrem«; Cicero perhorreszierte so den Bürgerkrieg, nicht den römischen Weltherrschaftsanspruch!). – Das 6. Kapitel des zweiten Buches von Lauterbeck ist so überschrieben: »Wie ein Regent für allen dingen zu Frieden sol geneiget sein, vnd was der Friede für ein nützlich vnd lieblich ding sey«. Es bietet die üblichen antiken Topoi, natürlich fehlt auch das schon damals berühmte »dulce bellum inexpertis« nicht, aber Pazifist war Lauterbeck keinesfalls: »Die waffen sol man werffen weit/ Nach frieden trachten allzeit/ Kans aber je nicht anders sein/ So schlag als dan mit frewden drein«!

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ungerecht« war, »daß er nicht auch dem gerechtesten Krieg vorzuziehen wäre«116? Wir werden es nie erfahren, in tagespolitischem Aktengut begegnen keine belegenden Fußnoten. Haben die vielen gelehrten Bemühungen um Krieg und Frieden je ›Geschichte gemacht‹, politische Entscheidungen beeinflußt? Wurden die am Gelehrtenpult entwickelten Kriterien, Maßstäbe, Werteskalen unter Entscheidungsdruck in der Ratsstube durchgespielt? Dieser Frage muß meine Studie auf der Spur bleiben, aber »der Frieden« ist für derartige Detektivarbeit ein viel zu weites Terrain; der kleine Acker, den ich durchpflügen will, trägt den Flurnamen »Neutralität«. 1.2.3 Läßt sich eine Verlaufskurve der Wertschätzung des Friedens nachzeichnen? 1.2.3.1 »Dulce bellum inexpertis«. Wird der Diskurs der Neuzeit zu friedlicher oder vielstimmiger? Immerhin stießen wir auf Grenzmarkierungen, die kaum je überschritten wurden, wenn sich vormoderne Entscheidungsträger über Krieg und Frieden ausließen. Es war undenkbar oder doch in allen inspizierten Textsorten unsagbar, dem Frieden gar keinen Wert zuzuerkennen. Und er wurde kaum je als jener Höchstwert gewürdigt, den er für uns Heutige ganz selbstverständlich verkörpert. Aber wie »die Entscheidungsträger« der Vormoderne über »den Frieden« dachten, ließ sich nicht bündig resümieren. Eine umfassende Antwort müßte allem Anschein nach eine breite Skala mehr oder weniger verbreiteter Einstellungen, Wertungen, auch Reflexionsniveaus vorstellen und dann gewichten, aber von so einer Antwort sind wir derzeit weit entfernt. Können wir eine diachrone Verlaufskurve der Wertschätzung des Friedens skizzieren? Nicht in Ratsstuben und auf Fürstenthronen, aber in politiknahen Literatursegmenten wie der Chronistik117 und der »politischen Ereignisdichtung« glauben 116 So, in der Übersetzung durch Gertraud Christian, Erasmus von Rotterdam, Querela Pacis, in: Werner Welzig (Hg.), Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften, Bd. 5, Darmstadt 1995, hier S. 417. Der originale Wortlaut: »Vix ulla tam iniqua pax, quin bello uel aequissimo sit potior« – Erasmus von Rotterdam, Qverela pacis vndique gentivm eiectae profligataeqve, Ndr. der Ausgabe Basel 1517, München o. J., S. 32. Vgl. auch ebda., S. 43f.: »... parum excelsi animi tibi uideare, si quid remittas iniuriarum«, doch gilt vielmehr: »siquid iniquitatis uidebitur habere pax, caue sic cogites, hoc perdo, sed tanti pacem emo«. 117 Martin Linde, Tilmann Brakel und der Livländische Krieg (1558–1582/83), in: Horst Brunner (Hg.), Die Wahrnehmung und Darstellung von Kriegen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 2000, S. 248 konstatiert in der von ihm untersuchten Chronistik eine »Verschiebung der Gewichte des Faktors Krieg«, insbesondere die Höherbewertung der »Friedenswahrung«.

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Philologen Indizien ausgemacht zu haben, die belegen könnten, daß der Frieden im 16. Jahrhundert deutlich höher bewertet wurde als noch im Mittelalter118. Beispielsweise hat Sonja Kerth beobachtet, daß »der Friede in den Dichtungen des 16. Jahrhunderts wesentlich häufiger beschworen wird als in den Jahrhunderten zuvor«.119 Sind humanistische Einflüsse hierfür verantwortlich? Verschiebt sich die gleichsam durchschnittliche, häufig begegnende Werthaltung, weil mit dem Anwachsen der urbanen Zentren auch die bürgerlichen Stimmen lauter werden? Wird das homogene Bild eines eben nun einmal in der Welt vorhandenen, nicht weiter zu hinterfragenden Krieges120 im 16. Jahrhundert nicht etwa geschlossen düsterer, sondern facettenreicher? Wird die Melodie nicht unisono friedlicher, aber vielstimmig? Von Machiavelli war schon die Rede, er und seine verhohlenen Epigonen interessieren germanistische Abhandlungen über das Bild, das uns Dichter vom Frieden machen, natürlich nicht; doch stoßen wir auch in solchen Studien durchaus weiterhin auf kriegerische Stimmen, so das Fortleben der mittelalterlichen »Ritterideologie«: »Kampf und Krieg als persönliche Aufgabe, als Mittel der Sinngebung für den einzelnen Adligen wie für den Adelsstand an sich – diese Auffassung prägt und verbindet die Kriegsbilder in den adligen Autobiographien und Prosaromanen des 15. und 16. Jahrhunderts«.121 Sollte sich mit der funktionalen Ausdifferenzierung der vormodernen Gesellschaft, der 118 Die neuere Literatur zur Konfliktforschung aus mediävistischer Perspektive nennt Ingmar Krause, »... Hinc principum discordia, nescio quando nisi illis obeuntibus conponenda«? Bemerkungen zur Beilegung von Konflikten im westfränkisch-französischen Reich (10.– 12. Jahrhundert), in: Christoph Dartmann/Marian Füssel/Stefanie Rüther (Hgg.), Raum und Konflikt. Zur symbolischen Konstituierung gesellschaftlicher Ordnung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Münster 2004, S. 83. 119 Sonja Kerth, Der landsfrid ist zerbrochen. Das Bild des Krieges in den politischen Ereignisdichtungen des 13. bis 16. Jahrhunderts, Wiesbaden 1997, S. 258. Dazu passen durchaus die Beobachtungen von Dietmar Peil, Der Friede in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit, in: Wolfgang Augustyn (Hg.), Pax. Beiträge zu Idee und Darstellung des Friedens, München 2003, S. 315–340; Peil hat freilich nur einige wenige Werke (diese indes eingehend) analysiert. 120 Eigentlich müßte ich noch von »Fehden« sprechen, wie sie die spätmittelalterliche Lebenswirklichkeit einfach mitprägten. – Kerth macht in ihren spätmittelalterlichen Texten eine ausgesprochen »nüchterne« Einstellung zum Krieg aus, »er wird nicht abgelehnt, er wird nicht verherrlicht«, ist »nicht von sich aus gut oder schlecht« (die Zitate: S. 244 bzw. S. 317). – Freilich handelt es sich bei den von Kerth inspizierten »Ereignisdichtungen« häufig um Auftragswerke für eine Kriegspartei. Möglicherweise stießen wir bei Bevölkerungsgruppen, deren Einstellung zu Krieg und Frieden solche Texte nicht interessiert, auf ganz andere Befunde. Nach Ansicht von Reinhard Härtel, Vom nicht zustandegekommenen, gebrochenen und mißbrauchten Frieden, in: Johannes Fried (Hg.), Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter, Sigmaringen 1996, S. 558 waren die damaligen Bauern (also die meisten Menschen!) von »Friedenssehnsucht beherrscht«. 121 Horst Brunner u. a., Dulce bellum inexpertis. Bilder des Krieges in der deutschen Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts, Wiesbaden 2002, S. 238 bzw. S. 327.

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ihr korrespondierenden Auffächerung der Lebensstile auch die gewissermaßen typische Wertschätzung des Friedens ausdifferenziert haben, und blieb der Wertekanon des bis 1800 für politische Letztentscheidungen maßgeblich bleibenden alteuropäischen Adels das für eine geringere Bellizität größte mentale Hindernis? Widersprüche, Auffächerung des Einstellungsspektrums: Manche »Außenseiter der Reformation« vertraten eindeutig pazifistische Positionen122, andere wollten das Reich Gottes auf Erden herbeikämpfen. Anstelle der wenig tauglichen Etiketten »Täufer« und »Spiritualisten« – auf welchen interessanten Kopf123 unter den sogenannten »Außenseitern« stießen wir nicht in jeder Reformationsgeschichte wieder in einer anderen von diesen beiden Schubladen! – läge es durchaus nahe, nach militant-chiliastischen und quietistischen Leitbildern zu sortieren, nach Eroberungsphantasien und Rückzugsträumen. Widersprüche: Wissen wir nicht alle, daß Humanisten wie Erasmus von Rotterdam zur Friedfertigkeit mahnten, im aufbrandenden konfessionellen Getöse der Zeit, aber auch zwischen den Regierungszentralen des christlichen Abendlandes? War der Humanismus eine einzige große Friedensbewegung? Jüngere Untersuchungen können diesen Eindruck bestätigen124 und konterkarieren125, zu den bevorzugten Sujets, den Lieblingsthemen des humanistischen Diskurses gehörte der Frieden zweifelsohne nicht. Wohl lenkte der Humanismus den Blick auf die römische Antike, und bei ihren Autoren ließen sich viele militante Topoi aufspüren – die Pax Romana wollte Weltherrschaft, verbrämte Hegemonie, mit Livius ließ sich schwerlich christliche Demut, wohl markiger, kriegsbejahender Behauptungs122 Ich erinnere exemplarisch an den württembergischen Täufer Michael Sattler, der, ehe er auf den Scheiterhaufen geführt wurde, seinen verdutzten Peinigern beim Verhör erklärte, selbst einem anrückenden Türkenheer dürfe man nicht wehren, stehe doch geschrieben »Du sollst nicht töten«. Es waren diese Verweigerungshaltung und das, was wir heute zivilen Ungehorsam nennen würden, was die Zeitgenossen bis aufs Blut reizte, viel mehr reizte als dieses oder jenes christologische Detail. 123 Um wenigstens einen der allerinteressantesten mit einem hier einschlägigen Zitat zu nennen: [Sebastian Franck], Das Kriegbüchlein des frides, o. O. 1539, fol. LXII: »... daher dann kriegen nichts ist dann ein pfütz aller vngerechtigkait«. Ein Eintrag im Sachregister lautet so: »Glaubens halb sol man nit kriegen«. 124 Hans-Joachim Diesner, Stimmen zu Krieg und Frieden im Renaissance-Humanismus, Göttingen 1990, S. 94 resümiert, nachdem er zahlreiche Autoren verschiedener europäischer Länder gestreift hat, »daß mehr oder minder alle der hier Genannten in letzter Instanz friedliebend waren«. 125 Die verschiedenen Beiträge in Franz Josef Worstbrock (Hg.), Krieg und Frieden im Horizont des Renaissancehumanismus, Weinheim 1985 kommen zu ganz disparaten Ergebnissen: Wir finden, neben dem gewissermaßen Erwartbaren, der Pax alma, dem guten Frieden, auch gelehrte Schlachtrufe und Verhöhnungen der weibisch unsteten Frau Pax. Geradezu bellizistische Dispositionen macht, und zwar als elementaren Grundzug des Humanismus, Richard Tuck aus: The Rights of War and Peace. Political Thought and the International Order. From Grotius to Kant, New York 1999, S. 32f. et passim.

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willen preisen. Wir werden weiter unten, wenn uns die Akzeptanzprobleme der vormodernen Neutralität interessieren werden, noch sehen, daß man manchen Möchtegernneutralen höhnisch Livius-Zitate entgegenschleuderte. Frieden war den römischen Juristen das Gegenteil von Krieg, Gerechtigkeit eine allenfalls den unterworfenen Völkern gewährte Frucht der Pax Romana, gewiß nicht deren Wurzel, und all das wurde nun dem abendländischen Denken wieder erschlossen. Andererseits hat natürlich auch das Friedenslob des großen Erasmus126 jenen Zitatenschatz angereichert, der die Eintrittskarten zur europäischen Gelehrtenrepublik barg. Die Wirkungen des Humanismus dürften ambivalent gewesen sein. Reichten diese Wirkungen bis in die Regierungszentralen hinein? Gern gehabt hätten das manche Humanisten schon, gerade Erasmus gefiel sich ja in der Rolle eines moralischen Wächters über Tun und Lassen der europäischen Herrscher. Viele humanistische Traktate erschienen auch in volkssprachlichen Übersetzungen, Briefsammlungen sollten es einem breiteren Publikum ermöglichen, einen Zipfel vom Diskurs der elitären Gelehrtenrepublik zu erhaschen. So sickerten manche Topoi in Werke, die auch weniger »gelehrten« Hofräten bekannt gewesen sein könnten. Ich will nur zwei Beispiele aus der Querela pacis des Erasmus nennen: das – überhaupt rasch zum geflügelten Wort avancierende – Diktum »Dulce bellum inexpertis«127 und die Ansicht, ein ungerechter Frieden sei (Erasmus findet: zumeist) einem gerechten Krieg vorzuziehen.128 Wir stoßen auf beides im Regentenbuch des Georg Lauterbeck129, aber auch in einer so ganz 126 Es paßt ins bei näherem Hinsehen verwirrende Bild, daß Erasmus-Kenner zur Frage, ob man den Erzhumanisten als Pazifisten bezeichnen darf, irritierende Auskünfte erteilen.«Erasmus, der erste Pazifist«, jubelt Hans-Rüdiger Schwab, Bekentnisse eines Unpolitischen? Zum Friedensdiskurs des Erasmus von Rotterdam, in: Norbert Brieskorn/Markus Riedenauer (Hgg.), Suche nach Frieden: Politische Ethik in der Frühen Neuzeit, Bd. 2, Stuttgart 2002, S. 96; auf S. 87 verweist derselbe Autor darauf, daß man »materialreich« nachgewiesen habe, daß Erasmus »zu keiner Zeit einen absoluten [!?] Pazifismus vertreten« habe. Brunner et al., Dulce bellum inexpertis, S. 459 sprechen von »pazifistisch gefärbten Stellungnahmen« des Erasmus, eine Seite danach können wir nachlesen, daß er die »Berechtigung der Fürsten zum Kriegführen« keinesfalls bestreite, »auch hält er nicht jeden Krieg für ungerechtfertigt«. 127 Natürlich sind die bei Karl Friedrich Wander (Hg.), Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk, Bd. 2, Ndr. der Ausgabe Leipzig 1867, Kettwig 1987, s. v. Krieg, Nrr. 23 und 31 angeführten Sprüche aus dem 16. Jahrhundert eng an dieses Diktum angelehnt, eine Version aus dem frühen 17. Jahrhundert bietet ebda. Nr. 29, eine freiere aus derselben Zeit (»Krieg ist ein lust, dem, der nicht wust«) ebda. Nr. 123; eine vermutlich moderne, sehr freie Anverwandlung (»die vom Kriege wenig wissen, halten ihn für Leckerbissen«) ebda. Nr. 53 (Spalten 1616ff.). Corberus, Threnologia Sveco-Regia, S. 14f. verdeutscht »Dulce bellum inexpertù« so: »Die nie darbey gewesen, halten den Krieg für einen lieblichen Stand«. 128 Vgl. oben Anm. 116. 129 Lauterbeck, Regentenbuch, fol. 48 bzw. fol. 46 (wo Lauterbeck allerdings auf Cicero, nicht seinen Wieder­entdecker aus Rotterdam verweist). Auch die nicht von Erasmus erfundene,

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andersartigen Textsorte wie dem (heute vergessenen, aber im 17. Jahrhundert offensichtlich sehr verbreiteten130) Tierepos »Froschmeuseler«131. Da rumpelt denn, was einmal gelehrtes Latein gewesen war, anrührend in diesen Versen daher: »So reucht dem vnerfahrnen Mann/ Der Krieg so süß als Honig an«, und: »Bessr ist Fried mit beschwerligkeit/ Denn Krieg mit eitl Gerechtigkeit.« Natürlich stellen wir uns gern vor, daß die Hofräte mit dem Froschmeuseler unter dem Arm in wichtige Sitzungen eilten, wo sie der Fürst mit einigen friedensgeneigten Weisheitsschätzen aus Lauterbecks Regentenbuch empfing, nur vermitteln erhaltene Beratungsprotokolle nicht diesen Eindruck. Der wohlmeinende Versuch, die westfälischen Beratungsprotokolle seit 1644 nach Spuren humanistischer Friedensethik zu durchmustern132, mündete trotz großen Fleißes, rühmenswerter Gründlichkeit in einen gänzlich negativen Befund.133

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doch in der Querela Pacis angeführte Formel »Pax optima rerum« fehlt bei Lauterbeck nicht (fol. 48), es kann hier nicht um Vollständigkeit gehen. Noch bei meinen Sondierungen in Flugschriften aus der Zeit des Holländischen Krieges stieß ich wiederholt auf Bezüge zum »Froschmeuseler«. Vgl. beispielsweise, jeweils mit längeren Zitaten aus dem Epos, Diarii Europaei Insertis variis Actis Publicis, Das ist: Täglicher Geschichts-Erzehlungen, Ein und dreyssigster Theil, Frankfurt 1675, Appendix, S. 401, S. 457, S. 501f. Die anonyme Schrift Curiosorum, nec non politicorum vagabundi per Europam, vulgo sic dicti, Rationis-Status, de praesenti tempore nugae-somniorum pars altera ..., o. O. 1675, S. 25, erinnert im Kontext von antischwedischen Tiraden: »was saget der Frosch-Mäuseler: Den Krieg soll man allein anfangen, Frieden zu schützen, oder zu erlangen«. Auch eine antischwedische Polemik aus der Zeit des Ersten Nordischen Krieges kennt, neben vielen Bibelstellen, ferner eine Marginalie »Froschmeus« (neben dem Spruch »Man soll nicht singen Gott gedanckt/ Man hab zuvor den Sig erlangt«): [anonym], Schwedische grillen, o. O. 1659. Dieses wohl umfangreichste deutschsprachige Tierepos wurde 1595 vom Magdeburger Schulrektor Georg Rollenhagen veröffentlicht. Die beiden folgenden Zitate: Buch II, Verse 3709f.; Buch III, Verse 2307f. Ich benützte diese Neuausgabe: Dietmar Peil (Hg.), Georg Rollenhagen, Froschmeuseler. Mit den Holzschnitten der Erstausgabe, Frankfurt 1989. Ich meine die wenig rezipierte Arbeit von Vogl über »Friedensvision und Friedenspraxis«. Die Monographie ist so uninteressant nicht, Vogl gab ihr freilich einen viel zu allgemeinen Titel. Sein ›Held‹ ist Erasmus, vor allem nach Erasmus-Zitaten durchforstet er die westfälischen Akten, seine Empathie verführt ihn zu Formulierungen wie dieser: »Erasmus hätte deshalb den Westfälischen Friedensschluß vermutlich so interpretiert: ...« (S. 216). Das gilt hinsichtlich einzelner Denkfiguren und Topoi genauso wie hinsichtlich der maßgeblichen Denkstrukturen und Argumentationsweisen, also, knapp zusammengefaßt: optimale Ausschöpfung angeblicher Rechtsansprüche anstatt optimaler Friedenssicherung, vertragliche Finessen anstelle von Vertrauensarbeit und Bewußtseinswandel. Ich lasse den enttäuschten Autor selbst zu Wort kommen: »Eigentlich wurde nicht über den Frieden, über Friedenskonzepte, über eine wegweisende neue politische Friedensordnung geredet. Sondern gefeilscht und gestritten wurde über die Bedingungen, unter denen der Krieg beendet werden konnte« (S. 179); »die Staatsraison, der sie folgten, war gleich. Deshalb ist auch die gesamte Friedensdiskussion geprägt von den gleichen Inhalten, in erster Linie materiellen Bedingungen, Forderungen, Angeboten, die um Rechtsverhältnisse, Territori-

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1.2.3.2 »Ausser Ainigkait des Glaubens, kain beständiger Frid«. Ist der interkonfessionelle Frieden nur Waffenstillstand? Ist die humanistische Friedensemphase schon viel früher verpufft? Mündete ein Jahrhundert, dem man auf dem Stand der Forschung vorsichtig attestieren darf, den Frieden gegenüber dem mittelalterlichen Level moralisch aufgewertet zu haben, in neue Militanz? Ich werde weiter unten, mich dem Krieg zuwendend, zu zeigen versuchen, daß die Jahrzehnte um und nach 1600 eine theologische Wiederaufladung des sich zuvor schon ansatzweise säkularisierenden Kriegsbegriffs gesehen haben, nicht nur in Mitteleuropa.134 Um die zentrale These knapp vorwegzunehmen: Der Gerechte Krieg wurde damals vielfach zum Notwendigen, da von Gott anbefohlenen und gelenkten, wurde zum Bellum necessarium, zum Holy War. Komplementärwirkungen auf die Einschätzung des Friedens sind da natürlich zu erwarten und hat es gegeben, aber um Doppelungen zu vermeiden, will ich mich jetzt, in meinem Friedenskapitel, kurz fassen. Bekanntlich suchte sich das Reich 1555 auf den säkularen Boden eines dezidiert politischen Friedens zu retten. Der Religionsfrieden hat tatsächlich eine Generation lang befriedet. Der Reichsverband war nach 1555 eine Zeitlang unterwegs zu integrativer Verdichtung über weltanschauliche Gräben hinweg135, aber am Ende relativierten nicht die systemimmanenten politischen Sachzwänge den konfessionellen Dissens, sondern das doppelte Wahrheitsmonopol schüttelte ihm nicht frommende Zwänge ab.136 Deren Sachlogik war indes unabweislich, das politische System wurde blockiert und trudelte dann in den dreißigjährigen deutschen Konfessionskrieg.137

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albesitz und Interessen kreisen« (S. 184). – Aus der sicher richtigen Beobachtung, daß die vermeintlich zu verfolgenden Staatsräsonen (zweifelsohne keine objektiv gegebenen Größen!) 1648 in manchen Hinsichten kompatibel, gewissermaßen untereinander ›anschlußfähig‹ waren, hätte man mehr machen können. Ob einem nicht so eng auf die Rezeption humanistischer Friedensethik fokussierten Blick nicht doch ein friedfördernder, nämlich gemeinsame Sprachregelungen und damit auch den zu artikulierenden Interessenausgleich erleichternder gemeinsamer Erfahrungshintergrund der von vergleichbaren langwierigen Kriegserfahrungen gezeichneten westfälischen Diplomaten hätte auffallen können? Das war eben keine Fragerichtung, der Vogl nachgegangen ist, aber ich werde weiter unten, im Rahmen eigener methodischer Überlegungen, kurz auf sie zurückkommen: siehe S. 289 mit Anm. 33; vgl. auch schon oben S. 43 mit Anmm. 82–84. Vgl. unten Kapitel A.2.1.3. Ich deute mit diesem Halbsatz an, was anderswo ausführlich steht: Gotthard, Religionsfrieden, Kapitel C.III. Der Religionsfrieden und die Reichsgeschichte nach 1580: ebda., Kapitel C.IV. Vgl. zur Kriegsursachenforschung zuletzt Axel Gotthard, Der deutsche Konfessionskrieg seit 1619 – ein Resultat gestörter politischer Kommunikation, in: Historisches Jahrbuch 122 (2002), S. 141–172; Johannes Burkhardt, Auf der Suche nach dem Dissens. Eine Bemerkung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit meinem »Dreißigjährigen Krieg«, in:

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Es gibt aufschlußreiche publizistische Begleiterscheinungen138 zu jener konfessionellen Polarisierung des Politikbetriebes, der wir hier nicht auf den Grund gehen müssen. Man kann die Rückkehr des 1555 ausgeklammerten Wahrheitsproblems nämlich auch gedruckter Literatur ablesen, katholischen Kampfschriften zuerst139. Mit wachsendem Ingrimm verlästerten sie einen Frieden, der gottvergessenen »Politicis« zum Selbstzweck geworden sei. Eine häufig werdende Denkfigur war die Scheidung in den »inneren« Frieden und einen nur »äußeren«, den man als fragil, fragwürdig, faul abwertete, ja, als sündhaft ablehnte. Den »inneren«, wahren Frieden aber konnte man nur nach der und durch die Austilgung der Ketzerei gewinnen, unter Inkaufnahme von Krieg. Zum ersten Mal von solchen Überlegungen aufgeschreckt wurden die Protestanten 1579, durch eine heute vergessene Schrift des Wiener Rechtsprofessors und Reichshofrats Georg Eder. Den »inneren« Frieden könne nur die Kurie stiften, konnte man da nachlesen, die Vereinbarungen von 1555 sollten lediglich den »äusseren« notdürftig wahren, bis alle Ketzer reumütig in den Schoß der wahren Kirche zurückgekrochen seien – erst dann herrsche wahrer Frieden, sei wirklicher Frieden auch nur denkbar, »ausser Ainigkait des Glaubens, kain beständiger Frid«.140 Das war die Grundüberzeugung der Reformationsepoche bis in die frühen 1550er Jahre hinein gewesen141, der Säkularisierungsfortschritt (man könnte auch sagen: der Modernisierungsgewinn) eines Vierteljahrhunderts war dahin. »Ausser Ainigkait des Glaubens, kain beständiger Frid«: Es wurde aber bald noch schlimmer. Nehmen wir uns von den zahlreichen katholischen Kampf-

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Historisches Jahrbuch 123 (2003), S. 357–363; sowie jetzt auch, sehr schlüssig, Andreas Holzem, Gott und Gewalt. Kriegslehren des Christentums und die Typologie des Religionskrieges, in: Dietrich Beyrau/Michael Hochgeschwender/Dieter Langewiesche (Hgg.), Formen des Krieges. Von der Antike bis zur Gegenwart, Paderborn u. a. 2007, S. 371–413, hier S. 381–385. Natürlich stehen der politische und der publizistische Kriegsschauplatz nicht isoliert nebeneinander, natürlich läßt sich eines nicht einfach als Folgeprodukt des anderen herleiten. Die Korrelation zwischen beiden Gefechtsfeldern müssen wir noch besser verstehen lernen. Es liegt an sich nahe, darüber zu spekulieren, ob Luthers Auffassung von den beiden »Regimenten« (vulgo: die »zwei-Reiche-Lehre«) Lutheranern die Akzeptanz eines Friedens erleichtert hat, der gar kein »innerer geistiger« sein wollte, als »äußerer politischer« konzipiert war. Das läßt sich kaum triftig verrechnen gegen den viel konkreteren Gesichtspunkt, daß der Augsburger Religionsfrieden den Anhängern der Confessio Augustana endlich, endlich Rechtssicherheit gebracht hat. Die Lutheraner konnten kein Interesse daran haben, an der Rechtskraft eines »nur politischen« Friedens Zweifel zu äußern. Georg Eder, Das guldene Flüss christlicher Gemain und Geselleschaft ..., Ingolstadt 1579, das Zitat: S. 396. Vgl. oben S. 33.

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schriften der Jahrzehnte um 1600 die für heutige Leser 142 interessanteste, da substantiellste, in ihrem Argumentationsreichtum (nicht den dadurch vermeintlich untermauerten, zeittypischen Kernaussagen) vielschichtigste Ausarbeitung vor – werfen wir also einige Blicke auf die 1586 pseudonym erschienene »Autonomia« Andreas Erstenbergers! Weil sich die Frage, ob und gegebenenfalls wie kräftig gedruckte Diskurse gelehrten oder volkstümlichen Zuschnitts auf Entscheidungssituationen in den Ratsstuben eingewirkt haben, als ein Leitmotiv durch diese Arbeit ziehen wird, will ich schon hier erwähnen, daß Hinweise auf die Autonomia, meist in Kürzeln wie »der Freisteller143 sagt ...«, in zahlreichen Aktenstücken der Jahrzehnte um und nach 1600 begegnen. Daß die Autonomia und einige andere, vergleichbar militante Arbeiten das Desaster des Reichstags von 1608 ausgelöst und dem Reich damit einen kräftigen Stoß auf jene abschüssige Bahn verpaßt haben, die 1619 in einen langwierigen Konfessionskrieg münden wird, habe ich an anderer Stelle gezeigt.144 Es ist das Hauptanliegen Erstenbergers, in immer neuen Wendungen, Bildern, historischen Verkleidungen die Absurdität des Gedankens eines politischen Frie­dens vorzuführen, »dieweil ... die Warheit ..., daß auch kein frid in einer Respublica ohne die Gerechtigkeit sein vnd bleiben, ja auch kein Reich nit bestehen kan«. Der »zeitlich, Politisch, eusserlich Friden« ist »ein Gottloser Friedt vnnd mit Sünden vermengt vnnd besudelt«, er kann so wenig bestehen wie Eintracht »zwischen einem Wolff vnd einem Schaff, zwischen Hundt vnd Katzen, zwischen Fewr vnnd Was­ser«. Es sei »eytel ding«, wenn pflichtvergessene Politiker »erstlich verhoffen wöllen, man künde durch nachsehen[,] tolerirn, tempori­sirn, freystellen vnd lauirn, friden vnd vertrewligkeit pflantzen vnd erlangen«, denn »solchs so weit fähl, vnnd so wenig müglich, als daß sich einer mit Koth schön machen, oder im Wasser trücknen solte«. So folgen immer neue Kaskaden von Vergleichen, Exempeln, morali­schen Verunglimpfungen und theologischen Aburteilungen. Aber der politisch und juristisch bewanderte Autor trifft durchaus auch Aussa­gen zur Rechtskraft eines politischen Friedens über Konfessionsgrenzen hinweg: »Ein solcher Fridt«, der »so vil vbels mit sich zeucht, vnnd zu dem Endt deß wahren Fridens, welches ist die Ehr vnnd Dienst Gottes, der Gehorsam vnd Lieb deß Nechsten, nit allein nit gerichtet ist, sonder 142 Die »Autonomia« hat auch damals Furore gemacht, doch erregten die Protestanten verschiedene andere Arbeiten plumperer Machart vergleichbar oder gar noch mehr. – Zum Folgenden: »Franciscus Burgkardus«, De Autonomia. Das ist: Von Frey­stellung mehrerley Religion und Glauben ..., 2. Aufl. München 1602; die Zitate ebda., fol. 207ff. und fol. 465. 143 Der Terminus »Freistellung« (gelehrte Arbeiten formulierten lateinisch: »autonomia«) grassierte in der Reichspolitik der ersten Jahrzehnte nach dem Religionsfrieden, stand dabei für verschiedene evangelische Lesarten des Texts von 1555 (»Freistellung« des Glaubens der Fürstbischöfe; oder der Domkapitulare; oder gar jedes einzelnen Mitteleuropäers?). 144 Vgl. Gotthard, Religionsfrieden, S. 612f.

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dieselben auch gentzlich zuruck setzet, verwirret, tödtet vnd auffhebt«, kann »derhalben kein rechter noch bestendiger Frid nicht sein noch haissen, Sonder ist eben der Fried, der (wie der Prophet sagt) vnder den Gottlosen zusein pflegt, ist est, nulla«. Frieden ohne Gerechtigkeit war nichtig. Also war ein politischer Frieden über Konfessionsgrenzen hinweg null und nichtig. Der Augsburger Religionsfrieden war, wie Andreas Ersten­berger natürlich richtig erkannt hat, ein politischer Frieden. Ich springe gleich in die Vorkriegszeit. Während des Reichstags von 1613 verfaßte einer der für die kurmainzische Außenpolitik maßgeblichen Räte, Wilhelm Fer­dinand von Efferen, eine recht ausführliche Diagnose der reichspo­litischen Situation.145 Anlaß oder Vorwand war die Frage, »ob die Catholischen Stände zuerhaltung Friedens im Römischen Reich, von ihren Rechten weichen sollen oder können?« Es folgt das obligatorische, in allen politischen Gutachten dieser Zeit begegnende Zweierschema, zuerst werden die Pro-, dann die Contraar­gumente jeweils nacheinander aufgelistet; Textumfang und manchmal – die hohen adeligen Herrschaften konnten ja recht begriffsstutzig sein – auch zusätzliche Erläuterungen halfen, die rechten Schlüsse zu ziehen, ohne, daß sich der Fürst etwa durch die von ihm angestellten Politikprofis bevormundet fühlen mußte. Efferens kurze Zusammenstel­lung von Gesichtspunkten, die »pro parte affirmativa ... verkaufft« würden, kündet nicht etwa von irenischer Einsicht, setzt vielmehr so ein: »Daß man diese sichere Nachricht hätte, daß Gegentheil nicht weichen, und seinen Unfug mit Kriegs-Gewalt verfechten werde«. Es herrschte »Kriegs-Gefahr«, deshalb war erörternswert, ob »den Zeiten etwas nachgesehen und dissimulando nachgegeben werden« mußte, da »die Catholischen keine Kriegs-Praeparatoria haben« – was man als Aufforderung lesen kann, das schleunigst zu ändern. Doch nehmen wir uns die zahlreicheren und ungleich wortreicheren »Ar­gumenta« vor, die »pro parte negativa« sprachen! Sie künden beispielsweise davon, wie prekär das Jus war, seit es sich in zwei konkurrierende Rechtsordnungen gespalten hatte, ohne schon von einem über den konfessionellen Teilsystemen stehenden, grundsätzlich von allen Seiten akzeptierten konfessionsneutralen Staatskirchenrecht überwölbt zu werden. Der Konfessionszwiespalt war zum Rechtsstreit geworden, doch wirkte die Verrechtlichung nicht befriedend, weil es keine gemeinsamen Maßstäbe, kein konsensfähiges Forum und keine unstrittige Auslegungsinstanz mehr gab: Dieser Rechtsstreit war Streit zwi­schen zwei Rechtssystemen. Efferens Contra-Liste mündet in die War­nung, die Katholiken würden durch Konzilianz »ihr Recht vor unrecht erkennen und sich selbst wider Recht verurtheilen«. Man kann sie übrigens 145 Zum Folgenden: Gutachten des Herrn »von Effra« bei Johann Christian Lünig, Europäische Staats-Consilia oder curieuse Bedencken ... In Religions-Staats-Kriegs- und andern wichti­gen Sachen ..., Bd. 1, Leipzig 1715, Nr. 131.

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passagenweise als Kontrafaktur des evangelischen Innerlich­keitsdiskurses lesen. Auch Katholiken hatten ein Gewissen, auch sie standen fest in ihrem Glauben und konnten nicht anders. Sie würden, wenn sie »in viel oder wenig nachgeben ... ihr Gewissen zum höchsten beschweren, den geistlichen Vorbehalt im ReligionsFrieden selbst aufheben« und »Gottes gewis­sen Zorn auf sich laden«. Selbst in diesen Passagen stolpern wir über den politischen Frieden von 1555, und anderswo sowieso. Noch sechzig Jahre nach ihrer Verabschiedung kreist Efferens Gutachten, wie fast alle reichspolitischen Memoranden der Zeit, wieder und wieder um die Augsburger Ordnung. Einzelne Auslegungsfragen sollen uns hier nicht beschäftigen, hier interessiert die Fundamentalkritik am Gedanken eines politischen Friedens über Konfessionsgrenzen hinweg. Das Argument, es sei vorteilhafter, »dem Gegentheil, was allbereit hinweg, zu lassen, als ei­nes mit dem andern, durch unsicheres Kriegs-Wesen zu verliehren«, wird von seinem Kolporteur anschließend so widerlegt: »dis Argument solvirt der Verlauff der Zeit, seither aufgerichtetem Religions-Frieden, denn damahls haben sich die Catholischen auch mit dergleichen Atheisti­schem Argument [!] überreden lassen, auf daß sie bey dem üb­rigen ruhig verbleiben möchten, wie nun solches gelungen, können die herrlichen Ertz-Stiffter, Klöster und Kirchen, leider!, zu viel be­zeu­­ gen«. Eine 1555 bei vielen Katholiken zweifelsohne vorherr­schende Grundstimmung wird so in Worte gefaßt: »Es könne mit gu­tem Gewis­sen geschehen, daß man im Fall der Noth, nachgebe, dis­si­mulire, lavire«. Hat Efferen sechzig Jahre später Verständnis für die Nö­te der des Kampfes müden Vorväter? Wohl nicht, »ist wider GOtt und sein Ge­bot, wider Eyd und Pflicht aller Geistlichen und wider alle Principia Ca­tho­li­corum, nisi extrema sit et inevitabilis necessitas«. Bleibt an die­ser Stelle immerhin offen, ob eine solche Notlage 1555 nicht viel­leicht geherrscht habe, zeigt sich der Gutachter an anderer Stelle davon überzeugt, »daß die Geistlichen von allen Seelen, welche durch Dissimuliren, Nachgeben und Laviren, in ewiges Ver­derben verfallen, GOtt, dem strengen Richter schwere Rechnung geben müs­sen«. Das 1555 so zentrale Aushilfsmittel des »Dissimulie­ rens« – also der Suche nach friedensermöglichenden Kompromißformulierungen (der in Augsburg gewiß oft nur Formelkompromisse erwachsen waren) –, es war für Efferen gründlich diskreditiert, ja, offenbar sündhaft. Konsequenterweise mündeten diese Erwägungen in den Kriegsaufruf, man mußte einen zweiten Schmalkaldischen Krieg wagen – doch soll es hier ja noch nicht um den Holy War gehen, sondern um Friedenslob oder Friedenskritik. 1.2.3.3 »Zwischen Hundt vnd Katzen«. Ist der politische Frieden anthropologisch verfehlt? Auf evangelischer Seite hatte der interkonfessionelle Frieden eine bessere Presse. Man warf der Gegenseite entrüstet vor, sich an diesen Frieden nicht

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oder nicht mehr gebunden zu fühlen, lamentierte über »der Jesuiter Blutdurstige Practicken«146, verwarf aber den Gedanken eines Friedens über Konfessionsgrenzen hinweg nicht selbst als verfehlt, hybrid, illusorisch. Solche evangelische Fundamentalkritik begegnet erst während des Dreißigjährigen Krieges, zumal an den beiden Siedepunkten religiöser Emphase, um 1620 und in den frühen 1630er Jahren. Ein »Postilion« von 1631147 schleudert den Vätern des Religionsfriedens das entgegen: Es sei »in dem Römischen Reich kein Ding mehr zufinden, welches Gott höher offendirt«! »Wenn Christus zu seinen Jüngern und allen Lehrern sagt, gehet hin in die gantze Welt, so sagt der Religionfriede, bleibt«. Weil der Augsburger Text nicht gottgefällig ist, hat der Allmächtige dafür gesorgt, daß er »nur ein immerwehrend Haderapffel im Reich gewesen«. Es mußte so kommen, unausweichlich. Denn der Papst »vnd sein Anhang« können sich, wegen der ihnen immanenten »Blutdurstigkeit vnd Hurenbrunst«, in ihrer »Vnart wider die Evange­lische nicht enderen«, selbst wenn sie das wollten. Die »Päbstler« kön­nen gar nicht anders denn »aus dem Becher voll Grewels vnd Vnsau­berkeit jhrer Hurerey sich immerdar toll vnd voll zu halten, immerdar das Blut der Heiligen einzugurgeln vnd einzuquasen: Das ist soviel gesagt, so wenig sich die Hur in dem enderen oder besseren kan«, so wenig können es je Katholiken. Die Wertungen und Prognosen der Flugschrift basieren auf einer schroff antithetischen konfessionsspezifischen Anthropologie. Die Katholiken können gar nicht anders – weil sie seit vielen Jahrhunderten waren, wie sie sind und stets sein werden, ist jede Hoffnung auf eine politische Entschärfung des Wahrheitsproblems eitel. Solcher Optimismus verkennt das anthropologische Defizit des konfessionellen Widerparts. Wie das Motiv der mangelnden Geschäftsfähigkeit des anderen Lagers, von dem gleich im Folgekapitel die Rede sein wird, ließe sich auch die Unterstellung prinzipiell einfach nicht gegebener Friedensfähigkeit des Irrgläubigen schon für die Generation vor dem Religionsfrieden nachweisen. Voller Ingrimm über Karls Interim trug Antonius Corvinus damals die Einsicht in die Druckerei, daß »weder Frieden noch Eintracht zu erwarten« sei »zwischen Frommen und Unfrommen, zwischen

146 Um es mit dieser Flugschrift (für viele vergleichbare) zu sagen: »Eusebius Philadelphus«, Von der Jesuiter Blutdurstigen Practicken ..., o. O. 1583. 147 Zum Folgenden: [Anonym], Postilion, An alle und jede Evangelische Könige und Potentaten ... von etli­chen vertriebenen Badischen, Wirtenber­gischen, Pfaltzischen und Augspurgischen Theologis und Politicis spedirt, o. O. (»unterm blawen himmel, nicht weit von Straß­burg«) 1631. Es handelt sich offenkundig um eine Gemeinschaftsarbeit, der erste Teil des Pamphlets bietet eine (besonders lesenswerte) Analyse der reichs(verfassungs)politischen Situation aus juristischer Hand, dem folgen (hier interessierende) Passagen in ganz anderem Duktus, die Theologen verfaßt haben dürften. – Die Zitate: Abschnitt 96; ebda.; Abschnitt 90; Abschnitt 97; Abschnitt 98; Abschnitte 110–112 (Kursivsetzungen von mir).

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Abel und Cain, zwischen David und Saul, zwischen Christus und Belial«.148 Nun schienen ja die Reichstagsteilnehmer von 1555 das Gegenteil bewiesen zu haben, aber seit den 1580er Jahren wuchs – zunächst auf katholischer Seite – wieder die publizistische Neigung, ganz grundsätzliche Friedenskritik auszusprechen, eine Kritik, die nicht diesen Halbsatz und jene Lesart des Augsburger Religionsfriedens meinte, sondern anzweifelte, daß interkonfessioneller Frieden der Natur der Menschen, wie sie Gott nun einmal eingerichtet habe, entsprechen könne. Für Andreas Erstenberger war ein solcher Frieden ja so haltbar wie Eintracht »zwischen einem Wolff vnd einem Schaff, zwischen Hundt vnd Katzen, zwischen Fewr vnnd Was­ser«.149 Ein Erstenberger-Epigone150 rief 1619 dazu auf, die Protestanten als »verkehrte und ihrem eigen Urtheil nach, verdampte Menschen, der rechtglaubigen Gemainschafft, Gruß, Mitleidens und anderer Gutthätigkeit nicht mehr würdig zuachten, sonder wie der Apostel sagt, abscindendi et auferendi ex nobis, vonn uns abzuschneiden unnd wegk zu reißen«. Während des großen deutschen Konfessionskriegs finden wir solche Bilder auch in evangelischen Schriften. Ein Traktat von 1620 schärfte so eine strenge Kontaktsperre zu den Katholiken ein: »Wer Bech anrühret, der besudelt sich damit«, »ein jegliches Thier helt sich zu seines gleichen«, »es ist eben wann sich der Wolff zum Schaff gesellet, wann ein gottloser sich zum frommen gesellet«, »vngleiche ding können sich nimmermehr miteinander vertragen.«151 Auch für die Autoren des »Postilion« konnten Protestanten mit Katholiken grundsätzlich nicht friedlich zusammenleben, so wenig, wie sich dem Buch Daniel zufolge »Eysen mit Thon ... mengen lest ... Solches vff nichts anders, dann diese zweyfaltige Religionen, das 148 Wilhelm Radtke (Hg.), Antonius Corvinus Confutatio Augustani libri quem Interim vocant 1548, Göttingen 1936, S. 67. Auf die Schrift machte mich dieser Aufsatz aufmerksam: Inge Mager, Antonius Corvins Kampagne gegen das Augsburger Interim im welfischen Fürstentum Calenberg-Göttingen, in: Luise Schorn-Schütte (Hg.), Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, Göttingen 2005, S. 331–341. Von den ganz grundsätzlichen Zweifeln Konrad Brauns am interkonfessionellen Frieden war weiter oben schon die Rede. 149 Siehe S. 58. 150 Der bayerische Stiftsdechant Georg Riedel polemisierte in seinem Draconicidium, Daß ist, Drachen Mordt, Oder Recht Catholischer Gegenhalt und Warhaffter Discurs ..., Ingolstadt 1619 gut ›erstenbergerisch‹ gegen den lediglich äußeren, politischen Frieden. Vgl. beispielsweise S. 167f.: Wer »von ruwiger zulassung ungleicher Religion, wann nur das gemeine politische Wesen, darneben fridlich unnd Saluo besteht« schwadroniert, ist »an sich selbst gantz unchristlich, heydnisch«, außerdem ein Verräter am Reich. Das folgende Zitat: S. 195. 151 [Anonym], Traw, Schaw, Wem, Das ist ... Erinnerung ..., gestellet an vnterschiedliche des H. Römischen Reichs von deß Bapsts Sawerteig abgesonderte Ständte, sie wollen doch dem liebkosen der Papisten so viel nicht trawen ..., o. O. 1620, S. 16. Das Elaborat ist eine hemmungslose Polemik gegen die »Babylonische tyrannei« der Kurie, die den Lutheranern (spezifische Wirkungsabsicht!) einblase, sie wolle doch lediglich die Calvinisten ausrotten, tue keinem Lutheraner etwas zuleide.

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ist, den Eyffer der Päbstlichen superstition, vnd hingegn der wahren Evangelischen Religion, vnd angemassete Religions pacificirung zuverstehen«.152 Frieden ohne Gerechtigkeit und Wahrheit – ein politisches Friedenskonzept also – war Anmaßung der Politici, war überheblich. Gottvergessene Politiker hatten sich 1555 über den ewigen Ordo, das Heilsgeschichtliche, Heilsnotwendige, schon in der Bibel Präfigurierte erhoben, hatten geglaubt, eigenmächtig Geschichte ›machen‹ zu können. Aber sie hatten ihren schönen Frieden an der gottgewollten, nur im Dienst an der Einen Wahrheit zur Entfaltung kommenden Natur des Menschen vorbeigezirkelt, hatten in sozialtechnologischem Furor geglaubt, die Menschen von ihrem metaphysischen Daseinsgrund abkoppeln zu können, nur, um ihr gesellschaftliches und politisches Zusammenleben unter dem Reichsdach in einem verfehlten, vordergründigen Sinne friedfertig zu machen. Derartige Emanzipationsversuche der politischen Ancilla theologiae waren 1555 hybrid gewesen und werden es nach Überzeugung unserer glaubensfesten Autoren immer bleiben. Es war unbiblisch, unchristlich und »derohalben gantz vergeblich, daß man sich Evangelischen theils hoffnung machet vnd bemühet, mit dem Bapst vnd seinem Anhange, durch newe Passawische Verträge153, Religionvnd andere Frieden, in eintzige Freundschafft vnd Gemeinschafft hinwie­der zu gerahten.« Es war nicht nur der real existierende Religionsfrieden von 1555 sein Papier nicht wert, jede Hoffnung auf zusätzliche oder bessere politische Vereinbarungen über Konfessionsgrenzen hinweg war eitel. Natürlich folgt solchen Diagnosen stets die Mahnung zur Wachsamkeit, häufig der Aufruf zum Kampf. Aber in diesem Kapitel soll es uns ja noch nicht um das Konzept des Bellum necessarium gehen, sondern um den Frieden. 1.2.3.4 »Fides Haereticis servanda«. Das universalhistorische Dilemma der Erwartungsverläßlichkeit spitzt sich zu Freilich, existierte in den Jahrzehnten um und nach 1600 noch eine unumgängliche Basis für diesen Frieden: das Grundvertrauen in die Verläßlichkeit der politischen Mitakteure, die Erwartungssicherheit, daß einmal geschlossene Verträge den anderen tatsächlich banden? Weil sich die strikte Beachtung des Ius, auch von vereinbartem Recht, inter gentes nicht ohne weiteres einklagen läßt, ist diese Erwartungsverläßlichkeit ein Problem internationaler Politik bis heute. Im Konfessionellen Zeitalter verschärfte es sich ungemein durch jene diskriminatorische Anthropologie, die uns eben schon begegnet ist, und die uns eben152 Postilion, Abschnitt Nr. 112. 153 Der ursprüngliche Textentwurf zum Passauer Vertrag von 1552 sah bereits einen unbefristeten politischen Frieden zwischen den Konfessionsparteien des Reiches vor, es scheiterte damals an der Ablehnung durch Kaiser Karl V. Das Zitat: Postilion, Abschnitt Nr. 111.

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falls schon bekannte Rechtsspaltung. Noch waren – wenn wir das Problem ins Innenpolitische wenden (aber in Mitteleuropa waren ja wichtige Segmente von ›Reichsinnenpolitik‹ territoriale Außenpolitik) – die konfessionellen Rechtsordnungen nicht durch ein allseits verbindliches weltanschauungsneutrales »Staatsrecht« überwölbt. Schauen wir durch die außenpolitische Brille, merken wir, daß Darstellungen des überkonfessionellen und übernationalen »Völkerrechts« mit Anspruch auf Systematik und Vollständigkeit noch nicht einmal in den Gelehrtenstuben existierten. Wenn eine alle zusammenbindende gemeinsame Rechtsordnung nicht mehr existierte und noch nicht wiedergewonnen war – natürlich akzeptierten, beispielsweise, Protestanten Liber V Decretalium Titulus VII (»de Haereticis«) nicht als Bestandteil des gültigen Reichsrechts –, wenn Gott die Welt nun einmal so eingerichtet hatte, daß sich »Eysen mit Thon« nicht »mengen« ließ, daß im Ringen zwischen »Hundt vnd Katzen«, »Wolff und Schaff«, »Christus und Belial« keine Indifferenz vorgesehen war, wie konnte man da auf die Haltbarkeit politischer Friedensschlüsse über weltanschauliche Gräben hinweg bauen? Vereinzelt stoßen wir auf Zweifel hieran, seit mit der Kirchen- die Rechtsspaltung drohte. Beispielsweise werden wir auch in Akten aus der Zeit des ›kleinen‹ deutschen Konfessionskriegs von 1546/47 fündig. Am 4. Juli 1546 warnten Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, Landgraf Philipp von Hessen »vnd gemeiner Christlicher eynung vorordnete Kriegs Rhete« Herzog Wilhelm von Bayern154, er dürfe sich des Truppendurchmarschs wegen »uff keine gute wortt des gegentheils verlassen«, denn was »solche gute wortt, vertrege, brief und sigel, unnd dergleichen versicherungen helffen«, wisse man ja aus trauriger Erfahrung, »unnd das bey Inen, wann sie Ir gelegenheit versehen, kein vertrag oder vergleichung gilt«. »Das wir das kriegsvolkh solten abschaffen, das will sich schlecht nit gepuren, dann man wurde eben als wienig woder glaben noch trauen, woder brief noch sigel halten, als vor«, schrieb am 14. September 1546 der hessische Agent in Augsburg, Gereon Sailer, an Landgraf Philipp.155 Viel grundsätzlicher und oft in seitenlanger Ausführlichkeit äußert solche Zweifel die Kampfpublizistik des Jahrzehnte um 1600. Gebildete Leser wußten, wo sie in den Sachregistern nachzuschauen hatten, nämlich meistens unter »f« wie »fides«, hilfsweise, in evangelischen Ausarbeitungen, auch unter »t« wie »trew«. »An fides haereticis servanda«, so hat man die nun beliebte Streitfrage rubriziert, ob ein Irrgläubigen gegebenes Wort überhaupt binde, ob »trew und glawb« über weltanschauliche Gräben hinweg gültige Maßstäbe seien. Der interkonfessionelle Friedensschluß von 1555 war bei diesen Debatten nie fern. 154 Or.: BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2100, fol. 8f. 155 Das Schreiben gibt Max Lenz (Hg.), Briefwechsel Landgraf Philipp’s des Großmüthigen von Hessen mit Bucer, Bd. 3, Leipzig 1891, S. 451f.

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Wahrscheinlich ist die außenpolitische Erwartungsverläßlichkeit ja tatsächlich ein universalhistorisches Dilemma – aber das Problem dürfte nie prekärer156 gewesen sein als um und nach 1600 im Rahmen jenes Reichsverbandes, der seine selbst außenpolitisch aktiven Glieder immer weniger einzubinden vermochte und nicht verhindern konnte, daß sie sich seit 1619 gegenseitig militärisch bekämpften. Zweifel an der Verläßlichkeit evangelischer Politiker streuten damals viele katholische Abhandlungen – wer von der Einen wahren Kirche abgefallen war, tat es jetzt und immerdar skrupellos von jeder einmal getroffenen Vereinbarung. Für Wilhelm Ferdinand von Efferen waren es »verlauffene Zeiten, da Treue und Glaube noch gehalten worden«, da für evangelische Politiker noch »Eyd, Pflicht, Verschreiben, Versprechen und dergleichen humanae fidei vincula« gegolten hätten.157 Protestanten waren nicht geschäftsfähig, nicht politikfähig – gehörten sie, recht besehen, überhaupt jener Wertegemeinschaft des christlichen Abendlandes zu, außerhalb derer allenfalls vorübergehende Pax iniqua herrschen konnte? Die politische Brisanz dieser diskriminatorischen Anthropologie kann eine »Newe Zeitung« von 1614 illustrieren. Ein Katholik, ein Lutheraner und ein Calvinist lassen sich durch »Peregrinus«, den objektiven Beobachter von außen, über die Wurzeln der Malaise eines Reiches aufklären, das dieses Schriftchen dem Krieg zutorkeln sieht. Schuld ist für Peregrinus die Aggressivität der Calvinisten, doch machen ihnen die allzu arglosen und allzeit nachgiebigen Katholiken ihr Zerstörungswerk nicht eben schwierig. Zwei zentrale Vorwürfe richtet Peregrinus an ihre Adresse: Daß sie »alle Krieges vortel gar zu leicht pro turpi pace (ubi non est pax, dilatio tantum) aus Händen« gäben und daß sie »mit brieflichen Vhrkunden, reversen, juramenten vnd zusagen, wie die Kinder mit Epffeln die inwendig Faul sein, sich leichtlich ... stillen lassen«, wiewohl doch die tägliche Erfahrung lehre, daß die Gegenseite damit stets aufs Neue nur »betrug« suche. Damit hat der Autor sein nächstes Thema gefunden: die Anthropologie »des Calvinisten«. »Der Calvinist« ist verschlagen, immer nur und ausschließlich auf seinen eigenen Vorteil bedacht, man kann ihm nie und nirgends trauen. »Er 156 Weil, wie wir gleich noch sehen werden, ungemein massiv; grundsätzlich, in einer diskriminatorischen Anthropologie verwurzelt, die dem Andersgläubigen vollgültiges Menschsein absprach; und mit gravierenden Auswirkungen auch auf den praktischen Politikbetrieb. – Die publizistische Debatte »an fides haereticis servanda?« der Jahrzehnte um 1600 hatte die innerkatholischen Auseinandersetzungen um die Rechtsverbindlichkeit des Augsburger Religionsfriedens (mit der charakteristischen, für Protestanten natürlich alarmierenden ›Notrechtsargumentation‹ – »ad tempus cedatur utque maiora mala evitentur«, Duldung aus Not und auf Zeit – etwa eines Petrus Canisius) zur Voraussetzung, insofern eine ganz spezifische Färbung. Dem will ich hier aber nicht nachgehen, wir müßten uns sonst in die kanonistischen Voraussetzungen vertiefen. 157 Vgl. Anm. 145.

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ist nicht ruhig, was er zusagt, verbrifft vnd versigelt, mit Eydt bekrefftiget, das gedenckt er im wenigsten zuhalten«.158 Die Abhandlung kommt auf dieses »dem« Calvinisten immanente Glaubwürdigkeitsdefizit zurück, als sie abschließend, nachdem alle heimtückischen Anschläge »der Calvinisten« auf die Reichsverfassung umständlich entlarvt sind, danach fragt, ob denn nicht eine »Komposition« der Paralyse des Reiches abhelfen könnte. Das damals geläufige Schlagwort hatte nichts mit Tonkunst zu tun. Der seit 1610 häufig diskutierte, nie realisierte »Kompositionstag« sollte den das Reich zerreißenden Interpretationskrieg um den Religionsfrieden mit all seinen Folgeerscheinungen bis hin zur Lähmung der Reichsjustiz und des Reichstags im kleinen Kreis ausgleichsbereiter Naturen aller Seiten bereinigen. Wir würden heute von einem »runden Tisch« sprechen: Erarbeitung von Reformvorschlägen ohne Majorisierungsdruck, anschließend stimmen alle Seiten, erneut einhellig, sozusagen en bloc, am Reichstag zu. Das zerschlissene Reich sollte auf eine neue vertragliche Grundlage gestellt werden. Die Idee war zukunftsweisend, »itio in partes« und »amicabilis compositio« des Westfälischen Friedens werden den Gedanken einer »Komposition« wiederaufgreifen und in die Reichsverfassung einbauen. Vor 1618 scheiterten alle Anläufe zu einem »Kompositionstag« indes daran, daß die Katholiken nicht bereit waren, ihre im herkömmlichen politischen System strukturell angelegten Vorteile (katholischer Reichshofrat, katholische Maiora in den maßgeblichen Reichstagskurien usw.) preiszugeben. Das ist die Analyse des heutigen Historikers. Was aber hält die »Newe Zeitung« von der »Komposition«? »Die Catholischen lassen sich nicht mehr anführen, sie wissen wol wohin solche Consilia gericht, nemlich den Calvinisten Thür vnd Thor zu eröffnen, denn sie«, also die Katholiken, »numehr in schedliche Erfahrung gebracht, daß bey ewren Leuten, sonderlich bey den Calvinisten, keine constitutiones, keine pacta, Brieff vnd Siegel nicht gehalten werden, Ergò können sie sich auff newe Verträge nicht einlassen«.159 Versuche, an einem »runden Tisch« Deeskalationsstrategien auszuarbeiten, waren sinnlos, sie mündeten ja doch nur in neue Vereinbarungen, die die Gegenseite dann so wenig einhielte wie alle alten. Nahm man das ernst, war Reichspolitik nicht mehr möglich, mußte man den Gordischen Knoten mit dem Schwert durchschlagen. Katholische Autoren wußten: Protestanten konnte man einfach nicht trauen. »Die Papisten in genere« hielten keine Zusagen160: Das wußten umgekehrt evan158 [Anonym], Newe Zeitung Darinnen ein wolmeinend vnd vertrawlich Colloquium, fol. Biiij und fol. C. 159 Ebda., fol. Eiij. 160 »Johann-Philippus Spindesius«, Der Ander Teutsch-Bruder-Freund, Welcher Berichtet vnnd männiglichen zu Gemüth führet, daß ... die Benachbarte Fürsten vnd Stände, weniger nicht, als die ChurPfaltz selbsten in Gefahr stehen ..., o. O. 1622, fol. Aij. Deshalb war

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gelische Autoren, sie erst recht, schließlich gab es auf katholischer Seite immer die »exception, quod haereticis non sit servanda fides«. Man wußte ja, daß der katholische Widerpart von Machiavelli oder, häufiger, von »den Jesuiten« gelernt hatte, »das man auch die auffgerichte Vorträg, Bündnissen, vnd Friedstände, so offt man eine Gelegenheit ersehe, nicht halten, sondern vmbstossen« solle.161 Es ist eine dem Topos vom »blutdurstigen Jesuwider« immanente Facette162, die kein Pamphlet gegen diesen Orden ausläßt. Es war schließlich allgemein bekannt, daß sich »die Jesuwider« nur beim Papst im Wort sahen, »In allen andern dingen sey/ Eydtschwur vnd glaub zu haltenfrey163/ Allein daß man regieren mag/ Mög man Eydt brechen alle Tag«. Es war schließlich allgemein bekannt, daß »die Jesuwider« allen maßgeblichen katholischen Politikern einflüsterten, mit Ketzern getroffene Vereinbarungen bänden sie nicht, dürften situationsabhängig jederzeit gebrochen werden, ja, müßten gebrochen werden, so der Vertragsbruch der katholischen Kirche mehr Seelen in Aussicht stelle als Vertragstreue. Maßstab sei nicht moralische Verläßlichkeit, sei die politische und militärische Erfolgsaussicht164. Deshalb stehe für jeden frommen Katholiken insbesondere der Religionsfrieden zur Disposition. Katholiken hielten vertragliche Zusagen für disponibel, und den Religionsfrieden sowieso: Dieser Vorwurf begegnet in Flugschriften des Konfessionellen Zeitalters so häufig, daß Beispiele fast beliebig sein müssen. Eine Abhandlung kommt als Dialog zwischen »Mahomet« und einem »türckischen Priester« daher. Zum Glück wüteten Kaiser und katholische Reichsfürsten lieber gegen Lutheraner und Calvinisten als gegen den Islam, freut sich letzterer. Aber leider haben diese Konfessionsparteien doch vor einiger Zeit einen Religionsfrieden geschlossen, wendet »Mahomet« ein. Daran müssen wir uns nicht stören, trumpft der »türckische Priester« auf, die Katholiken geben ja nichts drauf, weil ihnen die

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es insbesondere naiv, anzunehmen, die Katholiken hielten den Religionsfrieden »stäth vnd vest«. [Anonym], Trewhertzige Erinnerung Eines deutschen Patrioten an die Stende des Reichs Augspurgischer Confession, Von der Papisten Practicken vnd Anschlegen ..., o. O. 1605, fol. A2. Ziel war es, »den Religion frieden ... zu durchlöchern«, dann ganz aufzuheben (fol. A3). Die Jesuiten waren eben wegen ihrer »Lehr de haereticis extirpandis, & de fide haereticis non servanda, bey vilen Nationen gantz odios vnd verhasst«, generalisiert »Johann Huß redivivus« (vgl. zu diesem Pseudonym unten Anm. 172), Decret der Jesuiten, Wider alle Evangelische Potentaten, zu Rom geschlossen ..., o. O. 1618, S. 4f. Sic! So reimt »Johan Huß redivivus genanndt Martyr«: Böhmische Fridensfahrt (unfol.). Man hat es damals – die evangelischen Autoren kannten die maßgeblichen scholastischen Autoritäten! – etwas anders ausgedrückt: Sich an den Ketzern versprochene Selbstbeschränkungen zu halten, erachteten Katholiken nur so lang als erlaubt, wie das als »kleineres Übel« erscheine. Werde der Wortbruch zum »kleineren Übel«, müsse das Wort eben gebrochen werden.

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Jesuiten einbleuen, »man solle den Lutheranern eben so wenig als ... offentlichen Strassenraubern, Glauben vnd zusag halten, ob die gleich mit Leiblichem Eyde bestättigt waren«. »Habens allbereyt so weit gebracht, daß niemand weder auff Aydt, Brieff noch Sigil, jhnen etwas trawen wil«. Man könne »forthin mit solchen Leuten nichts sichers contrahiren vnd vornemen, weil sie wider Recht Billigkeit, Traw, Glauben vnnd Aydtspflicht gehandelt«.165 Um noch ein zweites etwas ausführlicheres Beispiel zu geben, das die gängigen Unterstellungen einigermaßen typisch aneinanderreiht: Der Protestantismus »wird wegen der vorstehenden gefahr, biß zu einer andern gelegenheit gedultet ... Summa, so lang die Papisten keine Kräffte fühlen zum Nachtruck deß Krieges, so lange gilt Passawischer Vertrag, wenn die Protestierenden mächtiger sind; Wenn sie«, die Katholiken, »aber die stärcke haben zum Kriegeszuge, so gilt daß Tridentische Concilium mit seiner Execution ... Ob nu gleich gute Wort vnd stattliche promissiones gegeben werden, so hat man sich doch darauff nicht zuverlassen, quia haeretico non est servanda fides, weil jhrer Regul nach, man keinem Kätzer glauben zu halten schultig ist. Wenn man bessern Vortheil vnd Nutze kan stifften für die Römische Kirche vnd jhre Religion, so darff man nicht länger glauben halten, mit der Zeit ändern sich alle Verträge vnd Zusagungen, vnd wenn gleich tausent Eydte geschworen worden, so ists doch nichts, der Pabst kan alle solche Eyde mit einer eintzigen Absolution wieder entbinden.«166 Aus heutiger Warte möchte man den damaligen katholischen Eliten neunmalklug zurufen, sie gingen zu wenig gegen diesen den Widerpart zutiefst verstörenden Argwohn an. Bei Reichsversammlungen auf das »fides haereticis non servanda« der katholischen Gelehrtenpulte angesprochen, pflegten das altgläubige Politiker mit einigen wenig beruhigenden Floskeln167 abzutun. Und an der hier einmal besonders wichtigen, geschichtsmächtigen publizistischen Nebenfront waren Bekenntnisse zu unbedingter Vertragstreue kaum zu vernehmen. 165 [Anonym], Mvndi Miracvla Oder Wunder Thier: Das ist Bericht von der Grossen Forcht ..., o. O. (»Auß Constantinopel geschickt«) 1619, die Zitate: fol. B bzw. fol. Bij. 166 [Anonym], Von jetzigen Kriege, fol. Cij. 167 Man möge sich doch »so hoch nicht anfechten« lassen von dem, was da »in Scholasticis oder Politicis concertationibus« zusammengedrechselt werde: so ungefähr kann man die stets beiläufigen, etwas genervt klingenden katholischen Beschwichtigungen zusammenfassen. Die Zitate: Antwort Rudolfs II. vom 27. Juli 1590 auf entsprechende Beschwerden einer Gesandtschaft der weltlichen Kurfürsten an den Kaiserhof, Heinrich Christian von Senckenberg (Hg.), Sammlung von ungedruckt- und raren Schriften, zu Erläuterung des Staats- des gemeinen bürgerlichen und Kirchen-Rechts ..., Bd. 3, Frankfurt 1746, S. 159– 178, hier S. 161; katholische Erwiderung auf die evangelischen Gravamina am Reichstag von 1594, Christoph Lehmann (Hg.), De pace religionis acta publica et originalia, Das ist: Reichs Handlungen, Schrifften und Protocollen über die Reichs-Constitution des ReligionFriedens, Bd. 2, Frankfurt 1707, Nr. 66. Es sind nur zwei Beispiele, die Worte wiederholten sich.

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»Das leztlich auch die Jesuiter lehren sollen, mann seye nit schuldig den Ketzern versprochne Traw168 vnd Glauben zuhalten«, stimme nicht, stellt immerhin eine – darin vereinzelte – Flugschrift apodiktisch fest, um es mit diesem wenig spezifischen ›Argument‹ zu untermauern: »Die arme Jesuiter müssen halt alles gethan haben was wider die Vncatholischen geschriben wirdt«. Ebenfalls untypisch an dieser Flugschrift, dem fingierten Dialog zwischen einem katholischen und einem calvinistischen Studenten, ist ihr Humor; so läßt sie letzteren schwadronieren: »Seyther die Jesuiter entstanden, ist ein merckliche Thewrung im gantzen Reich worden an Wein vnd Brott, vnd allerley Waaren, was der gemeine Mann bedarff ... ja ich darff sagen, das Gestirn vnd gantze Himmelslauff, hab sich zumal verendert, vnnd geb vns das alte Wetter nimmer«.169 Humor war nicht die vorherrschende Schreibhaltung. Eine Abhandlung »Von der Heuptfrag An Haeretico sit Fides servanda« konstatiert: alle Jesuiten antworten hier »Lauter Nein«. »Fides« meine in diesem Zusammenhang, so erläutert der Autor, nicht den »seligmachenden Glauben«, sondern den »Politischen Glauben, welcher inn der Welt unter den Leuten im schwang gehet: Als da jhrer zwey theil sich an einer societet verbunden, oder da einer dem andern was verheisset ... Da fragt sichs nun von einem solchen glauben, wenn einer dem andern etwas also vnd dergestalt versprochen hat, ob das zu halten sey, wenn der eine Contrahent ein Ketzer were?« Das eben werde von den Jesuiten verneint – allen Nichtkatholiken »sey nicht glauben zu halten, Es sey der glaub entweder mit Eyden oder ohn Eyd; mit Brieffen vnd Siegeln, oder ohn Brieff vnnd Siegel, verbürget oder nicht verbürget«.170 Von den praktischen Folgen dieser Einstellung künde das Schicksal des Jan Hus171, künde die Bartholomäusnacht. 168 Treue! Die Formel »trew und glauben« begegnet in diesem Kontext fast notorisch. Die Geschichte lehrte, »daß jederzeit Trew, vnnd glauben Schiffbruch leyden müssen, wofern es nur jemalen thunlich, vnd dem gegentheil vortheilig gewesen«: so, für hundert ähnliche Formulierungen, [anonym], Christliches und gantz Getrewes Hertzwolgemeinetes Bedencken ..., o. O. 1620, S. 29. 169 [Anonym], Conversation Zwischen zwayen Studenten, einem Catholischen vnnd Caluinisten. Ob die Jesuiter an allerley Empörungen ... schuldig seyen? ..., angeblich Prag 1620 (unfol.). 170 Warum hat man dann 1555 miteinander paktiert? »Aber diß ist die Braut, darumb die Jesuiter heut zu tag tantzen: Denn dieser fried im Römischen Reich von Gott gegeben, sticht jhnen die Augen auß, vnnd denselben wolten sie gerne stürmen vnd brechen«. Alles nach: [anonym], Von der Heuptfrag An Haeretico sit Fides servanda: Ob auch einem Ketzer trew vnd glaub zu halten sey ..., o. O. 1612, die Zitate: fol. Cij und fol. Ciij. 171 Zum Wiedererinnern: weil er trotz der Zusage freien Geleits zum Konstanzer Konzil dort, am Bodensee, als Ketzer verbrannt wurde. – Es ist »eine alte Regel der Kirchen, daß man einem Ketzer Trew vnd Glauben zu halten nicht schuldig sey, wie dann in dem Consilio zu Costnitz vnd Basel [sic] wider Johann Hussen beschlossen worden«: [anonym], Indicina synoptica, Oder, Kurtze Abbildung, Darinnen erwiesen werden, die wahre Vrsachen, dieses tödlich in Teutschlandt entstandenen Kriegs ..., o. O. 1633, S. 13.

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Das sahen viele evangelische Publizisten so, nicht erst seit 1618, dann natürlich erst recht. »Johan Huß redivivus genandt Martyr«172 stellte 1619 diese rhetorische Frage: »Weß ist die schuld anders als euer jhr Kelchdiebe? Das man weder Worten, Brieff noch Siegeln glauben kan?« Sie hatten den Augsburger Religionsfrieden gebrochen, brachen nun den böhmischen Majestätsbrief. Die »Machiavellische Rott« fand in jeder nur denkbaren Vereinbarung immerdar »Schlupfflöcher«, und lehrten nicht bekanntermaßen alle jesuitischen Autoren, daß man »den Lutheranern eben so wenig, als ... öffentlichen Strassenraubern Glauben vnd zusage halten soll«? Mit solchen Leuten konnte man keine Vereinbarungen treffen, nichts politisch aushandeln, keine Verträge schließen, »wann sie schon auch, wie Stahl vnd Eysen außgefertigt« waren. Katholiken pflegten »weder Gleid noch Eyd zu halten«.173 »Die Päbstler halten die Verträge so auffrichtig, daß damit betrogen wird, wer sich darauff verlasset.«174 »Trew vnd Glauben, so man versprochen vnd mit Aydskrafft beteuret«, sie zählten nicht mehr, »ist de fide nominatis haereticis servanda kein Conscientia vorhanden«.175 Weil man den Worten des anderen grundsätzlich nicht trauen konnte, mußte man seine Interessen mit Waffengewalt verfechten. Seltener ist die Gegendrohung auf derselben Ebene: »Aber horcht ein wenig jhr gute Gesellen: Wer einem andern Glauben vnd Trew nicht hält, dem ist man auch hingegen zu halten nicht verbunden«.176 Ein konstruktives politisches Miteinander war dann nicht 172 Unter diesem und sehr ähnlichen Pseudonymen erschien seit 1619 ein gutes Dutzend antikatholischer Pamphlete, die die Lage in Böhmen kommentierten, ich zitiere hier aus der uns schon bekannten »Böhmischen Fridensfahrt« (unpag.). Außer der Berufung auf eine angebliche Autorschaft von Hus hält die Flugschriftenserie ein klein gedruckter Übertitel (»Variorum Discursuum Bohemicorum Nervi Continuatio XY«) zusammen. Tatsächlich bedienten sich verschiedene, unterschiedlich schreibende Autoren (die ich allesamt nicht identifizieren kann) bzw. Drucker des zugkräftigen Pseudonyms, des eingeführten Reihentitels. Gründlich recherchiert, freilich rein buchwissenschaftlich: Hellmut Rosenfeld, Flugblatt, Flugschrift, Flugschriftenserie, Zeitschrift. Die »Hussiten-Glock« von 1618 im Rahmen der Entwicklung der Publizistik, in: Publizistik 10 (1965), S. 556–580. Die von mir eingesehenen Schriften trugen teilweise etwas andere Titel als von Rosenfeld auf S. 574 (allzu stark ›modernisiert‹?) angegeben. 173 [Anonym], Examen Der Recepten, fol. J. 174 Simon Wild, Memorial Ob Den Protestirenden Ständen im Reich Teutscher Nation rahtsamb, sich bey jetziger Zeit von Königlicher Majestät zu Schweden abzuziehen, zu cunctiren, oder sich zwischen derselben vnd den Päbstlern zu interponiren?, offenbar Weimar 1632 [ich benützte einen Nachdruck von 1633], fol. E. 175 [Anonym], Consilium politico-apocalypticum pro commodo statuum Germaniae protestantivm ..., o. O. 1631, S. 6. [Anonym], Liecht-Butzer, S. 100: »Dann es ist bey allen Gottlosen ein alte Regul, welche noch heutigs Tags sonderlich von den Romanisten observirt würdt. Hosti et Haeretico non est servanda fides«, man sei »dem Feind vnnd einem Ketzer« keinen »Glauben zuhalten schuldig«. Deshalb sind für Katholiken interkonfessionelle Friedensschlüsse »null vnd nichtig«: Postilion, Abschnitt 96, vgl. Abschnitt 91. 176 [Anonym], Indicina synoptica, S. 12.

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mehr möglich: »Was zeyhet jhr euch doch solcher Mühe vnnd Arbeit, daß jhr mit solchen Leuten accordiret vnnd Contract schliesset, mit welchen sicherlich nicht kan contrahirt werden, dann Gewissens halben sie keine Tractation halten dörffen, quia haereticis non est servanda fides.«177 Stand mehr als ›nur‹ das politische Zusammenwirken auf dem Spiel, war überhaupt noch ein ziviles Miteinander möglich? Wenn »versprochener glaub vnnd trew« nicht mehr bänden, würden selbst »handel vnd wandel« zerrüttet, warnte eine Flugschrift, »kein Nachbar würde sicher bey dem andern wohnen, vnd keine gemeinschafft haben können«.178 Ein Pamphlet von 1638 legt den Katholiken diese Worte in den Mund: »Das ist eine rechte Straff dieser Ketzer (Lutheraner), das mann jhnen nit soll halten, was jhnen ist versprochen worden, vnangesehen man jhnen einen Eyd geschworen hette«, »mit diesen Ketzern kan man weder Gewerbschafft treiben, noch Frieden halten«.179 Schon 1614 hatte ein calvinistischer Autor apodiktisch festgehalten: »Cum ejusmodi hominum genere ... contrahi non potest«.180 Es konnte »kein Mensch mit diesen Leuten sicherlich vmbgehen«.181 Sogar ein sich unparteiisch gebender »Discurs« von 1617182 lamentiert: »So wil es doch alles 177 »Iohan-Philippus Spindesius«, Teutscher Bruderfreundt, Welcher Allen Evangelischen die newe vber sie in der gantzen Welt angestelte Mordt-Practicken ... vor Augen gestellet ..., Frankfurt an der Oder 1621, fol. Aiij. 178 [Anonym], Von der Heuptfrag, fol. Diij. Der Autor (in der Vorrede spricht den Leser »D. Daniel Cramerus« an), sehr wahrscheinlich ein Theologe, ist deshalb ausführlich der Ansicht, daß »versprochener glaub vnnd trew jedermann ... vnverruckt zu halten sey« – hauptsächlich Bibelstellen (das achte Gebot usw.), aber auch die obligatorische Entrüstung über Machiavelli (Wortbruch sei ein »Falschstück« des »vnehrbarn Politischen Schribenten Machiavelli«), schließlich die Folgen fortgesetzter Vertragsuntreue: Man könnte zwischen konfessionsverschiedenen Menschen(gruppen) schlechterdings nichts mehr vereinbaren. Deshalb seien »Politische, redliche, auffrichtige, weltweise Leute auch des Bäpstischen Glaubens« der Ansicht, daß man Zusagen grundsätzlich einhalten müsse – was stimmt. Ich kenne keinen katholischen Politiker, der sich in der Frage »fides haereticis servanda« offen auf die Seite der zahlreichen Zeloten unter den katholischen Traktatenschreibern gestellt hätte. 179 »Justus Asterius«, Klagrede, S. 12. 180 So ein (aus verschiedenen Gründen sehr lesenswerter) »Außführlicher Discurs« von 1614 aus offensichtli­ch calvinistischer Hand, den Michael Kaspar Londorp (Der Römischen Kayserlichen Majestät und des Heili­gen Römischen Reichs ... Acta Publica, Bd. 1, Frankfurt 1668, S. 238–285; das Zitat: S. 255) abdruckt. – Um nur noch aus dieser ebenfalls calvinistischen Flugschrift zu zitieren: bei uns gelten nicht die »Jesuitische aequivationes, da mann alles in einem verkehrten vnd andern Verstandt außleget, keine Canones Concilii Tridentini, daß man keinem Menschen glauben zu halten schuldig sein soll. Auch keine piae fraudes oder heyliger betrug und list«: [anonym], Abtruck Einer auffgefangenen Jesuitischen Information ..., o. O. 1637, fol. D2. 181 [Anonym], Indicina synoptica, S. 12. 182 Abdr.: Londorp, Acta publica, Bd. 1, S. 362–367, hier S. 365. Die kursächsische Provenienz ist überdeutlich.

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nichts haften, da wil kein theil dem andern trauen, da ist kein Sincerität, und per rerum naturam kein modus zu finden, darinnen ein Theil vor dem andern assecurirt werden möchte«. Popanze misanthropischer Gelehrter? Als der Innsbrucker Erzherzog Maximilian im Frühsommer 1616 einen konfessionsübergreifenden südwestdeutschen Schirmverein unter Einbeziehung Vorderösterreichs propagierte, ließ der badische Markgraf Georg Friedrich seinen Sohn183 so in Stuttgart gegen das Projekt anwettern: Solang »der spanischen papisten böse practicen« nicht »so gar in das hohe tagliecht gestelt« gewesen seien, habe ihm die Idee eines Schirmvereins nicht gänzlich mißfallen, nun aber trieben die Jesuiten in Ensisheim ihr Unwesen, die dorti­gen Räte seien »von Spanien bestochen« – auf wen wolle man sich da ver­lassen, zumal die Katholiken »nach ausweis ihrer lehr« Verträge mit Prote­stanten sowieso jederzeit brechen könnten, da Abmachungen mit Ketzern sie ja nicht bänden? Unter diesen Umständen mache ein interkonfessioneller Schirmverein keinen Sinn. Zitieren wir noch einen »papisten«! Johann Schweikhard von Mainz, wahrlich kein Zelot unter den geistlichen Reichsfürsten der Vorkriegszeit, lamentierte einmal in einem Schreiben an Melchior Khlesl184: Es haben »ohngehorsamb, ohntrew, betrug und list uber hand genomen, dass sich weder auf tewere wort, ver­trösten und versprechen, noch auch brief und sigel, ja den schwur und aid selbsten ichtwas zu verlassen, sonder dass alles nach der ver­fluchten ler des Machiavelli auf ein jede sich an hant gebende occasion ratione status (wie sie es nennen) bei seit ge­setzt und nichts geacht wirt«. Daß sich solcher Argwohn in den Ratsstuben einnistete, war eine zusätzliche Belastung für das der konfessionellen Polarisierung wegen ohnehin strapazierte politische System. Des lautstarken publizistischen Getöses um die Bindewirkung interkonfessioneller Abmachungen wegen drohte sich das für den Politikbetrieb unabdingbare Grundvertrauen in die Verläßlichkeit der Mitakteure zu verflüchtigen. Der Gesichtspunkt der Geschäftsfähigkeit des Andersgläubigen wird uns im Rahmen der Akzeptanzprobleme vormoderner Neutralität wieder begegnen185, übrigens spielte er auch im Achtzigjährigen Krieg seine Rolle. »Immer wieder«186 betonte die reformierte Publizistik der sezessionistischen Provinzen, spanischen Politikern sei grundsätzlich nicht zu trauen, weil sie sich durch Verträge mit 183 Extrakt eines undat. Memorials für Friedrich: Hauptstaatsarchiv Stuttgart (im Folgenden: HStASt) A76 Bü. 3 Nr. 73b. 184 Vom 17. Dezember 1612: Anton Chroust (Bearb.), Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krie­ges (im Folgenden: BA), Bd. 10, München 1906, Nr. 318. 185 Vgl. insbesondere S. 628 mit Anm. 360. 186 So Johannes Arndt, Die Kriegspropaganda in den Niederlanden während des Achtzigjährigen Krieges, in: Ronald G. Asch/Wulf Eckart Voß/Martin Wrede (Hgg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt, München 2001, S. 257; die folgenden Zitate ebda., S. 251.

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Ketzern nicht gebunden sähen. Beispielsweise lehnte ein Pamphlet das spanische Waffenstillstandsangebot von 1629 mit diesem Argument ab – die Offerte sei trügerisch, nicht beim Wort zu nehmen, »die jüngsten Siege deutet der Verfasser als Gottesurteile, den Kampf fortzusetzen«. Man brachte das »haereticis non est servanda fides« sogar in Reime: »Seght ghy daerf [daer ’t] Eet gedaen en wilt dar op vertrouwen/ De Ketters houft men niet Geloof of Eet te houwen«. Der in mitteleuropäischen Flugschriften meist spezieller »den Jesuiten«, nicht »den Spaniern« überhaupt angelastete Vorwurf fehlender Vertragstreue wurde Bestandteil der »leyenda negra«. Wir dürfen wohl davon ausgehen, daß derart unkende publizistische Elaborate auch die Entscheidungsträger gelesen haben. Die französische Hauptinstruktion zu den Westfälischen Friedenskongressen weiß, daß »l’expérience187 nous fait cognoistre que les Espagnolz ne gardent leurs Traittéz qu’en tant qu’il leur est utile et qu’ilz n’ont pas occasions de les rompre avantageusement«. Das also erwartete am Ende des Konfessionellen Zeitalters eine katholische Großmacht von der anderen katholischen Großmacht. Der Vorwurf mangelnder Vertragstreue hatte sich bereits ›entkonfessionalisiert‹. Davon kündet auch eine den Ersten Nordischen Krieg kommentierende Flugschrift von 1659, die hier außerdem deshalb interessiert, weil sie das Thema als ein »hiebevor« aktuelles präsentiert: Es sei ja »hiebevor bey den Catholischen eine regula gewesen, Haereticis sive Evangelicis, quos catholici haereticos vocant, non esse servandam fidem: So möchte es endlich so gar contra jus retorsionis nicht lauffen, wann die Euangelischen hinwieder practicirten, Catholicos ob identitatem rationis non esse servandam fidem«. Schweden, so die dem historischen Rückblick angefügte tagesaktuelle Diagnose, wolle neuerdings diese alte »regulam« wiederbeleben, »Suecos neque Evangelicis, neque Catholicis, neque Amicis et Consanguineis servare fidem«.188 Wir werden in anderen Zusammenhängen sehen, daß die vermeintliche »regula«, gleichsam ins Völkerpsychologische gewendet und dadurch entschieden säkularisiert, noch in der Begleitpublizistik zum Holländischen 187 Also nicht etwa: die Flugschriftenliteratur! Man lernte eben aus der Geschichte, was man, entsprechend belesen, in ihr wiederzufinden erwartete. – Instruktion vom 30. September 1643, abgedr. in APW I.1, hier S. 71. 188 Das beweise die Gefangennahme des evangelischen Herzogs von Kurland, der »wider Königliche Parole und auffgerichteten Vergleich, gantz ungewarneter Dinge bey nächtlicher weile in seiner Residentz überfallen« wurde: [anonym], Ein Privat-Schreiben, Welches ein guter Freund von dem andern inständig begehrt hat ..., »Wahrburg« 1659, fol. M2. Die Verhaftung des Herzogs von Kurland durch schwedische Truppen am 19. September 1658 war in den Jahren 1659/60 Gegenstand lebhafter publizistischer Debatten. Der schwedische Trick hierbei weckte nicht viel Wohlgefallen: Man erwirkte die Erlaubnis zu einem vermeintlichen Krankentransport unmittelbar am Mitauer Schloß vorbei, die »Kranken« entstiegen flugs ihren Schiffen und erstürmen das nicht verteidigungsbereite Schloß, die herzogliche Familie wurde nach Riga abgeführt.

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Krieg nachhallte. Sie war nun freilich längst kein publizistisches Hauptmotiv mehr. Seine Hochkonjunktur hatte der – damals fast schon gewohnheitsmäßige – Vorwurf, der (häufig katholische, immer konfessionell definierte) Gegner achte nicht »trew und glauben«, in den Jahrzehnten um und nach 1600. Gewiß wurde und wird zu allen Zeiten darüber geklagt, daß Verträge zwischen Regierungen von dieser oder jener Seite nicht genau eingehalten würden 189 und daß eine durchsetzungsfähige Kontrollinstanz fehle; aber so grundsätzlich, weil in einer diskriminierenden Anthropologie (der Andersgläubige partizipiert nicht voll an der Conditio humana) verankert, kamen Bedenken gegen die Vertrauenswürdigkeit, ja, die Geschäftsfähigkeit des politischen Partners nur in den Jahrzehnten der zugespitzten konfessionellen Konfrontation daher. Ich will freilich auch auf diese Stimme hinweisen: Ein anonymer »Politischer Discurs« von 1624 argumentiert auffallend progressiv. Wer190 vom Schreibtisch aus anempfehle, sich durch ein Ketzern gegebenes Wort nicht gebunden zu fühlen, verstoße nicht nur gegen das göttliche, auch gegen das Naturrecht, »den Ketzern als von welchen das natürliche Recht nichts weiß ist Traw vnd Glaub nit gegeben, sondern den Menschen, die Fried und Einigkeit lieb haben. Vns, vns allen die wir im Römischen Reich leben, die wir einen Schöpffer der Natur haben und verehren«. Nicht um die Eindämmung oder Ausdehnung der Ketzerei müsse und könne es jetzt gehen, sondern um »die allgemeine rhu in dem Römischen Reich«, mit anderen Worten: nicht so sehr um die rechte Ordnung als um Ruhe und Ordnung überhaupt. Die Priorität politischer Ordnungsstiftung zu propagieren und praktikabel zu machen, ist ein zentrales Anliegen der frühen – und das heißt für Mitteleuropa: im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts vorgelegten – politologischen Literatur. Wir haben hier wohl den interessanten Fall einer zeitnahen Rezeption und Adaption auf andere thematische wie stilistische Zusammenhänge vor uns. Das 189 Black, Why wars happen, S. 29 zitiert aus einem interessanten Brief des britischen Gesandten im Haag, Joseph Yorke, an seinen Bruder Philip vom 26. 10. 1753: »I am clear that all treaties are useless with that power ... She holds none of them«. 190 Der – hier ist er ganz Kind seiner Zeit – unverhohlen evangelische Autor ist präziser: die Jesuiten! So: [Anonym], Politischer Discurs, Von der wichtigen und schweren Frag: Ob die Chur- vnd Reichs-Fürsten anjetzo ... Bündtnussen eingehen ... könden?, o. O. 1624 (Kursivsetzungen im Original). – Nicht ganz so eindrucksvoll, eindringlich genug, erneut nicht unmittelbar auf Pax, sondern das sie unterminierende »fides haereticis non servanda« bezogen: [anonym], Politischer Discurs, Ob sich Franckreich der Protestirenden Chur vnnd Fürsten wieder Spannien annehmen ... solle. Auß dem Frantzösischen ins Deutzsche gebracht, Berlin 1615, fol. Aiiij: die Ansicht, daß man »den Kätzern keinen Glauben halten könne oder solle«, ist »aller vernunfft vnd Religion so zu wieder, das auch die Heyden selbsten abschew darfür gehabt«, sie widerspricht den »Göttlichen vnd Weltlichen, Natürlichen vnnd aller Völcker Rechten«.

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Ordnungskonzept der »Politica« wird, natürlich in gattungsspezifisch von den gelehrten Monographien divergierendem Duktus, auf die in der Flugschriftenliteratur so beliebte, hitzig geführte Debatte »an fides haereticis servanda« appliziert. 1.2.3.5 »Die Recht sind vmb Friedens willen gemacht«. Machen Kriegserfahrungen friedfertig? Daß der nicht endenwollende Krieg seit 1618 auf allen Seiten Friedenssehnsucht geweckt hat, gehört zu den Voraussetzungen der Verhandlungslösung von 1648: Das ist unbestreitbar, wenn sich die politischen Wirkungen dieser Sehnsucht auch schwerlich exakt gewichten lassen. Nicht nur »der gemeine man« schrie in den 1640er Jahren nach Frieden.191 Spiegelt sich das auch in publizistischen Äußerungen über Krieg und Frieden wider? Es gibt dazu keinen Forschungsstand, nur divergierende beiläufige Einschätzungen.192 Mir fiel dieses Friedenslob des Langenburger Kanzleidirektors Johann Christoph Assum aus dem Jahr 1640193 auf, nicht nur seiner Ausführlichkeit wegen, nicht nur, weil es Pax und Iustitia ganz anders koppelt als das in Traktaten des Konfessionellen Zeitalters sonst üblich ist, sondern auch, weil es nicht aus theologischer Hand stammt, in einer durch und durch juristischen Abhandlung steht. Außerdem hält ihr Autor den besonderen Wert des Friedens noch nicht einmal für strittig, denn seine Friedenseloge leitet die »Evidentiales« der Rechtsschrift ein: »Das Fundament vnnd die Grundfeste aller Handlungen, 191 »In Hollandt schreiet der gemeine man umb friden«: so berichtete der kaiserliche Gesandte Volmar am 14. November 1645 aus Münster an Ferdinand III. (APW II.A.2, Nr. 293). »Alles« rufe in Schweden »Friede, Friede, Friede«, hatte schon am 24. Oktober 1635 Johan Adler Salvius an Axel Oxenstierna geschrieben (zit. bei Öhman, Schweden, S. 67). 192 Vogl, Friedensvision, S. 208 stellt beiläufig fest, »moralische Friedensermahnungen und -appelle« seien »während der gesamten Dauer des Dreißigjährigen Krieges ... quantitativ nur gering ins Gewicht« gefallen; vgl. noch S. 213. Peer Schmitt, Spanische Universalmonarchie oder »teutsche Libertet«. Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2001, S. 169 Anm. 41 ist genauso beiläufig der Ansicht, »daß der Krieg« in den von ihm untersuchten Flugschriften »durchweg negativ beurteilt« werde; doch gilt das ganz sicher nicht für alle unter denjenigen seiner Quellen, die ich ebenfalls kenne, und auch die Arbeit Schmitts bietet passim Gegenindizien bis hin zum grimmigen Kriegsaufruf. 193 Zum Folgenden: Joh[ann] Christoph Assum, Telvm Necessitatis, Pavpertatis et Impossibilitatis. Das ist: Ob nit darvor zu halten, daß deß H. Reichs Geist- vnd Weltliche Fürsten ... welche in dem ... Gericht von jhren Creditoren ... belanget werden, das Telum Necessitatis, Paupertatis et Impossibilitatis ... verzuwenden ... haben?, Schwäbisch Hall 1640, S. 11 bzw. S. 14f. Nicht speziell zu dieser Schrift, aber ihrem Autor (»eine der einflußreichen Persönlichkeiten in der Grafschaft Hohenlohe in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts«): Frank Kleinehagenbrock, Die Grafschaft Hohenlohe im Dreißigjährigen Krieg. Eine erfahrungsgeschichtliche Untersuchung zu Herrschaft und Untertanen, Stuttgart 2003, passim (Register!).

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Conventionen, Contracten vnd Commercien194, ja aller Regimenter Heyl vnnd Wolfarth bestehet, vornemlich auff dem Edlen, Lieben vnd Werthen Frieden ... Dann die liebe Gerechtigkeit, deren Band die gantze Menschliche Societät zusammen halten soll, ist ein effectus deß lieben vnnd werthen Friedens. Dahero thun sich Fried vnd Gerechtigkeit einander küssen.« Iustitia ist hier nicht Voraussetzung der Pax, eine Vorbedingung, um sich überhaupt mit dieser Dame einlassen zu können, sondern Frucht des Friedens. Für Assum war »der edle vnd werthe Fried, neben der lieben Gerechtigkeit allein das Mittel ..., wardurch die Societas humana erhalten vnd fortgepflantzt« wurde. Krieg hingegen mußte »verflucht« werden, »ja ist der Krieg ... nimmermehr so abschewlich beschrieben vnnd abgemahlet, daß dessen abschewliche effectus sich in praxi vnd der That selbst nit viel grausamer vnnd erschröcklicher theten an den tag legen«. Der Krieg gebar »cumulos injuriarum«, »das ärgste aber vnder andern auch ist dieses, daß zwischen oder vnder den Waffen die edle Justitia undergetruckt vnd begraben ligt«.195 Im 1630 vorgelegten »Florilegium politicum« Christoph Lehmanns, einer danach generationenlang vielbenützten Topoisammlung, begegnen unter »Fried« zahlreiche positiv wertende und einige unbedingt bejahende Sentenzen. Natürlich, wir finden auch die Verdammung des falschen, trügerischen Friedens ohne Wahrheit und Gerechtigkeit (»es ist besser offener Krieg als ein vermumter vngetrewer verderblicher Friedt«196) und die zeitübliche Konnotation Frieden-Faulheit: »Die Erfahrung bezeugts, das langwiriger Fried, Fürsten, Herrn vnd Underthanen, sicher, faul, weibisch197, verzagt, stoltz, wollustig vnd verthunisch [sic] macht, wie ein gut Roß das nur im Futter steht, nicht beritten vnd geübt wird, seine Tugendt vergisset.«198 Frieden mußte bewehrt sein.199 In den meisten Sen194 Es sei nicht verschwiegen, daß das später natürlich juristisch ausgebeutet wird: Mit dem notorischen Kriegsleid ist die ursprüngliche Geschäftsgrundlage entfallen, man muß überschuldete Kriegsopfer schonen. 195 Der Folgesatz läßt dann ahnen, wie dieses große Friedenslob anschließend in kleinliche Juristerei ausgemünzt wird: »Da heißt es ja freilich: Inter arma silent leges«. 196 Christoph Lehmann, Florilegium politicum. Politischer Blumengarten. Darinn außerlesene Politische Sententz, Lehren, Reguln, vnd Sprüchwörter auß Theologis, Jurisconsultis, Politicis, Historicis, Philosophis, Poëten, vnd eygener erfahrung ... in locos communes zusamen getragen, o. O. 1630, s. v. »Fried«, Sentenz Nr. 45; sie kommt ohne spezifisch theologische Terminologie aus, spricht nicht von Sünde. – Lehmann war, wiewohl Protestant, zeitweilig Rat der Trierer Kurfürsten Philipp Christoph von Sötern. Einige weitere Angaben zu ihm finden sich bei Friedrich Hermann Schubert, Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der frühen Neuzeit, Göttingen 1966, S. 145f. 197 In jenem Kapitel C, zu dem wir hier durchaus schon unterwegs sind, werden wir sehen, daß »neutralitet« häufig als »weibisch« denunziert und topisch mit »faulkeit« gleichgesetzt wurde. 198 Lehmann, Florilegium, s. v. »Fried«, Sentenz Nr. 63. 199 Vgl. beispielsweise Nr. 22; oder Nr. 40: »Friedt muß man offt mit Gewalt machen, nicht mit Worten.«

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tenzen wird er gerühmt, als begehrenswertes Gut, als recht hoher Wert. Auch als ein zentraler? Einige Aussagen muten pazifistisch an, so diese, prominent an die erste Stelle gesetzte: »1. Es ist besser vnrechter Fried, denn gerechter Krieg.«200 Oder diese Sentenz, die auch deshalb bemerkenswert ist, weil sie die biblische Reihenfolge Iustitia-Pax umwendet: »Am frieden ist mehr gelegen, dann am Recht, denn die Recht sind vmb Friedens willen gemacht.«201 Ist es bemerkenswert, daß Lehmann zum »Krieg« viel mehr Sentenzen kannte oder aufstöberte als zum »Frieden«202? Es mag gleichsam ein Seitenstück sein zur Beobachtung, daß sich Frieden wohl feierlich beschwören, aber schwerlich dramatisch verlebendigen, wohl noch schwerer mit dem Meißel plastisch machen läßt.203 Militant ist die Sentenzensammlung zum »Krieg« nicht. Wir finden hauptsächlich kriegspraktische Tips, insbesondere für den rechten Umgang mit Söldnern. Abstoßend ist für heutige Leser nur eine einzige Sentenz, und das möglicherweise zu Unrecht: »Krieg ist Gottes Besem, damit er Land vnd Leut außfegt.«204 Das mutet bellizistisch an, vergleichbar dem abgeschmackten Bild 200 Vgl. zu dieser auch sonst begegnenden Sentenz (Lehmann will ja nicht originell sein) schon oben Anmm. 115f. Bei Georg Henisch (Teütsche Sprach vnd Weißheit. Thesaurus linguae et sapientiae Germanicae ..., Augsburg 1616, Sp. 1241) liest man: »Der vnrichtigste frid ist besser denn der gerechteste Krieg«. Fundstellen in Spruchsammlungen des 19. Jahrhunderts nennt Karl Friedrich Wander (Hg.), Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk, Bd. 1, Ndr. der Ausgabe Leipzig 1867, Kettwig 1987, s. v. Friede, Nr. 110 (Sp. 1210). 201 Lehmann, Florilegium, s. v. »Fried«, Sentenz Nr. 56. 202 Der Hinweis auf die jeweiligen Seitenzahlen mag genügen: »Fried« S. 212–216, »Krieg« S. 432–446. 203 Natürlich gibt es unzählige Versuche, den Frieden ins Bild zu setzen, aber so sehr wir Heutige den Frieden schätzen: spricht uns auch nur ein einziges von diesen Bildern an? Läßt sich auch nur ein einziges qualitativ den »Misères et Malheurs de la guerre« Jacques Callots an die Seite stellen? Frieden ist langweilig, ästhetisch ist er ganz unergiebig. 204 Lehmann, Florilegium, s. v. »Krieg«, Sentenz Nr. 4. Gewissermaßen ›kriegsfreundlich‹ (aber den Frieden anvisierend, insofern keinesfalls bellizistisch!) ist daneben allenfalls noch diese Sentenz: »139. Wer einen guten krieg führet, der hat guten fried.« – Konrad Dieterich, Das Buch der Weißheit. In unterschiedlichen Predigten erkläret und ausgelegt ..., Ander Teil ..., Nürnberg 1657, S. 241: »Und ist also der Krieg unseres HERRN GOTTes Fegfeuer und Kehrbesen, dardurch die Welt von bösen Buben gesäubert wird. Item GOTTes PurgierTranck«. Die Predigten des Ulmer Superintendenten sind wesentlich durch Kriegserfahrungen geprägt, als (da noch jüngeren) Verfasser militanter Flugschriften werden wir ihn weiter unten kennenlernen (siehe Kapitel A.2.1.3). Allgemein zum Lutheraner Dieterich: Monika Hagenmaier, Predigt und Policey. Der gesellschaftspolitische Diskurs zwischen Kirche und Obrigkeit in Ulm 1614–1639, Baden-Baden 1989, S. 115; sowie zuletzt Gregor Horstkemper, Zwischen Bündniszielen und Eigeninteressen – Grenzen konfessioneller Solidarität in der protestantischen Union, in: Friedrich Beiderbeck/Gregor Horstkemper/ Winfried Schulze (Hgg.), Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, Berlin 2003, S. 227.

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vom reinigenden Stahlbad des Krieges, aber es kommt wohl mehr als auf die reinigende Wirkung des Besens auf den göttlichen Griff an: vielleicht nur eine Umschreibung der volkstümlichen Ansicht, Krieg sei das Strafgericht Gottes205 über die sündige Menschheit? Eine Reihe von Sentenzen lehnt den Krieg grundsätzlich ab: »Alles Vnglück ist im krieg«, »Krieg wird von heyllosen Leuten gemacht«, »Krieg verzehret, was fried bescheret«206. »Ein Teuffel krieget nicht wider den andern. Aber Christen wider Christen, darvor sich doch die Teuffel hüten.« Daneben finden wir – dulce bellum inexpertis! – diese Vermutung: »Zu Kriegen haben lust, die es nicht haben versucht.«207 Außerdem kolportiert Lehmann das: »Krieg ist bald gemacht, aber langsam geendet.«208 Diesen Erfahrungsschatz transportieren zahlreiche frühneuzeitliche Texte ganz unterschiedlicher Machart, ich stieß noch bei meinen Sondierungen in der Begleitpublizistik zum Holländischen Krieg darauf.209 Man konnte aber auch schon so formulieren, ehe man 205 Vgl. Anton Schindling, Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Erfahrungsgeschichte und Konfessionalisierung, in: ders./Matthias Asche (Hgg.), Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Münster 2001, S. 11–53, speziell zur Auffassung vom Krieg als einer Strafe oder Prüfung Gottes: S. 44–46. – Wörtlich, als festgeprägte Formel, begegnet die Gleichsetzung Krieg = Strafgericht Gottes in der Pamphletistik des Konfessionellen Zeitalters kaum, es war keiner der in dieser Textgattung grassierenden Topoi. Immerhin, eine Marginalie in [anonym], Wohlgemeinte Rettung, auf S. 64 weiß: »Krieg ist eine grausame strafe Gottes«. Vgl. noch unten S. 227 mit Anm. 464. 206 Dieser Spruch begegnet so und ähnlich dutzendfach, ich verweise nur auf Wander, Sprichwörter-Lexikon, Bd. 2, s. v. Krieg, Nr. 41 und Nr. 161, vgl. auch Nr. 36 (Sp. 1618 bzw. Sp. 1624). Häufig hieß es auch »Frieden ernährt, Unfrieden verzehrt«: Wander, Sprichwörter-Lexikon, Bd. 1, s. v. Friede, Nr. 56 sowie (plattdeutsch) Nr. 47 (Sp. 1207f.). In Petris Spruchsammlung von 1605, auf die ich gleich zu sprechen komme, steht es so: »Fried nehret, vnfried verzehret«. Nur orthographisch abweichend Henisch, Teütsche Sprach, S. v. »Vnfried« (Sp. 1240): »Frid nehret, vnfrid verzehret«. 207 Lehmann, Florilegium, s. v. »Krieg«, Sentenzen Nr. 22, 19, 117, 30, 99. 208 Sentenz Nr. 110, vgl. noch Sentenz Nr. 111: »Harnisch kan man nicht so bald auß, alß anziehen«. 209 Ich nenne nur [anonym], Gespräch über das Interesse Deß Englischen Staats, Darinnen klärlich gezeiget wird, wie schädlich es vor das Königreich Engelland seye, mit Franckreich ... sich zu verbinden ..., o. O. 1674, wiederabgedr. unter den Appendices zum 28. Bd. des »Diarium Europaeum«, S. 313–360, hier S. 318: Man hat wieder einmal erfahren, »daß man viel leichter einen Krieg kan beginnen, als solchen mit Ehren zu Ende bringen«. [Anonym], Wahrsagerischer Welt-Spiegel, Seiner Königlichen Majest. in Franckreich, statt einer Antwort heimgeschicket ..., o. O. [1674] (wiederabgedr. im 29. Bd. des »Diarium Europaeum«: Appendix, S. 257–280 [doch nicht kontinuierlich durchpaginiert]) ergänzt das Diktum so (S. 260f.): »... dann gleichwie man sich leichtlich in einen Brunnen herunter lassen, aber nicht mit gleicher Leichte wieder herauff ziehen kan; Also auch kan öffters ein Unkluger einen Krieg anheben, aber nicht niederlegen«. – Ohne vormoderne Belege bietet Wander, Sprichwörter-Lexikon, Bd. 2, s. v. Krieg, Nr. 55 (Sp. 1619) das: »Ein Krieg ist leicht begon-

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den lehrreichen Vergleich zwischen dem abrupten Sturz von einem Fenster des Hradschin und den langwierigen westfälischen Friedensverhandlungen ziehen konnte! »Krieg ist bald gemacht, aber langsam geendet«: das wußte nämlich bereits Georg Lauterbeck210, werden alle möglichen Traktate der Vorkriegszeit 211 und aus dreißig Kriegsjahren wissen212 sowie kurz danach, in Verse gegossen, Sigmund von Birken.213 Ob es auch Maximilian von Bayern gewußt hat? Seinem Nachfolger jedenfalls ließ er das aufschreiben: »Der Krieg ist in einem Augenblickh angefangen, aber gar schwer und langsamb zu endt gebracht«.214 Lehmanns Florilegium politicum, ein Kind seiner kriegsmüden Zeit? Es stellen sich dann doch wieder Bedenken ein. Schaut man nach, was Friedrich Petri 1605 in seiner anspruchslosen Sammlung von »sittigen Sprüchen und Sprichwörtern«215 bei F wie Frieden und bei K wie Krieg aneinanderreiht, fällt quantitativer Gleichstand auf und qualitativ der größte denkbare Kontrast. Bis auf eine 216 bezeichnende Ausnahme (Pax und Iustitia: »Fried ohn Warheit ist nur Gifft«) sind die Einträge zum Frieden positiv, bis auf eine ähnlich bezeichnende (das reinigende Strafgericht Gottes: »Krieg vnd Pestilentz ist ein seuberung der Welt«) die zum Krieg negativ konnotiert: »Fried bringet alles gut, vnd ist besser als Krieg«, aber, unter K: »Kriegen war nie so gut, fried halten war besser«.217 Dann will ja eine Sentenzensammlung gar nicht aktuell sein, sie schreibt das vermeintlich zeitlos

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nen, schwer geführt und langsam geendet« – mit russischen, dänischen und schwedischen Entsprechungen! Er wiederum fand es bei Sallust (De bello Jugurthino 83, 1, 12 – »omne bellum facile sumitur, caeterum egerrime definitur«). Vgl. Lauterbeck, Regentenbuch, fol. 45 (recht blaß): »Der Krieg ist bald anzufahen, aber schwer auszufüren. Vnd stehen nicht in gleicher macht, der anfang, vnd das ende des Krieges«. Vgl. nur [anonym], Wolmeinender, warhaffter Discurs, S. 12: »Vnd ist zwar ein Krieg leichtlich angefangen, aber nicht so bald, vnd wenn man wil, zuendigen.« Sogar die militant calvinistischen »Gesprächen und Discursen« von 1632 – »Hans« erklärt, daß es »vns leicht ankommt, Krieg anzufangen, aber schwär, zu endigen«. Vgl. Sigmund von Birken (»Sigismund Betulius«), Krieges- und Friedensbildung ..., Nürnberg 1649, §34, Verse 178f.: »Du kanst bald Waffen nemen/ hinlegen nicht sobald ...« Deutsche Fassung der Erziehungsrichtlinien Maximilians I. für den Nachfolger von 1639 (»Vätterliche Ermahnung Maximiliani ...«), abgedr. bei Duchhardt, Politische Testamente, S. 119–135, hier S. 135. Zum Folgenden: M. Fridericus Petri, Der Teutschen Weissheit, Das ist: außerlesen kurtze, sinnreiche, lehrhaffte vnd sittige Sprüche und Sprichwörter ... wie man sie im gemeinen Brauch hat, oder in gelehrter Leut Büchern findet, Hamburg 1605, bei »F« (hier fol. Ee) und bei »K« (hier fol. Mm). Ratlos macht mich allerdings dieser Zufallsfund an anderer Stelle (Petri reiht seine sittigen Sprüche auf Hunderten von Seiten, ohne jeden Versuch einer inhaltlichen Gliederung, nach dem Anfangsbuchstaben des ersten Wortes – auch wenn es sich dabei beispielsweise um eine Präposition handelt), nämlich unter »J« : »Jm Friede ist der Christen Trawrigkeit am grössesten«. »Bellum dulce inexpertis« heißt bei Petri auf deutsch so: »Krieg ist listig [sic] den vnerfarnen«, dann auch: »Krieg ist ein lust, Dem, ders nicht wust«.

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Gültige fort, und weil schwer zu entscheiden ist, ob Christoph Lehmann eben präsentierte, was er irgend aufstöbern konnte, inwiefern eigene Wertungen den Sammlerblick steuerten, gar »eygene erfahrung«218 in Sentenzen verdichtet wurde, läßt sich die Frage nach einer eventuellen Höherbewertung des Friedens seit den 1630er Jahren nicht im »Politischen Blumengarten« beantworten. Sie läßt sich auch nicht durch noch so eindrucksvolle einzelne Blütenfunde anderswo beantworten, aber präsentieren will ich solche wenigstens: »Ich sehe diesen Krieg an, nicht wie er zufälliger weise, gut, sondern wie er für vnd an sich selbst, Sünde ist, vnd die allergrösseste Missethat ... Ich sehe jhn an, wie meinen abgesagten Feind, vnnd einen Widersacher Gottes«. Das wurde 1640 publiziert.219 Vier Jahre danach hieß es: Frieden ist »das höchste gut«, der »vrsprung aller wolthaten, in disser welt«.220 Das hatte diese Generation schmerzvoll lernen müssen. 1.2.3.6 Ausblicke Läßt sie sich nun en détail nachzeichnen, die Verlaufskurve der Wertschätzung des Friedens? Hierfür können wir zu vieles vorerst nur abschätzen. Freilich, auf einige Plausibilitäten stießen wir schon. Viele humanistische Stimmen wollten sich nicht mehr mit der vermeintlichen mittelalterlichen Gewißheit abfinden, daß das Zusammenleben der Menschen eben nun einmal unabweislich von unterschiedlichen Graden alltäglicher Gewalttätigkeit, von vielen kleinen und manchen großen Fehden (letztere wird die Neuzeit Kriege nennen) beeinträchtigt werde. Ging das späte Mittelalter, fast immer beiläufig, ja lakonisch221 davon aus, daß Hader und Gewalt eben zur Conditio humana gehörten, weshalb langwährender Frieden seit der Vertreibung aus dem Paradies billig nicht mehr erwartet werden durfte, neigten manche Humanisten beim Thema Frieden zu Grundsatzerklärungen. Wiewohl die Pax nicht zu den Lieblingsthemen des humanistischen Diskurses gehörte, äußerten sich nun doch viel mehr Stimmen ausführlich dazu als vordem. Der Chor 218 Ich spiele auf den Untertitel an, vgl. Anm. 196. 219 »Paris von dem Werder«, Friedens-Rede ..., Hamburg 1640, fol. Di. Frieden ist »der Natur gemäß«, gottgefällig wie »nützlich vnd ersprießlich«. »Es entstehet jmmer ein Krieg auß dem andern, es zeucht jmmer eine Rache die ander nach sich«. 220 [Anonym], Trewhertzige Vermahnung, Worinnen viel Denckwürdige vnd Politische Considerationes ... begriffen ..., o. O. 1644, fol. 8. Der bei solchen Flugschriften immer mit einzurechnende aktuelle politische Kontext, die nächstliegende Wirkungsabsicht, sie sind hier überdeutlich: Der unbekannte Autor wirbt für einen Waffenstillstand zwischen den Generalstaaten und Spanien. – Nach dem Frieden verlangen »alle Menschen nach ihrer angebohrnen Gemüths-Neigung«: der anonyme Autor der »Gedancken Uber der Schweden Einfall in Teutschland, Und zwar vornehmlich In die Churfl. Brandenburg. Provintzen, Marck und Pommern« (o. O. 1675, fol. Ciij) hängt einem friedfertigen Menschenbild an. Ich habe die Publizistik der 1670er Jahre aber nicht systematisch nach ihren Urteilen zum ›Frieden an sich‹ durchforstet. 221 Jedenfalls ergaben das ja philologische Sondierungen, beispielsweise von Sonja Kerth.

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einschlägiger Stellungnahmen schwoll also an, wurde aber nicht unisono friedfertiger, sondern vielstimmiger. Alles in allem scheint der Frieden am Vorabend der europäischen Konfessionskriege, um den ohnehin erst in seinen Umrissen faßbaren Sachverhalt einmal salopp zusammenzufassen, schon eine bessere Presse als vordem gehabt zu haben. Unzweifelhaft (endlich eine, wenn auch aus heutiger Warte traurige Gewißheit!) hat sich das dann ziemlich abrupt geändert. Denn zahllose Stimmen verlästerten Frau Pax im Konfessionellen Zeitalter als sündhaft – Frieden über jene weltanschauliche Gräben hinweg, entlang derer sich nun auch die außenpolitischen Beziehungen sortierten, sei Ausdruck politischer Hybris und anthropologisch verfehlt, deshalb trügerisch, zumal aber keinesfalls gottgefällig. Wie Frieden im Konfessionellen Zeitalter konnotiert wurde, werden wir noch besser verstehen, wenn wir die Mutation des Bellum iustum zum Bellum necessarium, des Gerechten Krieges zum Holy War fokussieren, und das nächste, dem Krieg gewidmete Kapitel wird denn auch prägnantere Entwicklungstrends nachzeichnen können, als dies auf den letzten Seiten möglich war. Doch schon da blieb ja in dieser einen Hinsicht kein Zweifel: Die Rede über Krieg und Frieden erfuhr eine theologische Wiederaufladung, und Frau Pax wurde anrüchig. Wiederum weniger sicher ist, ob die Kriegsemphase, ihr entsprechend die Verlästerung übereilter Friedfertigkeit schon vor dem Ende des Zeitalters der Glaubenskriege ihre Peripetie erreichten. Daß die Generationen danach ihre (aus heutiger Sicht auch zweifelhaften) Lehren aus dem Elend der Konfessionskriege ziehen werden, ist evident: Krieg wie Frieden werden von Gerechtigkeitskriterien entkoppelt, Pax schrumpft ein auf Ruhe und Ordnung. Schon die bloße Abwesenheit physischer Gewalt wird nun als fraglos hoher Wert akzeptiert. Aber als Höchstwert, wie wir das heute für selbstverständlich halten? Auch die Bellizität der zweiten Hälfte der Frühen Neuzeit wird hoch sein. Oder erklomm der Kurswert des Friedens doch just nach den Westfälischen Verhandlungen seine Hausse? Die Leser eines für die beiden modernen Jahrhunderte gelungenen Versuchs, »Krieg und Frieden« in die Merksatzsprache eines Studienbuchs zu bannen, könnten zu diesem Schluß kommen. Der Autor des Büchleins, Edgar Wolfrum, weist nämlich darauf hin, daß Jörg Fisch in seiner monumental materialreichen Monographie über »Grundlagen und Formelemente des Friedensschlusses« herausbekommen habe, es sei »seit 1648 in den Verträgen von einer ›ewigen‹ Dauer des Friedens die Rede« – was keinesfalls »belanglose Floskel« sei, vielmehr eine »Höherbewertung von Frieden« anzeige.222 Vertieft man sich in Fischs Untersuchung gedruckter Friedensverträge, merkt man freilich, daß schon die spätmittelalterlichen, »größtenteils explizit«, ewig galten; auch die während der ersten Hälfte der Frühen Neuzeit geschlossenen wollten »ohne Ausnahme« 222 Edgar Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003, S. 40.

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ewig währen, verloren allerdings nicht immer viele Worte darüber.223 So prägnant ist der Kontrast zur rhetorikfreudigen Barockzeit also nicht. In einer seiner (sparsam) eingestreuten »Interpretationen« mutmaßt Fisch, es sei die »Voraussetzung des ewigen Friedensschlusses überhaupt«, daß »der Friede ... zum Zeitpunkt des Friedensschlusses absolut höher bewertet« werde »als der Krieg; dieser darf für alle Zukunft keine mögliche Alternative zum Frieden darstellen«. Fisch ergänzt diese Deutung durch die kryptische Feststellung, die beteiligten Politiker hätten das womöglich subjektiv (!) ganz anders empfunden, »sie mögen teilweise vom Gegenteil überzeugt sein – für das Verhältnis der Vertragspartner zueinander aber müssen objektiv (!) solche Bewertungen vorausgesetzt werden«.224 Oder walteten einfach gattungsspezifische rhetorische Traditionen? Was wäre denn die Alternative gewesen? Ein befristeter Friedensvertrag ist keiner, sondern Waffenstillstand. Ein Friedensvertrag kündigt nicht den nächsten Krieg an, selbst wenn dieser längst feststeht, andernfalls hätten seine Autoren ihr Thema verfehlt. Ein Friedensvertrag terminiert per definitionem nicht das Ende des Friedens. Könnte nicht auch eine banale Gattungsspezifik diese insofern wenig erstaunliche Entdeckung Fischs erklären: »Der Friede wird ausschließlich positiv, der Krieg ausschließlich negativ gesehen«225? Es ist gewiß nicht uninteressant, daß der unbefristete Frieden keiner näheren Begründung bedurfte, während sich die Autoren von Kriegsmanifesten auf bestimmte Kriegsgründe festlegen mußten, besser gesagt: immerhin entscheiden mußten, welche der längst vorgeprägten Begründungen sie aus dem reichhaltigen Arsenal solcher rhetorischer Versatzstücke auswählten. Aber ob wir derartigen Verträgen mit ihrer recht stabilen gattungsspezifischen rhetorischen Tradition eine womöglich volatile Konjunturkurve der Wertschätzung des Friedens ablesen können? Und ob sie uns mehr über die Wertmaßstäbe der Entscheidungsträger oder aber über ihre Einschätzung der Erwartungshaltung des gebildeten Publikums sagen? Die Aussagekraft von Vertragstexten für die Fragestellungen dieses Kapitels ist leider sehr begrenzt. Natürlich macht das die Analyse solcher Texte – die den forschungsstrategischen Vorteil bieten, größtenteils gedruckt vorzuliegen – keineswegs obsolet. Zuletzt glaubte Randall Lesaffer eine interessante Neuentwicklung in 223 Jörg Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag. Eine universalgeschichtliche Studie über Grundlagen und Formelemente des Friedensschlusses, Stuttgart 1979; die Zitate: S. 353 und S. 355; es könnte irritieren, daß Fisch dann auf S. 361 formuliert, zwischen 1648 und 1794 habe »die Zahl der Verträge mit expliziter Ewigkeitsbestimmung ... stark« zugenommen. – Wie ungenau eine solche »universalgeschichtliche« Studie vielleicht sein muß, illustriert diese Beobachtung: Fisch subsumiert – und interpretiert vor diesem Hintergrund! – den Nürnberger Anstand von 1532 (einen Waffenstillstand, eines der zahlreichen Provisorien der deutschen Reformationsgeschichte, denen erst 1555 ein Religionsfrieden folgen wird!) als »Friedensvertrag«. 224 Fisch, Friedensvertrag, S. 421. 225 Ebda., S. 503.

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Allianzverträgen entdeckt zu haben: »Many of the later seventeenth and eighteenth century alliances stipulated that before giving military aid to its ally, a state had the right to try reaching a peaceful solution between its ally and the enemy ... this clause implied that states [also die maßgeblichen Außenpolitiker, die öffentliche Meinung?] considered war to be the very ultimate resource«.226 Wuchs demnach die Wertschätzung des Friedens in der zweiten Hälfte der Frühen Neuzeit, wurde der Krieg von den Entscheidungsträgern mehr als zuvor perhorresziert? Etwa auch von jenen absolutistischen Fürsten, die ihrer »gloire« nachjagten, ihr »Rendez-vous des Ruhms« suchten? Wurde nicht im Gegenteil der Glaube als Kriegsmotor vom säkularen, aber nach heutigen Begriffen keinesfalls rationaleren Kriegsmotiv der »Ehre« zeitweise sogar überkompensiert?227 Ein Kenner der nachwestfälischen Jahrzehnte hat 1991 konstatiert: »Welchen Stellenwert die Idee des Friedens und der Konfliktverhütung als Kategorie des politischen Denkens bei den einzelnen Entscheidungsträgern der Epoche einnahm, ist eine Frage, die erst im einzelnen untersucht werden müßte.«228 Dem ist noch immer so. Könige und Fürsten; Hofräte und Berufsdiplomaten im Außendienst; schreibende Juristen, Theologen, Dichter; lesende und nicht alphabetisierte Volksmassen: man müßte erst einmal viele Verlaufskurven der Wertschätzung des Friedens zu eruieren, dann zu synchronisieren versuchen. Wir sind noch sehr weit davon entfernt, die Einschätzung »des Friedens« durch »die Vormoderne« triftig resümieren zu können.

1.3 Gilt Frieden als Normalzustand? 1.3.1 Der offizielle und der subjektive Kriegszustand »Angesichts der Tatsache, dass Kriege statistisch gesehen relativ seltene Ereignisse sind, mutet das Ausmaß und der technische Aufwand quantitativer Forschungsanstrengungen ... etwas eigentümlich an«229, fand vor einigen Jahren in 226 Randall Lesaffer, Peace, Interstate Friendship and the Emergence of the ius publicum Europaeum, in: Ronald G. Asch/Wulf Eckart Voß/ Martin Wrede (Hgg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt, München 2001, S. 101. 227 Ich gehe solchen hier nur chiffrenhaft angedeuteten Fragen gleich in meinem Kriegskapitel noch nach. 228 Leopold Auer, Konfliktverhütung und Sicherheit. Versuche zwischenstaatlicher Friedenswahrung in Europa zwischen den Friedensschlüssen von Oliva und Aachen 1660–1668, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln/Wien 1991, S. 181. 229 Klaus Schlichte, Neues über den Krieg? Einige Anmerkungen zum Stand der Kriegsforschung in den Internationalen Beziehungen, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 9 (2002), S. 116.

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Deutschlands politikwissenschaftlichem Zentralorgan für außenpolitische Fragen Klaus Schlichte. Tatsächlich kann man sich über den statistischen Tick der angelsächsischen Kriegsursachenforschung230 trefflich amüsieren, weil sie außer Erbsen auch noch Äpfel und Birnen zu Strichen abstrahiert, um ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen zu können: nämlich zu zählen. Wie lang die Strichliste wird231, hängt von je und je sehr verschiedenen Kriegsvorstellungen ab und davon, was die Buchhalter mindestens vom Frieden erwarten. Aber »seltene Ereignisse« sind Kriege nicht einmal dann gewesen, wenn man (wie fast alle Politologen) die Weltgeschichte 1648 anheben läßt. Noch nicht einmal der Präsens rettet die eingangs zitierte Behauptung, die nicht deshalb richtiger wird, weil Afrika selten in der Tagesschau auftaucht. Gewiß, für einen heutigen Mitteleuropäer ist Krieg die seltene, ja, die kaum mehr vorstellbare Störung des friedlichen Normalzustands: ein Worst Case, ein Größter Anzunehmender Unfall, unwahrscheinlicher (und deshalb die Phantasie der meisten Menschen weniger beschäftigend) als die Explosion eines Atomkraftwerks. Die meisten vormodernen Menschen machten persönliche Kriegserfahrungen. Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt gab den Nachgeborenen testamentarisch für den Fall, daß sie Kriegsdienste suchen sollten, diesen Tip: Bei den Habsburgern, da würden sie »allezeit« fündig, »gestalt dasselbe große Hauß, seiner von Gott verliehenen villfaltigen Königreich unnd Lande halbern, fast niemals ohne Kriege ist«.232 Konrad Repgen schätzt, daß Europa in der Frühen Neuzeit rund 200 kriegerische Konflikte durchgemacht habe233, und Quincy Wrights klassische »Study of War« kommt zu diesem Schluß: »In the sixteenth and seventeenth centuries the major European states were formally at war about 65 per cent of the time«.234 Nach offiziellen Kriegserklärungen und nach Staaten berechnet, überwogen also Kriegsjahre deutlich Friedenszeiten. Freilich waren die subjektiv wichtigen Bezugsräume der meisten frühneuzeitlichen Menschen viel kleiner als heute.235 So, wie Hungersnöte vor dem Auf230 Daß ich manche Züge dieser quantitativen Makroforschung mit ihrem Hang zur Mathematisierung aller Beobachtungsgegenstände für problematisch halte, mache ich an anderer Stelle deutlich: siehe unten S. 281f. 231 Man betrachte nur einmal die unterschiedlichen Ergebnisse bei Evan Luard, War in International Society. A Study in International Sociology, London 1986, vor allem S. 5ff. und S. 421ff. 232 Testament vom 6. Oktober 1625, Abdr.: Hermann Schulze, Die Hausgesetze, Bd. 2, S. 90– 100, hier S. 99. 233 Konrad Repgen, Krieg und Kriegstypen, in: ders., Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Frieden. Studien und Quellen, Paderborn/München/Wien/Zürich 1998, S. 12. 234 Quincy Wright, A Study of War, 2. Aufl. Chicago/London 1965, S. 235. 235 Vgl. Axel Gotthard, Vormoderne Lebensräume. Annäherungsversuch an die Heimaten des frühneuzeitlichen Mitteleuropäers, in: Historische Zeitschrift 276 (2003), S. 37–73; ders., In der Ferne. Die Wahrnehmung des Raums in der Vormoderne, Frankfurt/New York 2007.

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kommen moderner Transportmittel häufig etwas sehr kleinräumiges gewesen sind, konnte auch der subjektive Kriegszustand am nächsten Bergrücken enden. Frühneuzeitliche Grenzerfahrungen waren von unseren ja schon wegen des divergierenden Reisetempos sehr verschieden, und die militärische Mobilität der Frühen Neuzeit unterschied sich von der modernen noch eklatanter als die zivile: denn die damaligen Söldnerheere mit ihrem riesigen Troß bewegten sich besonders langsam. Wer gerade ohne Kriegseinwirkungen lebte, mußte nicht ständig damit rechnen, daß sich das in der nächsten Minute (beispielsweise eines Bombergeschwaders wegen) womöglich schlagartig änderte. Doch wird sich Kriegsfurcht sogar bei einfachen Menschen, die keine Zeitungen lasen, auch aus Quellen gespeist haben, die außerhalb des glücklicherweise gerade befriedeten Kirchturmshorizonts lagen. Krieg hatte damals nichts Exzeptionelles an sich. Dieses Kapitel will nicht zuvörderst nach dem Warum, nach objektiven Rahmenbedingungen, nach strukturellen Kriegsursachen schürfen. Nicht, daß sich hier etwa keine Fragen mehr aufdrängten! Die bekannte These Ekkehart Krippendorffs236, wonach der Krieg in unauflöslicher Verschwisterung mit »dem Staat« die welthistorische Bühne betreten habe, ist nicht geeignet, die besonders hohe Bellizität gerade des 16. und 17. Jahrhunderts zu erklären, denn Krippendorffs Verwendung des Terminus »Staat« ist so unspezifisch, daß sie alle Formen organisierter politischer Machtausübung, beispielsweise auch im Mittelalter, mühelos mit umgreift; überhaupt unterlaufen dem in den 1980er Jahren vielgelesenen Text meines Erachtens so viele Denkunschärfen und Zirkelschlüsse, daß er für den Frühneuzeithistoriker noch nicht einmal anregend zu wirken vermag.237 236 Zum Folgenden: Ekkehart Krippendorff, Staat und Krieg. Die historische Logik politischer Unvernunft, Frankfurt 1985. 237 Vielleicht sollte ich wenigstens in einer Fußnote einige meiner Bedenken andeuten: Krippendorff koppelt seine Definition von »Krieg« so eng an das Vorhandensein von »Staat« und umgekehrt, daß all seine auf den ersten Blick keck wirkenden, übrigens natürlich gutgemeinten Thesen und friedenspolitischen Empfehlungen tatsächlich tautologischen Charakter haben. Krippendorff sieht »Staat« wie »Krieg« in seinem weniger historiographisch denn therapeutisch gemeinten Buch als häßliche Folgeerscheinungen von Arbeitsteilung – primitive Gesellschaften mögen unaufhörlich aufeinander eindreschen, weil sie weder festinstitutionalisierte politische Regime noch Kriegsspezialisten, also Berufsmilitärs kennen, führen sie dabei keine »Kriege«. Letzteres würde der Frühneuzeithistoriker, der Kriege von Fehden abzugrenzen sucht, sicher auch so sehen, nur, wo ist der tages­aktuelle Profit? Wollen wir, um »Kriegen« strictu sensu auszuweichen, mehr Gewalttätigkeit hinnehmen, alltägliche Gewalttätigkeit, Stammesfehden und blutigen Sippschaftsstreit? Nicht nur Politiker, auch Denker aller Schattierungen haben in der Hege und Kanalisierung der notorischen Fehden und Querelen des Mittelalters, hin zu allmählich (die Langsamkeit dieses Prozesses ist es, die die Forschung noch besser erklären muß!) häufiger werdenden Friedenszeiten, in denen die Waffen wirklich flächendeckend schweigen, unter Inkaufnahme gelegentlicher Eruptionen namens Krieg als Fortschritt gesehen. Sollen wir, wenn Krieg aus Arbeitsteilung und Spezialisierung fließt, beides wieder abschaffen, am besten auch

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Das gilt ganz gewiß nicht für den Versuch, die frühneuzeitliche Bellizität mit einem bestimmten Stadium gerade allenthalben in Europa durchlaufener Staatlichkeit zu erklären und eine Häufung von »Staatsbildungskriegen« zu konstatieren, restlos vermag aber auch dieser Ansatz nicht zu überzeugen238 – doch soll das, wie gesagt, hier nicht ausdiskutiert werden. Kapitel A.3.2 wird strukturelle Rahmenbedingungen der frühneuzeitlichen Bellizität vermessen (und mit ihren konzeptionellen Voraussetzungen befassen sich ja fast alle Kapitel dieses Buches). Auf den folgenden Seiten aber soll es nicht, jedenfalls nicht vordergründig, um Kriegsursachenforschung gehen, sondern um die Folgelasten der nun einmal gegebenen Kriegshäufung für die mentalen Haushalte der Betroffenen. War Krieg im Empfinden früherer Generationen der Normalzustand? Erlebten sie Frieden als seltene, erfahrungsgemäß rasch vorübergehende Ausnahme? Der Mediävist Reinhard Härtel hat einmal beiläufig die Einschätzung geäußert, im Mittelalter sei »offenbar der Kampf als der ›Normalzustand‹ angesehen« worden.239 Und in der Frühen Neuzeit? Nahmen die Menschen damals längere Friedenszeiten wortkarg als das ihnen selbstverständlich Zustehende, oder brachen sie dann in nicht endenwollenden Jubel über besonders günstige Lebensumstände aus? Weil sich Glücksgefühle, vermutlich epochenunabhängig, nicht als psychischer Normalzustand stabilisieren lassen, weil Euphorie nicht auf gleich noch (womöglich zu verteidigenden) Landbesitz? Natürlich, wir hätten dann keine Politiker und Militärs mehr, die »Kriege« führen könnten! Was uns von »kriegslosen« Zeiten bzw. Völkern trennt, ist aber nicht nur unsere Arbeitsorganisation, sind auch deren technologische Errungenschaften, ist damit das Vernichtungspotential. Muß also auch jegliche Technik verboten werden? 238 Ich spiele auf den Vorschlag von Johannes Burkhardt an, die hohe Bellizität des 17. Jahrhunderts dem Kriegstypus »Staatsbildungskrieg« anzulasten, insbesondere sei der »Krieg aller Kriege«, der Dreißigjährige, am besten als solcher zu verstehen: Burkhardt, Dreißigjähriger Krieg. Ich veröffentlichte vor einigen Jahren, eher beiläufig, einige kritische Anfragen an dieses Konzept, vgl. oben Anm. 137. Zu meinen Nebenargumenten gehörte damals übrigens die Bemerkung, daß um die Hegemonie über einen größeren Raum einerseits, den Behauptungswillen regionaler Separatismen zum anderen in der Weltgeschichte häufig gekämpft wurde und wird – diese Kriegsgründe seien so universell virulent, daß sie wenig mit dem spezifischen Zustand der Staatlichkeit im 17. Jahrhundert zu tun haben könnten; genau das aber suggeriert Burkhardt, er will ja die hohe »Bellizität« speziell dieses Zeitraums erklären. Ich kannte damals noch nicht die Ansicht Klaus Gantzels, die er als Überzeugung der ganzen Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung AKUF vorträgt, wonach »der größte Teil der Kriege seit 1945« Problemen der »Staatsbildung« erwachsen sei: Klaus Jürgen Gantzel, Kriegsursachen – Tendenzen und Perspektiven, in: Ethik und Sozialwissenschaften 8 (1997), S. 257–266. 239 Härtel, Friede, S. 559. Rolf Sprandel äußerte sich etwas ausführlicher, doch zweifelnd: Es sei »schwierig ..., die Anfänge einer Sprechweise zu ermitteln, aus der erkennbar wird, daß nicht Gewalttätigkeit, sondern Friedlichkeit als Normalverhalten angesehen wird, daß nicht der Frieden nur auf einer besonderen Vereinbarung beruht, sondern Gewaltausübung nur in engen Grenzen legitimiert ist« (Sprandel, Gewaltanwendung, S. 69).

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Dauer gestellt werden kann, dürfte diese Frage weiterführend sein: Klagten die damaligen Menschen in nie endenwollendem Gram, wenn sie über längere Zeit Kriegsfolgen beeinträchtigten – weil das ihre Lebenserwartungen durchkreuzte, weil es ihren Vorstellungen vom Normalmaß menschlichen Glücks Hohn sprach, weil es konterkarierte, was man billigerweise vom diesseitigen Leben verlangen durfte? Das sind pauschal formulierte Fragen, auf die man nie pauschale Antworten finden wird. Wenn man sich die Fragen trotzdem nicht verkneifen kann (weil man sie hierfür einfach zu interessant findet): dann wird man sich damit zufrieden geben müssen, Einzelindizien zu sichten, Mosaiksteinchen zu sammeln. Lassen sich denn einige Richtungsweiser ausmachen? Ohne allzu großen Aufwand ließe240 sich der philosopische Höhenweg abstecken, wiewohl er sich windet. Über die friedfertige oder aber zutiefst aggressive Natur des Menschengeschlechts waren sich die frühneuzeitlichen Großdenker ganz uneins. Ehe das im Lichte des 18. Jahrhunderts aufklarte, war die Anthropologie der Barockzeit pechschwarz gewesen. Daß der Mensch von Natur aus schlecht, aggressiv, unfriedlich sei, setzten die ideologischen Wegbereiter des Absolutismus voraus, deshalb so viel Energie darauf verwendend, ihn zu domestizieren, zu disziplinieren, den Adel sperrte man deshalb am besten gleich in einem goldenen Käfig namens Hof ein. Weil die Menschen so grundböse waren, stellte sie Thomas Hobbes unter die Knute eines einzigen Oberbösen, auf daß der wenigstens die Bosheit aller anderen austilge. Frieden war nicht naturgegeben, sondern eine nur durch große Anstrengungen erreichbare menschliche Kulturleistung. Frieden war deshalb immer vorübergehend, war, gerade zwischenstaatlich, in Ermangelung eines Welt-Leviathan, fragil. Der Krieg aller gegen alle als Naturzustand241: Das provozierte freilich schon im 17. Jahrhundert gewichtige und weniger prominente Gegenreden, die beiden folgenden stammen aus dem Jahr 1673. Samuel von Pufendorf, an sich dem Naturrechtsansatz von Thomas Hobbes stark verpflichtet, erklärt doch den Krieg, nicht den Frieden zum Sonderfall: »Quamquam id legi naturali maxima sit conveniens ut homines pacem invicem agitent ... imo pax ipsa sit status homini quatenus a brutis distinguitur peculiraris, aliquando tamen ipso quoque homini bellum sit licitum«.242 240 Ich setze den Konjunktiv bewußt. Der Leser wird gleich merken, daß ich noch nicht einmal versucht habe, die wichtigsten philosophischen Werke der Frühen Neuzeit nach dem Suchwort »Frieden« zu durchforsten. 241 Ich räume ein: Diese Konsequenz aus der tendenziell skeptischen Anthropologie des 17. Jahrhunderts zog explizit nur Hobbes. Er dachte konsequent zu Ende, was dem absolutistischen Disziplinierungsmodell auch anderswo latent zugrundelag, wandte sich zudem (wenngleich nicht vorrangig) genuin außenpolitischen Fragen zu. 242 Samuel von Pufendorf, De officio hominis et civis juxta legem naturalem, Lund 1673, Liber II caput XVI. – Ganz grundsätzlich erklärt Philipp Reinhard Vitriarius, Institutiones Juris Naturae et Gentium, Neuauflage [des 1687 zum ersten Mal publizierten Werks] Halle/

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Weniger prominent war beispielsweise Albert Voßenhölen, er wetterte in einer juristischen Dissertation: »Periculosa sanè ... mihi videtur Philosophia, quae nobis ex hominibus tollit hominem, et feras bestias in figura hominum ostendit, nec societatem humanam ordinatam et instructam, sed statum belluinum et bellum omnium in omnes de industria effingit«. Nein, er halte es für eine »legem fundamentalem ... Naturae, pacem esse quaerendam«. »Pax« entspreche der »lex Naturae« zufolge dem »status humanae naturae«.243 Nicht Albert Voßenhölens, aber John Lockes wegen werden das dann die meisten Aufklärungsautoren ähnlich sehen. Und die Entscheidungsträger? Es ist nie untersucht worden. Jeremy Black ist dieser Überzeugung: »War indeed appeared to be the norm«.244 Die damaligen Kriegsmanifeste und die kriegsflankierende legitimierende Publizistik sprechen eine andere Sprache, zu den Topoi solcher Elaborate gehört die Betonung der eigenen Friedfertigkeit, man habe alle nichtmilitärischen Mittel ausgeschöpft.245 Aber ob wir das beim Wort nehmen dürfen? Auskünfte über maßgebliche Motive für regierungsamtliches Handeln bekommen wir in solchen Druckwerken sicher nicht. Für den Aufklärungsautor Johann Michael von Loën waren Kriegsmanifeste »blosse Ehrenrettungen ..., um den Schein der Gerechtigkeit beyzubehalten. Weiter nichts.«246 »Publicae Significationes, Declarationes, quae stylo Aulico Manifesta dicuntur«, böten hauptsächlich »praetextus, figmenta et obtenta« 247, dozierte 1673 eine militärkundliche Dissertation. Man wußte es auf allen Stilebenen, eine Flugschrift von 1677 lästert: »Die Ursachen eines Krieges werden abgetheilt in die wahre und scheinbare ... Die wahre Ursachen werden meisten theils für der Welt verborgen ...; die scheinbare aber pfleget man in die heutig Ta-

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Magdeburg 1695, S. 1: »Homo creatus et natus est ad pacem colendam cum omnibus«, was »ex appetitu societatis excellenti et suae naturae convenienti« herfließe. Diese Menschennatur war gut frühaufklärerisch auf Sozialität angelegt, in den plakativen Worten der fleißig kompilierten Dissertation, die Pufendorfs Lehrbuch freilich noch nicht kennen konnte: »Homo à Creatore ad societatem cum aliis colendam formatus et destinatus«; »Deus ... hominem ... ad Societatem et communitatem vitae condidit«, weil »status hominum extra societatem ne fingi ... possit«: Albert Voßenhölen, Dissertatio inauguralis de Neutralitate, Altdorf 1673, S. 8. Also: Krieg ist ihm offenkundig (nicht anscheinend) der Normalzustand in jener Vormoderne, die er als Staatenanarchie mit »belicistic culture« (diese Formel kommt in seiner Monographie dutzendfach vor) an den Entscheidungszentren sieht: Jeremy Black, Why Wars Happen, New York 1998, S. 48. Vgl. dazu zuletzt Schmitt, Universalmonarchie, S. 210ff. Johann Michael von Loën, Von der Gerechtigkeit des Krieges, in: ders., Kleine StaatsSchrifften, welche bey Gelegenheit der Wahl und Krönung Carl des Siebenden und andern Begebenheiten sind aufgesetzt worden, Ndr. Frankfurt 1972, S. 365 (Hervorhebung von mir; ich hätte auch »Ehre« kursiv setzen können: ging es in solchen Manifesten zuvörderst um Selbstdarstellung vor den hochadeligen Standesgenossen des Fürsten?). Voßenhölen, Dissertatio, S. 31.

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ges gewöhnliche gedruckte Manifesta, männiglichen für Augen zu stellen.«248 Die damaligen Entscheidungsträger legten in derartigen Texten nicht ihre Gedanken und Herzen bloß, aber sie wollten Wirkung erzielen. Offensichtlich glaubten die Autoren, die Öffentlichkeit erwarte solche Beteuerungen. 1.3.2 Seitenblicke auf die Guerre de la plume War diese Öffentlichkeit für um Krieg und Frieden kreisende Überlegungen an den Entscheidungszentren wichtig? Die Geschichtswissenschaft betont seit einigen Jahren stärker als früher249, daß auch die Vormoderne veröffentlichte Kommentierung und Bewertung von Herrschaftsausübung gekannt habe. Selten geht es in solchen Forschungskontexten um Krieg oder Frieden, eher um Herrschaftslegitimation und Herrschaftskritik, innere Stabilität und Widerstand. Fast immer ist die »kritische« Öffentlichkeit des Aufklärungsjahrhunderts der durchgehende Bezugspunkt, von hier aus wird rückblickend kontrastiert oder aber nach »Vorgeschichte« gefahndet. Anders in einem Ausblick der letzten großen Studie Ernst Schuberts, zu dessen vielen Interessengebieten die vormoderne »öffentliche Meinung« gehört hat: »In jenem Verdichtungsprozeß der offenen Verfassung, der dazu führt, daß im Reichsherkommen der Spielraum zwischen Recht und Macht entscheidend eingeengt wird, ist auch einbeschlossen, daß die für die Entstehung dieser Verfassung so wichtige öffentliche Meinung durch politisches Regelhandeln marginalisiert wird ... Verfassung setzt der Reichweite öffentlicher Meinung engere Grenzen als das ›Herkommen‹ im Mittelalter ... Nicht zu übersehen ist, daß der öffentlichen Meinung in der frühen Neuzeit weit weniger Bedeutung von den Herrschenden zugemessen wurde als im späten Mittelalter. Alle Formen der veröffentlichten Meinung ... wirkten im konfessionellen Zeitalter nur unterhalb der Ebene der großen Politik«.250 Diese Einschätzung ist derzeit im Fach sicher nicht konsensfähig. Stichhaltig taxieren und prägnant umreißen können wir den Wirkzusammenhang von 248 [Anonym], Der Geropffte Hahn, Von Einem ohnpartheyischen Eid-Genossen D. F. A. seinem guten Freunde H. R. D. S. Zu Gefallen abgebildet, o. O. 1677, S. 2. 249 Es geschieht oft in polemischer Abwendung vom Konzept der »repräsentativen Öffentlichkeit« Habermasscher Provenienz, vgl. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Ndr. der Erstausgabe von 1962, Frankfurt 1990. Frühe Kritik daran: Peter Ukena, Tagesschrifttum und Öffentlichkeit im 16. und 17. Jahrhundert, in: Elger Blühm/Hartwig Gebhardt (Hgg.), Presse und Geschichte, Bd. 1, München u. a. 1987, S. 35ff. Inzwischen gehören distanzierende Floskeln in den einleitenden Passagen kommunikationsgeschichtlicher Studien zum guten Ton. 250 Ernst Schubert, Königsabsetzung im deutschen Mittelalter. Eine Studie zum Werden der Reichsverfassung, Göttingen 2005, S. 544f.

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staatlicher Verdichtung und öffentlicher Meinung auf dem Stand der Forschung nicht. Zwei interessante Beobachtungen immerhin haben sich ja schon zu Gewißheiten verdichtet: daß der Buchdruck mit den europäischen Reformationen massenwirksam wurde, daß nun erstmals, danach (mindestens251) immer wieder Springfluten von populärem Schriftgut tagesaktuellen und zeitkritischen Zuschnitts aus den Druckereien schwappten; wir mögen es als »Medienrevolution« etikettieren oder eine »Kommunikationsrevolution« ausrufen.252 Zweitens ist ganz unstrittig, daß »Kritik« ein Signum der Aufklärungsbewegung253, geradezu ein Habitus jedes tüchtigen Aufklärers war und daß diese gewohnheitsmäßig kritische Haltung auch nicht vor Herrschaftspraktiken haltmachte. »Die öffentliche Diskussion der Privatleute« zielte nicht zuvörderst auf politische Strukturen, war zumal in Deutschland gottesfürchtig und brav, taxierte den Fürsten moralisierend als ›Menschen‹ und hatte doch »politische Implikationen: einmal die Forderung nach Anerkennung aller Einzelner als gleichberechtigter Diskussionspartner, und zweitens die Forderung danach, daß alle Angelegenheiten von allgemeinem Belang auch öffentlich von den potentiell Betroffenen erörtert werden müßten«.254 Wie aber füllen wir die Zwischenzeit auf ? Folgte epochalen Schüben am Beginn der Neuzeit lange Stockung, oszillierte der gesellschaftliche Politisierungsgrad zwischen punktueller Erregung und Lethargie, dürfen wir gleichmäßige Wachstumsprozesse nachzeichnen? Gewann »Öffentlichkeit« linear an sozialer Breite, wurde sie zunehmend politisiert, zusehends institutionalisiert, sahen sich die Fürsten immer mehr veranlaßt oder gar gezwungen, sich zu rechtfertigen? Ober blieb ›Öffentlichkeit‹ bis in die Frühaufklärung hinein der überschaubare Kreis der politischen Akteure und Entscheidungsträger, und 251 Wie kontinuierlich, doch eher schubweise? Sicher provozierten die frühe Reformation, der Schmalkaldische, dann der Dreißigjährige Krieg in Mitteleuropa, oder die englischen Bürgerkriege auf der Insel Schübe, über das Dazwischen wissen wir flächendeckend noch zu wenig. 252 Die »Medienrevolution« trägt eine mediengeschichtlich akzentuierte Überblicksdarstellung der deutschen Geschichte im 16. Jahrhundert schon im Untertitel: Johannes Burkhardt, Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517–1617, Stuttgart 2002. – Michael North (Hg.), Kommunikationsrevolutionen. Die neuen Medien des 16. und 19. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 1995; oder, weit über das engere Thema der Thurn-und-Taxis-Post ausgreifend: Wolfgang Behringer, Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolutionen in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2003. 253 »Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß«, diagnostizierte bekanntlich, fast schon im Rückblick, Immanuel Kant – um dann vom »Jahrhundert Friedrichs« zu schwärmen ... 254 Jürgen Jacobs, Prosa der Aufklärung. Kommentar zu einer Epoche, München 1976, S. 23, unter Bezugnahme auf die klassischen Studien von Reinhart Koselleck und Jürgen Habermas.

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der Princeps legibus solutus von jeglichem publizistischem Legitimationszwang frei? Nur selten wurden solche Fragen bislang an spezifisch außenpolitische Sachverhalte255 herangetragen, wiewohl »Krieg und Frieden« doch zu den gängigen Themen der populären Flugschriftenliteratur gehören. Eine Flugschrift von 1637256 echauffiert sich: »Heutigen Tages vergisst ein jeder, was sein ist ... fragt nach neuer Zeitung ... Kein grosser Potentat bleibt sicher vor des gemeinen Mannes unzeitigem Urtheil und lästerlicher Nachrede. Man erfährt heutigen Tages, dass der geringste Handwerks- und Ackersmann sich den Vorwitz zu neuen Zeitungen reizen und ... dahin treiben lässt, dass er ... alsbald mit seinem Dünkel und Urtheil eintritt und zu erörtern vermeint, was der Röm. Kaiser, was dieser oder jener König, Kurfürst, Fürst oder hoher Herr thun, wie er regieren, Frieden stiften, Krieg führen, wann er recht oder unrecht gethan oder wie er die Sache sonst in Krieg und Frieden hätte anstellen müssen«. Wurde solche »Nachrede« wirklich an den Höfen beachtet? Gab es erkennbare Rücksichten auf gedruckte Stimmen und Stimmungen im Territorium, wenn es um dessen Arcana, und zumal um Krieg und Frieden257 ging? Mußten auch dann »alle handelnden Personen die Öffentlichkeit stets im Sinn haben«258? »Saß die Öffentlichkeit als Drohgespenst und Appellationsinstanz ständig mit am Verhandlungstisch«259? Sahen sich die Entscheidungsträger »unter Handlungsdruck gesetzt«, meinten sie gar, ihr Tun vor »der breiten Bevölkerung« rechtfertigen und um »deren Unterstützung« werben zu müssen?260 Sonja Kerth muß am Ende angestrengter Bemühungen um die politische Relevanz der von ihr untersuchten offiziösen Dichtwerke einräumen: »Daß sich 255 Diese Einschränkung ist wichtig. Vgl. ansonsten die lange Literaturliste bei Dagmar Freist, Absolutismus, Darmstadt 2008, S. 137–141. 256 Hitzigrath, Publicistik zitiert ausgiebig aus ihr; das folgende Zitat: ebda., S. 15. 257 Die vorliegende Studie interessiert sich vor allem für das 16. und 17. Jahrhundert, doch las ihr Autor interessiert diese Feststellung Gerd Rölleckes in der Rezension eines Sammelbandes über »Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert« (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Juni 2006, S. 45): »Die Grundfrage freilich – wie beeinflußte die Kriegsberichterstattung Krieg und Politik? – bleibt nicht nur unbeantwortet, sie drängt sich mit fortschreitender Lektüre immer dringlicher auf.« 258 So urteilt Johannes Arndt, Gab es im frühmodernen Heiligen Römischen Reich ein »Mediensystem der politischen Publizistik«? Einige systemtheoretische Überlegungen, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 6 (2004), S. 89. 259 Konrad Repgen, Der Westfälische Friede und die zeitgenössische Öffentlichkeit, in: Historisches Jahrbuch 117 (1997), S. 48. Ebda., S. 83 resümiert Repgen: es habe »eine politische Öffentlichkeit als politischer Faktor« existiert, »mag deren Bedeutung auch nicht in präzise quantifizierbaren Maßeinheiten ausgedrückt werden können«. 260 Eva-Maria Schnurr, Religionskonflikt und Öffentlichkeit. Eine Mediengeschichte des Kölner Kriegs (1582 bis 1590), Wien 2009, S. 439 (unter Berufung auf Peter Ukena) bzw. S. 359.

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Ereignisdichtungen konkret im machtpolitischen Handeln der Herrschaftsträger ausgewirkt haben, ist nur selten zu erkennen«261, auch nur ein stichhaltiges Beispiel weiß sie nicht zu nennen. Durch die ganze Studie von Eva-Maria Schnurr zur den Kölner Krieg flankierenden Publizistik zieht sich das sichtlich enttäuschte, immerhin ehrliche Erstaunen der Autorin, daß ihre Texte so gar nicht auf den praktischen Politikbetrieb durchgeschlagen hätten, alles sei »politisch folgenlos« geblieben.262 Magnus Rüde, der die englisch-kurpfälzischen Beziehungen zwischen 1608 und 1632 unter betonter Berücksichtigung der sie widerspiegelnden Flugschriften nachgezeichnet hat, frappierte »der geringe Eindruck, den diese Traktate in der englischen Regierung offenbar hinterlassen haben mussten«.263 Anhänger einer stramm antihabsburgische Kontinentalpolitik gewannen durchgehend die publizistische Meinungsführerschaft, nie das Ohr der Krone. So spannend es ist, die Wahrnehmungsmuster der Zivilgesellschaften zu untersuchen – bei der Einschätzung der Politikrelevanz solcher Muster ist auch meinen archivalischen Eindrücken zufolge Skepsis angebracht. Wer je um Krieg und Frieden kreisende Akten, gar Beratungsprotokolle des 16. und 17. Jahrhunderts studiert hat, weiß, daß Herr Hinz dort kaum eine Rolle spielt (und Frau Kunz sowieso keine). Schattenhaft geistern gelegentlich knappe Hinweise auf etwaigen Unmut in der Bevölkerung durch solche Papiere – falls dies und das (beispielsweise noch mehr Truppentransfers, Einquartierungen oder Kontributionen) eintreffe, werde der Gemeine Mann »schwürig«. Aber wenn die Hofräte die großen Linien der Außenpolitik absteckten, spielte die mutmaßliche Haltung in den Dörfern des Territoriums keine Rolle. Leider kann ich diese Fehlanzeige nicht durch schlagende Formulierungen aus den Akten belegen (was einfach fehlt, kann nicht herbeizitiert werden), nur beteuern, daß ich im Zuge meiner Beschäftigung mit Beratungsprotokollen, außenpolitischen Memoranden, diplomatischen Relationen nie auf Gegenindizien stieß. Der »gemeine Mann« bleibt dort marginal. »Daß platte landt verlanget zwarn den frieden, der hoff kehret sich daran aber nicht«, konstatierte Theodor Heinrich Altet von Stratman einmal knapp in einer Relation aus Paris.264 »Der Pöbel von Holland verlanget freylich Friede, allein Ratio Status nicht«, bemerkt 261 Kerth, Landsfrid, S. 314. Die Autorin geht dem Warum der Beauftragung von Autoren mit Sprüchen, Liedern usw. sehr eingehend nach (S. 265–316), zentral gewesen zu sein scheint ihr der Leumund der Entscheidungsträger – willkürlichen, rechtswidrigen Verhaltens überführt oder der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden, habe sie mit »Ehre« auch politische Handlungsfähigkeit gekostet. 262 Schnurr, Öffentlichkeit, S. 464. Die Autoren errangen aller publizistischen Regsamkeit zum Trotz noch nicht einmal die »Deutungshoheit«: ebda., S. 478, S. 486 et passim. 263 Magnus Rüde, England und Kurpfalz im werdenden Mächteeuropa (1608–1632). Konfession – Dynastie – kulturelle Ausdrucksformen, Stuttgart 2007, S. 267. 264 An Pfalzgraf Philipp Wilhelm, 1675, März 23, Or.: BayHStA Kasten blau 7/21.

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eine Flugschrift von 1674 lakonisch.265 Trotz des gewohnheitsmäßigen Vorwufs an die politische Geschichte, sie lasse nur große Männer paradieren, wage ich doch die Einschätzung, daß über Krieg oder Frieden in der Vormoderne am Fürstenhof entschieden wurde und sonst nirgendwo. Nach Erklärungsmustern für die große Bellizität des 16. und 17. Jahrhunderts fahndend, dürfen wir den Gemeinen Mann links liegen lassen. Was Menschen aller Epochen außerhalb der Regierungszentralen266 vom Krieg hielten, über den Frieden dachten, ist allemal interessant, war freilich unter dem Blickwinkel der Kriegsursachenforschung nie so nebensächlich wie in der Frühen Neuzeit, nach der Etablierung des staatlichen Gewaltmonopols und ehe sich die Inhaber dieses Monopols irgendwelchen Wahlen stellen mußten. Warum sprach man solche Menschen dann publizistisch an? Wer sprach sie da an? Ging es nicht schlicht und einfach darum, daß Autoren und Verleger Geld verdienen wollten? Versuchte der eine und andere Autor ungefragt, Scharfsinn und Eloquenz unter Beweis zu stellen, um sich damit zahlungskräftigen Höfen als Ratgeber anzudienen? Auch das wird eine Rolle gespielt haben, doch erschienen sehr viele Flugschriften anonym oder pseudonym. Gehört zu den Motiven hierfür, daß man des öfteren politische Hintergründe verwischen wollte? Flächendeckend nach etwaigen Beauftragungen oder Ermunterungen für die zahllosen Flugschriften, Pamphlete, Traktate in den Akten fahnden zu wollen, ist ein aussichtsloses Unterfangen. Hierfür ist die Frequenz entsprechender Notierungen viel zu gering, nur gelegentlich stolpern wir über Zufallsfunde.267 Wo man mit großem Rechercheaufwand nach wahrscheinlichen Provenienzen eines überschaubaren Corpus von Flugschriften gefahndet hat, stellte sich heraus, daß sich mindestens offiziöse Hintergründe ziemlich häufig plausibel machen lassen.268 265 [Anonym], Anmerckungen über den unzeitigen Friedens Curirer ..., »Verona« 1674, fol. Aij. 266 Und ›lediglich‹ schreibende Gelehrte, Publizisten, Pamphletisten? Das eben ist, wegen ihres etwaigen Einflusses aufs Denken und Fühlen der Entscheidungsträger, eine spannende Frage! Diese Studie wird sie immer wieder umkreisen. 267 Beispielsweise gelang mir einmal der Nachweis, daß die »Beständige Informatio facti et juris«, eine der wichtigen Druckschriften des frühen 17. Jahrhunderts (sie hat ungewöhnlich hohe publizistische Wellen ausgelöst und auf katholischer Seite Verbitterung, die sich sogar in Akten dingfest machen läßt), in quasi-amtlichem Auftrag der württembergische Vizekanzler Sebastian Faber verfertigt hat: Gotthard, Konfession und Staatsräson, S. 144 mit Anmm. 94–97. Die Abhandlung geißelt die Okkupation Donauwörths durch bayerische Truppen im Dezember 1607. 268 Das gilt beispielsweise für die Gustav-Adolf-Panegyrik, die von philologischer Seite Silvia Verena Tschopp eingehend untersucht hat: Heilsgeschichtliche Deutungsmuster in der Publizistik des Dreißigjährigen Krieges. Pro- und antischwedische Propaganda in Deutschland 1628 bis 1635, Frankfurt u. a. 1991. Oder, um nur ein zweites Beispiel zu nennen: wir wissen von einer Reihe antiludovizianischer Flugschriften, daß sie, unter diversen Pseudonymen, der leopoldinische ›Chefagitator‹ Lisola verfaßt hat; hierzu zuletzt Markus Baumanns, Das publizistische Werk des kaiserlichen Diplomaten Franz Paul Freiherr von Lisola

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Aber selbst in diesen Fällen darf man ja nicht einfach voraussetzen, daß Auftrag oder Ermunterung deshalb erfolgten, weil man andere Höfe unter »Handlungsdruck« setzen wollte. Unterstellt diese Annahme nicht zu viel moderne Zweckrationalität? Ging es hochadeligen Auftraggebern eher darum, Leumund und Ehre bei ihren Standesgenossen zu retten oder aufzubessern? Ging es also um Selbstdarstellung, um das Renommee bei Mit- und Nachwelt? Wurde die Gloire des Herrschers sogar durch »lästerliche Nachrede« des »gemeinen Mannes«269 beeinträchtigt? Vor einer präzisen Beantwortung der Frage, ob Flugschriften die Entscheidungszentren beeinflussen sollten oder sogar konnten, türmen sich vorerst schwer überwindbare Hindernisse. Fest steht, daß die entscheidenden Eliten Öffentlichkeitsarbeit in Sachen »Krieg und Frieden« jedenfalls manchmal für notwendig hielten. »Ich schikh E. f. g. ain puechlen, das tregt dem gemainen mann den handel lauter fur. Dann man mues die sachen in mancherlai weis unter die leut pringen«, schrieb dem hessischen Landgrafen Philipp während des Schmalkaldischen Krieges sein Augsburger Agent Gereon Sailer.270 Aber warum mußte man seinen Standpunkt »unter die leut pringen«? Der englische König Jakob I. griff persönlich in die erregte publizistische Debatte um seine irenische Kontinentalpolitik ein, indem er eigene271 Versreime veröffentlichte, darunter diese Klage: »To no use were councell-tables,/ If state affaires were publick bables«. Aber wie kam er zu dieser Einschätzung? Daß sich die Krone vom antihabsburgischen publizistischen Mainstream auf der Insel in ein böhmisches Abenteuer oder in den Konfessionskrieg mit der Madrider Zentrale der europäischen Gegenreformation habe treiben lassen, kann man ja nicht sagen. Jakobs »councell-tables« nahmen auf Stimmen und Stimmungen der englischen Öffentlichkeit damals erkennbar wenig Rücksicht. Warum floß bei der Guerre de la plume so viel Tinte? Die Frage scheint heutzutage, da in einer publicityfixierten Zeit eher die Ontologisierung denn die Marginalisierung vormoderner Reklame droht (das merkt man beispielsweise am Versuch, das Gestrüpp der vormodernen Kriege dadurch in Reih und Glied zu bringen, daß man sich an die offiziellen Legitimationsmuster, insbesondere der Kriegsmanifeste, hält!272), nicht gerade nahezuliegen, recht besehen, gehört sie

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(1613–1674). Ein Beitrag zum Verhältnis von Absolutistischem Staat, Öffentlichkeit und Mächtepolitik in der frühen Neuzeit, Berlin 1994. Siehe oben S. 91 mit Anm. 256. Am 8. August 1546: Lenz, Briefwechsel, Bd. 3, S. 446. Rüde, England und Kurpfalz, S. 233 zitiert aus »His Majesties answere unto a Libell« (wohl von 1623) nach einem Manuskript in der British Library und faßt sie als Verse auf, die Jakob »persönlich« geschrieben habe. Das hat in den 1990er Jahren wiederholt Konrad Repgen vorgeschlagen, vgl. zuletzt ders., Kriegstypen – natürlich, wie bei diesem großen Kenner des 17. Jahrhunderts gar nicht anders zu erwarten, mit bedenkenswerten Argumenten. Man muß indes aufpassen, nicht

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aber auch zu den vielen offenen, auf die diese Studie hinweisen möchte: Warum sahen diese vordemokratischen Zeiten so viel publizistischen Flankenschutz offiziellen und offiziösen Charakters, bis hin zu Auftragsdichtungen oder, moderner, zur gezielt gelenkten Kriegsberichterstattung in Zeitungen? Warum überhaupt sprach man eine breite Öffentlichkeit an? Wie breit war sie denn? So wenig wir die meisten Autoren von Flugschriften und »Neuen Zeitungen« kennen, so wenig wissen wir ja über ihre Leser. EvaMaria Schnurr betont, die meisten Flugschriften zum Kölner Krieg setzten außer guter Lesefähigkeit Wissen voraus, aber was hat das zu besagen? Der »intermedialen Kommunikation« auf der Spur, deutet es Schnurr als Indiz dafür, daß »die grundsätzliche Informierung« anderswo, insbesondere in mündlichen Kommunikationszusammenhängen stattgefunden habe, Flugschriften bauten darauf auf. In einem anderen Kapitel firmieren dieselben Texteigenschaften als Indizien dafür, daß lediglich »geübte« oder doch »regelmäßige Leser« anvisiert waren. Wieder anderswo lesen wir, die Obrigkeit habe ihr Tun vor »der breiten Bevölkerung« rechtfertigen wollen und müssen273, aber warum eigentlich? War die anvisierte Öffentlichkeit gar nicht so breit? Andreas Gestrich vermutet für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts als zentrales Motiv die »Selbstdarstellung der Fürsten als Kriegsherren im Kontext der europäischen Adelswelt«. Demnach hätten also vor allem die Standesgenossen beeindruckt werden sollen, auch an die »möglichen Alliierten« in einem größeren Krieg sowie die »Landstände oder ähnliche Körperschaften, die die zur Kriegführung notwendigen

der für unsere Zeit typischen Verwechslung der Verpackung mit Inhalten aufzusitzen. Nicht einmal Repgen entgeht dieser Versuchung ganz, beispielsweise, wenn er nach einer Analyse der kaiserlichen »Kriegsmanifeste« in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges eine »erneute Diskussion« der »kaiserlichen Kriegs- und Friedensziele« anmahnt und in diesem Zusammenhang feststellt: »Für Matthias, für Ferdinand II. und für Ferdinand III. war [!] der Dreißigjährige Krieg weitestgehend Exekution gegen Rebellen«. Ob dem wirklich so »war«, könnten wir allenfalls internen Akten ablesen, nie aber Reklametexten. – Zuletzt betonte Franz Brendle in verschiedenen Veröffentlichungen, in den von ihm so etikettierten »Reformationskriegen« habe die kaiserliche Seite ihre Kriegsziele »dissimuliert«; diese »Dissimulation« habe die reichsrechtlichen Lösungen am Ende besagter Konflikte erleichtert. Man sollte sich davor hüten – was auch eine ungebührliche Pointierung der differenzierten Überlegungen Brendles wäre –, in der dissimulierenden Verschleierung konfessioneller Kriegsziele schon eine Überwindung des Konfessionskriegs oder auch nur den Beginn seiner Säkularisierung zu sehen. Solche »Dissimulation« erleichterte es im Gegenteil, Konfessionskriege zu führen, weil sie mithalf, die evangelische Solidarität zu unterlaufen bzw. kaisertreue Lutheraner gegen Calvinisten in Stellung zu bringen. Propaganda, Legitimation, »Dissimulation« helfen uns beim Versuch, die vielen vormodernen Kriege sinnvoll zu kategorisieren (hierauf wird Kapitel A.2 wiederholt zurückkommen, vgl. insbesondere A.2.2.2 und A.2.2.3), kaum weiter. 273 Schnurr, Öffentlichkeit, S. 401 bzw. S. 414 und S. 416 bzw. S. 359.

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Gelder zu bewilligen hatten«, sei zu denken.274 Hingegen geht Markus Baumanns für denselben Zeitraum von einer »gezielten Informationspolitik einer breiten [!] Öffentlichkeit gegenüber« aus, die absolutistischen Regierungen hätten auf die »Stimmung weiterer [!] Kreise« viel Wert gelegt und sie gerade hinsichtlich außenpolitischer Einstellungen aufwendig zu beeinflussen versucht.275 Waren sogar die Söldner im Visier solcher Propagandatexte? Dieter Janssen glaubte jüngst »soldatischen Autobiographien« aus England ablesen zu können, daß dort ein Mindestmaß an Plausibilität bei den Kriegsgründen erwartet werde, der Söldner »brauchte und verlangte eine einfache Darlegung des Grundes, für den er kämpfte«, denn er wollte als Soldat in einen Krieg ziehen, nicht als Outlaw einen Raubzug unternehmen.276 Wir merken wieder einmal: Viele Einzelaspekte aus dem Themenumfeld »Krieg und Frieden« sind nicht restlos geklärt. Stellen wir einmal keck die Gegenfrage: Zeitigte es je spürbare kriegspraktische Nachteile, wenn sich eine Kriegspartei an der publizistischen Nebenfront wenig engagiert hat? Wir werden noch sehen277, daß die Hofburg weder 1546 noch um 1620 viel Neigung zeigte, sich in die Niederungen der Pamphletistik zu begeben – ihr genügten die charismatischen Ressourcen des Kaisertums, mochten die Ungehorsamen, die Rebellen versuchen, ihr liederliches Treiben publizistisch zu beschönigen. In beiden Fällen ist publizistische Regsamkeit Ausdruck von Schwäche, es sollten legitimatorische Defizite und geringere evangelische Homogenität kompensiert werden. Zielten gar die meisten evangelischen Flugschriften lediglich auf den 274 Andreas Gestrich, Krieg und Öffentlichkeit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Angela Griebmayer/Helga Schnabel-Schüle (Hgg.), »Das Wichtigste ist der Mensch«. Festschrift für Klaus Gerteis zum 60. Geburtstag, Mainz 2000, die Zitate: S. 30 bzw. S. 25. Ebda., S. 26: Flugschriften »zielten meist auf die Ebene der europäischen Regierungen oder auch der regierenden Fürsten im Reich und nicht auf eine allgemeine Öffentlichkeit«. 275 Baumanns, Lisola, die Zitate: S. 13 bzw. S. 36. – Vorsichtig abwägend Christoph Kampmann, Arbiter und Friedensstiftung. Die Auseinandersetzung um den politischen Schiedsrichter im Europa der Frühen Neuzeit, Paderborn u. a. 2001, S. 5: das Ziel der von ihm untersuchten Flugschriften sei »Einflußnahme ... in der politisch interessierten Öffentlichkeit, insbesondere unter den entscheidenden Handlungsträgern« gewesen. 276 Dieter Janssen, Gerechte, heilige und zivilisatorische Kriege. Legitimation des Krieges und Bedeutung von Feindbildern in der angelsächsischen Welt der frühen Neuzeit, ca. 1550– 1650, Hamburg 2004, S. 46f.; vgl. auch S. 73. – Die Studie mit dem vielversprechenden Titel verliert sich leider in allgemeinen Betrachtungen über englische und andere Geschichtsläufte des 16. und 17. Jahrhunderts, oft ist auf Dutzenden von Seiten kein einziges Mal vom Krieg, geschweige denn vom »heiligen« oder Gerechten Krieg die Rede, dafür wird die vieltraktierte »Schwarze Legende« von spanischem Unwesen auf 150 Seiten noch einmal ausgebreitet. Hie und da stößt man indes doch auf interessante Einzelbeobachtungen, die vielleicht einmal eine konzentrierte Präsentation verdienten. 277 Vgl. zum Schmalkaldischen Krieg unten S. 187ff.; auf die Publizistik von 1618/19 geht Kapitel B noch näher ein.

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evangelischen Binnenraum? Kommunikationsgeschichtliche Arbeiten sehen es nicht so278, aber die hemmungslose Polemik der meisten Flugschriften seit 1546 und nach 1618 scheint mir die Annahme doch nahezulegen. Diese Pamphlete bemühten sich ja in den seltensten Fällen darum, andersgläubige Leser argumentativ dort abzuholen, wo sie tatsächlich ansprechbar waren.279 Aber die Geißelung unentwegter Attacken von außen, durch den bösartigen konfessionellen Widerpart, schien wohl geeignet, innerevangelische Lehrdifferenzen wie divergierende politische Stile, etwa zwischen großen Flächenterritorien und kleinen evangelischen Reichsstädten280, zu überbrücken. Publizistische Regsamkeit, ein Zeichen von Schwäche – belegt das nicht auch die Publizistik zum Kölner Krieg? Die seiner »Öffentlichkeit« gewidmete Monographie von Eva-Maria Schnurr resümiert: »Zum Kölner Krieg erschienen ganz überwiegend protestantische Drucke«, unter denjenigen, die weniger informierend denn »meinungsverändernd« hätten wirken wollen, sei das Übergewicht besonders eklatant. Zwar beobachtete Schnurr, daß das Gros der evangelischen Drucke »zu Beginn des Konflikts« erschienen sei, »als der Ausgang des Bistumsstreit281 noch offen und beeinflussbar erschien«. Man wird trotzdem annehmen dürfen, daß moralische und theologische Appelle darüber hinweghelfen sollten, daß die katholische Konfliktpartei juristisch282 und machtpolitisch283 deutlich im Vorteil war, daß Rechtslage und Rechtssystem284 der bayerisch-kaiserlichen 278 »Hauptzweck« der Flugschriften sei das »Werben um Verbündete in fremden Konfessionen« gewesen, das »Gehör bei Fremdkonfessionellen«: das betont (so ähnlich auch an vielen anderen Stellen ihres Aufsatzes) Esther-Beate Körber, Deutschsprachige Flugschriften des Dreißigjährigen Krieges 1618–1629, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 3 (2001), die Zitate: S. 29 bzw. S. 19. Vgl. zuletzt Schnurr, Öffentlichkeit, S. 292: Indem man eine spanische Hegemonie über Europa beschwor, sollte »ein überkonfessioneller [!] Zusammenschluss gegen die äußere Bedrohung erreicht werden«. 279 Vgl. auch unten S. 189 mit Anm. 336. 280 Noch nicht für den Schmalkaldischen, aber schon für den Kölner Krieg, erst recht für den Dreißigjährigen kann man ergänzen: zwischen der calvinistisch dominierten »Aktionspartei« um die Heidelberger und denjenigen, die sich am reichspolitisch vorsichtigen, forciert lutherischen Dresdner Kurhof orientierten. 281 Sic! Schnurr, Öffentlichkeit, S. 479. 282 Es handelt sich um die militanteste Facette des chronifizierten Ringens um den Geistlichen Vorbehalt von 1555. Weil Kurfürst Gebhard tatsächlich konvertiert war, stach dieses sonst übliche evangelische Argument nicht: Der Geistliche Vorbehalt bestrafe nur die Konversion mit Amtsverlust, verbiete es dem Domkapitel nicht, eine Person zum Bistumsadministrator zu machen, die schon immer evangelisch gewesen sei. 283 Um nur stichwortartig zu rekapitulieren: Bayern sehr für Ernst engagiert, Kursachsen gar nicht für Gebhard; spanische Truppen in der Nähe; von den Kurvereinsbrüdern stand Gebhard nur der Pfälzer engagiert bei. 284 Erneut stichwortartig: der Kaiser als oberster Lehnsherr, der Reichshofrat als oberstes Reichsgericht und Lehnshof; dazu die Rolle der Kurie – das Kanonische Recht (Absetzung des Erzbischofs) und das Lehnrecht (Ächtung Gebhards, Belehnung des Wittelsbachers

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Seite in die Hände spielten. Schnurr selbst zwar offeriert eine andere Erklärung, es seien »deshalb so wenig katholische Drucke erschienen, weil diese Seite sich im Recht fühlte«, es handle sich um einen publizistischen Effekt des »sich-imRecht-Fühlens«.285 Das dürfen wir ausschließen. Im Deutungskampf um die Augsburger Ordnung fühlten sich beide Seiten notorisch im Recht, weil »das Recht« das vom Religionsfrieden vorgegebene Medium des diskursiven Austauschs mit dem Widerpart war, während tatsächlich nicht um Paragraphen, sondern um Wahrheit und Seelenheil gerungen wurde. Subjektiv fühlten sich beide Seiten im Recht, objektiv hatte es die katholische nicht nötig, viel publizistisches Aufheben darum zu machen. Vielleicht gibt es ja doch einen verhängnisvollen Fall publizistischer Inaktivität, bezeichnender Weise ganz am Ende des in dieser Studie noch ausgeleuchteten Zeitraums: Hätte Ludwig XV. einer weiteren Diskreditierung der Monarchie in der französischen Öffentlichkeit vorbauen können, wenn er der Anregung nachgekommen wäre, das Renversement des alliances durch eine publizistische Kampagne im Inneren zu begleiten? Stattdessen blieb er bei seiner Ansicht, »daß die Außenpolitik in die alleinige Entscheidungsgewalt des Monarchen falle und er darüber niemandem – und schon gar nicht der Öffentlichkeit – Rechenschaft schuldig sei«286; und blieb diese Öffentlichkeit bei ihrem diplomatiegeschichtlich überholten Habsburgfeindbild. Bald wird Marie-Antoinette die Projektionsfläche für diese Austrophobie sein, so könnte man im Grunde die Linien bis zur revolutionären Stimmung von 1788/89 ausziehen. 1.3.3 Die Gefährdung des »ordo« Anlaß für unsere Tour d’horizon über die Schlachtfelder der Guerre de la plume war die Beobachtung, daß die Autoren von Kriegsmanifesten offenbar davon ausgingen, die Öffentlichkeit erwarte Beteuerungen der Friedfertigkeit der Entscheidungsträger. Weil Frieden für die allermeisten Menschen außerhalb der Regierungszentralen Normalzustand und Norm gewesen ist? Beiläufige Einschätzungen der Literatur pflegen das immer wieder zu bezweifeln, Krieg sei früher von den meisten Menschen als »unabänderliches« und »naturhaftes Verhängnis« begriffen worden.287 Die schon erwähnte Spruchsammlung Petris preist den FrieErnst mit dem heimgefallenen Reichslehen) erwiesen sich als taugliche Hebel, um von externer Seite aus in die Zusammensetzung des Kurkollegs einzugreifen. 285 Schnurr, Öffentlichkeit, S. 364 bzw. S. 309. 286 Sven Externbrink, Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2006, S. 68. 287 So zuletzt wortgleich Bernd Wegner, Einführung: Was kann Historische Kriegsurachenforschung leisten?, in: ders. (Hg.), Wie Kriege entstehen. Zum historischen Hintergrund von

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den als kostbares, weil seltenes Gut: »Fried ist gut Wildpret, man muß aber lang darnach jagen«, »Fried und Einigkeit blühet selten, oder verdorret je bald in der feindseligen vnd zenckischen Welt«.288 Dem Kirchenhistoriker Andreas Holzem fiel bei der Musterung von Predigten der Jahre 1618 bis 1648 auf, daß diese den Krieg lakonisch hinnähmen, er »ordnete sich ... in die anderen Gefährdungen des menschlichen Lebens ein«. Er trat »in vergleichbaren charakteristischen Reihungen dessen auf, was Gott den Seinen als Strafe und Prüfung üblicherweise auferlegte. In der genau bezeichneten Phänomenologie des Schreckens stach der Krieg keineswegs heraus.«289 Ein der Vormoderne geläufiger Topos war bekanntlich der vom Krieg als dem »Strafgericht Gottes«.290 Ich stieß noch beim Aufklärungsautor Johann Michael von Loën darauf: »Alles Ubel kommt nicht von den Fürsten ... Lasset uns vielmehr den Krieg als eine Strafe GOttes betrachten, womit er die böse Welt heimsuchet«.291 Ein Gebet aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges ›erklärt‹ diesen so: »Allmechtiger Gott, barmherziger Vatter, es ist heutigs tags im Römischen Reich und allenthalben bekant, in was betrübte zeiten wir gerathen, und wie du ... den grimm deines zor[n]es uber unß außgeschüttet, und nach deim gerechten gericht durch deinen starken arm ettliche völker mit krieg härtiglich gestraffet hast, also, daß viel stätt und orthe durch brandt und sonsten elendiglich verwüstet, viel leute unbarmherziglich erwürget, und darbeiy sehr viel zu witwen und waisen gemacht, uber daß auch viel durch rauben ins eusserste armut gesetzt, die justitia geschwecht, die policey gedruckt, vor allen dingen aber die gemüter der hohen potentaten voneinander getrennet, und der liebe land- und reichsfriedt allenthal-

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Staatenkonflikten, Paderborn/München/Wien/Zürich 2000, S. 11 sowie Wolfrum, Krieg und Frieden, S. 1. Beide erwähnen sodann, daß man den Krieg deshalb gern als dritten apokalyptischen Reiter »neben Hunger und Pest« dargestellt habe. Das ließe sich in der Tat durch manches vormoderne Zitat belegen. Ich erwähne nur Conrad Dieterich, Friedenhemmer; Darinn berichtet wird, Was die Vrsachen seyen, daß der von so vielen Jahren hero erwünschte Friede, nicht einmal kommen vnd herfür blicken wil? ..., Ulm 1637, S. 4: Auch im letzten Jahr hat Gott die Ulmer wieder »mit denen dreyen gemeinen Landplagen, Krieg, Hunger vnd Pestilenz ... heimgesucht«. Petri, Weissheit, bei F (hier fol. Ee). Frieden ist dort sechsmal unbedingt, einmal nur mit »Warheit« gekoppelt erstrebenswert; in den beiden hier zitierten Sprüchen ist er wünschenswert, doch selten. Auch, weil er so rar, keinesfalls der Normalzustand ist, gilt: »Zu fridens zeit soll man sich auffn Krieg rüsten« (Henisch, Teütsche Sprach, Sp. 1240). Andreas Holzem, Barockscholastik in der Predigt. Kriegsethik, Sündenschuld und der Kampf gegen Trübsal und Verzweiflung, in: ders. (Hg.), Krieg und Christentum. Religiöse Gewalttheorien in der Kriegserfahrung des Westens, Paderborn 2009, S. 558. Ebda., S. 583f.: »Das Thema des Krieges bleibt randständig, eingeordnet in die allgemeinen Gefährdungen des Lebens, eingebunden insbesondere in die klassische Trias mit der Pestilenz und dem Hunger.« Vgl. oben Anm. 205. Loën, Gerechtigkeit des Krieges, S. 357.

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ben uff seit gesetztet worden ist.« Den Krieg als gerechte Strafe Gottes aufzufassen, mochte es erleichtern, sich mit seinem Geschick abzufinden. Klaglos haben es die damaligen Menschen nicht getan, und daß sie immer wieder Zuflucht nahmen zum Bild von der Strafe, gar vom Zornesausbruch Gottes: das kündet, recht besehen, ja wohl auch nicht davon, daß man den Krieg als nicht weiter erklärungsbedürftigen Normalfall menschlicher Existenz empfunden hätte. Der Krieg war so wenig ›normal‹, wie ein Unwetter den Normalfall üblicher Witterung verkörperte: Beides kam recht häufig vor, wurde aber immer aufs Neue als hoffentlich bald vorüberziehende Katastrophe erlebt.292 Das soeben zitierte Gebet endet so: »So bitten wir auch ganz inniglich, du mögest die herzen und gemüter der grossen potentaten (welche in deiner hand seind, wie wasserbäche) durch deine güte und vätterliche regierung zum frieden lenken und führen ... damit unser geliebtes vatterland, das Reich teutscher nation und alle länder und völker darinnen, welche bishero wie ein ungestummes meer von grossen winden getrieben, und von einer unruh in die andere gejagt worden, wider gänzlich gestillet und zu bestendigem frieden gebracht werden mögen.«293 Ein »ungestummes meer«, gepeitscht von »grossen winden«; »von einer unruh in die andere gejagt«: der Krieg war auch deshalb eine beklagenswerte Katastrophe, weil er in Unordnung stürzte, die »justitia« zerrüttete, die »policey« störte. In einer jüngst vorgelegten Regionalstudie über Kriegserfahrungen in der Grafschaft Hohenlohe294 wird gleichsam zwischen den Zeilen sehr deutlich, daß sich alle näher untersuchten »Erfahrungsgruppen« (neben der gräflichen Familie sind das Amtleute und Pfarrer) deshalb besonders hart betroffen sahen, weil sie ihr Los nicht synchron mit dem der einfachen »undertonen« verglichen, sondern 292 Die Instruktion Karls V. für seine Vertreter am Reichstag von 1555 stellt die Kriege der letzten Dekade in diesen aufschlußreichen Zusammenhang: Man merke, »das Gott der Almechtig bißheer augenscheinlich seinen göttlichen zorn und straff besonderlich uber die teutsch nation ... erzaigt [und daß er] sovil widerwertigkait, angst und noth, hunger und kummer, sterben und verderben uber dieselbe verhengt« hat, daß sie nun – den ›Normalfall‹ beschwört man anders! – »beschwerlicher krieg und empörung halben in hochster gefahr und sorgen deß eussersten undergangs steen mueß«. Abdr.: RTA, Bd. 20, Nr. 26 (hier S. 200f.). 293 Gebet, vermutlich aus der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt D4 98/1 (Kursivsetzungen von mir). – Aus anderen Gebeten mit vergleichbaren Deutungsmustern (»gerechter Zorn« Gottes, der Krieg als »wolverdiente Straff« u. ä.) württembergischer Provenienz zitiert Carsten Kohlmann, »Von unsern Widersachern den Bapisten vil erlitten und ussgestanden«. Kriegs- und Krisenerfahrungen von lutherischen Pfarrern und Gläubigen im Amt Hornberg des Herzogtums Württemberg während des Dreißigjährigen Krieges und nach dem Westfälischen Frieden, in: Anton Schindling/Matthias Asche (Hgg.), Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Münster 2001, S. 186–188. 294 Ich meine diese lesenswerte Monographie: Kleinehagenbrock, Hohenlohe.

Gilt Frieden als Normalzustand?

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diachron mit ihrem eigenen Vorkriegszustand kontrastierten: Er war der Bezugspunkt, an ihm wurde alles gemessen, selbst nach langen Kriegsjahren – was sich übrigens meines Erachtens auch an Flugschriftenliteratur aufzeigen ließe.295 Der Krieg hingegen war ein Einbruch in den gewohnten Ordo, mit dem man sich nie abfinden wollte, der insofern nie Normalfall wurde. Da konnte selbst Gräfin Dorothea Sophie von Hohenlohe-Schillingsfürst lamentieren, sie sei »erger geplagt als der Ioeb«296, wiewohl dessen Gram, recht besehen, doch nicht zurückgehender Kreditwürdigkeit und deshalb frechwerdenden Handwerkern gegolten hatte. Die Gräflichen sorgten sich nicht ums tägliche Brot, aber ums tägliche Fleisch, und aus ihrer Warte war das drückend, weil nicht standesgemäß, es verstieß gegen ihren Ordo. Überhaupt kristallisiert sich die immer aufs Neue gestörte, vom Krieg bedrohte »Ordnung« als zentrales Problem heraus: Die öffentliche Hand muß Wege finden, trotz massiver externer Störungen die eingespielten (oder auch, freilich wohldosiert, zu modifizierenden) politischen Verfahren geregelt weiterlaufen zu lassen, fortgesetzte Legitimität zu produzieren, zu verhindern, daß die Untertanen nach ihrem Empfinden Willkür ausgesetzt sind. Jeder einzelne muß seine Alltagsroutinen gegen immer neue Verunsicherungen verteidigen und für sich selbst eine Deutung der unseligen Zeitläufte finden, die den mentalen Haushalt einigermaßen im Lot hält. Wir haben keinen Grund, geringschätzig auf die Belastbarkeit damaliger Systeme, vom Staatswesen bis hinab zur Psyche des einzelnen Menschen, herabzuschauen. Der Historiker weiß ja, daß die angebliche »Beschleunigung« zu den modernen Mythen gehört, daß Menschen aller Epochen über die »geschwinden leufte« geklagt haben und unter Beweis stellen mußten, was wir heute »Flexibilität« nennen – ganz besonders aber im Krieg! Das Kriegsgeschehen wirkte sich im hohenlohischen Untersuchungsgebiet als fortgesetzte Kette lästiger, manchmal auch gefährlicher, immer aber stressender Störungen eingespielter Gleichgewichte aus, ob wir diese nun, auf staatlicher Ebene, »Ruhe und Ordnung«, oder, auf individueller Ebene, »Seelenfrieden« nennen. Immer aus neue mußten Störungen verarbeitet, neue Gleichgewichte gefunden werden, die indes zu Kriegszeiten stets fragil blieben, bleiben mußten. 295 Man müßte einmal systematisch Flugschriften aus der Spätphase des Dreißigjährigen Krieges daraufhin durchgehen; mit ist keine bekannt, die den Krieg mittlerweile für ›normal‹, für emotionslos einfach hinnehmbar hielte. Zwanzig Jahre nach Kriegsausbruch – also angesichts der damaligen Lebenserwartung: nachdem eine Generation nie einen stabilen Friedenszustand erlebt hatte – schrie »Randolphus Duysburgk« (Legation Oder Abschickung der Esell in Parnassum, Leipzig 1638) so nach dem Frieden: »O Fried, O edler Fried! ein jeder muß bekennen, Daß man dich kan mit recht des Reichthums Mutter nennen. Wers nicht glauben wil, der frage Teutschland drumb, was es vor diesem vnseligen Kriege gewesen, vnd was es jetzo leyder ist.« 296 Als Hiob: zit. nach Kleinehagenbrock, Hohenlohe, S. 267.

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Zur Wertschätzung des Friedens in der Vormoderne

Alle vom Krieg Geplagten stemmten sich nach Kräften gegen immer neue Unordnung – wird so nicht sogar von einer überraschenden Seite her nachvollziehbar, warum die den Konfessionskriegen nachfolgende Epoche alles in Reih und Glied bringen wird, von Park und Stadtbild bis hin zur europäischen Staatenordnung, mit höfischen und militärischen Rangordnungen, gestrafften und systematisierten Instanzenzügen, Geometrie und Uniform? Die Urfurcht der Barockzeit wird Erwartungsunsicherheit sein, das überall zu Überwindende jene Unübersichtlichkeit, der man in schrecklichen Kriegsjahrzehnten ausgesetzt war.297 Sogar Supplikationen der Untertanen – ob nun im Hohenlohischen, oder wo auch immer im 16. und 17. Jahrhundert der Krieg zuschlug – pflegen um den Ordo zu kreisen, der sich in dieser Textsorte »Ordonanz« buchstabiert. Verstöße gegen die Ordonanzen, aber wohl auch das herkömmliche Rechtsempfinden der Zivilisten, sind die vielbeklagten »exorbitantien«. Besonders empörte es die Betroffenen, wenn sich die Einquartierten aufführten, als seien sie die Hausherren, so daß die eigentlichen Besitzer »nicht all Zeit«, wenn sie es wünschten, »in die Stueben dörfen«.298 Wir übersetzen, das durchlesend, mit »Störung der Privatsphäre«, und fragen uns, ob den damaligen Supplikanten für eine so griffige Formulierung wirklich mehr als der Terminus gefehlt hat. Jedenfalls empfanden sie die Schleifung der letzten Barriere vor den unsicheren »leuften«, die Störung des letzten Rückzugsraums als emotional belastend. Nein, Normalfall wurde der Krieg meines Erachtens nie, aber diese Einschätzung harrt vorerst ihrer breiten, quellengesättigten Fundierung. Wir wissen einfach noch zu wenig über dieses spannende Thema.

297 Daß zahlreiche weitere (indes nicht mehr auf Glaubensüberzeugungen rekurrierende, die entsprechenden Emotionen aufwühlende, hingegen in ihren das Zivilleben idealiter kaum tangierenden Abläufen selbst möglichst ›geordnete‹) Militäraktionen, nämlich die sogenannten »Kabinettskriege der Barockzeit«, nachfolgen werden, steht auf einem anderen Blatt. 298 Auch auf dieses Zitat stieß ich bei Kleinehagenbrock: ebda., S. 117.

Die Säkularisierung der Doktrin

2.

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»Hier streitet Gott und der Teufel«? Zur Säkularisierung des Krieges

2.1 Die Säkularisierung der Doktrin 2.1.1 Die Kriegsschuldfrage verliert ihre theologische und ethische Brisanz 2.1.1.1 Der Ausgangspunkt: »Hier streitet Gott und der Teufel« Beginnen wir mit einem Vorgriff ! Die Akzeptanzprobleme einer noch nicht zum Völkerrechtstitel verdichteten Neutralität werden uns weiter unten ausführlich beschäftigen, hier sollen der Zornesausbruch eines politisch Handelnden und die Suada eines Pamphletisten vorab interessieren. Gustav Adolf schleuderte einem brandenburgischen Emissär, der ihm die Neutralität seines Kurfürsten erklären wollte, das ins Gesicht: »Hier streitet Gott und der Teufel. Will Seine Liebden es mit Gott halten, wohl, so trete Sie zu mir; will Sie es aber lieber mit dem Teufel halten, so muß Sie fürwahr mit mir fechten, tertium non dabitur«.1 Ungefähr zeitgleich lästerte ein Pamphlet, daß »Gott dergleichen Neutralitet das ist zwischen Gott und dem Teuffel höher hasset und anfeindet, als einen rechten pur lautern Abfall zum Teuffel.« Neutrale »spotten des Herrn Christi ins Angesicht, in deme sie ihre thorhaffte Hoffnung zugleich uff dem Antichrist und Christum setzen«.2 »Hier streitet Gott und der Teufel«: Diese Diktion hätte Diplomaten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Lachen gereizt. Gehört zum Longuedurée-Trend der Säkularisierung auch eine Säkularisierung von Krieg und Frieden? »Hier streitet Gott und der Teufel«: Welches Kriegskonzept hat solcher Diktion einmal Plausibilität verliehen? Ich wählte eingangs bewußt zwei Äußerungen, die denkbar stark von distinguierter akademischer Gelehrsamkeit abstechen, doch muß meine Analyse natürlich zuerst die theoretischen Grundlagen vermessen, um von daher in einem zweiten Schritt nach der Praxisrelevanz zu fragen. Sickerprodukte der elaborierten Theorie sind erst als solche erkennbar, wenn die Theorie zutageliegt. Über die spätantiken und mittelalterlichen Stadien der Bellum-iustumDoktrin des christlichen Abendlandes wurde schon so viel geschrieben, daß dem hier nichts hinzuzufügen ist. Seit Augustinus verbreitet, über Gratian ins 1 Zit. nach Karl Gustav Helbig, Gustav Adolf und die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg 1630–1632, Leipzig 1854, S. 14. 2 Postilion, Abschnitt Nr. 114.

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Kanonische Recht eindringend, vom Aquinaten systematisiert, war die Doktrin jedem Gebildeten der Vormoderne geläufig. Für Thomas von Aquin war kriegerische Gewaltanwendung, trotz der eindringlichen neutestamentarischen Gewaltverzichtsgebote, erlaubt, wenn diese drei3 Voraussetzungen gegeben waren: erstens die »auctoritas principis« – Krieg durfte nur auf Befehl einer dazu autorisierten Person geführt werden, also einer solchen, die sich, Wiedergutmachung suchend, damit nicht etwa an einen höheren Richter wenden konnte; das war, in einer Welt voller Fehden geäußert, der aus heutiger Sicht progressivste Teil der thomistischen Trias, und auf dieses dann »Souveränität« buchstabierte Postulat wird die Doktrin schließlich in der zweiten Hälfte der Frühen Neuzeit einschrumpfen. Sodann mußte der Krieg für Thomas auf die Wiederherstellung der gestörten Rechtsordnung abzielen (»intentio recta«). Drittens mußte eine »iusta causa« für die Kriegführung vorliegen. Hier ging der Aquinate nicht weiter in Details, ganz anders als die ersten beiden frühneuzeitlichen Jahrhunderte, die vor allem mit der Auflistung immer neuer hinreichender Kriegsgründe ihren Scharfsinn unter Beweis stellen werden: Auch deshalb müssen wir Säkularisierungsprozessen innerhalb des konzeptionellen Rahmens dieser christlichen Kriegslehre zuvorderst bei der Behandlung des vermeintlich hinreichenden Kriegsgrundes nachgehen. Daß die thomistische Kriterientrias noch im 16. und 17. Jahrhundert allgemein bekannt war, ist offenkundig. Rekurse auf sie begegnen freilich außerhalb gelehrter Traktate selten elaboriert, häufiger in Anspielungen auf das ohnehin jedem Geläufige. Trivial lautet die Essenz auf »wer kriegtt an notte, den straffet gotte« (Hans Sachs4), oder so: Man darf nicht unbedacht Krieg anfangen, »aber aus gedrangter not und zur gegenwehr« (iusta causa!), und – intentio recta!5 – man »kriegt umb Friedens willen. Solchs vermag das Natürlich und menschlich kriegsrecht. Wir sehen von einem kleinen würmlein, so man ihm zusetzt, es braucht sein gegenwehr« (beobachtete jedenfalls der hessische Landgraf Wil-

3 Andere Theoretiker kannten und kennen andere Formulierungen und/oder weitere Kriterien, beispielsweise eine »iusta et gravis causa«, oder die »proportionalitas« (die von etwaigen Militäraktionen verschuldeten Übel – vielleicht würden wir heute von »Kollateralschäden« sprechen – müssen geringfügiger sein als die Übel, die der bekämpfte ungerechte Zustand verursacht). 4 Ich stieß auf das Zitat bei Brunner u. a., Dulce bellum, S. 661. Ausführlicher reimte derselbe Autor: »Wer aber fichtet mit dem schwerdt,/ Derselb wird auch am schwerd verderben,/ Wie Christus saget vor seim sterben./ Vorauß wo er krieget mutwillig/ Wider Gott, ehr und recht unbillig ...« (zit. bei Peil, Literatur der frühen Neuzeit, S. 316). 5 Zum Merkspruch trivialisiert, kann das dann so lauten: »Des Krieges Endziel ist der Friede« (Wander, Sprichwörter-Lexikon, Bd. 2, s. v. Krieg, Nr. 46).

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helm IV.6). Gelehrte Abhandlungen konnten wesentlich ausführlicher sein7, beispielsweise ist das Ius belli ac pacis des Hugo Grotius geradezu durchtränkt von der scholastischen Bellum-iustum-Konzeption. Sie übersprang die konfessionelle Kluft, war schon von Luther in seine Zwei-Reiche-Lehre »eingefügt und damit für den Protestantismus verfügbar gemacht« worden8 und ist in evangelischen Diskursen in allen für uns interessanten Hinsichten9 genauso präsent wie in katholischen.10 In Flugschriften wird ziemlich oft der Kriegserfolg an die Iusta causa gekoppelt. Zwei Jahre vor dem tatsächlichen Beginn des Dreißigjährigen Krieges prognostizierte ein Pamphlet schon einmal, wer im »antroenden Kriegßwesen« triumphieren werde: die katholische Seite nämlich, denn wer »ein gerechte sach gehabt, vnnd für die Religion gestritten«, hat noch immer gewonnen.11 Als dieser Dreißigjährige Krieg schon tobte, aber noch ein »zehenjähriger« war, fragte eine Flugschrift nach den Gründen dafür, daß sich die Protestanten bislang so schlecht gehalten hatten: »Die erste vnd zwar die HauptVrsache ist Vngerech6 Aus seinen Aufzeichnungen zitiert ausführlich Max Jähns, Über Krieg, Frieden und Kultur. Eine Umschau, 2. Aufl. Berlin 1893, S. 224f. 7 Die gelehrte Reflexion über den Krieg haben die thomistischen Kategorien bis weit ins 17. Jahrhundert hinein geradezu beherrscht. Die auch außerhalb Spaniens (und gerade im Reich, übrigens auch im deutschen Luthertum) maßgebliche spanische Spätscholastik, von Vitoria bis hin zu Molina, entwickelte ihre Kriegsdoktrin in schulmäßigen Kommentierungen der Summa Theologiae des Aquinaten. Wir werden diese theologisch geschulten Völkerrechtsautoren noch in anderen Zusammenhängen kennenlernen. – Auch »theologische Handbücher, die während des Dreißigjährigen Krieges in katholischen Städten erschienen«, bezogen sich »ganz selbstverständlich« auf die thomistische Kriegslehre: Holzem, Gott und Gewalt, S. 391. 8 Holzem, Gott und Gewalt, S. 411; vgl. ebda., S. 396f. 9 Natürlich spielte ›weltliche‹, in diesem Fall militärische Verdienstlichkeit für das individuelle Rechtfertigungsgeschehen des einzelnen evangelischen Söldners nicht die Rolle wie für seinen katholischen Kollegen. Das müßten Theologen ausleuchten, ist für unsere Zusammenhänge unerheblich. 10 So auch zuletzt Norman Housley, Religious warfare in Europa 1400–1536, New York 2002, S. 110f.: »The essential foundations of just war theory were ... so deeply rooted in Christian thinking that they became central within Protestant ideology. Just war thinking was therefore able, to a remarkable degree, to transcend the confessional divide.« 11 [Anonym] (Kaspar Schoppe?), Lermen Blasen. Auch Vrsachen vnd Außschlag, deß besorgten innerlichen Kriegs zwischen den Catholischen vnd Caluinisten in Teutschlandt ..., o. O. 1616, fol. M. »Die Catholische werden vmb eine gerechte sach ... kriegen«, deshalb mit Gottes Hilfe gewinnen. Schuld am wohl nicht mehr abzuwendenden Krieg sind die Calvinisten. – Ob dieser publizistische Lärm auf den im selben Jahr erschienenen »Wolmeinenden, warhafften Discurs« aus evangelischer Hand antwortete? Dessen Autor riet den Katholiken, seinen angeblichen Glaubensbrüdern, von einem Krieg gegen die Protestanten ab, weil er nach den Kriterien der Bellum-iustum-Doktrin illegitim sei. Hatten nicht umgekehrt die Evangelischen angesichts der notorischen katholischen Rechtsverdrehungen allen Grund, »iuste« wie »necessarie« (ebda., S. 127) Krieg zu führen? Der Zusammenhang Bellum iustum – Bellum necessarium wird uns weiter unten noch beschäftigen.

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tigkeit«. Es fehlte diesen Unruhestiftern »die rechte Vrsach« für den Griff zu den Waffen.12 Nach einer weiteren Dekade darüber nachsinnend, warum noch immer kein Frieden in Sicht war, brachte ein »Friedenhemmer« betiteltes frommes Traktätlein die Intentio recta so in Erinnerung: Krieg ist kein Selbstzweck, »Sondern darumb wird er geführet, wie der Alte Lehrer Augustinus sagt, daß dardurch der Frieden gesucht, erlangt, vnd erhalten werde. Welches dann so gewiß, daß von vhralten Jahren hero, diß Axioma oder Spruch geführet: Finis belli pax. Das Ende deß Krieges, ist der Friede.«13 Anspielungen auf die Iusta causa begegnen in der Publizistik freilich häufiger. Wir dürfen resümieren, daß die spätantik-mittelalterliche Doktrin noch im 17. Jahrhundert geläufig war. Nun wird man andererseits kaum bestreiten können, daß sie der Moderne zu verblaßt ist. Sie muß verblaßt sein, wenn unser Kapitel A einleitender Rückblick vom Ende der Vormoderne her einigermaßen treffend war. Sie muß, parallel zur sukzessiven Entkoppelung von Iustitia und Pax, verblaßt sein, wenn Krieg an der Schwelle zur Moderne längst als sittlich neutrales Attribut von Staatssouveränität galt, Frieden da längst auf Ruhe und Ordnung eingeschrumpft war. Aber wann und warum verblaßte die altehrwürdige Doktrin vom »bellum iustum«? Treten wir mit dieser Frage an die wenigen neueren Völkerrechtsgeschichten heran, merken wir, daß sie einhellig konstatieren, die letzten vormodernen Jahrhunderte habe eine »Formalisierung und Säkularisierung des Kriegsrechts«14 12 [Anonym], Zweyfacher SoldatenSpiegel, Das ist: Trewhertziger Discurs. Darinnen Vrsachen angezeiget werden: Warumb in dem Zehenjährigen teutschen Kriege die Catholischen den Evangelischen gemeiniglich obgesieget ..., o. O. 1629, die Zitate: fol. Aiij bzw. fol. Biij. – »Die Vrsachen derenthalben ein Kriegsfürst die Waffen, einen Krige zu führen, jhme fürgenommen hat, sollen vnd müssen gerecht vnd gut seyn, will er anders vor Gott Glück vnd Sieg darbey erwarten«: [Anonym], Victori Schlüssel, Mit welchem ... Gustavus Adolphus ... durchgebrochen, o. O. 1631, fol. C. »Vor Gott«: Wir dürfen demnach die Kapitelüberschrift (»Das eines Kriegs Fürsten, vnd seiner vnderhabender Soldatesca, etc. Großmühtigkeit durch die recht vnd billichmässigen Vrsachen eines Krieges, angezündet vnd gestärcket werden«) nicht zu modern, nämlich psychologisch auffassen. 13 Dieterich, Friedenhemmer, S. 37. 14 So formuliert Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1984, S. 259. Von »Ent-Theologisierung und Rationalisierung« spricht Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, 4. Aufl. Berlin 1997, S. 131. Vgl. ebda., S. 112f.: die »Ent-Theologisierung des öffentlichen Lebens« nach den Glaubenskriegen habe »eine augenscheinliche Wirkung« gehabt: »die Rationalisierung ... des Krieges«. Daß wir uns im Umkreis von Krieg und Frieden immer wieder genötigt sehen, Auskunft in diesem erstmals 1950 verlegten Buch zu suchen, das offenbar »bereits im letzten Kriegswinter fertiggestellt« war und »dann nur noch unwesentlich überarbeitet« wurde (so, mit der einschlägigen Schmitt-Literatur, Werner Köster, Die Rede über den »Raum«. Zur semantischen Karriere eines deutschen Konzepts, Heidelberg 2002, S. 211; vgl. zu Schmitts »Nomos der Erde« noch unten Anm. 56), wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Forschungsprioritäten der letzten Jahrzehnte!

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charakterisiert: Das werdende Völkerrecht basiert auf dem Souveränitätsprinzip, die gleichermaßen souveränen Völkerrechtssubjekte (demnach denkbaren Kriegsparteien) sind prinzipiell gleichberechtigt – das, so können wir nachlesen, passe nicht zur Verdammung eines kriegführenden Souveräns als »ungerecht«. Man konstatiert eine Ent-Ethisierung (von Gut und Böse zur Kosten-NutzenRechnung) und eine Formalisierung (vom Warum zum Wer). Das Endziel eines, wie wir noch sehen werden, reichlich verschlungenen Weges liegt diesen Völkerrechtsgeschichten zufolge klar zutage: Wer souverän ist, darf ohne weiteres Krieg führen (natürlich auch neutral abseitsstehen), ist per se »iustus hostes«15 – es gibt keine höchste Instanz über dem Souverän, der über die Gerechtigkeit seines Tuns urteilen dürfte, der Souverän ist keinem Sterblichen Rechenschaft schuldig. Die Kriterientrias des Aquinaten für die sittliche Beurteilung eines Krieges schrumpft ein auf die Frage nach der »auctoritas«, und diese kommt dem Souverän zu: Fortschritt kann intellektuell dürftig sein! Er ging dann übrigens in der Moderne doch andere Wege, daß die staatliche Souveränität ganz selbstverständlich, nämlich per definitionem ein Ius ad bellum umfasse, kann seit der Gründung des Völkerbundes, vollends dem Briand-Kellogg-Pakt ja nicht mehr behauptet werden. Auch die Satzung der Vereinten Nationen bestreitet bekanntlich, grundsätzlich, für den völkerrechtlichen Normalfall, ein einzelstaatliches Ius ad bellum16, überträgt dieses Ius der »Völkergemeinschaft«. Auf die eklatanten Realisierungsdefizite muß man gerade im frühen 21. Jahrhundert kaum eigens hinweisen. Eine »Souveränität« buchstabierte Auctoritas principis als dürftige Krönung aller kriegstheoretischen und kriegsrechtlichen Erörterungen: ob man das einmal als Merkmal eines »langen 19. Jahrhunderts«, einer im welthistorischen Maßstab gar nicht langen »nationalstaatlichen Epoche« der Menschheitsgeschichte ansehen wird? Gut möglich, noch immer denkbar, aber darauf gewettet hätte man vor 15 oder 20 Jahren wohl doch lieber. 2.1.1.2 Das Ius ad bellum büßt Prägnanz und intellektuelle Anziehungskraft ein Schon, weil der mittelalterliche Ausgangspunkt und der Befund am Beginn der Moderne so offenkundig divergieren, ist die Säkularisierung der Rede über 15 Auch der Terminus »iustus« wurde formalisiert und säkularisiert, er verlor seine moraltheologische Substanz, entwickelte sich in den hier einschlägigen Kontexten in Richtung auf »formgerecht« oder auch »regulär« – wie wir im weiteren Verlauf von Kapitel A.2 noch sehen werden. 16 Ich bleibe bei meiner Terminologie, sollte aber anmerkungsweise erwähnen, daß die UNCharta nicht mehr von Krieg spricht, sondern definitorischen Spitzfindigkeiten dadurch aus dem Weg zu gehen sucht, daß sie die Androhung und Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen untersagt.

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Krieg und Frieden fraglos ein frühneuzeitlicher Fundamentalprozeß. Aber welche Wege ist er gegangen, und immer in derselben Richtung? Versucht man die Säkularisierung des Kriegsbegriffs in ihre wichtigsten Facetten zu entfalten, stößt man zunächst einmal auf eine Entleerung der Lehre von den gerechten Kriegsgründen. Nicht, daß nicht weiterhin Worthülsen aus dem Sinnbezirk der Gerechtigkeit begegneten! Derselbe »Soldatenkönig«, der eine militaristische Abart des höfischen Absolutismus kreierte, Preußen in eine große Kaserne verwandelte und die militärischen Voraussetzungen für jene friderizianischen Aggressionen legte, die nach 1740 jahrzehntelang Europa destabilisieren werden: er warnt in seinem Politischen Testament vor »ungerechten« Kriegen! Nachdem er dort die Fülle der »Pretensionen« des Hohenzollerngeschlechts aufgezählt hat und ehe er anmahnt, die riesenhafte Armee zu deren Realisierung »mehr und mehr zu verstercken«, können wir das nachlesen: »An euch mein lieber Successor ist was eure vorfahren angefangen zu Sutteniren und eure Pretensionen und lender darbeyschaffen die unserm hauße von Gott und rechtswehgen zugehöhren. Bettet zu Gott und fanget niemahlen ein ungerechten Krig an, aber wozu Ihr recht habet, da laßet nicht ab, den gerechte sache wierdt euch Gott gewiß sehgenen«.17 Die Vertreter jenes katholischen Franzosenkönigs, der es da schon länger mit den deutschen Protestanten gehalten hatte, dozierten 1646 in Westfalen, »qu’à la vérité en ceste guerre Dieu par sa justice a voulu récompenser la France d’une partie de ses pertes passées18, mais qu’il ne seroit pas juste qu’elle se privât volontairement des faveurs du Ciel«, man habe eben in einer »juste guerre« gewonnen. Der deklamatorische Charakter dieses frommen Triumphalismus ist offenkundig, aber jedenfalls floskelhaft begegnet »la justice« auch in internen französischen 17 Dietrich, Testamente, S. 237f. Ebda., S. 239: »Mein lieber Succeßor bitte ich umb Gottes willen kein ungerechten krihg anzufangen und nicht ein agressör sein den Gott die ungerechte Krige verbohten«; daß »ungerechte Krige nicht guht abgelauffen sein« haben Ludwig XIV., August II. von Polen, der Kurfürst von Bayern (offensichtlich Max Emanuel) »und noch mehr« erfahren, »die beyde letztere sein von landt und leutten verJaget und darzu detroniret worden, den sie ein ungerechten Krig anGefangen, seidt versicherdt, das gott das hertz der Armeé [sic] giebet und nimmets auch weg von den Soldahtten, den der König augusto ein sehr ungerechten Krig angefangen hatte ... da Kan mein lieber Successor sehen die handt Gottes«. 18 Zuvor erinnerten Longueville und Servien an die Kämpfe zwischen Karl V. und Franz I. in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts! Dies. an Brienne (hier: was sie den Mediatoren in Münster erklärt hätten), 1646, Februar 17: APW II.B.3.1, Nr. 122. Einige Sätze danach: »... c’est vouloir donner la loy en vainqueur de prétendre qu’outre tout cela la France se dessais[is]se encor d’un pays que le Ciel a faict tomber en son pouvoir pour la desdommager des tortz qui luy ont esté faict autresfois, qu’elle a conquis par une juste guerre sur ses ennemis déclarez et«, interessante Vermischung der Argumentationssphären, »qu’elle a très grand intérest de retenir autant pour sa seureté«.

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Dokumenten dieser Jahre.19 Als Ludwig XIV. 1672 zu einer Strafaktion gegen die frechen holländischen Pfeffersäcke aufbrach, weil die sich obstinat weigerten, als Trabanten um die Sonne von Versailles zu kreisen, stattdessen dreist ihren eigenen ungehörigen Lebensstil hochhielten, basierte auch dieser Überfall »sur des maximes de guerre iustes«.20 Die Iusta causa verliert ihre Prägnanz. Iustitia verflüchtigt sich nicht etwa, sie schwillt bei abnehmender Substanz noch an, wird, so verdünnt, fast ubiquitär, sie ist billiger als früher zu haben. Sie wird sogar teilbar, beide Kriegsparteien können an der Iustitia partizipieren, spätestens jetzt ist der Kriegsausgang auch kein Gottesurteil mehr. In Völkerrechtsgeschichten können wir nachlesen, die Konzeption eines »bellum iustum ex utraque parte« habe, in den späten 1530er Jahren, zum ersten Mal Francisco de Vitoria entwickelt.21 Das ist zweifelhaft, so stieß ich schon bei Guevara auf eine Passage, die jedenfalls in dieselbe Richtung weisen dürfte22, und Richard Tuck meint mittelalterliche Spuren wahrscheinlich machen zu können.23 Wir müssen die Erstgeburtsrechte hier nicht klären, rezeptionsgeschichtlich war sicher besonders wichtig, was Vitoria so zu Papier brachte: »Posita ignorantia probabili facti aut iuris, potest esse ex ea parte, quae vera iustitia, bellum iustum per se, ex altera autem parte bellum iustum, i. e. excusatum a peccato bona fide, 19 Brienne an Longueville, d’Avaux und Servien, 1646, November 7, APW II.B.4, Nr. 243: während Frankreich nur die edelsten Kriegsziele verfolgt, sucht Spanien die Monarchia universalis (also, modern formuliert: die Hegemonie über Europa), doch bekam es zuletzt zu spüren, »que Dieu assiste ceux dont les pensées sont enfermées dans la justice«. Memorandum von Longueville und d’Avaux für Ludwig XIV., 1646, April 27, APW II.B.3.2, Nr. 248: »La France a conquis sur les Espagnols dans une juste guerre«. Beide Dokumente waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, doch mochten sich alle Beteiligten in solchen Papieren in die wünschbare, weil wirkungsvolle Argumentationsweise gegenüber den westfälischen oder etwaigen Pariser Verhandlungspartnern eingeübt haben (konkreter ging es in beiden Fällen um territoriale Zumutungen an die siegesgewissen Franzosen), man homogenisierte so die Diskurse der verschiedenen Akteure an verschiedenen diplomatischen Schauplätzen. 20 Robert de Gravel an Ferdinand Maria von Bayern, 1672, August 15 (Or.), BayHStA Kasten schwarz 6461, fol. 117: Die französischen Militäraktionen auf Kosten auch von Grenzgebieten des Reiches beruhen »sur des maximes de guerre iustes et equitables«. Selbstverständlich verfolgten dann auch die Gegenmaßnahmen Leopolds I. eine »gerechte Intention«, sie waren eine »gerechte Sach«: Leopold an Ferdinand Maria, 1673, Juni 20, Michael Kaspar Londorp (Hg.), Der Römischen Kayserlichen Majestät und des Heili­gen Römischen Reichs ... Acta publica ..., Bd. 10, Frankfurt 1687, S. 75f. 21 Vgl. beispielsweise, mit der weiteren Lit., Grewe, Epochen, S. 243 Anm. 18. 22 Vgl. Guevara, Horologium Principum, Liber III, S. 489: »Si inter duos Principes bellum cooriantur, licet uterque queratur; ab uno tantum jus stare. Itaque sive justam caussam oppugnet Princeps, sive injustam propugnet; nunquam belli exitus innocentem faciet.« 23 Vgl. Tuck, The Rights, S. 32–34: »an authentic restatement of the Roman view«, mutmaßliche mittelalterliche Spuren, Vitoria erwähnt er im Zusammenhang mit dem Bellum iustum ex utraque parte gar nicht.

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quia ignorantia invincibilis excusat a toto«24 – eine Seite ist objektiv im Recht, die andere kämpft in der irrtümlichen, doch subjektiv ehrlich empfundenen Überzeugung von der Gerechtigkeit ihrer Sache. Objektiv gesehen, hat der Kriegsgegner noch keine ›Teilgerechtigkeit‹, aber er ist frei von Schuld. Die eindeutige Verortbarkeit der Schuld geht verloren. Wir dürfen pointiert so zusammenfassen: Noch kann bei Vitoria objektiv nur einer im Recht sein, doch subjektiv eben beide. Das war natürlich ein Modernisierungsfortschritt, und der moderne Betrachter mit dem heutzutage üblichen Mindestmaß an psychologischer Halbbildung wird Vitoria schon deshalb zustimmen, weil er keinem Diktator oder Kriegsverbrecher der Weltgeschichte unterstellt, als solcher, mit diesem Selbstbild in Kopf und Herz, in seine Kriege marschiert zu sein, zumindest vor sich selbst finden sie alle gute Gründe. Hier interessiert, daß Vitoria unfreiwillig25 einen Säkularisierungsschub angestoßen hat. Sagen uns dieser Impuls und seine merklichen Folgen auch etwas über den Zustand der Staatenordnung? Hatte die Möglichkeit eines »bellum iustum ex utraque parte« die mittelalterliche Gelehrtenrepublik deshalb nicht umgetrieben, weil mit dem Papst an der Spitze der hierarchisch gestuften abendländischen Christianitas26 jederzeit eine unangreifbare moralische Letzinstanz für Gerechtigkeitsfragen zur Verfügung gestanden hatte? Vitorias Entschärfung der Schuldfrage machten zahlreiche Kollegen mit. Der heute vergessene, im 17. Jahrhundert als »Toletanus« vielzitierte spanische Kanoniker, Bischof und Staatsrat Diego de Covarrubias y Leyva formulierte die bald geläufige Lehre, unter der für die Aufweichung des Gerechtigkeitsbegriffs bezeichnenden Überschrift »Bellum an possit esse utrinque iustum, et ibidem de ›iustum‹ dictionis significatione«, so: »Cum hostes contrarii sibi sint, contraria

24 Francisco Vitoria, De Indis et de jure belli relectiones, hg. von Ernest Nys/John Pawley Bate, Bd. 1, Washington 1917, S. 286. – Ein weiterer Wegbereiter des Völkerrechts, Francisco Suárez, erkärte den »bellum iustum ex utraque parte« für »absurdissimum«, »duo enim contraria iura non possunt esse iusta«: De bello 4.1, abgedr. in Josef de Vries S.J. (Hg.), Francisco Suárez. Ausgewählte Texte zum Völkerrecht, Tübingen 1965, hier S. 142. 25 Seine Äußerungen haben einen sehr konkreten Sitz im Leben, sie zielten gar nicht auf die europäische Staatenwelt, sondern auf die spanischen Kolonialgebiete. Weil die Eingeborenen subjektiv von der Gerechtigkeit ihrer Sache, vom Wert ihres Lebensstils, ihrer Götter überzeugt waren, durften die Conquistadoren für ihre Gegenwehr keine Rache üben. Siege über unbotmäßige Eingeborene durften nicht in grausame Strafaktionen münden. 26 Der Princeps muß sich »bei der Kirche vergewissern, ob der von ihm geplante Krieg Sünde sei oder nicht«, die Kirche ihrerseits »überprüfen, ob der Kriegsgrund hinreichend sei«: ErnstDieter Hehl, Kirche und Krieg im 12. Jahrhundert. Studien zu kanonischem Recht und politischer Wirklichkeit, Stuttgart 1980, S. 252. Von der »Bindung der fürstlichen Kriegsautorität an das höchstrichterliche Urteil des Papstes« spricht Beestermöller, Thomas von Aquin, S. 104, vgl. auch ebda., S. 227.

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iura necesse est habeant: quorum unum iustum sit, alterum vero iniustum«, »opinione vero potest bellum ex utraque hostium parte iustum esse«.27 Das konnte man so und ähnlich noch generationenlang lesen28, doch während Grotius auch in dieser Frage keinesfalls innovativ war29, hielt es Alberico Gentili schon 1588 für möglich, daß beide Kriegsparteien objektiv zum Kriegführen berechtigt sein könnten. Diese Berechtigung mußte sich nämlich nicht aus der Sühnung himmelschreienden Unrechts speisen, Kriege waren ferner legitime Versuche, die Durchsetzung eines strittigen Rechtsanspruches zu erzwingen. Gentili sah Kriege des zuerst genannten Typs analog zum Straßprozeß, die anderen seien einem Zivilprozeß vergleichbar – übrigens finden wir diese Auffassung ansatzweise schon in einer Spruchsammlung von 1630, sie scheint sich also rasch verbreitet zu haben: »Krieg ist ein rechtmessiger Streit vber zweiffelhaffter Gerechtigkeit, so auff kein ander weiß kan entschieden werden.«30 Aber zurück zu Gentili! Wie in einem Zivilprozeß das Verfahrensrecht unparteiisch auf beide Streitparteien angewandt werde, seien ihnen auch gleichermaßen alle Rechte der Kriegführung zuzugestehen. Ausdrücklich betonte Gentili, daß der Ausgang nichts über die innere Berechtigung der Ansprüche des Siegers aussage.31 Es waren von da aus bis zur Position, jeder Souverän dürfe als solcher jederzeit Krieg führen, wenn das seine Interpretation der momentanen Staatsräson nahelege, zugegebenermaßen noch (kleinere) Schritte zu tun, vor allem terminologisch. Aber natürlich mußte die Doktrin vom Bellum iustum ex utraque parte der Auffassung Vorschub leisten, ›irgendwie‹ hätten meistens beide Kriegsparteien Recht,

27 Diego Covarrubias y Leyva, Relectio Regulae c. Peccatum. De regulis iuris libro Sexto, in: Opera omnia, hg. von P. Cornelius Brederodius [wohl der als »Peter von Brederode« damaligen politischen Akten wichtige holländische Diplomat], Frankfurt 1599, fol. 348. 28 Noch diese Textpassage von 1673 (Voßenhölen, Dissertatio de Neutralitate, S. 32) ist unverkennbar an Vitoria angelehnt: »In bellis publicis inconveniens non est, ut, cum ex una parte sit jus, ex altera ignorantia invincibilis, ex utraque parte juste bellum geritur«. 29 Nur eine Kriegspartei könne objektiv im Recht sein, beide aber könnten »bona fide litigari«. Die Literatur zu Grotius, sogar zu seiner Haltung der Lehre vom Gerechten Krieg gegenüber ist überbordend, ich nenne nur: Peter Haggenmacher, Grotius et la doctrine de la guerre juste, Paris 1983. Ich streife die Haltung von Grotius zum Gerechten Krieg noch weiter unten: vgl. S. 122f. 30 Lehmann, Florilegium, s. v. Krieg, Sentenz Nr. 41 (S. 435). – Die schon wiederholt erwähnte Sentenzensammlung läßt die Bellum-iustum-Doktrin nur gelegentlich anklingen, ich nenne: s. v. Fried, Sentenzen Nr. 34 und Nr. 44 (unter ausdrücklicher Berufung auf Erstenbergers pseudonyme »Autonomia«, mit richtiger Nennung des Autorennamens); s. v. Krieg, Sentenz Nr. 4 (beachte übrigens auch Sentenz Nr. 119: »Gerechte Sach ist nit genug zum krieg«!). 31 Ich darf es so knapp machen, weil die Literatur auch zu Gentili reichhaltig ist. Vgl. nur, beispielsweise, G[esina] H. von der Molen, Alberico Gentili and the Development of International Law, Leiden 1968, hier vor allem S. 113–137.

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ja, Recht und Unrecht32 seien einigermaßen gleichmäßig über die Staatenwelt verteilt. Die Kriegsschuldfrage verlor ihre theologische und ethische Brisanz. Ich will eine Vermutung anfügen, die ich nicht ›beweisen‹ kann, die sich aber aufdrängt: Auch, weil ein ausgeleiertes Ius ad bellum keine intellektuelle Anziehungskraft mehr ausübte, konzentrierten sich schon die Autoren des 18. Jahrhunderts, und die des 19. sowieso, ganz eindeutig auf das Ius in bello (wie es dann die Haager Konferenzen kodifizieren werden). Bezeichnenderweise korrespondieren mit den Renaissancen der Iustitia in kriegsethischen und -rechtlichen Diskursen des 20. Jahrhunderts, vor allem im Gefolge der beiden sogenannten »Weltkriege«, auch wieder elaboriertere Erörterungen des Ius ad bellum. Es kann nun ja auch wieder vor intellektuelle Herausforderungen stellen, weil BriandKellogg-Pakt und Charta der Vereinten Nationen ein einzelstaatliches Ius ad bellum dementieren, während die historische Realität der letzten achtzig Jahre weiterhin einzelstaatliche Kriegserklärungen in Fülle gesehen hat. Ausgangspunkt für diesen Ausblick war der Substanzverlust der Kriegsschuldfrage in den beiden ersten neuzeitlichen Jahrhunderten. Zu ihm trug auch der sich immer abstruser auswirkende gelehrte Sammeleifer der Publizisten bei, deren uferlose Listen von »iustae causae« die Gerechtigkeitsfrage ungewollt ad absurdum führten. Die Kataloge wurden so lang, daß alle Kriegsherren in jeder denkbaren Lage etwas Passendes für sich fanden, zumal mit der Staatsräson eine kriegsbegründende Kategorie Eingang fand, die einmal die Emanzipation der Politik von theologischen Postulaten hatte auf den Begriff bringen sollen. Die Selbstverteidigung – eine dehnbare Kategorie! – streifte jeglichen moralischen Vorbehalt ab, wurde selbst zum Moralprinzip.33 Aber auch Präventivkriege aus irgendeinem diffusen Bedrohungsgefühl des Herrschers heraus waren gerecht34, 32 Bei »Paris von dem Werder« (Friedens-Rede, fol. ciii) stoßen wir auf diese Bemerkung: »Das ist gnugsam bekanndt, wann zween vneins seynd, daß dann der eine etwas besser Recht haben kan als der ander, wiewol sie gemeiniglich vnd mehrenteils beyde vnrecht haben«. Ich gebe zu, daß dieser pazifistische Traktat (ebda.: »Summa, keines Sache kan so gerecht seyn, daß der Vnschuldige wider seinen Willen drüber leyden, vnd es Hauptsächlich entgelten müsse«, so aber ist es, denn ausbaden müssen es die »vnschuldigen armen Vnterthanen«) keinen geistigen Mainstream repräsentieren kann. 33 Zuletzt zeigte Alexander Schmidt, auf Arbeiten Pärtel Piirimäes aufbauend, daß im späten Mittelalter kanonistische und theologische Einwände gegen ›ungerechte‹ Selbstverteidigung bestanden, die gelehrte Literatur hielt Selbstverteidigung nicht für legitim, wenn sie die gerechte Bestrafung für begangenes Unrecht verhinderte. »Erst im 16. Jahrhundert setzten sich die Humanisten mit ihrer Sorge für den Erhalt des Gemeinwesens immer mehr durch«: Schmidt, Vaterlandsliebe, S. 70. 34 Schon in Georg Obrechts Tractatus de necessaria defensione (Straßburg 1604, hier S. 113) können wir nachlesen: »Ubicunque enim cunctatio periculosa est, justum [!] est ut praevenias: quia melius est ocurrere in tempore, quam post exitum vendicare: melius, inquam, est ocurrere et mederi, quam injuria accepta vindictam quaerere«. Heinrich Schemel, Dissertatio politica de neutralitate quam duce et auspice Deo praeside viro ... Jacobo Le-Bleu ... prosequendo ...,

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ja, bisweilen wurde in solchen Auflistungen sogar der »metus ex crescente potentia vicini« als Iusta causa belli erachtet!35 »Defensio« wurde immer offensiver, die Selbstverteidigung bemerkenswert expansiv. 2.1.1.3 Die »Trennung von Moral und Politik« Wie blaß, ja, eigentlich schon ins Beliebige verwässert die Iustitia des Kriegsgrunds 1680 daherkam, sehen wir beim damals wie heute geschätzten Völkerrechtler Johann Wolfgang Textor. Seine Synopsis juris gentium hat ein eigenes Kapitel über die gerechten Kriegsgründe, nur, »Gott und der Teufel« kommen darin nicht vor, außer in den kurzen Passagen zum Kampf gegen den Islam und zu den Kreuzzügen auch keine Glaubensüberzeugungen. Einleitend begründet es Textor mit dieser Kosten-Nutzen-Rechnung, warum die Taxierung des

Diss. Gießen 1661, S. 16 lehnt vehement die Ansicht »quorundam ex Scholasticis« ab, wonach ein Krieg nicht gerecht sei, so ihm nicht ein Unrecht oder eine Provokation [!] (»nisi ob injuriam aut provocationem praecedentem«) vorangegangen sei, »siquidem justus metus imminentis periculi, etsi violentia aljqua non praecesserit, procul dubio [!] belli causa est competens et legitima«; allerdings reiche das Unbehagen über »potentiam crescentem« des Nachbarn (vgl. nächste Anm.; wie aber soll der »metus imminentis periculi« von wem triftig dagegen abgezirkelt werden?) nicht hin. Voßenhölen, Dissertatio de neutralitate, S. 36 betont: »Metus igitur justus, certus ea certitudine, quae in morali materia locum habet, i. e. ubi non de potentia tantum, sed de animo et proposito explorato nocendi constat, justa belli causa habetur. Et tunc in publicis bellis praevenire licet vim imminentem, non modo per militum collectionem, sed etiam invasionis anticipationem ... Et defensio non solum ob factam injuriam, sed etiam ob nondum factam, ne vis fiat, juste instituitur.« Derart nicht jedwede militärische Aggression ›begründen‹ zu können, hieße der Phantasie der Autoren von Kriegsmanifesten ein sehr schlechtes Zeugnis ausstellen! 35 Vgl. hierzu Antje Oschmann, Der metus iustus in der deutschen Kriegsrechtslehre des 17. Jahrhunderts, in: Franz Bosbach (Hg.), Angst und Politik in der europäischen Geschichte, Dettelbach 2000, S. 111ff. passim. – Wurzeln des Präventivkriegs aus Furcht vor dem Anwachsen der Ressourcen eines Nachbarstaates in der römischen Antike sieht Tuck, The Rights, S. 19. Natürlich finden wir den Gedanken wieder bei Machiavelli und bei den Tacitisten um 1600. »Some schoolmen ... seem precisely to stand upon it, that every offensive war must be ›ultio‹, a revenge, that presupposeth a precedent assault or injury«, doch »as long as men are men ... a just fear will be a just cause of a preventive war«: Francis Bacon, The Letters and Life, Bd. 7, hg. von James Spedding, London 1874, S. 477. – Um noch einen Fund aus dem 18. Jahrhundert anzufügen: Johann Michael von Loën (Gerechtigkeit des Krieges, hier S. 376f.) wettert gegen die Kriegslust der Herrscher und stellt eine Liste von seines Erachtens per se ungerechten Kriegsgründen zusammen, ist aber für den Fall, daß die »allzusehr anwachsende Macht« des Nachbarstaates »uns Nachtheil und Schaden« bringen könne, erstaunlich zögerlich, findet schließlich: »Wie man also aus andern Ursachen einen Krieg anfängt, also kann man auch diese«, nämlich: daß der betreffende Staat allzu sehr prosperiert, »mit in Überlegung nehmen; allein deswegen jemand Gewalt zu thun, wenn man sich vor seiner Macht zu fürchten hat, dieses verabscheuet das Recht und die Billigkeit« (Kursivsetzung von mir).

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Kriegsgrunds überhaupt wichtig sei: die Völkergemeinschaft36 sehe es wegen der »majora mala«, die Kriege nun einmal mit sich brächten, lieber, wenn im Fall von »minores injuriae« nicht gleich zu den Waffen gegriffen, vielmehr eine bessere Gelegenheit zur Wiedergutmachung abgewartet werde. Die Konzeption eines »bellum iustum ex utraque parte« kennt Textor natürlich, »materialiter« könne nur einer im Recht sein, »formaliter« seien es oft beide: Wegen der »obscuritas rerum« könne häufig »opinio justae causae ... probabilis« sein, und das genügt für einen formal Gerechten Krieg. Anschließend verschiedene »gradus justitiae in causis belli« erörternd, findet es Textor schon hinreichend, wenn der Fürst Rat einholt und ihm dabei erklärt wird, er befinde sich im Recht – wiewohl der Autor ausdrücklich einräumt, daß fürstliche Ratgeber oft »magis ad beneplacitum consulare« pflegten, also dem Fürsten erklärten, was der hören wolle. Kurz, es genügt die durch Einholung von Expertenrat gestützte »opinio« des Fürsten, im Recht zu sein! Iustitia war um 1680 schon recht billig zu haben. Ein sich ins Beliebige verwässerndes Warum trat hinter dem konturenschärferen Wer zurück. Erstmals hat 1582 Balthasar de Ayala, den da noch jungen Souveränitätsbegriff Bodins aufgreifend und ins werdende Völkerrecht einschleusend, die Iusta causa völlig hinter jener Kategorie der Auctoritas zurücktreten lassen, die er ja zugleich durch die Koppelung mit der Souveraineté griffiger machte. Ob ein Krieg gerecht genannt werden kann, hängt an der Auctoritas eines Souveräns: Nur die souveräne Obrigkeit nämlich darf Krieg führen, zugleich ist jeder Krieg, den eine solche führt, »iustus«, rechtmäßig 37. Über die inhaltliche Gerechtigkeit von Kriegsgründen zu räsonnieren, hält dieser Autor nicht geradewegs für absurd38, doch für juristisch irrelevant. Ayala entwickelte seine Kriegslehre in parteiischer Absicht, als Sprachrohr der Krone Spaniens gegen die holländischen »rebelles« am Beginn des Achtzigjährigen Krieges39, aber 36 Das ist eine interpretierende Übersetzung, Textor schreibt »gentes«, doch billigt er diesen »gentes« ja so etwas wie einen Kollektivwillen zu, er setzt hier eine gemeinsame »öffentliche Meinung« voraus. Auch zum Folgenden: Johann Wolfgang Textor, Synopsis juris gentium, hg. von Ludwig von Bar, Bd. 1, London/Toronto/Melbourne/Bombay 1916, Caput XVII. 37 »Hinc certo modo iustum poterit dici bellum, etsi non ex iusta causa geratur. Iusti enim variae sunt significationes [!]«: Balthazaris Ayalae ... De Jure et Officiis Bellicis et Disciplina Militari Libri III, Bd. 1, hg. von John Westlake, Washington 1912, fol. 22. Alle hier einschlägigen Ausführungen stehen in Buch I Kapitel 2. 38 Er listet die traditionell für gerecht befundenen Kriegsgründe auch auf, schließt dann freilich mit der Bemerkung, daß sie in den Bereich nicht justiziabler Privaterörterungen gehörten, nicht zu den Tatbeständen mit Rechtsfolgen (»quam ad iuris affectus«). Legitimerweise durften nur Souveräne Kriege führen, und über die Gerechtigkeit (»de aequitate causae«) ihres Tuns verbot sich jedes Urteil. 39 »Bellum verò, quod rebelles gerunt, iniustissimum esse constat«: Ayala, De jure, fol. 11. Die »deliberatio, vtrius partes aequiores sint«, stelle sich in einer »monarchia« nicht, dort habe man die »auctoritatem« des Herrschers zu achten, Rebellen zu bekämpfen (fol. 12): Auctoritas,

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die Wirkungen reichten viel weiter. Das Konzept der Souveraineté verlieh der Ent-Ethisierung und Formalisierung der Kriegsdoktrin einen kräftigen Schub.40 Adam Contzen, Beichtvater Maximilians von Bayern, Propagandist unerbittlicher staatlicher Ketzerbekämpfung (und deshalb auch des Restitutionsedikts von 1629), erklärte 1621 Angriffskriege auf andere Staatswesen aus Glaubensgründen für illegitim, »quia Respublica non est alterius Reipublicae judex«.41 Daß eine absolut gesetzte staatliche Souveränität sogar bei diesem frommen Autor kirchenrechtliche Postulate relativierte, zeigt ihre Sprengkraft. Der Kriegsbegriff schüttelte ethische Konnotationen ab. Die klassischen Völkerrechtsautoren des 18. Jahrhunderts stellen ganz auf die Souveränität ab. Ich will es am Beispiel der seinerzeit geschätzten42, heute – meines Erachtens zu Unrecht – vergessenen völkerrechtlichen Monographie Adam Friedrich Glafeys von 1732 zeigen. Man muß sich seine zerstreuten Bemerkungen zum Gerechten Krieg zusammensuchen – was man zunächst einmal so und so werten könnte, als Beleg für fortgeschrittene Säkularisierung (nur noch zerstreute Partikel) oder für die Zählebigkeit der ja immerhin noch aufzustöbernden alten Versatzstücke. Wir müssen also ins Detail gehen. Beispielsweise finden wir den Gerechten Krieg im Kapitel »de Aedificio Juris Naturae«. Glafey wägt Selbsterhaltungstrieb und »Socialität« als den Menschen treibende Kräfte ab, ersterer wiege im Zweifelsfall schwerer, als guter Aufklärer harmonisiert der nicht Aequitas! Fol. 14: »nulla iusta causa videri potest aduersus patriam arma capiendi«. Man könnte einwenden, daß Ayala hier nicht vom zwischenstaatlichen Krieg handelt, sondern von »Rebellion«. Aber wer hatte hier die Definitionsmacht? Für die Hofburg wird der ganze Dreißigjährige Krieg Züge einer Rebellion tragen. 40 Wiewohl ja einzuräumen ist, daß sie Bodin selbst nicht als völlige Bindungslosigkeit konzipiert hatte, vgl. hierzu Helmut Quaritsch, Souveränität. Entstehung und Entwicklung des Begriffs in Frankreich und Deutschland vom 13. Jahrhundert bis 1806, Berlin 1986, insbesondere S. 63f. 41 Adam Contzen, Politicorum Libri Decem, Mainz 1621, S. 750. 42 Es erschienen von dem 1723 erstmals aufgelegten Werk 1732 eine zweite Auflage (sie habe ich benützt: Adam Friedrich Glafey, Recht der Vernunfft, So wohl unter Einzelnen Menschen als ganzen Völkern ..., Frankfurt/Leipzig 1732) und eine dritte 1746. Moderne Völkerrechtsdarstellungen übersehen Glafey, bei Grewe, Epochen beispielsweise kommt er nicht vor; Ernst Reibstein, Völkerrecht. Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis, Bd. 1, Freiburg/München 1957, S. 505 widmet Glafey diesen Satz, am Ende einer Suada gegen Christian Wolff: »Er«, nämlich Wolff, »unterscheidet sich ... unvorteilhaft von einem seiner Zeitgenossen, der bis weit ins 19. Jahrhundert großes Ansehen genossen hat, heute aber vollständig vergessen ist, dem sächsischen Hof- und Justitienrat Adam Friedrich Glafey«. Reibsteins Werturteil meint rechtsphilosophische Haltungen, doch sei auch angemerkt, daß die Monographie Glafeys ungewöhnlich klar argumentiert. Sie ist viel systematischer, gedanklich klarer als die heute bekannteren Monographien von Bynkershoek und Vattel, um von den völkerrechtlichen Bemühungen Textors oder Wolffs (dessen Meriten anderswo liegen) ganz zu schweigen.

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Autor freilich beide Prinzipien, die sich im Normalfall gegenseitig stützten. Aber »zur eintzigen Raison der Pflichten gegen uns« dürfe die »Socialität« eben nicht gemacht werden, hierfür nun liefert Glafey dieses »Exempel«: Eine Armee von zehntausend Mann dürfe sich, setze man die »Socialität« absolut, nicht gegen eine von fünfzigtausend wehren, »weiln an 50000 Mann der Societät mehr als an 10000 gelegen«. »Will man hierwider einwenden, daß es hauptsächlich hierbey darauf ankommen werde, ob die 50000 justam oder injustam belli causam haben«, halte er dagegen: »Daß sich von Menschen, so einander gleich seyn43, nicht wohl decidiren lasse, wer justam causam habe, oder nicht, wie es denn auch an sich würcklich zweiffelhafftig seyn könne, auf wessen Seite die Gerechtigkeit der Sache sich befindet.«44 Darüber zu klagen, daß triftige Verortungen der Iustitia »saepe difficillimae obscurissimaeque«45 seien, gehörte damals übrigens längst zu den Topoi kriegsethischer und kriegsrechtlicher Erörterungen. Im Kapitel »von Verträgen oder Versprechungen« versucht Glafey zu belegen, »daß viele Dinge in theoria oder in generalioribus sive in thesi ihre Richtigkeit haben, welche in praxi oder in specialioribus und in hypothesi, oder in der application auf die Welt-Sachen gar nicht brauchbar« seien, so lasse sich leicht ethisch begründen, warum ein »durch ungerechte Waffen« aufgezwungener Friedensschluß nicht binde, allein, es sei nun einmal offenkundig, daß diese moralische Abstufung »unter souverainen Völckern gantz und gar nicht applicable sey« – denn »wie ist unter selbigen auszumachen, wer rechtmässige Ursache zum Kriege habe oder nicht, da mehrentheils beyde Partheyen gegeneinander ein Hauffen würcklich gegründete Beleidigungen anzuführen, und ihre Sachen in ihren Manifesten so trefflich zu beschönigen wissen«? Es gebe nun einmal keinen, der »hievon das Judicium fällen« könne.46 Das ist nach vormodernen Maßstäben geradezu lakonisch geschrieben, überraschend schnörkellos, viel schlanker und konsequenter in der Argumentation als die ihrer Zeit nachhinkenden, sich chronisch ineinander verheddernden Haarspaltereien der älteren, von Grotius bis Textor, und man kann sich vorstellen, daß dieser Realismus auch die Zeitgenossen erfrischt hat. Fast möchte man wenigstens diesem Autor verzeihen, daß er da, ganz auf der Höhe seiner Zeit, unterwegs war zur intellektuell erschreckend dürftigen Kriegsdoktrin des nationalstaatlichen lan43 Ich setze hier und im Folgenden Passagen kursiv, die besonders deutlich zeigen, wie die Marginalisierung der Iusta causa mit dem Ausgangspunkt des klassischen Völkerrechts zusammenhängt: einer horizontalen Ordnung souveräner Völkerrechtssubjekte. 44 Glafey, Recht der Vernunfft, Buch II, Kapitel VI (S. 400). 45 Um es hier mit Johann Adolph Wilhelm von Gohren zu sagen: Dissertatio inauguralis de nevtralitate statvvm Imp. R. G. in bello imperii illicita ..., Diss. Jena 1735, S. 6. Trotz dieser Beteuerung finden sich auch hier Relikte der alten Doktrin, ich weise besonders auf S. 13 und auf S. 28 hin. 46 Glafey, Recht der Vernunfft, Buch III, Kapitel V (S. 569).

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gen 19. Jahrhunderts mit seiner Vergötzung der einzelstaatlichen Souveränität. Die Erleichterung des von Grotius gequälten Lesers hängt ja damit zusammen, daß es ihm nun, bei Glafey, wirklich recht leicht gemacht wird – die schwer auf den älteren Texten lastenden Spannungsverhältnisse, zwischen Konfession und Staatsräson, Christianitasidee und Souveränität, Recht und Politik werden endlich aufgesprengt, und das Schwert, das alle Gordischen Knoten durchschlägt, heißt immer »Souveränität«. Auch »vom Rechte des Krieges« handelnd, erwähnt Glafey die Iusta causa. Das Kapitel beginnt mit verschiedenen Distinktionen: offensiver versus defensiver Krieg, »innerliche« versus zwischenstaatliche Kriege, »ob es Kriege gegen die Räuber gebe?« (Eine heutzutage, da im »Kampf gegen den internationalen Terrorismus« die Rechtssphären der Kriegführung und der Verbrechensbekämpfung eigentümlich vermischt werden47, wieder überraschend aktuell gewordene Frage!) »Die schwerste Distinction«, fügt Glafey schließlich an, »ist wohl inter bellum justum et injustum, oder zwischen einem rechtmäßigen und unrechtmäßigen Kriege, bey welcher billig die erste Frage seyn soll, ob sich überhaupt also distinguiren lasse?« Glafey gibt hier einmal keine klare Antwort, klar sagt er nur das: »daß ein Tertius von der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit der Waffen zwischen zwey kriegenden Partheyen nicht wohl urtheilen könne«.48 Anderswo liest sich diese Maxime so: Es ist »ein Tertius die Frage: Ob einer einen rechtmässigen Krieg habe?« zu beurteilen »keineswegs befugt, indem solcher Streit

47 In diesem Rahmen kann ich es nur andeutend in Erinnerung rufen: Man will Verbrecher verfolgen, doch mit den Mitteln des Krieges, mit allem, was nach Kriegsrecht in Kriegszeiten erlaubt ist – freilich, ohne diese Mittel etwa dem Gegner einzuräumen, der ja als Krimineller perhorresziert, nicht als Kombattant akzeptiert wird (man könnte von hier aus auch unschwer den Bogen schlagen zu einer Renaissance des Gerechten Krieges im Bereich des Ius in bello, doch dazu an anderer Stelle mehr!). Gewiß ist das Problem mit einigen spöttischen Bemerkungen nicht adäquat abgetan – wäre der »Kampf gegen den Terrorismus« ein veritabler Krieg, würden aus Terroristen feindliche Soldaten, und das ›Flugzeugattentat‹ aufs Pentagon im November 2001 wäre der im Kriegszustand nicht verbotene Versuch gewesen, durch einen Angriffsschlag die Kommandozentrale des Feindes auszuschalten. – Das »Interpretative Guidance on the Notion of Direct Participation in Hostilities under International Humanitarian Law« des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz vom Juni 2009 verteilt Rechte und Pflichten in einem asymmetrischen Konflikt so: Wer auf nichtstaatlicher Seite eine »continuous combat function« wahrnehme, dürfe gezielt als Kriegsgegner angegriffen werden, ohne auf das Privileg des staatlichen Kombattanten zurückgreifen zu können, militärische Ziele der Gegenseite straflos zu schädigen. 48 Ferner stellt der Autor klar, »daß bey der Eroberung im Kriege, wie auch bey dem Modo zu kriegen, und denen durch einen Frieden dem andern gelassenen Ländern und Sachen« nicht auf die Iusta causa »zu sehen sey«: das Ius in bello hatte sich eben längst vom diskriminatorischen Kriegsbegriff der Bellum-iustum-Doktrin emanzipiert! Vgl. Glafey, Recht der Vernunfft, Buch VI, Kapitel II (S. 29f.).

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auch unter Souverainen Völckern deswegen, weiln mehrentheils beyde Theile wider einander allerhand Gravamina haben, fast nicht zu debattieren ist«.49 Auch die anderen Väter des klassischen Völkerrechts50 setzen ihre Gedankengebäude auf das Fundament der einzelstaatlichen Souveränität. Dem wohl einflußreichsten, Emer de Vattel, erleichterte es seine von Christian Wolff übernommene Unterscheidung zwischen Ius naturale und Ius voluntarium, auf gründliches Nachdenken über etwa gerechte Kriegsgründe zu verzichten. Das Ius naturale wandte sich an das Gewissen des Herrschers, aber positiv regelte die internationalen Beziehungen das Ius voluntarium, und dieses konnte sich schon deshalb nicht um die moralische Qualität von Kriegsgründen kümmern, weil die Handlungsmaßstäbe eines Souveräns per definitionem nicht der Beurteilung anderer Souveräne unterlagen. Die horizontale Staatenordnung durfte nicht durch die moralische Hintertür wieder ein Gefälle bekommen.51 Doch streifte Vattel, wie Grotius kein Held gedanklicher Systematik und konzeptioneller Klarheit, noch nicht alle Spuren der altehrwürdigen Doktrin vom Gerechten Krieg ab, wie wir gleich sehen werden. Ganz unsentimental tat das hingegen der zu Unrecht nur als »Reichspublizist« gerühmte Johann Jakob Moser. »Da ich nun an die Kriege komme«, stellt er gleich eingangs zu seinem Kapitel »von den Ursachen zu Ergreiffung der Waffen« klar, »so werde ich ... bloß erzählen, was geschenen ist ... ohne zu untersuchen: Ob und wie fern diser und jener Krieg, oder dise und jene Kriegshandlung ... als gerecht oder ungerecht angesehen werden könne oder müsse, oder nicht?«52 Zur Kriegführung ohne weiteres berechtigt waren eben alle, die souverän waren. Lapidar erklärt uns Moser, unter der Überschrift »Recht, einen Krieg anzufangen«: »Das Recht einen Krieg zu führen, ist ei49 Ebda., Buch IV, Kapitel IV (S. 801). Das Kapitel handelt »vom Eigenthum«, der Kontext ist dieser: Darf ich Landstriche, die der Nachbar einem anderen »unrechtmässiger Weise abgenommen« hat, meinerseits diesem wegnehmen? 50 Ich erläutere noch, was man meines Erachtens sinnvollerweise als solches bezeichnen kann: siehe unten Kapitel A.3.2.3. 51 Ich gehe auf Vattels Monographie noch verschiedentlich näher ein, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Neutralität. Hier sollen diese flüchtigen Hinweise genügen. Ein Zitat wenigstens will ich anfügen: »Puis donc les Nations sont égales et indépendantes, et ne peuvent s’ériger en juges les unes des autres; il s’ensuit que dans toute Cause susceptible de doute, les armes des deux parties qui se font la Guerre doivent passer également pour légitimes« – Emer de Vattel, Le droit des gens, ou les principes de la loi naturelle appliqués à la conduite et aux affaires des Nations et des Souverains, Bd. 1, hg. von Charles G. Fenwick, Oxford 1916, S. 530 (Kursivsetzung von mir). 52 Johann Jakob Moser, Versuch des neuesten Europäischen Völker-Rechts in Friedens- und Kriegs-Zeiten; vornehmlich aus denen Staatshandlungen derer Europäischen Mächten, auch andern Begebenheiten, so sich seit dem Tode Kaiser Carls VI. im Jahr 1740 zugetragen haben, Bd. 9.1, Frankfurt 1779, S. 2f. Der von mir kursiv gesetzte Teil des Titels illustriert die gänzlich empirisch-positivistische Haltung Mosers und sein Desinteresse an antiquarischer Gelehrsamkeit.

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gentlich ein Vorzug eines unabhängigen Staates. Dergleichen Staaten leben in ihrer natürlich Freyheit und Gleichheit; kraft welcher sie ein ihnen angethanes Unrecht, zumalen wann sonsten keine Entschädigung zu erhalten ist, selber rächen ... ohne daß sie von jemand deßwegen eine Verantwortung oder Strafe zu gewarten hätten.« Kriegführung als der Souveränität immanente Berechtigung, Frieden als Ruhe und Ordnung: läuft das nicht auf jene »Trennung von Moral und Politik«53 hinaus, die für Reinhart Koselleck 1959 in einer damals aufsehenerregenden Studie zur »Pathogenese der bürgerlichen Welt« gehörte? War die Abkoppelung der Kriegführung von der Iustitia, die Abdrängung der gerechten Kriegsgründe ins rechtlich unverbindliche Privaträsonnement ethisch interessierter Gutmenschen54, das außenpolitische Pendant zur »Aufspaltung des Menschen in den ›Menschen‹ und den ›Staatsbürger‹«55? Die Konfessionskriege schienen Ayala ja Recht zu geben. Nachdem Leidenschaft und guter Glaube so offenkundig nichts als Zerstörung und Unordnung produziert hatten, konnte eine blutleere Kriegsdoktrin nur Besserung verheißen. Die moralische Verarmung der Kriegslehre sollte eine Hegung des Krieges in der politischen Praxis erleichtern. Wenn nur noch allseits »iusti hostes« miteinander rangen, war kein Platz mehr für Straforgien und Vernichtungsphantasien. Man konnte im Gegner wieder den Berufskollegen sehen, in den Offiziersrängen den honett zu behandelnden adeligen Standesgenossen, nicht den Ketzer. Das hat der moderaten, geradezu unterkühlten Kriegführung des höfischen Absolutismus – die Verwüstungen des Pfälzischen Erbfolgekrieges gehören zu den sprichwörtlichen Ausnahmen und galten bezeichnenderweise schon damals als Entgleisung – theoretisch vorgearbeitet. 53 Reinhart Koselleck, Kritik und Krise. Ein Beitrag zur Pathogenese der bürgerli­chen Welt, Freiburg/München 1959, S. 34. – Um den Rahmen, in den die hier interessie­renden Beobachtungen Kosellecks gestellt sind, wenigstens anzudeuten: Es geht dem Autor um zunächst einmal modernisierende, langfristig aber prekäre Konse­quenzen, die in der politischen Theorie und dann auch Praxis aus den westeuropäi­schen Glaubenskriegen gezogen wurden. Sie erleichterten den Aufbau umfassend pa­zifizierender absolutistischer Staatswesen, aber für die sich wiederum dagegen abset­zende nächste historische Formation, die Aufklärung, die sich dort konstituieren mußte, wo der Leviathan einen Freiraum beließ, die sich deshalb vom »apolitischen Innenraum im Staat« her aufbaute, war es in Kosellecks Augen eine problematische Mitgift. 54 Ich gestehe: eine aktualisierende Verballhornung – Ayala (De jure, lib. I cap. 2) stellte antithetisch gegenüber, welche Sachverhalte rechtserheblich seien (vgl. schon Anm. 38) und was »viri boni officium« sei, die Erörterung der Gerechtigkeit von Kriegsgründen subsumierte er letzterem. 55 Vgl. zu dieser zentralen These des nicht vorrangig an außenpolitischen oder völkerrechtlichen Fragen interessierten Büchleins von Koselleck schon aus einer ganz anderen Warte (nämlich nach Antizipationen des privaten Innenraums im Konfessionellen Zeitalter fragend) Gotthard, Religionsfrieden, S. 557f.

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Grübeleien über die Iusta causa paßten nicht mehr in diese Welt. Carl Schmitt hat sich ihre Maßstäbe in seinem »Nomos der Erde« so anverwandelt, daß wir ihn zu ihrem modernen Sprachrohr machen dürfen: »Wie steht es nun mit dem teilweise gerechten Krieg? Wer soll alle diese endlosen und verwickelten Tatfragen und Schuldfragen beantworten, noch dazu bei Koalitionskriegen und in einem Zeitalter der geheimen Kabinettspolitik? Wie soll sich ein gewissenhafter Beurteiler, der nicht zufällig der Beichtvater aller wichtigen Mitspieler ist, über die Staatsgeheimnisse und Arcana beider kriegführenden Seiten unterrichten, Arcana, ohne die es noch niemals eine große Politik gegeben hat?«56 Kriegführung als der Souveränität immanente Berechtigung, an der alle moralischen Einwände abprallen: das ist dann eine dem nationalstaatlichen langen 19. Jahrhundert selbstverständliche Grundposition, aber nicht das letzte Wort. Dieses wird nicht so simpel daherkommen. Dreihundert Jahre, nachdem der nicht endenwollende Konfessionskrieg seit 1618 den diskriminierenden Kriegsbegriff des Bellum-iustum-Konzepts unglaubwürdig gemacht hatte, wird in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs das uneingeschränkte Ius ad bellum des souveränen Einzelstaates ad absurdum geführt. Das sehr offene Ende dieser Geschichte gehört nicht hierher. 2.1.2 Zur gewundenen Verlaufskurve Wir lernten kurz die spätantik-mittelalterliche Doktrin vom Gerechten Krieg kennen, sahen dann, daß sie im letzten frühneuzeitlichen Jahrhundert nur noch gespensterhaft verblaßt herumspukte – in Gestalt gewohnheitsmäßig weitergeschleppter rhetorische Versatzstücke, die sich in den neuen Rahmen, der ein horizontales Nebeneinander einzelstaatlicher Souveränitäten zusammenspannen sollte, nicht mehr recht fügen wollten; die in diesem Rahmen den Argumentationsgang nicht mehr vorantreiben, nur noch ausfasern lassen konnten, die in diesem Rahmen nicht mehr zu handlungsorientierenden Leitlinien, nur noch zu gelehrsamen Schnörkeln taugten. Aber wie ist die Verlaufskurve dieser Säkularisierung? Die Frage ist auch deshalb schwer zu beantworten, weil nach »Gerechtigkeit« fahndende Suchwortprogramme nicht weiterhelfen, Termini wie »recht« 56 Schmitt, Nomos der Erde, S. 127. – In den dieser Monographie vorarbeitenden Studien war geringschätziger Spott auf das Konzept des Gerechten Krieges noch politisch brisant gewesen, angesichts der Bemühungen von Völkerrechtlern der »Westmächte«, den Krieg gegen Nazi-Deutschland als einen »gerechten« darzustellen und so der Intervention der USA theoretische Breschen zu schlagen. Solche (1950 obsolet gewordene) politische Hintergedanken benehmen den Ausführungen Schmitts zum 17. und 18. Jahrhundert nicht jeglichen (vgl. aber schon oben Anm. 14) Wert.

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und »billig« begegnen weiterhin, nur, seit wann sind es Floskeln ohne tieferen theologischen Gehalt? Weil ja auch im 18. Jahrhundert kein Kriegsherr offen die »Ungerechtigkeit« seiner Sache verkündete und weil der »iustus hostis« ja gerade eine neue Errungenschaft des sich ent-ethisierenden Völkerrechts war, sollte man vielleicht präziser als von einem Verblassen der Bellum-iustum-Doktrin von einer Marginalisierung der Iusta causa57 in diesem (dadurch freilich schon weitgehend entkernten) Gedankengebäude sprechen. Seit wann zählten fast nur noch die Souveränität und eine formgerechte Kriegserklärung? Haben wir einen ziemlich lineraren Säkularisierungsprozeß vor uns, der einigermaßen gleichmäßig die frühneuzeitlichen Jahrhunderte ausfüllte? Setzte er gar schon im Herbst des Mittelalters ein?58 Müssen wir von einem Schub erst im späten 18. Jahrhundert59 oder schon im 16. Jahrhundert60 ausgehen, oder liegt die Wahrheit einmal 57 Die Intentio recta hat als eine allenfalls hinterher auslotbare, mit anderen Worten: als eine in der Praxis solang, wie das irgend von Belang sein könnte, schlechterdings nicht verifizierbare Kategorie meines Wissens in den kriegsethischen Diskussionen der Frühen Neuzeit nie eine zentrale Rolle gespielt. Die Kriegspropaganda behauptete und behauptet immer, daß sittlich hochstehende Motive zum Krieg trieben und daß man nach der militärischen Austilgung anstößigen Unrechts wieder zu einer dann gerechteren Friedensordnung zurückstrebe, aber konnte man über das Vorliegen von triftigen Kriegsmotiven wenigstens noch trefflich streiten, ließ sich über die Friedenssehnsucht und die für den Nachkriegszustand maßgeblichen Friedenskonzeptionen des Kriegsherrn allenfalls haltlos spekulieren. 58 Nicht unmittelbar am Krieg, aber am Friedenskonzept ansetzend: Wolfgang Justus, Die frühe Entwicklung des säkularen Friedensbegriffs in der mittelalterlichen Chronistik, Köln/ Wien 1975. Zustimmend Dietrich Kurze, Krieg und Frieden im mittelalterlichen Denken, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln 1991, insbesondere S. 25; abwägend, etwas abschwächend Klaus Schreiner, »Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküßt« (Ps. 84,11). Friedensstiftung durch symbolisches Handeln, in: Johannes Fried (Hg.), Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter, Sigmaringen 1996, insbesondere S. 78f. – doch meint auch Schreiner (ebda., S. 85f.) beobachten zu können, daß ein »offenkundiger Rückgang an Motiven, Impulsen und Argumenten, die im frühen und hohen Mittelalter Friedenssuche und Friedensstiftung zu einer religiösen Pflicht gemacht hatten«, stattgefunden habe. Derlei finde man im späten Mittelalter »vornehmlich in Bibelkommentaren oder in theologischen Handbüchern«, »als Appelle in konkreten Situationen, in denen über die Herstellung friedlicher Verhältnisse verhandelt wird, haben sie an Bedeutung eingebüßt«. 59 Dazu scheint dieser Kenner der Völkerrechtsgeschichte zu tendieren: Stefan Oeter, Ursprünge der Neutralität. Die Herausbildung des Instituts der Neutralität im Völkerrecht der frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 48 (1988), insbesondere S. 465. 60 Auf Ayala legt sich Fritz Dickmann fest, auf Gentili Carl Schmitt: Fritz Dickmann, Krieg und Frieden im Völkerrecht der frühen Neuzeit, in: ders., Friedensrecht und Friedenssicherung. Studien zum Friedensproblem in der Geschichte, Göttingen 1971, S. 127–129; Schmitt, Nomos der Erde, vor allem S. 131. Um noch einige weitere gewichtige Stimmen zu nennen: »the world as populated by autarchic and sovereign states ... this was indeed what had happened by 1600«, so Tuck, The Rights, S. 226f., auch er weist auf Gentili hin («Gentili’s

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in der Mitte – nämlich des 17. Jahrhunderts wie der ganzen Frühen Neuzeit61? Alle diese Positionen wurden beiläufig schon vertreten. Fragen über Fragen – aber das liegt hier einmal nicht nur am Forschungsstand! Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen erstreckte sich ungewöhnlich lang. Die alten Floskeln wurden von Generation zu Generation weitergeschleppt. Man schrie Innovation nicht in radikal neuer Terminologie hinaus, schmuggelte sie über modifizierte Bedeutungsnuancen der sattsam bekannten Begriffe ein. Auch wird die Substanzeinbuße der herkömmlichen Doktrin oft weniger an den programmatischen Grundsatzerklärungen zu Sinn und Wesen des Krieges deutlich als an der praktischen Durchführung des Ius in bello. Kein mir bekannter Völkerrechtler des 17. oder 18. Jahrhunderts dachte daran, einen kriegführenden Staat völkerrechtlich zu diskriminieren, ihm beispielsweise das Recht zu bestreiten, Beute und Gefangene zu machen, weil es der staatlichen Propaganda nicht gelungen sei, einen gerechten Kriegsgrund herauszustreichen. Die Behandlung des Ius ad bellum hinkte dem Ius in bello hinterher. Unser moderner Systematisierungsbedarf wird regelmäßig nicht befriedigt. Schon gar nicht bei Grotius, der auch hier besonders konfus ist. Grundsätzlich steht der vermeintliche »Vater des Völkerrechts« noch stark im Bann der Belstate was already in effect the autonomous agent of the great seventeenth-century writers, governed by an extremely thin set of moral requirements«: ebda., S. 228). »Das jus gentium ... den moraltheologisch-moralphilosophischen Erörterungen zu entziehen« sei ein »Prozeß des 16. und frühen 17. Jahrhunderts«, meint Heinz Duchhardt (»Friedensvermittlung« im Völkerrecht des 17. und 18. Jahrhunderts: von Grotius zu Vattel, in: ders., Studien zur Friedensvermittlung in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 1979, S. 95). Wilhelm G. Grewe (Epochen, hier vor allem S. 261f.) datiert den Prozeß der »Formalisierung und Säkularisierung des Kriegsrechts« aufs 16. und frühe 17. Jahrhundert, betont die Rolle Gentilis. Auch Klaus Malettke verortet »grundlegende Impulse« für die »Überwindung der scholastischen Lehre vom gerechten Krieg« im 16. Jahrhundert: ders., Grundlegung und Infragestellung eines Staatensystems: Frankreich als dynamisches Element in Europa, in: Peter Krüger (Hg.), Das europäische Staatensystem im Wandel. Strukturelle Bedingungen und bewegende Kräfte seit der Frühen Neuzeit, München 1996, S. 28. 61 Zuletzt beschwor Ronald G. Asch, Einleitung: Krieg und Frieden. Das Reich und Europa im 17. Jahrhundert, in: ders./Wulf Eckart Voß/ Martin Wrede (Hgg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt, München 2001, S. 34 die »einflußreiche traditionelle Lehrmeinung«, wonach »sich mit dem Westfälischen Frieden ein nicht-diskriminatorischer juristischer Kriegsbegriff durchsetzte, der das Recht, Krieg zu führen, jedem souveränen Staat zusprach und das bloß subjektive Rechtsbewußtsein für ausreichend erklärte, um einen Krieg zu legitimieren«. Außerhalb der Historikerzunft gilt als ausgemacht, daß der Westfälische Frieden, wie in fast jeder denkbaren Hinsicht (vgl. unten S. 268ff.), so auch in der hier interessierenden eine Zäsur darstelle, ich zitiere exemplarisch Christian Hillgruber, Gerechter Krieg? Washington gegen Bagdad 2003, in: Frankfurter Allemeine Zeitung vom 21. Februar 2006, S. 7 (das »in der Politik- und Völkerrechtswissenschaft ... spätestens mit dem Westfälischen Frieden von 1648 endgültig verabschiedet geglaubte Konzept des gerechten Krieges«).

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lum-iustum-Doktrin; doch weil er die Entscheidung über die Gerechtigkeit ihres Krieges letztlich dem Gewissen der Kriegführenden überantwortet und neben dem traditionellen Bellum iustum auch das Bellum solenne kennt, bei dem es nur auf die rechte Autorität und eine formgerechte Kriegserklärung ankommt (und das die Basis für das ausführliche Ius in bello dieses Autors abgibt!), zerfließen alle Konturen. Ins Positive gewendet: Völkerrechtsautoren der Folgegenerationen fanden bei Grotius für fast jede denkbare Position dankbar irgendeinen Beleg, mit dem sie ihre gelehrten Apparate aufschwemmen konnten, vielleicht wird der Holländer auch deshalb so häufig in Marginalien oder Fußnoten erwähnt. Selbst diese Definition eines »bellum iustum«, an der außer der damaligen Lingua franca nichts mehr an die Vormoderne zu erinnern scheint, konnte sich grotianisch geben: »Justum bellum hic dicitur, quod est solenne, et geritur ab eo, qui majestatem habet, praecedente denunciatione«.62 Es war Grotius nicht gegeben, die herkömmliche scholastische Kriegslehre und den neuen Souveränitätsbegriff zu einem schlüssigen Ganzen zusammenzufügen.63 Noch bei den wohl einflußreichsten Völkerrechtsautoren der ersten beiden Drittel des 18. Jahrhunderts, Cornelis van Bynkershoek und Emer de Vattel, finden wir Spurenelemente der scholastischen Doktrin. Ich werde das weiter unten exemplarisch anhand der entsprechenden Neutralitätskapitel aufzeigen, will hier nur, im Vorgriff, eine einzige Passage bei Vattel vorstellen: Deutlich betont dieser Autor zunächst einmal, daß alle souveränen Regierungen »sont libres de demeurer neutres«, und daß sie die Gründe dafür oder dagegen mit sich selbst auszumachen hätten, doch werden (müssen?64) sie dabei, so Vattel, zwei Dinge beachten: ihre 62 Vitriarius, Institutiones, S. 463. Die »Institutiones« sind im Grunde Paraphrase und Kommentar zum Ius belli ac pacis des Hugo Grotius, der Autor übernimmt die Kapitelgliederung des Holländers, und wo er doch einmal von ihr abweicht (weil er zum einen und anderen Kapitel seines großen Vorbilds nichts Eigenes anzumerken weiß), wird eingangs gesagt: Diesem Kapitel X entspricht bei Grotius Kapitel Y. 63 Ich weise nur, exemplarisch, auf einige Passagen aus liber II Caput 23 hin (Hugo Grotius, De iure belli ac pacis libri tres ..., hg. von B. J. A. de Kanter-van Hettinga Tromp, Leiden 1939): »Bellum utrimque iustum esse non potest ... At vero ut neuter bellantium iniuste agat, fieri sane potest: iniuste enim agit nemo nisi qui et scit se rem iniustam agere: multi autem id nesciunt. Sic iuste, id est bona fide litigari potest utrimque ... At iustum si accipimus, quoad effectus quosdam iuris, certum est bellum hoc sensu iustum utrimque dari, ut ex iis apparebit quae de bello publico solenni infra a nobis dicentur«! Iustitia steht hier mal für die objektive, mal für die subjektive, mal für eine formale Berechtigung zur Kriegführung. 64 »Elles ont ... à considérer«, schreibt Vattel (Emer de Vattel, Le droit des gens, ou principes de la loi naturelle, Appliqués à la conduite et aux affaires des Nations et des Souverains ... Nouvelle Edition Augmentée, Revue et Corrigée, Bd. 1, Amsterdam 1775, Buch III, chap. 7, hier S. 43), aber aus moralischem Zwang heraus oder ›nur‹ weil es klug ist? Ich will die Passage im Zusammenhang geben: Wenn ein Krieg zwischen zwei Völkern ausbricht, sind alle anderen »libres de demeurer neutres. C’est à elles uniquement de voir si quelque raison les invite à prendre parti; et elles ont deux choses à considérer: 1º. La justice de la cause. – Si elle

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Staatsräson; und, davor genannt: »la justice de la cause«! Einschneidend freilich schränkt der Autor damit die Handlungsfähigkeit der Staatsleitung nicht ein: »si elle«, die Gerechtigkeit, »est évidente, on ne peut favoriser l’injustice« – wann waren Recht und Unrecht in der politischen Praxis der Kabinettspolitik je »évidemment« einseitig verteilt, und wer wollte dem Neutralen nachweisen, daß er durch sein Abseitsstehen dem Bösen Vorschub leistete? Vattel setzt solchen Unverbindlichkeiten aber noch eins drauf: »il est beau [!] au contraire de secourir l’innocence opprimée, losqu’on en a le pouvoir«. Auch die Väter des klassischen Völkerrechts im 18. Jahrhundert waren ehrenwerte Herren, natürlich fand es Emer de Vattel nett, wenn eine Regierung der verfolgten Unschuld beisprang – so sie gerade nichts Wichtigeres zu tun hatte. Das war dann ein schöner Zug von ihr. Sogar Glafey betet den tradierten Katalog gerechter Kriegsgründe herunter!65 Doch dient das nur noch dem Nachweis von Gelehrsamkeit, denn für den Autor selbst ist die Sache ganz einfach: Es ist »die Sicherheit eines Staats die eintzige Regel und Richtschnur«. Im Register wird diese Aussage so rubriziert: »General-Fundament derer rechtmäßigen Kriegs-Ursachen«. Dieses Fundament war wirklich »general«! »Manchmal«, so Glafey, könne »einer seine Sicherheit nicht anders als mit gäntzlicher Subjugirung oder wohl gar mit der Ausrottung eines Volcks haben«.66 Da möchte man diesem sonst erfrischenden Autor denn doch keine mildernden Umstände mehr einräumen. Natürlich war »der Unterschied der Religion« für Glafey kein respektabler Kriegsgrund, »angesehen Gott keine Armeen und Kriegs-Generale sondern unbewaffnete Apostel und Fischer-Knechte ... ausgeschickt« hat.67 Das sah Johann Michael von Loën in seiner Abhandlung »von der Gerechtigkeit des Krieges« ähnlich, seine Auflistung von Kriegstypen, die »ihrer Art nach an und für sich selbst ungerecht sind«, beginnt so: »Es sind keine unsinnigere Kriege als die Religionskriege«, die »Hauptsumma« des Christentums »ist die Liebe«, »hier gilt est évidente on ne peut [Erstausgabe: doit pas] favoriser l’injustice; il est beau, au contraire, de secourir l’innocence opprimée, lorsqu’on en a le pouvoir; 2º. Quand elles voyent de quel côté est la justice, il reste encore à examiner s’il est du bien de l’Etat de se mêler de cette affaire et de s’embarquer dans la guerre.« 65 Merkwürdig altertümlich liest sich außerdem diese Passage (Buch IV, Kapitel II, »Von EydSchwüren«, hier S. 693): »Im Fall nun einer, der ohne dem einen gerechten Krieg hat«, ein »Werckzeug« zur Rächung eines Meineides abgebe, »hat er um so viel desto mehr Ursache, ein gut Vertrauen auf sein Kriegs-Glück zu setzen, als er weiß, daß Gott ... auf sonderbahre Art vor ihm mitinteressiret ist«. Doch löst Glafey diese theologische Aussage anschließend gleichsam ins Psychologische auf, indem er betont, daß die Überzeugung, für eine gute Sache zu streiten, die Kampfmoral der Truppe stärkt (»die Faust auch bey dem geringsten FußKnecht dergestalt stärcket, und das Hertze aufrichtet, daß offt ein kleines Kriegs-Heer aus diesem Grunde ein weit grössers darnieder geworffen«). 66 Glafey, Recht der Vernunfft, Buch VI, Kapitel II (S. 58f.). 67 Ebda., S. 59.

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weder Zwang noch Gewalt«.68 Doch behandelt Loën sein Thema an sich noch ganz traditionell, er fragt sich, »ob, wann, und wie uns Christen, als Christen, erlaubt sey, Kriege zu führen«, antwortet darauf im Sinne der scholastischen Lehre vom kleineren Übel, fordert dabei strenge moralische Prüfung: »Ein Krieg muß gerecht seyn«.69 Daß er den Krieg sogar noch als »Strafe GOttes« apostrophiert, haben wir weiter oben schon gesehen.70 Die alten Legitimations- und Deutungsmuster waren beharrlich. Auf Relikte stoßen wir auch in den politologischen Pionierwerken der Jahrzehnte um und nach 1600, wiewohl diese doch eigentlich der Theologie ein Terrain politischer Eigengesetzlichkeit abrangen, einen Bezirk absteckten, in dem Politik ihren eigenen Sachzwängen gehorchen durfte; und wiewohl die Bellumiustum-Doktrin schon für den Ahnherrn der ganzen Denkrichtung, Niccolò Machiavelli, keine Rolle mehr gespielt hatte.71 Die alten Versatzstücke wurden dennoch weitertradiert, häppchenweise, und in eigentümlicher Koppelung mit Klugheitsmaßregeln. Christoph Besold, ein typischer, auch qualitativ einigermaßen repräsentativer Vielschreiber dieser Jahrzehnte, argumentiert in seiner »Dissertatio Politico-Juridica« über außenpolitische Bündnisse an sich ganz untheologisch, doch finden wir dann beispielsweise diesen Ratschlag: »Politici tradunt«, daß man bei benachbarten Kriegen besser einer Seite als keiner beispringe, bei gleicher Macht »meliori«, sonst dem Stärkeren.72 Wenn Kalkül und Klugheit einen Spielraum offenlassen, darf Ethik orientierend einspringen, doch verbürgt selbst das keine Bibelstelle, sondern politisches Erfahrungswissen. Wir finden den zitierten Ratschlag übrigens so und ähnlich häufig73, doch sind manche Nuancen aufschlußreich. Wem ist im Krieg beizuspringen?, fragt 1661 die 68 69 70 71

Loën, Gerechtigkeit des Krieges, S. 358 bzw. S. 361. Ebda., S. 348 bzw. S. 355. Vgl. oben S. 99 mit Anm. 291. Vgl. zusammenfassend Diesner, Renaissance-Humanismus, S. 84; für Machiavelli gab es eben nun einmal Kriege (die er überdies für volkspädagogisch wertvoll hielt), man mußte sich zu und vor allem in ihnen klug verhalten, wobei Machiavelli, so Diesner, »taktische Fragen insgesamt mehr als strategische« interessierten. 72 »Si potentiâ sint pares, meliori; si dispares, potentiores nos accedere debere«: Christoph Besold, Dissertatio Politico-Juridica, de Foederum Jure ..., Straßburg 1622, S. 92. – Zusammenfassende Würdigung des Œuvres: Axel Gotthard, Christoph Besold, demnächst im ersten Band eines »Who ’s who in the Habsburg Empire 1526–1848«. 73 Ein früher Beleg ist dieser: Wenn Krieg zwischen zwei benachbarten Fürsten ausbricht, muß man einem von beiden beispringen, und zwar »si pares potentiâ, meliori; si dispares, potiori« – Philipp Heinrich Hoenonius, Disputatio XIII. De confoederatione rerumpublicarum, in: ders., Disputationum politicarum liber unus; ich benützte die 3. Aufl. Herborn 1615, hier S. 583. Im Bürgerkrieg gilt: »Si causa alterutrius partis in bello civili bona sit, debet se adjungere vir illustris et clarus bonae parti« (ders., Disputatio politica VII. De administratione bellicâ, ebda., S. 382). – Ein später Beleg: Man muß im Krieg, vor der Frage etwaiger Bündnisse stehend, stets »exacte et accurate« seine »rationem status« analysieren, »in dubio autem,

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»Dissertatio politica« eines Heinrich Schemel. Prinzipiell dem Stärkeren: davon ist der Autor überzeugt, denn es ist nicht ratsam, sich zum Anwalt einer unterlegenen Sache zu machen. »Alii« indes behaupteten, so referiert der fleißige Doktorand der Vollständigkeit halber mit merklicher Distanz, es sei demjenigen zu helfen, »qui justâ causâ suffultus est«, weil das – nein, nicht etwa Bibelstellen bezeugten, sondern weil es »ex juris civilis tenore« folge und »ratione vinculi societatis humanae« angezeigt sei. Generell sind für diese Dissertation Kräfteverhältnisse viel zentraler als gelegentliche Anklänge an die Bellum-iustum-Doktrin. Ist einem besonders mächtigen Staatswesen zu assistieren, wenn »justa est causa«? Unser Doktorand findet: nein! Denn es ist dann ja zu befürchten, daß der Starke noch stärker wird, was das Gleichgewicht der Kräfte aus den Angeln höbe – dieser Gesichtspunkt schlägt die traditionelle Iustitia allemal aus dem Feld. Kalkül siegt über ethische Norm, Wägen über Bewerten. Übrigens charakterisiert der Autor in seinem illusionslosen Werk den Geist einer neuen Herrschergeneration nach den hitzigen Konfessionskriegen beiläufig so: »Illi ... qui populis frenandis tantìum, non etiam sibi leges scriptas esse existimant, pro regulâ habent, quamvis ratione augeri Status posse«.74 Der Verfasser einer zwölf Jahre später vorgelegten Dissertation nimmt das Gerechtigkeitskriterium noch merklich ernster, eine offenkundig ungerechte Sache dürfe man nicht unterstützen, mahnt er, noch nicht einmal, wenn sich ihre Anwälte auf Bündnisverpflichtungen versteiften.75 Genauso interessant ist, wie er den Mainstream seiner Zeit einschätzt: »Sin autem moribus Seculi hujus rei arbitrium committatur, sine dubio omnem calculum pro utilitate ponent. Hujus enim genius ... Justitiam stultitiae nomine infamat: vel ... sciens vidensque aequitatem, nihilominus exclamat: Vincat Utilitas!«76 2.1.3 Gab es einen Resakralisierungsschub? Wenn ich die Entschärfung der Gerechtigkeitsfrage als Indikator für fortschreitende Säkularisierung interpretiere, lasse ich mich auf ein gefährliches Wort ein. Säkularisierung: das steht für die Entzauberung der Welt durch Aufklärung – et si potentia pares erunt, tutius et consultius esse videtur, eius accedere partibus, qui meliorem caussam [sic] ... habet«: [Anonym], Praefatio, in: ders. (Hg.), Dilvcidationes Jvris publici de nevtralitate provti illa inter gentes liberas atque inprimis inter ordines S. R. Imp. vsitata est ..., Jena 1747, fol. a3f. 74 Schemel, Dissertatio politica, die Zitate: S. 47–49 und S. 51. 75 Vgl. Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 30. 76 Ebda., S. 18f. Voßenhölen schlägt terminologisch schon den Bogen von der zu seiner Zeit noch epidemisch beschworenen »Staatsräson« zum typisch aufklärerischen Utilitarismus. Ebda., S. 19: »Hoc utilitatis commentum ... intra palatia et curias Imperantium receptum, sub decoro et magnifico titulo Rationis status circumfertur et exponitur«.

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doch sind all diejenigen, die das Wort gewohnheitsmä­ßig daherplappern, über seine Bedeutung aufgeklärt? Lassen sie sich von seinem (noch immer) guten Klang verzaubern?77 Ich habe zwei Warnschilder schließlich denn doch Blech sein lassen und muß nun wenigstens nachweisen, daß ich sie schon gesehen habe. Zum einen droht die Säkularisierung, dieser Proteus mit reichlich verschlungener Wortgeschichte, seit geraumer Zeit zum Catch-all-Begriff auszuufern und damit für seriöse Forschung unbrauchbar zu werden. Und es ist die Verlaufskurve dessen, was damit gemeint sein könnte, von unzäh­ligen findigen Konstrukteuren und braven Rekonstrukteuren jedes­mal wieder ganz anders abgesteckt worden. »Säkularisierung«: das ist schon im 19. Säkulum und besonders an seinem Fin de siècle zum Modewort kulturpessimistischer Zeitkritik und Zivilisationsanalyse avanciert, und davon zu raunen, blieb seit­dem ziemlich stabil en vogue, vielleicht gerade, weil dieses Menetekel des Kulturverfalls, diese Kampfparole des Fortschritts, diese Wasser­scheide zwischen progressiv und reaktionär oder, neuerdings, zwi­schen politisch korrekten und »fundamentalistischen« Zivilisationen so vieldeutig schillert. Der geschichtsphilosophische, kulturdiagnosti­sche und zivilisationskritische Prozeßbegriff ist anscheinend fast ubiquitär ein­setzbar, soll ihn die Wissenschaftssprache genau deshalb preisgeben? Die Klage über den dif­fusen Begriffsinhalt gehört zu den Topoi aller neueren Auslassungen zum Thema. Man zeigt Problembewußtsein, und nachdem diese Pflichtübung absolviert ist, kann man putzmunter mit dem soeben noch als prekär und abgegriffen diffamierten Begriff operieren. Pflicht ist Pflicht, wie hätte ich mich ihr entziehen können! Gesehen habe ich die Warnschilder schon. Aber als Frühneuzeitler weiß ich ja, wovon ich rede. Im Spannungsfeld zwischen »nicht mehr« und »noch nicht«, das die europäische Frühneuzeit so – ja, meines Erachtens eben konkurrenzlos spannend macht, ist die Säkularisierung aller Lebensbereiche außer der sich just dabei herausschälenden Privatsphäre ein besonders faszinierender Prozeß. Nicht allen aufregenden Fragen an den Longue-duréeTrend der Säkulari­sierung müssen wir in diesem Rahmen nachgehen. Prägt der so eti­kettierte Prozeß vornehmlich, sogar speziell das einst christliche Abendland (und falls ja: wegen der jüdisch-christlichen Schöp­fungs­theologie oder wegen der spezifisch abendländischen »Aufklä­rung«?), oder handelt es sich um eine universalhistorische und transkulturelle Kategorie? Erfaßt der Prozeß demnach notwendigerweise und überall – oder aber eben nur im einst christlichen Abendland alle Lebens­bereiche außer dem privater Kontingenzbewältigung? Welchen Reim haben wir uns auf die USA zu machen? Bekanntlich wurde im ver­meintlich »mo­dern­sten« Land der Erde ein konfessionsneutraler Rechtsstaat er­richtet, ohne daß der soziale 77 So fragte ich schon einmal an anderer Stelle: Gotthard, Religionsfrieden, S. 501ff. Nicht meine dortigen Ausführungen, aber einige Gedankenschnipsel daraus will ich hier wiederholen.

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Alltag oder auch die politi­sche Kultur säkulari­siert worden wären. Ist jene Emanzipation vieler Lebenssegmente von religiösen Vorschriften und Zielvorgaben, die mit der Aus­differenzie­rung der bipolaren Universalität der mittelalterli­chen Chri­stianitas eingesetzt haben mag, ein linearer, kontinuierli­cher und irreversibler Prozeß? Die letzte Frage führt schon mitten in das Thema dieser Studie hinein. 2.1.3.1 Die »idea that God commands certain wars« Unterlag die – gelehrte, publizistische78 – Entwicklung des Kriegsbegriffs um und nach 1600 einer theologischen Wiederaufladung79, erfuhr sie gar einen Resakralisierungsschub? Von James Turner Johnson erfahren wir, leider beiläufig80, daß sich bei verschiedenen englischen, aber auch französischen81 Autoren des Konfessionellen Zeitalters eine Akzentverlagerung vom erlaubten, da gerechten zum gottgewollten Krieg beobachten läßt, zur »idea that God commands certain wars«.82 Das 78 Auf die politische Praxis blickt konzentriert erst Kapitel A.2.2. Auf den Vernichtungswillen, der aus vielen Pamphleten des Konfessionellen Zeitalters spricht, werden wir dort nicht stoßen. Die Hofburg versuchte 1629, der Germania sacra bedeutende Terraingewinne zu bescheren, nicht aber lutherische Frömmigkeit auf Reichsboden auszurotten. Erst recht prägten jene Spätphase des Dreißigjährigen Krieges, über die wir seit geraumer Zeit endlich besser Bescheid wissen (für unsere Zusammenhänge sind besonders die Monographien von Anja V. Hartmann, Anuschka Tischer, Jenny Öhman und Michael Rohrschneider wertvoll), keine konfessionell aufgeladenen Vernichtungsphantasien. 79 Warum Wiederaufladung? Die Entschärfung der Gerechtigkeitsfrage im Völkerrechtsdiskurs hatte schon vor 1600 eingesetzt, wie wir soeben sahen (Bellum iustum ex utraque parte; die thomistische Trias beginnt auf das Souveränitätskriterium einzuschrumpfen). Sodann haben einige Philologen, von deren Arbeiten schon Kapitel 1.2.3 profitierte, konstatiert, der Kriegsdiskurs politiknaher Literatursegmente sei am Beginn der Neuzeit ganz säkular, wir stießen dort kaum mehr auf »religiöse Argumentation« (vgl. auch unten Anm. 86). Natürlich muß ich gestehen, daß Völkerrechtsdarstellungen einerseits, Chronistik und »Ereignisdichtung« (Sonja Kerth) andererseits recht disparate Textsorten sind und zusammengenommen keinesfalls »den« Kriegsdiskurs »des« 16. Jahrhunderts repräsentieren können. Gleichsam flächendeckend ist er einfach noch nicht untersucht. 80 Der Autor interessiert sich generell mehr fürs Ius in bello als fürs Ius ad bellum, und hinsichtlich des letzteren führt er hauptsächlich den Nachweis, daß die »maintenance of religion« bei zahlreichen Autoren des Jahrhunderts nach 1560 als Iusta causa firmiere. Das forciert meines Erachtens nur, was der mittelalterlichen Bellum-iustum-Doktrin ohnehin inhärent gewesen ist: Natürlich erachtete Thomas von Aquin die Bedrängnis der Kirche, des wahren Glaubens als gerechten Kriegsgrund. – Vgl. James Turner Johnson, Ideology, Reason, and the Limitation of War. Religious and Secular Concepts 1200–1740, Princeton 1975, insbesondere S. 81–131. 81 Hier war es indes, salopp formuliert, nie der intellektuelle Mainstream. Zur französischen Publizistik im 17. Jahrhundert liegt jetzt eine viel ausführlichere Analyse aus der Feder von Alexandre Y. Haran vor: siehe unten S. 212 mit Anm. 400. 82 So Turner Johnsons Zusammenfassung: ebda., S. 104. Er zitiert immer wieder aus Traktaten dieser Jahrzehnte (William Gouge: Es gibt Kriege, deren Gerechtigkeit offensichtlich ist, weil sie »the best warrant that could be, Gods command« haben; Kriege »against Anti-Christ are

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ist eine bemerkenswerte Akzentverschiebung, denn die meisten mittelalterlichen Kanonisten, das Decretum Gratianum oder auch Thomas von Aquin waren von der Frage ausgegangen, ob Kriegführen unter allen Umständen Sünde oder doch unter bestimmten Voraussetzungen, trotz des Gebots der Nächstenliebe, erlaubt (!) sei. Für manche englische Autoren des frühen 17. Jahrhunderts gab es indes keine unzulässigen oder eventuell erlaubten, gab es verbotene oder gebotene Kriege. Die Auctoritas principis wich der Autorität des Allerhöchsten. Alexander Leightons »Speculum Belli Sacri« beschwor 1624 Offensivkriege, die »groundet upon the absolute command of God« seien, »for the revenging him upon his enemies«. 83 Aus den ersten Jahren des Bürgerkriegs förderte Dieter Janssen jüngst vergleichbare Befunde zutage, zusammenfassend konstatiert er eine »Rhetorik des Heiligen Krieges«.84 »God was the interventionist God of the Old Testament«, fiel Derek Hirst auf.85 Auch, wenn wir bei Hirst nachlesen können, daß »many Catholics equally believed in an apocalyptic struggle«, bietet er doch vor allem Beobachtungen zum puritanischen Kriegsbegriff, Turner Johnson wie Janssen zitieren ebenfalls zumeist aus Pamphleten puritanischer Autoren. Ob es auch daran liegt, daß eifrige Puritaner, überhaupt alle, die dem royalistischen Lager dezidiert fernstanden, nicht nur fest an die Autorität ihres göttlichen Kriegsherrn glaubten (was wir ihnen nicht leichtfertig absprechen sollten), sondern sie auch bitter nötig hatten? Die Auctoritas principis lag auf der Waagschale der Royalisten. Gewiß, man konnte dem König Machtmißbrauch vorwerfen, die angeblich unzulässige Einschränkung verbriefter Ständerechte, durchschlagender war es, wenn man ihn als Verräter am wahren Glauben und leibhaftigen Antichristen denunzierte: Denn ein notwendiger, von commanded« von Gott: ebda., S. 215), ich glaubte mir deshalb eine gleichsam flächendeckende Lektüre englischer Flugschriften etc. ersparen zu können. Auf Einzelfunde weise ich aber im Folgenden noch wiederholt hin. 83 Leighton, Speculum Belli Sacri, S. 6. »The sword may not be stretched out to bloud without a call«, ohne göttlichen Auftrag: so Thomas Barnes, Vox Belli, or An Alarme to Warre, London 1626, S. 9. 84 Dieter Janssen, Kriege, S. 119. Hinsichtlich der Breitenwirkung ist der Autor allerdings skeptisch, »lediglich in der Propaganda und in den Schriften eingefleischter religiöser Fanatiker finden sich solche Ideen«, »für eine längerfristige Wirkung« seien »nur gewisse Kreise empfänglich« gewesen, »insbesondere Puritaner und andere religiöse Eiferer beschrieben die Kämpfe in den Begriffen eines endzeitlichen Ringens«: ebda., S. 123f. Immerhin, eine von Janssen ausführlich paraphrasierte Predigt vom Oktober 1645 stachelte die Zuhörer ›erfolgreich‹ zu einem wahren Blutrausch mit bestialischen Folgen an (vgl. ebda., S. 112)! 85 Vgl. Derek Hirst, Authority and Conflict. England 1603–1658, London/Victoria 1986, S. 74. Hirst bietet überhaupt passim einige interessante Beobachtungen nicht nur zur Intensität der Naherwartung in puritanischen Kreisen, sondern auch zu ihrem Kriegsbegriff. »The identification of England with Israel, and of its enemies with God’s enemies, was encouraged by the general fondness for the providential histories of the Old Testament, for those histories told of God’s doings with his chosen people« (ebda., S. 73, hier auch das folgende Zitat).

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Gott geheißener und gelenkter Krieg weckte mehr Begeisterung als ein allenfalls erlaubter. Religiöser Enthusiasmus mußte das staatsrechtliche Legitimationsdefizit kompensieren und konnte es wohl zu Zeiten sogar mehr als wettmachen. Arbeiteten auch in Mitteleuropa vor allem protestantische Autoren emsig daran, das nun einmal katholische Reichsoberhaupt als Feind teutscher Libertät, vor allem aber Marionette einer römisch-spanisch-jesuitischen Weltverschwörung im Dienste der finalen Austilgung evangelischer Wahrheit zu brandmarken? Falls das von Fehden und Kriegszügen gekennzeichnete Jahrzehnt vor dem Passauer Vertrag (1552) eine konfessionelle Aufladung der Diskurse über Krieg und Frieden gesehen haben sollte – aber das können wir vorerst nur vermuten, wir wissen zu wenig darüber –, dann wohl tatsächlich vor allem evangelischer Autoren wegen. Von philologischer Seite kann Sonja Kerth entsprechende Beobachtungen beisteuern. Spielte in den von ihr untersuchten »städtisch-adligen Ereignisdichtungen«, aber auch in Städtechroniken des ausgehenden Mittelalters »religiöse Argumentation ... eine eher untergeordnete Rolle«86, war »das konfessionelle Moment im Schmalkaldischen Krieg 1546/47 von herausragender Bedeutung«.87 Evangelische »Ereignisdichtung« interpretiert, was Karl V. und kaisernahe Publizisten als Landfriedensexekution deklarierten, als Glaubenskrieg, mal sind Rom und »die pfaffen« schuld, mal ist es der fanatisch katholische Kaiser.88 Sein albertinischer Verbündeter Moritz firmiert in den Flugschriften dieser Monate, wie Gabriele Haug-Moritz zeigt, mal als »Judas«, mal als »miles christianus« – »öffentlich kommuniziert wurde der Krieg als der in der Apokalypse angekündigte Endkampf zwischen den Anhängern Gottes und denen des Antichristen«.89 Einzelne90 den Schmalkaldischen Krieg flan86 Wenn Kriege und Schlachten thematisiert würden, sei die Argumentation »auffallend rechtlich« orientiert, »das ›weltlich recht‹ spielt die wichtigste Rolle in der Argumentation der politischen Ereignisdichtungen«: Kerth, Landsfrid, S. 30f. 87 Ebda., S. 189. Der Schmalkaldische Krieg steht so ziemlich am Ende des Untersuchungszeitraums Sonja Kerths und ihrer philologischen Mitstreiter, deren Interessenschwerpunkt eindeutig im ausgehenden Mittelalter lag. Auskünfte über das Konfessionelle Zeitalter finden wir also keine mehr. 88 Vgl. die Beispiele bei Kerth, Landsfrid, S. 192ff. passim. 89 Gabriele Haug-Moritz, Judas und Gotteskrieger. Kurfürst Moritz, die Kriege im Reich der Reformationszeit und die »neuen« Medien, in: Karlheinz Blaschke (Hg.), Moritz von Sachsen – Ein Fürst der Reformationszeit zwischen Territorium und Reich, Leipzig 2007, S. 240. Allerdings schränkt die Autorin ein, auf »die Öffentlichkeit der Herrschaftsträger« zielende Flugschriften seien weniger eschatologisch durchtränkt gewesen, hätten vielmehr »das politische Fehlverhalten des Kaisers als Kriegsursache in den Vordergrund« gerückt (ebda.). Es fehlt im Konfessionellen Zeitalter nicht an Flugschriften (und sogar lateinischen Traktaten), die anspruchsvoll argumentieren, sichtlich die Eliten im Visier haben, und trotzdem zum Endkampf zwischen Licht und Finsternis blasen; für die 1540er Jahre muß ich ihrer Kennerin, Gabriele Haug-Moritz, den abweichenden Befund glauben. 90 Quantifizieren kann ich es nicht, weil ich Flugschriften dieser Jahre nicht systematisch gesichtet habe. [Anonym] (Hg.), Abtruck der verwarungsschrifft, der Chur vnd Fürsten, auch

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kierende Flugschriften kennen die Denkfigur »Gott befiehlt uns den bewaffneten Widerstand91 gegen Karl V.« durchaus. Von theologischer Seite hat jüngst Thomas Kaufmann die von Magdeburg ausgehende publizistische Kampagne gegen das Augsburger Interim (1548) und dann auch gegen die Belagerung der Stadt beleuchtet, sie blies zum Endkampf zwischen Licht und Finsternis: »Apokalyptische Deutungsmuster sind kein Motivgeflecht neben anderen, sondern sie bilden die basale Stimmatrix der mentalen Welt der Magdeburger.«92 Auf den Schmalkaldischen Krieg zurückblickend, deuteten diese Schriften als letzte »Prüfung« vor der einbrechenden Endzeit und als Strafgericht »über die ›lauen Christen‹«93, die Einordnung des eigenen Geschicks kennzeichnet eine »Identifikation des belagerten Magdeburg mit dem Ort der apokalyptischen Endschlacht, Harmagedon«.94 Das blieb episodal, ein Aufflackern: Der Augsburger Religionsfrieden wird dann ja tatsächlich eine Generation lang befrieden. Als sich seit den 1580er Jahren wieder militante Stimmen zu Wort melden, kommen sie zunächst vor allem von katholischer Seite – wir merkten das schon, als wir das Diskursfeld »Krieg und Frieden« von seinem anderen Pol aus beleuchteten, die Diffamierung des nur »äusseren« Friedens analysierten, und auch eine der feiner gestrickten Kampfschriften, die »Autonomia«, haben wir schon kennengelernt. Nicht alle Autoren verschlüsselten ihre Schlachtrufe so raffiniert wie der »Freisteller«, manche wollten, wenn sie ihre »deliberationes de haeresibus extirpandis«95 zirkelten,

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Grauen, Herren, Stette vnnd Stende der Augspurgischen Confession Ainungsverwandten ... an Kaiserliche Maiestat aussgangen ..., Augsburg 1546 (die sicher offiziöse Veröffentlichung eines Briefes, dessen Annahme Karl V. am 14. August 1546 verweigert hatte) beschwört die Pflicht, jetzt »umb Gottes vnd seines heiligen worts Ehre und Glori« zu kämpfen. In [anonym], DEr Allermechtigste vnnd vnüberwindlichste Kayser, vermant seine gelobte vnnd geschworne Hauptleut, das sy auffs fürderlichst, on alle hindernuss gerüst vnd auff seyen, Maihingen [1546] ist der titelgebende »Kayser« nicht etwa Karl V., sondern Gott selbst, der das Aufgebot seiner Gottesstreiter jetzt gegen die Teufelsrotte ziehen läßt. Darf ich solche den ›inneren‹ Widerstand thematisierende Schriften meiner dem ›außenpolitischen‹ Thema des Krieges gewidmeten Studie einreihen? Die recht zahlreiche Historiker, die die europäischen Widerstandsdiskurse des 16. und frühen 17. Jahrhunderts beleuchten, sind an um »Krieg und Frieden«, Neutralität oder Völkerrecht kreisenden Fragen wenig interessiert, die raren Völkerrechtsgeschichten nehmen vom Widerstandsdiskurs keine Kenntnis. Moderne Fragerichtungen gaukeln eine Dichotomie vor, wo die Grenzen tatsächlich fließend waren, jedenfalls in Mitteleuropa, und hinsichtlich der vormodernen »neutralitet« sowieso. Ich gehe in Kapitel C.2.1.2 noch etwas näher darauf ein. Thomas Kaufmann, Das Ende der Reformation. Magdeburgs »Herrgotts Kanzlei« (1548– 1551/2), Tübingen 2003, S. 437. Ebda., S. 484. Ebda., S. 436. »Deliberatio de haeresibus extirpandis« ist das größte Kapitel dieser Arbeit überschrieben: Johann Paul Windeck, Prognosticon fvtvri statvs ecclesiae ... Item, christi­ana deliberatio, de ... quibus Remediis, a Catholicorum prouincijs Sectae omnes ar­ceri, aut vbi nidificarunt, funditus euelli queant, Köln 1603.

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durchaus beim Wort genommen, für ihre Militanz haftbar gemacht werden. Für einen aufrichtigen Katholiken galt »In Summa. Daß man mit den Ketzern kein friden, weder zeitlichen noch ewigen, es er­heisch dann die tringende Noth vnnd daß es geschehe vmb vrsach willen ärgers zuuerhieten könne eingehen ... auch könne kein Eydspflicht solchen Friden gut oder gerecht machen, sonder man sey ein weg wie den andern schuldig ein Wiederruff zu thun, vnd die Ket­zer, wie es die gelegenheit gibt zu der warheit zu zwingen vnd die Halß­starrige zu vertreiben.« Wer »anderst von diser Sach« redete, war »kein rechter Christ, sonder nur ein Schatten von einem Christen«.96 Denn es war unbedingte, nicht ungestraft wieder und wieder aufschiebbare Christenpflicht, alle »Ket­zer ... mit dem weltlichen Schwert außzurotten« und »mit Krieg ... zur Warheit [zu] nöttigen«.97 Schon Jahre vor dem Ausbruch des großen deutschen Konfessionskriegs lieferten Schreibtischhelden ihre Kampfparolen.98 Die evangelische Seite registrierte das sehr aufmerksam. Evangelische Autoren warfen den Katholiken schon Jahre, ja, Jahrzehnte vor dem Fenstersturz vor, sie planten einen allumfassenden, religiös motivierten Vernichtungskrieg gegen die Ketzer. Ein Traktat »von der Jesuiter Blutdurstigen Practicken« wußte 1583, daß die Protestanten überall in Europa demnächst »außgerottet« werden sollten. »Jesuiter begern den Religion friden auffzuheben, vnd ein Blutbad im Teutschland anzurichten«, »blutgierig« war der Widerpart darauf aus, »das ein grewliche Metzge, vnnd Laniena99 im Teutschland, vnd andern Königreichen angerichtet« wurde. Daß sich evangelische Pamphlete (genauso Akten der Jahrzehnte um und

96 Matthias Mairhofer S.J., Deß newlich auß gegangnen Predicantenspiegels Catholi­sche Schutzschrifft ..., Ingolstadt 1601, S. 357f. (Kursivsetzungen von mir; die das Zitat einleitende ›Notrechtsargumentation‹ spielt auf die scholastische Lehre vom geringeren Übel an). Ich er­ wähne noch aus demselben Kapitel diese ›Begründung‹ für nicht geschuldete Ver­tragstreue: »die Ketzer sonderlich die Predicanten seynd nicht besser als die Türcken« (S. 363); sodann diese Deutung des Gleichnisses vom Unkraut im Som­merweizen: »wie das Vnkraut wächst wenig oder vil, also muß mans außgeten [meint: jäten, ausreißen], vnd wirdt kein gewisse Zahl fürgeschrieben« (S. 380). 97 Das erheische das Kanonische Recht, sei aber genauso »in Jure ciuili, den Keyserlichen Satzungen, dem Gesetz der Natur« festgelegt: ebda., S. 213f. 98 »Convertamus ad Deum, et non deerit«: so rief der uns schon bekannte (vgl. oben S. 59f.) kurmainzische Rat Wilhelm Ferdinand von Efferen 1613 zu den Waffen. 99 Fleischbank! So eifert »Eusebius Philadelphus«: Practicken, Marginalie auf S. 11. Ähnlich formulierte eine Flugschrift 1610: »Die Je­suiter ... begehren die Sach dahin zu richten, daß eine grewli­che Metzge vnd Laniena in Teutschland vnnd andern Königreichen angerichtet, der Religionfriede auffgehaben, vnd der Stärckere den Schwächeren in Sack schieben soll« – so die unpag. Vorrede zu Christophorus Donawer, Erhebliche Vrsachen, Warumb er auff offentlicher Cantzel, in verketzerung vnd verdammung der genanten Calvinisten, sich nicht einlassen könne, Ndr. [des Traktats von 1610] o. O. 1659.

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nach 1600100) wieder und wieder die »Jesuiter« oder »Jesuwider« vornahmen, hat verschiedene Gründe: In der Tat waren sie ja Motoren der Gegenreformation, in der Tat war das Deutschlands Protestanten aufwühlende Thema »de fide haereticis servanda« bei Angehörigen dieses Ordens besonders beliebt. Aber das Feindbild war eben auch bequem ubiquitär verwendbar, weil es lagerintern konsensfähig war, anders etwa als offene publizistische Attacken aufs weltliche Oberhaupt des christlichen Abendlandes, den Kaiser. Die antijesuitische Polemik kam zusehends ohne eigentlich theologische Argumente aus, politisierte sich eminent, die Jesuiten mutierten hier zu einer internationalen terroristischen Vereinigung. Es »gelüstet[e]« militante Katholiken und alle Jesuiten danach, »daß der Frieden auffgehaben, vnd vnser liebes Vatterland in ein Blutbad gesetzt würde«101, mutmaßte eine Abhandlung 1596. Auf Schritt und Tritt begegnen wir solchen Vorwürfen seit dem Beginn der Vorkriegszeit im Frühjahr 1608, mit anderen Worten: in der letzten Dekade vor dem Fenstersturz. Die Jesuiten suchten »Krieg in Teutschland«, »auß blutdürstigem Gemüht«.102 Speziell die Calvinisten würden demnächst »außgerottet«, auf daß danach »leichtlich den Lutheranern der garauß gemacht« werden könne. 100 Es ist bezeichnend, daß sogar die Akten der notorisch wienhörigen Dresdner voll sind mit bitteren Anklagen gegen die »Jesuiter«: Es war ein Denkklischee, mit dem man sich an der Elbe kritische Fragen an die Adresse des Kaiserhofs ersparte, das Trugbild vom unparteiischen, den Reichsverband integrierenden Kaiser unbefleckt erhielt. Bewußt und pointiert hat man zwischen katholischen »Stenden, und Jesuitern einen großen unterschiedt gemacht«: Kurfürst Christian II. an seine Gesandten am Regensburger Reichstag, 1608, März 5 (Entw.), Hauptstaatsarchiv Dresden (im Folgenden: HStADr) Locat 10209 Vierdte Buch Reichstags­sachen 1608, fol. 355–360. Man war sich sicher, daß die »hefftige und hitzige auslendische Consilia« der Jesuiten auch Kaiser und katholischen Fürsten mit ihrem »deutschen gemuth« mißfielen (dass. am 24. Januar, Entw.: ebda., fol. 54–67). Gewiß, ›die Jesuiten‹ hatten »ihren respect mehr uff den Babst zu Rohm ... als uff des heiligen Römischen Reichs gelegenheit und zustandt«, hatten »in den benachbarten Königreichen nichts als iammer und elend angerichtet« (Instruktion Christians für Johann Gödelmann vom 7. Januar 1604, Or.: HStADr Locat 8238 Original Instructiones und befehliche an Herr Dr. Gödelmannen, unfol.), aber in der katholischen Liga hatte man ja nicht mit »Babst noch Jesuitern« zu tun, da waren »teuzsche Fürsten«, die seit 1555 »keinen Evangelischen Standt, ratione Religionis, beleidiget« hatten: Esaias von Brandenstein und Marx Gerstenberg an Christian II., 1610, Okt. 26 (Or.), HStADr Locat 8806 Sieb­zehende Buch Jülichische Sachen, fol. 237–240. 101 Polykarp Leyser, Vorrede an den Christlichen Leser, in: Elias Hasenmüller, Histo­ria Iesvitici Ordinis, Das ist: Gründtliche vnd außführliche Beschreibung deß Jesuitt­schen Ordens ..., ins Teutsche gebracht, Durch Melchiorem Leporinvm ..., Frankfurt 1596 (unpag.). 102 [Anonym], Wolmeinender, warhaffter Discurs, Marginalie auf S. 15. Es wird dann umständlich dargelegt, daß »dieses vorhabende Bellum« nicht iustum, honestum oder utile sei, ehe der Autor auf S. 104 zufrieden resümieren kann: Damit sei »in universum erwiesen unnd dargethan«, daß »dieses vorhabende Bellum, und Jesuitische Tyrannische verfolgung nullo jure, nulla honestate, nec pietate fundiert, sondern inhonestum, injustum et turpe«.

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Man wolle »beständigen Fried vnd Einigkeit« (dieser Pamphletist kannte die Ausführungen der sich gelehrt gebenden Traktate über »äußeren« und wahren »inneren Frieden«!) dadurch herstellen, daß alle Abweichler »in Krafft deß Tridentischen Concilii execution den Hals darstrecken, vnd jhr Leben lassen, vnd gätzlich [sic] mit jhren Religionen außgerottet« werden. Es gebe zu viele Stimmen, die derzeit dazu aufriefen, die Andersgläubigen »außzurotten« und »ein groß Blutbad in Teutschland anzurichten«. 103 Der Kolporteur »Etlicher Blutgieriger vnd Fewriger Räth und Anschläg« wußte 1615, daß »die Papisten« eine »starcke Regul« besäßen, »Nemlichen, daß keine Ketzerey hundert Jar bestehe, entweder vergehe sie in solcher zeit selbsten, oder werde mit dem Schwerdt außgerottet«. Da nun der Thesenanschlag nahezu hundert Jahre her sei, verfalle die Gegenseite in immer hektischere Aktivitäten, »vmb das Euangelium außzurotten«. Sie erkläre es ja »vnverschämpt« und ganz offen, daß sie der Religionsfrieden nicht mehr binde, daß man jetzt »mit Schwerdt vnd Fewr« vorgehen werde, kurz: es werde »ein schröcklich Blutbad« geben. Es sei »newlich von den Papistischen potentaten einhelliglich, starck vnd vest geschlossen worden, alle Euangelische Potentaten, Fürsten, vnd Hern, alle Religionsverwandte vnnd Euangelische Christen, inn der gantzen Christenheit, von allen vier Orten der Welt hero, mit Schwerdt vnd Fewr anzugreiffen, zuüberziehen, zuübersturtzen, zuvertilgen, außzurotten, zudämpffen, zuewürgen, vnd alle zumahl gäntzlichen vmbzubringen, daß auch kein Kind in Mutterleib, so von Ketzern herrühre vberbliebe.«104 Da wollten denn katholische Autoren nicht zurückstehen. Natürlich waren in Wahrheit an dem »antroenden Kriegßwesen« die Calvinisten schuld, wußte eine Flugschrift 1616. Sie planten »alles in mordt vnd brandt zu stecken«, indes war gewiß, daß sie den von langer Hand vorbereiteten »Krieg« nicht gewinnen konnten: denn es werde »Gott den Catholischen beystehen«. Beispielsweise diese Abhandlung kennt den Notwendigen und den Heiligen Krieg, wie ihn Turner Johnson in englischen Traktaten gefunden hat, durchaus: »Die Catholische werden vmb eine gerechte sach ... zu kriegen genötiget«, nämlich um »die Catholisch Religion im Reich zuerhalten« und das Kaisertum zu retten. »Sintemal solches, wie genugsam erwiesen, rechte nottbringende vrsachen zum krieg

103 [Anonym], Außführlicher Discvrs Und bedencken, eines Deutschen Catholischen Patrioten, an alle alte Catholische, Deutscher Nation ..., o. O. 1615. 104 Der Autor weiß sodann, daß man diesen »Anschlag« jüngst Khlesl eröffnet habe, der indes abriet: Karl V. sei mit einem ähnlichen Versuch einst gescheitert. Man müsse erst Uneinigkeit im evangelischen Lager säen (Kern der Wirkungsabsicht der Schrift!), einzelne schwache Glieder herausbrechen, so zuerst die evangelischen Reichsstädte ...: [anonym], Catholische Liga, oder Papistische Bündtnus vnd Entdeckung, Etlicher Blutgieriger vnd Fewriger Räth und Anschläg ..., o. O. 1615, die Zitate: S. 3f.

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seindt, Ergo werden die Catholische vnfehlbar Göttliche hülff vnndt beystandt haben«.105 Wir können festhalten: Schon vor den böhmischen Präliminarien zum großen deutschen Konfessionskrieg war der Glaubenskampf publizistisch präsent. Die schreibenden Eliten sahen in banger oder froher Erwartung dem apokalyptischen Ringen zwischen Licht und Finsternis entgegen und/oder unterstellten dem anderen Lager, in diesen Kategorien zu denken. Eine gewaltige, noch nicht einmal ansatzweise erforschte Springflut konfessioneller Polemik überspülte das Reich. Man müßte die Kampfpublizistik dieser Jahrzehnte unbedingt einmal als Literaturgattung mit ihren typischen Stilmitteln und diskursiven Strategien würdigen, hier konnte nur interessieren, daß die heute ausnahmslos vergessenen, damals offenbar vielgelesenen106 Autoren zwischen den Zeilen und manchmal nicht nur da zum gottgewollten finalen Vernichtungskrieg gegen die Häresie aufriefen und sich dabei göttlichen Beistands sicher waren. 2.1.3.2 Ein erster Siedepunkt konfessioneller Emphase: die Jahre um 1620 Daß sich die (in zeittypischer Verschränkung ständisch-libertär wie konfessionell motivierten) böhmischen Querelen aus konfessionspolitischen Gründen zum mitteleuropäischen Krieg ausweiteten, war den Zeitgenossen viel klarer als der modernen Forschung. Sogar jene in Dresden maßgeblichen Kreise, die das, zur fortgesetzten Verwunderung der politischen Mitspieler107, angestrengt anders beurteilten, sahen sich genötigt, in einer offiziösen Schrift seitenlang nachzuweisen, daß man mit keinem neuen »Maccabeer Krieg« konfrontiert sei, wiewohl – und dieser Zusatz ist besonders interessant – diese Gleichsetzung derzeit ja »fast für vnwieder­leglich gehalten« werde.108 Ein Konfessionskrieg also – daß dieser dreißig Jahre währen würde, konnte man um 1620 nicht wissen, doch fehlte es 105 [Anonym], Lermen Blasen, die Zitate: fol. Aij bzw. fol. M. 106 Für die unmittelbar am Augsburger Religionsfrieden anknüpfende Publizistik, also mit einem engeren Fokus, zeige ich an anderer Stelle, wie sich sogar die politischen Entscheidungsträger von solchen Kampfschriften beeindrucken ließen: Gotthard, Religionsfrieden, S. 608–613. 107 »Die Sachsischen sunt saxei, non admittunt ratio­nes«: Für die Unionspolitiker war jene kursächsische Reichspolitik, die heute auf den ersten Blick ›moderner‹ anmutet als die unierte, ganz unbegreiflich, irrational, bestenfalls hoffnungslos veraltet (weil ›vorkonfessionell‹). Vgl. Axel Gotthard, »Politice seint wir Bäpstisch«. Kursachsen und der deutsche Protestantis­mus im frü­hen 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für historische Forschung 20 (1993), S. 275–319. 108 [Anonym], Deutliche vnd gründliche Außführung dreyer jetzo hochnötiger vnd gantz wichtiger Fragen ..., o. O. 1620, S. 17ff. Vgl. zu dieser Flugschrift unten S. 313ff.

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weder in Ratsstuben109 noch in der Publizistik110 an Unkenrufen, die einen quälend langen Glaubenskampf prophezeiten. Ein Pamphlet von 1620 formuliert es so: Es sei ja der »disputat wegen der Religion ... jtzt leyder das principium belli«, und »es möchte ein continuirlicher langer, gestalt deß Niderländischen Kriegs darauß werden«.111 Die schon in den Vorkriegsjahren anwachsende publizistische Militanz legte sich nicht ausgerechnet jetzt wieder, da der deutsche Konfessionskrieg anhub. Fünf Jahre, ehe in England Alexander Leighton sein »Speculum Belli Sacri: or the Looking Glasse of the Holy War« veröffentlichte, titelte der rührige deutschitalienische Publizist Kaspar Schoppe, der seine lateinischen Traktate als »Scioppius« schrieb: »Classicum belli sacri«.112 Das Elaborat suchte dem Kaiser mit einem Schwall insbesondere alttestamentarischer Verdammungsurteile über Laue und Gottlose einzubleuen, daß er (so die aktuelle Nutzanwendung) schleunigst die Ketzerei in Europa mit Feuer und Schwert113 auszurotten habe. Neben der Marginalie »Aduersus Principes religionem mutantes, quid Deus facere iubeat« 109 Man kann die zunächst komplett fehlende (vgl. unten Kapitel B!), dann aber doch rasch anwachsende Einsicht in die Dimension der vom Fenstersturz ausgelösten Ereigniskette gut in den Stuttgarter Beratungsprotokollen verfolgen. Schon am 28. Mai 1619 unkte Vizekanzler Sebastian Faber, der Streit in Böhmen werde »in diesem oder folgendem Jar nit ausgetragen« (Besprechungsprotokoll: HStASt A90A tom. 39, fol. 638–643). Ein Rätegutachten vom 4. Juni 1619 prognostiziert, es sei ein »langer Krieg« zu erwarten, er werde »vil jahrlang wehren« (ebda. tom. 22, fol. 241–257). Am 7. September 1619 warnte Hofrat Veit Breitschwert, es drohe ein »bellum civile« im ganzen Reich, drohten europaweite Kämpfe über viele Jahre hinweg, man wisse ja, wie lang schon um die niederländischen Nordprovinzen gerungen werde: ebd. tom. 25, fol. 85–92. Es ließen sich viele ähnliche Belege beisteuern. 110 [Anonym], Copie Vertrewlichen Schreibens Wentzeln von Meroschwa Behmen, an Johann Trauten Burgern zu Nürnberg ..., Darinn die beschaffenheit deß Kriegs inn Behmen, vnd was die Reichsstätt darunder in acht zunemen begriffen ..., angeblich Augsburg [Kenntnis der Unionsinterna legt einen nürnbergischen Autor näher] 1620, S. 21: »Meiner meinung nach wirdt es einen langwirigen Krieg abgeben«. »Hipilippanus Dinorus«, Der Evangelischen Chur- Fürsten, Stände vnd Reichsstätten Andere Schildtwacht ..., o. O. 1623, fol. B3: Es sieht so aus, »als ob immortale bellum, ein vnsterblicher krieg darauß werden wölle«. 111 »Jonas Hiebl von Dipperts«, Pfaffanalia, oder Bapst mit dem Degen ..., »Warpurg« 1620, unfol. 112 Zum Folgenden: Gasp. Scioppii ... Classicum belli sacri sive Heldus redivivvs hoc est: Ad Carolum V. Imperatorem Augustum svasoria De Christiani Caesaris erga Principes Ecclesiae rebelles officio ..., »Ticinum« [also Pavia] 1619. – Vgl. zum Altphilologen, Sprachwissenschaftler, Juristen (nicht aber katholischen Pamphletisten) Schoppe: Herbert Jaumann (Hg.), Kaspar Schoppe (1576–1649). Philologe im Dienste der Gegenreformation. Beiträge zur Gelehrtenkultur des europäischen Späthumanismus, Frankfurt 1998. 113 Ich will nur diese Marginalien zitieren: »Deus Hereticos sine misericordia ferro et igne tolli iubet« (S. 73; daneben: »cum eos Deus in manus tuas tradiderit, percuties eos vsque ad internecionem«). »Deus haereticos omnino iubet deleri«: S. 71 (Kursivsetzungen, auch im Folgenden, von mir).

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ruft Schoppe dem ideellen Oberhaupt des christlichen Abendlandes in Erinnerung – aber das ist nur ein fast beiliebig ausgewähltes Beispiel für die Machart der ganzen Hetzschrift –, daß Gott dereinst zu Moses gesagt habe: »Tolle cunctos Principes populi, et suspende eos contra Solem in patibulis«.114 Von Galgen war dieser Autor ohnedies wie besessen. Er wünschte nicht nur alle evangelischen Reichsfürsten dort baumeln zu sehen, auch jene lauen katholischen Ratgeber, die ihre Herren zu unchristlicher Milde anstifteten.115 Ganze Gemeinden, ganze Städte wollte Schoppe verbluten sehen, und er bestand darauf, daß dieses christliche Vernichtungswerk unverzüglich in Angriff genommen wurde. Neben der Marginalie »Aduersus ciuitates religionem mutantes quid suscipiendum« gab er dem Kaiser munter diesen Ratschlag: »STATIM percuties habitatores illius vrbis, in ore gladii, et delebis eam, omniaque quae in illa sunt, vsque ad pecora (etiam infantes, et pueros ...)«.116 »Witenbergam in tumulum dissipabis, ignèque succendes, Lutheranismus ... ex Germania exterminabitur«.117 Wer sich nicht dem Papst unterwarf, war von dessen Advokaten und weltlichem Arm, dem Kaiser, abwechselnd zu vertreiben, mit Krieg zu überziehen, in den Staub zu treten, auszurotten oder mindestens totzuschlagen. Diese Ausrottungskampagne war ein heiliger, weil heilsnotwendiger Krieg. Neben der Marginalie »Imperator ad bellum adversus haereticos se comparere debet« hält der fromme Autor als Quintessenz seiner Ausführungen das fest: »Caput autem omnis eiusmodi consultationis est, vt bellum non tuum, sed Dei esse cum animo tuo statuas, Deumque, causae suae nequaquam defuturum persuasissimum habeas, tametsi hostes, ac rebelles tui multum te viribus superent.« 118 Binnen kürzestem kursierten zahlreiche Auszüge, Papaphrasen, Kommentierungen in deutscher Sprache.119 Doch scheinen das böhmische Beben und die von dort ausgehenden, dann auch das Reich erschütternden Wellen vor allem evangelische Pamphletisten aufgerüttelt zu haben. Warum eigentlich? Auffällig ist, daß sich die Hofburg nicht bemüßigt sah, in die Niederungen der Pamphletistik hinabzusteigen. 120 Aus Wiener Sicht genügte offenbar der amtsgegebene Legitimitätsvorsprung. 114 Ebda., S. 12; vgl. noch, beispielsweise, S. 17, nach einer Auflistung mittelalterlicher Ketzervorschriften: »Sic igitur habes, Imperator, decretum Iudicis, ex quo interficere debes quancunque summo Sacerdoti non obedientem, idque statim«. 115 Vgl. beispielsweise ebda., S. 6: »Faxit Deus, vt aliquando sapiant, quibus ipse populorum curam commisit, et nationem istam Consiliariorum, qui mollibus sententijs Haereticorum sata turbis, et seditionibus ingenia alere solent, in maximam malam crucem faceßere iubeant.« 116 Ebda., S. 11f. 117 Ebda., S. 19. 118 Ebda., S. 32. 119 Vgl. unten S. 157f. 120 Wir werden das noch wiederholt merken, sahen es auch schon im Kontext des Schmalkaldischen Krieges.

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Seinetwegen ging die Hofburg nie gegen Ketzerei, stets gegen »Ungehorsam« und fehlende »Trew«121 vor. Offiziell bekämpfte Wien nicht etwa Häretiker, sondern Rebellen. Das enthebt die Geschichtswissenschaft nicht der Aufgabe, die intern maßgeblichen Motive herauszuarbeiten, an den Ligahöfen (deren Akten ich besser als die habsburgischen kenne) fand die Wiener Parole von der »Rebellion« geringe Resonanz122, dort ging es um konfessionspolitische Besitzstände, um Lesarten des Religionsfriedens. Aber nach außen hin konnte man sich, um die charismatischen Ressourcen des Kaisertums auszuschöpfen und die wienhörigen Dresdner nicht zu verschrecken, an die Wiener Rhetorik anlehnen – es ist plausibel, anzunehmen, daß das den heiligen Eifer katholischer Pamphletisten bremsen konnte. Dann gewann die katholisch-kaiserliche Seite eben seit 1620 eine Dekade lang die entscheidenden Schlachten – schien man publizistischen Rückenwind nicht so nötig zu haben? Andererseits wird der Siegeslauf Gustav Adolfs auf evangelischer Seite eine neue Springflut von Pamphleten auslösen. Am wichtigsten wird dieser Gesichtspunkt sein: Die allermeisten Flugschriften sind so offenkundig parteiisch, daß sie von vornherein nur die eigenen Parteigänger erreichen konnten. Sie waren im Visier123, sollten mobilisiert und zusammengeschweißt werden. Das aber war auf evangelischer Seite, wo sich Lutheraner und Calvinisten nicht nur sonntags gegenseitig perhorreszierten, Kursachsen überdies »politice Bäpstisch« agierte124, offenkundig besonders dringlich. Geringe legitimatorische Anstrengungen der Hofburg, geringe evangelische Geschlossenheit125 – beides dürfte sich schon seit 1583, als im Erzstift Köln spek121 Der Untreue-Vorwurf ist keinesfalls harmlos, ist nicht als moralischer Appell zu lesen, sondern hatte potentiell gravierende lehnrechtliche Konsequenzen! Das Reich war politisches System wie Lehnsverbund; wer sich »untreu« gebärdete, beging Felonie (meint: er verstieß gegen die vasallitischen Treuepflichten), womit er sein Fürstenlehen aufs Spiel setzte. Vgl. noch, unter Zuspitzung auf die Akzeptanz der »neutralitet«, unten Kapitel C.6.4. 122 Für die Jahre 1618 bis 1620 zeigt das ausführlich Kapitel B. – Mit der kriegslegitimatorischen Inkongruenz zwischen Hofburg und Ligahöfen ringt, freilich dissimulierend, der »Zweyfache SoldatenSpiegel« von 1629. Sein Autor war sich sicher, daß »vom wiedrigen Theile die Religion fürgeschützet« wurde (fol. B), während die Hofburg dieses Mißbrauchs religiöser Argumente nicht beschuldigt werden konnte, wenn sie den ihr geschuldeten Gehorsam reklamierte. Freilich »wird hie fürgewandt: Ob es gleich auff jhrer Mayt. Theil kein ReligionsKrieg were, so macheten doch andere Fürsten vnd Stände Bäpstischer Religion einen solchen drauß, massen dann die Liga bey dem Kayser vmbgetreten, vnd allerhand Thätligkeiten gegen die Evangelische verübet.« Der Autor streitet das nicht rundweg ab, »daß die Catholische Stände des Reichs für jhre Religion ein wachendes Auge haben ... geschieht nicht vnbillich« (fol. Bij), freilich verwende die Liga ja »jhr Volck nicht offensivè, sondern zu Beschützung jhrer ReligionsFreyheit«. 123 Vgl. schon oben S. 97 mit Anm. 278; ferner unten Anm. 336. 124 Vgl. Anm. 107. 125 Der Appell des Kölner Kurfürsten Gebhard an die Solidarität der Kurvereinsbrüder verfing nur in Heidelberg, bewirkte wenig in Berlin und gar nichts in Dresden. Der Mainzer und

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takulär und mit Waffengewalt um den Geistlichen Vorbehalt gestritten wurde, publizistisch ähnlich ausgewirkt haben wie nach 1618. Schon damals hatten vor allem evangelische Autoren zur Feder gegriffen. Übrigens konnten sie bisweilen126 durchaus auf Gottes Lenkung in der Schlacht rekurrieren: Da bewiesen »die Fewerzeichen so newlich am Himmel gestanden, so Zeichen des Zorns Gottes sein«, bewies aber eben auch der momentane Kriegsverlauf 127, »das der liebe Gott noch fest helt vber sein kleines Heufflein.« »Aber Gott hat seine Hand daselbst vber seine Christen wunderbarlich gehalten, vnd die, so diese grausame Feinde der warheit fürnemlich sucheten hinzurichten, oder auff die Fleischbanck zu opffern, gnedliglich beschirmet vnd durch seine Engel herauß geführt.«128 Erst recht stoßen wir in der Publizistik zum Dreißigjährigen Krieg auf den von Gott anbefohlenen und gelenkten Krieg. Aus dem Bellum iustum des rechtmäßigen Princeps wird das Bellum necessarium unter göttlicher Leitung – zumal in zahllosen Flugschriften der ersten Kriegshälfte, zumal (freilich nicht ausschließlich) in evangelischen Ausarbeitungen. Kaum waren in Prag zwei kaiserliche Statthalter in den Burggraben gefallen, schrieben Flugschriften von der Christenpflicht, den böhmischen Glaubensgenossen militärisch beizuspringen. Sich ihrer anzunehmen, war von Gott »befohlen«, »gebotten«, man hatte vom Heiligen Geist »ein scharpffen befelch« dazu, und von diesen Ordres dispensieren auch keine »Jesuitische« oder »Machiauellische vnnd andere Politische eynziehungen«, nicht »vor GOTT«. Der nämlich hatte ein evangelisches Kriegsbündnis »auffs schärpffeste, ja bey verlierung seiner Huld vnnd Gnaden gebotten«.129 »Bellum illud est non modo justum, sed etiam

der Trierer agierten entschieden als Erzbischöfe. 126 In der ausführlichen Monographie Schnurrs zur »Mediengeschichte des Kölner Kriegs« mit ihren vielen Zitaten spielt das Motiv fast keine Rolle. Freilich stellte sich die Autorin die Fragen der vorliegenden Studie nicht. Sie wollte die wenig erforschte Mediengeschichte des späten 16. Jahrhunderts schärfer konturieren, was ihr in vielen Hinsichten auch gelang. Ihre Fragestellungen waren durchgehend dezidiert mediengeschichtlich: soziologisches Profil der vermutbaren Autoren, Gattungsprofile, Entwicklungspotentiale im Rahmen einer Archäologie der modernen Zeitung. 127 Hier: die Einnahme von Deutz durch Gebhard Truchseß – [anonym], Newzeitung aus Cöllen. Warhafftiger vnnd gründtlicher Bericht, Wie ... der Hertzog Casimirus ist im fullen Anzügen vnd helt den Musterplatz zu Sigem ..., Köln 1583, fol. Aiij. 128 [Anonym], Neuwe, warhafftige Zeitung, Von dem erschröcklichen Zeychen, welchs Gott am Himmel hat lassen erscheinen vber die vngehewren Papistischen Kriegsleuthe ..., o. O. 1588, fol. Aij. 129 [Anonym], Traw, Schaw, Wem, S. 18 bzw. S. 20 bzw. S. 23. Gott wird seine Streiter dann auch nicht im Stich lassen, so der Schluß der Schrift (S. 30): »Gebt Gott die Ehr, trettet zusamen«, er wird die Seinigen nicht »lassen zu grund gehen«, wird sie »vor der vngestümmigkeit vnserer Widersacher erretten«.

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necessarium«, weiß ein etwa zeitgleich erschienenes Traktätlein.130 Offensivkriege sind für Christen verboten, konzediert »Iohan-Philippus Spindesius« – doch »die Religion mit dem Schwerdt zu defendiren vnd zuvertheydigen«: solch fromme Tat muß man als »necessariam ... approbiren«.131 Eine angeblich in Prag gedruckte Flugschrift rekapituliert seitenlang die alttestamentarischen Kriege, für die Jahwe paßgenau je besondere Kriegshelden erwählt, ja, die Jahwe selbst an der Spitze seines auserwählten Volkes bestritten habe, um so auf die böhmische Gegenwart zu applizieren: Es gebe nun einmal »gewisse Gründe oder vrsachen, warumb die Hohe Obrigkeit schuldig ist, inn diesem ReligionsKriege das jhre darbey zuthun, vnd sich mit finden lassen soll. Denn erstlich hat vns vnser HErr GOtt versprochen, daß er solchen Heiligen vnd rechtmessigen Kriegen selbst zugegen beywohnen wolle, damit alles wol gelinge ... die H. Schrifft nennet solche nothwendige Heerfahrten, bella Domini ... Vnd man wird GOtt versuchen, wenn man daheimen faulentzen wolte.«132 Dieser Krieg war nicht nur notwendig, dem Herrgott geschuldet, Jahwe selbst zog mit seinen Truppen. Eine »Böhmische Nebelkap« von 1619 rief so zu den Waffen: »Darumb auch müssen wir all vnser vertrawen, auff die krafft deß Allmechtigen Gottes setzen, vnd allein auß seinen Händen deß Siegs erwarten, vngezweiffelter Hoffnung er werde vns den Sieg geben, vnd er werde vor vns streiten, weiln wir vns vmb seines Namens Ehre vnd vnser Seelen Seeligkeit willen, vns in den Krieg begeben. Dann Gott ist allein der jenige, der die Feinde in die Hände seines Volcks vbergibt, Gott ists der da streitet, wir sampt allem was wir darzu bringen, mögen nur Instrument vnd Mittel seyn, dadurch Gott vnsere widerpart darnider wirfft«.133 Drei Jahre später beobachtete der Autor einer Flugschrift, daß die Katholiken einen »Heiligen Krieg« zu führen behaupteten134, tatsächlich waren sie wohl mit dem »Teuffel« im Bunde.135 Man kannte ja ihre »blutdurstige Art vnd Eygenschafft«, »aber der im Himmel wohnet, der lachet jhr, vnd der Herr spottet jhr.« Wenn die Katholiken »Klügest greiffen an, So geht doch Gott ein ander Bahn, Es steht in seinen Händen«, er wird »die

130 »Johan Huß redivivus genandt Martyr«, Böhmische Fridensfahrt (unfol.). Vgl. zum Pseudonym oben S. 70 Anm. 172. 131 »Iohan-Philippus Spindesius«, Teutscher Bruderfreundt, fol. Bij. 132 »Johan Huss redivivus, Martyr Constantiensis Constantissimus«, Spanischer Gelttrutz, Vnd Castilianischer Hochmuth ..., angeblich Prag 1620, fol. Biiij (Kursivsetzungen von mir). 133 »Johann Huß, genandt Martyr«, Böhmische Nebelkap, Oder Der Böhmen falschen vnd geferbten, vnnd dann weder Kalten noch warmen, wie auch jerer gewissen vnnd standthafftigen Freunden Merckzeichen ..., o. O. 1619, S. 16 (Kursivsetzung von mir). 134 »Diesen Heiligen Krieg, wie sie jhn nennen«: [anonym], Andere Schildtwacht, fol. B4. 135 »Gott der Herr« wird »helffen«, und wenn der Widerpart »den Teuffel selbsten zum Gehülffen« nehmen sollte – was dem Autor »gantz glaublich« ist: ebda.

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Römische Babylonische Purpurfarbne Hur«, wird »die plattirte vnd geschorne Rott« vernichten. Stimmt denn die Beobachtung des anonymen Autors, daß katholische Wortmeldungen von einem »Heiligen Krieg« sprächen? Berichte von dieser oder jener durch den »Himlischen Siegsfürsten Christo HEsu ertheilten, frewdenreichen Victori« konnten die Waffenerfolge der altgläubigen Truppen schon auf göttlichen Beistand, göttliche Intervention zurückführen. »Das Schwert, welches die Böhmischen auff vns gezucket, ist auß Göttlicher Prouidentz vnnd Vorsehung auff jre eigene Häupter eingeschliffen«. »Vnd auß disenn ist scheinbar136, daß die hohe Mayestat Gottes, vnser streitendes Volck ... nach dem Exempel Moyses ... vnd nach dem exempel Josue ... mit seinem Schildt der Vnüberwindligkeit bedecket hat.« Da wurden evangelische Belagerungsversuche »durch sondere schickung Gottes« vereitelt137, oder man legte einem gefangenommenen evangelischen Offizier die Einsicht in den Mund, »daß er sehe, GOtt vnd alle Elementa seyn im zuwider«.138 Evangelische Flugschriften konnten aber selbst im Medium der »Berichte«, »Zeitungen« und »Relationen« dicker auftragen, gern auch in ihnen angehängten »Predigten«. Allein die heutzutage wenig bekannte Eroberung Pilsens durch Ernst von Mansfeld im September 1618 hat (mindestens) zwei derartige Elaborate motiviert. Gott war der Mansfeldischen »Sonn vnd Schilt«, Pilsen wurde »auß sonderbarer schickung Gottes« erobert, konstatiert schon die »Gründliche Relation« über die militärischen Vorgänge. Die angehängte angebliche139 136 Meint: ersichtlich, offenkundig. [Anonym], Warhafftige Relation Der Glück vnd Frewdenreichen, vom Herrn Grafen Bucquoij ... den 12. dits Monats April, Anno 1620 durch Göttliche Krafft vnd Segen, bey Egenburg vnd Sitzendorff erhaltenen Victori, Augsburg 1620, die Zitate: fol. Aij bzw. fol. B. 137 So ›erklärt‹ [anonym], Aigentlicher vnd kurtzer Bericht, Was massen Herr Comte de Dompiro ... das zu Garsch Newgeworbene vnnd anders Manßfeltische Kriegsvolck ... in dem Marckt Garsch vberfallen ... vnd ein gute Beut bekommen ..., Augsburg 1620, fol. Aiiij die Rettung von Krems. Zunächst bemerkte ein dahinreitender Kremser »durch sondere schickung Gottes« (fol. Aiiij) einen Anschleichversuch evangelischer Truppen, dann wurde eine nächtliche Überrumpelungsaktion vereitelt, weil sich »durch sondere Schickung Gottes« (fol. B) ein Maurer noch nächtens an der richtigen Stelle der Stadtmauer aufhielt. »Sagen auch alle so zu gegen gewest, daß Gott der Allmächtig der Statt Augenscheinlich geholffen vnd sie auß der gefahr errett« (fol. B). 138 Ebda., fol. Aiij. 139 Es ist in solchen Fällen kaum je zu entscheiden, ob Ähnliches in Kurzform zuvor mündlich von einer Kanzel ertönt sein mag. So, wie uns diese oft sehr voluminösen »Predigten« gedruckt begegnen, sind sie für einen mündlichen Vortrag ungeeignet und viel zu lang. – [Anonym] (Hg.), Gründliche Relation Wie es bey Eroberung der Statt Pilsen in Böhmen ... vmbständlich zugangen ... Beneben einer Danckpredigt vnd Lobpsalm, So auff folgenden Sontag ... gehalten worden. Durch Johann Jacob Heylman, Manßfeldischen Feldprediger, Prag 1618, Ndr. Amberg 1619, die beiden seitherigen Zitate: S. 4 bzw. S. 24.

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»Danckpredigt« reiht das aktuelle Kampfgeschehen (wie so häufig in diesen Jahrzehnten) den alttestamentarischen Kriegen an, rückt es ferner (wie so häufig um 1620) in eine Kontinuitätslinie zu den Hussitenkriegen: Es ist Gott, »der höchste Kriegsfürst über sein allhie in dieser Welt streitendes Volck«, der nun Pilsen »in vnsere Hände gegeben« hat. Endlich mußte die Stadt für ihre Rolle in den Hussitenkriegen büßen, es »hat doch Gott den Tag ewrer heimsuchung nicht ausbleiben lassen«. »Mercket doch jhr Thoren, daß der HErr Gott ist, daß er übet Gewalt mit seinem Arm, vnd zerstrewet, die hoffärtig seynd in jhres hertzens Sinn ... O jhr vnverständigen Pilsner«. »Einen solchen Tag machte der HERR vnser Gott dem Volck Israel, da sie auß Egypten zogen«, er stand so David und zahlreichen anderen alttestamentarischen Kriegshelden bei, sein erneutes Eingreifen vor Pilsen zeigt und verheißt: »Der HERR wird streiten wider vnsere Feinde«.140 Der typologische Rückbezug bewies, welche Seite im Recht war, und weil der Rechtgläubige auf Gottes Beistand vertrauen durfte, ließ sich vergangenen göttlichen Interventionen die siegreiche Zukunft ablesen. Darf denn ein Christ überhaupt zu den Waffen greifen? Mit dieser Erwägung beginnt, scheinbar bedächtig, eine angeblich »Jn dem Christlichen Feldläger vor Pilsen« gehaltene »Heerpredigt«. Es erweist sich rasch als rhetorische Frage, denn: »Gott erweckt Krieges Helden«, »Sie führen des HERREN Krieg«, wie auch hier in ausführlicher Anschaulichkeit die Schlachten des Alten Testaments beweisen. Der brave Christ »erwöhlet jhn den Herren Zebaoth zu einem KriegsPatron der da Herr Zebaoth, ein Herr der Heerscharen, genennt ist«. »Vnser Patron hat Pharaonen ins Rohte Meer gestürtzet, vnser Patron ist dem Josua vor Jericho erschienen ... vnd ist jetzt ohn allen zweiffel mit außgezogen, mit vnserm Heer«. Wie können sich die Katholiken nur erdreisten, wider »GOtt den Obersten Feltherren« die Waffen zu erheben? Auch evangelische Zeloten konnten nun die unfromme Mäßigung der »Politici« geißeln (eine seit den 1580er Jahren in vielen katholischen Pamphleten begegnende ›innere‹ Frontlinie): »Allhier wollen die Politici ein glattes Reinicken fell verkauffen, vnd sagen: Mann soll so Blutdurstig nicht singen, geschweig beten«. Was solch verantwortungsloses Friedensgerede anrichtete, zeigte zuletzt der Ausgang des Schmalkaldischen Krieges, zeigte aber natürlich auch das ganze Alte Testament – »sein die Feind, wie die Egypter im rothen Meer erschrocken vnd verzagt, so ist frischer frölicher Sieg vor der Thür«. Auch an etwaige Gewissensnöte der Söldner denkt die »Heerpredigt«, um sie wie folgt zu zerstreuen: »Es vermeinet mancher, ob er auch sünd thut, so er in ein offenbaren, rechten billigen Krieg einen vmbbringe?« Nein, »Gott selbsten erlegt die Feind. Er hab sie durch dein Schwerdt nider geschlagen, Kompts zum stössen, disputir nicht lang, 140 Die Zitate: ebda., S. 25, S. 38, S. 35, S. 31.

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ob du recht oder vnrecht thust, Gedenck: Gottes Gnad vnnd segen, gute Pistoll vnd Degen.«141 Wenn schon alle möglichen Obristen zu Nachfolgern Mose oder Davids erklärt wurden, muß uns vielleicht nicht überraschen, daß die propfälzische Pamphletistik der ersten Kriegsjahre Friedrich von der Pfalz zur biblisch präfigurierten Heilsgestalt stilisieren konnte.142 Eine Abhandlung von 1620143 präsentiert ihn nicht nur als zweiten Moses, »neugebohrnen« Josua, zweiten »König David«, der pfälzische Griff nach Böhmen läutet hier den Endkampf der Johannes-Apokalypse ein. Interessanterweise begründet der Autor seine Nah­erwartung unter anderem damit, daß die Kurfürsten die tragenden Säulen144 der vierten Weltmonarchie seien, wobei ihre Siebenzahl »auch die sieben tage der Welt Anfang referire; weil aber Gott den siebenden Tag geruhet hat, ebenermassen bedeut die siebende Chur, den Sabbath«. Deshalb dürfe man »festiglich glauben, daß wenn die sieben Churfürsten in eine Vnordnung kommen vnd vertrent werden«, das Weltende »bald darauff erfolgen wird«, zumal ja »Bohemia die siebende Chur« sei.145 Johannes den Täufer typologisch überbietend, ebnet der Pfälzer Friedrich der Wiederkunft Christi die Bahn: Wie jener der einstigen Menschwerdung ein »Vorlauffer gewesen ist, also ist dieser vor deß Herrn Christi seiner andern zukunfft ein vorlauffer, welchem der Herr Christus ... dz eysern Scepter in seine hand geben wirt, wie der Königliche Prophet David sagt ... wie ein Töpffen soltu sie zerschmeissen ... Es ist auch der König, durch welchen Christus grosse schlachten thun wirt«.146 Friedrich wird sogar exemplarisch mit Christus gleichgesetzt, wichtiger als dieser fast schon blasphemisch anmutende Bezug147 ist für 141 Zacharias Theobaldus, Heerpredigt ... Gehalten In dem Christlichen Feldläger vor Pilsen, 7 Octobris Greg. deß 1618 Jahrs, Friedberg o. J, die Zitate: S. 3, S. 6, ebda., S. 7, S. 20, ebda. (Kursivsetzung von mir). 142 Ich zeige das anderswo: Axel Gotthard, »Eine feste Burg ist vnser vnnd der Böhmen Gott«. Der böhmische Aufstand 1618/19 in der Wahrnehmung des evangelischen Deutschland, in: Franz Brendle/Anton Schindling (Hgg.), Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa, Münster 2006, S. 158f.; hier füge ich nur einige Zitate aus zwei Schriften an, die mir damals noch nicht bekannt waren. 143 Zum Folgenden: Johann Plaustrarius, Wunder- und Figürlich Offenbahrung ..., o. O. 1620. 144 Hierzu allgemein Axel Gotthard, Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reichsverband, 2 Bände, Husum 1999; zum Säulen-Topos v. a. Bd. 1, S. 11f. 145 Plaustrarius, Offenbahrung, S. 25. 146 Ebda., S. 51. S. 58: »Endlich zum Beschluß, so hat der Christliche Leser verstanden, welches der newgeborne König ist ... vnd kein anderer ist der Vorläuffer Christi«. Zehn Zeilen zuvor hatte es geheißen: »Dieser Pfaltzgrafe ist der newgeborne König«. 147 Siehe nur S. 33: »Wie der Herr Christus der Eckstein ist, welchen die Bawleuth verworffen haben, vnd er ist zum Anlauff aller Völcker, die nicht an jhn glauben, [geworden,] ebenermassen ist dieser Eckstein (welchen sonderlich die new gebawte Statt Franckenthal« – eine pfälzische Festung – »zu jhrem [sic] Waffen führen thut) vnd ist ein Stein des Anlauffs vnd Ergernuß aller Völcker, so da nicht wöllen zulassen, das Christi Reich sol gefürdert

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uns, daß der Pfälzer auf Gottes Befehl kämpft: »Dann er hats von Gott befelch, durch ein Löwen gebrüll wird Rom verstört werden«. Der »Löw auß dem Wald«, also Friedrich148, »soll und muß Rom zerstören«.149 Es lag nun offen zutage, »daß Babylonia (das ist Rom) soll vnd muß verstört werden, daß man jhre Stätte nicht mehr sehen kan«.150 2.1.3.3 Ein zweiter Siedepunkt konfessioneller Emphase: die frühen 1630er Jahre Schwerlich noch überbietbare religiös motivierte Erregung durchbebte eine Dekade später die während des Siegeslaufs Gustav Adolfs151 publizierten Flugschriften. Sogar aus Dresden kamen nun ausgesprochen militante Stimmen, so bezog der kursächsische Oberhofprediger Matthias Hoë von Hoënegg in seiner danach sogleich im Druck verbreiteten Eröffnungspredigt zum Leipziger Konvent das

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werden«. Die Grammatik ist konfus, der exemplarische Bezug aber doch unzweideutig. Vgl. die nächste Anm. – Nicht ganz so ungeheuerlich anmutend: Jan Hus wurde von den Bewohnern Böhmens, Mährens, Schlesiens gebeten, Friedrich zu »gratuliren« und ihm einen Palmzweig zu überreichen, »welcher jhnen dann deßwegen für andern Bäumen beliebet hat, weil er auch in dem Königlichen Einritt vnsers Herrn vnd Heylandts Jesu Christi von den Völcklern [sic] zu Jerusalem auff den weg gestreuet worden« (»Johan Huss redivivus, Martyr Constantiensis Constantissimus«, Spanischer Gelttrutz, fol. Cij). Plaustrarius, Offenbahrung, S. 50: »Fridericus« ist der verheißene »Löw auß dem Waldt« (er wird schon auf dem Titelblatt so apostrophiert; ebda., S. 51 wird diese ›Begründung‹ gegeben: weil das »Böhmerlandt ... ist ringrumb mit einem wald vmbgeben«). Andererseits changieren auch diese Zuschreibungen in fast blasphemisch anmutender, aber eindeutige Festlegungen meidender Manier zwischen Christus und dem Kurpfälzer, »Christus aber ist der rechte Löw«. Ebda., S. 47. Ebda., S. 48 (Kursivsetzung, wie zuvor, von mir). Nach Gustav Adolfs Schlachtentod verschwanden die hier herausgearbeiteten Deutungsmuster nicht schlagartig aus der Publizistik, aber sie begegnen nicht mehr so gehäuft. Wen auch hätte man nach Tillys und Gustav Adolfs Tod als zweiten Gideon oder »Gesalbten des Herrn« bejubeln sollen? »Heerverderber« Matthias Gallas, Königin Christine oder Axel »Ochsenstirn«? Eine lutherische Abhandlung konnte 1634 urteilen: Regensburg wurde »mit Gottes starcker Hand« erobert, »ist ein Wunder für vnsern Augen«, »ein solcher eyfferiger Gottseliger Held« wie Bernhard von Weimar weiß, daß besagte Eroberung »nicht jhme selbst, nicht der Menschlichen Macht, sondern allein dem höchsten Gott danckbarlich zueygne«. So formuliert: Johannes Saubert, De expugnatione urbis Jebus, Von einnahm der Statt und Festung Jebus ... eine Predigt Vff die eroberung der Statt Regenspurg ... zu Nürnberg ... gehalten ..., Nürnberg 1634, S. 22f. bzw. S. 27. Lebensbild des Lutheraners Saubert: Dietrich Blaufuß, Johannes Saubert, in: Fränkische Lebensbilder, Bd. 14, Neustadt 1991, S. 123–140. Johannes Körber schreckte nicht davor zurück, in seiner »Leicht-Predigt« auf Gustav Adolf gleich den Nachfolger auszurufen: »Zieht ein, O Edler Held jhr führt des Herren Krieg«, »wie Josua führt jhr deß HERREN Krieg« (an Gustav Horn: Threnologia Sveco-Regia, S. 81 bzw. S. 93).

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Zeitgeschehen exemplarisch auf die alttestamentarischen Kriege. Die katholische Liga war gegen »GOtt selbst« geschlossen worden152, biblische Zeugnisse verbürgten, daß der die Züchtigung solcher Feinde selbst in die Hand nahm, sie wurden bekanntlich »zu Kot auf Erden. Dann wie man den Kot mit Füssen tritt, so wurden sie auch mit Füssen getreten«. »Ists kein geringer Trost, daß vnsere Feinde, Gottes selbst feindt sind ... der wird jhnen wol zu thun geben, vnd der wird vnd kan uns statlich vnd ansehenlich vertretten.« »Durch einen einigen Engel hiesse GOtt in einer Nacht hundert vnd fünff vnd achtzig tausendt Mann im Assyrischen Läger todt schlagen. Nun der alte Gott lebet noch.« Erneut wurde das Wirken des evangelischen Hoffnungsträgers, er hieß jetzt Gustav Adolf, als Einlösung biblischer Verheißungen interpretiert, ja, er wurde in die Nähe Christi153 gerückt. Hier interessiert mehr, daß man ihn exemplarisch und sogar typologisch154 an Kämpfer des Alten Testaments zurückband: »Wir alle, die Gott mehr, denn den Menschen folgen, halten Jhn für vnsern Josnam155 für vnsern Gideon für vnsern David«. »Mit Freuden zieh Er ein, des Gideons Nachkommen/ In Siegreicher Gestalt Maccabäi des Frommen,/ Der ander Josua, ein theur und streitbar Held/ Daß uns bezeugt der Sieg, bekannt in aller Welt./ Mit Freuden zieh Er ein, der’s Herrn Krieg geführt/ Zu Trotz dem Goliath, mit Davids Sieg gezieret156.« 152 Die Altgläubigen wollen die Protestanten »außrotten«, sie haben »eine Liga, vnd conjuratissima unitas« gemacht gegen »GOtt selbst«, »wider Gott, wider sein heiliges Wort« und wollen »die Häuser GOttes einnehmen: Wo bißhero GOTTES Wort rein vnnd lauter gepredigt worden« (das Restitutionsedikt!): Matthias Hoë von Hoënegg, Der drey vnd achtzigste Psalm, Bey dem ... Convent, der Evangelischen vnnd protestirenden Chur-Fürsten vnd Stände ... in Leiptzig, Den 10. Februarii, Anno 1631 ... erkläret, Leipzig 1631, fol. Biij bzw. fol. C. 153 Es begegnen in zahlreichen Schriften dieser Jahre Formulierungen wie »der gesalbte des HERRN« (so ließ sich übrigens sogar Kurfürst Johann Georg von Sachsen für seine angeblichen militärischen Heldentaten an der Seite des Schwedenkönigs verherrlichen), »Lamm Gottes«, »Heyland«. Nach dem Schlachtentod Gustav Adolfs fragten dann die Klagschriften und Leichenpredigten, auf Schadensbegrenzung für die Moral der Truppe und des Gemeinen Mannes bedacht: War die allzu triumphalistische Verherrlichung ein denkbarer Grund für Gottes Zorn? Nahezu wortgleich konstatieren sie alle, man habe ja »einen GOtt auß jhme«, also dem Schwedenkönig gemacht. Genau darüber spotteten jetzt katholische Sprüche und Lieder. 154 Also, einfach gesagt, im Sinne einer qualitativen Überbietung – was die mit Hilfe Gottvaters realisierten Großtaten der alttestamentarischen Kriegshelden verhießen, erfüllt Gustav Adolf, so zugleich biblische Prophetie einlösend, auf einer höheren heilsgeschichtlichen Stufe mit Hilfe der göttlichen Trinität. 155 Zweifelsohne verdruckt für »Josuam«: [Anonym], Colloquium Politicum, Vber die Frag: Warum solt ich nicht Schwedisch seyn? ... Insonderheit Dem gemeinen Mann, welcher ohne das gantz irr gemacht worden, zu lesen nützlich, o. O. 1632, S. 22. 156 Sic (eigentlich ein Reimfehler)! Angeblich soll man so in Nürnberg Gustav Adolfs Einzug besungen haben: Franz von Soden, Gustav Adolph und sein Heer in Süddeutschland von 1631 bis 1635. Zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges, Bd. 1, Erlangen 1865, S. 221.

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Die beiden Zitate umreißen schon das Diskursfeld, das evangelische Flugschriften der frühen 1630er Jahre selten verließen. Gustav Adolf war ein zweiter David, die typologische Überbietung Josuas, war ohnehin und obligatorisch in allen diesen Schriften der neue Gideon, darauf vergaß nun wirklich kein Autor hinzuweisen.157 Wie auch sonst in der Publizistik des ersten Drittels des 17. Jahrhunderts, war sodann der Makkabäerkrieg selten weit. Gott hatte beschlossen, zur Rettung seiner Getreuen einen zweiten »Judam Maccabaeum« zu »erwecken«.158 »Also seyn vielleicht die viel 1000. Evangelische, die den König in Schweden darfür erkennen, vnd achten. Wie ich dann weiß, daß auch etliche Catholische hohes Standes Personen selbst, den König in Schweden, für den Evangelischen Maccabeum, vnd Gideon, außgeruffen haben«.159 Was Gottes Wohlwollen für alle Verbündeten des gottgefälligen Schwedenkönigs zu verbürgen schien160, wurde nach seinem Tod flugs zum Weckruf aus etwaiger übereilter Resignation umgemünzt: Denn Gott konnte sehr wohl »nach Mose einen Josuam, nach Gideone einen Jephta, Simsonen etc. Nach Juda einen Jonathan erwecken«, so dafür sorgen, daß das »von jhrer Königlichen Majestät wol angefangen Göttliche Werck hinauß geführt« wurde und daß »die Sachen, so da seyn ist, deromal einest, zu einem glücklichen Ende« kam.161 Wie Gustav Adolf »s’Herrn Krieg« führte, »zum Krieg des HErrn erkohren« war162, verdankten sich auch seine Siege »Gottes Wundermacht«163, mehr als ein157 Hier begegnet er schon im Titel: Henricus Oraeus, Eyfferige Dancksagung Für die Wunderthätige Errettung vnd Sieg, welche Gott ... Durch Den Durchleuchtigsten vnd Groß mächtigsten Fürsten vnd Herren, Herren Gvstaphvm Adolphvm ... Als einen großmütigsten Gideon sieghafftig verliehen ..., o. O. 1632. 158 Matthaeus Lungwitz, Alexander Magnus redivivus, Das ist, Dreyfachen Schwedischen LorBeer-Krantzen Vnd Triumphirender SiegsKrone Erster Theil ..., Leipzig 1632, fol. cij. 159 Matthias Hoë von Hoënegg, Leipzigische Schluß-Predigt ... Mit angeheffter Verantwortung der Predigt ..., Leipzig 1631, S. 82. 160 Umgekehrt galt: »Wer wider den Schweden ist, der ist wider Gott, sein Wort, Kirchen vnd Freyheit«: [anonym], Schwedisch Perspectiv, Dardurch man in die Hertzen, der genandten Catholischen, vnd Lutherischen Regenten sehen ... kan ..., o. O. 1632, S. 27. 161 Corberus, Threnologia Sveco-Regia, S. 27 bzw. S. 16 bzw. S. 26. Die Leichenpredigten ließen die alttestamentarischen Exempel noch einmal Revue passieren, »was Simson, Gedeon, vnd Josua gewesen,/ Wie man von jhnen mag in Gottes-Büchern lesen,/ Das ist gewesen auch der Mitternächtig Heldt,/ Den Gott zu seiner Kirch vnd vnserm Schutz bestellt«: Antonius Franck, Hundertfacher Gut Schwedischer Siegs- vnd Ehren-Schild, Leipzig [1633], fol. B. »Du bist, Adolphe, ja ein rechter Maccabeer«: ebda., fol. Aiij. Kaum eine versäumte es, ihre Durchhalteparolen durch eine Ahnengalerie frommer »Helden« zu bekräftigen, die »im Treffen blieben« und doch früher oder später die Nachfolge anderer »Helden« fanden. Besonders ausführlich verfährt so der lutherische Superintendent von Ulm, Konrad Dieterich: Königlich Schwedische Leichklag ..., Ulm 1633, S. 12ff. 162 [Anonym], Rex Sveciae, Rex Gloriae ..., o. O. 1633, fol. A. »Was GOtt durch jhn hat außgericht, Elsaß vnd Bayren leugnets nicht«: ebda., fol. Aij. 163 [Anonym], Der Mitternächtige Post-Reuter, Vnd seine vnvergreiffliche fünff-fache Postvnd Schrifft-Zeitung ..., o. O. [1632; unpag.]. »Durch Gottes Wundermacht« erlegte Gustav

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mal hatte ein »Göttlichs Mirakel« seinen Siegeslauf befördert 164: »Veni et vidi, Deus autem vicit«.165 Wir sehen uns in eine alttestamentarische Welt versetzt. Vielleicht muß es nicht wirklich verwundern. Das Neue Testament, das Heilige Buch einer kleinen Gemeinde unter der Pax Romana (für Kriegsangelegenheiten war die römische Provinzialverwaltung zuständig!) bietet wenig Material für die Bewältigung von Kriegserfahrungen. Sinnstiftung und Motivation im Konfessionskrieg suchend, griff man ins Alte Testament zurück. Mit den alttestamentarischen Kriegshelden aber wurde der Kriegsbegriff des Alten Testaments aktualisiert, »daselbsten ist GOtt der Kinder Jsrael sichtbarer General« 166, »ja Gott thut selber streiten«.167 Ein Jahr nach dem Sieg bei Breitenfeld wurde in Kursachsens Kirchen so gebetet: Es hast »Du selbst gestritten für dein Volck«, »Du hast eine herrliche That gethan: Du hast gesieget mit deinem Heiligen Arm«. »Deine Hand hat die Feinde zuschlagen.« »Du hast ... zerschmettert der Gottlosen Zäne«.168 Bevorzugtes Werkzeug169 des himmlichen Schlachtenlenkers war Gustav Adolf: sein »Pfeil des Heils«170, »ein außerwehlter171 Rüstzeug Gottes, instrumen-

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Adolf »Croco Till«, also Tilly – »so sol es Babylon vnd allen denen gehen,/ Die Gott vnd seinem Wort halßstarrig widerstehen!« Corberus, Threnologia Sveco-Regia, S. 6: »mitten vnter den Feinden hat er jhn manchmal wunderlich errettet vnd erhalten« (S. 6), aber auch: Gustav Adolf hat »grosse Wunder gethon« (S. 8). [Anonym], Victori Schlüssel, fol. D. Die Schrift schildert ausführlich zwei solcher »Mirakel« (plötzlicher Hagel auf die Feinde; auffallend gute Winde für schwedische Schiffe). Gustav Adolf konnte zu seinem »heiligen Werck« sagen: »Ego veni et vidi, Deus autem vicit; geschwinde hab ichs gesehen, vnd bin dahin kommen, Gott aber hat gewonnen« (Lungwitz, SiegsKrone, Vorrede). [Anonym], Postilion, Abschnitt Nr. 101. Corberus, Threnologia Sveco-Regia, S. 59. Auch der Tod Gustav Adolfs brachte solche Töne also nicht sogleich zum Verstummen. »Du HErr Zebaoth bist außgezogen mit vnserm Kriegsherr: Du hast mit deinem außgestreckten Arm so gewaltiglich für vns gestritten, daß die Feinde bey vielen tausenden seynd auffgerieben vnnd vertilget worden«, »denn sie sind gefallen vnd vmbkommen für dir«, »wie das Wachs zerschmiltzet vom Fewer, so müssen vmbkommen alle Gottlosen für GOTT«: [anonym], Klag- vnd Buß-Gebet ..., 2. Aufl. Leipzig 1632 (unfol.; von Hoës Hand?). [Anonym], Abtruck Chur Sächsischen Jubel, Lob, Danck vnd Denckfestes ..., Dresden 1632, fol. Aiij. Der Ausdruck ist in Flugschriften und Liedern dieser Jahre geläufig. Man bejubelte Siege »eines zu errettung der rechtgläubigen Kyrchen, vnd zu restabilirung der reinen Evangelischen vnd Apostolischen Lehr, von Gott geordnet vnd gesendten werckzeugs«: [anonym] ( Johann Philipp Spieß?), Gespräche und Discursen zweyer Evangelischer Eydtgenossen, von dem gegenwertigen Zustand, o. O. [1632], fol. 24. Aber das ist nur ein Beispiel, Gustav Adolf ließ sich selbst gern als »werckzeug« Gottes stilisieren. »Ein Pfeil des Heils vom HErren, der jhn geschossen ab«, »der frommb Elisae-Pfeil«: [anonym], Mitternächtiger Post-Reuter, auß Leipzig in die Pfaffen-Gasse ..., o. O. 1631, fol. Aij. Sic! Lungwitz, SiegsKrone, Vorrede.

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tum electum, eine außerwehlte Mittelperson, welche Gott der Herr gebraucht, die seinen zu beschützen, vnd die Feinde zu stürtzen«. Es hatte »GOtt durch diesen seinen ausserwehlten Rüst-Zeug sein Werck, darzu er jhn sonderlich beruffen, zimblich außgerichtet, vielerley Anschläg der Feind zu nicht, vnd dero Macht zu schanden gemachet«172, »te DEUS elegit, qui gerat arma DEI«.173 Gustav Adolf war der »Gottesstreiter«.174 Andreas Wang kam, das Motiv der »militia Christiana« analysierend, zum Ergebnis, daß diese »ihr Schwergewicht« im 16. und 17. Jahrhundert »im Bereich der ›passio‹ und des ›certamen spirituale‹ findet«, als »Metapher für den Lebenskampf des Menschen in dieser und gegen diese Welt im Sinne der nach innen gewandten Frömmigkeit oder der Selbsterkenntnis«175: Demnach wäre hier um 1630 eine längst spiritualisierte Bildlichkeit gleichsam ›remilitarisiert‹, ins Handgreiflich-Aggressive gewendet worden. »Gegrüsset seyd o Held! den GOtt auß Mitternacht/ Zur rettung seines Volcks anhero hat gebracht/ ... Gegrüsset seyd o Held! den GOtt vns zu thut schicken/ Daß er sein arme Herd soll in der Noht erquicken«176: Gustav Adolf war das Geschenk Gottes ans Häuflein der Rechtgläubigen. Konnte man so ein Geschenk ausschlagen? »Gott selber hat geholt, aus Mitternacht die Schützen, Er ruffet jhnen zu: loß auff die Pfaffen-Mützen!«177 Konnte man sich einem solchen Ruf versagen? Verfiel, wer sich taub stellte und »stille sitzen« blieb, damit nicht der Sünde?178 Denn Gideon redivivus führte nicht nur »justa«, führte auch »necessaria arma«.179 Sein Krieg war nicht nur gerechtfertigt, er war notwendig: Der »versicherung der gewissen Göttlichen Hülffe« wegen und weil es um »die Ehre 172 Corberus, Threnologia Sveco-Regia, S. 15. Ebda., S. 1: »... deß außerwehlten vnd hochbegabten Rüstzeugs Gottes«. Ebda., S. 28: »du theuer Werckzeug deß Höchsten«. 173 Ebda., S. 53. 174 »Ein gantz newes Lied«: Karl Bartsch (Hg.), Die historisch-politischen Volkslieder des dreißigjährigen Krieges. Aus fliegenden Blättern, sonstigen Druckwerken und handschriftlichen Quellen gesammelt und nebst den Singweisen zusammengestellt von Franz Wilhelm Freiherrn von Ditfurth, Heidelberg 1882, Nr. 67 (Strophe 1). 175 Andreas Wang, Der ›miles christianus‹ im 16. und 17. Jahrhundert und seine mittelalterliche Tradition. Ein Beitrag zum Verhältnis von sprachlicher und graphischer Bildlichkeit, Bern/ Frankfurt 1975, S. 177 bzw. 181. 176 Corberus, Threnologia Sveco-Regia, S. 48f. »Da schickte Gott herauß durch seine Wundermacht/ Den vnverhofften Held auß kalter Mitternacht«: Franck, Ehren-Schild, fol. B. 177 [Anonym], Post-Reuter 1631, fol. Aiij. 178 Jedenfalls hielt es »der Gottesfürchtig Held Gustav-Adolphus« für »eine grosse Sünd«, der bedrängten Kirche nicht beizuspringen: Franck, Ehren-Schild, fol. Bij. »Gott stritt mit vnd für Jhn, vnd Er mit vnd für Gott«. Manche der hier erwähnten Schriften polemisieren gegen die »Neutralisten« – natürlich, der Notwendige Krieg vertrug sich nicht mit »neutralitet«, aber dazu weiter unten mehr! 179 Gott hat »einen solchen streitbahren Heldt vnd rechten Gedeon erwecket«, der »Justa, necessaria vnnd pia arma führet«: [anonym], Hansischer Wecker, Das ist: Trewhertzige Warnung, an die Erbare HanseStädte ..., »Grüningen« 1628, fol. Diiij.

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Gottes, welche von den Feinden gelestert wird«, zu tun war, war es »rühmlich, ja auch nöttig ... zustreiten, in gewisser Hoffnung deß Siegs von HErrn, gleich wie Judas Maccabaeus«.180 An der Seite dieser Erlösergestalt zu kämpfen war nicht erlaubt, sondern gefordert, nicht nur »iustus«, sondern auch »necessarius«, unausweichlich »vermöge des Bunds vnd Eydes mit Gott auffgerichtet«181,«vnsere schuldigkeit, wegen des Bundts, so wir mit Gott haben«.182 Wer sich versagte, »der leugnet vnserem Herren Gott den schuldigen tribut«.183 Man mußte gegen Papst und Spanien kämpfen, sich gegen jeden faulen Frieden stemmen, »alldieweil allhier der Göttliche Befehl in acht genommen werden muß, daß man Gott mehr als den Menschen zu gehorchen«184, und: »Gott befihlt vns den Krieg wider das Babsthumb gestreng«.185 Da wollten nicht alle katholischen Publizisten zurückstecken. Wenn der zunächst recht unerfreuliche Kriegsverlauf doch einmal dazu ermunterte, göttlicher Fügung gewahrzuwerden, griffen auch altgläubige Autoren freudig zu, so nach der Einäscherung Magdeburgs. Durchgehend fiel diese Stadt – seit 80 Jahren wegen ihres damaligen Widerstands gegen das Augsburger Interim Symbol protestantischer Verstocktheit – nun endlich Zorn und entsprechender Strafe Gottes zum Opfer. Der folgende Buchtitel faßt die ziemlich einförmigen Kommentierungen bündig zusammen: »Alte und Newe Zeitung Von der weitbekandten Stadt Magdenburg, welche auß gerechtem Vrtheil GOttes, jhr verdiente Straff, wegen ihres vor 80. Jahrn verübten grossen Muetwillens, den 20. Maij deß lauf180 Johannes Schilius, Antiochi grimmige Verfolgung, Vnnd Der Maccabeer Freymüthige Wiederstand, Ein Fürbild der jtzigen Läufften ..., Erfurt 1632, S. 88f. Gott hat »die legitima vnd necessaria bella, die rechtmessige vnd nöhtige Krieg« gutgeheißen: so eine »Bußpredigt«, aus der Tschopp, Publizistik, S. 159 zitiert (Kursivsetzungen von mir). 181 [Anonym], Gespräche und Discursen, fol. 20. Die sich versagten, standen »alß trewlose, meyneydige vnd Feldflüchtige« da. Ebda., fol. 21: »Es ist des Allerhöchsten sache, derselbige wird sie nimmermehr verlassen«. 182 [Anonym], Anderer jüngstgehaltener Discurß zweyer Eydgenossen, vom Zustand des jetzigen Wesens, o. O. o. J. [1632], fol. 38. 183 Und wird dadurch »ein Mörder an sich selbsten«: [anonym], Bedencken eines guten Eydgenossen ..., o. O. 1632, fol. 43. Wer jetzt abseitsstand, war »Gottvergessenes, trewloses, vnverschambtes Hertzens«, »einer Bestien, eines Monstri, vnd keines Menschen« Art, war dem »Teufel« verfallen. »Allein solche Leuth, oder viel mehr vnvernünfftige Thier ...«: ebda. 184 [Anonym], Magna Horologii Campana, Tripartita. Das ist, Ein Dreyfache, im gantzen Teutsch-Landt hellauttende Glocke, vnd Auffwecker ..., o. O. 1632, S. 22. Vgl. noch, beispielsweise, S. 69 oder S. 74 (»das ist Gottes Werck ...«). 185 Marginalie neben Abschnitt Nr. 115 im »Postilion« (Kursivsetzung von mir). Der ›Normaltext‹ daneben führt aus: Gott gibt »vns die Päbstler ... preiß vnd frey. Dieweil dasselbe ohne Schwerdschlag nicht geschehen kan, befihlet vns GOTT solche ernste gestrenge vnd harte Kriege, darin vnd damit wir die Päbstler zweyfach eyfferiger, als sie vns verfolgen sollen.« Vgl. beispielsweise noch Nr. 119 (Endzeitszenario, weil das Weltende dräut, muß »Babylon« jetzt »durch das Schwert des Volcks Gottes fallen«) oder Nr. 101.

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fenden 1631. Jahrs erschröcklich außgestanden«.186 »Der gerechte Zorn vnd Straff Gottes« hatte Magdeburgs berüchtigte, schon im Widerstand gegen das Augsburger Interim offenkundig werdende »Hoffart ... gedämpfft«, »es ist gewiß, seyd der Zerstörung Jerusalem[s], kein grewlicher Werck vnd Straff GOttes gesehen worden«. »Es ist gäntzlich darfür zuhalten, daß GOtt dise hochmütige Rebellen nicht allein durch das Schwerdt, sondern auch durch das Fewer verderben vnnd außtilgen wöllen, damit sich andere darab spieglen.«187 Die Stadt zerstörte nicht soldatischer Mutwillen oder Leichtsinn, nein: »Zu stürzen ihren Übermuth/ Ließ Gott sein bestes kosten«.188 Daß Gott die Stadt für ihren notorischen Ungehorsam bestraft habe, war im katholischen Tagesschrifttum topisch, manchmal wirkte sein strafender Arm »durch Heroische Mitwürckung deß alten frommen Josuae vnd dapffern Heldens« Tilly.189 Nicht nur dieses Beispiel zeigt: Auch katholische Autoren konnten den heilsgeschichtlichen Rang ihres Feldherrn, Tillys, durch exemplarische Bezüge auf alttestamentarische Kriegshelden190 herausstreichen, auch für sie wurde in diesem Krieg immer wieder unmittelbar Gottes Lenkung deutlich, auch sie riefen triumphierend »GOtt ist mit vns«191 oder »GOtt mit vns«192, ja: »Deus est, qui pugnat«.193 Und auch für sie war der Gerechte ein Notwendiger Krieg.194 Quantitativ treten katholische Flugschriften aber um 1630, wie während der meisten 186 Die Schrift erschien anonym, o. O. 1631. 187 Ebda., S. 17ff. Seitenlang werden danach alttestamentarische ›Vorbilder‹ ausgemalt, die zeigen, wohin Gottes »Zorn und Grimm« führen. – Ähnliche Beispiele aus mir nicht zugänglichen Flugschriften und -blättern erwähnt Werner Lahne, Magdeburgs Zerstörung in der zeitgenössischen Publizistik, Magdeburg 1931. Tilly selbst hatte die Einäscherung der Stadt in seiner »Copia Manifesti« als Strafe Gottes (»... vnd also diese Stadt von GOTT dem Allmächtigen mit Fewer vnnd Schwerdt zugleich auff einmal Augenscheinlich gestrafft worden«) ausgegeben. 188 Bartsch, Volkslieder, Nr. 62 (Strophe 10). 189 [Anonym], Summarischer Extract, Vnd, Glaubwürdiger Bericht ..., o. O. 1631, unfol. 190 »Du Tilly, als der Papisten Gott«, spottet Bartsch, Volkslieder, Nr. 77 (Strophe 7); aber auf katholische Schriften, die Tilly in die Nähe Gottes oder Christi rückten, bin ich nicht gestoßen. 191 [Anonym], Ein Newes Fried- vnd warnungs lied ... wieder alle vnd jede Kayserische Rebellanten ..., o. O. o. J., fol. Biij. 192 [Anonym], Bewögliche Considerationes Von der weitbekandten Statt Magdenburg ..., o. O. 1631, fol. C; [anonym], Copia Kays. May. an etliche Reichsstädt abgangens Schreiben ..., o. O. 1631; [anonym], Alte und Newe Zeitung, S. 18. 193 »Christianus Pura«, Classicum paciferum Daniae ..., Lübeck o. J., S. 4. Die Schrift erschien freilich schon vor dem Siegeslauf Gustav Adolfs, wohl 1627. Bellum necessarium: beispielsweise S. 20. Makkabäerkriege: beispielsweise S. 60. 194 Eng koppelt es [anonym], Auß Leipzig, vom 13. Februarij. Kurtzer Bericht, was sich bey angehendem ... Convent vernemen lassen ..., »Leipzig« 1631, S. 24 aneinander: »... ists gewiß daß Kayserliche Majestät seine Feindt verfolge propter iustitiam, das ist, weil er ex Iustitia schuldig ist die Vbelthäter zustraffen« (Kursivsetzung von mir).

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Kriegsjahre, deutlich zurück, und sie sind nicht den evangelischen vergleichbar195 apokalyptisch aufgeladen. Zuspitzend kann man konstatieren, daß die evangelische Publizistik sowohl den Jahwe-Krieg des Alten Testaments als auch militant ausdeutbare Visionen der Johannes-Apokalypse aktualisierte, während für katholische Autoren nur ersterer wichtig war. Die evangelische Seite stand im Endkampf zwischen Licht und Finsternis: »Wer greifft nuhn nicht daß der thewre König auß Schweden, der getrewe Knecht Gottes Gvstaphvs Adolphvs, Gottes vnd des gantzen Heyligen Römischen Reiches Liecht-Butzer ist«, »auf Gottes gnädigster Verordnung vnd Befelch« wird er Europa »von den Päpstischen trangsahlen, Nacht-Liechtern vnd Abgöttischen Irwischen wol butzen«. Dieser Deus ex machina stürmte auf die Bühne, um die »liebe Kirch in diesen letzten Zeitten nach den Göttlichen Weissagungen noch einmahl vor dem End zutrösten, vnnd das Päpstische Anti-Christliche Reich zu demühtigen« – »der König aller Könnig IESUS, dessen Krieg Er führet, wolle mit Gnaden erfüllen alle seyne Anschläge ...«196 Durfte man da überhaupt in München oder vor Wien haltmachen? Im Siegesüberschwang konnten sich manche Flugschriften sogar fragen, ob dieser »Krieg wider das Babsthumb« nicht über die Alpen getragen werden mußte, ob der Schwedenkönig und seine deutschen Verbündeten nicht, ihren endzeitlichen Auftrag ernstnehmend, »schuldig seyn, Seiner Majestät alleine von Göttlicher Allmacht verliehene Victorien, auch wider den Päpstlichen Stuel zu Rom, sampt seinem Anhang des Welschlands zu prosequiren«.197 Obwohl überall in Europa längst ihren eigenen Sachzwängen gehorchende Politik auf den Begriff gebracht war, zumeist noch auf Latein (als »ratio status«: die später in Deutschland so genannte »Staatsräson«), ist im Gros der Elaborate 195 Hingegen können Andrew Cunningham/Ole Peter Grell, The Four Horsemen of the Apocalypse. Religion, War, Famine and Death in Reformation Europe, Cambridge 2000, kein konfessionelles Profil apokalyptischer Ängste oder Kampfrufe erkennen. Sie geben (S. 19–91) einen Überblick über Endzeitbewußtsein und Naherwartung im Europa des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, vermögen dabei keine regionalen oder konfessionellen Schwerpunkte auszumachen, »such expectations undoubtedly characterised the outlook of the whole of Protestant Europe in general, but they also influenced Catholic views in places such as Italy and France« (S. 51). Katholische Beispiele findet der Leser dann aber kaum. Auch die von mir gemusterten Flugschriften der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts lassen bei offenkundig katholischen Autoren kaum endzeitliche Stimmungen erkennen. 196 [Anonym], Gottes vnd deß Heyligen Romischen Reichs Liecht Butzer ..., o. O. 1632, die Zitate: fol. Cij, fol. Ciij, fol. Cij (Kursivsetzungen von mir). 197 So schon der Untertitel von [anonym], Der Newe Römerzug ..., o. O. 1632. Die Frage wird nach 70 Seiten eindeutig bejaht. Viel kürzer prognostiziert [anonym], Colloquium politicum (S. 30): Gustav Adolf wird »Babel zur Wüsten, vnd jhr Land zum Steinhauffen machen«, sprich Rom erobern, wie vor 1200 Jahren »Alaricus der Gothen König ... ohne zweiffel zu einem Anzeichen diß«.

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dieser Jahre keinesfalls von Klugheit und Interessen die Rede, sondern von »Abgötterey« und »Teuffel«, »dem Anti-Christ« und vom »grimmigen Zorn GOttes, sampt der Ewigen Verdamnus«. In den Bestandsaufnahmen solcher Schriften wird nicht der Frieden (oder das Staatsinteresse), sondern »das Blut JEsu Christi mit Füssen getretten«.198 »Da ist nuhn kein Vnwissenheit mehr, damit jhr euch möchtet entschuldigen, die Sach ist klar vnd ligt am Tag, daß dieser Krieg ein lauter Religions-Krieg«: Wer jetzt nicht für die rechte Sache focht, stellte sich »wider alle Engel vnd Heyligen«, auf der anderen Seite aber kämpften »ein hauffen Gottloser Mainaydiger Rauber vnd Mörder, welche Trew vnd Ayd brechen, Gottes Namen lästern ... vnd niemandt anderm als dem Teuffel, wider GOtt und sein Wort ... dienen«.199 Das durchzulesen, bereitet heutzutage Pein. Ich will deshalb die Stilebene wechseln und dem Dichter das Wort erteilen. Martin Opitz200 kennt in seinem 1620/21 niedergeschriebenen, 1633 veröffentlichten »Trostgedichte in Widerwertigkeit deß Krieges« durchaus den Notwendigen Krieg! Als Humanist201 schätzt und preist er schon Frau Pax, die Mutter der Wissenschaften und Künste; aber höchstes Gut ist in diesem Gedicht nicht der Frieden, ist die »freyheit« – in zeitüblicher202 Verschränkung von habsburgischer Tyrannei wie von katholischem 198 Ich habe hier einfach aneinandergereiht, was auf einer einzigen Seite (7) diese Schrift, erneut aus dem Jahr 1632, bietet: [anonym], Evangelischer Hertz-Klopffer, oder Lutherischen Gewissens-Weckerlin ..., o. O. Die nächste Seite beginnt mit dem »Jüngsten Tag«, spricht dann erneut vom »Teuffel« ... Der »Hertz-Klopffer« wendet sich an evangelische Söldner, die ihren Dienst in katholischen Heeren, wo ja der »Feld-Herr ein rechter Patronus Babylonis, der Vorfechter der Anti-Christischen Babel« sei (S. 12), zu quittieren hätten: eigentlich ein Leserkreis, bei dem man eine Ansprache in nüchternem Tone annehmen möchte – doch nicht während des Siegeslaufs Gustav Adolfs! »Die erste Welt hat es zusampt Sodoma vnd Gomorra tausent mal nicht so grob gemacht, vnd ist doch jene mit der allgemeinen Sündflut erschröckenlich erseufft, diese aber mit Himmelischen Fewer grewlich eingeäschert worden, wie würdts dann euch ergehen? ... O deß schröcklichen Vrtheils! ach deß grossen Jammers!« (S. 9). 199 Ebda., S. 7 bzw. S. 22 bzw. S. 17. S. 32: will man denn »endtlich Christi Reich verstöhren, vnnd deß Teuffels Reich bauwen?« 200 Dem glänzenden Opitz-Porträt Klaus Garbers (Martin Opitz, in: Harald Steinhagen/ Benno von Wiese [Hgg.], Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk, Berlin 1984, hier S. 157) entnahm ich, daß Opitz die Nachricht vom evangelischen Fiasko am Weißen Berg als Erzieher im Hause des pfälzischen Humanisten und Politikers Lingelsheim ereilte und daß er sich fortan der »Pfälzer Agitatorik« verpflichtet sah, die Pfalz offenbar auch weiterhin als seine »Wahlheimat« (ebda., S. 159) ansah. 201 Ist die Etikettierung noch erlaubt, da doch deutschsprachige Darstellungen (freilich, so weit ich sehe, nur solche) manchmal schon im reifen 16. Jahrhundert von »Späthumanismus« sprechen? Die Frage, ob und wie weit man »den Humanismus« ins 17. Jahrhundert hinein prolongieren sollte, müssen andere entscheiden. 202 Man muß sich – weil wir Heutigen darauf geeicht sind, hinter dem in manipulativer Absicht versprühten ›ideologischen‹ Nebel die ›eigentlichen‹ machtpolitischen Motive aufzuspü-

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Gewissenszwang. Gewiß, das »Trostgedichte« appelliert wiederholt an den nationalen Zusammenhalt aller Protestanten wie Katholiken gegen ausländische (meint: spanische) Bedrückung, die Beschwörung der Nation soll den Glaubensdissens überwölben und die deutschen Katholiken aus der erdrückenden spanischen Umarmung herausbrechen; doch so die sich gar nicht emanzipieren wollen, müssen sie niedergerungen werden. »Die Freyheit wil gedruckt, gepreßt, bestritten werden/ ... sie fodert Widerstand/ Ihr Schutz, ihr Leben ist der Degen in der Hand./ Sie trinckt nicht Mutter-Milch; Blut, Blut muß sie ernehren;/ Nicht Heulen, nicht Geschrey, nicht weiche Kinder-Zähren:/ Die Faust gehört darzu: Gott steht demselben bey/ Der erstlich ihn ersucht, und wehrt sich dann auch frey.«203 »Jetzt steht die Freyheit selbst wie gleichsam auff der Spitzen/ Die schreyt uns sehnlich zu, die müssen wir beschützen.«204 Weil Gott den Kampf will, weilt er auch bei seiner Herde. Was in einfach gestrickten Flugblättern auf ein »Gott mit uns«205 einschrumpfen konnte, setzte der Dichter so in Reime: »Wer GOttes wegen kriegt für den kriegt auch GOtt wieder/ Dem reicht er seine Hand/ dem springt er trewlich bey/ Zu trutze dieser Welt vnd aller Tyranney.«206 Dieser Kampf auf Gottes Geheiß und mit Gottes Beistand ist eine »Nothdurfft«207. Deshalb, so die Applikation aufs Ius in bello, besteht auch kein Anlaß zu falscher Zimperlichkeit, den gar nicht zartbesaiteten Autor lechzt nach »der Feinde rothem Blut«, er ruft seinen Lesern zu: »und schlagt mit Freuden drein«!208

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ren – immer wieder vor Augen führen, daß für die damaligen Protestanten »Freistellung« und »Libertät« zwei Seiten einer Medaille waren. Man stemmte sich gegen die »Vntertruckung der teutschen Gewissens Libertät« (Corberus, Threnologia Svecio-Regia, S. 10), mußte »die Religions vnd Teutsche Freyheiten erhalten helffen« (wie »Josephus Philippus Seipsius«, Sächsischer Merckauff. Oder Churfürstlicher Sächsischer Getrewer Landman, o. O. 1625 auf dem Titelblatt, auch auf fol. Cj ­– sonst häufiger »Lands- und ReligionsFreyheit« – bemerkt). Trostgedichte, Buch II, Zeilen 365–372; ich zitiere nach: George Schulz-Behrend (Hg.), Martin Opitz, Gesamelte Werke, Bd. 1, Stuttgart 1968 (Kursivsetzungen von mir). Ebda., Buch III, Zeilen 213f. (Kursivsetzung von mir). Im »Tugendt vnd Laster Kampff« (o. O. o. J., wohl 1631/32) steht das, neben einen Erzengel gesetzt, in den Wolken über den Heerscharen der Tugend, dessen weltlichen Anführer heraldische Zeichen als Gustav Adolf ausweisen; die ihm entgegenziehenden lasterhaften Truppen bestehen aus gehörnten Teufeln, Jesuiten, Türken, der Papst reitet mit: Wolfgang Harms (Hg.), Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, Bd. 4, Tübingen 1987, S. 206. Johannes Körber kennt in seiner »Threnologia Svecio-Regia«, neben dem üblichen »GOtt mit vns« (S. 58), auch diese gelehrtere Variante: »Nobiscum DEUS est, fratres pugnate« (S. 61). Opitz, Trostgedichte, Buch III, Zeilen 106–108. Ebda., Buch III, Zeile 359. Nachhall einstiger Lauterbeck-Lektüre? Vgl. oben S. 50 Anm. 115 (den Schluß). – Die Zitate im Zusammenhang (Buch IV, Zeilen 235–243): »Laßt jetzt, laßt jetzt doch sehn

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2.1.3.4 Ein Blick in weitere Teile Europas Wir weilten zuletzt, von Turner Johnsons Beobachtungen in englischer Pamphletistik herkommend, länger im Reichsverband. Auch in anderen Teilen Europas würden wir gewiß fündig, so beschworen jedenfalls einzelne spanische Autoren durchaus den Heiligen Krieg – Pedro de Ribadeneira in seiner »Exortación para los soldados y capitánes que van a esta jornada de Inglaterra«209 beispielsweise, oder Francisco Aguado in den »Exhortationes varias, dotrinales«.210 In den Hugenottenkriegen kamen entsprechende Schlachtrufe nicht nur von calvinistischer Seite211, die Mitglieder der katholischen Ligue »considered themselves to be God’s soldiers fighting a holy war«. Nach der Beendigung der Hugenottenkriege durch Heinrich IV. versuchten diesen französische Flugschriften aufs Bellum necessarium gegen Spanien einzuschwören, wie Davis Bitton und Ward A. Mortensen zeigen.212 Viele von ihnen erwähnte Motive kommen uns bekannt vor: Frankreich als Gottes auserwählte Nation, Heinrich als »instrument« Gottes »for the ruin of Spain«, als »God’s chosen knight«.213 Sogar die Verheißungen eines Märtyrertodes (ein in mitteleuropäischen Flugschriften marginal bleibendes Motiv) seien in solchen Druckschriften ausgemalt worden. »Various pamphlets

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den rechten Deutschen Muth,/ Und schlagt mit Freuden drein: Der Feinde rothes Blut/ Steht besser uber Kleid und Reuterrock gemahlet/ Als köstlich Posament, das theuer wird bezahlet,/ Ziert einen Kriegesmann: Ein schöner Grabestein/ Der bringt der Leichen nicht, ist nur ein blosser Schein:/ Das Feld, das blancke Feld, in dem viel Helden liegen/ So vor ihr Vaterland und Freyheit wollen kriegen/ Steht Männern besser an ...« Man würde solche Passagen eher bei Ernst Moritz Arndt vermuten. Als Vorbilder preist Opitz die Holländer an, dieses »Volck zu Stahl und Eisen Von Wiegen an gewehnt« (Buch III, Zeilen 321f.). Sie steht am Schluß des »Scisma de Inglaterra« von 1588, sollte für den Heiligen Krieg mit dem ketzerischen England aufrütteln. Kurze Analyse: Robert Bireley, The Counter-Reformation Prince: Anti-Machiavellianism or Catholic Statecraft in Early Modern Europe, Chapel Hill 1990, S. 114. Aguado war von 1631 bis 1643 Olivares’ Beichtvater, die »Exhortationes« erschienen 1641; Analyse: Robert Bireley, The Jesuits and the Thirty Years War: Kings, Courts, and Confessors, Cambridge 2003, S. 174–178. Das zeigten zuletzt Cunningham/Grell, Horsemen of the Apocalypse, S. 150f. Dort auch das folgende Zitat. Leider sind die beiden Autoren der Frage, inwiefern Naherwartung (ihre europaweite Virulenz aufzuzeigen, ist das Anliegen der ersten beiden Kapitel der Monographie) in Militanz münden und den Kriegsbegriff beeinflussen konnte, nicht explizit nachgegangen. Vgl. Davis Bitton/Ward A. Mortensen, War or Peace: A French Pamphlet Polemic, 1604– 1606, in: Malcolm R. Thorp/Arthur J. Slavin (Hgg.), Politics, Religion and Diplomacy in Early Modern Europe. Essays in Honor of De Lamar Jensen, Kirksville 1994, S. 127–141. »Behind many pro-war pamphlets were assumptions of France’s special position as God’s chosen nation ... France had been chosen by God as the instrument for the ruin of Spain ... Henry’s protector was the Master of the Universe himself ... Henry was portrayed as ... God’s chosen knight ... The cause being just, he had only to commend the outcome to God.«

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sought to embellish war, even glorify the violent death that accompanies it ... Death in battle meant immortality for the soul«.214 Und zwei neue Studien über die vermeintlich so »tolerante« Gesellschaft Polen-Litauens um 1600 lassen erstaunliche Parallelen zu vielen jener Kommunikationsstörungen im Reichsverband erkennen, die dort ebenfalls in einer fatalen Wechselwirkung zur konfessionellen Polarisierung des politischen Systems standen und – anders als in Polen-Litauen – einen langjährigen Konfessionskrieg verschulden werden.215 Rund ein Jahrzehnt später als im Reich (dessen politische Befindlichkeiten man weiter östlich übrigens aufmerksam beobachtet zu haben scheint), nämlich seit den 1590er Jahren, versuchten die polnischen Katholiken, konkurrierende Konfessionen durch Militanz in Wort und Tat zurückzudrängen. Eher reaktiv radikalisierten sich auch orthodoxer Klerus, orthodoxe Stadtgemeinden, zumal aber calvinistische Adelige. Der Warschauer Konföderationsakte wurde nun von katholischer Seite jede Rechtsverbindlichkeit abgesprochen, mit Argumenten, die erhitzte Autoren im Reich gegen die Rechtskraft des Augsburger Religionsfriedens vorzubringen pflegten: Weltliche Politiker könnten derartige Gesetze gar nicht erlassen, die Texte verstießen gegen Göttliches Recht. »Die konfessionellen Imperative gewannen die Oberhand über die Staatsraison.«216 Tumulte und gewaltsame Ausschreitungen wurden von katholischen Traktaten als legitim und gottgewollt hingestellt, eigentlich müßte man alle Anhänger der Reformation verbrennen, ertränken oder aufhängen. Sogar einzelne Motive erinnern an die Pamphletistik gegen den Augsburger Religionsfrieden, so, wenn da ein prominenter polnischer Bischof öffentlich erklärte, man habe »das Unkraut auszureutten«217; oder wenn evangelische Pamphlete die Jesuiten als »Gesandte 214 Ebda., S. 132. Die publizistische Gegenseite ist für uns weniger interessant, weil sie weniger grundsätzlich argumentierte, ihre Autoren »wanted to avert a war between France and Spain, not all wars. Drawing upon the concept of ›just war‹, they claimed that war under present circumstances would be unjust« (ebda., S. 138), beispielsweise des Vertrags von Vervins wegen. 215 Die Autoren der beiden interessanten Arbeiten ziehen diese Parallelen nicht selbst, aber mir drängten sie sich bei der Lektüre auf. Zum Folgenden: Hans-Jürgen Bömelburg, Konfessionspolitische Deutungsmuster und konfessionsfundamentalistische Kriegsmotive in Polen-Litauen um 1600. Durchsetzung und Grenzen in einer multikonfessionellen Gesellschaft, in: Heinz Schilling (Hg.), Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600, München 2007, S. 285–309; Michail V. Dmitriev, Die Kirchenunion von Brest (1596) und die Konfessionalisierung der polnischen Ostpolitik in der Regierungszeit Sigismunds III., in: Christoph Augustynowicz (Hg.), Rußland, Polen und Österreich in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Walter Leitsch zum 75. Geburtstag, Wien 2003, S. 159–177. 216 Dmitriev, Kirchenunion, S. 177. »Fundamentalistische Überordnung von Glaubensinhalten gegenüber politischen Erwägungen«: Bömelburg, Deutungsmuster, S. 303. 217 Zit. bei Bömelburg, Deutungsmuster, S. 295. Zur Verwendung in mitteleuropäischen Diskursen: Gotthard, Religionsfrieden, Sachregister, s. v. Unkraut im Weizen. Ich stieß erst

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des Teufels« beschimpften, »gegen die zum Endkampf gerüstet werden müsse«.218 Außenpolitische Auseinandersetzungen (mit Schweden, Moskau, dem Osmanischen Reich) wurden »in der katholischen Öffentlichkeit Polen-Litauens überwiegend als ideologisch-konfessioneller Kampf mit ›Häretikern‹ und ›Ungläubigen‹ gedeutet«.219 Inwiefern in diesen hitzigen Diskursen das Bellum iustum zum Bellum necessarium mutierte, müßte man noch genauer untersuchen, die polnische Historiographie pflegt die Nationalgeschichte dieser Jahrzehnte ins milde Licht eines angeblichen Toleranzparadigmas zu tauchen und konfessionelle Militanz auf Fußnoten einschrumpfen zu lassen. 2.1.3.5 Militante Kritik am »Bluetdurst« Nun gab es natürlich auch weiter westlich andere Stimmen, nicht nur in den betont kühlen, religiösen Eifers baren, auf Kalkül und Klugheit bauenden politologischen Pionierwerken. Es wurden auch Pamphlete veröffentlicht, die sich hitzig über Aufrufe zum »heiligen Kriege« 220 ereiferten. Es seien ja doch »alle Christen getaufft«, erinnerte eine Flugschrift, »Christus aber ein Friedensfürst, [hat] vns den frieden so hoch befohlen«, daher »ists billich, das jenige, so Christen sein wöllen, keinen Krieg: Sondern frieden begehren«.221 Katholische Abhandlungen geißelten den »Bluetdurst« der militanten Leizpiger Eröffnungspredigt Hoës von Hoënegg, »der Teuffel danck es dem Hoe«.222

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jüngst darauf, daß man das Gleichnis vom »Vnkraut«, vom Lolium temulentum unter dem Sommerweizen (Mat. 13,24–30), im ersten christlichen Jahrtausend ganz anders auszudeuten pflegte, als ich es aus dem Konfessionellen Zeitalter kenne: Arnold Angenendt, Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Münster 2007, S. 254–257 et passim. Bömelburg, Deutungsmuster, S. 303. Ebda., S. 298. Die Jesuiten diffamieren alle Katholiken als »Politicos«, die sich dem von ihnen propagierten »heiligen Kriege« versagen, empört sich »Johann Huß redivivus«, Böhmischer Pest Artzney ..., o. O. (»Fridberg«) 1619, S. 17. Die Parteien sollen ihre »praetensiones« hinlegen und die allgemeine Freistellung einräumen, schließt der unbekannte Autor, sich so denn doch eindeutig als Protestant entpuppend: [anonym], Kurtzer Politischer Discursus zwischen dieser Zeit im Reich streitenden dreyen Religions: aber zweyer Factions Partheyen ..., o. O. 1620, S. 18 (Kursivsetzung von mir). [Anonym], Copia Eines Schreibens, N. N. von Nürnberg, an N. N. von Leipzig, sub dato 24. Julij, 3. Augusti, Anno 1631, o. O. [1631], S. 3 bzw. S. 6. [Anonym], Auß Leipzig: Hoë predigt gegen die Katholiken »als Gottes Feindt, als rechte Verfolger des Volcks Gottes, Donder vnnd Stral, Schweffel vnd Pech, Fewer vnd Schwerd, außrotten vnd außtilgen«; der Autor gibt sich generös, wünscht dem Oberhofprediger nach einer ausführlichen kritischen Analyse seiner Predigt nicht den Teufel an den Hals, sondern »friedfertigen Geist« (S. 18 bzw. S. 39). Es ließen sich weitere, freilich beiläufige Hoë-kritische Zitate anreihen.

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Was der »Mordvogel Caspar Sciop«223 1619 »auß deß Teuffels ... eingeben«224 niedergeschrieben hatte, wird generationenlang als abschreckendes Beispiel für konfessionellen Übereifer in trauriger Berühmtheit stehen. Noch nach mehr als einem halben Jahrhundert echauffiert sich eine Flugschrift über »das greuliche Classicum Belli Sacri« – »gebe der Friedensreiche GOtt, daß selbigen [Ratschlägen Schoppes] nimmermehr möchte Gehör gegeben werden!«225 Das »Classicum« fand nach seiner Veröffentlichung sogleich empörten Widerspruch: Teilübersetzungen und Paraphrasen226 sollten »gedachten Lermenblasers vnd friedhässigen Tichters ... Blutgieriges Jntent« entlarven, Vorworte und Kommentare geißelten die »blutgierigen« Ratschläge, die dieser »im Fleisch reitende Teuffel« aus seinem »schandrachen« ausspeie, »samb müsten dieselbe [evangelischen Reichsstände] numehr gentzlich außgerottet, vertilget, getödet, ja an den hellen liechten Galgen gehanget werden«.227 Mehr als schäumende Empörung über den »Namhafften Mamelucken«228 Schoppe, nämlich wenigstens ansatzweise so etwas wie eine friedensethische Programmatik, bietet nur eine 223 »Johan Huß, redivivus, genandt Martyr«, Böhmische Brüderschafft. Welche zwischen den Evangelischen Ständen in Böheimb, vnd deroselben FriedensBrüder ... auffgerichtet worden ..., o. O. 1619, fol. Aiij. 224 Das vermutet [anonym], Ein gründliches vnd ohnpassionirtes Bedenken, Was von deß Abtrinnigen Hanß Caspari Scioppi blutdürstigen Buch, genant Classicum Belli sacri ... zuhalten ..., o. O. 1619. 225 Das hofft, im Rahmen eines Aufrufs zu konfessionsübergreifender Einigkeit aller Deutschen: [anonym], Bedencken Uber einige Gedancken Der Wohlgemeynter Erinnerung, An die sämptlichen Churfürsten und Stände des Reiches etc. Betreffend Den ReligionsFrieden, o. O. 1674, fol. B. – Um noch ein früheres Beispiel anzuführen: »Siegfried Hoffman«, Denckmal An Die ingesambte Evangelische Stände, Auff Der Königlichen Mayt. zu Schweden allerglorwürdigsten tödtlichen Hintritt ..., o. O. 1633, fol. Dij erinnert sich: Kurie und Hofburg haben »solche Räthe (als Gaspar Scioppius) gehalten, die da offentlich gerahten vnd geschrieben (in Classico belli sacri) der Kayser solle die teutschen Fürsten ... an Galgen auffhencken«. Vgl. noch Anm. 232. 226 Beispielsweise diese Schriften bieten hauptsächlich oder sogar ausschließlich – die Tiraden Schoppes sollen für sich sprechen! – ein Patchwork von Ausschnitten oder Teilübersetzungen mit kurzen paraphrasierenden Überleitungen: [anonym], Flores Scioppiani: Ex libro Ticini hoc ipso anno MDCXIX, edito ..., o. O. 1619; [anonym], Raht vnd Anschläge: Welche Herr Caspar Scioppius ... zu Pavia in offenen Truck außgehen lassen, vnd selbige zwar, in einem Lateinischen Büchlein ... ins Teutsche gebracht ..., o. O. (angeblich Pavia) 1619; [anonym], Extract aus Gasparis Scioppii, eines Oesterreichischen vnd Spanischen bestellten Raths (wie er sich nennet) ... Büchlein ..., o. O. 1619; [anonym], Extract aus Gasparis Scioppij, eines Oesterreichischen vnd Spanischen bestellten Raths (wie er sich nennet) ... Büchlein ..., Güstrow 1619. 227 [Anonym], Schoppische Blumen, Auß einem zu Ticin oder Pavia in Welschland ... in Druck außgegangenen Buche ... Zusammen getragen, vnnd auß Lateinischer in Hoch-Teutsche Sprach versetzet ..., o. O. 1619, »Praefation«. 228 Auf diese erstaunliche Titulierung stieß ich gleich an mehreren Stellen. »Der Apostata vnd Mameluck Scioppius« tituliert »Hipilippanus Dinorus«, Der Evangelischen Reichsständen

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dieser Flugschriften. »Also sagt der Herr Christus: Meinen Frieden lasse ich euch, meinen Frieden geb ich euch«, erinnert ihr Autor – »aber so sagt Schoppius: Meinen Krieg laß ich euch, meinen Krieg geb ich euch, nicht wie die Tyrannen geben, sondern wie der Teuffel selbst.« Die Heilige Schrift lehre nicht, »alles vmbzubringen«, zumal »die natur darfür erschrickt«. »Gott als ein friedsamer vnd langmütiger Herr« lasse ja sogar »Türcken vnnd Heyden leben«. Pazifistisch ist auch diese Abhandlung nicht – komm nur her mit deinen spanischen Truppen, Schoppe!, ruft ihr Autor kampfeslustig aus229, und schon im Buchtitel wird »Der über- vnd durchteuffelte Gaspar Sciop zerschmettert«. Alle anderen Pamphletisten begnügen sich, neben ihrer Übersetzungstätigkeit, mit unflätigen Beschimpfungen Schoppes230, der »ein abtrünniger Christ, vnd erschröcklicher Apostata vnnd Mameluck, ein abschewliches monstrum, vnd rechte Babylonische Bestia und ... selbst bekennender Huren Sohn« sei.231 Das ist die hitzige Rhetorik des Konfessionskampfs. Die Empörung über Schoppes Militanz kommt militant daher.232

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vnd Stätte Schildtwacht, Deren Losung ist: Wacht auff, wacht auff, rufft euch die Stimme ..., o. O. 1623, fol. A3. Die werden dann schon merken, daß die »Teutsche Nuß« eine harte ist, »Wer im Krieg will Vnglück han/ der fang jhn mit den Teutschen an«, »so sindt die Teutschen ...«: »Johannes Meteranus von der Heßleiden«, Antiscioppius oder Symsons Backenzahn: mit welchem Der über-vnd durchteuffelte Gaspar Sciop zerschmettert wirdt. Das ist: Menschlich Examen, der Teuffelischen Raht-vnd Anschläg des ... Gaspars Scioppen ..., o. O. 1619, unfol. Man findet es auf allen Stilebenen. [Anonym], Das Höllisch Frewdenfewr, so die Esawiter verschienen September zu Rom gehalten, damit sie dann jhr böß Hertz aller Welt geoffenbaret, o. O. 1620 läßt dort Schoppe auftreten, er wurde von den Jesuiten »angemacht das derselbe sein gifftig Lästermaul angelweit auffgethan«. [Anonym], Extract der grossen Catholischen versamlung, welche jüngsten zu Rom gehalten ..., o. O. 1620 sah beim selben Meeting dreitausend Mönche durch Roms Straßen ziehen, »je drey vnd drey neben ein ander, auff der seiten lieff der Herr Casparus Scioppius Pfaff zu Sancta Maria Majora in seinem Judas Bart«. Weniger albern findet »Christoph von Ungersdorff«, Ein sonderbare Missiv, oder Denckwürdiges Schreiben an Ihre Durchl. auß Bayern H. Maximilianum ..., o. O. 1620, S. 5: Er habe früher zur Ausrottung der Ketzerei aufgerufen, doch »wollen es die jetzige Zeiten nicht dulden, vnd seynd weder deß Schoppii, noch anderer Consilia zu effectuiren« ... Es kann hier gar nicht um Vollständigkeit gehen, ich wollte lediglich demonstrieren, daß Schoppes »Classicum Belli Sacri« schon damals Abscheu weckte. So zetert »Johann Huß redivivus, genant Martyrer«, Spanischer Krebsgang vnd Jesuiter Alarm ..., o. O. (»zu Prag im Jesuiter Collegio«) 1620, S. 3; es geht noch seitenlang so weiter. Das gilt auch für die Memoria in den hitzigen frühen 1630er Jahren. Wenn sich, beispielsweise, Simon Wild in seinem »Memorial« inmitten fanatischer Aufrufe zum Heiligen Krieg gegen die »Päbstler« darüber ereifert, daß »der Pabst vnd Oesterreich solche Räthe (Gaspar Scioppius) gehalten, die da offentlich gerahten ... der Keyser solle die teutschen Fürsten einen nach den andern nehmen, vnd an Galgen auffhencken« (fol. D, es folgen weitere Paraphrasen aus dem »Classicum«), kann das merkwürdig berühren: militante Empörung über die Militanz der Gegenseite!

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Wir lernten »Beatus Modestinus Seuberlich« schon in Kapitel 1.2 kennen, als es um Friedensemphase (und ihre Grenzen) ging, ein zweifaches »O der edle Fried« rahmte dort ganz prinzipiell daherkommende Kriegskritik ein, »nulla salus bello«. Dieselbe Schrift verdammt in immer neuen Anläufen die »verführische Sect der Jesuiten«, die »Vnsinnigkeit vnnd Tobsucht deß Bapsthumbs«, beider »mehr dann Türckische verübte Tyranney im Königreich Böhmen«233, dem deshalb ganz Europa mit allen, aber auch allen Kräften militärisch beispringen müsse; Land für Land, Territorium für Territorium wird angesprochen und auf seine Lieferkapazitäten für den böhmischen Kriegsschauplatz hin taxiert. Wiederum dieselbe Schrift echauffiert sich seitenlang über »deß Schoppij oder vielmehr deß Teuffels Raht vnd Anschläge«. »Dieser Schopff, vons Teuffels Kopff« habe »die Blutfahne vngeschewt außgesteckt«, rufe zum »heiligen, seligen, vnd dem Bapst wolgefälligen Krieg« auf. Die dieser Suada folgenden Seiten rekapitulieren ausführlich die alttestamentarischen Kriege, sie zeigen, daß Jahwe sein auserwähltes Volk nicht im Stich läßt – der Leser merkt: Schoppes Kriegsfanfaren sind schändlich, doch ganz ungefährlich, absurderweise blasen sie ja für die falsche Seite, bei den Katholiken wird der Herr niemals sein. Und doch regt sich der Autor nach dieser alttestamentarischen Kriegsrevue noch einmal kräftig über Schoppe auf, der »in seinem Verrähterischen vnd Blutgirigen classico belli sacri nichts anders thut, dann daß er die Blut Fahne schwingt«, »mit grausamer vnmenschlicher, ja Teufflischer Vngestümmigkeit« darauf hinarbeitet, alle Protestanten »auff die Fleischbanck zu opffern«. Schoppe ist »deß Teuffels Sturmglöckner«.234 Der Pamphletist erregt sich über die Drastik des Pamphletisten. Aber das ist nur einer von vielen Befunden, die irritieren können. Ganz klar sehen wir auch am Ende dieses Kapitels nicht. Verblaßte die Iusta causa nun einigermaßen kontinuierlich? Verlor der herkömmliche Kriegsbegriff gleichmäßig fortschreitend an Substanz, schritt seine Formalisierung und Enttheologisierung linear voran? Oder markieren die Schlußphasen der verschiedenen europäischen Konfessionskriege die jeweiligen Peripetien, den rapiden Umschlag nach Jahrzehnten, die eine Resakralisierung des Kriegsbegriffs gesehen hatten? Der Forschungsstand erlaubt keine eindeutigen Aufkünfte, aber die hier ausgebreiteten vorläufigen Befunde sprechen dafür, daß das Denken über Krieg und Frieden während der europäischen Konfessionskriege eine theologische Wiederaufladung erfuhr. Wir konnten sogar Rückgriffe hinter die spätantik-mittelalterliche Lehre vom Bellum iustum, auf den Gotteskrieg des Alten Testaments erkennen: einen von Jahwe anbefohlenen, deshalb heilsnotwendigen Krieg, den Jahwe als eigent233 Examen der Recepten, die Zitate: fol. G, fol. Aiiij, fol. Piiij. 234 Ebda., fol. Q bzw. fol. Rij.

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licher Kriegsherr für sein auserwähltes Volk gewann; einen Krieg, der mit der Ausmerzung des Bösen enden mußte und insofern jedenfalls nach modernen Vorstellungen235 keine Selbstverteidigung war. Um es noch einmal ganz schematisch zusammenzufassen: Kriegsgrund (»iusta causa«) war in vielen Abhandlungen um und nach 1600 nicht ein Angriff auf irdische Rechtstitel oder »land und leuth«, sondern die »lesterung« der »Ehre GOttes«; die Wiederherstellung der gestörten Rechtsordnung (»intentio recta«) setzte die »außrottung« der »Feinde Gottes« voraus, weshalb das Kriegsziel völlig entgrenzt war (»Rom muß verstört werden«); die »auctoritas Principis« wich der Autorität des Allerhöchsten, der seinen Truppen voran in die Schlacht zog. Da gottgewollt, war dieser heilsnotwendige Krieg nicht erlaubt, er war »necessarius«. Währen konnte diese Resakralisierung nicht. Zu viel religiöser Enthusiasmus verzehrte sich über dem zermürbenden Hin und Her des Kriegsglücks, war Gott überhaupt bei seiner Herde? Solche Zweifel mußten sich im Verlauf jahrzehntelanger Kämpfe immer bohrender einstellen. Gewiß konnte auch der Rechtgläubige einmal eine Schlacht verlieren – schon Kreuzzugspredigten hatten betont, eine militärische Schlappe sei nicht notwendigerweise das Gottesurteil über die Verortung der Iustitia. Aber warum verloren in Mitteleuropa die Evangelischen zwanzig Jahre lang immer aufs Neue gegen die Anhänger »abgöttischer bäpstischer grewel«, warum verspielten die Anhänger der Einen mehr als tausendjährigen Kirche danach jahrelang immer aufs Neue ihre nur gerechten und gottgewollten Triumphe aus den ersten Kriegsphasen? Zu viele Ideale zerschlissen sich an den Häßlichkeiten des Kriegsalltags, zu viele »Engel« von gestern waren die »Teufel« von heute, und mancher »Teufel« hatte sich am Ende als Mensch entpuppt. Daß das Bellum-iustum-Konzept mit seinem diskriminierenden Kriegsbegriff auf dem Strafgedanken aufbaute, konnte eine unskrupulöse Behandlung des Kriegsgegners erleichtern; was ein Ius ad bellum eigentlich rar machen, die Schwelle zur Gewaltanwendung heben sollte, konnte, so diese Schwelle doch überschritten wurde, beim Ius in bello Exzessen Vorschub leisten. Vollends konnte ein »Heiliger Krieg« der »Gottesstreiter« gegen die »Rott« des »Teuffels« nur mit der Vertilgung einer Seite enden. Doch war Iustitia überhaupt 235 Die damaligen Konfessionsparteien empfanden es schon deshalb nicht so, weil sie subjektiv mit dem Rücken an der Wand standen, sich ausgerechnet in dieser Überzeugung eins waren. Die Gegner hatten ja »une generale et universelle intention, à exercer notre pa­tience et à nous ruiner«, waren »par tout le monde [!] presque coniuré à notre ruine«: so der pfälzische Großhofmeister Johann Albrecht von Solms an den württembergischen Hofrat Benjamin Bouwinghausen, 1617, Jan. 18, BayHStA Kasten blau 89/5. Um noch eine katholische Stimme zu zitieren: »... haben wir catholische mit wolvertrauen den merern tail verscherzet und will das ubrige wenige auch in disputation und gefar gezogen werden« – soll man denn den wahren Glauben »in wint schla­gen«, sich von den »ohnfrietfertigen vertrücken und verschlingen lassen«? So fragt Johann Schweikhard von Mainz in einem Schreiben an Melchior Khlesl, 1612, Dez. 17, BA, Bd. 10, Nr. 318.

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punktgenau einseitig verortbar? Die Alltagserfahrung des Krieges deckte sich nicht mit den publizistischen Visionen eines Endkampfs zwischen Licht und Finsternis. Die nicht endenwollenden Konfessionskämpfe Alteuropas führten den diskriminierenden Kriegsbegriff der Bellum-iustum-Doktrin so ad absurdum236 wie die Materialschlachten des Ersten Weltkriegs das uneingeschränkte Ius ad bellum des souveränen Einzelstaats. 2.1.4 Anhangsweise: einige weltgeschichtliche Betrachtungen Kaum habe ich versucht, einige Konturen zu ziehen, kommen mir schon wieder Bedenken. Es sind zwei Überlegungen, die ich skizzenhaft anfügen will. Sie bleiben flüchtig, weil die erste ein Theologe, die letzte ein Experte für Gegenwartsfragen zuendedenken müßte. 2.1.4.1 Ist das Oszillieren zwischen dem erlaubten und dem gebotenen Krieg eine universalhistorische Konstante? Wir sahen, daß der Gerechte Krieg im Konfessionellen Zeitalter dazu tendierte, ein Notwendiger zu werden, der erlaubte wurde zum gebotenen Kampf. Aber ist diese Facette der Doktrin nicht ohnedies inhärent? Im antiken Rom schied man nicht trennschaft zwischen allenfalls einmal erlaubtem und notwendigem, weil von den Göttern gebotenem Krieg. »Iustum est bellum, Samnites, quibus necessarium, et pia arma quibus nulla nisi in armis relinquitur spes« 237: Das läßt Livius einen samnitischen Feldherrn ausrufen, der seinen Truppen anschließend versichert, die Götter selbst würden sie in die Schlacht führen. Livius charakterisiert diese aus nichtrömischem Munde kommende Prophezeiung ausdrücklich als »vera«. Aber dann forderte das Neue Testament den Christen dazu auf, die andere Wange hinzuhalten. Das Christentum wurde in der Spätantike gleichsam 236 Zu Recht sieht Andreas Holzem (Gott und Gewalt, S. 401) den »Religionskrieg ... nicht als pervertierte Verformung des gerechten Krieges« an, sondern »als thematische Erscheinungsform« desselben. Der Konfessionskrieg war dann, wenn wir diese Terminologie übernehmen, seine letzte »Erscheinungsform«. Danach haben konfessionspolitische Anliegen nur noch in der Rumpelkammer propagandistischer Versatzstücke überdauert. Konfessionelle Besitzstände vermochten keine Kriege mehr zu motivieren, sollten noch gelegentlich hilfsweise legitimieren. 237 Titi Livi ab vrbe condita libri, Bd. 3, bearb. von W. Weißenborn und H. J. Müller, siebte Aufl. Berlin 1962, Liber VIIII cap. 1. Man könnte es mit vielen frühneuzeitlichen Flugschriften deutsch sagen, »Johan Huß redivivus genandt Martyr« übersetzt in seiner »Fridensfahrt« von 1619 so: »Der Krieg ist recht, welcher nothwendiger weiß geführet wird: vnd die Waffen werden billich gebraucht von denen die sonst keine Hoffnung haben als auff die Waffen gesetzt«.

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staatstragend, doch wie staatstragend konnte das Postulat der Wehrlosigkeit sein? Hinter dieses Dilemma konnte die friedensethische Diskussion der Christianitas nicht mehr zurückgehen, deshalb meint diese Studie, wenn sie vom Gerechten Krieg spricht, nicht238 die Kriege eines Cicero oder Livius, sondern das Bellum iustum der Scholastik. Aber wie viel alttestamentarischer Kriegsfuror hat in ihm überlebt? Die zerstreuten Aussagen des Augustinus zur Gerechtigkeit von Kriegen wurden schon häufig analysiert, dem muß der Neuzeithistoriker nichts hinzufügen, doch will ich wenigstens auf diese Definition hinweisen: »Iusta autem bella ea definiri solent quae ulciscuntur iniurias ... sed etiam hoc genus belli sine dubitatione iustum est, quod deus imperat ... in quo bello ductor exercitus vel ipse populus non tam auctor belli quam minister iudicandus est«.239 Augustinus kannte neben dem erlaubten auch den von Gott befohlenen, insofern natürlich ›notwendigen‹ Krieg, aber, wenn ich recht sehe, im Rückblick. Der Jahwe-Krieg war heilsgeschichtlich überwunden. Der Gott des Alten Testaments ordnete Kriege an, der des Neuen forderte Geduld und Friedfertigkeit240 – was nichts daran änderte, daß die Kirche gegen Ketzer, offenkundige Feinde und Störer des wahren Glaubens, die Hilfe der staatlichen Macht und ihrer Waffen anrufen durfte. Speziell hatte Augustinus die Donatisten im Visier. Für ihn ging es hierbei um polizeilich flankierte ›innerstaatliche‹ Verwaltungsmaßnahmen, um die Wiederherstellung der gestörten ›innerstaatlichen‹ (genauer: innerreichischen) Ordnung, nicht um einen Religionskrieg zwischen Staaten unterschiedlichen Glaubens. Freilich werden sich der schmalkaldische und der große dreißigjährige deutsche Konfessionskrieg auch als innerreichische Konflikte interpretieren lassen, das müssen wir hinsichtlich der Augustinus-Rezeption im Auge behalten. Für manche Kanonisten des Hohen Mittelalters, vielleicht am dezidiertesten für Huguccio, konnte die Kirche Kriege gegen Ketzer, aber auch gegen Heiden, sogar befehlen, sogar selbst erklären. Hatte in alttestamentarischen Zeiten Jahwe sein auserwähltes Volk in die Schlacht geführt, rief bei Huguccio sein päpstlicher Stellvertreter auf Erden zum Krieg. Die Teilnehmer am Ersten Kreuzzug beflü238 Natürlich wurde Cicero weiterhin gelesen, und von den Humanisten sicher wieder mehr als in den Jahrhunderten zuvor. Aber seine Ethik stand nun eben neben der jedermann geläufigen christlichen, der altrömische mußte mit dem jetzt dominanten christlichen Diskurs harmonisiert werden. Die Thematik begegnete uns bereit in anderem Gewande, als danach gefragt wurde, ob denn der Humanismus (Erasmus könnte zu dieser Fehleinschätzung verleiten) als eine einzige große Friedensbewegung verstanden werden könne. 239 Quaestiones in Heptateuchem VI, quaestio 10 (Kursivsetzung von mir). Vgl. aus einer reichhaltigen Literatur zuletzt John Mark Mattox, Saint Augustine and the Theory of Just War, Indiana 1998. 240 Vgl. Contra Faustum XXII 70–79, die wohl ausführlichste Auseinandersetzung des Autors mit diesem Thema.

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gelte, um es mit Ernst-Dieter Hehl zu sagen, die »Vorstellung, wie einst das alte Israel Werkzeug Gottes zu sein«.241 Freilich macht Hehl auch deutlich, daß die damals führenden Kanonisten gerade keinen eigenständigen Kriegstypus Kreuzzug kreierten, sie bauten ihn in den argumentativen Gesamtrahmen des Bellum iustum ein. Kann man nun aber nicht auch sagen – so man die Fragerichtung wechselt –, daß damit die Bellum-iustum-Doktrin mit dem reaktivierten JahweKrieg gleichsam kontaminiert wurde? Ob der Gerechte Krieg nicht auch beim Aquinaten untergründig dazu tendiert, ein notwendiger zu sein?242 Krieg ist für Thomas die gewaltsame Durchsetzung eines richterlichen Urteilsspruchs – sollte ein einmal gefälltes Urteil dann nicht auch tunlichst vollstreckt werden?243 Das zu exekutierende Urteil bestraft Sünde, »der heilsorientierte Frieden kann nur verteidigt werden, indem man Sünden verhindert, die anderen ein Ärgernis sind«244 – muß (!) man ein solches Ärgernis nicht aus Liebe vereiteln?245 Im Hinblick aufs Konfessionelle Zeitalter ist wichtig, daß für Thomas Häresie natürlich Sünde war!246 Der Gedanke, daß Gottes Auge wohlgefällig auf denen ruhe, die für eine gerechte Sache kämpften, und daß dann womöglich – denn der Herr ließ ja seine Herde nicht ohne weiteres247 im Stich – einige Winke von oben für den rechten Ausgang des Straußes sorgten (auch wenn man sich nicht leichtfertig, gar träge darauf verlassen dürfe, sich vielmehr der göttlichen Gnade durch äußerste eigene Anstrengungen würdig erweisen müsse): Er war, ehe die Moderne den Glauben gleichsam teilprivatisierte, ihm den Bereich privater Kontingenzbewältigung als eigentliche Domäne zuwies, jedermann so geläufig, daß die Übergänge zwischen erlaubtem und gebotenem Krieg fließend sein mußten. Wir können ja in nahezu

241 Ernst-Dieter Hehl, Kirche und Krieg im 12. Jahrhundert. Studien zu kanonischem Recht und politischer Wirklichkeit, Stuttgart 1980, S. 244. 242 Beestermöller, Thomas von Aquin, thematisiert die von mir aufgeworfene Frage nicht, doch wimmeln die zahlreichen ausgiebigen Thomas-Zitate und -paraphrasen dieser grundgelehrten Arbeit nur so von hierzu aussagekräftigen Passagen. 243 Ich weise nur auf diese verräterischen Formulierungen hin: »muß ... töten« (ebda., S. 134), »Amtspflicht des Fürsten« (S. 138). 244 Ebda., S. 89. 245 Ich nenne, erneut exemplarisch: »ahnden muß« (ebda., S. 92), »fordert die Bestrafung« (S. 139), »ist präventiv zu begegnen« (S. 179). 246 Wiederum exemplarisch: Es gilt, »daß alle Häretiker, ob sie nun für ihr Bekenntnis missionieren oder nicht, wegen der großen Gefahr für das heilsorientierte friedliche Zusammenleben bestraft werden müssen [!]« (ebda., S. 190, vgl. ähnlich S. 229). 247 Präziser: ohne sündhaftes Verschulden, wie es natürlich auch den Rechtgläubigen unterlaufen konnte – laxe Einstellung, laxe Kriegführung, zu viel oder zu wenig Gottvertrauen usw. So machten dann hinterher die Trostpredigten in Sinnstiftung und moralischer Aufrüstung der Truppe.

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jedes beliebige Lied, nahezu jede Spruchsammlung aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges schauen – Gottes Lenkung ist stets präsent: »Herr Gott, du bist der Kriegesmann, Der aller Unruh steuern kann, Der Büchsen, Spieß und Schwert zerbricht, Du bleibest unser Zuversicht ... Stehe auf, du starker Zebaoth, Verlaß uns nicht in dieser Noth, Du bist allein, der uns beschutzt, Ohn dich kein Rath noch Macht uns nutzt. Wohn unserm Kriegsvolk gnädig bei, Daß es fromm und gottselig sei ... Im Zorn schau auf des Feindes Heer, Ihrm Kratzen und Muthwillen wehr; Mach daß ihr Herz und Muth verzag, Und sie von unsern Grenzen jag; Ihr Volk zersteube und zerstreu, Gleichwie der Wind hinführt die Spreu, Schlag sie zu Boden mit ihrem Schwert, Damit der Sieg uns sei beschert ...«248

Wenn jedermann überzeugt war, daß nicht nur final alles dem Jüngsten Gericht zustrebte, sondern daß sich göttliche Weltenlenkung auch unterwegs bisweilen eben (wenn auch nicht immer in dem Menschen unmittelbar einsichtiger Weise) auswirkte: dann war nach Gottes Willen und Gebot zu fragen ja nicht naiv, kein Residuum simpler Gemüter, sondern Herrscherpflicht, gerade, wenn es um so Elementares wie den Krieg ging. William Fulbecke nennt in einer epigonalen Zusammenstellung und Vereinfachung der völkerrechtlichen Ansichten des 16. Jahrhunderts für Jurastudenten und interessierte Laien (keinesfalls für Theologen – erst recht handelt es sich um keine erbauliche Predigt!) fünf Gründe für einen Gerechten Krieg, darunter, wenn auch nur fünftens, diesen: Gott befiehlt ihn.

248 Exemplum exemplorum, »gedruckt im Jahr Christi unsers einigen Erlösers Geburt 1631«: Opel/Cohn, Sammlung, Nr. 50. Ich wählte bewußt für ihre Zeit wenig militante, geradezu ›harmlose‹, in jeder Hinsicht unauffällige Reimpaare. Nach der zuletzt zitierten Passage heißt es, in doch verblüffend jähem Umschlagen: »Hilf, daß die Unruh werd geschlicht,/ Und guter Friede aufgericht;/ Wehr allen, so Lust haben zu kriegen,/ Ihrn Anschlag laß darnider liegen;/ Erhalt uns Fried in diesem Land,/ Gieb Glück und Heil zu allem Stand;/ Führ uns zuletzt ins Himmels Thron,/ Da ewig ist Fried, Freude und Wonn.«

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(Freilich dürfe man Gottes Willen nicht mit »fantasies of men light headed and posessed of fiery spirits« verwechseln.249) Sind wir immer noch zu kurz gesprungen? Daß die spätantik-mittelalterliche Doktrin vom Gerechten Krieg zwischen dem erlaubten und dem gebotenen Krieg oszilliert: Ist das nur der abendländische Ausschnitt eines universalhistorischen Problems, das wir auf allen Kontinenten nachzeichen, von der Antike bis zur Gegenwart ausziehen könnten? Gibt es in der Weltgeschichte nicht immer wieder Akzentverlagerungen vom erlaubten hin zum gebotenen Krieg, von manchen alttestamentarischen Passagen oder das »Deus vult« der Kreuzfahrer bis zur Weihnachtspredigt Kardinal Spellmans über den Vietnamkrieg von 1966? Um ein noch neueres Beispiel zu erwähnen: Eine Studie, die 1999 den JugoslawienKrieg »im Lichte der Lehre vom gerechten Krieg« analysierte, monierte, diese Doktrin differenziere »nur unzureichend zwischen Situationen, in denen Krieg erlaubt ist, und Situationen, in denen Krieg geboten ist«. Es gehe doch, so der Autor, im Krieg »auch um Pflichten: um die Pflicht einzugreifen«, eine »Pflicht zu intervenieren«.250 Vielleicht diagnostizieren ja spätere Historikergenerationen einmal, daß sich die UNO im Spannungsfeld zwischen Vergötzung der einzelstaatlichen Souveränität und Menschenrechtspathos schwer damit getan habe, transkulturell konsensfähige Kriterien für (kaum je erlaubte – oder umgekehrt viel häufiger gebotene?) Interventionen »der Völkergemeinschaft« in den Hoheitsbereich eines Mitgliedsstaats zu entwickeln. 2.1.4.2 Erleben wir eine Renaissance des Gerechten Kriegs? Zuletzt weilten wir schon in der Moderne. Diese Studie sichtete Indizien für eine Säkularisierung des Kriegsbegriffs im Verlauf der Frühen Neuzeit, ihr Telos war die Kriegskonzeption des klassischen Völkerrechts seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ob die Antworten dieser Völkerrechtsautoren das letzte Wort in Sachen Krieg und Frieden gewesen sind, muß sie nicht entscheiden. Vor Entwicklungen seiner eigenen Gegenwart konsequent die Augen verschließen muß der Historiker freilich auch nicht. Evident ist, daß aktuelle251 Versuche, Frau Pax wieder mehr abzuverlangen als den Verzicht auf massive kriegerische Gewalt, im Zeichen einer Universalisierung des (genetisch gesehen: ›westlichen‹) Menschenrechtskonzepts stehen. Sein Geltungsanspruch reibt sich am Souveränitätsbegriff der UN-Charta. »Das jün249 William Fulbecke, The pandectes of the law of nations, London 1602, S. 41. 250 Peter Mayer, War der Krieg der NATO gegen Jugoslawien moralisch gerechtfertigt? Die Operation »Allied Force« im Lichte der Lehre vom gerechten Krieg, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 6 (1999), S. 294f. Anm. 7. 251 Die Formalisierung und Entethisierung von Pax war ja nie gänzlich unstrittig. Vgl. beispielsweise schon oben S. 37 Anm. 59.

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gere Völkerrecht hat ... den Friedensbegriff ins Positive hinein erweitert. Es rechnet die Unversehrtheit eines menschenrechtlichen Mindeststandards dazu«. 252 Der Ruf nach »humanitären« Interventionen in »Diktaturen« und »Schurkenstaaten« wird lauter, er findet stets die Sympathie der (westlichen) öffentlichen Meinung, die der maßgeblichen Politiker regelmäßig nur, wenn außerdem erhebliche wirtschaftliche oder geostrategische Interessen hineinspielen. Diktatoren ohne Atomwaffen in geostrategisch unerheblichen Winkeln der Erde dürfen »schurkisch« bleiben. Daß moderne Politiker vor Kriegserklärungen keine Beichtväter zu konsultieren pflegen, ist offenkundig. Das macht die Ansichten der christlichen Großkirchen und von prominenten Theologen nicht gänzlich irrelevant. Die katholische Weltkirche253 und das deutsche Luthertum254 pflegen keine »gerechten Kriege« mehr auszurufen, aber Abhandlungen aus theologischer Feder können auch heutzutage den engen »Zusammenhang« zwischen Frieden, »Recht« und »Gerechtigkeit« betonen.255 Die Termini scholastischer Provenienz sind weiterhin präsent, doch ist nur noch die Verschwisterung von Iustita und Pax politisch korrekt, nicht mehr die Koppelung von Gerechtigkeit und Krieg. Das ist freilich eine Entwicklung der allerletzten Jahrzehnte. »Nach meiner Überzeugung wird

252 Josef Isensee, Im Zweifel für den Frieden, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Oktober 2012, S. 7. 253 Zu beurteilen, ob man die Enzyklika »Pacem in terris« vom 11. April 1963 mit Recht »als offiziellen Abschied von der Lehre vom Gerechten Krieg« bezeichnen kann, dürfen wir den Kollegen von der Kirchengeschichte überlassen. Vgl. hierzu sowie zu den Aussagen des Zweiten Vaticanums hinsichtlich Krieg und Kriegsdienstverweigerung beispielsweise Paulus Engelhardt, Die Lehre vom »gerechten Krieg« in der vorreformatorischen und katholischen Tradition. Herkunft – Wandlungen – Krise, in: Reiner Steinweg (Red.), Der gerechte Krieg: Christentum, Islam, Marxismus, Frankfurt 1980, S. 112–114. 254 Um nur diese im frühen 21. Jahrhundert prominente Stimme anzuführen – Wolfgang Huber, Glaube und Macht. Aktuelle Dimensionen eines spannenden Themas, in: Enno Bünz/Stefan Rhein/Günther Wartenberg (Hgg.), Glaube und Macht. Theologie, Politik und Kunst im Jahrhundert der Reformation, Leipzig 2005, S. 268: »Kein Nachdenken über das Verhältnis von Glaube und Macht kommt an einer Stellungnahme zur gedanklichen Figur des gerechten Krieges vorbei. Die Kirchen in Europa haben sich zu einer allmählichen Distanzierung von dieser Denkfigur durchgerungen. Sie halten heute eher den ›gerechten Frieden‹ als den ›gerechten Krieg‹ für einen Leitgedanken der politischen Ethik«. 255 So dieses Heft: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Die deutschen Bischöfe. Gerechter Friede, Bonn 2000, S. 22; es betont den »Bedingungszusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden« (S. 36), »den tiefen und unaufhebbaren Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Frieden« (S. 38). Wiewohl auch von »Notwehr«, »Gegengewalt« und humanitär motivierten »Interventionen« die Rede ist, taucht doch kein »Gerechter Krieg« auf. ­– Bekanntlich wählte Pius XII. als Wahlspruch »Opus iustitiae pax«.

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dieser Feldzug in der Kriegsethik ... das Schulbeispiel eines gerechten Krieges werden«256, predigte Michael von Faulhaber 1915 als Bischof von Speyer. Solche rhetorische Anleihen bei der mittelalterlichen Doktrin kennt die Moderne auch aus Politikermund. Friedrich Theodor Vischer begründete es 1870 in einer Wahlrede so, warum er sich von der demokratischen Volkspartei abgewandt habe: »Ein heiliger Krieg sühnt einen unheiligen, ein gerechter Krieg für das Vaterland und alle Güter des Lebens sühnt die Schuld eines ungerechten«. 257 Sogar Historiker konnten es im emotionalen Ausnahmezustand nicht besser wissen; Friedrich von Bezold verlor 1913 so, auf die Ruhmestaten der Altvorderen vor hundert Jahren zurückblickend, die Fassung: Es »war ein heiliger Krieg, ein Kampf im Namen des Herrn Zebaoth gegen die brausende Hölle, für das heilige Vaterland und seinen heiligen Rhein«.258 Noch dieser scheinbar fromme Unsinn bezeugt indes, wie sich das geistige Umfeld gewandelt hatte, stößt uns darauf, daß offenkundig der Nationalismus als Ersatzreligion die nachlassende Bindekraft der Großkirchen zu kompensieren hatte – denn einen Grenzfluß als »heilig« zu bezeichnen, so unvernünftig wäre die Frühe Neuzeit nicht gewesen. Einzelne Adjektive belegen gar nichts. Ein noch so langes Pachwork aus vergleichbaren rhetorischen Versatzstücken könnte eine fortwährende Vitalität der traditionellen, spätantik-mittelalterlichen Doktrin vom Gerechten Krieg nicht belegen. Marxistische Autoren vermochten ein Gerechtigkeitsempfinden im Lager des bourgeoisen Klassenfeindes nicht zu entdecken, was sie ihm zum Vorwurf machten. Der sowjetische Völkerrechtler Lissowskij lamentierte 1955, in bezeichnender Zuspitzung auf die Frage der Neutralität im Kriege, so über die ethische Substanzlosigkeit des westlichen Kriegsbegriffs: »Die traditionelle bourgeoise Auffassung der Neutralität bestimmt die Lage eines nicht am Kriege teilnehmenden Staates ohne Rücksicht auf den Charakter dieses Krieges. Sie geht davon aus, daß ein neutraler Staat sich zu allen kämpfenden Ländern gleich verhalten muß, unabhängig davon, ob der betreffende Staat einen gerechten oder ungerechten Krieg führt. Die Sowjetunion trat immer für eine Unterstützung der Völker ein, die Opfer eines Angriffs waren und für die Unabhängigkeit ihres Vaterlandes kämpften. Dies bedeutet, daß es keine Gleichstellung gegenüber dem Angreifer

256 Ich zitiere nach Heinrich Missalla, Gott mit uns. Die deutsche katholische Kriegspredigt 1914–1918, München 1968, S. 14f. 257 Zit. nach Dieter Langewiesche, Was heißt ›Erfindung der Nation‹? Nationalgeschichte als Artefakt – oder Geschichtsdeutung als Machtkampf, in: Historische Zeitschrift 277 (2003), S. 614. Unheilig und ungerecht war Königgrätz, Preußen sühnte es dadurch, daß es nunmehr dem frechen Erbfeind Frankreich seine Schandtaten heimzahlte. 258 Gegner war der »Drachen und Satanas« in Paris, da wurde »der Schlachtgesang zum heißen Gebet«: Friedrich von Bezold, Der Geist von 1813, Bonn 1913, S. 7 bzw. S. 10f.

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und dem Opfer des Angriffs geben kann ... Ein Staat, der einen gerechten Krieg führt, muß Unterstützung und Hilfe erhalten.«259 Solche Rede vom »gerechten Krieg« hat keine theologische Substanz mehr. Dieser Gerechte Krieg ist so nachhaltig enttheologisiert, daß er zur Kampfparole des Marxismus-Leninismus gegen bourgeoise Dekadenz taugt. Aber auch angelsächsische Autoren haben sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder an der Fortschreibung einer säkularisierten Bellum-iustum-Doktrin versucht 260, ohne, daß in solchen Büchern »Gott und der Teufel« miteinander rängen. Daß Publizisten verkünden, Politiker verlautbaren lassen, sie setzten sich für eine »gerechte« Sache ein und bekämpften »Unrecht«, beweist nicht, daß der in diesem Kapitel für die Frühe Neuzeit behauptete Säkularisierungsprozeß im 20. Jahrhundert einer Resakralisierung des Kriegsbegriffs gewichen wäre. Aber wie verhält es sich im frühen 21. Jahrhundert? Wohnten wir zuletzt nicht einer Renaissance des Bellum iustum bei? Überhaupt scheinen ja manche Phänomene aus dem Umkreis von Krieg und Frieden seit einigen Jahren jedem Glauben an linearen Fortschritt in der Geschichte Hohn zu sprechen. Blicken wir kurz an den Beginn der Neuzeit zurück! Damals wurde der Staat als kriegführende Einheit üblich, der Normalfall; wo dem nicht so war, fällt uns das als seltener werdende Ausnahme auf, wir sprechen dann zum Beispiel von »Bürgerkrieg«. Staaten führen Kriege – doch noch nicht mit ›staatseigenen‹ Truppen. Truppenkontingente werden je nach Bedarf angemietet, für eine Kriegsoperation, eine Kriegssaison. Sie unterstehen ihrem Kondottiere, oft regelrechten Kriegsunternehmern. Ein Wallenstein wird vorgebliche Sachzwänge einer von ihm selbst definierten ›Kriegsraison‹ derart eklatant über Wünsche und Praktiken der Politiker stellen, daß sich diese regelrecht entmachtet fühlen. Die düpierte Staatsmacht schlägt zurück, sie geht dazu über, sich eine ›eigene‹, übrigens stehende Truppe zu halten: Aus dem ad hoc angemieteten Landsknechtsheer wird das stehende Fürstenheer261 des höfischen Absolutismus. 259 Zit. nach Heinz Fiedler, Der sowjetische Neutralitätsbegriff in Theorie und Praxis. Ein Beitrag zum Problem des Disengagement, Köln 1959, S. 96f. (Kursivsetzung von mir); natürlich hat Fiedler ins Deutsche übersetzt. Gunther Hauser, Die europäischen Neutralen und Bündnisfreien im Vergleich, in: Österreichische Gesellschaft für Landesverteidigung und Sicherheitspolitik (Hg.), Neutralität 2005. Symposium 5. November 2005 Rorschacherberg / Schweiz. Tagungsbericht, Wien o. J. [2006], S. 28 weiß, natürlich ebenfalls in Übersetzung und leider ohne Angabe des Fundortes: »Nikolai Poljanow, Auslandskorrespondent der Iswestija, behauptete 1966: ›Ein neutraler Staat kann nicht dem Bösen und dem Guten gleichgültig gegenüberstehen, er muss bestimmt auf der Seite des Guten stehen‹«. 260 Vgl. nur, beispielsweise, Robert W. Tucker, The just war: a study in contemporary American doctrine, Baltimore 1960; oder, von verschiedenen Veröffentlichungen James Turner Johnsons, diese: Can modern war be just?, New Haven/London 1984. 261 Ich ziehe den Ausdruck »stehendes Fürstenheer« dem in Militärgeschichten üblichen vom »stehenden Söldnerheer« vor, denn nur ersterer bringt beide Innovationen des Absolutismus

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Was wir uns heute unter Krieg vorstellen, entstand also gewissermaßen in zwei Stufen: Am Be­ginn der Neuzeit wurde der Staat die übliche kriegführende Einheit (Durchsetzung des staatlichen Ge­waltmonopols); in den ersten Jahrzehnten der zweiten Hälfte der Frühen Neuzeit entmachtete er die Obersten (Durchsetzung des Primats der Politik). Den stehenden Fürstenheeren massenhaft aufgebotene Volksheere entgegenzustellen: das wiederum war eine Neuentwicklung an der Schwelle zur Moderne. Nur solche Massenheere konnte man in großen Massenschlachten – nun, eben da­hinschlachten lassen. Söldner, ob saisonal angemietet oder auf Dauer in die Kaserne gesteckt, waren teuer, also kostbar gewesen. Deshalb waren militärische Konflikte in Alteuropa langwierig und wenig inten­siv. Söldner starben eher an Seuchen als an Schlachten – oft schlugen sie pro Saison nur zwei oder drei, gar eine nur, die dann vielleicht einen halben Tag lang dauerte. Der Soldat der Moderne ist Kanonenfutter. Der mo­ derne Krieg kennt große Gemetzel, Vernichtungsschlachten. In solche »Stahl­ bäder« schicken Generäle ihre Truppen nur, wenn sie wissen, daß in der Heimat ohnehin die nächsten Jahrgänge bereitstehen. So kennen wir den Krieg – den deutsch-französischen von 1871, die beiden »Weltkriege« des 20. Jahrhunderts. Aber wandelt sich das Bild nicht in unseren Tagen? Einerseits könnte die wohlhabenden Ländern zu Gebote stehende Kriegstechnologie so kompliziert werden, daß sie in den kurzen Ausbildungszeiten von Wehrpflichtigenarmeen nicht mehr beherrschbar gemacht werden kann, weshalb der Berufskrieger auf dem Vormarsch ist und mancherorts über eine Abschaffung der Wehrpflicht diskutiert wird. Aber blicken wir, anstatt in eine mögliche nahe Zukunft, lieber in außereuropäische Länder – nach Liberia beispielsweise, oder Sierra Leone, nach Somalia oder Afghanistan! Wer führt oder führte dort jüngst weshalb Krieg? Wir verstehen es nicht recht, sehen scheinbar sinnlose Bilder über den Bild­schirm flimmern. Es kämpfen selten reguläre Armeen, kämpfen Clans, Cliquen, Banden, Privatarmeen. Sie kämpfen unter Milizführern, die den verfallenen Resten rudimentärer Staatlichkeit gegenüber mal loyal sind, mal durchaus nicht. Die bewaffneten Banden leben von jenem Krieg, von dem auf Anhieb schwer zu sagen ist, worum er geht. Kriegführen ist Beruf, Lebensstil. Weil weite Teile des Erdballs – der abstrusen mitteleuropäischen Diskussion über eine angebliche (angeblich auch noch unheilvolle) Bevölkerungsschrumpfung zum Trotz – hoffnungslos überbevölkert sind, gibt es ein wachsendes Reservoir jener Überzähligen, nirdendwo Vermißten, im Zivilleben wirklich Gebrauchten, aus denen sich schon die frühneuzeitlichen Söldnerheere rekrutiert hatten. Große, entscheidende zum Ausdruck: die Truppe (genauer gesagt: logistische und Kommandostrukturen sowie eine Kerntruppe) bleibt dauerhaft beisammen; die Truppe ›gehört‹ dem Fürsten, dessen Kommandogewalt hier einmal so »absolut« ist wie in anderen Politiksegmenten nur auf dem Papier.

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Schlachten gibt es in diesen postmodernen Kriegen kaum, alles zieht sich scheinbar endlos in die Länge, und wenn die Tagesschau, einigermaßen regelmäßig nur nach Afghanistan schauend, nach einem halben Jahr wieder einmal be­richtet, sieht alles noch so ähnlich aus wie beim letzten Mal. Die Soldaten sind, da von Privatpersonen unterhalten, miserabel ausgestattet; ein Scharmützel kann man sich dann wieder leisten, wenn man irgendwo ein Waffendepot aufgetan hat. Und außerdem: wozu sich der Todesgefahr aussetzen, wenn man doch vom Krieg leben will? Warum gar der größten aller Gefahren Vorschub leisten – nämlich daß jener Krieg zur Neige gehen könnte, dem man seinen Lebensunterhalt verdankt? Die gewaltsamen Konflikte, die derzeit auf der Welt vorherrschen, schei­nen aus einer anderen Zeit zu stammen. Sie ähneln eher dem Dreißigjährigen Krieg als dem Zweiten Weltkrieg, und wenn die staatlichen Strukturen noch mehr verfallen sind, ähneln sie gar den Großfehden vor dem Anbruch der Neu­z eit, als der Staat begann, das Gewaltmonopol für sich zu reklamieren.262 Daß die Ära ausschließlich »staatlicher« Kriege außerdem des international vernetzten, doch nicht territorialisierten islamischen Terrors wegen zuende sein dürfte, ist ohnedies evident; Attacken wie die aufs World Trade Center ähneln ja eher kriegerischen als verbrecherischen Akten, sind funktionale Äquivalente für Militärattacken unter den Rahmenbedingungen asymmetischer Kriegführung, weshalb im »Kampf gegen den Terrorismus« die Grenzen zwischen straf- und polizeirechtlichen Elementen sowie kriegsrechtlichen verschwimmen. Zuletzt war von der Kriegspraxis die Rede. Gibt es auch ideologische Rückfälle, konzeptionelle Rückgriffe? Ob das 21. Jahrhundert noch im Zeichen der kollektiven Sicherheit stehen wird – oder aber einer neuen Hegemonialordnung? Und erlebt der Gerechte Krieg wieder einmal eine rhetorische263 Renaissance? George Bush Sr. deklarierte ja die Aktion »Desert Storm« 1990 als Kampf für eine gerechte Weltordnung, der Golfkrieg war ihm ein »Just War«. Dabei war diese Intervention vom UN-Sicherheitsrat gedeckt, also keiner zusätzlichen Legitimation bedürftig. Dem war im einstigen Jugoslawien nicht so, wo moralisches Pathos als Surrogat für den fehlenden Rechtstitel herhalten mußte. Die NATO-Intervention im Kovoso wurde auch in gelehrten Abhandlungen

262 Woran liegt es? Vielleicht hat es solche Konflikte immer gegeben, aber wir haben sie lange Zeit nicht wahrgenommen. Während des Kalten Krieges waren sie aber auch wirklich kaum denkbar – die Supermächte hätten sich eingeklinkt, jeder vor sich hinköchelnde, sozusagen ›kleine‹ Konflikt konnte zum Pulverfaß werden, an dem sich der dritte Weltkrieg ent­ zündete. Das ist nun, nach dem Triumph der einen, einzig verbliebenen Su­permacht nicht mehr so, die ›kleinen‹ Konflikte dürfen ›klein‹ bleiben – und ihre archaischen Züge behalten. 263 Es geht ja wohl doch nicht mehr um Motive, sondern um Legitimationen. Doch müssen das Politikwissenschaftler entscheiden.

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nach den Kriterien der traditionellen Bellum-iustum-Doktrin traktiert264, und die Kriegsrhetorik von George Bush Jr. animierte jüngst einen Autor dazu, die spätscholastische Endstufe dieser Doktrin auf die »Operation Iraqui Freedom« zu applizieren.265 »Is it a Just War?« – so fragt die Zwischenüberschrift eines Memorandums, mit dem uns zahlreiche US-amerikanische Intellektuelle darüber aufklären wollten, um was es in Afghanistan gehe: »In the name of universal human morality« sei dort die US-Regierung zu unterstützen, nur so gelinge es, »to stop an unmitigated globel evil«. Das Manifest kanzelt die Kriegskonzeption der Realisten und Neorealisten266 ab: »To be sure, some people, often in the name of realism, insist that war is essentially a realm of self-interest and necessity, making most attempts at moral analysis irrelevant. We disagree.« Wer so denke, »capitulates to cynicism«. Eine Tour d’horizon durch die Geschichte sammelt eklektizistisch Facetten der traditionellen Bellum-iustum-Doktrin ein, bei »Augustine« und »The City of God«, in der späteren »just war tradition«, bei den »just war principles«. Die Iusta causa sei bei einem Angriff auf die »American values« natürlich gegeben, dessen sind die Autoren gewiß, denn da sich Amerikanisierung seit dem Rostfraß am Eisernen Vorhang als »Globalisierung« buchstabiert, sind diese Werte zugleich »the shared inheritance of humankind, and therefore a possible basis of hope for a world comunity based on peace and justice«. Da erst die Partizipation an den »American values« wahres Menschsein ermöglicht, gilt bei einer Attacke auf diesen Lifestyle wechselseitige Beistandspflicht aller zivilisierten Kreaturen. Daß man außerhalb der USA die UNO für »the last final judge« zur Beurteilung etwaiger Motive für gewaltsame Interventionen halten könnte, wird nicht erwähnt. Der Auctoritas principis kamen im 20. Jahrhundert die Fürsten abhanden, doch »a just war can only be fought by a legitimate authority«, weiß unser Manifest, das auch hier keine UNO kennt und nennt.267 264 Vgl. Mayer, Krieg der NATO (auf S. 297 scheinen mir Intentio recta und Iusta causa durcheinanderzupurzeln, und: die Iusta causa meinte einmal Gründe, nicht Begründungen!), mit weiteren Literaturhinweisen, sogar diese Dissertation wurde geschrieben: Rasmus Tenbergen, Der Kosovo-Krieg – eine gerechte Intervention?, Aachen 2000. Zuletzt stieß ich noch hierauf: Stefan Gruber, Die Lehre vom gerechten Krieg. Eine Einführung am Beispiel der NATO-Intervention im Kosovo, Marburg 2008 (in den historischen Exkursen ausgesprochen skurril; so sieht dieser Autor im »Westphälischen [sic] Frieden« die Geburtsstunde der »neu entstandenen Territorialstaaten«!). 265 Vgl. Jan-Andres Schulze, Der Irak-Krieg 2003 im Lichte der Wiederkehr des gerechten Krieges, Berlin 2005. 266 Ich setze mich noch kurz mit dieser in den Politikwissenschaften vorherrschenden Denkschule auseinander: vgl. unten S. 282f. 267 Ich las das Manifest unter www. propositionsonline.com/html/fighting_for.html. »Our attackers despise ... our entire way of living«, beklagen die Autoren, schon deshalb komme Neutralität in dieser Auseinandersetzung nicht in Frage. Weil mit dem American Way of

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2.2 Eine Säkularisierung der Kriegspraxis? 2.2.1 Forschungsspuren Begründungen sind leichter zugänglich als Gründe. Legitimationen liegen auf der Hand, drängen sich auf, die dahinterstehenden, oft genug dahinter verborgenen Motive können wir allenfalls plausibel machen. Dieses Kapitel muß deshalb noch mehr Fragezeichen enthalten als das letzte. Sollte am Ende nie und nirgends eine Säkularisierung des Krieges stattgefunden haben, lediglich eine der gelehrten Kriegsdoktrin? War Krieg an den Zentren der Macht schon immer nur und ausschließlich ein Produkt kühlen Kalküls, der Abwägung irdischer Interessenlagen? Um die plausible Annahme zu erhärten, daß in konfessionellen Kampfschriften (gar solchen theologischer Provenienz) anders und hitziger argumentiert wurde als in der Ratsstube, genügt ein Tag im Archiv. Wir sahen weiter oben schon – um hier nur diesen Teilaspekt herauszugreifen – , daß zahlreiche im Reich verlegte Flugschriften Andersgläubige für nicht geschäftsfähig erklärten, da sie ja etwaige interkonfessionelle Vereinbarungen sowieso nicht als sie bindend akzeptierten; doch ist mir kein für die damalige Reichspolitik relevanter Entscheidungsträger bekannt, der diese Schreibtischparole ebenfalls vertreten hätte. Wohl grübelte man beunruhigt darüber nach, ob nicht die »Politici« des anderen Lagers von den Ergüssen der Schreibtischextremisten infiziert sein könnten. In den separatistischen niederländischen Nordprovinzen nahm Willem Frijhoff »no strong links« zwischen »militant apocalypticism« und »political decision-making« wahr (außer freilich in der Frühphase des Achtzigjährigen Krieges), der »pamphlet war« habe die Entscheidungszentren nicht nachhaltig infiltriert.268 Die Sprache der Akten ist, natürlich, nicht die der Flugschriften. Aber damit ist noch keineswegs ausgemacht, daß religiös erhärtete kriegsethische Postulate in der Ratsstube irrelevant gewesen sind. Inwiefern kanalisierten religiöse Anforderungen – beispielsweise die theoretisch unstrittige Amtspflicht eines frühneuzeitlichen Herrschers, das Seelenheil möglichst vieler »Schäfelein« zu ermöglichen, oder eben die Kriterien des Bellum iustum – Wahrnehmung und Meinungsbildung der Entscheidungsträger? Um darauf erste Antworten geben zu können, muß man neben gedruckten ProLife die zivilisierte Welt überhaupt infragegestellt werde, so George Bush Jr. am 10. September 2002, könne es jetzt, wie die deutsche Übersetzung bei der Übertragung der Bush-Rede in n-tv lautete, »keine Immunität und keine Neutralität« geben – wie so häufig (aber der Nachweis wird noch weiter unten zu führen sein) ist die Akzeptanz der Neutralität ein für Kriegskonzeptionen aufschlußreicher Indikator. 268 Willem Frijhoff, Catholic Apocalyptics in a Protestant Commonwealth? The Dutch Republic (1579–1630), in: Heinz Schilling (Hg.), Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600, München 2007, S. 248.

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pagandaschriften auch interne Beratungsprotokolle befragen, den öffentlichen Deutungskrieg wie seinen Niederschlag in den Ratsstuben beobachten, und genau an diesen Schnittstellen, zwischen Bibliothek und Archiv, Gelehrten- und Ratsstube, publizistischem Meinungskampf und Meinungsbildung der Entscheidungsträger scheinen mir die für eine historische Friedens- und Konfliktforschung spannendsten Fragen angesiedelt zu sein.269 Vorerst können wir selbst scheinbar sehr einfache Fragen kaum beantworten. Wie gut kannten die (adeligen, juristisch geschulten bürgerlichen) Entscheidungsträger überhaupt die elaborierten Doktrinen, schrumpften sie ihnen auf halbverstandene Schlagworte zusammen? Hat man im politischen Alltag bisweilen auf die Doktrinen (oder doch die Schlagworte) rekurriert? Wie war das im späten Mittelalter? Der »Friedensidee« im damaligen Florenz auf der Spur, fand Ulrich Meier heraus, daß die Termini Pax, Tranquillitas ordinis und Iustitia »einen festen Begriffsbestand« bildeten, »mit dem zu argumentieren man gewohnt war«, es sei im städtischen Leben »Justitia ... das zentrale Schlagwort der Jahrzehnte um 1300« gewesen, »Friede und Gerechtigkeit wurden in dieser Zeit zu normativen Ecksteinen der Stadtverfassung«; auch in den spätmittelalterlichen »Podestà-Spiegeln« seien »pax, concordia und tranquillitas oder deren volkssprachliche Äquivalente die gebrauchten Kernbegriffe« gewesen270: Indizien für eine profunde Kenntnis der gelehrten Kriegsdoktrinen bei den städtischen Eliten, hohle Phrasen? Dietrich Kurze gewann den »Eindruck«, daß »das Mühen der Denker nicht esoterisches Geheimwissen blieb, sondern in breiter Front praktiziert und popularisiert wurde«.271 Hingegen beurteilt Peter Moraw »die Überzeugungskraft von Theoretikern« wie Augustinus und Thomas von Aquin, auf »Herrschaft und Staat« im späten Mittelalter blickend, »mit großer Skepsis ..., allein schon wenn man den zu vermutenden Wissensstand der möglichen Rezipienten bedenkt«.272 War die Bellum-iustum-Doktrin im ausgehenden Mittelalter und im ersten neuzeitlichen Jahrhundert an den Zentren der Macht besonders präsent oder ganz aus dem Blick? Heinrich Lutz glaubte, eine in diesem Zeitraum anwachsende Wirkmächtigkeit von Ideen beobachten zu können, eine »neue, nicht mehr mittelalterliche Bewegung des Denkens, Planens und Forderns in bezug 269 Ich gehe auf einige damit zusammenhängende methodische Fragen unten in Kapitel A.4 noch ein. 270 Ulrich Meier, Pax et tranquillitas. Friedensidee, Friedenswahrung und Staatsbildung im spätmittelalterlichen Florenz, in: Johannes Fried (Hg.), Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter, Sigmaringen 1996, die Zitate: S. 493, S. 514, S. 496f. 271 Kurze, Krieg und Frieden, S. 29. 272 Peter Moraw, Staat und Krieg im deutschen Spätmittelalter, in: Werner Rösener (Hg.), Staat und Krieg. Vom Mittelalter bis zur Moderne, Göttingen 2000, S. 85.

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auf Frieden und Krieg«, »der Wirkungsgrad von Ideen und verbalisierten Normenreflexionen verstärkt sich«.273 Konkreter, mit dem Adel Polen-Litauens eine politiktragende Elite ins Visier nehmend, konstatierte Hieronim Grala, daß die Bellum-iustum-Doktrin »im polnischen politischen Denken« des 16. Jahrhunderts sehr präsent gewesen sei.274 Hingegen stießen Rainer Bach und Constantin Hruschka nur in der »klerikalen Institutionen- und Weltchronistik« auf das Bellum-iustum-Konzept, in adeligem Schriftgut begegneten noch nicht einmal Spurenelemente, es klaffe »ein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen geistlichem und ritterlichem Selbstverständnis in der Wahrnehmung von Kriegen«.275 Und Sonja Kerth, auf deren Sondierungen in Liedern und Sprüchen ich schon einige Male hingewiesen habe, stieß dort auf keine »Diskussion über bellum iustum, obwohl rechtliche Argumente ja eine teilweise überragende Rolle spielen«.276 Wenn sie andererseits feststellt, daß »der Friede in den Dichtungen des 16. Jahrhunderts wesentlich häufiger beschworen wird als in den Jahrhunderten zuvor«277, mag das doch einen Niederschlag gelehrter Debatten dokumentieren, eine auf formelhafte Beschwörungen eingeschrumpfte Rezeption freilich nicht scholastischer Doktrinen, sondern humanistischen Nachdenkens über den Frieden. Und ob die Autorin immer genau genug hingeschaut hat? Die Dominanz eines rein »politischen Friedensbegriff[s]« will sie mit diesem Preislied aus dem Jahr 1519 erhärten: »Carle der wirt regieren/ mit großer strengikeit,/ die gerechtigkeit wirt er zieren,/ zu kriegen sin bereit;/ kein ungrechtigkeit wirt er nit lon«278 – tatsächlich zeigt diese Eloge doch vor allem, wie strikt eine als ungerecht empfundene Pax (eben kein Wert an sich!) abgelehnt wurde und daß legitime Kriegführung an Iustitia gekoppelt war. Die disparaten Funde weisen vorerst in unterschiedliche Richtungen, sogar, wenn wir uns politiknahes Schriftgut vornehmen. Ganz aussichtlos ist es derzeit, den Niederschlag gelehrter Kriegskonzeptionen in Akten einschätzen zu wollen. 273 Heinrich Lutz, Friedensideen und Friedensprobleme in der frühen Neuzeit, in: Gernot Heiss/ders. (Hgg.), Friedensbewegungen: Bedingungen und Wirkungen, Wien 1984, S. 28f. Für ursächlich hält Lutz eine »neue Dynamik der europäischen Staatenwelt« und »die Verbreitung des Buchdrucks«. 274 Hieronim Grala, Vom bellum iustum zum bellum externum. Die Auffassung des polnisch-litauischen Adels von den Gründen des Livländischen Krieges 1558–1582, in: Horst Brunner (Hg.), Die Wahrnehmung und Darstellung von Kriegen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 2000, S. 256f. 275 Rainer Bach/Constantin Hruschka, Das Bild des Krieges im Spiegel der klerikalen Institutionen- und Weltchronistik und der Schriften niederadliger Autoren, in: Horst Brunner (Hg.), Die Wahrnehmung und Darstellung von Kriegen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 2000, S. 70f. 276 Kerth, Landsfrid, S. 257 Anm. 91. 277 Vgl. oben S. 52 mit Anm. 119. 278 Kerth, Landsfrid, S. 258f.; das Preislied stammt von Pamphilius Gengenbach.

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Gewiß stolpern wir dort gelegentlich über eine Anspielung auf diesen Publizisten, jene Flugschrift. Aus den Tagen des Schmalkaldischen Krieges ist vielleicht diese doch deutliche Klage erwähnenswert: »Ein Buchlin«, ein »rechter famosus libellus ... wider den churfursten von Sachsen und den landgrafen« von Hessen, also die Häupter des organisierten Protestantismus im Reich, versetze das schmalkaldische Lager in »verbitterung«, dann, verallgemeinernd: »viel biechers machen ... macht warlich nit vertrauen zur unterhandlung«, sprich: zum Versuch, den Krieg durch Friedensgespräche abzukürzen – so lamentierte Gereon Sailer, der Agent des hessischen Landgrafen Philipp in Augsburg, in einem Schreiben an den Spiritus rector der bayerischen Reichspolitik, Leonhard von Eck.279 Daß Verärgerung über katholische Pamphlete gegen den Augsburger Religionsfrieden das Fiasko des Reichstags von 1608 mitverschuldet hat, wurde bereits erwähnt280 – hier ist Fundamentalkritik an einem dezidiert politischen Friedensbegriff, am Konzept interkonfessioneller Pax, geschichtsmächtig geworden. So spektakuläre Bezüge auf gelehrte (ob theologische, ob völkerrechtliche) Abhandlungen über den Krieg kann ich nicht vorweisen. Als Ratgeber Kaiser Ferdinands II. im Januar 1635 »politische und militärische bedenkhen und motiven, ob der frieden einzugehen oder der khrieg vortzusetzen seie« zusammenstellten, beschworen sie nicht nur zweimal die »gerechte sach« der eigenen Waffen, vor einem Wiedererstarken der Protestanten warnten sie mit diesem Argument: Diese würden dann »leges iniquissimas victis praescribiieren wollen. Inmassen dann solches die in negsten vergangenen jahren in offnen truckh gegebene discursen nicht wenig bestettigen, in welchem281 sie sich ungescheücht vernemmen lassen, man wolle und könne die durch die waffen im Römischen Reich eingenommene erz- und stifter gewissen halber nit restituiren, sondern iure belli behalten«. Die Hofburg hat demnach das Erscheinen gedruckter »discurse« registriert; aber es handelt sich hier wohl nicht eigentlich um kriegsethische oder völkerrechtliche Arbeiten, sondern um die Flut von Pamphleten gegen das Restitutionsedikt. Daß man an der Hofburg auch von im engeren Sinne völkerrechtlichen Publikationen Kenntnis nahm, zeigt indes ein Schreiben Kaiser Ferdinands III. an seine Vertreter bei den westfälischen Friedensverhandlungen vom 27. Februar 1646, wo eine Kursvorgabe mit dem Hinweis auf Ludwig de Molina garniert wird.282 Edgar Müller konnte jüngst in den »Acta Pacis Westphalicae« an drei 279 Abdr. nach einer undat. Kopie des Briefes [wohl vom November 1546]: Lenz, Briefwechsel, Bd. 3, S. 471. 280 Vgl. oben S. 58 mit Anm. 144. 281 Sic! Das Memorandum ist abgedr. in BA Neue Folge (im Folgenden: N. F.) 2.10.2, Nr. 107. 282 APW II.A.3, Nr. 177. Es geht freilich nicht um eine grundsätzliche Aussage Molinas zu Wesen oder Berechtigung des Krieges – Konzessionen bei den konfessionellen Besitzständen für unumgänglich haltend (S. 306), schreibt Ferdinand: »Nicht daß man es von rechten

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Stellen Grotius-Zitate aufspüren, ferner nachweisen, daß sich der Sekretär der schwedischen Delegation in Osnabrück, Matthias Biorenklou, immer wieder intensiv mit »de iure pacis ac belli« auseinandergesetzt hat.283 Nun war dieser Gesandtschaftssekretär sicher keiner der diplomatischen Hauptakteure in Westfalen. Für einen Hauptakteur des Dreißigjährigen Krieges schlechterdings ist aber gut belegt, daß er sich mit Hugo Grotius lesend beschäftigt hat: Kenner Gustav Adolfs von Schweden betonen, daß dieser auch vor sich selbst habe sicher sein wollen, nur Bella iusta zu führen, sehr auf die Iusta causa und die Intentio recta geachtet habe, (auch) deshalb intensiv die Bemühungen des Hugo Grotius »de iure pacis ac belli« studiert habe, angeblich täglich eine halbe Stunde lang284. Müssen wir uns, bis eines fernen Tages alle Archive eingescannt sind und nach Suchworten durchforstet werden können, mit einer Analyse der – schon in der Vormoderne häufig in Druckwerken zusammengestellten – zwischenstaatlichen Verträge behelfen? Randall Lesaffer meint, hier durchaus die wahren Absichten der Entscheidungsträger auffinden zu können, freilich nur in Friedensverträgen: sie nämlich böten »the world of Realpolitik«285, während Alli-

wegen schuldig wehre, sondern daß es ratio status et publicae tranquillitatis erfordert, daß man von seinem rechten etwas weichen thue. Dahero dann Ludovicus Molina ›De iustitia et iure‹ inter transactionem et compositionem unterscheide, bei letzterer weiche man ›ad evitandum maius periculum de iure suo‹«. Ludwig de Molina S.J. (1535–1600) war spanischer Moraltheologe und Völkerrechtler, seine sechs Bände »De iustitia et iure« erschienen seit 1593. Zuletzt zählte ihn Klaus Dicke, Freiheiten im Völkerrecht, in: Georg Schmidt/ Martin van Gelderen/Christopher Snigula (Hgg.), Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400–1850), Frankfurt u. a. 2006, S. 62 sogar neben Vitoria, Suarez, Ayala und Gentili zu den »Vätern des Völkerrechts«. 283 Vgl. Edgar Müller, Hugo Grotius und der Dreißigjährige Krieg. Zur frühen Rezeption von De jure belli ac pacis, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 77 (2009), S. 499–538. Der Großteil der Arbeit ist dem Nachweis früher wissenschaftlich-universitärer Rezeption gewidmet. Für unsere Frage nach der Politikrelevanz völkerrechtlicher Publikationen ist noch interessant, daß sich der unter Johann Philipp von Schönborn einflußreiche Mainzer Kanzler Johann Christian von Boineburg eingehend mit »de iure pacis ac belli« beschäftigt hat: S. 535f. 284 So Marcus Junkelmann, Gustav Adolf (1594–1632). Schwedens Aufstieg zur Großmacht, Regensburg 1993, S. 285f.; vgl. schon C[ecily] V[eronica] Wedgwood, Der 30jährige Krieg, Neuausgabe München 1990, S. 235. Allgemeiner behauptet Günter Barudio, ein Kenner des damaligen Schweden, daß »Schwedens Staatsmänner an Grotius und anderen Klassikern des Völkerrechts ... geschult« gewesen seien (aber was hat das für ihre Politik bedeutet?): G. B., Der Teutsche Krieg 1618–1648, 2. Aufl. Frankfurt 1985, S. 334. Sven Lundkvist, Die schwedischen Kriegs- und Friedensziele 1632–1648, in: Konrad Repgen (Hg.), Krieg und Politik 1618–1648. Europäische Probleme und Perspektiven, München 1988, S. 235: »Gustav Adolf und die anderen schwedischen Staatsmänner, auch Axel Oxenstierna, waren mit Grotius’ Schrift und seiner Argumentation vertraut.« 285 Lesaffer, War, S. 106.

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anzverträge mit ihrem »lip service to the just war doctrine«286 lediglich »propagandistic legitimisations«287 offerierten; außerdem verblaßten diese zusehends nach 1648.288 Mir scheinen sie auch danach eine Zeitlang durchaus in Übereinstimmung mit der (was Lesaffer übersieht: ja selbst mittlerweile ausgeleierten, überdehnten) Doktrin zu stehen. Die Amnestieklauseln in Friedensverträgen289 wertet Lesaffer als Eingeständnis, »that there was no effective power ... strong enough to judge the right of the parties ... in other words, in as far as settlements in peace treaties for damages received or done are concerned, the external sovereignty of the states could be no greater at the middle of the eighteenth century than it had been three hundred years before«.290 Das sind weitreichende Schlußfolgerungen – indes, hat für manchen frommen Zeitgenossen nicht schon der Ausgang des Krieges über Recht und Unrecht entschieden, vor allem aber: ist zu verzeihen unchristlich? Dann wurden Friedensverträge, mehr noch als Allianzverträge, im Hinblick auf öffentliche Wirkung verfaßt; ausgerechnet hier haben die vormodernen Entscheider über Krieg und Frieden gewiß nicht ihre Herzen ausgeschüttet.291 286 Ebda., S. 97. 287 Ebda., S. 106. 288 Nachdem zunächst »a prior act of injustice of the enemy was always identified as the real cause« für die Kriegsallianz, was Lesaffer im frühen 17. Jahrhundert schon nur noch als »lip service to the just war doctrine« wertet, seien dann im 18. Jahrhundert die »interests« der Staaten auch rhetorisch in den Vordergrund gerückt: alle Zitate auf S. 97f. – Offenbar ist Claire Gantet, Guerre, paix et construction des États 1618–1714, o. O. 2003 in ihrem Untersuchungszeitraum kein Nachlassen der Bemühungen um »gerechte« Begründungen aufgefallen, sie konstatiert pauschal: »Le soin pris à attribuer aux guerres une cause iuste« sei »un trait essentiel« (S. 8). 289 Auf ihre Geläufigkeit hat schon Fisch, Friedensvertrag, S. 92–112 hingewiesen; vgl. zudem, bereits fürs Mittelalter, Klaus Neitmann, Die Staatsverträge des deutschen Ordens in Preußen 1230–1449. Studien zur Diplomatie eines spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaates, Köln 1986, S. 381–396. 290 Lesaffer, War, S. 104. 291 Diese knappen Andeutungen gewisser Zweifel sind der großartigen Rechercheleistung Lesaffers eigentlich nicht adäquat. Ich kann aber in diesem Rahmen nur einige Fragezeichen anbringen. So interessant die von Lesaffer betonten Unterschiede zwischen der in Friedensoder aber in Allianzverträgen obwaltenden Rhetorik sowie zwischen Ius in bello und Ius ad bellum sind, so wenig glaube ich, daß wir aus der Behandlung des Ius in bello in Friedensverträgen (überall sonst sieht Lesaffer selbst ja lediglich »propagandistic values«) einfach auf die Denkkategorien der damaligen Politiker schließen dürfen. Mir ist auch nicht einsichtig, warum Amnestieklauseln in Friedensverträgen beweisen, daß Angaben zur »Justice« von Kriegsgünden in Allianzverträgen lediglich »propagandistic« seien. Die schlichte Antithese »Realpolitik« – »world of moral«, »world of theory and ideals« scheint mir nicht nur terminologisch der Vormoderne unangemessen zu sein. »Values« wie Gottgefälligkeit oder Ehre konnten damals sehr wohl verhaltenssteuernd wirken, was diese Studie hoffentlich noch plausibel machen kann, und was die damaligen Entscheidungsträger aufgrund welcher

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2.2.2 Weltanschauung als parteibildender Faktor Waren weltanschauliche Werte bei kriegerischen Auseinandersetzungen ein vorrangiger parteibildender Faktor? Fürs späte Mittelalter wurde es schon beiläufig bezweifelt.292 Brachte die Schwelle zur Neuzeit einen (weiteren) Säkularisierungsschub? In einem allgemeinen Sinne, also zunächst einmal jenseits unseres engeren Themenkreises, ist es ja evident, daß »die Entdeckung der Welt und des Menschen« durch Renaissance und Humanismus säkularisierende Effekte hatte. Man muß nur stichwortartig die neue humanistische Anthropologie293 erwähnen, eine neue Weltzugewandtheit294, noch sehr elitäre Vorwegnahmen der Aufklärung seit dem späten 17. Jahrhundert sind offenkundig295. Und wo bleibt der Krieg? Die Apenninhalbinsel, die im letzten mittelalterlichen Jahrhundert am meisten urbanisierte Großregion Europas, stand nicht nur in den Branchen Bankwesen und humanistische Beredsamkeit an der Spitze des Fortschritts, auch in der Kriegskunst: Nicht mehr Lehnsbande, sondern Werbegeld, nicht mehr vasallitische Loyalität, sondern die Zahlungsfähigkeit des Condottiere brachten mehr oder weniger große Heere auf die Beine. Für unseren Zusammenhang ist besonders interessant, daß die Herren des Kirchenstaats beim skrupellosen Ringen um Hegemonie oder Gleichgewicht munter mitmischten, so eine päpstliche Letztautorität für Gerechtigkeitsfragen selbst kräftig unterminierten. Krieg aller gegen alle, häufige opportunistische Allianzwechsel, Krieg als Geschäft und Machtkalkül, nicht zuletzt von Päpsten, Papstnepoten, päpstlichen Familienangehörigen: damit

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mentaler Dispositionen für die »realen« Staatsinteressen hielten, müßte man je und je erst aus internen Akten erarbeiten, erschließt sich nicht ausgerechnet in Friedensverträgen. Vgl. Norbert Ohler, Krieg und Frieden am Ausgang des Mittelalters, in: Heinz Duchhardt/ Patrice Veit (Hgg.), Krieg und Frieden im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit/Guerre et paix du moyen âge aux temps modernes, Mainz 2000, S. 2: »Anders als griffige Progapandaformeln glauben machten, standen sich nicht religiös homogene Blöcke gegenüber«. Anschließend weist Ohler darauf hin, daß bei der »Reconquista« in den Heeren beider Seiten auch christliche bzw. muslimische Minderheiten mitgekämpft hätten, doch was beweist das? Grundsätzlich parteibildend war bei der Reconquista doch zweifelsohne der Glaube; daß im Dreißigjährigen Krieg der eine oder andere evangelische Söldner das Brot katholischer Obristen aß und umgekehrt, sagt ja über die politischen Gründe für diesen Krieg offenkundig auch nichts aus. Abschließend vermutet der Mediävist Ohler: »Die Bindekraft der Religion sollte im Laufe der Neuzeit weiter abnehmen«. Das sich selbst bespiegelnde, seinen Lebenslauf zum Gesamtkunstwerk ästhetisierende, ruhmbegierige Dicher-Ich anstelle christlicher »Demut«; der Mensch als Homo faber, noch nicht als Ingenieur, aber als Kulturschaffender, Schöpfer einer autono­men Profankultur, die nicht nur und ausschließlich Lobpreis Gottes zu sein hat ... Die Welt war ja Renaissancemalern und humanistischen Dichtern nicht mehr nur irdisches Jammertal: Entdeckung der Landschaft in der Malerei, erste Naturgedichte, die nicht mehr die tradierten locas amoenas und terribiles aufbereiten ... Wiederum nur stichwortartig: humanistischer Utilitarismus, Philosophie als Ars vitae ...

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ist chiffrenhaft der ›Sitz im Leben‹ jener Texte Machiavellis angedeutet, von denen weiter oben, bei der Entwicklung der Kriegsdoktrin, schon die Rede war. Machiavelli glaubte, für seine florentinische Gegenwart besonders in der Geschichte der Römischen Republik von Livius lernen zu können. Ihn und andere altrömische Autoren schätzten auch die Humanisten, und sie stießen dort nicht nur auf robuste Kriegsbejahung296, ferner auf ein weitgehend säkulares Kriegskonzept, das ohne quälende Grübeleien über die Gerechtigkeitsfrage und ganz ohne heilsgeschichtliche Perspektive auskam. Nach dem Ende der Kreuzzüge, der Ketzerfeldzüge, der Reconquista schien die Zukunft einer durch und durch säkularen Kriegspraxis zu gehören. An der Außengrenze des christlichen Abendlandes schreckte freilich bald ein neuer Feind: »der Türke«. Hatte die mittelalterliche Christianitas versucht, den Islam vom Zentrum der Erdscheibe zu verdrängen und zu marginalisieren, war das neuzeitliche Abendland in der Defensive. Die osmanische Eroberung Zentralungarns und die erste Belagerung Wiens 1529 mögen als Stichworte für besonders dramatische Ereignisse an der östlichen Dauerfront zwischen Christenheit und Islam genügen; das westliche Mittelmeer destabilisierten die osmanischen Vasallen in Algier und Tunis. Daß zwischen der Ukraine und Gibraltar notorisch christliche mit islamischen Soldaten rangen, hielt den Gedanken des Glaubenskrieges wach, stand einer Totalsäkularisierung des Denkens über Krieg und Frieden im Wege.297 Verlieh sodann die Glaubensspaltung der Bindekraft kirchlicher Normen neue Vitalität – oder hat sie diese im Gegenteil weiter relativiert? Daß »die Reformation« der säkularen Moderne vorgearbeitet habe, war im Fach lang Common sense und gilt außerhalb desselben noch immer als ausgemacht, weil man zu wissen glaubt, daß ein enger Zusammenhang zwischen »Kapitalismus und Reformation«298 bestehe. Hat nicht zudem die Pluralisierung von Wahrheit die Verbindlichkeit des von jeder einzelnen Kirche abgesteckten Bezugsrahmens für die Seins- und Weltdeutung in Frage gestellt, eine Außenperspektive auf die Glaubensüberzeugung ermöglicht?299 296 Vgl. zu diesem Aspekt schon oben S. 54. 297 Jedenfalls außerhalb Frankreichs! Den Rest Europas empörte einhellig, daß man das Osmanische Reich in Paris für bündnisfähig hielt. 298 So heißt bekanntlich ein Aufsatz von Lucien Febvre, er ist wiederabgedr. in: Ulrich Raulff (Hg.), Lucien Febvre, Das Gewissen des Historikers, Berlin 1988, S. 117–131. Natürlich, man müßte nun auf Max Weber eingehen und auf Ernst Troeltsch, aber nicht in diesem Rahmen! Ich diskutiere den Zusammenhang von Reformation, Säkularisierung und Modernisierung an anderer Stelle, mit den entsprechenden Nachweisen: Gotthard, Religionsfrieden, vor allem S. 504–507. 299 Die Kirche ist nicht mehr das Einheitsband, das alle Gotteskinder umfaßt und inso­fern zur Conditio humana gehört, außerhalb des von ihr abgesteckten Terrains dräut nicht mehr animalisches Vegetieren, locken vielmehr andere Heilsversprechungen. Die universale sinn-

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Spezialisten für die Geschichte des 16. Jahrhunderts betonten indes in den letzten zwanzig Jahren weniger etwa säkularisierende Impulse der Kirchenspaltung, nein, die Gemengelage konkurrierender Konfessionalisierungen habe religiöse Orientierungen keinesfalls relativiert, vielmehr seien die Bewohner Mitteleuropas erst im Zuge dieser sich im Wettlauf anstachelnden Konfessionalisierungsanstrengungen so recht christianisiert worden. Intensivierte Seelsorge, Propaganda und Zensur hätten für eine Internalisierung kirchlicher Normen gesorgt, deren mentale Prägekraft gegenüber dem vorherigen Level enorm angewachsen sei.300 Was könnte das für die Kriegführung bedeuten? Forcierte »der Verlust der kirchlichen, auch kirchenrechtlichen Einheit ... ein schon vorher angelegtes Denken, das an die Stelle christlich-kirchlicher Normen völkerrechtliche Kategorien setzte«301? Die Glaubensspaltung als Katalysator einer Säkularisierung des Krieges? Beobachtungen Jeremy Blacks weisen in eine andere Richtung: »With growing confessional antagonism, at least from the 1530s, every local or regional conflict in which opponents were involved who subscribed to different confessional options, which was nearly always the case, assumed a far greater nationwide importance. Alliances were formed comprising many, if not all, members of a confessional group nationwide. Confessional antagonism created a national, as opposed to regional, framework for conflict in Germany and Scotland, and in France after 1560.«302 Machte erst der Konfessionszwiespalt aus den zeitüblichen lokalen und regionalen Querelen und Quengeleien kriegsträchtige Antagonismen? Man denkt, als Menetekel, sehr frühes und nicht in jeder Hinsicht taugliches Exempel, an den deutschen Bauernkrieg303, die anderen und treffenderen Beispiele deutet Black ja selbst an, man wird ihm für die beiden

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stiftende Letztin­stanz mutiert deshalb gewiß nicht sogleich und unvermittelt zu einem von allen möglichen Lebenssegmenten, aber könnte die Pluralität von Wahrheitsmonopolen diesem Prozeß einen kräftigen Impuls gegeben haben? Man muß den Terminus »Konfessionalisierung« nicht mehr erklären, darf pauschal auf die zahllosen Veröffentlichungen Heinz Schillings und auch Wolfgang Reinhardts dazu verweisen. Hinführung zum Schillingschen »Forschungsparadigma«: Stefan Ehrenpreis/Ute Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter, Darmstadt 2002, S. 62–70 – ohne Bezug zu den hier interessierenden Fragestellungen, was auch für diese kluge Zusammenfassung mit weiterführenden Anregungen gilt: Johannes Burkhardt, Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517–1617, Stuttgart 2002, Zweiter Teil. So mutmaßt der Mediävist Dietrich Kurze: Krieg und Frieden, S. 5. Black, Why Wars happen, S. 59. Nun war das nicht eigentlich ein »Krieg«, kein Kampf zwischen verschiedenen politischen Systemen, sondern eine Untertanenrevolte! Aber die Parallelen zum Blackschen Befund sind frappierend: Das »gute, alte Recht« der bäuerlichen Gemeinden war je und je ein etwas anderes, die konkreten Mißstände variierten von Dorf zu Dorf. Die Berufung auf die Bibel, das »reine, unverfälschte Wort Gottes« aber hat man überall verstanden; das hat eine überregionale Ausbreitung der Unruhen ungemein begünstigt, wohl erst ermöglicht.

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letzten Drittel des 16. Jahrhunderts alles in allem Recht geben: Innerhalb einiger europäischer Länder und unter dem Dach des Reiches ist es so gewesen, andererseits, die internationalen Beziehungen folgten doch über weite Strecken des 16. Jahrhunderts anderen Mustern. Wie lang taten sie das? Wie das Konfessionelle Zeitalter adäquat in eine Geschichte der Säkularisierung einzupassen ist, können wir derzeit besonders schwer beurteilen. War der nie in die Verschmelzung übergehende enge abendländische Schulterschluß ReligionPolitik damals am nahtlose­sten? Oder zeugt der »Konfessionsstaat« der Jahrzehnte um 1600 von damals bereits recht weit fortgeschrittener Säkularisierung (weil er nämlich die Reli­gion für ihr gar nicht eingeschriebene, originär profane Zwecke in­ strumentalisierte)? Wurde die Ausdifferenzierung von Politik und Religion, Recht und Moral im Jahrhundert vor 1630 weiter vorangetrieben oder aber ge­hemmt? Steht das Säkulum ganz im Bann der Konfession, oder hat den Politikbetrieb nach den Sturmjahren der Reformation auf den zweiten Blick doch schon die Staatsräson diktiert?304 Ich muß meine Fragenkaskade erneut abrupt beenden, erneut mit dieser – Frage: Was könnte das alles für die Kriegführung bedeuten? Für Heinz Schilling war »die Konfession« von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts die »Leitkategorie« in den internationalen Beziehungen, »für die zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa insgesamt stilbildend«. 305 Er sammelt hierfür instruktive Indizien, und sieht meines Erachtens doch nicht überall ganz scharf. »Vorreiter« eines »gegenreformatorischen Internationalismus« war für Schilling die Madrider Regierung, deren zentrales »Konzept« darauf abzielte, »das Reich zu umschließen durch einen Gürtel von katholischen Mächten, um hier in der Mitte Europas und im Ursprungsland der Reformation die Häresie auszulöschen ... Greifbar nah war der Erfolg dieses Konzeptes im Restitutionsedikt von 1629«.306 Nun hat freilich ein Kenner der spanischen Politik ausgerechnet für die Jahre des Dreißigjährigen Krieges bezweifelt, daß Madrid damals an einer Einschnürung Deutschlands, überhaupt an einer Verschärfung der konfessionellen Konflikte in Mitteleuropa interessiert gewesen sei 307, und 304 Konfessionelles Zeitalter und Säkularisierung: Gotthard, Religionsfrieden, S. 507–510. Ich nenne dort auch prominente Stimmen, die sich in den letzten Jahren zu solchen Problemen geäußert haben, beispielsweise die Winfried Schulzes oder von Michael Stolleis – hier muß meine kleine Frageliste hinreichen, um anzudeuten, in welchem weiteren Problemhorizont die sich anschließenden Überlegungen zu Krieg und Frieden stehen. 305 Heinz Schilling, Formung und Gestalt des internationalen Systems in der werdenden Neuzeit – Phasen und bewegende Kräfte, in: Peter Krüger (Hg.), Kontinuität und Wandel in der Staatenordnung der Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des internationalen Systems, Marburg 1991, S. 22. – Vgl. zuletzt in detaillierter Ausführlichkeit: ders., Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559–1660, Paderborn u. a. 2007. 306 Schilling, Formung, S. 29f. 307 Vgl. Eberhard Straub, Pax et Imperium. Spaniens Kampf um seine Friedensordnung in Europa zwischen 1617 und 1635, Paderborn/Wien/Zürich 1980. Straub betont durchgehend,

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ganz sicher steckt Spanien nicht hinter dem Restitutionsedikt308. Auf die Gegenseite plaziert Schilling den »internationalen Calvinismus« – einen »Block«, so Schilling, »dem das katholische Frankreich zunächst nahestand, später dann angehörte. Führungsmächte des protestantischen Blocks waren die nördlichen Niederlande und die Pfälzer. Weitere wichtige Mitglieder waren England, Dänemark und später Schweden«. Ein calvinistisch durchtränkter »Block«? Auch hier könnte man manche Fragezeichen anfügen, so hielten sich England309 und die Generalstaaten310 in der so wichtigen Anfangsphase des Dreißigjährigen Krieges zurück, während Frankreich damals entschieden prohabsburgisch agierte311. Übrigens gehörte zu den Drohungen, mit denen eine vielköpfige, prominent besetzte französische Ambassade im Sommer 1620 die Mitglieder der evangelischen Union überschüttete, diese: gäben sie nicht auf der ganzen Linie klein bei, enlarvten sie sich als »promoteurs d’une guerre iniuste«.312 Der konfessionelle Schulterschluß mit dem katholischen Haus Habsburg wird nicht währen, obwohl Richelieu und alle anderen unter ihm noch einflußreichen Pariser Politiker katholisch gewesen sind. »Die inneren Grenzen der Konfessionalisierung als reichs- wie außenpolitische Leitkategorie« treten denn auch für Schilling »in der Haltung Bayerns und Frankreichs« zutage 313, wobei »diese Dekonfessionalisierung der machtpolitischen Allianzen und der Fronten ... an der oberen Grenze unseres Konfessionalisierungszeitabschnitts«, also nach

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daß Maximilian von Bayern der damalige Scharfmacher gewesen sei, Ferdinand II. firmiert (sicher einseitig) als sein tumbes Opfer, ist Maximilians hilflose Marionette; Madrid aber betrieb »Friedenspolitik«. Die Rezensionen waren uneinheitlich. Vgl. zuletzt zur Vorgeschichte des Restitutionsedikts (mit der älteren Lit. und ihren divergierenden Einschätzungen): Gotthard, Säulen des Reiches, Bd. 1, S. 359–361 sowie Gotthard, Maximilian und das Reich, S. 64–66; zuletzt zu Inhalt und Bedeutung: Gotthard, Religionsfrieden, S. 472–479. Erkki I. Kouri, Die Entwicklung eines Systems der europäischen Außenpolitik in der Zeit von 1558–1603 aus englischer Perspektive, in: Friedrich Beiderbeck/Gregor Horstkemper/ Winfried Schulze (Hgg.), Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, Berlin 2003, S. 326 konstatiert eine »Konfessionalisierung der äußeren Politik« Englands, die freilich »auf eine bestimmte Phase begrenzt« geblieben sei, nämlich ungefähr auf die Jahre 1580 bis 1620 (ebda., S. 346); bei Kouri auch die weitere Literatur zur englischen Außenpolitik. Vgl. zuletzt Gotthard, Konfession und Staatsräson, S. 295–297 (England: S. 297–301). Nachweis: Gotthard, Frankreich und England. So berichteten es jedenfalls die Ambassadeurs am 29. Juni nach Paris, Kopie: »negociation en Allemagne vers l’Empereur et les princes protestants par messieurs le duc d’Angoulesme, de Bethune et de Preaux és années mil six cens vingt et mil six cens vingt et un«, fol. 170. Auf die »negociation«, eine Sammlung von Relationen der Ambassadeurs aus dem Reich, stieß ich erstaunlicherweise in der Wiener Nationalbibliothek (cod. 7181). Schilling, Formung, S. 31.

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1630 liege.314 Stimmt das für Frankreich wirklich? Es gab eine Tradition antihabsburgischer Politik im Schulterschluß mit Protestanten vom Fürstenkrieg über Subsidien für Dänemark und Schweden im dreißigjährigen deutschen Konfessionskrieg bis hin zur Unterstützung Oliver Cromwells gegen katholische Widersacher auf der Insel und das katholische Spanien, hingegen waren – wie soeben erwähnt – ausgerechnet um 1620 kurzfristig konfessionelle Solidaritäten maßgeblich. Als reichspolitischen Sonderfall müßte man vor Bayern jenes lutherische Kursachsen nennen, das »politice ... Bäpstisch« agierte315, und zwar nicht erst seit den 1630er Jahren, sondern fast durchgehend, beispielsweise auch schon im Kölner Krieg der 1580er Jahre.316 Doch ist auch die Nennung Bayerns nicht grundverkehrt – die Konfession war bei Maximilian I. nur eine außenpolitische Bestimmungsgröße neben anderen, nämlich teutscher Libertät und bayerischer Staatsräson (übrigens erneut: nicht erst seit 1630!317), und eine Feinanalyse seiner Politik318 könnte den Nachweis führen, daß im Falle unausweichlicher Prinzipienkollisionen (freilich war Maximilian ein Meister darin, die bayerische Staatsräson im Gewande eines Vorkämpfers des Katholizismus und deutscher Libertät zu verfechten) durchweg die Ratio status obsiegte. So sieht es, wenn er nur genau genug hinschaut, der moderne Historiker. Ob es Maximilian selbst auch so empfunden hat? Der Mann trieb, objektiv betrachtet, schlaue bayerische Interessenpolitik, aber er war auch zutiefst fromm319, brachte täglich Stunden in Gebet und Gewissenserforschung zu: undenkbar, daß er etwas veranlaßt hätte, womit er subjektiv sein Seelenheil zu verspielen drohte! Daß am 8. November 1620 die Hänge des Weißen Berges vom tausendfach ausgestoßenen Schlachtruf »Sankta Maria« wiederhallten, verdankt sich seiner persönlichen Anweisung. »Doch wird man das tatsächliche Engagement Maximilians in der Schlacht nicht überbewerten dürfen«, moniert ein moderner Analytiker, »der Herzog blieb am Fuße des Weißen Berges zurück und betete ...

314 Ebda., S. 30. 315 Vgl. Gotthard, Politice seint wir Bäpstisch. 316 Vgl. Axel Gotthard, »Macht hab ehr, einen bischof abzusezen«. Neue Überlegungen zum Kölner Krieg, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 82 (1996), S. 270–325. 317 Die Spannungen zwischen den katholischen Dynastien Wittelsbach und Habsburg waren überhaupt notorisch: Auch als meisterhafter Grenzgänger zwischen konfessionell motivierter Solidarität mit der Hofburg und libertär begründeter Distanz war Maximilian nicht innovativ, nur handwerklich geschickt. 318 Vgl. zuletzt Gotthard, Maximilian. 319 Die »Religiosität ... bildete ... Maximilians eigentliches Proprium, den Kern seiner Persönlichkeit und seines Selbstverständnisses«, urteilt der beste Kenner: Dieter Albrecht, Maximilian I. von Bayern 1573–1651, München 1998, S. 1113.

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das ›Salve Regina‹«.320 Und wenn er damit seines eigenen Erachtens eine wichtige Tat vollbrachte, sich besonders wirkungsvoll engagierte? »Je mehr Betens, je mehr Siegs, denn fleissig gebeten ist halb gestritten und gesieget«, soll ein Diktum Gustav Adolfs gelautet haben321, und ein Kenner dieses gerissenen Machtpolitikers ist sich sicher, »daß das religiöse Motiv für das seelische Gleichgewicht des Königs von großer Bedeutung war«.322 Damit sind wir bei einer weiteren Anfrage an das Schillingsche Modell: Ihm zufolge wurde die Konfession für hundert Jahre zur »Leitkategorie«, weil »die beteiligten Staaten und Fürsten glaubten, im konfessionsgeleiteten Konflikt ihre Staatsinteressen fördern zu können«. Dieser Historiker sieht »die Konfessionalisierung von Außenpolitik ... analog zu ihrer Funktion bei der frühmodernen Staatsbildung im Innern«323, also instrumentell. Die damaligen Herrscher bedienten sich der Konfession als eines ihnen äußerlichen, im Arsenal politischer Kniffe herumliegenden, bereitgestellten, jedenfalls frei verfügbaren Instrumentes, das sie kühl kalkulierend einsetzten: als Legitimitätsgenerator und Disziplinierungsmittel im Inneren, als Mobilisierungsfaktor für äußere Konflikte. Und wenn ihnen dazu die innere Distanz gefehlt hat? Wenn damalige Außenpolitik die (deshalb so oft schwankende!) Resultante eines quälenden inneren Ringens zwischen Konfession und Staatsräson gewesen ist – eines Ringens zwischen eher ›politischen‹ (also beispielsweise geostrategischen) Erwägungen und theologischen Postulaten, wie es ja auch erhaltene Ratsprotokolle dieser Jahrzehnte so eindrucksvoll widerspiegeln? Wie weit müssen wir die damaligen Denk- und Gefühlswelten hinter uns lassen, wenn wir versuchen, Glaubensüberzeugungen und »Staatsinteressen« trennscharf auseinanderzuhalten? Natürlich war »Staatsräson« so wenig wie »Konfession« eine Flasche im Regal des gut ausgestatteten Politikers, die eine bestimmte Substanz enthalten hätte, von der der kluge Mann vor wichtigen Entscheidungen eben mal rasch einen kräftigen Schluck zu sich nahm. Wie beeinflußten sich vermeintliche Vorsorge fürs Seelenheil und vermeintliche Staatsräson? Welche inneren Überzeugungen der Entscheidungsträger, welche Werte und Normen prädisponierten die Denkrichtungen und Kalküle, wenn sie meinten, die Ratio des ihnen anvertrauten Gemeinwesens abzuzirkeln? Das Schillingsche Modell ist verdienstvoll, vor allem, weil man sich daran reiben kann. Wir merken wieder einmal, wie viele Fragen noch nicht abschließend geklärt sind. 320 Michael Kaiser, Maximilian I. von Bayern und der Krieg. Zu einem wichtigen Aspekt seines fürstlichen Selbstverständnisses, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 65 (2002), S. 88; ich will mich über die Studie überhaupt nicht mokieren, sie ist vorzüglich. 321 Zit. nach Gustav Droysen, Gustav Adolfs Landungsgebet, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 22 (1901), S. 277. 322 Junkelmann, Gustav Adolf, S. 287. 323 Schilling, Formung, S. 35f.

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2.2.3 Ein »Zeitalter der Glaubenskriege«? Die Konfession als »Leitkategorie« der internationalen Beziehungen: bewährt sich diese Annahme im Testfall des militärischen Konflikts? Unternehmen wir einmal eine Rundreise zu den Schlachtfeldern dieses Säkulums – selbstverständlich ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit324! 2.2.3.1 Frühe deutsche Konfessionskriege In allen überregionalen kriegerischen Auseinandersetzungen des Konfessionellen Zeitalters hat die Konfession eine Rolle gespielt, aber in keinem Fall ist leicht zu entscheiden, ob alle Kriegsparteien in allen Kriegsphasen zuvörderst für das Seelenheil möglichst vieler »schäfelein« fochten. Besonders skeptisch wird man beim Fürstenkrieg sein müssen, den der wendige Wettiner Moritz initiiert hat. Ihm war es zunächst einmal sicher um ureigene Probleme zu tun, um die Labilität seiner neuen Position als sächsischer Kurfürst; der Protestanten halber sprach er auch vom Religionsfrieden, allen Fürsten zuliebe von teutscher Libertät325, und man wird nicht behaupten können, daß ihm beides ganz egal war – wie immer, wenn ein Mann »Geschichte macht«, fielen am Beginn des Fürstenkriegs allgemeine und sehr persönliche Interessen, Notwendigkeiten, Antriebskräfte ineins. Moritz wollte nicht die Weltmacht Habsburg militärisch in die Knie zwingen, sondern kurzfristig günstige Rahmenbedingungen für Friedensverhandlungen schaffen, auf deren Agenda dann auch ein Religionsfrieden stand, und indem er Ferdinand ins Spielzentrum holte, den konfessionell noch intransigenteren Karl an den Rand drückte, prägte er jene politischen Konstellationen vor, denen sich der Augsburger Religionsfrieden verdanken wird. Man kann nicht sagen, daß es 1552 überhaupt nicht um konfessionspolitische Ziele gegangen wäre. Daß der auf dem Weg in den Fürstenkrieg eine Zeitlang wichtige Widerstand der Magdeburger gegen eine Realisierung des Augsburger Interims »primär religiös«326 motiviert war, wurde jüngst sogar sehr gründlich nachgewiesen. Aber beim Fürs-

324 Wir müßten andernfalls, beispielsweise, auch die alte Eidgenossenschaft aufsuchen (fortgesetzte konfessionelle Spannungen, zumal um die Gemeinen Herrschaften, mit dem spektakulären Auftakt der beiden »Kappelerkriege«); die Politik der englischen Krone gegenüber Irland und Schottland bis hin zu den Jakobitenaufständen beleuchten; oder konfessionelle Gehalte (katholische versus evangelische Wasa, Ost- versus Westkatholizismus) in den Nordischen Kriegen abwägen. 325 Ferner, aber das interessiert hier weniger, von den kurfürstlichen Kompetenzen im Reichsverbund: Gotthard, Säulen des Reiches, Bd. 2, S. 672. – Der Fürstenkrieg im Überblick: Gotthard, Altes Reich, S. 43–45. 326 Kaufmann, Magdeburg, S. 460.

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tenkrieg selbst waren konfessionspolitische Anliegen doch nur Komponenten eines Motivbündels. Einen Indikator hierfür werden wir in Kapitel C näher kennenlernen. Ich analysiere dort Vorbehalte gegen die noch nicht zum Völkerrechtstitel verdichtete Denkfigur der »neutralitet«, sortiere dabei nach Diskursfeldern, nicht nach einzelnen Kriegen. Hätte ich den Stoff anders angeordnet, würden wir schnell merken, daß im Fürstenkrieg der Ehren- und der Gehorsamsdiskurs dominierten.327 Jener Sündendiskurs, in dem Neutralität als das »gottlose wesen«328 firmierte: er war fünf Jahre zuvor im Schmalkaldischen Krieg ungleich häufiger begegnet als dann im Fürstenkrieg – was auch etwas über die konfessionellen Gehalte beider Auseinandersetzungen aussagen mag. Schlechterdings »ein Religionskrieg« ist der Fürstenkrieg nicht gewesen. Der Schmalkaldische fünf Jahre zuvor schon. Offiziell zwar führte ihn Karl V. nicht als Konfessionskrieg. Offen, in der Propagandasprache der Manifeste, von der Kriegslegitimation her führte kein neuzeitlicher Kaiser einen Konfessionskrieg. Das sagt zum einen etwas über den Grad der Verrechtlichung der Politik im Rechtsschutzverband Reich aus; auch aus anderen guten Gründen fand es sein Oberhaupt vor 1555 stets klüger, auf den angeblich fehlenden »gehorsam« abzustellen, als etwa von einer »religions sach« zu sprechen. Seit 1555 ließ sich dann ohnehin jeder konfessionell motivierte Strauß als Streit um ein Reichsgesetz führen: nämlich um den Augsburger Religionsfrieden. In Augsburg war besiegelt worden, daß das Medium des diskursiven Austauschs mit dem Widerpart auf der Bühne der Reichspolitik das Recht war. Weil die 1555 festgelegte diskursive Währung Paragraphen des Religionsfrie­dens auf die Verhandlungstische packte und nicht Glaubensartikel, hatte man seine Wahrheit im Medium einer Auslegung der Augsbur­ger Ordnung zu verfechten. Aber weil dem sich chronifizierenden, seit den 1580er Jahren eskalierenden Streit um die rechten Lesarten auf der Motivationsebene »Wahrheit« und »Seelenheil« eingeschrieben waren, konnte es keine wohlfeilen Kompromisse geben. Dem modernen Vorwurf der »Starrheit« und »Rechthaberei« liegen anachronistische Erwartungen zugrunde. Wo Paragraphen letzte Werte einkleideten, konnte man nicht flexibel sein, oder, in der Sprache des 16. Jahrhunderts ausgedrückt, öfters einmal einfach »durch die finger sehen«. Wohl aber konnte und mußte man sein Wahrheitsmonopol rebus sic stantibus als einzig zulässige Gesetzesinterpretation ausgeben, als 327 Vgl. jetzt auch Axel Gotthard, Frühe »neutralitet«. Der Fürstenkrieg in einer Archäologie des Neutralitätsrechts, in: Martina Fuchs/Robert Rebitsch (Hgg.), Kaiser und Kurfürst. Aspekte des Fürstenaufstandes 1552, Münster 2010, S. 9–31. 328 Statthalter und Regenten von Neuburg an Pfalzgraf Ottheinrich, 1546, Sept. 21 (Kopie), BayHStA Kasten schwarz 16671, fol. 317–319. Dieses »wesen« kam »unnser Sund willen« in die Welt – Neutralität als Geißel Gottes! Vgl. unten Kapitel C.6.2.

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lautere Lesart des Augsburger Religionsfriedens. Dieses Sachzwangs wegen war der Rechtsstreit so unerbittlich. Es ist natürlich ein Zeichen evangelischer Schwäche, daß die Protestanten publizistisch aktiver gewesen sind, unentwegt auf die Rettung ihres Glaubens und gleich auch noch der teutschen Libertät rekurrieren zu müssen glaubten.329 Den Katholiken genügten ihre im politischen System angelegten strukturellen Vorteile; wer gegen das katholische Reichsoberhaupt, die katholische Reichstagsmehrheit etwas durchsetzen wollte, benötigte hierfür Respektableres als Interessen: nämlich bevorzugt den weltlichem Räsonnement entzogenen Ruf des »gewissens«, Appelle ans Wohl des deutschen Vaterlandes durften ihn gern flankieren. Es ist natürlich ein Zeichen evangelischer Zerrissenheit, daß es die Protestanten für notwendig hielten, unentwegt den Ruin ihrer Glaubensüberzeugungen an die Wand zu malen: denn nur die Beschwörung notorischer Attacken von außen konnte die gravierenden inneren Widersprüche (nämlich einerseits Lehrdifferenzen zwischen Calvinisten und Lutheranern, andererseits die zwischen großen Flächenterritorien und den vielen evangelischen Reichsstädten divergierenden politischen Stile und Horizonte) überbrücken. Um nun endlich wieder zum Schmalkaldischen Krieg zurückzukehren: Karl konnte nur dann zwei Breschen in die gegnerische (also evangelische, das schon!) Front schlagen, wenn er diesen Krieg nicht als Katholikenführer, sondern als Reichsoberhaupt erklärte. Nur so ermöglichte er es dem evangelischen Herzog von Sachsen, sich auf seine Seite zu schlagen; und er konnte mit jenem »Gehorsam«, den die Glieder ihrem Haupt, die Vasallen ihrem Lehnsherrn schuldeten, eine überkonfessionell – und gerade im Luthertum – akzeptierte Norm auf die eigene Waagschale legen. Den publizistischen Begleitkampf fokussierend, erleben wir die Uraufführung eines Schauspiels, dessen Reprise in den Jahren 1618/19 Kapitel B noch ausführlich behandeln wird: Der Kaiser behauptet mit geringem publizistischem Aufwand330, nur seinen Amtspflichten nachzukommen und Ungehorsam zu bekämpfen; die evangelische Seite sieht sich gezwungen, mit ungleich größerem Engagement den Vorwurf der »Rebellion« zu entkräften, vor allem aber, um aus der legitimatorischen Defensive herauszukommen, dem Schlachtruf »Rebellion« die Kampfparole »Religion« antithetisch entgegenzustellen: Weit davon entfernt, Aufruhr anzuzetteln, ist man tatsächlich Opfer finsterer Anschläge des Antichristen in Rom, seiner Teufelsrotte in Trient, zu deren Handlanger sich der

329 Vgl. schon oben S. 96f. 330 Die Achtserklärung über Kurfürst Johann Friedrich und Landgraf Philipp (»aufruer«, »conspiration und andere meutterey«, »ungehorsam und rebellion«, usw., usf.) wurde immerhin zügig in die Druckerei getragen. Vgl. jetzt RTA, Bd. 17, Nr. 115.

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Kaiser herabwürdigen ließ.331 Der offizielle und offiziöse Deutungskampf strahlt auf die gesamte Flugschriftenproduktion der Kriegsmonate aus, nahezu alle Titel sehen sich bemüßigt, zur Frage »Rebellion oder Religionskrieg?« Stellung zu beziehen.332 Es war für Karl nur vorteilhaft, wenn da nicht zwei Weltanschauungen mit gleichförmigem Absolutheitsanspruch sozusagen auf Augenhöhe miteinander rangen, wenn sich vielmehr jeder seiner Gegner gegen das ideelle Oberhaupt des christlichen Abendlandes und außerdem noch gegen den obersten Lehnsherrn stellte. »Untreue« Fürsten mußten dann vor dem Felonievorwurf zittern, also im Fall einer Niederlage um »land und leute« bangen; und sie mußten diesen »leuten«, zumal den geldgebenden Landständen, aber auch Söldnern erst einmal plausibel machen, warum man der von Gott eingesetzten obersten Obrigkeit den schuldigen »Gehorsam« versagte. Die Protestanten waren legitimatorisch in die Defensive gezwungen, und noch den Abwehrkurs hatte ihnen der Widerpart vorgegeben. Sie konnten noch so sehr von ihren religiösen Motiven überzeugt sein, diese auch herausstreichen – den Vorwurf des »Ungehorsams«, der »Rebellion« gar durften sie nicht einfach übergehen. Sie mußten dagegenhalten, indem sie Karl als Universalisten und Tyrannen brandmarkten, so als Herrscher delegitimierten, um das biblische Gehorsamsgebot auszuhebeln. Um es mit dem sächsischen Juristen Basilius Monner zu sagen: Weil Karl »dem Reich Deidscher Nation ihre althergebrachte Freyheit nemen« wollte – ferner, sogar davor333, wird schon auch behauptet: weil er »Got331 Man betrachte nur [anonym] (Hg.), Copei eynes schreibens, So der Churfurst zu Sachsen, Vnd der Landtgraff zu Hessen, etc. An die Römischen Keyserlichen Maiestat ... gethan ..., Marburg 1546; [anonym] (Hg.), Der Durchleuchtigst, vn Durchleuchtigen Hochgebornenen Fursten vnd Herren, Herren Johans Friderichen, Hertzogen zu Sachsen, Vnnd Herren Philipsen, Landgrauen zu Hessen, Warhafftiger bericht ..., o. O. 1546; [anonym] (Hg.), Abtruck der verwarungsschrifft, der Chur vnd Fürsten, auch Grauen, Herren, Stette vnnd Stende der Augspurgischen Confession Ainungsverwandten ..., Augsburg 1546; [anonym] (Hg.), BEstendiger, gegründter vnd warhafftiger bericht, auff die vnrechtmessige, vermainte, nichtige vn vnbestendige Achts Erclärung ..., Karlsruhe 1546; [anonym] (Hg.), Der Durchleuchtigst vnnd Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten vn Herren, Herrn Johans Friderichen Hertzogen zu Sachssen ... Vnd Herrn Philipsen, Landtgrauen zu Hessen ... verantwortung ..., Karlsruhe 1546. 332 Auch jenseits offizieller Beauftragung scheint mir die evangelische Seite deutlich zu dominieren. Schuld am Krieg ist »das gantze geschwürm, so kappen vnd platten, tragen, vnd in sonderheit die pletling, so itzo zu Trient ins Teuffels Conciliabulo versamlet gewesen sind«: [anonym], Ein Gesprech, Pasquilli vnd Vadisci, von den fehrlichen Kriegshendeln, dieses Lauffenden 1546 Jares, o. O. 1546. 333 Um nicht mißverstanden zu werden: Aufs Ganze gesehen, dominierte die These vom »Religionskrieg«; jener heroische Kampf für Libertät und Vaterland, den ich hier als vom Gegner aufgezwungene Abwehrstrategie charakterisiere und thematisiere, trat subsidiär hinzu. An diesem eindeutigen Gesamtbefund ändern unterschiedliche Akzentuierungen

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tes Wort ausrotten« wollte –, hatte er sich seiner »Digniteten, Hochheiten und Emptern«, die ihm »vom Römischen Reich gegeben, selbs entsatzt und verlustig gemacht«. Man lehnte sich schon deshalb nicht gegen die »ördentliche Oberkeit auf«, weil Karl »unser Oberkeit nicht mehr ist«.334 Eine andere Flugschrift läßt die Häupter des Schmalkaldischen Bundes so zu Wort kommen: Man hat sie beschuldigt, »vngehorsame Fürsten« zu sein. Tatsächlich ist »vnter dem schein, desselben vermeint vngehorsams nichts anders dann aussreutunge vnd verdrückunge, Gottes allein seligmachenden Worts, vnser wahren Christlichen Religion, Auch des Reichs Deutscher Nation, Freiheit vnd Libertet gemeint«. Daß Karl V. unter dem »schein, vormeints vngehorsams ... anders nichts dann austilgunge, vnd vordrückunge Gottes worts« sucht, ferner, nach der Unterwerfung der schmalkaldischen Fürsten, »die löbliche Deudsche Nation inn ein ewige seruitut vnnd dienstbarkeit, zubringen gemeint ist«, ist ein »vnkeysserlich vnfürstlich fürnemen, So zuwidder dem rechten Reichs ordnung«, ist »Tyranney«. Gebot der Stunde ist also nicht »gehorsam« einem solchen Tyrannen gegenüber, ist Widerstand gegen die »verderbung Deudscher Nation«, man muß »das Vaterland retten helfen«.335 Die Beschwörung der »Freyheit«, »teutscher libertät« und – schon im Schmalkaldischen, noch im Dreißigjährigen Krieg – antispanischer Klischees sollte nicht vorrangig katholische Reichsbewohner erreichen336, sollte vor allem antikaiserlichen Widerstand im eigenen Lager337 akzeptabel machen. Solche Propaganda zielte nicht primär auf Außenwirkung, wollte die eigenen Reihen geschlossen

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bei verschiedenen Autoren (wie wir sie in der Begleitpublizistik zum Dreißigjährigen Krieg wiederfinden werden, vgl. insbesondere unten Kapitel B) nichts. »Regius Selinus« (Basilius Monner), Von der Defension vnd Gegenwehre, Ob man sich wider der Oberkeit Tyranney und vnrechte Gewalt wehren ... müge, o. O. 1546. Basilius Monner war sächsischer Fürstenerzieher, später Professor an der Universität Jena, ein offiziöser Charakter seiner Rechtfertigungsschrift ist wahrscheinlich. [Anonym], Warhafftiger abdruck und Copey, einer abschrifft, So vnlangst der Antichrist der Babst zu Rom, an die dreyzehen Ort in Schweitz gethan ..., o. O. 1546. Dafür spricht schon der banale Sachverhalt, daß die meisten Flugschriftenautoren ihre eigene Konfession so offen erkennen lassen, die ›falsche‹ Konfession so unflätig in den Schmutz ziehen, daß das andersgläubige Leser nur abstoßen konnte. Vgl. schon oben S. 97. Natürlich gibt es Ausnahmen. Eine der raffiniertesten Flugschriften, die ich aus der Zeit des großen deutschen Konfessionskriegs kenne (PostReutter, an Bäpstliche Heiligkeit, Bapst Paulum V. durch einen fürnemen geistlichen Praelaten in Italianischer Sprach anßgefertigt [sic] ..., o. O. 1620), läßt einen fingierten kurialen Insider alle abgefeimten Anschläge Roms auf den Protestantismus in den letzten Jahrzehnten rekapitulieren, die hier einmal wirklich unerwartbare Pointe ist dann diese: Alles ist fehlgeschlagen, die Evangelischen sind wachsam, geben wir den Plan ihrer Ausrottung auf ! So raffiniert gestrickt sind die meisten Flugschriften keinesfalls. Nach 1618 wird es natürlich vor allem um die Haltung jener evangelischen Höfe gehen, die es nicht mit der pfälzisch dominierten »Aktionspartei«, sondern mit den forciert kaisertreuen Dresdnern halten.

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halten. Sie zielte nicht auf die Integration »der Nation«, sondern auf die des Protestantismus. Katholische Autoren hatten es gar nicht nötig, »die Nation« auch nur zu beschwören – schließlich standen die traditionellen supranationalen Universalgewalten, Kaisertum und Kurie, auf ihrer, der ›rechtgläubigen‹ Seite. Sie hatten in dieser altrechtlich denkenden Zeit den Vorteil auf ihrer Seite, erst gar nicht innovativ sein zu müssen. Karl V. konnte nur gewinnen, wenn er den schmalkaldischen Konfessionskrieg als Landfriedensexekution verkleidete. Er tat es der Außenwirkung wegen. Im lagerinternen Diskurs war schon präsent, daß »disser handel allermeynst die christlichen religion« betraf, wie Karl am 13. Juni den katholischen Reichstagsteilnehmern erklären ließ.338 Seiner Schwester Maria schrieb er einige Tage zuvor: »Die Gefahr für die Religion ist außerordentlich groß«. Nach außen hin werde er den Krieg indes wegen angeblicher Landfriedensstörungen führen, denn wiewohl »die Möglichkeit besteht, daß dieser Deckmantel und Vorwand für den Krieg es nicht verhindert, daß die Abtrünnigen davon überzeugt sind, es geschehe wegen der Religion«, werde solche Maskerade doch für Irritationen sorgen, so raschen und geschlossenen Widerstand erschweren.339 Dieser politische Entscheidungsträger hielt Motivation wie Legitimation intern denkbar deutlich fest. Nicht, daß den Kaiser theologische Subtilitäten umgetrieben hätten! Es ging ihm nicht zuvörderst um bestimmte Lehrsätze, sondern um die Einheit: Die Autorität des universalen Kaisertums hing an der Advokatie über die eine abendländische Kirche, insofern bekämpfte Karl weniger Häresie denn das Schisma. Er verfolgte nicht so sehr falsche Lehransichten, bestrafte Abweichler. In diesem Sinne ging es ihm tatsächlich vorrangig – und das Wort grassiert auch in den damaligen kaiserlichen Akten – um »gehorsamb«. Wir dürfen eben nicht unser modernes, individualisiertes und (teil)privatisiertes Glaubenskonzept an diese Vorgänge herantragen! Nach damaligen Begriffen trieben den kämpfenden Kaiser Glaubensfragen um. Für die Gegenseite ging es ohnehin um solche. Den von Karls Strafzug betroffenen Protestanten war klar, »daz Wir von wegen der Religion den Krieg am Halß haben«340, sie konnten sich sogar darüber echauffieren, wie man sie »für stock und plock ansicht, das sie solten glauben und in341 ein affen solten machen 338 Es gehe um die »handhabung der althen, wharen, christlichen religion, stift, kirchen ...«: Bericht Johann Katzmanns über eine »Anzeig« des Kaisers an die katholischen Reichsstände vom 13. Juni 1546, RTA, Bd. 17, Nr. 77. 339 Karl V. an Maria von Ungarn, 1546, Juni 9: Kohler, Quellen, Nr. 87 (ich zitiere die Übersetzung Kohlers). 340 Pfalz-neuburgische Relation vom Reichstag, 1546, Juli 1 (Kopie), BayHStA Kasten schwarz 16671, fol. 182–184. 341 Meint: ihnen. So empört sich Gereon Sailer in einem Schreiben an Leonhard von Eck vom 25. Juli 1546: Lenz, Briefwechsel, Bd. 3, S. 440f. Anm. 2. Vgl. noch die ausführliche

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lassen, es were nicht der religion halben«. Konnte nicht »der aller ainfeltigist greiffen und sehen, wie oder warumb es zethun sey«, nämlich daß »der Antichrist zu Rom und seine helfer« am Werk waren?342 Aber der schlaue Kaiser kannte »des reichs gelegenheit mer« als die Kurialen, wußte, daß es für ihn »besser« war, wenn er einen angeblichen Kampf gegen »ungehorsam« vorgaukelte.343 Glaubhaft war diese Maskerade nicht: »Wiewol der Kriegs empörungen halb fürgegeben wurd, als wollt man wider die religion nit handlen, sondern allein etliche ungehorsame straffen«, verhielt es sich einfach »der augenscheinlichen erfarung nach« anders.344 Die Kriegserfahrungen deckten sich nicht mit der kaiserlichen Propaganda. Erst jüngst betonte eine Studie über die Hansestädte in den späten 1540er Jahren, auch dort sei »der Krieg anerkanntermaßen ›propter religionem‹ geführt worden«.345 Das läßt sich räumlich und zeitlich erweitern. Auf evangelischer Seite wird der Schmalkaldische Krieg generationenlang als das fortleben, was er nach wissenschaftlichen Kriterien auf der Motivationsebene tatsächlich gewesen ist: nämlich als Konfessionskrieg. Noch in den Anfangsjahren des Dreißigjährigen Krieges wird man ihn, wie uns Kapitel B.6.1 zeigen wird, immer wieder nach aktualisierbarer historischer Wegweisung befragen, und das keinesfalls nur öffentlichkeitswirksam, in Flugschriften, sondern auch in der Ratsstube. Nicht zuletzt die evangelische Memoria wird die Strategie der Hofburg, die Solidarität der Monarchen gegen eine böhmische »rebellion« zu mobilisieren, ins Leere laufen lassen: Nein, in Böhmen nahm man »ein religions sach wie anno 46 bey dem schmalkaldi­schen Bund« wahr, damals hatte der Kaiser auch »vorgewendt, treffe gehorsamb an, aber außgang habs geben damaln daz es religion betroffen hab«.

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Widerlegung der Ansicht, »es möcht dißer itzige krieg von wegen prophan ... sachen angefangen sein«, im Schreiben Philipps von Hessen an den Straßburger Reformator Bucer vom 7. Januar 1547: Max Lenz (Hg.), Briefwechsel Landgraf Philipp’s des Großmüthigen von Hessen mit Bucer, Bd. 2, Leipzig 1887, S. 475. Instruktion für eine Gesandtschaft der neuburgischen Regenten nach Heidelberg, 1546, Juli 18 (Kpt.kopie), BayHStA Kasten blau 102/ad 4 I, fol. 18–21. Hans Kraft von Festenberg und Gabriel Arnold (Statthalter bzw. Rentmeister in Neuburg) an Pfalzgraf Ottheinrich, 1546, Juli 2 (Kopie), BayHStA Kasten schwarz 16671, fol. 199–201: Kaiser und Papst haben »miteinander gezenngkh was diß kriess [sic] halb fur ursach furgegeben werden soll. der Bapst hat gewollt man soll kain andere ursach fur hannd nemen, weder die luterischen zustraffen, so werde Jr. Mt. bey den Italianern, und Bapistischen mergenlich zuelauff haben. Aber Kay. Mt. als der des reichs gelegenheit mer erkennt hat erhallten, das besser sey Er neme fur etlicher Fursten ungehorsam und verweigkerung zustraffen, dardurch werde one das unnser Religion gedempft«. »Anschreiben an H. Otth. d. Einnahm Neuburgs halben«, undat. Entw. [Herbst 1546], aus der Feder des neuburgischen Statthalters Hans Kraft von Festenberg, BayHStA Kasten blau 102/ad 4 I, fol. 63–74. Rainer Postel, Die Hansestädte und das Interim, in: Luise Schorn-Schütte (Hg.), Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, Göttingen 2005, S. 194.

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In der evangelischen Kollektiverinnerung wird der Schmalkaldische Krieg als Prototyp des Konfessionskriegs firmieren. Fürs Jahr 1546 sehen wir untypisch klar. Motivation der Entscheidungsträger, Wahrnehmungsweisen der von diesen Entscheidungen Betroffenen und Erinnerungsmuster der Nachgeborenen sind deckungsgleich. Der Schmalkaldische Krieg war ein Konfessionskrieg. War es gar nicht der erste deutsche346 Konfessionskrieg? Franz Brendle etikettiert die Rückeroberung Württembergs für Herzog Ulrich 1534 und die Vertreibung Herzog Heinrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel 1542347 als »Reformationskriege«, weil kriegerische Aktionen, »in denen es um den Erhalt und die Ausbreitung der Reformation ging«. »Bei Durchsicht der Akten und Verhandlungen« im Vorfeld der genannten Kriegszüge, »in denen die beiden Kriegsparteien innerhalb der eigenen Reihen über die Ursachen und Motive ... diskutierten«, stächen die konfessionellen Ziele ins Auge. Doch blieb diese Einschätzung nicht unwidersprochen.348 Motive und Deutungsmuster lassen sich eben selten so eindeutig hierarchisieren wie 1546. War der blutige Kölner Krieg eine militärische Auseinandersetzung um den Geistlichen Vorbehalt von 1555, oder wurde damals darüber entschieden, ob der Kaiser ein »ius creandi electores« besitze? Glaubenskampf, Verfassungskrieg? Niederlage für den Protestantismus, Schlappe für den Kurverein? Ich denke, ich konnte an anderer Stelle349 zeigen: alles zugleich! Marschierte Maximilian von Bayern 1607 des Glaubens halber, in folgsamer Erfüllung eines Auftrags der obersten Reichsgewalt oder aber alter, nie ganz vergessener wittelsbachischer Rechtsansprüche wegen mit Heeresmacht in Donauwörth ein? Niederlage für den deutschen Protestantismus, Schlag für die deutsche Libertät, Schlappe für die Reichsstädte? Triumph des Katholizismus – oder traditioneller wittelsbachischer Expansionsgelüste ins Schwäbische hinein? Ich denke, ich konnte an anderer Stelle350 zeigen: alles zugleich! 346 Diese Einschränkung ist der beiden eidgenössischen Kappelerkriege wegen notwendig. 347 Ferner den Fürstenkrieg von 1552. Zum Folgenden: Franz Brendle, Um Erhalt und Ausbreitung des Evangeliums: Die Reformationskriege der deutschen Protestanten, in: ders./ Anton Schindling (Hgg.), Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa, Münster 2006, S. 71–92. 348 Vgl. im selben Sammelband Manfred Rudersdorf, »Reformationskrieg oder Landfriedensexekution?« – Ein Kommentar zur ersten Tagungssektion, hier S. 124 (»die Interessenlage und die Motivsituation ist in allen drei von Herrn Brendle untersuchten Fällen meines Erachtens nur scheinbar klar und nur eingeschränkt eindeutig«). 349 Vgl. Gotthard, Kölner Krieg (Betonung der von der älteren Forschung übersehenen standespolitischen Gehalte gegenüber den konfessionspolitischen); knappe Zusammenfassung, unter Betonung der konfessionspolitischen Gehalte: Gotthard, Religionsfrieden, S. 397–399. 350 Vgl. Gotthard, Maximilian, pointierte Zusammenfassung: S. 60f. mit Anm. 88; zum Kampf um Aachen, wo konfessionspolitische Gesichtspunkte gewiß dominierten, aber nicht ganz konkurrenzlos: Gotthard, Religionsfrieden, S. 400–403.

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2.2.3.2 »A final apocalyptic clash«: Blicke in Europas Nordwesten und Westen Und die berühmten351 außerdeutschen Konflikte des Konfessionellen Zeitalters? Daß die Fairy Queen very amused war, wenn einem ihrer Piraten wieder ein Bubenstück auf Kosten der spanischen Kolonien gelungen war, und daß sie einen in globalem Maßstab operierenden Gauner namens Francis Drake nach einer dreijährigen Diebstahlstour zu den attraktivsten Zielen des Erdballs an Bord der »Golden Hind« nicht etwa in Ketten, sondern zum Ritter schlagen ließ: das hat gewiß nicht nur konfessionelle Gründe. Aber der Dauerrivalität zwischen dem elisabethanischen England und Spanien lagen schon auch solche zugrunde352, offenbar mit nachhaltigen Folgen: »England’s confrontation with Spain during the reign of Elizabeth ... held out the prospect of a final apocalyptic clash between the leading Catholic continental power and Protestant England«, über die »Elisabethan period« hinaus.353 Was man in der Schule als »Freiheitskampf der Holländer« kennengelernt hat, firmiert in neueren Darstellungen meistens als »Achtzigjähriger Krieg«, weil die unverfängliche Zeitangabe nicht auf Motive festlegt. War es ein Kampf gegen spanische Fremdherrschaft, »gegen die trotzigen Anmaßungen der Fürstengewalt«354 überhaupt, oder doch vor allem für religiöse Freiräume? Gewiß 351 Vgl. Anm. 324! 352 Übrigens scheint es am englischen Königshof auch jenes Verschwörungssyndrom gegeben zu haben, das uns um und nach 1600 an Mitteleuropas calvinistischen Residenzen begegnet: Manche der Ratgeber Elisabeths und »sometimes« auch die Queen selbst seien »been convinced of the existence of an international Catholic conspiracy dedicated to the extirpation of Protestantism«: Colin Martin/Geoffrey Parker, The Spanish Armada, London 1988, S. 121; man vergleiche damit nur das Solms-Zitat oben in Anm. 235. 353 Das betonen Cunningham/Grell, Horsemen of the Apocalypse, S. 147. 354 So hat es bekanntlich Friedrich Schiller in seiner »Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande« gesehen. Liberale Historiker des 19. Jahrhunderts knüpften gern daran an, betonten aber deutlicher, daß diese »Fürstengewalt« eine ausländische gewesen war. – Ich versuche mich im Folgenden an einer skizzenhaften Gesamtdeutung, verzichte deshalb auch auf Einzelbelege für beispielhaft genannte Ereignisse. Ausführliche Darstellung: Geoffrey Parker, Der Aufstand der Niederlande. Von der Herrschaft der Spanier zur Grün­dung der Niederländischen Republik 1549–1609, München 1979; etwas knapper Horst Lademacher, Die Niederlande. Politische Kultur zwischen Individualität und Anpassung, Berlin 1993, S. 69ff. passim. Die elementarsten Daten und Fakten sowie die wichtigste Literatur nennt Michael North, Geschichte der Niederlande, 2. Aufl. München 2003, S. 22–36 bzw. S. 123. Die neuere Literatur findet man ferner bei Martin Bachmann, Holländische Mentalität – moderne Mentalität? Untersuchungen zum Bürgertum der Provinz Holland im 17. Jahrhundert, Hamburg 1999, S. 81ff. passim; vgl. jetzt auch verschiedene Beiträge in Horst Lademacher/Renate Loos/Simon Groenveld (Hgg.), Ablehnung – Duldung – Anerkennung. Toleranz in den Niederlanden und in Deutschland. Ein historischer und aktueller Vergleich, Münster/New York/München/Wien 2004.

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von allem etwas, und was den Achtzigjährigen Krieg zumal in seiner Anfangsphase über das Zeitübliche hinaus unübersichtlich macht, ist die Anlagerung verschiedener sozialer Verwerfungen355. Die Niederlande waren ein Hort ständischer, regionaler, auch lokaler Freiräume, was gar nicht im Trend einer Zeit lag, in der die Zentralen allenthalben effektiver und straffer zu regieren, ihre Territorien ›in den Griff‹ zu bekommen suchten. Das gilt auch und wohl besonders für die Madrider Zentrale der spanischen Composite Monarchy unter Philipp II., jenem pedantischen Schreibtischhelden, der rastlos in seinem kleinen Arbeitszimmer über Stapeln von Eingaben brütete, die Heerscharen von Zuarbeitern einreichten, um anschließend jede Stellungnahme des Herrschers, zum königlichen Beschluß verschriftlicht, auf ihre lange papierne Reise zu schicken. Antizipierte der einsame König vor seinen Papierbergen das Arbeitsethos »aufgeklärter« Absolutisten? War er der »erste Diener« seiner Länder, der erste Bürokrat eines sich bürokratisierenden, so modernisierenden politischen Systems – oder aber, viel weniger modern, ein von konfessionellem Fanatismus zerfressener, ein darüber Spaniens ökonomische Basis zerrüttender militanter Gegenreformator? Philipp führte viele Kriege, führte eigentlich fast immer Krieg – ein aggressiver Proto-Imperialist? Oder wurden dem braven Mann, so eine traditionelle nationalspanische Sicht, ausnahmslos Defensivkriege aufgezwungen (so, wie Europa zweihundert Jahre später einen frischgebackenen Franzosen aus Wunsch und Willen dazu zwingen wird, die natürlichen Grenzen Frankreichs in Moskau zu verteidigen)? Selbst wenn wir solche nationalistischen Deutungsexzesse von Ländern, die sich mit der Vergangenheitsbewältigung leichter tun als wir Deutsche, einmal ernstzunehmen versuchen und den Widerstand, später den Separationsversuch der spanischen Nordprovinzen als Rebellion etikettieren: Warum rebellierten dann vor allem Calvinisten aktiv, mit Waffengewalt gegen die Zentralisierungsanstrengungen der Madrider und ihrer Brüsseler Filiale? Ohne konfessionelle Motive kommen auch moderne Deutungsversuche nicht aus. 355 Also, holzschnittartig: der Aufstand als soziale Revolution, das aufsteigende Bürgertum beseitigt ein Feudalregime? Das sperrige Material entzieht sich einer so simplen Deutung, zumal es die eine soziale Trägergruppe einfach nicht gab, zumal Hochadel, niederer Adel, städtische Eliten und wohlhabender bürgerlicher Mittelstand oft genug Hand in Hand gegen Habsburg angingen. Den Schlüssel zum Verständnis des Gesamtphänomens liefern wirtschafts- oder sozialgeschichtliche Betrachtungen meines Erachtens nicht. Wohl verkomplizierten soziale Verwerfungen die Auseinandersetzungen bisweilen: denn mal rannten die genannten Gruppen eben gemeinsam gegen Habsburg an, mal nur einzelne von ihnen, und gelegentlich ließen sich die Unterschichten durch eruptive eigene Beiträge vernehmen – was dann wiederum die Eliten so verschrecken konnte, daß sie ihre eigene Opposition erst einmal hintanstellten, um zusammen mit dem verhaßten Regime Ruhe und Ordnung wiederherzustellen.

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Aber nur als Glaubenskampf läßt sich die Konfliktkette eben auch nicht verstehen. So gibt zu denken, daß die große Mehrzahl der Niederländer während der Anfangsjahre des Ringens in Bekenntnisfragen eher lau gewesen zu sein scheint, also, im modernen Wissenschaftsjargon: wenig konfessionalisiert war; erst die fortschreitende Polarisierung im Verlauf der Auseinandersetzung zerrieb die anfangs breite Mittelpartei. Warum sollten sich in einem puren Glaubenskampf, wie 1579 geschehen, auch mehrheitlich katholische Provinzen auf die Seite von Holland und Seeland schlagen? Ein Freiheitskampf, die konfessionellen Parolen lediglich hohle Propaganda? Warum wurden dann Bilder zerstört, Klöster gestürmt? Überhaupt, warum sollte man im (fast calvinistenfreien) Süden mit der spanischen Zwingherrschaft durchgehend zufrieden gewesen sein, im Norden flächendeckend nicht? Nein, mit der verfassungspolitischen Entwicklung war man nirgends wirklich einverstanden, aber die überwiegend katholischen Provinzen des Südens hielten es dann am Ende eben doch lieber mit ihren spanischen Glaubensbrüdern als mit den Calvinisten. Auch verlieh erst der konfessionelle Faktor den Auseinandersetzungen ihre emotionale Tiefe und jene Breitenwirkung, die ein Kampf um die Behauptung der Privilegien einheimischer Eliten nicht zu erzielen vermag. Die calvinistischen Aktivisten des Nordens kämpften mit einer Energie und Leidenschaft, die doch wohl nur durch religiöse Antriebskräfte zu erklären ist. Ohne dieses Element hätten die Auseinandersetzungen mutmaßlich überall dorthin geführt, wo sie im Süden mündeten: bei einem verfassungspolitischen Kompromiß mit der Madrider Zentrale. Aber es ging eben nicht nur um die Privilegien der ohnehin sozial Privilegierten, es kam der Glaube dazu und damit auch die Leidenschaft. Alle diese Fäden waren ineinander verschlungen. Der Konflikt führte auf unübersichtlichen Pfaden dazu, daß am Ende des Eskalationsprozesses, wer die weltanschauliche Alleinherrschaft der katholischen Kirche retten wollte, die spanische Kröte zu schlucken hatte und eine monarchische noch dazu; und daß, wer unbedingt von Spanien wegwollte, dabei mit den Calvinisten zusammenarbeiten mußte. Die politische und die religiöse Frontlinie waren nicht sauber getrennt, so, wir wir heutigen Analytiker das vielleicht gern hätten. Wir verzweifeln an unseren Systematisierungsversuchen, vermissen klare Ausdifferenzierungen und je eigene Sachlogiken, kurz: sind mit der damals üblichen Melange konfrontiert. Obwohl das Hereinspielen ökonomischer und sozialer Friktionen im französischen Konfliktfall nicht so evident ist wie in der nördlichen Nachbarschaft, sind die Hugenottenkriege – schon die Konstruktion von genau acht sauber umreißbaren »Kriegen« nimmt sich wie ein Triumph der Fachdidaktik über widerspenstige historische Realitäten aus356, doch lassen wir es hier einmal dabei! – sogar 356 Man hat Phasen, in denen die Kampftätigkeiten intensiver und relativ verbreitet waren, zu sogenannten »Kriegen« zusammengefaßt, aber die Abgrenzung zwischen ihnen könnte man

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noch schwerer in Reih und Glied zu stellen als die spanisch-niederländischen Auseinandersetzungen. Die Hugenottenkriege sind ohne die Konfession, die von ihr entfachten heiligen Leidenschaften und unheiligen Exzesse nicht denkbar, was der Historiographie eine Zeitlang aus dem Blick zu geraten schien, um dann gleichsam wieder­entdeckt zu werden357; aber sie sind auch nicht denkbar ohne jene Krise der Dynastie, die die ganze Kriegskette zunächst ausgelöst hatte und dann im Verlauf der Auseinandersetzungen wieder so in den Mittelpunkt rückte, daß konfessioneller Eifer zuletzt nur noch in Beimischungen oder bei einzelnen Gruppierungen (so insbesondere dem fanatisierten Kleinbürgertum in der belagerten Kapitale) auszumachen war. Gewiß gehörten die rivalisierenden Adelsverbände der 1560er Jahre verschiedenen Konfessionen an. Aber sie rangen auch um ihre künftige politische Position im Lande. Die Guisen waren mit Maria Stuart verwandt, deren Fiasko damals noch nicht absehbar war, die Bourbonen führten sich auf Ludwig den Heiligen zurück, waren mithin im Falle des Erlöschens der Valois-Dynastie Thronanwärter – schon diese Andeutungen zeigen, welch brisante machtpolitische Fragen da hereinspielten. Würde es einer Adelspartei gelingen, all jene Schaltstellen zu besetzen, die aus Direktiven der Krone erst Politik werden ließen, würde eine vielleicht sogar einmal den König stellen? Andererseits: wieviel hatte dieser König dann überhaupt noch zu sagen? Kurz, es wurde nicht nur um Führungspositionen gerungen, auch um Frankreichs künftige Verfassung. Das verschlungene Ringen hatte viele Motive, nicht die eine Grundmelodie. Prägte der zweiten Hälfte des Ringens nicht eine forciert katholische, von Spanien finanzierte gegeneformatorische »Ligue«358 den Stempel auf ? Gewiß, aber diese hatte sich die Verteidigung des katholischen Glaubens wie die Verteidigung der ständischen Freiheiten gegen eine angeblich despotische Zentralgewalt gleichermaßen auf ihre Fahnen geschrieben. Und sie kämpfte nicht nur gegen Calvinisten, bekämpfte auch und insbesondere die katholische Krone, ihre durch Ämter- und Titelverkäufe erweiterte Klientel, die ihr zuneigende neue, urbane Elite. Katholische Sammlungsbewegung, Sammelbecken von Modernisierungsverlierern? Der achte, der mit Abstand längste der Hugenottenkriege, zwar ausgelöst durch den Schulterschluß Krone-Liga, mündete rasch in eine Auseinandersetzung zwischen drei Kriegsparteien, von denen zwei katholisch waren. Gab es nicht sogar eine vierte Partei? Sie kämpfte nur mit der Feder und hier und da auch anders vornehmen; kommt hinzu, daß die 1620er Jahre zwei weitere (nur häufig nicht so genannte) Hugenottenkriege sehen werden! 357 Vgl. hierzu Mack P. Holt, Putting Religion Back into the Wars of Religion, in: French Historical Studies 18 (1993), S. 524–551. 358 Vgl. zuletzt Jean-Marie Constant, La Ligue, Paris 1996. – Die politische Geschichte im weitesten Sinne liegt in Frankreich im Argen. Ich nenne als lesenswerten Epochenüberblick Arlette Jouanna, La France du XVIe siècle, 1483–1598, 2. Aufl. Paris 1996.

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betonte, die Rettung des Staatswesens habe Vorrang vor konfessionellen Optionen.359 Die Hugenottenkriege mögen in acht Akten spielen, doch fehlt neben dem Grundmotiv auch ein klarer, durchgehender Antagonismus. Oder ist die Sache doch ganz einfach, war Katharina von Medici an allem schuld? Als Regentin ausländischer Herkunft war sie mit einem doppelten Loyalitätsdefizit konfrontiert, durch multiples Intrigantentum suchte sie es zu kompensieren. Am Hof wie im ganzen Land spann sie pausenlos ihre klebrigen Fäden, so sich bei diesem verwirrenden Intrigenspiel überhaupt eine Faustregel ausmachen läßt, dann die: halte es im Zweifelsfall eher mit der schwächeren Seite – so auch in den »Hugenottenkriegen«. Das aber heißt doch, daß es der Medici schwerlich vorrangig um religiöse Ziele gegangen sein kann. Erst nach dem Tod ihrer Marionette Karl endete jene prinzipienlose Medici-Herrschaft, die sich selbst genug gewesen war. Henri Quatre wird bekanntlich von anderem Format sein, aber genauso bekannt ist, daß er jene politische Zusammenfassung des zerrissenen Landes, die nur einem Katholiken gelingen konnte, über die persönliche Frömmigkeit stellte.360 In Frankreich triumphierte die Staatsräson früher als anderswo über die Konfession – was das für den künftigen außenpolitischen Stil des Landes und damit indirekt für ganz Europa bedeutet haben könnte, muß weiter unten noch ausgelotet werden.361 2.2.3.3 Der große deutsche Konfessionskrieg Für die entscheidenden und publizierenden Eliten des evangelischen Deutschland war der Dreißigjährige Krieg ein »Religions Krieg«362, hier sprechen Akten, 359 Ich meine natürlich die »Politiques«. Auf Französisch buchstabierte sich die Staatsräson nun »souveraineté«. 360 Um stichwortartig in Erinnerung zu rufen: wieder einmal Konversion, nun zum Katholizismus, woraufhin der größere Teil des katholischen Adels seinen Widerstand gegen Heinrich aufgibt, im März 1594 öffnet die Hauptstadt freiwillig ihre Tore. »Paris, ça vaut une messe«, Paris ist eine Messe wert: jenes königliche Diktum hatte sich also bewahrheitet, aber es hatte ja wohl mehr gemeint als nur: »um Paris für mich zu gewinnen, lasse ich eben eine Messe über mich ergehen«. Es umspannt die Einsicht, daß das Land nur von einem Katholiken wieder integriert und als Ganzes regiert werden konnte, von Paris aus, seinem Herzen. 361 Nämlich in Kapitel A.2.2.4. 362 Das gilt der Sache nach unübersehbar; der Terminus begegnet immerhin sporadisch in Akten wie auch in Flugschriften. »Caput VII: Das es ein Religions Krieg sey«: [anonym], Hansischer Wecker. Die proschwedische Schrift dürfte offiziös sein. »Die Papisten schreyen: Es were kein Religions Krieg, sondern Jhre Keys. Majest. suchen nur den Gehorsam der Fürsten im Reich«, aber ihre Taten strafen die Worte Lügen: [anonym], Indicina synoptica, S. 17. Ich weise noch auf diesen Buchtitel hin: [anonym], Politischer Discurs Von jetzigen Kriege in Teutschland ... Darinn man augenscheinlich sehen kan, ob dieser Krieg ein Regions, oder ReligionsKrieg sey? ..., o. O. 1627. Vgl. zur Sprache der Akten (»religion sach«) Kapitel B.

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Auftragspublizistik und Privatpamphletistik dieselbe Sprache. Auch an den Ligahöfen ging es intern um (nach subjektivem Empfinden bedrohte) konfessionelle Besitzstände und um Lesarten des Religionsfriedens, aber nach außen hin nahmen sie, um an den charismatischen Ressourcen des Kaisertums partizipieren zu können und um die wienhörigen Dresdner nicht zu verschrecken, Anleihen bei der Rhetorik der Hofburg. Und das Reichsoberhaupt strich, wie schon 1546, den schuldigen »Gehorsam« heraus, bekämpfte offiziell nie Häretiker, sondern böhmische »Rebellen« und Reichsstände, die ihre »Trew« nicht gebührend unter Beweis stellten. Auf katholischer Seite kamen Legitimation und Motivation, Propagandastrategie und Kriegserfahrung nicht zur Deckung. Woran soll sich der moderne Historiker bei seinen Klassifizierungsversuchen halten? An die offen zutageliegenden Kriegslegitimationen363 oder an archivalisch rekonstruierbare Motivationen? Nicht nur diese beiden Kategorien, die man meines Erachtens sorgfältig auseinanderhalten sollte, können in manchen Darstellungen schon einmal durcheinanderpurzeln. Andreas Holzem hat jüngst zu Recht moniert, es werde bei historiographischen Bemühungen um den »Religionskrieg« oft nicht zwischen »Struktur- und Erfahrungsgeschichte unterschieden: Bezieht sich der Begriff des Religionskrieges auf die in der historischen Analyse ex post erhobenen Kriegsursachen, oder bezieht er sich auf die den Kriegsvollzug begleitenden ... Vorstellungswelten von Akteuren und Opfern?«364 Seine eigenen Sondierungen gelten vor allem Wahrnehmungsweisen der »Opfer«, er kommt zum Ergebnis, daß der Dreißigjährige Krieg bis zum Schluß, ja, gerade in seiner Schlußphase besonders intensiv als »Religionskrieg« erlebt worden sei. Die dem Hohenlohischen gewidmete Mikrostudie von Frank Kleinehagenbrock zeigt, wie dem Gemeinen Mann religiöse (auch konfessionelle) Deutungsmuster halfen, in so »geschwinden zeiten« nicht ins Taumeln zu geraten. Den Damaligen scheint der heute so plausible Argwohn, auf dem Altar schnöder politischer Interessen und Machtkämpfe geopfert zu werden, ferngelegen zu haben, denn man mußte sich in diesem Ringen gegen finstere Attacken altgläubiger Kräfte stemmen, die ihre Deutung des Augsburger Religionsfriedens zu 363 Vgl. oben S. 94 mit Anm. 272. 364 Holzem, Gott und Gewalt, S. 372f. »Strukturgeschichtlich« argumentiert, wenn wir bei Holzems Terminologie bleiben, beispielsweise Johannes Burkhardt, wenn er den Dreißigjährigen als »Staatsbildungskrieg« zu verstehen sucht. Allgemeiner wundert sich Holzem, ebda., S. 382: »Zeytungen sind voll von Prodigien und Himmelszeichen, Todesmahnern und Apokalyptik: die verdüsterte Sonne, der Tod und seine Blutspur, Heere am Himmel. Der religiöse Wahrheitsstreit ist nicht nur unter den Theologen und Kontroverspredigern, sondern auch im Diskurs der Reichsjuristen und politischen Berater allgegenwärtig. Fragt man die derzeitige Forschungslandschaft maßgeblich beeinflussende Frühneuzeit-Historiker, werden jedoch andere Perspektiven vorgetragen: Immer weniger gilt der Faktor Religion ... als das spezifisch Unterscheidende. Aus dem Religionskrieg wird ein Staatenkrieg des sich formierenden nationalen Mächteeuropa«.

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exekutieren, das »reine Wort« Gottes zu unterdrücken suchten, insofern stand das eigene Seelenheil auf dem Spiel. Zahlreiche Aktenvermerke und Briefstellen, topische Wendungen und auch ausführlichere Stellungnahmen von ›einfachen Menschen‹ wie Berufspolitikern zeigten, so Kleinehagenbrock, »daß der Dreißigjährige Krieg in der Grafschaft Hohenlohe als konfessionelle Konfrontation erfahren wurde«.365 Den Wahrnehmungsmustern und Bewältigungsstrategien breiter Bevölkerungskreise nachzugehen, ist legitim und allemal ausgesprochen interessant – aber doch weniger für eine Kategorisierung von Kriegstypen. Wenn es einen »Religionskrieg« ausmacht, daß ihn intensive Gebete begleiten und daß manchen oder vielen »Opfern« ihr Los erträglicher wird, wenn sie es als Strafe oder Bußmahnung Gottes auffassen, worauf Zerknirschung, Reue und eben Gebet zu antworten hätten, dann haben auch das 19. und sogar das 20. Jahrhundert zahllose »Religionskriege« gesehen. Von der Wahrnehmung und Sinnstiftung der »Opfer« her ließen sich noch die Kriege der nationalstaatlichen Ära als Glaubenskämpfe beschreiben. Die dann nahezu ubiquitär einsetzbare Kategorie »Religionskrieg« wäre genau deshalb überflüssig. Wie sie umgekehrt, so wir bei einer dritten Erfahrungsgruppe, nämlich den Söldnern ansetzten, in der Vormoderne gar nicht vorkäme! Selbst die Heere der Konfessionskriege waren nie konfessionell homogen, der Söldner ging in ihnen seinem wenig reputierlichen Beruf nach, verdiente sich mühselig genug seinen Lebensunterhalt; wenn gerade nur ein andersgläubiger Geldgeber Berufskrieger in Dienst nahm, dann eben auf dessen Kosten. Jedenfalls der einfache, wenig kapitalkräftige Söldner – und das Gros der Söldner bestand ja aus den Überzähligen, Armseligen, Dritt- und Viertsöhnen – konnte da gar nicht wählerisch sein, weshalb auch jede Mokanz, jegliche moralische Entrüstung unangebracht wäre. Wir stoßen in der Pamphletistik des Konfessionellen Zeitalters dennoch gelegentlich auf Versuche, im Söldner den Gläubigen zu erwecken, ihm wenigstens ein schlechtes Gewissen zu machen. Andere Pamphletisten wußten es besser, so finden wir inmitten eines wortreichen ›Nachweises‹, daß der Dreißigjährige ein »Religionskrieg« sei, diese Feststellung: »Schließlich ist dieses hiebey zu mercken, daß wol vnter den KriegsOfficirern vnd Soldaten jhrer viel sein, die sich vmb die Religion so wenig bekümmern, als die Kräe vmb den Sontag, sehen nur dahin, daß sie die Länder außplündern, Gelt vnd Guth zusammen scharren, vnd ein Epicurisch Sauleben führen.«366 Dennoch sah sich dieser Autor mit einem langjährigen »Religionskrieg« konfrontiert. Da diese Studie eine Mentalitätsgeschichte der vormodernen Entscheider über Krieg und Frieden anmahnt, sind für den »Konfessionskrieg« in ihrem Sinne 365 Kleinehagenbrock, Hohenlohe, S. 290. 366 [Anonym], Politischer Discurs Von jetzigen Kriege in Teutschland, fol. Biiij.

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natürlich die Vorstellungswelten und Deutungskulturen der politischen Eliten maßgeblich. Worum ging es in ihren Augen – was motivierte ihres Erachtens das bösartige Treiben des Widerparts, motivierte in ihrer Selbsteinschätzung den eigenen Widerstand gegen die feindlichen Zumutungen? Kämpften sie für vermeintlich legitime materielle Interessen, gegen mißliebige, indes prinzipiell gleichwertige andersgerichtete politische Interessen, oder rangen sie in der Selbsteinschätzung für Gott und Seelenheil, gegen das Böse in der Welt? Wir werden in Kapitel B sehen, daß im Reich eine konfessionelle Lesart der böhmischen Unruhen vorherrschte. Die Sympathien sortierten sich nicht entlang der ständischen Trennlinie (was alle Reichsfürsten an die Seite der bedrängten habsburgischen Obrigkeit verwiesen hätte), vielmehr sympathisierten die evangelischen Obrigkeiten des Reiches mit den evangelischen böhmischen Insurgenten, die katholischen Reichsfürsten mit dem katholischen Böhmenkönig. In interen Akten firmiert die Auseinandersetzung allenthalben als »religion sach«, was auch so blieb, als sich die regionalen böhmischen Querelen längst zum mitteleuropäischen Konfessionskrieg (um einen solchen handelt es sich demnach – die maßgeblichen politischen Akteure empfanden und führten ihn als solchen!) ausweiteten. Und am Ende, im Rückblick? Die Kriegsursachenforschung der Väter des Westfälischen Friedens mündete in die Einsicht, daß »praesenti bello magnam partem gravamina, quae inter utriusque religionis electores, principes et status imperii vertebantur, causam et occasionem dederunt«.367 Ursache wie Anlaß des zu beendenden Krieges waren hauptsächlich jene Gravaminalisten, auf denen die beiden konfessionellen Lager, zumal während der Reichstage des Konfessionellen Zeitalters, die bösartigen Verdrehungen des Religionsfriedens durch den Widerpart aneinanderzureihen pflegten. Freier paraphrasiert: Ursache wie Anlaß des großen deutschen Konfessionskriegs waren um den Augsburger Religionsfrieden kreisende Auslegungsstreitigkeiten. Aber wichtiger als diese (gleichwohl interessante) Diagnose der Friedensverträge ist der Befund in internen Akten. Nimmt man die Begrifflichkeit solcher Quellenzeugnisse, die ja selbst damit ringen, den Gehalt des aktuellen Konflikts zu bestimmen, nimmt man ihre Sinnzuschreibungen, ihre Rubrizierungsarbeit ernst, kann man meines Erachtens jenen mitteleuropäischen Krieg, der 1619 den regionalen böhmischen Querelen erwuchs, aus erfahrungsgeschichtlicher Warte gar nicht anders denn als »Konfessionskrieg«368 charakterisieren. Es war ein Krieg, in dem beide Seiten um konfessionelle Besitzstände kämpften. 367 So die Präambel zum Zweiten Religionsfrieden, also zu IPO Artikel V. 368 Um nicht mißverstanden zu werden: der Terminus »Konfessionskrieg« ist meine Schöpfung, ich versuche so deutlich zu machen, daß es sich um einen innerchristlichen »Religionskrieg« handelt. Die Akten der Zeit sprechen von einer »religion sach«, sind sich darin einig, daß

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So wurde dieser Krieg intern rubriziert, derart war die Selbstvergewisserung der Kriegsakteure. Welche Sonden könnten modernen Kategorisierungsversuchen noch auf die Sprünge helfen? Politologen und Zeitgeschichtlern ist die Analyse von Feindbildern geläufig, seit die Friedens- und Konfliktforschung 369 diesen hilfreichen und unscharfen Terminus um 1968 kreiert hat. Man pflegte ihn auf den Kalten Krieg zu applizieren, doch eignen sich die Jahrzehnte vor dem hitzigen Konfessionskampf seit 1618/19 nicht minder als Untersuchungsfeld. Schreibfreudige Juristen und Theologen richteten damals den andersgläubigen Kollegen in ihren Druckwerken verbal die Scheiterhaufen auf. Da war gewohnheitsmäßig die Rede von »außrotten«, »vertilgen«, »extirpare« – im Zusammenhang mit der Säkularisierung des Kriegsbegriffs und einem etwaigen Resakralisierungsschub um 1600 war bereits davon die Rede.370 Wir sahen dort auch, daß man diejenigen, die sich der konfessionellen Polarisierung zum Trotz nicht exponieren wollten, als gottlos zu denunzieren pflegte, ja, man konnte ihnen überhaupt wahres Menschsein absprechen: Wer abseitsstand, wurde dadurch »ein Mörder an sich selbsten«, war »einer Bestien, eines Monstri, vnd keines Menschen« Art, »allein solche Leuth, oder viel mehr vnvernünfftige Thier ...« Und im Zusammenhang mit dem Denken über den Frieden (in diesem Rahmen mit dem Problem des Grundvertrauens in die Verläßlichkeit der Mitakteure371) kam bereits zur Sprache, daß sich um und nach 1600 die Stimmen häuften, die Andersgläubige für grundsätzlich nicht geschäftsfähig hielten. Wer die eine wahre »daz werkh die religionem concernire«, der Terminus »Konfessionskrieg« begegnet dort nicht. Wohl kennt die Pamphletistik dieser Jahre, gelegentlich, den »Religions Krieg«, außerdem einen »heiligen Krieg« oder das »bellum sacrum«, aber die Kategorie eines »heiligen« Krieges scheint mir wiederum für moderne wissenschaftliche Zwecke (Trennschärfe zum Konfessionskrieg?) wenig nützlich zu sein, weshalb ich sie meide. 369 Es war wohl, konkreter, Dieter Senghaas, und im Visier war eigentlich ein einziges Feindbild, das vom »bösen Russen«. Ich halte die Verwendung des Terminus aber für weiterhin sinnvoll. – Ein Traktat von 1644 zeigt instruktiv die Wirkung dessen, was wir heute Feindbild nennen, es geht um das Klischee vom herrschsüchtigen Spanier: »Vns [man ergänze: Bewohner der niederländischen Nordprovinzen] betreffend vertragen wir sehr gerne die in vnserem Land angestelte schatzungen, vnnd achten das elend nit so wir in vnseren Personen vnd haußgesindt tragen müssen, weniger den schaden so wir in vnserem kauffhandel leiden, allein durch den alten vnnd angebornen gegen den König von Hispanien tragenden hasses, vnd wegen des schreckens so wir haben widerumb vnder sein Joch zu gereichen. Wiewoll wir vnder vns nicht allerdings eins seind, vnsere jnwendige spaltungen vnd zwitrachten haben, vnd eine Prouintz die ander zu vberherschen sucht, so bleiben wir gleichwoll vermittelst der von vnserem Erb: vnnd todgeschwornen feind habenden rachgirigkeit einig.« Es »macht die widerwertigkeit der Hispanier, ... daß wir alzusamen spannen, vnd wie wol wir zu hauß vneins, dannoch von aussen alle einig seind«: [anonym], Trewhertzige Vermahnung, Worinnen viel Denckwürdige vnd Politische Considerationes ... begriffen ..., o. O. 1644, fol. 4f. 370 Vgl. oben S. 131ff. 371 Vgl. oben Kapitel A.1.2.3.4; dort auch die Belege für die folgenden Zitate.

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Kirche verraten hatte, wem deshalb »Eyd, Pflicht, Verschreiben, Versprechen und dergleichen humanae fidei vincula« erst recht nichts galten, wer sich insofern außerhalb der Wertegemeinschaft des christlichen Abendlandes bewegte, auf dessen Verläßlichkeit konnte man nie und nirgends bauen. Daß »cum ejusmodi hominum genere ... contrahi non potest«, begründeten beide Seiten – auch das sahen wir bereits – unter anderem damit, daß sich der Widerpart den gottlosen Ratschlägen Machiavellis, einer moralisch maßstabslosen Staatsräson verschrieben habe: Die »Machiavellische Rott« war darauf geeicht, in jeder nur denkbaren Vereinbarung immerdar »Schlupfflöcher« aufzuspüren, Treu und Glauben wurden »nach der ver­fluchten ler des Machiavelli auf ein jede sich an hant gebende occasion ratione status (wie sie es nennen) bei seit ge­setzt und nichts geacht«. Schreibtischextremisten? Schon, aber ihre Kampfparolen wurden eben auch in den Ratsstuben registriert. Daß die nicht von katholischen Politikern, wohl von manchen katholischen Publizisten offen ausgesprochene Auffassung, ein Ketzern gegebenes Wort binde den Rechtgläubigen nicht, das praktisch höchst folgenreiche Desaster des Reichstags von 1608 verschuldet hat, wissen wir bereits372 – ich füge den Wiederholungen des letzten Abschnitts eine an, die die Geduld des Lesers strapazieren mag (halte das Beispiel freilich für besonders schlagend). Schreibtischextremisten? Schon, aber manche Kampfparolen solch streitbarer Autoren finden wir eben in den Ratsprotokollen wieder. Ich nenne exemplarisch, für die evangelische Seite, den Topos vom »blutdurstigen Jesuiter«, in dessen Fängen alle katholischen Politiker als bloße Marionetten hingen. Der »blutdurstige Jesuiter«: das ist ein Topos, für den ich nicht nur zahllose gedruckte Belege besitze, sondern auch solche aus Tagebüchern einfacher Menschen und eben aus Ratsprotokollen.373 Schreibtischextremisten? Für zwei auch politisch wichtige, da zu Zeiten einflußreiche374 Beichtväter, Adam Contzen und Wilhelm Lamormaini, wurde gezeigt, daß sie, ganz wie die damalige Flugschriftenlitera372 Ich erwähnte es oben auf S. 58 mit Anm. 144 und auf S. 175. 373 In den württembergischen Ratsprotokollen der Vorkriegszeit und der ersten Kriegsjahre, die über die tomi von HStASt A90A verstreut, teilweise aber auch als tom. 39 gebündelt sind, ist der »blutdurstige Jesuiter« ubiquitär, man verwendete die Formel gewohnheitsmäßig. Außerhalb der Union kommt der Topos in kursächsischen Akten besonders häufig vor, er half den Dresdnern, an ihrer Fiktion eines nach wie vor ausgleichenden, unparteiischen Reichsoberhaupts festzuhalten, zu dem man in Treue fest stehen müsse, alles Übel kam nicht aus Wien, sondern vom »blutdurstigen Jesuiter«. Einige Beispiele und Varianten aus dem Umkreis der Deutung des Kriegsausbruchs (den man natürlich auch gern den »friethässigen esauiten« in die Schuhe schob) bietet Kapitel B. 374 Bireley konnte zeigen, daß Lamormaini und Contzen infolge der katholischen Triumphe von 1626/27, die sie als göttliche Winke verstanden, an der Spitze von »militant groups« in Wien bzw. München erheblichen Einfluß auf die amtliche Politik gewannen, ihn dann 1634 (Contzen) bzw. 1635 wieder verloren. Ob Bireley die Gewalt der Beichtväter über ihre prominenten Schäfchen nicht überzeichnet hat, kann hier nicht beiläufig ausdiskutiert

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tur, zum »holy war« antrieben, voller »assurance of divine aid«, die spektakuläre Mirakel einschloß, mit häufigen Rekursen auf die Makkabäerkriege.375 Die moderne Friedens- und Konfliktforschung kennt diese Mechanismen zum »Abbau der Tötungshemmung«: »Erstens die Schaffung von räumlicher, zweitens von sozialer Distanz sowie drittens die Einbindung der Kämpfenden in festgefügte Gemeinschaften, in denen nicht mehr der Einzelne agiert, sondern die Gruppe«.376 Räumlichen Abstand zu den präsumtiven Opfern konnten vormoderne Heere mangels geeigneter Distanzwaffen kaum herstellen, doch Ketzern vollgültiges Menschsein abzusprechen, schuf ein krasses soziales Gefälle377, und wenn man in die eschatologische Entscheidungsschlacht zwischen Licht und Finsternis zog, agierte man fraglos in einer »festgefügten Gemeinschaft«. Indes sollten wir die Wirkung solcher Mechanismen auf die damaligen Söldnerheere nicht überschätzen, die nie konfessionell gänzlich homogen gewesen sind, grundsätzlich anerkannten, daß auch die Kollegen im momentan feindlichen Heer vom Krieg leben, nicht in ihm sterben wollten, die ein (gegenüber glorreichen Landsknechtszeiten schon etwas heruntergekommenes) Berufsethos kannten. Aber politisch wirkten die skizzierten Feindbilder, wirkte insbesondere die Auffassung, daß »Trew und Glawben«, Eide und Unterschriften nichts mehr gälten, verheerend. Kann politischer Interessenausgleich ohne Grundvertrauen in die Verläßlichkeit des Verhandlungspartners überhaupt funktionieren? Es ist hier nicht der Ort, zu demonstrieren, daß er nicht mehr funktioniert hat, daß sich die politischen Eliten Mitteleuropas schließlich gar nicht mehr an einen Tisch setzen, ihre Feindbilder so dem Realitätstest aussetzen wollten378, weshalb die konfliktkanalisierende Kraft des politischen Systems erlahmte und weshalb es

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werden. Für Maximilian hat dessen bester Kenner, Dieter Albrecht, Zweifel angemeldet: Albrecht, Maximilian, S. 773f. Vgl. Robert Bireley, Religion and Politics in the Age of the Counterreformation. Emperor Ferdinand II, William Lamormaini, S.J., and the Formation of Imperial Policy, Chapel Hill 1981; ders., Maximilian von Bayern, Adam Contzen S. J. und die Gegenreformation in Deutschland 1624–1635, Göttingen 1975. Es handelt sich um solide, aus den Akten recherchierte Monographien – für Flugschriften hat sich Bireley nicht interessiert, aber an deren Argumentationsmuster erinnern manche der von ihm herausgearbeiteten Denkmuster seiner Protagonisten. Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt u. a. 2003, S. 117. »Geht man davon aus, daß die Menschen mit den Tieren jene Mechanismen der innerartlichen Aggressionshemmung gemeinsam haben, so haben Feindbilder ... die Funktion, diese Hemmungen abzusenken oder zu durchbrechen. Am ehesten und effektivsten geschieht dies, indem dem Feind die Eigenschaften des Menschen abgesprochen werden. Ausgrenzung führt zu einer Erleichterung des Tötens«: Herfried Münkler, Politische Bilder, Politik der Metaphern, Frankfurt 1994, S. 29. Analyse dieses kommunikativen Desasters: Gotthard, Konfessionskrieg.

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fast schon folgerichtig anmutet, daß man seine Interessen schließlich militärisch verfechten zu müssen meinte. Der Dreißigjährige Krieg, Muster eines Konfessionskriegs? Eines jener Zitate, die auf den letzten Seiten nochmals an die rhetorische Militanz der Jahrzehnte um und nach 1600 erinnern sollten, spielt auf eine Kategorie an, die uns stutzig machen könnte: die Staatsräson. Staatsräson, »ratio status«: Ausgerechnet um 1600 begann in Mitteleuropa die gedruckte Debatte über diese Politikkategorie. Ausgerechnet zur Zeit der zugespitzten konfessionellen Konfrontation wurde ihren eigenen Sachzwängen gehorchende Politik auf den Begriff gebracht. Natürlich ist er den politologischen Pionierwerken des frühen 17. Jahrhunderts geläufig. Aber auch manche der populären Polemiken kennen die Staatsräson – sei es, daß sie tatsächlich von »ratio status« sprechen, sei es, daß sie sich über Niccolò Machiavelli entrüsten, der damals (wiewohl er den Terminus gar nicht verwendet hat) gleichsam als ›Erfinder‹ der »ratio status« galt. Unter anderem deshalb konnte man ja den andersgläubigen Mitakteuren nicht mehr trauen: weil sie sich dem verruchten Machiavelli verschrieben hatten, nach Maßgabe der Staatsräson, nicht mehr von »Treu und Glauben« agierten. Ist die gelehrte, in anspruchsvollen Druckwerken ablesbare Rezeption der »ratio status« neuerdings recht gut erforscht379, gilt das für die archivalische keinesfalls, doch meine ich beobachtet zu haben, daß die »ratio status« just im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges auch in Ratsprotokolle einzusickern begann.380 Übrigens ist sie in solchen Protokollen – das mag Zeitgeschichtler vor dem Hintergrund der dort eine Zeitlang ziemlich virulenten Dabatte über den Primat der Innen- oder aber der Außenpolitik interessieren – fast immer eine Chiffre für äußere Bestimmungsgrößen der Politik, insbesondere die geostrategische Lage und Bündniskonstellationen.381 Sagt die Konjunktur des Terminus »Staatsräson« auch etwas über den Zustand der Staatenwelt um 1600 aus? Außenpolitik an der oszillierenden Kompaßnadel des Staatsräson-Kalküls auszurichten: zeugt diese Ideologie des souveränen 379 Es liegt an einer Reihe lesenswerter Studien insbesondere von Herfried Münkler, Peter Nitschke, Wolfgang E. J. Weber und Michael Stolleis. Eine Literaturliste gibt beispielsweise Wolfgang E. J. Weber, Staatsräson und konfessionelle Toleranz. Bemerkungen zum Beitrag des politischen Denkens zur Friedensstiftung 1648, in: Johannes Burkhardt/Stephanie Haberer (Hgg.), Das Friedensfest. Augsburg und die Entwicklung einer neuzeitlichen Toleranz-, Friedens- und Festkultur, Augsburg 2000, S. 168 Anm. 5. 380 Vgl. Gotthard, Konfession und Staatsräson, Sachregister, s. v. Staatsräson. 381 Also nicht den schon erreichten Stand organisierter »Staatlichkeit« oder ökonomische Interessen. Beratungsprotokolle des Konfessionellen Zeitalters, die mir bekannt sind, künden von wenig ökonomischem Sachverstand der für die Außenpolitik maßgeblichen Hofräte, auch besaß Ökonomie für sie keine eigene Dignität.

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Einzelstaates nicht nur von den Aporien konkurrierender Wahrheitsansprüche, konkurrierender Heilsversprechungen, denen eine – damit zu verselbständigende – Politiksphäre im Interesse des diesseitigen Gemeinwohls zu entreißen war, dokumentiert sie auch das Verblassen universal gedachter überstaatlicher Ordnungen, den Zerfall einer früher einmal ordnungsstiftenden Mächtehierarchie? Eine Mentalitätsgeschichte der vormodernen Entscheider über Krieg und Frieden kann sich natürlich nicht mit dem bloßen Vorfinden des Terminus und statistischen Beobachtungen begnügen, sie muß danach fragen, wie das vorgebliche Staatsinteresse mit Hilfe welcher kulturellen Identitäten, Auto- und auch Heterostereotypen definiert wurde und welche seiner vermeintlichen Essentials im äußersten Fall den Krieg erheischten. Der Frühneuzeitler darf nicht dem Kardinalfehler der in den Politikwissenschaften dominierenden »(neo)realistischen« Schule der Erforschung außenpolitischer Prozesse aufsitzen, in jenem »Staatsinteresse«, das sie axiomatisch allen Analysen zugrundelegt, etwa eine leicht objektivierbare Kategorie zu sehen, die man, anstatt nach ihren Entstehungsbedingungen zu schürfen, einfach voraussetzen könne.382 Es ist aufschlußreich, daß man sich zur orientierenden Wirkung einer »ratio status« damals nicht zu bekennen pflegte: Nach außen hin schrieb man Handeln »nach Staatsräson« stets dem Widerpart zu, es war ein Vorwurf. Kann man an solchen Distanzierungen von der Staatsräson nicht dennoch eine Säkularisierung des Denkens über Krieg und Frieden festmachen – weil, wer so unterstellte, eben prinzipiell davon ausging, daß außenpolitische Akteure (außer dem jeweiligen Sprecher selbst) nicht nach normativ feststehenden Werten, sondern nach Kosten-Nutzen-Kalkülen zu handeln pflegten, also nicht werteten, sondern Gewichte taxierten (oder austarierten)? Auf katholischer Seite koppelte man die Staatsräson-Unterstellung gern mit dem Vorwurf, die Protestanten383 bemäntelten rebellischen Geist, notorischen »ungehorsam« mit religiösen Versatzstücken384, setzten vorgebliche konfessionelle Ziele instrumentell ein: Man 382 Ein methodisch aufgeklärter Neorealist würde widersprechen und bekunden, er leite dieses »nationale Interesse« aus seinen systemischen Voraussetzungen ab: nämlich der Struktur der gerade gegebenen Staatenwelt und der Plazierung der betreffenden Nation in ihr. Für alle anderen Wurzeln außenpolitischer Entscheidungen sind seine Analysemethoden blind. – Vgl. zu solchen methodischen Fragen noch unten Kapitel A.4. 383 Da die Dresdner beharrlich »politice Bäpstisch« blieben, spitzte sich der Vorwurf immer mehr auf die calvinistisch dominierte »Aktionspartei« zu. 384 Das war im katholischen Diskurs der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts notorisch und läßt sich gar nicht angemessen belegen. Beispiele aus den Jahren 1618/19 lernen wir noch in Kapitel B kennen: die böhmischen Widerständler würdigten »die Religion zu einem Deckmantel« herab, erdreisteten sich, Machtgier, »Raach« und andere »privat Affection ... unge­scheucht für ain pur lauters religionwerk fürzugeben«. – Weil auf der anderen Seite schon von Martin Opitz die Rede war: dieser evangelische Lyriker rief dem spanischen König 1621/22 zu, »Daß die Religion kein Räubermantel sey/ Keyn falscher Vmbhang nicht«

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hielt das also prinzipiell für möglich und ging es wohl, den Winkelzügen des abgefeimten Widerparts gedanklich auf der Spur, im Geiste auch selbst durch. Zu den Flugschriftenkäufern, die dieses doppelbödige Spiel lesend nachvollzogen, gehörten natürlich auch politische Entscheidungsträger. Am 29. Juni 1646 klagte Mazarin in einem Schreiben an den Comte d’Avaux, Spanien verfolge seine machtpolitischen Interessen »soubz le prétexte de la religion«.385 Zeugen solche Vorwürfe nun von einer Resakralisierung des Denkens, von seiner untergründigen Säkularisierung? Weniger doppelbödig muß man konstatieren, daß die neumodische Kategorie der »ratio status« im frühen 17. Jahrhundert keinesfalls nur nach außen hin demonstrativ verabscheut wurde, sondern vielen Akteuren grundsätzlich suspekt blieb. Man kann das in der Literatur386 wie in den Akten387 beobachten, auch die zuletzt angeführten Zitate – von denen eines dem innerkatholischen Diskurs entstammt – konnotierten ja negativ. Vielen war diese Staatsräson Inbegriff der Hybris einer Politik, die mehr werden wollte als Ancilla theologiae und sich damit überhob. Wir stoßen auf viele Gleichzeitigkeiten des Ungleichzeitigen, so schon bei der zeitgenössischen Analyse des Kriegsausbruchs – Kapitel B wird sich damit näher befassen. Wir werden dort beispielsweise sehen, daß die damals in Dresden maßgeblichen Politiker den Frieden ganz avantgardistisch definierten, nach Ausweis der Beratungsprotokolle bangten sie 1618 nicht um die »richtige« Ordnung, sondern um Ruhe und Ordnung überhaupt. Daß man deshalb den glaubensverwandten böhmischen Widerständlern nicht beisprang, ließ man indes nach außen hin nicht etwa mit der kursächsischen Staatsräson begründen, sondern durch und durch theologisch, mit vielen Bibelstellen – weil man glaubte, auf die anderswo maßgeblichen Deutungsschemata und Denkstrukturen eingehen, die Adressaten der Schrift bei ihren eigenen, religiös begründeten Positionen abholen zu müssen. Die Dresdner legitimierten ihr Tun damals theologisch, ihre Mo(Trostgedichte, Buch I, Zeilen 460f.). –­ Die Denkfigur ›der Gegner verbrämt machtpolitische Motive konfessionell‹ begegnet sogar schon im Schmalkaldischen Krieg: vgl. unten Anm. 451. 385 APW II.B.4, Nr. 38. 386 Vgl. zusammenfassend Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1, München 1988, S. 210. 387 Recht häufig begegnet der Stoßseufzer, es werde »gewalt dem rechten und ratio Status Christlichen gewissen ... vorgesezt«, hier zitiert nach »Kurtze Relation dessen von Effern verrichtunge« in Brüssel (»lectum in consilio« am 4. Juni 1616), HHStAW Mainzer Erzkanzlerakten (im Folgenden: MEA) Juliacensia 6, fol. 359–365 (orthographisch etwas abweichend die Abschrift in BayHStA Kasten schwarz 10410, fol. 1–5). In MEA Wahl- und Krönungsakten 15, fol. 258f. (»Rationes ...« [von 1613]) heißt es beispielsweise, daß »gewalt vor recht, und ratio status vor Christliches gewissen ... praedominiren«. Ähnliche Formulierungen sind, wie gesagt, keinesfalls selten.

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tive wurzelten anderswo, bei im Hofrat divergierenden Mischungsverhältnissen in territorialer Ratio status und in Reichspatriotismus. An den meisten anderen evangelischen Höfen indes war auch der interne Diskurs damals theologisch durchtränkt, weshalb man in Böhmen nicht etwa einen rebellischen Anschlag auf die monarchische Staatsform wahrnahm, sondern den Selbstbehauptungskampf evangelischer Gewissen gegen religiöse Unterdrückung und, natürlich, die »blutgierigen Practicken« der »blutdurstigen Jesuiter«. Konfession oder Staatsräson, Glaubenskrieg oder Staatsbildungskrieg? Das konnten wir nicht im Vorbeigehen festzurren und quantifizieren. Die letzten Seiten wollten lediglich darauf hinweisen, wie viel für eine archivalisch gestützte Ideen- und Mentalitätsgeschichte des Krieges noch zu tun bleibt. Man könnte das eigentümliche Neben- und Ineinander konfessionell durchtränkter und untergründig schon über das Konfessionelle Zeitalter hinausweisender Argumentationsmuster auch in anderen Sinnbezirken aufzeigen. So war der gelehrte Reichspatriotismus dieser Jahre durchaus janusköpfig. Insbesondere evangelische Autoren beriefen sich gern salbungsvoll auf »patria« und deutsche Nation. Sie stellten diese Werte in konfessionspolitischen Dienst, verwandten sie weniger integrativ denn geradezu ausgrenzend, mit aggressiver Stoßrichtung gegen die »spaniolisierten« Anhänger der Hofburg, und doch lud sich in solchen Diskursen eben ein originär säkularer Wert, das teutsche Vaterland, mit quasireligiöser Emphase auf: Sakralisierung, Säkularisierung? Im publizistischen Begleitkampf zum Prager Frieden388 appellierten schließlich Protestanten an Pro388 Die sichtlich ernüchterte Publizistik der Jahre um und nach 1635 ist ungleich besser erforscht als die der Jahrzehnte zuvor; vgl. zuletzt, mit der weiteren Literatur, Schmidt, Vaterlandsliebe, S. 358ff. – Zahlreiche ausgiebige Zitate bot schon Hitzigrath, Publicistik. Freilich verzeichnet dieser Autor die Dimensionen; so gründlich, wie seine Arbeit suggerieren könnte, schwenkte der publizistische Mainstream nun auch wieder nicht von konfessioneller zu nationaler Emphase um. Hitzigrath entzücken die »deutschnationalen Angriffsbroschüren«, er sucht und findet »nationale Publicisten« mit »echt deutschem Standpunkt«, anderen kann er schon einmal das vorhalten: »Ein deutschnationaler Publicist ist er nicht, vielmehr braucht er seine Feder völlig im Solde und Interesse der Ausländer«. Am wenigsten aber interessieren diesen schneidigen Autor religiöse Themen, eine knappe Übersicht über davon infizierte, in seinen Augen »gesundem Menschenverstand« hohnsprechende »Broschüren« leitet er mit dieser Bewertung ein: »Von einer religiös aufgeregten Zeit wird meist der Aberglaube geboren«. Ich zitiere noch, wie er im Schlußabsatz die Spannweite resümiert: »Töne des reinsten Patriotismus, schreiende Missklänge confessionellen Hasses« (Hitzigrath, Publicistik, S. 41, S. 105, S. 117, S. 125, S. 127, S. 132). – Dennoch ist ein relativer Rückgang militant konfessioneller Gehalte unübersehbar, nur, was besagt das? Ist es ein zusätzliches Symptom für den aus anderen Gründen kaum bestreitbaren Sachverhalt, daß sich der deutsche Konfessionskrieg von den politiksteuernden Motivationen her entkonfessionalisierte? Andererseits beobachtet Schmidt, daß schon »die Krise des Religionsfriedens seit den 1580er Jahren ... mit einem Anstieg der patriotischen Rhetorik« einhergegangen sei, sie fungiere offenbar als »Sensor für politische Unsicherheit« (S. 421). Wird die Patria

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testanten, das Reichswohl über konfessionelle Solidaritäten zu stellen und sich um den katholischen Kaiser zu scharen – eine Säkularisierung des Reichswohls? Nun stehen solche Flugschriften schon jenseits einer Wasserscheide. Denn steht nicht wenigstens dieses eine fest: daß sich der Dreißigjährige Krieg in den frühen 1630er Jahren – nicht in der Wahrnehmung und Sinnstiftung der leidgeprüften zivilen Opfer aller Seiten, aber auf der Ebene einer Erfahrungsgeschichte der politischen Eliten – entkonfessionalisiert hat? Verengen wir den Fokus noch weiter, indem wir von den publizierenden Eliten absehen und lediglich die entscheidenden Akteure in den Ratsstuben ins Visier nehmen, gibt es einen aufschlußreichen Indikator für die Entkonfessionalisierung des großen deutschen Konfessionskriegs: den Vergleich zwischen Restitutionsedikt und Prager Frieden. Was ist denn das Tertium Comparationis? Daß sowohl 1629 als auch 1635 der Kaiser (durch katholische Waffen errungener Siege wegen) ungemein mächtig war, die dezidiert evangelischen Kräfte im Reichsverband hingegen entscheidend geschlagen schienen. Rekapitulieren wir ansatzweise, wie man die militärischen Triumphe jeweils in Politik umzusetzen versuchte! Als sich am Ende des Niedersächsisch-dänischen Krieges eine Seite scheinbar auf der ganzen Linie durchgesetzt hatte, sich nun ihre Träume erfüllen (nüchterner formuliert: die Kriegsziele realisieren) konnte, nutzte sie das für ein konfessionspolitisches Revirement, den Oktroi der eigenen Interpretation der Augsburger Ordnung von 1555. Offensichtlich war sie damals der Ansicht, genau dafür, für ihre Lesarten des Religionsfriedens, so lang gekämpft zu haben; übrigens hatte Maximilian von Bayern, der mehr als jeder andere zum Restitutionsedikt trieb, dessen Notwendigkeit einmal so erklärt: ein verantwortungsbewußter katholischer Politiker müsse jetzt »die von Gott an handt gegebene occasion« nutzen.389 Sechs Jahre später hingegen wurde die konfessionspolitische Frage gewissermaßen eingeklammert, ja, geradezu ausgeklammert – Vertagung des Streits um 40 Jahre. Man vertagt etwas, was man momentan nicht für vordringlich hält. Was aber hielt die siegreiche Seite nun für vordinglich? Die politische Einigung des Reiches und die Beendigung des Krieges! Den Prager Vertrag durchweht reichs­patriotisches Pathos: Wir müssen den Reichsboden von fremden Truppen, den Reichsverband von fremder Einmischung befreien. Daß es genau dafür nun, da das deutsche Kriegstheater zur Nebenbühne absank, zu spät war, steht auf einem anderen Blatt. Die Prioritäten hatten sich zwischen 1629 und 1635 eklatant verschoben. Es ließe sich, wie wir ja schon sahen, auch an der Flugschriftenliteratur aufzeigen: beschworen, wenn sie sich über konfessionelle Gräben hinweg wiederzufinden beginnt, oder wenn sie zu zerfallen droht? 389 So formulierte er es in einem Schreiben an den Erzkanzler vom 7. September 1627: BayHStA Kasten schwarz 773 (unfol.).

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Die Emphase, die letztmals Siegeslauf und Schlachtentod Gustav Adolfs emporlodern ließen, findet sich danach nicht mehr390, die publizierenden Eliten sind des immerwährenden Krieges überdrüssig. Volkes Stimme wird in den erhaltenen Quellen selten laut, aber eine Wiener Denkschrift vom Januar 1635 hat wohl Recht, wenn sie feststellt: »Es begert und wünscht den friden das ganze Römische Reich.«391 Das Papier ist überhaupt interessant: Die kaiserlichen Ratgeber beschwören dort durchaus noch einmal den Notwendigen, den gottgewollten Krieg – der freilich nicht immer gewonnen werde: »Hatt man exempla in der heiligen schrift, daß auch in solchen fällen, da der Allmechtige Gott den khrieg anbefohlen, wann solche exorbitantien und dergleichen schelten, fluchen oder abgöttereien vorgangen, daß allezeit daß Israelitisch volkh gestrafft worden.« »Dieweilen aber diser erfolg allein Gott bekhandt und man sich darauf auß oberzehlten exemplen und umbstendten nit gwiß verlassen kann, so mueß von disem khrieg menschlicher vernunft nach discurriert und geredt werden.«392 In einem nur fragmentarisch überlieferten Gutachten vom März des Jahres393 heißt es erneut: »Und ob man zwar ... sagen möchte, Gott der Herr sei mächtig, er werde E. Ksl. Mt. in dero gerechten sachen beistehen, so sein doch dessen iudicia unerforschlich«, »auf miracula394 zu bawen, ist t[em]erarius«. Man müsse über Krieg 390 Unter manchen interessanten Facetten fällt auch auf, wie sich das Verhältnis vieler Flugschriftenautoren zu Schweden nun zu ändern beginnt – hatten die sich überstürzenden Triumphe Gustav Adolfs über die Kollateralschäden hinwegsehen lassen, mußte die schwedische Kriegführung danach mehr und mehr (die Wiederholung dieses hier passenden Verbs sei mir nachgesehen) ernüchtern, ja, empören. Ersichtlich kämpften die Schwedischen für die »Region«, nicht, wie von ihnen beteuert, die »Religion«, was nun sogar evangelische Autoren beklagen (es ist beispielsweise das große Thema dieser Flugschrift brandenburgischer Provenienz: »Jobst Camalinus«, Deutsche Treuhertzige Warnung an alle und jede Deutsche, Hohe und niedre Kriegsoficierer ... dass sie endtlich in sich gehen, von Schwedischer Parthei abtreten ..., o. O. 1637). »Der Schwedische Jäger in Teutschland« (anonym, o. O. o. J., S. 9) singt 1647 dieses Jagdlied: »Kom her mein lieber Pfaffenknecht/ Ich muß dir eins versetzen,/ Dein Hößlein mach klar eben recht/ Dran will ichs Messer wetzen./ Bey dieser Jagt das Wildpret gut/ Wirstu gnent alleine,/ Es kostet aber Gut und Blut/ Dir Teutschen ins gemeine,/ Vns ist nit vmb d’Religion/ Die Götter mögens walten,/ Vns dient doch ewer Confession,/ Damit wirs Land behalten.« – Gewiß, noch die Westfälischen Verhandlungen provozierten Publikationen, die zum Kampf um jede Seele aufriefen (offenbar – freilich: Forschungsstand! – vor allem von katholischer Seite, womit nun auch wieder betont gelehrte, recht komplex und insbesondere kanonistisch argumentierende Texte dominieren), aber das gab nun eben insgesamt nicht mehr den Ton vor. 391 Abdr. des Memorandums: BA N. F. 2.10.2, Nr. 107. Allgemein gesagt, ging es damals um den Entwurf des Prager Friedens der Hofburg mit Kursachsen und die Zulässigkeit der dort vorgesehenen Konzessionen an die Protestanten. 392 Ebda., die Zitate: S. 164 bzw. S. 165. 393 Die Fragmente bietet BA N. F. 2.10.2, Nr. 124; die folgenden Zitate: S. 231, ebda., S. 230, S. 228, ebda. 394 Zweifelsohne eine Anspielung darauf, wie Lamormaini zu argumentieren beliebte!

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und Frieden »moraliter und der vernunft nach reden«. Mit dieser Säkularisierung des Diskurses geht eine Höherbewertung des Friedens einher – wenn es auch »einer kleinmüttigkeit ähnlich zu sein« scheine »und dz man sich nit auf die hilf Gottes rechtschaffen verlassen thuett«, gelte doch, »daz dieiehnige fundamenta und ursachen, so E. Ksl. Mt. zum frieden bewegen sollen«, derartige Bedenken »weit praeponderiren«. Wie »das ganze Römische Reich« wünschte also auch seine Regierungszentrale »den friden«. Mit dem Scheitern des Restitutionsedikts, dem Tod Gustav Adolfs – den die Protestanten für jenen ersehnten Deus ex machina gehalten hatten, der endlich die der Gegenseite aus den ideellen und materiellen Ressourcen des Kaisertums zuwachsenden konzeptionellen und strukturellen Vorteile kompensierte – waren in beiden Lagern inbrünstig gehegte Utopien derart spektakulär zerplatzt, daß das Feuer der religiösen Begeisterung erlosch. Und dann trat jene Macht aktiv kämpfend in die Auseinandersetzung ein, die ihre eigenen Konfessionskriege viel früher beendet, danach zu einem säkularen Politikstil im Zeichen von Staatsräson und Souveränität gefunden hatte: Frankreich! Mitteleuropa verkam zum Nebenschauplatz eines europäischen Hegemonialkampfs zwischen Spanien und Frankreich. Der große deutsche Konfessionskrieg war nun keiner mehr. 2.2.4 »Machiavellus gallicus«: Schrittmacher Frankreich? 2.2.4.1 Ein Clash of cultures »Man antwortet mir nur mit Stellen aus der heiligen Schrift und mit Offenbarungen und mit der Kraft Gottes, den sie täglich um Erleuchtung anrufen, das Unternehmen zu verfolgen, wenn es gut, es aufzugeben, wenn es böse sei«: so mokierte sich ein französischer Emissär an den Heidelberger Kurhof im Winter 1567/68395 über den für ihn sehr eigentümlichen kurpfälzischen Politikstil. Er konnte über die »unglaubliche Einfalt« des bigotten Kurfürsten nur den Kopf schütteln: ein Clash of cultures.396

395 Friedrich von Bezold (Hg.), Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir mit verwandten Schriftstücken, Bd. 1, München 1882, S. 24 Anm. 1 beruft sich pauschal auf »Berichte des frzös. Gesandten Bochetel, Bischof von Rennes, an Karl IX., vom 1. 12. 19. Nov. 1567 und 1. Febr. 1568«, ohne zu sagen, welchem er das (zweifelsohne von ihm übersetzte) Zitat entnahm. Der Gesandte sollte versuchen, die Heidelberger von einer prohugenottischen Intervention in Frankreich abzuhalten. 396 Der Eindruck verstärkt sich, wenn man, gleichsam spiegelbildlich, die Berichte des pfälzischen Emissärs Zuleger aus Paris hinzunimmt: Bezold, Briefe, S. 25.

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Hat der französische Politikbetrieb religiöse Bindungen rascher und gründlicher abgestreift als der rechtsrheinische? Nimmt man die französische Außenpolitik ins Visier, kann man schon zu diesem Schluß kommen. Axiom war kein Dissens exklusiver weltanschaulicher Wahrheitsmonopole, sondern ein als konstant angenommener habsburgisch-französischer Interessengegensatz. Die französische Außenpolitik schon des 16. Jahrhunderts war geopolitisch begründet, also nicht konfessionell. Einzig in Paris war Europa schon vor dem 18. Jahrhundert mehr als Christianitas, einzig in Paris hielt man nämlich immer wieder die Pforte für bündnisfähig, und für die französische Deutschlandpolitik der Reformationszeit braucht man nur chiffrenhaft den Vertrag von Chambord zu nennen. Freilich durchlebte dann auch Frankreich seine Konfessionskriege. Aber es beendete sie früher als die Nachbarn, nachdem Henri Quatre aus Staatsräson katholisch geworden war. Es ist wenig bekannt, daß die Pariser Außenbeziehungen um 1620 noch einmal für einige Jahre stark konfessionell bestimmt waren, damals rettete Ludwig XIII. den Großmachtstatus Habsburgs, weil er nicht als »deserteur de sa religion« dastehen wollte.397 Solche Vorwürfe werden Richelieu nicht schrecken, er wird wieder, wie einst Heinrich II., Einflußschneisen über den Rhein im Sinn und Freiheitsparolen auf der Zunge tragen. Bei der Rivalität zwischen dem katholischen Frankreich und dem katholischen Habsburg konnte nur die »teutsche Libertät« für Paris mobilisieren, kein konfessioneller Furor, jeder Anschein eines Religionskrieges mußte vermieden werden. Beispielsweise deshalb wird der Kardinal, wie wir in Kapitel C noch merken werden, hartnäckig an einer Neutralisierung der katholischen Liga arbeiten, »ce principe de la neutralité, ... c’est le seul moyen d’éviter une guerre de religion« – wie es in einem Memorandum des Paters Joseph zur deutschlandpolitischen Strategie, wohl vom November 1633 heißt. Es beginnt übrigens so: »Évitons, au nom de Dieu, une guerre de religion«! Das aus vielen Gründen bemerkenswerte Gutachten findet: »Le principe ejus religio cujus regio vient du diable; on ne doit pas obtenir les conversions par la violence, mais laisser Dieu opérer par le Saint-Esprit«.398 Da also ließ man den Heiligen Geist walten, die Staatsinteressen mußte der Politiker in seine Hand nehmen. Wir können ohne ungebührliche Zuspitzung festhalten, daß unter Richelieu konfessionelle, ja, man wird sagen dürfen: überhaupt religiöse Postulate wieder gänzlich und nun irreversibel zurücktraten. Das nahmen auch die europäischen 397 Vgl. Gotthard, Frankreich und England; auch, aus wahrnehmungsgeschichtlicher Warte, unten Kapitel B. 398 Memorandum Pater Josephs zur deutschlandpolitischen Strategie Frankreichs, wohl vom November 1633: Gustave Fagniez, Le Père Joseph et Richelieu (1577–1638), Bd. 2, Paris 1894, S. 146–151.

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Mitspieler so wahr. Die soeben erwähnte Wiener Denkschrift vom Januar 1635 hält eine »außrottung der andern religion« (die ohnehin nicht auf der Agenda dieses bedächtigen Memorandums steht) schon deshalb für unrealistisch, weil »iezo laider die sachen in Europa« so »beschaffen« seien, daß »der Machiavellische argwan und aemulation alles begriffen« habe, »alß solches alberait genuegsamb an Franckhreich zu spüeren«.399 Interne publizistische Kritik an dieser machiavellistischen Außenpolitik blieb nicht gänzlich aus, wie Alexandre Y. Haran jüngst zeigte: »Face à la politique anti-espagnole, à l’alliance turque et à l’entente avec les princes protestants du Saint-Empire, qui menaçaient de faire oublier au royaume son rang de ›fille aînée de l’Église‹, le parti des dévots exigeait un choix stratégique digne de Saint Louis«.400 Harans Studie macht aber auch sehr deutlich, daß das »fibre messianique« in Frankreichs 17. Jahrhundert nie so hitzig war wie in den anderen großen europäischen Ländern. Daß Haran der Ansicht ist, das ohnehin vergleichsweise schwache Fieber habe sich um 1630 fast schon verzehrt (um 1680 sei es ganz erloschen), finde ich deshalb interessant, weil sich auch deutsche Diskurse in den 1630er Jahren so sichtlich entkonfessionalisierten. Was hat es für die Säkularisierung des Krieges bedeutet, daß Frankreich im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts zur in vielen Hinsichten, so auch außenpolitisch bewunderten und kopierten Leitmacht aufstieg? Ludwig XIV. überfiel im »Devolutionskrieg« die Besitzungen einer Witwe und eines unmündigen Kindes. Die Frivolität, mit der er Rechtsansprüche hindrechseln ließ, von denen er selbst wie jeder denkbare Adressat wußte, daß sie gar nicht geeignet sein konnten, blanke Machtgier zu drapieren, begründete einen neuen, zynischeren, härteren Politikstil in Europa. Waren derartige juristische Vorwände so fadenscheinig, daß sie tatsächlich das Recht verhöhnten, flankierten den Holländischen Krieg schon gar keine aufwendigen Bemühungen mehr, den Anschein von Rechtlichkeit zu erwecken. Ungeniert und fast unverhüllt ging es da um eine Strafaktion gegen jene frechen Pfeffersäcke, die sich obstinat weigerten, als Trabanten um die Sonne in Versailles zu kreisen, die dreist ihre eigenen Erfolgsmaßstäbe, ihren eigenen Lebensstil hochhielten401: pure Machtdemonstration also. Wie haben solche Haupt- und Staatsaktionen auf das Denken über Krieg und Frieden abgefärbt? Befragen wir exemplarisch die rege Kriegspublizistik der 1670er Jahre! Bezeugt sie alles in allem – diese Leitfrage wird das organisierende Zentrum der auf den ersten Blick recht disparaten Beobachtungen der nächsten Seiten sein – im kontrastiven Rückgriff auf die uns schon gut bekannten Pub399 Wie Anm. 391 (hier S. 165). 400 Alexandre Y. Haran, Le lys et le globe. Messianisme dynastique et rêve impérial en France à l’aube des temps modernes, Champ Vallon 2000, S. 342. 401 Vgl. hierzu ausführlicher S. 234f.

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lizistik der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges eine »Formalisierung und Säkularisierung«402 des Kriegsbegriffs? 2.2.4.2 Auto- und Heterostereotypen Daß Ludwig seine Machtgier mehr demonstrierte denn mit juristischen Girlanden drapierte, hat im Reich, einem Rechtsschutzverband, schon abgestoßen. Eine Flugschrift unterschob Ludwig XIV. beispielsweise diese »Theses von der Gerechtigkeit und Berechtigung zum Kriege, Jetziger Zeit in Franckreich üblich«: »Die Frantzösische Gerechtigkeit ist ein stätswärender Wille, jederman des Seinen zu berauben«.403 Oder: »Wer nicht kan heucheln, soll auch nicht regieren.« »Ein König muß viel zusagen, und wenig halten. Wir halten unsere Zusage so lange, als wir Nutzen davon haben können.« »Unrecht machen wir Recht durch den Degen«. »Die Kriegs-Berechtigung wird nicht wol genennet ein Theil deß Rechts der Völcker, dann es bestehet in unserm Königlichen Wolgefallen.« »Andere mögen streiten vor GOtt und die Religion, uns ists zu thun umb Lande, und Gold und Schätze.« Eine angeblich aus dem Französischen übersetzte Flugschrift läßt Ludwig schwadronieren, »daß, da das Recht zu brechen sey, man solches der Beherrschung halber thun müsse, weil der Himmel keinen Richterstuhl auf Erden gesetzt habe, vor welchen die Könige in Franckreich gezogen werden können«404 – übrigens ein Kardinalproblem des völkerrechtlichen Soft Law bis heute! Ein dritter Pamphletist meint so für Ludwig sprechen zu dürfen: Die Weltherrschaft steht ihm nun einmal zu, und dafür darf er »allerley dienliche Mittel ohn Unterschied« einsetzen, »sie seyen, wie sie wollen, gut oder böß, wie sie unter die Hand kommen. Nam qui vult finem, vult etiam media. Redlichkeit kommt nicht weit.« »Die heilige Theologie ist ein Subordinatum der Politic, und muß sich nach des Königs Raison d’Estat conformiren«.405 Steht die diskursive Konjunktur der »Raison d’Estat« für eine Säkularisierung der Politik, und war Frankreich hierbei der Vorreiter, auch der Tabubrecher? Die 402 Vgl. oben S. 106 mit Anm. 14. 403 Das ist der Beginn (die erste »These«) dieser Schrift: [anonym], Theses von der Gerechtigkeit und Berechtigung zum Kriege, Jetziger Zeit in Franckreich üblich, Welche Unterm Praesidio derer Staats-erfahrnen Professoren, der Herren de Lionne und Colbert, Wider Aller Rechts-Gelehrten Einwürffe zu defendiren sich vorgesetzet Ludovicus der XIV. ... Gehalten am 14. Januarii 1672. Im Königlichen Palatio zu Paris, o. O. 1673. Der Schluß der fingierten ›Thesensammlung‹ lautet so: »In Summa, kein Mittel soll uns entstehen, einen jeden zu verleiten, damit wir unsere Intention erlangen, worzu uns der Ehrgeitz, das gemaine Wesen unserer Cron, und unsere Reputation verbindet.« 404 »Alexander Christian de Metre«, Kurtze Erzehlung Der vornehmsten Thaten Des Königs in Franckreich, Und Was er ferner vor hat ..., »Roterdam« 1674, fol. Aiiij. 405 [Anonym], Machiavellus gallicus, Das ist: Verwandelung und Versetzung der Seele Des Machiavelli in Ludovicum XIV. dem König von Franckreich ..., o. O. 1675 (unfol.).

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zeitgenössische Publizistik406 hat es vielfach so gesehen – Titel wie »Machiavellus gallicus«407 zeigen es (man pflegte die Denkkategorie der Ratio status ja im Konfessionellen Zeitalter wie auch noch in den Jahrzehnten danach durchgehend, sachlich nicht falsch, auf Machiavelli zurückzuführen). Daß seit 1675 in manchen Schriften Karl XI. von Schweden als Hilfsteufel firmiert, liegt an den französischen Subsidien für ihn und daran, daß Schwedens Einfall ins Kurbrandenburgische der französischen Kriegführung im Westen zupaß kam. Einem »vornehmen« schwedischen Politiker wurde das in den Mund gelegt: »Es würde uns ja gantz Europa auslachen, wann wir Schweden jetzo mit solchen Schulfüchsischen Possen wolten aufgezogen kommen, und unseren Ratio-Statum nach der einfältigen Gerechtigkeit einrichten.«408 Vor allem aber legen deutschsprachige Flugschriften solche Zynismen »Franzmännern« in den Mund. Die publizierenden Eliten Mitteleuropas beobachteten, daß die »Alemode-Welt« unentwegt von »Ratio Status« raune409 und daß man, »seit dem daß die Raison [d’Estat] auffgekommen ... die Gerechtigkeit wenig mehr finden« könne410: »Grosse Herren und Potentaten sind durch den Ehrgeitz gantz verblendet, daß sie Morden, Rauben, Brennen und Blutvergiessen vor keine Sünde halten, wenn sie nur ein Stück Landes erwerben können«.411 Denn die Postulate der Staatsräson, und nicht etwa (noch) theologische oder 406 Es wäre reizvoll, meiner Tour d’horizon durch die gedruckte Publizistik eine durch die Relationen der diplomatischen Beobachter in Paris zur Seite zu stellen, doch kann ich das hier nicht im Vorbeigehen leisten. Der kurbrandenburgische Vertreter an der Seine, Lorenz Georg von Crockow, resümierte am 19. Februar 1672, »Ihrer K. M. Interesse und Deroselben Puissance sein die Raisons, welche blos allein alhier employiret werden«: Reinhold Brode (Hg.), Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 13, Berlin 1890, S. 61–63. Wie rational diese vermeintlich ›objektive‹, da rein interessegeleitete Staatsräson tatsächlich gewesen ist (bei Ludwig: hypertropher EhrBegriff !), werde ich gleich noch, in Kapitel A.3.1, am Beispiel des Holländischen Krieges problematisieren. 407 Vgl. Anm. 405. 408 [Anonym], Projekt Der eröffneten Schwedischen Rath-Stuben ..., o. O. 1675. 409 So »Samuel Greifnson vom Hirschfeld«, Simplicianischer Zweyköpffiger Ratio Status ... , Nürnberg 1670, S. 9. Diese Schrift fällt freilich aus dem zeitüblichen Rahmen, sie versucht, vom hier gegebenen Zitat abgesehen fernab jeglicher Tagesaktualität, aus dem Alten Testament den Nachweis zu führen, daß es eine gute, christliche und eine böse, da machiavellistische Staatsräson gebe. 410 [Anonym], Curiosorum, nec non politicorum vagabundi per Europam, vulgo sic dicti, Rationis-Status, de praesenti tempore nugae-somniorum pars altera ..., o. O. 1675, S. 48 (auch abgedr. im 31. Band des »Diarium Europaeum«, das Zitat dort auf S. 509; ebda., S. 466: es sei – ohne ausdrücklichen Bezug auf Frankreich – »die Mode« der Zeit, »viel zusagen, und wenig halten; und ist dieses Ding, leyder!, soweit gerathen, daß man eine Sünde zu begehen vermeynet, diesem zuwider zu handeln«). 411 [Anonym], Traum-Gesicht vom Democritus und Heraklitus, da jener den itzigen Zustand in Teutschland belachet, dieser aber beweinet ..., o. O. 1675, S. 15.

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(schon) völkerrechtliche Normen rahmten auch die ›Kriegsräson‹: »Eine neue, Zweifells ohn, in Plutonis Höllen-Pfuel empfangene Mißgeburt, hat uns die Geschwindigkeit des Frantz-Genii, durch gegenwertigen Krieg, zur Welt gebracht, Raison de guerre genant, auff Teutsch, hat das Kind noch keinen Nahmen412, wie man es daselbst noch nicht kennen wollen: ist aber, Zweifffels ohn, ein Nahverwandter Cousin mit der Frantz-Raison d’Estat«.413 Zum Autostereotyp des redlichen Teutschen gehörte, sich auf dem Felde der Politik moralisch verantwortetes Handeln zuzuschreiben, während das Heterostereotyp des »Franzmanns« in fast allen Pamphleten der 1670er Jahre sittliche Bindungslosigkeit beinhaltet. Kriege wie der Holländische waren »auf lauter Machiavellische principia gegründet«.414 Die deutschsprachige Flugschriftenliteratur goutierte das nicht als Modernitätsvorsprung, wertete als moralischen Verfall. Sogar auf säkularisierte415, ins Völkerpsychologische gewendete Schrumpfformen der im frühen 17. Jahrhundert grassierenden Denkfigur »der Gegner hält nicht Treu und Glauben« stoßen wir in dieser kriegsflankierenden Publizistik. Eine Flugschrift kolportiert, Turenne pflege zu höhnen: »Die Teutschen wären wol plumpe und einfältige Leute, daß sie eben dasselbige zuhalten begehrten, was unterschrieben, und versigelt wäre, gleich als solte die Dinten und Siegelwar über dem Willen des Menschen regieren.« Ein anderer Autor läßt Ludwig XIV. das aus der Feder fließen: »Man darff seinem Feinde Treu und Glauben nicht halten, wann man beym Bruche dessen seinen Vortheil sihet.« »Krafft« seiner »Arcana Dominationis« pflegte Ludwig »die getroffenen Fridens Tractaten ... so lange zu halten ..., als er sich solches nützlich zu seyn bedüncken läst.«416 Sogar für 412 Beim führenden prokaiserlichen Pamphletisten der Zeit, beispielsweise, schon: die »Krieges-Raison«. Vgl. Franz Paul von Lisola (»Franz von Warendorp«), Hand-Brieff an Ihr Durchl. dem Hertzogen zu Osnabrugk ... zu Eröffnung der Augen, o. O. 1674, S. 19, S. 22 (»sie werffen uns auff der Nasen ein neu-erfundenes Recht, so allen unseren Vorfahren unbekant gewesen, genennet: des Wohlstandes und Krieges Raison«), S. 37f., S. 52. 413 [Anonym], Machiavellus gallicus (unfol.). 414 [Anonym], Wohlmeynende Erinnerungen, An die sämptlichen Chur-Fürsten und Stände des Reichs, Worinnen erleutert wird, In was für grosser Gefahr das gantze Reich schwebe ..., o. O. 1673, S. 52. 415 Die Vorwürfe waren ja einst durchgehend theologisch oder doch kirchenrechtlich begründet worden: Die Protestanten verrieten Treu und Glauben, Eid und Siegel, wie sie Gott und seine Eine Kirche verraten hatten – wer von der mehr als tausendjährigen Kirche abfiel, konnte auch jederzeit von Kaiser und Reich abfallen, war eben per definitionem »ungehorsam«; Katholiken war wegen der scholastischen Notrechtsargumentation nicht zu trauen, und weil ihnen insbesondere jesuitische Autoren mit ihren Auslassungen über »fides haereticis non servanda« alle Schluplöcher vor Augen stellten. 416 Die Zitate: [anonym], Die Entdeckung Des unter dem Fuchs hervor-gläntzenden Wolffspeltzes ... Denen Herrn Schwaben zum besten vorgestellet ... von Einem rechtdeutsch-Patriotischen Medico, o. O. o. J. [1674, unfol.]; [anonym], Theses; [anonym], Wohlmeynende Erinnerungen, S. 52.

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eine (eigentlich aktuellen Nachrichten verpflichtete) Zeitung, den in Nürnberg verlegten Teutschen Kriegs-Kurier, war es wegen der »vielen an Tag liegenden Beweißthumen« so offensichtlich wie allgemein bekannt, »wie fein die Frantzosen versprochene Treu vnd Glauben halten«.417 2.2.4.3 Die Hohe Schule des Zynismus Für andere Autoren hatten »die Frantzosen« mit diesem unskrupulösen Politikstil schon den Rest Europas angesteckt. »Wo man diesen stinckenden Wiederhopffen«, nämlich die Raison d’Estat, »einmahl eingeniestelt finde, da wanderte Treu und Glauben zum Fenster hinauß daß man [sich] also keines weges auff hochbetheurte Verbündnüß und leibliche Eidschwür ... mehr verlassen kan. Man achtet alsdann keinen Abscheid, keine Vereinigung, keine ... Verbündnüß«.418 »Gleichwie die Ratio Status anjetzo in der Welt nicht allein geehret und vermehret, ja für das unwiederruffliche Gesetz gehalten wird: also gilt hin gegen die War- und Redlichkeit im geringsten nichts mehr.«419 Man konnte »heut zu Tage auff ... leibliche Eydtschwüre ... sich nicht mehr verlassen«.420 Nun geißelte man ja solche Abgefeimtheit. Man empörte sich darüber, daß »dem Betrug und Hinterlistigkeit, als löblichen Staats-Künsten zu gemeinen Verderben Thür und Thor Angel-weit auffgethan« wurden.421 Inwiefern diese Abscheu eigene moralische Maßstäbe befestigte, inwiefern das, was man subjektiv empört geißelte, tatsächlich auf das eigene Denken abfärbte, kann der moderne Leser nicht gegeneinander verrechnen. Nur selten begrüßten oder bekannten die Texte solche Lernprozesse derart offen wie diese »Wohlmeynende Erinnerungen« 417 Der Teutsche Kriegs-Kurier vom 30. Juli 1674. 418 [Anonym], Nugae-somniorum pars altera, S. 504. 419 [Anonym], Idolum Principum, Das ist: Der Regenten Abgott, den Sie heutigs Tags anbetten, und Ratio Status genennet wird ... Denen Höflingen ... vorstellig gemacht, o. O. 1678. Es ist der Eröffnungssatz des Büchleins. Der Autor spinnt dann diese Geschichte aus: Eine Stelle im »Staats-Dienste« wird frei, der Fürst examiniert diverse Günstlinge. Den ersten fragt er: »Was eines Fürsten-Rahts erst- und vornehmste Tugend sey? welcher die Gottesfurcht sagte; der Fürst aber dessen lachend, ließ ihn durch seine Räthe zum Schul-Amt befördern«. Der nächste: Er wolle dem Fürsten helfen, »nach Recht und Gerechtigkeit zu herrschen«, was dieser nur »sauer aussehend« anhören will, jetzt wird er schon unwirsch. Es bedarf keiner nähreren Ausführung, welches Zauberwort seine Miene wieder aufhellt und dem dritten zu dem Job verhilft. 420 Johann Abraham Schefer, Eröffnete Gedancken, Uber den Durchzug fremder Völcker, Durch eines andern Land und Bottmäßigkeit ..., Frankfurt 1674, S. 35. Das Zitat fällt insofern aus der Reihe, als Schefer nicht etwa allgemein über die Weltläufte klagt, sondern nüchtern diagnostiziert. Der Kontext: Schefer rät Unbeteiligten ab, Truppen der Kriegsparteien durchziehen zu lassen, und versprächen sie auch noch so fest, dabei Ordnung zu halten. 421 [Anonym], Vnpartheyisches Vrtheil Auß dem Parnasso, Uber den Neuen Friedens-Curier, Vnd dessen Vermeinten Reformierer ..., o. O. o. J., fol. Dd3.

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von 1673: Es seien – heißt es da sprachlich holprig und doch inhaltlich eindeutig –, so man mit den »Machiavellischen principia« Ludwigs XIV. konfrontiert werde, »keine bessere Kunstgrieffe denselben zu begegnen vorhanden«, als sich des ärztlichen Mottos »Contraria Contrariis curantur, similia similibus bescheidentlich zu bedienen und mit eben den Maximis, derer er sich so vortheilhafftig zugebrauchen weiß, gleichfals zubegegnen«.422 Heinz Duchhardt, ein Kenner der internationalen Beziehungen der zweiten Hälfte der Frühen Neuzeit, hat die »Stellung Frankreichs als eines Orientierungs- und Leitbild-Staatswesens« jüngst unter anderem so begründet: »Auch die hohe Schule der französischen Diplomatie mit Einschluss ihrer (oft von skrupellosen Mitteln begleiteten) Interessenvertretungen und ihres Auftretens beeindruckte die Zeitgenossen; nicht zuletzt galt das auch für den ganzen Politikstil.«423 Lernte da ein ohnehin von langwierigen Konfessionskriegen zermürbter Kontinent nicht nur französisch zu parlieren und honett zu spazieren, sondern auch die »hohe Schule« nüchtern kalkulierender, alle religiösen Bindungen abstreifender Machtpolitik? Die Probebohrung in Flugschriften der 1670er Jahre befördert schon manche Indizien dafür zutage. Warnungen vor unbedingter Friedfertigkeit kommen dem Leser nicht mehr mit Frau Iustitia, Herrgott oder Teufel, sie lenken seine Aufmerksamkeit auf den kühl kalkulierenden Nachbarn: »Equidem semper in Tesi verum manet, Pacem bello praeferendam, sed si Cuiquam cum Tali res sit, qui Paces non nisi ex utilitate aestimat, nec easdem, etiamsi perpetuae, diutius servat, quàm quamdiu commoda occasio se haud offert, infringendi easdem«, »contra talem omninò etiam cum maximis incommodis prudentius bellum continuatur, quàm infaustâ et incertâ pace componitur«.424 Aber stoßen wir nicht auch auf irritierende Gegenbefunde? Damit meine ich nicht die Beobachtung, daß Begriffe wie »gerecht« oder, seltener, »Gerechtigkeit« in zahlreichen Flugschriften weiterhin vorkommen – was hat das noch zu besagen, zumal wir ja schon wissen, daß die gelehrte Debatte über »gerechte« Kriegsgründe mittlerweile sogar den »metus ex crescente potentia vicini« als Iusta causa belli kannte! Der Konturenlosigkeit solcher Termini in den gelehrten Ausarbeitungen entspricht ihre Beiläufigkeit425 in den meisten Flugschriften. 422 [Anonym], Wohlmeynende Erinnerungen, S. 52. 423 Heinz Duchhardt, Europa am Vorabend der Moderne 1650–1800, Stuttgart 2003, S. 176. 424 [Anonym], Examen literarum svecicarum quae ... ad Proceres S. R. Imperii Ratisbonae congregatos ... missae sunt, o. O. 1675, wiederabgedr. im 30. Bd. des »Diarium Europaeum«, Appendices, S. 465–537, hier S. 520. »Es ist nicht genug, daß wir einen friedsamen Geist haben, welcher friedens-begierig sich erzeiget; unsere Nachbarn müssen auch eben von demselben Geist geleitet werden«: so (für viele vergleichbare Bemerkungen) [anonym], Gespräch über das Interesse, S. 322. 425 Fast schon auffällig, weil dem Autor immerhin einen Halbsatz wert, ist diese biblische Anspielung: Angesichts der feindseligen Haltung Schwedens ist es »nicht nöthig, daß man

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Aber eben nicht in allen von ihnen. In einer Reihe von populären Abhandlungen der ersten Jahre des Holländischen Krieges sind religiöse Gehalte keinesfalls auf routiniert weitergeschleppte Routineformeln wie »gerecht« oder »billig« eingeschrumpft. Manche Flugschriftenautoren steigerten sich durchaus in frommen Eifer und heiligen Zorn hinein. Noch konnte Konfession also parteibildend wirken. Manche offenkundig evangelische Publizisten meinten, auch aus konfessionellen Gründen die öffentliche Meinung für die von Ludwig bedrängten Holländer in Stellung bringen zu müssen. Wenn ein »Reformirter Friedens-Curirer« wahrnimmt, daß »die liebe Religion gemeiniglich muß der Staats-Mantel seyn, welchen Frau Ratio um sich hänget, damit sie fein erbar und Gottesfürchtig außsihet«, scheint diese Bemerkung nicht zu meiner Ankündigung zu passen. Immerhin könnte man zum Schluß kommen, diese illusionslose Feststellung impliziere doch, daß maßgebliche Kreise solche Drapierung offenbar für notwendig hielten, weil unverhüllte Machtpolitik nach wie vor abstieß. Die Überraschung folgt aber erst auf den Seiten danach: Derselbe Autor, der sich soeben noch über den instrumentellen Mißbrauch der »Religion« auf außenpolitischem Terrain mokiert hatte, entwickelt weitgespannte Szenarien, die dem Leser, calvinistischen Kassandrarufen der Jahrzehnte um 1600 nicht unähnlich, eine europaweite Verschwörung zur Vernichtung des Protestantismus vor Augen stellen.426 Wurde der Holländische Krieg demnach auch als Glaubenskampf wahrgenommen? Die damals führenden Zeitungen Europas behaupteten zwar entschieden, daß das je eigene Land auf der rechten Seite stehe, nämlich für die gerechte Sache kämpfe427, doch finden sich ausdrückliche Bezüge auf göttlichen Beistand oder teuflische Versuchungen nur rudimentär, zumeist recht floskelhaft: Hoffnungen, »der Allmächtige« werde die »gerechte« Sache nicht im Stich lassen, Danksagung für gewonnene Schlachten.428 schlechter Dinge der Schrifft folge, und nach einer empfangenen Ohrfeige, den andern Backen auch hinreiche, mehre zu erhalten« – so [anonym], Nugae-somniorum pars altera, S. 36. Aber sollen wir solche Bekundungen zur friedensethischen Programmatik aufbauschen? 426 Vgl. [anonym], Reformirter Friedens-Curirer, Oder Betrachtung über den unzeitigen Neuen Friedens-Curirer ..., o. O. 1674; das Zitat: fol. A2. 427 »Zentrale Argumentation in der wertenden Berichterstattung der drei Zeitungen« (die Autorin hat die Pariser »Gazette«, die »London Gazette« und den »Teutschen KriegsKurier« ausgewertet) »ist die Behauptung der gerechten Kriegführung für die eigene Partei«: so resümiert Schultheiß-Heinz, Publizistik, S. 274. Ich habe Mikrofilm-Ausgaben dieser Zeitungen, freilich mit einer viel spezielleren Fragestellung als Schultheiß-Heinz (nämlich nach Urteilen zur Neutralität fahndend), selbst durchstöbert und kann das Urteil dieser gründlichen Studie nur unterstreichen. 428 Am zurückhaltendsten ist diesbezüglich die »London Gazette«. Der Teutsche KriegsKurier kann schon einmal Frankreichs Verbündeten Schweden als »aller Christen Feind« charakterisieren (das Zitat bei Schultheiß-Heinz, Publizistik, S. 231), und gern breitet man

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Und die Vorläufer der Yellow Press? Eine Novitätensammlung von 1678 weiß, zwischen Überschriften wie »Trauer-Fälle und Selbst-Mord in Hamburg« oder »Ein Weib gebieret einen Esel«, unter der Überschrift »Unerhorte und abscheuliche Grausamkeiten der Frantzosen, welche sie umb den Anfang des 1673. Jahres in Holland verübet«: Es war »ein Heer nicht Menschen, sondern Frantzösische Teuffel außgezogen (wie sie denn, wenn arme Leute umb Gnade gebeten, geanttwortet: Sie wären keine Menschen, viel weniger Christen, sondern lebendige Teuffel)«. Im gesperrt gedruckten Schlußsatz mutiert die ›Nachricht‹ zum Gebet: »O Gerechter GOTT, wenn wirstu diese grausame Proceduren rächen, und diese Frantzösische Belials-Kinder zu gebührender Straffe ziehen!«429 Die Flugschriftenliteratur beschäftigt Pro und Contra konfessioneller Motive viel lebhafter, als unser Schulbuchwissen nahelegen würde. Wissen wir nicht alle, daß Europas »Zeitalter der Glaubenskriege« längst zuende war? Daß wir die Konfession als geschichtsmächtige Kraft abschreiben dürfen, als gelegentliche Zusatzlegitimation nicht mehr ernstnehmen müssen? Wem Ge­schichte stets sinnhafter, fortschrittlicher Prozeß ist, dessen Maß Bewegung und Steigerung seien, kurz, wer den Weltgeist mit den Mitteln des Historis­mus zum Sprechen bringen möchte, ergötzt sich lieber an »absoluti­stischer« Staatsmacht oder aufklärererischer Geistesfreiheit, hat für retardie­rende Elemente wie den fortdauernden konfessionellen Hader wenig übrig, womöglich nicht einmal einen Seitenblick, und wird so blind. Auch, wie Johannes Haller im nationalstaatlichen 19. Jahrhundert die »Deutsche Publizistik in den Jahren 1668–1674« charakterisiert hat, führt uns zunächst auf falsche Fährten. Er reiht ausführliche Paraphrasen vieler der damaligen Flugschriften aneinander, aber wie sehr er dabei die Proportionen zwischen konfessionellen und »nationalen« Argumentationsmustern430 verzeichnet – nur letztere eigneten sich eben, um der »Erbfeindschaft« eine lange Tradition herbeizuschreiben –, merkt man erst, wenn man, durch erste Irritationen erschreckt, versucht, möglichst viele Originaltexte der 1670er Jahre zu besorgen.431 Wer sie durchgelesen hat, weiß dann auch, daß die jüngst geäußerte Einschätzung Markus Bauaus, daß dort offenbar kürzlich »an einigen Orten ... der leidige Satan leibhafftig umgegangen« sei (vgl. ebda., S. 226f.; instruktiv auch ebda., S. 218f.). 429 Achatius Silberhorn, Selecta historica rariorum casuum, Das ist: Historischer Außzug, Mancherley Denckwürdiger, wie auch Seltzamer Fälle und Begebenheiten [der Jahre 1670 bis 1677] ..., o. O. 1678, S. 15–17. Französische »Teuffelsbuben« suchen auf S. 53 das Elsaß heim. Sonst dominieren ›unpolitische‹ Kuriositäten und Festivitäten – modern formuliert: »Mann beißt Hund« sowie Prominentenklatsch. 430 Also beispielsweise französische Tyrannei versus teutsche Libertät: Johannes Haller, Die Deutsche Publizistik in den Jahren 1668–1674. Ein Beitrag zur Geschichte der Raubkriege Ludwigs XIV., Heidelberg 1892. 431 Oder aber Verfilmungen der damaligen Flugschriften. Mit beidem waren mir die tüchtige Fernleihbestellung der UB Erlangen und die ThULB Jena behilflich.

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manns, in der Publizistik der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hätten »religiöse und konfessionelle Themen ... ein Schattendasein« geführt, hätten hingegen »außenpolitische« Themen dominiert432, jedenfalls für die Zeit des Holländischen Krieges mißverständlich ist: denn die außenpolitischen Argumentationszusammenhänge waren eben nicht ganz selten konfessionspolitisch durchtränkt! Für das Werk des Freiherrn von Lisola – insofern ist Baumanns hinsichtlich seines engeren Themas unbedingt zuzustimmen – gilt das, gelegentlicher pseudoreligiöser Formeln unerachtet, nicht. Für so manchen anderen Autor freilich schon. Eine ganze Reihe von Schriften zumal aus der Anfangsphase des Holländischen Krieges433 mutmaßen, Ludwig kämpfe um des katholischen Glaubens willen, bekämpfe die europäische Zentrale des Calvinismus, weshalb er katholisches Wohlwollen oder aber geschlossenen evangelischen Widerstand verdiene. Die Bandbreite solcher frommer Aufrufe ist groß. Wenn es für eine Flugschrift von 1673 »umb die Erhaltung der Religion, der Freyheit deß Gewinstes unserer Arbeit, unserer Frauen und Tochter Ehre, unsers guten Glücks und unsers Lebens« geht434, ist der Glauben in eine Wertekette eingereiht. Um nur ein Beispiel vom anderen Ende der Skala zu geben: ein »Feuer-Rother Sud-Stern« ruft zum Entlastungsangriff auf die Weltzentrale des Katholizismus auf, »Gottes Volck« muß »die Stadt Rom wie eine Hure, die verbrant soll werden, feindlich anfallen« und »abbrennen«, auf »daß die Römisch-Catholische Könige und Herren solches mit Entsetzen erfahren«.435

432 Baumanns, Lisola, S. 78. 433 Auf ihn, nicht die zeitgleichen schwedisch-preußischen Auseinandersetzungen habe ich mich konzentriert. Wegen der drastischen Wortwahl will ich aber doch wenigstens anmerkungsweise aus den »Gedancken Uber der Schweden Einfall« zitieren: Der Adel Schwedens hat dafür, daß er die Aggression der Krone nicht stopt, »Rechenschaft zugeben ... vor des Gerechten Gottes Richterstuel«. Es »kanne nicht fehlen, sie werden solche schwere Sünde und Lasterhaffte That, da sie die gantze Christenheit mit einem langwierigen Kriege zu verwirren suchen, nicht im Fegfeuer, als welches ihre Ketzerische Lehre sie nicht glauben läst, sondern in dem untersten Abgrund des Höllen unendlich büssen müssen« (fol. Ciij). 434 So der Schlußsatz dieser Schrift: [anonym], Politische Considerationes, Oder Bedencken Vber gegenwärtigen Krieg zwischen Franckreich und Holland, o. O. 1673 (ich benützte die Ausgabe in ThULB, Bud. Angl. II, q.6[36], leichter zugänglich ist der Wiederabdr. im 27. Bd. des »Diarium Europaeum«, S. 369–400). 435 [Anonym], Feuer-Rother Sud-Stern, erschienen denen ... Völckern in Europa, damit sich ihre Schiffer ... vor den Babylonischen Sirenen und Steinklippen besser, als geschehen, vorsehen ..., o. O. 1674. – Verdiente, umgekehrt, Schweden evangelische Sympathie? Ich konzentriere mich hier, wie schon in Anm. 433 erwähnt, auf publizistische Äußerungen zum westlichen Kriegsschauplatz, will aber doch wenigstens diese Einschätzung zitieren: Es gebe, allem Reichspatriotismus zum Trotz, überall genug Menschen, die »wegen der alten Schwedischen Favor ... sich zu todt schlagen liessen«; manche erklärten, »daß ohne Schweden kein Mensch in Teutschland bey der protestirenden Religion bleiben werde« –

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Selbst Texte, die dieser konfessionellen Lesart skeptisch gegenüberstehen, konzedieren doch, daß sie häufig vertreten werde. Kolportierend, »was in Teutschland von diesem Krieg gesagt werde«, setzt eine Flugschrift so ein: »In Teutschland ist die gemeyne Rede gewesen und noch, es sey der Krieg auf die Religion angesehen«.436 Eine andere mokiert sich darüber, daß Frankreichs Sympathisanten ausstreuten, »was ein jeder gern hörete« [!], nämlich, daß es um die »Fortpflanzung deß H[eiligen] Catholischen Glaubens wieder eine solche Republic« gehe, »die eine rechte Grundsuppe aller Secten und Ketzereyen wäre«.437 Offenbar wollten und konnten manche Zeitgenossen einfach nicht wahrhaben, daß Ludwigs Außenpolitik so ganz ohne theologische Orientierung auskam. Noch, wenn sie diese Politik aus konfessionellen Motiven ablehnten, malten sie sie sich insofern schön. Der Kriegsverlauf gab den Skeptikern Nahrung. Zum einen lieferte die maßvoll-kluge Politik Leopolds I. im Binnenraum des Reiches keine Anlässe für konfessionelle Erbitterung. Eine Eloge von 1678 konstatiert, die Politik der Vorgänger Leopolds sei »mehr geistlich, oder wie andere reden: pfäfflich« gewesen, die des aktuellen Reichsoberhaupts bewähre sich indes als »recht Cavalierisch, und weltlich«. »Jenes war gerichtet auff der Reichs-Ständ künfftiges Heil im Himmel ... diese auff den allgemeinen gegenwärtigen Reichs-Schutz« und aller »Sicherheit«, also auf Ruhe und Ordnung: eine in propagandistischer Absicht vorgebrachte, doch treffende Diagnose der Säkularisierung der Politikziele!438 Aber im Visier der meisten Flugschriften war und blieb Ludwig. Daß der seinen »Glaubensgenossen«, den Kurfürsten von Trier, mit »unaussprechlicher Tyranney« überzog, demonstrierte, »wohin seine Meinung die Ketzer auszurotten ziele«. Ludwig hatte sich »in Kirchen-Beraubung, Zerstörung, Zersprengung, Entheiligung deroselben«, durch »Zerstückelung der Meß-Gewänder« und viele andere Sakrilegien »als der aller-unchristlichste, ja gar Atheistisch erwiesen«, war für einen »Heydnischen Tyrannen« zu halten.439 Autoren, die die allgemeine »Furcht wegen des Religion-Kriegs« geteilt hätten, seien nun desavouiert.440 Wie

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das kolportiert [anonym], Des in der Welt zum Vierdtenmal verschikten und verkleideten Götter-Bothens Mercurii, abgestattete Erzehlung ..., o. O. 1675 (unpag.) [Anonym], Neuer Friedens-Curier ins Teutsche übersetzet ..., o. O. 1673, fol. Aij. [Anonym], Considerationes politicae de praesenti statu Europae sive causis imminentium bellorum ..., Frankfurt 1672, S. 18. Es dürfte sich um eine offiziöse kurmainzische Arbeit (aus der Feder Boineburgs?) handeln. Die Konfessionspolitik Leopolds in seinen Erblanden steht auf einem anderen Blatt! – Ich zitierte aus [anonym], Kurtzer Entwurff des Hoch-Ertz-Hertzogischen Hauß Oesterreichs heutigen Reichs-Politic, o. O. 1678, fol. Aj und fol. Aiiij. [Anonym], Die bereits Fehl-gebohrne und Geruch-verlohrne Lilie, o. O. 1674 (unpag.). Beispielsweise ›rezensiert‹ in diesem Sinne das »Vnpartheyische Vrtheil Auß dem Parnasso« die Ansichten des »Neuen Friedens-Curirers«. Vgl. auch [anonym], Nugae-somniorum part altera, S. 36 u. ö.

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hatte man es Ludwig nur glauben können? »Was seynd dieses für Catholische Aposteln, welche mit einem Eh-Weib nicht vergnügt seynd, sondern ... unterschiedliche Kebs-Weiber, welche theils andern Ehemännern zugehören, darneben haben«?441 Während die einen so schäumten, resümierten andere lakonisch: »Der Frantzosen Zwek ist das Geld nicht die Religion«.442 Offenkundig bemächtigten sich profranzösische Ausarbeitungen konfessioneller Argumentationszusammenhänge taktisch. Sie bedienten damit spezifische Erwartungen bestimmter Adressaten. Tatsächlich – diese Einschätzung gewann nach spätestens drei Kriegsjahren die Lufthoheit über den Schreibpulten – war es Schönfärberei. Der »Religions-Praetext« gehörte »mit in die Zahl der Larven, unter welchen Franckreich der gantzen Welt eine blutige Masqverade zu bringen suchet«443, war ein Vorwand, den die französische »Ehrsucht ... erstlich zum Deckmantel« nahm.444 Frankreichfreundliche Autoren holten »den Religions-Mantel«445 aus machtpolitischen Gründen wieder einmal aus dem Arsenal kriegslegitimierender Versatzstücke, machten »die Religion zum Deckmantel der Regiersucht«446, »denn die liebe Religion muß gemeiniglich der Status Mantel sein, welchen Frau Ratio umb sich hänget«.447 Eine Flugschrift läßt den Sonnenkönig adressatenspezifisch so dozieren: »Dem Pabste und andern Bischöffen wollen wir zu erkennen geben, was vor ein grosser Vortheil dem Römischen Stuhle und der Päbstlichen Religion durch die Eroberung dieser Lande, die der rechte Armb der Reformirten Religion sind, werde können zuwachsen«.448 Wurden sogar solche Ratschläge an die Adresse der Kurie gleichsam augenzwinkernd

441 [Anonym], Teutsch-Lands Klag-Straff- und Ermahnungs-Rede ..., o. O. 1673 (nicht durchgehend pag.). 442 [Anonym], Frantzösische Tyrannei, Das ist: Vmbständlich-warhaffte Erzehlung, der bißher verborgenen unmenschlichen Grausamkeiten, so durch die Frantzosen in denen Niederlanden Zeithero verübet worden ..., o. O. 1674, Marginalie auf S. 81. 443 [Anonym], Machiavellus gallicus (unpag.). 444 So [anonym], Der Abgezogene Frantzösische Staats-Rock, und Teutsche Schutzmantel ... von Anonymo Wahrmund, o. O. 1675 (unpag.); der Autor thematisiert wiederholt ausführlich, ob »das Frantzösische Vornehmen ein Absehen auf die Religion hätte«, kommt schließlich zur oben zitierten Conclusio. 445 [Anonym], Eröffnete Frantzösische geheime Raths-Stube, Worinnen die Consilia über jetzigen Zustand zusammen getragen worden ..., o. O. 1673, fol. Fiiij: die konfessionelle Spaltung des Reiches schwächt Habsburgs Autorität, »darum muß man den ReligionsMantel, der diesem Hause so grossen Schaden gebracht, wieder herfür suchen«. 446 [Anonym], Ein Send-Schreiben, Welches Sincerus Germanicus An Ludovicum Seldenum abgehen lassen ..., o. O. o. J. (unpag.): »Es ist nunmehr nichts neues, daß man die Religion zum Deckmantel der Regiersucht, und den Nahmen GOttes durch eine schändliche Entheiligunge, zum Kunstgriffe die Herrschaft zu erweitern mißbrauchet«. 447 [Anonym], Anmerckungen über den Unzeitigen Friedens Curirer, fol. Aiij. 448 [Anonym], Theses (unpag.).

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vorgetragen? Wenn eine fingierte »Epistola« Ludwigs an Papst Clemens IX.449 ersteren offen mit seinem instrumentellen Zugriff auf konfessionspolitische Versatzstücke (»apud Catholicos publicamus, Nos velle haereticos extirpare«) prahlen läßt, unterstellt das der Kurie schon, für dieses doppelbödige Spiel anfällig oder doch jedenfalls ansprechbar zu sein. Wir sind der Denkfigur »der Gegner mißbraucht die Religion als Deckmantel für profane Ziele« schon im Dreißigjährigen Krieg begegnet450 (und gänzlich neu war der Vorwurf übrigens schon damals nicht gewesen451). Forcierten solche Kriegserfahrungen die »Formalisierung und Säkularisierung« des Krieges? Mußte, wer sich über den instrumentellen Umgang mit Normen und Werten ereiferte, nicht doch dieses windungsreiche Denken innerlich nachvollziehen? Mußte eine werteorientierte Politik nicht dem Grundvertrauen aufruhen, daß die Mitakteure ebenfalls gewisse Normen verläßlich akzeptierten? Mußte die Desillusionierung über die Maximen der französischen Politik nicht, Empörung hin, Emphase her, auch das eigene Denken korrumpieren, zynischer machen? 449 Sie ist in ThULB Jena Gall. II q.28 an ein »Manifest Deß Aller-Christlichen Königs in Franckreich« von 1672 gebunden, paßt hierzu aber schon von den Drucktypen her nicht. Es wird ein lateinischer Text mit deutscher Übersetzung geboten. Letztere bietet in anderer Orthographie auch diese Schrift: [Anonym], Von der allgemeinen Monarchie Uber die Gantze Welt ..., o. O. 1673. 450 Vgl. oben S. 205f.; ferner, speziell zu den Anfangsjahren des Dreißigjährigen Krieges, unten S. 311 und S. 313 mit Anm. 89. 451 Einem erhaltenen »Memorial« zufolge prophezeite der neuburgische Pfalzgraf Ottheinrich im Dezember 1539 in München, im Zuge seiner Werbungen für eine überkonfessionelle Allianz im Zeichen der »teutschen libertät«, Karl V. werde spanische Truppen ins Reich führen, es drohe »ein Krieg in Teutschland, darin die Religion ein Deckmantel sein müßte«. Abdr. des »Memorials«: Max Lenz (Hg.), Briefwechsel Landgraf Philipp’s des Großmüthigen von Hessen mit Bucer, Bd. 1, Leipzig 1880, Anhang III Nr. 6. – Dann betonte Karl V. im Vorfeld des Schmalkaldischen Krieges, die Gegenseite mißbrauche die »religion ... zu ainem teckmantel und beschönung ires unpillichen furnemens«, vollbringe ihre Schandtaten »under solchem schein der religion«: Karl V. an den Magistrat der Reichsstadt Ulm, 1546, Juni 17, RTA, Bd. 17, Nr. 80. Die auf den 20. Juli zurückdatierte kaiserliche Achtserklärung (ebda., Nr. 115) nimmt die Sprachregelung auf: »am allerbeschwerlichisten« ist, daß die zu Ächtenden »solches alles des mererntails allain undter dem berüembten und verwendten lieblichen, anmüetigen schein der religion« anstellen, diese zum »teckenmantel aller irer geschwinden, ungetreuen und unrechtmessigen handlungen fürwenden«. Hingegen wußte Heinrich II. von Frankreich in einem »Libertas« überschriebenen Manifest vom 3. Februar 1552, daß Karl »vnder dem schein, die Religion zuuergleichen«, tatsächlich »Tyrannei vnd Seruitut«, »ewige Dienstbarkeyt vnd verderben« für die Deutschen wollte. Auszüge des Manifests gibt Fritz Dickmann (Bearb.), Geschichte in Quellen, Bd. 3, München 1966, S. 199–203. – Eine als Politisches Testament Karls V. lesbare Passage seiner Instruktion für die Emissäre am Reichstag von 1555 mahnt die Deutschen, »das sy auch in sonderhait die religion nit zuewider under dem mantel anderer irer handlung mißbrauchen, noch under dem schein und mittel derselben ir vorhaben durchtringen, oder darunder iren aigennutz oder vorthail« suchten: RTA, Bd. 20, Nr. 26 (hier S. 268).

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2.2.4.4 Auch die Memoria wird entkonfessionalisiert Sogar einen dritten Boden zieht der »Niderländische Starnstecher« 1675 ein – die angebliche Übersetzung eines französischen Traktats, das die vermeintlichen Weltherrschaftspläne der Spanier geißle und damit unfreiwillig den eigenen Politikstil enthülle, weil »in der Warheit ... ein jeder unpartheischer ... augenscheinlich abnehmen« könne, »wie sie durch diese Schrifft Ihr eigenes Ebenbild abgemahlt«. »Zu Besteigung der ersten Staffel umb zu dieser Monarchie«, modern gesprochen: zur Hegemonie »zugelangen gebrauchte man sich« – so die fingierte französische Empörung – »des Deckmantels der Religion; unter dieser Larven, gleich unter dem Gesichte des Schaafes, verbarge man im Hertzen den Wolff«: die Unterstellung des instrumentellen Umgangs mit den religiösen Loyalitäten anderer, hier an die Adresse der Spanier gerichtet, deren Pläne diese Flugschrift des Französischen Zeitalters aber tatsächlich gar nicht mehr interessieren – doppelte Maskerade! Natürlich fehlt auch die notorische »Brechung der Tractaten, und Nichthaltung der fest452 verbundenen Friedens-Vereinigungen« nicht, »der gantzen Christenheit wird mehr als zu viel bewust seyn, welcher Gestalt ein von den Spaniern gemachtes Gesetz am heiligsten gehalten wird, wenn es übertreten und gebrochen umbgestossen lieget.« Die Schrift unterstellt all das, wie gesagt, eigentlich Frankreich, läßt es aber einen Franzosen an die Leitmacht der vorangehenden Epoche, des Konfessionellen Zeitalters, adressieren. Der angebliche Übersetzer des Texts springt dem vorgeblichen französischen Kollegen bei, illustriert den instrumentellen Umgang spanischer Politiker mit der Konfession durch lang zurückliegende Ereignisse, die wir heute der Reformationszeit (»warum haben sie das Interim, so denen Priestern das Heyrathen gestattet, auf die Bahn gebracht?«) oder dem Konfessionellen Zeitalter subsumieren. Damit aber verliert die aktuelle Abgefeimtheit der französischen Politik ihre historische Exklusivität.

452 Die Flugschrift schreibt »fast«. – [Anonym], Niderländischer Starnstecher, Oder, Der aus den Frantzösischen Augen in denen Spanischen vermeindt gestochene Balcken ..., Aus dem Frantzösischen gezogen, o. O. 1675, die Zitate: S. 27; S. 7; S. 11; S. 12f. – Um dieses raffinierte mehrbödige Spiel noch mit einer viel simpleren, doch rhetorisch ebenfalls wirkungsvollen Suada zu kontrastieren: [Anonym], Der Wind gehet nuhn aus einem Andern Loche ..., »aufm Parnasso« 1676, fol. D4 deklamiert, im Hinblick auf den Holländischen Krieg (und auf die traditionelle Selbstbezeichnung der französischen Könige als »Allerchristlichste« anspielend): »Ludewig der Allerchristlichste hat ...sich aller Welt nicht allein wollen bekandt machen, sondern (wenn wirs nach dem Außgang rechnen) auch dem Caligula noch zuvor thun ... Ein Allerchristlichster König solte ja ... wünschen, daß seines Königreiches Einwohner und Unterthanen sich über ihn und seiner Regierung erfreuen könten und möchten, allein O Jammer und Noth! So hat nicht allein dieser Allerchristlichste sein gantzes Königreich ausgesogen«, sondern halb Europa in Verzweiflung und Elend gestürzt (Kursivsetzungen von mir).

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War Religion demnach schon immer nur »Deckmantel« der Macht gewesen? So verallgemeinerten manche Zeitgenossen Erfahrungen dieser desillusionierten Dekade zur universalhistorischen Konstante. »Welchen Krieg[,] er mag auch aus so Gottlosen Ursachen entstanden seyn, als es immer seyn kan, hat man nicht mit den schönen Färblein geschmincket, daß er angesehen seye zu Beförderung der Göttlichen Ehre, zu Fortpflantzung deß rechten und wahren Gottesdienstes«?453 Die Annahme, daß das Denken derer, die französischen Zynismus geißelten, notwendig, im gedanklichen und rhetorischen Nachvollzug jener Winkelzüge, die man deklamatorisch verabscheute, zynischer wurde: Sie läßt sich nicht strikt beweisen, nicht exakt gewichten, ist indes plausibel. Durch diesen Wahrnehmungsfilter konnte offensichtlich der Rückblick auf den großen deutschen Konfessionskrieg gleichsam säkularisiert werden. Eine Flugschrift unkt, »wir seyn jetzo in einem viel gefährlichern Zustande, als in dem 30jährigen Kriege begriffen: Denn, an statt man damals, unter dem Deckel der Religion, sich nur umb ein kleines eintzel interesse das Haar zausete, so gilt es jetzo das Teutsche Kayserthum«.454 Eine andere Flugschrift geht sogar bis zum Schmalkaldischen Krieg zurück, bereits damals sei »der Kayser unterm pretext des Glaubens die Teutsche Libertet zu supprimiren willens« gewesen.455 Was sich auch nicht exakt gegeneinander verrechnen läßt: Inwiefern hat schon die Wandlung des großen deutschen Konfessionskriegs zum europäischen Hegemonialkampf in den 1630er Jahren, als so viel religiöse Inbrunst auf beiden Seiten einfach zu verpuffen schien456, das Denken über Krieg und Frieden säkularisiert, inwiefern wurde die Rückerinnerung an den großen deutschen Konfessionskrieg durch Erfahrungen mit dem zynischen Politikstil Ludwigs nachträglich entkonfessionalisiert? Hatten nicht die Schwedischen seit 1630 »die Evangelische Religion beschützet?« Diese Frage einer antischwedischen Flugschrift von 1678 entpuppt sich schließlich – wenig überraschend – als eine rhetorische, denn »es sey[n] nunmehr allzubekante Schein-Ursachen und DeckMantel gewesen die Schwedische Begierden nach frembde Länder und Güter 453 [Anonym], Der Geropffte Hahn, S. 3. 454 [Anonym], Nachdenckliches Gespräch Auff den ietzigen Zustand im Heil. Römischen Reich absonderlich aber auff dessen Freyheit gerichtet ..., o. O. 1673 (Kursivsetzung von mir). Es handelt sich um den fingierten Dialog zwischen »Freyhold« und »Friedlieb«, hier spricht ersterer. 455 [Anonym], Widerlegung Eines Büchleins, so den andern Tag May dises 1674. Jahrs zu Handen kommen. Dessen Titul ist: Wahrer Bericht Von der Holländern Religion ..., o. O. 1674, S. 33 (Kursivsetzung von mir). 456 Ich erinnere in chiffrenhafter Verkürzung: endlich scheinen die seit Generationen mit nicht nachlassendem Ingrimm postulierten katholischen Lesarten des Religionsfriedens umgesetzt werden zu können (Restitutionsedikt) – was indes der Kriegseintritt Schwedens vereitelt; endlich hat auch die evangelische Seite eine charismatische Führungsfigur – da fällt Gustav Adolf.

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darunter zu verbergen«.457 Drei Jahre zuvor versuchte ein Pamphletist so, die Memoria gegen Ludwigs aktuellen Verbündeten Schweden zu mobilisieren: »Ein jeder wird mir entgegen schreyen, haben sie«, die Schwedischen, »sich nicht unser in Teutschland angenommen? seynd sie nicht diejenigen gewesen, so uns unsere Gewissens-Freyheit erhalten, und endlichen einen beständigen Frieden dem schier zu Grunde gerichteten Teutschlande zuwege gebracht haben? Freylich, ich muß gestehen, sie haben im Anfange das Ihrige trefflich gethan, aber was ist uns hernacher unter dem Schein der Religion anderst geblieben, als die Verlierung der Region? ... Die Religion haben sie in Acht genommen, aber alsdann erst, da ihre Satisfaction458 und eigene Interesse vorhero bevestiget war.« 2.2.4.5 Resümee und Ausblicke Das Wortspiel »Region statt Religion« begegnet in der Publizistik dieser Jahre auch sonst. Neu ist es nicht, gelegentlich stoßen wir schon in der Pamphletistik des Konfessionellen Zeitalters darauf459, häufiger aber nach 1670. Daß frankreichfreundliche Stimmen »aus diesem Krieg Bellum Sacrum machen und der Welt vorbilden wollen«, sei »das Allerlächeriste«, tatsächlich habe sich »nur gewiesen, quod petatur Regio, non Religio«460: so eine Flugschrift von 1675. Eine 457 Weshalb »des Cantzler Ochsenstirns Geist in der Hölle« schmore – bewundert also wird solche Abgefeimtheit nicht, jedenfalls nicht nach außen hin: [anonym], Kurtzer Entwurff der Rechtmässigen Waffen Und Glücklichen Thaten Des Durchlauchtigsten Chur-Fürsten von Brandenburg, Bey den bisherigen Europäischen Verwirrungen, o. O. 1678, S. 50. Ausdrücklich geht die hier gut informierte Schrift darauf ein, daß die schwedischen Truppen nach 1630 besonders evangelische Gebiete gedrückt hätten, wohingegen Bayern doch recht gut durch den Krieg gekommen sei. 458 Meint: Priorität territorialer Ansprüche (sie erhob man seit den Tagen Gustav Adolfs mit der Begründung, »satisfactio« für sein militärisches Engagement zu verdienen) vor den konfessionellen Anliegen der evangelischen Verbündeten im Reich. – [Anonym], Nugaesomniorum pars altera, S. 36 (Kursivsetzung von mir). 459 Eine gewisse Häufung fiel mir in den Jahren 1619/20 auf, vgl. auch unten Kapitel B.3 passim. Danach stieß ich – freilich ist gleichsam flächendeckende Lektüre ja nicht realisierbar! – erst wieder in einer 1627 verlegten Schrift darauf: [anonym], Von jetzigen Kriege. Die im Titel »von einem alten redlichen Teutschen, deme die vhralte Freyheit deß Teutschen VatterLands nicht weniger, als die Religion selbsten hoch angelegen ist«, aufgeworfene Frage, »ob dieser Krieg ein Regions, oder ReligionsKrieg sey?«, wird auf fol. Biiij mit einem entschiedenen Sowohl-als auch beantwortet: »Das ist aber gewiß, vnd bleibet gewiß, daß die Papisten die Religion suchen, vnd damit auch die Region.« Sie werden »das Land mit Catholischen Pfaffen vnd AmptLeuten besetzen, so haben sie die Religion vnd die Region nach jhrem Wunsch vnd begehren«. Über 90 Prozent des Texts sind aber dem ›Nachweis‹ gewidmet, daß die »Papisten« einen »Religionskrieg« führten. »Freyheit« war damals eben kein alternatives Deutungsmodell, es ging um die »Religionsfreiheit«! 460 [Anonym], Der Abgesandte Mercurius, In das Heil. Römische Reich. Herausgegeben durch Libertinum Statistam, o. O. 1675, S. 21.

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andere erinnert daran, »daß öfters unter den Deckmantel der Religion die Region gesuchet worden«.461 »Der Effectus gibts, daß man mehrers die Region, als die Religion meyne«462, »dahero der Krieg nicht Religions-, sondern Regions-Krieg, billich kan genennet werden«.463 Konsequent ist der zuletzt zitierte unbekannte Autor nicht, denn an anderer Stelle ermahnt er »die Schweitzer« (eigentlich kann er schwerlich die katholischen Kantone mitmeinen!), bei der Bestimmung ihres Verhältnisses zu den bedrängten Holländern »das Band der Religion nicht bey Seyten zu lassen«. Wie sich im damaligen Diskurs ältere und neuere Schichten ineinanderschoben, zeigt die Kommentierung des ebenfalls anonymen Herausgebers und Glossators der Schrift, der die beiden letzten Zitate zugehören: »Ich aber bin der Meynung, daß gedachter Krieg, weder Religions- noch RegionsKrieg zu achten, sondern ein rechte Straff und Geysel Gottes«, »daß gegenwärtiger Krieg ein Straff von GOtt seye, die Spanier vnd Holländer zu geyßlen«.464 Die alten Denkkategorien und Diskursformationen waren zählebig. Wenn wir den Holländischen Krieg kommentierende Flugschriften mit der Publizistik der Jahre um 1620 oder 1630 vergleichen, dürfen wir schon eine Formalisierung und Ent-Ethisierung des Kriegsbegriffs konstatieren, aber diese Trendangabe ist zugespitzt. Auf einen kleinen Ausschnitt des großen Diskursfeldes »Krieg und Frieden« einschwenkend, werden wir in Kapitel C.2.1.6 auf viel prägnantere Befunde stoßen. Beim lang genug aufreizenden Thema »neutralitet« wird Beiläufigkeit möglich, auch Multiperspektivität. An die Stelle wuchtiger Verdammungsurteile treten Nuancen und Schattierungen. Damit ist die politische Option noch nicht über jeden Zweifel erhaben, aber geradewegs in die Fänge »des Teuffels« 461 [Anonym], Der Abgezogene Frantzösische Staats-Rock (unpag.). 462 [Anonym], Klag-Straff- und Ermahnungs-Rede (nicht durchgehend pag.). – Über Frankreichs nordeuropäischen Verbündeten urteilt »Sixtigrillius Borris, Leib-Medicus der Interessirten«, Ein köstlich und trefflich Probat-Mittel für den Frantzösischen Schnuppen, Womit bey nahe gantz Teutschland angestecket ..., o. O. o. J. (unpag.): Das Wüten der Truppen zeigt, »wie wenig Schweden von der Religion, aber wol sehr viel von der Region halte«. 463 [Anonym], Von der Holländern Religion, S. 1. 464 Ebda., S. 30 bzw. S. 3 bzw. S. 5. (Die Schrift buchstabiert tatsächlich mal »und«, mal »vnd«.) Ähnlich diffus ist der Befund beispielsweise auch bei [anonym], Wohlgemeinter und nicht weniger curieuser Discours Worinnen endlich nichts, als alleinig Die liebe Warheit Sincerität und Discretion solle Platz haben ..., o. O. [1673], S. 7 – im Dialog zwischen dem bigotten Petrus und dem vernünftigen Paulus stellt letzterer klar: Ludwig selbst will doch, außer in Rom, gar nicht den Anschein erwecken, »daß dieses Wesen vor ein Religions- sondern alleine vor ein Regions-Krieg solle auffgenommen werden«. Freilich ist auch die Rede von »Paulus« über Krieg und Frieden noch nicht gänzlich ›säkularisiert‹, so mahnt er beispielsweise, es sei »unbedachtsamer Weise« geurteilt, »daß man durch einen unrechtmässigen Krieg licitè wol könne die Religion suchen zu restabliren«, die das propagierten, machten »die Religion desto verhaßter« – eine klare Absage an jegliche Form von Glaubenskrieg ist das nicht.

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führt sie nicht mehr. Diesen aufschlußreichen Indikator für Wandlungen des Kriegsbegriffs also werden wir noch kennenlernen. Auf die letzten Seiten zurückblickend, müssen wir aber konzedieren: Griffig, gar einförmig waren unsere Befunde in politiknaher Publizistik der 1670er Jahre nicht. Formalisierung, Ent-Ethisierung? Übertreiben dürfen wir auch aus anderen Gründen465 nicht. Der als einziger »Großer« unter den deutschen Kurfürsten in die Geschichte eingehen wird, trieb notorische Schaukelpolitik zwischen dem Reich und jenem linksrheinischen Staatswesen, das da schon drauf und dran war, von der Schutzmacht »teutscher Libertät« zum Erbfeind »deutscher Nation« zu mutieren – ehe dann das Edikt von Fontainebleau den Allerchristlichsten König für Berlin bündnisunfähig machte. Noch wog konfessionelle Solidarität mehr als nationale. Das konfessionelle Moment verschwand mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges nicht abrupt von der Agenda kontinentaler Außenpolitik – was viele Schlaglichter illustrieren könnten.466 465 Anmerkungsweise will ich noch diesen Zufallsfund erwähnen: An der eidgenössischen Tagsatzung vom 3. Mai 1674 bat der holländische Gesandte Malapert, die Eidgenossen sollten doch »justae causae favere, transitum in memoratam provinciam pacem quaerentibus minime procludere ...« – Johann Adam Pupikofer/Jakob Kaiser (Hgg.), Amtliche Sammlung der älteren Eidgenössischen Abschiede, Bd. 6.1.1, Frauenfeld 1867, Nr. 587h. Ebda., Nr. 593k zufolge wandte sich zwei Monate später der spanische Diplomat Casati in einem Schreiben an die Jahresrechnungs-Tagsatzung zu Baden gegen eidgenössische Tendenzen, in einem »ungerechten Krieg« Partei zu ergreifen. Nun war das wohl floskelhaft, sicher würde man bei systematischer Suche viele solche Reliktfloskeln in den Akten finden. Ich habe die Akten dieser Jahre nicht gleichsam flächendeckend auf Erwähnungen des Bellum iustum hin durchsucht. 466 Ich füge nur diese drei anmerkungsweise bei: Als Polen-Litauen im Ersten Nordischen Krieg auseinanderbrach und sich König Johann Kasimir in einer äußerst prekären Lage befand, reagierte er 1656 durch die Lemberger Gelübde: Das Marienpatronat sollte dem Krieg eine Wendung geben. In einer Münchner Masterarbeit über »Die Ursprünge des polnischen Marienpatronats« arbeitete Damien Tricoire heraus, daß man dieses Marienpatronat zunächst gar nicht propagandistisch nutzte, es sollte keine weltlichen Verbündeten mobilisieren, sondern himmlichen Beistand eintragen: Die Entscheidungsträger interpretierten das Ringen also religiös. Ich danke Herrn Tricoire für seine mündlichen Auskünfte über diese Studie. – Jüngst wurde sogar fraglich, ob die englisch-holländischen Seekriege der 1650er und 1660er Jahre als vermeintliche (so glaubten wir bislang zu wissen) Kriege um Kommerz und Prestige die Ouvertüre zu einem neuen, gründlich säkularisierten Zeitalter der Kriegführung gaben, denn neue Recherchen führten zu »a radical reinterpretation that emphasizes ideological issues«: Black, Why wars happen, S. 60, mit den Literaturhinweisen in Anm. 19. – Wäre hier Vollständigkeit überhaupt intendiert, müßte ich drittens, und zwar ausführlich, auf die englischen Bürgerkriege des 17. Jahrhunderts eingehen: innere Kriege, zu deren Motiven neben verfassungsrechtlichen, ökonomischen und sozialen Gegensätzen auch, und wohl in wachsendem Ausmaß, religiöse gehörten. Aus dem Kampf für »right and liberties« wurde zunehmend einer für den wahren Glauben, und die nordamerikanischen Siedlungskolonien füllten sich mit englischen Glaubensflüchtlingen.

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Formalisierung, Ent-Ethisierung? Allzu kräftig dürfen wir die Konturen auch wieder nicht ziehen. Sogar hinter den Kulissen scheinen konfessionsspezifische Vorurteile (wie wir das heute nennen würden) weiterhin ihre Rolle gespielt zu haben – leider gibt es dazu keinen Forschungsstand, wir sind auf Einzelfunde angewiesen. Im Vorfeld des kaiserlich-holländischen Bündnisses wurden an der Hofburg erhebliche Zweifel auch konfessioneller Natur geäußert, »Foedera cum Calvinistis et inimicis dei haben selten ein bestandt«467, zumal solchen Feinden Gottes eben »keine Treue Und kein Glauben«468 eigen seien. In einem Schreiben an seinen Vizekanzler Theodor Heinrich Altet von Stratman, der gerade zwischen Ludwig sowie seinen Kriegsgegnern in Den Haag und Wien zu vermitteln versuchte469, sah Pfalzgraf Philipp Wilhelm unter den Friedenshemmnissen ein Übermaß konfessionellen Eifers. Er malte das Szenario einer Niederwerfung Hollands durch Europas katholische Monarchen an die Wand – sie seien von der Aussicht berauscht, daß auf diesem Wege »Europa under Cattollischen geteilet, heresis unkrefftig gemacht, und Gottes Ehr (dahin der haupt scopus dirigirt werden mues) befurderet« werden könne. Auch Stratman selbst spielte in Paris die konfessionelle Melodie, natürlich eine andere. So malte er »die Gefahr« aus, »darin« wegen des Schulterschlusses mit den von Ludwig bedrohten Holländern, der entsprechenden Übergriffe französischer Truppen auf Reichsgebiet »das teutsche Ertshaus[,] das Reich und welches billich vor und uber alles denen catholischen potentaten zu hertsen gehen soll die Religion stecke«. Ludwig müsse sich konziliant zeigen, Friedensbereitschaft herauskehren, andernfalls sei nämlich zu befürchten, daß am Ende »die Evangelici so wol beim krieg als dem friden den maister spielen«. Noch in der Abschiedsaudienz bei Ludwig hieß es, den konfessionellen mit dem bei diesem Monarchen nie verkehrten Ehrdiskurs mischend: Es »seie allenfals sehr glorios in Prosperis sich zu moderiren pevorab ad totius Christianitatis et periclitantis imprimis Catholicae ecclesiae« Heil; jetzt dem Frieden geneigt zu sein, werde »ein glorieuse passage in der historie seines lebens sein wie viel da mehr ietzo tanto Christianitatis et rei catholicae bono«. Ludwig scheint sich allen Ernstes 467 So urteilte Hofkanzler Hocher in einem Gutachten für Leopold I. vom 26. Juni 1673, zit. nach Helmut Gabel/ Volker Jarren, Kaufleute und Fürsten. Außenpolitik und politisch-kulturelle Perzeption im Spiegel niederländisch-deutscher Beziehungen 1648–1748, Münster u. a. 1998, S. 184. »Rebellion und Religion sind die zentralen Negativ-Begriffe« bei dieser Debatte: ebda., S. 187. 468 So ein Votum der kaiserlichen Räte am 23. Mai 1672, zit. ebda., S. 182. 469 Die äußeren Abläufe: Hans Schmidt, Die Friedensmission des neuburgischen Vizekanzlers Theodor Altet Heinrich von Stratmann in Paris im Winter und Frühjahr 1675. Zur Vorgeschichte des Friedens von Nymwegen, in: Francia 2 (1974), S. 234–294. Der Aufsatz geht bezeichnenderweise auf die konfessionellen Motive mit keinem Wort ein: Nach dem Ende des »Zeitalters der Glaubenskriege« scheint derartiges eben schlagartig nicht mehr relevant, nicht einmal mehr bemerkenswert zu sein.

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etwas davon versprochen zu haben, auf den konfessionellen Duktus Stratmans einzugehen, jedenfalls ließ er durch Pomponne erklären, er wolle die »in gefahr stehende religion salviren« – nur anders, als das der Neuburger gemeint hatte: denn wenn der Kampf gegen die Holländer weitergehe, »so mochte noch ein grosseres guht daraus der religion entstehen und die prophetien endtlich erfüllet werden«.470 Wir merkten es in diesem wie den vorangehenden Kapiteln, von gelehrten und populären Abhandlungen zur Kriegspraxis (bzw. ihrem Niederschlag in Akten) weiterschreitend, zuletzt auch wieder Flugschriften in den Blick nehmend: Die Beharrungskraft fromm klingender rhetorischer Versatzstücke war in allen Diskurszusammenhängen und auf allen Stilebenen groß. Es ist überraschend schwierig, je und je den Punkt zu bestimmen, an dem sich ernsthafte (ob reflektierte oder internalisierte) konzeptionelle Überzeugungen zum gewohnheitsmäßig weitertradierten Gerede banalisieren bzw. an dem sie in zynische Instrumentalisierung umschlagen. Auch der Ausblick ins 18. Jahrhundert beschert vorerst vor allem Fragen. Hat sich das Feuer religiöser Begeisterung in der Ära der »Glaubenskämpfe« nachhaltig verzehrt, oder spie die Glut weiterhin jedenfalls hie und da ihre Funken aus? Die Reichspolitik des ausgehenden 17. wie des 18. Jahrhunderts erfuhr mehrere Rekonfessionalisierungsschübe, aber weil dem auf der Motivationsebene nie mehr ein Konfessionskrieg erwuchs, brauchen wir den konfessionellen Überformungen des Kampfs der evangelischen Potentiores für mehr Libertät, dann auch des preußisch-österreichischen Dualismus471 hier nicht nachzugehen. Johannes Burkhardt hat einmal zusammengestellt, wo und wann religiöse Affinitäten noch im 18. Jahrhundert um Krieg und Frieden kreisende Entscheidungen der großen Politik beeinflußten472; Jeremy Black wies auf alltagsgeschichtliche, künstlerische und publizistische Befunde hin, so sahen selbst die führenden Zeitungen Großbritanniens noch im 18. Jahrhundert »frequently ... Providence at work in the 470 Die Zitate: Philipp Wilhelm an Stratman, 1673, April 7 (Or.; also wohl nicht abgeschickt?); Stratman an Philipp Wilhelm, 1675, März 16 (Or.); Stratman an Philipp Wilhelm, 1675, Mai 11 (Or.); Relation Stratmans vom 19. März 1675 (Or.): BayHStA Kasten blau 7/21. 471 Die meisten jener Potentiores, denen das Reich zunehmend vom Schutzverband zur Fessel wurde, waren evangelisch, und das politische System bot Anreize, die spezifischen Anliegen dieser Potentiores als konfessionelle vorzutragen, beispielsweise, weil sie dann am Reichstag nicht von den vielen geistlichen Stimmen majorisiert werden konnten – dieser komplexe Sachverhalt läßt sich hier kaum andeuten. Und der preußisch-österreichische Dualismus? Friedrich II. war gewiß nicht kirchenfromm, aber es gelang ihm immer wieder, evangelische Sympathien zu mobilisieren. Auch das muß hier in äußerster Vereinfachung so stehenbleiben. 472 Vgl. Johannes Burkhardt, Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: Zeitschrift für historische Forschung 24 (1997), S. 553f.

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war«.473 Analytiker moderner Kriege warnen davor, »die Rolle religiöser Überzeugungen und ethnischer Zugehörigkeit für die Gewaltanfälligkeit internationaler Beziehungen pauschal zu verwerfen«474; Errol A. Henderson unterstrich vor einiger Zeit, daß Beziehungen zwischen Staaten, die mehrheitlich den gleichen Glauben teilten, deutlich weniger gewaltanfällig seien als der globale Durchschnitt475, von der anderen Seite her glaubte Peter Billing, statistisch signifikant herausarbeiten zu können, daß Konflikte eher eskalierten, wenn die widerstreitenden Parteien unterschiedlichen Glaubensbekenntnissen anhingen476 – Positionen, die schon vor dem 11. November 2001 bezogen wurden.

473 Black, Why wars happen, S. 91f. 474 Andreas Hasenclever, Sie bewegt sich doch. Neue Erkenntnisse und Trends in der quantitativen Kriegsursachenforschung, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 9 (2002), S. 344. 475 Vgl. Errol A. Henderson, Culture of Contiguity: Ethnic Conflict, the Similarity of States, and the Onset of War, 1820–1989, in: Journal of Conflict Resolution 41 (1996), S. 649ff. 476 Vgl. Peter Billing, Eskalation und Deeskalation internationaler Konflikte, Frankfurt 1992, vor allem S. 195–197.

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Weitere konzeptionelle und strukturelle Unklarheiten

Weitere konzeptionelle und strukturelle Unklarheiten

3.1 »Ehre« und vormoderne Bellizität 3.1.1 Säkularisierung als Rationalisierung? Dürfen wir die Säkularisierung der Rede über Krieg und Frieden als Rationalisierungsprozeß begreifen? Es gibt irritierende Gegenbefunde. Schlugen einst religiöse Leidenschaften emotionale Bugwellen, mobilisierten die Kriege Ludwigs XIV. Völkerklischees, ja, zu Zeiten nationale Feindbilder. »Kriege waren der Humus nationaler Stereotypen, von denen auffällig viele ... gerade in der hier zu behandelnden Epoche«, zwischen 1650 und 1800, »ihren Ursprung haben«, fiel jüngst einem Kenner der zweiten Hälfte der Frühen Neuzeit auf.1 Gewiß stammen, beispielsweise, viele Komponenten des Erbfeind-Syndroms2 im nationalliberalen Bürgertum des Deutschen Bundes aus dem späten 17. Jahrhundert.3 Im Devolutionskrieg begann die zuletzt frankreichfreundliche Stimmung im Reich zu kippen, im Holländischen Krieg wurde sie feindselig, nach den (freilich zeituntypischen) Exzessen des Pfälzischen Erbfolgekrieges kannte die veröffentlichte Meinung kein Halten mehr. Die Titel der nun verlegten Flugschriften standen an heiligem Zorn denen des Konfessionellen Zeitalters nicht nach, in einem Pamphlet mit dem Titel »Der Frantzösische und Das Heilige Römische Reich verderbende grausame Greuel und Abgott Ludewig der Vierzehende König in Franckreich« firmiert der Allerchristlichste König als »Primogenitus Satanae«. Versailles war die irdische Dependance der Hölle. Die Schrift mündet in diesen Aufruf: »Auf ihr tapfern Helde[n]/ nehmt die Waffen zu der Hand/ Laßt die Nachwelt von euch melden/ streit für Gott und Vaterland«. Nach 1 Duchhardt, Europa am Vorabend der Moderne, S. 67. 2 Es hat wiederum nachhaltig, mit Wirkungen bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein, die Meistererzählungen der deutschen Geschichtswissenschaft geprägt. Vgl. dazu Axel Gotthard, Preußens deutsche Sendung, in: Helmut Altrichter/Klaus Herbers/ Helmut Neuhaus (Hgg.), Mythen in der Geschichte, Freiburg 2004, S. 321–369 passim. Das Mythem von der »Erbfeindschaft« zur Siegermacht von 1648 fügte sich trefflich in den Mythos von »Preußens deutscher Sendung« (die man ja gern just mit dem »Schandfrieden« von 1648 anheben ließ). 3 Eine kontinuierliche, lineare Entwicklung von »1689« zu »1871« sehe ich freilich nicht. Die Erregung des späten 17. Jahrhunderts wird sich wieder legen. In der Vormoderne war die nationale nur eine von allen möglichen Loyalitäten, im Normalfall gegenüber konfessionellen, regionalen und lokalen eine nachrangige. Nur besondere Gefährdungssituationen – wie sie die aggressive Außenpolitik Ludwigs allgemein, und speziell die Zerstörungen des Pfälzischen Erbfolgekrieges heraufbeschworen – konnten, kurzfristig, nationale Leidenschaften emporlodern lassen. Die Moderne wird dann bei der Konstruktion ihrer nun kontinuierlich virulenten Feindbilder auf die alten Versatzstücke zurückgreifen.

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der Zerstörung von Worms fand ein sogenanntes »Wormsisches Kindergebeth« Verbreitung, in dem Gott gegen die »mehr als Türckisch- und Barbarische Tyranney der Frantzosen« um Hilfe angefleht wird. Wieder eine andere Schrift zieht diesen Vergleich: Widerstand gegen Frankreich könne man »wie vor Zeiten den Türcken-Krieg, expeditionem sacram, bellum Domini, oder auf Frantzösisch Croisade4 nennen«. Die traditionellen Verdammungsurteile der Türkenschriften – wie Antichrist, Bluthund, Tyrann usw. – wurden auf die Franzosen übertragen, als Erzbösewicht ersetzte der Allerchristlichste König den türkischen Sultan. Zwar liegen die Wurzeln dieses Feindbildtransfers im 16. Jahrhundert5, aber angesichts der Zerstörungen in der Rheinpfalz und als sich, seit 16836, eine Grundangst von Jahrhunderten verflüchtigte, so daß die bislang im Osten gebundenen emotionalen Energien an der Westfront andocken konnten, wurden die alten antifranzösischen Klischees reaktiviert, in ihrer Drastik gesteigert, essentialisiert: zum Topos vom immerwährenden französischen »Erbfeind« deutschen Wesens. Eine Eloge auf den Habsburger Leopold bringt das alte und das neuerdings virulente Feindbild so zusammen: Der heldenhafte Leopold »hat den Orientalischen Erbfeind (ein bekannter Name des Türcken, ich zweifele aber nicht es werde der Name eines Occidentalischen Erbfeindes gleichermassen denen können beygeleget werden, welche das Kayserthum und andere Christliche Länder nun fast anderthalb hundert Jahre her entweder auß einer passionirten aemulation oder Ehrsucht einer allgemeinen Beherrschung beunruhiget haben) geschwächt«.7 Anderswo wird »eine schöne tripel-alliance« perhorresziert: »Mahomet, der allerchristlichste Ludwig der grosse und der Teuffel«. Ludwig wandte sich »würcklich mit aller seiner macht von christo seinem erlöser und seligmacher zu dem teuf4 Also Kreuzzug! Es gibt zur aufgeregten patriotischen Publizistik dieser Tage einige Untersuchungen, ich will nur diese beiden trotz ihres Materialreichtums unbekannt gebliebenen nennen: Reinhard Montanus, Zum Problem der Reichskontinuität im öffentlichen Bewußtsein Deutschlands im Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden, Diss. masch. Bonn 1957; Hans-Joachim Berbig, Das Nationalgefühl in Nürnberg nach dem Dreißigjährigen Krieg, Diss. München 1960 (hieraus meine Beispiele: S. 96f. bzw. S. 100; die vergessene, jedenfalls in diesem Zusammenhang nie beachtete Dissertation ist eine wahre Fundgrube für Auto- und Heterostereotypen der Barockzeit). 5 Das zeigt diese von mir veranlaßte Magisterarbeit: Kai-Timo Winn, ›Der Türke‹ und ›der Franzose‹ als Feindbilder in der Frühen Neuzeit, Magisterarbeit Erlangen 2002, vgl. hier (»orientalische Schablone und okzidentalisches Abbild: Die Transition des Erbfeind-Topos im 16. Jahrhundert als begriffsgeschichtliches Bindeglied beider Feindbilder«) S. 61–66; ebda., S. 110–128 eine vergleichende Analyse. Winn nennt auch die einschlägige Literatur. 6 Zum Wiedererinnern: ein großes osmanisches Heer scheitert vor Wien, in den Folgejahren feiert »Prinz Eugenius, der edle Ritter« seine vielbesungenen Triumphe über »den Türken«. 7 [Anonym], Kurtzer Entwurff der Glücklichen Thaten, S. 25; weil uns die »Ehrsucht« gleich noch interessieren wird, habe ich sie kursiv gesetzt.

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fel und seinem allerliebsten Mahomets-sohn dem grossen Sultan«.8 Parolen für das dumme Volk? Ein kaiserliches Memorandum für die Reichstagsgesandten sprach von der Notwendigkeit, »sich einmahl von der tyranney ihres gemeinen Erbfeindes, der cron Franckreich, zu entledigen«, die kaiserliche Kriegserklärung vom 4. April 1689 hielt Frankreich »für einen offenbaren feind nicht allein des Reichs sondern der Christenheit, nicht anders als der Türck selbsten«.9 Hier perhorreszierte der Katholik den Katholiken, aber das nicht mehr konfessionelle, das ›protonationale‹ Feindbild malten doch Termini aus religiösen Sinnbezirken. Die Guerre de la plume oder Reichstagsakten verraten uns, welche Argumente gleichsam diskursfähig waren, wozu man sich vor Publikum bekennen konnte. Ungleich schwieriger ist die Rekonstruktion der Motivation der Entscheidungsträger. Läßt sich auf dieser Ebene seit der Ära der Konfessionskriege fortschreitende Rationalisierung ausmachen? Waren nach modernen Maßstäben alle Motive rational, die Ludwig XIV., beispielsweise, 1672 gegen die Holländer zu Felde ziehen ließen? Seine schlechte Laune über den Ausgang des Devolutionskriegs? Holland bedrohte gewiß nicht die Sicherheit der französischen Staatsgrenzen, aber es war unverschämt reich, es spielte im Welthandel eine ungleich größere Rolle als das ungleich größere Frankreich unter seinem so großen König, was Ludwig als Majestätsbeleidigung empfand. Daß Holland ein Hort protestantischer und republikanischer Gesinnung in Europa war, kam strafverschärfend hinzu, die Vereinigten Niederlande standen einfach für einen ungehörigen Lebensstil; solang sich alle am Ideal des »honnête homme« orientierten, überstrahlte sie die französische Sonne, einfach andere Erfolgsmaßstäbe zu pflegen, roch nach Insubordination. Daß sich da jemand der kulturpolitischen Offensive einfach entzog, dem politisch korrekten French Way of Life einfach versagte, war nicht vorgesehen. Weil die Presse in Holland ziemlich frei war (für einen Absolutisten ein unverantwortlicher Mißstand), schrieb sie über Ludwig auch Kritisches. Der Roi soleil scheint all das geradezu als persönliche Brüskierung empfunden zu haben, jedenfalls verspürte er Lust, es diesen frechen Pfeffersäcken einmal so richtig heimzuzahlen. Auch sie hatten sich wie alle anderen 8 [Anonym], Des allerchristlichsten königs unchristl. bombardiren und mordbrennen oder die grausamste vielfältig wiederholete frantzös. tyranney Ludwig des Großen, Freiburg 1689, S. 4 bzw. S. 25f. Bei zeitgenössischen Lesern solcher Passagen stellten sich zweifelsohne Assoziationen ein, die man heute erst explizieren muß: Perversion der heiligen Dreifaltigkeit, Perversion des Taufbundes hin zum Teufelspakt – noch verfolgte man Hexen, denen man eben diesen Teufelspakt unterstellte und daß sie am Hexensabbat christliche Zeremonien pervertierten. 9 Zit. nach Franz Bosbach, Der französische Erbfeind. Zu einem deutschen Feindbild im Zeitalter Ludwigs XIV., in: ders. (Hg.), Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 1992, S. 135–137. Bosbach geht detailliert auf die Regensburger Debatten im Vorfeld der Kriegserklärung ein.

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in ihre Umlaufbahn um die Eine Sonne einzureihen. Ludwig mochte diese Holländer einfach nicht. Ihre Eigenbewegung störte sein Weltbild, einen Kosmos, in dem sich alles konzentrisch um ihn herumzubewegen hatte, sie kränkte seine Ehre. Eine Karikatur? Kurze grobe Striche mußten es sein, das schon, aber sehr überzeichnet haben sie nicht. Paris bekannte sich ja gern zu alldem. Im März 1672 teilte der Mainzer Kurfürst Johann Philipp dem brandenburgischen Diplomaten Curt Asche von Marenholtz mit, Ludwig habe den Sinn der Militäraktion so erklären lassen, »que l’intention de Sa. Maj. n’estoit autre que d’attaquer les Hollandois, pour les punir de leurs insolences lesquelles leur font oublier ce qu’ils estoient«, sie müßten einmal »gedemüthiget« werden.10 Der Krieg gegen die frechen Holländer sei beschlossene Sache, hatte der damalige Vertreter Frankreichs in Berlin, der Comte de St. Géran, in den ersten Januartagen des Jahres 1672 erklärt, »par un motif de gloire«.11 Die Gründe für diesen Krieg waren gewiß nicht rationaler als die Motive, die einst, 1546, den Habsburger Karl V. ins Feld geführt hatten. 3.1.2 Ruhm, Ehre, Gloire Daß die unverkennbare Säkularisierung des Kriegsdiskurses nach modernen Maßstäben12 mit seiner Rationalisierung einhergegangen sei, muß man insbesondere wegen der Persistenz der kriegsaffinen Ehrdiskurse bezweifeln. Gier nach Ruhm und Ehre ist mit dem Homo oeconomicus des sozialwissenschaftlichen Rational-Choice-Ansatzes gewiß nicht verträglicher als das Ringen ums Seelenheil möglichst vieler »schäfelein«. Der Kampf für die dem absolutistischen Herrscher heilige »gloire« entwindet sich dem Kategorienrahmen (neo-)realistischer Zugriffe13 auf die internationalen Beziehungen nicht weniger als ein Kampf um den »wahren« Glauben. Dieses Kapitel will sich nicht in einer umfassenden Analyse vormoderner Konstanten und Variablen des (an absolutistischen Höfen besonders veräußer10 Curt Asche von Marenholtz an den Großen Kurfürsten, 1672, März 7: Reinhold Brode (Hg.), Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 13, Berlin 1890, S. 156–161. – Eine offiziöse Apologie heißt die französische Militäraktion mit diesen Worten gut: Es sei ja bekannt, wie die Holländer »sich über Kayser und Könige, und alle andere von dem Allerhöchsten an seine Stelle verordnete Obrigkeiten ... in unerhörter Ubermuth ... erhoben« hätten, bis sich Paris »genöthiget« sah, solche »affronten und Veracht zu rächen«: [anonym], Widerlegung, Deß wider Chur Cölln und Münster Außgangenen Chur Brandenburgischen manifests, o. O. [1673], S. 6f. (Kursivsetzungen von mir). 11 Zit. nach Brode, Urkunden und Actenstücke, Bd. 13, Einleitung, S. 10. 12 Gewiß sind sie anachronistisch. Im subjektiven Bewußtsein der damaligen Akteure war Ehrakkumulation ein kalkulierbares und einkalkulierenswertes Lebensziel. 13 Vgl. unten Kapitel A.4.

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lichten, fast auf »Reputation« einschrumpfenden) Ehrkonzepts versuchen, kann und will keine Darstellung »der Geschichte« »des Ehrbegriffs« seit der Antike14 geben oder seit sie, beispielsweise von Machiavelli, als soziokulturelles Konstrukt der Herrschaftsstabilisierung reflektiert wird. Aber weil man heutzutage zwar »populär«, vielleicht sogar »berühmt« sein will, aber selten nur von »Ruhm« oder gar »Ehre« spricht, sind vielleicht doch einige sparsame Begriffserläuterungen angebracht. Zunächst einmal ist Ruhm natürlich nicht identisch mit Ehre. Ruhm ›erwarb‹ und ›mehrte‹, Ehre ›besaß‹ man (oder aber sie war, einmal verloren, unwiederbringlich perdu). Die Mehrung von Ruhm konnte man um anderer Werte willen schon einmal hintanstellen, doch nie seine Ehre. So schmerzlich die Aussicht, einmal ohne (Nach-)Ruhm sterben zu müssen, für einen vormodernen Adeligen gewesen sein mag, ohne Ehre war er gar nicht mehr geschäfts- und politikfähig. Aber in den uns interessierenden Zusammenhängen, den hier beleuchteten vormodernen Diskursen begegnen kaum je derartige Distinktionen, begegnet hingegen häufig die Doppelformel »Ruhm und Ehre«. Beim Krieg war beides selten weit. Besonders die Kategorie der »Ehre« ist einem modernen Publikum nicht leicht zu vermitteln. Zeugt es heutzutage, in Zeiten entgrenzter »Flexibilität« und demonstrativ beiläufiger »Coolness«, von die Lächerlichkeit streifendem Biedersinn, sich auf seine »Ehre« zu versteifen, war diese Instanz in vormodernen Gesellschaften ein Zentralwert. Es disqualifizierte zutiefst, schloß aus der Zugehörigkeit zur Gesellschaft im eigentlichen Sinne aus, einen »unehrlichen« Beruf auszuüben. Gesellschaftsfähig waren nur »Ehrenmänner«. Also hatte, wer »ehrlos« zu werden drohte, fast alles zu verlieren. Es war keinesfalls Wortgeklingel, wenn jener Augsburger Religionsfrieden15, dessen Bestimmungen bis in alle Verästelungen hinein monatelang hin- und hergewendet wurden, jenen »underthanen«, die sich nicht mit der Glaubenswahl der Obrigkeit abfinden konnten, zusagte, es werde ihr »ab- und zuzug ... an ieren eeren ... unentgolten sein«. Auch »underthanen« also hatten Ehre im Leib, aber zumal für die damaligen Letztentscheider, nämlich den alteuropäischen Hochadel, war die »Ehre« ein höchster, weil unübersteigbarer, ein gar nicht harmloser, sondern blutig ernster 14 Einen solchen weltgeschichtlichen Überblick versuchte zuletzt Dagmar Burkhart, Eine Geschichte der Ehre, Darmstadt 2006; sie nennt die einschlägige Forschungsliteratur. Für die hier verfolgten Fragestellungen, überhaupt für die Frühe Neuzeit (Burkhart nennt sie die Zeit »des Absolutismus«, den sie übrigens im 15. Jahrhundert anheben läßt; für zahllose Ungenauigkeiten erwähne ich noch exemplarisch, daß man dieser Autorin zufolge »wegen des Präzedenzstreits zwischen Frankreich und Schweden« vor 1648 an zwei Kongreßorten verhandelt habe: ebda., S. 64) ist das Büchlein unergiebig. Am interessantesten sind eigentlich die teilweise durchaus noch tagesaktuellen Beobachtungen zur jüngsten Vergangenheit. 15 Abdr.: RTA, Bd. 20, Nr. 390 (hier S. 3111f.). Auch der Amtsverzicht eines konvertierenden Fürstbischofs sollte dem Geistlichen Vorbehalt zufolge »seinnen eeren onenachtaillig« sein.

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Wert. Sah das adelige Individuum seine Ehre gekränkt, stellte es sie im potentiell tödlichen Duell wieder her. Und wenn dieses Individuum einen Staat regierte? Der Völkerrechtler Johann Wolfgang Textor kannte 1680 dreierlei legitime Kriegsgründe: »vel quae laedunt corpus, vel quae famam, vel quae res«, also den materiellen Besitz – Angriffe auf Leben, Ehre, Eigentum. »Contumelia atrox Regi vel Reip[ublicae] illata, quae dispendiú famae causetur justam tribuit causam belli«.16 Es sei »vielleicht großmütiger«, persönliche »Beschmitzungen verächtlich hingehen zu lassen«, findet eine Flugschrift aus derselben Zeit, »welche aber von einem gantzen Staat oder Fürsten selbst herfliessen, kan man ohne schädlichsten Nachtheil der höchsten Autorität nicht ungerochen vorbey gehen lassen«.17 Ehrverletzungen heischten den Krieg. Was diese Studie am Beispiel der scholastischen »Iustitia« problematisierte, gilt auch für die »Ehre«: wir können die Relevanz solcher Konzepte für diese oder für jene konkrete politische Entscheidung schwerlich exakt veranschlagen. Aber dürfen wir sie deshalb vernachlässigen? Fast immer können wir lediglich Plausibilitäten herausarbeiten, deren Stringenz von äußeren Umständen abhängt, die noch so großer Rechercheeifer nicht beeinflussen kann.18 Aber sollen wir deshalb erst gar nicht mit unseren Recherchen anfangen? Räsonnements über etwaige anthropologische Konstanten, Aggressionstheorien biologischer oder psychoanalytischer Provenienz: sie bringen den Historiker bei der Suche nach den Ursachen der großen frühneuzeitlichen Bellizität wohl nicht weiter. Sollte eine paßgenaue, weil auf die Besonderheiten der Vormoderne zugeschnittene Kriegsursachenforschung hingegen einen spezifisch adeligen, um die Ehre kreisenden Wertekanon, eine spezifisch adelige Kriegermentalität in Rechnung stellen? »Aristocrats looked back to heroic members of their families«, beobachtete Jeremy Black im frühneuzeitlichen Frankreich, im frühneuzeitlichen England, »these traditions were sustained, both by service in war and by a personal culture of violence in the form of duels, feuds and displays of courage, the same socio-cultural imperative underlying both the international and the domestic sphere«.19 Was hat das für die Bellizität der Vormoderne zu besagen? Oder dürfen wir den Fokus enger fassen? Es bedarf keiner aufwendigen statistischen Auswertungen, springt geradezu ins Auge, daß Texte der Jahrzehnte um 1700, auch Akten, besonders häufig Begriffe aus dem Umfeld der »Ehre« aufbieten, gern als »gloire« – Ludwig wie seine Mitakteure wollten »glorieuser« Hand16 Textor, Synopsis juris gentium, Caput XVI, S. 11f. 17 [Anonym,] Der Geropffte Hahn, S. 16. Dabei handelt es sich, wie ja schon der Titel anzeigt, um eine antifranzösische Flugschrift, die die Exzesse der Kriegführung gegen die Holländer geißelt! Das Motiv für diesen Krieg (gekränkte Ehre des Roi Soleil) wird nicht infragegestellt. 18 Wie intensiv wurde eine Entscheidung diskutiert? Wie gründlich hat man diese Debatten dokumentiert? Zumal aber: was hat davon im Archiv bis heute überdauert? 19 Black, Why wars happen, S. 61f.

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lungen gerühmt werden. Dürfen wir Ruhmsucht demnach als epochenspezifische Triebfeder für die absolutistische Bellizität nehmen, oder greift diese Einschätzung zu kurz, weil den alteuropäischen Adel seit jeher und kontinuierlich, schon, als er sich noch auf Ritterburgen und hinter Panzerplatten verschanzt hatte, ein potentiell kriegstreibender, militant daherkommender Ehrbegriff geritten hat? 3.1.3 Eine kriegstreibende mentale Disposition der Vormoderne? Arbeiteten sich die letzten vormodernen Jahrhunderte am mittelalterlichen Erbe ab? »Die Nachkommen dieser Kriegerkaste«, nämlich des hochmittelalterlichen Adels, »ein paar hundert Familien, deren Mitglieder beständig untereinander heirateten ... sollten in Europa bis ins 16. Jahrhundert hinein den größten Teil des Grund und Bodens beherrschen, bis ins 18. Jahrhundert politische Herrschaft ausüben und bis in unsere Zeit hinein zumindest Reste einer gesellschaftlichen Vorrangstellung behaupten«, rief Michael Howard in Erinnerung.20 Der Mediävist Peter Moraw faßte es schnodderig so zusammen: »Der Habitus aller dieser Leute ... war militärisch ... und blieb militärisch, so war man erzogen worden, das konnte man am besten«.21 In einer seiner weniger beachteten Arbeiten führte der berühmte Nationalökonom Joseph Schumpeter noch den Hochimperialismus auf die »psychischen Dispositionen von aristokratischen Herrenschichten« zurück, er erwachse den »kämpferischen Instinkten« und »kriegerischen Neigungen einer traditionalen Führungsoligarchie, die die Attitüde aggressiven Auftretens in einem langen geschichtlichen Prozeß« anverwandelt, zu ihrem »Lebensstil ausgebildet« habe.22 Ekkehart Krippendorff weist in seiner anarchistischen Suada gegen staatliche Organisationsformen23 immer wieder darauf hin, daß der moderne Staat vom Kriegeradel des Mittelalters geschaffen worden und irreversibel von dessen gewaltbereitem Ungeist durchtränkt sei, als Geburtsfehler eine nicht behebbare strukturelle Gewalttätigkeit aufweise: »Macht verdinglichte sich zum Staat aus 20 M. H., Der Krieg in der europäischen Geschichte. Vom Ritterheer zur Atomstreitmacht, München 1981, S. 12f. 21 Moraw, Staat und Krieg, S. 92f. 22 Vgl. Joseph Alois Schumpeter, Zur Soziologie der Imperialismen, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 46 (1918/19), S. 1–39 und S. 275–310. Der Hochimperialismus verdanke sich also nicht modernen wirtschaftsorganisatorischen Entwicklungen oder rational kalkulierten ökonomischen Interessen, sondern ideologischen Relikten vergangener Gesellschaftsformationen, einer »objektlosen« kriegerischen Disposition der Eliten, erwachse als »Atavismus« einer »agonalen« spezifisch adeligen Leidenschaft. 23 Vgl. schon oben S. 85 mit Anm. 237; die folgenden Zitate ebda., S. 244f. (S. 276: »was der Adel in diese neue, die staatliche Form der Klassenherrschaft einbrachte, das war seine Qualifikation zur Organisation und Ausübung von Gewalt und Krieg«) bzw. S. 237.

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der Logik freudalistischer Eroberungspolitik«, kriegslüsterne Adelige »haben jene Strukturen geschaffen bzw. geprägt und mit rechtfertigenden Argumenten versehen, die uns heute im internationalen System von Staaten als scheinbar natürliche, vernünftige und darum alternativlose Ordnung erscheinen«. Nun sind die historischen Herleitungen der Studie zwar en détail, jedenfalls für die Frühe Neuzeit, wenig stichhaltig. Ausgerechnet dieses friedenspädagogische Manifest liest alle geschichtlichen Entwicklungen einseitig vom Primat des Militärischen her.24 Verdrießlicher für uns ist, daß es »den Adel« synchron so undifferenziert sieht wie in der diachronen Abfolge »den Staat« im Verlauf dreier vormoderner Jahrhunderte. Die Söldnerheere des 16. und 17. Jahrhunderts waren weder kämpfende Adelskohorten25 noch läßt sich mit diesen von Kriegsunternehmern gelenkten Verbänden die übergroße strukturelle Militanz26 »des Staates« belegen. Die Arbeit verschränkt ambitioniert strukturgeschichtliche und konzeptionelle Überlegungen, leider fehlen für eine überzeugende Durchführung präzise strukturgeschichtliche Kentnisse. Trotzdem könnte der Autor, von der konzeptionellen Seite her, eine interessante Spur gewittert haben. Kriege nicht aktuell und vermeintlich »objektiv« gegebenen staatlichen »Interessen« anzulasten, sondern einem von Generation zu Generation weitergegebenen archaischen standesspezifischen Ethos, einer vom einzelnen Träger dieses gemeinadeligen Ehrbewußtseins gar nicht weiter problematisierten, unmerklich internalisierten kriegerischen Grunddisposition: Diese Annahme führt besonders 24 So verdankten sich Ständeversammlungen der »permanenten Kriegführung« der Fürsten (ebda., S. 247), nicht etwa dem Finanz- und Koordinationsbedarf, den der Aufbau neuzeitlicher staatlicher Strukturen mit sich brachte; aber das ist nur ein Beispiel. 25 Krippendorff übersieht, daß frühneuzeitliche Kampfverbände keine »Adelsverbände« mehr waren, sie brachten vielmehr die Überzähligen aller Stände zusammen. Zu Gunsten weniger Fürsten wurde die Masse »des Adels« (relativ) deklassiert – man denke nur, in Mitteleuropa, an die Sickingen- und die Grumbach-Fehde –, um dann, zur Zeit des höfischen Absolutismus, im Zuge der »Entmachtung der Obersten«, die ja schon nach wie vor fast alle adelig waren, vollends zu Gunsten eines einzigen hochadeligen Letztentscheidungsträgers außermilitärisch marginalisiert zu werden, der nun, modern formuliert, den Primat der Politik etabliert hatte. 26 Hat man die militärgeschichtlichen Brüche im ausgehenden Mittelalter zunächst vermißt (vgl. letzte Anm.), kommt das Söldnerwesen bei Krippendorff dann doch noch vor, in origineller Deutung: nämlich nicht etwa als Pendant zu Geldwirtschaft (der Söldnerführer als »frühkapitalistischer« Unternehmer) und auch sonst wachsender Arbeitsteilung, sondern als Antizipation von Entfremdung (Trennung Produzent-Produktionsmittel); hier ist wichtiger, daß das Kriegsunternehmertum ja tatsächlich (natürlich nicht bei Krippendorff ) staatliche Defizite (!) anzeigt, erst der absolutistische Staat wird in der Lage sein, die Heere zu verstetigen und zu verherrschaftlichen, wird sich stark genug fühlen, dauerhaft große Truppen in seinen Kasernen zu halten, diese zu domestizieren und in den ›normalen‹ politisch-gesellschaftlichen Aufbau des Territoriums zu integrieren. Das Söldnerwesen ist zwangloser als Indiz für relativ geringe strukturelle Militanz der »Staaten« des 16. und 17. Jahrhunderts zu werten: man hält das Militär ›draußen‹, infiziert sich nicht damit.

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weit vom Homo oeconomicus der »Realisten« und »Neoinstitutionalisten«, vom Rational-Choice-Ansatz der Sozialwissenschaften weg. Kann sie der Frühneuzeithistoriker dennoch durch eigene Beobachtungen erhärten? Unwillkürlich fällt ihm eine berühmte Szene ein, die standesgemäß divergierende Wertvorstellungen illustriert: das kommunikative Desaster von 1521 in Worms. Nachdem sich Luther dort auf die Postulate seines Gewissens versteift hatte – das Diktum »hier stehe ich und kann nicht anders« ist ja gut erfunden –, machte Karl einerseits ein Rechenexempel auf (welche Version von Wahrheit hat eine wie altehrwürdige Tradition?), zum anderen aber, und das interessiert hier mehr, war solchen Ungehorsam auszumerzen Ehrensache: andernfalls nämlich drohten »grant honte« und »perpetuel deshonneur«.27 Doch mag dieses Beispiel von unserem engeren Thema, Krieg und Frieden, wegführen. Mitten in einem Krieg, dem der Fürstenallianz um Moritz von Sachsen, stellte ausgerechnet Karl V., für dessen politisches Selbstverständnis der Ehrbegriff so zentral gewesen ist, einmal diese Rangordnung der Werte her: »Je vous assheure«, schrieb er seinem Bruder Ferdinand im Hinblick auf die Verhandlungsergebnisse der Passauer Beratungen, »que, sil ny auoit que la honte, je le passeroie aussement pour procurer la paciffication ..., particulierement pour le bien publicque; mais le mal est, que auec la honte que se pourroit bien aualer jl y a la charge de la conscience que je ne puis porter«.28 Doch ist diese ausdrückliche Relativierung des Ehrbegriffs ziemlich singulär, auch bei Karl; in einem weiteren Schreiben, zwei Wochen danach und an die Schwester Maria, stehen »conscience« und »honneur« (ferner übrigens die gottverhängten Amtspflichten) wieder auf derselben Stufe, wenn der Habsburger beteuert, »que pour riens du monde, ny quant tout se devroit perdre, et le syen et le myen, je ne vouldroye faire chose que fut contre mon devoir et conscience et honneur, mesmes en la disposition en laquelle je suis«.29 Daß auch Karls Kriegsgegner Ehre im Leib hatten, unterstrich im April 1552 Landgraf Wilhelm von Hessen mit diesen Worten: »Mugen mit Gott, unnd aller warheit bezeugen, das unns mit guttem friedenn, unnd rhuwe, Eben so wole were, als einem menschen uff Erdtreich, da unns derselb Fride mit Gott, unnd Ehren gedeyhen möchte«. Ein fauler Frieden war sündig (das ist hier nicht noch einmal unser Thema), ein fauler Frieden entehrte. Deshalb mußte der Landgraf 27 Also: große Schande und immerwährende (es werden ausdrücklich »noz successeurs« aufgerufen) Unehre: Erklärung des Kaisers vom 19. April 1521, RTA, Bd. 2, Nr. 82. 28 Karl an König Ferdinand, 1552, Juni 30: Karl Lanz (Hg.), Correspondenz des Kaisers Karl V. Aus dem königlichen Archiv und der Bibliothèque de Bourgogne zu Brüssel, Bd. 3, Leipzig 1846, Nr. 837. 29 Karl an Königin Maria, 1552, Juli 16: August von Druffel (Hg.), Briefe und Akten zur Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts mit besonderer Rücksicht auf Bayerns Fürstenhaus, Bd 2, München 1880, Nr. 1658 (hier S. 683).

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ins Feld, er war dazu »nach allen natürlichen Rechtenn, unnd Göttlichen gebott, zum höchsten verpflicht«.30 Sind es mehr als Schnörkel und Fußnoten, wenn den hochadeligen Herrschaften mitten im Krieg, manchmal zum Schrecken ihrer Hofräte, einfiel, daß sie »mit courage gesegnet« seien und dem »heroyschen geblütt« ihrer Dynastie Tribut zu zollen hätten?31 Als die südwestdeutschen Unionsfürsten im Frühsommer 1618 vom Prager Fenstersturz erfuhren, interpretierten sie das Herabpurzeln katholischer Räte bezeichnenderweise als »ein sonderbare schickung Gottes«32, aber es ist doch wohl auch bezeichnend, daß sie reflexhaft, ehe überhaupt tieferes Nachdenken einsetzte33, auf fürstliches Ehrgefühl rekurrierten: Man sei, versicherte man den Standesgenossen in Heidelberg und Amberg, »bei dem vatterland guett und bluett aufzusetzen ganz willig, dann es doch entlich will haißen ou paix assurère ou guerre ouverte ou mort ho­neste«.34 Maximilian von Bayern versuchte 30 Antwort Wilhelms aufs »anbringen« der vier rheinischen Kurfürsten, 1552, April 7 (Kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 208f. Zentraler ›Ehrenpunkt‹ war natürlich die fortwährende Haft Philipps von Hessen. Kurfürst Moritz von Sachsen betonte in seiner Resolution für Emissäre der rheinischen Kurfürsten (6. April, Kopie, ebda., fol. 211–215), es müsse ihm (man darf ergänzen: anstatt nur den Frieden als zentralen Wert zu betonen!) »auß dieser last, des landgraven halben, mit ehre geholffen« werden. – Auf der Legitimationsebene war der Fürstenkrieg kein Konfessionskrieg, das sahen wir schon. Vielmehr wurden die deutsche »Libertät« und eben die »Ehre« beschworen. Die »vihische servitut, wie in Hispania« hinzunehmen, brachte in »schimpf und spott«, die Nachfahren wurden zu Schmähreden auf die Altvorderen gereizt, wenn die sich solchen »infamien« nicht entgegenstemmten (um aus dem Vertrag von Chambord zu zitieren); auch Heinrich II. von Frankreich beschwor in seinen »Libertas« überschriebenen »Sendschrifften« an die Reichsstände »vnser ehr«. 31 So begründete es Johann Friedrich von Württemberg, ein nach den Maßstäben der Zeit besonnener Politiker ohne nennenswerte militärische Kenntnisse, zum Entsetzen der Hofräte, warum er sich unverzüglich persönlich ins Feldlager begeben, dem Unionsheer zuziehen müsse: Resolution vom 31. Juli 1620 (Or.), HStASt A90A tom. 29, fol. 170f. – Wenn John R. Hale, War and Society in Renaissance Europe, 1450–1620, London 1985, S. 31 meint, daß das Schlachtenschlagen durch regierende Hochadelige im frühen 17. Jahrhundert »was coming to be considered of an eccentricity«, übersieht er doch manche auch prominente (und von der Zeit keineswegs belächelte!) Gegenbeispiele, ich erwähne nur Gustav Adolf von Schweden oder Christian IV. von Dänemark, oder, um wenigstens einen der diversen heutzutage weniger bekannten Herrscher zu nennen, Georg Friedrich von Baden-Durlach, den seinerzeit berühmten tragischen Helden der Schlacht von Wimpfen. 32 So urteilt der Stuttgarter Abschied vom 15. Juni 1618, Kopie: HStASt A90A tom. 19, fol. 632–636. In der Union überwog die religiöse Interpretation der böhmischen Geschehnisse alle anderen denkbaren (wie die modernen Betrachtern so naheliegende Deutung »Monarchie versus Ständemacht«) bei weitem: Kapitel B geht noch ausführlich darauf ein. 33 Man war im Sommer 1618 ganz auf die geplante Schleifung der udenheimischen Festungsanlagen des Speyerer Fürstbischofs Philipp Christoph fixiert, hielt die rheinischen »exorbitantien« für viel gravierender als die zweifelsohne episodalen böhmischen Querelen. 34 Die in Göppingen versammelten Fürsten an Friedrich von der Pfalz und an Christian von Anhalt, 1618, Juni 19 (Kpt.kopie), HStASt A90A tom. 39, fol. 651f. (Kursivsetzung von mir).

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dem Regierungsnachfolger in seiner »Vätterlichen Ermahnung« von 1639 klarzumachen, »wan und was ursachen der Krieg anzufangen«. Beispielsweise kann der Griff zu den Waffen notwendig sein, um für die »beschirmung« der »underthonen« zu sorgen, heißt es da, aber vorher genannt, also wahrscheinlich auch als vorrangig eingeschätzt wird das: »Zur abwendtung Deiner widersager zugefiegter schmach«.35 Übrigens müßten Fürsten »weith« mehr ihrer »Ehre ... gedenckhen« als die »Gemainen«.36 Rainer Bach und Constantin Hruschka fiel in Schriften »niederadeliger Autoren« auf, daß sie »den Krieg als standesgemäßes ›Handwerk‹ präsentieren und propagieren«, »Krieg und Kriegführen« erschienen als »für das adelige Selbstverständnis identitätsstiftend«.37 Ob wir Mercurino Arborio di Gattinara für »das adelige Selbstverständnis« an der Schwelle zur Neuzeit in den Zeugenstand rufen dürfen? Er stammte aus einem alten, indes verarmten kleinadeligen Geschlecht, schlug dann die Karriere eines studierten Juristen ein, das freilich wiederum in hochadeligen Diensten. Karl-Kenner veranschlagen seinen Einfluß auf Weltbild und Selbstverständnis des Habsburgers hoch. Eine Denkschrift für den Kaiser vom Sommer 152138 diskutiert Pro und Contra eines Waffenstillstandes – soll Karl wieder abrüsten oder aber den Rest der Kriegssaison für imposante militärische Schläge nutzen? Sieben Scheingründen für den Waffenstillstand folgen zehn Argumente für den Waffengang, anschließend werden erstere widerlegt. Es dominieren an sich stategische und taktische Aspekte, Kräftekalküle, Risikoabschätzungen, doch sind dem Argumentationsgang auch immer wieder werthaltige Appelle eingewirkt. Sie gehören nur sporadisch dem Sinnbezirk von Iustitia zu. So firmiert als siebtes von zehn Argumenten gegen den Waffenstillstand dieses: »Wo Sie den gerechten Anlaß zum Streit haben und Gott Ihnen beisteht, wie er wohl erwiesen hat, würde es bedeuten, die schlechte Seite einzuhandeln und Gott gegen sich aufzubringen, wenn Sie durch Waffenstillstand oder auf andere Weise die Lage Ihrer Feinde erleichtern wollten«. Ähnlich, Gott geradezu zum obersten Kriegsherrn erklärend, heißt es, im Zuge der Widerlegung der friedfertigen Scheinargumente: Krieg könne durchaus »etwas unsicheres« sein, doch nur, wenn man ihn »in un35 »Vätterliche Ermahnung Maximiliani«: Duchhardt, Testamente, S. 119–135, hier S. 135. – Ikonographisch sehen wir Maximilian meistens im Vollharnisch, aber das mag den damaligen Erwartungen an ein Herrscherbild geschuldet sein, das Muster eines »Roi connétable« ist Maximilian sicher nicht gewesen. 36 Ebda., S. 123: »Es ist ... allen Menschen sowohl als dennen Fürsten angelegen, ihrer und ihrer Nachkommenschaft Ehre zu gedenckhen, obschon bei dennen Gemainen sovil daran nit gelegen; bey dennen Fürsten aber hat es ein weith andere Beschaffenheit, als deren Ehr und Hochschätzung in der höche stehet und ein weit aussehendes Gedächtnis machet, welche Sye mit ihrem ruemwürdigen Lebenswandel verneuern sollen.« 37 Bach/Hruschka, Bild des Krieges, S. 70f. 38 Ich zitiere im Folgenden nach der deutschen Übersetzung: Kohler, Quellen zur Geschichte Karls V., Nr. 18.

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gerechter Sache« anfange. »Wenn man aber herausgefordert ist und gegen den eigenen Willen zu den Waffen greift und einen gerechten Grund hat«, gelte dieser Einwand nicht, »denn die Menschen beginnen die Kriege, und Gott gibt die Siege nach der Gerechtigkeit ihrer Sache«. Gattinara waren die einschlägigen scholastischen Diskurse geläufig. Häufiger begegnen in dem Text freilich Ehre und Ruhm. Ein Scheinargument für den Waffenstillstand lautet so: »Daß das Königreich Navarra unterworfen und wiedergewonnen ist zur großen Ehre« Karls »und die Franzosen nichts gewonnen haben, sodaß der Waffenstillstand« für den Habsburger »nicht beschämend sein würde ... Der Waffenstillstand könnte umso ehrenhafter abgeschlossen werden, als er auf Ersuchen Frankreichs und auf die Bitte des Königs von England hin zustande käme«. Das Scheinargument zeigt: ein schimpflicher Frieden war schlimmer als fortgesetzte Waffengewalt – ein Gesichtspunkt, der in der Spätphase des Dreißigjährigen Krieges friedensverzögernd gewirkt haben könnte, uns in diesem Kontext schon begegnet ist.39 Aber warum handelte es sich für Gattinara um ein Scheinargument? Es wird gegen Ende der langen Denkschrift so in die Schranken gewiesen: Es sei »nichts wert! Denn die Ehre der Unterwerfung Navarras wird Ihren Untertanen bleiben und nicht Ihnen, in Anbetracht dessen, daß das, was sie dabei geleistet haben, ohne Ihre Anordnung, ohne Ihre Anwesenheit und ohne Kosten für Sie geschehen ist. Wenn Sie nichts auf Ihre Kosten unternahmen ... dann müssen Sie doch bedenken, was für eine Ehre für Sie herauskäme«. Dem geschenkten Gaul mochte man nicht ins Maul schauen, ein geschenkter Frieden war, Gattinara zufolge, nichts wert. Ein Frieden, schon der Waffenstillstand mußte den Fürsten Geld und Söldnerblut gekostet haben, nur so winkte Prestige. Zwischen dem zitierten Scheinargument und seiner für moderne Leser politisch unkorrekten ›Widerlegung‹ begegnen Ehre wie Ruhm immer wieder, und zwar im Rang von Höchstwerten. Karl müsse »vor allem [!] danach trachten«, »Ansehen zu gewinnen«, denn es sei »die Erwartung der ganzen Welt« darauf gerichtet, daß er »bei einer so schönen Gelegenheit etwas unternehmen« werde, »das eines so großen Kaisers würdig wäre«, schrieb ihm Gattinara ins Stammbuch. Man darf sicher als Konsens der modernen Forschung festhalten, daß »der Ehrcode ... vorzüglich dazu« diente, »ein Verhalten dahingehend zu beurteilen, inwieweit es mit den allgemeinverbindlichen Werten und Normen, Rollen und Interaktionsmustern übereinstimmte oder von den gemeinschaftlichen Erwartungen abwich«.40 Für Gattinara beinhalteten die »gemeinschaftlichen Erwar-

39 Vgl. oben S. 41 mit Anm. 78. 40 Matthias Lentz, Konflikt, Ehre, Ordnung. Untersuchungen zu den Schmähbriefen und Schandbildern des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (ca. 1350 bis 1600), Hannover

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tungen«, meinte »die Erwartung der ganzen Welt« an einen Hochadeligen, den Kaiser gar militärische Bravour. Eine derart kriegerische Erwartungshaltung durfte Karl nicht durch voreilige Anflüge von Friedfertigkeit enttäuschen! Zumal es »die erste Armee ist, mit der Sie auf den Plan treten wollen und ein derartiges Schildgerassel veranstaltet wurde, daß der Lärm davon über die ganze Welt geht und es daher notwendig ist, darauf zu achten, für diesen ersten Auftritt einen solchen Ausgang zu bewirken, daß das Ansehen E. Mt. nicht verloren gehe oder kleiner werde, sondern daß es vielmehr erhalten und größer werden könne«. Die ersten Schritte des Herrschers durften nicht ausgerechnet leisetreterische sein! Man dürfe nun »nicht kleinmütig werden, sondern muß größeren Mut und mehr Haltung zeigen und bedenkenloser tun als man es wirklich meint ... all dies kann für E. Mt. nur ehrenvoll sein.« Auf die »Ehre« eben kam es an, auf den mannhaften Paukenschlag gleich am Beginn der Herrscherkarriere (man denkt unwillkürlich an das »Rendezvous des Ruhms« von 1740!), nicht auf ein bestimmtes Ziel der Aggressionen – »so scheint es, daß E. Mt. sich nur Ehre einhandeln und davon profitieren kann, wenn Sie Ihre Armee keine Zeit verlieren und sie gegen den Feind marschieren läßt und wenn es jetzt nicht mehr wäre als einen Taubenschlag einzunehmen ... und gleichgültig, welch kleine Sache Eure Majestät jetzt beginnt ... wird E. Mt. dabei Ansehen gewinnen«. Karl konnte es jetzt einfach nicht »unterlassen ..., irgendeine [!] Demonstration« seiner Waffen »vor dem Feind zu unternehmen«, so er nicht »restlos« sein »Ansehen verlieren« wollte. »Dafür hat E. Mt. genug Geld. Und bevor der Winter vergangen ist41, kann E. Mt. irgend etwas [!] Erinnerungswürdiges und Rühmliches machen«. Das Memorandum endet so, in bezeichnender Verschränkung des theologischen mit dem adeligen, des scholastischen mit dem Ehrendiskurs: Es stehe nun einmal fest, daß die Argumente für fortgesetzte Militanz stächen, so daß sich Karl nicht von den vermeintlichen Gegengründen »versuchen lassen« dürfe. Nein, kaiserliche Majestät müsse »Ihr Unternehmen ohne Verzug weiterführen, derart, daß Sie Anlaß geben, von Ihnen mit Ehrerbietung und Respekt zu sprechen, wo doch Ihre Sache so gerecht und Gott mit Ihnen ist und indem Sie bei solchem Tun keinerlei Mißgeschick anheimfallen werden«. Gattinara war niederadeliger Abkunft und bewegte sich in hochadeligem Milieu. Aber auch in politiknaher Publizistik aus nichtadeliger Hand sind »Ehre« und »Ruhm« beim Thema Krieg selten weit. Die Verfasser solcher Abhandlun2004, S. 153. »In Umkehrung seiner Belohnung von normenkonformen [sic] Handeln ahndete der Ehrcode abweichendes Verhalten [...] mit der Zuweisung von Infamie, von Schande«. 41 Ein Flüchtigkeitsfehler? An sich kämpfte man ja im Winter nicht. An anderer Stelle: »Und wenn dann der Winter kommt, könnte man den Waffenstillstand ebenso gut haben wie jetzt, aber mit viel mehr Ehre«.

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gen hatten gewiß nicht eine adelsspezifische Kriegermentalität internalisiert, wohl lenkte der humanistische Rückblick in die klassische Antike ersichtlich ihre Blicke, und in dieser Antike fanden sie viel Lobpreis auf die Ruhmbegierde, jene vorgeblich edle Triebkraft hinter kriegerischen Großtaten. Eine gelehrte Abhandlung über Kriegsbündnisse lobt42 Allianzen, die man eingehe, um Rebellionen niederzuwerfen, Kriegsdrohungen und Übergriffen anderer Mächte entgegenzutreten oder den wahren Glauben zu verteidigen, folgendermaßen: »talis cura est heroica« und befördere »conseruationem nominis«. Französische Flugschriften des anhebenden 17. Jahrhunderts riefen Heinrich IV. zum Krieg gegen Spanien auf, weil das »grandeur« und »gloire« der französischen Nation erheischten43 und ein fauler Frieden entehre.44 Als sich der 1609 ausgehandelte zwölfjährige Waffenstillstand zwischen der Madrider Zentrale und ihren separatistischen Nordprovinzen seinem Ende zuneigte, rief eine Flugschrift mit folgenden Parolen zur Wiederaufnahme des Kampfs gegen Spanien auf: »Ein rechtmäßiger Krieg ist einem schändlichen Frieden vorzuziehen«, »der Tod ist für45 ewige Dienstbarkeit und Schand zu erwählen«. Und der anonyme Autor einer evangelischen Flugschrift von 1627 hielt es immerhin für plausibel, dem konfessionellen Widerpart zu unterstellen, er propagiere einen »ReputationsKrieg«, der »Schimpff« und »Schmach« des Habsburgers Ferdinand ausbügeln müsse.46 Eine Spruchsammlung aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges setzt die Antithese Ehre-Schande so ins Adjektivische: »Daß besser sei ehrlich gestorben als schändlich geflohen47«. Außerdem weiß sie, daß fürs »Vaterland« zu »sterben viel edler sei als vor dasselbe leben«. Solche Weisheiten zu kolportieren, konnte 42 Bezeichnenderweise im Anschluß an ihre Ausführungen zur Neutralität! Zum Folgenden: »Waremundus de Erenberg«, Meditamenta pro foederibus, ex prvdentvm monvmentis discursim congesta ..., Hannover 1601, S. 276. Vgl. zu Buch und Autor unten S. 450 Anm. 198. 43 Vgl. Bitton/Mortensen, Pamphlet Polemic, S. 133. 44 »Peace was desirable, but it had to be honorable. A shameful peace could not truly be called a peace. War was better than such a peace«, nämlich der von Vervins: ebda., S. 134. 45 Meint hier: vor, anstatt; aus der Schrift zitiert Arndt, Kriegspropaganda, S. 250 (Kursivsetzung von mir). 46 [Anonym], Von jetzigen Kriege, fol. C: Man habe Ferdinand in Böhmen »Schimpff« und »Schmach« zugefügt, und »Kayserl. May. Reputation« stehe auf dem Spiel, deshalb erkläre die Gegenseite, man müsse die »Rebellen ... straffen«. Mit der Rebellionsrhetorik hat der Autor recht, seine Unterstellung einer katholischen Reputationsrhetorik trifft nicht. Im Flugschriftenkampf um die Deutung des großen deutschen Konfessionskriegs war die Ehre ein Nebenmotiv – niemand behauptete, der Dreißigjährige Krieg sei einer um die Ehre. Insofern baut unser Autor einen Popanz auf. 47 So von mir geändert aus »geflogen«: [anonym], Nova nova antiqua continuationis der neuen Zeitungen ... (es handelt sich um eine Spruchsammlung, hier interessiert die Rubrik »aus dem Läger«): Opel/Cohn, Sammlung, Nr. 83. Die »Ehre« beschwört auch dieses Diktum: »daß

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auch konkrete politische Zielsetzungen verfolgen, so mahnte ein Traktätlein 1623 die deutschen Reichsstädte unter anderem mit dieser Phrase vor zu viel Friedfertigkeit: »Honestum bellum turpi paci est praeferendum«.48 Daß eine auf »gloire« verkürzte, mit ihr geradezu synonym verwendbare »Ehre« kriegstreibend wirken konnte, sagen uns sogar vormoderne Lobpreisungen des Friedens. Eine Flugschrift von 1620 läßt Friedensappellen dieses Werturteil folgen: »Vnd ist die Ehr vnnd Ruhm gegen dem Schaden«, der aus Kriegen erwüchse, »weit nicht zuvergleichen«.49 Der Kurfürst habe seit seinem Regierungsantritt erfahren müssen, »was für einen Hauffen Unglücke der Krieg mit sich zu bringen pflege«, ließ der Berliner Hof 1673 offiziös erklären, um anzufügen: Friedrich Wilhelm habe »zwar Ruhm und Ehre vom Kriege gehabt, und darff sich dessen nicht gereuen lassen«, doch sei ihm »die gemeine Ruhe weit mehr, ja eintzig und allein angelegen gewesen«.50 Gewiß muß ich einräumen, daß mit solchen Einzelbeobachtungen51 kein strikter Beweis geführt werden kann. Zumal auch Warnungen vor zu viel Ehrpusseligkeit nicht völlig fehlen. Francesco Guicciardini hält die Gier nach Ehre und Ruhm grundsätzlich für löblich, als Antriebskraft, Spannfeder52, doch gelte hier wie sonst: alles in Maßen! Versuchte man, die über verschiedene Kapitel verteilten Ausführungen Diego de Saavedras zur Ehre des »Príncipe« zu bilanzieren, sähe die Summe ähnlich aus. Der diplomatisch versierte Autor beobachtete, wie »vngezeumbte rühmgierigkeit« zu militärisch wenig stringentem Verhalten verführen konnte, »als wan man nicht einen rühmlichen Nahmen erlangen könte, es muste dan die kraft vnd macht gebrauchet vnd blut vergossen werden«. Beispielsweise wollten »wegen rühmgierigkeit ... etzliche nicht andern zu hülff kommende Völcker erwarten, damit sie ja im obsiegen allein sein möchten«, wofür Saavedra sogar ein zeitgeschichtliches Exempel zu kennen meint: »Wie dan auch dem Tilly vor Leiptzig wiederfahren,

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es alsdann Zeit sei ehrlich zu sterben, wann man nicht mehr ehrlich leben kann«. Übrigens kommt Iustitia bei den Sprüchen »aus dem Läger« gleich häufig vor, nämlich drei Mal. [Anonym], Der Evangelischen Reichsständen vnd Stätte Schildtwacht, fol. B2 (Kursivsetzung von mir). [Anonym], Memorial oder Motiven, S. 16. [Anonym] (Hg.), Deß Königl. Frantzösischen Plenipotentiarii Memorial, Oder Klag-Schrifft ... Sammt einer zweyfachen Beantwort- und Ableihnung desselbigen ..., Frankfurt 1673, wiederabgedr. in: Continuatio XXVI. Diarii Europaei, Appendix, S. 306–328, die Zitate: S. 319f. Sie erwuchsen gleichsam als Nebenprodukte meiner Neugierde auf die Behandlung des Neutralitätsthemas. Auch muß ich gestehen, daß mir die Brisanz der »Ehre« hierfür zu spät bewußt wurde, wohl, weil während jenes Dreißigjährigen Krieges, der mich überhaupt aufs Thema »neutralitet« stieß, der Sündendiskurs so dominant war. »Honoris et gloriae cupiditas digna laude est, et in societate hac humana vtilissima: ea enim homines ad cogitationes atque actiones generosas atque excelsas extimulat«, doch folgt dem die Warnung vor Übermaß, außerdem vor Machtgier (»de cupiditate potentiae«): Francesco Giucciardini, Hypomneses Politicae; Recens ex Italico Latina facta, Halle 1597, Maxime 74.

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dieweil er nit wolte auff die Kayserliche warten«.53 Andere Passagen des Fürstenspiegels betonen indes, wie notwendig Prestige, der Respekt der Mitakteure, ausdrücklich auch die »ehre« des Fürsten für eine erfolgreiche Außenpolitik seien.54 Christoph Lehmanns »Politischer Blumengarten«55 gibt sich beim Stichwort »Ehr« einerseits skeptisch, oft spöttisch, die Eitelkeit ist nah: »Wer sich an grossen Schatten erfrewd, der hat auch frewd an der ehr« (und: »wenn der Schatten am grösten ist, so geht die Sonn bald vnter«), »Ehr und Hoffart seynd zwilling«, »Ehr ist ein böß geschwer«. Eine ganze Reihe von Sprüchen rückt »Ehr« sogar in die Nähe von Hybris: »Wer zu hoch fleucht der verbrent die federn«, »Wer hoch steigt der burtzelt offt wie ein Kugel wider ab«, oder, unter (nicht expliziertem) Rückgriff auf das stolze »Plus oultre« Karls V.: »Wer nur denckt plus vltra der gehort wol ad inferna«. Doch folgt solcher – allgemein gehaltener, nicht kriegsspezifischer – Ehrkritik ein viel positiver gehaltener »Discurs von der Ehr und Lob«56, wo dann auch der Bezug zum bewaffneten Kampf hergestellt wird: »Welcher dapfferer Soldat, welcher edler Ritter vnd Fürstlicher Obrist, wolt ohne die süsse hertzerfrischende Ehr vor Land vnd Leut wider den Feind streiten, vnd sein Leben in die Schantz schlagen?« Wir finden ferner diese Durchhalteparole, Wegzehrung in aussichtsloser Mission: »Ehr verlohren, ist alles verlohren, ists Leben verlohren, so bleibt die Ehr vnverlohren«. Lehmann weiß auch, daß die Ehre besonders im Adelsethos verankert ist: »Niemand ist zu Ehren [so] inbrünstig als ein Adelichs hohes dapffers Gemüth, inmassen die Ehr selbst das höchst vnnd edelst Kleynod auff der Welt ist, vnnd hat jedes gern was jhme gleichet«. Was indes das rechte Maß übersteigt, macht krank, treibt in die Sucht: »So gar tieff ists der Ehrensucht angewachsen, daß sie die Leut blehet vnd nicht bleiben läst, wie sie dieselben gefunden«. 3.1.4 Eine Epoche der »Ehrensucht«? War nicht recht eigentlich erst die Zeit des höfischen Absolutismus die der »Ehrensucht«57? Dürfen wir eine auf »gloire« verkürzte, veräußerlichte Ehre als kräftige Triebfeder speziell der Bellizität der ludovizianischen Ära apostrophie53 Saavedra, Abris Eines Christlich-Politischen Printzens, S. 1085. 54 Ich weise nur auf S. 1094f. hin: »Wo das schwert gezucket vnd nit wird bluttig gemacht, muß mit schanden wieder eingestecket werden. Beschädiget solches nicht den Feind, so wüttet solche[s] wieder ihr eigene ehre«, was hochgefährlich ist, denn »wo das ansehen verlohren ist, da kommen auch die allermächtigsten in gefahr«. 55 Zum Folgenden: Lehmann, Florilegium politicum, s. v. Ehr (S. 153–156). 56 Ebda., S. 156–161. 57 Anmerkungsweise sollte ich wohl wiederholen, daß es dieser Studie um Beobachtungen aus dem Umkreis von Krieg und Frieden, nicht um eine Geschichte »der Ehre« geht, auch nicht

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ren? Daß Ehre und Ruhm im mentalen Haushalt der adeligen Letztentscheider des späten 17. und des 18. Jahrhunderts eine ganz herausgehobene Stelle einnahmen, ist evident: »Gloire und Reputation waren für den Barockfürsten Schlüsselworte seines Selbstverständnisses, und wenn er sie in Frage gestellt glaubte, reagierte er aggressiv.«58 Daß zahlreiche Herrscher des Zeitalters gern oder sogar bei jeder sich bietenden Gelegenheit an der Spitze ihrer Heere in den Krieg zogen59, fügt sich in diesen Wertekanon, freilich nutzte das Muster eines höfischen Absolutisten, Ludwig XIV., seine unverwüstliche Gesundheit nicht für die Etappe, er demonstrierte lieber, daß er die Strapazen eines stets öffentlichen Lebens bei Hofe vom Lever bis zum Coucher besser als alle anderen in ihren Pseudo- und Miniversailles ertrug. Er glänzte als Europas honettester »honnête homme«, nicht als Feldherr. Aber natürlich ließ auch Ludwig das eine und originale Versailles mit Freskos ausstatten, die seine militärischen Triumphe herausstrichen: Wer den Krieg nicht ehrt, ist des Nachruhms nicht wert! Daß sich der Roi Soleil »von einem stark ausgeprägten Bedürfnis nach Ruhm und Reputation leiten ließ«60, ist für alle Ludwig-Kenner unstrittig. Schon zeitgenössische Beobachter hoben es hervor. Auf Vermittlungsmission in Paris weilend, erlebte Theodor Heinrich Altet von Stratman den Bourbonen als einen »König der glorieus ist vnd ehnder crepiren wirdt alß par manier de contrainte etwas nachgeben«.61 Nicht nur Franz Paul von Lisola, der begabteste Pamphletist seiner Zeit, geißelte die »Ehrsucht« des Roi soleil62, auch weniger bekannte Flug-

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um eine Geschichte der Kritik an übersteigerter »Ehrsucht«. Letztere müßte ein weites Feld ausschreiten – von den Réflexions La Rochefoucaulds (»Le ridicule déshonore plus que le déshonneur«), der Ethik Spinozas oder Robert Burtons Anatomy of Melancholy bis hin zu zahlreichen Barockdichtern (Angelus Silesius: »Wie töricht sind wir doch, daß wir nach der Ehre streben! Gott will sie ja nur dem, der sie verschmähet, geben«). So faßte jüngst Heinz Duchhardt zusammen: Vorabend der Moderne, S. 63f. Ähnlich urteilte wiederholt Johannes Kunisch, ein Kenner des Absolutismus und der absolutistischen Kriegführung, beispielsweise hier: J. K., La guerre – c’est moi! Zum Problem der Staatenkonflikte des Absolutismus, in: ders., Fürst – Gesellschaft – Krieg. Studien zur bellizistischen Disposition des absoluten Fürstenstaats, Köln/Weimar/Wien 1992, S. 32f. Eine Liste solcher Herrscher bietet Black, Why wars happen, S. 99. Es folgen ebda. einige Beobachtungen zur zeittypischen »iconography of kingship«. So formuliert Klaus Malettke: Grundlegung, S. 37f. Von der »Ruhmsucht Ludwigs XIV.« spricht Hans Schmidt, und sie erkläre, daß dann »sobald sich auch nur der Schein eines Vorwandes ergab, ein Krieg vom Zaun gebrochen wurde«: H. S., Frankreich und das Reich von 1648–1715, in: Rainer Babel (Hg.), Frankreich im europäischen Staatensystem der Frühen Neuzeit, Sigmaringen 1995, S. 15f. Stratman an den Neuburger Pfalzgrafen Philipp Wilhelm, 1675, März 23 (Or.), BayHStA Kasten blau 7/21. Für manch Vergleichbares aus Lisolas Hand: Ludwig handelt nicht nach rechtlichen Grundsätzen, den Westfälischen Frieden beispielsweise versteht er »gleich einen Wetter-Hahn nach

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schriften wußten von ihr.63 Es gehe in Ludwigs Kriegen nicht um Sicherheitsinteressen und Selbstverteidigung, gehe einzig und allein um die »Ausbreitung und vester Setzung der Frantzösischen überall schon erschallender Renomé«, um »Exzessen« der Ruhmsucht.64 Wer Ludwig wohlwollte oder seine holländischen Gegner nicht mochte, betonte, »daß jederman, sonderlich den Monarchen und Freygesetzten zuläßlich, sich an seinen Schmählern zu rächen«, »Du solt (sagt die Weißheit) deinem guten Namen keinen Schandflecken anthun«, ja, es sei »besser zu sterben, als gestatten, daß ein anderer ... Glory, Ehr und Preyß zu nichten mache«.65 Die französische Diplomatie bekannte sich ja gern dazu.66 Ludwig selbst erklärte, seine »gloire« sei »la chose du monde qui m’est la plus précieuse«.67 Für den Regierungsnachfolger hielt er fest, daß er »par un seul et même désir de gloire« angetrieben werde. Überhaupt unterschieden sich Könige dadurch vom Rest der Menschheit, daß diese »passion maîtresse et dominante« bei ihnen alle anderen überwiege. »La réputation fait souvent elle seule plus que les armées les plus puissantes«68, freilich, sie mußte auch ihrerseits durch immer neue kriegerische Heldentaten untermauert werden69, stand insofern in einem Wechselverhältnis

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allen ihn anständigen Winden zu seiner Ehrsucht ... zu drehen« – so »Warendorp«, HandBrieff, S. 30. Für den Terminus »Ehrsucht« nenne ich nur noch [anonym], Der Abgezogene Frantzösische Staats-Rock (unpag.); [anonym], Kurzter Entwurff der Rechtmässigen Waffen (S. 25); sowie »Alexander Christian de Metre«, Kurtze Erzehlung, fol. Aiiij (»die Ehrsucht neue Lande zu besitzen, und die Begierde durch die Waffen Ruhm zu erlangen, haben ihn angespornet gleich mit dem Anfange seiner Regierung«, ihn dürstet nach »Ruhm-reichen Thaten«) und fol. Aij. So [anonym], Die zum Andernmal eröffnete Frantzösische geheime Raths-Stube, Worinnen die Consilia über jetzigen betrübten Frantzösischen Zustand zusammen getragen worden ..., o. O. 1675 (unpag.). [Anonym], Politische Considerationes, Oder Bedencken Uber gegenwärtigen Krieg Zwischen Franckreich Und Holland, o. O. 1673, fol. D weiß: der Holländische ist ein Krieg, »welcher den allgemeinen Frieden auffopffert dem Ehrgeitz eines Königes, der nur seine Ehre auszubreiten so viel Christen-Blut vergiessen lässet«. [Anonym], Von der Holländern Religion, S. 36. Vgl. schon oben S. 235 mit Anmm. 10f. »Vous pouvez, Messieurs, juger de l’estime que je fais de vous, puisque je vous confie la chose du monde qui m’est la plus précieuse, qui est ma gloire«: so machte Ludwig dem »Conseil« für die Kunstförderung klar, an welch zentralem Staatsziel es arbeitete. Zit. nach Dietrich Erben, Paris und Rom. Die staatlich gelenkten Kunstbeziehungen unter Ludwig XIV., Berlin 2004, S. 297. Jean Longnon (Hg.), Louis XIV. Mémoires. Suivi de Réflexions sur le métier de Roi, Instructions au duc d’Anjou. Projet de harangue, Paris 1983, S. 33 bzw. S. 58 bzw. S. 228. Vgl. nur, für viele ähnliche Passagen, ebda., S.  51: Es stehe fest, »que la réputation ne se peut conserver sans en acquérir tous les jours davantage; que la gloire enfin n’est pas une maîtresse qu’on puisse jamais négliger, ni être digne de ses premières faveurs, si l’on n’en souhaite incessamment de nouvelles«.

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zu militärischer Bravour.70 Der Krieg war die Königsstraße zum Ruhm. Wann immer Krieg das Mittel der Wahl war, um »réputation« und »gloire« zu mehren, war er einem nicht amtsvergessenen König nicht nur erlaubt, sondern geboten. Bekanntlich hat sich der Roi soleil an diese Maxime gehalten, er hat eigentlich immer Krieg geführt, zum bis 1789 nicht mehr reparierbaren finanziellen Ruin des Landes, und bekanntlich ging seine Rechnung trotzdem auf: Denn in der mémoire der französischen Nation steht er, aller geringschätzigen Vernachlässigung sonstiger vorrevolutionärer Geschichte zum Trotz, glänzend da. Das heute berühmteste Beispiel eines zeittypisch ruhmseligen deutschen Herrschers ist natürlich Friedrich II. von Preußen, der Mitteleuropa dadurch in eineinhalb blutige Dekaden stürzte, daß er zum »Rendezvous des Ruhms« nach Schlesien aufbrach. Wenn er in der »Histoire de mon temps« dröhnt, ihn habe der Wunsch »d’acquérir de la réputation« zu seinen Heldentaten befeuert, der Enthusiasmus »de se faire un nom«71, mag man das als Publicity abtun, doch gibt es vergleichbare interne Zeugnisse72. Ehr- und Ruhmsucht beherrschten aber nicht nur einzelne Protagonisten »des Absolutismus«73, prägten die ganze Kriegführung der zweiten Hälfte der Frühen Neuzeit. Jürgen Luh resümierte jüngst, »Ästhetizismus und Ehre« hätten »im Heerwesen der Zeit unverkennbar Priorität vor militärischen Zweckmäßigkeitserwägungen« genossen. »Selbst inmitten des Kampfgeschehens 70 Vgl. nur den langen Lobpreis aufs große Vorbild »Charlemagne«, »il était monté à ce haut point de gloire ... par le courage et par les victoires ..., quand il a résolu de soumettre les autres puissances à une seule« (S. 68). Der Sohn möge sicher sein, heißt es an anderer Stelle, daß er natürlich Länder lieber erobere als erwerbe (»conquérir«, »acquérir«), aber ein König muß seine Methoden abwechseln, »il faut de la variété dans la gloire« (S. 126). Rangstreitigkeiten zwischen seinem und dem spanischen Ambassadeur in London hätte er, so Ludwig, ohne Nachgiebigkeit der anderen Seite durch den Krieg »pour l’honneur de ma couronne« entschieden; ein derart ruhmsteigernder Krieg, »où je pusse acquérir de l’honneur, en me mettant à la tête de mes armées«, sei Königen »non seulement permise, mais commendée« (S. 95f. bzw. S. 101). 71 Johann David Erdmann Preuss (Hg.), Œuvres de Frédéric le Grand, Bd. 2, Berlin 1846, S. 54. 72 »J’aime la guerre pour la gloire«, schrieb Friedrich beispielsweise knapp und entlarvend, kurz nach dem dreisten Einfall nach Schlesien, im Februar 1741, an seinen Jugendfreund Charles Etienne Jordan: Johann David Erdmann Preuss (Hg.), Œuvres de Frédéric le Grand, Bd. 17, Berlin 1851, S. 89. – »L’honneur, le désir de la gloire, le bien de la patrie [man beachte die Reihenfolge!] doivent animer ceux qui se vouent aux armes, sans que de viles passions souillent d’aussi nobles sentiments«: Politisches Testament Friedrichs II. von 1768, Duchhardt, Politische Testamente, S. 186–276 (hier S. 217). 73 Man entlarvt sich mittlerweile als unaufgeklärt, wenn man nicht pflichtschuldigen Zweifel an der Tauglichkeit des Etiketts bekundet. Für diese Diskussion ist hier aber wirklich nicht der Ort. Daß sich das gewissermaßen durchschnittliche, insofern zeittypische Amts- und Selbstverständnis der Fürsten und Könige im Verlauf der Frühen Neuzeit verändert hat, ist unzweifelhaft, die Rubrizierungen mag man anderswo ausdiskutieren.

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spielten Fragen der Ehre oftmals eine bedeutendere Rolle als militärische Nützlichkeitserwägungen«.74 Er reiht instruktive Beispiele aneinander, die zeigen, wie sehr »Ehre« die militärischen Spitzen umtrieb und eine zweckrationale Kriegführung erschwerte. In gewisser Hinsicht gehört selbst die Aufblähung des Trosses durch Dienstpersonal und sperrige Luxusmöbel, also Nichtkombattanten und Bagage hierher. Und die prächtigen bunten Uniformen? Sie machten ihre Träger zu prima Zielen für die feindliche Artillerie, indes, die eigenen Heldentaten sollten ja auffallen. Manche Beobachtungen dieses amüsanten Streifzugs über die Schlachtfelder des Absolutismus sind übrigens trefflich geeignet, den von Niklas Luhmann behaupteten Übergang von einer stratifikatorischen zu einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft 75 zu veranschaulichen, weil sie zeigen, wie eine – nach modernen Maßstäben – effektive Kriegführung unter dem Widerstreit zwischen geerbter bzw. außermilitärisch akkumulierter Ehre und berufsspezifischen Befehlswegen litt. Daß die »Ehre« ein Krieg und Frieden dominierender Zentralwert geworden war, wurde nicht nur von kriegsflankierenden Flugschriften als zeittypisch wahrgenommen, auch von Aufklärungsautoren76 gegeißelt. »O entsetzliche Ehre«!, klagte in der Mitte des 18. Jahrhunderts Johann Michal von Loën, ihre faule Frucht sei »dieser falsche Heldengeist«, die »Heldensucht«.77 74 Jürgen Luh, Kriegskunst in Europa 1650–1800, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 215f. 75 In zahlreiche Luhmannsche Schriften sind Passagen mit Verweisen auf vermeintliche frühneuzeitliche Entwicklungen eingestreut, doch der Frühneuzeitspezialist wünschte, daß dieser scharfsinnige Denker mehr von seinen Jahrhunderten verstanden hätte; weil stets, genannt oder ungenannt, Norbert Elias Pate steht, stammen Luhmanns Beispiele zudem unverhältnismäßig oft aus dem französischen Absolutismus. Ich nenne exemplarisch diese für Historiker besonders anregende Monographie: N. L., Legitimation durch Verfahren, 2. Aufl. Frankfurt 1989; dann, weniger bekannt geworden: N. L., Geschichte als Prozeß und die Theorie sozio-kultureller Evolution, in: Karl-Georg Faber/Christian Meier (Hgg.), Historische Prozesse, München 1978, S. 413–440. – Um nicht mißverstanden zu werden: Luh rekurriert nicht auf die genannten Schriften, und diese kennen Luh nicht. Doch ließe sich das reichhaltige Material, das letzterer ausbreitet, gut nach systemtheoretischen Kategorien analysieren. 76 Eine nicht auf »Krieg und Frieden« fokussierte Studie müßte der verinnerlichenden Kritik am tradierten, aristokratisch geprägten Ehrkonzept im Zeichen bürgerlichen Tugendadels nachgehen, wie sie zahlreiche Werke der Dichtkunst (bezeichnenderweise wurde Lessings Minna von Barnhelm in England als »The School of Honour« veröffentlicht) und der politischen Philosophie vortrugen (Montesquieus De l’Esprit des lois ordnete eine als bizarr abgewertete »honneur« der monarchischen Staatsform zu, der Demokratie aber die »vertu«). 77 Loën, Gerechtigkeit des Krieges, S. 354 bzw. S. 363 bzw., auf Ludwig XIV. gemünzt, S. 365. Die Maßstäbe des »aufgeklärten« Autors sind natürlich andere: Er geißelt ein »falsches Bild der Ehre«, man darf nicht Kriege vom Zaun brechen, »um seinen Stolz und seine Ehre zu vergnügen«, denn »solchergestalt macht ein einziger Mensch das ganze menschliche Geschlecht zu einem Spielwerck, und stürtzet alles zusamen in Grauß und Jammer zu seiner Lust, zu seiner Ehre« (S. 354); »es ist eine schnöde unsinnige und abscheuliche That; wenn

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Weitere konzeptionelle und strukturelle Unklarheiten

Wir können ein Zwischenfazit ziehen: Die Antriebe für Kriege wurden nach unseren Maßstäben nicht vernünftiger, aber doch anders. Kein durchgreifender Rationalisierungsprozeß also – von einem Säkularisierungsvorgang können wir aber wohl sprechen. Der falsche Glauben war nach 1648 kein respektabler Kriegsgrund mehr, einen derart krassen Verstoß gegen die Political Correctness der Generationen nach den »Glaubenskriegen« warf man fürderhin allenfalls noch in denunziatorischer Absicht dem Gegner vor. Die Beichtväter zogen sich aus der Außenpolitik zurück. So man bereit ist, sich auf ein Denken einzulassen, das Ehrakkumulation für ein kalkulierbares und einkalkulierenswertes Lebensziel hält, stimmt es schon: Den hitzigen Konfessionskriegen folgten die auf Regierungsebene kühl kalkulierten Kabinettskriege einer Epoche, deren Urfurcht Unordnung war, die alles in Reih und Glied stellte, von den Bäumen im Schloßpark bis zur uniformierten Truppe, und selbst Frau Bellona domestiziert zu haben meinte. Sie glaubte hierfür nicht mehr auf alte scholastische Doktrinen zurückgreifen zu müssen: Wo einmal Iustitia allem den rechten Platz im Ordo hatte zuweisen sollen, waltete nun das Gleichgewicht als säkularer kriegshegender Zentralwert des europäischen Staatensystems der klassischen Epoche des Völkerrechts.

3.2 Vertrauenerweckend: die trügerischen Schlagworte »Gleichgewicht« und »Staatensystem« Das Gleichgewicht als Regulativ des Staatensystems des klassischen Völkerrechts: was für ein banales Satz! Aufmerksam gelesen, bietet er aber fast so viele Fragezeichen wie Wörter. Diese Fragezeichen herauszuarbeiten, soll das letzte Anliegen eines Kapitels sein, das ja gerade darauf hinweisen will, wie viel wir im Umkreis von Krieg und Frieden noch besser verstehen lernen müssen. 3.2.1 Die »Balance of Power«, oder: ein Running Gag der Geschichte der Internationalen Beziehungen Das Gleichgewicht, eine zentrale politische Kategorie erst der zweiten Hälfte der Frühen Neuzeit? Das wird in der Tat seit hundert Jahren immer wieder behauptet, aber noch häufiger hieß es, Europa habe der italienischen Kleinstaatenwelt des 15. Jahrhunderts an der Schwelle zur Neuzeit ihre »bilancia« abgeschaut. ein Fürst darinnen seine Ehre sucht, seine Macht auf Unkosten seiner Nachbarn auszubreiten« (S. 363); »Macht ... macht den Unterschied zwischen einem Helden und einem Strassenräuber« (S. 367).

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»Bilancia« sei jenes Leitmotiv gewesen, das »pace e tranquillità« der Apenninhalbinsel, die »libertas Italiae« habe gewährleisten, die Hegemonie einer der fünf Mittelmächte habe verhindern sollen – übrigens eine Sichtweise, für die man sich schon auf Francesco Guicciardini berufen könnte.78 Ausgerechnet beim Kampf um die Apenninhalbinsel seit 1494 habe sodann Europa diese Maxime von den Italienern übernommen und sie sogleich in den diese Kämpfe flankierenden Allianzen erprobt. Wegen der Sorge vor einer spanischen »monarchia universalis«, modern gesprochen: der spanischen Hegemonie über Europa sei die Idee zur Zeit Karls V. und erst recht im Konfessionellen Zeitalters virulent geblieben, habe sie politische Akteure und Denker nun auch zu programmatischen Ausarbeitungen79 animiert. So meinen es seit hundert Jahren unzählige Historiker zu wissen80, doch

78 Er meint beispielsweise zu wissen, daß Lorenzo de’ Medici darauf gesehen habe, »che le cose d’Italia in modo bilanciato si mantenessino che piú in una che in un’altra parte non pendessino«: Francesco Guicciardini, Storia d’Italia, hg. von Ettore Mazzali, Mailand 1988, S. 5. 79 Vgl., noch eher beiläufig und mit bezeichnendem Bezug auf die Apenninhalbinsel, Maria von Habsburg an den kaiserlichen Emissär in England [Simon] Renard, 1553, Oktober 8: Charles Weiss (Hg.), Papiers d’état du cardinal de Granvelle d’après les manusrits de la bibliothèque de Besançon, Bd. 4, Paris 1843, S. 120f.; dann, schon programmatisch, das Gutachten von Duplessis-Mornay für Heinrich III. von Frankreich »sur les moyens de diminuer l’Espagnol« von 1584 ­– zu ihm zuletzt Friedrich Beiderbeck, Heinrich IV. von Frankreich und die protestantischen Reichsstände, Teil 1, in: Francia 23/2 (1996), S. 13f. 80 Man könnte sogar schon auf den schottischen Aufklärungshistoriker und Biographen Karls V. William Robertson hinweisen. Übrigens verwendete er 1769 bereits den System-Begriff: »It was during his administration«, also der Karls V., »that the powers of Europe were formed into one great political system, in which each took a station, werein it has since remained with less variation ...« (William Robertson, The History of the Reign of the Emperor Charles V. With a View of the Progress of Society in Europe from the Subversion of the Roman Empire to the Beginning of the Sixteenth Century, Bd. 1, 10. Aufl. Glasgow 1800, S. V). Mich überraschte sodann diese eindeutige Diagnose Voltaires, erneut im Hinblick auf Karl V.: »Le système [!] de la balance et de l’équilibre était dès lors établi en Europe« (Essai sur les meurs [von 1756], Bd. 3, in: Œuvres complètes, Bd. 14, Paris 1830, S. 101). – Die Reihe von nach heutigen Maßstäben wissenschaftlich zu nennenden Studien zu diesem Thema dürfte Ernst Kaebers ideengeschichtliche Abhandlung eröffnen: Die Idee des europäischen Gleichgewichts in der publizistischen Literatur vom 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Berlin 1907. Jede Auswahl aus der überbordenden Literatur ist willkürlich, ich will nur diese berühmten Namen nennen: Heinrich Otto Meisner, Vom europäischen Gleichgewicht, in: Preußische Jahrbücher 176 (1919), besonders S. 224; Hans Rothfels, Gleichgewicht als regulierendes Prinzip im europäischen und Weltstaatensystem, in: Saeculum 19 (1968), besonders S. 407f.; Martin Wight, The Balance of Power and International Order, in: Alan James (Hg.), The Bases of International Order, London/New York/Toronto 1973, besonders S. 91–93; Winfried Schulze, Resümee, in: Friedrich Beiderbeck/Gregor Horstkemper/ders. (Hgg.), Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, Berlin 2003, besonders S. 338–342.

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gab es immer auch andere Stimmen81, fast ist man versucht, vom Running Gag der Erforschung der internationalen Beziehungen zu sprechen, oder, wenn das komische Fach nicht beliebt: von einem wieder und wieder nach oben gewälzten Stein des Sisyphos, der seine Endlosschleife womöglich nie verlassen wird. Die vorerst letzte Debattenrunde löste Konrad Repgen mit der Behauptung aus, das Gleichgewicht »als normatives Prinzip der politischen Organisation Europas« sei »eine Folge des Westfälischen Friedens« gewesen.82 Die – wie gesagt: eigentlich nicht neue – Einschätzung provozierte substantielle Kritik83 und stieß auf ungeteilte Zustimmung84, entfachte eine Debatte, die der verdämmernden Historiographie der internationalen Beziehungen dankenswerter Weise etwas Glut einhauchte, um zur Jahrtausendwende allmählich wieder zu verebben, ohne Sieger und Besiegte produziert zu haben. 81 Knapp gesagt, heben sie darauf ab, daß Europa erst im gemeinsamen Widerstand gegen die hegemonialen Ziele Ludwigs XIV. in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts das Gleichgewicht als handlungsleitendes Regulativ endtdeckt habe. – Wiederum exemplarisch: Max Immich, Geschichte des Europäischen Staatensystems von 1660 bis 1789, Berlin/München 1905, besonders S. 103; Joachim von Elbe, Die Wiederherstellung der Gleichgewichtsordnung in Europa durch den Wiener Kongreß, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 4 (1934), besonders S. 228; John B. Wolf, Toward an European Balance of Power 1620–1715, Chicago 1970, besonders S. Xf.; oder Walther Hubatsch, Das Zeitalter des Absolutismus 1600–1789, 4. Aufl. Braunschweig 1975, besonders S. 138. 82 Konrad Repgen, Der Westfälische Friede und die Ursprünge des europäischen Gleichgewichts, zuerst in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft 1985, Köln 1986, S. 50–66. – Die Monographie von Arno Strohmeyer, Theorie der Interaktion. Das europäische Gleichgewicht der Kräfte in der frühen Neuzeit, Wien/Köln/Weimar 1994 interessiert die Frage nach Wurzeln und Anfängen ausdrücklich nicht. Strohmeyer suchte einen Anwendungsfall, um die Nützlichkeit einer Synthese von soziologischer Handlungstheorie und Luhmannscher Systemtheorie für Historiker demonstrieren zu können. Die aus ganz anderen Gründen anregende Studie geht auf die hier gestellten Fragen nicht ein. 83 Sehr gründlich schon Wolfgang-Uwe Friedrich, Gleichgewichtsdenken und Gleichgewichtspolitik zur Zeit des Teutschen Krieges, in: Wolf D. Gruner (Hg.), Gleichgewicht in Geschichte und Gegenwart, Hamburg 1989, S. 18–59; vgl. beispielsweise noch Malettke, Grundlegung (S. 47: »überspitzte These« Repgens). 84 So insbesondere, um erneut nur die berühmtesten Namen zu nennen, bei Johannes Burkhardt, Jeremy Black und Heinz Duchhardt. Vgl. beispielsweise Jeremy Black, Kings, Nobles and Commoners. States and societies in early modern Europe, a revisionist history, London/New York 2004, S. 71 (im 18. Jahrhundert kam »the idea« [!] erst auf ); Johannes Burkhardt, Die entgipfelte Pyramide. Kriegsziel und Friedenskompromiß der europäischen Universalmächte, in: Klaus Bußmann/Heinz Schilling (Hgg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa, Textband 1, München 1998, S. 59 (»das Gleichgewichtsdenken ... begann« [!] nach 1648 »die Machtverhältnisse in Europa in der Folgezeit zu bestimmen«); ähnlich ders., Dreißigjähriger Krieg, S. 202; Heinz Duchhardt, Internationales System im Ancien Régime, in: Historische Zeitschrift 249 (1989), S. 539 bzw. S. 541: »Einführung der Balancedoktrin in die zwischenstaatlichen Beziehungen« um 1700, »nun, seit ca. 1700, wählte man ... eine politische Philosophie, die Balanceidee«.

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Es scheint auf den ersten Blick wenig sinnvoll zu sein, wenn ich versuche, in diese Endlosdebatte auch noch eigene Anschauungen einzubringen. Nun wird sich diese Studie freilich weiter unten ausführlich mit der Neutralität im Krieg beschäftigen, in diesem Zusammenhang auch fragen, ob sie sich denn eher in eine austarierte oder aber in eine hegemoniale Staatenordnung fügt (und wie das die Zeitgenossen sahen). So mag es doch schon jetzt angezeigt sein, eine Vermutung zum Großen und Ganzen sowie einige (tragfähigere) Einzelbeobachtungen anzuführen. Die Vermutung ist diese: Es handelt sich beim Bedeutungszuwachs des Gleichgewichtsgedankens um einen spezifisch frühneuzeitlichen Longue-durée-Trend, vergleichbar der Säkularisierung, der Sozialdisziplinierung oder der Verrechtlichung. Nach dem einen Schub zu fahnden, verkennt gerade das typisch Prozeßhafte solcher Langfristtrends, mag aber anregende Fragen gebären. In fast schon karikaturenhafter Verkürzung könnte man den Prozeß meines Erachtens so skizzieren: Man hat im 16. und frühen 17. Jahrhundert immer wieder einmal über Gegengewichte, meistens in Verbindung mit dem drohenden Übergewicht einer einzigen Macht, insbesondere Habsburg-Spaniens, nachgedacht – Hegemonie (»monarchia universalis«) und Aequilibrium gehörten als eng verschwisterte Begriffspaare zusammen. Die souveränen europäischen Staaten wollten sich, nachdem die mittelalterliche Führungsposition des Heiligen Römischen Reiches zur Reminiszenz herabgesunken war, nicht doch wieder einem Vorrang beugen, und was sie dieser Gefahr entgegenhielten, schon recht oft rhetorisch, publizistisch, gelegentlich (die »Ligen« der Zeit!) auch praktisch, war die Idee eines konzertierten Gegengewichts. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts grassierte die »Balance« zunehmend als Modewort wie die »Raison d’Estat« – wer den Eindruck erwecken wollte, etwas von Politik zu verstehen, konnte diese Zauberworte gar nicht oft genug raunen. Gewichte abzugleichen, paßte gewiß auch zum Denkstil der Eliten der Barockzeit: war doch Ordnung das Ideal dieser Epoche, Unübersichtlichkeit offenbar ihr Schreckensbild, das allenthalben zu überwindende. War nicht Geometrie ein Signum der Epoche? Der Staat war so geordnet, wollte es jedenfalls sein. Er verstand sich als Maschine, wurde jedenfalls oft so beschrieben: eine rational durchkonstuierte Maschine, in der jedes Rädchen ins andere zu greifen hatte. Auch die Staatenwelt so paßgenau zu ordnen, und zwar nach einem der Mechanik entliehenen Prinzip, nach Gleichgewicht, setzte genaues Quantifizieren, Abwägen, Austarieren voraus. Insofern atmete auch die Staatenwelt den Geist eines physikalischtechnischen Weltbildes, der Symmetrie, geometrischer Ordnung – jedenfalls in den Projektionen der gelehrten barocken Eliten. Als regulatives Prinzip, als Leitidee der praktischen Politik bewährte sich das Gleichgewicht im 18. Jahrhundert mit seiner immer wieder Grenzen und Potenzen verschiebenden, Gewichte austarierenden Konvenienzpolitik, und weil nun Großbritannien der Waagemeister war, hieß ein Schlüsselwort der Epoche »balance of power«.

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So könnte es sich mit dem Gleichgewicht verhalten haben. Das alles ist nicht originell, aber andere Historiker sehen es eben anders. Wir müssen es hier nicht entscheiden. Was mir offenkundig zu sein scheint und im Zuge meiner Recherchen fürs Thema »neutralitet« noch offenkundiger wurde, ist der Sachverhalt, daß Publizisten des 16. und 17. Jahrhunderts85 die Denkfigur »Gleichgewicht« sehr wohl kannten. Darüber wenigstens braucht man sich meines Erachtens nicht zu streiten. Eine Flugschrift von 1626 ist erkennbar weit davon entfernt, Originalitätsansprüche zu erheben, wenn sie anmahnt, »aller Politicorum Lehr, quod curandum sit, ne vicini hostes nimis fiant potentes mature zu practiciren: welche bestehet in dem den schwächern die wag zuhalten86, vnd dem Feind die spitz zubieten«. Diese – ihrer Ansicht nach offensichtlich etablierte – Politikermaxime untermauert sie ausführlich durch Reminiszensen an die Kämpfe um die Apenninhalbinsel an der Schwelle zur Neuzeit. Elf Jahre zuvor hatte ein »Discurs« erinnert: »Diese Regul ist allen Fürsten vnnd Ständen, notwendig in acht zu nehmen, das sie nimmermehr einen andern lassen so groß werden, das er sie nachmaln alle leichtlich vnterdrücken könne. Daher entspringet der vornembste grund aller verbündtnüssen, auch zwischen denen, die sich wenig guts gönnen, in deme ein theil dem andern wegen der gemeinen sicherheit die Wage helt.«87 Eine Flugschrift von 1644 kalkuliert so: »Das jenige so Hispanien entzogen wird, das wird Franckreich zugebracht. Die vermehrung des einen stehet vns mehr zubeförchten, dan der abbruch deß anderen zu wünschen ... Es ist viel besser vor vns dise zwey Kronen ingleichem gewicht zu halten ohne ... die Waag vberhangen zu lassen«.88 »Wo die frantzosen oder Spanische wagschale waß zu viel geladen, da müste der Frieden springen«89, wußte Diego de Saavedra Fajardo. Die 85 Für das 18. Jahrhundert ist das natürlich ganz unumstritten. Ich will nur noch eine in diesem Zusammenhang meines Wissens bislang nicht erwähnte Beobachtung mitteilen: Das Gleichgewicht war im späten 18. Jahrhundert zu einer so geläufigen Denkfigur geworden, daß es sogar die publizistische Debatte über den Fürstenbund von 1785 prägte, worauf ich bei Dieter Stievermann, Der Fürstenbund von 1785 und das Reich, in: Volker Press/ders. (Hgg.), Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit?, München 1995, S. 217 stieß. Man kann es auch als Indikator dafür nehmen, wie im 18. Jahrhundert zunehmend Kategorien, die mit dem politischen System Mitteleuropas inkompatibel gewesen sind, die Reichspolitik kontaminierten. 86 Meint hier zweifelsohne: die Schwächeren zu stützen. – [Anonym], Das Teutsche Klopff Drauff. Oder, Hochnötigste vnd Rechtmäßige, auch gut Teutsche Anmahn-vnd Erinnerung ..., o. O. 1626 (unfol.). 87 Es folgen viele historische Exempel, nicht zuletzt aus dem Kontext des Ringens um die Apenninhalbinsel um 1500 herum: [anonym], Politischer Discurs, Ob sich Franckreich, das Zitat: fol. Aiiij. 88 [Anonym], Trewhertzige Vermahnung, fol. 8. 89 Und zwar auf der Apenninhalbinsel, auf ihr mußte spanische Macht französische Begehrlichkeiten austarieren. Kluge italienische Fürsten wußten dies schon immer, haben deshalb

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einzige ausführliche deutschsprachige Monographie zur »Neutralitet«, aus der produktiven Feder des Breitbandautors Johann Wilhelm Neumayr von Ramsla, räumt dem Gleichgewicht keine größere Rolle ein, kennt aber auch das Bild von der Waage.90 Eine lateinische Dissertation zum Thema »neutralitas« aus dem Jahr 1661 kalkuliert durchgehend mit dem Gleichgewicht und hält das für ganz normal, für Politikerbrauch: »Pro statuum securitate nihil utilius ducunt Politici, quàm si in aequilibrio conservetur potentiorum autoritas«. Ein guter Grund, neutral zu bleiben, ist die Aussicht, benachbarte Feindstaaten »in aequilibrio conservare« zu können. Selbst wenn eines Mächtigen »justa est causa«, wird der Schwächere doch bedenken, daß ihm militärisch beizuspringen seine Kraft noch mehr anschwellen läßt – es ist deshalb lobenswerter, das Gleichgewicht auszutarieren, so, wie Venedig Oberitalien »in aequilibrio« hält.91 Aequilibrium vor Iustitia: diese Ansicht hätte ich gewiß auch weiter oben, im Kontext der Frage nach einer Säkularisierung des Denkens über Krieg und Frieden, referieren können! Wer sich am Gleichgewicht der Kräfte orientiert, bewertet nicht mehr, sondern mißt ab. An die Stelle allenfalls theologisch oder philosophisch zu ergründender moralischer Qualitäten treten vermeintlich objektivierbare, ökonomisch und politologisch vermeßbare Quantitäten. Ob man das für einen Rationalisierungsprozeß hält, hängt wohl auch davon ab, ob man der Philosophie mehr zutraut oder aber der Politikwissenschaft, und ob man die vielbeschworene »ökonomische Vernunft« vernünftig findet. Die Vertreter der jungen »Politica« hielten ihre Kräftekalküle gewiß für fortschrittlich. Was sich in gewisser Hinsicht auch säkularisiert hat, war das Feindbild: Unterlegten Karl V. oder Philipp II. (und im anderen Lager Gustav Adolf ) ihre Suprematieansprüche92 ganz wesentlich und auch mehr oder weniger glaubhaft konfessionell, stand

der spanischen »wagschale waß zugelegt damit das gewicht instehe«: Saavedra, Abris Eines Christlich-Politischen Printzens, S. 1072f. 90 Im Kapitel über die Frage, ob man »dem Stärckern, oder dem Schwächern« helfen soll, wird der Gedanke geäußert, daß »man also dem Mächtigern die Wage halten müge«: Johann Wilhelm Neumayr von Ramsla, Von der Neutralitet und Assistentz oder Unpartheyligkeit und Partheyligkeit in KriegsZeiten sonder­barer Tractat oder Handlung, Erfurt 1620 (unpag.). 91 Schemel, Dissertatio politica, S. 7 bzw. S. 15 bzw. S. 49. Das Gleichgewicht ist auch sonst nie fern, so heißt es auf S. 26, im Kontext der Behandlung von Kriegsallianzen, oft könne ein Körnlein den Ausschlag geben, »quando pondus in aequilibrio est«. 92 Man muß konzedieren, daß die Kaiserkonzeption Gattinaras (und: wie wichtig war sie für Karl? – befaßt man sich mit Karl-Studien spanischer Historiker, könnte man zum Schluß kommen, die deutsche Historiographie leide unter einem Gattinara-Tick), der konfessionspolitische Ehrgeiz Philipps II. und die besonders umstrittenen, in einer Fußnote gar nicht umreißbaren etwaigen politischen Ziele Gustav Adolfs (die hier den »Sonderweg« einschlagende schwedische Historiographie unterstellt ihm ja sogar primär ökonomische Antriebe) nur auf einer ziemlich hohen Abstraktionsebene zusammengezwungen werden können.

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für den Allerchristlichsten König die konfessionelle Profilierung93 nicht mehr im Zentrum außenpolitischer Bemühungen, vor allem aber nahmen ihm religiöse Motive die meisten Zuschauer nicht mehr ab. Wer gegen die ludovizianische Hegemonie anging, bekämpfte keine – grundsätzlich diskutable – europäische Mission, sondern nackte Übermacht. Diesen Exkurs veranlaßte das durchgehende Kräftekalkül einer Abhandlung von 1661. Derart dominant ist der Gleichgewichtsgedanke in keiner mir bekannten Schrift aus dem 16. Jahrhundert, doch wußte schon Jean Bodin, daß »la seuretè [sic] des Princes et des Republiques, gist [sic] en vn contrepoids egal de puissance des vns et des autres«, und, wegen der Behauptung, Bekanntes zu kolportieren, besonders interessant: »... en quoy il fut iugé des plus sages, qu’il n’i a rien meilleur pour la seureté des estats, que la puissance des plus grands soit égal autant qu’il sera possible«.94 Und die praktische Politik? Fest steht, daß wichtige Kriegsherren und Ratgeber jedenfalls des 17. Jahrhunderts den Begriff kannten. Ehe die »balance« zum antiludovizianischen Schlachtruf wurde, wollten Frankreichs Politiker wieder und wieder die angeblich drohende Vormacht Madrids ausbalancieren, indem sie Gegengewichte mobilisierten. Daß Heinrich IV. im Sommer 1610 mit deutscher Unterstützung gegen Spanien loszuschlagen gedachte95, begründete Sully dem holländischen Diplomaten Franz von Aerssen gegenüber damit, daß dieser Militärschlag »peut emporter la balance«.96 Die heutzutage zu wenig bekannte französische Unterstützung für Habsburg im Krisenjahr 1620 war untypischerweise auch konfessionell motiviert, aber es ging damals ausdrücklich ferner um die »balance«, nur drohe eben jetzt Habsburg ungebührlich zu wanken: Paris kalkulierte Gewichte, verschätzte sich dabei und legte sein Pfund auf die schwerere Waagschale.97 Das wird Richelieu nicht mehr passieren, seine Instruktion für Hercule de Charnacé vom 27. Oktober 1631 preist so den Effekt der Verträge von Bärwalde und Fontainebleau: Sie gewährleisteten »la balance entre les Catholiques et les Protestans pour leur mutuelle conservation, et l’on peult par ce moyen salutaire arrestre la trop grand [sic] puissance de la Maison d’Autriche et du Roy du Suède«.98 Der dieses Schweden durch den Dreißigjährigen Krieg führte, Axel 93 Immerhin sollte man vielleicht ans Edikt von Fontainebleau erinnern, als der Allerchristlichste König seinem Ehrentitel innenpolitische Substanz verleihen zu müssen glaubte und sich damit außenpolitisch partiell bündnisunfähig machte. 94 Jean Bodin, Les six Livres de la République avec l’Apologie de R. Herpin, Ndr. der Ausgabe von 1583, Aalen 1961, S. 797. 95 Von den äußeren Abläufen her zuletzt Gotthard, Konfession und Staatsräson, S. 67–69. 96 Vgl. hierzu BA, Bd. 3, S. 36. 97 Vgl. Gotthard, Frankreich und England. 98 Aus der Instruktion zitiert ausführlich Dieter Albrecht, Die Auswärtige Politik Maximilians von Bayern 1618–1635, Göttingen 1962, S. 324.

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Oxenstierna, baute nach Ansicht eines Kenners »die gesamte Sicherheitspolitik ... auf das Tarieren eines ›justum aequilibrium‹« auf.99 Unbestreitbar ist also, daß auch Praktiker der Politik mit dem Terminus operierten. Wie kräftig die publizistisch geläufige Kategorie vor dem 18. Jahrhundert konkrete politische Entscheidungen beeinflußt hat, ist derzeit aber nicht bündig zu veranschlagen. Der so lang schon hin- und hergewendete Problemkomplex »Gleichgewicht und internationale Beziehungen« ist eben nach wie vor nicht konsensfähig geklärt. Übrigens werden bei manchen Wortmeldungen auch verschiedene seiner Segmente – seit wann gibt es die Leitidee; seit wann ist sie für die praktische Politik wichtig; seit wann ist sie realisiert, herrscht also tatsächlich ein Gleichgewicht? – ungut vermischt.100 Ganz unklar ist nicht zuletzt, ob die Denkfigur Gleichgewicht ihrer Umsetzung in praktische Politik voranging oder ob letztere, die Politik, Fakten setzte, die dann hinterher theoretisch reflektiert und zur Doktrin ausgebaut wurden.101 Kurz (et erat demonstrandum!): unstrittiges Lehrbuchwissen läßt sich zu diesem Thema derzeit nicht formulieren. 3.2.2 Ein »System« aus »Staaten«? Wann und auf welchen Wegen die Transformation der gradualistisch gestuften mittelalterlichen Christianitas zum modernen Mächteeuropa, einer horizontalen Ordnung souveräner Völkerrechtssubjekte, stattgefunden hat, vermag die Frühneuzeitforschung derzeit nicht einhellig zu beurteilen. Ausgangspunkt und Ziel scheinen recht klar zu sein: Von Krieg, Frieden und Vertragsverhältnissen zwischen rechtlich Ungleichen, die der hierarchische Ordo verschieden plaziert, die oft in (beispielsweise lehnrechtlich begründeten) Abhängigkeitsverhältnissen zueinander stehen, hin zu Krieg, Frieden und völkerrechtlichen Verträgen zwi-

99 Günter Barudio, Der Ewige Frieden von 1648, in: Manfred Spieker (Hg.), Friedenssicherung, Bd. 3, Münster 1989, S. 67. Nicht alle Lesarten des Dreißigjährigen Krieges bei Barudio sind konsensfähig, aber ein Kenner speziell der damaligen schwedischen Politik ist er fraglos. 100 So auch jüngst wieder bei Gantet, Guerre, S. 202–204. 101 Es sollen hier nicht in einem zweiten Anlauf wieder alle möglichen Namen ananeinandergereiht werden; nur soviel: Konrad Repgens zuletzt vielbeachteter Aufsatz hebt darauf ab, daß die Gleichgewichtspraxis theoretischen Erörterungen weit nachgehinkt sei, während man früher ganz anders zu argumentieren beliebte – nehmen wir exemplarisch das seinerzeit exzellente Handbuch von Erich Hassinger, Das Werden des neuzeitlichen Europa 1300–1600, Nachdruck der 2. Aufl. von 1964, Braunschweig 1976, S. 95: »Das Prinzip des Gleichgewichts – theoretisch allerdings erst später formuliert – begann [1494] praktisch im Rahmen des westlichen und mittleren Europa maßgeblich zu werden«.

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Weitere konzeptionelle und strukturelle Unklarheiten

schen Rechtsgleichen102, die natürlich unterschiedlich mächtig sind und gegen drohende Übermacht die Gleichgewichtsideologie mobilisieren. Indes fragen wir uns erneut – wie beim weiter oben zum Zwecke exemplarischer Vertiefung gewählten, viel spezielleren Problem des Verblassens der Bellum-iustum-Doktrin –: wie war denn die Verlaufskurve, wo müssen wir die entscheidenden Schübe verorten? Und seit wann ist es angemessen, von einem »Staatensystem« zu sprechen? Auch die Beschäftigung mit dieser Frage krankt manchmal daran, daß nur ein bestimmtes Problemsegment, nicht alle wichtigen Kriterien (wann verblaßt die Einbindung in eine hierarchische Ordnung über dem einzelnen demnach nicht souverän agierenden Staat; wann werden konkurrierende Herrschaftsträger unterhalb der staatlichen Ebene eliminiert, etabliert sich demnach, modern formuliert, das staatliche Gewaltmonopol; seit wann gibt es regelmäßige Kontakte und Interdependenzen, dann auch ein elementares Regelwerk für den Verkehr zwischen den europäischen Staaten?) berücksichtigt werden, gelegentlich krankt sie wohl auch an einem unkritischen Umgang mit dem Terminus »System«.103 Reicht manchen Autoren für seine Verwendung hin, daß überhaupt einige überregionale politische Einheiten auszumachen sind, die einigermaßen festumrissene eigene Interessen verfechten, fragen andere nach Stetigkeit und Komplexität des diplomatischen Betriebs; setzen die einen am innerstaatlichen Prozeß der Machtkonzentration an, beobachten die anderen lediglich Interaktionen, und manchen von letzteren genügen Teilsysteme, während andere danach fragen, seit wann sich Interdependenzen über den ganzen Kontinent erstrecken. 102 Da gleichermaßen souveränen, es gab nach dem damaligen Begriffsverständnis keinen »Obersouverän«. Das Ius ad bellum besitzt nur noch der Souverän, dieser aber uneingeschränkt, er muß darüber keiner Instanz Rechenschaft legen – während das späte Mittelalter in der Kurie noch eine (theoretisch) unstrittige Letztinstanz zur eindeutigen Verortung der für legitime Gewaltanwendung unabdingbaren Iusta causa besessen hatte (und die UNO das Ius ad bellum jedenfalls deklamatorisch dem einzelnen Völkerrechtssubjekt benehmen, der »Völkergemeinschaft« übertragen wird). 103 Die Mindestvoraussetzungen für seine sinnvolle Verwendung scheinen mir diese zu sein: Es gibt eine benennbare Anzahl von Elementen (die Souveränität als für Völkerrechtssubjekte zu überspringender Numerus clausus macht die Sache klar; und vorher?; das spezielle Problem der Einordnung der Reichsstände müssen wir hier einmal außer Acht lassen), also selbständigen politischen Einheiten, die regelmäßig inter­agieren und dabei bestimmte Spielregeln (Bedeutung des in diesem Zusammenhang meist viel zu wenig beachteten Völkerrechts!) befolgen. Die moderne Systemtheorie würde natürlich nach weiteren Mindestvoraussetzungen fragen (Abgrenzung zur Umwelt des Systems, Subsysteme usw.), aber solche Kataloge komplett an die Vergangenheit heranzutragen und dort gleichsam abzuarbeiten, scheint mir selten wirklich weiterzuführen. – Wird nicht gelegentlich auch der Begriff »Institution« zu unkritisch verwendet? Sollen wir jede Form außenpolitischer Zusammenarbeit, etwa das »Konzert der Großmächte« im 19., gar schon die Gepflogenheit, sich ab und an zu großen Kongressen zu treffen, im 18. Jahrhundert dem Institutionenbegriff subsumieren?

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Übrigens könnte man ja für die Vormoderne auch an der Sinnhaftigkeit des Terminus »Staat« so seine Zweifel hegen – weil der heutzutage Erwartungen wecken muß, die vormoderne Gemeinschaftsbildungen mit ihrer fluktuierenden Konsistenz, vormoderne Formen der Herrschaftsorganisation mit ihrer geringen Manpower nicht einlösen können; aber auch aus Gründen, die enger an unser Thema »Krieg und Frieden« gekoppelt sind. Sucht man die europäische Staatenwelt in den vordergründig ganz hierum kreisenden »Avisos«, die Karl V. seinem Sohn Philipp an die Hand gab, findet man zum einen einen Familienverband der von Gott mit Regierungsaufgaben betrauten Dynastien. Die meisten Worte verliert Karl über weitschweifig entwickelte Heiratsprojekte. Der Stabilität des europäischen Hochadelsverbands dient der »Frieden«, wie gelegentlich gesagt wird, vor allem aber geht es um »Freundschaft« zwischen den maßgebli­chen Familien. Zum anderen ist Europa, noch ganz mittelalterlich, Christianitas.104 Bürokratien und »Institutionen« jedenfalls finden wir dort nicht. Aber auch für Akteure des 17., noch des 18. Jahrhunderts handelten zunächst einmal »Höfe«, »Dynastien«, »Minister«, handelten Mitglieder des europäischen Hochadels oder der internationalen Community von Berufsdiplomaten, keine Institutionen (und erst recht keine Nationen). Waren Zusammenkünfte von Fürsten, internationale Jagdgesellschaften, Adelshochzeiten außenpolitische Meetings, gesellschaftliche Ereignisse oder Familientreffen? Nicht nur die Verwendung des Terminus »Staatensystem«, sogar die Rede von einer »Außenpolitik« könnte man also für die Vormoderne durchaus problematisieren. Nicht nur das Alter eines sinnvollerweise so zu etikettierenden »Systems« von »Staaten«, auch das Alter von »Außenpolitik« überhaupt ist nicht konsensfähig geklärt.105 Verrät es übrigens eine »etatistische Sicht der Vergangenheit«, wenn man den »Begriff der Außenpolitik ... an das Vorhandensein selbständiger Staaten gebunden« sieht?106 Aus der Sicht des Frühneuzeitlers sicher nicht, denn in seiner Epoche waren außenpolitische Letztentscheidungen bei den auf ihre »Souveränität« (oder doch wenigstens ihre »Landeshoheit«) pochenden Regierungsspitzen monopolisiert, nur daß man sich oft streiten mag, in welcher seiner Rollen (als Landesherr, Dynast, Mitglied des europäischen Hochadelsverbands, prominenter Kleriker) der Fürst denn wohl eigentlich gerade agierte. Die Herr104 Die zahlreichen Eheprojekte Karls sollen die »allgemeinen Angelegenheiten der Christenheit« (Kohnle, Vermächtnis, S. 34; ähnlich immer wieder) voranbringen; Philipp muß »unter Berücksichtigung des Dienstes an Gott, des allgemeinen Wohls der Christenheit und unserer Reiche, Länder und Untertanen« regieren (ebda., S. 37). 105 Vgl. hierzu zuletzt Christine Ottner, Einleitung, in: Sonja Dünnebeil/dies. (Hgg.), Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele, Wien/Köln/Weimar 2007, S. 9–11, mit Hinweisen auf Wortmeldungen von Peter Moraw, Martin Kintzinger, Paul-Joachim Heinig, Sabine Wefers, Dieter Berg und anderen. 106 So Ottner, ebda., S. 10f.

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schaft des absolutistischen Fürsten war nirgends so absolut wie in Fragen von »Krieg und Frieden«. Beim stehenden Fürstenheer des Absolutismus, da klappte es tatsächlich mit der theoretisch postulierten unumschränkten Verfügungsgewalt des Herrschers legibus solutus, hier konnte er regieren und befehligen nach Herzenslust, erreichte er mit seinen Ordres, wen er erreichen wollte. Hier war er wirklich Alleinherrscher. Wenn er ›seine‹ Truppe exerzierte und herumkommandierte, bekam die absolutistische Ideologie endlich Realitätsgehalt. In der Frühneuzeit war Außenpolitik insofern »staatliche«, eigentlich natürlich fürstliche Außenpolitik. Doch mag der mediävistische Befund ein anderer, ›modernerer‹ sein, näher an internationaler Politik des 21. Jahrhunderts mit ihrer Vielzahl nichtstaatlicher Akteure, so daß sich die Zeit beginnender staatlicher Formierung und beginnenden Staatszerfalls(?) die Hand reichen, während die Frühe Neuzeit (neben einem langen, nun freilich nationalstaatlichen 19. Jahrhundert) hier einmal das exotischere Sortiment hat, zum ganz Anderen wird. Für die Zwecke dieser Studie müssen wir solche Überlegungen aber nicht vertiefen, außerdem: was wäre denn die terminologische Alternative zu »staatlicher Außenpolitik«? Sollen wir von der Verteidigung der Reviere der oben angeführten Personen (Dynasten, Hofangehörigen usw.) sprechen? Jedenfalls im Deutschen fehlt überhaupt ein taugliches Ersatzwort für vormoderne Formen der Vergesellschaftung und Herrschaftsorganisation. Ich lasse es also im Folgenden bei »Staaten« bewenden, und ebenso bei staatlicher »Außenpolitik«. Fand nun der entscheidende interstatale Modernisierungsschub im 16. Jahrhundert statt? Manches scheint dafür zu sprechen: Das an der Schwelle zur Neuzeit allenthalben schon postulierte Gewaltmonopol der öffentlichen Hand wurde sukzessive Realität, das Zeitalter der Fehden wurde vom Zeitalter der Kriege abgelöst. Erst jetzt lassen sich zwischenstaatliche Beziehungen kategorial von staatsrechtlichen Binnenverhältnissen unterscheiden, löst sich Völkerrecht von Staats- und Verwaltungsrecht. Wir Neuzeitler haben uns ja angewöhnt, unsere Ignoranz mittelalterlicher Geschichte gegenüber durch ein doppelt gutes Gewissen zu kompensieren, eine gleich zweifach untermauerte Überzeugung, dort für unseren Zeitraum nichts lernen zu können: Damals habe nicht nur am Gelehrtenpult, sondern in der politischen Realität eine hierarchisch organisierte, Papst und Kaiser unterstehende Christianitas existiert, reden wir uns zum einen ein, alle Binnenkonflikte dieser Christianitas dürften wir als abendländische Innenpolitik erachten; sodann sei »der Staat« noch gar nicht alleiniger Träger sich öffentlich auswirkender Gewalt gewesen. Ist die hierarchisch Papst und Kaiser unterstellte Christianitas nicht ein Popanz? Gewiß gab es einen sich bis hin zu Bonifaz VIII. steigernden Anspruch der Kurie, nicht nur oberste spirituelle Instanz Europas zu sein, auch seine oberste judikative – aber doch nie unwidersprochen, und dann brach ja mit Schisma und avignonesischem Exil jede Machtbasis für solch überspannte, auch für die

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meisten Zeitgenossen überdehnte Ansprüche weg. Stand Europa je tatsächlich, im alltäglichen Politikvollzug, unter päpstlicher Hegemonie? Unter kaiserlicher wohl ohnehin nicht. Der Römische Kaiser besaß gewiß Prestige, mittelalterlich gesagt: »auctoritas«. Er genoß zeremonielle Ehrenrechte, wie sie dann ja auch dem neuzeitlichen Kaisertum niemand ernsthaft streitig machen wird. Aber besaß er überlegene »potestas«? Haben Römische Kaiser je das mittelalterliche Europa regiert? Ob sich Europas »Staaten« tatsächlich nach oben oder außen hin von universalen Zumutungen emanzipieren mußten? Aber natürlich mußte sich die Staatsgewalt nach unten oder innen durchsetzen, gegenüber einer Vielzahl konkurrierender Herrschaftsträger. Ein »Staatensystem« vor der Etablierung des staatlichen Gewaltmonopols auszurufen, ginge schon deshalb in die Irre, weil wir gar nicht genau angeben könnten, wieviele hundert oder tausend Elemente es denn gehabt haben könnte. Die Bestimmung dieser Elemente erleichtert mit der »Souveränität« eine Kategorie, die, ihrerseits auf das Voranschreiten frühmoderner Staatlichkeit antwortend, um 1600 für den politologischen Diskurs Europas zentral wird, beispielsweise Bodins und Althusius’ wegen. Die Zuflucht der damaligen Eliten zur Konstruktion und Panegyrik einer unteilbaren, unabgeleiteten und nicht rückholbaren, punktuell verorteten staatlichen Höchstgewalt war gewiß vor allem durch innere Schwächen der damaligen, konfessionell zerrissenen Staatswesen motiviert, aber weil es (nach damaliger Begriffsfüllung) über dem Souverän per definitionem keinen ›Obersouverän‹ gab, fügte sich diese Herrschaftskonzeption vorzüglich zur Existenz eines horizontalen Mächteeuropa. Man begann im späten 16. Jahrhundert intensiv über »Staatsräson« und »Gleichgewicht« nachzudenken. Der Vernetzung, der Verstetigung des Kontaktes zwischen den Elementen des Staatensystems dienten ein sich professionalisierendes Gesandtschaftswesen und ein durchorganisiertes kontinuierliches Botenwesen. Gerade die Langwierigkeit des Prozesses der Etablierung von ständigen Gesandtschaften läßt sich als Indiz dafür lesen, wie langsam wir uns die Ausformung eines »Staatensystems« vorstellen müssen. Auch eine Literatur zum Gesandtschaftswesen entwickelte sich erst (und zögerlich) um und nach 1600. Zu dieser Zeit gab es längst eine europäische Community von Berufsdiplomaten, doch wurden weiterhin auch Dilettanten mit wichtigen diplomatischen Missionen betraut. Es dauerte generationenlang, ehe aus dem lästigen Bittsteller und potentiellen Spion im Gastland sukzessive der willkommene Repräsentant eines anderen Völkerrechtssubjekts wurde und zuhause der gern gehörte Experte für außenpolitische Fragen. Am Stuttgarter Hof galten Auslandserfahrungen bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein bei den meisten Hofräten als verdächtig, man konnte stolz betonen, der damaligen Diplomatensprache, der Französischen, nicht mächtig zu sein, das war ein Ausweis patriotischer Gesinnung.

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Ein anderer langwieriger Prozeß, nämlich die territoriale Arrondierung, war am Ende des 16. Jahrhunderts so weit vorangeschritten, daß wir den verschiedenen europäischen Ländern nun im Prinzip, von einigen hartnäckigen Problemzonen abgesehen, doch linear darstellbare Außengrenzen zubilligen dürfen.107 Man kann auch das imposante Scheitern Karls V. mit seiner nicht mehr zeitgemäßen Herrschaftskonzeption aufschlußreich108 finden. Die »composite monarchy« Karls wurde ja unter seine Nachfolger aufgeteilt, ihrer Riesenhaftigkeit, Überspanntheit beraubt, wobei die künftigen Kaiser viel weniger als die Hälfte als territoriale Ausstattung abbekamen. Das ist nur einer der Gründe dafür, daß sie sich nicht mehr zuvörderst als Advokaten der Kurie und weltliches Oberhaupt der Christianitas definieren werden. Die »monarchia universalis« wird fortan ein Schimpfwort sein in Europa, untrennbar mit dem gescheiterten Experiment Karls verknüpft. Und die beiden Erzfeinde dieses »Advocatus ecclesiae«? Mit dem islamischen Osmanischen Reich wird man weiterhin kämpfen, die eine abendländische Kirche zerfällt ausgerechnet in Karls Regierungszeit, und zwar irreversibel. Außerdem behauptet sich am Ende die »teutsche libertät« gegen alle Versuche, das Reich zum Mosaiksteinchen eines habsburgischen Riesenreichs zu machen: Niederlagen überall, immerhin nach herkulischen Kämpfen – ein imposantes Scheitern, aber Scheitern eben doch! Formte sich das europäische Staatensystem demnach im 16. Jahrhundert aus? Oder begann doch alles schon mit dem Kampf um die Apenninhalbinsel109 seit 1494? Dietrich Kurze hat einmal »extreme Häufigkeit, Kleinräumigkeit und 107 Der Weg vom Grenzsaum zur Grenzlinie ist freilich verschlungen. Problemaufriß: Gotthard, Vormoderne Lebensräume, S. 42–46. Weitere Überlegungen (wichtiger später Schub durch die Notwendigkeit der Zuordnung zum Ius reformandi eines Landesherrn?): Axel Gotthard, Der Augsburger Religionsfrieden und Franken, in: Konrad Ackermann/Hermann Rumschöttel (Hgg.), Bayerische Geschichte – Landesgeschichte in Bayern. Festgabe für Alois Schmid zum 60. Geburtstag, München 2005, S. 555–572. Vgl. zuletzt noch Axel Gotthard, In der Ferne. Die Wahrnehmung des Raums in der Vormoderne, Frankfurt/New York 2007, S. 55–59. 108 Nur für was? Ganz anders als ich akzentuierte James Henderson Burns, Lordship, Kingship and Empire. The Idea of Monarchy 1400–1525, Oxford 1992, den weniger das letztendliche Scheitern von Karls Ansprüchen interessierte denn daß hier nach Generationen, in denen die internationale Entwicklung schon in eine ganz andere Richtung gelaufen war, doch wieder ernsthaft universalistische Ideen hochgehalten worden seien; ebda., S. 100 ist die Rede von einem »revival of universalist ideology«. Natürlich war die Position Karls auch in der politischen Praxis ungleich stärker als die seiner alles in allem nicht besonders beeindruckenden Vorgänger auf dem Kaiserthron: Karl, ein Präzedenzfall für die neuzeitliche Relevanz alter universalistischer Ideen oder für deren Scheitern an den neuzeitlichen Umweltbedingungen? 109 Gewiß läßt sich die Italienzentriertheit der französischen Könige (Rom, Kaiserträume spielen eine Rolle, man will neue abendländische Kreuzzüge, nun gegen die Osmanen, anführen), dann auch Karls V. andererseits als altertümlich werten! – Für die Vormoderne

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Kurzfristigkeit« als »die allgemeinen Charakteristika« bezeichnet, »die die mittelalterliche Kriegsgeschichte« kennzeichneten110; der Kriegszug Karls VIII. auf die Apenninhalbinsel wurde mit großem militärischem Aufwand und planerischem Vorlauf betrieben. Gewisse Grundkonstellationen der europäischen Mächtepolitik der Neuzeit zeichnen sich schon um 1500 ab, werden bei den Auseinandersetzungen auf der Apenninhalbinsel erstmals sichtbar oder doch erahnbar: eine Gruppe von – ungefähr einer Handvoll – Großmächten, die Europa noch lang ihren Stempel aufdrücken werden, ihren Einfluß und manchmal auch ihr Territorium auf Kosten der Kleineren (wie jetzt in Italien) zu vergrößern suchen; man beginnt, sich Gedanken über den Gleichgewichtszustand zu machen; man beginnt, jenes Gleichgewicht über vielgliedrige Allianzen auszutarieren, was nun wiederum zur Folge hat, daß sich bilaterale Kohäsionen und Abstoßungen multiplizieren, daß bald »(fast) alles mit allem« zusammenhängt. Das erbitterte Ringen um die Apenninhalbinsel intensiviert die kriegerischen und diplomatischen Kontakte zwischen den Staaten West-, Mittel- und Südeuropas ungemein. Daß sich im Zuge der Auseinandersetzung um Italien (sowie um die burgundische Erbmasse) ein langwieriger Antagonismus zwischen Habsburg und der französischen Krone ausformt, begünstigt die Ausweitung regionaler Konflikte, so diese im Randbereich der Einflußzone dieser oder jener Dynastie spielen, zumal sich mit der drohenden habsburgischen »monarchia universalis« dann auch ein länderübergreifendes Feindbild herausschälen wird. Europa rückt, jedenfalls gewissermaßen negativ, im Konflikthaften, enger zusammen. Die Konfliktlinien verlängern sich, erreichen manchmal fast schon kontinentale Ausmaße. Daß wir uns nicht zuletzt deshalb ungefähr seit 1500 in der Neuzeit bewegten, weil sich damals das neuzeitliche Staatensystem ausgeformt habe, haben Generationen von Staatsexamensstudenten auswendiggelernt, »this is the classic doctrine«111, die durch eine noch so lange Zitatensammlung gar nicht vollständig belegt werden könnte.112 Erteilen wir deshalb exemplarisch der fulminanten von »Italien« zu sprechen, ist insofern problematisch, als die Apenninhalbinsel damals keine gemeinsame politische Organisation besaß, noch nicht einmal eine so lockere wie Mitteleuropa. Nachdem ich daran erinnert habe, will ich im Folgenden dennoch von »Italien« sprechen, »die Apenninhalbinsel« ist ein geographischer Terminus, zudem ein langer, und er läßt sich nicht adjektivieren. 110 Kurze, Krieg und Frieden, S. 3f. Auch in der Studie von Krause, Beilegung von Konflikten, zur westfränkischen »anarchie féodale« präsentieren sich Konflikt und Befriedung so kompliziert und gleichsam kleinteilig, wie sich das der Neuzeitler für diese Epoche immer vorgestellt hat. 111 Martin Wight, Systems of States, London 1977, S. 111. Wight stellt dann »an alternative conventional starting-point to 1494: The Peace of Westphalia in 1648« vor, hält aber selbst »1494« für eine stärkere Zäsur. 112 Wenigstens einige pointierte Bekenntnisse zu dieser klassischen Zäsur will ich nennen: Ludwig Dehio, Gleichgewicht oder Hegemonie, Krefeld 1948, S. 24; Hans Baron, Fif-

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Spätmittelaltergeschichte Bernhard Schmeidlers das Wort! Mit dem Zug Karls VIII. von Frankreich nach Italien im Jahr 1494 »wurde der Kampf der Großmächte um die Vorherrschaft in Europa ... eröffnet, der die folgende Epoche der europäischen Geschichte beherrscht«, also das, was wir heute Frühe Neuzeit nennen, »an die Stelle der international-ständischen Zersetzung der nationalen Staaten und ihres Nebeneinanderlebens mit weniger intensiven Berührungen miteinander tritt die Epoche des steten Kampfes innerhalb des voll ausgebildeten bzw. sich ständig erweiternden europäischen Staatensystems«.113 Daß wir uns nicht zuletzt deshalb ungefähr seit 1500 in der Neuzeit bewegten, weil just seit dieser Jahrhundertschwelle ein europäisches Staatensystem existiere, haben indes Mediävisten schon seit den 1930er Jahren in Frage gestellt114, und recht erfolgreich. Bei Wilhelm Grewe konnte man 1983 nachlesen, die Auffassung, »das moderne [!] europäische Staatensystem sei bereits im späten Mittelalter entstanden«, habe sich als offensichtlich herrschende »Lehrmeinung« durchgesetzt.115 Wilhelm Janssen hatte die zu seinem Bedauern »noch längst nicht ausgestorbene Ansicht«, die neuzeitliche Staatenordnung sei erst nach dem

teenth-Century Civilisation and the Renaissance, in: G[eorge] R[ichard] Potter (Hg.), The New Cambridge Modern History, Bd. 1, Cambridge 1957, S. 50 (mit England als »the moderator of the balance« und »the modern pattern of an equilibrium of states« im frühen 16. Jahrhundert!); Arnold Toynbee, Der Gang der Weltgeschichte, Bd. 2, Zürich 1958, S. 272; Wolfgang Windelband, Die auswärtige Politik der Großmächte in der Neuzeit, 5. Aufl. Darmstadt 1964, S. 17. 113 Bernhard Schmeidler, Das spätere Mittelalter von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zur Reformation, Ndr. der Ausgabe von 1937, Darmstadt 1980, S. 10. – Um wenigstens eine neuere Stimme anzufügen: »Der mittelalterliche Gradualismus, der auch im politischen Leben jeder Herrschaft, jedem Land den ihnen zustehenden Platz in einer abgestuften, im Kaiser als weltlichem Haupt der Christenheit gipfelnden Hierarchie zuwies und darin ein sakrosanktes, letztlich heilsgeschichtlich begründetes System sah, war abgelöst worden durch ein neuzeitliches Mächteeuropa partikularer Staaten. In dieser neuen Welt bestimmte sich die Position von Staaten und Monarchen nach ihrer politischen und militärischen, indirekt auch nach der wirtschaftlichen Macht, nicht mehr nach einer vorgegebenen Rangskala«: Schilling, Formung, S. 27; »endgültig« hat sich diese neue Ordnung für Schilling allerdings erst »1556/59« durchgesetzt. 114 Einst vielzitiert war insbesondere dieser Aufsatz: Walter Kienast, Die Anfänge des europäischen Staatensystems im späteren Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 153 (1936), S. 229–271. Übrigens räumt Kienast am Ende doch ein, daß die Schwelle zur Neuzeit Innovationen gebracht habe, die wichtigste sei das mit der Liga von Venedig politikrelevant werdende, spezifisch neuzeitliche Gleichgewichtsdenken: Gerade das würden heute viele Neuzeithistoriker anders sehen! 115 Wilhelm G. Grewe, Was ist »klassisches«, was ist »modernes« Völkerrecht?, in: Alexander Böhm/Klaus Lüderssen/Karl-Heinz Ziegler (Hgg.), Idee und Realität des Rechts in der Entwicklung internationaler Beziehungen. Festgabe für Wolfgang Preiser, Baden-Baden 1983, S. 125.

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Herbst des Mittelalters entstanden, bereits 1964 als »antiquiert«116 abqualifiziert (erst recht galt das in seinen Augen für die schon ihm wohlbekannten Spätdatierungen, die alles auf den Westfälischen Frieden schieben). Geht also der fachliche Trend hin zur Frühdatierung?117 Man könnte ja eine gewisse wissenschaftliche Logik darin erblicken: Schürfarbeiten fördern immer mehr Wurzeln zutage, die man vordem noch nicht gekannt oder so deutlich wahrgenommen hatte, das synthetisierende Urteil »Anfänge eines Staatensystems« bzw., man darf das synonym setzen, »Anfänge des neuzeitlichen Staatensystems« wandert deshalb sukzessive immer weiter ins Mittelalter zurück. Spätdatierung wissenschaftlich erledigt, Trend zur Rückdatierung schon ins Hohe Mittelalter? In den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts hat Johannes Burkhardt in zahlreichen Veröffentlichungen die Ansicht vertreten, der entscheidende Schub hin zu einem horizontalen Mächteeuropa habe in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gewirkt. Von den auf den letzten Seiten genannten Kriterien, die über die Sinnhaftigkeit der Rede von einem »System« der Staaten entscheiden könnten, kommt bei ihm lediglich eines vor, ihn interessiert das Gegensatzpaar Staatenhierarchie versus horizontales Nebeneinander. Im Zuge seiner Bemühungen, für den Dreißigjährigen Krieg das Etikett »Staatsbildungskrieg« zu etablieren, strich er heraus, daß Habsburg, Schweden, Frankreich damals für universale Ansprüche gekämpft hätten, für ihr vermeintlich unverbrüchliches Recht, an der Spitze einer europäischen Staatenpyramide zu stehen. Erst das Scheitern all dieser imperialen Ambitionen habe dann die Ausformung einer horizontalen Staatenordnung ermöglicht, die überhaupt keinen juristisch begründeten, insofern dauerhaften Führungsanspruch mehr kenne: also nicht das Scheitern Bonifaz’ VIII., der späten Staufer oder Kaiser Karls V., das Scheitern des zweiten und dritten Ferdinand, Gustav Adolfs! »Der Westfälische Friede 116 Wilhelm Janssen, Die Anfänge des modernen Völkerrechts und der neuzeitlichen Diplomatie, in: Deutsche Vierteljahrschrift für Literatur und Geistesgeschichte 38 (1964), S. 39. Für Janssens Urteil wichtig war eine eigentümliche Untersuchung von Friedrich August von der Heydte: Die Geburtsstunde des souveränen Staates. Ein Beitrag zur Geschichte des Völkerrechts, der allgemeinen Staatslehre und des politischen Denkens, Regensburg 1952 – eine Monographie, die wir heute vielleicht eher als Zeugnis der Traumata und Sehnsüchte einer vom Zweiten Weltkrieg mitgenommenen Generation denn als Spätmittelalterstudie lesen mögen. Ebda., S. 60ff. werden spätmittelalterliche Termini wie »rex qui superiorem non recognoscit«, »le roi ne tient de nului«, »rex est imperator in regno suo« usw. mit zahlreichen Belegen aneinandergereiht. 117 Harald Kleinschmidt, Geschichte der internationalen Beziehungen. Ein systemgeschichtlicher Abriß, Stuttgart 1998, S. 62 sieht im 14. und 15. Jahrhundert den »Grundsatz der prinzipiellen Egalität aller Akteure« walten, urteilt für diesen Zeitraum ferner, unter offenkundiger Anlehnung an die Systemtheorie: »Man hatte ... begonnen, die Beziehungen als selbstreferentiell wahrzunehmen und das Handeln der Akteure einem Systemzwang zu unterwerfen«.

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hatte der hierarchisch-universalistischen Ordnung ... erstmals für ganz Europa die Spitze abgebrochen und so die Pyramide entgipfelt«, »das ist noch nicht das Modell eines entwickelten Staatensystems, aber diese Entgipfelung der Pyramide im Jahre 1648 bezeichnet den Punkt, an dem seine Entwicklung ansetzte«118. Beiläufig sprach zuletzt Winfried Schulze für die Jahrzehnte um 1600 von »einer noch nicht als System zu interpretierenden Staatengemeinschaft«119, und ein anderer Kenner, Ronald Asch, resümierte jüngst, man habe »im Westfälischen Frieden von jeher die Geburtsstunde des modernen120 Europäischen Staatensystems gesehen«.121 Wie alt ist das »Staatensystem«? Torkelt es, darin dem ominösen Regulativ »Gleichgewicht« ähnlich, in einer Endlosschleife zwischen immer neuen Früh- und Spätdatierungen? Der Westfälische Frieden, die Geburtsstunde eines vom Gleichgewicht regulierten Staatensystems: Historiker, die vor allem in der Moderne122 zuhause 118 Kursivsetzung von mir – heißt doch wohl: überhaupt erst jetzt begann! Burkhardt, Die entgipfelte Pyramide, S. 59. Vgl. zuletzt, nuanciert, abwägender: Johannes Burkhardt, Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches 1648–1763, Stuttgart 2006, S. 26–28. 119 Schulze, Resümee, S. 344. 120 Was ist in der Geschichte der internationalen Beziehungen »klassisch«, »neuzeitlich« oder aber »modern«? Ich gehe auf diese terminologische Crux gleich noch am Beispiel des Völkerrechts ein. Die »Moderne« würde ich persönlich grundsätzlich dem 19. und 20. Jahrhundert vorbehalten; was die Sache speziell im Bereich der internationalen Beziehungen so kompliziert macht, ist das Faktum, daß mitten in einer so verstandenen »Moderne« mit der Gründung des Völkerbunds eine kräftige Zäsur liegt – die Staatenordnung des 19. Jahrhunderts ähnelt der des 18. in manchen Hinsichten mehr als der nach 1918 bzw. seit 1920. Beginnt demnach 1920 die völkerrechtliche und diplomatiegeschichtliche Postmoderne? Das terminologische Problem ist vertrackt. 121 Asch, Einleitung, S. 14. Vgl. jetzt auch Kugeler/Sepp/Wolf, Einleitung, S. 16 (»... wird das europäische System souveräner und egalitärer Staaten, welche durch ein ständiges Gesandtschaftswesen und gemeinsames Völkerrecht verbunden waren, gewöhnlich am Jahr 1648 festgemacht«). 122 Wie ich sie verstehe: vgl. Anm. 120. Ich biete gleich einige Zitate, vgl. nur noch Jürgen Osterhammel/Niels P. Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 2003, S. 35: Lob auf die »klug ausgedachte ›Westfälische Ordnung‹ von 1648« folgt die Feststellung, genau seitdem gebe es »das sich selbst Regeln setzende ›System‹ unabhängig bleibender Staaten«. – Es ist ein geradezu gespenstisches ›Leseerlebnis‹, wenn einem jetzt in einer niederländischen Arbeit auf rund hundert Seiten – es ist der Inhalt der ersten Hälfte der Monographie! – umständlich (auf der Basis der in Sachen Westfälischer Frieden nicht eben zentralen, doch für elementare Entmystifizierungen hinlänglichen angelsächsischen Literatur) ›nachgewiesen‹ wird, daß der Friedensvertrag all die ihm zugeschriebenen wundersamen Initiationen gar nicht ausgelöst habe! Er stehe gar nicht für »the consecration of state sovereignty and the beginning of a new era of international relations«, stellt der Autor verblüfft fest, und es stimme ja gar nicht, daß er »constitutes a paradigm shift whereby the political entities involved gained exclusive power over their territories«, das mit der »sovereignty« und dem »paradigm shift in the development of the present

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sind, sowie Politologen, Sozialwissenschaftler123, auch Völkerrechtler wird man mit dieser Ansicht nicht überrumpeln, denn sie brachten so schon immer gern Ordnung in ihre Vergangenheit124, sind ohnehin traditionell der Ansicht, »1648« sei die universal verwendbare Chiffre für den Beginn von »Neuzeit« oder »Moderne« schlechthin, und für den Beginn des »modernen Staatensystems« sowieso. Da bricht sich denn in solchen gegenwartskundlichen Darstellungen just im Jahr 1648 »das moderne Staatensystem Bahn«, aber der »Friedensschluß der Superlative« ist nicht nur die »eigentliche ›Geburtsstunde‹ unseres internationalen Systems«, sondern überhaupt jeglicher zivilisierter Geschichte, »seither [!] war Europa vielgestaltig und uneinheitlich«. Die jeweilige staatliche »Zentralregierung« habe »nunmehr«, also just seit 1648, »überall auch einen festen Sitz, ihre Hauptstadt«!125 Der Westfälische Frieden ist »der Ausgangspunkt, um über zwischen-staatliche und innerstaatliche Verhältnisse, Beziehungen oder Vormachtstellungen überhaupt reden zu können«.126 Müssen das sonderbare Zustände barbarischer oder exotischer Primitivität gewesen sein vor 1648! Jedenfalls kann man von so befremdlichen Zeiten als zivilisierter Gegenwartsexperte nun wirklich nichts lernen. Seit einigen Jahren äußern solche Gegenwartskundler gern die Ansicht, genau 1648 sei jene Staatenwelt kreiert worden, die 1989 zugrundegegangen sei oder in unseren Tagen127 zuendegehe, wir bewegten uns neuerdings »beyond Westphalia«128. Führende Politiker können solche Klischees

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state system« sei – sichtlich rechnet der Autor, ganz mutiger Dekonstrukteur, bei seinen Lesern mit Überraschung – »a myth«! Vgl. Stéphane Beaulac, The Power of Language in the Making of International Law. The Word Sovereignty in Bodin and Vattel and the Myth of Westphalia, Leiden 2004, die Zitate: S. 4, S. 90 und S. 97. Vgl. zuletzt Herfried Münkler, Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist 2006 (in den tagesaktuellen Passagen eine durchaus anregende Lektüre). Siehe übrigens schon oben S. 122 Anm. 61. So, wie uns Frühneuzeitlern die Annahme einer hierarchisch Papst und Kaiser unterstellten mittelalterlichen Christianitas näheres Hinschauen ersparen zu können scheint? Die Zitate: Wolfrum, Krieg und Frieden, S. 3; ebda., S. 33; Krippendorff, Staat und Krieg, S. 272; ebda.; Wolfrum, Krieg und Frieden, S. 38. In dem für die Neueste Geschichte nützlichen Studienbüchlein von Wolfrum ist der Westfälische Frieden durchgehend die Wasserscheide schlechterdings, in jedem denkbaren Kontext. Dieter Kinkelbur, Den Krieg kaputtdenken – Zur Not-wendigkeit [sic] der Ergänzung politikwissenschaftlicher Fragestellungen durch polito-logische [sic] Vorgehensweisen, in: Ethik und Sozialwissenschaften 8 (1997), S. 280. Um es stichwortartig in Erinnerung zu rufen: wegen des Transfers von seitdem »nationalen« Souveränitätsrechten an supranationale Einrichtungen und wegen der Machtlosigkeit »des Staates« gegenüber international operierenden Wirtschaftsbetrieben. Einer der ersten einschlägigen Sammelbände war dieser: Gene M. Lyons/Michael Mastanduno (Hgg.), Beyond Westphalia?, Baltimore 1995; vgl. aus den letzten Jahren beispielsweise James Caporaso, Changes in the Westphalian Order: Territory, Public Authority, and Sovereignty, in: Review of International Studies 2 (2000), S. 1–28.

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ihrer Redenschreiber öffentlichkeitswirksam weiterverbreiten, so schwadronierte, beispielsweise129, Joseph »Joschka« Fischer gern darüber, daß »1989 das durch den Westfälischen Frieden etablierte Staatensystem zusammengebrochen sei«.130 Derart zu Protokoll gegeben und durch Mikrophone verstärkt, darf sich das denkfaule Klischee zur Abkürzung von Vergangenheit einer guten Haltbarkeitsprognose erfreuen. Gar nicht erfreut sein darf der Frühneuzeithistoriker. Natürlich weiß er, daß es nach 1648 eine ähnliche Palette europäischer Staatsformen gab wie vorher, daß die drohende Hegemonie einer Macht weiterhin und nun erst recht das Großthema blieb, und der notorische Großkonflikt der zwischen Habsburg und Bourbon. Die »Souveränität« brachte ein halbes Jahrhundert vorher Bodin, langwierige praktische und gedankliche Vorläufe zuendeführend, auf den Begriff. Die Grundstrukturen der europäischen Mächteordnung von 1648 waren ausgesprochen kurzlebig, zum Beispiel, weil Frankreich unter Ludwig aus der ihm zugeschriebenen Rolle fallen und weil Schweden seinen Großmachtstatus nicht halten wird. Die wenigen Kenner der Völkerrechtsgeschichte betonen sogar für ihr Terrain, daß die Bedeutung der westfälischen Friedensschlüsse sehr begrenzt gewesen sei.131 Außerhalb der Frühneuzeitforschung interessiert das niemanden. Liegt es auch an uns Frühneuzeitlern? Ein wuchtiges Gegenmodell jedenfalls haben wir nicht aufzubieten. Wir können über den Forschungsmythos den Kopf schütteln (oder über den geringen Erfolg unserer Aufklärungsbemühungen verzweifeln oder zum Schluß kommen, es müsse eben wieder mehr über vormoderne Außenpolitik gearbeitet werden), aber griffiges Lehrbuchwissen über die Formierung des europäischen Staatensystems vermögen wir nicht zu offerieren.

129 Ich zitiere nur noch diesen Zufallsfund: Josef Zieleniec, Europaparlamentarier und von 1993 bis 1997 tschechischer Außenminister, warf dem russischen Präsidenten Putin am 16. Mai 2007 in einem Gastkommentar für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (S. 12, Artikel »Putin stellt die Einigkeit der EU auf die Probe«) vor, »Europa das traditionelle post-westfälische Machtschema« aufzwingen, also gewissermaßen ins Jahr 1649 zurückversetzen zu wollen. Einmal auf das Klischee aufmerksam geworden, stößt man auf immer neue Belege seiner Virulenz. 130 Nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. Oktober 2004, S. 42 (Artikel »Idealpolitiker« von Patrick Bahners) ging »seine Analyse« bei einer Rede an der New Yorker New School for Social Research von dieser »Feststellung aus«! Vgl. auch, in derselben Zeitung am 17. November 2004, Seite »Geisteswissenschaften«, den Artikel »Die Nichtbürger«. Man konnte Ähnliches aus Fischers Munde in Fernsehübertragungen hören. 131 Vgl. zuletzt Heinhard Steiger, Der Westfälische Frieden – Grundgesetz für Europa?, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Der Westfälische Friede. Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte, München 1998, vor allem S. 80; auch Randall Lesaffer, The Westphalia Peace Treaties and the Development of the Tradition of Great European Peace Settlements prior to 1648, in: Grotiana 18 (1997), vor allem S. 94f.

Die trügerischen Schlagworte »Gleichgewicht« und »Staatensystem«

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3.2.3 Wann war das Völkerrecht »klassisch«? Das Gleichgewicht als Regulativ des Staatensystems des klassischen Völkerrechts: vielleicht doch kein so harmloser Satz? Auch seine letzte Komponente beginnt beim näheren Hinsehen zu oszillieren. Den Neuzeithistoriker irritiert ja schon das Adjektiv, eine »Klassik« kennt er allenfalls aus der Germanistik oder dem Konzertsaal. Gravierender ist, daß die nicht allzu zahlreichen Autoren, die sich für die Vergangenheit des zwischenstaatlichen Soft Law überhaupt interessieren, die »klassische« Epoche ihres Forschungsgegenstandes ganz unterschiedlich datieren. Manchen reicht sie vom 16.132, anderen vom 17.133 oder erst vom 18.134 bis ins frühe 20. Jahrhundert – oder auch weniger weit in die Neueste Geschichte hinein.135 Ließe sich die terminologische Irritation nicht einfach dadurch beheben, daß man – mit dem einen und anderen völkerrechtsgeschichtlichen Text – anstatt von »klassischem« von »modernem« Ius inter gentes handelt? Hiergegen spricht 132 Hier ist die gewichtigste Stimme die Wilhelm G. Grewes. Ich halte seine Argumente – zu ihnen gehört die Behauptung, daß nun, also »seit Anfang des 16. Jahrhunderts«, »dritten Staaten Neutralität zugestanden wird« (Grewe, Was ist, S. 116)! – nicht für stichhaltig. Auch Carl Schmitt ließ seine um 1900 endende »interstatale Epoche« des Völkerrechts im 16. Jahrhundert beginnen, wiewohl seine kargen Begründungen hierfür (»Ent-Theologisierung des öffentlichen Lebens«, »Neutralisierung der Gegensätze des konfessionellen Bürgerkrieges«: Schmitt, Nomos, S. 112) eher ins 17. passen. 133 Eine Vielzahl französisch- und englischsprachiger Werke, die das klassische Völkerrecht in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts beginnen lassen, nennt Lesaffer, War, S. 87 mit Anm. 2. Beispielsweise diesen deutschsprachigen Titel könnte man anfügen: Ulrike Pieper, Neutralität von Staaten, Frankfurt u. a. 1997, S. 134. 134 So jüngst ausführlich Emmanuelle Jouannet, Emer de Vattel et l’émergence doctrinale du droit international classique, Paris 1998; pointierte Zusammenfassung: ebda., S. 419. Die scharfsinnige Arbeit interessiert sich für die Grundlagen und Begründungen der Regeln Vattels, nicht diese selbst, übrigens scheint sie (freilich: kein Register!) die Neutralität mit keinem Wort zu erwähnen. 135 Mit Fritz Dickmann (vgl. beispielsweise ders., Krieg und Frieden, S. 119 und S. 139) hat einer der besten Kenner von geschichtswissenschaftlicher Seite die »klassische« Epoche des Völkerrechts im 16. und 17. Jahrhundert verortet. Darf man von juristischer Seite Heinhard Steiger nennen? In ders., Mars, S. 63 fragt er: »Seit wann gibt es Völkerrecht im heutigen Begriff ?«, das er an anderen Stellen des Aufsatzes auch »klassisch« nennt, um diese Antwort zu geben: es sei »in Europa vom 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts ausgebaut« worden. Ganz anders gliedert freilich ders., Vom Völkerrecht der Christenheit zum Weltbürgerrecht. Überlegungen zur Epochenbildung in der Völkerrechtsgeschichte, in: Barbara Krauß (Red.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000, S. 171ff.: Wurzeln des »heute geltenden« (!) Völkerrechts »im 13. Jahrhundert«, Zäsuren dann um 1800 (bis dahin »Völkerrecht der Christenheit«) und am Ende des Ersten Weltkriegs (bis dahin »Völkerrecht der zivilisierten Staaten«, seitdem »Völkerrecht der Menschheit«).

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schon, daß dann die Postmoderne 1920 begänne. Das Jahr 1920 markiert zweifelsohne die letzte große Zäsur in der Völkerrechtsgeschichte. Mit wachsender (jedenfalls deklamatorischer) Konsequenz wird seitdem, beginnend mit Völkerbundssatzung und Briand-Kellogg-Pakt, dann in der Charta der Vereinten Nationen das einzelstaatliche Ius ad bellum jener ›Völkerrechtsgemeinschaft‹ übertragen, die neuerdings auch ein Interventionsrecht im Namen ›der Menschenrechte‹ auf Kosten der inneren Souveränität von Einzelstaaten reklamiert; Ansätze zu einer überstaatlichen Gerichtsbarkeit stellen die äußere Souveränität der Völkerrechtssubjekte in Frage oder legen doch neue, spezifisch moderne Definitionen von »Staatssouveränität« nahe. Was hier chriffrenhaft angedeutet wurde, empfinden wir als »modern«. Also sollten wir das Völkerrecht der Generationen oder Jahrhunderte vor 1920 lieber nicht das »moderne« nennen. Diese Studie beläßt es deshalb beim »klassischen« Völkerrecht. Ohnehin geht es nicht nur um Wortgeklingel. Das Neuzeithistorikern wenig geläufige Adjektiv »klassisch« durch irgendein anderes zu ersetzen, zauberte keinen Forschungskonsens über diese wichtige Frage herbei: Wann hub die letzte136, der unserigen vorgängige, 1920 zuendegehende Phase der Geschichte des Völkerrechts an? Das ist vorerst so unklar wie die ganze Periodisierung der Völkerrechtsgeschichte, die auch gar nicht konsensfähig von sich zu sagen weiß, seit wann es sie denn gibt. Setzt sinnvolle Rede davon nicht ein »Ius inter gentes« voraus? Oder genügen gemeinsame Schnittmengen zwischen verschiedenen Rechtsordnungen, genügen ein so verstandenes »Ius gentium« plus einige wenige Gemeinplätze von der Art »pacta sunt servanda«? Für diese Studie ist die Frage nach der »klassischen« Epoche des Völkerrechts viel wichtiger, und die einzige, zu der sie ihrerseits einige eigene Beobachtungen beizusteuern hat. Am Ende dieses Buches werden wir einige gute Gründe dafür kennen, die 1920 zuendegehende Epoche der Völkerrechtsgeschichte ungefähr in der Mitte des 18. Jahrhunderts anheben zu lassen. Aber ein Forschungskonsens hierzu ist, sei es nun wegen oder trotz der geringen Intensität der Bemühungen um die Völkerrechtsgeschichte, nicht in Sicht.

3.3 Zur Verlaufskurve zwischenstaatlicher Erwartungsverläßlichkeit Genauso unsicher ist momentan das, was ich einmal versuchsweise die Verlaufskurve der zwischenstaatlichen Erwartungsverläßlichkeit nennen möchte. Um die Dimension des Problems anzudeuten: Für manche Politikwissenschaftler 136 Oder vorletzte? Um beurteilen zu können, ob und gegebenenfalls warum 1989 oder 2001 eine neue Epoche des Völkerrechts begonnen haben könnte, fehlt uns natürlich noch der klärende zeitliche Abstand.

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(und Politiker) präsentiert sich ja noch die gegenwärtige internationale Szenerie als »Staatenanarchie«, deren geringe normative Dichte schroff von den hochkomplexen und intensiv verflochtenen innergesellschaftlichen Verhältnissen absteche, doch kennen wir eine Völker(rechts)gemeinschaft mit umfangreicher Satzung und unzählige Foren internationalen Austauschs. So, wie moderne Konfliktforscher das »Sicherheitsdilemma« dämpfen, also mehr Erwartungsverläßlichkeit schaffen wollen, nämlich über internationale »Institutionen«137 und »Regimebildungen«138, ging es in der Vormoderne natürlich nicht. Oder sind die großen Friedenskongresse der zweiten Hälfte der Frühneuzeit Vorstufen hierzu, und steigerte die Schreibtischarbeit von Völkerrechtlern die Erwartungsverläßlichkeit, indem sie auf dem Papier zwischenstaatliche Rechtssicherheit schuf ? Für manche Politikwissenschaftler (und Politiker) wird internationale Politik noch heute als Nullsummenspiel betrieben139, doch charakterisiert das moderne Wirtschaftsleben neben engster supranationaler Verflechtung der Glaube, daß Wettberb weniger »Sieger und Verlierer« denn eine Mehrung des allseitigen Nutzens produziere. Das Merkantilsystem sah im Gewinn des Nachbarn den eigenen Verlust, überhaupt war wohl fast allen vormodernen Menschen das Denken in Summenkonstanzen140, nicht Wachstumsglaube eigen. 137 Vgl. für viele Dieter und Eva Senghaas, Si vis pacem, para pacem. Überlegungen zu einem zeitgemäßen Friedenskonzept, in: Leviathan 20 (1992), S. 236: Erwartungsverläßlichkeit »kann sich erst einstellen, wenn Einzelstaaten miteinander institutionell eng verkoppelt sind, so daß es zu einer wechselseitigen Voraussagbarkeit ihrer Motive und Handlungen kommt. Sind die Netze der Kooperation zwischen souveränen Staaten so dicht, daß aus ihnen spürbare Zwänge zur Koordination des politischen Verhaltens erwachsen, verliert das Sicherheitsdilemma an politischer Bedeutung und Brisanz.« Das kommt wie vergleichbar planungseuphorische Plädoyers der 1970er bis 1990er Jahre noch ohne die »globale« Macht international vernetzter Konzerne aus. Übrigens finden Senghaas/Senghaas (ebda., S. 238): »Das Völkerrecht hat eine besondere Bedeutung in diesem Kontext. Es dient der Unterfütterung von Erwartungsverläßlichkeit«. Aber seit wann? – Ausführlich: Eva SenghaasKnobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, Stuttgart 1969. 138 Vgl. beispielsweise Harald Müller, Die Chance der Kooperation, Wiesbaden 1992; Volker Rittberger/Michael Zürn, Forschungen für neue Friedensregeln, Stuttgart 1990. 139 »Das Wettbewerbsprinzip wirkt im internationalen Kontext nach wie vor eher so, daß Gewinne der einen Seite als Verlust der anderen begriffen werden«: Eva Senghaas-Knobloch, Subjektivität in der internationalen Politik. Über das Zusammenspiel persönlicher und institutioneller Faktoren der Konfliktverarbeitung, in: Reiner Steinweg/Christian Wellmann (Redd.), Die vergessene Dimension internationaler Konflikte: Subjektivität, Frankfurt 1990, S. 35. 140 Es ist bekanntlich einer der zahllosen Ansätze, über die man schon mit dem Ziel nachgedacht hat, die Hexenverfolgungen etwas besser verstehen zu können: Die viele Milch des einen muß den Nachbarn abgehen, des einen gute Ernte auf anderer Kosten erzielt worden sein – man unterstellt dem Erfolgreichen Unlauterkeit und zauberische Mittel, der seinen Neidern, sie suchten sich, eben ihres erkennbaren Neides wegen, mit solchen Mitteln an ihm schadlos zu halten. Die Problematik des Ansatzes liegt auf der Hand: Er fügt sich nicht

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Deshalb galt auch, worin »omnes Historici fermè consentiunt«, daß nämlich »robur ac potentia Regionis cujusdam, nihil aliud est quam informitas vicinae«.141 So oder ähnlich formulierte Einschätzungen fehlen in keiner mir bekannten politologischen oder militärkundlichen Abhandlung des 17. Jahrhunderts142, nicht selten wird die »infirmitas« des Nachbarn zum der eigenen »potentia« wegen wünschenswerten »interitum« gesteigert: »Weiß jedermann, daß die Hoheit eines Fürsten seiner Nachbarn verderben vnd Vntergang ist«143, oder, um noch eine nach 1648 verlegte Schrift zu zitieren: »arbitrantur Politici«, daß nichts ein Land mehr kräftigt, »quèm si gentes vicinae ipsius sibi creant interitum, fulcitur quippe Principis auctoritas, vigor Statûs augetur oppressâ vicinorum potentia«.144 Schon Jean Bodin hatte gewußt: »La grandeur d’un Prince, a bien parler, n’est autre chose que la ruïne, ou diminution de ses voisins: et sa force n’est rien que la foiblesse [sic] d’ autruy«.145 Wie konnten unter diesen Umständen im Theatrum Europaeum Vertrauen und Verläßlichkeit hergestellt werden? Wann gelang es wie gut? Verdichteten sich gewisse Verhaltenserwartungen linear zu verläßlichen Normen? Können wir einen kontinuierlichen Aufstieg vom ungeregelten Nebeneinanderher hin zu systematischer normengesteuerter Hegung von Krieg und Frieden beobachten? Oder haben die vielen Politiker und solche unter den Historikern Recht, die »capriciousness« für den dominanten Zug der internationalen Beziehungen aller Zeiten halten, »the absence of system within the system« für eine überepochale Konstante und »corrosive distrust« für irreparabel?146

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ohne weiteres zur Opferstruktur in den meisten Verfolgungsregionen. Besonders Erfolgreiche traf es nur selten vorrangig und fast nie zuerst. Johann Christoph Seld, Disputatio politica de neutralitate, Wittenberg 1638, fol. A4. Ich muß wieder einmal von Lesefrüchten profitieren, die meinen Bemühungen um die vormoderne »neutralitet« erwuchsen, und über sie wurde in Druckwerken vor dem 17. Jahrhundert selten ausführlich geschrieben. Man müßte der Sache einmal über die ganze Frühneuzeit hinweg nachgehen. Neumayr von Ramsla, Neutralitet, Kapitel IV; ebda., Kapitel II: »Die Hoheit eines Fürsten ist anders nichts, als der Vntergang vnd verderb seiner Benachbarten, seine Macht vnd Gewalt aber eines andern Schwäche«. Schemel, Dissertatio politica, S. 3. Schemel kalkuliert durchgehend mit Kräftepotentialen, nicht Normen, seine staatlichen Akteure sind Raubtiere: Wie die Stürme an einem hohen Berg rütteln, die Unwetter ihren Zorn auf ihm abladen, so suchen einen kräftigen Staat seine Nachbarn zu schädigen. Die »communicatio« zwischen benachbarten Staaten »non minus venenata est, quàm alicujus vipere« (S. 51f.). »Metus« füllt die Welt und ist überlebensnotwendig, »ruina« das Los aller Nachlässigen. Jean Bodin, Les Six Livres de la Republique, Bd. 5, Neuausgabe [der 10. Aufl. von 1593], o. O. 1986, S. 179. Die Zitate entstammen Black, Why wars happen, S. 27–29. Black garniert seine Überzeugung mit Erfahrungsberichten heutiger wie früherer Politiker. Ich füge noch aus dem Politischen Testament Friedrich Wilhelms I. von Brandenburg (Duchhardt, Testamente,

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Ist die Linie weder kontinuierlich aufsteigend noch immerdar am Boden, fand ein tiefer Fall von der in hierarchischer Stufung wohlgeordneten hochmittelalterlichen Christianitas in eine zwei oder drei Jahrhunderte ausfüllende interstatale Anarchie statt, ehe sich allmählich wieder Verhaltenserwartungen zu Rechtsverhältnissen zu verdichten begannen (und mit dem Gleichgewicht ein neuer Zentralwert bereitstand)? Falls ja: seit wann taten sie das, und wie ist die kriegstreibende Ruhmsucht vieler absolutistischer Herrscher gegen theoretische Fortschritte in der Völkerrechtslehre zu verrechnen? Suchte man nur gründlich genug, stieße man sicher in allen frühneuzeitlichen Epochen auf die Klage oder auch lakonische Feststellung, die Haltbarkeit von Vereinbarungen zwischen unterschiedlichen Gemeinwesen sei nicht über jeden Zweifel erhaben. Schon Karl V. lamentierte in einem seiner »Avisos« für den Sohn Philipp, daß die Franzosenkönige »keinen Vertrag eingehalten haben, besonders nicht mit mir und meinen Vorgängern«.147 Die Instruktion des pommerschen Herzogs Philipp I. für den Reichstag von 1555148 beklagt, »das die leute in den wahn gefueret, das alle friedshandlungen gegen den loblichen alten gebrauch der deutschen nation alleine nach gelegenheit aufgerichtet, gemeint und gehalten wurden«, »solcher gefaster wahn« habe »in den vorgangenen kriegsubungen«, also den Konfessionskriegen sei 1546, »die friedshandlunge nit weinig aufgehalten«. »Friedshandlungen« mit beschränkter Haftung: besonders oft und besonders schrill begegnen uns solche Ansichten in den Jahrzehnten um und nach 1600, wie wir ja schon wissen.149 Es war nun eines der gängigen, sozusagen beliebten Motive der Flugschriftenliteratur und nicht nur dort, man wußte, wo man in den Sachregistern nachzuschauen hatte: unter »f« für »fides haereticis servanda« oder unter »t« für »trew und glaub«. Es häuften sich die Stimmen, die Andersgläubige für grundsätzlich nicht vertrauenswürdig, geschäftsfähig, politikfähig hielten. Das war in dieser Radikalität – nicht selten bestritt man dem andersgläubigen Mitakteur ja vollgültiges Menschsein – wie in der quasireligiösen Begründung eine Aufgipfelung, nicht frühneuzeitlicher Normalfall. Es sei »hiebevor [!] bey den Catholischen eine regula gewesen [!], Haereticis sive Evangelicis, quos catholici haereticos vocant, non esse servandam fidem«: so erinnert sich eine antischwedische Flugschrift aus der Zeit des Ersten Nordischen Krieges.150 Freilich verhielten sich die Schwedischen nach Ansicht unseres Pamphletisten jetzt auch

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S. 165–186, hier S. 175) an: »Es weisset und gibet auch die stette Erfahrung, das wenig auf Alliancien zu bauen stehet, iedoch heldt ein Schwerdt zum ofteren das andere in die Scheiden«. Kohnle, Vermächtnis, S. 81. Abdr.: RTA, Bd. 20, Nr. 138, hier S. 585. Vgl. oben Kapitel A.1.2.3.3. Vgl. schon oben S. 73 mit Anm. 188.

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nicht besser: Sollen wir vor allem die Vergangenheitsform würdigen, sollen wir mehr herausstreichen, daß die Erinnerung aktualisiert wird? Jedenfalls blieb das Thema aktuell. Auf gleichsam säkularisierte, oft ins Völkerpsychologische gewendete Schrumpfformen der Denkfigur »die Mitakteure bindet weder Eid noch Unterschrift« stießen wir auch in der Begleitpublizistik zum Holländischen Krieg.151 Gingen absolutistische Herrscher nicht sogar besonders zynisch, skrupelloser als ihre frommen Aldvorderen, mit einmal getroffenen Abmachungen um? Der seiner Epoche nicht nur ihren Namen aufgeprägt hat, Ludwig XIV., hinterließ an allen möglichen Stellen seiner »Mémoires« die Einsicht, an zwischenstaatliche Abmachungen pflege sich keine Seite gebunden zu fühlen, deshalb könne man auch nicht gegen solche verstoßen. Es sei ein schöner Zug vom Nachfolger, können wir da beispielsweise nachlesen, wenn er »ses paroles« zu halten versuche, aber »il n’est pas de sa prudence de se fier absolument à celle d’autrui«.152 Johann Michael von Loën beobachtete das: »Treu und Glauben, Wort und Zusagen, haben fast weiter keine rechtliche Verpflichtung, als man für gut findet ihnen einzuräumen. Unsere heutige [!] Staatsklugheit erlaubet deswegen auch nicht, sich auf dergleichen Bündnisse mehr, als es der andern Vortheil mit sich bringt, zu verlassen.«153 »Omnium pactorum hodie [!] fere inane nomen«154? Die zuletzt zitierten Autoren des 18. Jahrhunderts waren offensichtlich nicht der Ansicht, in einer Epoche anwachsender zwischenstaatlicher Erwartungsverläßlichkeit zu leben. Es ist aber nicht nur die Annahme problematisch, man habe nach 1648 solche Erwartungsverläßlichkeit zurückgewonnen – steht denn fest, daß sie im ausgehenden Mittelalter oder am Beginn der Neuzeit verlorengegangen war? Wir sehen uns wieder einmal mit der von Frühneuzeitlern meistens einfach vorausgesetzten, aber auf ihrem Terrain nicht beweisbaren These von einer vordem, im Hohen Mittelalter, nicht nur theoretisch (das ist unstrittig), sondern im politischen Alltagsvollzug realiter existierenden europäischen Staatenhierarchie konfrontiert.155 Für die Frühneuzeitforschung ist diese Annahme 151 152 153 154

Vgl. oben Kapitel A.2.2.4.2. Longnon, Mémoires, S. 212. Loën, Gerechtigkeit des Krieges, S. 374. So Cornelius van Bynkershoek, Quaestionum juris publici libri duo, Ndr. der Ausgabe von 1737, London 1930, S. 73. Die Einschätzung wird in einem spezielleren Kontext geäußert: Der damals berühmte Völkerrechtler lobt zunächst den Brauch, in Fragen strittiger Vertragsauslegung, zumal wenn der »casus foederis« strittig sei, »arbitros« einzuschalten, um dann anzufügen: »Sed id nunc est juris Gentium abrogati, et inde omnium pactorum hodie fere inane nomen«. 155 Lesaffer, War, S. 110 glaubt an sie, und seine Analyse von Bündnis- und Friedensverträgen habe ergeben, daß sie just zwischen 1530 und 1540 zusammengebrochen sei: »The analysis of treaty practice clearly shows that by 1530–1540 no effective supranational authority existed any longer in Europe, while canon, feudal and even Roman law had lost most of their

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nützlich, sie bringt ihre ›Vorgeschichte‹ ›in Ordnung‹. Mancher mag dabei auch Luhmann-Lektüre im Hinterkopf haben: Niklas Luhmann hat ja immer wieder betont (mehr beschworen als beschrieben), daß sich vormoderne Gesellschaften von »stratifikatorischen« zu »funktional differenzierten« entwickelt haben. Ob sich daraus etwas für das Verblassen des hierarchischen europäischen Ordnungsmodells in der Außenpolitik lernen läßt? Oder überwiegen die Unterschiede (innergesellschaftlich immer engere Interdependenzgeflechte, immer stärker ausdifferenzierte Rollenerwartungen, zwischenstaatlich noch lang – oder nach Ansicht vieler Politikwissenschaftler: noch immer – eine »Staatenanarchie«) fruchtbar zu machende Gemeinsamkeiten? Falls dem Modell der hierarchisch geordneten Christianitas Realitätsgehalt eigen gewesen sein sollte: danach dann ein jahrhundertelanger Prozeß der Emanzipation der diversen Staatsgewalten von den Ansprüchen der alten Universalmächte, ein jahrhundertelanger Prozeß der Akkumulation von Macht und Rechten an den diversen Staatsspitzen, die als Quellgründe des Rechts, nicht seine Regelungsobjekte gelten und für nicht- oder überstaatliches Recht nicht greifbar sind? War es tendenziell kriegstreibend, daß sich just in diesem Zeitraum der Personenverbands- zum Flächenstaat wandelte, da ja bei den allfälligen territorialen Arrondierungen niemand verlieren, jeder profitieren wollte? Bekanntlich fällt auch die Auffächerung der Christianitas in Konfessionen in die möglicherweise besonders instabile, in die ja auch tatsächlich kriegserfüllte erste Hälfte der Frühen Neuzeit. Ist der Bedeutungsschwund der im Spätmittelalter florierenden zwischenstaatlichen Schiedsgerichtsbarkeit ein für unser Thema aufschlußreicher Indikator, und fand er nun schon im 16. Jahrhundert statt156, oder ist die »eigentliche Zeit des Niedergangs« die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts157? Wie anarchisch war das Theatrum Europaeum? »Das Gleichgewicht als Regulativ des Staatensystems des klassischen Völkerrechts«: meine Kommentierung dieses scheinbar harmlosen Satzes sollte illustrieren, wieviel im Rahmen der universal application in interstate relations.« Sticht die Begründung? Lesaffer beobachtet, daß nun in Friedensverträgen häufig zahlreiche Drittmächte genannt würden, zu denen die Vertragspartner freundschaftliche Beziehungen anstrebten: »The frequent references to amicitia can only be explained fom the need that was felt continuously to repeat the willingness to have peaceful relations based on the rule of law. This indicated that such relations were no longer felt to be naturally present.« Also eine anarchische Phase zwischen 1530 und 1648? Spricht es wiederum dagegen, wenn Kouri, Außenpolitik, S. 332 auffiel, daß in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts »immer öfter eine Art von völkerrechtlicher Argumentation benutzt wurde«, daß man also den Vorwurf erhob, dieses oder jenes Verhalten verstoße gegen das Jus inter gentes? 156 So, mit dem Gros der Forschung, zuletzt Heinhard Steiger, Friede in der Rechtsgeschichte, in: Wolfgang Augustyn (Hg.), Pax. Beiträge zu Idee und Darstellung des Friedens, München 2003, S. 35f. 157 So jetzt Kampmann, Arbiter, S. 13–15.

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Weitere konzeptionelle und strukturelle Unklarheiten

angeblich längst übererforschten politischen Geschichte des frühneuzeitlichen Europa noch genauer bestimmt werden muß, gerade im Umkreis von »Krieg und Frieden«. Daß alle wichtigen sich hierum rankenden Fragen seit Jahrzehnten oder seit Leopold von Ranke geklärt wären: diese Selbsttäuschung gilt es zu dekonstruieren. Wir müssen die konzeptionellen und strukturellen Voraussetzungen von Frieden besser verstehen lernen.

Einige methodische Bemerkungen

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4. Einige methodische Bemerkungen Das Ende der Geschichte blieb aus. Seit sich herausstellt, daß World Wide Web und Weltkapitalmarkt doch keinen Weltfrieden bescheren, wird der Historiker ja wieder nach ernsten Themen befragt. Die Postmoderne lernt staunend Blut von Ketchup zu unterscheiden. Fernsehbilder aus Afghanistan und dem Irak führten ihr vor Augen, daß »auch in Zeiten von Cyberspace ... nicht alles Medium und Simulation ist, dass Körper zermalmt und Häuser zerstört werden«.1 Wie hatten wir es nur vergessen können! Der Historiker kann dem wieder anwachsenden Bedürfnis nach Auskünften über den Problemkomplex »Krieg und Frieden« insofern nachkommen, als zahlreiche einzelne Schlachten und Friedensschlüsse der Vormoderne hinreichend genau untersucht worden sind. Doch dürften die letzten Kapitel gezeigt haben, daß die konzeptionellen und strukturellen Voraussetzungen nicht so umfassend geklärt sind, wie wir gern selbstverständlich voraussetzen. Insbesondere hinsichtlich der damals handlungsleitenden Denkkategorien, Werte und Normen ist noch viel zu tun. Natürlich ist das Kennern der vormodernen außenpolitischen Szenerie längst aufgefallen. Schon Heinrich Lutz vermißte Studien, »die dem zentralen Tatbestand der Interaktion von Ideen und ›Realprozessen‹« Rechnung trügen.2 Heinz Duchhardt mahnte an, »statt vordergründiger Beschreibungen diplomatischer Aktivitäten und der krisenhaften Zuspitzungen bilateraler Beziehungen den Faktoren nachzugehen, die Außenpolitik in diese oder jene Richtung gelenkt haben« – ökonomischen Rahmenbedingungen, personellen Konstellationen, »vor allem aber gilt es, die politische Philosophie, die einer so oder so konturierten Außenpolitik zugrundeliegt, schärfer zu fassen«.3 Daß man den die Außenpolitik steuernden epochenspezifischen »prevalent ideas« nachgehen müsse, monierte Jeremy Black.4 Christoph Kampmann wunderte sich, daß »noch nicht viel über Inhalt und Wandel der Friedensvorstellungen bekannt ist, die in den Kreisen der politisch Handelnden herrschten«.5 Und Alfred Kohler vermißte jüngst im 1. Band des »Handbuchs der Geschichte der Internationalen Beziehungen« über1 Karl Schlögel, Kartenlesen. Oder: Die Wiederkehr des Raumes, Zürich 2003, S. 10f. 2 Lutz, Friedensideen, S. 30. 3 Heinz Duchhardt, Einleitung, in: ders. (Hg.), Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln/Wien 1991, S. IXf.; ähnlich Rainer Babel, Einleitung, in: ders. (Hg.), Frankreich im europäischen Staatensystem der Frühen Neuzeit, Sigmaringen 1995, S. 7f. 4 Black, Why wars happen, S. 103 bzw. S. 26, vgl. auch S. 239; ob Blacks Ausführungen zur Vormoderne diesen Postulaten freilich ganz gerecht werden? Recht pauschal muß die dutzendfach beschworene »bellicist culture of court society« für ziemlich vieles herhalten. 5 Kampmann, Arbiter, S. 3.

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Einige methodische Bemerkungen

haupt eine »theoretisch-methodische Reflexion des Phänomens der ›Internationalen Beziehungen‹ in der Historiographie«, was an der »langjährigen Unter- und Geringschätzung dieses Phänomens« liege.6 Daß für eine Wahrnehmungs- und Mentalitätsgeschichte der vormodernen Entscheider über Krieg und Frieden noch nicht sehr viele Bausteine bereitliegen, hat verschiedene Gründe. Die Mehrzahl der Frühneuzeithistoriker hält und hielt seit langem andere Segmente vormoderner Wirklichkeiten für spannender als Kriegskonzepte oder die strukturellen Voraussetzungen für Frieden. Das mag sich wieder einmal ändern, wird sich hoffentlich ändern, aber für die letzten fünf Dekaden ist dieser Befund ganz eindeutig. Die (nicht in erster Linie von Frühneuzeitlern betriebene) traditionsreiche angelsächsische Kriegsursachenforschung ist quantitative Makroforschung mit einem Faible für Statistik, einem Hang zur Mathematisierung der Forschungsobjekte; ihre Protagonisten suchen Regierungsnähe, nicht zweckfreie wissenschaftliche Erkenntnis, weshalb sie die Vergangenheit nach gerade aktuellen Problemlagen, vermeintlich ›ähnlichen‹ Konstellationen absuchen. Das gilt auch für diejenigen Autoren, die sich der weitgehend ahistorischen Friedens- und Konfliktforschung zuordnen. So sie überhaupt einmal, in Exkursen oder Eröffnungskapiteln, etwas weiter zurückblicken, suchen sie Wegweisungen für aktuelle »Friedensarbeit«. Orientierungshilfen für künftige Schlachten hatte historisches Material hingegen der ziemlich wissenschaftsfremden traditionellen Militärgeschichte zu liefern. Sie ist passé, überhaupt stieg die Militärgeschichte in den letzten beiden Jahrzehnten wieder zur anerkannten Subdisziplin der Geschichtswissenschaft auf, aber der Weg, über den sie Anschluß an die Zunft fand, nämlich – in einer bemerkenswerten Phasenverschiebung – über das außerhalb der Militärgeschichte viel früher dominante und dann wieder verblassende Paradigma der Gesellschaftsgeschichte: dieser Weg führte sie gerade von den hier interessierenden Fragen weg, hin zu einer Sozialgeschichte des kämpfenden Personals. Völkerrechtler und Moraltheologen haben vorrangig die Normen7, weniger ihren etwaigen Einfluß auf den (außen)politischen Alltag im Blick, übrigens ist Völkerrechtsgeschichte als Wissenschaftsdisziplin seit vielen Jahren nicht mehr existent.

6 Alfred Kohler, Expansion und Hegemonie. Internationale Beziehungen 1450–1559, Paderborn u. a. 2008, S. 9. 7 Ein gutes Beispiel: Norbert Brieskorn/Markus Riedenauer (Hgg.), Suche nach Frieden: Politische Ethik in der Frühen Neuzeit, Bände 1–3, Stuttgart 2000/2002/2003. Natürlich überwiegen in diesen sehr respektablen Sammelbänden Studien zu thelogischen und philosophischen, also mehr oder weniger politikfernen gelehrten Konzepten. – Von philologischer Seite erforschte seit 1994 eine Würzburger Forschergruppe »das Bild des Krieges im Wandel vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit«, auf einige verdienstvolle Veröffentlichungen (etwa von Sonja Kerth oder Horst Brunner) wies ich schon in Kapitel A.1 hin.

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Die Fehlanzeigen waren in dieser Kürze arg pauschal. Ich will einige Erläuterungen anfügen und mich zunächst einmal durch Namedropping entlasten. Konrad Repgen klagte 1998, die Erforschung des Krieges sei »in den letzten vierzig Jahren in Deutsch­land sträflich vernachlässigt worden, soweit sie nicht zeitgeschichtlich orientiert war«.8 Die französische Historiographie hat sich nicht nur des Krieges, sondern der internationalen Beziehungen überhaupt in den letzten Jahrzehnten so gut wie gar nicht angenommen – Claire Gantet konstatierte 2003, »l’histoire des relations internationales« in der Neuzeit sei »un objet relativement neuf en France«!9 Um noch eine angelsächsische Stimme zu Wort kommen zu lassen: »International relations, war and constitutional developments ... went into a decline in the interwar period«, so Jeremy Black, »and this has remained the position since«, »especially ... for study of the centuries prior to 1900«.10 Die geringe historische Tiefenschärfe vieler politologischer oder soziologischer Bemühungen um Krieg und Frieden kann den Frühneuzeitler frappieren, aber vorwerfen darf er solche betriebserleichternde Teilblindheit den Kollegen natürlich nicht. Von einem entlastenden, weil Vorgeschichte verkürzenden Klischee der Gegenwartskundler, dem angeblich alles umwälzenden Westfälischen Frieden, war schon die Rede.11 Es scheint jeglicher Bemühungen um die finsteren Jahrhunderte davor, in denen der moderne Analytiker und Friedenspädagoge sowieso nichts lernen kann, zu entheben. Vielleicht entlasten wir Frühneuzeitler uns ja durch diverse Mittelalterklischees (in diesem Rahmen: eine hierarchisch gestufte, von Papst und Kaiser dominierte Christianitas?) in ähnlicher Weise. Um nun spezifischer die quantitative Kriegsursachenforschung angelsächsischer Provenienz ins Visier zu nehmen: Sie orientiert sich sichtlich an vermuteten oder bekannten sicherheitspolitischen Orientierungsbedürfnissen von Regierungsorganisationen und Ministerien. In historischen Exkursen wird deshalb nicht das weite Panorama beobachtbarer Phänomene aufgespannt, interessiert speziell das Ähnliche, umstandslos auf Gegenwart Applizierbare. Vielleicht sind wir Historiker ja auch manchmal einseitig, auf der Suche nach dem (unseren Scharfsinn herausfordernden, nach unserer Erklärungskraft, unserer ›Übersetzungsarbeit‹ für ein heutiges Publikum rufenden) »ganz anderen«. Jedenfalls geht die angelsächsische Kriegsursachenforschung nicht so mit historischem Material um wie ein guter Geschichtswissenschaftler. 8 Repgen, Kriegstypen, S. 3. Die erste Hälfte der Frühen Neuzeit sei besonders unterbelichtet, betont Heinz Schilling. Ihm »fällt auf, daß im Gegensatz zur Zeit nach 1650 für die ältere Phase der Frühneuzeit das internationale System ganz an den Rand des Interessenspektrums gerückt ist«: ders., Formung, S. 40 Anm. 23. 9 Gantet, Guerre, S. 10. 10 Black, Why wars happen, S. 9. 11 Nämlich in Kapitel A.3.2.2.

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Die quantitative Kriegsursachenforschung ist in ihrer Begrifflichkeit gänzlich dem »realistischen« Politikverständnis mit seinen simplen Rationalitätsmodellen verhaftet. Es wird unterschiedslos auch an alle vergangenen Epochen herangetragen. Nicht nur, daß diese Auffassung von Politik und Diplomatie dem Alltagsverständnis des modernen Zeitungslesers (und übrigens auch der meisten Handelnden, somit der gängigen Politikermemoiren) entspricht – auch die Untersuchungsergebnisse fallen regelmäßig ziemlich überraschungsfrei so aus, wie wir das ohne genaueres Hinsehen sowieso vermutet hätten: Benachbarte Staaten führen häufiger Krieg miteinander als solche, die an entgegengesetzten Polen der Erdkugel liegen. Demokratie befördert den Frieden. Welthandel befördert den Frieden. Revolutionen sind schlecht für den Frieden. Ein starkes Amerika ist gut für den Frieden. Es ist hier nicht der Ort, ausführlich die Axiome und methodischen Leitlinien von »Realismus« und »Neorealismus«12 auszubreiten. Einige Aspekte, die einen Frühneuzeithistoriker eher davon abhalten werden, sich diesem Politikverständnis zu verschreiben, sollten indes erwähnt werden. (Neo)realisten lehren uns, daß die Außenpolitik »des Staates« von dessen Machtposition in der anarchischen Staatenwelt abhänge, wie sie aus seinem Anteil an bestimmten Ressourcen resultiere. »Die Staaten« reagierten dabei grundsätzlich rational auf Anreize und Zwänge »des Systems« (trotz seines »anarchischen« Charakters wird es ja so bezeichnet), und weil alle13 Problemlagen »des Staates« aus den systemischen Voraussetzungen erwüchsen, könne man von inneren einzelstaatlichen Entwicklungen genauso absehen wie vom mentalen Haushalt einzelner Politiker, »der Staat« ist »an unitary actor«. Nun aber die Fragen des Frühneuzeitlers: Wo finden – in seinen Epochen allem Anschein nach handlungsleitende – Werte wie »Seelenheil« oder »Ehre«, Iustitia und Gloire ihren Platz? Kann man für Zeiten, in denen Letztentscheidungen von Wertordnungen, Vorlieben, gar Launen einzelner Hochadeliger abhingen, wirklich ein so uniform rationales »staatliches« Verhal12 Vgl. stattdessen, beispielsweise, Michael J. Smith, Realist Thought from Weber to Kissinger, Baton Rouge 1986. Konzise Zusammenfassung: Ole R. Holsti, International Relations Models, in: Michael J. Hogan/Thomas G. Paterson (Hgg.), Explaining the History of American Foreign Relations, Cambridge u. a. 1991, S. 57–88. 13 Realisten (oder Vertreter des mittlerweile manchmal so genannten »classical realism«) würden noch auf eine anthropologische Konstante hinweisen: Machtgier und Gewalttätigkeit »des Menschen«, der »human nature«. Darauf pflegen Neorealisten (oder »modern realists«) nicht zu rekurrieren; ein weiteres Unterscheidungsmerkmal dürfte darin bestehen, daß sie der Geschichte einen (noch) geringeren Stellenwert einräumen als ihre »klassischen« Vorgänger, dafür lieben sie ökonomische Modelle und Spieltheorien. Natürlich gehen auch sie von einer bestimmten (nicht thematisierten) Anthropologie aus, aber ihr Akteur ist nicht der machtgierige geborene Krieger, sondern der Homo oeconomicus, der Außenpolitik nicht anders durchkalkuliert als Bilanzen. Vielleicht stammen die wichtigsten Fundierungen von Kenneth Waltz, ich nenne exemplarisch ders., Theory of International Politics, Reading 1979.

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ten einfach voraussetzen? Wie sind in Zeiten, die noch keine Spionagesatelliten in ihre Umlaufbahn bugsierten, unsichere Vermutungen über die Ressourcen der Mitakteure gegen eigenes Prestigedenken abzuwägen? (Neo)realisten halten die Wirkmächtigkeit moralischer Werte und kultureller Einflüsse für gering, und das sei gut so – denn »Idealismus« und »Moralismus«, auch schon »Legalismus« seien Übel, die eine professionelle Außenpolitik erschwerten; Interessen ließen sich leichter kalkulieren als Gefühle, flexibler zu einer tragfähigen politischen Grundlage verflechten als moralische Prinzipien oder rigide befolgte Normen. (Neo) realisten halten das »nationale Interesse« für eine leicht objektivierbare Kategorie, die sie, anstatt nach ihren Entstehungsbedingungen (anspruchsvoller formuliert: nach der historischen und kulturellen Kontextualität) zu fragen, einfach voraussetzen. Die inhaltliche Füllung des vorgeblichen »Staatsinteresses« ist nicht das Endziel ihrer Sondierungen, sie stellen sie an den Anfang ihrer politischen Diagnosen und Therapieempfehlungen. Aber welche Wahrnehmungsraster, religiösen Werte, kulturellen Prägungen gehen in die Konstruktion des »Interesses« ein?14 Übrigens scheint die quantitative Kriegsursachenforschung bei deutschen Politologen verrufen zu sein.15 Zur Friedens- und Konfliktforschung! Sie sei weitgehend ahistorisch ausgerichtet, wurde oben behauptet. Gewiß, es gibt den relativ schwachen Zweig der Historischen Friedensforschung, doch greift selbst diese kaum in die Vormoderne aus, nicht in den USA (Peace History Society), nicht hierzulande (Arbeitskreis Historische Friedensforschung), und das sehen auch ihre Vertreter so.16 Im Jahr 2001 legte Karlheinz Koppe eine Art Kompendium der Friedens- und Konflikt-

14 Natürlich kennen die Politikwissenschaften seit Jahrzehnten auch »models of decision making«, in denen außenpolitische Entscheidungen nicht ausschließlich Resultanten bestimmter Zustände und Problemlagen des Staatensystems sind: insbesondere, von organisationstheoretischer Seite, das Modell der »bureaucratic politics«; sowie von sozialpsychologischer Seite die Analyse gruppendynamischer Prozesse in Elitezirkeln mit ihrem »Groupthink«, mit Anpassungsdruck, Abschottungstendenzen, daraus resultierenden spezifischen »information pathologies«. Das ist anregend, einfach oder gar unbesehen auf die Vormoderne übertragbar ist es nicht, schon gar nicht im vormodernen Arcanbereich »Krieg und Frieden«. 15 Jedenfalls stieß ich immer wieder auf Verdikte. Die angelsächsische Kriegsursachenforschung sei bislang »fruchtlos« geblieben und komme »nicht über Einsichten hinaus, die auch sonst offen zu Tage liegen«, urteilt Schlichte, Kriegsforschung, S. 118. Sie habe »in Deutschland keinen guten Ruf«, weiß Hasenclever, Kriegsursachenforschung, S. 331. »Der Stand der vergleichenden Kriegsursachenforschung ist international dürftig«, verallgemeinert Klaus Gantzel, Kriegsursachen – Tendenzen und Perspektiven, in: Ethik und Sozialwissenschaften 8 (1997), S. 260. Man könnte diese Liste mühelos beträchtlich verlängern. 16 Vgl. beispielsweise Jost Dülffer, Internationale Geschichte und Historische Friedensforschung, in: Winfried Loth/Jürgen Osterhammel (Hgg.), Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten, München 2000, S. 265.

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forschung17 und in diesem Rahmen einen Überblick über die »Friedenswissenschaft im 20. Jahrhundert« vor, ohne auf Dutzenden von ihr gewidmeten Seiten auch nur einen einzigen Nebenblick auf historische Untersuchungen zu werfen. Von Historiographie hat dieser Autor sowieso festumrissene Vorstellungen, sie präsentiere Geschichte als »Abfolge von Herrschaftskonflikten und Kriegen«, biete »Kriegs- und Gewaltgeschichte«18: auch der »Friedensforscher« braucht sein Feindbild! So Vertreter der Friedens- und Konfliktforschung, in Exkursen oder Eröffnungskapiteln, etwas weiter zurückblicken, fahnden sie, darin der Kriegsursachenforschung und der traditionellen Militärgeschichte gleich, nach Vertrautem, Gegenwartsförmigem, weil sie nur solches Material für pädagogisch wertvoll halten. Es wäre vielleicht nicht nötig, darauf hinzuweisen, daß diese Feststellung keinesfalls spöttisch sein will. Es gibt wahrlich weniger achtbare Motive für Bücher und Aufsätze als Sehnsucht nach Frieden! Aber die Antriebe sind eben außerwissenschaftliche, nämlich allgemein anwendungsbezogene, speziell friedenspraxeologische, und damit lassen sich auch die bevorzugten Untersuchungsgegenstände erklären. Man beleuchtet historische Problemlagen, bei denen man große strukturelle Ähnlichkeiten mit aktuellen oder prognostizierten vermutet.19 Die neue Militärgeschichte als Sozialgeschichte des kämpfenden Personals: natürlich ist auch das eine Zuspitzung, zumal sich seit einigen Jahren eine Öffnung zur Mentalitäts- und Kulturgeschichte abzeichnet. Sogar mit dem »kämpfenden Personal« ist das so eine Sache, hat man doch ein Faible für Sondierungen in Friedenszeiten, also dann, wenn die Söldner gar nicht kämpften, sowie für die von vornherein nichtkämpfenden Angehörigen des Trosses, außerdem fürs Verhältnis zwischen militärischer und Zivilgesellschaft. Es interessiert der »Alltag« mit seinen Überlebensroutinen in Kaserne, Quartier oder Troß, nicht das Überleben in jenen vergleichsweise seltenen Schlachten, die insofern ja auch gar nicht »alltäglich« gewesen sind. Also, die Palette der Untersuchungsgegenstände ist breit, nur stehen auf ihr keine Politiker. Die vormodernen außenpolitischen Entscheidungsträger kommen nicht vor. Damit geraten, neben manchen anderen für diese Studie wichtigen Problemen, auch die internalisierten Werte und 17 Der Buchtitel ist an sich spezieller: K. K., Der vergessene Frieden. Friedensvorstellungen von der Antike zur Gegenwart, Opladen 2001; die »Friedenswissenschaft im 20. Jahrhundert« stellt Kapitel 5 vor. 18 Ebda., S. 21 bzw. S. 39. 19 Dieses Manko blendet der folgende Aufsatz aus, der sich ansonsten durch einen hohen Reflexionsgrad auszeichnet und gewissermaßen beiläufig die anspruchsvollste mir bekannte Apologie der »wertorientierten« Haltung, des »normativen Anspruchs« der Friedens- und Konfliktforschung bietet: Thomas Kater, Über Gewalt und Frieden: Bilder des Politischen, in: Benjamin Ziemann (Hg.), Perspektiven der Historischen Friedensforschung, Essen 2002, S. 57–85, hier besonders S. 57f. und S. 65.

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Normen dieser Entscheider nicht in den Blick. Die »neue Militärgeschichte« (übrigens ein deutsches Spezifikum) interessiert sich eben nicht vorrangig für den Zusammenhang von Militär und Politik.20 Kaum zugespitzt habe ich bei der Völkerrechtsgeschichte. Ingo H. Hueck konstatierte vor einigen Jahren, »daß das Interesse sowohl an der Völkerrechtsgeschichte wie an der Ideen- und Wissenschaftsgeschichte des Völkerrechts gering ist. Nur wenige Juristen sind auf diesem Gebiet noch wissenschaftlich aktiv«.21 Das Warum kann der Historiker nicht beurteilen. Liegt es mehr am Terrainverlust der historischen und philosophischen Grundlagen im Jurastudium, liegt es mehr an einem etwaigen Bedeutungsverlust des Völkerrechts, wie er wachsender internationaler Vernetzung korrespondieren könnte? Nicht nur, daß Verstöße der gegenwärtigen Hegemonialmacht praktisch nicht ahndbar sind, vor allem ist Völkerrecht ja zwischenstaatliches Recht: Recht, das das Miteinander nur noch deklamatorisch souveräner, tatsächlich sogar nach Innen immer weniger handlungsfähiger Staaten steuern soll. Wie wichtig ist das noch für eine sich am Horizont abzeichnende »Weltgesellschaft«, die sich immer deutlicher in Subsysteme finanziellen und kulturellen Kommunizierens ausdifferenzieren wird, die eigenen (nicht- oder überstaatlichen) Regelwerken gehorchen? Solcher Fragen und Zweifel unerachtet muß es der Historiker sehr bedauern, daß er von der Völkerrechtsgeschichte nicht stärker herausgefordert oder angeregt wird. Daß hinsichtlich der früher handlungsleitenden Denkkategorien, Werte und Normen noch viel zu tun ist, liegt natürlich auch an methodischen Schwierigkeiten. Inwiefern bestimmte Konzeptionen von Pax und Bellona, inwiefern kriegstreibende oder aber friedfördernde Denktraditionen, daraus resultierende, aber gar nicht mehr bewußt reflektierte Denkklischees, Einstellungen, Ab- und Zuneigungen auf für »Krieg und Frieden« relevante politische Entscheidungen

20 Lagebericht mit zahlreichen Literaturhinweisen: Ralf Pröve, Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin? Die »neue Militärgeschichte« der Frühen Neuzeit – Perspektiven, Entwicklungen, Probleme, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000), S. 597–612. – Daß das vormoderne Militärwesen eine »institutionelle Schwachstelle für die Friedensfähigkeit frühmoderner Staaten« gewesen sei, so Burkhardt, Friedlosigkeit, S. 541, ist pointiert, aber nicht falsch: Damit zusammenhängende logistische Probleme konnten kriegsverlängernd wirken (man denke nur an den Nürnberger Exekutionstag!), nicht mehr und nicht weniger, nach der »Entmachtung der Obersten« durch den höfischen Absolutismus eher weniger. 21 Ingo H. Hueck, Völkerrechtsgeschichte: Hauptrichtungen, Tendenzen, Perspektiven, in: Winfried Loth/Jürgen Osterhammel (Hgg.), Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten, München 2000, S. 269; ebda., S. 276: Wer »völkerrechtsgeschichtliche Forschungen betreibt, wird unweigerlich Mitglied einer kleinen internationalen Schar von Völkerrechtshistorikern«.

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eingewirkt haben, ist weder durch detailverliebte Aktenhuberei22 noch durch die Lektüre von zeitgenössischen Druckwerken23, weder durch die Anhäufung von »Daten und Fakten« noch durch Ideengeschichte allein zu beantworten. Wir müssen neben gedruckten Propagandaschriften auch interne Beratungsprotokolle befragen, den öffentlichen Deutungskrieg wie seinen Niederschlag in Ratsstuben beobachten, und genau an diesen Schnittstellen, zwischen Bibliothek und Archiv, Gelehrten- und Ratsstube, publizistischem Meinungskampf und Meinungsbildung der Entscheidungsträger dürften, im Spannungsfeld von Legitimation und Motivation24, Wahrnehmung und Wirklichkeit, Ideen und Interessen25, die für eine historische Friedens- und Konfliktforschung spannendsten Fragen angesiedelt sein. Wo Impulse aus den Kulturwissenschaften, der Anthropologie, aus Systemtheorie oder Wissenssoziologie anregend wirken können, sollten wir uns ohne Berührungsängste bedienen, ohne über der Frage, welche mentalen Strukturen entscheidungsprägend wirken können, diese Entscheidungen selbst und ihre oft einschneidenden, im Fall von »Krieg und Frieden« blutigen Auswirkungen aus dem Blick zu verlieren. 22 Franz Bosbach hat einmal (meines Erachtens allzu skeptisch) konstatiert: »Zu dem obwaltenden Daseinsverständnis« der Entscheidungsträger, »zu Verhaltensnormen, Werthaltungen, Erfahrungen und Einschätzungen findet man« in politischen Akten »allenfalls Anhaltspunkte, weil sie für den Kreis der Beteiligten selbstverständlich waren und daher nicht problematisiert zu werden brauchten«: Franz Bosbach, Einleitung, in: ders. (Hg.), Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 1992, S. IX. 23 Wie sie auch diese Studie immer wieder auswertet! Aber sie allein sind nicht hinlänglich; die seit einiger Zeit im Fach anzutreffende Attitude, Archivbesuche als Marotte der harmloslustigen Spezies des »Heimatforschers« abzutun, ist kontraproduktiv. Wenn die Einstellung weiter um sich greift, intensive Archivrecherchen statt mit Respekt mit mehr oder weniger mildem Spott zu quittieren, werden solche à la longue eben nicht mehr stattfinden, weil sie ausgesprochen mühselig und nervenzehrend sind. Die Folgen für unser Fach wären desaströs! 24 Erklärten wir die Frage nach Gründen und Motiven, im Sinne eines »radikalen Konstruktivismus«, für naiv oder sinnlos, fragten wir nicht mehr nach wahr und wirklich, nur noch danach, was frühere Zeiten für glaubwürdig gehalten haben, marginalisierten wir uns selbst, und unser Publikum würde sich von solchen erkenntnistheoretischen Vexierspielen bald verdrossen abwenden. 25 Zweifelsohne eine Scheinalternative! »Interessen sind ideenbezogen«: M[ario] Rainer Lepsius, Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, S. 7. Wir sollten beide Pole des Beziehungsgefüges ernstnehmen, es geht nicht darum, einen Faktor auf Kosten des anderen kleinzureden, sondern um die annäherungsweise Rekonstruktion der Wechselwirkung zwischen Werten, Weltwahrnehmung und (vermeintlicher) Staatsräson. – Der Nichtsoziologe kann es eigenartig finden, daß die Suche nach der handlungsleitenden Kraft von Ideen in einer Wissenschaft als hausbacken und naiv angesehen wird, deren Gründervater wieder und wieder das Ineinandergreifen von Interessen und Ideen analysiert hat. Freilich fokussierte Max Weber dabei nicht die Außenpolitik (sondern beispielsweise kapitalistisches Wirtschaftsverhalten).

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Welchen Wert hatte der Frieden in Relation zu anderen Staatszielen? Welche Rolle spielten Ideale wie Ritterlichkeit, »Ehre«, Tapferkeit für den Seelenhaushalt der Akteure? Welche historischen Exempel gaben vermeintlich Wegweisung? Spielten ökonomische Gesichtspunkte vor dem Zeitalter des Merkantilismus je bei außenpolitischen Kursbestimmungen eine ausschlaggebende Rolle, besaßen sie für die mit der Außenpolitik befaßten Männer überhaupt eine eigene Dignität26, verstanden sie überhaupt etwas davon? Wurden die Kriterien der Bellumiustum-Doktrin tatsächlich in Entscheidungssituationen ernstgenommen und diskutiert? Wurden konkrete Entscheidungen, wie marginal auch immer, von der wahrgenommenen »öffentlichen Meinung«, also dem vermutbaren, seinerseits wiederum wertgesteuerten Erwartungshorizont der nicht selbst politisch Aktiven beeinflußt? Das sind nur einige von vielen vergleichbar spannenden Fragen, die für die Vormoderne viel zu selten gestellt wurden. Nur für die Vormoderne? Die in den Politikwissenschaften traditionell dominierenden sogenannten »rationalistischen« Erklärungsansätze für internationale Beziehungsmuster haben sich schon lang mit transaktionskostenminimierenden kognitiven Filtern, mit »belief systems« und »cognitive maps« beschäftigt, aber die derart gefilterte Wirklichkeit ist wertelos, weil Neorealisten wie Neoinstitutionalisten Werte und Normen für flüchtiges Oberflächengekräusel auf einem machtgesteuerten Geschehen halten. Räumen sie mittlerweile kognitiven Ideen (einfach gesagt: Vorstellungen darüber, wie die Welt ist) ihrer Akteure einen – freilich bescheidenen – Platz im Theoriegebäude ein27, sind normative Ideen (Vorstellungen darüber, wie die Welt sein soll) ein blinder Fleck geblieben. 26 Es fällt auf, daß diese Frage von den wenigen Kennern der internationalen Politik, übrigens selbst fürs Zeitalter des Merkantilismus, viel skeptischer beantwortet wird als das der Handbuchmainstream vermuten lassen würde. Weil ich ökonomischen Motiven in dieser Studie nicht nachgehe, will ich wenigstens einige Literaturhinweise geben: Kunisch, La guerre – c’est moi, hier vor allem S. 6; Burkhardt, Friedlosigkeit, S. 555ff.; William H. McNeill, Krieg und Macht. Militär, Wirtschaft und Gesellschaft vom Altertum bis heute, München 1984, S. 97ff. (alle mit weiteren Literaturhinweisen). Für die ersten drei Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts, die ich archivalisch am besten kenne, kann ich apodiktisch sagen: Die außenpolitischen Entscheidungsträger hatten jene Ökonomie, von der sie nichts verstanden (eine seltene Ausnahme war Maximilian I. von Bayern), auch nicht im Blick. Ökonomie schrumpft in außenpolitischen Fragen gewidmeten Beratungsprotokollen auf den Topos »pecunia nervus rerum« oder den genauso folgenlosen, insofern nicht handlungsleitenden Stoßseufzer »pas d’argent, pas de Suisses« ein. 27 Gute Beispiele aus dem politikwissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Bereich: Robert Jervis, The Logic of Images in International Relations, Princeton 1970; ders., Perception and Misperception in International Politics, Princeton 1976; Richard Little/Steve Smith (Hgg.), Belief Systems and International Relations, Oxford 1988; Judith Goldstein/Robert O. Keohane (Hgg.), Ideas and Foreign Policy: Beliefs, Institutions and Political Change, Ithaca/London 1993. – Berühmt sind die Wahrnehmungsblockaden der deutschen Entscheidungsträger 1914, insbesondere hinsichtlich der englischen Reaktion; weniger bekannt dieser Versuch: Ole R. Holsti, The Belief System and National Images: John Foster Dulles,

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Das scheint seit geraumer Zeit auch manche Politikwissenschaftler zu stören. John L. Gaddis monierte 1997 in einer Monographie über den Kalten Krieg, man habe bislang dazu tendiert, »to overlook ideas«. 28 Das programmatische Editorial im ersten Band der Zeitschrift für Internationale Beziehungen gab 1994 der Hoffnung Ausdruck, »Normen und kognitive Prozesse aus ihrer Randexistenz herausführen« zu können: »eine konsequente Auseinandersetzung mit der Eigendynamik von Ideen ... beginnt erst«.29 Die damals meines Erachtens richtige Einschätzung steht im Kontext politikwissenschaftlicher Debatten (auch »kommunikatives« versus ausschließlich »strategisches Handeln«, »kognitive« und/oder »reflexive« Erweiterungen des Rational-Choice-Ansatzes), die die Frühneuzeitforschung, so weit ich sehe, nicht erreicht haben. Daß sich die deutsche Diplomatiegeschichtsschreibung seit Ranke Betrachtungsweisen verschrieben hatte, die denen (neo)realistischer Politikwissenschaftler in manchen Zügen sehr ähneln30, kann nach einem Dritteljahrhundert angestrengter, längst reflexhafter Ablehnung solcher historiographischer Traditionen nicht mehr entschuldigend ins Feld geführt werden. Für die Politikwissenschaft wäre die zitierte Einschätzung übrigens wohl mittlerweile zu pessimistisch, worüber terminologische Verschiebungen seit den späten 1990er Jahren (seitdem firmieren Werte und in: Ralph K. White (Hg.), Psychology and the Prevention of Nuclear War, New York 1986, S. 322–335. Ob auch der Irak-Krieg von George Bush Jr. einmal als Paradebeispiel für die Abschließung des kollektiven Wahrnehmungshorizonts der entscheidenden Eliten (Cheney, Rice, Rumsfeld, CIA-Spitze) gegen nicht in Weltbilder und Deutungsschablonen passende Informationen firmieren wird? Eine Studie von Bob Woodward (Der Angriff. Plan of Attack, München 2004) könnte es nahelegen, doch fehlt noch der klärende zeitliche Abstand. 28 John L. Gaddis, We Now Know. Rethinking Cold War, Oxford 1997, S. 282. Ebda.: »›Realist‹ and ›neorealist‹ theorists of international relations regarded what went on inside people’s heads as hard to measure, and therefore easy to dismiss«. 29 Klaus Dieter Wolf, Editorial, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 1 (1994), S. 5. Optimistischer konstatierte schon im Folgejahr Markus Jachtenfuchs, Ideen und internationale Beziehungen, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 2 (1995), S. 419 eine »Hinwendung zu Ideen als Erklärungsfaktor«, verantwortlich hierfür sei »das schlichte Versagen« der Rational-Choice-Modelle »an der Realität«. 30 Es wäre geradezu lächerlich, an den Verdiensten Rankes um die Konstituierung einer Geschichtswissenschaft herumzumäkeln, aber in unserem Zusammenhang ist vielleicht doch eine Erwähnung wert, daß er für die Rolle des Rechts (gar des Völkerrechts!) und der Moral (Normen und Werte der damaligen Entscheidungsträger?) kein ausgeprägtes Sensorium besaß. Da Friedrich von Preußen zur Eroberung Schlesiens »fähig« war, »wie hätte er nicht die Absicht dazu fassen sollen?«: Leopold von Ranke, Zwölf Bücher Preußischer Geschichte [hier: viertes Buch], in: Leopold von Ranke’s Sämmtliche Werke. Zweite Gesammtausgabe, Bd. 28, Leipzig 1876, S. 327. Erst recht war dann natürlich für die Borussophilen um Droysen und Treitschke Geschichte der internationalen Beziehungen eine der Macht – schließlich hatten sich diese Autoren als Zeitgenossen alle der »Realpolitik« verschrieben. Macht war Selbstzweck, ihre Vergrößerung Lebensprinzip nicht degenerierter Staaten, Macht schuf sich selbst ihr Recht.

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Normen zunehmend als wichtige »kulturelle« Faktoren31) nicht hinwegtäuschen dürfen. Es gibt mittlerweile eine breite Palette von Ansätzen, die das wichtige und in Grenzen richtige, doch allein nicht hinreichende (neo)realistische Rational-Choice-Modell interessegeleiteten stategischen Handelns ergänzen. Außer von kognitiven Filtern ist immer häufiger von »institutionellen Praktiken« die Rede, neben wahrnehmungspsychologischen Begrenzungen menschlicher Welterfassung interessieren besonders die vom Individuum internalisierten »gesellschaftlichen« Normen und Werte, die das die Strategie vorgebende »Interesse« bestimmen; und Vertreter des, horribile dictu, »Reflektivismus« betonen, daß Entscheidungsträger gar nicht nur strategisch handelten. Wie wahr! Der Frühneuzeitler kann den Nutzen solcher Debatten für die Analyse gegenwärtiger internationaler Konflikte nicht beurteilen32, aber für seine Epochen viele Anregungen finden. Um also wieder in unser Metier zurückzuschlüpfen: Kann es dem Historiker nicht aus dem unbefriedigenden Optionszwang zwischen einer empirieenthobenen Ideengeschichte und faktenversessener herkömmlicher »Diplomatiegeschichte« heraushelfen, wenn er sein zentrales Augenmerk darauf richtet, wie theoretische Konzepte (in dieser Studie wurde insbesondere die Bellum-iustum-Doktrin fokussiert) und Werte (Iustitia! und Pax?) in Ratsstuben wirkten, inwiefern Politiker in konkreten Entscheidungssituationen auf sie rekurrierten, inwiefern sie demnach das stategische und/oder verständigungsorientierte33 Handeln der Akteure mitsteuerten? Den Menschen 31 Werte und Normen weben also an jenem Netz »kultureller« und »institutioneller Praktiken« mit, in das das handelnde Individuum eingesponnen ist. Man kann es so ausdrücken. Daß diese Studie zwar allzu oft von »Diskursen« spricht, den einem breiteren Publikum genauso wenig geläufigen Terminus »Praktiken« aber meidet, liegt lediglich am ganz subjektiven Stilempfinden ihres Autors. 32 Deshalb sei wenigstens diese skeptische Studie genannt: Katharina Holzinger, Kommunikationsmodi und Handlungstypen in den Internationalen Beziehungen. Anmerkungen zu einigen irreführenden Dichotomien, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 8 (2001), S. 243–286 (zu Habermas – vgl. nächste Anm. – insbesondere S. 249ff.). 33 Manche Politikwissenschaftler (von den deutschsprachigen beispielsweise Harald Müller), denen die traditionellen »realistischen« Erklärungsmodelle nicht mehr genügen, lehnen sich an das Habermassche Konzept »verständigungsorientierten Handelns« an und vermögen – wiewohl mir dieses Konzept eher eine etwas utopische Handlungsanweisung für gesamtgesellschaftliche Willensbildung denn ein taugliches Analyseinstrument für empirische Forschungen darzustellen scheint – gleichsam an seinen Rändern doch zu Einsichten vorzustoßen, die auch den Frühneuzeithistoriker anregen könnten. Ich will nur diese sparsamen Hinweise geben: Müller und andere betonen gern das politiknotwendige »Vertrauen« und fragen, wie denn internationale Verständigung angesichts des Fehlens einer »gemeinsamen Lebenswelt« überhaupt zustandekommen könne. Das macht dem Frühneuzeitler wieder einmal die Relevanz des werdenden Völkerrechts deutlich (sicherer werdende Verhaltenserwartungen schaffen »Vertrauen«); er wird daran erinnert, daß beispielsweise 1648 in Westfalen gemeinsam erlittenes Kriegsleid einen wieder und wieder wortreich aktualisierten gemeinsamen Erfahrungsraum schuf (vgl. schon oben S. 43); und daß sich im 16., frühen 17. Jahrhundert

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nur als Homo oeconomicus zu sehen, hat sich noch nicht einmal für die kapitalistische Moderne bewährt34, wie sollte dieses Modell in seiner ganzen kruden Simplizität für die Vormoderne hinreichen? Wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, nur die von den Handelnden als eben »objektiv« gegeben empfundenen Entscheidungssituationen und »Staatsinteressen« auszubreiten, so ihre Subjektivität ein zweites Mal zu objektivieren; sondern müssen uns auch fragen, aufgrund welcher kognitiven Filter sich bestimmte Vorgänge überhaupt zu vermeintlichen Entscheidungszwängen zuspitzten, aufgrund welcher internalisierter zeit- oder standesspezifischer Normen bestimmte Fakten als Bestimmungsgrößen des Staatsinteresses wahrgenommen wurden. Etwas plakativ gesagt: neben den Homo oeconomicus müssen der Homo psychologicus und der Homo sociologicus treten. Wir brauchen eine Wahrnehmungs- und Mentalitätsgeschichte der vormodernen Entscheider über Krieg und Frieden. Eine solche Wahrnehmungs- und Mentalitätsgeschichte der Entscheidungsträger wäre keine Neuformulierung der Biographik gekrönter Häupter, zielt auch auf die von der Politischen Geschichte schon längst entdeckten »Männer im zweiten Glied«.35 Da wir bei der Rekonstruktion von Elitenkalkülen nach kulturellen Kontexten, insbesondere den Orten und Modalitäten der Internalisierung von Normen und Werten fragen müssen, geraten sogar so scheinbar politikferne Bereiche wie Erziehung, Ausbildung oder Lektüregepflogenheiten in den Blick. Manche Postulate postmoderner Theoretiker werden wir freilich nicht restlos einlösen können, so das Monitum, doch endlich die »Staatszentriertheit« herkömmlicher Bemühungen um Krieg und Frieden dadurch zu überwinden, daß wir die »Staatenwelt« durch eine »Gesellschaftswelt« ersetzen36, die »Emanzipasukzessive eine internationale Gemeinschaft einander kennender, intensiv (auf Französisch) miteinander korrespondierender Diplomatieprofis (politologisch: »Expertenkulturen«) ausbildete. 34 Stemmen sich endlich auch angesehene Psychologen der Hegemonie der Ökonomen beim »Design« von Entscheidungstheorien entgegen? Daß das Gehirn keine Rechenmaschine ist, die einem logisch homogenen Programm folgte, betonte jüngst der Direktor des MaxPlanck-Instituts für Bildungsforschung: Gerd Gigerenzer, Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewußten und die Macht der Intuition. Aus dem Englischen von Hainer Kober, München 2007. Der Untertitel kündet von den Schwächen des Buches: Beide entscheidungsgenerierende Kategorien (»Unbewußtes«, »Intuition«) bleiben in ihm diffus. Seine Stärken liegen im Dekonstruieren der gängigen Entscheidungstheorien. 35 Vgl. hierzu Axel Gotthard, Benjamin Bouwinghausen. Wie bekommen wir die »Männer im zweiten Glied« in den Griff ?, in: Helmut Altrichter (Hg.), Persönlichkeit und Geschichte, Erlangen/Jena 1997, S. 69–103. 36 Schlichte, Kriegsforschung, S. 123. Vgl. aus dem angelsächsischen Sprachraum beispielsweise Akira Iriye, Culture and International History, in: Michael J. Hogan/Thomas G. Paterson (Hgg.), Explaining the History of American Foreign Relations, Cambridge u. a. 1991, hier vor allem S. 220.

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tion der Gesellschaft gegenüber ihrem Politischen System«37 nachzeichnen. Eine solche »Emanzipation« hat es in der Vormoderne nicht gegeben38, und gerade spezifisch außenpolitische Letztentscheidungen, wie Kriegserklärungen oder Friedensschlüsse, erachteten vormoderne Regierungen als ihren Arcanbereich; die hier maßgeblichen Motive konnte man vor einer breiteren Öffentlichkeit beschönigen, mußte man ihr nicht offenlegen. Noch gab es keine Volksabstimmungen (und noch nicht einmal Volksheere), derentwegen Volkes Stimme bzw. eine mehr oder weniger diffuse Volksstimmung bei der Kriegführung unabweislich hätten beachtet werden müssen.39 Konfliktkanalisierende internationale Institutionen haben nicht existiert, Verhaltenserwartungen an Staaten begannen sich erst sehr zögerlich zu völkerrechtlichen Normen zu verdichten. Es hing deshalb tatsächlich sehr viel von den Denkkategorien und Handlungsmustern der nationalen bzw. territorialen politischen Eliten ab, die wir freilich nur adäquat verstehen, wenn wir ihre Lebenswelt, ihre Sozialisation, ihren Lesegeschmack berücksichtigen, womit sich der Forschungsfokus wieder ausweitet. Welche Wahrnehmungsraster, Werte und Normen steuerten das Tun der Steuerleute? Diese Studie will einer Mentalitätsgeschichte der vormodernen Entscheider über Krieg und Frieden im Folgenden zwei unterschiedlich große Bausteine zuliefern. Die erste Fallstudie basiert auf der Beobachtung, daß die vom Prager Fenstersturz ausgelöste böhmische Krise an Europas Höfen ganz unterschiedlich wahrgenommen wurde, verbleibt dabei überwiegend im Bereich der kognitiven Ideen. Die zweite, den Akzeptanzproblemen der vormodernen Neutralität gewidmete Fallstudie ist nicht nur viel umfangreicher, wohl auch facettenreicher. Sie beleuchtet das Spannungsverhältnis zwischen neutraler Politik und kriegerischer »Ehre«, zwischen Neutralität und konfessionellen Wahrheitsmonopolen (sowie, spezieller, der traditionellen Bellum-iustum-Doktrin); und fragt, was wir aus einer Geschichte der Akzeptanz von Neutralität über den Zustand der damaligen – schon »horizontal« geordneten? – Staatenordnung sowie über den Bedeutungszuwachs des Völkerrechts lernen können. Sie ist nicht sich selbst genug, will etwas Licht auf die konzeptionellen und strukturellen Voraussetzungen vormoderner Bellizität werfen.

37 Ernst-Otto Czempiel, Kluge Macht. Außenpolitik für das 21. Jahrhundert, München 1999, S. 45. Die »Weltgesellschaft« beschwor jüngst Gilbert Ziebura, das internationale System als »Gesellschaftswelt« Ursula Lemkuhl, ich kann hier nicht alle so und ähnlich lautenden Formulierungen der letzten Jahre auflisten. 38 Um es holzschnittartig in Erinnerung zu rufen: die Frühe Neuzeit ist die Epoche der Staatsbildung, nicht postmodernen Staatszerfalls; »der Staat« unternahm damals viele Anstrengungen, die Köpfe und Herzen der »underthonen« überhaupt erst zu erreichen. 39 Vgl. zur Frage, inwiefern die vormoderne Öffentlichkeit für um Krieg und Frieden kreisende Fragen relevant gewesen ist, ausführlicher Kapitel A.1.3.2.

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Die »Torheit der Regierenden«

B. »Guerra di stato« oder »guerre de religion«? Zur Wahrnehmung des böhmischen Aufstands in Europa1

1. Die »Torheit der Regierenden«, oder: was zeitgenössische Akteure und was Historiker für wichtig halten Wer Augen hatte, zu sehen, war seit 1608 auf der Hut. Das desaströse Scheitern des Regensburger Reichstags dieses Jahres2 läutete die Vorkriegszeit ein. »De comitiis si quid vis, omnia ibi lenta et turbulenta et uno verbo ad bellum spectant«.3 Das letzte bis dahin noch einigermaßen arbeitsfähige Reichsorgan war gesprengt. Dem Reich eigneten keine konfliktkanalisierenden Institutionen mehr. Würde man da seine Interessen nicht früher oder später mit Waffengewalt verteidigen müssen? Wer so fragte, gab sich nicht etwa übernervös einer Kriegin-Sicht-Hysterie hin, es war nüchterne Einsicht in die seit 1608 feststehende Tatsache, daß das politische System des Reiches nicht mehr steuerbar war. Je nach ihrem Naturell und den geostrategischen Rahmenbedingungen reagierten die Reichsfürsten mit verstärkten Zurüstungen4 oder mit letzten verzweifelten

1 Wie der böhmische Aufstand im evangelischen Deutschland wahrgenommen wurde, lege ich ausführlicher an anderer Stelle dar: Axel Gotthard, »Eine feste Burg ist vnser vnnd der Böhmen Gott«. Der böhmische Aufstand 1618/19 in der Wahrnehmung des evangelischen Deutschland, in: Franz Brendle/Anton Schindling (Hgg.), Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa, Münster 2006, S. 135–162. Ich rekapituliere die dort ausgebreiteten Beobachtungen aus dem Umfeld der evangelischen Union im Folgenden, zwar unter Einbeziehung neuer Funde, dennoch verkürzt, auf die Fragestellungen dieser Monographie zugespitzt; erweitere den Blick aufs katholische Deutschland und auf Europa; drittens füge ich einige ergänzende Überlegungen, beispielsweise zur Rolle vermeintlicher historischer Exempel, an. 2 Vgl. zuletzt Gotthard, Religionsfrieden, S. 461–471 und S. 612f. 3 »Vertrauliches Schreiben aus Regensburg« vom 29. 4. 1608, RTA, Bd. 6, Nr. 161. Die kuriose Mischung aus Pseudo-Latein (»landgravius«) und in Re­gensburg aufgeschnappten, deutschsprachig wiedergegebenen Zitaten, die keine of­fi ziöse Aufzeichnung überliefert hat (»vermeinet uns in ein boxhorn zu treiben«, »wöllen etlichen pfaffen die platten scheren«, »das ihr aber die clöster den unserigen wolt wider abtringen, versprich ich euch, es werde noch blau augen costen, ehe es dahin kompt«) ist unbedingt lesenswert. 4 Sie waren mehr diplomatischer denn militärischer Natur: konfessionspolitische Allianzen, die wiederum mit ausländischen Mächten anknüpften. Überblick: Axel Gotthard, Protestantische »Union« und katholische »Liga« – subsidiäre Strukturele­mente oder Alter­na­tiventwürfe?, in: Volker Press/Dieter Stievermann (Hgg.), Alternativen zur Reichs­verfas­sung in der Frühen Neuzeit?, Mün­­chen 1995, S. 81–112.

Was zeitgenössische Akteure und was Historiker für wichtig halten

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Bemühungen, den Krieg doch noch zu vereiteln5: einen Krieg, der nun, um es in der Aktensprache der Zeit zu sagen, offenkundig »ins haus stand«. Das Jahr 1608 markiert den Beginn der Vorkriegszeit. Die freilich wird dann währen. Die berühmte Ruhe vor dem Sturm: ging sie nicht auch dem Dreißigjährigen Krieg voran? Mancher hat es rückblickend so empfunden. Gewiß, das politische System Mitteleuropas lag seit geraumer Zeit in der Agonie, gewiß, man hatte sich mental auf den drohenden, möglichen, wahrscheinlichen Krieg eingerichtet; 1610 hatte womöglich nur ein unkalkulierbarer Zufall verhindert, daß das Reich Schauplatz einer großen militärischen Auseinanderset­zung wurde, 1614 hatten die politischen Eliten erneut wegen militärischer Vorgänge am Nie­derrhein den Atem angehalten.6 Aber danach schien sich die Lage ein wenig zu entspannen. Im Jahr 1617 indes mehrten sich die Stimmen, die die Atempause für beendet hielten. Im Frühjahr oder Sommer 1618 würde sich mutmaßlich, absehbar, ja, fast unabweislich ein großes Unwetter zusammenbrauen. Zwar war es ein regio­naler Konflikt, auf den jedermann sorgenvoll starrte, am Rand des Reiches, aber die von dort herüberwehenden Funkenschläge konnten einen Flächenbrand auslösen, denn dem politischen System des Reiches eigneten ja keine zur Einhegung und Befriedung taugenden Mechanismen mehr. Besaß, wer 1617 und bis in den Sommer 1618 hinein so unkte, prophetische Gaben? Oder dürfen wir, wieder einmal, mit Barbara Tuchman über die »Torheit der Regierenden«7 den Kopf schüt­teln? Zeitgenossen, auch zeitgenössische Eliten können die langfristige Relevanz dessen, was sie erleben, eben selten triftig veranschlagen. Weder Politikwissenschaftler noch Geheimdienstchefs bekamen 1988/89 in den Blick, daß sich der Rostfraß an einem quer durch Europa verlaufenden »Eisernen Vorhang« jäh beschleunigte. Der Fall der Berliner Mauer war ihnen allen nicht vorhersehbar. Für sehr wohl vorhersehbar hielt man die zweifelsohne gravierenden Folgen von Datierungsproblemen zahlreicher älterer Computer, derentwegen die Welt am 31. Dezember 1999 buchstäblich am Vorabend einer Katastrophe schien. Was einmal zur Fußnote einschrumpfen, was »Geschichte machen« wird, können Zeitgenossen selten tragfähig beurteilen. 5 Die Akten der Zeit rubrizieren als Versuche einer »Komposition«; vgl. zu ihr Gotthard, Konfession und Staatsräson, Kapitel 4 sowie, zusammenfassend, S. 474f. 6 Ich spiele auf die Kriegspläne Heinrichs IV. und seine Ermordung 1610 sowie auf den Vertrag von Xanten (1614) an. Über letzteren informieren alle Handbücher zum Konfessionellen Zeitalter oder zur preußischen Geschichte; Erörterung der mutmaßlichen Kriegspläne Heinrichs IV.: Gotthard, Konfession und Staatsräson, S. 67–69. 7 Ich beziehe mich auf diesen Buchtitel: Barbara Tuchman, Die Torheit der Regierenden. Von Troja bis Vietnam, Frankfurt 1984. Um nicht mißverstanden zu werden: Die amerikanische Historikerin geht natürlich nicht auf den Streit um Udenheim ein und wird von ihm auch gar nichts gewußt haben.

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Die »Torheit der Regierenden«

Österreicher und Preußen gingen im Sommer 1792 davon aus, eben mal rasch zu einer episodalen Polizeiaktion gegen die verrücktgewordenen, ungebührlich ihren König belästigenden Franzosen aufzubrechen, kein Mensch erahnte, daß Europa damals in ein Vierteljahrhundert voller blutiger Kriege torkelte – ich spiele natürlich auf den Ersten Koalitionskrieg an.8 Als sich Preußen 1795 aus ihm davonstahl, war man in Berlin davon überzeugt, gewisse Folgeerscheinungen der Dritten Polnischen Teilung seien viel gewichtiger als die Tollitäten der seit 1789 enervierten Pariser, was historisch folgenreich sein werde, spiele sich gerade vor Warschau ab. Um nun aber wieder ins Frühjahr 1618 zurückzukehren: Der damals von vielen so sorgenvoll beobachtete Konfliktherd lag nicht etwa in Böhmen, sondern weit im Westen. Man blickte wieder einmal zum Rhein, wie 1610, wie 1614 – diesmal ging es um Fortifikationsmaßnahmen des Speye­­rer Fürstbischofs Philipp Christoph, in einem Städtlein namens Udenheim. Daß er erste miß­traui­sche Anfragen mit der Auskunft beschied, er wolle »seine darumb gelegene visch­was­ser zur etwas mehrerm nutzen bringen«9, empfand man an den Residenzen der evangelischen Union als Provokation, dort hatte man keine Karpfenweiher, sondern »blutdurstige Practicken«10 der »Spanier« und »Je­suwider« im Blick, schließlich gehörte das Hochstift zum Gegenbündnis, zur katholischen Liga. Da konnte man nicht einfach naiv zuschauen – vielmehr wurden die frischgemauerten Anlagen im Juni 1618 von Unionstruppen in einen Schutthaufen verwandelt. Zwei evangelische Fürstentreffen, in Stuttgart und in Göppingen, drei Wochen nach dem Prager Fenstersturz und zehn Tage vor der Abrißaktion von Udenheim, standen ganz im Zeichen der letzteren. Die böhmi­schen Umtriebe nahm man 8 Die Herrscher Österreichs und Preußens (Keimzelle der ersten Koalition) hielten die von den Girondisten betriebene französische Kriegserklärung für eine willkommene Vorlage, um rasch mal eben den Standesgenossen in Versailles zu retten, was der dann zu honorieren habe. Die Gärungen in Paris begrüßte man als Unterpfand momentaner militärischer Schwäche Frankreichs. Auch die deutschen Soldaten von 1914 setzten sich ja übrigens überwiegend in der Erwartung in die Züge, den nächsten Winter wieder zuhause zu verbringen – ich muß es hier der Kürze halber alles reichlich salopp formulieren. 9 So erinnert sich der Nebenabschied des Unionstags von Heilbronn, 1618, Mai 8 (Or.): HStASt A90A tom. 19, fol. 285–287. 10 »Zeitung aus Wormbs vom 15. Juni Anno 1618«: Nationalbibliothek Wien Handschriften W 292. Was diese »Zeitung« über die Stimmung an den evangelischen Höfen weiß, ließe sich auch aus internen Protokollen belegen, ich erwähne exemplarisch diese Äußerung des württembergischen Hofrats Andreas Lemblin vom 10. Juni 1618 (Protokoll: HStASt A90A tom. 39, fol. 495–497): Die Vorgänge um Udenheim illustrieren, wie die Katholiken Rhein und Donau unter ihre Kontrolle zu bringen suchen, um dann ihre »Spanische Practiquen zueffectuiren«. Die Unierten sahen die Udenheimer Ausbaumaßnahmen natürlich vor dem Hintergrund dessen, was wir mit Geoffrey Parker als »Spanish Road« bezeichnen (vgl. ders., The Army of Flanders and the Spanish Road 1567–1659, Cambridge 1972).

Die Deutungsangebote der unmittelbar Beteiligten an Europas Höfe

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schon zur Kenntnis, als »ein sonderbare schickung Gottes«11, doch galt es sich auf welthistorisch Bedeutsames zu konzentrieren: nämlich die »friedhässigen« Umtriebe der katholischen Maurer in Udenheim am Rhein. Es ist keine einzige Äußerung überliefert, die die Prager Que­relen für mehr als episodal gehalten hätte. Man war sich einig, daß die Aufständischen vor Nachgiebigkeit zu warnen seien, denn die böhmischen Quisquilien durften kein »praeiuditz« für die berechtigten evangelischen Forderungen im Reich schaffen – eine Verbindung der Prager Vorgänge zum ruinös polarisierten Reichsverband wurde also von Anfang an ge­sehen, man hielt die böhmischen Ereignisse nicht einfach für peripher, aber für zweitrangig. Das änderte sich auch im Juli nicht, als die Flut böhmischer Hilfsappelle über die Unionshöfe hereinschwappte. Ratsprotokolle wie bündnisinterne Korrespondenzen rubrizierten als Religionsangelegenheit, die böhmischen Instabilitäten rührten von »Jesuwitischen Practi­canten« her; diesen »blutdurstigen« und »hitzigen« Leuten war bekanntlich auch die Union »ein dorn in den augen«, eine Niederwerfung der Böhmischen würde zum Test ermuntern, ob nicht auch »die Evangelische gravamina12 auf einen streich zu boden gelegt werden« könnten.13 Man sah an den Unionshöfen keine Rebellen, die die monarchische Regierungsform attackierten, sondern bedrängte Glaubensgenossen, ihrer Konfession wegen waren die Widerständ­ler zu »favorisiren«.14 Es blieb dabei: beiläufige Einsortierung als Religionsangelegenheit, Bezug zum Reich, wenig Aufregung – die Nachbereitung des mittlerweile realisierten Coups von Udenheim war ungleich mehr Aufmerksamkeit wert.

2. Religionskrieg oder Rebellion? Die Deutungsangebote der unmittelbar Beteiligten an Europas Höfe Daß nicht der Prager Fenstersturz, sondern der Udenheimer Mauersturz einmal zur historio­graphischen Fußnote einschrumpfen würde, daß »grosse exorbitantien mit der fenestration (wie mann es anjetzo nenne) fürüber gegangen«15, 11 So urteilt der Stuttgarter Abschied vom 15. Juni 1618, Kopie: HStASt A90A tom. 19, fol. 632– 636. 12 Zum damaligen Wortsinn: oben S. 200. 13 So und ähnlich steht es überall. Die Zitate: Antwort Johann Friedrichs von Württemberg auf das erste offizielle Hilfsgesuch aus Böhmen, 1618, Juli 11, Entw.: HStASt A90A tom. 20, fol. 125f.; Friedrich von der Pfalz an Johann Friedrich, 1618, August 12, Or.: ebda., fol. 271–276. 14 So drückt es das württembergische Rätegutachten vom 20. September 1618 aus: ebda., fol. 285–303. Hinter allen Bedrückungen steckten, natürlich, die Jesuiten! 15 So formuliert es eine Relation der Ulmer Gesandten vom Unionstag in Rothenburg, s. d. [Oktober 1618]: Stadtarchiv Ulm A1338 Nr. 3866.

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Religionskrieg oder Rebellion?

dämmerte den Unionspolitikern erst im Herbst des Jahres. Beim Rothenburger Unionstag im Oktober 1618 standen die Unruhen im Böhmischen als Haupt­ thema auf der Tagesordnung. Welchen Reim sollte man sich darauf machen? Die unmittelbar Beteiligten offerierten in ihren Apologien und Hilfsappellen im Reich und anderswo zwei Deu­tungsangebote, die unvereinbar waren. Die böhmischen Ständeführer beteuerten, sich »wegen der unleidlichen bedrängnussen an unsern gewissen« zur Wehr zu setzen, es gehe gegen »blutgierige practiken ... unserer und der gantzen evangelischen religion feinde«16, die frech »aus den Religionsbe­schwerden Rebellionssachen machen wollen«, wiewohl doch jedem unbefangenen Zuschauer sofort klarwerden mußte, daß »das wesen von der Religion herrühret«.17 Sie hielten diese Me­lodie durch, variierten auch kaum nach dem jeweiligen Adressaten. So baten sie den anglikani­schen König Jakob, einen außenpolitisch extrem konfliktscheuen Monarchen, der gerade Hei­ratsver­ bin­dun­gen zur Schutzmacht des europäischen Katholizismus, nämlich mit den spanischen Habsbur­gern suchte, um seine Hilfe, weil »res haec maxime religionem tangat«, »pro amore«, die Ja­kob »erga religionem orthodoxam et purum Dei cultum« hege; schuld an allem sei »factio illa Jesuitica«18, die braven Böhmischen würden durch »Sathan per Jesuitas, organa sua« malträ­tiert.19 Ob es geschickt war, auch vor Ludwig XIII., einem katholischen Regenten, dessen Beichtvater dem Jesuitenorden angehörte, über Verbrechen zetern zu lassen, die »illa Jesui­tarum secta autore«20 geschähen? Die »Kurtze Ableinung« der von habsburgischer Seite gegen die Aufständischen vorgebrachten Beschwerden21 berichtet von fortgesetzten Versuchen, den 16 Die böhmischen Direktoren an Johann Georg von Sachsen, 1618, Okt. 10, BA N. F., Bd. 1.1, Nr. 33 Anm. 3. 17 Instruktion für eine Gesandtschaft der schlesischen Stände nach Wien, 1618, Juli 14: Hermann Paben (Hg.), Acta publica. Verhandlungen und Correspondenzen der schlesischen Fürsten und Stände, Bd. 1, Breslau 1880, S. 132–137. 18 Die böhmischen Stände an Jakob, 1618, Juni 16: Samuel Rawson Gardiner (Hg.), Letters and other Documents illustrating the Relations between England and Germany at the Commencement of the Thirty Years’ War, Bd. 1, London 1865, Nr. 1. 19 Dass., 1618, Nov. 3, ebda., Nr. 10. Die Gegner verbreiteten überall die Falschmeldung, »non agi hic de impedienda religionis libertate, sed de coercendis castigandisque rebellibus. Qua in re et coram Deo, et mundo universo, injuriam nobis faciant acerbissimam« (Kursivsetzungen von mir). 20 Ich zitiere nach Victor-Lucien Tapié, La politique étrangère de la France et le début de la guerre de trente ans (1616–1621), Diss. Paris 1934, S. 125f. Die in Deutschland kaum rezipierte Arbeit ist exzellent. 21 Zum Folgenden: »Kurtze Ableinung« der gegen die Evangelischen in Böhmen vorgebrachten Beschwerden, abgedr. bei Michael Kaspar Londorp (Hg.), Acta publica ..., Bd. 3, Frankfurt 1668, Nr. 27; »Apologia und Verantwortung« der »Böhmischen Stände sub utraque«, 1618, Mai 25: ebda., Nr. 4. – Ich spitze hier auf die zentralen Deutungsmuster zu. Eine Zusammenstellung der von den Ständen bzw. von Habsburg veranlaßten Propagandaschriften mit

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Majestätsbrief auszuhebeln. Die in Prag aus dem Fenster stürzten, hätten »die Evangelischen Ständ in ihrem Religions Exercitio ... in viel weg beschweren und turbiren helffen«, Martinitz habe »seine Evangelische Unterthanen Gewaltsamer weiß zur Bäpstischen Religion gezwungen. Darzu ihme nicht allein Englische Hunde, welche er an die arme Leut hetzen lassen, dienen müssen: Sondern er hat auch denselben mit Gewalt die Mäuler bey der Meß auffsperren, und ihnen die Ostien einschieben lassen«. In jener »Apologia und Verantwortung«, die man sogleich in die Druckerei trug, do­minieren ebenfalls deutlich religiöse Motive, Klagen über böse Umtriebe der »Jesuitischen Sect«, von denen »die Obrigkeiten dieser Welt, zu derer sub utraque mit Schwerd und Feuer Außrottung angefrischet« würden. Der Text beruft sich nicht allgemein auf ständische Freiräume, sondern durchgehend ganz konkret auf den Majestätsbrief. Man begehre dagegen auf, daß sich Habsburg nicht mehr an dieses Dokument halte. Daß sich ein Katholik gar nicht daran halten müsse, machten den altgläubigen Obrigkeiten die Jesuiten weis. Sie agitierten, »daß wir Ketzer wären, denen man ... keinen Glauben, er werde ihnen versprochen oder verschrieben, wie hoch er wolle, zu halten schuldig wäre« – ein Lamento, das uns nicht ganz unbekannt vorkommt22; ein Lamento, das auf Resonanz bei evangelischen Reichsständen rechnen konnte, echauffierten sich diese doch seit geraumer Zeit über katholische Kampfschriften, die den Augsburger Religionsfrieden unter anderem mit diesem Argument für unverbindlich erklärten: weil man ein Ketzern gege­benes Wort, eine Ketzern gegebene Friedenszusage nun einmal nicht einhalten müsse. Schreiben des Kaiserhofs an Deutschlands und Europas Höfe hingegen beteuerten, es »stehe nit uf der religion, sondern uf der obedienz«23, es liege »ain pur lauterer Truz« vor, eine »Rebellion«24, die »mit der Religion bedekht« werde. Die kurzen Inhaltsangaben bietet Johannes Gebauer, Die Publicistik über den böhmischen Aufstand von 1618, Halle 1892; bis zur Wahl des Winterkönigs: ebda., S. 2–19. Die meisten der auf den folgenden Seiten noch gestreiften Druckwerke werden bei Gebauer nicht erwähnt, schon diese Beobachtung läßt eine moderne Behandlung des Themas wünschenswert erscheinen. Übrigens ist Gebauer auffallend gegen die katholische Seite im publizistischen Ringen eingenommen. 22 Vgl. zum Problem der Verläßlichkeit, ja, ›Geschäftsfähigkeit‹ der politischen Mitakteure oben Kapitel A.1.2.3.4; und übrigens auch unten Anm. 36. 23 So faßte es der württembergische Votant am Rothenburger Unionstag im Oktober 1618 zusammen, Protokoll: HStASt A90A tom. 20, fol. 474–538, hier fol. 480. 24 Kaiser Matthias an Johann Friedrich von Württemberg, 1618, Dezember 1, Or.: HStASt A90A tom. 21, fol. 77f. »Rebellion«, »Rebellen«: das war die durchgehende Sprachregelung, beispielsweise auch in Hilfsappellen an die Kreisausschreibenden, die Ferdinand Magen, Die Reichskreise in der Epoche des Dreißigjährigen Krieges. Ein Überblick, in: Zeitschrift für historische Forschung 9 (1982), S. 430 Anm. 85 (Bayerischer Kreis) und ders., Reichsgräfliche Politik in Franken. Zur Reichspolitik der Grafen von Hohenlohe am Vorabend und zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, Schäbisch Hall 1975, S. 177 Anm. 3 (Fränkischer Kreis) erwähnt. – Den ersten kaiserlichen Hilfsappell an Ludwig XIII. paraphrasiert Tapié,

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»Rebellen« erdreisteten sich, Machtgier, »Raach« und andere »privat Affection ... unge­scheucht für ain pur lauters religionwerk fürzugeben«, aber jeder kluge Regent durchschaute dieses fadenscheinige Spiel.25 Auch die Kaiserdynastie versuchte, wie die Ständischen, mit der Behauptung zu mo­bilisieren, es handle sich um »ain gemaines werk«, freilich war die Begründung eine andere: Weil die böhmischen »ungehorsamb- und widerwertigen« den Untertanen überall auf dem Kontinent ein schlechtes Beispiel boten, mußten ihnen Europas Regierende schon im Interesse einer Abschreckung vor »aller bösen nachvolg« entschieden die Stirn bieten.26 Mit anderen Worten: Habsburg setzte nicht auf konfessionspolitische Lagerbildung, sondern auf den standespoliti­schen Schulterschluß der hochadeligen Herrscher Europas. Um auch auf dieser interessierten Seite im auf­brandenden Deutungskampf noch kurz die Gegenprobe in Auftragsarbeiten aus der Druckerei zu machen: Sie hiel­ten es für »liederlich ..., daß man so grober Unthaten die Religion zu einem Deckmantel vorhangen wil«27, tatsächlich handelte es sich nämlich um den »Tumult« von »auffrüh­rischen Unterthanen«, um »Sturm, Lermen und Auffruhr«, die Böhmischen hatten »das Joch deß Gehorsams ... abgeworffen« und eine »Rebellion« angezettelt. Nach Einschätzung der Hofburg hatten sie sich dadurch so offenkundig ins Unrecht gesetzt, daß es gar nicht notwendig war, eine breitangelegte publizistische Kampagne28 zu entfachen.

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Politique étrangère, S. 222f., auch dort geht es um eine Rebellion, wird an die Solidarität der Monarchen appelliert, freilich ist daneben von einer Gefahr für den Katholizismus in Europa die Rede. Matthias an Maximilian von Bayern, 1618, Juli 3, BA N. F., Bd. 1.1, Nr. 26. Matthias an Johann Friedrich, 1618, Dezember 1 (wie Anm. 24) bzw. Matthias an Johann Georg von Sachsen, 1618, August 16, BA N. F., Bd. 1.1, Nr. 34 Anm. 2. Kaiserliche »Information«, abgedr. bei Londorp, Acta publica, Bd. 3, Nr. 20. Es ist dem Majestätsbrief »im wenigsten nicht Abbruch beschehen«, er hat auch nicht vor, nur »den geringsten Buchstaben zweytracht- und zweiffelhafftig zumachen« (diese unentwegten Beteuerungen waren für die kursächsische Haltung wichtig), strittige Auslegungsfragen zu klären aber müsse seinem, dem kaiserlichen »urtheil vorbehalten« sein. Das Folgende ebda. Die kürzere »Information« ebda., Nr. 19, eine anspruchslose Erwiderung auf die ständische »Apologia«, argumentiert vergleichbar. Großen publizistischen Aufwand betrieb die kaiserliche Seite 1618 nicht. Nur, weil man sich seiner legitimen Anrechte sowieso sicher war? Hielt man, da man ja auf monarchische Solidarität setzte, pointiert gesagt Geheimdiplomatie für vordringlicher als öffentlichkeitswirksame Kampagnen? Es könnte lohnend sein, dieser Frage einmal im Archiv (Beratungsprotokolle, Memoranden zu diesem Thema?) nachzugehen. Wir konstatierten ihr Fehlen schon 1546! Vgl. oben S. 187 mit Anm. 330.

Die Interpretationsarbeit der Flugschriften

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3. Um »Religion« oder »Region«? Die Interpretationsarbeit der Flugschriften Die eine und andere katholische Flugschrift nahm schon Stellung, die evangelischen Sympathisanten der Ständeaktivisten gingen sogar eifrig in die Druckereien. Etwas Streulicht sollte auch auf diese privaten oder allenfalls offiziösen Publikationen fallen. Die Diagnosen evangelischer Flugschriften ähneln durchgehend der soeben skizzierten, von den Ständeführern selbst in Auftrag gegebenen: Die Böhmischen wehren sich gegen un­rechtmäßige Attacken auf ihre religiösen Überzeugungen. Ein Einblattdruck, der den Fenster­sturz einem breiten Publikum sinnfällig machen will, stellt schon in der Überschrift klar, warum da jemand in den Burggraben fallen mußte: weil »nemblichen die Bäpstische Rott, wegen der Religion gegen die drey Stände des Königreichs Böheim, ihre Bäpstische Stück vnd Tück, in Willens gewesen solche ins Werck zusezen«. Es stürzen nicht etwa Exponenten des Frühabsolutismus, im Burggraben landen »etliche der Vornembsten Bäpstler«.29 Eine etwas ausführlichere Propagandaschrift läßt Martinitz und Slavata herabstürzen, weil sie »der Jesuiten Säulen vnd Patronen [sic] waren«. Schuld an allem Unheil, wie stets und überall seit Jahrzehnten, so jetzt in Böhmen war »die aller schädlichste Sect der Jesuiten«, die »der Teuffel« als sein bevorzugtes Instrument einsetzte, um nun auch dieses Königreich ins Verder­ben zu stürzen.30 »In Böhmen jetzt das Bös Gesind/ Auch ein heftig Feuer ange­zündt«.31 Es gab alle möglichen politischen Handlanger (worunter man den mutmaß­lich gutwilligen, aber falsch informierten Kaiser nicht zählte), die Drahtzieher aber waren Theologen, waren insbesondere Jesuiten.

29 [Anonym], Wahrhaftige Zeitung und Geschichte ..., von 1618, abgedr. bei Mirjam Bohatcová (Hg.), Irrgarten der Schicksale. Einblattdrucke vom Anfang des Dreißigjährigen Krieges, Prag 1966, Nr. 2. Im eigentlichen Text, unter der Abbildung des Fenstersturzes, kommen natürlich auch in diesem Einblattdruck die Jesuiten vor, sie »sagen vnverhohlen: Die Lutheraner [!] zu tilgen gar/ Sey jhn vom Bapst befohlen«. 30 [Anonym], Publicirter Religions Friede Im Königreich Böhmen, Welchen Röm. Kay. May. Rudolph II. ... 1609 bewilliget vnd nachgegeben ..., o. O. 1620 (man beachte die zweifelsohne überlegte Bezeichnung des Majestätsbriefs als »Religionsfrieden«, worunter im Reich eigentlich ein Teil des Reichsabschieds von 1555 firmierte!), unpag., woraus die (so ähnlich überall vorkommenden) Zitate stammen, präzisiert so: der Teufel versucht Böhmen durch die Jesuiten »dem Röm. Stuel, als einer frembden Obrigkeit vnterwürffig« zu machen. Sobald dies gelungen ist, sind alle Nichtkatholiken »mit Schwerdt vnd Fewer außzurotten« (ebda.). 31 So reimt [anonym], Der Jesuiten Ankunft, blutdürstig Rathschläg und Practica, von 1618: J. Scheible (Hg.), Die Fliegenden Blätter des XVI. und XVII. Jahrhunderts, in sogenannten Einblatt-Drucken mit Kupferstichen und Holzschnitten ..., Stuttgart 1850, Nr. 7.

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Um »Religion« oder »Region«?

Wir haben keinen Grund, den Autoren ihre Abscheu vor dem Jesuitenorden etwa nicht abzunehmen, aber natürlich hat es ihnen diese Schuldzuschreibung auch erspart, frontal gegen das Reichsoberhaupt anschreiben zu müssen. Ein Anonymus spekuliert, daß man »jtzo vnter Ihrer Key. May. Nahmen, auch ohne derselben vorwissen alles thun kan, was Spanier, Bapst, oder auch die Jesuiter wollen, In dem auch in den wichtigen sachen Jhrer May. eigene Hand vnd Schrifft nicht mehr zu finden, sondern nur der Nahmen pfleget auffgedruckt zu werden«.32 Die »mehr dann Türckische verübte Tyranney im Königreich Böhmen« war »ein gewisses Zeichen der Vnsinnigkeit deß Babsthumbs«, das hierfür vor Ort »die Blutdürstigen Jesuiter« einsetzte. Es »gibt auch von der Vnsinnigkeit vnnd Tobsucht deß Bapsthumbs Zeugnuß die listige verschlagene Practika der Jesuiter, in dem Königreich Böhmen angestifftet, welche jhr intento mit jhren Helffern und Helffenhelffern gäntzlich dahin gerichtet, wie der Lauff deß Evangelii in diesem löblichen Königreich verhindert, das Liberum exercitium Religionis abgeschafft, ein Loch durch den Majestatbrieff gemacht« wurde.33 Ein Einblattdruck kommentiert das Messerattentat auf Frau Pax so: »ein Meuchel­mörderischer Jesuiter, welcher durch seinen Dolch vnd Mordstich den Edlen Frieden, vnd alles auffrichtige Wesen zuverhindern sich vnderstehet«.34 Ein »Böhmischer Jesuiten Kehraus und teutsche Weck-Uhr«35 rührt alle auch sonst beliebten rhetorischen Strategien so zusammen: Drahtzieher waren, natürlich, jene Jesuiten, die man deshalb nach dem Fenstersturz unverzüglich mit allen guten Gründen des Landes verwiesen hat. Sie hätten ohnehin »fast alles Uebel in der Welt« angerichtet, »Und stehen noch etlich in Zweifel,/ Ob nicht im Paradies der Teufel/ Ein Jesuiter gweßt dasmal,/ Wie er Adam bracht zum Abfall«. Zu den vielen Verbrechen dieses Ordens gehörte, daß er Ketzern gege32 [Anonym], Ein Außführlicher vnd Nachdencklicher Discurs, Von der jetzigen gefehrlichen vnd weit außsehenden Vnruhe in dem Löblichen Königreich Böheimb ..., o. O. 1619, fol. Aiij. 33 »Beatus Modestinus Seuberlich«, Examen Der Recepten, fol. Piiij. 34 [Anonym], Böhmische Friedenfahrt, abgedr. bei Wolfgang Harms (Hg.), Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, Bd. 2, München 1980, Nr. 139. Die vergleichsweise wenigen Flugblätter, die das Geschehen der Jahre 1618 und 1619 kommentieren, deuten durchgehend ähnlich, vgl. noch ebda., Nrr. 157–159 oder Bohatcová, Irrgarten, Nr. 5. – Eine wahre Flut von Einblattdrucken (nur für sie kann ich, diverser Editionen wegen, stichhaltige quantitative Angaben machen) ergoß sich erst in den Jahren 1620, vollends 1621 über Leser und Hörer – selbst für dieses Genre sehr vordergründige Scharmützel um den Spottnamen »Winterkönig«. Nun dominiert die siegreiche katholisch-kaiserliche Seite auch an dieser publizistischen Nebenfront, man verspottet so hemmungslos wie oberflächlich (jedenfalls ohne nennenswerte verfassungspolitische Argumente und übrigens auch konfessionspolitische Aussagen) den gescheiterten Parvenu. Für unsere Studie ergeben sich aus dieser tagespublizistischen Racheorgie keine aufschlußreichen Gesichtspunkte. 35 Scheible, Die Fliegenden Blätter, Nr. 51 (die folgenden Zitate stehen auf den Seiten 202, 188, 190, 200f., 197, 195).

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bene Ver­sprechungen für nicht bindend erklärte, weshalb Treu und Glauben in der Welt dahinschwan­den, sich keiner mehr auf den anderen verlassen konnte.36 »Ihr habt in Böhm’ Unfried angricht«, schleudert den Jesuiten »Sancta Maria« entgegen. Akteure wie sie, verschiedene Apostel und Märtyrer (sogar »Salvator Christus« ergreift das Wort), aber auch »König Wen­zeslaus«, »Zischka« (der Taboritenführer Johann Ziska), Luther und Calvin sowie promi­nente evangelische Reichsfürsten der Reformationszeit verleihen dem böhmischen Widerstand historische Tiefendimension und heilsgeschichtliche Bedeutsamkeit, und zwar im Hinblick auf dieses Königreich wie alle Deutschen. »Salvator« selbst appelliert an alle »teutschen Gmüther«, den Widerständlern beizuspringen: »Braucht tapfer euer Mannlichkeit,/ Davon man sagt so weit und breit./ Die aufrührischen Jesuiter/ Jagt aus, sie sind dem Fried zuwider.« »Aufrührisch« waren nicht die Initiatoren des Fenstersturzes, waren die Jesuiten – weil sie die katholischen Politiker dazu anstifteten, sich über den Majestätsbrief hinwegzusetzen, also Recht zu brechen: Das war ein damals gelegentlich begegnendes, die religiöse Leitmelodie flankierendes Nebenmotiv. Die in die Geschichtsbücher als »Aufständische« eingehen werden, stellten sich selbst zuvörderst als von ihrem Gewissen getriebene Glaubenskämpfer, danach und subsidiär aber als Verteidiger von Recht und Gesetz dar. Sie griffen also keinesfalls zu der uns Heutigen vielleicht näherlie­genden Strategie, ein »Recht auf Selbstbestimmung« oder den Reiz eines »ständischen Staats­gründungsmodells« herauszustreichen.37 Die Geißelung jesuitischer Bosheit konnte auf grenzüberschreitendes Verständnis rechnen. Der »Jesuiter« war ein Reizwort für Nichtkatholiken in Böhmen wie im Reich, und wie den Majestätsbrief, so suchten sie ja auch den Augsburger Religionsfrieden zur Makulatur zu machen: Davon wa­ren Deutschlands Protestanten schon lang überzeugt. Im »Jesuiten-Kehraus« mahnt kein ge­ringerer als Moritz von Sachsen, daß auch dieser Besitzstand in Gefahr sei, wenn er holprig reimt: »Daß ich den Religionsfrieden/ Mit mein’ Bundsgnossen hab erstritten,/ Derselbe Religions­fried/ sticht manchen in das Augenlid./ Ihr edlen Teutschen, eur Mannheit/ Laßt nicht verlö­schen diese Zeit.« Moritz war der Initiator des Fürstenkriegs gewesen, und so meinte »Mann­heit« denn 36 Dieser in kaum einer evangelischen Schrift des fraglichen Zeitraums fehlende Vorwurf wird im »Kehraus« in verschiedenen Wendungen beschworen. Beispielsweise erklärt Khlesl: »Den Majestät[sbrief ], welchen geben/ Der vorig König bei seim Leben,/ Den wollen wir austilgen eben.« Daraufhin ein Jesuit: »Ja freilich (Herr) warum das halten,/ Denn man den Ketzern so entwicht,/ Darf gar nicht halten Eid und Pflicht« (219f.). Vgl. Anm. 22! 37 Welche politisch maßgeblichen Adressaten hätten damals auch positiv auf solche Parolen reagieren sollen? Eine wichtige Zeitströmung kann man salopp so auf den Punkt bringen: »Im Klima des aufsteigenden kontinentalen Absolutismus war wohl die beste Zeit für ständische Staatsgründungen schon vorbei« (Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, S. 87).

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wohl Bereitschaft zum bewaffneten Kampf. Nach Böhmen blickend, konnte jeder Deutsche im Bösen wie zum Guten dazulernen: »fort ihr Jesuiten,/ Welche das römisch Reich zerrütten«. Den »Kehraus« zusammenfassend läßt sich sagen, daß nicht verfassungspolitische oder natio­nale, sondern konfessionspolitische Gesichtspunkte dominieren, es tobt ein Kampf um Religionsfrieden und Seelenheil. Die Antithese »deutsche Libertät versus spanisches Joch« schwingt zwar an einer Stelle mit – freilich, wie in den Akten der Zeit, keinesfalls im Sinne eines alternativen, nichtreligiösen Deutungsmodells. Ein »Jesuit« nämlich tröstet sich: »Es muß auch hierauf seyn Bedacht/ Der Spanier mit Heeres­kraft,/ Daß man ein’ Monarchie auf Erd/ Aufricht, und der Ketzer los werd.« In anderen Schriften dominiert, so weit ich sehe, ebenfalls der Appell an religiöse Solidarität, den geschuldeten »Religions Eyffer« (»dann eine feste Burg ist vnser vnnd der Böhmen Gott«38). Finstere katholische Mächte arbeiteten in Böhmen an der »vnterdruckung der Religion« 39, wogegen sich die Aufständischen »inn diesem ReligionsKriege«40 zur Wehr setzen mußten. Zwar wollten die Sympathisanten Habsburgs »allenthalben die Leut bereden, daß es disfals umb die Religion gar nicht zu thun sey«, klagt eine Flugschrift, doch zeige ein unverstellter Blick auf die Fakten »sonnenklar, daß der Anfang, das Mittel, und Ende von der Religion herrühre«.41 »Wer aber dieses vor ein Religionwesen nicht erkennet, demselbigen gewiß die Religion wenig angelegen ist.«42 Gern zieht man, nicht nur im »Jesuiten Kehraus«, Parallelen zwischen dem Kampf um den Majestätsbrief und dem Ausle­gungsstreit um den Augsburger Religionsfrieden, gelegentlich wird ersterer sogar als böhmischer »Religions frid« bezeichnet. Eine anonyme Abhandlung knüpft diese Verbindungslinien: »Wer wolte auß denen im H[eiligen] Reich hin vnd wider geübten Attentaten nicht verspüren, ja abnehmen, ermessen vnd schliessen können, das man den Religions frieden auß dem Mittel, vnd gentzlich abthun wöllen«, doch weil sich die evan38 »Johannes Huß rediuiuus«, Hussiten Glock ..., o. O. 1618, S. 8. Dieser Flugschriftenautor kennt aber auch schon die neumodische Staatsräson: Es lehrt »die ratio status, dem jenigen Abbruch zu thun, dessen Nachbarschafft vns zu Nachtheil vnd praejuditz gereicht« (ebda., S. 10). 39 »Johann Huß redivivus«, Behmischer Ohrlöffel. Das ist: Glaubwürdiger Bericht, wie der berühmte Martyrer Johann Huß ... von den Todten aufferstanden, vnd zu Prag, vmb seine betrübte Landsleut zu trösten, ankommen ..., o. O. 1618, S. 13. 40 »Johan Huss redivivus, Martyr Constantiensis Constantissimus«, Spanischer Gelttrutz, fol. Biiij. 41 [Anonym], Kurtzer Bericht und Ableinung der Beschwerungen, welche den Evangelischen Ständen ... beygemessen werden wollen, o. O. 1618. 42 So, freilich schon rückblickend, »Johann-Philippus Spindesius«, Der Dritte Teutsch-BruderFreund, Welcher Vns inn einem newem Spiegel zeiget, wie der Spannische Wolff die arme Lutherische Hirten auß jhren Pfergen ... verjagt ..., o. O. 1622, fol. B.

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gelischen Reichsstände unerwartet tapfer gegen solche Umtriebe gewehrt hätten, »so haben sie an einem schwechern Ort durchzugraben vermeynet, vnd solches an jetzo in Bö­heimb« vorexerziert – »die andern Erb­länder« Habsburgs werden folgen, nach diesem Umweg und so ge­stärkt wird der Feind den Kampf an der Zentralfront wiederaufnehmen, dann »wirdt der Eck­stein«, der Augsburger Religionsfrieden, »weichen«.43 Ein anderes Pamphlet setzt die Spannungsfelder so ineins: Die Jesuiten wollen »nun die auffrührischen44 Böhmen, vnd Teutschen Ketzer, welche wilde Bestien seyen«, vertilgen, »auffreiben«, verbrennen, wollen »Böhmen vnnd Teutschland zu einem allgemeinen Frewdenfewer machen«. Wäre man den böhmischen Ständen gar nicht beigesprungen, heißt es anderswo, »hette die Flut, so die Böömen45 ersäuffen sollen, dem Wasser den Damm auffgerissen, daß die Verfolgungswellen auch auff vnsere seite deß jetzt Notleidenten Schiffleins Christi würden geschlagen haben«. Sogar Holland ist im Blickfeld: »Der Niederländische zwey vnnd viertzig Jährige Krieg46 ist gewiß auß diesem entsprungen, auff daß in denselben 17 Provincien der Antichrist entdeckt, erkandt vnd zu boden gestossen ward: Gleiches werck ist es mit dem Königreich Böheimb, vnd wird die zeit erweisen, daß die Göttliche Mayestät, ein, vns noch zur zeit verdecktes vnd verborgenes Ende, mit diesem Kriegswesen suchet«. Weil man erst gar nicht von »Rebellion« sprach, mußte man sich auch nicht argumentativ mit dem Problem des der Obrigkeit geschuldeten »Gehorsams« auseinandersetzen – nur sehr wenige evangelische Veröffentlichungen gehen diese Frage gleichsam offensiv an, durch eine gelehrte Erörterung der Kategorien »Gehorsam« und »Obrigkeit«. Zu den raren Ausnahmen gehört, was »Janus Rothger« 1619 in die Druckerei trug. Muß der Untertan immer gehorsam sein?, fragt diese Schrift dann doch ziemlich ausführlich, die Antwort läßt an die Probleme der Schmalkaldener mit ihrem obrigkeitstreuen theologischen Spiritus rector denken: Die Stände Böhmens sind selbst »im Stande der Obrigkeit«, 43 »Johann Huß, genandt Martyr«, Nebelkap, S. 2f. Die Argumentationslinie kennt auch das Manifest des neugewählten Böhmenkönigs Friedrich (Vnser Friderichs Von Gottes Gnaden Königs in Böheim ... Offen Außschreiben ..., Prag 1619, S. 20): Er konnte sich »dieser Göttlichen Vocation« um so weniger entziehen, als der Widerpart nach »oppression der Böhemischen nation ... die in handen habende Waffen« gegen die evangelischen Reichsstände »wenden« wird. 44 Der Autor nimmt hier, wie ja auch die gleich folgende Bezeichnung »Ketzer« zeigt, die jesuitische Perspektive ein, will nicht etwa das katholische Deutungsmuster »Rebellion« propagieren: [anonym], Das Höllisch Frewdenfewr (unpag.). 45 Sic! [Anonym], Gründliche Relation Wie es bey Eroberung der Statt Pilsen zugangen, S. 40. 46 Läßt der Autor der »Nebelkap« den heute sogenannten Achtzigjährigen Krieg also nicht mit der Hinrichtung der Katholiken Egmond und Horne beginnen? Jedenfalls hört er offensichtlich mit dem Waffenstillstand von 1609 auf, ›Kriegsjahre‹ zu addieren. Die Fortsetzung der Kampfhandlungen im Jahr 1621 konnte ja natürlich für ihn auch noch nicht unverbrüchlich feststehen!

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müssen ihre Untertanen gegen religiösen Zwang von außen bzw. von Seiten der »Oberherrn« schützen.47 Die für eine Flugschrift ungewöhnlich komplexe Arbeit argumentiert aristotelisch, vom jeweils gegebenen politischen System her; Anknüpfungspunkte an die Debatten von 1546 sind offensichtlich. Die 1617 vorgelegte Textsammlung Friedrich Hortleders »von den Ursachen des Teutschen Kriegs Kaiser Carls des Fünfften« erleichterte ja auch neuerdings den Zugang zu diesen älteren Diskursformationen, zweifelsohne hat der eine und andere Autor »Herren Hortleders« Tomi »vom Schmalkaldischen Kriege«48 gekannt. Daß damals überhaupt viele haltsuchend in die Monate des Schmalkaldischen Krieges zurückschauten, werden wir noch merken. Die komplexe verfassungspolitische Argumentationsweise »Janus Rothgers« freilich hat in Flugschriftenliteratur nicht Schule gemacht. Denn die meisten Publizisten achteten offenbar darauf, sich von den katholischen Diskursen keine apologetische Haltung aufnötigen zu lassen.49 Wenn sie die Legalitätsfrage überhaupt anschnitten, dann meistens so wie der »JesuitenKehraus«, also, indem sie fortgesetzte Illegalität umstandslos und ohne nähere Begründung einfach auf der katholischen Seite verorteten.50 Den geplagten Ständeführern mußte ja einmal der Geduldsfaden reißen, so daß sie »auß Vngedult ... das Faustrecht gebraucheten, vnd etliche Rätlinsführer zu Prage auß dem SchloßFenster herunter warffen«.51 Statthalter und Jesuiten waren »Pacis Publi47 »Janus Rothger«, Resolution Einer Frage, so bey jetztwehrenden unruhigen Zustandt in Böhmen, von vielen ventiliret wird ..., o. O. 1619, S. 38. »Janus Rothger« war ein Pseudonym des renommierten Theologieprofessors Johann Gerhard. – Vgl. noch, ähnlich ausführlich: Johann David Wunderer, Ohnvorgreiffliches Bedencken und Antwort Auff die Frage Ob das H. Evangelium ... mit dem Weltlichen Schwerdt zuverfechten seye? ..., Frankfurt 1619. 48 Auf sie rekurriert [anonym], Wohlgemeinte Rettung, fol. Ciij, aber was das konfuse Machwerk dort findet und dem Leser überhaupt sagen will, bleibt unklar – eine Ehrenrettung Karls V. soll wohl, warum auch immer, Ferdinand II. entlasten. Jedenfalls blickt auch dieser anonyme Wirrkopf in den Schmalkaldischen Krieg zurück, und daß das damals viele taten, wird gleich noch unser Thema sein. 49 Die Vermutung, sie könnten aus den Nöten ihrer viel apologetischeren Vorgänger im Jahr 1546 gelernt haben, drängt sich auf, ist aber wohl doch vorschnell. Beweisen jedenfalls läßt sie sich nicht. 50 Die Argumentationsfigur ist auch, freilich blaß, im wohl von Camerarius verfaßte Manifest des neugewählten Böhmenkönigs (Offen Außschreiben, hier S. 12) zu finden: Böhmen bleibt ein Schauplatz von Gewalt, Raub und Mord, so lang nicht die »Vhrheber dieser Vnruhe abgeschafft« sind. 51 [Anonym], Von jetzigen Kriege, fol. Aij. Die Feststellung schließt den allerersten Abschnitt der Schrift ab, ist also keinesfalls in subtile juristische Erörterungen eingebettet, sondern gehört fast voraussetzungslos zur Exposition. Eigentlich führt die Abhandlung dann sowieso den Nachweis, daß Habsburg einen überregionalen »ReligionsKrieg« führe. Der zweite Abschnitt beginnt so: »Hierauß haben wir deutlich zu vernehmen, vnd klärlich zu ersehen, daß alle diß Lermen vnd Vnwesen auß der Religion entstehet, vnd daß der alte Teuffel mit im spiel gewesen«.

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cae Turbatores, Patriae Proditores, Evangelicorum Persecutores, Friedensstörer, deß Vatterlands Verrähter«.52 »Status turbulentus« Böhmens wurde »durch etliche seine in Religionswesen, vnruhige, widerwertige auffrührische Köpff, Kaiserliche böse Rähte vnnd andere (vnter welchen nicht die geringsten die verführische Sect der Jesuiten)« verschuldet.53 »Aufrührisch« waren die »Jesuiter«, Rädelsführer Habsburgs Statthalter, der Fenstersturz wurde dann zur Vorwärtsverteidigung von Recht und Gesetz. Aber in vielen, wohl der Mehrzahl der Flugschriften taucht das Legalitätsproblem, wie gesagt, erst gar nicht auf, weil es dort nicht um zivilen Ungehorsam, sondern ums Seelenheil geht; in den anderen bleibt es fast immer floskelhaft beiläufig. In den vergleichsweise wenigen Passagen, von denen man einigermaßen sicher sagen kann, daß sie das Spannungsverhältnis »Monarchie versus Ständemacht« antithetisch zuspitzen wollen, ist dieser verfassungspolitische Gesichtspunkt eng mit dem Motiv ›religiöse Bedrückung‹ verbunden, in dieses Muster hineingewirkt. Und natürlich sprechen auch solche Passagen nicht von Aufstand oder böhmischer »Rebellion«, der Kampfbegriff heißt »Libertät«. Die ruchlose Allianz Habsburgs mit der Kurie war »wider die Religion, zu vnterdruckung Rechts vnd Gerechtigkeit, oder die Libertet der Länder gerichtet«.54 »Oder« bezeichnet hier sichtlich keine Alternative, die »Libertet der Länder« bestand in einer Respektierung der »Religion« ihrer Ständeaktivisten. Häufiger stoßen wir auf Formeln mit additivem »und«: Es ging in den habsburgischen Erbländern um »Religion vnd Freyheit«, um »Religion vnnd Libertet«. Es war dort »Religione et libertate zu streiten«55, »zu Erhaltung jhres Gewissens- vnd Landsfreyheiten«56, weil »der besagten Länder Religions- vnd Regions Freyheiten«57 auf dem Spiel standen, weil man sie »vmb jre Geistliche vnd Welt52 »Johann Huß redivivus«, Behmischer Ohrlöffel, S. 10. 53 »Beatus Modestinus Seuberlich«, Examen Der Recepten, fol. Aiiij. Ebda., fol. J: die Jesuiten sind »turbatores communis pacis vnd Blutgierige Landsverrähter«. 54 Ebda., fol. Fiiij. 55 »Johannes Huß rediuiuus«, Hussiten Glock, passim (Kursivsetzungen, auch im Folgenden, von mir). 56 So, grammatikalisch etwas zweifelhaft, »Johan Huß, redivivus, genandt Martyr«, Böhmische Brüderschafft. Welche zwischen den Evangelischen Ständen in Böheimb, vnd deroselben FriedensBrüder ... auffgerichtet worden ..., o. O. 1619, fol. Aiij. 57 [Anonym], Spanisch Mucken Pulver: Wessen man sich gegen dem König in Spanien vnd seinen Catholischen Adhaerenten versehen solle ..., o. O. 1620, S. 3. Man versucht, Böhmen dem »Spanischen Joch zu vnterwerffen«, um anschließend umso besser die »universal Monarchy« in Europa aufrichten zu können und am Ende »die gantze Welt« zu »bezwingen vnd beherrschen«. Diese Schrift streicht von allen mir bekannten den Aspekt der Libertät mit Abstand am deutlichsten heraus. – Weil weiter oben schon von der Begleitpublizistik zum Schmalkaldischen Krieg die Rede gewesen war: Auch damals hatten die Flugschriftenautoren die Aspekte »Religion« und »Libertät« unterschiedlich gewichtet, insgesamt dominiert

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liche Freyheiten« zu bringen suchte.58 Die Stände erhoben sich »zu rettung jhrer Religions, vnd anderer Privilegien«59, wehrten sich »wegen der Religion vnd anderer Freyheiten«.60 Die Erbländer Habsburgs hatten vor dem Fenstersturz »allesampt, vnd in vnzweifflicher eusserster gefahr der Religion Libertet, vnd aller jhrer zeitlichen vnd ewigen wolfahrt sich befunden«. Schuld waren die Jesuiten, »schreiben sie doch selbsten, das jetzo die rechte zeit vnd occasion die Stände vmb Religion, Libertet vnd Privilegia vnter das Bäpstische Joch zu bringen«.61 Das Wörtlein »und« steht hier nie für eine Antithese, »Libertät« bestand wesentlich in einer Respektierung der freien Glaubenswahl. Im zuletzt angereihten Zitat dürfte »Religion, Libertet vnd Privilegia« einer Synonymenkette nahekommen, denn alle diese schönen Dinge gefährdete ja ein und derselbe Mißstand, das »Bäpstische Joch«. Vollends entgrenzt werden die Begriffe, wenn da die »gefahr der Religion Libertet« beschworen wird. Man versuchte eben, den Böhmischen »die Religions Freyheiten zunemmen«.62 Im »Jesuiten Kehraus« stießen wir, neben vielen Ausfällen gegen die Societas Jesu, an einer Stelle auf den »Spanier mit Heereskraft« und seine vermeintlichen Hegemonialgelüste, freilich nicht im Sinne eines alternativen, eines nichtkonfessionellen Deutungsmusters. Auch hierin kann diese Schrift als einigermaßen repräsentativ gelten. Neben und nach dem Jesuitenorden (bzw. »Jesuwidern« und »Bapst«) sahen manche Flugschriften nämlich schon ferner »die Spanier« am Werk, doch ist ihr Herrschaftsanspruch nie politischer Selbstzweck, er flankiert und stärkt die römischen Umtriebe. Man malt nicht zwei qualitativ verschiedenartige Gefahren aus, zeichnet die beiden Seiten einer Medaille. Die böhmischen Be­drückungen dienten »dem gantzen Bäpstlichen Stuel zu stattlicher erweiterung jhres Primats; zugleich auch dem König in Spanien ... zu würcklicher einführung seiner Monarchy«.63 Das wußte auch das Manifest des frischgekürten Böhmenkönigs Friedrich: Sein Engagement antworte auf Umtriebe, die »alles wider unter deß Papst Geistliche, vnd endlich unter eines frembden Gewalts,

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erstere, aber beispielsweise nicht in dieser Schrift: [anonym], Ein Gesprech Deutscher Nation mit dem alten Rolland ..., o. O. 1546. »Johann Huß redivivus«, Behmischer Ohrlöffel, S. 11. »Beatus Modestinus Seuberlich«, Examen Der Recepten, fol. Aiiij. Man hat »ein Loch in den Majestätbrieff vnd andere Privilegia machen wollen«: ebda., fol. K. [Anonym], Acta Bohemica. Das ist: Gründliche Warhaffte vnnd eigentliche beschreibung der furnemsten ... Historien und Geschichte ..., o. O. 1620, S. 2. [Anonym], Außführlicher vnd Nachdencklicher Discurs, fol. Aiij bzw. fol. B. »Johann-Philippus Spindesius«, Der Dritte Teutsch-Bruder-Freund, fol. B. [Anonym], PostReutter, S. 50 (Kursivsetzung von mir). Ganz ähnlich S. 52f. (man will »die Evangelische Religion vnd deren freyes Exercitium einziehen«, zugleich Böhmen in ein »Erb Königreich« verwandeln). Insgesamt dominiert in dieser Schrift, wie in den meisten, der Aspekt »außtilgung der Ketzer«.

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Weltlichen Dominatum zu bringen« suchten.64 Die antispanischen Attacken auf diesem Nebenkriegsschauplatz werden mutmaßlich, wie die notorischen antijesuitischen Tiraden, in ehrlicher Entrüstung niedergeschrieben worden sein. Aber sie enthoben genauso trefflich der Aufgabe, frontal gegen das Reichsoberhaupt aus der anderen Linie der Dynastie anschreiben zu müssen, außerdeutsche Feindbilder waren leichter vermittelbar. Die Perhorreszierung eines habsburgischen Zentralismus und der Appell an libertäre Ideale konnten, wie das Postulat solidarischen Widerstands gegen die Umtriebe der »Jesuwider«, auf eine gewisse Resonanz im Reich rechnen, denn die dort geläufige Formel von der »teutschen Libertät« meinte nicht etwa aufrührerische Dorfgemeinschaften oder landständische65 Widerbor­stigkeit, natürlich erst recht nicht, im Sinne des modernen Freiheitsbegriffs, individuelle Selbstver­ wirklichung, sondern politische Freiräume für die Reichsstände, eine Begrenzung der Gän­gelung der territorialen Obrigkeiten durch Reichsspitze und Reichsverband aufs für die Frie­denswahrung unabdingbare Minimum. Auf diese Libertät rekurrierte gerade die evangelische Union gern.66 Sie war ja 1608 nicht zuletzt deshalb gegründet worden, weil die Katholiken ihre strukturellen Vorteile im Reichsverbund neuerdings ungenierter ausspielten, man echauffierte sich über katholische »Maiora« am Reichstag, über die Wiener »Hofprozesse« und darüber, daß sich der Kaiser als katholischer Parteiführer geriere. Dagegen die »Libertät« in Stellung zu bringen, war aus evangelischer Warte verfassungspolitisch unverfänglich. Weil die Hofburg, fest im Griff der spanischen und kurialen Direktiven, politischen Machtzuwachs im Reich wie in Böhmen zur Zurückdrängung des Protestantismus ausnutzte, konnte die Verteidigung des Augsburger Religionsfriedens bzw. des böhmischen Majestätsbriefs hier wie da von der Berufung auf die »Libertät« flankiert werden. Aus evangelischer Sicht konterkarierte die Beschwörung der Libertät nicht das dominierende Interpretationsmuster »ReligionsKrieg«, sie hat es subsidiär ergänzt. Glaubten die evangelischen Autoren selbst, was sie ihren »eynfeltigen« Lesern auftischten? Wir fragten uns weiter oben, ob, wer sich über den instrumentellen 64 [Anonym], Offen Außschreiben, S. 7. 65 Sympathisierten nun nicht die evangelischen Reichsstände mit aufbegehrenden böhmischen Landständen? Auf den offenkundigen Unterschied zwischen Reichs- und Landständen geht keine mir bekannte evangelische Flugschrift ein. Die konfessionelle Solidarität überwölbte den kategorialen staatsrechtlichen Unterschied. 66 Vgl. Winfried Schulze, Kaiserliches Amt, Reichsverfassung und protestantische Union, in: Heinz Duchhardt/Matthias Schnettger (Hgg.), Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum, Mainz 1999, 195–209; Axel Gotthard, »Wer sich salviren könd solts thun«. Warum der deutsche Protestantismus in der Zeit der konfessionellen Pola­risierung zu keiner gemeinsamen Politik fand, in: Historisches Jahr­buch 71 (2001), S. 64–96 (Union und Libertät: S. 77ff.).

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Umgang mit Werten ereiferte, nicht doch dieses windungsreiche Denken innerlich nachvollziehen mußte, ob also, plakativ gesagt, derartige Zynismus-Vorwürfe nicht zu einer Säkularisierung der Rede über Krieg und Frieden beitragen konnten.67 Deshalb will ich diese beiden Einschätzungen zitieren, obwohl sie erst rückblickend im Jahr 1621 geäußert wurden: »Vnsere Geistliche Leute also haben ein feines Färblein vnd Fündlein erdichtet, als ob es vmb die Religion zuthun seye, darvon können sie ein langes vnd ein breites herplaudern, vnnd gleuben es doch inn jhres Hertzen grund selbst nicht«68 – diese Ansicht verbreitete ein fingierter »Sendbrieff« nach Nürnberg, dessen konfessionelle Zuordnung zeituntypisch schwierig ist. Nicht nur, weil sie in Dillingen gedruckt wurde, ist diese Stimme unzweifelhaft katholisch: Der von politisch ehrgeizigen, ungehorsamen Ständeaktivisten vorgeschützte »Glaubens Eyffer« diente »nur zum Deckmantel vnd verblendung der eynfeltigen«.69 Wir verließen zuletzt unseren selbstgewählten Beobachtungszeitraum. Bis zum militärischen Fiasko am Weißen Berg dominierten die neugläubig-ständischen Bataillone an der publizistischen Nebenfront. Nur sehr wenige Flugschriften bemühten sich, die Rebellions-Rhetorik der Hofburg zu multiplizieren oder sahen Anlaß zu solchen Warnungen: »Wer den Auffrührischen beystehet, der lehret seine Vnterthanen Auffstandt erregen.«70 Mit diesen Worten rief ein »Freyherr zu Friedenberg« zur »Behauptung des König und Fürsten Standts« auf. Weit ausholend, weist der Autor nach, wie da überall in Europa Kriege angezettelt werden, um »die Democratische vnnd Aristrocratische, daß ist die Regimenter, in denen viel regieren«, voranzubringen. Es ist ein Zeichen des Alterns der Welt, daß ihr die Monarchien abhandenkommen. »Fragt man nun ferner, von dem Raht zu Ulm, oder Nürnberg, warumb sie mit grosser Gefahr soviel Gelts an diese Auffrührer wenden, vnd den Keyser bekriegen, werden sie ohne allen Zweiffel antworten, es geschehe zu dem Ende, damit das gemeine Regiment der Vnterthanen vnter sich selbst bestärcket werde«, man möge eben keine Fürsten. 67 Vgl. oben Kapitel A.2.2.4.3. 68 Wichtiger Sendbrieff Eines Böhemischen Landherrens Vladislaw Kobolentzki, an einem seinen guten Freund, der sich jetzo zu Nürnberg auffhelt, o. O. (»gedruckt zum Leutenmischel«) 1621, fol. B. Schreibabsicht und sogar konfessionelle Zugehörigkeit des Autors dieser eigenartigen Schrift sind zeituntypisch verlarvt. Mir scheint wahrscheinlich, daß hier ein evangelischer Autor katholische Stimmen und Stimmungen kolportiert. 69 [Anonym], Specvlvm Germaniae. Ein Teutscher Spiegel. Darinnen Das ... Königreich Teutschlandt ... nach dem werthen Frieden seufftzet, Dillingen 1621, S. 4. Diese Schrift gehört zu den wenigen, die die Rebellions-Rhetorik der Hofburg aufnehmen, ist sogar ganz von ihr durchzogen: Die Union half den »Rebellischen Böhmen«, hat sich »der Rebellen Sachen ... theilhafftig« gemacht, usw., usf. 70 »Herman Conrad Freyherr zu Friedenberg«, Wohlmeinende Erinnerung Von Behauptung des König und Fürsten Standts, auch Vrsachen der Kriege in Europa ..., o. O. 1619, S. 23. Das Folgende nach derselben Schrift.

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»Jetzo müsse man die König vnd Fürsten an einander hetzen, biß sie einander selbst außmatten, vnd die Stätte nicht mehr in dem Zaum halten können«. »Letztlich schleiffet sich fast in allen Höffen eine verschlagene Arth Volcks eyn welche Puritaner genennet werden«, überall wollen diese die Monarchie zerrütten. »Derohalben O jhr König, O jhr Fürsten, ermundert euch von dem Schlaff, vertheidiget ewer Königliche vnd Fürstliche Mayestat vnnd Hochheit, denn was die Holländer vnderstanden, daß werden die Engelländer auch wagen dörffen. Was die Böhmen zum Werck gerichtet, zu einem solchen wirdt [ausgerechnet!] den Sachsen, weder an Leuten, oder Mitteln manglen«! Unter den vergleichsweise wenigen Pamphleten dieser Monate, die katholischer Provenienz gewesen sind, befindet sich immerhin das wohl amüsanteste. Seine Komik ist zweifelsohne eine unfreiwillige. Bei der Nennung von Nürnberg und Ulm, dann gar der Kursachsens ist der moderne Historiker versucht, auszurufen: ausgerechnet! Viele Einzelheiten hat die weit ins Große und Ganze ausgreifende Schrift doch bemerkenswert schlecht getroffen. Ein wiederkehrendes Motiv im quantitativ unausgewogenen71 publizistischen Ringen um die Deutung der böhmischen Ouvertüre zum Dreißigjährigen Krieg war dieser Kampf um Begriffe: Ging es in Böhmen um die »Religion« oder um die »Region«? Eine Abhandlung zeigt ihr Thema schon so im Titel an: »Wohlgegründte Antwort Vnd Wiederlegung Zweyer Jesuwiterischen und jhrem Spaniolisirten Anhang Fragen, Ob der Böhmische Krieg, vor ein Religion oder Region Krieg zu achten sey«.72 Die Katholiken fingierten, so ereifert sich der unbekannte Autor, in Böhmen »ein lauter Regionwesen«. Nun entlarve schon ein Blick in die Geschichte solche wiederkehrende katholische Heuchelei (warum, fragen wir uns später), außerdem hat man in diesem aktuellen »Kriege die Evangelische Prediger an die Spiesse gezogen, gebraten, vnd sonsten jämmerlich hingerichtet«, man hat evangelische Pfarrer »Braten Köpffen, in stücken hawen« lassen: also ist es ein Religionskrieg! Eine andere Flugschrift weiß, daß die niederträchtig absichtliche Fehldeutung, es sei in Böhmen »nicht vmb die Religion, sondern vmb Region zuthun«, nur die Evangelischen davon abhalten soll, solidarisch zusammenzustehen. Ein langer Exkurs in die Geschichte (wie man mit ihren vermeintlichen Lehren operierte, soll uns an dieser Stelle, wie gesagt, noch nicht näher interessieren) zeigt indes, daß man dem »Geschrey, ob solts allein vmb Region vnd nicht vmb Religion, nicht vmb Ketzer tilgen, sondern vmb rebellen zu straffen zu 71 Natürlich sind mir nicht alle damaligen Druckwerke geläufig. Von den mir bekannten, vor der Schlacht am Weißen Berg publizierten, hier aber nicht zitierten gibt freilich nur noch [anonym], Copie Vertrewlichen Schreibens Wentzeln von Meroschwa dem Habsburger Ferdinand Recht. Über welche unverschämten »jesuwiterischen« Schriften echauffieren sich die evangelischen Autoren also? Bauen sie einen Popanz auf ? 72 O. O. 1620 – ich verlasse hier also schon ausblicksweise die Monate unmittelbar nach dem Fenstersturz.

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thun seyn«, keinen Glauben schenken dürfe.73 Interessanterweise findet sich das Begriffspaar auch in den Akten: Am 24. September 1619 erklärte der für den außenpolitischen Kurs Kursachsens wohl wichtigste Dresdner Hofrat, Kaspar von Schönberg, Magdeburger Emissären, der böhmische Aufstand sei keine »Religionssache«, sondern »Regionsache«.74 Bei den Wettinern will ich kurz verweilen.

4. Wahrnehmungsmuster der Entscheidungsträger 4.1 Divergierende Deutungen – zum Beispiel Wettin Religionskrieg oder Rebellion – das waren die beiden Interpretationslinien75, an denen sich fortan im Reich wie in Europa die Geister schieden. Sogar innnerhalb ein und derselben Dy­nastie: Wenn Johann Kasimir von Sachsen-Koburg im August 1618 nach Dresden schrieb, man müsse sich der Glaubensgenossen in Böhmen annehmen, weil es »um die religion« zu tun sei und weil im Fall eines katholischen Sieges »insgmein von den friethässigen esauiten blutdürstig erweckte große mutationes quoad libertatem et religionem76« drohten, konnte er 73 [Anonym], Christliches und gantz Getrewes Hertzwolgemeinetes Bedencken ..., o. O. 1620, die Zitate: S. 24 bzw. S. 28f. 74 Karl August Müller (Hg.), Fünf Bücher vom Böhmischen Kriege in den Jahren 1618 bis 1621, nach handschriftlichen Quellen des Königlich Sächsischen Haupt-Staats-Archivs. Ein Beitrag zur Geschichte des Siebzehnten Jahrhunderts, Bd. 1, Dresden/Leipzig 1841, S. 337. – Viele zeitgenössische Beobachter machten für die kaisernahe Dresdner Außenpolitik zu Unrecht den Oberhofprediger, Matthias Hoë von Hoënegg, verantwortlich. Dieser von Spanien bestochene »blutgierige« Mann hatte Kurfürst Johann Georg eingeflüstert, »daß es kein Religion sondern ein Rebellion wesen seye«, weiß [anonym], Eine Warnung an Alle Stande deß Churfurstenthums zu Sachssen, in den Bömischen Krieg sich nicht zumischen [meint: Warnung davor, sich etwa nicht dort einzumischen; man muß sich einmischen], o. O. 1620. 75 Gewiß könnte man die Alternativen weiter auffächern. Handelte es sich um innenpolitische Probleme in einem mäßig wichtigen Königreich im östlichen Grenzsaum des Reiches oder um eine brisante Kampfansage an alle europäischen Monarchen? Waren Drangsale der böhmischen Glaubensgenossen zu betrauern, oder mußte sich der europäische Protestantismus dagegen stemmen, daß eine Ausrottungsaktion gegen Ketzer überall auf dem Kontinent anlief ? Hier soll uns vor allem die zentrale Antithese »Rebellion versus Religion« interessieren. 76 Dem Koburger verschmolzen also, wie den meisten Druckwerken der Zeit, Freiheit vor Gewissenszwang und Freiheit vor »jesuitischer« (bzw. kurialer bzw. spanischer) Unterdrückung zu einem Komplex. Der moderne Betrachter darf und soll untersuchen, wie detailreich welche Facette ausgemalt wird, aber er sollte sich bewußt sein, daß die isolierende Herauspräparierung einzelner Gesichtspunkte – »Ausrottung der Ketzerei«, »päpstliche Weltherrschaft«, »jesuitischer Machtrausch«, »spanische Universalmonarchie« – (zwar in rückschauender Analyse legitim, doch) anachronistisch ist. – Die Zitate: Johann Kasimir an Johann Georg von Sachsen, 1618, August 14, BA N. F., Bd. 1.1, Nr. 41 Anm. 1. – Karl August Müller, Fünf

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damit an der Elbe nur Kopfschütteln ernten, denn dort ging man davon aus, daß die religiöse Rhetorik der Aufständischen eine illegitime Rebellion drapiere. Die Unruhen würden ledig­lich »vor eine religionssache außgegeben«: davon waren die kursächsischen Räte tatsächlich überzeugt, eines der in Dresden seltenen Beratungsprotokolle, vom August 1618, kündet da­von. Nehmen wir uns dieses Protokoll einmal genauer vor! Sehr deutlich zeigen uns die dort festgehaltenen Voten, daß man die böhmischen Querelen in Dresden nicht als Chance, sondern als Bedrohung wahrnahm – als Gefahr für die eigenen Landesgrenzen und die Stabilität des Kurfürstentums, als Gefahr für den ohnehin lädierten Reichsverband. Man sah eine politisch motivierte, religiös verbrämte Rebellion ungehorsamer Untertanen, die mehr als nur das böhmische Königtum in Mitleiden­schaft zu ziehen drohte: nämlich alle Regenten Europas vor Autoritätsprobleme stellen77 und speziell das ohnehin schon geschwächte Kaisertum vollends zerrütten konnte – denn es ging in Böhmen nun einmal gegen jene gewohnheitsmäßige Kaiserdynastie, mit der die Dresdner seit Jahrzehnten schon engen Schulterschluß übten. Ursachenforschung trei­bend, hielt man sich nicht lang bei der »religion« auf, beiläufig78 erwähnten alle Wortmeldun­gen, was ohnehin selbstverständlich war, nämlich daß diese natürlich von den Insurgenten vorgeschoben werde. Niemand nahm ihnen den Majestätsbrief weg, der Chef des Hauses Habsburg, Matthias, beteuerte ausdrücklich, daß er das nicht vorhabe: Bücher, Bd. 1, S. 134f. geht kurz auf einen »Diskurs vom Böhmischen Wesen, von einem Sächsischen Hof« ein, der wohl aus Koburg »oder vielleicht auch aus Weimar« stamme: die Böhmischen müssen sich durchsetzen, denn ihre Niederlage träfe »alle Evangelische«. 77 Schließlich konnten »mehr underthanen dergleichen fürzunemen leicht animiret werden«: Protokoll der Beratungen Johann Georgs mit Geheimen Räten und führenden Militärs über die böhmischen Unruhen vom 19.-24. August 1618 (hier: Votum Kaspar von Schönbergs, des wohl einflußreichsten Ratgebers Johann Georgs). Ausführliche Auszüge der interessanten Aufzeichnung, freilich in leicht ›modernisierter‹ Diktion, bot schon Karl August Müller, Fünf Bücher, Bd. 1, S. 118–127; vgl. zuletzt, unter Rückgriff aufs Originalprotokoll (es liegt in Hauptstaatsarchiv Dresden Locat 9168, Dritte Buch Unruhe im Königreich Böhmen, fol. 21–42), auch Frank Müller, Kursachsen und der Böhmische Aufstand 1618–1622, Münster 1997, S. 151–156. Alle ereignisgeschichtlichen Einzelheiten sind in dieser Monographie umfassend aufgearbeitet, die hier maßgebliche wahrnehmungsgeschichtliche Perspektive hat Müller so wenig interessiert wie der publizistische Meinungskampf. – Im August 1619 wird der Kurfürst Christoph von Dohna erklären: »So ist’s nicht zu loben, daß sie den Herrn, den sie einmal anerkannt, nun wieder verstoßen wollen. Es ist ein bös Exempel. Auf die Weise könnte man es überall so machen, auch in meinen Landen, da Gott vor behüte und ich will es wohl verhüten«. So zitiert, sprachlich ›modernisierend‹, Johannes Voigt, Des Grafen Christoph des Ältern von und zu Dohna Hof- und Gesandtschaftsleben, in: Historisches Taschenbuch 1853, hier S. 137f. 78 Die Voten sind in dieser Hinsicht wie hingehuscht, überhaupt nicht prägnant. Man wollte sich auf dieses Feld erst gar nicht begeben. Entschieden wird freilich wieder und wieder betont, daß viele Calvinisten in Böhmen das große Wort führten: jedenfalls war es keine lutherische »religionssach«!

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Das genügte den Dresd­nern, man hat treuherzig geglaubt, was man glauben wollte, und angestrengt nicht gesichtet, was man nicht wahrnehmen wollte. Sich die Dinge so zurechtzulegen, entsprach natürlich einer vermeintlichen, am Dresdner Kurhof seit Jahrzehnten stabil festgezurrten kursächsischen »ratio status«, die unabweislich an die Seite der Hofburg zu rufen schien. Aber es ist doch gerade im Rahmen eines Plädoyers dafür, Wahrnehmungsmuster und mentale Sperren der vormodernen Entscheider über Krieg und Frieden ernstzunehmen, interessant, einem internen Dokument ablesen zu können, wie dieser traditionelle, vorgegebene Denkrahmen auch die subjektive Wahrnehmung lenkte. Der vulgärsoziologische Reflex »welche Interessen legten es nahe, diese oder jene Deutung in manipulativer Absicht nach außen hin herauszustreichen?« prallt an diesem Befund ab. Die Dresdner heuchelten nicht etwa, daß sie den Aufständischen ihre religiösen Motive nicht abnähmen, sie haben wirklich keine Sekunde lang an solche geglaubt, sich mit diesem Aspekt erst gar nicht ernsthaft auseinandergesetzt. Ausgiebig malten sie sich hingegen wechselseitig die multiplen Gefahren für die Stabilität der Region, des Rei­ches, Europas aus.79 Man sah nicht die eigene Konfession, sondern den Frieden in Ge­fahr.80 Frieden: das war der Zentralwert, und man definierte ihn für damalige Verhältnisse avantgardistisch, nämlich als ›Ruhe und Ordnung‹. Anders formuliert: es ging in Dresden zuvörderst um eine stabile, nicht um die ›richtige‹ Ordnung.81 Die altüberkommenen Denkkategorien des Bellum iustum klangen nur sporadisch an.82

79 Ob man vor allem des Territoriums oder aber des Reichswohls wegen um den Frieden bangte: das gewichtete jeder Ratgeber wieder anders, überhaupt ließe sich im zeituntypisch geschlossenen Beraterkreis Johann Georgs nach forciert sächsischen, also eng territorialstaatlichen oder aber betont reichspatriotischen Standpunkten (die sich das behauptete Reichswohl freilich nach der kursächsischen Ratio status zurechtlegten) noch am ehesten eine Binnengliederung durchführen. 80 Ich illustriere noch mit dieser Äußerung des Kurfürsten: »Sonsten ist’s wahr, die Behmen seint unser religion und begern hulfe. Aber wann es einmal zur tat keme, so were schwer widerumb die unruhe zu stillen«, »ich weiß, wie schwer es ist, hernach das werk wieder zu stillen«: Relation Christoph von Dohnas aus Dresden vom 12. Juli 1618, BA N. F., Bd. 1.1, Nr. 30 Anm. 1. 81 Die Dresdner konnten leicht so argumentieren, da das junge Kurfürstentum ohne störende mächtige katholische Nachbarn mit der ›Ordnung von 1555‹ zufrieden war. Mit der Ordnung überhaupt verteidigte man aus Dresdner Sicht ohnehin die beste aller denkbaren. 82 So räumte die Graue Eminenz des Dresdner Kurhofes, Kaspar von Schönberg, beiläufig ein, man müsse eigentlich schon untersuchen, ob die Glaubensgenossen in Böhmen »eine gutt sache« verfolgten; doch sei »an der gute und gerechtigkeit« des Aufstands ja ohnehin zu zweifeln ... Solche Nebentöne blieben marginal. Zentral war der Frieden, und dieser wiederum mit Ruhe und Ordnung, mit Status-quo-Konservierung identisch.

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Doch gab es selbst am zeituntypisch83 geschlossenen Dresdner Hof eine abweichende Ein­schätzung: »Und ob man vielleicht sagen möchte, es treffe diese Empörung die Religion nicht an, sondern wären Privatsachen«, heißt es im Brief eines wichtigen sächsischen Militärs an den Kurfürsten, sei doch »fürwahr sonnenklar, daß es leider allzusehr um die Religion zu thun«. Wie könne man nur unterstellen, daß die Ständischen »Gott und sein Wort zum Deckel ihrer Schalkheit brauchen«, wo sie sich doch tatsächlich unverkennbar gegen »heimliche feindselige papistische Praktiken« wehrten.84 Das wollten Johann Georg und seine Entourage keinesfalls so sehen. Für ein breiteres lesekundiges Publikum ließen sie es 1620 so plausibel machen, daß Kursachsen »steiff und fest« zu Habsburg stehen müsse, anstatt den böhmischen Glaubensgenossen beizuspringen oder wenigstens »neutral« zu bleiben85: Zum einen hatte jeder Lutheraner der von Gott eingesetzten Obrigkeit gehorsam zu sein. Selbst, wenn es sich in Böhmen um »ein pur lauter Religion Werck« handelte, rechtfertigte das keine »Gewalt ... wieder die hohe Obrigkeit«.86 Ein solches »religion Werck«, zweitens, stachelte die böhmischen Stände aber gar nicht zu ihrer Aufsäßigkeit an, sie gelüstete nach »eigennütziger Verenderung des Regiments«87, sie hatten »des Gehorsams sich entschlagen«, »wider Eyd vnnd Pflicht, wieder Recht vnnd Billigkeit« verstoßen.88 Es handelte sich um eine »Rebellion«, bei der »die Religion zum Deckmantel fürgeschützt« wurde.89 83 Die meisten Ratsgremien, deren Meinungsbild ich kenne, waren in den Jahren 1618, 1619, 1620 zutiefst verunsichert und uneins, hin- und hergerissen zwischen Furcht und Hoffnung, schwindelerregenden Gefahren (da alles einzustürzen drohe) und Chancen (wurden die Karten nicht völlig neu gemischt?). 84 Obrist Centurion Pflug an den Kurfüsten, 1618, Dezember 11: Karl August Müller, Fünf Bücher, Bd. 1, S.  136f. Pflug war einer der maßgeblichen kursächsischen Militärs (beispielsweise Kommandant mehrer wichtiger Festungen) und, so weit ich sehe, der einzige, der sich auch zu eigentlich politischen Fragen äußerte, zu originär politischen Fragen gehört wurde. Zu den einflußreichsten Stimmen gehörte seine aber nicht. 85 Zum Folgenden: [anonym], Deutliche vnd gründliche Außführung. Ich habe die (vermutlich aufwendigen) Archivrecherchen nicht geleistet, die nötig wären, um zu klären, inwiefern es sich um eine Auftragsarbeit handelt. Ein jedenfalls offiziöser Charakter ist recht wahrscheinlich. 86 Ebda., S. 9. 87 Sowie nach einer »Außbreitung, vnd Vermehrung der Calvinisterey«: ebda., S. 8. Erneut (vgl. Anm. 78): es handelte sich jedenfalls um keine lutherische »religionssach«! 88 Ebda., S. 5. 89 Ebda., S. 34 bzw. S. 9. Ganz kommt die Schrift denn doch nicht um eine Auseinandersetzung mit den konfessionspolitischen Argumenten der Ständeführer (die damit freilich ihren politischen Ehrgeiz drapierten) herum: Die dem Fenstersturz vorangehenden Streitigkeiten scheinen sich um Lücken im Majestätsbrief und offene Auslegungsfragen zu drehen, selbst, wenn manches für die Lesarten der Aufständischen sprechen sollte, hätten sie sie gütlich propagieren müssen, und selbst, wenn der Kaiser eine fragwürdige Lesart vertreten sollte, kann man ihm deshalb nicht gleich vorwerfen, daß er »die Evangelische Religion im gantzen

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Daß man eine solche, originär politische Rebellion nicht schüren, sondern eindämmen mußte, ließen die Dresdner nicht eigentlich politisch, nämlich mit der neumodischen »ratio status« begründen, sondern theologisch; untermauerten sie nicht durch historische Exempel, sondern heilsgeschichtlich. Seitenlang weist die Abhandlung nach, daß die böhmische Erhebung kein neuer »Maccabeer Krieg« sei, wiewohl diese Gleichsetzung, wie die Autoren einräumen, derzeit »fast für vnwieder­leglich gehalten« werde90; nein, es war aus vielen, umständlich ausgebreiteten Gründen keiner, so handelte es sich beim guten Kaiser Ferdinand ja nicht etwa um einen solchen »Wüterich« wie einst Antiochus einer war.91 Offensichtlich92 war es damals so verbreitet, den Kampf der Böhmischen für religiöse und politische Freiräume mit der im zweiten Makkabäer-Buch behandelten Abschüttelung des seleukidischen Joches über Israel zu parallelisieren, Antiochus IV. Epiphanes als Präfiguration des Habsburgers Ferdinand zu deuten, daß sich die kursächsischen Apologeten bemüßigt sahen, dieser Sinngebung offensiv entgegenzutreten. Während die Dresdner intern einfach um Ruhe und Stabilität bangten, Pax von Iustitia entkoppelten (ohne etwa der Ansicht zu sein, damit Unrecht zu begehen), glaubten sie nach außen hin doch wieder auf die vertrauten Kategorien des Bellum iustum zurückgreifen zu müssen: Man durfte den Böhmischen nicht Königreich Böhmen außrotten und vertilgen« wolle, »das heisset zu viel auff ein mal in das Maul genommen, vnd die Axt vmb etlich Clafftern zu weit geworffen«. Der Kaiser beteuert, er werde gehorsamen evangelischen Untertanen nicht »ein Härlein ... krümmen«, natürlich muß man das dem Reichs­ober­haupt bis zum Beweis des Gegenteils glauben. Die Beweislast tragen die Untertanen. Die Zitate: ebda., S. 15f. und S. 34. 90 Ich wies schon weiter oben in einem anderen Kontext darauf hin: siehe S. 135 mit Anm. 108. 91 Ebda., S. 17ff. – Zur Erinnerung der spätantiken und mittelalterlichen Christenheit an Judas Makkabäus, ohne Erwähnung des Dreißigjährigen Krieges: Klaus Schreiner, Märtyrer, Schlachtenhelfer, Friedenstifter. Krieg und Frieden im Spiegel mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Heiligenverehrung, Opladen 2000, S. 1–53 passim. Daß beim Widerstand Magdeburgs gegen das Augsburger Interim »Textzeugnisse aus der Zeit der Makkabäerkriege ... Deutungsperspektiven für die Interpretation des tyrannischen Kaisers« lieferten, betonte jüngst Kaufmann, Ende der Reformation, S. 463. 92 Ich kann es kaum durch andere Funde erhärten. In Flugschriften aus der Anfangsphase des Dreißigjährigen Krieges stieß ich nur einmal auf die erwähnte Parallelisierung: Der Widerstand der Böhmischen ist legitim »nach zulassung Natur- vnd Göttlicher rechten, wie wir dessen Exempel haben an den Maccabaeis contra Antiochum« ([anonym], Wohlgegründte Antwort vnd Wiederlegung). »Josephus Philippus Seipsius« wird 1626 im »Sächsischen Merckauff« so aufzurütteln versuchen: Es heißt jetzt »mit dem Maccabeo, vor die Ehr vnd Lehr Gottes vnd des Vaterlands Freyheiten, Ritterlich fechten, vns wehren, vnd darvor streiten« (fol. Biij). Daß man Gustav Adolf in Flugschriften der 1630er Jahre häufig exemplarisch und sogar typologisch an Kämpfer des Alten Testaments, so nicht zuletzt an Judas Makkabäus zurückband, sahen wir bereits in Kapitel A.2.1.3.3. Diese Schrift sagt es schon im Titel: Johann Georg Glocker, Svecicus Maccabaevs, Siue Pugnator ..., Frankfurt 1633.

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beispringen, weil es verboten war, »frembder Sünden sich theilhafftig zu machen«, »das hiesse ja nicht nur in eine frembde, sondern auch gar böse Sache sich gemenget, das hiesse treten auff den Weg der Sünder«, wogegen viele Bibelstellen ins Feld geführt werden. »Alle nun, die den Herrn Böh­men nicht beygestanden, haben diesem Verbot Gottes folge geleistet, vnnd Gottes Wort für Augen gehabt.«93 Umgekehrt galt: »Wann derowegen ChurSachsen oder andere Chur vnd Fürsten deß heiligen Reichs jhrem Keyser in einer gerechten vnd billichen Sache« zu »Hülffe kommen, was thun sie anders, als daß sie Christi Gebot folge leisten, gebet dem Kayser was des Kay­sers ist?«94 Gut lutherisch der von Gott eingesetzten Obrigkeit gehorsam zu sein, war auch für Lutheraner nur eine Option. Das zeigen einige theologische Gutachten, die eine Anfrage aus Weimar bei der theologischen Fakultät zu Wittenberg veranlaßt hatte – dieser sächsische Bezug muß als Vorwand dafür hinreichen, daß ich den Exkurs hier anreihe. Der Kern der Anfrage war dieser: Dürfe man dem Kaiser beispringen, wenn er »die Jenige bekriegt, welche mit hohen betheuerungen becräfftigen, daß Sie anderst nichts, als erhalttung derer durch sonderbahre Concessiones und Pacta ihnen verheissenen Religions und gewissen Freyheit suchen«? Wenn man also derart bei der Unterdrückung von Glaubensgenossen mit­hülfe, so am Ende, weil sich der Katholizismus überall in Europa expansiv geriere, womöglich noch zur »ver­tilgung und ausrottung« der Lutheraner auch im Reich beitrüge? Der von den anfragenden »Politicis« schon vorgegebene argumentative Ausgangspunkt war nicht das Interpretationsmuster »Rebellion«, sondern das Wahrnehmungsraster »Rin­gen um die rechte Religion«. Die theologische Antwort darauf konnte sich in ethischen Gemeinplätzen erschöpfen und in die blasse Empfehlung münden, zugunsten etwa bedrängter Glaubensgenossen zu »intercediren und admoniren«95; konnte die böhmischen Vorgänge beim Namen nennen und (trotzdem) eindringlich an den Gehorsam mahnen, den jeder Lutheraner dem Reichsoberhaupt nun einmal schulde96; auch der Rückpaß ins politische Lager, die Ansicht, daß »Politische und Welttliche 93 [Anonym], Deutliche vnd gründliche Außführung, S. 5f. 94 Ebda., S. 26 (Kursivsetzung von mir). 95 Das war die Quintessenz des Wittenberger Gutachtens vom 25. Januar 1620. Johann Ernst »der Jüngere« von Sachsen-Weimar hatte es erbeten. Kein Christ darf sich gegen seine Obrigkeit auflehnen, »sie thue recht oder unrecht«, doch muß man dem Kaiser auch nicht aktiv helfen, wenn er sich vom Papst zum Krieg gegen die Bekenner des wahren Wortes einspannen läßt. Der unübersehbare aktuelle (böhmische) Anlaß für die Anfrage wird ignoriert. Ich zitiere aus einer Kopie des Gutachtens (dem ich auch die ernestinische Anfrage entnehmen mußte) in HStASt A63 Büschel 84. – Das Wittenberger Gutachten wurde in die Druckerei getragen: Consilium Der Churfürstlichen Wittembergischen Universitet, Ob dem Kayser in jetzigem Kriege zu assistiren oder nicht ... Johann Ernsten ... ertheilet, o. O. 1620. 96 Daran erinnerte die theologische Fakultät zu Gießen (Kopie ihres Gutachtens: HStASt A63 Büschel 84).

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Händel« zu beurteilen zu­nächst einmal die Amtsobliegenheit von »Obrigkheit und Rechtsgelehrten«, nicht von Theo­logen sei97, konnte sich auf Luther berufen (schlagwortartig verkürzt: auf die Lehre von den zwei Regimenten98); und ebenso die Auffassung, daß Untertanen ihrer Obrigkeit schon fast immer zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet – indes speziell und nur in Fragen des rechten Glaubens kein »Har breit schuldig« seien.99 Die Skala begründbarer theologischer Positionen war breit. Aber entscheiden mußten ohnehin die »Politici«.

4.2 Wahrnehmungsweisen außerhalb des Reiches 4.2.1 »Guerra di stato«: Deutungsmuster Jakobs I. von England Religionskrieg oder Rebellion? Das fragte man sich auch jenseits der Reichsgrenzen. Der englische König Jakob sah die Sache ungefähr so wie der sächsische Kurfürst Johann Georg. Der hohe englische Klerus, ja, weite Teile der englischen Öffentlichkeit überhaupt begeisterten sich durchaus für die Sache der Aufständischen, und das hieß seit dem Spätsommer 1619 ferner: für die Friedrichs von der Pfalz. »It was God who had set up the Elector«, urteilte der Erzbischof von Canterbury, nachdem erste Gerüchte von der Wahl des Kurfürsten zum Böhmenkönig London erreicht hatten, man müsse Friedrich unbedingt beistehen100, »the 97 Daran erinnerte der württembergische Hofprediger Johann Hauber (ebda.) – es handle sich nicht um einen reinen »casus conscientiae«, sondern um eine »Mixta quaestio«, die »vorderist« den »Politicis« vorzulegen sei; deren Ratschlag freilich müsse anschließend (!) einem verständigen Theologen zur Kenntnis gebracht werden, der dann zu überprüfen habe, ob sich das politische Memorandum mit Gottes Ehre und einem christlichen Gewissen vereinbaren lasse. 98 Bekanntlich spaltete Luther, wenn er über die beiden »Reiche« und »Regimente« nachdachte, auch den Friedensbegriff auf, in einen inneren geistlichen und einen äußeren weltlichen; der »eusserliche frid« war Amtsobliegenheit der Politiker und Juristen. Ich illustriere nur mit diesem Zitat: »Das gehet uns nicht an, denn wir dürffen nicht kempffen ... umb zeitlichen friede und eusserliche gerechtigkeit, das ein jglicher behalte, was sein ist, Dazu sind ander leute geordnet, Juristen und was fur personen und empter dazu gehören, die da wissen, was recht ist, und wie sie es erhalten sollen, Aber wir Christen sind ander leut und stehen jn einem andern kampff«. So Martin Luther, Predigt am 21. Sonntag nach Trinitatis, nachmittags [von 1531], in: Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 34.2, Weimar 1908, S. 397f. 99 Auch daran erinnerte Johann Hauber (HStASt A63 Büschel 84). – Bekanntlich billigte Luther dem weltlichen Regiment alles zu außer dem einen, das für ihn letztlich zählte; ließ er sich vom Landesherrn alles vorschreiben außer dem, was ihm wirklich wichtig war: dem Glauben. Freilich war die rechte Antwort auf obrigkeitlichen Zwang zum Irrglauben nicht etwa aktive Widersetzlichkeit, sondern Emigration: die einzige Form erlaubten (im Fall der Gewissenskollision aber auch geforderten) Widerstands. 100 »I dare not for my part give advice but to follow where God leads«: George Abbot an Robert Naunton, 1619, September 12, abgedr. in [Anonym], Cabala, Mysteries of State, in Letters

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cause was a just one«. Flugschriften wie theologische Traktate101 interpretierten die böhmischen Ereignisse als Auftakt zur apokalyptischen Endschlacht (»Babilon is fallen«), stilisierten dann, defensiver, doch nicht weniger emphatisch, die Böhmens wegen verfolgten kurpfälzischen Glaubensbrüder zu »the children of Israell«. Der venezianische Gesandte in London, Girolamo Lando, sah nach dem Desaster am Weißen Berg die ganze City fassungslos, »lacrime, sospiri, parole altissime di sodegno si vedono e sodono da per tutto«.102 Reagierte die City auf Friedrichs Wahl mit Freudenfeuern und Festbanketten, versündigten sich die böhmischen Insurgenten in den Augen des englischen Königs, Jakobs I., gegen ihre von Gott eingesetzte Obrigkeit. Alle Welt, von den Aufständi­schen bis hin zum Papst, fasle vom Religionskrieg, lamentierte er einmal vor dem venezia­nischen Gesandten Girolamo Lando, wiewohl man doch tatsächlich mit einer »guerra di stato« zu tun habe: Krieg nicht um den Glauben, sondern um eine Krone und ein Land.103 Übrigens bezweifelte der englische König, daß Glaubenskriege gottgefällig waren, sei doch »God never loving to plant the Church by violence and bloodshed«.104 Aber in Böhmen nahm er gar keinen Glaubenskrieg wahr. Ja­kob witterte Rebellion, seit dem Sommer 1619 zudem Usurpation. Nach dem Zeugnis eines spanischen Emissärs war der König über die Wahl Friedrichs bestürzt: »Este Rey aviendo oido la demanda de su hierno y que todavia prevalecia en inquietud se enojo mucho, y dava vozes contra el«.105 of the great Ministers of King James and King Charles ..., London 1654, S. 169. 101 Vgl. zur damaligen englischen Publizistik zuletzt Rüde, England und Kurpfalz, S. 235 und S. 259; interessante Hinweise auch schon bei Samuel Rawson Gardiner, History of England from the Accession of James I. to the Outbreak of the Civil War 1603–1642, Bd. 3, 2. Aufl. London/New York 1895, bes. S. 314. 102 Girolamo Lando an Dogen und Senat, 1620, Dezember 22: Allen B. Hinds (Hg.), Calendar of State Papers and Manuscripts, Relating to English Affairs, existing in the Archives and Collections of Venice, and in other Libraries of Northern Italy, Bd. 16, London 1910, Nr. 652. 103 Relation Girolamo Landos nach einer persönlichen Audienz bei Jakob, 1620, März 19: Hinds, State Papers, Bd. 16, Nr. 294. Die Relationen des scharfsinnigen Beobachters Lando sind eine noch nicht ansatzweise ausgeschöpfte Fundgrube. 104 So jedenfalls lautet eines jener an der königlichen Tafel geäußerten »aphorisms« Jakobs, die nach seinem Tod publiziert wurden, ich zitiere nach Malcolm Smuts, Concepts of Peace and War in Stuart Court Culture, in: Ronald G. Asch/Wulf Eckart Voß/Martin Wrede (Hgg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt, München 2001, S. 222. – Relation Landos vom 11. Juni 1620, Hinds, State Papers, Bd. 16, Nr. 388: Jakob erklärte einem württembergischen Emissär, man wolle ihm dauernd weismachen, in Böhmen tobe ein Religionskrieg; er sei anderer Ansicht, aber selbst wenn es sich doch um einen Religionskrieg handeln sollte, sehe er sich nicht in der Pflicht, dort einzugreifen. 105 Julian Sanchez de Ulloa an Philipp III., 1619, September 27: Samuel Rawson Gardiner (Hg.), Letters and other Documents illustrating the Relations between England and Germany at the Commencement of the Thirty Years’ War, Bd. 2, London 1868, Nr. 16.

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Der scharfsinnige venezianische Gesandte Girolamo Lando analysierte: an Jakob zerrten einerseits seine außenpolitischen Mitarbeiter, die106 eine aktive Böhmenpolitik anmahnten, »et dall’ altra parte dall’ abborrimento di travagli dal desiderio di pace dal timore di far universale e di religione la guerra«. Nein, Jakob sah sich nicht mit einem Glaubenskrieg konfrontiert, sondern mit Aufstand und dreister Aggression, »the new king in possession of the crown of Bohemia might be called the aggressor and the Austrians the defenders even when they invaded the Palatinate«.107 »Ob daz der respekt kay­sers sey, ine ab land und leuth zu treiben«?108, das wird Jakob allen Emissären aus dem Reich entgegenschleudern. So Jakob überhaupt argumentierte, nicht einfach mit der ganzen Hemmungslosigkeit eines notorisch überforderten Herrschers lospolterte und sich in Rage schrie109, suchte er Halt an der Legitimitätsfrage. Auf sie spitzte er das Problemgefüge im Ge­spräch mit Europas Diplomaten, aber auch seinem Schwiegersohn Friedrich gegenüber zu. Alles komme jetzt, nach dem Tod des Matthias, darauf an, daß »eine electio legitima vorginge«, und übrigens wolle er »von einem Krieg nichts hören«, erklärte Jakob, beispielsweise, im Januar 1619 dem pfälzischen Gesandten Christoph von Dohna; kaum war die »electio« auf Friedrich V. gefallen und der Krieg damit ziemlich wahrscheinlich geworden, verlangte Jakob von Dohna eine eingehende Darlegung der »Fundamenta« dieser Wahl110, als hätte 106 Wir können hinzufügen: wohl alle! Ganz sicher kann ich konstatieren, daß ausnahmslos alle Vertreter des Londoner Hofes auf dem Kontinent in wachsender Verzweiflung eine Wende der englischen Kontinentalpolitik anmahnten. Ihre Korrespondenzen sind ziemlich flächendeckend ediert. – Das Zitat: Girolamo Lando an Dogen und Senat, 1620, Mai 28, Hinds, State Papers, Bd. 16, Nr. 374. 107 Girolamo Lando über eine Erklärung, die Jakob den Unionsgesandten Dohna und Bouwinghausen vortragen ließ: Relation vom 19. März 1620, Hinds, State Papers, Bd. 16, Nr. 295. 108 Bericht Benjamin Bouwinghausens über seine Verhandlungen in London vor dem Forum des Schwäbisch Haller Unionstags, 1620, Mai 3: HStASt A90A tom. 27, fol. 105–115. 109 Ich gebe anderswo einige Einblicke in die diplomatischen Nöte mit diesem Monarchen: Gotthard, Bouwinghausen, S. 89–91. Wer die an Verachtung grenzende Geringschätzung aller damaligen Diplomaten, egal aus welchem Entsendeland, und die hilflosen Entschuldigungsversuche der stets aufs Neue von den Irrungen und Entgleisungen ihres Herrn peinlich berührten englischen Be­rufs­­politiker aus den Relationen kennt, muß allen neueren Versuchen, Jakob I. auch ein paar freundliche Farbschattierungen zu gönnen, skeptisch gegenüberstehen. 110 Voigt, Gesandtschaftsleben, S. 127 bzw. S. 144. Es sind fast beliebig herausgegriffene Beispiele. Achatius von Dohna gegenüber polterte Jakob im Februar 1620 los: er sei wohl der Ansicht, Untertanen könnten ihre Könige absetzen, und sei wohl nach England gekommen, um derartigen Unfug auch hier auszubreiten, auf daß er, Jakob, bald weggejagt würde – so die Relation von Tillières vom 22. Februar 1620, abgedr. bei Raumer, Briefe aus Paris, Bd. 2, S. 295f. (beim dort so genannten »Baron Aune« handelt es sich zweifelsohne um Achatius von Dohna); vgl. zur zuletzt genannten Audienz auch die Relation Landos vom 21. Februar: Hinds, State Papers, Bd. 16, Nr. 258.

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dies seiner inkonsistenten Außenpolitik einen stabilen Boden einziehen können. Um nur noch eine Kostprobe aus dem Briefwechsel Jakobs mit dem Kurfürsten selbst zu geben: »Il nous convient estre deuement informée et satisfait du droit et raisons legitimes qu’on a eu de deposer ledit Ferdinand«, schrieb Jakob im September 1619, erst, wenn er detaillierte Informationen darüber besitze, »nous puissions adviser à ce que nous aurons à faire en ceste occurrence icy«.111 Der Gesichtspunkt der Legitimität überwog, wenn auch nicht konsequent durch alle – stets heftig schwankenden – königlichen Stimmungen hindurch, die von ihm häufig rührselig be­schworenen Verwandtschaftsbande, und die strikt geleugneten konfessionellen ohnehin. Daß Jakob in Böhmen eine religiös drapierte Rebellion wahrnahm, daß er sogar seinem Schwiegersohn keine legitimen frommen oder konfessionspolitischen Antriebe zugestehen wollte, wird gravierende Folgen zeitigen: Anstatt in Böhmen die apokalyptische Entscheidungsschlacht mit den Mächten katholischer Finsternis zu suchen, anstatt den verfolgten »children of Israell« militärisch zu helfen, wird Jakob der Misere des böhmischen Ständetums ungerührt zusehen und in der Pfalzfrage auf eine Verhandlungslösung unter Einbeziehung katholischer Mächte, gerade Spaniens setzen. Am Parlament wird das 1621 erregte Debatten provozieren. Teile des höfischen, mehr noch des landsässigen Adels stellten dort das kontinentale Geschehen ganz in religiöse Zusammenhänge, wobei sich alttestamentarische Auserwähltheitstopoi eigentümlich mit apokalyptischen Enderwartungen vermischten. Jedenfalls hatte Gott etwas vor mit den pfälzischen Aktivisten (»God having humbled them I hope will raise them up again«), der vagabundierenden Exilregierung beizuspringen war Christenpflicht, weil »the glory of God eclipsed when the enemies of true religion prevail«.112 Schließlich war eine Petition mehrheitsfähig, die weitere Geldbewilligungen von der Kriegserklärung an Spanien abhängig machte. Die königliche Antwort dementierte noch einmal konfessionelle Gehalte der aktuellen »warre of the Palatinate« wie der vorhergehenden böhmischen Konfrontation, stellte aufs überkonfessionelle Wohl der Christianitas ab und darauf, daß die verfassungsrechtliche Legitimität lediglich (und in Jakobs Augen fadenscheinig) behauptet werde: »But bycause we perceave that you couple this warre of the Palatinate, with the cause of Religion we must a little unfould your eyes herein, the beginning of this miserable warre which hath sett all Christiandome on fyre was not for Religion«. Friedrich selbst, so Jakob, »wrote letter unto us at that tyme desyring us to give assurance ... that his 111 Jakob an Friedrich, s. d., Gardiner, Letters, Bd. 2, Nr. 19. 112 Debattenbeitrag von Myles Fleetwood, 1621, November 26: Wallace Notestein/Frances Helen Relf/Hartley Simpson (Hgg.), Commons Debates 1621, Bd. 4, New Haven 1935, S. 446.

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accepting of the Crowne of Bohemia had no reference to the cause of Religion but onely by reason of his right by Election as he called it«.113 Jakob nahm den abgesetzten habsburgischen Böhmenkönig nicht als Katholiken, sondern als Standesgenossen wahr. Welche Dispositionen und Motive steuerten den Blick, ließen das eine grell hervortreten und das andere ausblenden? Vielleicht können einige Schlaglichter auf Persönlichkeitsstruktur und Regierungsstil helfen, die eigentümliche Sichtweise Jakobs nachvollziehbar zu machen. Sorgten sich die Dresdner um den Frieden im Reich und ihr gutes Verhältnis zu den österrei­chischen Habsburgern, war Jakob zeitlebens »anxious for the peace of the world«.114 In der Außenpolitik suchte er eine unverbindliche, sich gleichsam im Atmosphärischen erschöpfende Freundschaft mit jeder­mann, vor allem aber seine Ruhe – Maurice Lee brachte es einmal auf diese treffende Formel: Jakob betrieb eine »policy of unadventurous and inoffensive goodfellowship«.115 Schon gar keinen Konflikt aber wollte er mit Spanien, dem Erzfeind seiner Vorgängerin Elisabeth, deren ambitionierte Außenpolitik er für ruinös hielt, in deren Bahnen er um nichts in der Welt einschwenken wollte. Er träumte davon, die Wiederannäherung an die europäische Leitmacht der Gegenreformation durch Ehebande zwischen dem englischen Thronfolger und einer spanischen Königstochter zu besiegeln, was zählten neben dieser schö­nen Friedensvision die lästigen Querelen in Böhmen, derentwegen man ihm neuerdings dau­ernd irgendwelche Entscheidungen abnötigen wollte? »Mit Spanien welt er kein krieg anhe­ben«: das mußte sich deshalb jeder Gesandte aus dem fernen Mitteleuropa anhören – auch in Böhmen ging es gegen Habsburg, er legte Wert darauf, »solchs haus nit offendiren zu lassen«.116 Die über­steigerten Hoffnungen nicht nur der Pfälzer, vieler evangelischer Politiker Deutschlands auf Jakob I. ruhten einer grotesken Fehleinschätzung der Londoner Realitäten, besser gesagt: der dort obwaltenden Wahrnehmungsweisen und Bedrohungsszenarien auf. Dort thronte eben nicht mehr Elisabeth. Jakob haßte außenpolitische Verwicklungen, haßte Entscheidungen, vor allem aber verab­scheute dieser Absolutist von Gottes Gnaden, der dem Parlament einmal erklären wird, daß »Kings ... by God himself are called Gods«117, jegliche 113 Königliche »Answer to the Apologetick Petition (of house of commons)« vom 21. Dezember 1621, zit. bei Rüde, England und Kurpfalz, S. 216. Knappe Zusammenfassung der Konflikte zwischen Jakob und dem Parlament im November und Dezember 1621: Elmar Weiß, Die Unterstützung Friedrichs V. von der Pfalz durch Jakob I. und Karl I. von England im Dreißigjährigen Krieg (1618–1632), Stuttgart 1966, S. 43–45. 114 Siehe oben S. 41. 115 Lee Jr., James I. and Henry IV., S. 13. 116 Die Zitate: Bericht Bouwinghausens über seine Gespräche in London, wie Anm. 108. 117 »Kings are not only God’s lieutenants upon earth, and sit upon God’s throne, but even by God himself are called Gods«: eine »Verbindung von Gottesgnadentum, göttlichem Auf-

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Form von Widerspenstigkeit.118 Natürlich nutzte das die spanische Diplomatie nach dem Fenstersturz weidlich aus, man schürte Jakobs Ängste noch, offenbar waren Europas Monarchen alle in Gefahr, »sensi che al certo penetrano molto anche nell’ animo di questo Re, inimico più d’ogn ’altro delle novità e commotioni de’ popoli«.119 Den Untertanen geziemte in Jakobs Augen unbedingte Fügsamkeit, auch einem untauglichen oder ketzerischen Kö­nig gegenüber: »Königen und weltlichen Obrigkeiten« war »zu gehorchen, selbst wenn sie Türken oder Ungläubige wären«120 – schon deshalb war es in Jakobs Augen »dangereux d’avouer cette soudaine translation de couronne par l’autorité du peuple« in Böhmen.121 Jakob schätzte nicht Entscheidungen, aber sein exklusives Entscheidungsrecht. Da Herrscher von Gott eingesetzt waren, konnte eine Rebellion, auch eine religiös begründete, grundsätzlich nicht gottgefällig sein. »Tant il abhorre tout sujet qui leve les armes contre son legitime Prince«, hatte Sully einmal beobachtet.122

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trag und Gottähnlichkeit«, wie Peter Wende, Das Herrscherbild des 17. Jahrhunderts in England, in: Konrad Repgen (Hg.), Das Herrscherbild im 17. Jahrhundert, Münster 1991, S. 63 zusammenfaßt; das Jakob-Zitat ebda., S. 62. Horst Witte, Die Ansichten Jakobs I. von England über Kirche und Staat, mit besonderer Berücksichtigung der religiösen Toleranz, Berlin 1940, bezeichnet Jakob als »hervorragendsten Vertreter des Gottesgnadentums«, attestiert ein »bedingungsloses Souveränitätsideal« (ebda., S. 150 bzw. S. 155). Vgl. noch Roger Lockyer, The Early Stuarts. A political history of England 1603–1642, London/New York 1989, passim (Register, s. v. prerogative!). Alle Motive haben wir beisammen in der Relation Landos vom 27. Dezember 1619 (Hinds, State Papers, Bd. 16, Nr. 161): Jakob wird von seinem Naturell zum Frieden hingezogen; er kann die Absetzung eines Königs nicht hinnehmen, Erhebungen und Tumulte mißfallen ihm mehr als alles andere. – Jakob war »disliking any popular movement which bore the slightest semblance of rebellion«, faßt Gardiner, History of England, S. 280 zusammen. Relation Landos, 1620, Juni 25, Hinds, State Papers, Bd. 16, Nr. 411. Buckingham an Gondomar, s. d. [ Januar/Februar 1620]: Raumer, Briefe, Bd. 2, S. 293; es handelt sich leider wieder um die Übersetzung Raumers. Der Brief enthält keimhaft die ganze künftige Böhmenpolitik Jakobs: die Übertragung einer Krone unter religiösen Vorwänden ist verboten, solches zu unterstützen, verstößt gegen sein Gewissen; der Obrigkeit ist in jedem Fall zu gehorchen, es ist eine Schande, daß die Jesuiten »à leur fantaisie« Könige ein- und wieder absetzen wollen; es ist »dangereux d’avouer cette soudaine translation de couronne par l’autorité du peuple« (Kursivsetzung von mir); indes ist Friedrich sein Schwiegersohn, dessen Stammland, die Rheinpfalz, darf ihm deshalb nicht weggenommen werden. Zitat: siehe letzte Anm. Und 1603 in einem Brief festgehalten, aus dem Witte, Ansichten, S. 141 zitiert. – Es kann hier nicht darum gehen, einzelne diplomatische Aktivitäten der Londoner nachzuzeichnen. Aus pfälzischer Perspektive: Elmar Weiß, Unterstützung; Aktivitäten des Jahres 1619: Edward McCabe, England’s Foreign Policy in 1619. Lord Doncaster’s Embassy to the Princes of Germany, in: Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 58 (1950), S. 457–477; vgl. zuletzt auch Gotthard, Frankreich und England.

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4.2.2 »Guerre de religion«: Deutungsmuster an der Seine Wie registrierten die in Paris maßgeblichen Politiker123, was sich in Böhmen tat? Sie nahmen, um das Ergebnis unserer Stipvisite an der Seine vorwegzunehmen, religiös motivierte Insubordination wahr, wie sie sich die Hugenotten im eigenen Land wieder und wieder zuschuldekommen ließen. Schauen wir genauer hin, fällt zunächst einmal auf, daß die ersten Nachrichten vom Fenster­sturz den französischen Königshof zeitgleich mit Nachrichten über hugenottische Unruhen im Béarn124 erreichten. Der moderne Historiker wird dazu neigen, von einer zufälligen Koinzidenz zu sprechen. Die Wahrnehmung an der Seine war eine andere. Man parallelisierte dort fortan beides: Überall in Europa be­drohten offensichtlich calvinistische Kreise die politische Stabilität, insbesondere aber den Katholizismus, »il semble que les catholiques se fient et fondent par tout simplement en la justice de leur droict et laissent aussy empiéter et advantager les protestans«.125 Habsburg war eine traditionell rivalisierende, aber eben auch eine katholische Dynastie, sie durfte nicht zu­grundegehen, man konnte ihrem Ruin nicht einfach zusehen. Der Pariser Politikbetrieb nahm die böhmischen Querelen von Anfang an sehr ernst126, schon am 13. Juli 1618 hieß es, es drohe ein großer europäischer Krieg »de religion et d’état«.127 Man mußte dieser Gefahr aktiv entgegentreten, »sçachant le preiudice irreparable qu’en recepvra autrement la religion catho­lique«.128 Die Instruktion für jene vielköpfige »Ambassade« ins Reich, die im Sommer 1620 die diplomatischen Voraussetzun­gen für den katholischen Waffenerfolg in Böhmen schuf129, basierte auf einem ausführlichen Gutachten des Parlaments123 Man muß das 1618, 1619, 1620, unter einem noch jugendlichen Herrscher und vor Richelieu, in den Plural setzen. 124 Im nur lose mit Frankreich verbundenen, überwiegend calvinistischen Béarn wurden der katholischen Kirche einstige Besitzungen restituiert; Ludwig wollte es außerdem in die französische Krondomäne eingliedern. 125 Puysieulx an Denis de Marquemont (in Rom), 1618, August 1, zit. nach Tapié, Politique étrangère, S. 240. 126 Die Nachrichten, die Baugy aus Prag übersandte, waren auch entsprechend alarmierend aufgemacht. Der französische Beobachter wertete sogleich als »mouvement dangereux«, die Bewegung werde sich ausweiten: Tapié, Politique étrangère, S. 216. 127 Puysieulx an Sainte-Catherine, 1618, Juli 13, zit. ebda., S. 239. In diesem und zahlreichen weiteren Schreiben wird der Wunsch geäußert, Habsburg möge sich rasch durchsetzen. – »On discutait beaucoup alors, pour savoir si la révolte tchèque était politique ou religieuse«: ebda. 128 Ludwig XIII. an Denis de Marquemont, ohne Datumsangabe [wohl spät im Jahr 1618] zit. ebda., S. 277f. 129 Ich muß es hier so knapp auf den Punkt bringen; Daten, Fakten, politikgeschichtliche (nicht wahrnehmungsgeschichtliche) Analyse: Gotthard, Frankreich und England, S. 407–417.

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präsidenten Pierre Jeannin vom Februar des Jahres130. Es ruft aus mehreren Gründen131 zum radikalen Bruch mit der herkömmlichen, antihabsburgischen Aus­richtung der französischen Außenpolitik auf, für uns ist vor allem dieser aufschlußreich: In Böhmen tobe eine »guerre de religion«, die katholische Solidarität zwingend verlange. Der konfessionelle Cha­rakter dieser Auseinandersetzung werde von interessierter Seite vernebelt – »cette prudence estant necessaire pour diminuer le nombre des ennemis et empescher que les Princes Catholi­ques ne prennent part en cette querelle«. Ludwig dürfe nicht als »déserteur de sa religion« dastehen, »sa Majesté ne pourroit demeurer neutre et spectateur en cet endroit sans blasme«, der König müsse vielmehr prestigeträchtig 132 »son zele à la Religion« demonstrieren. Es lockte aber nicht nur die Ehre, der Ruhm eines Retters des katholischen Glaubens, drohten vor allem große Gefahren. Triumphierten die Feinde Habsburgs, war der Katholizismus überhaupt »en tres-grand danger«.133 Gewiß habe Frankreich die evangelischen Reichsstände bislang als gewohnheitsmäßige Verbündete »contre la puissance d’Espagne, et d’aucuns Empereurs de cette mesme Maison« erachtet, »mais la Religion l’oblige à mespriser toutes ces considera­tions«. Man sei nun zum Bruch mit den diplomatischen Traditionen des Landes gezwungen. Alle katholischen Herrscher »seront obligez«, Ferdinand beizuspringen, nicht »pour desir de s’acroistre«, also aus Staatsräson, »mais pour s’acquitter de ce devoir«, es war Christenpflicht. Außerdem drohe mit Habsburgs Ruin das Gleichgewicht in Europa zu wanken – ein falsches Kalkül, das trotzdem eine Erwähnung wert ist.134 130 Zum Folgenden: Gutachten Jeannins, abgedr. in: Ambassade extraordinaire, S. 25–33. 131 Drei Gesichtspunkte dominieren: vgl. Anm. 134. 132 Das in diesem Kapitel weniger interessierende Nebenargument der Ehre konnte bei Ludwig XIII. auf besondere Empfänglichkeit rechnen. Wir merken es auch bei der Lektüre seines Schriftwechsels mit den Ambassadeurs, wo häufig von der »Chretienté« die Rede ist, aber genauso oft von der »reputation«. Am 12. Juli 1620 schrieb Ludwig seinen Emissären, sie wirkten »pour la gloire de Dieu le bien du publicq ma reputation et mon contentement«. Ich stieß auf den Schriftwechsel zwischen Ludwig XIII. und der Ambassade in einer undat. Handschrift der Wiener Nationalbibliothek (cod. 7181). Sie trägt den Titel »negociation en Allemagne vers l’Empereur et les princes protestants par messieurs le duc d’Angoulesme, de Bethune et de Preaux és années mil six cens vingt et mil six cens vingt et un«. 133 Wir müssen bei dieser Einschätzung natürlich die inneren Probleme Ludwigs mitbedenken! Sie schwingen auch mit, wenn Jeannin ausmalt, welches Prestige Ludwig zuwüchse, so er die Streitigkeiten auf einem großen europäischen Friedenskonvent (diese Vision wurde ein Vierteljahrhundert vor den Westfälischen Kongressen entwickelt!) schlichten hülfe. Komme der Konvent nicht zustande, sei der Waffengang fürs Haus Habsburg unvermeidlich. 134 Drittens wird von Jeannin, freilich ganz herkömmlich, insofern blaß, die Türkengefahr beschworen. Gefahr für den Katholizismus, Gefahr fürs Gleichgewicht der Kräfte, Gefahr für den östlichen Grenzsaum des christlichen Abendlandes: das waren die drei Gründe, die in Jeannins Augen eine Abkehr von den traditionellen Bahnen französischer Außenpolitik verlangten. Richelieu wird bekanntlich auf sie zurückschwenken, freilich nachdem Habsburg

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Zumal es ganz praktische Auswirkungen zeitigte. Daß Paris sein Pfund auf die schwerere Waagschale legte, hat europäische Geschichte geschrieben. Die französische Diplomatie kalkulierte Gewichte, verschätzte sich dabei, und diese Fehleinschätzung der Machtverhältnisse in Europa zeitigte gravierende Folgen. Die Ambassadeurs nämlich bewegten sich diszipliniert innerhalb des ihnen abgesteckten Rahmens. Den katholischen Reichsständen suchten sie klarzumachen, »que la Religion est en danger de s’y perdre, s’ils ne secourent la cause commune auec le zele, l’union et la puissance neces­saires«135; am Ulmer Unionstag aber drohten sie, daß die Auhausener, so sie jetzt nicht klein bei­gäben, »fussent accusez d’estre les promoteurs d’une guerre iniuste«, also eines bellum iniustum.136 Zu den Auswirkungen dieses massiven diplomatischen Drucks aufs evangelische Deutschland gehören die Auflö­sung der Union von Auhausen und der katholische Triumph am Weißen Berg. Da die Kaiserlichen viel stärker waren als in Paris taxiert, vergrößerte die Ambassade, anstatt auszutarieren, ein bereits bestehendes Ungleichgewicht. Die katholischen Zurüstungen des Frühjahrs nämlich hatten Jeannins Prognosen, die ohnehin unrealistisch waren, vollends ad absurdum geführt.137 Angesichts dieses eklatanten Ungleichgewichts aber sind auch französische Vermittlungsversuche in Wien von vornherein aussichtslos gewesen, die Ambassade unterminierte durch ihre Parteinahme in Ulm selbst ihre Verhandlungschancen am Kaiserhof.138 Sie hat in Ulm erfolgreich taktiert – aber die zugrundeliegende Strategie war schlecht. Angesichts des in Ulm erpreßten Waffenstillstands brauchte man in Wien keinen Frieden. Doch bin ich damit von Wahrnehmungsmustern zu deren politischen Auswirkungen abgeschweift.

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seine um 1620 manifeste Krise (scheinbar) überwunden hat und die französische Krone ihre inneren Probleme mit den Hugenotten. So die treulich befolgte Kursvorgabe der Instruktion vom 8. April 1620 (Negociation, fol. 1–33). So formulierten es die Ambassadeurs selbst in ihrem Bericht nach Paris vom 7. Juli 1620: ebda., fol. 166–176. Die katholischen Reichsstände seien nicht nur »desarmez«, hatte Jeannin beispielsweise geurteilt, »il n’y a aucune liaison ny intelligence entr’-eux« (Ambassade, S. 27). »Au contraire les Protestants sont Unis, armez puissamment, & ont desia fait de si grands progrez«. Im Sommer 1620 war die katholische Seite tatsächlich besser gerüstet und wesentlich geschlossener als die evangelische. Auch über diese Verhandlungen informiert, natürlich aus französischer Sicht, die »negociation«. – Stichwortartig: Paris suchte in Ulm wie dann in Wien eine Verhandlungslösung, mit den deutschen Protestanten, dann mit den böhmischen Separatisten. Die Wiener Sicht war diese: nach der Verhandlungslösung von Ulm, angesichts des Ulmer Waffenstillstands zwischen Union und Liga, kann das katholische Lager seine ganze Kraft ungeteilt in eine militärische Unterwerfung der Böhmischen stecken. Das Ligaheer zog aus der Ulmer Gegend ab, gen Prag, zum Weißen Berg.

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4.2.3 Ein Rundblick Religionskrieg oder Rebellion? In den ersten Monaten nach dem Fenstersturz, im Sommer und Herbst des Jahres 1618, war es besonders wichtig, welchen Reim sich die beiden konfessionellen Sonderbündnisse des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation auf das böhmische Geschehen machten, denn von anderswo war rascher energischer Beistand für keine Konfliktpartei zu erhoffen: (noch) nicht vom jungen französischen König, nicht vom entscheidungs­schwachen englischen König. Im Nordosten absorbierten die einander belauernden Königrei­che Schweden und Polen wechselseitig ihre Aufmerksamkeit und auch ihre Kräfte, 1621 würde die Dauerspannung in offenen Krieg münden. Viel sprach dafür, daß in diesem Jahr ferner das genauso notorische holländisch-spanische Ringen erneut akut würde, mit dem Ende der 1609 vereinbarten zwölfjährigen Waffenstillstandsfrist. Es hat auch mit damals aktuellen inneren Entwicklungen in den separatistischen Provinzen zu tun: »Since the fall of Oldenbarnevelt, the United Provinces were presided over by ... men who had opposed the Truce, and avowed unswerving ... hostility to Chatholicism ... Spanish ministers, seeing the continuing intensity of the theologico-political rift within the United Provinces, were inclined to count heavily on its disruptive effect, leading them to adopt more forward strategies than they might otherwise have done«.139 Der spanische Gesandte an der Hofburg zwar erkannte früh die Gefahr, daß »se introducira en Alemania una guerra larga y costosa. Y en que se pone a mucho peligro la religion catolica y toda la casa de Austria.«140 Aber das finanziell schon damals erschöpfte, an vielen Fronten beanspruchte Madrider Rie­senreich wollte so kurz vor dem präsumtiven Wiederauflodern der Konflikte mit den abtrüni­ gen Nordwestprovinzen keine Ressourcen im fernen Böhmen vergeuden; die 139 Johathan Israel, The Dutch Republic. Its Rise, Greatness, and Fall 1477–1806, Oxford 1995, S. 466 bzw. S. 468. 140 Relation Oñates vom 6. Juni 1618. Straub, Pax et Imperium, S. 133 Anm. 7 zitiert ausgiebig aus diesem Schreiben. – Leider hat Straub die Frage, inwiefern die damals in Madrid maßgeblichen Politiker verfassungspolitische oder konfessionspolitische Gefahren in Böhmen verortet haben, nicht interessiert. Passim ergibt sich bei der Lektüre der Eindruck, daß sie die böhmischen Vorgänge von Anfang an ausschließlich als Herausforderung an die habsburgische Hausräson wahrgenommen haben: drohender Verlust der Kaiserkrone (es war für Kaiseranwärter zumal des 16. und 17. Jahrhunderts wichtig, die Stefanskrone zu tragen, vgl. dazu allgemein Gotthard, Säulen des Reiches, Bd. 2, S. 539–544), Folgen dieses Verlustes für Oberitalien und Flandern. Ob verfassungs- und konfessionspolitische Schreckensszenarien (»Gefahr für die monarchische Ordnung«, »Gefahr für den Katholizismus«) in den Beratungsprotokollen nicht vorkommen oder aber Straub nicht interessiert haben, könnten nur Recherchen in spanischen Archiven an den Tag bringen. Daß Spanien nach außen hin versuchte, konfessionelle Gesichtspunkte kleinzureden, ist plausibel (Haltung Frankreichs, diverser betont am katholischen Kaiserhof orientierter lutherischer Reichsstände), aber hier nicht unser Thema.

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spanischen Habsburger spielten auf Zeit und hofften auf eine friedliche Lösung, die den Verwandten in Wien Kompromisse abgenötigt hätte. In Holland oder Seeland waren die böhmischen Auseinandersetzungen nicht ganz außerhalb des Blickfeldes. Der englische Gesandte im Haag gab in einem Schreiben vom 18. September 1619141 so wider, was er allenthalben zu hören bekomme: Verlören die dortigen Widerständler ihren Strauß, hätten auch die diesem Königreich benachbarten evangelischen Fürsten »to bear the burden of a victorious army, which where it will stay God knows, being pushed on by Jesuits and commanded by the new emperor [Ferdinand II.] who flatters himself with prophecies of extirpating the reformed religion and restoring the Roman Church to the ancient greatness«. Man hatte für die böhmischen Kämpfe interessierte Seitenblicke übrig, nicht mehr. Was in Europa Macht und Rang hatte142, schaute anderswo­hin, war mit anderem beschäftigt, hatte nicht auf den Fenstersturz gewartet.

4.3 Wahrnehmungsweisen im Reichsverband 4.3.1 Der Fenstersturz in evangelischer Wahrnehmung Religionskrieg oder Rebellion? Die in der Union von Auhausen zusammengeschlossenen evangelischen Reichsfürsten, Grafen und reichsstädtischen Magistrate mußten sich Ende September, Anfang Okto­ber 1618 an ihrem Unionstag in Rothenburg darüber verständigen, welche Deutungsangebote glaubwürdig waren. Lenkte Sympathie mit verfolgten Glaubensgenossen oder aber solidarisches Mitgefühl von Obrigkeit zu Obrigkeit bei der Zeitdiagnose den Blick? Bis auf die Votanten der Reichsstädte Speyer und Schwäbisch Hall sowie die noch zögernden Vertreter der Markgrafschaft Brandenburg-Kulmbach legten sich alle ausdrücklich darauf fest, daß man mit einer »religions sach« konfrontiert sei, »daz das werkh die Religionem concernire«.143 Schuld waren »die Jesuiten«, sie hatten 141 Abdr.: Maurice Lee Jr. (Hg.), Dudley Carleton to John Chamberlain 1603–1624. Jacobean Letters, New Brunswick 1972, S. 270f. 142 Max Emanuel von Savoyen und den siebenbürgischen Fürsten Bethlen Gabor dürfen wir bei diesem Überblick einmal außer Acht lassen. – Leider mußte der europäische Rundblick kursorisch bleiben: Denn um Wahrnehmungsweisen an Europas Entscheidungszentren von Stockholm bis Rom, von Madrid bis Moskau komplett und fundiert darlegen zu können, müßte man ausgedehnte Archivreisen unternehmen (und bezahlen) können. Es dürfte aber doch hinreichend deutlich geworden sein, daß ein und dieselbe Ereigniskette – der »Fenstersturz« dreier Männer in habsburgischen Diensten und die kurzfristigen Folgen dieses Spektakels – auch außerhalb des Reiches sehr unterschiedlich wahrgenommen worden ist. 143 So drückt es eine undat. Ulmer Relation aus: Stadtarchiv Ulm A1338, Nr. 3866. Kurfürst Friedrich war »so wohl anfangs, vortgangs und ausgangs halben, Im gewüssen gesichert,

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»die Kirch rasirt«, waren »uff exstirpationem der religion« aus, heute in Böhmen, morgen im Reich. Verschiedene Votanten befragten historische Exempel, am häufigsten wurde der als Landfriedensexekution verkleidete Konfessionskrieg von 1546/47 zur Entscheidungshilfe erklärt – doch gehe ich auf die aktuell orientierende Kraft historischer Reminiszenz weiter unten noch ein. Half ferner das heilsgeschichtliche Pan­orama der Apokalypse, obwohl ja keine Theologen mitberieten? Der Markgraf von Durlach wies wortreich nach, daß »das Pabsthum vom teufel herkomme, der ein Mörder und lügner«, die Weltläufte wurden »alwegen erger«; sein konkretester Ratschlag lautete so: »in die ruten zufallen, mit abstellung Prachts unbilligs«.144 Die sonst auch von den Unierten so gern be­schworene »libertet« kommt im Debattenprotokoll ein einziges Mal vor, aber nicht als Anti­these zur »religion«: »sey ein religion und Libertetsach«. Libertät stand, wie wir das schon in der Tagespublizistik sahen, nicht für ein alternati­ves Deutungskonzept, vielmehr kämpften Untertanen eines irrgläubigen Herrschers für ihre Glaubensfreiheit: »also sey ein algemein religion sach, sowohl der religion als Staats halb«.145 Vor dem »absoluto dominatu« Spaniens warnte lediglich, in einem einzigen Satz, der Pfälzer Ludwig Camerarius.146 In einem folgenreichen Spannungsverhältnis zum Wahrnehmungsraster »religion sach« stand nicht das Deutungsmuster »rebellion«, sondern die Diagnose

daz es ein religion sach«, erklärte beispielsweise sehr nachdrücklich der pfälzische Votant: Protokoll der Rothenburger Beratungen, HStASt A90A tom. 20, fol. 474–538 (Zitat: fol. 493). Das Folgende hauptsächlich nach diesem Protokoll, ich belege nur einige besonders prägnante Wortmeldungen eigens, hier interessiert ja das Typische. 144 Ebda., fol. 481. 145 Die Zitate: ebda., fol. 485 (Anhalt); ebda., fol. 479 (Ansbach). Der Abschied des Unionstags (1618, Okt. 13, Or.: HStASt A90A tom. 20, fol. 363–370) formuliert dann – soll man sagen: ausgewogener? aber es ist eben zeitgenössisch gar keine Antithese! –, es handle sich um eine »gemein evangelische religions und die libertet betreffende sach«. So sieht es auch ein »Diskurs den instehenden Böhmischen Krieg betreffend« (nach Angaben Friedrich Lebzelters, der eine Abschrift nach Dresden sandte, war er »im Reich von eines vornehmen Fürsten Rath, der in der Union, gemacht worden«), aus dem Karl August Müller, Fünf Bücher, Bd. 1, S. 108f. ausgiebig zitiert. Schuld waren »die Jesuiten«; sie erklärten, der Majestätsbrief sei abgenötigt, also nichtig, und die weltliche Obrigkeit hätte solche Konzessionen in Religionsangelegenheiten gar nicht einräumen dürfen; Hand in Hand mit der Ausrottung aller Nichtkatholischen geht die Aufrichtung der spanischen Weltherrschaft, ist Böhmen erst einmal unterjocht, folgt als nächster Schritt die Erblichmachung des Reiches. 146 »Daz Spanisch Wesen cum absoluto dominatu werd gebracht«: Protokoll der Beratungen am Rothenburger Unionstag, HStASt A90A tom. 20, hier: fol. 498. Allgemein zur Sorge vor einer spanischen Hegemonie in Europa: Franz Bosbach, Monarchia Universalis. Ein politischer Leitbegriff der frühen Neuzeit, Göttingen 1988; Peer Schmidt, Spanische Universalmonarchie oder »teutsche Libertet«. Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2001.

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»privat sach«.147 Manche derjenigen, die sich gegen rasche nachdrückliche Hilfen für die böhmischen Landstände aussprachen148, verwiesen darauf, daß eine Rettung der korrekten Lesarten des Majestätsbriefs die Situation der bedrängten149 evangelischen Reichsstände doch gar nicht verbessern würde. Gab es nicht auch juristische Hürden? Einige Skeptiker brachten jenes Verhältnis Böhmens zum Reichsverband ins Spiel, das in der modernen Forschung so oft schon und kontrovers hin- und hergewendet worden ist150: Es seien die »Bohemen dem reich nit underworffen«, Böhmen habe »aigene zunge, gesatzen und ordnungen«. Die »unions Verfassung« ziele »uf conservation der reichs Constitution«, Böhmen aber habe »bishero absonderliche Verfassung gehabt«.151 So spielten denn auch staatsrechtliche Gesichtspunkte eine gewisse Nebenrolle. Weil die Union ein Hilfsor­gan des lädierten Reichsverbands war, zu dem Böhmen für die Zeitgenossen (eindeutiger als für die moderne Forschung) nicht gehört hat, weil sie sich der vorgeblich authentischen Lesart jenes Augsburger Religionsfriedens verschrieben hatte, auf den sich die um den Maje­stätsbrief kreisenden böhmischen Querelen unmittelbar gar nicht bezogen: deshalb habe sie sich jetzt auch, aller Sympathien für die Glaubensbrüder unerachtet, herauszuhalten, fand der eine und andere. Das gab in Rothenburg aber nicht den Ton an. Fast alle fürstlichen Votanten sahen ihre Höfe zur Einmischung aufgerufen, »sey man schuldig«, »Gott strafte sonsten die Unacht­sambkheit«, »sich Irer anzunemmen und nit zu dissimuliren, damit es gegen Gott zuverant­wurten«: Christenpflicht also! Außerdem sahen die 147 Siehe beispielsweise dieses Votum Schwäbisch Halls: »Hielten es vor kein religion, sondern privat sach« (Protokoll der Rothenburger Beratungen, hier fol. 491). Oder Kulmbach: Man hält es »noch zur zeit vor ein privat sach« (fol. 485). 148 Das konnten durchaus auch Votanten sein, die als »religion sach« etikettiert hatten: hier, bei der Therapie (diese Studie interessieren bekanntlich vor allem Diagnosen), kamen eben viele andere Gesichtspunkte hinzu! Fast alle Städtevertreter rieten sehr zur Vorsicht. 149 Natürlich, beide Seiten sahen sich bedrängt! Hier zählt die evangelische Optik. Die Protestanten wußten, daß die Reichsverfassung den Widerpart strukturell bevorzugte, und sie waren publizistischer Attacken auf die Gültigkeit des Augsburger Religionsfriedens wegen besorgt. 150 Zuletzt äußerte sich zum vieldiskutierten Thema Alexander Begert, Böhmen, die böhmische Kur und das Reich vom Hochmittelalter bis zum Ende des Alten Reiches, Husum 2003, S. 580–583. 151 Votum Straßburgs in Rothenburg, Protokoll, hier fol. 501; Instruktion der Ulmer, 1618, Sept. 10 (Entw.), Stadtarchiv Ulm A1338, Nr. 3866; Votum Oettingens in Rothenburg, Protokoll, hier fol. 486. Camerarius resümierte, manche verwiesen darauf, daß der Union »scopus uf ußländische nit gemeinet« sei. Der Votant des Unionsdirektors suchte das etwas zu entkräften: Er sehe »wohl«, so Camerarius, daß Böhmen »under reichs constitutiones nit falle«, doch sei der Böhmenkönig ja schon ein »reichsglidt« – »welle sich gar eximiren vom reich, bleib doch ein Stand«. Das konfuse Resümee des Pfälzers ist bezeichnend für eine formal wie faktisch verwickelte Situation. Ich werde demnächst versuchen, sie in der »Verwaltungsgeschichte Österreichs« etwas zu entwirren.

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meisten Stellungnahmen ein »praeiuditz« fürs Rin­gen um die konfessionellen Gravamina im Reich152, »es hab ein Connexitet des Majestäts­briefs Inböhmen wie der religion fried Imreich«. Man interpretierte also das böhmische Ge­schehen vor der Folie der Desintegrationsprozesse im polarisierten Reichsverband, schon des­halb war keine Sekunde unklar, wem die Sympathien gehörten, schon deshalb blieb der ver­fassungspolitische Gesichtspunkt »Monarchie versus Ständemacht« ganz nebensächlich. Sorgen um die monarchische Staatsform spielen im Votenprotokoll des Unionstags keine Rolle und begegnen auch sonst nur in Spurenelementen. Beispielsweise heißt es in einem württembergischen Rätegutachten vom 27. August 1619153, wenn sich Friedrich nicht als König und Christian von Anhalt nicht als Heerführer in Böhmen engagierten, könne es passieren, daß die Böhmischen »eine Rempublica formiren, welche ... allen Firsten gefehrlich«. Aber solche sporadischen Erwägungen bleiben stets beiläufig. Man verschrieb sich in Rothenburg vollkommen der konfessionellen Lesart, hatte für ständerechtliche Gehalte der Auseinandersetzung nicht einmal einen Seitenblick übrig. Setzten sich jene radikalen altgläu­bigen Kräfte, die jetzt Böhmen in Blut und Verderben stürzten, dort im Osten durch, fegten sie anschließend im Reich den Religionsfrieden fort, »welcher nicht eine geringe gleichheit mit dem Majestatbrief hat«. Es sei ja »ein gemeine Sach, Majestatt brieff und Gravamina eine Sach«.154 Deshalb galt auch, gleichsam ins Offensive gewendet: Wenn dem Übermut des immer dreisteren Widerparts an diesem Nebenschauplatz, in Böhmen, endlich die Spitze gebrochen wurde, dann war im Reich ebenfalls »verhof­fentlich mehrers als bishero zuerlangen«.155 Kurz, die Union hatte 152 Besonders drastisch erklärte der Ansbacher: In Böhmen enthüllt der Widerpart sein wahres Gesicht, konziliante Gesten im Reich sind nur taktisches Spiel und Ablenkungsmanöver, »sobaldt man Imreich der composition gedacht, sey es anderswo vorgangen«, und auch im Reich soll damit nur Zeit gewonnen werden, »biß Sie Iren Vorthel erlangt«. Man muß zurüsten, »mit Inen nit zuhandlen«, »salus patriae bestehe fast allein uf den wafen«: Protokoll (wie Anm. 143), hier fol. 478f. – Schon ein Postscriptum zum kurpfälzischen Einladungsschreiben nach Rothenburg (1618, August 22, BA N. F., Bd. 1.1, Nr. 42 Anm. 2) hatte geurteilt: Der Kaiser steht unter dem Einfluß »hitziger leute« und der Jesuiten, ihr Rat geht dahin, die »gemeine evangelische gravamina uf einen streich zu boden zu legen«. 153 HStASt A90A tom. 22, fol. 1000–1002. 154 Protokoll des Rothenburger Unionstags (wie Anm. 143), hier fol. 493 (Camerarius); die Unierten an den Kaiser, 1618, Dezember 3, Kpt.kopie: HStASt A90A tom. 20, fol. 371–374; Protokoll interner Beratungen in Stuttgart am 14. Dezember 1618: ebda. tom. 39, fol. 579– 581. – »Gehe es Inen den papisten drinnen ab, so seye es Imreich auch bald geschehen«, »zubesorgen, da nit vorgebawt, und Gegentheyl obsiegten, daz weiter bei den Evangelischen tentirt werden möchte« usw. usf. Alle Rothenburger Votanten wußten, daß »Unirte in hechster gefahr seyen«, daß »große gefahr den Evangelischen vorhanden« o. ä. 155 Resolution Johann Friedrichs von Württemberg für einen kurpfälzischen Emissär, 1618, Dezember 15, Entw.: HStASt A90A tom. 21, fol. 73–76.

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»ursach, sich der sach mit allem ernst anzunemmen«.156 Inwiefern sie das dann tatsächlich tun wird: das muß diese wahrnehmungsgeschichtliche Studie nicht mehr analysieren.157 Doch ist vielleicht noch bemerkenswert, daß die skizzierten Deutungsmuster die Ausweitung der Prager Querelen zur habsburgischen Staatskrise überdauerten. Zwar wurden auch die anderen Dimensionen des in Böhmen aufgebrochenen Konflikts im Lauf der Zeit schärfer wahrgenommen; man machte sich klar, daß Habsburg schon aus reichsverfassungspolitischen Gründen und solchen der europäischen Hausräson niemals klein beigeben konnte, daß deshalb, so die evangelischen Ständeführer nicht rasch ausgeschaltet wurden, eine langjährige Auseinandersetzung drohte. Aber daß man eine solche Domestizierung der Widerständler dennoch nicht wünschte, lag an konfessionellen Sympathien, der weiterhin dominierenden religiösen Deu­tung des Geschehens. Der Diskurs an Unionstagen, aber auch in jenen Ratsgremien, über de­ren Debatten uns erhaltene Protokolle informieren, blieb konfessionell durchtränkt. Die Annahme, wir erhaschten als Leser solcher Protokolle unverstellte Blicke in die Gehirne und Herzen der damaligen Entscheidungsträger, wäre so naiv wie die modernen Beobachtern naheliegende Unterstellung propagandistischer Ab­sichten anachronistisch. Die an Unionstagen teilnahmen, schütteten dort nicht ihre Herzen aus, sie votierten im Rahmen der Diskurstradition eines konfessionell definierten, machtpolitisch und geostra­tegisch heterogenen Bündnisses, dessen gemeinsamer Nenner allen bewußt war; votierten indes nicht für eine breitere Öffentlichkeit, katholische Ohren oder die Nachwelt. Wer Den­ken und Fühlen der damaligen politischen Eliten kennenlernen will, muß sich durch solche mehr oder weniger mühselig lesbaren Protokolle kämpfen, noch näher an die Wahrneh­mungsmuster der damaligen Entscheidungsträger heranzurücken, ist dem Historiker nicht gegeben. 156 Abschied des Rothenburger Unionstags (wie Anm. 145). Zu den Resultaten des Unionstags gehört auch das Schreiben Friedrichs V., Joachim Ernsts von Ansbach, Johann Friedrichs von Württemberg, Georg Friedrichs von Baden und Christians von Anhalt an die böhmischen Stände vom 3. Oktober 1618 (Kopie: Hofkammerarchiv Wien Reichsakten 204, fol. 50f.): sollen »neben« fortgesetzter »verfassung und beschüzung des Landes« eine gütliche Lösung suchen; man wird Truppendurchmärsche zu ihnen »nach aller müglichkeit« unterbinden und stellt weitere Unterstützung in Aussicht, falls gütliche Versuche scheitern, demnach tatsächlich »undterdruckhung und vertilgung der Religion« drohen sollten. 157 Hier ist nur interessant, daß die Union den Winterkönig dann schon unterstützen wird. Sie tut es freilich mit abnehmender Entschiedenheit und mäßiger Geschlossenheit (um es sehr knapp zusammenzufassen) – das tief und ehrlich empfundene Mitgefühl mit den Glaubensgenossen in Böhmen war zu verrechnen mit oft geringen eigenen Mitteln, einer nicht selten exponierten geostrategischen Lage, mancher schreckte rebus sic stantibus auch davor zurück, den definitiven Bruch mit dem ideellen Oberhaupt des christlichen Abendlandes und dem obersten Lehnsherrn zu riskieren.

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Wer im Frühjahr oder Sommer 1619 – an Unionstagen, an einzelnen Unionshöfen – konfessionelle Aspekte an den Rand rückte, wurde belehrt, daß »dis pure ein Religions Weesen were«, »es were ein pur lautter Religions Sache«.158 Die Gegner trachteten danach, »Consilium Tridentinum zu effectuiren, religion friden ufzuheben«.159 Also waren alle Protestanten in Gefahr, mußten sie alle sich wehren: »Sey ein durchgeend werkh wider die Evangelische«160, es drohe die »ausrottung des hailig Evangelii«, der »universal ruin«.161 »Des gemeinen Evangelischen Wesens zeitliche wolfarth« hing nun »guten theyls, an der Böhmen prosperitet«.162 Wie wir schon in Flugschriften dieser Monate gesehen haben, gingen Deutschlands Protestanten davon aus, daß der böhmische Kriegsschauplatz für die Scharfmacher im anderen Lager ein Präludium war: Exerzierplatz, Probebühne, günstige Gelegenheit für vermeintlich billige Erfolgserlebnisse, die den sich anschließenden Hauptstoß erleichtern sollten. Der Gegner bekannte ja offen, daß es, »da man mit den Böhmen fertig[,] den Evangelischen [Reichs-] Ständen, sambt irer Kürchen und Schulen gelten werd«.163 Katholische Zeloten unter Anführung »der Jesuiten« hatten die Protestanten im Reich jahrzehntelang in wachsendem Ausmaß beschimpft, bedroht, drangsaliert, jetzt hatte man sich die armen Böhmischen zum dankbaren Opfer erkoren, um anschließend164 im Reich mit frischem Rückenwind weitermachen und die sogenannte Ket­zerei 158 Bericht des Obristen Fuchs an Ferdinand II. über Gespräche in Stuttgart, 1619, August 29, Or.: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien Böhmen 55, fol. 73–78. 159 Votum Nürnbergs am Heilbronner Unionstag im Sommer 1619, Protokoll: HStASt A90A tom. 22, fol. 683–775 (hier fol. 694). 160 Hofrat Andreas Lemblin bei Beratungen in Stuttgart am 28. Mai 1619, Protokoll: ebda. tom. 39, fol. 638–643. 161 Die Unierten an den König von Dänemark, 1619, Juli 4, Kpt.kopie: ebda. tom. 22, fol. 341– 343. Also handelte es sich bei gewissen Hilfsmaßnahmen für die Widerständler um ein »gemeines Evangelisches ReligionsWerckh«: Abschied des Nürnberger Unionstags, 1619, Dezember 10, Or.: ebda. tom. 24, fol. 513–518. 162 Württembergisches Rätegutachten, 1619, August 27: ebda. tom. 22, fol. 1000–1002. Die Hofräte ergänzten: die böhmischen Widerständler haben nur geringe Siegchancen; daß sich die Holländer gegen Habsburg behaupteten, liege an der »opportunitet und Situation der Landen, zuesambt der statlichen mercantiae«. 163 Württembergisches »Memorial loco Bedenkens« für den Nürnberger Unionstag, s. d. [Spätherbst 1619], ebda. tom. 24, fol. 59–77. Am Nürnberger Konvent erklärte der Stuttgarter Vizekanzler Sebastian Faber: Es sei ja »nit zu zweyflen«, daß Ferdinand, wenn er »in Böhmen fertig« sei, unverzüglich »an die Stifft und Clöster [der evangelischen Reichsstände] auch gehen« werde: Protokoll, ebda., fol. 771–911 (hier fol. 787). Die Ulmer Gesandten resümierten: verschiedene fürstliche Votanten sprachen für »viam facti«, denn »wann die Gegentheil in böhmen glüekh haben sollten, solches auch dene Evangelischen [im Reich] gelten würde« (Relation aus Nürnberg, 1619, November 13: Stadtarchiv Ulm A1343, Nr. 4400y). 164 Oder, da sie nun schon einmal aufgerüstet hatten, sogar zeitgleich? Wer konnte sicher sein, daß die Katholischen nicht »ihre Consilia mutiren, das bletlin umbwenden und was sie mit uns ufs letzt zu sparen furgehabt, zu erst ins Werkh« richten würden? So schwarz malt ein

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ausrotten zu können: Das war das an den Unionshöfen gängige Bedrohungsszenario.165 4.3.2 Die böhmische Königswahl in evangelischer Wahrnehmung Als der Kurfürst von der Pfalz zum neuen Böhmenkönig avancierte, gaben sich die Heidelberger so überrascht, wie die anderen sein sollten. Am Rothenburger Unionstag im September 1619 erklärte Ludwig Camerarius, sein Herr könne »wohl bezeugen«, daß er wegen der Königskrone »nie« mit den böhmischen Ständen »tractirt, auch nach höheren digniteten nie gestrebt« habe.166 Ein englischer Diplomat berichtete nach Hause, Friedrich habe ihm gegenüber »protested, with very much and credible zeale and fervor, that no levity, nor ambition, but only a desire to be an instrument of God’s glory, had embarked him«.167 Noch im Herbst 1620 machte der Herzog von Württemberg dem englischen Gesandten Henry Wotton weis, die Wahl habe Friedrich verwirrt und bestürzt, doch habe ihn dann die Sorge umgetrieben, daß eine Ablehnung der Offerte die deshalb verzweifelten Böhmischen den Türken in die Arme triebe.168 Mit

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Gutachten der württembergischen Hofräte Bouwinghausen und Lemblin, 1619, Juni 5: HStASt A90A tom. 22, fol. 259–262. Ein damit zusammenhängendes, weit verbreitetes Interpretationsmuster kann ich hier nur andeuten. In den Jahren 1614 bis 1616 waren an den katholischen rheinischen Kurhöfen einige Gutachten ausgebrütet worden, die der Hofburg anempfahlen, die katholische Auffassung von Reich, Recht und Gesetz mit Waffengewalt und spanischer Truppenhilfe zu exekutieren. ›Überbringer‹ eines solchen Gutachtens in Wien war der Innsbrucker Erzherzog Maximilian, und dieses Gutachten (nicht die anderen, auf die ich in den Archiven stieß) wurde durch eine Indiskretion, die ich nicht aufklären konnte, 1616 als »Armierungsplan Erzherzog Maximilians« im evangelischen Deutschland bekannt. Die Bestürzung war groß, übrigens sogar am katholischen Hof in München, aber erst recht an den Unionshöfen. Das evangelische Deutschland interpretierte fortan vieles vor diesem Hintergrund, so auch die böhmischen Ereignisse. Das in der vorletzten Anm. genannte »Memorial« für den Nürnberger Unionstag fährt nach der zitierten Stelle so fort: Der Gegner hat sich erkennbar »nach Inhalt Ertzhertzogs Maximiliani Bedenkhen« verhalten. Ein kurpfälzisches Gutachten resümierte im März 1619 so: Es ist ganz offensichtlich, daß dem Armierungsplan Maximilians »in allen Puncten durchauß bißhero nachgegangen« worden ist »und dadurch ... zu dieser Böhmischen Empörung und erfolgtem offenen Krieg Anlaß gegeben worden«. Vgl. zu den Armierungsgutachten der rheinischen Erzbischöfe Axel Gotthard, »Als furnembsten gliedern des Heiligen Reichs«. Überlegungen zur Rolle der rheinischen Kurfürstengruppe in der Reichspolitik des 16. Jahrhunderts, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 59 (1995), S. 76–78 sowie ergänzend (neue Archivfunde) ders., Konfessionskrieg, S. 162–164. Protokoll, HStASt A90A tom. 25, fol. 294–341 (hier fol. 295). Lord Doncaster an Sir Robert Naunton, 1619, Oktober 7: Gardiner, Letters, Nr. 28. Vgl. Wotton an König Jakob, 1620, August 18: Logan Pearsall Smith (Hg.), Life and Letters of Sir Henry Wotton, Bd. 2, Oxford 1907, Nr. 329.

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anderen Worten: Über die diplomatischen Ränke, die der Wahl Friedrichs V. zum Böhmenkönig vorausgegan­gen waren, wußte man an den meisten Unionshöfen nichts. Wie interpretierten sie die deshalb überraschende Nachricht? Zunächst als Fügung Gottes: die Wahl sei »aus Gottes schikung beschehen«169, »Gottes will«, »rüre von Gott her«, der seiner verzweifelten Herde diese »occa­sion  ... praesentire«170, sei eine »schickhung des Almechtigen«171. Stimmen, die das bezwei­felten, waren zunächst selten, auch sie bedienten sich religiöser Argumentationsmuster. So warnte der württembergische Hofrat Veit Breitschwert, es sei nicht gottgefällig, sich gegen die »höchste oberkheit« zu stellen, den Kaiser herauszufordern, wie das ausgehe, zeige der Schmalkaldische Krieg, der um die »beschirmung des hailigen wort Gottes« geführt – aber eben doch verloren worden sei.172 Die Straßburger erklärten am Rothenburger Unionstag im September 1619, sie hätten die Nachricht von der Wahl einerseits mit Freude vernommen, sprächen doch viele Indizien dafür, daß »der Almechtige laß sichs gefallen«; andererseits habe man es in Böhmen eben mit dem Kaiser zu tun, »von dem sich nit abzusondern«. Sie könnten sich nicht entscheiden, »stehe in Gottes hand obs gemeint uns zu strafen oder zuhelffen«.173 Unverhoffte Chancen oder schwindelerregende Gefahren? Bald würde man hin- und hergeris­sen sein, aber im ersten Überschwang dominierten die Hoffnungen. War die über Böhmen hereingebrochene »schikung« nicht auch ein Wink für die Rechtgläubigen außerhalb dieses Königreichs, mußten nicht auch diese den Fingerzeig beachten, die Chance beim Schopfe packen? Die unverhoffte Königswahl, so heißt es in einer württembergischen Ausarbeitung vom 7. September 1619, sei »negst Gott das eintzig mittel ... dardurch mann zu erledigung der so lang geklagten gravaminum dermaln einest khommen, und der papisten maister werden khöndte«. 174 Freilich beherrschte salbungsvolle religiöse Rhetorik nicht allein das Feld, man machte sich auch mit ermüdender Gründlichkeit daran, die Rechtmäßigkeit der Königswahl zu analysieren – wir werden wieder einmal mit jener Melange aus Pathos und Kalkül, aus großen Leidenschaften und kleinlicher Juristerei konfrontiert, die Akten des Konfessionellen Zeitalters in besonderer Weise auszeichnet und bei der ers169 Stuttgarter Beratungsprotokoll vom 1. September 1619, HStASt A90A tom. 39, fol. 635f. (Votum Sebastian Fabers). 170 Ich zitiere aus den Eröffnungsvorträgen am Rothenburger Unionstag: Protokoll (wie Anm. 166). 171 Johann Friedrich von Württemberg an Friedrich von der Pfalz, 1619, September 1, Entw.: HStASt A90A tom. 23, fol. 15f. 172 Gutachten Breitschwerts, 1619, September 7: ebda. tom. 25, fol. 85–92. 173 Protokoll des Rothenburger Unionstags (wie Anm. 166), hier fol. 314–316. 174 Württembergisches Rätegutachten, 1619, September 7: HStASt A90A tom. 25, fol. 73–84.

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ten Annäherung an diese Epoche abstößt. Man beurteilte die Frage nach der Rechtmäßigkeit der »acquisitio« tendenziell nega­tiv, im soeben erwähnten wie in vergleichbaren Gutachten. Nun war ein »bonus et legitimus titulus« freilich wichtig, da ansonsten eine »invasio ho­stilis« vorlag, »dabey weder Gottes seeg noch gluekh zugewartten«175, wie es in bezeichnen­der Verschränkung der völkerrechtlichen mit der theologischen Argumentationsebene heißt. Und war es nicht »allen regenten sehr gefehrlich«, daß da ein König einfach für abgesetzt erklärt worden war? Sollte man Friedrich, dem Unionsdirektor, demnach zur Ablehnung raten? Das ging den meisten Rothenburger Votanten »wüder Ihr Gewissen, wüder vatterland«.176 Das am Unionstag beratene, insofern gleichsam offizielle Gutachten177 der Mitunierten für ihren zum Böhmenkönig aufgestiegenen Direktor urteilt, er habe die Krone aus verschiedenen Gründen nicht »secundum statuta et leges Regni« erworben, auch drohe, so er sie annehme, ein langwieriger Krieg in Europa – doch gipfelt das Memorandum in der schwer widerlegbaren, weil weltli­chem Räsonnement weitgehend entzogenen Überzeugung, daß die Wahl unter »direction des almechtigen« zustandegekommen sei, eine Fügung Gottes war, »der auch damit ohn zweifel ein mehrers vorhaben mechte«.178 Daß es sich um himmlische Schickung handle, werde ja schon daran deutlich, daß Friedrich den Titel niemals »gesucht noch darumb wissenschaft gehabt« habe. Was so plötzlich über die Herde der Rechtgläubigen hereinbrach, mußte von oben kommen. War sie nicht zudem in größter Bedrängnis, mithin solcher Rettung bedürftig? Im Reich wurde zuletzt alles immer nur schlimmer, die böhmischen Vorgänge waren »nechst Gott« die einzige Chance auf eine Besserung auch hier. Das Gutachten »laute fast mehr affirmative als negative«, kommentierten die Straßburger zu Recht.179 Wir können zusammen­fassen: Die meisten Unionspolitiker deuteten die böhmische Königswahl zunächst als himmli­sche Fügung, der sie ihre irdische Mitwirkung nicht ohne weiteres versagen konnten. Daß man von Heidelberg aus dieser ›Schickung‹ etwas nachgeholfen hatte, wußten sie nicht, 175 Ebda. 176 Um es mit einem durlachischen Votum in Rothenburg zu sagen: Protokoll (wie Anm. 166), hier fol. 306–310. 177 Zum Folgenden: »Concept der unirten ... Churf. Pfaltz uff begeren übergeben«, 1619, September 18: HStASt A90A tom. 23, fol. 107–119. Die Denkschrift listet an sich (zeitüblich) nacheinander die Pro- und Contraargumente auf, wie immer kommt es auf deren Umfang und Gewichtung an. 178 Anspielung auf ein bald evangelisches Kaisertum? Das Gutachten weist darauf hin, daß die Wahl eine Schickung dessen sei, »cuius est transferre imperia«. 179 Protokoll (wie Anm. 166), hier fol. 321; ebda. mehrere ähnliche Bemerkungen. Der Eindruck eines nur wenig verschleierten Pro-Plädoyers wird dadurch verstärkt, daß das Gutachten für den Fall, daß Friedrich die Krone annehmen sollte, schon einmal ganz konkrete Ratschläge für ihre Behauptung erteilt.

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und daß es dann doch herauskam, gehört schon in die Verfallsgeschichte der evangelischen Union.180 Zu analysieren, wie Pamphlete und Traktate jeglichen Niveaus die Wahl Friedrichs beurteilten, würde ein Buch füllen181, denn die 1618 noch gleichsam tröpfelnden Fabrikation von um den Fenstersturz kreisenden Druckwerken schwoll nun zur publizistischen Flut an. Daß die propfälzische Pamphetistik von 1619/20 Friedrich zur biblisch präfigurierten Heilsgestalt stilisierte, sahen wir bereits.182 Wenigstens streifen will ich noch eine interessante Schrift, die nach Böhmen wie ins Reich wirken wollte und überdurchschnittlich komplexe Wirkungs­strategien verfolgte, dabei Lyrik, (im doppelten Wortsinn) prosaischen Bericht und salbungsvolles Gebet aneinandermontierte. Autor ist »Johann Huss redivivus« 183. Ihm hat »in diesen letzten Zeiten, do der Teuffel vnd sein werck mit wunderlistigen betrieglich­keiten allenthalben an vns Menschen setzen« will, die Not der bedrängten kleinen Schar der Rechtgläubigen die Totenruhe geraubt: »Ich hab gehört in meinem Grab/ Wie es zugeh zu Clostergrab./ Drumb ich auch kommen bin nach Prag/ Damit ich recht erführ die sach ...« Natürlich bleibt »Huss« nicht auf Beobachtungsposten, er wird der bedrängten Herde beispringen: »Ists sach, daß sich die Brüder [nämlich die Jesuiten, die hinter allen Bedrückungen stecken] stelln/ Zur gegenwehr mit jhren Geselln/ Will ich nechst wider bey dir sein/ Mit Zischka dem Feldhauptman mein./ Will dir auch helffen wider die Feind/ Ob gleich derselben viel 1000. seindt.« Das Ringen wird in eine heilsgeschichtliche Perspektive gerückt, und wer solchen, von Gott gesandten Beistand hat, darf zuversichtlich auf den Sieg hoffen. Zu verlie­ren hat er ohnehin nichts: »Kriegstu vielleicht, vnd siegest nicht/ Murr nicht, denn Gott den handel richt/ 180 Vgl. hierzu in der ereignisgeschichtlichen Abfolge Gotthard, Konfession und Staatsräson, Kapitel 7. Ich versuche im vorliegenden Kapitel allererste Reaktionen, ›fast spontane‹ Deutungsmuster hinsichtlich des Fenstersturzes, dann der Königswahl vorzustellen, nicht »die Haltung der Union zum böhmischen Aufstand« über die Jahre hinweg zu analysieren. Das leistet ebda. Kapitel 6, mit der weiteren Literatur. Holzschnittartig miteinander konfrontiert, ging es meiner damaligen Monographie um die Politik des sich zumeist Württemberg anlagernden lutherischen Mehrheitsflügels der Union, geht es dem vorliegenden Kapitel hingegen um dieser Politik zugrundeliegende Wahrnehmungsraster. Jetzt fokussiere ich die Deutung des Zeitgeschehens, meiner Monographie ging es um Versuche der aktiven Einwirkung auf dieses Geschehen. 181 Was Gebauer, Publicistik, S. 23–52 an Titeln und (kaum analytisch zu nennenden) Inhaltsangaben aneinanderreiht, ist nicht annähernd erschöpfend. Auch die Schrift, die ich gleich streifen werde, wird von Gebauer nicht erwähnt. 182 Vgl. oben S. 143. 183 Siehe oben S. 70 Anm. 172. Zum Folgenden: »Johann Huss redivivus, Martyr Constantiensis Constantissimus«, Böhmisch Freudenfest, welches Die Göttliche Mayestät, den Böhmen zu celebriren vnnd zu halten, Zeit vnd Mittel verordnet vnd gegeben hat ..., Prag o. J. [Herbst 1619].

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Kriegstu, vnd siegest, schreibs nicht zu dir/ Wiß daß aller Sieg Gott gebür.« »GOtt führet in die Höll, aber er führet wider herauß«. Wer zu den Waffen griff, konnte gar nicht falsch handeln, nur Nichtstun war schändlich. Selbstverständlich unterstützt Hus redivivus – um endlich auf den Winterkönig zu sprechen zu kommen – auch und besonders Friedrich: »Ich aber Joannes Huss, Costnitzer Märterer, nach dem ich in meiner Zweyhundert-Jährigen ruh solche neue Zeitung«, nämlich von Fried­richs Wahl, »gehört hab, hab ich mich alsbalden höchlich erfreuet, die beschwerliche Erden184 von meinen Cörper abgeschüttelt, mich gesalbet, vnd wie ein breutigam heraußstaffiert185, auch meine alte getreue Religionisten vnd Christliche Soldaten zu mir unverzüglich beruffen, mit der Alten Fahn beleget ... vnd solches zu sonderlicher anbietung getreuer vnd Patrioti­scher dienst vnserm dem neu erwehlten König in Böhmen.« Biblische, spätmittelalterliche und Jetztzeit schieben sich ineinander, Friedrich wird zur biblisch präfigurierten Heilsgestalt stilisiert, er ist der »König, zu welchen Jesus Christus der König aller König gesagt hat: Ich will für dir hergehen, vnd die Höcker eben machen ... vnd will dir geben die Himmlische Schätz vnd die verborgene Kleinot, auff daß du erkennest, daß Ich der HErr der Gott Israel dich bey deinen Namen geruffen hab.«186 Die Wahl Friedrichs war eben nicht etwa die Frucht jah­relanger Geheimdiplomatie, sondern Schickung Gottes187, und um das zu unterstreichen, wird (hier und in vergleichbaren Schriften188) ausgemalt, 184 Daß die sich noch nicht lang gesetzt haben konnte, da Hus redivivus ja nach Ausweis anderer Passagen des Büchleins schon die Abrißaktion von Klostergrab zur Wiederauferstehung animiert hatte, stört nur den pedantischen Historiker. 185 Was soll diese Aussage evozieren? Bekanntlich wird im Alten Testament das Verhältnis zwischen Jahwe und dem Volk Israel bisweilen ins Bild der Ehe gefaßt. Soll Friedrich von der Pfalz demnach zur gottähnlichen (!) Erlösergestalt hochstilisiert werden? Aber Bräutigam ist ja Hus redivivus. Jedenfalls sind die böhmischen Widerständler, zu denen der wiedergeborene Glaubensheld gesandt wird, wie einst die Israeliten Gottes »auserwähltes Volk«. 186 Neben solch salbungsvoller Rhetorik nimmt sich der Hinweis, daß Friedrich eine prominente Ehefrau, nämlich die Tochter des englischen Königs, vorzuweisen habe, merkwürdig aus: die (natürlich hier nicht explizierte) Hoffnung der Böhmischen auf englische Truppenhilfe! 187 In einer gebetsartigen Passage heißt es denn auch: »Nun wolan ... lasset vns vnsern neu erwehlten König der vns von oben geschickt wird, mit aller freudigkeit ... annemen«. An anderer Stelle bejubelt Hus redivivus dankbar, »daß du«, Friedrich, »dir von meinen lieben Landsleuten vermittelst Göttlicher versehung, auffgetragner Wahl, gnädigst hast annemen wollen« (Kursivsetzungen von mir). 188 Die Heidelberger selbst stellten den Sachverhalt von Anfang an so dar, in Briefen, diplomatischen Gesprächen, publizistischen Auftragswerken. Auch »Vnser Friderichs Von Gottes Gnaden Königs in Böheim ... Offen Außschreiben« stellt ganz auf das Muster »zunächst harmlose Ahnungslosigkeit – dann Ergriffensein von Gottes Ruf« ab. Friedrich habe seine Wahl nicht aktiv betrieben, nein, ihm sei ja »damals von den hernach gefolgten dingen gar nichts bewust gewest«; nein, er habe »bey dem gantzen Haubtwerck Gottes Wunderbarliche

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wie da ein gänzlich ahnungslos Erwählter ob dem völlig unvermuteten Geschick zunächst zagt und zögert, um sich seiner Sendung dann doch mutig zu stellen, sich pflichtschuldig unter das Joch zu beugen, »dann das bonum publi­cum freylich mehrers, als das privatum zu respectiren« ist. Die Mission des biblisch präfigu­ rierten Retters ist klar vorgezeichnet: Er wird den »Mayestätbrieff handhaben, für den Auf­wiglern189 defendiren, damit dem heiligen Geist sein lauff gelassen werde«. 4.3.3 Katholische Beobachter Auch die ersten Einschätzungen an den katholischen Residenzen des Reiches können überraschen, scheinen sie doch die historische Dimension verschiedener damals gerade aktueller Probleme in uns befremdender Weise zu verzeichnen. Zwar hatten katholische Politiker für die böhmischen Querelen trotz der Aufregung über die Mili­täraktion von Udenheim früh mehr als einen Seitenblick übrig, aber aus einem für uns Heutige absurd anmutenden Grund: weil sie nämlich ein vom Reichsboden aus gesteuertes Manöver sahen, das die baldige Veranstaltung eines wählenden Kurfürstentags verhindern, das zerrüt­tete Reich den zusätzlichen Instabilitäten eines Interregnums aussetzen sollte. Man bezog die böhmischen Unruhen von Anfang an auf die Krise des konfessionell polarisierten Reichsverbands, witterte dort den Ursprung, fürchtete die eskalationsfördernden Rückwirkun­gen dorthin, während das Königreich selbst wenig interessiert hat – soweit die großen Linien. Aber der Reihe nach! Auch in katholischen Korrespondenzen des Sommers 1618 sind die böhmischen Querelen eines von verschiedenen Themen, ein Quell möglicher Verwicklungen neben anderen. Man blickte nach Oberitalien, an den Niederrhein, nicht zuletzt nach Uden­heim, blickte aber auch nach Prag, alles in allem konzentrierter als an den meisten Unionshö­fen. Als die Auhausener noch ganz mit der Nachbereitung der Udenheimer Abrißaktion be­schäftigt waren, konnte der bayerische Hofrat Jocher schon monieren, daß die Demolition verantwortungslos terminiert sei, da doch »iederman das aug auf beheimb wirft«.190 Er sah also in der Zuspitzung des Streits um die Udenheimer Fortifikationen eine die eigentlich bri­sante, nämlich die böhmische Krise verschlimmernde zusätzliche Querele, nicht umgekehrt. Schon in der zweiten Junihälfte befürchtete man an den maßgeblichen katholischen Höfen »hochgefehrliche weiterungen ..., vorsehung vnnd starcke Hand spüren müssen, Darumb Wir auch seinen Göttlichen Willen vnnd beruff keines weges widerstreben können noch sollen«: ebda., S. 15 bzw. S. 17. 189 Die Jesuiten und ihre politischen Handlanger, nicht die Defensoren sind in solchen Pamphleten die Gesetzesbrecher – wir kennen diese Argumentationsfigur schon. 190 Wilhelm Jocher an Ludwig Camerarius, 1618, Juli 3, BA N. F., Bd. 1.1, Nr. 27.

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welche das Heil. Römische Reich unser geliebtes vatter­landt woll mit begreiffen möchten«191, schon im Juli konnte man lamentieren, daß »das pöhmische wesen einem billich den übrigen schlaff brechen solle«.192 Auch Maximilian von Bayern, der sich so lang von Habsburg bitten lassen wird193, ehe er zu seinen Bedingungen beispringt, hat den Prager Ereignissen früh Gewicht beigemessen.194 Die Hintermänner vermutete man im Reich. Zweifelsohne steckten jene unruhigen, insbeson­dere calvinistischen Fürsten und Hofräte dahinter, die sich schon lang der von der katholi­schen Reichstagsmehrheit verfochtenen Auffassung von Reich, Recht und Gesetz, der katho­lischen Lesart des Religionsfriedens von 1555 verweigerten und lieber die Blockade der Reichsorgane hinnahmen als daß sie dort immer wieder überstimmt wurden. Man unter­stellte den mutmaßlichen Drahtziehern zunächst, im Sommer 1618, auch gar nicht so sehr spezifisch böhmische Ziele, sondern daß sie einen wählenden Kurfürstentag verhindern woll­ten. Weil die geschriebenen und ungeschriebenen Regularien des frühneuzeitlichen Königs­wahlrechts heutzutage wenig bekannt sind, ist es gar nicht so leicht, im raschen Zugriff zu erklären, was Unruhen im Böhmischen für damalige Beobachter mit der Wahl eines Nachfol­gers für den verbrauchten Kaiser Matthias zu tun haben konnten. In diesem Rahmen müssen vier knappe Hinweise genügen. Zunächst einmal: Der damals an nichtwählenden Kurfürstentagen unbeteiligte Böhmenkönig mußte bei der Römischen Wahl schon seine 191 So formulierte es Ferdinand von Köln: an Johann Georg von Sachsen, 1618, Juni 17, ebda., Nr. 22. Vgl. beispielsweise noch Johann Schweikhard von Mainz an Ferdinand von Köln, 1618, Juni 25: ebda. Anm. 1. 192 Ferdinand von Köln an Maximilian von Bayern, 1618, Juli 1: ebda., Nr. 25. Es ist »allen ... catholischen stenden insgesambt wol von nöten, uf dises unwesen ein gut wachend aug zu haben«: Johann Gottfried von Bamberg und Würzburg an den Bayernherzog, 1618, Juli 4, ebda., Nr. 29 Anm. 1. 193 Das Warum ist hier nicht zu analysieren, vgl. zuletzt Andreas Edel, Auf dem Weg in den Krieg. Zur Vorgeschichte der Intervention Herzog Maximilians I. von Bayern in Österreich und Böhmen 1620, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 65 (2002), S. 174ff., zusammenfassend ebda., S. 242f. Die tiefschürfende Studie zur bayerischen Politik vornehmlich zwischen dem Sommer 1619 und dem Sommer 1620 ist sehr lesenswert, ich teile nur eine Einschätzung des Autors nicht: daß nämlich »die sich bereits seit einigen Jahren abzeichnende Entspannung im Verhältnis zwischen beiden Konfessionsparteien im Reich« (ebda., S. 243) im Jahr 1619 rasch, geradezu abrupt Mißtrauen und Kriegshysterie gewichen sei. – Man muß, um Maximilians wohlkalkuliertes Zögern zu verstehen, die Geschichte der Liga seit 1613 im Auge haben, die dem Bayernherzog viel Verdruß bereitet hatte; vgl. zu diesen Zusammenhängen Gotthard, Union und Liga, S. 100–103. 194 Vgl. beispielsweise Maximilian an Kurfürst Johann Schweikhard, 1618, Juni 25: wer die böhmischen Unruhen für »nit so gar gefehrlich« hält, ist naiv (BA N. F., Bd. 1.1, Nr. 23); oder Maximilian an Fürstbischof Johann Gottfried, 1618, Juli 12: »Auf das böhemische wesen ist wol acht zu geben ... damit dis unwesen nit auch anderer orten ausbreche« (ebda., Nr. 29). Der Grund für diese Einschätzung (knapp zusammengefaßt: es geht gegen den Katholizismus überhaupt, nicht nur den böhmischen) muß uns gleich noch näher interessieren.

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Stimme abgeben. Sodann gefährdete es das von den Kurfürsten stets angestrengt hochgehaltene Postulat einer »freyen wahl«, wenn Kürende unter Druck standen, wenn auch nur der leiseste Zweifel an der vollen Handlungsfreiheit aller Wähler bestand. Zu den ungeschriebenen Regularien gehörte, drittens, seit den 1530er Jahren der Konsens aller Königswähler zur Veranstaltung einer vivente-Imperatore-Wahl, der Mainzer konnte also nicht einfach zu ihr zitieren. Viertens müssen wir wissen, daß die rheinischen Erzbischöfe damals schon seit geraumer Zeit eine zügige Kür wünschten, indes keinen kollegialen Konsens hierfür herzustellen ver­ mochten. Angesichts heftiger Turbulenzen in einem der Kurländer war auf einen solchen nun erst recht nicht mehr zu hoffen, die Heidelberger gewannen neue Gründe für ihre Ablehnung, den zuletzt wankenden Dresdnern und Berlinern mußten neue Zweifel an der Klugheit einer Zustimmung kommen.195 Die die böhmischen Tumulte schürten, zielten auf diese komplizierte Situation im Reichsver­band: so die ersten Mutmaßungen der katholischen Höfe. Diese unpatriotischen Kräfte woll­ten nicht so sehr Böhmen denn das Reich destabilisieren, wollten es verantwortungslos den Unwägbarkeiten eines baldigen Interregnums aussetzen, das sie dann für konfessionspoliti­sche Zwecke auszubeuten gedächten196: »Dan weil sie ungezweivelt alle ire consilia und an­stellungen zu fortpflanzung irer religion, fernerer recuperation der geistlichen guetern und, was darvon verfölglich mehr dependirt, hinrichten, und dan inen nicht unbewust, daß berürte ire intention durch zutragende unruhe und spaltungen allezeit starke incrementa genommen, so ist leichtsamb zu ermessen, daß sie das interregnum lieber sehen und der ungelegenheiten, so sich darbei leichtlich zutragen könten, erwarten wollen, als daß durch zeitige fürsehung der succession die occasiones 195 Das alles kann ich hier nur andeuten. Vgl. zu den geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln des ›Kurfürstenrechts‹ Gotthard, Säulen des Reiches – zu Kollegialtagen insbesondere Bd. 1, Kapitel II; zum Wahlrecht insbesondere Bd. 2, Kapitel III; speziell zum diffizilen Hin und Her unter Matthias Bd. 2, S. 636–640. 196 Erneut kann ich die Kontexte nur andeuten: Ein Interregnum galt den meisten Königswählern des 16. und 17. Jahrhunderts, wiewohl das gar keine neuzeitlichen Erfahrungen erhärteten, als äußerst destabilisierend, als potentielle Reichskrise, nur sehr triftige Gründe konnten dieses Risiko rechtfertigen. Hingegen etablierte sich schon seit den 1560er Jahren eine spezifisch heidelbergische Politiktradition, die Interregna aus konfessionspolitischen Gründen geradezu ansteuerte. Amtierte gerade kein (gewohnheitsmäßig habsburgischer, also katholischer!) Kaiser, ließen sich vielleicht rasch, ehe das neue Reichsoberhaupt gewählt war, einige evangelische Forderungen an die Reichspolitik durchdrücken – eine aus heutiger Warte allzu euphorische Einschätzung, die aber doch bezeichnend ist: Man war eben in Heidelberg (und an einigen anderen evangelischen Höfen) so unzufrieden mit dem Status quo, daß man dort die (vermeintliche) Krise als Chance sah, als Hebel, um die eingefahrenen Muster des politischen Systems aufbrechen zu können. – Es muß hier all das in verkürzender Zuspitzung stehen, vgl. zur Perrhorreszierung des Interregnums im Kurkolleg ausführlicher Gotthard, Säulen des Reiches, Bd. 2, S. 593ff.; zur heidelbergischen Sicht auf die Reichspolitik Gotthard, Wer sich salviren könd, S. 64–96 passim.

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solcher irerseits verhoffter unruhe und widerwertigkeiten abge­schnitten werden sollen«.197 Noch im Oktober 1618 war sich der Erkzanzler sicher, daß der »aus ungezweifeltem antreib des leidigen satans« angefachte Aufruhr in Böhmen einen Wahltag vereiteln sollte, »daß dis unwesen ainzig und allein darumb von etlichen ... ange­fangen« worden sei, weil man »das hochnotwendige successionswerk« torpedieren wolle.198 Die katholischen Reichsfürsten bezogen das böhmische Geschehen also von Anfang an aufs politische System des Reiches, weil sie den vermeintlichen Drahtziehern unterstellten, daß sie auf dieses abzielten, und dabei blieb es – auch, nachdem die zunächst peinigende Schreckensvi­sion »Interregnum« von der seit dem Herbst 1618 alle plagenden Horrorvorstellung einer »Komposition« abgelöst worden war. Das damals geläufige und häufige Schlagwort199 hat nichts mit Tonkunst zu tun, stand in evangelischer Warte für eine systemstabilisierende Modifikation der Reichs­verfassung, aus katholischer Sicht für ein besonders dreistes, systemsprengendes neugläubiges Gravamen. Es auf engem Raum griffig zu erklären, ist nicht viel leichter als im Fall der soeben angesprochenen Königswahl. Weil die Reichsverfassung die katholische Seite strukturell bevorteilte und jener Grundkonsens über die Spielregeln nicht mehr vorhanden war, der einem mechanischen Stimmenzählen, beispielsweise am Reichstag, erst Plausibilität verleihen konnte, forderte die Union von Auhausen seit 1610 die Abarbeitung der das Reich spaltenden konfessionsspezifischen Gravaminakataloge im kleinen Kreis ausgleichsbereiter Kräfte ohne Abstimmung und Majorisierung. Was wir heute einen »runden Tisch« nennen würden, firmierte damals als »composition tag«. Die Union hatte einige Jahre lang große Hoffnungen in ihn gesetzt, forderte ihn aber in den allerletzten Vorkriegsjahren nur noch aus Prinzip und Traditionsfestigkeit – wußte man da doch längst, daß die Gegenseite nie und nimmer bereit war, die sie favorisierenden herkömmlichen Spielregeln der Reichspolitik preiszugeben. Für alle Ligahöfe war die Idee des Kompositionstags ein frecher Anschlag auf die Reichsverfas­sung. Die Protestanten hatten sich mit ihren grundverkehrten Ansichten vom Religionsfrieden gefälligst dem Richterspruch des Reichshofrats sowie der katholischen Mehrheit am Reichs­tag zu stellen: Das war spätestens seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert ein Grundkonsens im wieder selbstbewußter auftretenden deutschen Katholizismus. 197 Ferdinand von Köln an Maximilian von Bayern, 1618, Juni 10, BA N. F., Bd. 1.1, Nr. 20 (Kursivsetzungen von mir). Maximilian stimmte dieser Sichtweise ausdrücklich zu. Sie war zunächst sehr bestimmend, trat dann seit dem Herbst 1618 sukzessive hinter anderen Interpretationsmustern zurück. 198 Johann Schweikhard von Mainz an den Kaiser, 1618, Oktober 21: ebda., Nr. 50 Anm. 1 (Kursivsetzung von mir). 199 Vgl. oben Anm. 5.

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War nicht allzu durchsichtig, daß die Drahtzieher, deren Marionetten in Prag zwei habsburgische Statthalter in den Burggraben purzeln ließen, dieses katholische Selbstbewußtsein treffen, so vor allem, weit über den östlichen Reichssaum hinausgreifend, die weitere Ent­wicklung der deutschen Auseinandersetzungen um kirchliche Besitzstände und Seelen präju­dizieren wollten? Der Verdacht wird seit dem Herbst 1618 häufig geäußert. Beispielsweise betonte Maximilian von Bayern, schon »wegen des praeiudicii zu der composition im reich« müsse man das böhmische Geschehen aufmerksam beobachten200, und der Habsburger Ferdinand warnte: »tue man sich bei dieser occasion geben und den kaiser verlassen, werde die reichscomposition noch viel weniger verhietet werden können«.201 Nachgiebigkeit im Osten provozierte Terrainverluste an der ganzen konfessionspolitischen Front. Gab man in Böhmen nach, konnte der gewohnheitsmäßig gegen die Gravamina der evangelischen Reichsstände vorgebrachte Einwand, »daß es eine gewissens sach, daß mans nit einwilligen könne, eußerlich nit mehr so stark hafften, weil man das widerspiel in Böhmen praktiziert«.202 Jede Verhandlungslösung in Böhmen drohte »leichtlich zu einer consequenz im h[eiligen] reich und preiuditio ... gezogen« zu werden.203 Konfessionspolitische Zugeständnisse dort würden konfessionspolitischen Forderungen hier, im Reich, Auftrieb geben, die evangeli­schen Fürsten würden noch frecher204: das war seit dem Herbst 1618 die an den katholischen Residenzen maßgebliche Sorge. Die von der Hofburg vorgezeichnete Interpretationslinie »re­bellion«, der Wiener Appell an die aristokratische Standessolidarität: sie fanden nur geringe Reso­ nanz.205 Nein, es ging nicht gegen die Monarchie, ging gegen den alten Glauben. Deutschlands katholische Fürsten schreckten nicht irgendwelche böhmische Landadelige, schreckte die Aussicht auf neue weitreichende Gravamina ihrer 200 Instruktion für einen Gesandten zu den geistlichen Kurfürsten, 1618, Dezember 16, BA N. F., Bd. 1.1, Nr. 60. 201 Bericht des bayerischen Hofkanzlers Johann Georg Brugglacher über Gespräche mit Ferdinand in Wien: ebda., Nr. 46 Anm. 1; andererseits verwahrte sich Ferdinand gegen den (demnach gesprächsweise offensichtlich erhobenen!) Vorwurf, Habsburg habe schon durch den Majestätsbrief »ein praeiudicium zur reichscomposition gemacht«. 202 Wie Anm. 200. 203 Maximilian von Bayern an Johann Schweikhard von Mainz, 1618, Oktober 1, BA N. F., Bd. 1.1, Nr. 43. 204 Was ich hier salopp und neudeutsch formuliere, steht sinngemäß in vielen Schreiben, beispielsweise so: »werde den calvinisten der muet wachsen und im reich eben also nötten, wie jezund in Beheimb beschicht« (wie Anm. 201). 205 Schon eines der deutlichsten Gegenbeispiele ist dieses: Die böhmischen Vorgänge sind »den katholischen, ja insgemein allen oberkeiten und potentaten auf ein end gefährlich« ( Johann Schweikhard von Mainz an den Bayernherzog, 1618, Juli 1, BA N. F., Bd. 1.1, Nr. 28 Anm. 2).

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evangelischen Amtskollegen. Selbst Maximilian von Bayern, dessen Regiment man mit Fug und Recht »frühabsolutistische« Züge attestieren kann, interessierte durchaus nicht, wie den Kaiserhof, die Aufsäßigkeit böhmischer Untertanen, trieb vielmehr die Position des Katholizismus im politischen System des Reiches um. War der deutsche Katholizismus nicht nur der verwegenen Forderung nach einer »composition« halben, sondern sogar militärisch bedroht? Schon früh malten altgläubige Politiker diese Gefahr an die Wand: Mit den für Böhmen geworbenen Truppen konnte man »die catholischen allenthalben unfürsehens überfallen und wider sie gleichmeßigen proceß anstellen«206, »dis gefehrlich und zu undertrickung der cath. religion nur gar zu vil antroende unwesen« mußte demnach auch die deutschen Altgläubigen alarmieren207, ja, es drohten »extensiones in exstirpationem plenam catholicae religio­nis«.208 Es ging also nie speziell um Böhmen – was ging die Ligahöfe dieses Königreich an! Nein, im Reich drohten Kollateralschäden, und zwar solche konfessionspolitischer Natur. Nicht nur die geistlichen Ligahöfe, auch die Münchner209 haben die böhmischen Unruhen von Anfang an unter diesen konfessionellen Vorzeichen gesehen, sie kategorisierten ganz anders als die Dresdner. Wir können zurückblicken: Wie die evangelischen Höfe, erkannten auch die katholischen nicht sogleich die welthistorische Dimension der böhmischen Ereignisse. Wie die evangelischen, nahmen sie auch die katholischen Höfe (diese etwas rascher) dann doch in dem Maße ernst, in dem man eine gravierende Bedrohung der eigenen Glaubensüberzeugungen, präziser: der Position des eigenen konfessionspolitischen Lagers im politischen System des Reiches wahrzunehmen begann. Böhmische Spezifika, so die für moderne Historiker eklatanten ständerechtlichen Gehalte der dortigen Auseinandersetzung, nahm man kaum am Rande zur Kenntnis. Es ging nicht um Böhmen, ging um den wahren Glauben überall in Europa, »ex uno eodemque fundamento et communi causa religionis«.210 Weil man seine Glaubensüberzeugungen bedrängt sah, sortierten sich die Sympathien entlang der konfessionellen Trennlinie. Es war insofern nicht nur Propaganda, wenn am 8. November 1620 der tausendfach ausgestoßene Schlachtruf »Sancta Maria« von den Hängen des Weißen Berges zurückhallte.

206 Maximilian von Bayern an Johann Schweikhard, 1618, Juni 25: ebda., Nr. 23 (Kursivsetzung von mir). 207 Maximilian von Bayern an Ferdinand von Köln, 1618, November 20: ebda., Nr. 53. 208 Wie Anm. 200. 209 Das an manchen Ligahöfen anklingende, speziell bei Maximilian wohl nicht nur topische »Türken«-Argument (»eine Destabilisierung der Ostflanke des Reiches wird das Osmanische Reich für neue Expansionsversuche nutzen«) lasse ich hier außer Betracht. 210 »Ex uno eodemque fundamento et communi causa religionis« ziehen die böhmischen Wellen weitere Kreise: bayerische Instruktion, wie Anm. 200.

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5. Zwei Nachträge 5.1 Geschichte als Argument Jan Hus war wieder da. Wir sahen, daß für die Böhmischen zahlreiche Flugschriften warben, die »Johann Hus redivivus« aus der Feder geflossen waren. Wiewohl der hussitischen Bewegung einst auch antideutsche Beklänge eigen waren, spielt Hus redivivus nicht die nationale, sondern die konfessionelle Klaviatur, er verbürgt, daß in Böhmen um den wahren Glauben gerungen wird, wie vor zweihundert Jahren geht es gegen die Tyrannei der römischen Kirche. Rückt da historische Reminiszenz das aktuelle Geschehen orientierend in eine langfristige geschichtliche Perspektive?211 Mehr als das, denn Hus wird ja gerade nicht historisiert, sondern präsentiert. Sein erstes Auftreten hienieden war Emanation von Ewigkeit, kann deshalb distanzlos sinnstiftend vergegenwärtigt und als Auftrag für die Zukunft angenommen werden. Da wird weniger geschichtlich eingeordnet denn in eine heilsgeschichtliche Perspektive gerückt – und damit klargestellt, wem göttlicher Beistand gewiß ist. Das stärkt die Kampfmoral, und die politische Option der Neutralität muß die Gewissenshürde nehmen. Um nationale Absonderung geht es dabei gewiß nicht, im Gegenteil, der Leser sieht ja Hus und/ oder den Taboritenführer Johann Ziska im Zwiegespräch mit Luther und/oder Calvin, oder diese Herren zusammen rufen ihn salbungsvoll zur Unterstützung der verfolgten böhmischen Unschuld auf: Der antirömische Schulterschluß muß alle anderen Solidaritäten, ob soziale, ob nationale, marginalisieren. Wer einem standespolitischen Abwehrreflex des europaweit vernetzten Hochadels vorbauen wollte und wer damit konfrontiert war, daß Böhmen für die meisten Deutschen 211 Historiker haben wiederholt danach gefragt, inwiefern sich der notorische habsburgischfranzösische Antagonismus gleichsam aus sich selbst heraus immer aufs Neue verstärkte, und wie es dann in der Mitte des 18. Jahrhunderts doch möglich wurde, gegen eine stabile Erinnerungskultur das Renversement des alliances zu inszenieren. Vgl. insbesondere Johannes Burkhardt, Geschichte als Argument in der habsburgisch-französischen Diplomatie. Der Wandel des frühneuzeitlichen Geschichtsbewußtseins in seiner Bedeutung für die Diplomatische Revolution von 1756, in: Rainer Babel (Hg.), Frankreich im europäischen Staatensystem der Frühen Neuzeit, Sigmaringen 1995, S. 191–217; sowie zuletzt Externbrink, Deutschlandbild, passim. Vgl. für die 1640er Jahre jetzt ferner diese interessante Studie: Michael Rohrschneider, Tradition und Perzeption als Faktoren in den internationalen Beziehungen. Das Beispiel der wechselseitigen Wahrnehmung der französischen und spanischen Politik auf dem Westfälischen Friedenskongreß, in: Zeitschrift für historische Forschung 29 (2002), S. 257–282. Daß auch im französischen Flugschriftenstreit des frühen 17. Jahrhunderts um Pro und Contra einer Kriegserklärung an Spanien vermeintliche historische Erfahrung eine Rolle gespielt hat, deuten Bitton/Mortensen, Pamphlet Polemic an: »The enemy of the past, now the enemy of the present« (S. 129), »the weight of history was against Spain« (S. 130), »the very purpose of past victories was to help prepare greater future conquests« (S. 133).

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gar nicht recht zum Reich gehört hat: der mußte so argumentieren. Doch brauchen wir die für die böhmischen Widerständler mobilisierende Publizistik nach dem Fenstersturz nicht noch einmal zu analysieren, zu ihr wurde das Wesentliche schon gesagt. Auch jene offiziöse sächsische Apologie, die den kaisernahen Kurs des Dresdner Hofes in der Böhmenfrage populär machen sollte, blickt in die Vergangenheit. Beispielsweise auf Antiochus IV. Epiphanes, an der Elbe keine Präfiguration des Habsburgers Ferdinand – doch soll auch diese nicht so sehr historische denn heilsgeschichtliche Einordnung hier nicht noch einmal in ihre Einzelzüge entfaltet werden. Außerdem erinnert die Schrift an den »Bawren Krieg« und Luthers zornige Kommentare dazu: Man hat die Aufständischen damals »auff Rath Herren Lutheri selbsten bekrieget«, tut gut daran, sich »seinen fürtrefflichen Vnterricht, was man wieder Rebellen fürzunehmen«, stets vor Augen zu halten, »vnnd wie so gar nicht zu gestatten, daß man der ordentlichen Obrigkeit sich vnter dem praetext des Euangelij, oder anderer Vrsachen wegen wiedersetze«.212 Die Freiheit eines Christenmenschen meinte kein freies Königswahlrecht, los von Rom hieß nicht los von der angestammten Obrigkeit. Die Apologie kennt noch eine lehrreiche Reminiszenz: an den Schmalkaldischen Krieg nämlich. »Es erinnere sich jetzo allein der Christliche Leser, was es für einen Außschlag genommen, Anno 1547 mit etlichen, die wieder jren Keyser sich auffgeleget ha­ben, ob nit Gott selbst, ungeachtet jhres eyfers in der Religion, eine ernste Straff vber sie ver­henget habe«.213 Das saß. Der unbekannte Autor war nicht so einfältig, den Schmalkaldenern »eyfer in der Religion« abzusprechen – was uns nicht überraschen würde, die meisten der damaligen Flugschriften sind ja so kraß einseitig, so bar jeder religionspsychologischen Einfühlung, daß wir konstruktive Wirkungen über Konfessionsgrenzen hinweg ausschließen dürfen. Oft genug fragt sich der heutige Leser solcher Elaborate, ob sie nicht einfach dazu beitragen sollten, die eigenen Reihen zu schließen, manchmal mag sogar diese noch banalere Erklärung die richtigste sein: daß die Autoren vor ihresgleichen durch frommen Eifer glänzen, sich lagerintern einen Namen als glaubensfeste 212 [Anonym], Deutliche vnd gründliche Außführung, S. 35. – Daß der Bauernkrieg Luther geradezu traumatisiert hat, lag an verschiedenen und durchaus vielschichtigen Umständen, zu denen wohl auch persönliche Erfahrungen im Thüringischen gehörten: Der erfolgsverwöhnte, seiner Wortgewalt gewisse Redner mußte erfahren, daß er die dortigen Aufständischen nicht erreichte, daß sie ihn verhöhnten, gar seinem Erzfeind Müntzer zuliefen. Resultat auch dieser persönlichen Demütigung ist die Kampfschrift »wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern«. Luther ruft darin zum Heiligen Krieg gegen die Aufrührer auf: »Steche, schlage, würge hie, wer da kann. Bleibst du drüber tot, wohl dir, seliglicheren Tod kannst du nimmermehr überkommen.« Von solchen, sehr speziellen Kontexten ist in der erinnernden Aktualisierung von 1620 natürlich keine Rede. Die immerwährende Applizierbarkeit setzt Entkontextualisierung voraus. 213 Ebda., S. 36.

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Herolde der eigenen Sache machen wollten. Anders die kursächsische Apologie: Sie billigt den Schmalkaldenern »eyfer in der Religion« durchaus zu, das macht das Gottesurteil ihrer Niederlage umso schlagender. Man konnte diese Lehre aus dem ersten deutschen Konfessionskrieg auch außerhalb Dresdens ziehen: Wir wissen bereits, daß der württembergische Hofrat Veit Breitschwert im September 1619 vor einer aktiven Unterstützung des Winterkönigs warnte, weil der Schmalkaldische Krieg demonstriert habe, wie es ausgehe, wenn man sich gegen die »höchste oberkheit« stelle. Der Strauß sei damals um die »beschirmung des hailigen wort Gottes« geführt – freilich eben doch verloren worden.214 Schon ein Dekade vor dem Fenstersturz veranlaßte jene Desintegration des Reichsverbands, die ja seit 1608, seit dem Fiasko des Regensburger Reichstags, vielen politischen Akteuren einen kurz- oder doch mittelfristig bevorstehenden Krieg wahrscheinlich machte215, einen »Discurs Uber die Bundtnussen von Hern D. Hieronimo Schleichero Advocato Reipublicae Vlmensis« – so etikettiert, liegt er inmitten kursächsischer Akten216, in der Dresdner Korrespondenz mit den Mitgliedern jener Union, der Kursachsen schließlich nicht beitreten wird. Wie der »Discurs« in der Reichsstadt Ulm und an der Elbe gewirkt hat, läßt sich nicht mehr rekonstruieren, daß er hier wie da gewissermaßen einen festen »Sitz im Leben« hatte, ist aber evident, wiewohl uns Hieronimus Schleicher auch gelehrt kommt: Randmarginalien verweisen auf »Warem. ab Erenberg«217, Bodin, »Gentile«218, »Zas.«219 und Botero. Die Auflösung aller Reichsbande machte eine Allianz der lutherischen Obrigkeiten in den Augen Schleichers unaufschiebbar, doch gab es da nicht das warnende Beispiel jenes Schmalkaldischen Bundes, der im gleichnamigen Krieg so schmählich endete? Das mußte mitbedacht werden, zumal »auf diese zwey fundament«, auf die Schleicher auch jetzt eine evangelische Union gegründet sehen wollte, nämlich den Landfrieden und den Schutz des wahren Glaubens, »auch der leidige Schmalkaldische Bundt gegrindet gewesen, Es hatt aber doch der forttgang solches Kriegs lautter zuerkennen gegebenn, das 214 Siehe oben S. 333 mit Anm. 172. 215 Um es mit dem »Discurs« selbst zu sagen: Es war »fast teglich zugewartten«, daß »daz innerliche nun lang verhalttene unheill völliglichen uber Deutschland sich ergießen und ausschütten würde«, drohte »trangksahl ... aller orthen«, »dahero gerathen etliche in diese leidige gedanken, es seindt nach gestalt ietzigen stands, so gar auch keine mittel mehr zur wieder auffrichtung des Vaterlandes zufinden«. »Geschwinde gefehrliche Lauff, und voraugen schwebende unordnung« waren unübersehbar ... Kurz, man mußte sich wappnen, durch einen Zusammenschluß aller verantwortungsbewußten Lutheraner. 216 Nämlich in HStADr Locat 7272 1. Buch Unio und Zusammensetzung (fol. 253–266). 217 Also: Waremundus ab Erenberg, ein Pseudonym des schreibenden Diplomaten Eberhard von Weyhe. 218 Also Alberico Gentili. 219 Wohl: Johann Ulrich Zasius.

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die BundtStändt damahln nit in den Schranken erlaubtter defension vorbliebenn«. Vielmehr hätten sie »den Kayser Carolum vor Ingollstadt offensiuè« zu attackieren versucht, »darzu auch viel Privatt gesuchs mitt unterlauffen lassenn, wie dann die Stadt Ulm mit Einnahm vieler umbliegenden Clöster scheinbarlichen auch zuerkennen gebenn«. Wir müssen nicht umständlich untersuchen, ob diese Analyse vor den Augen eines modernen Historikers bestehen kann220 – unabhängig davon ist es doch interessant, daß Hieronimus Schleicher der Ansicht war, präsumtive historische Bedenken seiner Adressaten gegen ein erneutes evangelisches Bündnis aus dem Weg räumen, deshalb auf offensichtlich vermutbare Reminiszensen an das frühere Konfessionsbündnis, den damaligen Konfessionskrieg ausdrücklich eingehen zu müssen. Der ulmische »Discurs« liegt heute wie gesagt, warum auch immer, im Hauptstaatsarchiv Dresden. Wer seine Bestände ein wenig kennt, weiß, daß der Schmalkaldische Krieg dort allenthalben präsent ist, auch und gerade in kursächsischen Provenienzen. Nun fällt es dem Historiker auch gewiß nicht schwer, zu erweisen, daß diese Auseinandersetzung für das albertinische Kursachsen »objektiv« wichtig gewesen ist: territorialer Zuwachs, vor allem aber Gewinn des Kurhuts. Es ist dennoch bemerkenswert, wie intensiv man diese große Stunde der Albertiner generationenlang als die aktuelle Tagespolitik orientierend vergegenwärtigt hat – freilich nicht als Exempel eines Konfessionskriegs: diese Deutung der kursächsischen Apologie war Zugeständnis an den anvisierten Leserkreis. Intern, in den Dresdner Akten des Konfessionellen Zeitalters, stellte der Kaiser 1547 Ruhe und Ordnung wieder her, was augenscheinlich gottgefällig war und woran man sich an der Elbe gern erinnerte. Moritz hatte sich damals für die richtige Seite entschieden, für Gott und Vaterland, und war deshalb zu Recht belohnt worden, von Gott und seinem irdischen Sachwalter, dem guten Kaiser Karl. Das Ende der Schmalkaldischen Auseinandersetzungen war stete Mahnung, sich jene Gunst des obersten Lehnshofs nicht zu verscherzen, die sich damals als für Dresden so vorteilhaft erwiesen hatte. Im Lichte dieser Tradition bekam sogar die Erinnerung an den großen Moritz eine merkwürdige Färbung – poin­tiert ausgedrückt: Der »Judas von Meißen« wurde wichtiger als der Initiator des »Fürstenkriegs«. Die Kur­translation wurde zur perma­nenten Mahnung, Wien die Treue zu hal­ ten221; noch in seinem Te­stament von 1652 wird Johann Georg die Notwendig­ 220 Daß die führenden Bundesfürsten »privat hendel« zur Bundessache zu machen suchten, monierten die Kleineren in der schmalkaldischen Allianz häufig; insbesondere Johann Friedrich warfen die betont defensiven Mitglieder vor, Bundesmittel aggressiv für territorialstaatliche Machtinteressen eingesetzt zu haben, zumal gegen Herzog Heinrich den Jüngeren. Ob man freilich mit Schleicher sagen kann, die Schmalkaldener seien 1546 »offensiu« vorgegangen? 221 Das sah auch ein so kluger Mann wie Maximilian von Bayern (der für den »treugehorsamen Churfürsten« in Dresden intern nur Hohn und Spott übrig hatte – für ihn, den gerissenen

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keit, den Kaiser als »das höchste ober­haupt der Christenheit« zu ehren, da­mit begründen, daß »durch dessen gute affection und vermittelung die Chur­würde sambt andern Landen ... auf un­ser haus transferi­ret« worden sei.222 Als im Frühjahr 1610 der badische Markgraf Georg Friedrich an der Elbe weilte, um die – in der Wahrnehmung der anderen evangelischen Höfe – unbegreiflich223 störrische Haltung der Dresdner zu brechen und ihren baldigen Unionsbeitritt zu erwirken, hielt ihm die Graue Eminenz des Kurhofes, Kaspar von Schönberg, die Lehren aus der Geschichte entgegen, den geringen Erfolg des Landsberger und zumal des Schmalkaldischen Bundes. Und: habe Karl V. etwa nach seinem Sieg über die Schmalkalde­ner auch nur »ein dorff pfaffen verjagtt«? Man betrieb nicht nur Reichspo­litik im Fahrwasser der katholischen Diplomatie, sah auch die Geschichte mit den Augen des kaisertreuen Katholiken. Schönberg zog dieses für seinen Gast deprimierende Resümee: Wie das albertinische Sachsen seinerzeit den Schmalkal­denern fern­geblieben sei, so werde es auch jetzt »den lieben gott waltten lassen«.224 In der Dresdner Memoria hatte Karl V. 1547 die politische Stabilität Mitteleuropas gerettet. Daß er, angeblich225, noch nicht einmal »ein dorff pfaffen verjagtt« hatte, bewies im nachhinein, daß er den Schmalkaldischen Krieg nicht als Religionskrieg geführt hatte. Das sah man 1547 im restlichen evangelischen Deutschland anders. Deshalb war im Herbst 1618 die Erinnerung geteilt. Das zeigt zum einen ein Blick auf Flugschriften. Die evangelischen von ihnen bewiesen die »vanitet, nullitet, vnnd nichtigkeit« der katholischen Parole, es sei in Böhmen »nicht vmb die Religion, sondern vmb Region zuthun«, mit dem Rückblick ins Jahr 1546. Damals wollte Karl V. »die Ketzerliche Fürsten ... vberziehen«; nach außen hin erklärte er indes, »daß dieser Krieg nicht wider die

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Taktiker, war Johann Georg von Sachsen ein nützlicher Idiot). Nach einer Aufzeichnung des pfälzischen Rates Camerarius er­klärte er beispielsweise im Februar 1618 dem Heidel­ berger Kurfürsten, es »depentierte Chur Saxen vom haus Oester­reich, deme es auch stark obli­girt, weil durch dasselbe churf. Mo­ritz zur chur und von demselben uff diese li­neam der hertzogen von Sa­xen kom­men«: Gotthard, Kursachsen, S. 315 Anm. 180. Testament Johann Georgs, 1652, Juli 30 (Kopie), HStADr Locat 10520 Abschriften vom Testament Kurfürst Johann Ge­org I. »Die Sachsischen sunt saxei, non admittunt rationes«: Die Auhausener verstanden die kursächsische Politik nicht, hielten sie für irrational und konnten sich (auch deshalb) lange Zeit nicht vorstellen, daß sie währen würde – irgendwie mußte es doch gelingen, den Dresdnern die Augen zu öffnen! Wir Heutigen sind geneigt, die ›nicht konfessionalisierte‹ Außenpolitik Kursachsens für avantgardistisch zu halten; für die evangelischen Zeitgenossen war sie von vorgestern, man mußte den Dresdnern doch irgendwie klarmachen können, daß sich mit der konfessionspolitischen Polarisierung des Reichsverbands die Rahmenbedingungen geändert hatten und sie ihre Politik endlich auf die Höhe der Zeit bringen mußten. Kursächsisches Protokoll, 1610, April 11, HStADr Locat 8804 Vierzehende Buch Jülichische Sachen, fol. 208–225. Eine aufwendige Demystifizierung dürfte sich erübrigen. Man denke nur ans Interim!

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Religion angesehen vnnd angefangen wert, sondern er komme nur etliche auffrhürische vnd rebellische Reichsfürsten zu straffen, darumb« – der unbekannte Autor des Jahres 1620 zeichnet das Kalkül Karls von 1546 durchaus zutreffend nach! – »sich auch niemand der Religion halben zu jhnen schlagen wolle«. Bekämpfung einer »Rebellion«: das war damals Karls »praetext«. »Es fand sich aber darnach in außkehren, die Vrsach, vmb welcher willen der Krieg war angefangen«: als nämlich das Augsburger Interim erlassen wurde. Was ist nun die Lehre aus der Geschichte? »Summa deß Bapsthumbs beste kunst, ist liegen, lästern, heucheln, falschheit, schaffsbeltz, wolffs- vnnd löwen klawen«, »soll sich derowegen das Geschrey, ob solts allein vmb Region vnd nicht vmb Religion, nicht vmb Ketzer tilgen, sondern vmb rebellen zu straffen zu thun seyn, niemands jrr machen lassen, dann das ist jederzeit, aber nur allein ein bloses vorgeben gewesen« und es haben » jederzeit Trew, vnnd glauben Schiffbruch leyden müssen, wofern es nur jemalen thunlich, vnd dem gegentheil vortheilig gewesen«.226 Eine einfache, stabile Anthropologie – die »Bäpstler« waren nun einmal, wie sie waren, konnten und wollten nicht anders – erlaubte es, die heimtückischen Absichten der aktuellen politischen Mitspieler früheren Offenbarungen verschlagenen »bäpstischen« Wesens abzulesen. Vormoderne Druckwerke können ja unbefangen zwischen Heilsgeschichte und Historie hin- und herspringen. In der »Wiederlegung Zweyer Jesuwiterischen und jhrem Spaniolisirten Anhang Fragen, Ob der Böhmische Krieg, vor ein Religion oder Region Krieg zu achten sey«, folgen auf die »Exempel« der Makkabäerkriege unmittelbar die Lehren, die der Schmalkaldische Krieg erteilte: »So wurde mit diesem Papistischen Schandteckel« – nämlich der Behauptung, es sei »nur ein lauter Regionwesen« – »der Teutsche Krieg wieder Churfurst Johan Friederichen zu Sachssen, Landgraff Philipsen in Hessen, vnd andere Schmalkaldische Bundsverwandten, von Kayser Carl den 5. Anno 1546. vnd 47. auch bemäntelt«, wie seine Achtserklärung zeige. Tatsächlich handelte es sich damals um einen Religionskrieg, das enthülle das »Bündtnüß Papst Sauli des 3. vnd Caroli V.«, und natürlich enthülle erst recht das konfessionspolitische Nachspiel ums Interim, daß man »solchen Krieg als eine Religionsverfolgung« einsortieren müsse.227 Das interimistische Ende von 1547 zeigte auch »Beatus Modestinus Seuberlich«, was von der Kriegslegitimation im Sommer 1546 zu halten war und von katholischer Falschheit immer zu halten ist – da hatte Karl V. die Häupter des Schmalkaldischen Bundes »in die Acht erkläret, dieselbige grosses Vngehorsams vnd verübten Gewalts im Reich vnd dessen Gliedern beschuldiget; vnter

226 [Anonym], Christliches und gantz Getrewes Hertzwolgemeinetes Bedencken, S. 25–29 (Kursivsetzungen von mir). 227 [Anonym], Wohlgegründte Antwort vnd Wiederlegung.

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welchem ansehentlichen Schein vnd Namen nichts andes 228 gesucht dann die reine Evangelische Religion ... außzulöschen vnd zuvertilgen«. Die Lehre von 1547 lautete: »Bäpstlern« und »Jesuwidern« kam man nur im festen evangelischen Schulterschluß und mit konsequenter Militanz bei. Die Schalmeienklänge derzeitiger »Politici«, die partout nicht »so Blutdurstig« sein wollten, waren längst im Voraus desavouiert, nämlich durch die Ereignisse »Anno 1547« – »wie würd es bey solchen Politicis Interims Knecht setzen«.229 Noch eine Flugschrift von 1627 (eigentlich greife ich damit zeitlich zu weit aus, immerhin werden die böhmischen Unruhen dort eingehend thematisiert) wird die titelgebende Frage, ob man seit 1618 in einen »Regions oder ReligionsKrieg« verwickelt sei, mit einer ausführlichen Charakterisierung des Schmalkaldischen Krieges zu beantworten suchen: »Also ist nu dieser Lermen im Jahr 1547 angefangen, da Churfürst Johann Friedrich, vnd Landgraff Philipp von Hessen vberzogen vnd gefangen worden, vnter dem Schein, als weren sie friedhässige Rebellen, die da zum gehorsam muosten gezwungen werden. Vnd also ist es zu jener Zeit mit dem ReligionsKriege ergangen, der doch nicht mit diesem Nahmen also getaufft wurde, wiewol es nach außweisung der Sachen nichts anders gewesen ... Eben also gehts jtzo auch bey diesem Kriege, der liebe vnd von den Jesuiten wolgeplagete Keyser, ist darzu verleitet, daß er seinen Nahmen darzu leihet, wie denn derselbe jmmer oben anstehet, wer nu darwider etwas reden wolte, der hette Crimen laesae Majestatis begangen. Aber vnter diesem Nahmen, als vnter einem warmen Schaffbeltz, lieget der arge reisende Wolff der Antichrist mit seinem Anhang fein verborgen«. »Gehorsam« und kaiserliche »Reputation« sind Larven, daß dahinter der Antichrist lauert, lehrt der Blick zurück. Der Antichrist und seine kurialen Schergen pflegen sich nach außen hin hinter dem Kaiser zu verschanzen, um zu verhüllen, daß da um Wahrheit und Seelenheil gekämpft wird, tatsächlich agiert »der Kayser als deß Pabsts Soldat«.230 Weil in dieser Studie gleich von der vormodernen »neutralitet« die Rede sein wird, will ich in einem ersten Ausblick auf dieses Thema zeigen, wie eine Flugschrift 1632 an die Seite Gustav Adolfs rufen, vor dem »neutralisiren« warnen wollte: »Zu Caroli V. Zeiten war der Schmalkaldische Bund wider die Päbstler, von den Protestirenden geschlossen, diesem wuste Carolus V. kein besser Loch, denn dadurch zu machen, daß er etzlichen, als Hertzog Moritzen zu Sachsen persvadirete, sich von solchem Bund abzuziehen, etzlichen aber als dem Churfürsten zu Brandenburg, Hertzog zu Jülich, Pfaltzgraff Wilhelm etc. daß sie 228 Sic! »Beatus Modestinus Seuberlich«, Examen Der Recepten, fol. F. 229 Zacharias Theobaldus, Heerpredigt, S. 20. Vgl. schon ebda., S. 3: Darf ein Christ etwa keine Kriege gegen katholische Greuel führen? »Im Teutschen Krieg Anno 1546 wurd diese frag starck getrieben«, die fatalen Auswirkungen derart unangebrachter Skrupel hat man erlebt. 230 [Anonym], Von jetzigen Kriege, fol. Aiij bzw. fol. B.

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neutral blieben. Wie aber gieng dieses hinauß?« Moritz und »die Neutralisten« mußten sich »doch bald zum Keyser schlagen, wie lange war der Hertzog Moritz dabey der Religion vnd Freyheit versichert? Etliche wenig Jahr«, dann hatte er erneut, diesmal nicht für Karl, sondern gegen den tyrannischen Kaiser ins Feld zu ziehen. Ich zitierte so ausgiebig, weil die sich unmittelbar anschließende Passage bis in immer wieder parallel gewählte Formulierungen hinein zeigt, wie sich für den Autor Geschichte wiederholte (weshalb man ja aus ihr für die Gegenwart lernen konnte): »Vor etzlichen Jahren war ebenfals wider die Päbstler die Vnion auffgerichtet, diser hat jetziger Keyser Ferdinandus kein besser Loch zu machen gewust, denn daß etzlichen persvadirt, sich neutral zu halten, etzlichen sich von der Vnion ab zuthun, wie ist es damit hinauß gangen? Bey denen die neutral blieben sind vnd die sich von der Vnion aagethan231 haben, ist doch endlich gleiche Straffe dictiret worden, mit der Vnion hat man zuvor den garauß zu machen den Anfang, mit den Neutralisten aber das Ende gemacht. Denn wie lange haben jhnen doch die stattlichen Salvaguardien, Sincerationen vnd dergleichen Complementi genützet? Wie lange haben sie nach vertilgeter Union vnd Neutralitet jhre Freyheit vnd Religion behalten?« Weil sich die Grundmuster der Geschichte wiederholten wie hier die Sätze232, gab sie Wegweisung für aktuelle und künftige Herausforderungen, man durfte den Schalmeienklängen aus Madrid, Wien und Rom nicht ein drittes Mal erliegen wie leider Gottes 1546 und um 1620, mußte sich geschlossen um Gustav Adolf scharen. Half solche Erinnerungsarbeit auch den Entscheidungsträgern? Als sich die Auhausener im Herbst 1618 am Rothenburger Unionstag ihren Reim auf die böhmischen Vorgänge machen mußten, entlarvte für manche schon der Rückblick ins Jahr 1546 das Wiener Gerede von einer angeblichen »Rebellion« als haltlose Propaganda. Die Nürnberger erklärten in Rothenburg: »Es sey ein religions sach ... anno 46 hett man auch also procedirt, und vorgeben, es sey nit umb religion, aber effectus habs anders geben.« Der württembergische Votant fand: Es sei »ein religions sach wie anno 46 bey dem schmalkaldi­schen Bund«, damals habe der Kaiser auch »vorgewendt, treffe gehorsamb an, aber außgang habs geben damaln daz es religion betroffen hab«.233 Der Schmalkaldische Krieg war in der Erinnerung des evangelischen Deutschland rasch zum Prototyp eines Konfessionskriegs geronnen, das schien – keinesfalls nur nach außen hin, in Druckwerken, in legitimatorischer Absicht – Halt und Orientierung bei der Entscheidung schwieriger Zeitfragen zu schenken. 231 Sic! Wild, Memorial, fol. Diiij. 232 Und angesichts stabiler anthropologischer Grundkonstanten – die »Päbstler« sind nun einmal, wie sie schon immer gewesen waren und immerdar sein werden. 233 Protokoll des Rothenburger Unionstags, HStASt A90A tom. 20, fol. 474–538, hier fol. 490 bzw. fol. 480.

Wahrnehmungsmuster außerhalb der Rats- und Gelehrtenstuben

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5.2 Ein Desiderat: Wahrnehmungsmuster außerhalb der Rats- und Gelehrtenstuben Religionskrieg oder Rebellion? Welchen Reim sich Herr und Frau Jedermann auf die ihnen zugänglichen Informationen machten, wissen wir nicht. Den evangelischen Schuhmacher und Kleinbauern Hans Heberle, einen Schwaben aus dem Dorf Neenstetten bei Ulm, könnten die Parolen der kaiserlichen Propaganda erreicht haben, denn er etikettiert die böhmischen Querelen in seinem »Zeytregister« einmal beiläufig als »rebelerey«. Das floß ihm in dieser Passage seiner Aufzeichnungen freilich unreflektiert einfach so in die Feder234, wo er sich etwas ausführlicher zum böhmischen Geschehen äußert, geht es nämlich um den Glauben: Ferdinand II. hat »ein grossen krieg angefangen in Böhma, welches er zwungen und erlegt under sein relicon«, heißt es an einer Stelle235, und ein andermal: »da ist ihnen«, nämlich den Glaubensbrüdern in Böhmen, »widerfahren, das alle pfarrer in gantz Böhmerlandt sind abgeschafft worden, wie wol der churfürst von Sachßen für sie gebeten. Aber der Keysser ist uff seiner meining gebliben, dan er wendet für, die unruoh kome von der religion her.236 Damit haben wir Evangelischen bey denen Catolischen imer unrecht.« Wo hat Heberle gehört oder nachgelesen, daß die Hofburg religiöse Wurzeln des böhmischen Konflikts behaupte? Ob er seine Informationsquelle(n) mißverstanden hat? Ob dieser zeitgemäß fromme Protestant, der den Dreißigjährigen Krieg als Glaubenskampf erfahren237, beispielsweise eine Dekade später Gustav Adolf nicht als Ausländer, 234 Der Kontext: »Dis jar ist die rebelerey in Böhmen gestilt worden, und die Undere und die Obere Pfaltz in des Bayrfürsten handt komen«: Gerd Zillhardt (Hg.), Der Dreißigjährige Krieg in zeitgenössischer Darstellung. Hans Heberles »Zeytregister« (1618–1672). Aufzeichnungen aus dem Ulmer Territorium, Ulm 1975, S. 97. 235 Ebda., S. 94. 236 Das widerspricht meiner Analyse der kaiserlichen Propaganda! Ebda., S. 101. – Bitte Kursachsens, die evangelischen »Prediger« nicht zu vertreiben, aber Ferdinand läßt sich nicht von seinem Vorsatz abbringen, »für wendend«, die »Ursach« der Unruhen »seye von der Religion entsprungen«: das (nicht Heberles Fortsetzung) findet sich in der, teilweise unter der Autorenbezeichnung »Leonhard Pappus«, in den 1640er Jahren mehrfach verlegten »Historia Teutscher Händel« (Ausgabe 1644: S. 28) – was aber wohl nur besagt, daß der Kompilator von 1644 und unser schwäbischer Bauer dieselbe Zeit- oder Flugschrift benützt haben könnten. Der tüchtige Herausgeber des »Zeytregisters« präsentiert keine Vorlagen für Heberles oft ausführliche Exkurse in die allgemeine »Kriegshistoria«, sie aufzuspüren, wäre wahrscheinlich auch unverhältnismäßig aufwendig. 237 Die Parteibezeichnungen lauten durchgehend, bei geringfügigen orthographischen Schwankungen, auf »die Catholischen« versus »die Evangelischen«. Als bedauerliche Folge evangelischer Niederlagen wird regelmäßig zuvörderst die Einsetzung von »pfaffen« beklagt. Es sind nicht nur in Böhmen »alle pfarrer ... abgeschafft worden« (S. 101), beispielsweise wird der von der bayerischen Pfandherrschaft ausgelöste Oberösterreichische Bauernkrieg so vorgestellt: »weil der Bayrfürst die evangelische pfarrer vertriben und pfaffen eingesetzt,

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Zwei Nachträge

sondern als Glaubensbruder wahrnehmen wird238, um 1620 in seine Quellen hineinlas, was er zu sehen wünschte? Wir wissen es nicht. Ich will aber nicht mit dieser Fehlanzeige schließen. Wir fragten uns ja schon weiter oben, welcher Wert dem Frieden in der Vormoderne zugemessen wurde, und ob Kriegserfahrungen friedfertig machten. Hans Heberle, der den ganzen Dreißigjährigen Krieg durchlebte und erlitt, hatte dazu wirklich etwas zu sagen: »Wo friden ist, da ist glückh und segen. Wie ich bayde zeiten woll erfahren hab, krieg und friden«. Das formulierte er 1650, als die Miterlebenden allmählich fassen konnten, daß der große deutsche Konfessionskrieg tatsächlich zu Ende war. Zwei Jahre zuvor, 1648, als man schon von den Westfälischen Instrumenten gehört hatte, auf den Frieden zu hoffen begann, hatte Heberle dieses erste Resümee der Kriegsjahre in seinem Zeytregister festgehalten: »In summa es so ein jämerlicher handel geweßen, das sich einem stein solt erbarmet haben, wüll geschweigen ein menschliches hertz. Dan wir seyen gejagt worden wie das gewildt in wälden«.239

da haben sie sich nicht wollen undergeben« (S. 116). Zum Ende des Niedersächsischdänischen Krieges heißt es, übertreibend, es sei »nun die Augspurgisch confeßion ... abgeschafft worden von dem Keysser an allen orten« (S. 127). Wendungen des Kriegsglücks sind göttliche Fügungen, man nehme nur den Kriegseintritt Gustav Adolfs: »Gott, der alles enden und wenden kan, der selbig hat den in gruben gefelt, der es graben hat«, also den 1629 übermütigen Kaiser (S. 130). Oder, zum vorübergehenden schwedisch-siebenbürgischen Schulterschluß: »Damit aber die Keysserischen und Catholischen ires gefallen nach nicht mögen handle wie sie gern wolten, so hat Gott der herr ihnen wider viell zu schaffen geben mit dem könig in Sibenbürgen« (S. 196). 238 Als Augsburg, Reichsstadt wie Ulm, von den Schwedischen genommen wird, hält Heberle das triumphierend fest, »Gott« habe »der statt, wie auch der gantze evangälisch religion geholffen durch den hoch und löblichen könig in Schweden« (ebda., S. 126). Als Ulm dem Prager Frieden beitritt, sich damit (nolens volens) gegen Schweden stellen muß, bedauert Heberle das – als braver Untertan der Ulmer Obrigkeit nimmt er es hin, aber er stellt doch zugleich richtig: »Mit dem mundt seyen wir keysserisch gewessen und mit dem hertzen schwedisch. Dan mir haben den Schweden lieber sehen sigen dan den Keysser, von wegen der religion und deß glaubens halber« (ebda., S. 201). Heberle ist patriotischer Ulmer und frommer Protestant, als identitätsstiftender Rahmen verblaßt die (Heberle nicht unbekannte und nicht gleichgültige) »teutsche nation« vor den viel tiefer gründenden emotionalen Ankerpunkten Reichsstadt und Protestantismus, der engeren und der geistigen Heimat – doch das wäre ein anderes spannendes wahrnehmungsgeschichtliches Thema! 239 Ebda., S. 237 bzw. S. 225.

C. Akzeptanzprobleme der vorklassischen Neutralität

1. Aktuelle und forschungsgeschichtliche Zugänge 1.1 Wie wir die Neutralität kennen Sich über Akzeptanzprobleme der Neutralität im Krieg1 den Kopf zu zerbrechen, liegt heutzutage nicht eben nah. Man muß darauf kommen. Muß darauf gestoßen werden – warum es dem Autor dieser Studie unvermutet so erging, hat er ja schon bekannt. Er stolperte in Akten des frühen 17. Jahrhunderts immer wieder über den Terminus »neutralitet«, merkte immer wieder, daß der, wiewohl einerseits geläufig, doch auch ein den damaligen Akteuren ziemlich prekäres, alles andere als respektables Verhältnis zu deklarieren schien. Darüber begann er sich irgendwann zu wundern und noch später, viel zu spät, begann er, die scheinbar wunderlichsten Beispiele zu sammeln. Nein, naheliegend ist dieses Thema nicht. Für die Wegbereiter2 des klassischen Völkerrechts seit Cornelis van Bynkershoek (1673–1743) und Emer de Vattel (1714–67) hatte Neutralität nichts Anrüchiges an sich. Sich bei Konflikten anderer für »neutral« zu erklären, war diesen Autoren das unbestreitbare Recht jedes Souveräns. Wohl konnte man sich an den Gelehrtenpulten noch eine Zeitlang darüber streiten, welche Rechte und Pflichten ihm aus so einer Neutralitätserklärung zuwuchsen, doch auch das nur noch en détail. Dabei ist es dann im 19., alles in allem auch im 20. Jahrhundert geblieben: beim Recht auf 1 Um sie soll es hier gehen, nicht um Neutralität in religiösen Angelegenheiten (ob als innerkirchliche im mittelalterlichen Schisma, als innerchristliche oder interkonfessionelle im Konfessionellen Zeitalter – auch hier kommt der Begriff, freilich sporadisch, vor –, oder als innerstaatliche oder überkonfessionelle Neutralität der modernen Staatsgewalt den Weltanschauungsgemeinschaften gegenüber). Berührungspunkte zwischen der von mir thematisierten Neutralität im Krieg und der innerchristlichen sind evident, wenn man an Konfessionskriege denkt. – Eigentlich müßte ich noch präziser formulieren: Es geht meiner Studie um Akzeptanzprobleme der Neutralität im Landkrieg. Seekriegsspezifische Fragen wie die Aufbringung von Handelsschiffen, Konterbandelisten usw. usf. stehen nicht in ihrem Zentrum. Da ohnehin viele Selbstbeschränkungen unabweislich waren, fiel mir diese, als einer eingefleischten Landratte, denn doch nicht allzu schwer. Jeder historischen Studie, die sich über mehrere Jahrhunderte erstreckt, wird man ablesen können, wovon ihr Autor nichts verstand, wo es ihn nicht hinzog. 2 Daß die »klassische« Epoche des Völkerrechts von jedem seiner relativ wenigen Kenner wieder anders datiert wird, sahen wir schon. Aus vielen Gründen, zu denen auch die im Folgenden erst noch auszubreitenden Befunde zur Entwicklung der Neutralität gehören, halte ich die Rede von einem »klassischen Völkerrecht« vor dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts für unangebracht.

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Aktuelle und forschungsgeschichtliche Zugänge

Neutralität sowieso, und auch bei der Winzigkeit der allenfalls noch streitbaren Themen. Man konnte die Neutralität der Obhut von militärkundlichen Traktaten und neutralitätsrechtlichen Spezialabhandlungen überlassen, jedenfalls außerhalb jener Schweiz, die eine vermeintliche besondere Neutralitätstradition als roten Faden in ihre staatslegitimierende Meistererzählung verwoben hat. Es gab und gibt spannendere Themen, für die soldatische Lektüre, im Völkerrecht, in den Politikwissenschaften; jedenfalls außerhalb der Schweiz. Zumal auch die Neutralitätspraxis bestens erforscht zu sein scheint. Wer die allfälligen elektronischen Bibliothekskataloge auf Suchworte wie »Neutrality«, »Neutralität« oder »Neutralité« hin durchforstet, stößt auf Hunderte von Titeln. Die meisten Abhandlungen begnügen sich zwar mit Gegenwartsanalysen, aber es gibt doch daneben Aberdutzende von Monographien, die solche Analysen durch historische Exempel und Exkurse vertiefen. Auch die Geschichte der Neutralität scheint bestens erforscht zu sein, möchte man meinen – außer, man liest wirklich einige Dutzend solcher historischen Exkurse durch. Dann nämlich stößt man rasch auf eine Scheidewand, jenseits derer man für aktuelle Neutralitätsproblemchen keine historische Wegweisung mehr gewinnen zu können glaubt, weshalb man die Toten ruhen lassen kann. Diese Scheidewand zwischen dem Reich der Lebenden und der Toten wurde 1780 aufgerichtet. Es hängt sogar ein Namensschild dran: »neutralité armée«. Abhandlungen der letzten hundert Jahre über neutralitätsrechtliche Streitfragen und Zweifelsfälle – wie sie sich häufig aus militärtechnischen Innovationen ergaben3 – sind sich entweder selbst genug, beleuchten also detailliert irgendwelche Detailfragen im Umkreis dieser seit über zweihundert Jahren grundsätzlich überhaupt nicht mehr strittigen Rechtsfigur; oder sie leuchten bis 1780 zurück. Daß die Reichweite populär gehaltener Orientierungshilfen für die soldatische Lektüre – offenbar hielt man Soldaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für historisch interessiert und lesehungrig – nicht größer ist, wird man den Popularisierern zuletzt vorwerfen können. Die stattliche Reihe von eher militärgeschichtlich oder kriegskundlich ausgerichteten Arbeiten zur Neutralität zumal aus den ersten vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts für die Hand des Soldaten aufzulisten und zu kommentieren, lohnte nicht nur deshalb wenig, weil sie über die Frühe Neuzeit höchstens einige wenige Sätze sagen. Aber auch die besten und die jüngsten wissenschaftlichen Monographien, ob eher juristischen, ob eher politologischen Zuschnitts, ob mit völkerrechtlichem, zeitdiagnostischem oder zeitkritischem Anspruch, bieten für die Vormoderne nichts, was zu referieren ernstlich lohnte. Eine 1949 in Paris vorge3 Um nur ein unmittelbar einleuchtendes Beispiel zu geben: Wie sind neutralitätsrechtliche Bestimmungen über Truppentransfers durch neutrales Land angesichts des Bedeutungszuwachses von Flugzeugen auf den Luftraum zu applizieren?

Wie wir die Neutralität kennen

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legte, für ihre Zeit treffliche Studie zur »Neutralité« erfreut durch die Beteuerung, auch »références historiques« gehörten zum Untersuchungsziel, doch beschränken sich diese auf dem Gebiet der Theorie auf wenige Zeilen zu Hugo Grotius, und die Neutralitätspraxis beginnt für ihren Autor 1780 – kein Wunder, weiß er doch von Anfang an: »La neutralité est un concept juridique moderne«.4 Die jüngste Monographie zur Neutralität im Landkrieg bietet auf 581 Seiten eineinhalb Seiten über die »Anfänge der Neutralität«5, von den dort ausgebreiteten Gemeinplätzen zur spätmittelalterlichen Staatlichkeit (besagte »Anfänge« wurden »dadurch begünstigt, daß die Gewalt der Monarchen in vielen Gegenden größer wurde« 6) springt die Autorin gleich in den Dreißigjährigen Krieg, wo aber fast nur von den Eidgenossen die Rede ist. Wir bekommen hier und an anderen Stellen einige hanebüchene Lektionen in allgemeiner Schweizergeschichte7; was zur »Situation im übrigen«8 gesagt wird, ist unverstandene allgemeine Reichsgeschichte, angereichert durch Sottisen wie diese: »allerdings ist der Ausdruck ›Neutralität‹ in Deutschland seit dem Dreißigjährigen Krieg gebräuchlich«! Die neueste Monographie zur Neutralität im Seekrieg widmet auf 637 Seiten der vormodernen Neutralität kein Wort.9 Die 2002 vorgelegten Studien von Elizabeth Chadwick über »Traditional Neutrality« greifen nicht weiter als bis ins späte 19. Jahrhundert aus.10 Kurz und nicht so gut: Militärgeschichten11, völkerrechtliche Standardwerke12 und sogar Monographien zur Neutralität pflegen im späten 18. Jahrhundert oder 4 Isidro Fabela, Neutralité, Paris 1949, das Zitat: S. 2. 5 Vgl. Ulrike Pieper, Neutralität von Staaten, Frankfurt u. a. 1997, S. 125f. 6 »Das Ergebnis war eine stärkere Einheitlichkeit in der Praxis der Kriegführung. Das wiederum vereinfachte Vertragsschlüsse über Kriegführung und auch Neutralität. So bildete die Krisis der spätmittelalterlichen Gesellschaft mit ihrer erheblichen Beschleunigung des sozialen und politischen Wandels die Grundlage für die Neutralitätsentwicklung«. Ich muß diese Analyse wohl nicht kommentieren. 7 Auch geht die Autorin von der Realität (!) einer vormodernen dauernden Neutralität der Eidgenossenschaft aus, sie versucht also erst gar nicht, diesen identitätsstiftenden Geschichtsmythos zu dekonstruieren. 8 Also außerhalb der Eidgenossenschaft! Vgl. Pieper, Neutralität, S. 142f. Piepers Quellen sind die Verfassungsgeschichten von Menger, Hartung und Forsthoff sowie die (seinerzeit vorzügliche, aber noch ältere, nämlich inzwischen über hundert Jahre alte!) »Geschichte der Gegenreformation« Moriz Ritters. 9 Vgl. Wolff Heintschel von Heinegg, Seekriegsrecht und Neutralität im Seekrieg, Berlin 1995. 10 Daß »the approach adopted is that of a search for modern relevance«, wie gleich einleitend erklärt wird, scheint den Blick auf die Frühe Neuzeit obsolet zu machen: Elizabeth Chadwick, Traditional Neutrality Revisited. Law, Theory and Case Studies, Den Haag/London/New York 2002. 11 Sogar die bahnbrechende »Study of War« von Quincy Wright bot wohl ein Kapitel über »Neutrality« (Second Edition, Chicago/London 1965: S. 783–792), doch ausschließlich mit Entwicklungen und Problemen des 19. Jahrhunderts. 12 Die jahrzehntelang vielbenützten »Leading Cases on International Law« von Pitt Cobbett (hier Bd. 2: War and Neutrality, 4. Aufl. London 1924) bieten über zweihundert Seiten

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sogar erst im 19. einzusetzen, widmen der vorklassischen Neutralität durchgehend allenfalls beiläufige Seitenblicke. Entweder suggerieren sie, Neutralität sei ein Phänomen der Moderne, habe vordem überhaupt nicht existiert; oder es werden, bestenfalls, für die vormodernen Jahrhunderte einige summarische Behauptungen und Floskeln von Buch zu Buch weitergeschleppt. Resümieren wir kurz, was uns solche juristische oder kriegskundliche Abhandlungen über die klassische Neutralität bis zur Gründung des Völkerbunds erzählen! Sie wissen, daß sich seit dem 18. Jahrhundert ein Konsens über die Rechte des Neutralen herausgebildet hat und auch über seine Pflichten: so über das Paritätsprinzip (strikte Unparteilichkeit) und das Abstinenzprinzip (keinerlei Einmischung in die Kriegführung). Als entscheidender »Durchbruch« in der politischen »Praxis«, wo nicht überhaupt als »Geburtsstunde der Neutralität«13 gilt unseren Abhandlungen die Neutralité armée von 1780. Anläßlich des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs schlossen sich damals die mächtigen Drittstaaten Rußland, Dänemark und Schweden vertraglich zur (notfalls militärischen) Verteidigung ihrer Neutralität und des neutralen Handels zusammen. Gemeinsam erklärten sie sich für neutral, leiteten sie aus dieser Neutralität bestimmte Befugnisse ab, pochten sie auf deren Respektierung – man fragte die Kriegsparteien nicht etwa, ob ihnen diese Neutralität denn genehm sei, sondern nahm ein gegebenens, einfach vorausgetztes Recht auf Neutralität wahr. Und man war erfolgreich, damit war ein wichtiger Präzedenzfall geschaffen. Damals habe, können wir immer wieder nachlesen, der entscheidende Schub von der vertraglichen Einzelfallregelung mit Bindewirkung nur »inter partes« zu generellen Regelungen stattgefunden, die jedenfalls beanspruchten, immer und für alle zu gelten. Und vorher? Daß einzelne Verträge über »neutrales« Verhalten in einem bestimmten Konflikt existieren, die viel älter sind, wird in der Regel in einem Satz erwähnt, um das Neue, allein Interessante seit 1780 abzuheben. Ausgeleuchtet wird diese Kontrastfolie nicht. Daß sich entsprechende Verträge nach Hunderten bemessen, daß sie einen erklecklichen Anteil des Corpus vormoderner internationaler Verträge überhaupt ausmachen, dürfte den meisten Autoren unbekannt Neutralitätsrecht, entwickelt anhand einiger wichtiger historischer Präzedenzfälle – des 19. Jahrhunderts! Der älteste erwähnte Konflikt spielte 1788, die zweitälteste »Controversy« 1793. 13 »Geburtsstunde«, »Durchbruch«: beide Ausdrücke verwendet beispielsweise Stefan Oeter (Ursprünge, S. 477f., mit entsprechend einordnenden Belegen in den Fußnoten). Die – freilich rein rechtsgeschichtliche – Studie Oeters zur Genese der klassischen Neutralität ist noch eine der besten überhaupt! – Die Literatur zur Neutralité armée ist überreich. Es erschienen sogar spezielle Quellensammlungen, die jüngste ist diese: James Brown Scott (Hg.), The armed neutralities of 1780 and 1800. A collection of official documents preceded by the views of representative publicists, New York 1918 (beispielsweise dort die ältere Literatur). Jüngste mir bekannte Zusammenfassung: Mikael af Malmborg, Neutrality and State-Building in Sweden, Houndmills/New York 2001, S. 36–39.

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gewesen sein; daß sich darüber hinaus Hunderte und Aberhunderte vormoderner Herrscher einfach einseitig für »neutral« erklärten, haben sie sicher nicht gewußt, das wird in den bislang vorliegenden Monographien über die Neutralität nicht erwähnt. Am Anfang war hier einmal nicht Napoleon14, war die Neutralité armée: das suggerieren jedenfalls unsere historischen Exkurse. Eine Minderheit derselben erwähnt immerhin auch noch, daß die klassische Neutralität an den Schreibtischen mit einem kleinen zeitlichen Vorlauf kreiert worden sei. Das ist nicht verkehrt.15 Feststehender, nicht ad hoc auszuhandelnder Begriffsinhalt, strikte Unparteilichkeit als dessen Kern, ein gegebenes, jedem Staatswesen offenstehendes Recht auf Neutralität: diese Essentials der klassischen Neutralität kennen bereits die großen Völkerrechtsautoren der Aufklärungszeit. An den Gelehrtenpulten des späten 18. Jahrhunderts war die Vorstellung, Neutralität sei ein zunächst naturrechtlich ableitbarer, dann auch gewohnheitsrechtlich gegebener Status, dessen Rechte und Pflichten prinzipiell feststünden, vertraglicher Disposition oder gar einseitigem Oktroy einer Kriegspartei entzogen seien, Gemeingut. Splitter dieser Einsicht finden wir in diesem oder jenem historischen Rückblick. Wir lesen in unseren Exkursen und Hinführungen sodann, daß die Neutralität, nach dem Tiefpunkt der Napoleon-Zeit16, einen politischen wie publizistischen Aufschwung genommen habe. Sich gegebenenfalls, je nach Staatsräson, für neutral erklären zu können, sei dem 19. Jahrhundert richtig und wichtig gewesen. Das klassische Neutralitätskonzept habe sich restlos durchgesetzt. Wiewohl die älteren Neutralitätsverträge ja nicht näher interessieren, können wir an dieser Stelle manchmal nachlesen, es habe geholfen, daß mit dem Ancien Régime auch das Gestrüpp der überkommenen Bündnis- und Freundschaftsverträge – unter ihnen die herkömmlichen bilateralen Neutralitätsabmachungen – hinfällig geworden sei. Wir lernen, daß Europa im 19. Jahrhundert keine weltanschaulich motivierten »totalen« Kriege, sondern solche mit überschaubarem Teilnehmer14 »Am Anfang war Napoleon«: so der vielzitierte Einstieg in Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1994, S. 11. 15 Nuancen sehe ich anders. Unsere militärkundlichen und juristischen Abhandlungen weisen meistens auf Cornelis van Bynkershoek, stets auf Emer de Vattel hin. Wir werden noch sehen, daß die Betonung der Äquidistanz durch Bynkershoek an den Gelehrtenpulten überhaupt nichts Neues war, während Vattel in allen entscheidenden Fragen noch gewissermaßen zwischen den Zeiten steht. Man müßte eigentlich andere Autoren in den Vordergrund rücken: den heute wenig bekannten Martin Hübner beispielsweise (ihn wird diese Studie freilich auch vernachlässigen, nämlich nur streifen: denn anders als sie trieben den dänischen Diplomaten und Publizisten Probleme der Seekriegführung, genauer: des maritimen Kriegsmaterialhandels um), oder den heute vollkommen vergessenen Juristen Adam Friedrich Glafey. Vgl. unten insbesondere Kapitel C.2.3. 16 Verträgt sich Neutralität mit hegemonialen Strukturen, setzt sie eine polyzentrische horizontale Staatenordnung voraus? Diese Frage muß sich meine Studie noch stellen!

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kreis und begrenzten Zielen gesehen hat, was die Neutralität Dritter erleichtert und, im Sinne der Stabilität des Gesamtsystems, auch wünschenswert gemacht habe. Aus diesem Grund, um ihre Rivalitäten gleichsam abzupuffern, vereinbarten die europäischen Großmächte die dauerhafte Neutralität für einige Regionen – der »neutralité permanente« für Malta im Frieden von Amiens folgten dauerhaftere »immerwährende Neutralitäten«: die Schweiz, Belgien, Luxemburg. Das derart zusätzlich stabilisierte Gesamtsystem befand sich einigermaßen in der Balance, lehren unsere Exkurse und Rückblicke, es war nicht mehr hierarchisch geordnet, sondern horizontal, das sowieso, sei aber nach 1815 auch nicht hegemonial verformt worden; und außerhalb dieses europäischen Staatensystems gab es mit den USA einen wichtiger werdenden Akteur, der Neutralität bei alteuropäischen Konflikten zur außenpolitischen Maxime erhob. All das, so können wir nachlesen, habe die prinzipielle Akzeptanz der Neutralität wie auch der Rechte des Neutralen befördert. An seiner Unparteilichkeit17 durfte weder diese noch jene Kriegspartei zerren, die Souveränität des Neutralen, die Unverletzlichkeit seines Territoriums waren zu achten. Allerdings wurden auch seine Pflichten präzisiert, insbesondere setzte sich die Ansicht durch, der Neutrale habe kriegerische Akte von seinem Territorium aus zu unterbinden (was impliziert: Neutralität mußte bewaffnete Neutralität sein). In der Pariser Seerechts-Deklaration von 1856 sowie in zwei Abkommen der Zweiten Haager Friedenskonferenz von 1907 über das See- bzw. Landkriegsneutralitätsrecht wurde das geltende Gewohnheitsrecht – wie unvollständig auch immer – kodifiziert. Soweit unsere Exkurse und historischen Herleitungen! Wiewohl ich manches vorsichtshalber im Konjunktiv referiert habe, will ich doch glauben und hoffen, daß sie fürs 19. und frühe 20. Jahrhundert viel triftiger sind als ihre haltlosen Andeutungen zur Vormoderne. Wer Souverän ist, darf Krieg führen – oder es, als »Neutraler«, bleiben lassen: darauf lief die Entwicklung schon länger, seit dem 18. Jahrhundert, hinaus. Souveränität implizierte ein Ius ad bellum, natürlich auch ein Ius ad neutralitatem. Wer souverän ist, darf Krieg führen oder neutral bleiben: wie gedanklich dürftig eigentlich, diese Krönung des Fortschritts! Fortschrittlichkeit ist ja auch kein stichhaltiges Werturteil – sogar im anhebenden 21. Jahrhundert sollten wir Historiker darauf beharren, und wenigstens das sollten unsere Studenten nach ein paar Semestern »aus der Geschichte gelernt« haben. Und wiewohl viele diesem Fortschritt hinterherlaufen, läuft der selbst nicht immer in dieselbe Richtung. 17 Was irritieren könnte: Kaum war der Gedanke der Unparteilichkeit etabliert (gewisse einseitige Vergünstigungen in Neutralitätsverträgen wurden in gelehrter Literatur erst in der zweiten Jahrhunderthälfte durchgehend als neutralitätswidrig eingestuft), begann die Debatte über eine – nun freilich ausdrücklich so genannte – »wohlwollende Neutralität«. Der Terminus wurde im 20. Jahrhundert wieder seltener, heute würde man wohl von »Nichtkriegführung« sprechen.

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Während der beiden »Weltkriege« des 20. Jahrhunderts und zumal in den jeweiligen Nachkriegsjahren rümpfte man über Neutralität wieder die Nase. Teilen der damaligen Eliten war sie nun wieder anrüchig geworden, aber warum? So unvergleichbar die »Weltkriege« des letzten Säkulums gewesen sind: Sie demonstrierten doch beide, wie löchrig der Schutzschild der Neutralität bei derart eskalierenden Großkonflikten wurde; sie waren gewiß nicht mehr konfessionell aufgeladen und mobilisierten doch beide gewaltige emotionale Bugwellen, ihnen korrespondierend gleichsam säkularisierte Varianten der uralten Bellum-iustumDoktrin.18 Nach beiden Weltkriegen setzte die jeweilige Nachkriegsgeneration einige Hoffnungen in Modelle kollektiver Sicherheit, die einzelstaatliche Neutralität obsolet zu machen schienen – und doch nicht wirklich trugen, weshalb auch die klassische Neutralität in teilmodernisiertem, tatsächlich wenig verändertem Gewande fortlebte. Die Mißachtung der Rechte Neutraler im Ersten Weltkrieg hub an mit der Verletzung der belgischen und luxemburgischen Neutralität durch da noch euphorische deutsche Truppen und mündete, beispielsweise, in den unbeschränkten U-Boot-Krieg; schließlich trat der Musterneutrale des 19. Jahrhunderts aktiv in den bis dahin alteuropäischen Krieg ein («neutrality is no longer feasible or desirable where the peace of the world is involved and the freedom of its people«). Noch interessanter als ein unverkennbarer Antineutralismus in Literatur und Publizistik ist diese Kriegsfolge: Mit dem Völkerbund schien ein umfassendes System kollektiver Sicherheit geschaffen, 1928 ächtete der Briand-Kellogg-Pakt den Krieg als Mittel zur Lösung zwischenstaatlicher Streitigkeiten. Völkerbund wie Pakt wandten sich gegen das freie Kriegführungsrecht des Einzelstaats. Das Ius ad bellum wurde deklamatorisch dem Einzelstaat benommen und einem Kollektivorgan übertragen. Dieses hatte dafür Sorge zu tragen, daß etwa weiterhin vorkommende Friedensstörungen solidarisch geahndet wurden – war es nicht unsolidarisch, sich dann »neutral« herauszuhalten? Die Anfangseuphorie verpuffte, und während in gelehrter Literatur noch ohne durchschlagenden Erfolg um die Verbindung von Souveränität und Solidarität gerungen wurde, erließen sogar die USA wieder Neutralitätsdeklarationen. Ein gestandener Nazi konnte, angesichts eines »totalen Krieges« um totalitäre Weltherrschaftsphantasien, für Neutralitätskonzepte nur Hohn und Spott übrighaben, auch wenn den Möchtegernneutralen nicht jeder, so wie Carl Schmitt (»vae Neutris!«), seine Verachtung auf Latein entgegenschleudern konnte. Erneut wurde die Neutralität wenig respektiert, oder die Neutralen erkauften sich 18 Steht die klassische Neutralität also in einem Spannungsverhältnis nicht nur zu hierarchischen oder hegemonialen Ordnungen, sondern auch zur Doktrin vom Gerechten Krieg, allgemeiner gesagt: zum Kampf um Werte mit universalem Anspruch? Darüber wird der Frühneuzeitler nicht anhand möglicher Beispiele des 20. Jahrhunderts schwadronieren, er wird die Konfessionskriege ›seines‹ Zeitraums daraufhin befragen!

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eine wenigstens äußerliche Respektierung durch unappetitliche Konzessionen an Nazi-Deutschland. Konnten manche Länder nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden? Schloß sich, wer einem Kampf zwischen Zivilisation und Barbarei einfach nur neutral zuschaute, nicht selbst aus der Gemeinschaft der Zivilisierten aus? Es kam dann aber, trotz der Vereinten Nationen, des Gewaltverbots ihrer Charta, das durch entsprechende Sanktionsmechanismen bewehrt schien (die man anfangs noch für praktikabel hielt), cum grano salis wie nach dem Ersten Weltkrieg: In multinationalen Verträgen tauchten bald wieder »Neutrale« auf, Österreich wurde in die UNO aufgenommen. Sich hier oder da oder überall und immerdar für neutral zu erklären, blieb ein normales, akzeptiertes Instrument einzelstaatlicher Außenpolitik. Die gelehrte Literatur neigte nicht mehr zu großen Grundsatzdebatten.19 Insofern ist das moderne Neutralitätsrecht in allen für uns interessanten Grundzügen das klassische.20 Es handelt sich um teilweise kodifiziertes Gewohnheitsrecht. Die zentrale Verpflichtung des Neutralen wird in deutschsprachigen Abhandlungen in der Regel als »Abstinenzprinzip« etikettiert: keine Einmischung in die Kriegführung. Dieses Postulat umfaßt Einzelpflichten, die zugleich Berechtigungen implizieren21, die die Vormoderne dem Neutralen nie zugestanden hätte: keine Truppenwerbungen auf neutralem Gebiet, keine Verwendung des neutralen Landes als Transitgebiet (Durchmarsch, Überflug).22 Solche Werbungen bzw. Transitversuche muß der Neutrale ablehnen, notfalls auch abwehren.23 Viele Theoretiker sind der Ansicht, das Abstinenzprinzip dadurch präzisieren zu können, daß sie ihm ein Paritätsprinzip zur Seite stellen. Ob ein konsequent durchgearbeitetes Abstinenzprinzip nicht per definitionem unparteiisch ist? Wenn das Juristen anders sehen, wird sich der Historiker damit abfinden. Genetisch muß man beides ohnehin unterscheiden. Historisch gesehen, ging 19 Es kann hier nicht um Einzelheiten wie das Konzept der »Nichtkriegführung« oder »flexiblen Neutralität« gehen, oder um die Idee der »Blockfreiheit« im Kalten Krieg. 20 Will sagen: eine trotz Völkerbund und Briand-Kellogg-Pakt bruchlose Fortschreibung jenes Komplexes von Rechtsnormen, der sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts verfestigt hatte. 21 Vielleicht ist das kryptisch. Nach klassischem wie nach modernem Neutralitätsrecht muß der Neutrale Werbungen und Durchmärsche der Kriegführenden verhindern. Kriegführende des 16. und 17. Jahrhunderts sahen das ganz anders: Damals durfte der Neutrale keine geregelten Werbeversuche, zumal aber (das war lange Zeit ganz unstrittig) keine Transite verhindern. Selbstverständlich zogen die Kriegführenden mit ihren Truppen durch neutrales Land, das hielten sie für ihr gutes Recht. Ich gehe auf alle diese Einzelheiten noch näher ein. 22 Vgl. für ein Hundert möglicher Belege nur diesen, aus einem einst vielbenützten Buch – Cobbett, Leading Cases, Bd. 2, S. 402: »A neutral State must itself abstain from committing certain acts. It must not furnish either belligerent with troops, ships, munitions of war, money, or indeed with anything which may aid him in the war; nor may it grant passage to his troops over its territory«. 23 Wir sehen: klassische wie moderne Neutralität hat »bewaffnete Neutralität« zu sein.

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die Entwicklung dessen, was heutzutage als »Paritätsprinzip« firmiert, dem modernen »Abstinenzprinzip« voran. Wir werden es im Zusammenhang mit Truppendurchmärschen, dem in der Kriegspraxis wohl wichtigsten Ausschnitt dieses Problemkomplexes, noch merken. Die ersten publizistischen Stimmen, die es dem Neutralen anheimgestellt sehen wollen, ob er Truppentransfers über seinen Grund überhaupt gestatte, stammen aus den 1660er Jahren. Grundsätzlich ging die Frühe Neuzeit davon aus, daß Kriegführende ihre Kontingente ohne weiteres über neutrale Gebiete marschieren lassen dürften. In eine Verpflichtung der Neutralen, ihr Territorium von Einheiten der Kriegführenden freizuhalten, verwandelten das da noch gar nicht so alte Recht erst Juristen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das renommierte Staatslexikon Rottecks und Welckers hielt den Neutralen 1841 dazu an, »daß er sich parteilos erweise in dem, was er verwilligt, und in dem, was er verweigert« – Äquidistanz im Tun wie im Unterlassen. Zwanzig Jahre später hieß es im Staats- und Gesellschaftslexikon Herrmann Wageners: »Ich sage ausdrücklich: Sie«, die Neutralen, »dürfen überhaupt keine Hülfe gewähren und nicht, daß sie dieselbe gleichmäßig gewähren sollen«.24 Wir können knapp25 zusammenfassen: Der Neutrale hat sich heutzutage konsequent aus dem Kriegsgeschehen herauszuhalten, diese Unterlassung muß sich gleichmäßig auf beide Kriegsparteien erstrecken. Klassischer und moderner Neutralität ist Äquidistanz26 zu allen Kriegsparteien immanent. Diese 24 Carl von Rotteck/Carl Welcker, Staats-Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften, Bd. 14, Altona 1841, S. 285; Herrmann Wagener, Staats- und Gesellschaftslexikon, Bd. 14, Berlin 1863, S. 344. 25 Abstinenz, Parität: das sind nicht nur die beiden heutzutage zentralen Prinzipien, sondern auch die für einen Vergleich mit der Landkriegspraxis der Frühen Neuzeit instruktivsten Kriterien. Natürlich erschöpfen sich hierin nicht die modernen Pflichten des Neutralen. Beispielsweise muß er Kontrollen seiner Schiffe durch die Kriegführenden im Hinblick darauf dulden, ob er Konterbandehandel betreibt oder ein Embargo bricht, usw., usf. Aber das kann man in allen gegenwartskundlich ausgerichteten Arbeiten zur Neutralität ausführlich nachlesen. Auch mit spezifisch modernen Folgeproblemen neuer Technologien (Flugzeuge, Spionagesatelliten, usw., usf.) brauchen wir uns hier nicht zu beschäftigen. 26 Diese Studie wird es häufig so bezeichnen, denn der Terminus ist eindeutiger als die von den neutralitätsrechtlichen Arbeiten beschworene »Unparteilichkeit«. – Vgl. für zahllose ähnliche Formulierungen nur wieder Cobbett, Leading Cases, Bd. 2, hier S. 402: »Amongst the duties of neutral States there is, first, the general duty of impartiality«. Um noch aus zwei neuen Veröffentlichungen zu zitieren – Hendrik Schulten, Die Geschichte des Malteserordens und die Entwicklung seiner völkerrechtlichen Neutralität, in: Rudolf Hartmann/Christian Wilhelm Meyer/Marcus Jurij Vogt (Hgg.), CIMIC-Aspekte I, Speyer 2005, S. 26: »Unter dem Begriff der Neutralität versteht man gemeinhin die strikte Unparteilichkeit eines Völkerrechtssubjekts gegenüber dritten Staaten«. Chadwick, Traditional Neutrality, S. 3: »In order to preserve a stance of neutrality, neutral states followed two basic precepts: neutral states remained impartial in their relations with the belligerents, and neutral states abstained from any involvement in the war efforts of eigher belligerent.«

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Kriegsparteien haben das Recht des Neutralen auf territoriale Integrität zu achten.27 Wie sich neue Entwicklungen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert – so die Ausweitung des Rechtstitels der »legitimen Selbstverteidigung« durch die einzige verbliebene »Supermacht«28, die Vermischung der Rechtssphären »Kriegführung« und »Verbrechensbekämpfung«29 in »asymmetrischen Kriegen«, insbesondere aber die (jedenfalls rhetorische) Rückkehr des »Gerechten Krieges«30 – auf die Akzeptanz und die Ausgestaltung des Neutralitätsrechts auswirken werden, läßt sich derzeit sicher nicht abschätzen, es gibt hierzu auch keinen referierbaren Forschungsstand. Was der neuesten Literatur natürlich so wenig entgangen ist wie jedem aufmerksamen Zeitungsleser, sind wachsende Selbstzweifel in einer Reihe von Ländern, die sich traditionell als »neutral« verstanden haben: »The new millenium does not seem to be one for neutrality«31. 27 Das ist der für den Vergleich mit der Vormoderne entscheidende Posten auf der Liste der »Rechte des Neutralen«. Sie sind nach klassischem und modernem Völkerrecht nicht sehr spezifisch: Den Kriegführenden werden lediglich ihre friedensmäßigen Pflichten gegenüber einem souveränen Mitakteur auch für den Ausnahmezustand des Krieges eingeschärft (Recht des Neutralen auf Selbstverteidigung, auf fortlaufende friedliche – diplomatische, ökonomische – Beziehungen zu beiden Kriegsparteien). – Cobbett, Leading Cases, Bd. 2, S. 400 faßt so zusammen, am Beginn seiner »General notes« zum Neutralenstatus: »A neutral State is, on the one hand, bound to abstain from all interference in the war and to act impartially towards each of the belligerents; whilst it is, on the other hand, exempted from the direct effects of war so long as it is neutral«. 28 Bekanntlich erlaubt die UN-Charta den Einsatz kriegerischer Mittel lediglich zur Selbstverteidigung. Als solche interpretieren die USA seit der Jahrtausendschwelle auch den Kampf gegen den ›internationalen Terrorismus‹, ja, gegen alles, was die ›westliche Lebensform‹, konkret also den American Way of Life infragestelle. Aufschlußreich das weiter oben (S. 171f. mit Anm. 267) schon erwähnte, im Internet verbreitete Memorandum maßgeblicher US-Intellektueller: »Our attackers despise our entire way of living«; weil die »American values« von allen gutwilligen Menschen zu achten sind, galt der Angriff vom 11. September 2001 »all people of good will everywhere in the world, not just the United States«. Nun ist dieses Memorandum natürlich ›nur‹ offiziös. Anders die von George Bush Jr. im September 2002 vorgelegte »Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten«, die das Recht auf vorbeugende Selbstverteidigung gegen diejenigen proklamierte, die »die Vereinigten Staaten und alles, wofür sie stehen, hassen«. 29 Vgl. hierzu schon oben S. 117 mit Anm. 47. 30 Vgl. oben S. 170f. 31 So bringt Mikael af Malmborg, Neutrality in Sweden, S. 203 (der Schlußsatz des Buches!) die schwedischen Zweifel zum Ausdruck. Ginge es hier um die Postmoderne anstatt um die Frühneuzeit, müßten wir jüngere Entwicklungen und Debatten beispielsweise auch in Finnland und in der Schweiz betrachten. – Überzeugend zum Terrainverlust oder doch jedenfalls – das dürfte unstrittig sein – zum Imageverlust der Neutralität schon vor den hier angedeuteten allerjüngsten Entwicklungen im Umkreis von »Krieg und Frieden« Dietrich Schindler, Ist das Neutralitätsrecht noch Teil des universellen Völkerrechts?, in: Konrad Ginther u. a. (Hgg.), Völkerrecht zwischen normativem Anspruch und politischer Realität, Berlin 1994, S. 385–397.

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George Bush Jr. weiß ja außerdem seit dem 11. September 2001, daß »God is not neutral«.32

1.2 Das forschungsgeschichtliche Manko Für die Zeit zwischen Cornelis van Bynkershoek, vollends der Ersten bewaffneten Neutralität und dem späten 20. Jahrhundert scheinen33 wir klar zu sehen: Neutralität ist ein allseits anerkannter Rechtsstatus, hat nichts Anrüchiges an sich. Jeder Souverän darf jederzeit von seinem Recht auf Neutralität Gebrauch machen. Wenn er tatsächlich so entscheidet, fließen aus dieser legalen und reputierlichen Option für ihn wie für die Mitakteure ganz bestimmte Rechte und Pflichten: Denn wiewohl an den Gelehrtenpulten natürlich über Details gestritten wird, ist der Begriffsumfang von »Neutralität« doch recht fest umrissen. Begriffskerne sind »Abstinenz« und Äquidistanz zu allen Kriegsparteien. Und die Jahrhunderte davor? Sind die Wurzeln des soeben skizzierten Neutralitätskonzepts so unklar wie seine Zukunft? Das Gros der neutralitätsrechtlichen Arbeiten geht in der Tat nicht weiter zurück als bis zur Neutralité armée oder allenfalls bis zu Vattel und Bynkershoek. Doch wurden in den letzten 120 Jahren auch diverse Arbeiten geschrieben, die im Titel ausdrücklich »history« oder »développement«, »Geschichte« oder »évolution« des Neutralitätskonzepts annoncieren, deshalb natürlich auch den Anspruch erheben, zu klären, ob und wie man vor dem 18. Jahrhundert mit den Termini »neutrality« oder »neutralité« operiert habe. Verglichen mit der Vielzahl jener Arbeiten, die die Neutralität 1780 wie Phönix aus der Asche steigen lassen, handelt es sich zwar um erstaunlich wenige Werke, auch sind sie zumeist älteren Datums (und übrigens, wie Schwierigkeiten bei der Beschaffung zeigten, wenig verbreitet – nach der Geschichte des Neutralitätskonzepts zu schürfen, verheißt offenbar keine Verkaufserfolge). Doch ist die Liste immer noch lang genug, um suggerieren zu können, es existiere 32 »The course of this conflict« (wir nennen ihn mittlerweile den »Krieg gegen den internationalen Terrorismus«) »is not known, yet its outcome is certain. Freedom and fear, justice and cruelty, have always been at war, and we know that God is not neutral between them«: White House Press Release, 20. September 2001. Selbstverständlich war Bush Jr. »assured of the rightness of our cause«, aber das ist im Land der Manifest Destiny, der göttlichen Providence, das sogar in der Nationalhymne seine Iusta causa beschwört, ja nichts Neues. Insofern werden künftige Historiker, auf diesen Präsidenten zurückblickend, wahrscheinlich nicht nur psychiatrische Kategorien bemühen müssen, er läßt sich in die Nationalgeschichte ›einordnen‹. 33 Anscheinend, nicht scheinbar! Ich muß so vorsichtig formulieren, weil ich mich mit diesem so häufig schon ausgeleuchteten Zeitraum eben selbst nicht näher beschäftigt habe. Zu zeigen, warum ich es für lohnender hielt, mich den ungleich weniger erforschten Jahrhunderten davor zuzuwenden, ist eines der Ziele dieser Hinführung.

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ein hinreichender Forschungsstand. Ich sollte begründen, warum für mich34 die interessantesten Fragen nach der Lektüre weiterhin offen waren. Daß auch manche derjenigen Arbeiten, die die »Geschichte des Neutralitätsgedankens«35 auszubreiten versprechen, im 19. Jahrhundert einsetzen, ist das banalste Problem. Immerhin eineinhalb Seiten zur Neutralität vor 1800 bot ein 1993 vorgelegter Sammelband über »Neutrality in History«. Die Passage steht unter einer für die Vormoderne nicht passenden Überschrift (»La neutralité, une affaire de droit«), sieht »une véritable régulation« der Rechte und Pflichten des Neutralen im 16. (!) Jahrhundert, erstaunt durch Lobpreis auf die wenig zukunftsweisenden Äußerungen Hugo Grotius’ zu diesem Thema und nennt schließlich noch als Beispiel für die Neutralitätspraxis »le traité de neutralité de Mayence signé en 1632 par Gustave-Adolpe et les États catholiques allemands« – also einen Vertrag, der tatsächlich nie signiert worden ist.36 34 Ich könnte mich auf einen Kenner der internationalen Beziehungen der zweiten Hälfte der Frühen Neuzeit berufen, der diese an sich fürs Neutralitätskonzept treffende Bestandsaufnahme formuliert hat – doch muß ich konzedieren, daß er, als er diese Worte niederschrieb, die Neutralität wohl nicht mit im Blick gehabt hat (jedenfalls in diesem Kontext nicht erwähnt): Von der Geschichtswissenschaft sei »eine Reihe von – methodischen und sachlichen – Problemen bisher noch kaum angegangen worden. Dazu zählen die (längsschnittartige) Untersuchung der Genesis und der Modifikation bestimmter völkerrechtlicher Institute im Laufe der Jahrhunderte bis hin zu ihrer Verfestigung oder ihrem Verschwinden im 19. Jahrhundert und die Interdependenz von Völkerrechtspraxis und Völkerrechtsliteratur.« So urteilt Heinz Duchhardt, »Friedensvermittlung« im Völkerrecht des 17. und 18. Jahrhunderts: von Grotius zu Vattel, in: ders., Studien zur Friedensvermittlung in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 1979, S. 89. 35 So lautet der Titel dieser durchaus interessanten Studie: Leo Strisower, Die Geschichte des Neutralitätsgedankens, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 5 (1926), S. 184ff. Strisower gehörte zu den Autoren, die nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs Neutralität für moralisch diskreditiert hielten, und zwar, weil er (was in anderen Veröffentlichungen aus seiner Feder freilich noch deutlicher wird) in den Kategorien der spätscholastischen Doktrin vom Gerechten Krieg verankert war – daß meine Studie noch ausführlich nach dem Spannungsverhältnis zwischen Neutralität und Gerechtem Krieg fragt, ist nicht so antiquarisch, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte. 36 Was der Autor aber offensichtlich nicht weiß. Vgl. Robert Franck, La neutralité: évolution historique d’un concept, in: Jukka Nevakivi (Hg.), Neutrality in History. Proceedings of the Conference on the History of Neutrality .../ La neutralité dans l’histoire. Actes de la Conférence sur l’histoire de la neutralité ..., Helsinki 1993, S. 26f. – Ich füge einen Hinweis auf diesen Sammelband an: Alan T. Leonhard/Nicholas Mercuro (Hgg.), Neutrality. Changing Concepts and Practices, Lanham/London 1988. Auch er bietet einen einzigen Aufsatz, der in die Vergangenheit schweift, immerhin über die so häufige ›Schwelle‹ 1780 zurück: Alfred P. Rubin, The Concept of Neutrality in International Law, ebda., S. 9–34. Rubin räsonniert über Bibelstellen, über Wurzeln des Völkerrechts, streift dann die Bellum-iustum-Doktrin, mit einer überraschenden Mutmaßung hinsichtlich ihrer Bedeutung für unser engeres Thema: Die scholastische Kriterientrias für Gerechte Kriege »presumes an underlying concept of neutrality. Those who lack the standing, the just cause, object or intention have no moral or

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Schlimmer ist, daß die drei Handvoll Autoren, die sich ernsthaft um die Jahrhunderte vor 1780 bemühen, die moderne bzw. die klassische Neutralität als Maßstab anlegen. Sie ist es, die unsere Autoren mit frustrierend geringem Erfolg in der Vormoderne suchen – wo sie sie, wie wir noch sehen werden, gar nicht finden können. Wer die moderne Neutralität in der Vormoderne sucht, deshalb zwangsläufig Verlustanzeigen aneinanderreihen muß, ist schon von seinem Untersuchungsansatz her gar nicht in der Lage, Voraussetzungen und Ausprägungen der politischen Option Neutralität in der Vormoderne zu verstehen. Das ist meines Erachtens das zentrale forschungsgeschichtliche Problem. Deshalb ist auch die Lektüre der diversen neutralitätsgeschichtlichen Abhandlung so unerquicklich, wir stoßen, außer auf wortreiche Verlustanzeigen, auf die immergleichen seltenen Trophäen, die anzuzeigen scheinen, daß die vormodernen Menschen eigentlich doch schon drauf und dran waren, unsere schöne moderne Neutralität endlich zu kapieren. Aus unseren Autoren unerfindlichen Gründen haben sie das vor 1780 dann aber doch nie geschaft. Nein, die vormodernen Menschen haben die moderne Neutralität einfach nicht verstanden. Das wieder und wieder vorgeführt zu bekommen, ist recht verdrießlich; so gesehen, verwundert es nicht, daß keine der einschlägigen Arbeiten irgend bekannt wurde oder in allgemeineren historiographischen Darstellungen zitiert würde. Auch hat es in hundert Jahren keinen eigentlichen Fortschritt gegeben. Die ältesten Monographien sind nicht die schlechtesten, überhaupt hat, wer sich durch neutralitätsgeschichtliche Arbeiten liest, den Eindruck, er bewege sich im windstillen Auge jenes Orkans, der die Zunft wieder und wieder durcheinanderwirbelt, von einer Modemethode zum nächsten Turn. Der Autor dieser Zeilen hält ja die nervöse Jagd nach den neuesten Saisonmoden für derzeit allzu hektisch, aber so viel Stillstand ist dann doch auch wieder beängstigend. Ein zweites gravierendes Problem kann man den Autoren der neutralitätsgeschichtlichen Monographien nicht wirklich zum Vorwurf machen: Sie kennen die Akten nicht. Solang wir große Aktenbestände nicht – weil sie nämlich zuvor »eingescannt« wurden – nach Suchworten zu durchforsten vermögen, können wir das Thema gar nicht flächendeckend aus den Akten erarbeiten. Auch der

legal basis for participating in the armed struggle. Neutrality for them would not be a right but an obligation« (S. 14). Das mag plausibel anmuten, aber in der historischen Realität standen Neutralitätskonzept und Gerechter Krieg jahrhundertelang in einem (nicht immer nur latenten) Spannungsverhältnis – freilich muß das die vorliegende Studie erst noch zeigen, deshalb hier nicht mehr dazu. Die Seiten 16 und 17 sind dem 16. und 17. Jahrhundert gewidmet, es ist hier von den völkerrechtlichen Ansätzen bei Gentili (ohne Bezug auf die unsere Studie interessierenden Gesichtspunkte) und insbesondere vom Prisenrecht die Rede; weder kommt die Neutralität im Krieg noch kommen überhaupt Landkriege vor. Eigentlich interessieren Rubin Ansätze zur Positivierung des Rechts in der Vormoderne.

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Autor dieser Studie mußte sich archivalisch auf einige Schwerpunkte37 (sprich: eine überschaubare Anzahl von Beständen) konzentrieren. Immerhin, er hat den Gang ins Archiv nicht gescheut, will hier aber auf einen anderen Unterschied zu seinen Vorgängern hinaus: tut nämlich erst gar nicht so, als könne er unter diesen Umständen, ohne umfassende breitgestreute Aktenkenntnis, eine »Geschichte der Neutralität« schreiben. Alle bislang publizierten neutralitätsgeschichtlichen Arbeiten stützen sich, so sie sich nicht mit theoriegeschichtlichen Betrachtungen (und in diesem Rahmen zumeist mit Hymnen auf Hugo den Einzigen) begnügen, auf gedruckt vorliegende, in Editionen greifbare Neutralitätsverträge. Die Mehrzahl der einschlägigen Arbeiten, darunter alle angelsächsischen, interessieren sich überdies ausschließlich oder ganz vorwiegend für die Neutralität im Seekrieg, insbesondere damit zusammenhängende Handelsfragen, ansonsten zieht eine angeblich mit exklusiver Neutralitätstradition ausgestattete Schweiz38 alle Aufmerksamkeit auf sich, auf die anderen Kontinentalmächte fällt allenfalls Streulicht. Gravierender ist aber die Fokussierung der Vertragspraxis, die Privilegierung der Vertragssammlungen als Quelle. Unsere Autoren erfassen damit nur ein recht kleines Segment des Gesamtphänomens, geben dieses aber fürs Ganze aus; Bindeglied ist die Behauptung, die skurrile Spezies des vormodernen Menschen sei der eigenartigen Ansicht gewesen, man könne Neutralität nur als Vertragsverhältnis begründen. Vormoderne Menschen verstanden sie eben wirklich nicht, unsere moderne Neutralität. Drittens steht der Brückenschlag von der Theorie zur Praxis noch aus. Die meisten Autoren interessieren sich entweder für theoretische Entwicklungen (also Äußerungen der immerselben bekannten »Klassiker des Völkerrechts« zu Neutralität bzw. Nichtkriegführung) oder aber für die vormoderne Vertragspraxis, insbesondere zur See – maritime Handelsverträge, Konterbande und Embargo; Vertragsbestimmungen werden aneinandergereiht, übrigens, ohne daß meines Erachtens hinreichend analysiert und typisiert würde. Manche Autoren leisten auch beides, aber die Entwicklungsstränge laufen dann, schon mangels generalisierender Analyse der einschlägigen Verträge, unverbunden nebeneinander her. Es müßte also nicht nur einerseits der Blick auf die publizistische Beschäftigung mit Neutralitätskonzepten ausgeweitet werden, auf theologische und politologische Traktate, aber auch auf Flugschriften, Pamphlete, populäres Schriftgut aller Stilebenen; es müßte nicht nur andererseits der Zugriff auf die Praxis verbreitert werden, weil die Akten davon künden, daß sich unzählige Regenten der 37 Diese Schwerpunkte stellt Kapitel C.3.1.2 vor. 38 Wir werden noch sehen, daß die Eidgenossen in dieser Hinsicht frühneuzeitlichen Beobachtern keinesfalls auffielen. Wenn sie schon einmal ein neutrales ›Musterland‹ kannten und nannten, war es selten die Schweiz, eher beispielsweise Venedig. Wirklich aufgefallen ist aber kein Staatswesen durch seine »Neutralität« – dafür war sich für »neutral« zu erklären viel zu geläufig.

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Vormoderne für neutral erklärten und daß das nur in den seltensten Fällen von entsprechenden Verträgen flankiert wurde oder in sie mündete. Es müßten nicht zuletzt die Verbindungslinien zwischen Theorie und Praxis, publizistischem Meinungskampf und interner Meinungsbildung der Entscheidungsträger gesucht werden. Kannten letztere die einschlägigen Traktate oder wenigstens die in ihnen diskutierten Konzepte oder wenigstens die stets wiederkehrenden Topoi, rekurrierten sie (wie verkürzt auch immer) in Entscheidungssituationen auf solche Denkfiguren? Haben demnach die handlungsleitenden Kategorien der politologischen Pionierwerke, theologischen Traktate, juristischen Dissertationen, per se oder durch populäre Flugschriften vermittelt, praktisch orientiert? Inwiefern hat die überwiegend negative Einschätzung neutralen Verhaltens in gedruckter Literatur die politische Praxis der Neutralität belastet? Viel allgemeiner gefragt: Welche Kriterien welcher Provenienz entschieden in der Vormoderne über Teilnahme oder Abseitsstehen bei militärischen Konflikten?

1.3 Einzelne Veröffentlichungen – ein Überblick Natürlich habe ich zuletzt ungebührlich über einen Kamm geschoren. Beginnen wir unseren Rundgang durch die Spezialliteratur mit zwei neueren Aufsätzen überschaubaren Umfangs! Eine rechtsgeschichtliche Studie Stefan Oeters von 1988 nennt die vormodernen Völkerrechtler und die einschlägige moderne Literatur zu ihnen, ist insofern gut zum Einstieg in die Materie geeignet.39 Daneben interessiert den Autor in zweiter Linie durchaus auch – weil er sie in den Entstehungsprozeß eines vormodernen Vertragsvölkerrechts einordnen kann – die vertragliche Praxis der Neutralität. Daß vorklassische Neutralität grundsätzlich Vertragsverhältnissen aufruhe: diesen Irrtum teilt Oeters Aufsatz mit allen in diesem Kapitel besprochenen Arbeiten, deshalb muß man ihn dem Autor nicht verargen. Wenn Oeter, ausführlich die Neutralitätsvorstellungen des späten 18. Jahrhunderts darlegend, die Ansicht äußert, hier sei »der Prozeß, in dem sich die rechtliche Übung an das zu Beginn der Neuzeit [!] entwickelte Idealkonzept [!] der Neutralität annäherte«, zum Abschluß gekommen, löst das beim Leser seiner an sich gut nachvollziehbaren Ausführungen dann freilich doch ziemliche Überraschung aus. Und daß er das »(ursprünglich sehr viel striktere) politische Konzept« von Neutralität einem korrumpierten, disparaten »Rechtsstatus« gegenüberstellt, kann man sich allenfalls damit erklären, daß dieser Autor nie im Archiv erfahren hat, wie disparat die politische Praxis, aber auch die ihr zugrundeliegenden rekonstruierbaren politischen Konzeptionen in den Ratsstuben 39 Zum Folgenden: Oeter, Ursprünge.

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des 16. oder 17. Jahrhunderts gewesen sind. Man muß dem Juristen mangelnde Aktenkenntnis aber nicht vorwerfen. In einer Studie Cornel Zwierleins, die vorgeblich »die Genese des neuzeitlichen Neutralitätskonzepts« in »italienischen Discorsi« untersucht, erfahren wir wenig über die Neutralität, immerhin einiges über »Discorsi«.40 Um Argumentationsstrukturen in den damals aufkommenden »Discorsi«, allgemeiner gesagt: um die Frühgeschichte der Staatsklugheitslehre geht es diesem Autor eigentlich, nicht um die Wurzeln der klassischen Neutralität. Verräterisch sind solche Formulierungen: »Nicht die Frage, ob Machiavelli« (man bedenke: in jener gedruckten Publikation, die sich, wie wir noch sehen werden, überhaupt zum ersten Mal reflektierend mit neutralem Verhalten auseinandersetzt!) »Neutralität ablehnt oder empfiehlt, war dabei das entscheidend Neue«, sondern »die Wäge-Logik«. Oder: »Nicht die Tatsache, dass Botero« (übrigens ist die Neutralitätskonzeption dieses Autors – fast möchte man sagen: erstaunlicherweise – leidlich erforscht, doch kennt oder nennt Zwierlein die einschlägigen Arbeiten nicht) »eher zur Neutralität rät, ist das Entscheidende für die Methoden-Entwicklung, sondern das Feilen an der Methode selbst, am Mess- und Wäge-Kalkül«. Im Grunde trägt diese interessante kleine Studie zu den Wurzeln der Politikwissenschaften nur eine falsche Überschrift, deshalb sollten wir auch nicht weiter auf ihren neutralitätsgeschichtlichen Blindstellen herumreiten.41 40 Zum Folgenden: Cornel Zwierlein, Die Genese des neuzeitlichen Neutralitätskonzepts. Italienische Discorsi in Politikberatung und außenpolitischer Praxis, 1450–1600, in: Benjamin Ziemann (Hg.), Perspektiven der Historischen Friedensforschung, Essen 2002, S. 36–68. Die folgenden Zitate: S. 44 bzw. S. 61. 41 Und weil sie ja an sich den Zeitraum vor 1600 beleuchten will, erwähne ich nur anmerkungsweise, daß der Ausblick ganz am Ende ziemlich verunglückt ist. Als Indiz für eine in seinen Augen offenbar regressive »Unterordnung der Politik« unter das Recht erwähnt Zwierlein, es werde nach 1600 »›neutralitas‹ zunehmend als ›völkerrechtliches Institut‹ diskutiert ..., meist nach einem verkümmerten oder identisch rezipierten Muster der italienischen Wägelogik«. Belegen soll das in der Fußnote der Verweis auf »Erenberg« und Besold: also Autoren, die – wie wir noch sehen werden – tatsächlich gar kein Neutralitätsrecht geben! – Vergleichbar ist der Befund in einer monumentalen Monographie desselben Autors: Cornel Zwierlein, Discorso und Lex Dei. Die Entstehung neuer Denkrahmen im 16. Jahrhundert und die Wahrnehmung der französischen Religionskriege in Italien und Deutschland, Göttingen 2006. Das Register nennt die »Neutralität« und verweist auf die Seiten 425–431, doch interessieren auch dort den Discorsi ablesbare Denkstrukturen, nicht Probleme neutraler Politik im Krieg: »Der zentrale Punkt in diesen Texten ist nicht, ob sie die Neutralität ablehnen ... Zunächst ist die Entwicklung und Verfeinerung der Wägelogik von Bedeutung ... Es kommt also viel weniger auf eine erst zu gebärende und zu entwickelnde ›Idee‹ von Neutralität an, als auf die Ausbildung dieses perspektivisch verankerten Kalküls des sich dynamisierenden Wägens und Messens«. Zwierlein treibt die Faktorenanalyse bei der damaligen Kräftebestimmung von Staatswesen allgemein, nicht speziell neutrale Politik um. Von den Problemen, im 16. Jahrhundert »neutrale« Politik zu konzipieren, hat er wenig verstanden (sie interessieren ihn ja auch nicht) – das zeigt beispielsweise diese Formulierung: »Der Zustand des Weder-

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Unter jenen Monographien, die sich nicht ausdrücklich schon im Titel zu einer auch historischen Behandlung des Neutralitätsthemas bekennen, bietet eine Studie von Nicolas Politis über »la neutralité et la paix« von 1935 quantitativ deutlich mehr als alle neueren; sie wurde ersichtlich nicht rezipiert. Eigentlich historiographische Ziele verfolgt sie nicht, ausgerechnet am Vorabend des Zweiten Weltkriegs will sie vielmehr, noch euphorisch, »la marche de l’humanité vers un meilleur avenir« publizistisch begleiten.42 Neutralität habe in dieser herrlichen Zukunft keinen Platz. Gleich in der »introduction« wird sie so verworfen: »Considerée comme une institution, la neutralité est le produit de l’anarchie internationale. Elle est, en effet, inconcevable dans une communauté organisée«, und in einer solchen meint der Autor im Europa des Jahres 1935 zu leben – wie könnten wir es neunmalklug verspotten! Zurückblickend, findet er verheißungsvolle Wurzeln seiner wohlgeordneten Gegenwart nicht in der finsteren Neuzeit, sondern in einem goldenen Mittelalter. Es sei ein »fait capital« der Weltgeschichte, »qu’à partir du XVIe siècle la marche vers une organisation, qui avait commencé au moyen Age, a subi durant trois siècles un temps d’arrêt«. Die Peripetie scheint Vitoria (Politis steckt ihn ins Mittelalter) zu markieren, »Vitoria avait aperçu, entre les peuples chrétiens, l’existence d’une communauté juridique«. Was Politis am Mittelalter entzückt, hat aber eigentlich mit Vitorias publizistischem Profil wenig zu tun, umso mehr mit der viel älteren scholastischen Doktrin vom Gerechten Krieg. »Il y avait dans ces doctrines le germe d’un grand progrès, qui eût pu, en se réalisant, empêcher le développement de la notion de neutralité. La possibilité de demeurer neutre eût été exclue dans toute guerre dont la justice ou l’injustice eût été établie.« Politis findet es eigenartig, daß man, schon einmal auf solchen Höhen des völkerrechtlichen Diskurses angelangt, die Neutralität (gab es sie demnach schon ›im Mittelalter‹?) nicht einfach verboten habe: »Il est curieux que nul théologien n’ait songé à la nécessité de combler une telle lacune«.43 noch ist nun eine Dauerposition, die als Wahrnehmungsmuster zur Verfügung steht«, an anderer Stelle spricht er von der »Begriffswerdung der Weder-noch-Neutralität«. Tatsächlich waren vormoderne Möchtegernneutrale, wie wir noch sehen werden, mit der Erwartung jeder Kriegspartei konfrontiert, eine ›Mehr-mit mir‹-Haltung einzunehmen, und »der Zustand des Weder-noch« (um Zwierlein zu zitieren) war ganz besonders schwer zu realisieren, schwerer noch als das – ebenfalls notorisch angefochtene – »Sowohl-als-auch«. Übrigens werden noch Lexika des 18. Jahrhunderts fast durchgehend definieren, der Neutrale wolle »beider Theile Freund« sein bzw. (um es mit »Speranders« A la Mode-Sprach der Teutschen, s. v. »neutral«, zu sagen) »beider Partheyen guter Freund« bleiben, Neutralität ist »ratio et status amici communis dissidentium partium« (so François Pomais Le Grand Dictionnaire Royal, s. v. Neutralité). 42 Nicolas Politis, La neutralité et la paix, Paris 1935, S. 10. 43 Ebda., S. 15–18.

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»Durant trois siècles«, die wir heute die frühneuzeitlichen nennen, wurde alles, alles schlecht. »Elles ont condamné la communauté internationale à l’anarchie«. Wir beobachteten »l’abandon de l’organisation internationale ébauchée44 au Moyen Age«, findet der Autor. Damit korrespondierend, erhob die Neutralität ihre häßliche Fratze. Ihre Physiognomie nachzeichnend, hat Politis, bei manchen Fehlwahrnehmungen45, doch auch einige Züge gut getroffen – oder sollen wir besser sagen, er hat das Fehlen markanter Züge gut in Worte gesetzt? »Il est bien difficile de préciser ces tendances et, en général, de fixer les contours de cette évolution. Car il n’est pas dans le droit des gens de matière plus confuse, plus complexe, plus fuyante ... L’évolution ... ne progresse pas en spirales, mais à la manière des nuages qui tantôt s’amoncellent et tantôt se dissipent.«46 Für Politis waren es natürlich Gewitterwolken, und endgültig verzogen hatten sie sich zum Glück 1928 – unser Autor wähnt sich ja in einer neuen, besseren, verheißungsvollen Epoche des internationalen Miteinander: »La conflagration de 1914 a fait éclater aux yeux de tous l’absurdité du système ... de neutralité ... Elle a établi aussi que, devant l’explosion de la force sur une vaste échelle, les règles de la neutralité sont pratiquement dépourvues de valeur ... Une nouvelle phase a commencé avec la Pacte de Paris de 1928 ... Dès lors, la neutralité ... a cessé en principe d’exister.«47 Politis sah gewiß nicht immer scharf, auch nicht als Zeitgenosse, aber mancher Einzelgedanke ist doch treffend (übrigens auch trefflich formuliert). Wir werden noch sehen, daß die Akzeptanzprobleme der vormodernen Neutralität durchaus mit der Doktrin vom Gerechten Krieg zu tun haben, 44 Also auch in der Praxis? Zuvor war stets von mittelalterlichen Gelehrten die Rede gewesen. Die Zitate: ebda., S. 19f. 45 Er datiert die Begriffsbildung zu spät, ein Neutralitätsrecht zu früh. Die Termini »neutres et neutralité ... ne sont devenus d’un usage courant« als vor der Mitte des 17. Jahrhunderts, meint Politis, und weiter, das Geläufigwerden des Terminus offenbar gleich für seine Verrechtlichung nehmend: »L’adoption des nouvelles expressions a marqué une étape dans l’évolution de la vie internationale. Pur [sic] fait jusque-là, la neutralité a commencé à devenir une institution, prévue et réglée comme telle par le droit de gens. Les belligérants et les neutres ont eu désormais les uns vis-à-vis des autres des droits et des devoirs« (S. 15). »Ce qui, dans les trois derniers siècles«, nämlich den frühneuzeitlichen, »devait être appelé le droit de la neutralité ...«: S. 27. Andererseits setzt Politis eine systematische, umfassende Behandlung des Neutralitätsrechts wiederum zu spät an: »Jusqu’à la fin du XVIIIe siècle, la doctrine a évité en général de traiter la matière dans son ensemble. Son attention s’est arrêtée plutôt sur des questions spéciales«. »La théorie de la neutralité n’a commencé à être étudiée de manière systématique qu’à partir de la fin du XVIIIe siècle quand elle a été fortement influencée par les ligues armées des neutres de 1780 et de 1800«: ebda., S. 37 bzw. S. 38. 46 Ebda., S. 37. – S. 28f.: »Le droit de la neutralité n’a pu présenter un caractère de suffisante stabilité. Il a toujours été imprécis, flottant et, au surplus, médiocrement respecté«: S. 28f. Hätte Politis seinen Satz, anstatt mit »Neutralitätsrecht«, mit »Neutralitätskonzept« eingeleitet, wäre es eine stimmige Diagnose! 47 Ebda., S. 22f.

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und wir werden noch erproben, ob man von der geringen Schutzwirkung einer unscharf konturierten »neutralitet« etwas fürs Große und Ganze der interstatalen Beziehungen lernen kann: Schon aus diesen beiden Gründen schien mir ein Blick auf die eigenartige, vollkommen vergessene Studie von 1935 angemessen. Die neueste jener Monographien, die schon im Titel annoncieren, sich ausdrücklich auch der Geschichte der Neutralität anzunehmen, ist die Josef Köpfers aus dem Jahr 1975.48 Der Autor bietet immerhin drei Seiten zur »Rechtslage im 17. und 18. Jahrhundert« und eine halbe zur »praktischen Entwicklung des Landneutralitätsrechts« in diesen beiden Jahrhunderten, davor schon eine Seite über die »Gründe für die Entwicklung des Neutralitätsrechts« am Beginn der Neuzeit: »Historisch fällt dieser Prozeß ... mit dem Entstehen neuer, in sich gefestigter Herrschaftszentren (mächtige Territorialherren, Kaufmannsgeschlechter) zusammen. Diese Ständeordnung schuf auch die Bedingungen für eine annähernd gleiche militärische und wirtschaftliche Stärke, wodurch die Rechtsbeziehungen sowohl unter den einzelnen Mächten wie gegenüber Drittstaaten gefördert wurden.«49 Nicht jeder Satz ist so bar jeglichen nachvollziehbaren Sinns, aber die auf älterem Schrifttum (freilich nicht den gleich noch zu besprechenden Monographien, sondern hauptsächlich nicht erwähnenswerten kriegskundlichen Dissertationen und dergleichen) basierenden Passagen reihen Halbwahrheiten aneinander; nicht alles ist grundverkehrt, aber fast nichts korrekt. Es stört, daß der Autor »Neutralitätsbegriff« und »Neutralitätsrecht« ineins setzt, jedenfalls meistens synonym verwendet. Daß »der Begriff« 1620 Eingang »in die völkerrechtliche Doktrin«50 gefunden habe, ist natürlich, wiewohl von Köpfers Gewährsleuten durchgehend behauptet, unsinnig ... Aber es lohnt hier keine korrigierende Exegese, weil sie länger würde als der auszudeutende Text. Auf ihre wenigen stimmigen Aussagen reduziert, bietet die Monographie für die Zeit vor dem 18. Jahrhundert weniger als einschlägige Notierungen in Völkerrechtslexika oder die »Epochen der Völkerrechtsgeschichte« Wilhelm G. Grewes. Die international bekannteste – nein, ehrlicher Weise muß ich konstatieren: die am wenigsten unbekannt gebliebene – Monographie zur Neutrality, von Philip C. Jessup und Francis Deák51, ist, wie die gesamte angelsächsische Forschung, fast ausschließlich an der Neutralität im Seekrieg, insbesondere an Handelsfragen interessiert. Die Materialsammlung ist nicht nur fast analysefrei, ihre Autoren scheinen sich auch ganz gern dazu zu bekennen, behaupten jedenfalls, es sei »im48 Zum Folgenden: Josef Köpfer, Die Neutralität im Wandel der Erscheinungsformen militärischer Auseinan­dersetzungen, München 1975. 49 Ebda., S. 8. 50 Ebda., S. 7f. Köpfer hat offenkundig Neumayr von Ramsla im Blick; daß diesen Autor tatsächlich keine »völkerrechtlichen« Anliegen umgetrieben haben, werden wir noch sehen. 51 Zum Folgenden: Philip C. Jessup/Francis Deák, Neutrality. Its History, Economics and Law, Bd. 1, Ndr. der Ausgabe von 1935, New York 1976.

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possible to make generalizations which will be accurate historically when applied to the period of several centuries immediately prior to the Peace of Westphalia« und, an anderer Stelle, es sei »unimportant to dispute the size and shape of the embryo at different moments« zwischen dem 12. und dem 17. Jahrhundert! 52 Zur analytischen Schwäche kommen terminologische Unschärfen – Neutralität im Krieg ist nicht religiöse Toleranz oder Zurückhaltung bei innerstaatlichen Konflikten! Weil vom vergeblichen Versuch, 1632 die Neutralität zwischen Gustav Adolf und der katholischen Liga vertraglich zu vereinbaren, weiter oben schon kurz die Rede war, erwähne ich noch, daß der entsprechende Vertragsentwurf auch für diese Autoren »signed« wurde, diese Neutralität wurde »concluded«.53 Was das Autorenduo ansonsten zum »Treaty Development« bietet, ist ein Sammelsurium vormoderner völkerrechtlicher Verträge, die kaum je auf Neutralität abzielen.54 Es handelt sich eben um Kenner der modernen, nicht der frühneuzeitlichen Geschichte, ich will das nur mit diesem Satz illustrieren: »When the Thirty Years’ War had come to an end, the feudal system had broken down in the greater part of Europe«.55 Ich denke, daß ich mich mit dem folgenden Zitat von einer eingehenderen Befassung mit dieser noch am ehesten bekannten Monographie zum Thema »Geschichte der Neutralität« dispensieren kann: »The word neutrality ist used in its modern sense [!] in the fourteenth century«.56 Die von denselben Autoren herausgegebene Quellensammlung zur Geschichte der Neutralität »includes laws, regulations and treaties from 1800« bis zum Erscheinungsjahr.57 Das gilt ähnlich für andere Vertragssammlungen oder auch Bibliographien.58 Auch eine hierzulande nicht rezipierte59, aber in den Fußnoten französischsprachiger Arbeiten gelegentlich begegnende Monographie, die Richard Kleen 52 Ebda., S. 4 bzw. S. 17. 53 Ebda., S. 46 bzw. S. 22. 54 Hauptsächlich geht es um Allianzverträge, vgl. ebda., S. 24ff. Als mildernden Umstand will ich vorausgreifend anführen, daß viele vormoderne Verträge zwischen Protektions- und Neutralitätspakt changieren. Aber trennschärfer als das angelsächsische Autorenduo muß man schon hinschauen. 55 Ebda., S. 10. 56 Ebda., S. 4. 57 Vgl. Philip C. Jessup/Francis Deák (Hgg.), A Collection of Neutrality Laws, Regulations and Treaties of Various Countries, Bd. 1, Ndr. der Ausgabe von 1939, Westport 1974 (Zitat: Preface, S. XI). 58 Ich nenne nur noch: Schweizerische Armee (Hg.), Staatsverträge über bewaffnete Konflikte und Neutralität, Bern 1974 (das älteste Schriftstück datiert von 1907 – Passagen der Haager Abkommen; die »Historischer Rückblick« betitelte Einleitung geht immerhin bis 1864 zurück); oder Howard S. Levie, The law of war and neutrality. A selective english-language bibliography, New York 1988 (viel Zweiter Weltkrieg, ein wenig Erster, für die Zeit davor muß der Hinweis auf Jessup/Deák hinreichen). 59 Das gilt erst recht für diese Arbeit, die ich der Vollständigkeit halber wenigstens erwähnt haben will: Sidney Schopfer, Le principe juridique de la neutralité et son évolution dans

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1898 vorgelegt hat, interessiert sich ausschließlich für den Seekrieg. Eigentlich geht es ihr um neuere Erscheinungsformen und Streitfälle des Neutralitätsrechts, aber weil eine »introduction historique«, für derartige Arbeiten untypisch, weiter als bis 1780 zurückgreift, sollten wir kurz bei ihr verweilen. Die Hinführung setzt an sich ganz verheißungsvoll ein. Kongenial zu den (ihm freilich nicht bekannten) Publizisten und Sentenzensammlern des 16. und 17. Jahrhunderts, zu deren selten ausgelassenen Topoi der Gemeinplatz von der besonderen Schwierigkeit des Themas Neutralität gehört, klagt Kleen einleitend: »La notion de la neutralité resta obscure et indécise jusqu’au XVIIe siècle«, und: »par suite de la nature compliquée de la conception même de la neutralité, ainsi que de l’élasticité et de l’ambiguité des principes qui y sont relatifs, ceux-ci n’ont pu être établis que par l’effet de luttes continuelles d’opinions flottantes et contradictoires«.60 Es folgen Bemerkungen zu den »peuples anciens« und zum Mittelalter, das an

l’histoire du droit de la guerre, Lausanne 1894. Heinhard Steiger erwähnt das Rarissimum in einem interessanten Lexikonbeitrag über die für meine Monographie an sich nicht einschlägige interkonfessionelle Neutralität in den »Geschichtlichen Grundbegriffen«, und freundlicherweise sandte er mir eine alte Kopie von Chapitre II, das mit »Aperçu historique« überschrieben ist, zu, wofür ich ihm herzlich danke! Meine Versuche, das Buch über die »Fernleihe« zu besorgen, blieben nämlich dauerhaft erfolglos. – Dieses Kapitel war längst ausformuliert, als mich die freundliche Gabe Heinhard Steigers erreichte, sollte ich es um einen längeren Absatz zu Schopfers »Aperçu« ergänzen? Im Grunde machte es wenig Sinn, auf die richtigen (»oscillations continuelles«, »incertitudes«; »quelque chose d’incohérent et d’inchoatif«) und falschen Beobachtungen eines Autors einzugehen, dessen Werk gänzlich unbeachtet geblieben ist. Mehr als einen »Aperçu« (ohne Belege und Fußnoten) muß Schopfer nicht bieten, weil er zu wissen meint, daß Neutralität »une création toute moderne« sei und auf »impartialité« basiere. In der Antike gab es keine Neutralität »par suite de l’isolement où les peuples vivaient«, das christliche Mittelalter kannte gar keine freien zwischenstaatlichen Beziehungen, weil es ganz unter der Knute tyrannischer Päpste stand, ehe Luther und Calvin den Obskurantismus wegfegten, einzelstaatliche »souveraineté« und »tolérance« über die Welt brachten, »la lumière commence déjà à briller et à remplacer le chaos discordant des anciennes pratiques«. Erstaunlich ist, wie viel deutsche Geschichte der Autor bietet, nur wird man sich über sie nicht ausgerechnet bei Schopfer informieren wollen, und es kommt kaum je die Neutralität dabei vor. Damalige Neutralität sei eine Art von »irrésolution« gewesen, bemängelt der Autor einmal, eine Pseudoneutralität, »qui, à la vérité, n’avait été ni stricte, ni impartiale« – wie hätte sie das auch sein können! Aber es lohnt, wie gesagt, nicht, näher auf eine Monographie einzugehen, die hundert Jahre lang niemand gelesen hat und zu der nun (wiewohl wahrlich noch Krauseres zum Thema erschienen ist) nicht ausgerechnet der moderne Leser greifen wird. – Weil die Schrift so gänzlich unbeachtet blieb, kann auch die von Schopfer wuchtig herausgearbeitete ›Zäsur von Marignano‹ nicht an diesem Schweizermythos (vgl. unten Kapitel C.3.1.1) schuld sein. Wem folgt der Autor hier? Das wäre interessant zu wissen, aber es fehlen dem »Aperçu« eben leider die Belege. 60 Richard Kleen, Lois et usages de la neutralité d’après le droit international conventionnel et coutumier des États civilisés, Bd. 1, Paris 1898, S. 1 (Kursivsetzungen von mir).

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seinem Ende ein wunderbares Neutralitätsrecht (!) hervorbrachte.61 Das 16. und frühe 17. Jahrhundert füllte dann eine traurige Verfallsgeschichte aus, »l’époque moderne fut inaugurée par des restrictions successives apportées au droit [!] de la neutralité«; »on s’habitua de plus en plus à fouler aux pieds tous les droits [!] des neutres«.62 Illustriert wird das ausschließlich mit maritimen Beispielen, es kommt in der ganzen »introduction« kein einziger Landkrieg vor. Also, die mittelalterliche Herrlichkeit zerfällt63, bis endlich »l’ouvrage immortel« von Grotius64 das Bild wieder aufzuhellen beginnt. Überhaupt stellen sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts, aus diesem, dann auch anderen Gründen65, gewisse Fortschritte ein, die der Autor freilich dem Folgejahrhundert erstaunlicherweise wiederum nicht attestieren kann – hier, im Säkulum von Vattel und Moser, im Jahrhundert der Neutralité armée, sieht er »le spectacle d’une grande confusion«.66 Der ratlose Leser fragt sich, ob der historische Stoff besonders konfus ist ober aber sein Bearbeiter; am Ende der vorliegenden Studie wird man nicht mehr so vorwitzig sein wollen, eine eindeutige Antwort zu formulieren, ohne Richard Kleens »introduction« deshalb rehabilitieren zu können. Ausdrücklich dem »développement historique« der Neutralité auf der Spur war 1938 der Jurist Willem Paul Johannes Adriaen van Royen67, doch beschäftigen auch ihn fast ausschließlich »les intérêts maritimes«, »le point cardinal de la lutte pour la neutralité« ist ihm die Behandlung von Schiffsladungen unter der

61 Es gipfelt für Kleen in einem »Consulat de la Mer«, also im Consolat del mar von (vielleicht) 1494: einer Kodifikation des maritimen Gewohnheitsrechts durch Richter des Seegerichts in Barcelona. 62 Kleen, Neutralité, S. 7 bzw. S. 8. 63 »En somme, jamais les infractions au droit [!] de la neutralité ne furent plus criantes qu’immédiatement avant la renaissance du droit des gens«: ebda., S. 10. 64 Einmal auf die groteske Überzeichnung des Beitrags von Hugo Grotius zur Genese eines Neutralitätsrechts (sie begegnet, nicht immer so auffallend, in den hier besprochenen Arbeiten durchgehend) aufmerksam geworden, stellt der Leser fest, daß die »introduction« kaum belegt ist, nur wenige Fußnoten aufweist, die ausschließlich – Hugo Grotius nennen! Die von ihm einst herangezogenen historischen Exempel sind für Kleen »Geschichte der Neutralität«. 65 Kleen benennt, außer einer vagen »réforme scientifique et religieux«, diese Gründe: »la renaissance [!] du droit naturel et du droit international«; »le réveil d’une conscience internationale« (?); und, natürlich: »l’influence du grotianisme« (ebda., S. 12f.). 66 Kleen setzt so fort: »Ce fut seulement vers la fin du siècle que les États furent forcés, par le grands événements, à y apporter un peu plus d’ordre« (ebda., S. 16). Auch diese Bilanz ist unglücklich formuliert, denn ungefähr in der Mitte des besagten Jahrhunderts wurden wichtige Grundlagen der klassischen Neutralität in der Gelehrtenstube erarbeitet, während sein Ende, bereits auf dem Weg zur napoleonischen Hegemonie über Europa, schlimme praktische Rückschläge sah. 67 Zum Folgenden: Willem Paul Johannes Adriaen van Royen, Analyse du problème de la neutralité au cours de l’évolution du droit des gens, Diss. Utrecht 1938.

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Flagge von Nichtkriegführenden.68 Diesem Autor ist grundsätzlich aufgegangen, daß »le développement« des Neutralitätskonzepts »est irrégulier et lent«.69 Doch verstellt er sich selbst jedes Verständnis für jene langwierige Entwicklung, denn sein Ausgangspunkt ist »la neutralité comme figure juridique«70, wie sie kleine Staaten pflegten, die am Meer lägen. Er will einen »bloc des neutres« solcher Staaten herbeischreiben, findet ihn zum ersten Mal 1780, wohl deshalb gilt: »pendant les 16ième, 17ième et 18ième siècles ... la neutralité n’est qu’un mot vide«!71 Zwar werden alle bekannteren Völkerrechtler des 17. und 18. Jahrhunderts irgendwo in dieser Arbeit erwähnt, aber nur, um ihre Defizite vorzuführen und die Überlegenheit des »célèbre compatriote«72 Grotius herauszustreichen, neben dem kein anderer bestehen kann. Eigentlich geht es in diesen Passagen um die Ausführungen des rühmenswerten »compatriote« wie seiner unzulänglichen Kollegen zum Gerechten Krieg, die Einsichten des ersteren überstrahlten den ganzen »Machiavélisme« einst und jetzt. Über vormoderne Entwicklungen des Neutralitätskonzepts können wir unter diesen Umständen nicht viel erfahren –­ wie auch, wenn diese Neutralität vor 1800 nur ein »mot vide« war, Schall und Rauch!73 Die Monographie über »L’évolution du concept de la neutralité« aus der Feder des ägyptischen Juristen Hamed Sultan74 erkennt zwar richtig, daß »nulle partie du droit des gens n’a été laissée dans l’incertitude et l’obscurité autant que l’origine du concept de neutralité« (ja, an anderer Stelle: daß »aucune autre partie du droit des gens n’a été laissée dans un état plus anarchique que la neutralité«) und daß »nulle évolution n’a suivi de courbe plus hésitante et plus capricieuse«.75 Aber Sultans eigentliches Interesse ist kein historiographisches, »pour prévoir clairement l’état futur de ce concept, nous avons cru nécessaire de remonter à son origine«.76 Ziel ist es, aufzuzeigen, »que l’immoralité de la neutralité est évidente«.77 Sultan 68 69 70 71 72 73

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Ebda., S. 12 bzw. S. 17. Ebda., S. 10. Ebda. (Kursivsetzung von mir). Das folgende Zitat: ebda., S. 13. Ebda., S. 12. Ebda., S. 37. Nicht nur, daß van Royen nach einer »figure juridique« fahndet, er baut sich diese Rechtsfigur um strikte Unparteilichkeit als ihren konzeptionellen Kern herum zusammen. Beides, die Rechtsfigur und die Äquidistanz, findet er vor dem späten 18. Jahrhundert nicht. Das ist nicht seine Schuld, nur stimmen eben die Prämissen nicht. Zum Folgenden: Hamed Sultan, L’évolution du concept de la neutralité, Kairo 1938. Ebda., S. 1 bzw. S. 5 bzw. S. II (Kursivsetzungen von mir). Ebda., S. 1. So die Quintessenz des Buches auf S. iiii. – Ich nehme dieses tagesaktuelle Anliegen Sultans zum Vorwand, um hier einige Bemerkungen zu einer Studie anzureihen, die in französischsprachigen Darstellungen zum Thema erstaunlich häufig (häufiger als die Monographie Kleens) in den Fußnoten auftaucht: Ernest Nys, Notes sur la neutralité, in: ders., Études de droit international et de droit politique, Bd. 2, Brüssel/Paris 1901, S. 47–163. Sie versteht

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geht von der modernen Neutralität aus und kennt keine andere: Neutralität ist »régie par des règles de droit«, so gilt es »une stricte impartialité« zu beachten.78 Diese Neutralität sucht der Autor in der Vormoderne, wo er sie natürlich nicht finden kann. Es ist schade, leider auch bezeichnend für den verkorksten Forschungsstand, daß er das, wie so viele seiner Kollegen, gar nicht gemerkt hat – ist das Buch doch der Ansicht, »neutralité« sei »l’œuvre des trois derniers siècles«.79 Wir finden auch für diesen Zeitraum kaum etwas, was Bestand hat. Bleiben wir bei rechtsgeschichtlichen Bemühungen um die Geschichte der Neutralität! F. Bottié gibt sich in einem 1937 vorgelegten, interessanten und ambitionierten, indes, jedenfalls in der Historiographie, unbeachtet gebliebenen »Essai«80 als Jurist zu erkennen, der »une étude de Droit« vorlegen wolle. Die liefert er indes nicht, er bietet einerseits viel mehr, andererseits deutlich weniger. Um mit Lob zu beginnen: Bottiés Studie fällt insofern aus dem Rahmen, als ihr Autor erkennt, daß er nach der »neutralité« vergangener Jahrhunderte (er selbst meint sogar: Jahrtausende) nicht mit einem Suchmuster fahnden darf, das Juristen erst im 18. Jahrhundert zu erarbeiten begannen, also mit einem Fahndungsplakat, das – in der Terminologie der vorliegenden Studie gesagt – die Rechtsfigur der klassischen Neutralität abbildet. Anstatt nun aber nach politischen und juristischen Wurzeln dieser Rechtsfigur zu schürfen – mit anderen Worten: Diskurse zu analysieren, die um neutrales Verhalten kreisen, ehe sich dieses schon reflektierte81, aber noch nicht verrechtlichte Handlungsmuster, diese

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sich als Beitrag zu einer heute vergessenen kriegsethischen Debatte unter heute vergessenen Autoren (Nys bezieht sich vor allem auf völkerrechtliche Arbeiten des damals berühmten James Lorimer und des damals nicht ganz so berühmten, heute nicht so gänzlich vergessenen Johann Caspar Bluntschli), der die Neutralität diskreditieren will: »les devoirs actifs prennent rang avant les devoirs passifs«, »l’intervention précède la neutralité« (ebda., S. 53). Gelte etwa gar, »que la condition normale des nations est la paix, non la guerre« (ebda., S. 54)? Uns braucht an dieser versunkenen Debatte nur zu interessieren, daß sie beispielhaft zeigt, wie Kritik an neutralem Verhalten eigentlich nie gänzlich verstummt ist, noch nicht einmal im 19. Jahrhundert; und daß Nys, vorgeblich, um so moralische Klarheit zu gewinnen, einen Exkurs in die Vergangenheit unternahm. Er bietet auf den Seiten 68 bis 77, neben allgemeiner Völkerrechts- und Diplomatiegeschichte – so beansprucht der Westfälische Frieden mitsamt seiner engeren Vorgeschichte eineinhalb dieser zehn Druckseiten – Exempel neutralen Verhaltens im 16. und 17. Jahrhundert, die er aus noch älterer Literatur zusammengetragen hat. Es ist, der tagesaktuellen Zielsetzung zum Trotz, eine (kleine) Materialsammlung, historische Zusammenhänge und Strukturen werden nicht deutlich. Daß neutralitätsgeschichtliche Exkurse und Einleitungen immer wieder auf Nys rekurrieren, ist wenig berechtigt. Sultan, L’évolution, S. 4. Ebda., S. II. Zum Folgenden: F. Bottié, Essai sur la genèse et l’évolution de la notion de neutralité, Paris 1937. Ehe diese Reflexion (Selbstreflexion des Nichtkriegführenden über sein Tun, explizierte Fremdurteile über »neutrales« Verhalten) einsetzte, spricht meine Studie, anders als Bottié,

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schon reflektierte, aber noch nicht kodifizierte Denkfigur zur fixen Rechtsfigur verdichtete –, greift Bottié zur Psychologie. Ausgangspunkt seiner Recherchen sei keine »définition de la neutralité«, sondern eine »idée de base«, und ihm sei klargeworden, »qu’une base valable de la neutralité peut être trouvée dans la position psychologique du neutre«. »Considéré de ce point de vue, le neutre est essentiellement ›celui qui ne prend pas parti‹ (Ne-uter). Mis en présence de deux thèses, de deux prétensions qui s’affrontent, il refuse de faire sienne, aussi bien l’une, que l’autre.« Diese »idée de ›non-prise de parti‹ en présence d’un conflit«82, welcher Art auch immer, sieht er nun in den Weltenläuften von Jahrtausenden walten. Mit großem Aufwand weist er nach, daß »la tendance à la ›non-prise de parti‹ ... s’avère aussi ancienne qu le recours à la violance dans les rapports entre les hommes«.83 Es sei eben eine »psychologische« Disposition des Menschen, heute würde man wohl eher so formulieren: eine anthropologische Grundkonstante. So ist die Quintessenz des langen »Essais« denn auch rasch zusammengefaßt und letztlich banal: Der Mensch ist nun einmal so, daß er nicht immer Farbe bekennen will. Die Weltgeschichte nämlich zeigt, daß sich, seit es Menschen gibt, nicht alle von ihnen in allen ihren Konflikten exponieren wollten. Wer hätte das gedacht! Bottié sucht in der Weltgeschichte nach etwas, was in diesem banalen Sinne natürlich immer im Überfluß vorhanden war, indes nur selten Berührungspunkte mit der vorklassischen Denkfigur, der vorklassischen politischen Option einer »neutralità« oder »neutralitet« aufweist. Eigentlich beschäftigt er sich mit der Vergangenheit ohnehin nur, weil er daraus Anhaltspunkte für Prognosen gewinnen will: Ist in der hochkomplexen, durchtechnisierten84, ökonomisch verflochtenen modernen Welt »non-prise de parti« überhaupt noch wünschenswert, ist sie praktikabel? Der Neutrale – in diesen tagesaktuellen und prognostischen Passagen ist wirklich von Neutralität im Krieg die Rede – müßte sich vollständig isolieren, und »la réalisation de l’isolement complet suppose un contrôle minutieux de l’activité de l’individu par l’État«85, gewissermaßen den neutralen Orwellschen Überwachungsstaat. Außer

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nicht von »Neutralität«. Abseitsstehen muß auf den Begriff gebracht und muß um diesen Begriff kreisender Reflexion unterzogen werden, um für den Historiker interessant zu werden. Weiter zurückgehend, landen wir bei der banalen Tatsache, daß an keinem militärischen Konflikt der Weltgeschichte alle gerade existierenden Gemeinwesen aktiv teilgenommen haben. Die Zitate: ebda., S. 9–12. Ebda., S. 389. Das meint nicht nur, aber auch Militärtechnik: »la technique de la guerre moderne et la notion classique de neutralité sont pratiquement, sinon doctrinalement, incompatibles. Le décalage que nous venons de signaliser exige, si l’on veut réadapter la notion de neutralité et le régime du neutre aux conditions techniques de la guerre moderne, un bouleversement complet de la conception classique« (ebda., S. 393). Ebda., S. 403.

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ökonomischen86 hat der Autor ordnungspolitische Bedenken: Seine historischen Bemühungen hätten erwiesen, daß sich Neutralität nicht mit »ordre« vertrage87, nur im Chaos gedeihe (der Leser fragt sich unwillkürlich, warum dann nicht die Spätantike und das Frühe Mittelalter Goldene Zeitalter neutraler Politik und elaborierter Neutralitätskonzepte gewesen sind). Im Grunde will Bottié gar keine rechtsgeschichtliche Untersuchung vorlegen, er spricht zu den zeitgenössischen Opinion leaders, deren neuentfachte Neutralitätseuphorie ihn verstört. Könne man nach dem Ersten Weltkrieg wirklich noch eine »liberté anarchique sans limite«88 wünschen? Was nur wird aus der »idée de sécurité collective«?89 Diese Zweifel wurden zwei Jahre vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs niedergeschrieben, nicht nur deshalb hat die Lektüre des Bottiéschen Versuchs ihren Reiz. Seine neutralitätsskeptischen Prognosen freilich haben sich nicht bewahrheitet, jedenfalls nicht bis jetzt. Und der Frühneuzeitler – aber ihn hatte dieser Autor gar nicht im Blick – kann dem Essai für seinen Zeitraum wenig abgewinnen. Den weiten Neutralitätsbegriff Bottiés und jene rechtsgeschichtliche Fokussierung von Seehandelsfragen, die wir in den zuvor besprochenen Arbeiten beobachten konnten, vereint eine neuere Studie über »the rights and duties of neutrals« aus der Hand von Stephen C. Neff.90 Sie setzt schon »in the Middle Ages« ein, macht immerhin ein Akzeptanzproblem aus: »The medieval Christian world held neutrality in low esteem«. Kannte diese »medieval world« demnach bereits ein – wenn auch wenig geschätztes – Neutralitätskonzept? Oder verwendet der Autor nur den Neutralitätsbegriff reichlich unreflektiert?91 Jedenfalls gab es ihm 86 Weil Bottié in der modernen wirtschaftlichen Verflechtung das größte Problem fürs klassische Neutralitätskonzept ausmacht, interessieren auch seine historischen Rückblicke vor allem Handelsfragen, Konterbandelisten u. ä. So mutmaßt er, die Herausbildung eines Neutralitätsrechts verdanke sich der Etablierung dessen, was wir neuerdings mit Immanuel Wallerstein die »Capitalist World-Economy« nennen würden: vgl. ebda., S. 124. 87 Das nachzuweisen, ist das zentrale Ziel der historischen Schürfarbeiten. »La notion d’un ›ordre‹ inter-groupal (réalisé ou purement doctrinal)« verhindere im Staatenleben Neutralität – ob es sich nun um das Römische Imperium, »la doctrine des Théologiens médiévaux« (ebda., S. 396) oder den Völkerbund handle. 88 Ebda., S. 400. 89 Ebda., S. 398; ebda., S. 401: greift diese Idee trotz jüngster Rückschläge und Zweifel doch noch, dann »il y a tout lieu de croire que la notion de neutralité devrait disparaître«. Das – von Bottié natürlich überzeichnete – Spannungsverhältnis läßt sich auch am Beginn des 21. Jahrhunderts nicht wegdiskutieren. 90 Zum Folgenden: Stephen C. Neff, The rights and duties of neutrals. A general history, Manchester 2000. Die Arbeit stützt sich auf ältere englisch- und französischsprachige Literatur, kennt keine deutschsprachigen Werke, auch nicht die (zwar problematische, aber) ungemein reichhaltige Materialsammlung von Paul Schweizer, auf die ich gleich noch eingehen werde. 91 Weil Theologen die Diskurse vorgaben, »it was virtually impossible to see neutrality as an incontestable and unquestionable sovereign prerogative of states«: gab es demnach auch schon »souveräne« Staaten im Mittelalter? Die Zitate: S. 7 bzw. S. 8.

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zufolge eine reichhaltige Neutralitätspraxis in »the Middle Ages«, was er gar nicht blumig genug ausmalen kann, die »state practice« der Neutrality »showed itself to be a very lush garden« – denn, so die Beweisführung, an zahlreichen Konflikten dieser Jahrhunderte waren ja gar nicht alle »princes« beteiligt! Neutrality herrschte, »whenever some states were at war while others were at peace«, also eigentlich immer und fast überall.92 »At the end of the Middle Ages, with the decline of just-war ideas«, habe die »grand theory« nach dem Neutralitätsthema gegriffen, beobachtet Neff – wir wissen schon, daß hier die Prämisse nicht stimmen kann, »just-war ideas« ragten weit in die Neuzeit hinein. Es etablierte sich nun (also noch im Mittelalter!) »a true right to be neutral – and, by direct implication, a duty to be impartial«.93 Wir werden noch sehen, daß beide Annahmen falsch sind. Wie aber kommt Neff dazu, ausführlich ein vermeintliches mittelalterliches Neutralitätsrecht94 auszubreiten? Er bietet Essentials des modernen Völkerrechts auf, die für ihn offenbar so evident sind, so untrennbar ins »natural-law right« eingewirkt, daß man sie schon »in the Middle Ages« als gegeben voraussetzen kann, darunter eben auch die »impartiality« des Neutralen. Was »the heart of the law of neutrality« ausmacht, so suggeriert Neff, war schon »at the end of the Middle Ages« voll entwickelt, inhaltlich deduziert er es, mangels geeigneter Urkunden95, dem »general law of nature« und den »normal sovereign prerogatives«, er entfaltet die »sovereign rights«, die ja auch einem Neutralen zustünden und immer zugestanden hätten. Es ist von Sachverhalten die Rede, die eben, wie es bezeichnenderweise bisweilen heißt, »throughout the history« so sind und waren, ja auch sein werden, weshalb man das sogar in »the future« extrapolieren, daraus für die Zukunft lernen kann (zum Beispiel, daß es Neutralität, aller aktuellen Zweifel unerachtet, wohl immer geben wird). Den Ausführungen zu »the Middle Ages« folgen immerhin 16 Seiten96 über die Entwicklung »from approximately the mid-seventeenth to the mid-eighteenth centuries«. Was fällt Neff an diesem Säkulum auf ? Es bringe eine Fülle von Verträgen, die auch von Neutralität handelten, sich dabei durch eine große 92 Deshalb, so die aktuelle Nutzanwendung, sind auch die um und nach 2000 lautgewordenen Zweifel an einer Zukunft der Neutralität verfrüht: »Historical perspective ... must lead to instant suspicions of any claims of the death of neutrality ... As long as armed conflict exists de facto ... there will be a need to reconcile the interests of those at war and those at peace by some means. Neutrality will end when armed conflict ends«: ebda., S. 218. 93 Ebda., S. 10 (Kursivsetzung im Original). 94 Ebda., S. 10–23. 95 Bezeichnenderweise beginnt die Arbeit mit einer gut achtseitigen »Table of treaties«, aber nur drei dieser Dokumente (welcher Kontrast zum Bild, das, freilich aus kontinentaleuropäischer Perspektive, Paul Schweizer zeichnet!) sind mittelalterlichen Datums. 96 Zum Folgenden: ebda., S. 27–43.

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»liberality towards neutrals« auszeichneten. Es war »a time of liberality«, der dann ein Vierteljahrtausend auf dem Fuße folgt, das den Neutralen gegenüber immer mißgünstiger werden wird. Dieser Befund sticht ab von allem, was kontinentaleuropäischen Arbeiten zur Neutralität, ihrer sonstigen Unterschiede unerachtet, immer unumstößliche Gewißheit war: daß nämlich das 19. das ›Goldene Jahrhundert‹ der Neutralität gewesen ist. Falsifizieren kann ich Neffs Befund nicht, denn er schaute ihn ganz einseitig einem Quellenkorpus ab, das meine Studie, insofern auf ihre Art wohl auch einseitig, links liegen läßt. Neff inspiziert Verträge, in denen vom Seehandel auf nordwesteuropäischen Schiffen die Rede ist. Er analysiert das »treaty network« der »major maritime states of northern and western Europe«.97 Neutralitätsrecht ist ein Unterkapitel des Seehandelsrechts. Schon, weil die vorliegende Studie vom kontinentaleuropäischen Standpunkt aus geschrieben ist, konnte sie bei Stephen C. Neff nichts lernen. Auch Joachim Haase war Jurist, seine 1932 vorgelegte Untersuchung der »Wandlung des Neutralitätsbegriffes« widmet von 209 Seiten etwas weniger als eine der Neutralitätspraxis von »Mittelalter und Anfang der Neuzeit«.98 Wir erfahren von Haase dies: »In der Wissenschaft wird das Wort [!]99 zuerst bei Newmeyer [sic] von Ramsla« verwendet, also in einer weiter unten noch zu besprechenden Abhandlung Johann Wilhelm Neumayrs von Ramsla aus dem Jahr 1620; Haase kennt nur noch einen weiteren vormodernen Theoretiker, natürlich Hugo Grotius. Eine ebenfalls 1932 eingereichte Dissertation legt dem Jahr 1620 noch mehr Gewicht bei: »Das Wort Neutralität, aus der Wurzel neuter erwachsend, gebraucht zuerst [!] im Jahre 1620 Wilhelm Nymayer [sic] von Ramsla«.100 Hier erübrigt sich jedes weitere Wort. 97 Ebda., S. 28; bezeichnend die Überschriften, die das Material gliedern sollen: »Free ships make free goods«, »Contraband«, »Blockage«. Neutralität ist vertraglich begründetes Seehandelsrecht. Ich will nur noch zwei Formulierungen anfügen, die (wie zahllose ähnliche) zeigen, wie restlos Neutralitätsrecht für Neff in Seehandelsrecht aufgeht: »By the second half of the seventeenth century, the European states had arrived at an impressive degree of de facto codification of the law of neutrality by means of bilateral treaties. The consensus, favour of relatively lenient treatment of neutral traders, however, rested on a precarious foundation« (S. 40). Oder: »By the middle of the eighteenth century, thanks in large part to treaty network that had grown up among the European maritime states, the law of neutrality was rich in rules and practices« (S. 44, Kursivsetzungen von mir). 98 Vgl. Joachim Haase, Wandlung des Neutralitätsbegriffes, Leipzig 1932, S. 2f. 99 Wir werden noch sehen, daß »das Wort« neutralitet im 16. Jahrhundert ganz geläufig war, vereinzelt begegnet es schon im ausgehenden Mittelalter. Neumayr von Ramsla hat noch nicht einmal die erste Monographie (!) zur Neutralität geschrieben. 100 So einleitend Siegfried Otto, Die Neutralität im Landkriege, Diss. Würzburg 1932. Es lohnt wirklich nicht, sich inhaltlich mit solchen Arbeiten auseinanderzusetzen, ich nenne sie nur stellvertretend für eine ganze Reihe militärkundlicher Traktate und Dissertationen, teilweise für soldatische Lektüre, auf die ich hier ansonsten nicht eingehe.

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Eine hauptsächlich der theoretischen Entwicklung gewidmete Dissertation von Henry Baudenet d’Annoux aus dem Jahr 1910 kannte immerhin schon drei Theoretiker: Grotius, Pufendorf und Vattel hätten die Neutralitätskonzeption entscheidend vorangetrieben. »L’idée de Neutralité est d’origine relativement récente«, Grotius »le précurseur et le premier qui ait traité la question«!101 Auch die Neutralität dieses Doktoranden ist die moderne, oder sie ist keine: »La Neutralité, par définition, consiste à ne pas favoriser un belligérant plus que l’autre et à tenir entre les deux parties la balance égale«102 – wie wir noch sehen werden, implizierte das vormoderne »neutralitet« oder »neutralité« keinesfalls. Aber lassen wir weiter unseren Doktoranden zu Wort kommen: »C’est la théorie actuelle et, au fond, c’est la seule logique; Grotius et Pufendorf la connaissent d’ailleurs très bien«! Schon Grotius wünschte ›eigentlich‹ diese einzig »logische« Neutralität, doch weil das für seine Leser mit ihren befremdlichen (»a ceci d’étrange«) Ansichten zu avantgardistisch gewesen wäre, hielt er sich, gewissermaßen aus fachdidaktischen Gründen, zurück, wagte er nur die ersten Schritte hin zu einem »logischen« Neutralitätsrecht.103 Was der Autor über die politische Praxis zu wissen glaubt, speist sich aus Literatur, die schon 1910 veraltet war, Gewährsmann für den Dreißigjährigen Krieg ist durchgehend Friedrich Schiller. »A l’époque de Grotius, c’est-à-dire pendant la guerre de Trente ans, il est difficile de dire qu’il y ait même eu un semblant de Neutralité«!104 Läßt man sich darauf ein, was die Zeitgenossen unter dem da längst geläufigen Begriff verstanden haben, dann gab es während des Dreißigjährigen Krieges gewiß viel mehr als nur den Anschein von Neutralität; aber anscheinend konnte eben auch Henry Baudenet d’Annoux in der Geschichte nur als »neutralité« akzeptieren, was seine eigene Gegenwart darunter verstand. Das gilt leider grundsätzlich auch für eine sehr materialreiche Arbeit, die für die nationale Selbstvergewisserung der Schweiz wichtig gewesen ist105, indes außerhalb derselben nicht rezipiert wurde: Paul Schweizers »Geschichte der Schweizerischen Neutralität« von 1893.106 Sie bietet, natürlich in eidgenössischer 101 Henry Baudenet d’Annoux, Le développement de la neutralité de Grotius à Vattel, Diss. Orléans 1910, S. 1 bzw. S. 6. 102 Ebda., S. 2. 103 Ebda., S. 3–8 passim. 104 Ebda., S. 8. 105 Vgl. dazu Markus Furrer, Die Nation im Schulbuch – zwischen Überhöhung und Verdrängung. Leitbilder der Schweizer Nationalgeschichte in Schweizer Geschichtslehrmitteln der Nachkriegszeit und Gegenwart, Hannover 2004, S. 218f. et passim. In den auf den letzten Seiten besprochenen Monographien zur (Geschichte der) Neutralität spielt die für die historische Selbstvergewisserung der Schweiz offenbar so zentrale Arbeit Schweizers keine Rolle. 106 Die beiden Bände erschienen 1893 in Frauenfeld.

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Optik und um die nationalgeschichtliche Entwicklung der Schweiz gruppiert107, deutlich mehr Daten und Fakten als alle bisher besprochenen Arbeiten. Freilich stören viele unhaltbare, manchmal auch kuriose Annahmen, besonders fehlerhaft sind Schweizers Seitenblicke auf die Theorie – so ist er sicher, um nur ein einziges Beispiel anzuführen, daß sich »im alten Indien«, im »Gesetzbuch Manus«, »das einzige Beispiel theoretischer Erörterung der Neutralität vor Grotius« finde. Überhaupt ist Grotius, wieder einmal, der »Begründer« der »Lehre von der Neutralität«, ja, Paul Schweizer setzt dem noch diese Sottise drauf: »Der erste, der sich überhaupt [!] ... mit der Neutralität beschäftigte [!], ist der berühmte Holländer Polyhistor Hugo Grotius«.108 Den Leser erquicken Analysen wie diese: Im Mittelalter habe sich ein Neutralitätskonzept wegen der damaligen »Kriegslust und Roheit der Sitten« nicht entwickeln können, obwohl der Autor doch weiß, daß »das Christentum« der Neutralität »einen günstigen Boden« bereitet habe, weil es »Entsagung und Duldung« predige, weshalb sich die christlichen Staaten »ein bescheidenes und entsagendes Verhalten« anbequemt hätten – was den Autor freut, weil Bescheidenheit, diese schweizerische Zier, der Neutralität besonders fromme.109 Doch mag solcher Spott aus der sicheren Distanz von eineinviertel Jahrhunderten billig sein. Wichtiger, weil für die Forschungstradition so bezeichnend, ist dieses Manko der Schweizerschen Monographie: Ihr Autor hat keinen Blick für die Besonderheiten der vorklassischen Neutralität, weil er die eidgenössische Neutralität seiner Zeit in frühere Jahrhunderte zurückprojiziert. Er will ihr eine so ehrwürdige Tradition schenken, daß das die Gegenwart einfach nicht unbeeindruckt lassen kann. Es gab hierfür aktuelle Anlässe – allgemein gesagt: Auseinandersetzungen zwischen dem monarchischen Europa und der republikanisch organisierten Schweiz über Rechte und Pflichten eines Neutralen –, die der Zürcher Stadtarchivar und Universitätslehrer nicht ausbreitet110, aber andeutet: »Es 107 Wegen der vielen Verträge der Eidgenossen mit Frankreich fällt einiges Streulicht auf Westeuropa, Habsburg ist recht präsent; das ›Restreich‹ bleibt eher im Dämmerlicht, Nord- und Osteuropa müssen nicht vorkommen. Darüber brauchen wir uns keinesfalls zu mokieren: Schweizer annonciert ja eine »Geschichte der Schweizerischen Neutralität«, und dafür ist der Fokus seiner Aufmerksamkeit, geographisch gesehen, recht weit. Die zentrale Problematik (oder, um im Bild zu bleiben: Schweizers blinder Fleck) liegt anderswo, wie wir gleich merken werden. 108 Schweizer, Neutralität, Bd. 1, S. 17 bzw. S. 38 bzw. S. 9. 109 Ebda., S. 23 bzw. S. 22. 110 Da es dieser Studie nicht um Schweizergeschichte geht, muß sie diese Kontexte ebenfalls nicht ausbreiten, einige Stichworte sollen genügen: Sozialistengesetze, die Schweiz wird Tummelplatz sozialdemokratischer und sozialistischer Aktivisten; das Reich und andere Monarchien verlangen eidgenössische Gegenmaßnahmen und lassen ihre Agenten ausschwärmen, von denen einer, August Wohlgemuth, in Rheinfelden verhaftet und der Spionage angeklagt wird; heftige Reaktion Bismarcks, ähnlich lautende Noten des Kaiser-

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ist also mit aller Entschiedenheit zu protestieren« gegen eine »Theorie«, die »die schweizerische Neutralität in Gesellschaft der Luxemburger, der Phäaken, Congoneger und jener verschiedenen Gewässer zu einem Protektions- und Garantiestaat herabwürdigen will«. Die 1815 festgeschriebene eidgenössische Neutralität sei kein »Geschöpf der fremden Mächte«, sondern »die eigene ... Schöpfung der Schweiz, die das Muster geworden ist«. Eine derartige Musterneutralität sieht nun Schweizer seit Jahrhunderten in der eidgenössischen Geschichte walten. Zu Recht setzt er sich von »Völkerrechtslehrern« ab, die bestritten, »daß die Neutralität, die eine Erfindung der neuesten Zeit sei, überhaupt eine Geschichte habe«.111 Nein, betont Schweizer, »Neutralität« hat es schon vor 1815 gegeben, und es war in allen Grundzügen schon die klassische. Schweizer gibt der eidgenössischen Neutralität »eine Geschichte«, aber diese Geschichte bedeutet nicht Entwicklung. Auch dieser Autor geht von einem Neutralitätskonzept aus, das er – wie die vorliegende Studie zeigen wird – in der Vormoderne sine ira et studio eigentlich gar nicht hätte finden können. Als »wesentliche Merkmale und Bedingungen der Neutralität, ohne deren Vorhandensein auch für die Vergangenheit nicht von Neutralität eines Staates geredet werden darf«, nennt er diese: Es müsse versucht werden und gelingen (!), »das neutrale Gebiet von allen kriegerischen Operationen frei zu halten, zu welchen auch der Durchzug zu rechnen ist, falls er direkt an die feindliche Grenze oder Heeresaufstellung führt«; es müsse versucht werden und gelingen (!), »den Kriegsparteien keinerlei positive Begünstigungen zu erweisen, die von der Regierung des neutralen Staates selbst abhängen«.112 Ich wüßte nicht, welche Kriegführenden des 16. oder 17. Jahrhunderts den Neutralen solche Rechte (die heute seine Pflichten bezeichnen) eingeräumt hätten! So definiert, hat es Neutralität vor dem späten 18. Jahrhundert nicht gegeben, übrigens auch nicht am Gelehrtenpult. Weil Schweizer die eidgenössische Geschichte mit seinem »Muster« einer vorbildlichen Neutralität überzieht, muß Neutralität eben tatsächlich schon immer klassische Neutralität gewesen sein; beispielsweise behauptet der Autor – und er muß solches ja behaupten – für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, daß »in den meisten Punkten die damalige Behandlung [der Neutralen] von der heutigen sich nicht sehr verschieden zeigt«! 113 Kurz: auch diese Monographie projiziert, wie all die anderen, die klassische Neutralität in reichs, Österreichs, Rußlands mit der Drohung, den 1815 fixierten Status der Dauernden Neutralität aufzukündigen, falls sich herausstelle, daß dieser mit den Sicherheitsinteressen der monarchischen Großmächte nicht vereinbar sei ... Schweizer wollte ›nachweisen‹, daß die Neutralität der Schweiz kein 1815 von den Großmächten verliehenes Privileg, sondern uraltes, 1815 lediglich wieder einmal bekräftigtes eidgenössisches Staatsprinzip war. 111 Schweizer, Neutralität, Bd. 1, S. 1, mit Belegen. 112 Ebda., S. 70f. 113 Ebda., S. 259.

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die vorklassischen völkerrechtlichen Jahrhunderte, nur daß ihr Autor nicht zu Verlustanzeigen neigt, sondern frohgemut allüberall fündig wird. Die ungleich bekanntere »Geschichte der schweizerischen Neutralität« Edgar Bonjours erschien erstmals 1946114, also zu einer Zeit, da sich die Verfechter dieser Neutralität – wenn auch aus anderen Gründen als 1893 – erneut in die Defensive gedrängt sahen. Bonjour schrieb in offiziellem Auftrag des schweizerischen Bundesrates.115 Auch wenn der Basler Professor seine Auftragsarbeit danach drei Jahrzehnte lang in immer neuen Anläufen überarbeitet, erweitert, ergänzt hat: der Frühneuzeitler muß sich mit ihr nicht weiter abgeben, denn die ihn interessierenden Passagen sind faktisch wie analytisch von Paul Schweizer abhängig. Eine jüngst von Andreas Suter vorgelegte Studie über Neutralität und schweizerisches »Geschichtsbewußtsein«116 verrät wenig Gespür für die frühneuzeitlichen internationalen Beziehungen, das vormoderne Völkerrecht; und vermischt das moderne Rechtsinstitut der Dauernden Neutralität mit Neutralität überhaupt – Neutralität ist für diesen Autor eine immerwährende, mit all ihren (modernen) Bindewirkungen für Friedenszeiten. Einer Darlegung dieser (modernen) Normen folgt der Nachweis, daß die Schweiz vor 1815 solche Grundsätze gar nicht verfolgt habe – demnach sei es ein »Mythos«, daß die Eidgenossen jahrhundertelang »neutral« gewesen seien.117 Dieser Mythos wird angeblich dekonstruiert, tatsächlich enthüllt der Autor sein ahistorisches Neutralitätskonzept. Man muß seiner lesenswerten Studie aber zugutehalten, daß sie ja hauptsächlich eine zum populären »Geschichtsbild« der heutigen Schweizer ist – es geht ihr nicht so sehr um eidgenössische Vergangenheit denn um moderne Konstruktionen von Vergangenheit, dazu bietet sie vortreffliche Beobachtungen. Eine maschinenschriftliche Berner Dissertation untersuchte 1996 sehr gründlich den vormodernen »Kriegsmaterialhandel«; für unser Thema ist das insofern von Belang, als solche Handelsfragen gerade für Neutrale oft prekär gewesen sind – was den Autor aber, seiner schweizerischen Herkunft unerachtet, erstaunlicherweise nicht weiter interessiert hat. Seine beiläufigen und sehr sporadischen Bemerkungen zur Neutralität verraten – wer wollte es ihm vorwerfen – die so 114 Zum Folgenden: Edgar Bonjour, Geschichte der schweizerischen Neutralität. Drei Jahrhunderte eidgenössischer Außenpolitik, Basel 1946; ders., Geschichte der schweizerischen Neutralität. Vier Jahrhunderte eidgenössischer Außenpolitik, 8 Bände, Basel 1965–1975; Bonjour hat zudem zahlreiche, oft auf Vorträge, Festreden u. ä. zurückgehende Aufsätze zum Thema seines Lebens verfaßt. 115 Diese Zusammenhänge sind gut aufgearbeitet, ich verweise nur auf Christian Glatzl, Analyse des Berichtes von Edgar Bonjour an den Bundesrat. »Geschichte der schweizerischen Neutralität«, Wien 1986, Ndr. 1992. 116 Zum Folgenden: Andreas Suter, Neutralität. Prinzip, Praxis und Geschichtsbewußtsein, in: Manfred Hettling u. a. (Hgg.), Eine kleine Geschichte der Schweiz. Der Bundesstaat und seine Traditionen, Frankfurt 1998, S. 133–188. 117 Inwiefern sie das tatsächlich waren, muß an anderer Stelle gefragt, muß weiter unten (nicht eigentlich untersucht, aber doch wenigstens knapp) thematisiert werden: vgl. S. 537ff.

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geläufigen anachonistischen Mißverständnisse, so findet er: »Bemerkenswert bei der begriffsgeschichtlichen Entwicklung der Neutralität ist die Stabilität des Begriffsinhalts. Vom 12. bis ins 20. Jahrhundert bedeutet Neutralität immer dasselbe«, und: »bis weit in die Neuzeit hinein« trat »Neutralität nur als vertraglich vereinbarte« auf.118 Wir werden noch sehen, daß beide Annahmen nicht zutreffen.119

1.4 Aufschlußreich: welche Fragen nach wie vor offen sind Zwei Indizien können illustrieren, daß wir von einem befriedigenden Forschungsstand noch recht weit entfernt sind: Zum einen können wir den auf den letzten Seiten vorgestellten Arbeiten nicht konsensfähig ablesen, seit wann es ein Neutralitätsrecht gegeben hat; und wir können keinesfalls angeben, seit wann man die politische Option (Rechtstitel war die Denkfigur da noch lange nicht) auf den Begriff einer neutralità oder neutralité brachte. Nur hinsichtlich der ersten Frage werden wir am Ende der vorliegenden Studie klarer sehen. 1.4.1 Wann verdichten sich Verhaltenserwartungen zu Normen? Wann haben sich Verhaltenserwartungen der Konfliktparteien an etwa neutral Zuschauende, Verhaltenserwartungen der Neutralen an Kriegführende so verdichtet und stabilisiert, daß wir von der Existenz eines Neutralitätsrechts sprechen dürfen? Schon in der ersten Hälfte der Frühen Neuzeit? Eine ganze Reihe von Autoren sehen es so, äußern beiläufig, doch entschieden diese Ansicht: von den uns bereits bekannten natürlich Paul Schweizer, sodann Philip C. Jessup und Francis Deák (»high stage of development«120), Hamed Sultan121 oder Josef Köp118 Peter Hug, Zur Geschichte des Kriegsmaterialhandels. Märkte und Regulationen vor 1800, Diss. masch. Bern 1996, S. 50. 119 Ich will mich nicht über eine deutlich überdurchschnittliche Nachwuchsarbeit lustigmachen, betone deshalb ausdrücklich, daß sie hinsichtlich ihres eigentlichen Themas sehr lesenswert ist. Aus der Perspektive der Entwicklung des Neutralitätskonzepts markiert dieses Thema einen kleinen Ausschnitt. Hugs Perspektive war eine andere, und obwohl er nicht speziell nach Neutralität fragt, hat er seinen – ganz andersartigen – Fokus doch durchaus weit gefaßt, bis hin zu Fragen des kolonialen Schiffshandels. Nicht nur, weil ich große Mühen hatte, diese Arbeit zu beschaffen (den Dissertationsabteilungen der Universitätsbibliotheken in Erlangen und Bern ein Dankeschön!), will ich ihr gern attestieren, daß sie unbedingt einen Verlag verdient hätte. 120 »Neutrality as a legal status ... reached a high stage of development in the seventeenth century«: Jessup/Deák, Neutrality, S. 17; ähnlich S. 9f. oder S. 20 (unter Bezugnahme aufs frühe 17. Jahrhundert). 121 »Au XVIIème siècle, la neutralité avait complètement émigré du domaine des faits politiques pour être admise comme institution juridique«: Sultan, L’évolution, S. 17. Übrigens lesen

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fer, ferner beispielsweise Antonio Truyol y Serra in einem lesenswerten Aufsatz über Boteros »Discorso della neutralità« oder Helmut Paulick in einer nicht ganz so lesenswerten Studie über die Dauernde Neutralität der Schweiz122, einen substantiellen Lexikonbeitrag von Michael Schweitzer könnte man hier anfügen.123 Sogar ein Neutralitätsrecht bereits an der Schwelle zur Neuzeit wurde schon gesichtet, von Wilhelm G. Grewe (jedenfalls steht es so in einem kleineren Aufsatz124 des großen Völkerrechtskenners), von Stephen C. Neff oder von Mikael af Malmborg, der jüngst diese Ansicht äußerte: »By the end of the fifteenth century there existed a codified and generally recognised body of rules for neutrality«.125 Ganz anders sehen das natürlich all die vielen Autoren, für die die Neutralité armée von 1780 überhaupt die Geburtsstunde der Neutralität darstellt! Viele uns schon bekannte Namen könnte man also hier einreihen; aber auch Stefan Oeter, für den Geschichte der Neutralität nicht just 1780 einsetzt, will ein Neutralitätsrecht erst dem 19. Jahrhundert zubilligen.126 Dietrich Schindler mutmaßte in einem monumentalen Aufsatz über »Aspects contemporains de la Neutralité«: »Ce n’est qu’au XIXe siècle que les divers droits et devoirs des neutres se sont concrétisés«.127 Soviel zur Frage, seit wann es ein Neutralitätsrecht gibt! Und seit wann gibt es die Neutralität? Diese Frage kann der Neuzeithistoriker nicht beantworten, die Neuzeit übernahm Begriff und Sache vom ausgehenden Mittelalter.

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wir ebda.: »vis à vis d’une guerre, la liberté des Etats tiers de choisir entre la belligérance et l’abstention était absolue« (Kursivsetzungen von mir)! Vgl. Antonio Truyol y Serra, Boteros »Discorso della neutralità« in seiner Beziehung zur Neutralitätslehre bei Macchiavelli und Bodin, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht NF 7 (1957/58), S. 449–460; Helmut Paulick, Geschichtliche Entwicklung und rechtliche Grundlage der sogenannten Dauernden Neutralität der Schweiz unter besonderer Berücksichtigung der Weltkriegszeit, Leipzig 1940. Michael Schweitzer, Art. »Neutralität II. Völkerrechtliche Begriffsbildung und Ausgestaltung«, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 4, hg. von Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck, Stuttgart 1978, S. 321: »Im 16. und 17. Jahrhundert entwickelte sich die Neutralität in Praxis und Literatur endgültig zu einem anerkannten Institut des Völkerrechts« (Kusivsetzung von mir). Grewe, Was ist »klassisches« Völkerrecht?, S. 116 zählt zu den notwendigen Ingredienzien eines zu Recht so genannten »klassischen Völkerrechts«, daß »dritten Staaten Neutralität zugestanden wird«, um so fortzufahren: »dieses von den europäischen Staaten seit Anfang des 16. Jahrhunderts praktizierte Völkerrecht ...« Malmborg, Neutrality in Sweden, S. 24. Erst im 19. Jahrhundert wurde Neutralität eine »etablierte Figur der Völkerrechtspraxis«, ein »Rechtsstatus mit genau bestimmten Rechten und Pflichten«: Oeter, Ursprünge, S. 448. Dietrich Schindler, Aspects contemporains de la Neutralité, in: Académie de Droit International. Recueil des Cours 1967 II, S. 228f.

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1.4.2 Der langwierige Abschied von binären Codes Steht denn fest, daß die Neuzeit das Konzept aus dem späten Mittelalter übernommen hat? Robert A. Bauslaugh wollte vor einiger Zeit zeigen, daß schon die griechische Antike ein »Concept of Neutrality« besessen habe, aber letztlich lernt der Neuzeitler aus seiner Monographie doch nur, was er nie bestritten hätte: daß an keinem Krieg der Weltgeschichte alle gerade existierenden Gemeinwesen aktiv teilgenommen haben.128 Diese Nichtteilnahme an Kriegen gibt es, seit es Kriege gibt, aber das ist nicht das Thema der vorliegenden Studie. Noch allgemeiner gesagt: sich aus Konflikten anderer herauszuhalten, gehört zum Verhaltensrepertoire des Menschen und sicher auch anderer Lebewesen – doch ist eine so verstandene Neutralität geschichtslos. Diese Studie interessieren Urteile über derartiges Verhalten, Bewertungen, Räsonnements, interessieren kurz gesagt Neutralitätsdiskurse.129 Solche Diskursformationen und -traditionen konnten für die Antike und das Mittelalter bislang nicht aufgezeigt werden. Es fehlt bis ins späte Mittelalter hinein sogar ein Terminus, der das sich-Heraushalten aus Kriegen (oder Fehden) anderer auf den begrifflichen Punkt gebracht hätte. Wir müssen das nicht überbewerten, doch fehlt schon überhaupt ein Begriff – irgendein130 Begriff, er müßte natürlich nicht »neutralitas« oder »neutralité« lauten! –, dürfen wir das als Indiz für das Fehlen kohärenter und kontinuierlicher reflexiver Bemühungen um ›die Sache‹ 128 Vgl. Robert A. Bauslaugh, The Concept of Neutrality in Classical Greece, Berkeley/Los Angeles/Oxford 1991. Zweifelsohne wird meine knappe Kommentierung der gründlich recherchierten Monographie nicht ganz gerecht, aber der Neuzeithistoriker ist doch immer wieder irritiert, buchstäblich bis zum Schluß. Wenn die Studie mit der Bemerkung schließt, die geringe Akzeptanz der Versuche ›neutralen‹ Verhaltens im Griechenland der klassischen Antike (oder bei Bauslaughs Gewährsleuten, den kriegslustigen antiken Historiographen?) sei »a warning about the limitations of international law«, berührt das seltsam, wenn man weiß, daß die allermeisten Kenner der griechischen Antike kein »international law« zubilligen. Natürlich kann man Belege einsammeln, die davon zu künden scheinen, daß sich nicht aktiv Kriegführende ungefähr so verhalten haben, wie es die Haager Konventionen von 1899 und 1907 (Bauslaughs Ausgangspunkt) vorsehen, aber diese kodifizieren eine langwierige, sich über viele Generationen erstreckende völkerrechtliche Entwicklung, während das antike Griechenland eben kein Völkerrecht kannte. Wenn Bauslaugh resümiert, daß der Versuch ›neutralen‹ Verhaltens selten besonders erfolgreich gewesen sei und daß zumeist »neutral policy was tolerated with reluctance« (S. 253), scheint das dem frühneuzeitlichen Befund zu ähneln, doch ist es hier als Indikator für die langsame Entwicklung eines Erwartungssicherheit vermittelnden Völkerrechts aufschlußreich, dort in Ermangelung eines solchen eben nicht. 129 Vgl. schon oben Anm. 81. 130 Nach allem, was wir wissen (bzw. der Neuzeithistoriker von den Experten für andere Zeitabschnitte erfahren kann), kannten eben weder die Antike noch das Frühe oder das Hohe Mittelalter irgendeinen Begriff für die in dieser Studie verhandelten Sachverhalte.

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nehmen.131 Aus einer anderen Perspektive formuliert: Fehlt schon überhaupt ein Begriff, fehlt eine (notwendige, allein noch nicht hinreichende) Voraussetzung für einigermaßen komplexe Diskurse über ›die Sache‹, für Reflexionen, Diskussionen, Selbstvergewisserungen, die ja immer zuvörderst Begriffsschärfungen sind. Ein entsprechender Begriff gehört zu den Voraussetzungen dafür, daß, im Zuge fortgesetzter Räsonnements, wenn man so will: fortgesetzter Begriffsarbeit, über die Berechtigung zu neutralem Verhalten, damit einhergehende Verpflichtungen gestritten und möglicher Weise irgendwann auch ein Konsens erzielt wird. Solche Begriffsarbeit begegnet erst im ausgehenden europäischen Mittelalter, die frühesten elaborierten132 Reflexionen über Neutralität im Krieg sind schon neuzeitlich. Das Frühe und das Hohe Mittelalter kannten durchaus ein entwickeltes ›Kriegsrecht‹, das wir wohl genauer als Fehderecht bezeichnen sollten – noch gab es kein »staatliches Gewaltmonpol«. Mittelalterliche Politiker entwickelten ein vielgliedriges Gefüge von Regeln, die den Einsatz von Gewalt kanalisieren sollten.133 Die Fehde vollzog sich in streng geregelten Formen, die auf eine zeit131 »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt«: so Ludwig Wittgenstein in seinem Tractatus logico-philosophicus (Werke, Bd. 1, hg. von Rush Rees, Frankfurt 1963, S. 5). Nach wie vor lesenswert zu solchen Fragen Benjamin Lee Whorf, Sprache, Denken, Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie, Reinbek 1963. Freilich, Whorfs Sprachphilosophie war immer und ist umstritten, der linguistisch wenig geschulte Historiker wird sich kein Urteil anmaßen. Vgl. beispielsweise Helmut Gipper, Gibt es ein sprachliches Relativitätsprinzip? Untersuchungen zur Sapir-Whorf-Hypothese, Frankfurt 1984, mit der weiteren Literatur. 132 Solche dürfen wir wohl schon dem »Principe« Machiavellis zubilligen; mein Theoriekapitel wird noch darauf eingehen. – Schematisierend, können wir wohl einen Dreischritt rekonstruieren: Verträge, die neutrales Verhalten sanktionieren und festlegen, seit dem frühen 14. Jahrhundert, dabei im deutschen Sprachraum (anderswo ist es meines Wissens nicht untersucht) häufig von »stille sitzen«, noch nicht von »neutralitet« sprechen; auf einen dann durchgehenden und stabilen, nämlich den Begriff der »neutralité« oder »neutralità« gebracht wird solches Verhalten seit dem 15. Jahrhundert, jedenfalls seiner zweiten Hälfte; theoretisch reflektiert wird dieses Verhalten seit dem 16. Jahrhundert. – Natürlich stellen sich viele Zweifel und derzeit unbeantwortbare Fragen ein, beispielsweise diese: Ist »stille sitzen« der terminologische Vorläufer des Substantivs »neutralitet«, oder war die Begrifflichkeit zunächst noch gleichsam fluktuierend oder doch etwas instabil, ehe sie sich im 15. Jahrhundert stabil (in Mitteleuropa auf »neutralitet«) einpendelte? Wurde »neutralità« im ausgehenden Mittelalter tatsächlich durchgehend vertraglich fixiert, oder ist diese Annahme der Forschungsliteratur fürs 15. Jahrhundert so falsch, wie sie es zweifelsfrei und eklatant (quod sit demonstrandum!) fürs 16. und 17. ist? Gab es im ausgehenden Mittelalter wirklich keine theoretische Begleitdiskussion zur (jedenfalls) vertraglich ja gängig werdenden »neutralità«, oder fand diese Debatte eben noch keinen gedruckten (!) Niederschlag? Solche Fragen ans Mittelalter kann der Neuzeitspezialist nicht en passant auch noch zu lösen versuchen, lediglich aufwerfen. 133 Es gibt auch eine reichhaltige Literatur dazu. Sie nennt beispielsweise Stefanie Rüther, Von der Macht, vergeben zu können. Symbolische Formen der Konfliktbeilegung im späten

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liche, räumliche und personelle Beschränkung des Gewalteinsatzes abzielten. Der strikte Formalismus der Fehde, aber auch Projekte wie der »Gottesfrieden«, die »treuga Dei«, der (noch befristete) »Landfrieden« verbieten es, dem ›finsteren Mittelalter‹ Ansätze zur Einhegung von Gewalt abzusprechen; doch gehörte zum Arsenal der dafür erprobten Mittel offensichtlich kein wie auch immer geartetes Neutralitätskonzept. Über das Warum kann der Neuzeithistoriker allenfalls mutmaßen. 134 Wir werden noch sehen, daß zu den Voraussetzungen dafür, daß die Denkfigur Neutralität an Akzeptanz gewinnt und sich zur Rechtsfigur verfestigen kann, ein allmähliches Verblassen der Doktrin vom Gerechten Krieg gehört. Allem Anschein nach strukturierten ihre Kategorien indes den gelehrten Kriegsdiskurs des Mittelalters – demnach war militärischer Gewalteinsatz entweder gerecht oder aber ungerechtfertigte Aggression, demnach mußte135 sich ein Christenmensch für den Sieg von Iustitia engagieren oder aber dem ungerechten Aggressor entgegenstemmen. Allem Anschein nach war der Kriegsbegriff des Mittelalters stark diskriminierend, demnach mußte eine gleichsam ›wertneutrale‹ Haltung diesem Konflikt gegenüber im Ruch der Unmoral stehen. Kann man in einem noch viel allgemeineren Sinn sagen, daß das politische und soziale Leben der mittelalterlichen Jahrhunderte Kategorien organisierten und strukturierten, die stark mit Werten aufgeladen waren? Der Lehnsmann schuldete dem Lehnsherrn Treue, letzterer hatte Schutz und Schirm zu gewährleisten. Oder, um von einem traditionellen mediävistischen Forschungsgebiet zu einem topaktuellen voranzuschreiten: Viele Veröffentlichungen der letzten zehn Jahre unterstreichen, wie sehr die damals noch gar nicht gefühlig verinnerlichte, noch keinesfalls privatisierte Kategorie der »Freundschaft« (beziehungsweise »Feindschaft«) das private, öffentliche und ›zwischenstaatliche‹ Leben des Mittelalters kanalisierte.136 Treue versus Felonie, Freundschaft und Feindschaft, civitas Dei oder civitas Diaboli: die binären Codes ›des Mittelalters‹ waren zutiefst werthaltig, das Letzte und Höchste war nie weit. Auch der eng mit Iustitia verschwisterte FriedensMittelalter am Beispiel Braunschweigs und der Hanse, in: Christoph Dartmann/Marian Füssel/dies. (Hgg.), Raum und Konflikt. Zur symbolischen Konstituierung gesellschaftlicher Ordnung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Münster 2004, S. 107 Anmm. 1 und 2. 134 Was er an begründbaren Vermutungen zu bieten hat, steht außer in den nächsten Abschnitten dieses Kapitels C.1.4.2 weiter unten in Kapitel C.6.2.3 und in den Anfangspassagen von Kapitel C.6.3.2.1. 135 Ich pointiere, worüber weiter oben etwas differenzierter nachgedacht wurde: vgl. Kapitel A.2.1.4.1. 136 Instruktiv, mit der weiteren Literatur: Klaus Oschema, Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund. Studien zum Spannungsfeld von Emotion und Institution, Köln/Weimar/Wien 2006.

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begriff der Scholastik und ihr diskriminierender Kriegsbegriff waren unbedingt werthaltig. Freundschaft und Treue forderten den ›ganzen Mann‹, das Seelenheil heischte die uneingeschränkte Christusnachfolge, was auch einschloß, der verfolgten Unschuld beizuspringen, anstatt ihrem Elend »neutral« zuzuschauen. Möglicherweise prägte der Treue- und Loyalitätsdiskurs stärker ritterliche und adelige Kreise, der Gerechtigkeitsdiskurs stärker klerikale, aber die führenden Vertreter der Amtskirche entstammten ja ihrerseits oft genug dem adeligen Milieu. Mit der politischen Option einer »neutralitet« vertrugen sich weder die strikte Wertorientierung des Christenmenschen im Kontext eines stark diskriminierenden Kriegsbegriffs noch die Treue des Vasallen und die Loyalität des Freundes. Gehört es zu den Voraussetzungen für eine breite Akzeptanz der Denkfigur Neutralität, daß sich eine durch und durch wertegebundene Gesellschaft säkularisiert, daß sich hochgradig personalisierte gesellschaftliche Beziehungen formalisieren und funktional ausdifferenzieren? Solchen Fragen muß diese Studie auf der Spur bleiben, aber einfach ›ins Mittelalter‹ zurückprojizieren kann sie ihre neuzeitlichen Befunde nicht. Manche Mediävisten würden vermutlich darauf bestehen, daß man im Fall der Doppelvasallität unter anderem Namen doch schon die neutrale Sache getroffen habe: Denn eine ganze Reihe von hochmittelalterlichen Verträgen sahen vor, daß der Vasall nicht dem einen Lehnsherrn gegen den anderen dienen sollte.137 War es wirklich ein konzeptioneller Durchbruch? Blieb das Grundmuster nicht ein bipolares – hie Freunde, da Feinde, nur, daß man eben dem einen Freund nicht zu Hilfe eilen konnte, wenn man dadurch den anderen Freund schädigen mußte? Das tatsächliche Verhalten – Abseitsstehen in einem gerade virulenten militärischen Konflikt – konnte im Einzelfall dem eines neuzeitlichen »Neutralen« entsprechen, aber weil sich bestimmte Loyalitätspflichten aus bestimmten, für diesen einen Konflikt einschlägigen Gründen konkret widersprachen, sich so gegenseitig aufhoben, nicht, weil das abseitsstehende Gemeinwesen auf eine spezifische, von sonst gültigen religiösen oder personalen Banden entbindende Staatsräson oder auf seine staatliche Souveränität pochen konnte, nach Ansicht der politischen Mitakteure pochen durfte. Das sind Bedenken, die sich aus neuzeitlicher Perspektive einstellen, aber der Neuzeitler ist gewiß nicht berufen, das Gewicht der Mehrfachvasallität für 137 Vgl. beispielsweise Walter Kienast, Untertaneneid und Treuevorbehalt in Frankreich und England. Studien zur vergleichenden Verfassungsgeschichte des Mittelalters, Weimar 1952, passim (etwa S. 101, S. 107, S. 122, S. 125ff., S. 260ff.); oder diese Fallstudie: Paul Dalton, ›In neutro latere‹. The Armed Neutrality of Ranulf II Earl of Chester in King Stephen’s Reign, in: Anglo-Norman Studies 14 (1991), S. 39–59. – Weil diese Studie nicht an Seekriegs- und Seehandelsfragen interessiert ist, befaßt sie sich auch nicht mit einer weiteren möglichen Wurzel: dem »Consulat del mar«, einer Kompilation des Seehandelsgewohnheitsrechts strittiger Datierung.

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eine Archäologie des Neutralitätsrechts zu taxieren. Auch bei der Erörterung der spätmittelalterlichen Kirchengeschichte wird er sich zurückhalten, jedenfalls springen ihm eine ganze Reihe von (oft auch schon so etikettierten) Neutralitäten im großen abendländischen Schisma ins Auge. Gewiß handelte es sich hierbei zunächst einmal kategorial um etwas anderes als die in dieser Studie thematisierte Neutralität im Krieg: nämlich um eine innerkirchliche, nicht um eine zwischenstaatliche Neutralität. Freilich, um hochpolitische Machtfragen ging es damals offenkundig doch wohl auch, aber vielleicht ist etwas anderes mindestens so interessant: daß diese nämlich mit einem je exklusiven Wahrheitsmonopol gekoppelt waren. Jede Seite reklamierte für sich, die eine, einzig wahre Kirche zu repräsentieren, wer sich da »neutral« heraushielt, tat es im Angesicht hochgespannter Werthaltungen. Wurden im Fall der Mehrfachvasallität Loyalitätspflichten grundsätzlich anerkannt, sogar bekräftigt (man sah sich ja eben deshalb gezwungen, sich herauszuhalten, weil sich gleichermaßen gültige Wertbindungen in einem konkreten Konfliktfall wechselseitig aufhoben), entzog sich der »Neutrale« im Schisma zwei werthaltigen Loyalitätsappellen. Handelt es sich hier schon um einen konzeptionellen Schritt heraus aus den bipolaren Denkwelten des Mittelalters? Dem Neuzeithistoriker – der weiß, wie schwer im Konfessionellen Zeitalter bisweilen innerchristliche (nicht mehr innerkirchliche) oder interkonfessionelle Neutralität kategorial von interstataler abzugrenzen ist – kommt die Neutralität im großen abendländischen Schisma gleichsam moderner vor als die komplexen Verschlingungen der Vielfachvasallitäten, aber diese Sicht mag dem Mittelalter unangemessen sein. Der Neuzeitler muß bei seinen Leisten bleiben. Mag sein, daß man im späten Mittelalter, mit der Mehrfachvasallität und der innerkirchlichen Neutralität, gleichsam im Vorhof einer politischen Neutralitätskonzeption stand. Liefert auch die Diplomatik Indizien hierfür? Offenbar häuften sich seit dem 14. Jahrhundert bilaterale Bündnisverträge zwischen Gemeinwesen, die sich aus Konflikten anderer heraushalten wollten, sowie einer der Konfliktparteien, die gleichsam den Preis für die Akzeptanz dieses Abseitsstehens taxieren. Welche solcher Verträge des 14. Jahrhunderts wir mit einigem Recht, der Sache nach, tatsächlich schon als Neutralitätsverträge bezeichnen können138 und wann der erste überhaupt abgeschlossen worden ist: auch das sollte nicht der Neuzeithistoriker entscheiden. 138 Die materialreichste Zusammenstellung, aus der Hand Paul Schweizers (das früheste dort erwähnte Beispiel stammt von 1309: die Habsburger paktieren mit Zürich, in dessen Nähe sie eine Burg belagern – Verpflichtung, nicht bewaffnet in die Zürcher Gegend zu ziehen oder durchzumarschieren, gegen die Erlaubnis, sich unbewaffnet in Zürich mit benötigten Lebensmitteln zu versorgen), skizziert Dutzende von spätmittelalterlichen Verträgen, die nach Ansicht dieses Autors die Geläufigkeit der (Schweizer meint, wie wir schon wissen, klassischen!) Neutralität im Spätmittelalter belegen. Zumeist folgen sie dem Grundmuster, daß man sich für eine Reihe von Jahren verpflichtet, nicht den Gegnern des Vertragspartners

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1.4.3 »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt« Wir schweiften zuletzt von der Nomenklatur zu etwaigen Wurzeln ›in der Sache‹ ab, wiewohl der Kapiteleingang doch terminologische Klärungen avisiert hatte. Fragen wir also endlich nach dem Geburtsdatum der einschlägigen Termini! Denn natürlich stehen ja Konzeption und Begriff nicht unverbunden nebeneinander. Manche Linguisten würden zweifelsohne noch weiter gehen: »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.«139 Nur ist leider auch ganz unklar, wann die politische Absicht, sich bei Konflikten anderer Gemeinwesen herauszuhalten, als Neutralità, Neutralité, Neutrality oder Neutralitas auf den Begriff gebracht worden ist. Seit wann werden solche Termini bei zwischenstaatlichen Konflikten verwendet? Erstmals 1522, mutmaßen beispielsweise die »Geschichtlichen Grundbegriffe«140, was schon deshalb nicht stimmen kann, weil sich Frankreich und das Hochstift Lüttich 1492 vertraglich ihrer »bonne et vraie neutralité« versicherten141, ja, in einer wenig bekannt gewordenen Studie über die Lütticher Außenpolitik an der Schwelle zur Neuzeit zeigte William Stanley Macbean Knight, daß das Hochstift bereits 1477 seine »bonne et vraie Neutralité« erklärt hat142; im Kontext derselben Auseinandersetzungen (zwischen Ludwig XI. von Frankreich und dem Habsburger Maximilian) reklamierten wenige Jahre später St. Omer und Cambrai die »neu-

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beizuspringen. Diese Papiere changieren meines Erachtens alle zwischen Defensivallianzen und Neutralitätsverträgen, bezeichnenderweise kritisiert Schweizer immer wieder in den Fußnoten, diesen Vertrag habe jener Autor als Bündnispakt bezeichnet, tatsächlich sei es doch »eher« ein Neutralitätsvertrag. Der Neuzeitler muß hier, wie schon bemerkt, bei seinen Leisten bleiben. Siehe Anm. 131! Schweitzer, Art. »Neutralität II.«, S. 324. Vgl. Nys, Notes sur la Neutralité, S. 70f. Die Vermutungen von Nys zur Wortgeschichte (ebda., S. 58f.) führen nicht weiter – die innerkirchliche Neutralität datiert er viel zu spät, die Neutralität im Krieg vage (»à la fin du XVe siècle«). Einige für uns nicht sehr hilfreiche, ebenfalls vage Erläuterungen bietet Walther von Wartburgs Französisches Etymologisches Wörterbuch (7. Bd., Basel 1955, S. 108). Wenige Beispiele aus dem späteren 16. Jahrhundert: Edmond Huguet, Dictionnaire de la langue française du seizième siècle, Bd. 5, Paris 1961, S. 421. Zur »neutrality« (ein einziger Beleg vor 1600, ein weiterer bei »neutral«): The Oxford English Dictionary, Bd. 7, Oxford 1933, S. 109f. Vgl. William Stanley Macbean Knight, Neutrality and Neutralisation in the Sixteenth Century – Liège, in: Journal of Comparative Legislation and International Law, Series III, Bd. 2 (1920), S. 98–104. Die 1477 einseitig erklärte »neutralité« wurde 1492 von Frankreich förmlich anerkannt (»neutralité«, »neutres«), ebenso, für die Niederlande, von Maximilian I. – Die Neutralität von 1492 ist auch aus anderen Gründen interessant: Sie war multilateral abgesichert (Neutralität als Status mit gleichartigen Rechten allen Konfliktparteien gegenüber scheint am Horizont auf ), und Frankreich zog dem schwerfälligeren Paktieren die Form des Patentbriefs vor.

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tralité« für sich.143 Habe man durchgelesen, was von den Verhandlungen und Erklärungen des Jahres 1492 überliefert sei, so Knight, »it is difficult to avoid a certain conclusion«, nämlich die, daß der Begriff Neutralité damals bereits »well established« gewesen sei. Keiner der Beteiligten sei offensichtlich der Ansicht gewesen, einen neuen oder doch ganz ungewöhnlichen Begriff in die internationalen Beziehungen einzuführen. In einer Dokumentensammlung zur mailändischen Außenpolitik tauchen »stati neutrali« schon 1460 auf.144 Die neueste Monographie über die Geschichte der Neutralität datiert die Begriffswerdung für die »Staatenpraxis« auf 1408145, während der Terminus 1620 Eingang »in die völkerrechtliche Doktrin« gefunden habe, doch lassen sich beide Datierungen unschwer entwerten.146 Die meistzitierte Monographie zum Thema behauptet, die genannten Termini seien schon im 14. Jahrhundert verwendet worden, uns zwar »in its modern sense«.147 143 Ich vereinfache; St. Omer wurde im Frieden von Arras 1482 faktisch neutralisiert, doch verwendet das Dokument den Terminus »neutralité« nicht. Wohl spricht der Chronist Jean Molinet von ihr, genauso rückblickend der Vertrag von Senlis 1492: vgl. Georges Doutrepont/Omer Jodogne (Hgg.), Jean Molinet, Chronique, Bd. 1, Brüssel 1935, S. 557; Frédéric Léonard, Recueil de traités de paix, de trêves, de neutralité et de confédération, d’alliance et de commerce etc. faits par les rois de France depuis trois siècles, Bd. 1, Paris 1693, S. 362f. Auch die politische Stellung Cambrais charakterisierte die Chronistik als neutral: Joël Blanchard (Hg.), Philippe de Commynes, Mémoires, Bd. 1, Genf 2007, S. 374 (»Cambray remist en neutralité«); ebda., S. 443f. (»la mist en main neutre«; Subjekt ist in beiden Fällen König Ludwig XI.). Auf die Chronisten Molinet und Commynes machte mich eine Studie Klaus Oschemas aufmerksam: vgl. nächste Anm. 144 »Siché nuy siamo stati sempre neutrali, et non ne siamo may voluto impazare de dicta guerra né de impresa de Zenoa né anche fu may speso per nuy un denaro in dicta guerra«: so eine Instruktion vom 14. Mai 1460, abgedr. bei P. Kendall/Vincent Ilardi (Hgg.), Dispatches with related documents of Milanese ambassadors in France and Burgundy (1450–1466), Bd. 1, Ohio 1971, S. 294–319 (Kursivsetzungen von mir). – Ich füge an, daß die »neutralité« in der französischen Chronistik »um die Mitte des 15. Jahrhunderts ... eine verstärkt politische Bedeutung« erhalten zu haben scheint: so jedenfalls der Eindruck von Klaus Oschema, Auf dem Weg zur Neutralität: Eine neue Kategorie politischen Handelns im spätmittelalterlichen Frankreich, in: ders. (Hg.), Freundschaft oder »amitié«? Ein politischsoziales Konzept der Vormoderne im zwischensprachlichen Vergleich (15–17. Jahrhundert), Berlin 2007, S. 100; vgl. ebda., S. 102 mit den Anmm. 145 So übrigens auch Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, S. 433 (»in einem offiziellen Dokument« tauche der Begriff erstmals 1408 auf ); Franck, La neutralité, S. 25 (zum ersten Mal »dans un document officiel« 1408); Malmborg, Neutrality in Sweden, S. 24 (»first appearance ... in an official document« 1408). 146 Köpfer, Erscheinungsformen, S. 7. Der Beleg für 1408 meint tatsächlich die innerkirchliche Neutralität (Schisma); 1620 schrieb zwar Neumayr von Ramsla ein Büchlein über die »Neutralitet«, aber keines »völkerrechtlichen« Zuschnitts – wie wir noch sehen werden. 147 Jessup/Deák, Neutrality, Bd. 1, S. 4. Ich erwähnte schon, daß dem Autorenduo nicht aufgegangen ist, daß es Neutralität im Krieg von innerkirchlicher oder innerstaatlicher Zurückhaltung kategorial hätte abgrenzen müssen.

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Ist das nur Wortgeklingel? Es ist wohl doch eher verräterisch für einen ganz unbefriedigenden Forschungsstand. Die Desiderate lassen sich im Anlauf einer einzigen weiteren Studie gewiß nicht alle beheben, und das terminologische schon gar nicht. Die folgenden Kapitel haben nicht den Ehrgeiz, Frühestdatierungen zu präsentieren, das muß der Neuzeitler der Findigkeit von Mediävisten und Philologen überlassen. Hier sollte lediglich gezeigt werden, wie wenig wir überhaupt schon sicher wissen; in diesem, dem terminologischen Fall kann die vorliegende Monographie keine Besserung in Aussicht stellen. Sind »Neutralité« und zumal »Neutralità« als Rubriken für außenpolitische Optionen älter als »Neutralitet«? Was hat es zu besagen, daß Abseitsstehen in einem militärischen Konflikt auf der nach damaligen Maßstäben stark urbanisierten Apenninhalbinsel und im Ausstrahlungsbereich der vergleichsweise stark urbanisierten Niederlande148 möglicherweise früher als anderswo auf den Begriff gebracht wurde? Dürfen wir es als Beleg nehmen für eine Affinität der Denkfigur zu nüchtern kalkulierenden bürgerlichen Milieus, für eine besonders kräftige Antithese zu den Loyalitäts- und Ehrbegriffen adeliger Milieus? Und seit wann eigentlich existiert der deutsche Ausdruck Neutralitet? Eine der besseren kriegskundlichen Disssertationen behauptet: erst seit 1620149! Eine andere tippt auf die Mitte des 16. Jahrhunderts150, doch kann auch das nicht ganz stimmen, erwähnt doch die Schweizergeschichte von Edgar Bonjour eine Instruktion Zürichs von 1536, die den Begriff enthält151, reichspolitische Akten der 1540er und 1550er Jahre nennen ihn – wie wir noch sehen werden – gar nicht selten, ja, er muß bereits hundert Jahre zuvor verstanden worden sein.152 Die verbale Verbindung »still sitzen« scheint noch etwas älter zu sein, klarer sehen wir für sie nicht.153 148 Lüttich, St. Omer, Cambrai: vgl. Anmm. 141–143. 149 Vgl. Martin Horn, Die geschichtliche Entwicklung des neuzeitlichen Neutralitätsbegriffes, Diss. Würzburg 1936, S. 11. Für Pieper, Neutralität, S. 143 »ist der Ausdruck ›Neutralität‹ in Deutschland seit dem Dreißigjährigen Krieg gebräuchlich«. 150 Vgl. Paulick, Dauernde Neutralität, S. 4. 151 Vgl. Bonjour, Geschichte der schweizerischen Neutralität, Bd. 1, S. 20. Zum zweiten Mal begegne der Ausdruck »neutral« dann 1610, in einer Antwort der evangelischen Städte der Eidgenossenschaft an die Union von Auhausen, so Schweitzer, Art. »Neutralität II.«, S. 211f., von da an »tritt er häufig auf«. Wir werden noch sehen, daß der Terminus tatsächlich schon im 16. Jahrhundert »häufig« begegnet! 152 In »Frankfurts Reichscorrespondenz« (nebst anderen verwandten Aktenstücken 1376–1519, hg. von Johannes Janssen, Bd. 2.1, Freiburg 1872, S. 93f.) kommt er 1446 gleich dreimal vor. Die gemeinsame begriffliche Schnittmenge mit unserer »Neutralität im Krieg« ist freilich recht klein, es geht eindeutig um politische Probleme (das schon) der Bewältigung innerkirchlicher »neutralitet«. Den Kontext andeutend, mögen die Stichworte Basler Konzil sowie, spezieller, kurfürstliche ›Neutralitätserklärung‹ von 1438 und Mainzer Akzeptation hinreichen. 153 Bonjour (Geschichte der schweizerischen Neutralität, Bd. 1, S. 20) und Schweizer (Neutralität, Bd. 1, S. 6) sind der Ansicht, es werde erstmals 1399 in einem Vertrag Berns und

Was diese Studie vielleicht leisten kann und was sicher nicht

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Kurz, die Frage nach Erstdatierungen muß offenbleiben. Halten wir als hinreichend sicheren Ausgangspunkt für unsere Studie fest, daß Termini wie Neutralità oder Neutralité im 15. Jahrhundert schon gelegentlich begegnen! Wir werden sehen, daß selbst die deutsche Neutralitet im 16. Jahrhundert geläufig wird. Gibt es eine Steigerungsstufe zur Geläufigkeit? Im 17. Jahrhundert scheint der Begriff der Neutralität in etwas abgeschwächter Form die Karrierekurve eines anderen um 1600 herum geläufigen, aber durchaus noch etwas suspekten Terminus, nämlich der »ratio status«, durchlaufen zu haben. Die Trivialisierung der letzteren, die ja um 1600 noch Inbegriff arcanhaft verpuppter staatskluger Abgefeimtheit (oder auch diabolischer Verdorbenheit) gewesen war, brachte der Fuldaer Kanzler Wilhelm Ignaz Schütz 1661 so zum Ausdruck: Es werde ja neuerdings von der Staatsräson »viel geschwetzt, und geplau­dert«, eigentlich geschehe heutzutage alles aus Staatsräson: »Was die ungeschickte Handwercker verderbt haben, das muß Ratio Status entschuldigen und wider gut machen.«154 Und die Neutralität? Eine Dissertation von 1673 spricht vom »verbo quam vulgarissimo«, einem »verbo quam notissimo«, »vox haec Neutralitatis hoc praesertim tempore in omnium labris versatur«.155

1.5 Was diese Studie vielleicht leisten kann und was sicher nicht Einem militärischen Konflikt fernzubleiben, unbeteiligt abseitszustehen, ist ein Recht, das heute jeder Staat für sich in Anspruch nehmen kann (modernes Neutralitätsrecht). Noch unzweifelhafter konnte er das, ehe erstmals der Völkerbund ein ambitioniertes System kollektiver Sicherheit proklamiert und das Ius ad bellum deklamatorisch der Völkergemeinschaft übertragen hat (konnte er es also nach klassischem Neutralitätsrecht). Thema der vorliegenden Studie ist nicht diese klassische Neutralität, wie sie im 18. Jahrhundert gedanklich erarbeitet und vom Forschungsbetrieb auch alles in allem hinlänglich untersucht worden ist. Sie fragt vielmehr danach, was Texte des Vierteljahrtausends zuvor unter »neutralitet« oder »neutralité« verstanden und wie sie sie bewertet haben. Viel wissen wir hierüber nicht, denn die gängigen neutralitätsgeschichtlichen Abhandlungen Solothurns mit Markgraf Rudolf von Hochberg still gesessen, doch erwähnt Hug, Kriegsmaterialhandel, S. 333 Anm. 310 beiläufig und in einem ganz anderen Kontext einen Vertrag von 1345, der die verbale Verbindung, offensichtlich im hier einschlägigen Sinne, bietet (Vertrag Solothurns mit Graf Imer von Straßberg; die Solothurner setzen die Bedingungen fest, unter denen der Graf Burg und Stadt Büren etc. an Solothurn verpfändet und wiederum zum Lehen erhält – darunter: daß Büren bei Konflikten zwischen Solothurn und Graf Imer »stille sitzen« müsse). 154 Wilhelm Ignatius Schütz, Reflexiones politico-consolatoriae, Frankfurt 1661, S. 67. 155 Voßenhölen, Dissertatio de Neutralitate, S. 10.

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Aktuelle und forschungsgeschichtliche Zugänge

fahnden ja nach der klassischen Neutralität in den vorklassischen Jahrhunderten, ohne das irgend zu problematisieren: Weil sie gar keine andere als die klassische Neutralität kennen, versuchen sie auch nicht, Unterschiede zwischen ihr und vorklassischen Neutralitätsdiskursen herauszuarbeiten. Sie kontrastieren nicht, weil sie gar nicht nach Kontrasten suchen, sondern entweder das Schon klassischer Handlungsmuster nachweisen oder aber ihr Fehlen beklagen möchten. Auf einem belastbaren Forschungsstand aufbauen konnte diese Studie demnach nicht. Hätten mir für konzentrierte Recherchen nicht zwei (dankenswerterweise von der DFG finanzierte) Jahre, sondern ein Forscherleben oder ein vielköpfiges »Projektteam« zu Gebote gestanden, hätte ich versuchen können, endlich eine flächendeckende – also nicht auf ein einzelnes europäisches Land, beispielsweise die Schweiz zentrierte – Erhebung empirischer Daten (Neutralitätsverträge, einseitige Neutralitätserklärungen) mit generalisierender Analyse zu verbinden und dabei endlich die Brücke zwischen Theorie und politischer Praxis zu schlagen: Welcher ideen-, mentalitäts- und rechtsgeschichtlicher Vorbedingungen bedurfte die Neutralität des klassischen Völkerrechts, warum hat sich die längst geläufige (wenn auch, wie wir noch sehen werden, notorisch suspekte) politische Option jahrhundertelang nicht zum Völkerrechtstitel verdichtet? Ich hätte empirische Daten und ideengeschichtliche Spuren aus dem gesamten europäischen Raum zu einem Netz verdichtet, das den modernen und klassischen Rechtsanspruch im Prozeß seiner Entstehung einfängt. Ein derart umfassendes Rechercheprogramm wäre wünschenswert, realisierbar ist es angesichts des Forschungsstandes in überschaubarer Zeit nicht. Es waren deshalb inhaltliche wie zeitliche Schwerpunktsetzungen unumgänglich. Um mit letzteren einzusetzen: Ich mußte meinen Blick in die Ratsstuben – weil die dort stattfindenden Meinungsbildungsprozesse nur im Zuge zeitraubender und kostspieliger Archivrecherchen rekonstruiert werden können – auf einige ausgewählte Konflikte der Frühen Neuzeit fokussieren. Welche das gewesen sind, legt Kapitel C.3.1.2 im einzelnen dar. Und ich stellte mir eine den überbordenden Stoff organisierende Leitfrage. Das heißt, eigentlich hatte sich diese Leitfrage ja einst mir gestellt: Warum war neutrales Abseitsstehen bei Kriegen der Vormoderne so suspekt? Ich versuche im Folgenden vor allem jenem Phänomen auf die Spur zu kommen, das mich einst überhaupt erst auf die »neutralitet« aufmerksam gemacht hatte: dem gravierenden Akzeptanzproblem, unter dem Neutralität im 16. und 17. Jahrhundert litt, weil sich der Neutrale offensichtlich in den Augen vieler Zeitgenossen verantwortungslos der ethisch gebotenen Verortung der gerechten Sache entwand; weil die Kriegsparteien dieser Säkula eine klare Trennung in verläßliche Verbündete und Feinde wünschten, Neutrale als Drückeberger denunzierten, die sich aus Feigheit und Trägheit nicht entscheiden könnten oder hinterlistig den eigenen Vorteil suchten, anstatt der verfolgten Unschuld beizuspringen. Ursachen wie Auswirkungen dieses Akzeptanzproblems

Was diese Studie vielleicht leisten kann und was sicher nicht

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können nur in der Zusammenschau von gelehrten und populären Druckwerken einerseits, internen Akten und politischen Korrespondenzen andererseits eruiert werden. Es ist zum einen nach den handlungsleitenden Kategorien zu fragen, die politologische, theologische und juristische Traktate sowie auf Breitenwirkung bedachte Flugschriften anbieten, zum anderen aber auch nach ihrem Niederschlag in den Hinterlassenschaften der tatsächlich politisch Verantwortlichen. Begegnen wir in der Ratsstube ähnlichen Bedenken, Unsicherheiten, Vorbehalten wie in der Literatur, läßt sich insofern plausibel machen, daß die überwiegend negative Einschätzung neutralen Verhaltens in gedruckter Literatur die politische Praxis der Neutralität belastet, sichere Verhaltenserwartungen durchkreuzt, den Neutralen angreifbar gemacht oder vor dem Neutralenstatus abgeschreckt hat? Alle Fragestellungen und vorläufigen Antworten von Kapitel C beziehe ich – durchgängig immer wieder, also keinesfalls erst in Kapitel C.6, wo ich die für mich interessantesten Gesichtspunkte abschließend resümiere – auf die in Kapitel A skizzierten Herausforderungen und Desiderate. Unter Rückbindung an Kapitel A kann man das Programm von Kapitel C auch so formulieren: Ich durchmustere im letzteren noch einmal den im ersteren ausgeleuchteten Zeitraum, von den frühesten diskutablen Ansätzen für die Ausbildung des neuzeitlichen horizontalen Staatensystems bis hin zu seiner offensichtlichen Existenz im 18. Jahrhundert, unter einer engeren Fragestellung. Die in Kapitel A angeschnittenen weiter ausgreifenden Fragen – beispielsweise nach dem Rang des Friedens im vormodernen Wertekanon, beispielsweise nach einer Säkularisierung (Bellum-iustum-Konzeption) oder gar Rationalisierung (Problem der »Ehre«) des Krieges, oder nach der Verlaufskurve zwischenstaatlicher Erwartungsverläßlichkeit (Problem der Verdichtung von Verhaltenserwartungen zu Normen), natürlich auch nach etwaigen Schüben bei der Herausbildung des europäischen Staatensystems – werden von diesem engeren Untersuchungsfeld aus noch einmal beleuchtet.

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2.

Die Bewertung der Neutralität in Druckwerken

Die Bewertung der Neutralität in Druckwerken

2.1 Wider das »abscheuliche Monster der Neutralitet«: die Polemik der Flugschriften 2.1.1 Was sollen uns Flugschriften? Zahlreiche Flugschriften des 16. und 17. Jahrhunderts bewerten Neutralität im Krieg nach religiös begründeten ethischen Kriterien, vor denen sie dann regelmäßig nicht bestehen kann. Müssen wir uns damit abgeben? Was sollen uns solche lautstark daherpolternde, solche ganz ohne schlechtes Gewissen grobgestrickte Flugschriften? Schon wegen der mutmaßlichen1 Rezipientenzahlen können wir populär gehaltene Stellungnahmen zu bestimmten europäischen Konflikten und tagespolitische Pamphlete nicht außer Acht lassen – diese publizistischen Springfluten hatten sich nämlich, von einem gewissen offiziösen Anteil abgesehen, zu rentieren. Diese Aberhundert- und Tausendschaften von Titeln wurden also gekauft, gelesen, vorgelesen. Und die mutmaßlich offiziösen Elaborate, von amtlicher Seite ermunterte oder in Auftrag gegebene Arbeiten, mit denen die Entscheidungsträger mehr oder weniger gezielt Stimmung machen wollten, sind ja, wenn auch aus anderen Gründen, mindestens genauso interessant wie die auf lukrative Lesergunst schielenden. Freilich dürfen wir derb Populäres und Grundgelehrtes nicht isoliert analysieren. Flugschriften greifen die Argumente der gelehrten Traktate auf, vergröbern und popularisieren sie so, daß ein breites Publikum ansprechbar wird. Insofern sind Pamphlete allein, ohne Kenntnis der von ihren Autoren benützten gelehrten Arbeiten, gar nicht adäquat interpretierbar.2 Erst recht aber können wir ohne Kenntnis der zeitgenössischen Flugschriften viele Äußerungen der damaligen Entscheidungsträger in Ratsprotokollen, Memoranden usw. nicht angemessen einordnen, denn dort tauchen wiederum die Parolen der ersteren in oft chiffrenhafter, dem Uneingeweihten unverständlicher Verkürzung auf. Flugschriften sind für eine Studie, die immer wieder die Nahtstelle zwischen politischer Theorie und Praxis aufsucht, deshalb besonders wichtig, weil sie die Haltung einer politisch interessierten Öffentlichkeit wie auch der Entschei-

1 Vgl. zu den methodischen Problemen bei der Auswertung von Flugschriften oben Kapitel A.1.3.2. 2 Wie umgekehrt erst der Blick in Flugschriften zeigt, welche der elaborierten, womöglich lateinisch formulierten Argumentationsmuster breitere Resonanz fanden!

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dungsträger 3 in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen4 zu treffen wie auch zu beeinflussen suchten. Es gibt freilich eine methodische Schwierigkeit, die nicht verschwiegen werden darf: Flugschriften wurden schon im 16., erst recht im 17. Jahrhundert in so unüberschaubar großer Anzahl publiziert5, daß auch ein in Hunderten zu bemessendes Lesepensum immer nur einen kleinen Ausschnitt erfassen kann. Zumal Suchworte in elektronischen Bibliothekskatalogen nicht weiterhelfen: Kaum je signalisieren ja Pamphlete, die sich in einem Satz, einem Abschnitt oder auch über mehrere Seiten hinweg kritisch mit neutralem Verhalten auseinandersetzen, schon im Titel, daß sie die Neutralität als schändlich und sündhaft demaskieren. Auf die Suchworte »Neutralitet« oder »Neutralité« können wir uns nicht verlassen, neben Sitzfleisch muß die wissenschaftlich ominöse Kategorie des Instinkts behelfsmäßig einspringen: Welcher Titel, welche Anfangssätze könnten eine Erwähnung des Themas Neutralität erwarten lassen? 2.1.2 Zwischen Widerstands- und Neutralitätsdiskurs In der regen Begleitpublizistik zum Schmalkaldischen Krieg – der wohl den ersten ›Medienkrieg‹ der Weltgeschichte provoziert hat – spielt das »stillsitzen« keine zentrale Rolle. Eine wichtige Propagandaschrift kommentiert es indes recht ausführlich: Georg Maiors »Allmechtiger Maiestat Declaration« von 1546.6 Es geht gegen »des Teufels Oberkeit«, weiß dieser Autor, gegen »des Teufels ordnung, welcher alle Menschen auff Erden und alle Creaturn feind sein, und sie mit aller macht zerstören, und jr zu widerstreben verpflicht und schüldig sind, Dieweil sie sich Gottes ordnung umbzustossen, und des Teufels grim und wüten, auffzurichten unterstehet. Es gilt allhie nicht, das du dich Neutralisch halten, und keinem Teil, hülffe thun wolst, Denn du mit leib, gut und blut, du seiest welches stands du wölst ... das rechte göttliche Lere, rechter Gottesdienst auffgericht 3 Kampmann, Arbiter, S. 5 hat es einmal so zusammengefaßt: »Ihr Quellenwert liegt ... darin, daß hier jene Begriffe, Zielvorstellungen und Argumentationsmuster verwendet wurden, die zur Einflußnahme, zur Werbung und auch zur Warnung bzw. Abschreckung in der politisch interessierten Öffentlichkeit, insbesondere unter den entscheidenden Handlungsträgern, geeignet zu sein schienen.« 4 Es ist ja keine Antithese! Wer die Haltung des Lesers verändern wollte, hatte ihn – um es in modernem Pädagogenjargon zu sagen – argumentativ da abzuholen, wo er gerade stand. 5 Baumanns, Lisola, S. 75 gibt die Einschätzung wieder, es seien »rund 10.000 Flugschriften im Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg« erschienen. Eine Begriffsbestimmung wird ebda., S. 61–67 versucht, eine knappe Definition steht auf S. 79. 6 Zum Folgenden: [Anonym], Ewiger: Göttlicher, Allmechtiger Maiestat Declaration, Wider Kaiser Carl, König zu Hispanien ..., o. O. o. J. [Wittenberg 1546], fol. F1f. (Kursivsetzungen von mir).

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werde, schüldig bist du zu helffen und zuerhalten, welches dich auch das natürlich Recht leret. Denn wo solches nicht geschicht, so wird aus dem weltlichen Regiment, ein lauter Teufflichs Tyranney, wie bey dem Türcken ... Wie denn auch des Bapst Recht, Lere und Gottesdienst ist, Ein solch Recht wollen Kaiser und König Ferdinandus durch jre Hispanier und Italianer in Deudschlanden auch anrichten, dazu du denn jnen mit deinem stillsitzen, und also unsere ordnung, rechte Lere und Gottesdienst, so viel an dir ist, auch zureissen hilffst.« Für Georg Maior kämpften nicht verschiedene weltliche Obrigkeiten miteinander, kämpfte Civitas Dei gegen Civitas Diaboli. Nun war Maior Theologe, und daß die ganze Weltgeschichte in den Widerstreit der augustinischen Civitates eingespannt sei, war seit der Spätantike gängiges geschichtstheologisches Rüstzeug. Mehr könnte auf den ersten Blick erstaunen, daß Maior, neben der Pflicht, sich der Civitas Diaboli entgegenzustemmen, das »natürlich Recht« zum Widerstand gegen »Tyranney« beschwört. Das verweist uns auf einen spezifischen Zug der Begleitpublizistik zum Schmalkaldischen Krieg: Wiewohl dieser objektiv als »Krieg« beschrieben werden kann und als solcher nicht nur in modernen Geschichtsdarstellungen firmiert, sondern auch subjektiv von den Nachfolgegenerationen erinnert wurde7, behandelten ihn doch viele zeitgenössische lutherische Abhandlungen nicht so sehr als Kampf zwischen zwei konfessionell definierten Kriegsparteien, sie kreisen ums Problem des erlaubten Widerstands gegen die oberste Obrigkeit. Diese oberste Obrigkeit, der Kaiser, das ideelle Haupt des christlichen Abendlandes, stand nun einmal an der Spitze des feindlichen Lagers, aber um das ganze Ausmaß der daraus für evangelische Autoren des Jahres 1546 fließenden Legitimationsprobleme erfassen zu können, muß man wissen, daß es im Vorfeld der schmalkaldischen Bundesgründung große Mühe bereitet hatte, Luther klarzumachen, daß die nachgeordneten Obrigkeiten dem Kaiser nicht in jedem Fall geben konnten, was des Kaisers war, weil sie ihrerseits fürs Seelenheil ihrer Untertanen verantwortlich waren. Diese (hier nur angedeuteten) spezifisch lutherischen Debatten seit 1530 gruben in die Flugschriftenliteratur von 1546 tiefe Spuren ein, wurden so auch erstmals vor eine breitere Öffentlichkeit getragen. Die evangelischen Heere zogen nicht in einen Krieg, sie leisteten erlaubten Widerstand gegen Anmaßungen der obersten Obrigkeit. Man untermauerte sein Widerstandsrecht mit theologischen, naturrechtlichen, juristischen und, spezifischer, lehnrechtlichen Argumenten, deren jeweiliges Gewicht in einer reichhaltigen Literatur zur Widerstandsdebatte des 16. Jahrhunderts unterschiedlich taxiert wird.8 7 Vgl. oben Kapitel B.5.1. 8 Man merkte das zuletzt recht instruktiv in diesem Sammelband: Luise Schorn-Schütte (Hg.), Das Interim 1548/50, Heidelberg 2005. Pointiert gesagt, marginalisiert dort Robert von Friedeburg die naturrechtliche Herleitung des schmalkaldischen Widerstands, während sie Merio Scattola und Gabriele Haug-Moritz unterstreichen; läßt Scattola in diesem Rahmen altrömische, juristische, philosophische und theologische Traditionen verschmelzen, unterscheidet

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Darf ich solche den ›inneren‹ Widerstand thematisierende Schriften meiner dem ›außenpolitischen‹ Thema des Krieges gewidmeten Studie einreihen? Von heutigen Forschungszusammenhängen aus gesehen, handelt es sich um verschiedene Themenkomplexe. Es gibt eine stattliche Reihe von Historikern, die die europäischen Widerstandsdiskurse des 16. und frühen 17. Jahrhunderts zu ihren Hauptarbeitsgebieten zählen, ohne an um »Krieg und Frieden«, Neutralität oder Völkerrecht kreisenden Fragen interessiert zu sein; und es gibt einige Historiker, die unverdrossen an außenpolitischen oder völkerrechtsgeschichtlichen Themen arbeiten, ohne die derzeit modischen Widerstandsdiskurse in Betracht zu ziehen. Moderne Fragerichtungen gaukeln eine Dichotomie vor, wo die Grenzen tatsächlich fließend waren. Das Kriegsvölkerrecht wie die Widerstandstheorien versuchten, legitime Fälle von Gewaltanwendung zu umreißen und hierfür autorisierte Trägergruppen auszumachen.9 Vormoderne Traktate, die das »bellum civile« umkreisen (und deshalb heute die Aufmerksamkeit der am »Widerstand« interessierten Historiker finden), versuchen dieses mit denselben Kategorien einzuhegen wie die traditionsreiche Bellum-iustum-Doktrin den Krieg zwischen verschiedenen Gemeinwesen, ohne freilich zu vergleichbar klarer Begrifflichkeit vorzustoßen. Der Sache nach arbeiten sie sich, meist wortreich und doch wenig präzise, am Problem der »auctoritas« für Widersetzlichkeit ab, sie müssen einen sozialen Numerus clausus für legitimen Widerstand zirkeln. Und der Sache nach kreisen auch die Widerstandsdiskurse um eine »iusta causa« für Widersetzlichkeit gegen die Obrigkeit – die tyrannisch sein, gegen positivrechtliche und moralische Normen verstoßen muß. Die spezifischen Probleme reichsständischer Außenbeziehungen ließen und lassen sich mit dem Vokabular beider Diskurszusammenhänge beschreiben: Waren genau die Reichsstände (oder etwa nur die Kurfürsten, oder gar auch Landstände) jene »Ephoren«, die der amtsvergessenen obersten Obrigkeit militärischen Widerstand entgegensetzen durften? Was benahm es der »auctoritas principis« der Reichsstände10, welche Schranken setzte es ihrem Ius pacis ac belli, daß der Kaiser ihr Lehnsherr war? Haug-Moritz »theologisch-naturrechtliche Begründungen« deutlich von einem »politischjuristischen Argumentationsstrang«, der 1546 wichtig gewesen sei, beim Magdeburger Widerstand gegen das Interim seit 1550 hingegen fehle. Auch den sozialen Numerus clausus für etwa legitimen Widerstand ziehen die drei Autoren unterschiedlich. Und für Georg Schmidt ist natürlich die »teutsche libertät« das zentrale Argumentationsmuster der Widerständler, ihn faszinieren die »schrillen nationalen Töne« in damaligen Flugschriften. 9 Das Mischungsverhältnis mag ein anderes gewesen sein: Blieb die Frage der Bestimmung und Abgrenzung von zu aktivem Widerstand ermächtigten »Ephoren« prekär, brauchten Völkerrechtler des 17. Jahrhunderts nicht viele Worte, um die Kategorie der »auctoritas principis« zu erklären. 10 Daß sie grundsätzlich jene Principes waren, das Ius pacis ac belli besaßen, konnten allenfalls kaiserfromme Schreibtischextremisten anzweifeln. Ein selbstbewußter katholischer Reichs-

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Die Grenzen waren also fließend, zumal in Mitteleuropa. Oder dominierte doch der (ohnehin ausgereiftere, ja auch traditionsreichere) Kriegsdiskurs? Von der Negativfolie der Feindbilder her schon. Die evangelische Publizistik von 1546/47 empörte sich über »spanische« Truppen, wollte die Patria gegen die »viehische spanische servitut« verteidigen. Viele evangelische Pamphlete der Jahre um und nach 162011 echauffieren sich über »spaniolisirte« Einflüsterer an der Hofburg und die »blutgierigen Prakticken« ausländischer, häufig spanischer »Jesuwider«. Für Karl V. wie für Ferdinand II. waren ihre reichsinternen Gegner »Ungehorsame«, aber diese selbst zeigten der interessierten Öffentlichkeit nichtdeutsche Feindbilder. Widerstandsaktion, Krieg? Je nach Blickwinkel und Interessenlage mehr das eine oder doch eher das andere! Dominieren in der evangelischen Publizistik nach 1618 eindeutig Kriegsgemälde, war das Bild 1546 vielschichtiger: Einerseits ließ man sich damals von Karl V. den Widerstandsdiskurs aufzwingen, andererseits akzentuierten die antispanischen Feindbilder die Facette »Krieg«. Wiewohl der Ansatzpunkt für die recht breite Widerstandsdebatte der Jahre 1546/47, wie im Falle des Bellum iustum, die Frage nach erlaubter Gegenwehr war, war schon in ihr die notwendige Militanz nicht fern. Denn wenn das Naturrecht eine allgemein verbindliche Ordnung der Gerechtigkeit umriß, demnach auch die politische Ordnung des Gemeinwesens ein Werk des Schöpfers der Natur, also göttlichen Quellgrundes war, wurde der Tyrann, der diese rechte Ordnung bedrohte, indem er die Billigkeit mißachtete, gar die wahre Kirche Gottes verfolgte, ein Werkzeug des Teufels, dem man sich entgegenstellen mußte. Das mußte natürlich erst recht der magdeburgische David in seinem wider alle Vernunft, wider jedes Kräftekalkül gewagten Widerstand gegen den »plus ultra« strebenden habsburgischen Goliath so sehen. »Der von Magdeburg Ausschreiben« zog im März 1550 »auss dem Buche der Richter[,] das die Juden von den mechtigsten Stämmen, nur stille gesessen, unnd zugesehen haben, das yhre Brüder von den geringsten, von den gottlosen Feinden seind überzogen, und dem HERREN, und dem armen heufflein nicht zur Hilfe gekommen«, weshalb sie »von den gesanten Engel Gottes, seind verflucht worden«.12 Neutralität war nicht nur schändlich, war sündhaft. fürst wie Maximilian von Bayern zweifelte selbstverständlich keine Sekunde daran, daß er Völkerrechtssubjekt war. 11 In den siebzig Jahren dazwischen erschienen zahlreiche ›Klassiker‹ der europäischen Widerstandsliteratur, doch im Reich war die Debatte über erlaubten Widerstand gegen den Kaiser in den Jahrzehnten nach dem Religionsfrieden nicht virulent. Erst die manifest werdende Verfassungskrise des frühen 17. Jahrhunderts rückte diese Möglichkeit wieder ins Bewußtsein mancher Zeitgenossen. 12 [Anonym], Der von Magdeburg Ausschreiben an alle Christen, Magdeburg 1550, fol. Bii (Kursivsetzung von mir).

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2.1.3 Zwischen konfessionspolitischer und militärischer Neutralität Wie fließend die Grenzen zwischen Kriegs- und Widerstandsdiskurs gewesen sind13, werden bald die westeuropäischen Glaubens-«Kriege« erneut zeigen, und auch den Dreißigjährigen Krieg wird ja die kaiserlich-katholische Seite als Kampf gegen »Ungehorsame« führen. Insofern gehören die zitierten Ausführungen Maiors schon zu unserem Thema. Hingegen scheint es zeitlich und gattungsspezifisch nicht zu passen, wenn ich mit dieser Zwischenüberschrift desselben Autors in einem homiletischen Buch von 1562 fortfahre: »Qui non est mecum, contra me est«. Die Marginalie am Rand verdeutlicht: »Contra neutrales«. Erläutert wird der zitierte Satz so: Es sind diejenigen zu verdammen, »qui nullius Ecclesiae aut professionis cives esse volunt, sed existimant posse se et Deum et homines decipere, si se omnes religiones approbare, Aut nullam certe damnare velle ostendant, Aut qui veras sententias astutè dissimulant ... ne in periculum vitae aut rerum suarum veniant«. »Nullum igitur hîc medium, nullum hîc nomen neutri generis seu neutralitas est, sed necessario sumus aut sub forti Tyranno Diabolo in atrio suo, aut sub fortoriori redemptore Christo in coelo«.14 Wir stoßen bei Maior auf Versatzstücke, mit denen man später hundertfach Neutralität in den großen europäischen Konfessionskriegen denunzieren wird: etwa das »qui non est mecum, contra me est«; den Vorwurf des »Dissimulirens«; den Vorwurf, sich nicht zwischen Himmel und Hölle, Jesus Christus und Antichrist, God or Baal entscheiden zu können. Aus dieser und vergleichbaren gelehrten Arbeiten schöpften die frommen Autoren der neutralitätskritischen Flugschriftenliteratur ihre Argumente und Topoi. Aber Georg Maior geißelte 1562 nicht die Neutralität in einer bestimmten aktuellen militärischen Auseinandersetzung, meinte allgemeiner mangelnde Bereitschaft, sich im Ringen zwischen den konfessionellen Wahrheitsmonopolen zu exponieren. Seine Bemerkungen zielten auf die religiöse Haltung jener Nostalgiker, die die Irreversibilität der Glaubensspaltung, die nicht mehr rückholbare Pluralität von Kirchenbildungen noch immer nicht nachvollziehen wollten. Wer es gern schön schematisch haben will, könnte in diesem Sinne von innerchristlicher15 anstatt zwischenstaatlicher Neutralität sprechen. 13 Vgl. schon oben S. 131 Anm. 91. 14 Georg Maior, Prima pars Homeliarum in Evangelia dominicalia, a prima Dominica adventus domini, usque ad Dominicam primam post Epiphaniam Domini, in: Tertius Tomus operum Reverendi Viri D. Georgii Maioris, continens Homelias in Evangelia Dominicalia et dies Festos, Ausgabe Wittenberg 1570 (zuerst 1562), fol. 179. 15 Aus der Sicht der von Maior Perhorreszierten wohl auch: innerkirchlicher! Evidenter war eine solche innerkirchliche Neutralität gegeben, wenn man sich zur Zeit der spätmittelalterlichen Schismen auf keine Seite schlug. Wenn Enea Silvio Piccolomini im Mai 1444 in seinen Berichten aus Nürnberg über »hoc nouum neutralitatis aucupium« [sic], dieses neueste Schlag-

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Erstere verdammt auch ein »Reformator Ecclesiae«16, mit dem ich endlich einmal etwas Gereimtes aufbieten kann. Ihr Autor war gewiß kein Katholik, doch geht es ihm nicht so sehr um Lobpreis Luthers, sein Hauptanliegen ist Kritik an dogmatischen Spitzfindigkeiten, er spießt »die unterschiedliche und widerwärtige Meinungen der Gelehrten in Religionssachen« auf: »Zanken sich von den Lehrern her/ Und vergeßen dadurch Gottes Ehr«. Der Reimeschmied läßt einen Lutheraner, einen Calvinisten, einen »Papisten« auftreten, es folgen Anhänger diverser »Sekten«, dann tritt, bezeichnenderweise vor dem apokalyptischen siebenköpfigen Ungeheuer, gewissermaßen als Steigerungsform sektiererischen Übels, der Neutrale auf: »Der acht will seyn ganz neutral,/ Damit er nicht steh in der Zahl,/ Welche sind stumm, unwißend Hund,/ So nicht reden mit ihrem Mund,/ Auch ein Rohr, das der Wind treibt um,/ Ohn Wasser ja ein leerer Brunn./ Der neunt, das siebenhäuptig Thier,/ Dein falsch, listig, teuflisch Begier ...« Neutralität ist hier nicht schlimmer als der Abfall zum Teufel (solche Ansichten werden wir auch noch kennenlernen), doch fast schon teuflisch. Freilich spricht das Pamphlet nicht speziell von Neutralität in einem militärischen Konflikt, eher ist theologisches Desinteresse gemeint, hierfür will auch Kritik an dogmatischer Streitlust keinesfalls plädieren. Nun lassen sich in jenen Jahrzehnten, in denen Westeuropa bereits von Konfessionskriegen zerfurcht wurde und ein solcher auch im Reich längst von Schreibtischextremisten heraufbeschworen wurde, Äußerungen über »neutrales« Verhalten nicht immer so sauber kategorial einordnen. Weil wir, wie zuvor bei Maior, erneut auf Topoi stoßen, die man nach 1618 den Möchtegernneutralen des Dreißigjährigen Krieges entgegenschleudern wird, zitiere ich, was der Rechtsprofessor und Reichshofrat Georg Eder schon 1574 über »Neutrales, Beydenhänder, weder kalt noch warm«17 wußte: »kören den Mantel nach dem wind, vnnd stellen wort aller Egoisten und Bequemen schimpft (vgl. beispielsweise Enea Sylvio Piccolomini, Opera quae extant omnia, nunc demum post corruptissimas aeditiones summa diligentia castigata ..., Ndr. Frankfurt 1967, S. 548f. oder Enea Silvio Piccolomini, Briefe, hg. von Max Mell, o. O. 1911, S. 104 und S. 109), meint das eindeutig eine derartige innerkirchliche, nicht die zwischenstaatliche Neutralität. Trotzdem rekurrieren Traktate des Konfessionellen Zeitalters bei diesem Thema immer wieder auf Piccolomini – schon er habe völlig zu Recht darüber geklagt, daß die Neutralität einfach nicht aus der Welt zu schaffen (»aboleri et removeri«) sei, findet Philipp Heinrich Hoenonius, Disputatio XIII. De confoederatione rerumpublicarum, in: ders., Disputationum politicarum liber unus, 3. Aufl. Herborn 1615, S. 582 (aber das ist nur ein Beispiel). 16 Zum Folgenden: [anonym], Reformator Ecclesiae, oder: deren in dieser Welt hochbedrangten christlichen Kirchen Hülf, Beistand und Erretter, abgedr. bei Scheible, Die Fliegenden Blätter, als Nr. 36. 17 Georg Eder, Evangelische Inquisition wahrer und falscher Religion. Wider Das gemain unchristliche Claggeschray, dass schier niemands mehr wissen künde, wie oder was er glauben sollte ..., Dillingen 1573, Marginalie auf fol. 151.

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sich wie die Wetterhanen«18; »sehen durch die finger zuo, lassen alles durch einander gehen«19; »lauiern vnd temporisieren«20, betreiben »lauter heuchlerey«21. Wie das moralisch zu beurteilen war, zeigt diese Definition Eders: Wollen »mit jedermann, ja auch mit den wissenlichen feinden Christi vnd der wahren Catholischen Religion befridiget sein«, suchen eine »Gottlose sicherheit«, »welches warlich in effectu anders nichts, als ein pur lautere verblendung des Teufels«.22 In »Religionssachen ... kan einmal ausser eigen verdamnuß nichts nachgesehen, noch geben werden, durchauß auch kain ander mittel statthaben, dann hieob auß dem Propheten Elia eingefürt worden: Ist der Herre Gott, so volgt jm nach: ists aber Baal, so volget demselben nach.«23 Diese lauen »Hofchristen« unterstanden sich, »das gute mit dem bösen, das liecht mit der finsternuß, vnd die warheit mit jrrthumben zuuermischen«.24 Von einem Konfessionskrieg war hier einerseits nicht die Rede. Aber doch auch nicht nur von theoretischen Überzeugungen, von Weltanschauung, sondern von den sich organisierenden Konfessionsparteien: »Zwischen solchen partheyen, welliche inn den Hauptartickeln unsers heyligen Christlichen glaubens, wie die Lutherischen und Bäpstischen wider einander seind, und streiten, Da kan einmal ausser ewigen verdamnuß nichts nachgesehen« werden.25 Und als Aufruf zum Krieg kann man eben durchaus manche Äußerungen unseres Autors lesen, in dieser Schrift26, in anderen aus seiner Feder.27 Der Übergang zur Neutralität im Krieg war insofern fließend. Das gilt in anderer Weise auch für eine 1615 vorgelegte Suada gegen Versuche, den Pariser Hof von Hilfen fürs bedrängte evangelische Deutschland abzubringen, indem man ihm ein Bündnis mit Spanien schmackhaft machte oder aber »viel Subtiler, doch nicht weniger schädtlich« einflüsterte, er solle »bey entstehung einigen Sturmwindes die Neutralitet als ein sichern wege« wählen. Das sei »eben als wann die jenige, welche jhre vereinigte in der noth verlassen, nicht 18 Ebda., fol. 150. Auch Neutrale im Krieg hängen in Pamphleten manchmal den Mantel in den Wind, gelegentlich begegnet der Wetterhahn. 19 Ebda., fol. 151. 20 Ebda., fol. 152 – auch bei Neutralität im Krieg recht häufig als angebliche Synonyma verwendet. 21 Ebda., fol. 154. Neutralität im Krieg als »pur lauter Heuchelei«: in Pamphleten nicht selten. 22 Ebda., fol. 151. »Wann aber vnser ewiger widersacher der laydig Teufel die sach so weyt bringt, das man alles durch einander gehn vnd gut sein lasset ...« 23 Ebda., fol. 153. 24 Ebda., fol. 154. 25 Ebda., fol. 170. 26 »Wo aber nit einigkait im Glauben ist, da kan gewißlich auch kain bestendiger frid sein«: ebda., fol. 153. 27 Insbesondere ders., Das guldene Flüss wurde von den Protestanten aus nachvollziehbaren Gründen als Kampfansage und Kriegsdrohung verstanden.

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vngerechter vnd erger wehren als die Feinde«. Wer rechtschaffen urteilte, mußte solchen Neutralen zurufen, daß sie »noch weniger mißhandelten, wann sie sich öffentlich zum Feinde schlügen«.28 Es folgt auch hier eine stattliche Reihe jener topischen Vorhaltungen, die alsbald im großen deutschen Konfessionskrieg grassieren werden: Die Neutralität ist kein »mittelweg«, sonder gar keiner; »entzeucht man sich durch diese lawlichte arth die Freunde, wendet die Feinde nicht abe«, man gibt sich so »dem obsigenden theil preiß«; man kann nicht einfach zusehen, wenn das Haus des Nachbarn abbrennt, usw. usf. All das wird uns, wie gesagt, im Dreißigjährigen Krieg wiederbegegnen, die rhetorischen Übergänge in die eigentlichen Kriegsjahre hinein sind fließend. Wir merken es sogar in einer »Newen Zeitung« von 1614, die Neutralität, ganz untypisch, nicht von Anfang an in Bausch und Bogen verdammt. Das Reich ist in »schlechte Harmonia« geraten, findet ihr Autor29, schuld sind »die Calvinisten«, sie basteln an »Uniones«, sie zündeln, bändeln mit ausländischen Potentaten an, »in hoffnung jr intent mit Kriegesgewalt durch zu dringen«. Weil »keine Hoffnung vbrig« scheint, wie »das Reich lenger von seiner ruina zu conserviren«, weil der vorausschauende Politiker demnach mit einem möglichen Waffengang zu rechnen hat (»auff begebenden Krieg«), mußten die Katholiken leider mit ihrer »Liga« nachziehen. »Die aber so man Lutherischen oder der rechten Augspurgischen Confession nennet, stehen in dritten hauffen, stellen sich Neutral vnd halten noch zur Zeit Contrapart zwischen beyden Religion«. Diese Neutralität ist eine zwischen Konfessionsparteien, nicht zwischen Kriegslagern, und doch ist schon dauernd vom Krieg die Rede. Das letzte Wort zur Neutralität ist übrigens ein kritisches. Nachdem der Autor immer wieder seiner Erleichterung darüber Ausdruck gegeben hatte, daß es die Lutheraner wenigstens nicht geradewegs mit den unruhigen Calvinisten hielten, erklärt er diese politische Option schließlich doch für jedenfalls langfristig nicht tragfähig: »Jhr wollet in newtral Ständen den Calvinisten so lange zu sehen«, bis die den Katholizismus ausgetilgt haben und sich dann über Euch, die Lutheraner hermachen, ruft er diesen zu, »gebet auff ewre schantze acht, dz jr neutralizando nit ein Instrument seit zu ewren eigenen Vntergang«. Die Publizistik der Vorkriegsjahre antizipiert manche Züge der Kriegspublizistik seit 1618, weil sie im Horizont der Naherwartung eines Krieges niedergeschrieben wurde. Und in den letzten Jahren vor wie dann nach 1618 werden wir Kritik an der Neutralität in katholischen Flugschriften, so überhaupt, dann gleichsam gezügelt begegnen – in dieser Hinsicht immerhin ist die »Newe Zeitung« typisch. Schäumende Suaden gegen die »Neutralisten« werden, wie in den 28 [Anonym], Politischer Discurs, Ob sich Franckreich, fol. Biij. 29 Genauer gesagt: der von ihm vorgeschützte »Peregrinus«, die Flugschrift fingiert eine Diskussion – [anonym], Newe Zeitung Darinnen ein Wolmeinend vnd vertrawlich Colloquium, die folgenden Zitate: fol. Aiiij bzw. fol. Ciiij.

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letzten Vorkriegsjahren, so nach 1618 evangelisch sein. Den Katholiken konnte es ja nur recht sein, wenn manche lutherische Residenzen nach 1608 der Union fernblieben, es wird ihnen nur recht sein, wenn sich manche lutherische Reichsfürsten nach 1618 aus den Kriegswirren herauszuhalten suchen. Auch katholische Autoren heißen deshalb nicht etwa die Neutralität gut. Neutralitätslob ist Publizisten der ersten Hälfte der Frühen Neuzeit nicht denkbar. Gewiß habe ich bei weitem nicht alle Flugschriften des Konfessionellen Zeitalters gemustert, aber doch mehrere hundert; ganze drei von ihnen kommentieren die Neutralität nicht ablehnend.30 Üblich ist auch auf katholischer Seite Geringschätzung, aber sie begegnet eben bei weitem nicht so häufig wie in evangelischen Pamphleten und nicht in so schrillen Farben. Zum Glück sind einige Lutheraner der verderblichen evangelischen Union ferngeblieben, frohlockt ein altgläubiger Traktat 1617, um dann so fortzufahren: »Neutral zu seyn würde sich fast nicht leiden wöllen, nit allein propter periculum, da gemeiniglich in solchen Fällen die Neutral-Stände praeda victoris seynd« – ein Topos, auf den wir noch unzählige Male stoßen werden –, »und deme zu plündern bleiben, der die oberhand behält, sondern auch propter leges imperii, welche iedem Stande vorbilden, dem Betrangten Hülffe zu leisten, damit er deß Religion- und Prophanfriedens fähig seyn möge.«31 Neutralität ist unklug, Neutralität steht in einem Spannungsverhältnis zum politischen System des Reiches; daß Neutralität sündhaft sei, sagt unser Autor, anders als manche Vorgänger und so viele nach ihm, nicht. Von Neutralität im Krieg spricht er einerseits auch nicht, noch gab es ja keinen Krieg in Mitteleuropa; aber wir befinden uns eben in der Vorkriegszeit. Wenn die »Politische Psychologie« Frieden als »Abwesenheit von Polarisierung« oder »positiv formuliert Anwesenheit von Integration« definiert32, herrschte nach ihren Maßstäben 1617 längst kein Friedenszustand mehr. 30 Nämlich zum einen eine Flugschrift aus der Spätphase des Dreißigjährigen Krieges, die ich noch kurz streifen werde: siehe unten S. 423 mit Anm. 98. Zweitens [anonym], Specvlvm Germaniae, S. 10f.: Polemik gegen die Union, viel positiver ist von der »Sächsischen Neutralität« zu sprechen, die Dresdner Regierung hat nämlich »weißlich vnd hochverständig« gehandelt, stets den Kaiser »geehret« und »deß Reichs Satzungen vnverbrüchlich gehalten«. Wegen dieser Begründung und weil Kursachsen, als das »Specvlvm Germaniae« 1621 erschien, längst in die Lausitzen einmarschiert war, also im Böhmischen Krieg keinesfalls »neutral« agierte, mag »Neutralität« hier dafür stehen, daß Kursachsen nicht der Union beigetreten war, also Bündnislosigkeit meinen. Schließlich heißt [anonym], Trewhertzige Vermahnung beiläufig die schweizerische und burgundische Neutralität im Dreißigjährigen Krieg gut. 31 [Anonym], Politischer Discurs und Bedencken über die Uniones im Reich [wohl von 1617], abgedr. bei Michael Kaspar Londorp (Hg.), Der Römischen Kayserlichen Majestät und des Heili­gen Römischen Reichs ... Acta publica, Bd. 1, Frankfurt 1668, hier S. 366. 32 So Hannne-Margret Birckenbach, Jenseits von Mythen: Zur Politischen Psychologie des Friedens, in: Reiner Steinweg/Christian Wellmann (Redd.), Die vergessene Dimension internationaler Konflikte: Subjektivität, Frankfurt 1990, S. 10.

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2.1.4 »Welcher nur halb vnsers Herr Gotts seyn will, der ist gar des Teuffels«: eine erste Aufgipfelung der Neutralitätskritik Die Neutralitätskritik der zuletzt zitierten Flugschriften zielte auf keinen real existierenden Krieg, nahm aber den großen deutschen Konfessionskrieg im Grunde rhetorisch vorweg – was dem Befund in den Akten korrespondiert, auch dort stand er ja spätestens seit 1608 »ins haus«.33 Seit sich die zeittypisch sowohl verfassungspolitisch als auch konfessionell motivierten böhmischen Querelen aus konfessionspolitischen Gründen34 zum europäischen Krieg auszuweiten begannen, meinte Polemik gegen Neutrale ohne weiteres militärische Neutralität. Wir wissen schon: Sie floß nicht nur, aber überwiegend aus evangelischen Federn. Agierte die katholische Seite leidlich geschlossen, befanden sich wichtige evangelische Reichsstände, allen voran der Kurfürst von Sachsen, nicht in der Union, und nicht alle Auhausener waren für entschiedenes Engagement im Osten, am wenigsten die unierten Reichsstädte. Bis zum Herbst 1620 (als der Dresdner Hof offen Partei für die kaiserlich-katholische Seite ergriff ) galten die Sächsischen in der Selbst- wie in vieler Fremdeinschätzung als »neutral«, sichtlich animierte nicht zuletzt das in den Jahren 1619 und 1620 evangelische Autoren zu publizistischen Attacken auf die »Neutralisten«. Wir merken es beispielsweise, wenn ein fingierter Kardinal in Rom schwadroniert, das evangelische Deutschland sei »in zwo Parthey«, nämlich die Unierten und die »Neutralstände zertrennt«. Gottlob hätten sich »auch er Sachs, vnd seine Neutralisten bißhero noch jederzeit gegen dem Hauß Oesterreich dergestalt in facto erwiesen, daß man vermercken können, die Neutralstände, vnangesehen sie der Religion halben gar grobe Gesellen: vnd mit Lutherischer Ketzerey behafft sind, habens bißhero mit dem Hauß Oesterreich, oder vielmehr den Catholischen gut gemeynet«.35 Sich über solche »Neutralisten« zu echauffieren, deren Abseitsstehen das europa- und reichspolitisch bedingte36 Übergewicht der katholischen Seite verstärkte: das war nun für eineinhalb Jahrzehnte ein vorwiegend37 evangelisches Thema. 33 Vgl. oben S. 292f. 34 Vgl. Gotthard, Konfessionskrieg; populärwissenschaftlich: Gotthard, Das Alte Reich, S. 79– 84. 35 [Anonym], PostReutter, an Bäpstliche Heiligkeit, Bapst Paulum V. durch einen fürnemen geistlichen Praelaten in Italianischer Sprach anßgefertigt [sic] ..., o. O. 1620, fol. 30. 36 Die katholische Seite profitierte bekanntlich von einer Reihe strukturell im Reichsverband angelegter Vorteile – katholisches Reichsoberhaupt (damit katholischer oberster Lehnsherr), katholischer Erzkanzler (damit katholisches Reichstagsdirektorium), üblicherweise katholische »maiora« in den maßgeblichen Reichstagskurien usw. Zu den nicht vermeßbaren, aber wichtigen charismatischen Ressourcen des katholischen Kaisertums kam natürlich viel konkreter, daß das Oberhaupt der anderen Linie der Dynastie in Spanien regierte. 37 Mit anderen Worten: katholische Flugschriften, die sich ausführlich zur »neutralitet« äußern, sind nicht so häufig, und nur selten nehmen zwischen Prager und Westfälischem Frieden

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Die ersten Verdikte über die »Neutralisten« schauen noch nach Prag. Weil man in Böhmen keinen Freiheitskampf, sondern einen »ReligionsKrieg« wahrnahm38, versagte sich der Neutrale der für jeden Christenmenschen obligatorischen Glaubenssolidarität. Man darf nicht so lang »Gedult haben vnnd stille sitzen, daß man nicht gar zu einem Bauren oder sclaven drüber werde«39, findet immerhin eine Flugschrift von 1619, aber dieser eventuell auf das Ringen um ständische Freiheiten applizierbare Halbsatz steht vereinzelt da. Alle anderen Flugschriften wollen mit ihrer Neutralitätskritik für den Konfessionskrieg mobilisieren. Besonders ausführlich versucht es eine »Böhmische Nebelkap«. Sie weiß, daß sich der beherzte Mann durch »Hülffe, Rath vnd That, vnd nicht mit Weibischen Gebärden, Thränen vnd grämen« bewährt. Die Böhmischen brauchen jetzt keine »weder Kalte noch warme Freunde«. »Keine Tugendt viel weniger eine Heroische That ist es, wann jemand Weibischer weise, vnd auß verzagtem Gemühte mit dem traurenden vnd Hülff bedürfftigem ancket, seufftzet, vnd halbe vnd zerbrochene wort weynet: Sonsten weren die alte geitzige Weiber vnd drückpfennige die aller tugendreichisten«. Neutralität sei aber nicht nur schändlich, sei sündhaft, man könne nicht »mit gutem gewissen still sitzen«. Wer den Glaubensgenossen nicht aktiv beispringe, lade »Gottes schweren Zorn« auf sich. Es werde »der jenige, so einem andern seinen Nehesten nicht hilfft, wenn er kan, vor den Thäter selbst gehalten«. Neutralität war keine zulässige politische Option, weil sie gegen das Gebot tätiger Nächstenliebe verstieß. »Der nicht verbeut zu sündigen, weil er es wol könte wehren, der heisset sündiget. Item, der, der vnbilligkeit vnd vnrecht nicht steurt vnd wehret, wenn ers thun kan, ist eben mit solchem Laster behafftet, als der seine Eltern, oder Vatterland, oder seine verwante Freunde vnd Gesellschafft verläst. So ist im Gewissen gar nicht publizierte Flugschriften zu diesem Thema Stellung. Beide Bedingungen erfüllt der 1647 anonym publizierte »Schwedische Jäger in Teutschland« (o. O. o. J.): Oxenstierna läßt das Reich durch seine Militärs und Diplomaten leerjagen, ausrauben, das Reich wehrt sich dagegen nicht koordiniert, am Rand dieser Jagdgeschichte steht als Marginalie: »Vorgeschützte neutraliteten«. »Neutraliteten« also verhinderten, daß sich das Reich geschlossen um die Hofburg scharte, warum aber »vorgeschützte«? Bezieht sich das Adjektiv auf dieses mir nicht entschlüsselbare Bild? »Ein wilde Katz seye wahr genommen worden, auff einem hohen Cobel man muß jhr den Peltz schüttlen, Dan es seyn böse Katzen So davorn lecken vnd dahinden kratzen« (S. 4; ich füge an: »Seipsius«, Merckauff, fol. Aiij – Kurfürst Johann Georg von Sachsen möge doch bedenken, daß »die Papisten ... vornen hero lecken, hinden kratzen, ein art von bösen katzen«). Wir kennen die Bilderwelt der damaligen Flugschriften kaum, weil wir noch gar nicht angefangen haben, diese Literaturgattung ernsthaft zu analysieren. 38 Vgl. Kapitel B.1.3. 39 »Johan Huss redivivus, Martyr Constantiensis Constantissimus«, Spanischer Gelttrutz, fol. Biij. Es wird noch nicht einmal klar, ob hier wirklich im strikten Wortsinn von Neutralität im Böhmischen Krieg die Rede ist, immerhin, »sille sitzen« war die gängige Verbalisierung der »neutralitet«.

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zuverantworten, seinen Nehesten vnd Religions verwanten, in solcher Gefahr stecken lassen, vnd denselben gleichsam selbsten zuverfolgen, vnd vmbs Leben zu bringen, darvon endlich auch Gott dem allmächtigen schwere Rechenschafft, ja viel schwerer, als von den jenigen, so auß vnwissendem Eyfer, die Religion verfolgten, vnd mit dem Apostel Paulo, einem grossen Verfolger vor seiner Bekehrung sagen können, Ignorans feci, gegeben werden muß.«40 Neutralität war schlimmer als Parteinahme für die ungerechte Sache. Auch eine Sentenzensammlung von 162041 weiß, »das welcher nur halb vnsers Herr Gotts seyn will, der ist gar des Teuffels«. An sich nicht ohne Weltklugheit und auch nicht ohne feine Ironie, vermag diese reizvolle Sprüchesammlung doch »Auß der Neutralitet« nur die gängigen, eigentlich längst abgestandenen abschätzigen Topoi42 aneinanderzureihen. Weil »das Wörtlein Neutral vnteutsch« sei, müsse man es »verteutschen«, aber wie nur? Manche übersetzten »keinerley, das ist, weder Fisch noch Fleisch«, andere »beyderley, weil sie gemeinlich vff beyden Achseln tragen«, wieder andere mit »untrew«, weil dem Neutralen keiner »vertrawet«. Es ist in keiner Flugschrift, die zur Neutralität Stellung nimmt, zu übersehen, daß die Urteile über diese Option mit dem Kriegskonzept des Autors zusammenhängen – wenn Kriegführung nicht selbstverständliches Attribut souveräner Staatlichkeit war, sondern entweder ge- oder verboten: dann konnte man sich nicht einfach neutral heraushalten. In grellen Farben malt diese Zusammenhänge eine hitzige antikatholische Kampfschrift aus, die so zum Notwendigen Krieg43 aufruft: Alle wahren Christen müssen sich »wider den Trachen, vnd die, so jhme die Christliche Kirch wollen helffen auffressen ... miteinander verbinden, dem Antichristen vnd seinem Anhang mit rath vnd that dapffer widersetzen. Der betrangten Christen, sie seyen wo sie wollen, sich annehmen, jhnen beyspringen, vnnd vor der Antichristischen Tyranney, so viel an jhnen ist, sie vnderstehen zubeschützen.«44 Es folgt die damals beliebte, aber sogar hinsichtlich der Neut40 [Anonym], Nebelkap, die Zitate stehen auf den Seiten 11–13. 41 Zum Folgenden: [anonym], Continuatio der Newen Zeitungen Von vnterschiedlichen Orten: Das ist, Die alte Warheit mit eim newen Titul. Vermehrt vnd auch verbessert, o. O. (»gedruckt in der Parnassischen Truckerey«) 1620, s. v. »Auß der Neutralitet«. – Was Opel/Cohn, Sammlung, unter dem Titel »Nova nova antiqua continuationis der neuen Zeitungen ...«, angeblich aus dem Jahr 1621 abdrucken (Nr. 83), stammt offenbar aus einer späteren Ausgabe derselben Sentenzen (das von mir in der ThULB, Bud.Hist.un.131 eingesehene Exemplar trägt, wie gesagt, den Druckvermerk »1620«) und wurde wohl auch von den Herausgebern sprachlich ›modernisiert‹. »Daß welcher nur halb unsers Herr Gotts sein will, der ist gar des Teufels«: ebda., S. 390. 42 Sie sichtet Kapitel C.4, dort werden wir auch wiederholt auf die »Continuatio« zurückkommen; hier interessiert vor allem die zitierte Bewertung als ›teuflisch‹. 43 Vgl. Kapitel A.2.1.3. 44 [Anonym], Traw, Schaw, Wem, S. 17. Die folgenden Zitate: S. 23ff.

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ralität (wie wir noch sehen werden) verschieden ausdeutbare45 Gliedermetapher: »Dann ist es billich daß Glieder eines Leibs jnen einander im fall der noth zur hülffe kommen, vnd so wol den gantzen Leib, als ein, oder das ander desselben Glieder, von seinem vndergang erretten: wie solte solches denen können gewehrt werden, die alle, als Glieder eines Leibs, vnder jhrem Haupt Christo leben?« Also ist Parteinahme geboten, Abseitsstehen sündhaft. Der Autor findet es abscheulich, daß manche Leute, »ob sie wol in der sichtbarlichen Kirchen seynd, gleichwol vor Gott nicht auffrichtig wandeln«: nämlich solche, »so durch eine vermeynte Politische46 vnpartheyligkeit, weder einem noch dem andern Theil anhangen«. Hier wollen »menschen klüger seyn ... als Gott«, tatsächlich verfallen sie so dem »Sathan«, sie werden darüber »zu grundt gehen«. Heiliger Übereifer, fromme Naivität? Verschiedene vom Autor kolportierte Neutralitäts-Topoi zeigen, daß er die politologische Literatur seiner Zeit gut kannte, nicht nur diese ausdrückliche Berufung auf Jean Bodin: »vnd Johannes Bodinus helt darfür, daß die, welche sich zu keiner parthey halten, endtlich beyden partheyen, wenn sie sich widerumb vergliechen, in das netz fallen«. Wir werden noch sehen, daß die moralische Entrüstung der Pamphletistik nicht spurlos an den frühen politologischen Pionierwerken vorüberging; aber auch hemmungslose Polemik konnte die kühle Distanz der Staatsklugheitslehre zur Neutralität hilfsweise aufbieten. Doch standen den religiös durchtränkten Flugschriften außer Klugheitskalkülen und historischen Exempeln eben auch heilsgeschichtliche Lehren zu Gebote, und ihre frommen Autoren wußten, wohin alles in dieser alternden Welt final strebte. Die jetzt nicht die (so verstandenen!) Zeichen der Zeit erkannten, »sondern mit jhren irresolutionibus, Neutralitet vnnd cunctiren gleichsam, rei totius summam vorsetzlich im stich vnnd verderben setzen wollen«, wurden »darüber am Jüngsten Tag, von Christo vnd seinen Gliedern, für den Richter Stul Gottes angeklagt, vnd zugleich verdammet«. Einen Vorgeschmack auf diese ewige Verdammnis bekamen sie schon hienieden: Denn bildeten sich die nach Dresden blickenden evangelischen »Neutralisten« ernsthaft ein, daß die Stürme des Krieges einfach so über sie hinwegzogen? 45 Wie der Verfasser des »Traw, Schaw, Wem« verwendet das Bild »Josephus Philippus Seipsius« im »Sächsischen Merckauf« (fol. Aiij): Es sind »alle glieder eines leibs, dessen Haupt Christus vñ nit der Bapst ist«. Deshalb muß, so die aktuelle Nutzanwendung, Kurfürst Johann Georg »den rechten weg gehen«, »böses mit bösem, vñ gewalt mit gewalt« vertreiben. Ob diese Ausdeutung der Gliedermetapher bewußt und gezielt gegen die anderslautende Interpretation desselben Bildes in der offiziösen kursächsischen Propaganda seit 1620 (auf sie gehe ich gleich noch ein) gestellt wird? 46 Wer sich, wie die französischen »Politiques« oder die von der neumodischen Ratio status schwadronierenden »politischen Hofleut« (wie sie gern in der katholischen Kampfliteratur des späten 16. Jahrhunderts genannt werden), für eine Emanzipation der Politik von den exklusiven konfessionellen Wahrheitsmonopolen einsetzte, war nach Ansicht frommer Flugschriftenautoren hybrid – Politik hatte Ancilla theologiae zu bleiben.

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Wir sahen schon weiter oben47, daß viele evangelische Autoren 1618, 1619 der Überzeugung waren, der katholische Druck auf Böhmens Protestanten sei nur die Ouverture zum finalen Vernichtungsschlag gegen den mitteleuropäischen Protestantismus. Nach dem Majestätsbrief werde der Religionsfrieden fallen. Das schrieb man auch den Neutralen ins Stammbuch. Die Gegenseite wird alle Evangelischen, nicht nur ein paar böhmische Ständeführer, um Land und Leute bringen, prophezeit das soeben zitierte Pamphlet, wird Europas Protestanten »mit Fewer, Schweffel vnnd Bech« traktieren. Anzunehmen, daß die Katholiken dabei zwischen mutigen Bekennern evangelischer Wahrheit und denen zu unterscheiden suchten, »welche sie Neutral nennen«, sei »doch mehrers ein Betrug, als eine Sicherheit [vor] der gewissen Gefahr«, warnt eine andere Broschüre, auch bei diesen Neutralen wird »Heulen vnd Zähnklappern« sein.48 »Wenn einer sehe, daß sein Nachbar angegriffen vnd sampt den seinen der Religion halben verfolget oder bekrieget würde, er aber wolte darzu still sitzen«, entlarvt er sich als Narr, denn: »O wie bald kan ein Funcken vbern Zaun fliegen, vnd den49 Hauß anstecken«. »Neutral zu sein« ist »sehr gefahrlich«, urteilt eine wohl vor allem ans reichsstädtische Patriziat gerichtete Flugschrift, »der jenig welcher zwaien kriegenden Nachbawrn zusihet vnnd stillsitzet, hat gewiß zu außgang deß kriegs den sighafften theil im haar«, und »beede werden wider jhne zürnen«.50 Feuermetapher, »praeda victoris«: beiden Topoi des vormodernen Neutralitätsdiskurses werden wir noch häufig begegnen, der letztere gehört zu den Essentials der politologischen Neutralitätskritik. Die fromme Erregung unserer Flugschriften kündet nicht von »heiliger Einfalt«, ihre Autoren waren über die Gattungsgrenzen hinweg belesen. Schon in der Vergangenheitsform wußte »Hipilippanus Dinorus« 51 1623: viele Reichsstädte wollten »neutral« sein, auch in der Reichsritterschaft war dieser Hang verbreitet, aber wie hat man es ihnen allen gedankt! Auch den Regierungen von Hessen und Württemberg hat man ihre Zurückhaltung52 schlecht entlohnt: So wird offenbar, »das die Neutralitet seye der geringen Stätt vnd Ständen jhre Sterb- vnd Verderbsucht«. Speziell die sich an eine Neutralität klammernden Reichsstädte wird man ihrer Selbständigkeit berauben, bei den Katholiken heißt 47 Nämlich in Kapitel B.1.3. 48 »Johan Huß redivivus, genandt Martyr«, Der, den Böhmen gelegter Fallstrick Ist allen Evangelischen Ständen, ein gestelte Fallbrück ..., o. O. 1619. 49 Meint vielleicht: »dein«? »Beatus Modestinus Seuberlich«, Examen Der Recepten, fol. Riiij. 50 [Anonym], Copie Vertrewlichen Schreibens Wentzeln von Meroschwa; auf die Argumente und Neutralitätstopoi dieser Schrift gehe ich weiter unten noch näher ein. Etwaige Seitenangaben waren auf der von mir benützten Mikrofiche-Ausgabe nicht zu erkennen. 51 Zum Folgenden: »Hipilippanus Dinorus«, Andere Schildtwacht, fol. A2 bzw. fol. A3. 52 Auf die Politik Württembergs und Hessen-Darmstadts im Dreißigjährigen Krieg geht Kapitel C.3 noch ein.

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es, »das Wort Neutral, gibt Holtz ... darmit man die Reichsstätte Verbrennen soll«. »So fern die Neutralstände jhre Gewissen gesundt, jhre Religion frey, vnd jhre Freyheiten vnverletzt vnd vnversehrt behalten vnd erhalten wollen, so müssen sie nolentes volentes der Katzen Natur als ein conservativ sich gebrauchen«53, also die Krallen ausfahren54 und sich aktiv wehren. »Neutralitas est Germanorum Pestis«.55 Daß der Dresdner Kurhof seine seit dem Herbst 1620 offen prokaiserliche Haltung publizistisch ausführlich verteidigen ließ, wissen wir bereits. Hier interessiert nun noch, wie die kursächsische Apologie begründet, warum man nicht mehr »neutral« zuschauen könne.56 Das Thema werde ja derzeit »viel« diskutiert im Reich, registriert die Flugschrift, »es ist aber nicht schwer, aus heiliger Schrifft vnnd sonsten zu erweisen, daß bey dergleichen zustand die Neutralitet sich nicht wol schicken noch verantworten lassen wolle«. Scheinbar progressiv lehnt die Ausarbeitung Neutralität indes nicht grundsätzlich ab, »Platz hat sie, wann erstlich den dritten oder Neutralisten die Sache gantz vnd gar nichts angehet«, sodann, »fürs andere, wann vnter den beyden streitigen Partheyen man keinem Theil verbunden, verpflichtet, oder obligiret ist, weder wegen Göttliches Worts, noch wegen anderer Vrsachen«. Die Erläuterungen dieser Grundsatzerklärung gelten nahezu ausschließlich57 der »fürs andere« genannten Voraussetzung, lassen übrigens schwerlich erkennen, wie in der historischen Praxis je einmal die Voraussetzungen für eine ehrenvolle Neutralität hätten gegeben sein sollen. »Daß die Neutralitet nicht stat habe, so man einem theil mit Eyd, vnd andern Pflichten zugethan ist, erscheinet gleicher gestalt aus Gottes Wort, vnd dem Gesetz der Natur offenbarlich«, findet die Apologie. Und natürlich gibt es 53 »Hipilippanus Dinorus«, Andere Schildtwacht, fol. B. 54 Der unbekannte Autor fügt Reime über die »Art« der Katzen an, die nicht nur skurril sind; wem je eine Hauskatze zugelaufen ist (als Dorfrandbewohner widerfuhr mir dieses Geschenk dreimal – sicher schnurrst Du jetzt im Katzenhimmel, Susi!), der wird manche seiner Erfahrungen dort wiederfinden (fol. B2). 55 »Hipilippanus Dinorus«, Schildtwacht, fol. B. Die Schrift bietet ansonsten ähnliche Ausführungen wie die »andere Schildtwacht«, doch nicht so markant. 56 Zum Folgenden: [anonym], Deutliche vnd gründliche Außführung. Nachdem die Abhandlung die Gründe dargelegt hat, die gegen Hilfen für die Aufständischen sprächen bzw. Parteinahme für die Hofburg nahelegten, folgt auf den Seiten 36–59 eine ausführliche Erörterung, ob es »nicht besser seyn, Neutral zu bleiben, vnd keinem theil bey, oder abzulegen?« 57 Der »erstlich« genannten Voraussetzung wird lediglich das angefügt: »Im ersten Paß, daß man nicht Neutral bleiben könne, wo man selber für sich, oder die seinen interessiret, das ist offenbar daher, weil ein jeder schuldig ist, seine Wolfart zu bedencken, vnd sich selbst zu lieben«, was nicht mit der »ratio status« begründet wird, vielmehr Bibelstellen belegen sollen (S. 38). Inwiefern aber ist Kursachsen aus Eigeninteresse zur Parteinahme angehalten? Der Autor weist kurz auf die böhmischen Lehen hin (S. 39), als Neutraler hätte der Kurfürst »die Lehen entweder bey keinem, oder nur bey beyden suchen« dürfen, beides mit unabsehbaren unangenehmen Folgen.

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solche Verpflichtungen des Kurfürstentums, wie dieses »Exempel« deutlich machen soll: »Es sihet ein Sohn, daß seinem Vater gewalt von jemanden geschehe, in dem fall könte er je mit gutem fug nicht Neutral seyn, sondern were schuldig, sich seines Vaters anzunehmen, wie das vierde Gebot klärlich besaget.« Sogar der heutige Leser denkt unwillkürlich ans Verhältnis zwischen Reichsgliedern und Reichsoberhaupt, ein damaliger tat es zweifelsohne sowieso, aber der Autor geht auf Nummer sicher und fügt hinzu, daß »Obrigkeit[en] in der Schrifft Väter heissen«. »Ebenmessige gelegenheit hat es mit dem Eyd«, der »Gottes Gebot« zufolge die »Seele verbindet«, »da leidet also der Eyd gar keine Neutralität«. Nun sei der Kurfürst durch »Eyd, unnd hohe Pflicht« sowohl dem Kaiser als auch dem »hochlöblichsten Churfürstlichen Collegio ... obligirt«. Der zuletzt genannte Bezug leuchtet in diesem Zusammenhang wenig ein, zumal der König von Böhmen damals kein Mitglied des Kurvereins58 war. Viel breiter werden ohnedies die Loyalitätspflichten zum Reichsoberhaupt ausgemalt, beispielsweise soll dem Leser dieses »Gleichniß« auf die Sprünge helfen: »Wann sich Wehetagen des Haupts befinden, können auch die andern Glieder des Leibes mit fug Neutral bleiben? Sind nicht die Hände schuldig, Artzney anzurichten, anzustreichen, auffzulegen, zu verbinden, vnd dergleichen? Sind nicht die Füsse schuldig, zu rennen, zu lauffen, Artzney zu holen?« Das Bild59 ist nicht einfach nur kauzig, fürs Kopfweh dürfen wir das bedrängte Reichsoberhaupt einsetzen; ihm zu helfen, ist Ausweis von Gehorsam. Und Christenpflicht: denn wiewohl der Dresdner Kurhof damals Politik nach (vermeintlicher) Staatsräson trieb, glaubte er, den präsumtiven Lesererwartungen entgegenkommen – und also biblisch argumentieren zu müssen. Auch die der Neutralität gewidmeten Passagen sind religiös durchtränkt. Hätte sich Moses, als ihm Gott auftrug, die Israeliten aus der Knechtschaft zu führen, für neutral erklären sollen? Man mag es als Sottise abtun, aber zeigt das Beispiel nicht schlagend, wie damals Politik auf Theologie prallte, Staatsräson auf Moralisieren? Ist nun Parteinahme freilich nicht riskant, »weil man nicht wisse, welcher Theil gewinnen werde«? Nicht nur fromm, ferner gewitzt, stellen die Autoren der Abhandlung auch diese Klugheitsmaximen geschuldete Scheinfrage, um sie natürlich zu verneinen: »Den Außschlag kan niemand wissen, zu hoffen aber ist gleichwol daß GOtt der HErr der gerechten Sachen helfen, vnnd vber seiner Ordnung wie er hiebevorn gethan, ferner mit Gnaden halten werde«.60 In einer von Gott durchwalteten Welt waren Iustitia und politisches Gelingen keine von58 Geschichte des neuzeitlichen Kurvereins: Gotthard, Säulen des Reiches, Bd. 1, S. 35–198. 59 Näher werden uns solche Argumente und Bilder noch interessieren, wenn das Spannungsverhältnis zwischen Neutralität und Lehnsbanden unser Thema ist, also unten in Kapitel C.6.4. 60 [Anonym], Deutliche vnd gründliche Außführung, S. 44; die folgenden Zitate: S. 48f. und S. 55f.

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einander unabhängigen Variablen, der Erfolg gehörte zumeist dem Frommen, auch wenn der sich nicht träge darauf verlassen durfte. Komme es doch anders, und »Jhre Keyserliche Majestät legen auch in ihrer gerechten Sach jetzt vnter«, »so geschehe doch dieses alles durch die Providentz vnd Regierung GOttes ... Daraus folget aber noch nicht ..., daß jhm«, dem Kaiser, »seine geschworne vnd verpflichtete ReichsStände nicht hetten helffen sollen. Für den Außschlag kan niemand gut seyn, denn GOttes Wege stehen in seinen, vnd nicht in der Menschen Händen. Vnter dessen aber muß man in der Straß der ordentlichen Mittel verbleiben, und sich von den richtigen Wort Gottes, vnd der Billigkeit gemessen Rathschlägen nicht abwenden noch abschrecken lassen.« Wenn dem Reichsoberhaupt die »jm verpflichtete Stände trewlich beystehen«, ist das »dem Wort Gottes vnd seinem geoffenbarten willen gemäß«. Es gilt, daß jeden Kurfürsten »seine Pflicht vnd Gewüssen, nach anleitung Göttliches Worts verbindet: Dann also lautet der Befelch Gottes: Halte das Wort deß Königs, vnd den Eyd Gottes«, man muß der »schuldigkeit gegen Gott vnd seinem Keyser« nachkommen. Gottesfurcht und Kaisertreue, Seelenheil und irdischer Lebenserfolg werden ineins geschmolzen. »Leidet jemand was umb seines Kaysers, oder um seiner geleisteten Treu und Pflicht wegen, so leidet er in Gott, und mit gutem Gewissen, und müste vielleicht noch wol schärpffer leiden, wann er die schuldige Assistentz seinem Herrn entziehen thäte. Wer könte auff diesen fall gut seyn für die Strafe unsers Herrn Gottes?« Doch waren theologische, ethische, politische Einwände gegen die Neutralität ansonsten auch in den Folgejahren hauptsächlich ein Thema der antikaiserlichen Pamphletistik. »Ihr Neutralisten kommt herbey, Seht doch in was Gefahr man sey«, dichtete ein Autor schon auf dem Titelblatt.61 Neutralität war sichtlich unklug, brachte sie doch noch nicht einmal den erhofften Frieden in die Region62: »Gepredigt Fried, Fried, förcht euch nicht! –/ Da doch nichts mehr als Fried gebricht«. Aber sie war auch schändlich und sündhaft: »So sagt mir, Hoher Doctor63 mein,/ Wer mag doch hieran schuldig sein,/ Daß deutsche Freiheit, Ehr und Geld,/ Religion und Alles fällt?« Und: »ihr helft wider richten auf/ Des antichristischen Reiches Lauf/ Der ihr, so viel an euch, dem Thier/ Die Hur 61 [Anonym], Das Teutsche Klopff Drauff. Der Tenor der Schrift ist dieser: lutherische Reichsstände und eidgenössische Kantone müssen Spanien an der Seite Frankreichs (also im Zeichen der »Freyheit«) aktiv entgegentreten. Auch die Neutralität wird hier nicht theologisch verdammt, aber sie ist ehrenrührig und »gantz gefährlich«. 62 Also wohl um Halle an der Saale, wo die Schrift entstanden sein dürfte. Der mutmaßliche Anlaß: seit dem Herbst 1625 drückten Wallensteins Truppen, die er nach und nach in die Gegend von Halle legte. Zum Folgenden: [anonym], Aller Neutralisten Spiegel. Das ist: Sehr schwere und große Klag eines armen Salzsieders zu Hall in Sachsen [von 1626], in: Opel/ Cohn, Sammlung, Nr. 39. 63 Wohl Matthias Hoë von Hoënegg? Vgl. oben S. 310 Anm. 74.

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helft tragen mit Begier«. »Verkauft Deutschland und Gottes Wort,/ Daß wir verlieren immer fort/ Ein Kirch, ein Stadt, ein Stift, ein Land,/ Pfui, ist das nicht ein große Schand?« Ein anderer Pamphletist fand Reime am Ende jener Verse, die er den Neutralen in ihr Schandmaul legte, verzichtbar: »O wie ist vns vnser Reichthumb so lieb,/ O wie wenig achten wir des ewigen Reichthumbs,/ O wie hoch vnd Köstlich schetzen wir die freye vngesperte Handlungen,/ O wie wenig achten wir die freye Handlung vnd vbung der Christlichen Religion«. »O wie sind das die allerleichtesten Christen,/ die jhre Sündige Haut Gott zu Ehren nicht/ wagen oder auffopfern dörffen«. Neutrale64 hatten keine Ehre im Leib: »Pfui der Faulkeit vnd Schande«! Das sind Rumpelverse. Aber auch einer der größten Dichter der Zeit ergriff das Wort. Da es zu den gängigen Topoi gehörte, den Neutralen seinen »Mantel in den Wind hängen« zu lassen, dürfen wir die folgende Passage aus dem »Trostgedichte« von Martin Opitz ohne weiteres als Kritik an der Neutralität nehmen: »Dann werden außgestellt zu aller Menschen Hassen/ Die die Religion im Stiche sitzen lassen,/ Der Freyheit abgesagt, und wo der Wind geweht/ Umb zeitlichen Gewinn den Mantel hingedreht/ ... Wer dem, der unrecht stirbt, nicht beyspringt in der Noth,/ Und seinem Feinde wehrt, der schlägt ihn selber todt.«65 Wer der verfolgten Unschuld nicht hilft, verfolgt selbst. Neutrale – Opitz wußte sicher, daß man sie gern »still sitzen« ließ – als diejenigen, »die die Religion im Stiche sitzen lassen«: dieser wenig zartbesaitete66 Autor konnte glänzend formulieren. So weit ich sehe, haben seine so heftigen wie griffigen Verdikte aber keinen Eingang in die Flugschriftenliteratur gefunden.

64 [Anonym], Vermumbter Spannischer Danntz Mit der Königin Helvetia ..., »Jürch« 1629, fol. C spricht nicht ausdrücklich von »neutralitet«, aber für zeitgenössische Leser war klar, daß der Autor tatsächlich mir ihr abrechnete. Die gleich zitierte »Faulkeit« war damals geradezu ein Synonym für Neutralität, wie wir noch sehen werden, wenn in Kapitel C.4 die typischen, in allen Literaturgattungen und in Akten vorkommenden Neutralitätstopoi nacheinander vorgestellt werden. Dort werden wir auch dieses nicht in Verse gesetzte Bild des Vermumbten Spannischen Danntzes wiederfinden: »Wann deines Nachbarn Hauß nur gleich verbrennete, vnd deines stehen bliebe, du wollest deßwegen kein Wasser zutragen«. Also, für Zeitgenossen wurde hier unverkennbar die »neutralitet« gerichtet. – Einige allgemeinere Angaben zu der Schrift, insbesondere (wie so häufig letztlich fruchtlose) Spekulationen über ihre Herkunft bietet Max Grünbaum, Über die Publicistik des Dreißigjährigen Krieges von 1626–1629, Halle 1880, S. 106–108. Nach der Zitation des Titels zu urteilen, muß Grünbaum eine andere Ausgabe vorgelegen haben (»Dantz«, Druckort »Zürich«). 65 Martin Opitz, Trostgedichte, Buch VI, Zeilen 414–420. 66 Wir wissen schon, daß Opitz nach »der Feinde rothem Blut« dürstete und daß das 1620/21 niedergeschriebene, 1633 veröffentlichte »Trostgedichte« zum Notwendigen Krieg aufruft: vgl. oben S. 153.

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2.1.5 »Der HErr Christus verwirfft die Neutralitet«: die zweite Aufgipfelung der Neutralitätskritik Martin Opitz hatte, als er das »Trostgedichte« niederschrieb, die Folgen des Prager Fenstersturzes im Blick. Erst recht durfte sich zehn Jahre später kein aufrechter Protestant dem Schulterschluß mit dem sieghaften Glaubenshelden Gustav Adolf versagen! Wie die evangelische Publizistik überhaupt, erreichte auch die Polemik gegen Neutrale nun, nach den Jahren 1619/20, ihren zweiten emphatischen Siedepunkt. Mit so heldischem Beistand himmlicher Provenienz mußten Europas Protestanten geschlossen gegen Papst und Spanien ankämpfen, anstatt auf faule Friedensofferten hereinzufallen, warnte eine damals offenbar vielbeachtete67 Flugschrift: Deshalb sei neutrales Zuschauen nicht nur »schädlich«, sondern auch »schändtlich«, wie in immer neuen Wendungen betont wird, ja, sie sei sündhaft: nämlich »von Christo selbst, höchlich verbotten«. Da »das Wort Gottes vber solchem cunctiren außgerottet wird«, wird der Neutrale von Gott »hie Zeitlich gestrafft vnd dort künfftig vber das darfür schwere Rechenschafft geben müssen«.68 Alle gängigen Versatzstücke werden aufgeboten, um die Ehrlosigkeit und Verworfenheit der »Neutralität« (wie sie hier schon geschrieben wird) zu geißeln, wir werden diese Topoi ja in Kapitel C.4 noch im Zusammenhang betrachten. »Der HErr Christus verwirfft die Neutralitet vnd Cunctation in ReligionsSachen«, weiß eine andere Broschüre, und natürlich war, was wir heute als Schwedischen Krieg kennen, für den Autor eine solche »ReligionsSache«. Keinesfalls nur beiläufig, sondern seitenlang geißelt er »neutralisiren und cunctiren« mancher Reichsstände in diesem Ringen zwischen Licht und Finsternis.69 Ein drittes Pamphlet nennt seine Feinde schon auf dem Titelblatt: Alles Unheil kommt »von den Bäpstlern, Neutralisten, Zweyfflern, vnnd Temporisirern«. Es waren – und wir dürfen das wohl als Zusammenstellung von Synonyma neh67 Ich hielt drei verschiedene Ausgaben der anonymen »Magna Horologii Campana« in Händen; Grünbaum, Publicistik, S. 49f. spricht von »vier Auflagen« und zählt die Flugschrift »zu den bedeutendsten publizistischen Erzeugnissen ihrer Zeit«, sie werde auch »in einigen anderen Broschüren« dieser Jahre zitiert. 68 [Anonym], Magna Horologii Campana, S. 65 bzw. S. 114. Die ausführliche Abhandlung kommt passim immer wieder auf die Neutralität zu sprechen, auf den Seiten 65–68 wird konzentriert, gewissermaßen ›am Stück‹ mit ihr abgerechnet. 69 Wild, Memorial, die Zitate: fol. Eij. – Auf die Schrift Wilds machte mich Diethelm Böttcher, Die schwedische Propaganda im protestantischen Deutschland 1628–1636, Diss. masch. Jena [1951] aufmerksam (er muß – Orthographie, Foliierung – eine andere Ausgabe benützt haben), und ebda., S. 136 heißt es pauschal: Die Flugschriften der frühen 1630er Jahre »warnen vor der Neutralität«. Das biblische »wer nicht mit mir ist, der ist wider mich« klinge »aus allen Schriften«. Leider geht Böttchers materialreiche Zusammenstellung aber nicht weiter darauf ein, ausgerechnet das Thema »Neutralität« scheint diesen Doktoranden nicht interessiert zu haben.

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men – »Neutralisten, Opinionisten, Träumer, vntrewe Brüder, Quadruplatores vnd Verräther«, die den Schwedischen ihren Einsatz nicht dankten.70 Zwei fingierte Dialoge71 zwischen »Hans« und »Stephan« sowie ein vom selben Autor72 verfaßtes »Bedencken« darüber sollten 1632 die evangelischen Schweizerkantone dazu animieren, »sich des allgemeinen wesens mit theilhafftig zu machen«.73 Hans ist ein typischer neutraler Zuschauer; Stephan, der gerade aus dem »Schwabenland« zurückkommt, also weiß, wie es in der Welt zugeht, muß ihn zu politischer Klugheit, aber auch strammer Moral erziehen. Der Beginn des Dialogs reißt einen Abgrund zwischen verantwortungslosem Biedersinn und moralisch gefestigtem Weitblick auf: Hans ist’s zufrieden, »wann wir nur allhier in der Eydtgnoßschafft im frieden sitzen können, sie mögen sich so lang schmeissen, biß sie mühd seind, werden hernach wol auffhören«. Stephan weist ihn zurecht: Das sei nicht die Außenwahrnehmung, »sagen, wir thuen vnrecht, daß wir so still sitzen«. Solche Vorwürfe seien berechtigt. Man müsse Habsburg, »vnserem ärgsten ..., arglistigsten vnd gefährlichsten feind« nun, »bey diser so stattlichen gelegenheit«, den »garauß machen helffen«.74 Also, um habsburgische Herrschsucht ist es zu tun, wie überall in Europa, so auch in den Alpen, es geht um die Freiheit. Geht es auch um den wahren Glauben? Hier ist der Autor merk70 [Anonym], Duplex Census Oder Zweyfache, vnd sehr weit vnterschiedene Gebühr ..., o. O. 1634, S. 17. 71 Zum Folgenden: [Anonym], Gespräche und Discursen; [anonym], Anderer jüngstgehaltener Discurß; [anonym], Bedencken eines guten Eydgenossen, vber die Gespräche Stephans vnd Hansens, o. O. [1632]. Die drei Schriften sind in der Universitätsbibliothek Erlangen zusammengebunden und fortlaufend durchfoliiert. 72 Um wen könnte es sich handeln? Die enge Verschränkung Libertät – apokalyptischer Endkampf um den rechten Glauben, die die drei Schriften durchzieht, ist nicht exklusiv, aber doch typisch heidelbergisch. Was der Autor über den Reichshofrat und über das Majorisieren am Reichstag sagt (fol. 30), verrät gute Kenntnisse der Reichspolitik und eine typisch pfälzische Optik auf sie. Der Autor überblickt die Lage auch anderswo in Europa, analysiert kundig den beginnenden Niedergang der Macht Spaniens und bietet in diesem Rahmen die nicht minder lesenswerte Persiflage eines länderkundlichen Exkurses auf die Iberische Halbinsel (fol. 37). Er weiß sogar vom schlechten Zustand der Liga und sich dort einnistenden Zweifeln an der Kriegskunst Wallensteins. Eine gewisse Kenntnis der schweizerischen Zustände kommt hinzu, vor allem fällt auf, daß der Autor gut über die Verhandlungen des schwedischen Emissärs Rasche bei den Eidgenossen Bescheid weiß, seine Schriften sind deshalb recht genau datierbar: März/April 1632, Mai/Juni 1632, Juli 1632. Kurz, es spricht viel dafür, daß es sich bei unserem Publizisten um den pfälzischen Exulanten und Vielschreiber (Pamphlete, aber auch »Zeitungen«, von deren Übermittlung er vor allem gelebt zu haben scheint) Johann Philipp Spieß (1584–1649) handelt. Über sein Leben und Wirken, auch einige hier nicht interessierende Arbeiten aus seiner Hand berichtet Frieda Gallati, Eidgenössische Politik zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Teil 2: Beilage zum Jahrbuch für Schweizerische Geschichte 44 (1919), hier S. 124–149 passim. 73 [Anonym], Bedencken eines guten Eydgenossen, fol. 43. 74 [Anonym], Gespräche und Discursen, fol. 2.

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würdig betriebsblind, neben unsäglich gehässigen Ausfällen gegen die »Messischen« stehen Sätze, denen man anmerkt, daß sie auch patriotische katholische Eidgenossen unterschreiben sollten. Typisch sind Doppelformeln wie diese: Es ist »die Eydtgenossische, will nicht sagen Evangelische Freyheit in eusserste gefahr gesetzt«.75 Man muß zurüsten, Grenzen und Pässe bewachen, »damit wir nicht etwan vnversehens vberfallen oder gar vndertruckt werden, jnsonderheit aber wir Evangelischen, da niemand von vns mit grund der wahrheit sagen kan, daß wir vnseren Messischen viel trawen können oder sollen«.76 Es war diesem Autor um »eine feste vnd enge Bündnuß« mit »dem tapfferen vnd durch Gottes gnade siegreichen Helden vnd Gedeone, dem König in Schweden« zu tun.77 Uns interessiert an seinen – aus mancherlei Gründen lesenswerten –Schriftchen, daß sie nicht zuletzt Pamphlete auf »das häßliche, schändliche vnd abscheuliche Monster der Neutralitet«78 sind. Der Versuch, sich neutral herauszuhalten, ist einfach lachhaft, unreif, verantwortungsvolle Menschen können »dem schädlichen vnd lächerlichen temporisiren« nichts abgewinnen 79, »darumb ich auch vnser schädliches vnd lächerliches temporisiren verwerffe«. 80 Aber Neutralität ist nicht nur lächerlich, kindisch, der »falsche wahn von der schändlichen vnd abscheuhlichen falschen Neutralitet« ist gefährlich, unmoralisch, sündhaft, es gibt »nichts schädlichers und bösers«.81 Alle geläufigen Topoi werden aufgeboten, um das zu untermauern, aber auch die gängigen Ketten von Synonyma: Stillsitzen gleicht »vnzeitigen temporisiren vnd fantasiren«82; oder, ins Substantivische gesetzt: »Neutralitet« ist »zagheit, trägheit, vnd faulkeit«; oder, elaborierter: Neutralsein bedeutet »trägheit, zagheit, nachlässigkeit, schläfferigkeit vnd kindisches Temporisiren, Verzögern vnd Cunctiren«.83 Wer wollte dem heldischen Schwedenkönig zumuten, so ein »essen von krebsen, die nicht fleisch noch fisch seind«, 75 Ebda., fol. 4. Der Zweck der Agitation bleibt eigentümlich ambivalent, auf fol. 27 lesen wir beispielsweise, es gehe darum, »die libertet, oder Freyheit in geistlichen vnd weltlichen sachen zu vertheidigen«. Also ein überkonfessioneller Schulterschluß im Zeichen der »libertet«? Daneben stehen Stellen, die geradezu den Bürgerkrieg zu propagieren scheinen: »Vnsere Messische halb-brüder« glauben, daß sie eine »sünde begehen, vns etwas zu halten, so der Päbstischen Religion schaden oder nachtheil bringen möchte« – fides haereticis servanda! ­– und warten »nur auff eine gute gelegenheit jhr böses intent wider vns fort zu setzen vnd zu vollführen«, sie trachten »nach vnserem blut durstiglich, vnd mit grösserem ernst, alß die abgöttischen Spannier vnd Italiäner selbsten« (fol. 29). 76 Ebda., fol. 6. 77 Ebda., fol. 8. 78 Ebda., fol. 19. 79 Ebda., fol. 11. 80 Ebda., fol. 19. 81 Ebda., fol. 12. 82 Ebda., fol. 40. 83 Ebda., fol. 21.

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zu akzeptieren?84 Unser Dialogeschmied glänzt nicht nur durch philologische Kenntnisse und heiligen Zorn, ist auch politologisch auf der Höhe der Zeit, kennt die neuen Staatsklugheitslehren – weiß, »daß nicht allein die Göttliche Schrifft klärlich erweiset, daß Gott die laulichen, das ist, die Neutralisten, darumb daß sie nicht kalt noch warm, außspeyen thüe: vnd der Herr Christus mit hellen deutlichen worten solche für seine feinde helt, in dem er sagt; Wer nicht mit jhm sey, der sey wider jhn: vnd der nicht mit jhm samle, der zerstrewe: sondern es halten auch alle weltweise vnd in Regimenten erfahrene Leuthe oder Politici nach anbietung vnvmbstoßlicher gründe vnd vnzehlicher exmpeln die Neutralitet für ein vber die massen schädliches vnd gefährliches werck«.85 In ähnlichem Duktus hatte schon vier Jahre zuvor ein Traktätlein die Hansestädte vor der Neutralität im allgemeinen, spezieller aber davor warnen wollen, jetzt das sich trotzig gegen Wallenstein stellende Stralsund im Stich zu lassen. Die Schrift spart nicht mit moralischen Vorhaltungen und frommen Wünschen (»Christus JEsus ... wolle die Seele seiner Turteltauben der Babylonischen Bestien nicht geben«), und doch kennt auch sie die Ansichten der »Politici« zur Neutralität im Krieg. Schon die Vorrede ruft dem »Christlichen Leser« in Erinnerung, daß »gemeiniglich« diejenigen, »so bey grossen Empörungen vnd Kriegen sich neutral halten ... dennoch wieder jhren willen, in Krieg geflochten werden, vnd sonderlich dieses offters als dann geschicht, wan die eine Partey vermeinet, sie habe Victoriam albereits in Händen, dazu dieselbige etwa einen alten groll wieder die Neutralisten (welches alhier ist, die Lutherischen Ketzer außzurotten) treget, Vnd jhnen deßwegen lengst gerne in die wolle gewest wehre[.] So halten die Welt Kinder (Die man jetzt Politicos nennet) davor[,] recht zeit zu seyn, das man eine Vrsach vom Zaun breche, solche Neutralisten frisch angreiffe, vnd sich auch deren bemechtige, vnd durch deren hinzuthun das albereits gedrucktes Gegentheil, desto baß zuverfolgen«.86 Die Hansestädte konnten »Ehr: vnnd Gewissens wegen«87 sowieso nicht neutral zuschauen, aber die skeptischen Töne der politologischen Literatur bot der fromme Autor gern hilfsweise auf. Lesenswerte verfassungs- wie konfessionspolitische Diagnosen bietet ein 1631 – angeblich »unterm blawen himmel, nicht weit von Straß­burg«88 – nie84 Ebda., fol. 41 – also die beliebte »nicht-Fleisch-nicht-Fisch-Metapher«; ebda., fol. 14 die »Mantel-im-Wind-Metapher«; ebda., fol. 26 ausführlich die »das-Haus-der-Nachbarnbrennt-Methapher« (»daß wir nur stehen vnd gaffen, wie das fewer so lustig brennet«), usw. usf.: solche zeitüblichen Topoi stellt unten nacheinander Kapitel C.4 vor. 85 Ebda., fol. 12. 86 [Anonym], Hansischer Wecker, fol. Aij. 87 Ebda., fol. Diij. 88 Straßburg mag tatsächlich der Entstehungsort der Schrift gewesen sein, die Reichsstadt im (vor kaiserlichem Zugriff abschirmenden) Vorfeld Frankreichs füllte sich damals mit Flüchtlingen.

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dergeschriebener »Postilion, An alle und jede Evangelische Könige und Potentaten ... von etli­chen vertriebenen Badischen, Wirtenber­gischen, Pfaltzischen und Augspurgischen Theologis und Politicis spedirt.« Es handelt sich um eine heftige antikaiserliche, in zweiter Linie auch antikurfürstliche89 Polemik, der im letzten Drittel nicht minder hitzige, aber in anderem Duktus (hier waren wohl die »Theologi« am Werk) festgehaltene Schmähungen des Papst- und Jesuitentums folgen. Zuallererst ist der Postilion ein antikaiserliches Pasquill. Seine Kernaussagen sind rasch zusammengefaßt: Das Reich ist eigentlich »eine pura Aristocratia«, alles Gute verkörpert der Reichstag, alles Böse der Kaiser, der die »Aristocratia« zuletzt in eine »Monarchia« zu verwandeln suchte. Differenzierter, deshalb interessanter ist das Bild, das die Autoren von den Kurfürsten malen. Prinzipiell stehen diese sogar auf der richtigen Seite, als integrativer Bestandteil jener nivellierten Gruppe von Reichsständen, die zusammen die »Römische Repoublique« ausmachen, von bösartigen Kaisern kujoniert werden und sich dagegen mittels ihres Reichstags wehren müssen. Wo den Kurfürsten überhaupt eine besondere Rolle zugebilligt wird, erscheinen sie als vom ständischen Gesamtwillen abhängige Funktionäre des Rei­ches. Es steht bei der Ständegesamtheit, wie sie gelenkt sein will, wenn sie mag, kann sie sich natürlich auch durch die Kurfürsten »des Reichs«, gegebenenfalls mit »zuthuung« einiger Fürsten regieren lassen.90 Zuletzt freilich haben Kollegialtage Anlaß zur Besorgnis gegeben91, offenbar suchten die 89 Viele Nichtkurfürstliche sahen sich während der reichstagslosen Jahre vor 1640 mit einem unseligen Wettlauf zwischen monarchischer und, wie man nun zu formulieren pflegte, »oligarchischer« Deformation des herkömmlichen politischen Systems konfrontiert. Was ich hier kaum andeute, steht anderswo (ohne Rekurs auf den »Postilion«) viel ausführlicher: Gotthard, Säulen des Reiches, Bd. 2, S. 724–740 sowie, zusammenfassend, S. 848. 90 Bei der Wahl »praesentiren« die Kurfürsten »den gantzen Fürstenstandt« (Abschnitte 8 und 10)! Zur Frage, wer die Wahlkapitulation zu formulieren habe, nehmen die Autoren des »Postilion« nicht Stellung, freilich, »ju­dices des Kaysers in deme, ob er wieder die Capitulation handele, oder nicht«, sind die Reichsstände »in Allgemeine zusammenkunfft«, nicht etwa die Königswähler auf ihrem Kurfürstentag (Abschnitt Nr. 23). Handelt der Kaiser wider die Kapitulation und des Reichs »Fundamentalsatzungen«, wird er zum Reichsfeind, und die Stände sind verpflichtet, ihm »die Miete uffzusagen«; »so hat das Reich [!] auch bereit solche cognition an des Caroli Quarti Sohn Wenceßlao löblich exerciret« (Nr. 25). 91 Dem Kurfürstentag gegenüber hegen die Autoren zwie­spältige Gefühle. Sie anerkennen die Verdienste des jüngst in Regensburg veranstal­teten Konvents (zum Wiedererinnern: er erzwang beispielsweise die Entlassung Wallensteins und verweigerte eine vivente-ImperatoreWahl): »Schier« sei es so weit gekommen, »das der Gast den Wirth ver­drungen«, also der Kaiser die Stände, »wann die Herrn Churfürsten nicht bey Jüngsten Collegial tage ... das Blat umbgewandt, und den Kayser in seine Erbländer remittiret hetten«. Freilich, nach »Collegial tage« ist in Parenthese eingefügt: »Welcher auch in Republica frembd«! (Nr. 22). Wo vom Reichstag die Rede ist, seinen Rechten, davon, daß der Kaiser ohne denselben keine »Contributiones oder Collectas« ansetzen dürfe, ist als Randglosse hinzugesetzt: »Quaetitur [sic]

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Kurfürsten ihre politische Leitfunktion im Reich zu überdehnen. Solchen verfassungspolitisch und zeitdiagnostisch durchaus interessanten Passagen folgt, wie gesagt, die Verdammung »bäpstischer« Abgötterei, folgt der Aufruf zum Heiligen Krieg: »Gott befihlt vns den Krieg wider das Babsthumb gestreng«.92 In beide Teile ist deutliche Kritik an der Neutralität verwoben. Schon in der »Vorrede« kippt Polemik gegen die Hofburg und gegen kaisertreue Reichsstände unvermittelt in Ablehnung der »Neutralitet« um: »Ach wie hat, aus solchem falschen blinden Wahn, so wol den Ständen als privatis der Athem nach dem Kayserlichen Hofe so mächtig gestuncken; Das sind wol rechte Hurenlippen gewesen, aber, wir meinen, sie sind mit bitterer Gallen bezahlet. Wie hat auß alle [sic] Neutralitet, als aus einem Ey, außgebrütet? wie hat einer für dem andern dem Kayser die Evangelische streitende Parteyen vff mancherley weise vnd wege verrahten.« Der zerfahrene Satz macht nicht viel Sinn, jedenfalls ist Neutralität abzulehnen, sie bedeutet »Verrat« an der gerechten Sache. Offenbar ist der fromme Übereifer so schäumend, daß er geordnete Gedankenfolgen und sogar eine geordnete Grammatik hinwegspült. Kaum sinnreicher, jedenfalls neutralitätskritisch beteuert die Vorrede abschließend, »das vnser eintziger Christlicheyfferiger Scopus ist, vnsere liebe Mitbrüder am Evangelio aus solchem wahnsinnigen gottlosen Schlaff zu wecken, vnd für den Evangelischen NeutralKrieg93 zu warnen«. Mit zahlreichen Ausfällen gegen die »Neutralisten« warten sodann die »Theologi« im letzten Drittel der Flugschrift auf. Zuhauf finden wir die damals üblichen charakterisierenden Adjektive (wie in der Formel von der »Heuchlerischen lästerlichen Neutralität«), die üblichen Synonyma (»heuchelte oder neutralisirte«), die gängigen Bibelzitate (»weil du aber Law bist, vnd weder Kalt noch Warm, werde ich dich außspeyen aus meinem Munde«), die auch sonst geläufigen Topoi: »Wie lange hincket jhr vff beyden Seiten? Ist der HErr Gott, so wandelt jhm nach. Ists aber Baal, so wandelt jhme nach.« Alles wird mit Bibelstellen belegt.94 »Die Blutarmselige Neutralisten« mit ihrer »Narr- vnd Boßheit« waren »zum allerwenigsten grobe Narren« und »schlechte Gesellen«95, also weder klug noch anständig. Vor allem aber begingen sie fortgesetzte Sünde. Verstockt verschlossen sie ihre Augen vor der doch so offenkundigen Tatsache, daß »diese Kriege ... von GOtt hero« befohlen waren. Die Protestanten mußten »der Babylonischen Huren den

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In welcher Reichsverfassung der newli­che Collegialtag fundirt sey?« (Marginalie zu den Nrr. 70 und 71). Marginalie neben Abschnitt Nr. 115. Vgl. schon oben S. 149 mit Anm. 185. Sic! Der Wendung »Neutralkrieg« bin ich sonst nirgends begegnet. [Anonym], Postilion, Abschnitte 122f. Ebda., Abschnitt Nr. 121.

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Fall machen«, durften sich hingegen »mit jhr in keine weg neutralisiren«.96 Neben der Marginalie »Zustand dern armsehligen Neutralisten« finden wir das vermerkt: »Mit den Neutralisten hat es warlich noch ein seltzames außsehen, vnd scheinet gar nicht, daß sie leher außgehen werden: Es kan auch nach anleitung Göttlichen Worts nicht geschehen, weil Gott dergleichen Neutralitet zwischen dero Christlichen Kirchen, vnd dem Antichrist, das ist zwischen GOTT vnd dem Teuffel höher hasset vnd anfeindet, als einem rechten pur lautern Abfall zum Teuffel«, was zahlreiche Bibelstellen belegen sollen. Nachdem die Autoren allerlei biblische Schurken Revüe passieren ließen, stellen sie fest: »Vnsere Neutralisten sind noch weit ärger, weil sie die Christliche Kirche wider den Antichristischen Feind ... mit stillsitzen höchlich ärgern, verführen, schwächen«. »Ja sie spotten des HErrn Christi ins Angesicht, in deme sie jhre thorhaffte Hoffnung zugleich vff dem Antichrist vnd Christum setzen«. 2.1.6 Ein Blick über den Kanal Neutralität als Sünde aller Sünden, schlimmer als der »Abfall zum Teuffel«? Erregung, der solche Tiraden entsprudeln, kann nicht auf Dauer gestellt werden. Die Emphase währte nicht. Als sich der deutsche Konfessionskrieg entkonfessionalisierte und internationalisierte97, wich auch der fromme Eifer aus den populären Stellungnahmen zur Neutralität. Eine evangelische Flugschrift von 1637 kann dieser Denkfigur, dieser politischen Option sogar einiges abgewinnen, jedenfalls abseits des mitteleuropäischen Kriegsschauplatzes ist sie so legitim wie ratsam: Daß die Generalstaaten »die Neutralitet bey dem H[eiligen] Römisch[en] Reich suchen zue continuiren, darin seind Sie nicht zue verdencken, wirdt Jhnen auch vom Reich nicht wol denegirt werden, wenn Sie jederzeit gegen daß Reich in terminis Neutralitatis ... sich verhalten.« Warum auch sollte das Reich mit den Holländern Krieg führen? »Lesset die Holländer gern vnd billich bey der Neutralitet, so Jhnen vor langem vergönnet vnd verstattet worden.«98 So unaufgeregt99 96 Ebda., Abschnitt Nr. 103 bzw. Abschnitt Nr. 114. Die Abschnitte 118f. sind durch die Marginalien »Considerationis dern Neutralisten« bzw. »Antwort daraufft« (in beiden Fällen trotz der Orthographie: sic!) gekennzeichnet, bieten aber keine neuen Gesichtspunkte; wenn »die Zeit des Fals der grossen Babylon ist verhanden«, konnte man eben nicht »neutralisiren«. 97 Vgl. dazu zusammenfassend Gotthard, Das Alte Reich, S. 90f. 98 [Anonym], Abtruck Einer auffgefangenen Jesuitischen Information Uber die Frage: Ob das Reich den Herrn Staten von Holland Die Neutralitet länger Verstatten soll oder nicht?, o. O. 1637, fol. B2 bzw. fol. C3. Ich zitiere aus den Kommentaren des wohl pfälzischen ›Editors‹. 99 Natürlich ergreift unsere Flugschrift Partei: Dem Kampf der spanischen Habsburger mit ihren abtrünnigen Nordprovinzen sollte jenes Reich, das zwar nicht zu den habsburgischen Erblanden gehörte, aber doch gewohnheitsmäßig von Mitgliedern der österreichischen Linie des Hauses Habsburg regiert wurde, dieser Tatsache unerachtet passiv zuschauen. Die

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hatte man zuvor zwei Jahrzehnte lang nicht über das »abscheuliche Monster der Neutralitet« geschrieben. Als auf dem Kontinent das Feuer religiöser Begeisterung schon am Erlöschen war, erreichten die britischen Inseln die ersten Fieberschübe. Eine Flugschrift von 1642100 verdammt Neutrality mit derselben Verve und teilweise mit denselben Topoi wie die kontinentalen Flugschriften um 1620 und nach 1630: »But that Agreement especially is the furthest off from being the badge, either of a good cause or meaning, which aimes, and produceth [sic] a Neutrality: It is observable, that things of the Neuter Gender are without life; and where either side is for God, it argues small life in him, that is, at that time, neither hot nor cold101, neither for God nor Baal102.« »These men are altogether unresolved how to name themselves; in a time of Peace, they can be content, like the Plannet Mercury, ever to follow the motion of that Starre to which they are conjoyned, but in dayes of triall this Proteus103 cannot hide himselfe under the variety of shapes, and therefore as much as a created power can doe, he strives to annihilate his former being, and could be content to be an Hermaphrodite104, or same Monster of men105, but that even in these there is a prevailing forme«. »The Neutralist« ist »a Sceptique in his opinion, as well as in his resolution«. Der Neutrale »is a sluggard106 indeed, that will choose rather to lye still upon his hard bed, then rise to have it made the softer«. Neutrale als Laue (»neither hot nor cold«), die sich nicht zwischen Gott und Teufel entscheiden können oder wollen; kein Mann, ein Zwitter; Neutralität als sündhafte und ehrlose Trägheit (»sluggard«, »faulkeit«); die monströse 100

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Abhandlung ist nicht unparteilich, aber unaufgeregt: eine zuvor beim Thema Neutralität in Flugschriften lang nicht mehr vorkommende Haltung. Zum Folgenden: [Anonym], Neutrality condemned, by declaring the Reasons Why the Deputy-Lieutenants, intrusted by the Parliament for Chesire, cannot agree to the Treaty of Pacification made by some of that County, o. O. 1643; die Zitate stehen auf den Seiten 2, 4 und 5. Die Schrift mündet in den flammenden Appell, sich der »Parliaments party« anzuschließen und gegen »the army of Papists« vorzugehen (S. 8). Die in kontinentalen Schriften selten fehlende »weder-heiß-noch-kalt-Methapher«. Abwandlung der in kontinentalen Schriften recht häufigen Formel »zugleich mit Christus und dem Antichristen«. – Ich füge eine erstaunliche, wenn auch nicht so gewichtige Entdeckung in Samuel Johnsons »Dictionary of the English Language« (Bd. 2, London 1755!) an, die anderswo noch weniger dazupaßt: Der kurze Wörterbucheintrag definiert »Neutrality« zunächst als »a state of indifference«, dann als »a state between good and evil«. Begründung wird keine gegeben. Die auch in kontinentalen Schriften gelegentlich begegnende Erinnerung an den Meeresgott mit der – für solche Kontextualisierungen ausschlaggebenden – Gabe, seine Gestalt zu verwandeln. In kontinentalen Schriften sind Neutrale häufig »Zwitter«. Neutralität als »Monstrum«: wir kennen diese Abqualifizierung schon. In kontinentalen Schriften ist die Gleichsetzung »neutralitet = faulkeit« gängig.

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Neutralität: die Bilder sind südlich und nördlich des Ärmelkanals dieselben. Als Kontinentaleuropa sein »Zeitalter der Glaubenskriege« schon seit 15 Jahren beendet hatte, wußte ein englischer Traktat, daß »Neutrality in the Substantials of Religion differs not from Atheism«.107 Das Zitat meint freilich, streng genommen, theologische Indifferenz, nicht Neutralität in einer akuten militärischen Auseinandersetzung – doch führt der Autor108 auch jene antiken Zitate an, mit denen sich Abhandlungen zu schmücken pflegten, die eindeutig Neutralität im Krieg verlästerten, außerdem will er wissen: »It was a Law either amongst the Athenians or Lacedaemonians (my memory will not at present recover whether) that in case a Civil War happened« und einer »neutral to both Factions« blieb, nach Kriegsende »both should come and pull down his House to the ground, and his Goods became confiscate«. Es waren die »Athenians«: die Frühe Neuzeit glaubte zu wissen, daß Solon Neutralität im Bürgerkrieg verboten habe109 – erneut: offensichtlich diesseits wie jenseits des Ärmelkanals. Der Hinweis fehlt in wenigen ausführlichen Stellungnahmen zur Neutralität. 2.1.7 Die Überwindung des Konfessionellen Zeitalters im Spiegel der Neutralitätsdiskurse 2.1.7.1 Beiläufigkeit kehrt ein Wie Frankreich der Vorreiter, war England ein Nachzügler. Die Mitte des Kontinents beendete ihre Ära der Konfessionskriege 1648. Was hielt man dort von der Neutralität, nachdem man dreißig Jahre lang hatte erfahren können, daß der 107 »E. W.«, A Sermon against Neutrality ... Preached at the Visitation of the Reverend, Doctour Cary ... at St. Marie’s Exon, on Friday in Easter-Week. 1663, London 1663, S. 46. 108 »E. W.« ist zweifelsohne Edward Wetenhall (1636–1713), der nachmalige Bischof der Church of Ireland von Kilmore und Ardagh, in seinen späteren Arbeiten eigentlich (wenn ich so salopp zusammenfassen darf ) kein Scharfmacher. Das zitierte ›Jugendwerk‹ wurde gedruckt, als der Bürgerkrieg überwunden schien, doch beruhigten sich die konfessionellen Gegensätze unter dem strikt staatskirchlichen Regime Karls II. keinesfalls. 109 Vgl. hierzu auch unten S. 735 mit Anm. 30. – Ich füge noch an, wie Friedrich von Schiller (Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon, in: Schillers sämtliche Werke, Bd. 16, Stuttgart/Tübingen 1825, S. 136) das vermeintliche Neutralitätsverbot Solons kommentierte: »Ein andres Gesetz, welches Solon gab, erklärt denjenigen für ehrlos, der bey einem bürgerlichen Aufruhr neutral bleibe. Auch bey diesem Gesetz lag eine unverkennbar gute Absicht zum Grunde. Dem Gesetzgeber war es darum zu thun, seinen Bürgern das innigste Interesse an dem Staat einzuflößen. Kälte gegen das Vaterland war ihm das Hassenswürdigste an einem Bürger. Neutralität kann oft eine Folge dieser Kälte seyn; aber er vergaß, daß oft das feurigste Interesse am Vaterland diese Neutralität gebietet [dieses Verb gesperrt] – alsdann nämlich, wenn beyde Parteyen Unrecht haben, und das Vaterland bey beyden gleichviel zu verlieren haben würde.«

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militärische Kampf »für GOtt« und gegen »den Teuffel« bestenfalls trügerische Scheintriumphe, ganz sicher aber unermeßliches menschliches Leid eintrug, nachdem man sich deshalb zu einem Zweiten Religionsfrieden110 zusammengerauft hatte? Ich werde an anderer Stelle begründen, warum ich mir bei meinen neutralitätsgeschichtlichen Sondierungen für die Jahrzehnte nach 1648 besonders viel vom Holländischen Krieg versprochen habe.111 Wie bewertet die ihn flankierende Flugschriftenliteratur die Neutralität? Recht häufig gar nicht! Hat man sich durch die hitzigen Elaborate des Konfessionellen Zeitalters gelesen, wundert man sich zunächst einmal, daß manche Flugschriften der 1670er Jahre – wie jene diplomatischen Korrespondenzen, die hier noch nicht unser Thema sind112 – Neutralität im Krieg einfach beiläufig erwähnen, ohne viel Aufhebens darum zu machen, ja, ohne überhaupt irgendein Werturteil abzugeben. Eine profranzösische Schrift räumt, ehe sie dann doch aus spezifischen, hier nicht näher interessierenden Gründen aktuell eine Abstrafung der frechen Holländer für unumgänglich hält, dieses ein: »Die Persohnen so ledig und niemand verbunden, können ohne tadel sich der Neutralitet befleissen ... dann die Sachen die uns nicht angehen, sollen uns auch nit hierinnen interessiren, noch thun, daß wir uns auff eine Seyten lencken«. Das wird als Herausgeberkommentar ausgegeben, ein frankreichkritischer Text wird glossiert, so ›widerlegt‹; auch der vom (fingierten?) Editor inkriminierte (vorgebliche?) Autor hatte, ohne abwertenden Zusatz zum Terminus »neutral«, formuliert, »daß allen Potentaten daran gelegen seye, sich neutral zu erklären, oder sich den Frantzösischen Progressen zu widersetzen«. Das lehnt unser ›Editor‹ dann doch ab, als Anhänger des monarchischen Absolutismus und einer ordentlichen Zensur will er »die neue Republicanten« und »schandlose Schwetzer« abgestraft sehen, »das unruhig Holländische Ländlein ... stinckte so übel, daß der Ocean selber nothwendiger weis solche unreine Mäuler, mit dem hellen Wasser wäschen, ja erträncken müssen«.113 Für uns ist 110 Weite Teile des Instrumentum Pacis Osnabrugense regeln konfessionelle Besitzstände: Es handelt sich um einen Zweiten Religionsfrieden – Kommentar und partielle Korrektur des Ersten, des Religionsfriedens von Augsburg. Zusammenfassung: Gotthard, Das Alte Reich, S. 98–101; gründlicher: Gotthard, Der Augsburger Religionsfrieden, S. 479–494. 111 Vgl. unten S. 582ff. 112 Nehmen wir uns nur beispielhaft die reichhaltigen kurbrandenburgischen Korrespondenzen vor, die Heinrich Brode vorgelegt hat: Urkunden und Actenstücke, Bd. 13 (leider ohne Sachregister). Neutralität hat weiterhin einen unklaren Begriffsumfang, ihr wird weiterhin kaum eine Schutzwirkung zugetraut oder abverlangt, aber der Terminus ist überhaupt nicht mehr ominös. Meistens wird er ganz wertfrei verwendet, gelegentlich bezeichnet er einen Zustand, den dieser für sich selbst oder jener für andere wünscht, ohne, daß das je grundsätzlich (also vom Neutralenstatus an sich, nicht den gerade obwaltenden diplomatischen Konstellationen her) kritisiert würde. 113 [Anonym], Von der Holländern Religion, S. 34 bzw. S. 30 bzw. S. 37.

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maßgeblich, daß er trotzdem keine grundsätzlichen Einwände gegen die Denkfigur bzw. politische Absicht »Neutralitet« vorträgt. Um eine Gegenprobe im anderen Lager zu machen: Eine antiludovizianische Flugschrift bedauert die frankreichfreundliche Haltung des Kurkölner Hofes und beteuert, daß eine »auffrichtige Neutralität« doch viel besser wäre.114 Die knappe Stellungnahme soll kein Grundsatzplädoyer für die Neutralität sein und ist doch aus zwei Gründen erwähnenswert: Der unbekannte Autor hält – jedenfalls in einem konkreten, ihn bewegenden Fall – die Neutralität für sogar wünschenswert; und er setzt diesem politischen Konzept nicht etwa Synonyma wie »faulkeit« oder »verrätherey«, Bilder wie die im Wind flatternde Fahne erläuternd zur Seite, nein, für ihn ist eine anständige und verläßliche, eine »auffrichtige«115 Neutralität offensichtlich denkbar. Und sie ist gar nicht viel Aufhebens, viele Worte wert. Der Begriff reizt nicht mehr, er wird gar nicht mehr als provozierend empfunden, fordert gar nicht mehr automatisch zu salbungsvollen Grundsatzerklärungen heraus. Beiläufigkeit kehrt ein. In den aktuellen Lageberichten und gedruckten Kriegsberichterstattungen kommt die Neutralität oft ganz wertfrei als Option neben anderen vor. Weil auch in solchen Texten vor allem die neue Beiläufigkeit vielsagend ist, kann ich keine prägnanten Zitate aufbieten, allenfalls für den damaligen Diskurs gleichsam typische, sozusagen durchschnittliche Passagen aneinanderreihen. Beispielsweise referiert ein Autor – wie sie alle, will er ja den Eindruck erwecken, einige Zipfel der Staatsarcana erhaschen zu können – so, was ein politisch gewichtiger »Doctor« in Mainz zu erklären pflege: Heraushalten, abwarten, »büssete ... der Kaiser ein, so könnten wir ja stille sitzen, und die Neutralität mit allen Fug bey Franckreich erhalten, wolte dieses aber nicht angehen, so wären wir wieder gegen dem Kaiser, wegen der Schwäche unsers Chur-Hauses zu entschuldigen«.116 Es bedarf keiner Phantasie, um sich auszumalen, wie sich Flugschriften des Konfessionellen Zeitalters einer derartigen Absichtserklärung angenommen hätten: Der Neutrale sitzt feige abseits und will, anstatt sich moralisch zu positionieren, erst einmal abwarten, wessen Truppen sich erfolgreicher schlagen – Wetterfahne, »Verrätherey«, Opportunismus verspielt Seelenheil. Unsere Schrift aber kommentiert überhaupt nicht, ihr Autor will nicht moralisch einwandfrei, sondern gewitzt sein, er weist nicht seine moralische Korrektheit nach, sondern seine Kenntnis gewisser Arcana des diplomatischen Betriebs. 114 [Anonym], Der Geropffte Hahn, S. 25. 115 Oder meint das Adjektiv unseres Autors exakte Äquidistanz zu beiden Konfliktparteien? Er erläutert seinen beiläufigen Halbsatz nicht, und diese Beiläufigkeit eben ist am bemerkenswertesten. 116 [Anonym], Der Verkleidete Götter-Both, Mercurius ..., o. O. 1674, S. 71. Bei dem ominösen »Doctor« mag es sich um Boineburg handeln.

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Eine andere Flugschrift skizziert die kurmainzische Haltung in der Anfangsphase des Holländischen Krieges so: »Unter den Reichs-Ständen war der Churfürst zu Mayntz Johann Philipp117, keiner Parthey zugethan, und versuchte auß blosser Sorgfalt für das gemeine Wesen und den Frieden ..., mit rahten, ermahnen, und Abfertigung seiner Gesandten, alles, was zu Erhaltung der allgemeinen Beruhigung immer zuträglich seyn konte«.118 Der Autor sagt nicht ausdrücklich, daß er diese Einstellung für richtig hält, daß Neutralität besser sei als Parteinahme; aber verdammt wird die zuerst genannte Haltung eben nicht, und wer ihr anhängt, kann jedenfalls subjektiv ehrlich der Ansicht sein, dadurch zur »Beruhigung« der Situation beizutragen. Über den Berliner Hof weiß unser Autor das: Der Kurfürst von Brandenburg sieht das Recht auf holländischer Seite, ist aber der Ansicht, »es seye viel sicherer, stille zu sitzen, als einen, der mächtiger als er ist, wider sich in den Harnisch zu bringen, und sich am ersten ohne einigen seiner Freunde Frommen, dem Feinde darzubieten«.119 Neutralität als »sichere« Option: eine der älteren Publizistik ganz undenkbare Ansicht! Die frühe Staatsklugheitsliteratur wußte, daß der Neutrale Beute beider Kriegsparteien wurde, und die moralisierende Pamphletistik weidete sich an der Aussicht, daß der ruchlose Stillsitzer so wenigstens schon hienieden für seine verantwortungslose Verweigerungshaltung abgestraft wurde.120 Nicht weniger als die »sichere« Neutralität unserer Textpassage muß erstaunen, daß es unser Kriegsberichterstatter einfach so hinnimmt, wenn da einer die Gerechtigkeit eindeutig verortet und sich selbst trotzdem nicht. Daß Frau Iustitia hie winkte und das brandenburgische Staatsinteresse dorthin wies, wird einfach referiert, nicht bewertet. »Aus den Schrancken der Neutralität aber lassen sich die Schweitzer nit bringen, es ist ihr Interesse nicht«, erwähnt eine andere Flugschrift in gleichgültiger Beiläufigkeit.121 117 Also Kurfürst Johann Philipp von Schönborn. Analyse seiner Außen- und Reichspolitik: Axel Gotthard, Friede und Recht. Johann Philipp – Lothar Franz: die beiden Schönborn in Umriß und Vergleich, in: Peter Claus Hartmann (Hg.), Die Mainzer Kurfürsten des Hauses Schönborn als Reichserzkanzler und Landesherren, Frankfurt u. a. 2002, S. 17–63, zu Johann Philipp vor allem S. 17–44. 118 [Anonym], Considerationes politicae de praesenti statu Europae, S. 29. 119 Ebda., S. 32. 120 Trägt Neutralität Sicherheit vor den allfälligen Kriegsunbilden ein, oder ist ihnen der Neutrale erst recht ausgesetzt? Wie das die Publizistik gesehen hat, analysiert unten im Zusammenhang Kapitel C.2.4.5. 121 [Anonym], Fernere Continuation abgestatteter Relationen Des verkleideten Götter-Bothens Mercurii ..., »Wahrburg« 1675, S. 7. Es ließen sich ähnliche Sätze anreihen – als Frankreich sah, daß der Kurfürst von Köln nicht als Verbündeter zu gewinnen war, »bemüheten« sich die Fürstenbergs, »Jhm die Neutralität an zu rathen«, weiß kommentarlos [anonym], Das Sich selbst verleitende Franckreich, Oder unterschiedene finstere Wolcken, Die man Nach einer kurtzen Zeit sich wieder aufklären sehen wird ..., »Freystadt« 1673, S. 16. Wiewohl die Haltung des Autors der ludovizianischen Außenpolitik gegenüber schon im Titel eindeutig charakterisiert wird, bewertet er den referierten Ratschlag, neutral zu

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Da ich allenfalls diese, nicht aber einzelne prägnante Zitate vorführen kann, will ich den Leser nur noch mit einem vierten Beispiel für den nun typischen Diskurs langweilen: Eine eindeutig frankreichkritische Flugschrift läßt, kreisweise geordnet, Revüe passieren, wer aus welchem Grunde für kräftige antifranzösische Aktionen nicht zur Verfügung steht. Der Grundton ist also fraglos skeptisch, aber in diesem Rahmen ist Neutralität nicht bedauerlicher als alle anderen nicht stramm antiludovizianischen Haltungen: »Im Westphälischen Craiß ist der Bischoff von Münster Frantzösisch; Chur Brandenburg und Neuburg Neutral; Lüttich ist ohne diß Cöllnisch; und Chur Cölln Münsterisch; die Graffen können und wollen nichts thun; die Stadt Cölln mag es alleine auch nicht ausrichten. Im Chur-Rheinischen Craiß ist Trier ruinirt; Cölln Frantzösisch; Chur Pfaltz Neutral; Maintz kan allein nichts ausrichten ...«122 Dieser Autor bedauert es zweifelsohne, daß mancher neutral bleibt; aber Neutralität ist nicht mehr des Teufels, und erst recht nicht schlimmer als der »Abfall zum Teuffel«. Gottfried Wilhelm Leibniz fand Neutralität sogar verlockend! In einer schon kurz vor dem Ausbruch des Holländischen Krieges konzipierten Arbeit propagierte er eine Allianz reichspatriotischer Fürsten, die »so neutral, unpartheyisch, indifferent und billig sey, daß sie von niemand mit grund getadelt werden, viel weniger einige jalousie erwecken, vielmehr aber iederman an sich locken könne«.123 Ein »vnpartheyisches Vrtheil Auß dem Parnasso« charakterisiert die Haltung der Eidgenossen zum Holländischen Krieg so: Sie haben »temporisiret, und temporisiren noch mit wachsamen Augen«; »die Frantzösische Arglistigkeit komme ihnen schier zu hoch, die sie alles bona fide abzuhandlen vermeinen«. Fremdwahrnehmung und Selbsteinschätzung entsprächen sich in diesem Fall: Sie würden nämlich »äusserlich angesehen ..., als trügen sie auff beeden Achseln«, selbst hielten sie es »zu Beförderung des Friedens sehr vorträglich, daß sie weder für sich selbst in neue Feindschafft sich begeben wollen, noch auch mit ihrer Freundschafft die Opiniatrität groß verhärten, sondern zwischen Trost und Schrecken zu einem beständigen guten Fried hindurch dringen wollen«.124 Daß der Neutrale »temporisire«, hatten auch viele Flugschriften des Konfessionellen Zeitalters behauptet, aber hier diskreditiert das so wenig wie das geläufige Bild der »beiden Achseln«. Einige der seit hundert Jahren geläufigen Neutralitätstopoi begegnen noch, sie sind aber entwertet, ›wertneutral‹. Und: nicht der Neutrale bleiben, nicht. Wie hätten sich Pamphlete des Konfessionellen Zeitalters auf Figuren vom Schlage der Fürstenbergs gestürzt! 122 [Anonym], Eröffnete Frantzösische geheime Raths-Stube, fol. Fjjjj. 123 Gottfried Wilhelm Leibniz, Bedencken Welchergestalt Securitas publica interna et externa und Status praesens im Reich iezigen Umbständen nach auf festen Fuß zu stellen, in: ders., Sämtliche Schriften und Briefe, Bd. 4.1, 3. Aufl. Berlin 1983, S. 208. 124 [Anonym], Vnpartheyisches Vrtheil Auß dem Parnasso, fol. 95; vgl. noch die wertfreie Erwähnung der Neutralisationsversuche hinsichtlich der Franche Comté ebda., fol. 94.

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ist per definitionem verschlagen, verstockt, nein, jedenfalls in diesem Konflikt handelt er »bona fide«, arglistig ist eine der Kriegsparteien. Überhaupt scheinen die Eidgenossen für unseren Publizisten mit ihrer Neutralität im Holländischen Krieg gut zu fahren. Wilhelm von Fürstenberg kann den Lüttichern 1672 sogar zur »glückseligen Neutralität« raten! Sie nämlich helfe, den »Reichthumb« des Vaterlandes zu »vermehren«.125 Das ist den Lüttichern nicht wie erhofft gelungen, zwei Jahre später wußte eine Flugschrift, »qu’une Neutralité pareille à celle de Liege126, a quelque chose de plus rude que la Guerre ouverte, puis qu’elle en fait ressentir toutes les rigeurs ... sans autre reparation que celle de protester« und »que les surprises des Villes, pillage, saccagement, violements, et sacrileges ne sont autre chose, que de s’avoir malentendu.« Neutralität schützte weniger als offene Parteinahme: Das hatte auch die ältere Publizistik durchgehend gewußt; auf deren moralische Abscheu aber stoßen wir nicht mehr. 2.1.7.2 Neutralitätskritik kommt ohne »Teuffel« und »Hölle« aus Wir sollten die Proportionen nicht verzeichnen, deshalb muß festgehalten werden, daß Neutralitätslob deutlich seltener begegnet als Kritik am Neutralen. Lob ist die nicht ganz seltene Ausnahme zu den beiden Regeln, die da heißen: wertungsfreie Beiläufigkeit; und, weiterhin und noch immer, Ablehnung des politischen Konzepts der »neutralitet«. Auf beiläufige Erwähnung wie auf ausdrückliche Kritik stoßen wir in den Flugschriften dieser Jahre ziemlich häufig, auf Lob hie und da. Aber ist es noch dieselbe Kritik? Bezeichnend ist die Schwierigkeit, nun noch Zitierfähiges zu finden. Es fehlen griffige Parolen, in kräftigen Farben gemalte Bilder. Eine sich reichspatriotisch ereifernde Flugschrift schäumt, nach reichsrechtlichen (nicht völkerrechtlichen) Erörterungen zum Neutralenstatus: »Dahero die Neutralisten, oder Stillsitzer, oder frembden Potentaten Anhänger und Bediente nicht ohne Ursach mit schälen Augen, mit Abforderungs-Brieffen und Gebotten, mit Außweisung auß ihren Residentzen, ja wohl gar mit engerer Verwahrung werden angesehen und angehalten, als heutige Staats- und Reichs-Criminalisten«.127 Neutralität, ein Verbrechen – so starken Tobak dienen uns andere Flugschriften nicht an, und 125 [Anonym] (Hg.), Send-Schreiben Eines Lüttichschen Edelmans An Die Herren von Lüttich, Sampt Einer Antwort ..., o. O. 1672, das Zitat steht in der wohl von Wilhelm von Fürstenberg stammenden »Antwort« (S. 24f.). 126 Sic! Meint Liège – also (das Hochstift) Lüttich: [anonym], Pièces curieuses concernantes la Neutralité du pays de Liege ..., Lüttich 1674. 127 Natürlich habe der Reichstag das Recht, »obgemelte Verbrechen zuverbieten«: [anonym], Kurtzer Entwurff Des Hauß Oesterreichs heutigen Reichs-Politic, fol. B3.

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selbst diese spricht nicht von Sünde. »Stillsitzer« hatten sich nicht vor Gottes Richterstuhl, sondern vor dem Reichstag zu verantworten. Eine französischsprachige Schrift offensichtlich holländischer Provenienz führt über mehrere Seiten den Nachweis, »qve la Neutralité est pernicieuse«, was in die Feststellung mündet, daß »ce n’est pas le moyen d’eviter un ennemy, ny de se concilier un amy, puisqu’après tout l’on est la malheureuse victime du vainqueur, qui sacrifie ce faux Politique à sa colere«.128 Neutralität schafft keine Freunde, der Neutrale als Beute des Siegers: das sind wahrlich keine neuen Motive, aber sie setzen sich doch zur deutlichsten nicht spezifisch reichsrechtlich argumentierenden Kritik an der Neutralität zusammen, die mir in Flugschriften dieser Jahre überhaupt begegnet ist. Überall sonst liest man noch weniger ›Zitierfähiges‹. Wie steht es um die Reichsarmee?, fragt eine Flugschrift, um diese mäkelige Antwort zu finden: »Einer entschuldiget sich hier, der andere dort, und die schier das Beste thun könten, wollen den Fuchs nicht beissen, sondern sich mit der wanckelbaren Neutralität heraus schwengen«.129 Weiterhin begegnet die Einschätzung, daß Neutralität nicht vor Kriegsunbilden schütze, weiterhin sehen manche Autoren ein Spannungsverhältnis zwischen »Ehre« und Neutralitätspolitik: das wird uns noch näher interessieren, wenn die entsprechenden Aspekte konzentriert untersucht werden.130 Einige Autoren mokieren sich darüber, daß die Neutralität von Frankreich gekauft werde. Eine Flugschrift mit dem bescheidenen Anspruch, die »nuda veritas« abzumalen, präsentiert uns solche Wahrheiten über die Reichsstände: einige halten es mit Frankreich, »einige andere« wurden »ad contemplationem Regis Galliae und mit dessen Geld dazu beweget, Neutral« zu bleiben.131 Der König von Frankreich hat »tot Legationibus et missionibus, tantisque pecuniae summis« manche Reichsstände zu Verbündeten gemacht, andere sind deshalb »Neutrarum

128 [Anonym], Le politique du temps ou le conseil fidelle svr les mouvemens de la France ..., o. O. 1672, S. 43. 129 [Anonym], Nugae-somniorum pars altera, S. 12; vgl., noch blasser, [anonym], Wahrsagerischer Welt-Spiegel, Seiner Königlichen Majest. in Franckreich, statt einer Antwort heimgeschicket ..., o. O. [1674], wiederabgedr. im 29. Bd. des »Diarium Europaeum«, Appendix, zur Neutralität S. 265. 130 Vgl. unten Kapitel C.2.4.5 und Kapitel C.6.1. 131 [Anonym], Nuda veritas. Das ist: Kurtze jedoch gründliche demoustration [sic], was sonderlich die am Rheinstrohm befindliche Reichs-Stände zu befahren gehabt hätten, falls man sich der Assistentz der Republicq der Nider-Landen gegen die Cron Franckreich nicht angenommen hätte, o. O. 1675. »Sonderlich« bei den Katholiken im Reich ist die Ansicht verbreitet, man hätte im Holländischen Krieg »stille sitzen sollen«, aber wie fatal wären die Folgen eines französischen Triumphes! Es war ein Kardinalfehler, daß man Frankreich nicht schon 1670, 1671 »die Zähne dergestalt gewiesen hat«, daß es seine Kriegsgelüste wieder begrub.

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Partium«.132 Ludwig versucht, »in der Christenheit eine allgemeine Monarchie anzurichten«, zu den Mitteln gehört die Korrumpierung der Reichsfürsten, auf daß sie Frankreich unterstützen oder »zum wenigsten neutral« bleiben.133 Es fehlt die bisherige Verve, und es fehlt gänzlich die Konnotation »Neutralität ist sündhaft«. Eine Flugschrift läßt Ludwig XIV. so seine Weltherrschaftspläne entwickeln: Es sind die wichtigen Ratgeber an Europas Residenzen zu bestechen, auf daß sie Unterstützungsaktionen ihrer Höfe für die Holländer unterbinden, »viel besser hergegen thäten sie, wenn sie die Neutralität erwehleten, und unsere Freundschafft suchten und pflegten.134 Wenn uns diese Practique wird angehen, daran wir keinen Zweiffel tragen, wollen wir alle Fürsten und Potentaten ohne alle Gnade zur Beute bekommen. Denn wenn zweene Potentaten mit einander in Uneinigkeit gerathen, ist dem andern sehr schädlichen sich neutral [zu] erklären. Die Erfahrung bezeigets, daß die jenigen, die sich auß Faulkeit oder irgends einer Verschlagenheit auff solche Art fürm Kriege gehütet, damit sie also sicher möchten seyn und das ihrige in Ruhe abwarten, in die tieffste Wäsche gerathen, und das Bad haben müssen außtragen.«135 »Faulkeit«, »Verschlagenheit«, praeda victoris ...: Es sind die seit 80 Jahren in den »Politica« üblichen Versatzstücke, doch fehlen gänzlich solche aus dem Sinnbezirk von »Sünde«, was deshalb besonders auffällt, weil der fingierte Brief an den Papst adressiert ist. Von ganz anderer Art sind »Ehr- und Freyheit-liebende Gedancken, Uber die Frage, Mit welchem Theile ... ein vernünftiger genereuser Teutscher Fürst zu Nutz seines Estats und Landen es halten solle und könne?«136 Hier wird nicht entlarvt, sondern nüchtern analysiert. Von der Neutralität halte er nichts, eröffnet der unbekannte Autor gleich eingangs, ja, die Allianzfrage stelle sich gerade »insonderheit« deshalb, weil »bey Continuation dieser scharffen Berührungen die gekünstelte Neutralität annoch den Stich nicht halten« werde. Man muß, um den richtigen außenpolitischen Kurs zu finden, »die natürliche und allezeit unveränderlich bestehende Interessen und maximen« der verschiedenen europäischen Länder untersuchen, denn auch alle »gegen naturelle Interessen gekünstelte foedera halten den Stich nicht«. Ein doppeltes Stichhaltigkeitsdefizit also; ausgedehnte geostrategische und ökonomische Analysen sollen ihm abhelfen, ferner werden historisch gewachsene Affinitäten gewürdigt, aber keine religiösen 132 [Anonym], Examen literarum svecicarum, S. 488. 133 [Anonym], Bedencken Uber gegenwärtigen Krieg, fol. Aiij. 134 Neutralität heißt also nicht Äquidistanz! Doch soll uns dieser Aspekt weiter unten näher interessieren: vgl. Kapitel C.2.4.2. 135 »Epistola« Ludwigs XIV. an den Papst; sie könnte auch aus der Zeit des Devolutionskriegs stammen, in der ThULB Jena ist sie einer auf 1672 datierten Flugschrift angebunden (vgl. schon S. 223 Anm. 449). 136 Anonym, o. O. 1675 (Kursivsetzung wie auch im Folgenden von mir). Die Zitate: fol. A2, ebda., fol. Aiiij und fol. Biij [sic].

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Gesichtspunkte. Die »Religion« kommt nur an dieser einzigen Stelle vor: Der Kaiser hält es neuerdings mehr mit den wichtigeren evangelischen Reichsfürsten, beobachtet der Autor, denn da Bayern schwächlich schwankt und die rheinischen Erzstifte »in so viele kleine Stücke zertheilet seyn, dass von ihnen wenig Grosses zu erwarten« ist, »cessirt der Respect der Religion«. Nicht die »Religion«, aber die »Christenheit« bemüht ein »Gespräch über das Interesse Deß Englischen Staats«, das davor warnen will, die englische Gleichgewichtspolitik als neutrale Splendid isolation mißzuverstehen. Der erste Redner – die zeitgenössischen, an solche »Gespräche« und »Dialoge« gewohnten Leser wußten von vornherein, daß er haltlose Ansichten vertrat, denn ihn galt es ja anschließend zu widerlegen – plädiert dafür, weder Spanien noch Frankreich (die Holländer selbst interessieren in dieser Vogelperspektive gar nicht) militärisch zu stützen, sondern sich »Neutral« zu »erzeigen«.137 Er muß sich belehren lassen, daß es eine bewährte »Grund-Regel« der »Vorfahren« gewesen ist, »allezeit diese zwey Königreiche in gleichen Waagschalen« zu halten, und »indem die Engelländer bald dem einen bald dem andern beystanden, wurden sie endlich aller beyder Meister«. Diese historische Wegweisung, ihr folgende ausgedehnte tagespolitische Analysen münden in folgende Maxime: »Man muß aber doch eine Parthey erwehlen, man wolle gleich oder nich138«. Überraschenderweise taucht inmitten solcher sich durch und durch pragmatisch (wenn man so will: »realistisch«) gebender Ausführungen dann doch noch die »Christenheit« auf: »Wir würden [als Neutrale] den Verweiß der gantzen Christenheit uns schändlich über den Hals bringen, bey welcher der Nahme der Englischen Nation würde zum höchsten verachtet seyn«. Man werde die Engländer, so man ihnen »tapffermüthiges Streiten« – der Autor sagt ausdrücklich: egal für welche Seite im aktuellen Konflikt! – gar nicht mehr zutraue, auch nicht mehr achten.139 Konfessionsspezifisch ist dieses ›Argument‹ nicht. Sollen wir es überhaupt religiös nennen? Der Autor fürchtet nicht Sünde, sondern Schande. Es ist ihm ums Prestige der »Englischen Nation« im christlichen Abendland zu tun, und weil Prestige – wohl nicht nur, aber sicher besonders nach damaliger Ansicht – politischen Einfluß verschafft, politische Handlungsspielräume erweitert, wird die politische Analyseebene, genau besehen, gar nicht verlassen. Ein »Wach auff« an die Eidgenossen von 1673 charakterisiert die schweizerische Haltung schon auf dem Titelblatt so: »Wir seind Neutral biß unsre Feind/ Mit unsern Nachbarn fertig seind.« Dieser Autor hatte für neutrale Schweizer nichts übrig, doch ausdrücklich nicht aus konfessionellen Gründen: »Wach auff und merck, wie viel die Glock geschlagen,/ Wie man begärt dem gantzen Land 137 [Anonym], Gespräch über das Interesse Deß Englischen Staats, S. 321. 138 Sic! Ebda., S. 323. 139 Ebda., S. 325f.

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zu zwagen/ Man sucht uns nicht zu bringen/ Vmb die Relligion,/ Man stellt vor allen dingen/ Nach gmeiner Freyheitskron«.140 Neutralität führt nicht mehr in die Hölle, und auf den Himmel stoßen wir lediglich in diesem Zusammenhang: Frankreich hat »Himmel und Erde beweget, alle Machten zu seinem Vortheil zu ziehen, oder dieselbe zur Neutralität zu disponiren«.141 2.1.7.3 Moralisch einwandfrei oder gewitzt? Multiperspektivität wird möglich Zwischen Himmel und Hölle tun sich nun viele Nuancen auf. Weil man sich über das politische Konzept der Neutralität nicht mehr empören muß, kann man Pro und Contra sogar spielerisch abwägen, ›durchspielen‹. Eine Flugschrift von 1675142 spiegelt Facetten mitteleuropäischer Befindlichkeit in fingierten Wirtshausreden, die nacheinander Vertreter der verschiedenen Reichskreise schwingen. Mehrere von ihnen schwadronieren auch über die Neutralität. So zunächst »ein Schwäble«143: Man sehe ja, wie es der Pfalz ergangen sei, findet es, überhaupt sei das Reich zu konzentrierten Operationen doch gar nicht in der Lage. »Ach wie weit klüger handeln diejenigen Crayse und Stände, die unter diesen Ungewitter sich der Neutralität und Ruhe bedienen! Jhrer Nachbarn Untergang ist ihr Auffnehmen, und setzen sich mit Land und Leuten in die ansehentlichste Hoheit. Beyde Partheyen müssen ihnen gute Worte geben, daß sie sich zu keines Feinden schlagen; Subsidien werden Millionen weiß geschlossen«. Das ist ein neues144 Motiv: der Neutrale nicht als Opfer entweder beider gleichermaßen entrüsteter Konfliktparteien oder doch des Siegers, sondern als umworbener Profiteur – die Topoi »neque amicos parere« und »praeda victoris« bekommen positiv konnotierte Gegenstücke.145 Ob sich unser »Schwäble« freilich nicht durch folgenden Biedersinn als beschränkt, als »einfältig« entlarven soll? »Die einfältigen Kühmelcker, die Schweitzer, solten billig unsere Anweiser in 140 [Anonym], Eidtgnößisches Wach auff, Und Eidtgnößisches Klopff drauff. Das ist, Zwey wolmeinlich bestellte Gsang, Darinn Die Gmeine Hochlobliche Eidtgnoßschafft und alle derselben Glieder auffgemunteret werden zu der ... Hochnothwendigen Wachtbarkeit, Und Erforderlichen Dapfferkeit, o. O. 1673 (Kursivsetzungen von mir). 141 [Anonym], Politische Considerationes, S. 371f. 142 Zum Folgenden: [anonym], Curiosa, nec non politica vagabundi per Europam, vulgo sic dicti, Rationis Status, de praesenti tempore nugae-somnia ..., o. O. 1675, wiederabgedr. in: Diarii Europaei Insertis variis Actis Publicis ... Ein und dreyssigster Theil, Frankfurt 1675, Appendix, S. 385–464 (Kursivsetzungen von mir). 143 Ebda., S. 395ff. 144 Ein in Flugschriftenliteratur neues Motiv! Wir werden gleich sehen, daß politologische Arbeiten den Gesichtspunkt manchmal mit einrechnen (um doch fast immer auf negative Summen zu kommen). 145 Vgl. hierzu auch unten S. 805.

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den politischen Strichen sein«, findet es, »Sie bleiben fein in ihren Klippen und Felsen wohnen, und wissen sich beyder Partheyen Geld wol zu Nutze zu machen ... O hätten wir Schwaben ein gleichmässiges gethan, wir wären in unser Einfalt glückselig geblieben!« Glückselig, aber eben auch einfältig, rückständig, primitiv? Soll sich das »Schwäble« darin verheddern, daß es, vermeintlich rationes status abwägend, Äpfel gegen Birnen verrechnet – weil sich Schwaben tatsächlich ja eben nicht hinter »Klippen und Felsen« zwängen läßt? Darüber darf der Leser rätseln, vom Kolporteur der Wirtshausreden bekommt er diesen etwas rätselhaften146 Kommentar mit auf den Weg: »Aus seinen Reden kan ich nicht vermercken, daß die Schwaben, dem gemeinen Geschrey nach, so gar einfältig seyn«. Ist der gewitzte Mann demnach neutral? Unser Kolporteur spielt nicht nur verschiedene denkbare Ansichten, auch unterschiedliche Stilebenen durch. Ein Vertreter des Kurrheinischen Kreises gibt den Part des Entrüsteten 147, heftig poltert er gegen schwäbischen Eigensinn: Griffe er um sich, drohten »in unserem Vatterlande«, das dieser Redner offensichtlich national, nicht regional definiert, »allgemeine Verwüstung und schnöde Dienstbarkeit«. Klugheitsmaßregeln sind bei ihm von moralischen Valeurs durchtränkt, »wer kan länger Friede haben, als ihm sein boßhafftiger Nachbar lassen will?« Sich auf eine »dem Reich schädliche Neutralität« zurückzuziehen, ist politisch dumm und moralisch verwerflich. Der rheinische Moralist kennt die traditionellen Versatzstücke des Neutralitätsdiskurses: »Unsere Hermaphroditen148 (mit keinem bessern Praedicat kan ich sie belegen) die Neutralistisch149 Gesinnten vermahnen mich an der Aesopischen Krähe, die innen wurde, daß etliche Tauben in dem Taubenhause wolgespeiset und gehalten wurden, derohalben verwandelte sie ihre schwartze Farbe in weiß, flog ins Taubenhauß, und wolte bey andern Tauben also leben. So lange nun die Krähe still schwieg, meinten sie, es wäre eine Taube, liessen sie also gehen: Wie sie aber anfing, zu schreyen, sahen sie, daß sie nicht ihres gleichen Geschlechtes wäre, schlugen also auff sie, und jagten sie auß ihrer Gesellschaft. Sie flohe aber wieder zu den andern Krähen, die wolten ihrer auch keine Gemeynschafft haben, verlohr also bey der Gesellschaft, weil sie Wetterwendischer Weise mit beyden 146 Hat er in dieser Passage, ohne es zu merken, allzu häufig das Adjektiv »einfältig« verwendet, oder spielt er bewußt mit verschiedenen seiner Bedeutungsvarianten (dumm vs. von unverdorbener, gesunder, weil ungekünstelter Urteilskraft)? 147 Ebda., S. 399ff. 148 Also: Neutrale als »Zwitter« – wie wir noch sehen werden, ein verbreiteter Topos. 149 Der Terminus ist (trotz S. 517 Anm. 469) ein recht zuverlässiger Indikator für neutralitätskritische Einstellung. Auf eine »neutrale« Haltung konnte man sich nichts einbilden, gesucht haben sie in der Vormoderne viele; »Neutralist« aber ist abschätzige Fremdbezeichnung. Wir kennen Vergleichbares ja auch aus der Gegenwart. Über »nationale« Gesinnung kann man immerhin diskutieren, jedenfalls außerhalb Deutschlands, »nationalistisch« will niemand sein.

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Partheyen halten wolte.150 Meinet ihr nicht, ihr guten wanckelnden NeutralHertzen, es werde euch einsten auch so gehen, daß ihr zwischen Bäncken und Stühlen zu sitzen kommt151?« Noch nicht einmal Sicherheit vor den Kriegsunbilden brachte Neutralität ein, sie erst recht nicht, »wann die Nachbarn untergebracht, so wird man euch desto leichter die Hauben abziehen und wen werdet ihr alsdann haben, der euch in eurem Elend beyspringe?«152 Deutschland durfte sich nicht solcher »Zaghafftigkeit ergeben«. Man mußte, anstatt sich in »einige Neutralität« zu flüchten, »dem Vatterlande mit Gut und Blut beystehen«. Die kurrheinische Schwadronage bietet auf, was der Zeit an neutralitätskritischen Motiven noch zu Gebote stand – also keine theologischen Aburteilungen mehr, aber vaterländische Appelle. Nationales Pathos beginnt heiligen Eifer zu substituieren. War Neutralität demnach (zwar nicht mehr sündhaft, aber) schändlich? Der Arrangeur unserer Wirtshausreden weiß das politische Konzept nicht nur zu verdammen, kann es auch sich selbst entlarven lassen. Ein »Bayerscher« verwahrt sich so dümmlich dagegen, »daß man ziemlich auff diejenige stumpfiret«, die zum »Stillsitzen« neigten, ergeht sich in so offenkundig fadenscheinigen Ausflüchten, warum man keine Truppen gegen französische Zudringlichkeiten aufzubieten vermöge, daß wir das Pro-Plädoyer dieses Neutralitätsfreundes153 nicht beim Wort nehmen dürfen. Ein Vertreter des Oberrheinischen Kreises schwenkt hinsichtlich der Neutralität, auch wenn diese von ihm nur gestreift wird, scheinbar wieder auf die Linie seines kurrheinischen Kollegen ein: Neutralität schützt nicht, produziert nichts als »Jammer«, verursacht »anstössigen Eckel«.154 Ist die Sache damit entschieden? Ist unser »Schwäble« überstimmt? So einfach macht es die Schrift ihrem Leser nicht, es folgt die nächste Volte: Kaum hat sich der Wirtshausprediger vom Oberrhein vom »Eckel« erholt, den Neutralität erregt, führt er aus, daß man der Stadt Straßburg, der das Reich nicht helfen kann und will155, »schwehrlich eine anständige Neutralität außschlagen« kann! Nein, »man kan es der guten Stadt im geringsten nicht verdenken«. Der Weißwaschung folgt, wenig konsequent, die Unterstellung eines schlechten Gewissens, 150 Kombination einer originell und detailreich ausgemalten Version von »neque amicos parere« mit der »Fahne im Wind« – beide Motive sind in neutralitätsskeptischen Diskursen obligatorisch. 151 »Zwischen zweyen stülen«: ein geläufiger Neutralitätstopos. 152 Kombination der obligatorischen Topoi »praeda victoris« und »neque amicos parere«. 153 Ebda., S. 409f. 154 Ebda., S. 415f. – ansonsten die gängigen Motive: »qui studet omnibus placere, is tandem nemine placet«; hängen »den Mantel nach dem Winde« ... 155 Von den Nöten dieser Reichsstadt im Vorhof Frankreichs handelt folgende Schrift: [anonym], Relation, Von der Ruptur der Neutralität der Stadt Straßburg, Straßburg 1674. Ihr Autor hat eine eindeutige Haltung Frankreich gegenüber (das 1672 die Rheinbrücke zerstörte und 1673 ihre abermalige Zerstörung erzwang), von der Neutralität spricht er wertfrei. Die folgende Kursivsetzung stammt von mir.

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doch behält das (regional definierte!) Staatsinteresse seine Berechtigung: Es »sehen die Herren von Straßburg auch wol, daß sie mit solcher Neutralität Teutscher Seiten scheele Augen verdienen dürffen, und dannoch ihres jetzigen Zustandes nach selbige gäntzlichen außzuschlagen, will ihnen auch nicht gerathen seyn«. Eine stromlinienförmige Gesamtaussage läßt sich nicht herausdestillieren. Also pure Konfusion? Warum behellige ich den Leser mit der Nacherzählung solcher labyrinthischer Verschlingungen? Nicht, weil ich der Ansicht wäre, es lohne, über die ›eigentliche‹ Haltung des Autors dieser Flugschrift nachzusinnen, sondern weil ich es bemerkenswert finde, daß diese hinter verschiedenen Larven verschwindet. Dieser Autor kann einem in den Flugschriften des Konfessionellen Zeitalters so hitzig diskutierten Thema gegenüber verschiedene Perspektiven einnehmen, kann in verschiedene Bewertungsweisen hineinschlüpfen und uns diese gleichsam im Rollenspiel vorführen. Der Neutrale entzieht sich nicht mehr dem eschatologischen Ringen zwischen Licht und Finsternis; verschiedene Grautöne nebeneinanderhaltend, kann man mit vergleichbar plausiblen Argumenten zu sehr unterschiedlichen, möglicherweise auch positiven Bewertungen neutralen Verhaltens gelangen. Neutralität ist damit keinesfalls über jeden Zweifel erhaben; aber geradewegs in die Fänge »des Teuffels« führt sie nicht mehr.

2.2 »Neutralitas stultitia est«: politologische Pionierwerke, Dissertationen 2.2.1 Tour d’horizon durch die europäische Gelehrtenrepublik Es gab eine Textsorte, die beim Thema Neutralität von Anfang an ohne »den Teuffel« auskam: die frühe politologische Literatur. Als die im letzten Kapitel vorgestellten Pamphlete zum eschatologischen Endkampf zwischen Licht und Finsternis bliesen, war ja eine ihren eigenen Sachzwängen gehorchende, nicht systemimmanente Nötigungen abschüttelnde Politik längst auf den Begriff gebracht: als »ragion di stato« oder »ratio status«. In Mitteleuropa begann der Begriff um 1600 an den Gelehrtenpulten wahrgenommen zu werden und auch in die Ratsstuben zu sickern.156 Wir sind also mit einer bemerkenswerten Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen konfrontiert: Ausgerechnet, als der martialische Chor konfessioneller Schlachtrufe kräftig anschwoll, begann sich auch eine neue Literatursorte auszubilden, die die Staatsräson zu konkretisieren, in ihre Facetten zu entfalten, politisch handhabbar zu machen versuchte. Gerade der Zeitraum – nämlich das frühe 17. Jahrhundert –, in dem die militante Kontroverspublizistik zur alles überspülenden Springflut anschwoll, sah auch die erste Woge einer kühl 156 Vgl. oben S. 204 mit Anm. 380.

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mit dem Staatsinteresse kalkulierenden, sich betont abgeklärt gebenden Klugheitsliteratur. An der Pamphletistik, die wir im letzten Kapitel durchforsteten, scheinen157 alle Tendenzen spurlos vorübergegangen zu sein, denen die Zukunft gehören wird: die Säkularisierung der Politik im Zeichen der »Staatsräson« (die dort allenfalls als verruchter Machiavallismus perhorresziert wird), das aufkommende rationale Naturrecht, die Etablierung des Staatsrechts als akademische Disziplin eigener Dignität158. Romanischsprachige Publikationen operierten schon länger mit säkular verstandenen »Interessen«, die klug zu justieren keiner heilsgeschichtlich verankerter, demnach immerwährender Werteskalen bedurfte, sondern die Abschätzung sich stets aufs Neue wandelnder Kräfteverhältnisse voraussetzte. Die Wurzeln dessen, was heute in den Politikwissenschaften als »realist thought« bei der Wahrnehmung und Erforschung der internationalen Beziehungen firmiert159, reichen bis ins frühe 16. Jahrhundert zurück: denn im Rahmen der neuen Staatsklugheitslehren wurden dem Fürsten eben nicht nur Ratschläge zu »innenpolitischer« Herrschaftsstabilisierung erteilt, es galt diese Herrschaft auch nach außen hin zu behaupten, ja – da alles in rascher Bewegung war und die Gewichte sich unaufhörlich verschoben, Stillstand demnach gar nicht auf Dauer zu stellen war – zu mehren. Kurz, es gab immer auch Kapitel, die wir heute als »außenpolitische« bezeichnen würden, und in ihnen stoßen wir bereits auf die »rationalen Akteure« und die »Staatenanarchie« heutiger »Realists«. Die Neutralität gehört nicht zu 157 Auf den ersten Blick! Bei näherem Hinschauen ergaben sich gerade hinsichtlich der Neutralität interessante Rezeptionsvorgänge, wie wir im voranstehenden Kapitel sahen: Die Pamphlete boten das von den frühen Politologen behauptete neutrale Klugheitsdefizit nämlich hilfsweise auf, fügten es subsidiär ihren moralischen und theologischen Verdikten an. Jedenfalls manche dieser Pamphletisten kannten die politologischen Pionierwerke durchaus, was die eklatante Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen nur noch faszinierender macht – denn auf Unkenntnis, schlichter Ignoranz basiert sie nicht. 158 Weil letzteres in unserem Kontext nicht so zentral ist, will ich lediglich in einer Fußnote verdeutlichen, was gemeint ist: Seit dem frühen 17. Jahrhundert erschienen die ersten juristischen Abhandlungen, die das politische System des Reiches nicht mehr aus römischrechtlichen Grundsätzen entwickelten, sich vielmehr an der aktuellen, indes historisch gewachsenen Gesetzeslage orientierten. Sie entrissen die Beschäftigung mir ihr der Geheimnistuerei der Staatskanzleien, die staatsrechtlich relevante Dokumente traditionell als ihre Domäne erachtet hatten – ein Monopolanspruch, der sich zur Ignoranz der herkömmlichen Jurisprudenz fügte, die sich als Privatrechtswissenschaft verstand, staatsrechtliche Sachverhalte nur am Rande wahrnahm und dann gegenwartsblind in römischrechtlicher Manier zu traktieren pflegte. Ein wichtiger Wegbereiter ist Johannes Limnaeus (1592–1663) gewesen – wer das Reich kennenlernen wolle, erklärte er, müsse Bartolus und Baldus beiseite lassen, stattdessen die grundlegenden Gesetze des Reiches, seine »leges fundamentales« studieren. Ich würdige Limnaeus und seine wichtigsten Mitpioniere in diversen Lebensskizzen im ersten Band eines »Who’s who in the Habsburg Empire (1526–1848)« (erscheint demnächst). 159 Vgl. oben Kapitel A.4.

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den großen Themen der Gründerväter und Pioniere der frühen Staatsklugheitslehre, wurde aber beachtet. So schon vom wohl wichtigsten Gründervater der ganzen Denkrichtung, Niccolò Machiavelli. Prototypisch fehlen bei ihm moralische Maßstäbe – die Bellum-iustum-Doktrin hat dieser Autor abgestreift.160 Prototypisch tut sich indes ein Spannungsverhältnis zwischen Stillsitzen und fürstlicher Reputation auf: womit eine nach heutigen Maßstäben nicht rationalere, aber säkulare Kategorie ins Spiel kommt. Machiavelli geht auf die Neutralität in Rahmen seines Reputationskapitels im »Principe« ein: »Was sich für einen Herrscher zu tun schickt um zu Ansehen zu kommen«.161 Vor diesem Maßstab kann Neutralität, ganz unabhängig von den momentan eben gegebenen Rahmenbedingungen 162, niemals bestehen: »È ancora stimato uno principe, quando egli è vero amico o vero inimico, cioè quando senza alcun rispetto si scuopre in favore di alcuno contro a un altro; il qual partito fia sempre più utile che star neutrale«!163 Während die Epigonen just hier manchmal andere Wege gehen werden164, betont Machiavelli 160 In den »Discorsi« heißt es, auf Bürgerkriege gemünzt: »Wo es um das Sein oder Nichtsein des Vaterlandes geht, gibt es keine Bedenken, ob gerecht oder ungerecht, mild oder grausam ...; man muß vielmehr alles beiseite setzen und die Maßregel ergreifen«, die dem Vaterland »das Leben rettet und die Freiheit erhält«. Ich zitiere nach Wolfgang Reinhard, Vom italienischen Humanismus bis zum Vorabend der Französischen Revolution, in: Hans Fenske/Dieter Mertens/ders./Klaus Rosen (Hgg.), Geschichte der politischen Ideen. Von der Antike bis zur Gegenwart. Aktualisierte Neuausgabe Frankfurt 2003, S. 239–376, hier S. 247. Mir fielen bei kursorischer Lektüre in Machiavellis »Principe« dann doch Erwähnungen der »Gerechtigkeit« auf, freilich operiert dieser Autor sichtlich deshalb noch mit dem Begriff, weil er weiß, daß er für andere eine Rolle spielt: Der Fürst sollte gelegentlich die herkömmliche Erwartungshaltung bedienen, kann dabei instrumentell mit der antiquierten Kategorie umspringen. Vertiefen will ich das alles nicht, Machiavelli gehört zu den wenigen vormodernen Autoren, über deren Haltung zu Politik, Krieg und Frieden schon viel geschrieben wurde. 161 So übersetzt Rudolf Zorn: Niccolò Machiavelli, Der Fürst. »Il Principe«, übers. von Rudolf Zorn, 4. Aufl. Stuttgart 1972, S. 92. 162 Und das ist nicht prototypisch. Weil Machiavelli über die Neutralität nur in diesem Bezugsfeld, im Hinblick auf die fürstliche Reputation, nachdenkt, versucht er erst gar keine situativ etwa auch gegebenen Pro-Gründe zu finden. 163 Niccolò Machiavelli, Il Principe, hg. von Giuseppe Lisio, Florenz 1899, S. 102 (§ XXI) (Kursivsetzungen von mir). – Also: »ein Herrscher wird auch [es gingen innenpolitische Bewährungsfelder voran] geachtet, wenn er ein echter Freund oder [Rudolf Zorn setzt: und] ein echter Feind ist, d. h. wenn er sich ohne irgendwelche Rücksichten für den einen gegen den anderen entscheidet. Ein solcher Entschluß ist immer nützlicher, als neutral zu bleiben.« »Vero amico o vero inimico« ist schwer zu übersetzen, meint jedenfalls unzweideutige Parteinahme; als eindeutiger Freund wie als eindeutiger Feind gewinne ich Reputation, aber ich muß entweder dies oder jenes sein, insofern pointiert Freund oder Feind. 164 Wir werden gleich noch sehen, daß sich Neutralität für manche der späteren Autoren vor allem für Schwache verbietet, der Starke könne sich eine solche Haltung hingegen schon einmal leisten.

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ausdrücklich, man müsse die Neutralität, diesen Scheinausweg aus eigener Entschlußschwäche165, auch dann meiden, wenn vom Ausgang der Sache, diesem oder jenem denkbaren Sieger, (ausnahmsweise einmal) gar keine Gefahr fürs eigene Staatswesen drohe.166 Pro-Gründe kennt dieser Autor nicht, wohl diesen fortan ständig begegnenden Einwand: Wer neutral zuschaut, wird »premio del vincitore«, Beute des Siegers sein, ohne daß ihm der gleichfalls düpierte Besiegte – selbst wenn er es noch könnte – auch nur beispringen will. Neutralität schafft keine Freunde. Über die »Discorsi« der folgenden Jahrzehnte muß dieses Kapitel nicht viele Worte verlieren, da sie zu den wenigen Aspekten seines Themas gehören, über die schon hinlänglich geforscht wurde.167 Sie folgen im Ganzen den von Machiavelli vorgegebenen Bahnen, warnen aber vor allem schwächere Staatswesen vor der Neutralität, können sogar konzedieren, daß dieses politische Konzept dem Starken nichts anzuhaben vermöge. Das betont besonders pointiert eine Sammlung von Klugheitsmaßregeln, die zweifelsohne eine gewisse Breitenwirkung anvisierte, aber im Zusammenhang mit der Neutralität, so weit ich sehe, noch nicht gewürdigt wurde: die als »Hypomneses Politicae« ins Lateinische gebrachten Maximen von Francesco Guicciardini. Maxime 81 lautet so: »Laudo eum, qui alijs bellum gerentibus neutram partium [sic] sequutus quiescit, dummodò adeò potens sit, aut ea sit status seu republicae illius ratio, vt ipsi à victoria nullus metus, nullum periculum immineat« – er spart auf diese Weise Kräfte, während sich die Kriegsparteien gegenseitig weiter schwächen. Wir dürfen wohl so frei übersetzen: Wenn sich zwei ihm ungefährliche kleinere Potenzen um irgendetwas zanken, muß der starke Nachbar nicht seine Kräfte vergeuden, er gewinnt sowieso dabei. Unter allen anderen Umständen aber ist Neutralität töricht: »Extra hos fines neutralitas (vt ita dixerim) stultitia est«! Als Zwischenüberschrift setzt Guicciardini das darüber: »Aliàs neutralitas periculosior bello aperto«.168 Wie die italienischen »Discorsi« im allgemeinen, hat man speziell Giovanni Botero schon hinsichtlich seiner Stellungnahmen zur Neutralität gewürdigt. Es sollte dennoch wenigstens erwähnt werden, daß er die erste, wenngleich kurze 165 Ebda., S. 342: »E i prìncipi mal risoluti« suchen die Neutralität (und richten sich damit, wie Machiavelli hinzufügt, meistens zugrunde). 166 Ebda., S. 341: »... perchè se due potenti tuoi vicini vengono alle mani, o e’sono di qualità che, vincendo un di quelli, tu abbia a temere del vincitore, o no. In qualunque di questi due casi ti sarà sempre più utile lo scuoprirti ...« Ebda., S. 343: Wenn man den Sieger nicht zu fürchten braucht, ist es erst recht klug, Partei zu ergreifen (»... tanto è maggiore prudenza l’aderirsi«). 167 Vgl. etwa, mit Hinweisen auf die reichhaltige ältere Literatur, Truyol y Serra, Boteros »Discorso della neutralità«; oder zuletzt Zwierlein, Discorsi, S. 45ff. passim. 168 Francesco Guicciardini, Hypomneses Politicae; Recens ex Italico Latina facta, Halle 1597, S. 83f.

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gedruckte Spezialabhandlung zum Thema vorlegte: einen Discorso »della neutralità«, den er als »Aggiunta« 1598 der Neuausgabe seiner Erfolgsschrift »della ragion di stato« anfügte. Anlaß war die Neutralitätspolitik Venedigs im Langen Türkenkrieg – im Gegensatz zu uns Heutigen, denen ja immer die Schweiz als vermeintliches neutrales Musterland vorschwebt, dachte die Frühe Neuzeit bei diesem Thema eher an die beiden Burgund oder eben an Venedig.169 Antonio Truyol y Serra hat den Discorso analysiert170, es begegnen die üblichen Versatzstücke (Neutralität ist ein besonders schwieriges Sujet; Neutralität gebiert keine Freunde, man hat beide Kriegsparteien zum Feind), das Thema wird nüchtern nach Klugheitsmaßstäben durchgespielt. Der Schöpfer der »praktischen Philosophie des frühmodernen Staates«171, der Niederländer Justus Lipsius, kommt auf die Neutralität im Zusammenhang mit der »auctoritas« eines Regenten zu sprechen – legt ihre innenpolitischen Voraussetzungen dar, anschließend die äußeren, fragt dann: »Cùm dissentiunt inter se vicini duo potentes: qui nec vincere, nec vinci, sine periculo tuo possunt. Quid facies? non enim effugias, quin alterum aut socium habeas, aut hostem? Nam quòd nonnemo tanquam mediam et tutißimam consilii viam, vt quiescas abstineásque armis, ostendit: ea verò non media, sed nulla est.«172 Neutralität ist kein Ausweg, also eine Scheinalternative, ja, die immerwährenden Lehren aus der Geschichte stempeln den Neutralen zur »praeda victoris« – »videmus, et videbimus (ita nunc Europae status)«, daß diejenigen, die aus Trägheit oder Verschlagenheit neutral zuschauen, »acerbissimas poenas« zu entrichten haben. Das alles wurde genau so wieder und wieder nachgedruckt, hat für Generationen von Entscheidungsträgern orientierend gewirkt.173 169 Wir sehen das noch in Kapitel C.3.6. 170 Vgl. Truyol y Serra, Boteros »Discorso della neutralità«. 171 Weber, Politische Integration, S. 138. Für Weber wurde »mit dem politiktheoretischen Werk des Florentiner Historikers und Politikers Niccolò Machiavelli ... die Einheit von christlicher Norm und praktischer Politik bzw. Kirche und Staat in den Grundfesten erschüttert« (S. 135), »endgültig« aber wurde der »Siegeszug des neuen Denkens« (S. 136) mit dem Erscheinen der Hauptwerke von Bodin, Botero und (»noch erheblich breitere, wahrhaft europaweite Rezeption«) Justus Lipsius. Übernimmt man die Gewichtung Webers, kann man sagen: alle Wegbereiter säkularer politischer Ordnungsstiftung haben interessante Ausführungen zur Neutralität hinterlassen. Diese selbst erwähnt Weber natürlich nicht, sie war nicht sein Thema. 172 Justus Lipsius, Politicorum sive civilis Doctrinae Libri sex, Frankfurt 1590, Liber IV Caput IX (S. 114). Als Beleg wird am Rand unter anderem Livius genannt, die Marginalie am anderen Rand lautet: »Periculosum potenti inpotentem jugi: Et tamen panè necessarum. Adiaphora hic nulla«. Die »Adiaphora« waren im Konfessionellen Zeitalter jedem Gebildeten geläufig, doch vor allem in theologischen Kontexten; die Gleichsetzung Neutralität im Krieg – »Adiaphora« ist ungewöhnlich. 173 Vgl. nur, in denselben unveränderten Worten: Justus Lipsius, Politicorum sive civilis Doctrinae Libri sex, Kleve 1671.

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Ein heute vergessener Publizist, der früher (nicht nur in unserem Zusammenhang) beachtet und gern zitiert wurde, ist Pedro de Ribadeneyra174. Auch er behandelt das Thema – bezeichnenderweise in einem der »prudentia« gewidmeten Kapitel – keinesfalls moralisierend, was insofern überraschen könnte, als dieser Autor hauptsächlich Werke über und für den Jesuitenorden geschrieben hat, darunter Heiligenviten, und sein »Principe Christiano« von 1595 schon im Titel »contra los policitos« im Gefolge Machiavellis polemisiert. Ich gebe die Passage in der lateinischen Übersetzung von 1603: »Si viribus vtroque superior est, neutram in partem mouebitur, sed speculanti similis euentú dissidentium exspectabit: sin vtrilibet imparem se agnoscit, considerabit an è re sua sit, duos sibi hostes reddere; (nam vteruis175 ex iis victor euadet, hostis effectus fortè cum eo bellum geret) an magis rationibus suis expediat, aperta declaratione in alterius amicitiam transire, et cum eo belli fortuná experiri«.176 Taucht das Neutralität nicht in sehr freundliche Farben? Der Starke kann sowieso neutral zuschauen, und der Schwächere muß eben je und je abwägen? Die Antithese stark-schwach ist schon auch eine hinsichtlich der Möglichkeit neutralen Verhaltens, der Terminus Neutralität wird bezeichnenderweise nur beim Starken verwendet (im spanischen Originaltext adjektivisch als »neutral«), beim Schwachen so umschrieben: sich zwei Feinde machen – der Schwache muß erwägen, »si le esta bien, tomar enemigos à dos«. Wer will sich schon jedermann zum Feind machen? Erneut: Neutralität ist eine Scheinalternative! Leisten kann sich diese Haltung nur der, der sich sowieso alles leisten kann, der Starke eben. Wer sollte in einer Welt des Kalküls, nicht mehr der Werte dessen Richter sein? Bei Jean Bodin überwiegen, wie meistens, die Einwände, doch sind seine Pro-Argumente besonders interessant. Wer die vormoderne Neutralität für ein spannendes Thema hält, registriert erfreut, daß sich dieser herausragende frühneuzeitliche Gelehrte177 in seinen »Six livres de la république«, einem der »meist174 Weil man ihn heute wirklich nicht mehr kennt, will ich ausnahmsweise einmal die Lebensdaten (1521–1611) und einen allgemeinen Literaturhinweis geben: vgl., freilich panegyrisch, P. J. M. Prat S.J., Leben und Wirken des R.P. Peter de Ribadeneyra aus der Gesellschaft Jesu. Aus dem Französischen ... übersetzt von P. M. Gruber S.J., Regensburg 1885. 175 In klassischer (und heutigen Lateinern geläufiger) Schreibweise: utervis. 176 Princeps christianus adversus Nicolaum Machiavellum, caeterosque huius temporis Politicos, a P. Petro Ribadeneira nuper Hispanicè, nunc Latinè a P. Joanne Orano utroque Societatis IESV Theologo, editus ..., Mainz 1603, lib. 2 cap. XXXI (S. 455). Vgl. Pedro de Ribadeneyra, Tratado de la religión y virtudes que deve tener el Príncipe Christiano ... contra ... los politicos, Anveres 1597. 177 Er ist seiner zentralen Rolle bei der Herausarbeitung der neuzeitlichen Staatstheorie wegen zu Recht berühmt, angesichts seiner kaum weniger zentralen Rolle für die Hexenverfolgungen (er gehörte zu den Chefideologen, sein dämonologisches Hauptwerk ist für die Siedephase der europäischen Hexenverfolgungen viel wichtiger als der wieder und wieder traktierte »Hexenhammer«) zu wenig berüchtigt.

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gelesenen Bücher der Zeit«178, recht ausführlich zur Neutralität im Krieg äußert. Im Kapitel »De la seureté des alliances et traictez entre les Princes« bietet er ein halbes Dutzend Seiten am Stück zum Thema, in anderen Passagen seiner »six Livres« immerhin zerstreute Bemerkungen. Bodin gibt, wie alle Autoren vor und um 1600, kein Neutralitätsrecht179, er fragt nach Pro oder Contra neutralen Verhaltens. Ungewöhnlich ist, daß er letzteres nicht so eindeutig dominieren läßt wie die meisten anderen und daß er neben dem Nutzen des Einzelstaates auch den der Staatenwelt insgesamt würdigt. Aber lassen wir diesen bedeutenden Gelehrten selbst zu Wort kommen!180 Bodin beginnt mit angeblichen Pro-Argumenten: »Plusieurs ont pensé, qu’il estoit expedient à un Prince d’estre neutre«. Dieser denkbar distanzierten181 Einleitung folgen zwei vermeintliche Pro-Motive: die Ehre des Friedensvermittlers, der lachende Dritte – »celuy qui demeure neutre, trouvera bien souvent le moyen d’appaiser les ennemis: et se maintenant en l’amitié de tous, emportera grace et honneur des uns et des autres. Et si tous les Princes sont liguez les uns contre les autres, qui sera moyenneur de la paix? Davantage il semble qu’il n’y a moyen plus grand de maintenir son estat en sa grandeur, que voir ses voisins se ruïner les uns par les autres.« Soweit die von »plusieurs« vorgebrachten Pro-Argumente! Doch scheinen182, so Bodin, die Contra-Argumente »plus pregnantes« zu sein! In der Staatenwelt überdauern nur die Stärksten, dann, diesem Axiom aller »Realists« angefügt: »et semble qu’il faut par necessité pour se maintenir, estre ami ou ennemi«. Freund oder Feind: das kennen wir bereits aus dem »Principe«, nur daß Bodin nicht mehr so personalisiert, ihm geht es nicht ums Prestige des Fürsten, sondern ums Überleben – nein, noch nicht der Nation, aber schon des Staates. Bodin kennt seinen Livius, kann aus der Geschichte lernen: »la voye de neutralité, neque amicos parat, neque inimicos tollit: ainsi que disoit un ancien capitaine des Samnites: et la mesme conclusion fut prise aux estats des Etoliens par le capitaine general Aristenus, disant: Romanos aut socios habere oportet, aut hostes, media via nulla est. Nous en avons une infinité d’exemples en toutes les histoires«. Neutralität hat die Lehren der gesamten Weltgeschichte gegen sich! Und doch, erneute Volte, kann sie unter bestimmten Umständen eine erwägenswerte 178 Friedrich Hermann Schubert, Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der frühen Neuzeit, Göttingen 1966, S. 360. 179 Wenn Truyol y Serra, Discorso della neutralità, S. 452 schreibt, »daß Bodin als Jurist bereits auf eine völkerrechtliche Regelung der Neutralität hinstrebt«, findet das an keiner Passage seines Werks irgend Anhalt. 180 Zum Folgenden: Bodin, Les six Livres, S. 178ff. 181 »Plusieurs«, Vergangenheitsform: dieser Autor, der aktuelle Text urteilen also anders! 182 Offensichtlich, scheinbar? Der vielschichtige Text läßt das an dieser Stelle offen: »Voila quelques raisons qui peuvent [!] servir à ceux qui defendent la neutralité. Mais il semble [!] qu’il y en a de plus pregnantes au contraire« (ebda., S. 179).

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Option sein. Versuchen wir, den oszillierenden Text zu schematisieren: Chance 1 – alle Kriegführenden sind ausdrücklich mit der Neutralität eines anderen Staatswesens einverstanden.183 Chance 2: Wer zu den stärksten Potenzen zählt, kann auch ohne solche Vereinbarungen neutral sein, ja, es ist in zwei Fällen wünschenswert: »Plus recommandee« nämlich als die Neutralität des Schwachen im Konsens aller ist (Fall 2a) die eines Regenten, »qui surpasse en puissance, ou en dignité tous les autres«, so der den Frieden herbeiführen, »l’honneur d’estre juge et arbitre« einheimsen kann. »Juge et arbitre«: Bodin hat also mehr als nur Botendienste vor Augen, und die Beispiele, die folgen, handeln alle vom Papst – an ihn, seine traditionelle Schiedsrichterrolle, denkt der hier einmal rückwärtsgewandte Autor offensichtlich, daß er im aktuellen kriegerischen Tagesgetümmel militärisch mitmischt, stört ihn. Oder, avantgardistischer (Fall 2b): die Staatenwelt braucht ein »contrepoids egal de puissance des uns et des autres«, »la puissance des plus grands« sollte »egale« sein; diesem Gleichgewicht nun kann es dienen, wenn man sich in einem Konflikt anderer nicht positioniert, um situativ je und je den zu stützen, der gerade der Unterlegene zu sein scheint – was nach heutigen Maßstäben keine Neutralitätspolitik ist, für Bodin indes offenbar schon.184 Neutralität, allenfalls ein politisches Konzept für Mächtige – für solche, die ihrer Macht gewiß waren, weil sie sie abgemessen hatten, in Kräftekalkülen geübt waren: Wie das die Gattungsgrenzen überspringen, auch von eifernden konfessionellen Kampfschriften rezipiert werden konnte, zeigt beispielsweise185 das 1632 publizierte »Memorial« Simon Wilds. Ihm ist »neutralisiren und cunctiren« angesichts des Siegeslaufs von Gottes Kriegswerkzeug Gustav Adolf sündhaft, und doch kann er dieses Räsonnement anstellen: »Wer neutral seyn, cunctiren vnd des Außgangs erwarten wil, der muß in solcher Macht vnd reputation ... sich befinden, daß er nicht alleine beyden Theilen die Wage halten, durch eine Defension beyde Theile von der occupation seines stads abhalten, ja seinen eigenen Nutzen vnd interesse darbey erweitern, sondern auch beyde Theile in eine solche Forcht setzen könne, daß sie sich befürchten müssen, wenn er sich zu jhrem Widerpart schlagen solte, daß sie vnten liegen müssen«, was auf der Apenninhalbinsel die Venezianer in kluger Abwägung ihrer »ragion di stado« immer wieder praktizierten.186 183 Ebda., S. 180f.: »Toutefois on peut dire, que la neutralité peut estre accordee du consentement des autres Princes«, Beispiele hierfür, »mis aussi il y a bien difference d’estre neutre, sans amitié des uns ni des autres: et d’estre neutre, allié des deux parties«; ebda., S. 183: Neutralität ist »louable« (lobenswert? empfehlenswert?) für Starke, die den Frieden vermitteln wollen, sowie für »plus foibles« [sic], »quand il est ainsi convenu entre les autres Princes«. 184 Vormoderne Neutralität und Äquidistanz: siehe Kapitel C.2.4.2. 185 Wir stießen ja schon im vorigen Kapitel wiederholt auf solche Wechselwirkungen, vgl. etwa S. 411 oder S. 420 mit Anmm. 85f. 186 Wild, Memorial, fol. Eiij. Natürlich will Wild damit nicht sagen, Neutralität könne jetzt doch eine Option sein, er betonte zuvor, daß ein Reichsstand derartige Macht eben nicht

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Neutralität im Konsens aller oder aus einer Stärke heraus, der sogar diese eigentlich gefährliche politische Option nichts anhaben kann: Wie das ins politische Tagesgeschäft herabsickern konnte, will ich – wiewohl der Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis vor allem in anderen Kapiteln187 versucht werden soll – mit einem Seitenblick auf jenen ulmischen, in den kursächsischen Unionsakten liegenden »Discurs Uber die Bundtnussen« illustrieren, der uns in anderen Zusammenhängen schon begegnet ist.188 Hieronimus Schleicher plädiert für ein verantwortungsbewußtes Bündnis reichstreuer Lutheraner, referiert aber, wie nach damaligem Gutachterstil nahezu obligatorisch, auch scheinbare Gegenargumente. Als deren viertes begegnet uns die »neutralitet«: »Vnnd obwohl hierbey etliche uf die neutralitet sich beruffen, und dafur halten wolten, wann sie zu keinem theil beypflichtig, sie wolttenn es am besten getroffen habenn, Ist auch zuwissen, daz dem Jenigen, so nit ubermechtig die Neutralitet vielmehr schädtlich dann nützlich sey«. Das belegen einige der gängigen neutralitätskritischen Topoi (Beute des Siegers, Neutralität macht keine Freunde), ehe diese Einschränkung folgt: »Es were dann das der ienige, so neutral sich zuerzeigen gemeint, vonn beiden streittigen Theilenn still zusitzenn, unnd weder einen noch dem andern beyzuspringen, were ersucht worden, alsdan so möchte es dieses vorhabens halber besser gewant seinn.« Wir erahnten auch ohne die Randmarginalie »Bodin: de Repub:«, woher es der Autor hat. Neutralität, eine für schwächere Potenzen allemal unkluge Option, die sich freilich jener Starke, dem in einer Welt des Kräftekalküls ohnehin kaum Schranken gesetzt sind, schon einmal leisten kann: Dieser Gesichtspunkt, auf den wir in manchen italienischen »Discorsi«, bei Ribadeneyra, an einer immerhin wichtigen Stelle auch bei Bodin stoßen (ohne daß das die Summe je ins Positive drehen könnte) – er spielt, meiner beiden deutschsprachigen Zitate aus einem Pamphlet bzw. aus dem Archiv unerachtet, für die Bemühungen der Pioniere einer deutbesitze. – Auch die politologischen Arbeiten geläufigen Formeln »praeda victoris« und »neque amicos parat, neque inimicos tollit« waren Wild wohl geläufig, hier scheint er sie auszuschreiben: Wenn die Schwedischen mit Gottes Hilfe gewonnen haben werden, »so werden sie keine verdächtige Feinde, darfür aber alle Neutralisten ... angesehen werden, vnd die jhnen in Widerwertigkeit nit Beystand leisten wollen, haben wollen«. Im unwahrscheinlichen gegenteiligen Fall »kommen die Päbstler an die Neutralisten«, und die besiegten Schwedischen werden keinen Finger für sie rühren, da sie ja »nicht neben jhnen zun Waffen gegriffen, vnd mit jhnen gleiches Glück wagen wollen«. Raufen sich hingegen beide Kriegsparteien zu einem Frieden zusammen, muß sich der Neutrale »vor Schweden vnd den Päbstlern fürchten«, beide werden sich nach dem Friedensschluß an ihm »rächen« wollen (ebda., fol. Eij). 187 Die Kapitel C.4, C.5 und C.6 überspringen die Gattungsgrenzen und auch die Grenze Druckerei-Archiv. 188 Vgl. nämlich S. 345 mit Anmm. 216ff. Zum Folgenden: Discurs Uber die Bundtnussen ..., HStADr Locat 7272 1. Buch Unio und Zusammensetzung, fol. 253–266.

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schen Politikwissenschaft ums Thema »Neutralität« so gut wie keine Rolle, wie wir gleich sehen werden. Ob hierfür implizit maßgeblich war, daß das Gros der Reichsstände gar nicht daran danken konnte, sich um eine Hauptrolle auf der Bühne des Theatrum Europaeum auch nur zu bemühen? Wenn man die Ausführungen der außerdeutschen189 Autoritäten auf deutsche Zustände applizierte, schrieb man ja gleichsam automatisch, ohne daß man darüber überhaupt Worte verlieren mußte und vielleicht sogar, der Kränkung des Lesers wegen, durfte, im Hinblick auf schwächere Potenzen. Aber ehe ich gleich untersuche, was deutsche Autoren bei ihren berühmten europäischen Kollegen abgeschrieben haben, frage ich exkursweise, woraus sich deren Zettelkästen denn speisten. 2.2.2 Exkurs in ihre Zettelkästen »Nous en avons une infinité d’exemples en toutes les histoires«: Bodin meinte, aus der Geschichte lernen zu können, vor allem aber suchte er, wie alle Publizisten190 des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, Orientierung bei den zeitlos wegweisenden Exempeln der antiken römischen Autoritäten. In Lateinschulen und an Universitäten mit Texten antiker Rhetoren und Geschichtsschreiber traktiert, sogen diese schreibenden Intellektuellen, Räte, Diplomaten mit der »lingua franca« der europäischen Gelehrtenrepublik zweifelsohne auch lateinische Argumenta189 Man darf das nicht pressen. Justus Lipsius las auch an deutschen Universitäten, aber seinen intellektuellen Horizont markierten nicht die Reichsgrenzen. – Kenner der Fürstenspiegelliteratur könnten Diego di Saavedra Fajardo vermissen: Ist doch eines seiner Embleme, nämlich »Symbolvm XCV«, mit »nevtri adhaerendvm« überschrieben. Die Ausführungen dazu füllen in der deutschsprachigen Ausgabe gut 15 Seiten (Abris Eines Christlich-Politischen Printzens, S. 1064–1079), sind aber für unser Thema nicht sehr ergiebig. Savoyen wird aus spezifischen Gründen ein neutraler Pufferstatus im Vorfeld Spaniens anempfohlen (darauf zielt die – in der deutschen Ausgabe ziemlich ungeschickt kopierte – Pictura, eine Landzunge zwischen zwei großen Meeren, die Spanien und Frankreich symbolisieren), auf daß Frankreich nicht in den Besitz jener »vestungen« komme, »welche die Eingäng in Italien über das gebirg verhinderen« (S. 1066) – der zeitgenössische Bezug ist eine Dekade nach dem Mantuanischen Erbfolgestreit unverkennbar. Eigentlich und generell gesprochen aber sei Neutralität, so Saavedra, eine gefährliche politische Option, »die vnparteisch sein wollen, die kommen gemeiniglich in grossen schaden« (S. 1071). Tatsächlich geht es dem Kapitel weniger um Neutralitätspolitik, ungleich wortreicher malt es die Segnungen einer spanischen Schutzherrschaft über die italienische Kleinstaatenwelt aus. Spanisches Wesen frommt der Apenninhalbinsel viel besser als französische Tücke, wofür sogar die Klimatheorie strapaziert wird. 190 Natürlich prunken Pamphlete, die sich populär geben, nicht so penetrant wie gelehrte Traktate mit antiken Autoren. Daß man dort grundsätzlich viel für die Gegenwart lernen konnte, war indes auch ihnen unstrittig, »es bezeugen die Griechische und Römische Historien, wie ehrlich vnnd rühmlich der jenigen gedacht wird«, die mannhaft Position beziehen anstatt sich neutral herauszuhalten: [anonym], Traw, Schaw, Wem, S. 22.

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tionsmuster und Denkweisen auf, ohne, daß wir quantifizieren könnten, wie sehr das die Perzeption der politischen Verhältnisse ihrer eigenen Gegenwart geprägt hat. Naiv, anzunehmen, die Lektüre der lateinischen Klassiker habe ›nur‹ die Sprachkompetenz der Eleven vermehrt! Schon im Zuge des juristischen oder theologischen Studiums darauf geeicht, sich zeitlos mustergültiges Bildungsgut exzerpierend anzueignen und entsprechende Zettelkästen anzulegen, breiteten vormoderne Autoren auf allen Stilebenen und zu allen Themen zahllose vermeintlich schlagende antike Exempel aus. Was in den Augen eines modernen Lesers davon ablenkt, was uns der Autor ›eigentlich‹ sagen will, eine konzentrierte Beschäftigung mit dem argumentativen Gerüst der Arbeit nur unnötig erschwert, verbürgte damals dessen Validität. In einer Zeit, die Tradition und Autorität vor Originalität stellte, erwarteten und verlangten die Leser solche Nachweise gediegener Kenntnis der Autoritäten. Nun belegt nicht jede lateinische Sentenz tiefe gedankliche Abhängigkeit, denn man brach aus dem von den Humanisten wieder freigelegten Steinbruch auch gern einzelne Zitate heraus, um Belesenheit hervorzukehren (oder vorzugaukeln), einen Gedankengang hübsch zu garnieren. Aber es wäre doch – erneut sei es gesagt – naiv, anzunehmen, die vormodernen Publizisten wären beim Lesen, Exzerpieren, Weiterverwerten antiker Texte gar nicht von deren Geist imprägniert worden! Jedenfalls glaubte man bei den antiken Autoren auch manches zu finden, was über den Nutzen der Neutralität Auskunft gebe. Wollen wir die Zitate kontextualisieren, die in keiner, aber auch wirklich keiner Abhandlung zum Thema fehlen, müssen wir zur Römischen Geschichte des Livius greifen. In zweien jener fingierten Reden, aus denen sich seine ganze »Geschichte« aufbaut, verdammt dieser Autor die Absicht, sich aus einem bestimmten Konflikt herauszuhalten191, anstatt dem aufstrebenden römischen Imperium beizuspringen. Adressat beider Reden sind Bundesversammlungen der Achäer. Die erste fand im Jahr 198 vor Christus statt, die heute gängigen Editionen plazieren in Buch XXXII, Kapitel 21. Ein gewisser Aristainos versucht die Zuhörer aufzurütteln, sie hätten den Römern gegen König Philipp IV. von Makedonien beizuspringen – was ihnen von anderer Seite als Ausweg angeraten werde, um nicht zu den Waffen greifen zu müssen, sei kein solcher und auch kein Mittelweg, sondern gar keiner, außerdem mache man sich, klare Parteinahme verweigernd, zur Beute des Siegers. Um die in neuzeitlichen Texten dutzendfach begegnenden Schlüsselzitate lateinisch zu geben: »ea non media, sed nulla via est«, »praeda victoris«. Sechs Jahre später versammeln sich die Achäer erneut, die Editionen unserer althistorischen Institute bieten es in Buch XXXV, Kapitel 49. Ein Emissär des Seleukiden Antiochos III. will den 191 Es wurde schon begründet, warum der Neuzeithistoriker hier nicht von Neutralität sprechen wird: siehe S. 387 mit Anm. 128.

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Achäern weismachen, sie hielten sich beim Kampf seines Auftraggebers und der Ätoler gegen die Römer am besten heraus. Dieses unverantwortliche Gerede weist anschließend der Vertreter Roms, ein Titus Quinctius, in die Schranken: Seine Zuhörer müßten sich an die Römer halten; nur zuzuschauen, verstieße gegen ihre wohlverstandenen Interessen, sie machten sich dadurch unbeliebt und wenig geachtet, ja, zur Beute des Siegers – um die in der Frühen Neuzeit dutzendfach zitierten Worte erneut lateinisch anzuführen: »sine gratia, sine dignitate praemium victoris eritis«. »Sine dignitate«: Neutralität192 (auf sie eben applizierte man ja um und nach 1600 die von Livius erfundene Rede!) war nicht nur unklug, das sowieso, sie war ferner unehrenhaft. Kannten Publizisten des 16. und 17. Jahrhunderts ihren Livius, ihren Tacitus? Oder griffen sie zu arrangierenden, glossierenden, kommentierenden Aufarbeitungen, zu Kompendien und Florilegien? In den Traktaten und Flugschriften begegnen Verweise auf Livius, Tacitus, Cicero193, nicht, beispielsweise, auf Janus Gruter. Ob man sich verstohlen trotzdem bei ihm bedient hat? Seine »Discursus politici in C. Corn. Tacitus, et notae maxima ex parte politicae in T. Liv. Patavinum historicorum principes«194 bieten zu »Tacitus libro II. Histor. cap. XVIII«195 Erörterungen dieses Themas: »Neutrales mediosque, ab utraque parte male accipi necesse est«. Einleitend führt Janus Gruter aus, daß Solon Neutralität im Bürgerkrieg verboten habe, es folgen diese beiden Vorabsentenzen: »Qui non est ini192 Natürlich verwendet Livius diesen Terminus nicht. Die Antike brachte das sich-Heraushalten bei militärischen Konflikten anderer nicht auf den Begriff. 193 Es gibt vereinzelte Gegenbeispiele. Martin Mager von Schönberg, De advocatia armata sive clientelari Patronorum iure et potestate, clientumque officio, vulgo Schutz und Schirmsgerechtigkeit dicto ..., Frankfurt 1625, S. 284f. (seine Ausführungen zur Neutralität lernen wir gleich noch kennen) nennt als Quelle für seinen Ratschlag, Neutralität eher zu meiden, an zweiter Stelle, nach Bodin: »Gruterus ... disc. ad Tacit.« Georg Schröder, De Neutralitate Bono Deo praeside Henrico Rudolpho Redekern, Profess. Juris Ordinario, Rostock 1659 (auch zu dieser Dissertation gleich mehr), Abschnitt Nr. 15 schreibt: »omne medium hic in vitio ponitur, et omne extremum laudabile est[:] Forstner. in Tac.p.249«, vgl. auch ebda. Abschnitt Nr. 57. Vitriarius, Institutiones, S. 520, Marginalie: »Forstn. ad Tac.« – Rekurse auf den 1662 vorgelegten Tacitus-Kommentar von Christoph Forstner. Ich gehe unten in Kapitel C.2.4.5 kurz auf ein Forstner-Zitat ein. 194 Ich benützte eine 1679, also mehr als fünf Jahrzehnte nach Gruytères Tod, in Leipzig veröffentlichte Ausgabe, was auch etwas über den langfristigen Erfolg der »Discursus« aussagt. – Was Tacitus-Aufarbeitungen vermeintlich zur Neutralität zu entnehmen war, verdient schon deshalb Interesse, weil Tacitus ja seit dem späten 16. Jahrhundert neben und vor einigen anderen kaiserzeitlichen Autoren (wie Seneca: »Neustoizismus«) verstärkt Interesse fand, was mit einem relativen Bedeutungsverlust Ciceros einherging und von manchen Historikern bekanntlich sogar als »Tacitismus« rubriziert wird. 195 Man findet in modernen Editionen der Historien des Tacitus in Buch II Kapitel 18 keine Passagen, die Janus Gruter zum Anlaß für seine Ausführungen zur Neutralität hätte nehmen können: Es wurde eben damals anders durchnumeriert. Zum Folgenden: Janus Gruter, Discursus, S. 344–353.

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micus inimici mei, statim etiam putatur inimicus.« Sodann: beide Kriegsparteien pflegen die »medios se gerentes ... male« zu traktieren. Diesen prominent herausgehobenen Weisheiten schließt sich eine lange Aneinanderreihung antiker Textsplitter an, die Abseitsstehen in diesem oder jenem (häufig inneren) Krieg ablehnen oder skeptisch kommentieren. Wer solche Zitate auf seine Zettelkästen schrieb und dabei auf die neuzeitliche Denkfigur der »neutralité« oder »neutralitet« bezog, war anschließend, etwaiger aktueller Erfahrungen unerachtet, dieser politischen Option gegenüber nicht mehr unbefangen. Ob nun unmittelbar, ob durch solche Aufbereitungen vermittelt: Die Tugend- und Männlichkeitsideale der klassischen römischen Autoren haben sich zweifelsohne (in nicht genau zu veranschlagendem Ausmaß) in der Publizistik des 16. und 17. Jahrhunderts ausgewirkt, auch und gerade, wenn sich diese wertend dazu äußerte, daß da einer an einem Krieg lieber nicht teilnahm. Wenn eine neutralitätsrechtliche Abhandlung von 1746 höhnt, daß »Grund-Sätze ... durch Exempel nicht erwiesen« würden196, gehört das mentalitätsgeschichtlich wie neutralitätsgeschichtlich einer neuen Ära an: Die Orientierungswirkung der Exempel aus »guter, alter« Zeit für eine vermeintlich fortschrittslose, allenfalls absinkende Menschheitsgeschichte verblaßt, man glaubt nun an Besserung, beispielsweise – besonders, wenn man Jurist ist – durch Vorschriften und papierne »Grund-Sätze«. Wenn die Fakten nicht zum Jus passen, umso schlimmer für erstere!197 Der Glaube an die Geschichte wird – um es bis zur Simplifizierung zuzuspitzen – abgelöst durch den Glauben an Mach- und Planbarkeit. Was das für die »neutralitet« bedeutet haben könnte, muß aber Kapitel C.3 ausloten. 2.2.3 Die deutsche Politikwissenschaft Seit der Jahrhundertwende mehren sich deutsche Stimmen zum Thema. Die im Umfeld italienischer Regierungszentralen verschriftlichten Interessenkalküle erreichten Mitteleuropa und wurden nun von den dort diskursprägenden uni196 [Anonym], Des G. K. R. V. Rechtliches Bedencken, über die Natur, Eigenschafften und Würckungen der Neutralität, auch unterschiedene daraus fließende besondere Fragen, Frankfurt/Leipzig 1746, S. 24. 197 Wenigstens anmerkungsweise sei die ganze Schlußpassage der soeben genannten Schrift zitiert: »Vorhergehende Fragen mit historischen Exempeln zu erläutern, hat die Zeit nicht zulassen wollen, ist auch nicht unumgänglich vonnöthen. Grund-Sätze werden durch Exempel nicht erwiesen, wohl aber müssen diese aus jenen untersuchet werden: Zudem sind solche Exempel, wo die richtigen Principia in allen Stücken beobachtet worden, ziemlich seltsam«, also selten. »Gemeiniglich läuft bey selbigen via juris et facti zusammen, und man muß immer auf der Huth seyn, daß deren Anführung nicht auf einer Seite so viel niederreisse, als auf einer andern damit gebauet worden.«

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versitären Gelehrtenmilieus aufgenommen – modesprachlich könnte man von »Kulturtransfer« sprechen. Eine 1601 in Hannover veröffentlichte Abhandlung über außenpolitische Bündnisse198 verweist in ihrer Neutralitätspassage gleich zweimal auf Botero, von dem »haec materia difficilis« (ein Neutralitätstopos!) besser beherrscht werde, »periculosum est quicquam certi definire«.199 Unsicher ist sich »Waremundus de Erenberg« in der politischen Bewertung der Neutralität freilich gar nicht, »mediam enim in huiusmodi rebus qui monstrat viam, nullam certe monstrat, in quam pedem figere liceat«. Aber warum? Individuelle, gar originelle Begründungen finden wir nicht. Wir finden überhaupt nichts Neues, stoßen auf die üblichen antiken Zitate (»mediam viam nullam esse«, »praeda victoris«) und zeitlosen Topoi (»nunquam enim bonum fuit ... duabus anchoris niti«). Wer sich neutral heraushalten will, folgt dem Lehrmeister der Dummen (»stultorum«). Über eine heutzutage nur kurios anmutende Amalgamierung von Werten und Kräftekalkül (»junge ... te cum meliore, et, si licet, parte potentiore, vel cum eo, qui Deum socium habet«) werden wir in ähnlichen Worten bei anderen Autoren immer wieder stolpern: Wir merken wieder einmal, daß Elemente der spätantik-mittelalterlichen Bellum-iustum-Doktrin hartnäckig weiterwirkten, es war weiter oben schon unser Thema; wie andererseits ein späteres Kapitel noch konzentriert danach fragen muß, was das für die Akzeptanz der Neutralität bedeutet hat.200 Hier dürfen wir zunächst einmal festhalten, daß »Waremundus de Erenberg« Neutralität in kräftigen Worten als unklug geißelt. Seine Topoirevue mündet in dieses Resümee: »Medium hac in re, vti dixi, tenere, non est tutum vel beatum, sed periculosissimum, et miserrimum.« Eingesetzt hatte er, neben der Marginalie »Neutralitatem fugiendam«, so: »prudens princeps ... eam fugere debet«. »Prudens princeps, quantum fieri potest, eam fugere debet«, findet eine von zwei die Neutralität mitbehandelnden »Disputationes«, die Philipp Heinrich Hoenonius, ein recht typischer Vertreter der frühen deutschen Politikwissenschaft201, veröffentlichen ließ: Man kannte und las einander. »De confoederatione rerumpublicarum« handelnd, fragt unser Autor: Wenn zwei benachbarte Fürsten 198 Zum Folgenden: »Waremundus de Erenberg«, Meditamenta pro foederibus. Autor ist Eberhard von Weyhe, »zunächst Professor in Wittenberg«, dann »ein Mann der Verwaltungspraxis und der diplomatischen Missionen«: Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1, S. 189. Nach Stolleis handelt es sich um die »erste wichtige Monographie zum Bündniswesen«, er unterstreicht das »Ansehen des Werkes«, das nun jahrzehntelang ständig zitiert werde. 199 Ebda., S. 270. Das Folgende ebda., S. 267ff. 200 Vgl. einerseits Kapitel A.1 und A.2 (zumal A.2.1.1), andererseits Kapitel C.6.2. 201 Horst Dreitzel zählt den Herborner unter rund zwei Handvoll führender Autoren auf diesem Gebiet: Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat. Die »Politica« des Henning Arnisaeus (ca. 1575–1636), Wiesbaden 1970, S. 10.

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oder »civitates potentes« Krieg miteinander führen, »praestat alterum horum, quàm neutrarum partium duces sequi? Prius affirmamus«, und zwar – wieder diese eigentümliche Verschränkung der Maßstäbe! ­– »si pares potentiâ, meliori; si dispares, potiori«. Es folgen auch hier die üblichen Topoi, nichtige Mittelstraße, Beute des Siegers, zwei Achseln und drei Stockwerke202, »viriliter potiùs pugnare debemus, quàm turpiter perire«, und, natürlich: »haec materia difficilis est«.203 Suspekt, aber doch geläufig: dieser eigenartige Lektüreeindruck stellt sich ein. Die Denkfigur »Neutralität« wurde von den frühen deutschen Politologen nicht goutiert, war ihnen aber vertraut. Der Terminus gehörte im frühen 17. Jahrhundert zum aktiven Wortschatz des Gebildeten, was wir weiter unten auch politischen Akten ablesen werden. In diesen Akten wird die »neutralitet« seit 1619 geradezu grassieren; und auch zu diesem Befund paßt, daß just 1620 die erste ausführliche Monographie zum Thema erschien: ein Traktat über »Neutralitet und Assistentz« in »KriegsZeiten«.204 Auf Latein (und deutlich weniger Seiten) werden sich später noch viele Mitteleuropäer monographisch »de neutralitate« auslassen, aber 1620 wurde nicht nur die erste, meines Wissens auch die einzige deutschsprachige Spezialabhandlung über die »neutralitet« vorgelegt. 202 Der Neutrale bewohnte das fatale mittlere, vgl. zu all diesen Topoi konzentriert unten Kapitel C.4. 203 Hoenonius, Disputatio XIII, thesis 38, S. 582f. Philipp Heinrich Hoenonius, Disputatio politica VII. De administratione bellicâ, in: ders., Disputationum politicarum liber unus, 3. Aufl. Herborn 1615, S. 382 zielt auf den Bürgerkrieg, »si causa alterutrius partis in bello civili bona sit, debet se adjungere vir illustris et clarus bonae parti, neque manere neutralis«. Dieser Feststellung schließen sich die gängigen Gemeinplätze zur ›normalen‹ Neutralität im Krieg an, die nicht schütze, nur Feinde schaffe usw. 204 Vgl. Johann Wilhelm Neumayr von Ramsla, Von der Neutralitet und Assistentz oder Unpartheyligkeit und Partheyligkeit in KriegsZeiten sonder­barer Tractat oder Handlung, Erfurt 1620. Der Autor wird auf dem Titelblatt »Johan Wilhelm New­mayr von Ramsla« geschrieben, das von mir in Tübingen eingesehene Exemplar war unpag., weshalb ich im Folgenden immer das einschlägige Kapitel nenne; eine pag. erweiterte Neuausgabe (»Von der Neutralitet und Assistentz in Kriegszeiten«) er­schien 1631 in Jena, andere Bibliotheken besitzen weitere Ausgaben: Es handelte sich offensichtlich um einen immer wieder aufgelegten Bestseller! Ich verzichte hier sowohl auf eine vollständige Reihung aller erhaltenen Ausgaben als auch auf eine umfassende Würdigung dieser Abhandlung, die schon wegen ihrer Wirkungsgeschichte, allen analytischen Schwächen zum Trotz, eine eigenständige Veröffentlichung verdient hätte. In ihr wäre dann auch herauszuarbeiten, inwiefern Neumayr auf die Böhmenpolitik der wettinischen Höfe einwirken wollte – mir scheint evident, daß er hier aktuelle Nebengedanken ver­focht, doch braucht auch das im Rahmen dieser Studie zu den Akzeptanzproblemen der vormodernen Neutralität nicht näher zu interessieren; einige Bemerkungen dennoch unten in Fußnote 218. Übrigens macht Neumayr aus dem aktuellen Anlaß gar keinen Hehl, im Vorwort der Erstausgabe heißt es, der Böhmische Aufstand animiere manche zur Parteinahme, andere zum »still sitzen und zusehen«, wieder andere zweifelten noch, ob sie »neutral« bleiben sollten. Hier will der Autor Orientierung schaffen.

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Das heißt, wenn wir unsere quantitativen wie qualitativen Ansprüche stark herabsetzen, gibt es einen Vorläufer: ein anonymes Broschürlein »von der Neutralitet«, das weder den Druckort noch das Jahr seiner Veröffentlichung nennt.205 Der Autor scheint, soweit die Dürftigkeit seiner Ausführungen solche Vermutungen überhaupt erlaubt, Bodin gekannt zu haben und Neumayr noch nicht, also dürfen wir seinen in der Tat »kurtzen Bericht« um 1600 datieren. Immerhin bietet das armselige Heftchen gleich mehrere Superlative: Es ist gänzlich amoralisch, in seltener Konsequenz rein politologisch; es ist untypischerweise insgesamt (so wir die zerfahrenen Gedankensplitter überhaupt zusammenreimen können) nicht neutralitätsskeptisch; und von allen gedruckten Einlassungen zum Thema, die ich kenne, die intellektuell dürftigste. Nach einer Kurzdefinition von Neutralität und der Beteuerung, von einem überaus dornigen Thema zu handeln (»dann ich mich nicht weis zu erjnnern, das ich hieuon bey den alten Scribenten jemahls etwas gefunden oder gelesen habe«), ordnet sich der Autor programmatisch selbst der neuen Staatsklugheitsliteratur zu: Richtschnur aller Fürsten, doziert er nämlich, sei der »nutz«, sei die »Nutzbarkeyt«. Nach diesem Bekenntnis zu einem »realistischen« Politikverständnis (wie wir heute formulieren würden) erklärt der Verfasser, er wolle nun, »was Gutes oder Böses auß der Neutralitet erfolge ... gegeneinander stellen«. Kommen also doch Wertmaßstäbe ins Spiel? Nein, der Autor hat nur wenig geschickt formuliert, mit »gut« meint er nützlich, »böse« ist, was dem Staatswesen schadet. Es gibt nur ein Pro-Argument, seinetwegen dürfen wir mutmaßen, daß der Autor wohl Bodin gelesen hat: »Erstlich, so wird der, so sich Vnparteyisch verhelt, von beyden widerwertigen Partheyen respectirt vnd hoch angesehen: Dieweil jeder besorget, er möchte sich zum Gegentheil schlagen. Hiedurch ist [er] gleichsam als ein Scheidesman zwischen jhnen, vnd dabey sein selbs eigener Herr vnd Meister«. Das Heftchen ist so dünn, daß ich auch den Fortgang der Argumentation wörtlich geben kann: »Das vngemach aber, so auß der Neutralitet erfolget, kan auß hernach gesetzten stücken vernommen werden. Der Neutralis, lädet beyderseits vnwillen auff sich, vnd machet, daß sie jhme allzumahl heimlich feind werden.« Das nun belegen lauter altlateinische Zitate (»praeda victoris«, »neque amicos ...« usw.), alle Illustrationen des Contra-Arguments haben jene »alten Scribenten« geliefert, bei denen der Autor angeblich gar nicht fündig geworden war! Er kommt dann schon zur Conclusio, die sich keinesfalls kondludent seinen ›Argumenten‹ anfügt: Wer »mechtig vnd starck ist, bedarff in diesem Handel nicht so viel Rhates vnd langes bedenckens«206, ihm stehen sowieso alle Optio205 Zum Folgenden: [anonym], Von der Neutralitet, Das ist Vnpartheyligkeit, kurtzer Bericht, o. O. o. J. Vgl. zu dem Schriftchen noch unten S. 701 mit Anm. 8. 206 Diese deutliche Unterscheidung zwischen Starken und Mindermächtigen im Hinblick aufs Neutralitätsthema ist an sich nicht typisch für die frühen »deutschen« politologischen Ar-

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nen offen und er hätte das Broschürlein gar nicht zu lesen brauchen. Nein, das schmalbrüstige Heftlein soll demjenigen helfen, der nicht stark auf der Brust ist. Was soll der im Kriegsfall tun? Wenig tröstlich seufzt der Autor zunächst einmal: »Nicht bald ist eine Frage, die schwerer auffzulösen, als eben diese«! Der Ratlose weiß dann aber doch Rat: »Halte ichs in gemein dafür es sey besser, das ein geringer schlechter Fürst sich vnpartheyisch verhalte, als daß er sich entschliesse vnd erkläre: Doch mit diesem anhang, Daß die benachbarte Herrn, so wieder einander kriegen, nicht sein gantz vnd gar vnfreundlich, grob, barbarisch, vnd deß guten Namens vnd der Ehre geschworne vnd abgesagte Feinde«. Also, Neutralität ist eine gute Option speziell für Schwache, freilich nur, wenn die Kriegsparteien »etwas freundlich tugendhafft vnd fromb, oder Gottesfürchtig sind«, womit denn durch die Hintertür überraschenderweise doch wieder Moral und Frömmigkeit ins Spiel kommen. Wohl dem, der »freundliche« Nachbarn hat, denen Tugend frommt! Man muß bei so viel intellektueller Unbeholfenheit schmunzeln. Freilich, der Autor hätte schon gern ein Stück moderner politologischer Literatur geliefert (so er nur gekonnt hätte), wie sein allerletzter Ratschlag zeigt: Wenn man es doch mit einer Seite halten muß, dann mit der stärkeren; bei geringem Machtgefälle ist auch die geographische Nähe der beiden Kriegsparteien eine Entscheidungshilfe. Sollen wir das als erste deutschsprachige Monographie zum Thema Neutralität durchgehen lassen? Es ist wohl Definitionssache – erwarten wir von einer Monographie, daß sie wie einfältig auch immer ihrem einen Thema nachgeht, oder sollte dieses eine Thema auch einigermaßen erschöpfend behandelt sein? Jedenfalls nach quantitativen Gesichtspunkten enthebt uns die voluminöse Neutralitätsschrift Neumayrs solcher Skrupel. Es bleibt wohl dabei: Neumayr hat die erste und einzige deutschsprachige Monographie zum Thema geschrieben. Johann Wilhelm Neumayr von Ramsla207 ist ein heute vergessener Vielschreiber, seine lesenswerten Reiseberichte habe ich an anderer Stelle analysiert.208 Die Neutralitätsschrift überzeugt an sich weniger: Die analytische Kraft des Autors ist gering, seine dem Leser geradezu endlos vorkommenden Listen von Gründen für dies und das sind Sammelsu­rien des Inkommensurablen – für Neutralität beiten – es wurde schon erwähnt. Aber auch unser Autor hat ja ausdrücklich (das explizieren die meisten Kollegen nur erst gar nicht) weniger Mächtige (nämlich Reichsstände) im Visier. 207 Was wir über sein Leben wissen, bietet Ernst Reibstein, Neumayr von Ramsla als Völkerrechtsautor, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 14 (1951/52), S. 127 Anm. 3. Daß Reibstein Neumayr als »Völkerrechtsautor« mit »juristisch bemerkenswerten« Ausführungen würdigt, ist meines Erachtens verfehlt, wie wir gleich noch sehen werden. Reibstein spannt die von ihm passim erwähnte Neutralitätsstudie in einen ganz falschen Rahmen. 208 Vgl. Gotthard, In der Ferne, Kapitel 3 passim.

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beispielsweise werden, auf einer Ebene und ohne jeden Versuch, zu sortieren, so konkrete Dinge wie vertragliche Verpflichtungen ins Feld geführt, aber auch, »daß einem die Vernunfft selbst lehret, auch gleichsam die Natur dahin treibet« oder daß man zur Neutralität »persuadiret« worden sei ... Besagte Auflistungen werden mit dem zeittypischen Wust von Exempeln aus der klassischen Antike ›belegt‹, tatsächlich garniert, nur wenige aktuelle Aspekte klingen an – so, wenn der Autor die böhmischen Lehen verschiedener protestantischer Reichsstände209 als Motiv für Neutralität trotz eigentlicher geschuldeter evangelischer Glaubenssolidarität unwiderspro­chen anführt, also wohl akzeptiert.210 Es könnte frappieren, daß da auf rund 200 Seiten – überhaupt kein Neutralitätsrecht geboten wird!211 Der Au­tor fragt nach Pro und Contra neutralen Ver­haltens, er bietet keine brauchbaren Definitionen für »neutralitet«, bestimmt nicht ihre juristische Sub­stanz, die sie ausfüllenden oder daraus fließenden Rechte und Pflichten. Auch wenn im letzten Abschnitt floskelhaft »Vernunfft« und »Natur« zitiert wurden, spricht nichts dafür, daß Neumayr mit den damals aktuellen naturrechtlichen Diskursen vertraut gewesen ist. Doch kennt er die »Historie« und ihre zeitlos gültigen Exempel, wie sie Thukydides, Livius, Cicero, Tacitus, Augustinus, natürlich auch Machiavelli oder Botero tradierten. Er argumentiert historisch und politisch, nicht juristisch. Kein Neutralitätsrecht also – das ist bezeichnend und, wie wir noch sehen werden, zeittypisch. Hier interessiert mehr, daß Neumayr seinem Sujet, der »neutralitet«, auffallend skeptisch gegenübersteht. Zwar ist er gar nicht so leicht an seiner Meinung zu packen, wird doch alles auf Autoritäten zurückgeführt, die Neumayr, ganz traditionsbewußter Arrangeur, in endloser Reihung aufmarschieren läßt, anstatt etwa ungeschützt selbst zu uns zu sprechen. Nachdem er eine anspruchslose Aufgliederung des Problembereichs »Neutralitet« in einige wenige Segmente vorgenommen hat212, läßt er hierzu, wie wir das ja auch aus den zeitgenössischen Akten kennen213, 209 Sie haben damals in der Tat am einen und anderen Unionshof Kopfzerbrechen bereitet, vgl. dazu Gotthard, Konfession und Staatsräson, S. 319 et passim. 210 Vgl. Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel I. 211 Auf die zerstreuten Halbsätze, die man mit einiger Mühe zusammensuchen kann, geht Kapitel C.2.4.1 noch ein. Ein kohärentes Neutralitätsrecht läßt sich aus den wenigen ›rechtsfähigen‹ Splittern nicht zusammensetzen. 212 Man könnte hier vielleicht mit viel gutem Willen eine Prise Ramismus ausmachen. Eigentlich fließt die Darstellungsart Neumayrs freilich aus viel älteren, letztlich scholastischen (ihm aber mutmaßlich durch die solche Pro- und Contra-Aufstellungen liebenden Humanisten vermittelten) Wurzeln, man mag sie »probabilistisch« nennen. 213 Gutachten der Hofräte zu beliebigen außenpolitischen Themen dieser Jahrzehnte kommen grundsätzlich so daher: Pro-Argumente, Contra-Argumente, scheinbare Abgeklärtheit der Verfasser in distanzierter Pose bzw. demonstrative Bescheidenheit – man ist dem köstlichen Intellekt des fürstlichen Adressaten ja keinesfalls gewachsen. Doch zeigt zumeist schon der jeweilige Textumfang, wohin die Reise tatsächlich zu gehen hat: Noch der einfältigste Tropf

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jeweils zuerst alle erreichbaren Pro-Argumente, danach die Contras paradieren. An mehreren Stellen gibt er freilich die Pose des Gründe und Gegen­gründe auflistenden unparteiischen Gelehrten auf, stets auf Kosten der Neutralität. So schon in der Vorrede: Eine gründliche Abwägung der verschie­denen Haltungen bringt an den Tag214, daß, wer aktiv teilnimmt anstatt stillzusitzen, »das beste Mittel ergriffen, und demnach in seinem Fürsatz den andern für zu ziehen sey«. Er sei »mehr lobens werth« als der Neutrale, überhaupt gelte: »Ein Fürst erlanget ihm reputation und anse­hen, wann er in Krieg­zeiten sehen lest, daß er entweder Freund oder Feind sey«. Man könnte einwenden, daß diese – natürlich von Machiavellis »Principe« inspirierten – Passagen an den Anlaß für den ganzen Traktat, also den Böhmischen Aufstand anknüpfen, daß erwogen wird, was »zuförderst in innerlichen Kriegen« (heißt immerhin: nicht nur da!) zu beachten sei, und daß der Autor auch im Hauptteil bei Bürgerkriegen »Assistentz« zwingend vorschreibt, während er sich bei anderen Kriegen (meist) mit eigenen Urteilen zurückhält – dennoch, es ist nun einmal die Vorrede, also eine pro­minente Stelle des Buches, an der der Autor den Leser gleich voreingenommen macht. Überhaupt habe der Autor seinen Traktat deshalb verfaßt, weil die Frage nach Neutralität oder Parteinahme »bey Fürsten, welche von zweyen widerwertigen Partheyen zu gleich [!] umb assistentz und Beystandt angelangt werden, allerhand zweiffel und nachdencken, zuerwecken pfleget« – in anderen Fällen hielt Neumayr die Vorzüge der »Assistentz« also offenbar für sowieso evident! Kapitel VII weiß denn auch, daß es »offt« vorkomme, »daß der eine Theil einen ersuchet, Er sol sich in den Krieg gantz vnd gar nicht mischen, sondern still sitzen, vnd sich neutral halten. Der ander aber, Er sol nicht neutral bleiben, sondern jhme assistiren vnd beystehen: Auff solchen fall sol man dem Theil, welcher assistentz begehret, sich zum besten erklären. Dann man helt dafür, Der jenige, so von dir begehret, du sollest neutral bleiben, meine es nicht gut mit dir, sey dein Feind, vnd suche dein Verderben: Der aber deine assistentz haben wil, sey dein wahrer Freund, vnnd meine es gantz trewlich mit dir, vnd wolle dich auß der Gefahr retten.«215 Ansonsten ist die Parteinahme des Autors (außer im Kapitel über Bürgerkriege) im Hauptteil nicht so deutlich, freilich, sprechen für die Neutralität allerlei Nützlichkeitsgesichtspunkte, wird der Duktus bei der »Assistentz« blumiger: »Dann die assistentz bringt« dem Fürsten »nicht alleine reputation und ansehen, Sondern man kan auch darauß sein Tapffer unerschrocken Gemüth abnehmen«. Es sei, »wann man sich offenbahrlichen, ohne einigen respect, vor eines Feind auf dem Fürstenstuhl mußte kapieren, was die einzig vernünftige Entscheidung war, noch der eingebildetste dabei die Genugtuung verspüren, selbst entschieden zu haben. 214 Bei gründlichem Nachdenken »scheinet ...«, schreibt der Autor, aber der Kontext macht klar, daß hier nicht »an­scheinend« gemeint ist, sondern: wird offenbar, kommt ans Tageslicht. Die folgende Kursivsetzung stammt von mir. 215 Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel VII.

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oder Beystand erklähret, das gewisseste Zeichen eines recht Heroischen edlen Hertzen«.216 Beim »Bel­lum civile« urteilt auch der Hauptteil ganz eindeutig: »Es will doch gar nicht zu rahten seyn, daß man in einem inner­lichen Kriege sich neutral halten ... wolle«.217 Das postulierend, schielte Neumayr zweifelsohne nach Böhmen218, freilich, die kaiserlich-katholische Seite wird ja den ganzen Dreißigjäh­rigen Krieg so interpretieren: als »inneren« Krieg, der die Schar der Treulosen und Rebellen zum Gehorsam ihrem Reichsoberhaupt gegenüber zurückzwingen sollte. Für diese Studie noch interessanter als die persönliche Haltung Neumayrs zur »Neutralitet« – die er ja, wie gesagt, auch nur gelegentlich hinter geschlossenem Visier hervorblinken läßt – sind die zeitüblichen Vorurteile, die er ausbreitet, meist mit Wendungen anzeigt wie »helt man ins­gemein dafür«: »helt man dafür, daß die, so ... zuförderst in innerlichen Kriegen, still sitzen ... Ursach geben, daß der Krieg mehr fortgetrieben und erhalten, als demselben begegnet und abgeholffen werde«219; »und helt man in gemein dafür, daß sie«, nämlich die Neutralität, »voller Gefahr, unnd sehr schädlich sey: Neque amicos parere, neque inimicos tollere«. Oder: »werden auch die jenigen, die sich der neutralitet befleissigen, denen verglichen, welche in einem Hauß im Mittel sitzen, und andere ob und unter sich wohnen haben: Dann wie diese von den Untern mit Rauch, von den Obern aber mit Staub vielfeltig belestiget werden«.220 Es kann hier nicht annäherungsweise um Vollständigkeit gehen, zumal wir die gängigen, ausnahms216 Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel X. 217 Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel XII. Ich gehe auf die Ausführungen Neumayrs zum »Bellum civile« weiter unten noch etwas näher ein: S. 797ff. 218 Man darf ihm wohl unterstellen, daß er auch eine Intervention aus dem Reich dort gern gesehen hätte und daß ihm das Engagement der ernestinischen Herzöge, zumal Johann Ernsts von Sachsen-Weimar (das wenige, das wir hierüber wissen, bei Josef Polišenský, Die Universität Jena und der Aufstand der böhmischen Stände in den Jahren 1618–1620, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena/Thüringen 7 [1957/58], S. 443f.; vgl. übrigens auch oben S. 315 mit Anm. 95), in Böhmen nicht mißfallen hat. Neutralitet 1620, Kapitel XIII: »Ob nun wol beyder Rationen vnd Meinungen dermassen gegründet, daß ein Fürst fast zweiffeln möchte, Welchen Weg er hirunter am sichersten, vnd so viel er in seinem Gewissen am besten zuverantworten, wehlen solle: So lest sichs doch ansehen, als sey der Letzere [sic! also Parteinahme] dem Ersten vorzuziehen, vnd könne ein Fürst dergleichen beträngten Vnterthanen, ohne einig bedencken, assistiren vnd beystehen, vnd so viel mehr, Wann die Obrigkeit denselben die Freyheit des Gewissens, und übung jhrer Religion, vnd was solcher anhengig [Majestätsbrief in evangelischer Auslegung!], einmal nachgegeben ... Dann warumb soll man einem MitChristen in einem solchen Fall nicht assistiren, vnd jhn retten, wann mans thun kan, vnd die Mittel vnd den Nachdruck darzu hat?« Hier wird nun auch moralisiert, Gewissen substituiert Staatsräson. 219 Und: »derjenige ist allzeit mehr lobenswerth, welcher einen Krieg zu ende richten, als der denselben fovieren und befördern hilfft«! 220 Neumayr, Neutralitet 1620, die Zitate stehen in der Vorrede und in Kapitel IV.

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los abschätzigen Neutralitätstopoi noch in einem eigenen Kapitel inspizieren werden, hier verdient aber festgehalten zu werden, daß Neumayr keinen ausläßt und sie alle in beiläufiger Selbstverständlichkeit aneinanderreiht, so, als sei das alles jedem redlich denkenden und klugen Mann, ja, eben »insgemein« ohnedies bekannt. Andererseits hält noch die Ausgabe von 1631 den doch »insgemein« vertrauten Begriff für »unteutsch«, übrigens nennt sie als geläufige Synonyma so vorteilhafte Umschreibungen wie »Zwitter«, »wetterwendische Leut« und »untrew«.221 »Neque amicos parere«: Arbeiten, die die Nützlichkeit der politischen Option »neutralitet« vermessen, bauen aufs Axiom, daß Neutralität unbeliebt macht, kein Renommee besitzt – eben deshalb wird sie von den Mitakteuren so verdrossen nur akzeptiert, so schlecht entgolten, und hinterher nimmt sich des etwa vom Sieger gleich noch miteroberten neutralen Nachbarn keiner an, weil alle schadenfroh sind. Der Neutrale hatte eben den Anfangsverdacht moralischer Minderwertigkeit gegen sich. Politologische Arbeiten über die Neutralität mußten, wiewohl selbst nur sparsam moralisierend, das geringe Renommee neutralen Verhaltens einkalkulieren. Ruinierte dieses Renommee nicht die neutralitätsfeindliche Pamphletistik? Jedenfalls war die moralische Verworfenheit des Neutralen ihr großes Thema. Stehen politologische Erörterungen der Klugheit neutralen Verhaltens und theologische Aburteilungen tatsächlich so zusammenhanglos nebeneinander, wie die tiefe Kluft im Duktus solcher Arbeiten zunächst nahelegen könnte? Von polemischen Flugschriften ausgehend, haben wir uns diese Frage schon wiederholt gestellt; sie drängt sich auch in umgekehrter Blickrichtung auf. Regelrecht beweisen, sozusagen namhaft machen können wir den Einfluß der Pamphletistik auf die frühen Politologen freilich nicht, denn diese pflegten sich nicht auf anonyme Flugschriften zu berufen, brüsteten sich lieber mit Livius und Tacitus. Wie Neumayr alle ihm bekannten Autoren seit den alten Griechen auf vermeintliche Exempel hin ausbeutete, wurde er nun selbst generationenlang als herausragende Autorität auf dem Gebiet der »neutralitet« wieder und wieder zitiert. Doktoranden beriefen sich fortan auf »Johan Wilhelm Nevvmayr, cujus exquisitissimé elaborato studio saepe utimur«.222 Aber auch eine populär gehaltene Flugschrift von 1675 verweist, auf die Neutralität im Holländischen Krieg eingehend, in der Randmarginalie auf »Neumayr von Neutral und Assist«, das Kürzel reichte offensichtlich jedem Gebildeten.223 In Reygers »Thesaurus Iuris Civilis et Canonici« von 1704 steht gleich unter dem Stichwort »Nevtralitas«, ehe

221 Neumayr, Neutralitet 1631, S. 504. 222 Schröder, De Neutralitate, Abschnitt 19. 223 [Anonym], Nugae-somnia, S. 425.

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die Abhandlung dazu einsetzt, in eigenartiger Schreibweise: »Neumeur«.224 Noch ein Lexikon von 1767 nennt als – einzigen! – Gewährsmann beim Stichwort Neutralität Johann Wilhelm Neumayr von Ramsla.225 Er galt nun offensichtlich epochenübergreifend als die europäische Autorität zum Thema.226 Ein so produktiver wie für die frühen deutschen Bemühungen um die »Politica« typischer Autor, gleichsam von gediegenem repräsentativem Mittelmaß227, ist Christoph Besold. Weiß er auch über die Neutralität das damals Übliche? Am ausführlichsten228 geht er auf sie in einer »Dissertatio Politico-Juridica, de Foederum Jure« von 1622 ein.229 Erfrischend ist, daß er einmal nicht mit Livius, sondern einem aktuellen Krieg einsetzt, wir nennen ihn den Achtzigjährigen: Man konnte jüngst im Umfeld der Belgier und Holländer viele angebliche »Neutrales« sehen, moniert der Autor, diese Haltung sei einfach nicht auszurotten. »Prudenter tamen Principem, quantùm fieri potest, eam fugere omninò debere, Politici tradunt: Vehementerque falli putant eos«, die sich bei einem größeren Strauß in der Nachbarschaft neutral heraushalten wollten, denn »ea belli natura sit«, daß man denjenigen, der einen nicht unterstütze, für seinen Feind halte. Es folgen die üblichen Topoi, aus antiken Texten, aber auch Justus Lipsius gehört schon zur zitierenswerten »Tradition«. »Politici tradunt«, daß man Partei ergreifen muß, und zwar so, wie es für diese mitteleuropäischen Staatsklugheitslehren, die die Staatsräson beschwören230, ohne doch machiavellistisch sein zu wollen, typisch ist: bei gleicher Macht für den Gerechten, sonst für den Mächtigeren.231 Wiewohl 224 Arnoldus de Reyger, Thesaurus Iuris Civilis et Canonici locupletissimus, Bd. 2, Köln 1704, s. v. Nevtralitas. Ich danke für den Hinweis auf den »Thesaurus« Heinhard Steiger! 225 Vgl. unten Anm. 302. 226 Vgl. auch unten Anm. 295. 227 Das nicht unterschritten zu haben, ist bei rund 90 Büchern über juristische, historische, politologische, volkswirtschaftliche und theologische Themen auch eine Leistung! Als Hauptwerk gelten die »Politicorum Libri duo«, ich finde die von Bezold vorgelegten (meines Wissens von der modernen Forschung nicht beachteten) Abhandlungen »de natura populorum« besonders interessant: eine Fundgrube für vormoderne Auto- und Heterostereotypen! 228 Die »Politicorum Libri duo« boten dieselben Gedanken wie dann die »Dissertatio ... de Foederum Jure«, dieser Satz zieht die Summe: »Quamvis Neutralitas vix aboleri, et difficulter removeri possit, cùm pluribus sit utilis: Prudentem tamen Principem, quantùm fieri potest, eam fugere debere, Politici tradunt« – Christoph Besold, Politicorum Libri duo. Qvorvm primvs, reipublicae naturam et constitutionem ... absolvit: Alter vero, de republica in omnibus partibus gubernandâ ... tractat, Frankfurt 1618, S. 754. 229 Zum Folgenden: Christoph Besold, Dissertatio Politico-Juridica, de Foederum Jure: ubi in simul de Patrocinio et Clientela; ac item de Neutralitate disputatur succinctè, Straßburg 1622; dort das Schlußkapitel (S. 91–95). 230 Durchaus auch in diesem Kontext: Man muß stets darauf achten, ob nicht die Gefährdung des Nachbarn genauso die eigene ist, und ob »propter status rationem« nicht auch ohne vertragliche Verpflichtung Beistand angezeigt ist (S. 93). 231 »Si potentiâ sint pares, meliori; si dispares, potentiores nos accedere debere«: ebda., S. 92.

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doch angeblich eine »dissertatio politico-juridica« vorlegend, »de foederum jure« handelnd, gibt Besold kein Neutralitätsrecht. Ich darf die Ausgangsfrage auch deshalb eindeutig beantworten: Dieser Autor bietet das Typische. Er schließt mit einer Empfehlung der Schrift Neumayrs. Eigentlich könnten wir uns ausblenden, wir kennen nun die Ansichten der politologischen Pioniere im Reich. Es kommen keine neuen Gesichtspunkte hinzu, auch nicht bei Martin Mager von Schönberg, der auf die Neutralität 1625 im Rahmen einer Abhandlung über die »Schutz und Schirmsgerechtigkeit« zu sprechen kommt: Kann man die Gefahren, die von Kriegen mächtiger Nachbarn ausstrahlen, bannen, indem man einen zum »protectorem« erwählt, oder ist Neutralität anzuraten? Keine Facette der Antwort überrascht. Es ist »vtilius«, bei gleicher Macht »meliorem, et qui Deum socium habet«, andernfalls den Mächtigeren als »patronum« zu nehmen. Von Neutralität nämlich ist abzuraten, aus folgenden Gründen: Der Neutrale wird entweder während des Krieges zerrieben (»diuturnitate belli velut granum inter duos molares ... atteratur«) oder anschließend vom Sieger unterjocht; zweitens, »et hoc in aperto est«, schafft Neutralität keine Freunde; drittens ist Neutralität grundsätzlich unsicher (»neutralitatem seu mediam viam non esse tutam ... docemur«), was die gängigen Topoi und zahlreiche, hauptsächlich antike historische Exempel belegen.232 Wir können uns wirklich ausblenden, haben den Zeitraum der ersten Blüte politologischer Literatur in Mitteleuropa auch ausgeschritten. Wie können wir die Ansichten dieser Pioniere politischer Ordnungsstiftung zusammenfassen? Sie sind an Krieg und Frieden nicht zentral interessiert, gehen auf diesen Problemkomplex aber neben und nach dem vorrangigen Problem innerer Stabilisierung, innerer Befriedung schon ein, und in diesem Rahmen eben auch auf die Neutralität. Diese ist nicht des Teufels, aber unklug, was man nicht der Bibel abliest, sondern hauptsächlich altrömischen Autoren, was man dann aber rasch auch voneinander abschreibt – die ersten Publizisten, die die antiken Autoritäten beschwören, werden ja flugs selbst Autoritäten. Diese Autoritäten nun lehnen die Neutralität ab, aber nicht so vehement wie die Pamphletistik des Konfessionellen Zeitalters und aus anderen Gründen. Man könnte der vorliegenden Studie vorwerfen, sie habe die falsche Reihenfolge gewählt: Denn von der zuletzt behandelten politologischen Literatur aus betrachtet, kündet die davor analysierte Pamphletistik der Vorkriegszeit und des Dreißigjährigen Krieges von einem publizistischen Resakralisierungsschub. 232 Dennoch kann sich der Starke diese suspekte Haltung leisten, der Schwache, deshalb Verletzbare aber keinesfalls – hier wird dieser Gesichtspunkt doch wieder einmal aufgegriffen: Mager von Schönberg, De advocatia, S. 284f. Fast erübrigt sich der Hinweis, daß Mager von Schönberg von der Neutralität in seinem »Tractatus Juridico-Historico-Politicus« keinesfalls »juridice« handelt.

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2.2.4 Der Niederschlag in Dissertationen Nachdem die Wegbereiter einer umfassenden Betrachtung des Problems politischer Ordnungsstiftung auch, neben und nach vielen anderen Themen, die »neutralitas« hinreichend durchdekliniert hatten, taugte sie zum Schulthema. Es gab nun einen Wissensbestand, den man hin- und herschichten, abrufbare Autoritäten, mit denen man prunken konnte. Wir wissen, beispielsweise von Antje Oschmann233 und Michael Stolleis234, daß sich zahlreiche Disputationen der artistischen und juristischen Fakultäten des Reiches mit der »Kriegsrechtslehre« befaßten. Die Autoren sind zumeist lutherisch. Antje Oschmann hebt zu Recht hervor, daß solche Arbeiten »die allgemein anerkannten und akzeptierten Lehrmeinungen zum Thema« wiedergäben: »Sie sind ein Spiegel des landläufig im Reich geführten theoretischen Diskurses über Krieg.« Deshalb sollte diese Studie Disputationen zum Thema der »neutralitas« im Kriege nicht gänzlich übergehen, obwohl die einzelnen Traktate, für sich genommen, ausnahmslos mäßig interessant sind und, zum Teil auch aus sprachlichen Gründen235, keine erquickende Lektüre versprechen. Das Folgende versteht sich als kleine Tour d’horizon durch diese Textsorte, will aber mit Bedacht nirgends länger verweilen. Die wahrscheinlich erste »Disputatio«, die sich monographisch der Neutralität annimmt, von Johann Georg Koseritz, stammt noch aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges – wovon der Leser aber nichts merkt, wiewohl Koseritz doch eine »disputatio politica de neutralitate« vorgelegt haben will.236 Es handelt sich um ein in jeder Hinsicht bescheidenes Werkchen, das auf elf Seiten leidlich konzentriert um Nutzen und Frommen der »neutralitas« kreist. Koseritz setzt mit der Beobachtung ein, daß viele Neutralität für gänzlich237 unnütz hielten, was die gängigen negativen Topoi ›belegen‹. Doch gebe es auch einige, die der Neutralität »certis limitationibus et distinctionibus« Nutzen zusprächen: Botero, Besold, Bodin.238 Das Thema sei – das gehört zu den Neutralitätstopoi – schwierig, es gebe nicht eigentlich einen Forschungsstand, die einzige Monographie habe Neumayr 233 Vgl. Oschmann, Kriegsrechtslehre. 234 Vgl. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1, S. 193 et passim. Wenn Stolleis »eine Reihe deutscher juristischer Abhandlungen« anspricht, untertreibt er; Oschmann geht von »mindestens 250 Disputationen« zur »Kriegsrechtslehre« allein im 17. Jahrhundert auf Reichsboden aus, sie dürften freilich bisweilen auch von artistischen Fakultäten stammen. 235 Manche Autoren versuchen, keine Fehler zu machen, indem sie bewußt einfaches Latein wählen – was ihnen der heutige Leser nicht verübelt. Andere meinen, neben der Kenntnis der einschlägigen Autoritäten auch noch die Kenntnis möglichst entlegener exquisiter (pseudo)lateinischer Ausdrücke nachweisen zu müssen, die sie in nicht minder exquisiter Grammatik aneinanderreihen und aufeinandertürmen. 236 Und zwar 1638 in Wittenberg. 237 Omninò! («Multos id statuere, inutile omninò esse, eà de causâ ...«) 238 Koseritz, Disputatio, fol. A2.

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von Ramsla geschrieben. »Utilitas ratione Neutralitatis est, quod ... crescat eorum Regio, cum vicinorum interea deprimantur«239: der lachende Dritte also, was der Autor wohl bei Bodin aufgeschnappt hat. Die politischen Voraussetzungen für Neutralität umreißt er eng: Wer neutral bleiben will, muß den Kriegsparteien an »dignitas« wie an »potentia« überlegen sein; er schaut, was aus dem Strauß wird, und beendet ihn zu gegebener Zeit durch seinen Schiedsspruch, wie der hier ausdrücklich genannte Jean Bodin (man ist versucht, hinzuzufügen: in diesem Punkt schon damals nicht ganz auf der Höhe der Zeit) unter Rekurs auf päpstliche Schlichtung gezeigt habe.240 In zwei Hinsichten ist diese frühe Dissertation zum Thema zwar nicht eigentlich wegweisend (denn man wird sich weiterhin auf Bodin oder Neumayr, nicht auf Johann Georg Koseritz berufen), aber doch gattungstypisch: Sie untersucht die »utilitas« neutralen Verhaltens, nicht seinen sittlichen Wert, auch wenn einige Nebengedanken theologische Restspuren aufweisen241; und sie gibt kein Neutralitätsrecht. Zwar behauptet ihr Autor: »Nihil obstat etiam, quod in Jure Publico moderni Auctores de hâc [materia] agant. Neque enim absurdum est transferre ad jus Publicum.«242 Nur, er selbst tut das eben nicht, handelt das Thema im Stil der von ihm so genannten »Politici« ab. Seine Verhaltensmaßregeln könnte man zwar zu Rechten und Pflichten fortentwickeln, insbesondere soll der Neutrale keiner Kriegspartei helfen, aber bezeichnend ist die Begründung hierfür: Stellen die Kriegführenden fest, daß der Neutrale unter der Hand mitmischt, werden sie sich zusammentun und ihm den Garaus machen.243 Eigentlich ist das akademische Heftchen noch in einer dritten Hinsicht wo nicht gerade interessant (das Wort will in diesem Zusammenhang so wenig passen wie weiter oben das Adjektiv »wegweisend«), so doch aufschlußreich: Es überwiegt nach wie vor, wie bei den Pionieren einer deutschen Politikwissenschaft, die Skepsis der neutralen Option gegenüber. Leisten kann sie sich nur, wer sowieso so stark ist, daß er sich alles leisten kann. Die ersten beiden Worte einer 1659 von Georg Schröder244 vorgelegten Abhandlung »de neutralitate« lauten »Ratio Status«. Der Einstieg zeigt uns unmißverständlich, welcher Gesichtspunkt seines Themas für den Doktoranden im 239 Ebda., fol. A4. 240 Ebda., fol. B; fol. B2 wälzt noch einmal dasselbe umher. 241 Wenn der Neutrale doch unter der Hand mitmischt, ist das nicht nur gefährlich, er erfährt dann auch jene »divinam poenam, quae comitari animos fraudulentos solet«: fol. B; »injustis partibus« – freilich auch anderen wie unzuverlässigen oder zu mächtigen – »non veniendum subsidio«: fol. B3. 242 Ebda., fol. A3. 243 Vgl. ebda., fol. B. 244 Auf dem Titelblatt steht »Schroder«, doch endet das Büchlein mit diesem Glückwunsch: »Florentissimo Dn. Schrödero domestico suo suavissimo gratulatur Praeses.«

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Vordergrund steht: Er fragt, ob neutrales Verhalten nützlich oder schädlich ist – und kann unschwer letzteres beweisen. »Primum quod attinet communis Politicorum Schola neutralitatem, seu statum inter belligerantes medium, regulariter esse fugiendam«, »consilia media vel raró vel nunquam sunt profutura«, »victori enim praedae fit«.245 »Offenditur per neutralem tam victor quam victus«, »natura enim belli haec esse videtur, ut communem hostem judicet, qui suppetias non fert«.246 Das geht seitenlang so weiter, nach ungefähr einem Viertel der Arbeit kann ihr Autor resümieren: »Inde assistentia hujus vel illius partis et praecipue potentioris magis laudanda«.247 Nachdem der Leser diese Wegstrecke mit Georg Schröder zurückgelegt hat, fragt er sich ratlos, wie denn nun die Monographie eigentlich weitergehen soll. Mit dem Nachweis umfassender und abgrundtiefer Schädlichkeit der Neutralität (die dieser Autor zudem, was uns an anderer Stelle näher interessieren soll, im Rahmen seines eigenen politischen Systems, also bei Reichsständen, für illegitim und illegal hält) hat sich das Thema selbst erledigt. Der Autor findet überhaupt nur zu einer Fortsetzung, indem er die sprichwörtliche Ausnahme zur Regel beschwört: »Quamvis haec ita videantur, nolim tamen neutralitatem planè in exilium dare, licet enim ea regulariter haud sit amplectenda, tamen nulla regula tam firma est quae non patiatur suas exceptiones ac limitationes«, so insbesondere »necessitas causae«.248 Erst dieser Kunstgriff erlaubt eine Fortsetzung, es kann nun umständlich ausgebreitet werden, »qui non possint esse Neutrales«, dann mit weniger Druckerschwärze, »qui Neutrales esse possunt«. Starke können es sein, wer wollte es ihnen verwehren.249 Man kann erst einmal abwarten, in welche Richtung sich der Krieg entwickelt, ehe man sich für die glücklichere Seite engagiert; manchmal lohnt es auch, etwas zuzuwarten, bis man für seine Parteinahme bessere Konditionen herausschlagen kann.250 Deplaziert, weil in solche Fälle einer nur vorläufigen Neutralität eingebettet, wird immerhin ein Kalkül geboten, das auch längerfristiges Stillsitzen nahelegen könnte: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte – was mit dem untypischen Ratschlag garniert wird, dann auch konsequenterweise den Streit tüchtig zu schüren, Öl ins Feuer zu gießen.251 245 246 247 248 249 250 251

Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 10. Ebda., Abschnitte Nr. 11 bzw. Nr. 13. Ebda., Abschnitt Nr. 23. Ebda., Abschnitt Nr. 24. Vgl. ebda., Abschnitt Nr. 57. Vgl. ebda., Abschnitte Nr. 58, 60 und 61. Ich fasse etwas salopp zusammen – neutral können diejenigen bleiben, »quorum vires ex vicinorum mutua contritione, in augmentum futurae spei crescunt ... Qui autem hoc intendunt non tam inter belligerantes ad quietem publicam vota et consilia dirigunt, sed potius per cuniculos oleum flammis infundunt, ut belligerantium mentes magis instigentur, eorumque vires debilius enerventur«: Abschnitt Nr. 59.

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Weil Neutralität also doch gelegentlich eine Option sein kann, scheint es zu lohnen, danach zu fragen, »quomodo neutralitas ineatur«, wie sich der Neutrale den Kriegführenden gegenüber verhalten soll und umgekehrt. Dabei wird immer wieder Mißtrauen dem Neutralen gegenüber deutlich: Über die Ausgestaltung von Neutralitätsverträgen (nicht vertraglich begründete Neutralität ist Georg Schröder unbekannt) nachdenkend, mahnt der Autor nicht nur zu penibler Sorgfalt und klarster Eindeutigkeit, »generaliter notandum, quod accipientis potius quam offerentis neutralitatem verba attendi debeant«.252 In anderen Zusammenhängen erwähnt er sogar die Stellung von Geiseln durch den Neutralen, auf daß »majori fide promissum servetur«.253 Eigentlich nämlich verträgt sich Neutralität nicht mit der menschlichen Natur: »Natura enim humana vel odit, vel amat; nec medium aliquod observare novit, aut duobus ex aequo favere vel placere«.254 Wie könnte sie dann dem, der den Menschen nun einmal so geschaffen hat, gefallen? In der Tat weiß unser Autor, daß »ipsi Deo media via displiciat«.255 Aber auf »GOtt« oder »Teuffel« rekurrieren derartige Elaborate nur noch punktuell. Auch Heinrich Schemel fragt 1661 vorrangig nach der Nützlichkeit neutralen Verhaltens: »Sinunc utile fuerit à lusu [er meint den Krieg] abstinere, in controversiâ est, et quidem tali, quae excruciare ingenium politicum possit«.256 Es sei schon behauptet worden, die Existenz von Neutralen sei nützlich, weil sonst niemand den Frieden vermitteln könne, außerdem »arbitrantur Politici«, daß es ein Land stärkt, wenn sich die Nachbarstaaten gegenseitig schwächen. Die Kolportage von Pro-Argumenten beansprucht weniger als eine Druckseite, deutlich ausführlicher werden Contra-Stimmen sowie sie vermeintlich stützende Exempel aus dem Alten Testament und alten Geschichtsschreibern angeführt. Abgeschlossen werden solche weltgeschichtliche Betrachtungen durch dieses uns 252 253 254 255

Ebda., Abschnitt Nr. 65. Ebda., Abschnitt Nr. 68. Ebda., Abschnitt Nr. 70. Ebda., Abschnitt Nr. 21. Begründet wird das mit der – selbst in solchen Arbeiten nicht seltenen – Verdammung der »Lauen« in der Johannes-Apokalypse (3,16: »... weil du lau bist und weder heiß noch kalt, so will ich dich ausspeien aus meinem Munde«). – Ich füge aus Abschnitt Nr. 50 an: »nec Neutrales esse debent, qui communem religionem defendunt«. – Und, weil zuletzt theologische Argumente im Spiel waren, aus Abschnitt Nr. 52: »Nec semper potentiori pecuniâ et regionum multitudine assistendum, nisi et militem habuerit exercitatum et causam justiorem, quae victoriam pollicetur«. 256 Schemel, Dissertatio politica de neutralitate, S. 2 (Kursivsetzungen von mir). – Es handelt sich um eine sehr rhetorische Arbeit, die vor allem gewagtes artifizielles Latein bieten, die Beherrschung seltener (mittel)lateinischer Ausdrücke demonstrieren will. Der Autor (bzw. die Autoren? – das Problem, inwiefern wir hier Schülerarbeiten vor uns haben bzw. die hilfreiche Hand der unterschiedlich prominenten betreuenden Hochschullehrer spürbar wird, soll hier nicht ausdiskutiert werden) schwadroniert unsystematisch im Umkreis von Krieg und Frieden, schweift oft weit von seinem engeren Thema ab.

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nicht mehr ganz unbekannte Statement: »Hinc prudens existimatur Princeps, si quantum fieri potest, fugiat Neutralitatem«, zumal »ea belli natura sit, ut hostis communis censeatur, qui non fert suppetias«.257 Was Heinrich Schemel anschließend als seine eigenen Überlegungen zum Thema präsentiert, hat zumeist in irgendeiner Weise mit Krieg oder Frieden, selten mit der Neutralität im Krieg zu tun, ehe er den gequälten Leser auf Seite 25 mit dieser Feststellung überrascht: Es wäre unklug von einer Kriegspartei, die Neutralität eines schwächeren Dritten hinzunehmen. Es folgt auf den nächsten Seiten die Perspektive der Kriegführenden, in sehr neutralitätsskeptischer Haltung: Es ist unklug, lachende Dritte zu dulden. Der Neutrale erschwert nur dauernd eine konsequente Kriegführung, ein Neutraler in der Nachbarschaft ist ein schwelender Brandherd: »quae Neutralitas apertâ hostilitate damnosior est«! Kurz, Heinrich Schemel kann nicht empfehlen, Neutralität zu erlauben. Vielmehr muß man den Nachbarn dazu bringen258, sich gefälligst mit Proviantlieferungen und Kontributionen zu beteiligen, so man nicht überhaupt alle Kriegslasten auf ihn abwälzen kann, ist doch Krieg woanders immer besser als zuhause ... Für Neutralität bleibt hier kein Raum, und der Autor schließt denn auch diese Passagen mit der Warnung, »ne tolerando damnosam Neutralitatem, nobis ipsis injuriam faciamus«.259 Auch aus der Sicht des Möchtegernneutralen gilt: Schaut man sich die »eventus« neutraler Versuche an, »plus damni saepe, quàm utilitatis inferunt«.260 Blickten die bislang vorgestellten Disputationen überwiegend (Koseritz) oder durch und durch skeptisch auf die Neutralität, vermochte man das Thema im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts schon nuancierter zu sehen. Eine 1673 in Altdorf vorgelegte »Dissertatio inauguralis de Neutralitate« aus der Hand Albert Voßenhölens kann die Neutralität in manchen Passagen gar nicht genug rühmen. Die Arbeit nimmt einen langen Anlauf, stellt uns einen von Kriegen zerrissenen Kontinent vor, das »seculum« ist ein waffenklirrendes. Es folgt ein anthropologischer Grundkurs: Der Mensch ist »animal civile«, »natus ad societatem«, deshalb hat Hobbes261 Unrecht, und deshalb ist Friedensliebe ein Fundamentalgesetz der Natur. Also, der Mensch braucht Pax, eine »Species Pacis« aber ist Neutralität: »Paci autem tam nomine amabile, quam re salutari Neutralitatis originem 257 Ebda., S. 4f. 258 Heißt es ebda., S. 28 noch leidlich harmlos, »saepe utile est ad declarationem adigere vicinos«, ist auf S. 29 vom »ad declarationem cogendus vicinus« die Rede. 259 Ebda., S. 29. 260 Ebda., S. 31. 261 Ihn muß unser Doktorand im Visier haben: »Periculosa sanè et nimis profana mihi videtur Philosophia, quae nobis ex hominibus tollit hominem, et feras bestias in figura hominum ostendit, nec societatem humanam ordinatam et instructam, sed statum belluinum et bellum omnium in omnes de industria effingit« (Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 8).

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adscribimus, quae non subdito titulo in familia pacis existens, Species Pacis, vel Pax particularis jure meritoque dici et haberi debet.«262 Wohlverstandene Neutralität ist sowohl ethisch wertvoll als auch politisch klug: »Describi autem vera Neutralitas nostra potest, quod sit justa et prudens Quies Civitatum, aliis inter se bella gerentibus«.263 Freilich behauptet der Autor erst gar nicht, seine Neutralitätseuphorie sei zeitüblich. Das Kapitel über »Rationes Neutralitatem suadentes, et dissuadentes« setzt ein mit dem Bekenntis, daß Neutralität nach Ansicht vieler »re ipsa et civili experientia ... periculosa et impedita« sei264, ja, »quae contra Neutralitatem disputantur non modio neque trimodio sed toto horreo admetiri possem«.265 Es folgen die üblichen Zitate und Topoi, indes, der Autor will all das ja widerlegen. Nur kennt er hierfür keine spezifischen Argumente – Neutralität ist eben »Species pacis«, und Voßenhölens Preis der Neutralität ein euphorisches Loblied auf Frieden und Gerechtigkeit, eine wenig prägnante, aber feurige Friedenseloge. Wer neutral ist, kriegt eben gerade nicht und nimmt deshalb auch keinem etwas weg266: das ist schon das konkreteste Pro-Argument. Wer Justitia mag, mag Neutralität, wer schnöde auf seinen Nutzen sieht, lehnt sie ab. Der Neutralitätspreis geht über in eine Suada gegen das Jahrhundert Voßenhölens, das im Utilitarismus versinke, »justitiam stultitiae nomine infamat«, bemäntelt von der großtuenden Formel »ratio status«; »habebitur libido dominandi belli causa justissima«, »minor fiet praeda majori«. Aus dieser Zeitdiagnose heraus enthülle sich die Justitia der Neutralität jedem Gutwilligen von selbst.267 Freilich gelte schon, daß »hodie commune odium partium in Medios est«268 – Voßenhölens Friedenspreis bezeugt den schlechten Ruf der Neutralität. Jeder brave Mann auf Regententhronen sollte neutral sein. Aber darf er das? »Qui Medii esse possunt; et qui non« ist das nächste Kapitel überschrieben, und es macht zunächst einmal klar, daß Reichsstände nie und nimmer neutral sein dürfen, im Reich ist Neutralität »secessio«.269 Neben der »unitas Reipublicae« ist ferner 262 263 264 265 266

Ebda., S. 9. Ebda., S. 11. Ebda., S. 13. Ebda., S. 16. Natürlich sagt es Albert Voßenhölen mit viel mehr und schöneren Worten, beispielsweise so: »Deinde pro Neutralitate faciunt et illae leges Naturae, quibus jubemur suum cuique tribuere, et prohibemur propter nostrum compendium alium violare. Media enim haec via non in aliena calamitate lucrum impie venatur, atque aliorum spoliis suas copias opesque adaugere satagit«, usw. usf. (ebda., S. 14). 267 Vgl. nur, beispielsweise: »Neutralitatis justitia se ultro revelat, et discussa quodammodo nube inspiciendam praebet iis, quos nondum omnis justitiae coepit oblivio?« (ebda., S. 20). 268 »Fons autem communi odii in Quietos est temeritas«: ebda. 269 Ich sage wieder zu unverblümt, was Voßenhölen sehr blumig sagen kann, beispielsweise mit diesem seiner Friedenseuphorie kongenialen Reichslob: »... nihil aliud est quam vitae civilis

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die »unitas Religionis« ein Hinderungsgrund, man muß den Glaubensgenossen helfen. Voßenhölen setzt dem aber noch eins drauf: auch »Cognatio, Amicitia, et Vicinitas«270 verhindern Neutralität – womit diese für die politische Praxis ziemlich irrelevant wird (was Albert Voßenhölen indes nicht zu merken scheint). Mag eine »amicitia« noch auslegungsfähig sein, muß man dem ziemlich realitätsblinden Autor doch vorhalten, daß Neutralität, zumal angesichts der damaligen technologischen Möglichkeiten (noch drohten keine Marschflugkörper, ja, noch nicht einmal Flugzeuge), insbesondere dann eine sich aufdrängende oder doch abzuwägende Option war, wenn sich militärische Konflikte in der Nachbarschaft abzeichneten, zumal für mittlere und kleinere Staatswesen, die keine politischen Ziele in fernen Regionen des Kontinents verfolgten. Ist die Vokabel »vicinitas« dem Autor gleichsam aus Versehen in die Feder geflossen? Das kann man auch ausschließen, er führt nämlich entschieden aus: »Vicinitatis nomen terrarumque confinium re ipse docet, inter vicinos periclitantes nec justam nec tutam esse quietem«, man ist in diesem Fall »omninò« zum Eingreifen verpflichtet.271 Auch der diesem Autor sowieso sehr geläufige Terminus »iustitia« wird auf den folgenden Seiten besonders häufig stapaziert, muß man nicht der verfolgten Unschuld beispringen? Oder, ohne Fragezeichen: »Verum naturalis illa inter homines conjunctio, quo homo hominem ab injuria defendere cogitur.«272 Ferner kommt Neutralität nicht in Frage, wenn (modern formuliert) Hegemonie droht. Die gelehrte Abhandlung greift nicht zum Naheliegenden (mit anderen Worten: es ist nicht von Ludwig XIV. die Rede), sondern wieder einmal in die Antike zurück: »praesertim quando Pyrrhus aliquis vel Alexander bellum gerit«, man deshalb ihre »dominationem totius orbis« befürchten muß, gilt kein Abseitsstehen, »adversus tales omnium Gentium Latrones vel hostes omnes coire, et vires sociare debent«.273 Wenn »unitas Religionis«, »vicinitas« und eine drohende Hegemonialordnung Neutralität verboten, war sie in der politischen Praxis der 1670er Jahre kaum je einmal eine Option. Der verblüffte Leser muß die bisher referierten Auslassungen des Autors – wohl kaum in dessen Sinne – so zusammenfassen: Neutralität ist theoretisch

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consociatio plena atque perfecta ... Sicut igitur in corpore naturali omnia membra mira concordia conspirant, et in mutuum auxilium non segne ministerium agunt: Ita in corpore Civili partes et membra defensionem et salutem omnibus viribus procurare et adjuvare debent. Inter tales enim Neutralitas nihil aliud erit quam secessio«, usw. usf. (ebda., S. 24f.). Es folgt unter anderem der Hinweis auf den Reichsabschied von 1641, doch soll uns die Kompatibilität der Neutralität mit dem politischen System des Reiches an anderer Stelle noch näher interessieren. »O membra igitur sacratissimi corporis Augustissima! O Firmamenta et Munimenta libertatis Germanicae Illustrissima! Sit Vobis, quos unitas Imperii conjunxit, unum velle, una semper opinio.« Ebda., S. 26. Ebda., S. 28. Ebda., S. 34f. Ebda., S. 35.

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edel und schön, kommt aber in der Praxis nicht in Frage. Das letzte Viertel der 60seitigen Arbeit macht die Sache nicht widerspruchsfreier, es kommen nur neue Splitter hinzu, die sich nicht zueinanderfügen wollen. Davon handelnd, »quae bellantes in Medios facere non possunt«, postuliert Voßenhölen Respekt vor der territorialen Unversehrtheit des Neutralen, aber er weiß auch, daß diejenigen, die gerade Waffen führen, »leges non cogitant«, daß es eben überhaupt viele Unwägbarkeiten im Krieg gibt; die Motivlage dessen, der behauptet, »metus iustus« um Land und Leute treibe ihn zu diesem und jenem Übergriff, darf »non rigidius examinari«.274 Schließlich überrascht uns der Autor mit dieser Feststellung, die er keinesfalls dem waffenklirrenden Säkulum anlastet, sondern als seine eigene Überzeugung äußert: Wer behauptet, neutral zu sein, verdient viel Mißtrauen. Das lehre die Geschichte, und »si in ullo negotio civili parata est ingeniis humanis simulatio, in Neutralitate nostra magna exhibetur histrionia simulationis et dissimulationis«275: unangenehme Zeitgenossen, diese heuchlerischen Neutralen! Wir dürfen abschließend festhalten, daß der immerhin in manchen Einzelzügen originellen Dissertation die Verbindung zwischen Moralisieren und Politisieren, zwischen Iustitia und Ratio status gründlich mißglückt ist. Für unser engeres Thema ist noch aufschlußreicher, daß auch der Versuch, die Neutralität ausgerechnet mit Versatzstücken aus dem Arsenal der altehrwürdigen Bellumiustum-Doktrin276 als (jedenfalls theoretisch) wertvolle Option herauszuputzen, gründlich gescheitert ist. Offenbar stehen Neutralität und Gerechter Krieg in einem – von uns noch zu vermessenden – Spannungsverhältnis. Eine 1677 von den Gebrüdern Mayer verfertigte Arbeit über die »Neutralitas« verdient nicht viel Druckerschwärze: nicht nur, daß das intellektuelle Niveau so dürftig ist wie das Pseudolatein miserabel, das Heftchen hat auch hauptsächlich »bella intestina« im Visier. Wir merken dennoch, wieviel Skepsis der Neutralität überhaupt nach wie vor entgegengebracht wurde. Das Elaborat setzt mit der Feststellung ein, daß viel Unglaube verbreitet sei, beklagt die »indifferentia« dem Gottesdienst gegenüber, »qva magna multitudo mortalium delirorum nullius religionis rem nec adprobat, nec odio habet«. Was das mit der Neutralität im Krieg zu tun hat? »AEqvum civitatibus malum, neutralitas hominibus nominatum civilibus. Qvia sicut à negociis religionum abhorrent indifferentes; ita et à bellis in politiis neutrales: qvi oci cupidissimi aliis bellum qvanqvam justum optantibus multum excitant in se odia«. Es folgen allgemeine weltgeschichtliche Betrachtungen, immer aufs Neue hat sich Neutralität als schändlich und schädlich er274 Ebda., S. 47 bzw. S. 51. 275 Ebda., S. 55. 276 Sie wird nicht entfaltet, aber vorausgesetzt, dutzendfach ist von Iustitia die Rede, ist dies »iustus«, jenes »iniustus«. Vielleicht sollte man allgemeiner sagen: Der Versuch, die Neutralität theologisch aufzuwerten, ist mißglückt.

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wiesen, »non minues belli pericula, sed augebis et utrisqve praedae ac direptui eris«. »Neutralitas semper admittenti exitiose est.« Endlich auf »bella intestina« einschwenkend, wollen die Mayers die Gemeinsamkeiten zwischen Neutralität im Krieg und, modern gesprochen, im Bürgerkrieg nicht weiter ausführen, »sufficiet, qvando fuerint in hac et illius damnum ac peccatum confirmata«. Natürlich sind auch über den Hauptteil des Heftchens die üblichen Topoi verstreut, »sine gratia, sine dignitate praemium sunt victoris«.277 Die zehn Jahre später vorgelegte »Dissertatio« aus der Hand eines Adolph Schrötering278 kündet schon davon, daß sich die gelehrte Behandlung des Themas markant zu ändern begann. Nicht, daß die Arbeit intellektuell oder sprachlich erquickte! Aber ihr thematischer Zuschnitt wie auch, in zweiter Linie, die expliziten Wertungen sind deutlich anders als bei den akademischen Vorgängern. Schrötering kennt nicht alle, doch einige von ihnen279, und er kreidet ihnen bezeichnenderweise an, daß sie nur »de argumentis, qvibus Neutralitas (ut vulgo vocant) suaderi aut dissuaderi soleat« handelten, während sie diese Fragen vernachlässigt hätten: »qvae sint istorum Officia et qvid vicissim in ipsos liceat«? Aus dieser zweifelsohne zutreffenden Diagnose entwickelt der Autor, leider nicht mit der gleichen Stringenz, sein eigenes Programm: Er will untersuchen, »qvibusnam Liceat aut Utile sit Medios inter bellantes se ferre, et qvaenam sint istorum Officia«.280 Die Frage nach dem »utile« nimmt dann von dreißig Seiten knapp zwei ein, die wie ein Fremdkörper zwischen die beiden großen Blöcke »Recht auf Neutralität« sowie »Rechte und Pflichten des Neutralen« plaziert sind. Mit anderen Worten: Schrötering bietet im Gegensatz zu seinen Vorgängern Neutralitätsrecht, oder sagen wir angemessener: er versucht es immerhin, und dieser Vorsatz vor allem ist bemerkenswert. Einzelheiten der Durchführung müssen uns weniger interessieren. Der Autor bekennt sich grundsätzlich zum Recht auf Neutralität, kehrt dann aber wenig konsequent neben rechtserheblichen (Vasallität, Vertragspflichten) doch wieder moralische Einwände hervor: Gelte nicht, daß »sola humanae naturae communio 277 Gottfried Ulrich und Johannes Ehrenfried Mayer, Quaestio Politica, an pluris facienda intestini Belli Neutralitas qvam Societas?, Leipzig 1677. Das zuletzt angeführte Zitat steht auf der vorletzten Seite, die anderen entnahm ich dem sich über die ersten drei Seiten erstreckenden Einstieg. Das Heftchen ist auch quantitativ dürftig: 13 und eine halbe groß bedruckte Seiten. In Leipzig waren erfolgreich bestrittene »Disputationes« damals offenbar billig zu haben. 278 Zum Folgenden: Adolph Schrötering, Dissertatio de his qui neutras in bello partes sequuntur, Leipzig 1687. 279 Er nennt, außer Neumayr: »Jacobus Le Bleu« (unter seinem »praesidium« hatte sich Heinrich Schemel promoviert), »Vossenhölius« und »Boeclerus«; mit anderen Worten: die Dissertationen Georg Schröders und der Gebrüder Mayer waren ihm unbekannt. Auf Böcklers Neutralitätsstudie geht Kapitel C.2.3 ein. 280 Ebda., Einleitung (Kursivsetzung im Original).

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satis nos obstringat ut illum, qvi vi injusta impetitur, tueamur? Eqvidem communionem illam humanae naturae, et cognationem à natura inter nos constitutam, omni effectu destitui asserere nolim«281 – ein altertümliches Relikt, das sich zu anderen Zügen der Arbeit wenig fügen will und sich verräterischerweise auf »Grotius« als seinen Gewährsmann beruft.282 Wiewohl der Autor eine eklatant parteiische Neutralität kennt283, gibt er, »de Officio illorum qui Neutras in bello partes seqvuntur« handelnd, einleitend diese Richtschnur an die Hand: »generaliter in eo consistit, ut utrique parti aequos se praebeant, nec quicquam faciant quo alter directè laedàtur«.284 Die Vagheit dieser Empfehlung ist bezeichnend für eine Arbeit, die vor allem ihres Anspruchs, sozusagen des Großen und Ganzen wegen Interesse verdient, weniger wegen der konkret vorgeschlagenen Einzellösungen. Für deren Qualität mag stellvertretend285 stehen, was Schrötering zum Handel der Neutralen schreibt: Völlige Handelsfreiheit gilt uneingeschränkt auch für sie, »nec hic distinguere velim; utrum merces venum expositae, usum saltem in bello, an et extra hoc habeant?« Also, der Neutrale hat da alle Rechte. Aber die Kriegführenden offenbar auch, denn der Autor führt in seiner nächsten »Thesis« dieses aus: »Interim non nego, si talium mercium transvectio incommodatura alteri videatur, obsistere hunc posse«. Der Neutrale darf mit allem und jedem zu handeln versuchen, der Kriegführende darf es nach Belieben unterbinden. Fragt sich der Leser schon bis dahin, ob das in der Praxis befriedigend zusammenspielen kann, setzt der Autor dann noch diese Empfehlung drauf: »Coeterum cum sanè interdictio commerciorum ingentia saepe vicinarum gentium odia constare soleat, hinc ad molliendam invidiam plerumq; non simpliciter commerciorum cum hoste usus, sed certarum saltem qvarundam mercium, vel ad certa loca subvectio prohiberi solet«, und zwar biete es sich an, den Handel mit solchen Waren zu verbieten, die vornehmlich Kriegs- und nicht friedlichen Zwecken dienten286 – eine »Distinktion«, die der Autor noch zwei Seiten zuvor nicht vornehmen zu müssen wünschte. 281 Ebda., Thesis II. 282 Das gilt auch für Thesis III: Neben der »sola naturae humanae communio« ist ferner die »Religionis Christianae communio« zu beachten, nämlich im Krieg zwischen Christenmenschen und Heiden. Doch muß man hier wie dort genau hinschauen, »nec enim diversitas sacrorum justam inferendo bello causam praebere potest«. Die moralischen Skrupel sind kaum praxisrelevant, viel weniger einschneidend als die juristischen Einwände (etwa im Hinblick auf Vasallität), aber es ist doch erwähnenswert, daß solche moralische Erörterungen in dieser gleichsam ›zwischen den Zeiten‹ angesiedelten Arbeit noch beiläufig angestellt werden. 283 Vgl. dazu Kapitel C.2.4.1. 284 Ebda., Thesis XVII (Kursivsetzung von mir). 285 Instruktiv sind hierfür, beispielsweise, auch die Ausführungen zum Truppentransfer: vgl. S. 514f. 286 »... qvarum praecipuus in re bellica est usus«: Thesis XIX. – Um nur noch einen weiteren Themenbereich zu erwähnen, der weiter unten, in Kapitel C.2.4, nicht noch einmal aufgegriffen wird: Kredite darf der Neutrale grundsätzlich immer jedermann vergeben, aber es

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Interessant sind also weniger die einzelnen Rechte (und Pflichten), die Schrötering kreiert, interessant ist der Vorsatz, ein Neutralitätsrecht zu schreiben, das Thema juristisch zu traktieren. Zweitens ist bemerkenswert, daß in den juristischen Hauptpassagen des Büchleins keinerlei Wertungen begegnen. Neutralität ist nicht gut oder schlecht, sondern mit diesen Rechten, jenen Pflichten verbunden. An einer Stelle, beiläufig, die allerletzte »Thesis« einleitend, bezeichnet der Autor Neutralität sogar als einen privilegierten Zustand: Er begründet nämlich die verbreitete Erwartung, daß sich Neutrale um Vermittlung zwischen den Kriegsparteien bemühten, damit, daß diese »inter bellorum tumultus securi qvasi ex littore aliena naufragia despiciant«287 – dieses Privilegs muß man sich auch würdig erweisen, man sollte etwas dafür tun, nämlich Vermittlungsaktionen starten. Merkürdig, daß der Autor diese Rolle des glücklichen Zuschauers fünfzehn Seiten zuvor nicht vielen Staatswesen anempfehlen wollte! »Si quis tunc praesenti pace atque lucro laetus maturè crescenti potentiae obniti negligat, quid quaeso aliud quàm turpissimâ nundinatione libertatem suam infami mercede projecisse videbitur. Unde communiter statui solet, illos quidem, qui eâ sunt potentiâ, ut vicinis inter se bello collisis victorem timere necesse non habeant, neutris partibus addictos spectaculo frui posse ... Sed imbecilliores satius facturos si maturè in partes descendant, cum aliàs procul dubio facilis praeda victori futuri sint.«288 Die Frage nach dem »utile« wird also in ausgetretenen Bahnen beantwortet, Neutralität ist theoretisch etwas für jene Starken, die ihrer in der Praxis weniger als andere bedurften. Doch sind derartige politologische Kalküle quantitativ ja nebensächlich. Wir können zusammenfassend sagen, daß da bereits ein völkerrechtlicher Versuch aus Doktorandenhand vor uns liegt, der indes die älteren theologischen und politologischen Diskursschichten mit ihren je spezifischen, doch in beiden Fällen notorischen Einwänden gegen die Neutralitas noch nicht gänzlich abgestreift hat. Daß die skeptische Grundhaltung dem Neutralen gegenüber publizistisch weit in jenes Jahrhundert hineinreichte, das Neutralität zur konsistenten Rechtsfigur ausarbeiten wird, ließe sich mit manchen für sich betrachtet nicht sehr gewichtigen Broschüren und Traktätchen illustrieren. Eine 1735 vorgelegte »Dissertatio inauguralis de nevtralitate« 289 macht zunächst einmal klar, daß jeist dann doch wieder »attendendum«, ob solche Gelder »ad solennia fortè spectaculorum, nuptiarum« und dergleichen verwendet werden oder in die Kriegführung fließen (Thesis XX) – das alles ist wenig praktikabel. 287 Ebda., Thesis XXVIII. 288 Ebda., Thesis XVI. 289 Zum Folgenden: Johann Adolph Wilhelm von Gohren, Dissertatio inauguralis de nevtralitate statvvm Imp. R. G. in bello imperii illicita ..., Jena 1735. Der Praeses, Dietrich Hermann Kemmerich, war ein damals nicht ganz unbekannter Gelehrter, beispielsweise Verfasser einer auch historisch ausgerichteten »Introductio ad Jus publicum Imperii Romano-Germanici«.

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der Regent, der »Superiorem non habeat, nisi Deum«, neutral sein darf, ob mit oder ohne Vertrag: ein juristischer Einstieg also, das 18. Jahrhundert konturierte diese Denkfigur eben zum Rechtstitel. Es folgen einige Seiten, die Neutralität moralisch und politisch bewerten. Verbieten nicht die »Leges Socialitatis« – man muß der verfolgten Unschuld beispringen – Neutralität im Krieg? Nicht immer, denn Schuld und Unschuld sind oft schwer zu verorten, und »propriae salutis ratio« muß dem Wohl des Nachbarn nicht geopfert werden. Wenn Recht und Unrecht freilich klar verteilt sind und wenn die eigenen Kräfte ausreichen, muß man Unrecht ahnden. Außerdem legt das Eigeninteresse oft nahe, darauf zu achten, nicht von mehreren Feinden umringt zu sein, mit anderen Worten: klar Partei zu ergreifen, »saepius prudentia ac propriae salutis ratio non tam suadet, quam jubet«!290 Es gibt noch immer eine gewisse moralische Reserve, gibt noch immer den Anfangsverdacht politischer Kurzsichtigkeit, wenn das auch ohne Verve vorgetragen wird, gleichsam abgeblaßt. Die »Praefatio« zu einer 1747 vorgelegten Sammlung neutralitätsrechtlicher Abhandlungen291 argumentiert selbst überhaupt nicht juristisch. Sie setzt mit der Feststellung ein, daß ein großer Unterschied bestehe zwischen solchen, die im Krieg Flagge zeigten, und solchen, die einfach nur neutral zuschauten, und zwar deshalb: Erstere versuchten den Krieg zu dämpfen, rascher an sein Ende zu bringen (oder, an letzter Stelle genannt: sich eigene Vorteile zu sichern)292, letztere dächten nur an ihre Behaglichkeit. »Politicorum scholae« stimmten, meint unser Vorredner, mit ihm in der Ablehnung trägen Zuschauens im Angesicht der Gefahr überein. Neutralität habe viel Elend über die Menschheit gebracht. »De his nobis non est multum monendum, cum exempla pro dolor! satis superque nostro aeuo nota atque inter omnes nostris peruulgata sint.«293 Dabei werde, recht besehen, noch nicht einmal der Eigennutz des Neutralen gut bedient: »Nam plerumque ii, qui se medios gerunt, sibi arcessunt vtriusque partis, sibi inuicem bellum inferentis, odium, et vtrosque facile offendunt«.294 Es dürfte noch erwähnenswert

290 Ebda., die Zitate entnahm ich den Seiten 6 bis 8. Der Hauptteil der Arbeit führt dann den Nachweis, daß Reichsstände in einem Reichskrieg nicht neutral sein dürfen, was uns an anderer Stelle interessieren soll. 291 Zum Folgenden: [Anonym], Praefatio, in: ders. (Hg.), Dilvcidationes Jvris publici de nevtralitate provti illa inter gentes liberas atque inprimis inter ordines S. R. Imp. vsitata est ..., Jena 1747. 292 »Directus est animus, vt res per sua adiumenta ita moderentur, quo illud anceps ac periculosum bellum eo citius finiant, animosque discordes rursus in pristinam concordiam reducant, seu sub praetextu adiutorum propriis commodis seruiant«: ebda., fol. A2. 293 Ebda., fol. B. 294 Ebda., Kursivsetzung im Original. »Non tamen omnis omnino neutralitas ... damnanda est«: ebda., fol. A4.

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sein, wie die Praefatio von 1747 endet: Am besten wisse über dieses Thema der »saepe a nobis citatus Nevmeier«295 Bescheid! 2.2.5 Seitenblick in Sentenzensammlungen Steigen wir, von den Pionierwerken politischer Ordnungsstiftung herkommend, noch weiter ins Tal hinab! Schlugen sich die politologischen Bedenken gegen Neutralität in Spruchsammlungen nieder? In Gregor Richters »Editio nova Axiomatvm politicorvm« von 1604 ist eine Maxime so überschrieben: »Neutrales periculum, quod declinare volunt, plerunque incurrunt.« Der Leser kann also von vornherein kein Neutralitätslob erwarten, bekommt denn auch die üblichen abschätzigen Topoi serviert – »victoribus praeda«, »media via neque amicos parat: neque inimicos tollit«, oder (nach Bodin, nicht Livius zitiert): »mediam viam nullam esse«. Der Neutrale ist beiden verhaßt, es droht ihm deshalb von allen Seiten Ungemach.296 Christoph Lehmanns »Florilegium politicum« von 1630 ist an sich, wiewohl sein Redakteur auch eine bedeutende Quellensammlung »de pace religionis« vorgelegt hat, ein Werk der Staatsklugheit und der Lebenskunst, nicht frommen Eifers. Unter »Frombkeit« können wir unter anderem das nachlesen: »Fromm hat wenig Glück«, »Fromm Mann muß betteln gehn«, »Von Fromm seyn, hat man nichts zu essen«.297 Weil eigentlich nicht in Spruchform geronnen, mag die folgende Passage ja vielleicht sogar einen Zipfel von den Auffassungen des Autors erhaschen lassen (auch wenn wir in solchen Sammlungen natürlich nie sauber zwischen Kolportage und Redakteursmeinung unterscheiden können und sie ja auch gar nicht vorrangig letzterer wegen konsultieren): »Es ward einem Fürsten ein frommer Amptmann praesentiert, zu dem sagt er: Fromm sein richt nicht alles auß, er müst sich in die Händel vnd Leut wissen zuschicken.« Auch die relativ kurze Sentenzensammlung zur Neutralität stempelt diese vor allem als unklug und unehrenhaft, nicht als sündig ab. Es sind die üblichen Topoi, die da zwischen »1. Neutralisten wollen den Beltz waschen, vnd nicht naß machen, auff Eyern gehen, vnd keines vertretten« und »16. Wer auff beyden Achseln trägt, 295 Also Neumayr von Ramsla. Uns sind auch die anderen Autoren, auf die da noch 1747 rekurriert wird, bereits bekannt: Besold, »Mager« [von Schönberg], »Aeneas Sylvivs« [Piccolomini]. 296 Gregor Richter, Editio nova Axiomatvm politicorvm. Acceßione CLXXIIII. novarum Regularum, multarumque Sententiarum et Exemplorum aucta et locupletata, Görlitz 1604, Maxime CCXLV (S. 534f.). 297 Lehmann, Florilegium politicum, s. v. »Frombkeit«, hier S. 217; gerade am Anfang, also prominent plaziert, stehen gehäuft negative Urteile über frommen Eifer. Das folgende Zitat steht auf S. 224.

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der sitzet zwischen zweyen Stülen nider« ausgebreitet werden. Von 16 Merksprüchen und Weisheiten ist nur eine – scheinbar?298 – nicht ablehnend oder geringschätzig: »11. Ein Regent muß sich bey der Vnderthanen schwürigkeit Neutral halten«. Und nur eine argumentiert biblisch: »12. Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich, sagt der Herr. Wer nicht wider vns ist, ist vor vns, dieser Spruch vertheidigt die Neutralisten nicht, sondern redt von schwachglaubigen, daß man die gedulden soll.« Das »Magnum Theatrum vitae humanae«, das Laurentius Beyerlinck 1665 auf Latein, also nicht für Herrn Hinz und Frau Kunz ausbreitete, malt ein wahres Horrorgemälde. Unter dem Stichwort »Neutrales« folgt einer kurzen Definition, gesperrt hervorgehoben, diese Warnung: »Eos plervmque incvrrere periculum quod declinare laborant.« Auch danach weiß der Autor nichts Positives anzuführen. »Non pauca adduci possent historiarum testimonia«, die bezeugten, daß der Neutrale »vtrisque praedae relinqui«. Diversen Exempeln aus dem Alten Testament und antiken Geschichtsschreibern folgt immerhin ein aktueller Beleg: Wie schädlich die Neutralität ist, merkten zuletzt auch die Lütticher, die sich zwischen Spanien und seinen abtrünnigen Nordprovinzen für neutral erklärten, deshalb beiden Seiten mit Durchzugserlaubnis, Getreidelieferungen, Waffen zu Diensten waren: »Ipsi interea nunc ab his, nunc ab illis, nam vtrisque expositi sunt; misere expilantur et spoliantur, praesertim cùm non sit difficile alterutri parti, occasionem aliquam simultatis aut offensae arripere, vt ita velut iusto aut colorato saltem titulo eos depraedentur.«299 Reygers Thesaurus Iuris Civilis et Canonici von 1704 kann ich deshalb hier anreihen, weil seine knappen Ausführungen zum Stichwort Neutralitas hinsichtlich der Rechte und Pflichten besonders wortkarg sind. Mehr interessiert den Autor die Unklugheit neutralen Verhaltens. Die Notierung setzt so ein: Wenn zwei oder mehr Fürsten gegeneinander Krieg führen, »an laudanda Neutralitas? Periculosam esse impatet, quòd plerumque sine gratia et dignitate praemium fiant victoris«. Sollen wir das als Niederschlag der Lektüre in Staatsklugheitslehren einstufen? Oder ist der Neutrale »praemium victoris«, weil sein Status so moralisch suspekt ist (das Lieblingsthema der Pamphletistik), daß sich seiner eben keiner annimmt? Auch der Glauben kommt bei Reyger durchaus noch vor: »Melius itaque est, se adjungere qui Religionem veram ... defendit«.300 298 Der Spruch impliziert ja auch, daß man sich als Fürst nicht freiwillig neutral verhält! Außerdem: ist hier überhaupt Neutralität im Krieg gemeint? Alles ebda., hier s. v. »neutral« (S. 553f.). 299 Laurentius Beyerlinck, Magnum Theatrum vitae humanae: hoc est, rerum divinarum, humanarumque Syntagma catholicum, philosophicum, historicum, et dogmaticum ..., Tom. 5, »Lugduni« (tatsächlich Lyon?) 1665, Littera N, S. 27, »Neutrales«. 300 Reyger, Thesaurus, s. v. Nevtralitas (S. 178f.).

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An sich schwanden die politisch kalkulierenden wie die moralischen Vorbehalte der Neutralität gegenüber im 18. Jahrhundert301, aber noch ein Lexikon von 1767 fügt der Begriffsdefinition folgende skeptische Einschätzung an: »Wie schwer dieses«, also unbehelligtes Abseitsstehen im Krieg, »zu erhalten, sonderlich wo die kriegenden theile mächtig sind, lehret die tägliche erfahrung, und gehet es nach dem ausspruche eines alten Politici, denen neutralen ingemein, wie denen, so den mittleren stock eines hauses bewohnen, daß ihnen von unten her der rauch, von oben das wasser beschwerlich wird.« Der Literaturhinweis beschränkt sich auf die Angabe, »de neutralitate« habe Neumayr »ein eigen buch geschrieben«.302 War Neumayrs Monographie nicht längst veraltet? Sie war es, und auch unser Lexikoneintrag, wie wir noch merken werden.

2.3 »Ius necessitatis« oder »ius gentium«? Die späte Begriffskonturierung im völkerrechtlichen Diskurs Die »Klassiker des Völkerrechts« musternd303, stößt der auf Neutralität geeichte Blick in der ersten Hälfte der Frühen Neuzeit auf keine nennenswerten Be301 Vorher stieß ich lediglich in einer einzigen Sammlung von Allerweltsweisheiten auf keine Vorbehalte der Neutralität gegenüber. Zu den vierhundert durch Martin Zeiller beantworteten Fragen »von allerley Materien« gehört auch diese: »Ob in einem äußerlichen Krieg man sich Neutral, das ist keinem Theil anhängig, verhalten solle?« Ja, meint der Autor, unter diesen Voraussetzungen: Wenn beide Kriegsparteien ihre Einwilligung dazu erklären. »Wann einer so mächtig ist, daß er keinen, der obsiegen möchte, zu besorgen hat«. Und wenn das Schicksal des Landes nicht so mit dem eines kämpfenden Akteurs verbunden ist, daß »sein Verderben uns hinnach ziehen möchte«. »Wann aber diese drey erzehlte Ursachen nicht vorhanden, so ist es besser« (also nicht: moralisch geboten!), sich auf diese oder jene Seite zu schlagen: nicht gerade eine euphorische Einschätzung der Neutralität, aber auch keine Abrechnung mit ihr. Und Martin Zeiller kommt ohne Moralisieren aus. Vgl. Martin Zeiller, Centuria IV. Variarum Quaestionum Oder das Vierte Hundert Fragen, von allerley Materien, und Sachen, Samt unvorgreiflicher Antwort darauff auß Vornehmer und Gelehrter Leute Schrifften genommen, und gesamlet ..., Nürnberg 1670, S. 101. 302 Johann Theodor Jablonski, Allgemeines Lexicon der Künste und Wissenschaften, verbessert und stark vermehret von Johann Joachim Schwaben, Königsberg/Leipzig 1767, s. v. Neutralität. Es stand so schon in Johann Theodor Jablonski, Allgemeines Lexicon der Künste und Wissenschaften ..., Leipzig 1721, aber es ist ja vielleicht doch bemerkenswert, daß das der Neubearbeiter viereinhalb Jahrzehnte später immer noch nicht überholt fand. 303 Es wurden schon auch einige Werke ausgewertet, die nicht in der »Classics«-Reihe (»Classics of International Law«) ediert sind, wie wir gleich sehen werden. Doch fasse ich mich in diesem Kapitel mit Bedacht knapp. Der Autor dieser Studie ist Historiker, bildet sich nicht ein, ein lege artis geschriebenes rechtsgeschichtliches Kapitel vorlegen zu können. Seine Studie streift durchgehend rechtshistorisch relevante Sachverhalte, ist aber keine rechtsgeschichtliche. Mit Bedacht nehme ich deshalb in diesem Kapitel auch lediglich die jeweiligen Neutralitätspas-

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funde304, und danach nicht bei jedem Autor.305 Ein sich über den Diskurs wissenschaftlicher Autoritäten herausbildender völkerrechtlicher Konsens über Rechte und Pflichten eines Neutralen ist Produkt des 18. Jahrhunderts. Sind nun nicht die meisten neutralitätsgeschichtlichen Monographien, die Kapitel C.1 Revue passieren ließ, der Ansicht, Hugo Grotius sei der Vater wie überhaupt des ganzen Völkerrechts, so auch eines Neutralitätsrechts? Waren nicht einige unserer Autoren sogar der Ansicht, bei ihm finde man mehr und Besseres zur Neutralität als in allen Texten, die seitdem niedergeschrieben worden sind? Was also bietet Hugo Grotius in einem überaus kurzen306 Kapitel »de his qui in bello medii sunt«? Zunächst einmal kennt er den damals in Gelehrten- wie Ratsstuben ganz geläufigen Terminus »neutralitas« keinesfalls. Der Text spricht, noch unspezifischer als die Überschrift, von denen, »qui extra bellum sunt« – es geht also, in Terminologie des 20. Jahrhunderts gesagt, nicht speziell um Neutrale, sondern um Nichtkriegführende. Der Großteil des so kleinen Kapitels ist Patchwork antiker Zitate zur Nichtkriegführung, sie sollen diese drei Sachverhalte belegen: Es ist das Recht der Kriegführenden, den Abseitsstehenden zu behelligen, beispielsweise mit Durchzügen zu plagen, freilich nicht leichtfertig, sondern nur aus gutem Grunde; es ist die Pflicht der Nichtkriegführenden, nichts zu Gunsten der ungerechten Sache, zu Ungunsten der gerechten zu tun, (lediglich) im Zweifelsfall sind beide Seiten gleich zu behandeln. Drittens – aber das ist eine Zweckmäßigkeitserwägung, keine Norm – wird dem Abseitsstehenden empfohlen, mit beiden Kriegführenden einen Vertrag zu schließen, der die Nichtbeteiligung am Krieg ausdrücklich erlaubt. Der Nichtkriegführende ist bei Grotius arm dran: bekommt die Folgelasten eines Krieges, mit dem er nichts zu tun haben will, auf seinem Territorium zu sagen ins Visier, unter bewußter Vernachlässigung der weiteren Kontexte (also beispielsweise der Frage, woraus sich ein Völkerrecht für den jeweiligen Autor eigentlich speist). 304 Weil er sich zur Neutralität entschieden (freilich entschieden ablehnend) äußert, verdient Ayala wenigstens anmerkungsweise erwähnt zu werden. Er kann Neutralität nur verantwortungslos finden, kennt natürlich auch kein Recht auf Neutralität. Nun ist sein Thema ja an sich das Bellum civile – womit er jenen Achtzigjährigen Krieg meint, den wir heute ob seines Ausgangs anders etikettieren, als Freiheitskampf oder Sezessionskrieg. Man darf solche Etikettierungen nicht unbesehen übernehmen, die kaiserliche Seite wird ja auch den Dreißigjährigen Krieg als inneren apostrophieren. 305 Um nur auf die vielleicht eklatanteste Fehlanzeige hinzuweisen: Samuel von Pufendorf scheint, wenn ich nicht doch etwas übersehen habe, kein speziell dem Neutralitätsrecht gewidmetes Kapitel vorgelegt zu haben! Ich suchte in folgenden Arbeiten vergebens danach: De officio hominis et civis juxta legem naturalem libri duo, Ndr. Oxford 1927; Elementorum jurisprudentiae universalis libri duo, Ndr. Oxford 1931; De jure naturae et gentium libri octo, Ndr. Oxford 1934. 306 Es handelt sich um Caput XVII in liber III, beim Neudruck von 1939 auf den Seiten 806–808; die Seiten sind sehr groß bedruckt!

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spüren, ist zur moralischen Bewertung jenes Krieges, mit dem er doch gar nichts zu tun haben möchte, verdammt – und je nach deren Resultat zur Parteinahme307, ohne sich etwa auf ein Recht (oder gar, wie in der Moderne, die Pflicht) zur Abstinenz versteifen zu können. Immerhin wird »extra bellum« zu sein nicht grundsätzlich moralisch diskreditiert; zeitweilige Nichtkriegführung wird von Grotius einfach als praktisch eben vorkommendes Faktum erwähnt und vorübergehend bzw. bei flachem Gerechtigkeitsgefälle hingenommen. Aber ein Neutralitätsrecht haben wir hier nicht vor uns. Schon deshalb können die ersten Anläufe zu einem solchen nicht auf Hugo Grotius fußen. Zu dieser Einschätzung paßt die (freilich nicht überzubewertende) Beobachtung, daß Werke der Folgejahrzehnte, die sich ausdrücklich als Grotius-Exegesen ausweisen, Neutralität oder Nichtkriegführung weder dem Namen noch der Sache nach erwähnen.308 Schon das 17. Jahrhundert fand an Hugo Grotius alles Mögliche, aber nicht sein kurzes Kapitel »de his qui in bello medii sunt« bemerkenswert. Welche eng309 mit der Entwicklung einer Wissenschaft vom Völkerrecht zusammenhängenden Innovationen könnten die Herausbildung eines Neutralitätsrechts im 18. Jahrhundert begünstigt haben? Im Zuge einer gewissen Emanzipation verschiedener Rechtsbereiche vom Römischen Recht310 wurden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, verstärkt seit seinem Ende große Rechtskompilationen vorgelegt, die internationale Verträge präsentieren. Erst diese voluminösen Vertragssammlungen machten einen generalisierenden Zugriff auf das bestehende Vertragsrecht möglich. Nicht alle, aber viele Völkerrechtler bezogen sich nun vor allem auf das positive Vertragsrecht als vorrangige Rechtsquelle: Sie sondierten, sichteten, gewichteten das überbordende Material, das in derartigen Sammlungen die oft überaus zahlreichen Seiten füllt. Auf was sie dort stießen, 307 Äquidistanz ist ja sogar in gewisser Weise defizitär, vorübergehendes Übel, bis die Verortung der Iustitia eindeutig gelingt. 308 Ich musterte, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Theodor I. F. Graswinckel, Stricturae ad censuram Ioannis à Felden ad libros Hvgonis Grotii de ivre belli ac pacis, Amsterdam 1654; Johannes von Felden, Annotata ad H. Grotium de iure pacis et belli, quibus immixtae sunt responsiones ad stricturas Graswinckelii, Jena 1663; Johann Heinrich Böckler, In Hvgonis Grotii ius belli et pacis, Ad Illustrissimum Baronem Boineburgium Commentatio, Mainz 1663 (freilich auch ein Kommentar nur zu den beiden ersten Büchern). »Tabvlae In H. Grotii Jus Belli & Pacis«, die wer auch immer (in UB Erlangen Jur. IX,82 fehlt das Deckblatt) offenbar 1663 in Mainz herausbrachte, berücksichtigen das Thema ebenfalls nicht. 309 Weiter ausgreifende Überlegungen (Prozeß der Säkularisierung; Herausbildung eines Staatensystems) wird unten Kapitel C.6 anstellen. 310 Es begann, wenn mich nicht alles täuscht, mit einer Neuausrichtung des Staatsrechts; in Mitteleuropa ist hierfür, nach ersten Ansätzen bei Arumaeus, Limnaeus wichtig – wer das Reich kennenlernen wolle, erklärte er, müsse Bartolus und Baldus beiseite lassen, stattdessen die wichtigen Reichsgesetze studieren. Maßgeblich war ihm stets die aktuelle (natürlich historisch gewachsene) Gesetzeslage. Vgl. schon oben S. 438 Anm. 58.

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waren nicht zuletzt – Neutralitätsverträge! Einige der einschlägigen Sammlungen tragen die »neutralité« sogar im Titel.311 Haben ferner die großen ›Koalitionskriege‹ der ludovizianischen Ära mit ihren massiven Beeinträchtigungen auch Abseitsstehender und ihren Wirtschaftsblockaden dazu angeregt, sich mit den Rechten Nichtkriegführender und eben auch Neutraler zu beschäftigen? Bei Johann Heinrich Böckler, der vor allem in Straßburg, im Grenzsaum des ludovizianischen Frankreich, gewirkt, aber auch zeitweise enge Beziehungen ins Umfeld des Mainzer Erzkanzlers gepflegt hat312, liegt dieser Verdacht durchaus nahe. Sein »Libellus de quiete in turbis«313 ist keine Abhandlung speziell und nur zur Neutralität, die meisten Passagen betreffen unspezifischer Länder, die abseits stehen, auch und vor allem, weil sie eben geographisch abseits liegen. Es geht um »pacatos«, wie Böckler sie nennt. Daneben kennen manche Passagen schon auch Neutrale, die Böckler als »medios« apostrophiert oder auch als diejenigen, »qui neutras partes sequantur«. Den Terminus »neutralitas«, der doch dem Politikbetrieb seit Generationen so geläufig war, verwendet noch diese juristische Abhandlung kein einziges Mal. »Medii« sind solche, die ihre Lage oder aber Aufforderungen zur Parteinahme von Seiten der Kriegführenden so exponieren, daß das überhaupt erst zu einer Statusbestimmung – wir würden sagen: einer Neutralitätserklärung – animiert oder auch zwingt. Dem sei recht häufig so, meint Böckler, Neutralität sei nichts Seltenes, und er garniert diese Beobachtung mit dem von älteren Schriften her gewohnten Wust an Exempeln der klassischen Antike, in beliebig anmutender Reihung und skeptischer Grundhaltung: »Rara felicitate temporum consiliorumque vbi tuto quiescere liceat«. »Quid enim tutum sibi inter arma vndique circumiecta et eminentia sperauerint? Neutras partes sequantur? non minuent belli pericula, sed augebunt; et vtriusque praedae ac direptui erunt.« 311 Vgl. Frédéric Léonard, Recueil de traités de paix, de trêves, de neutralité et de confédération, d’alliance et de commerce etc. faits par les rois de France depuis trois siècles, Paris 1693; Jean DuMont, Corps universel diplomatique du droit des gens. Recueil des traitez d’alliance, de paix, de treve [sic], de neutralité, de commerce ..., Amsterdam 1726; dann natürlich, nach unserem Zeitraum, Georg Friedrich von Martens, Recueil des principaux traités d’alliance, de paix, de trêve, de neutralité, de commerce, de limites ..., Göttingen, seit 1791. 312 Lebensdaten, Versuch eines Lebensbilds: Ernst Jirgal, Johann Heinrich Bökler, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 45 (1931), S. 322–384. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1 würdigt den Inhaber des Straßburger Lehrstuhls für Geschichte in verschiedenen Zusammenhängen (kurz) auch als tüchtigen Juristen: Register, s. v. Boecler. Auf Böcklers Stellungnahmen zum (hier nicht interessierenden) fürstlichen Kampf gegen die kurfürstliche »Präeminenz« im Reichsverband der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gehe ich anderswo ein: Gotthard, Säulen des Reiches, Bd. 1, S. 426 mit Anm. 91. 313 Ich benützte einen Wiederabdr. des 18. Jahrhunderts: [anonym], Dilvcidationes Jvris publici (nicht durchgehend paginiert). Die Erstausgabe der Schrift muß vor 1677 erfolgt sein, denn die Gebrüder Mayer kennen sie bereits (vgl. Mayer/Mayer, Quaestio Politica).

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»Inuisi quidem fere sunt bellantibus medii.«314 Aber zu den Anliegen der Arbeit, soweit solche erkennbar werden, scheint keine undifferenzierte Verdammung der Neutralität zu gehören, es komme eben auf die Umstände an. Das alles muß uns nicht weiter interessieren und steht anderswo weniger konfus. Es ist aber schon bemerkenswert, daß Böckler dann doch ansatzweise so etwas wie ein Neutralitätsrecht bietet, freilich will er hinsichtlich des praktischen Werts normativer Vorgaben keine Illusionen nähren. Gibt es ein Recht auf Neutralität? Seiner Ansicht nach theoretisch schon, praktisch wird es eben von den Kriegführenden anders gesehen, der »genius temporum« verwirft einen solchen Anspruch schroff. Hat der Möchtegernneutrale das Recht, Truppendurchmärsche zu verbieten? Jeder spricht es dem Neutralen zu, jeder weiß, daß die Kriegführenden natürlich den Transit erzwingen.315 Überhaupt strapazieren diese Kriegführenden eben ein »ius necessitatis«, »aut ratio belli, sicut hodie loquuntur«.316 Da wagt einer tastende Schritte hin zu einem Neutralitätsrecht, ohne seinen eigenen normativen Vorgaben etwas zuzutrauen. Die Arbeit changiert unreflektiert zwischen Staatsräsonkalkül und Normativität. Johann Wolfgang Textor schrieb 1680 ein umfangreiches Kapitel über die ­(auch so auf den Begriff gebrachte) Neutralitas 317, das kaum moralisiert und doch dem Neutralen wenig günstig ist. Es gibt kein Recht auf Neutralität, auf keinen Fall – Textor betont in immer neuen Wendungen durchs ganze Kapitel hindurch, daß Neutralität ein Vertragszustand sei, nur aus Verträgen und allseitigem Konsens herfließe. Konsens und Vertragsunterschriften aber könne man nicht erzwingen; was Textor nicht daran hindert, lang und gewunden darüber zu räsonnieren, unter welchen Umständen Kriegführende ihrerseits Abseitsstehende zur Neutralität zwingen könnten. In diesem Zusammenhang begegnen uns auch Versatzstücke wieder, die wir schon aus politologischen Arbeiten kennen: »ea non media, sed nulla via est«, »neque amicos paret, nec inimicos tollet«. Äquidistanz sei zwar ein Grundprinzip der Neutralität, erkennt dieser Autor, aber eben vorbehaltlich der jeweiligen vertraglichen Vereinbarungen – was ihn zu langen, wiederum gewundenen Erörterungen verführt, wie einseitig denn solche Vertragsverhältnisse ausgestaltet sein dürfen, ohne daß man deshalb nicht mehr von einem Neutralitätsvertrag sprechen könne. Da Textor Neutralität nur im (normalerweise vertraglich fixierten) Konsens aller Beteiligten kennt, tut er sich schwer mit der Definition einer unabdingbaren Substanz, ja, müssen generalisierende, damit auch normative Aussagen überhaupt schwerfallen. 314 Ebda., S. 38 bzw. S. 39 bzw. S. 42. 315 Wir schauen diese Passagen noch genauer an, wenn es in Kapitel C.2.4 speziell um das Recht auf Neutralität bzw. um Truppentransfers geht. 316 Böckler, Libellus de quiete in turbis, S. 72. 317 Zum Folgenden: Textor, Synopsis juris gentium, Bd. 1, Kapitel XXVI (»De jure neutralitatis«, S. 100–109).

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Es bleibt dabei: Neutralität als Rechtsstatus konturiert erst das 18. Jahrhundert.318 Von Adam Friedrich Glafey war schon im Kontext einer Säkularisierung des Denkens über Krieg und Frieden die Rede. Sein 1732 vorgelegtes »Recht der Vernunfft« bietet ein Kapitel »Von der Neutralität«319: Wir stoßen auf keine abschätzigen Bewertungen; jeder Souverän hat das bedingungslose Recht, neutral zu bleiben, darf hingegen nie dazu gezwungen werden; die Rechte und Pflichten des Neutralen sind klar umrissen, kreisen um einen Grundsatz, der auch nach modernem Völkerrecht im Zentrum steht, dort »Abstinenzprinzip« heißt. Nun gehört Glafey nicht zu jenem Häuflein illustrer »Klassiker des Völkerrechts«, auf die sich die raren völkerrechtsgeschichtlichen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte zu stützen pflegen; ich bin dort auf diesen Namen weder im Zusammenhang mit der Neutralität noch überhaupt irgend im Umkreis von Krieg und Frieden je gestoßen. Das sagt an sich über Glafeys Bedeutung für die Gebildeten des 18. Jahrhunderts noch nicht viel, doch dürften – so wenig Sicheres wir darüber wissen – in der Tat auch damals andere Autoren berühmter gewesen sein. Beispielsweise der Niederländer Cornelis van Bynkershoek, dessen 1737 erschienene »Quaestionum juris publici libri duo« danach generationenlang viel zitiert wurden. Sie enthalten ein Kapitel »De Statu belli inter non hostes«, das sehr kurz ist320, überdies nach heutigem Verständnis nur in der ersten Hälfte etwas Neutralitätsrecht bietet.321 Noch am stärksten ist der Einstieg: »Non hostes appello, qui neutrarum partium sunt, nec ex foedere his illisve quicquam debent; si quid debeant, Foederati sunt.« Damit war – auf dem Papier – der Schlußstrich unter die vormoderne Praxis bilateraler Neutralitätsvereinbarungen gezogen, die durchgehend den Preis dafür taxiert hatten, daß die paktierende Kriegspartei die suspekte Neutralität hinnahm. Diese bilateralen, zwischen Allianz-, Protektions- und Neutralitätsvertrag changierenden Pakte hatten zwar nicht, wie die Sekundärliteratur geschlossen annimmt, die damalige Praxis der Neutralität, aber doch die damalige Vertragspraxis bestimmt; zahlenmäßig überwogen weit ein318 An der Einschätzung ändert auch dieser Zufallsfund nichts: Philipp Reinhard Vitriarius, den keine der gängigen Völkerrechtsgeschichten kennt, bietet in seinen erstmals 1687 veröffentlichten, danach immerhin wiederholt aufgelegten »Institutiones« ein kurzes Neutralitätskapitel (S. 516–520 – viereinviertel groß bedruckte Seiten; ich gehe weiter unten noch kurz darauf ein: S. 493 mit Anmm. 374f.), das den Neutralen vor Kriegsunbilden geschützt sehen will und ohne moralische Vorbehalte auskommt. Freilich ist dieses Kapitelchen viel zu beiläufig, knapp, allgemein gehalten (und sein Autor zu wenig bedeutsam), als daß man damit das klassische Neutralitätsrecht beginnen lassen könnte. 319 Glafey, Recht der Vernunfft, Buch VI, Kapitel V (S. 165–172). 320 Zum Folgenden: Liber I Caput IX, S. 67–75; die Seiten sind locker und groß bedruckt. 321 Bynkershoek spielt danach strittige Bündnisfragen durch, insbesondere interessiert ihn das Problem, daß zwei Alliierte eines Staates miteinander Krieg führen und beide auf Beistand pochen – wem ist unter welchen Umständen wie zu helfen?

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seitige, weder vertraglich fixierte noch irgend in feierliche Form gebrachte Neutralitätsbekundungen, gegenüber irgendwelchen Emissären, gegenüber gerade vorsprechenden Militärs. Aber gegen die herkömmliche Vertragspraxis sprach sich Bynkershoek doch klar und entschieden aus. Sodann kann man interessant finden, daß er kaum mit antiken Autoritäten argumentiert, lieber aus dem Dreißigjährigen Krieg lernt. Freilich ist sein Neutralitätskapitel ganz unvollständig, er äußert sich weder zum Recht auf Neutralität (das er wohl für selbstverständlich hält) noch zur normativ geforderten oder faktisch gegebenen Schutzwirkung dieses Status. Stammte dieses Kapitel aus der Feder irgendeines Doktoranden, verdiente es kaum Beachtung; aber daß sich mit Bynkershoek eine anerkannte und recht viel gelesene Autorität leidlich auf der Höhe der Zeit322 und ohne diskriminierende Töne über den Neutralenstatus äußerte, mag diesen schon befestigt haben. Sollen wir die Auffassungen Christian Wolffs zu Krieg, Frieden und Neutralität verglichen mit denen Bynkershoeks, gar Glafeys als rückständig charakterisieren, waren sie besonders zukunftsweisend? Aufs nachklassische Völkerrecht verweisen manche Züge des Rahmens, in den die Ausführungen zur Neutralität eingespannt sind. Wolff schränkte das einzelstaatliche Ius ad bellum in einer Weise ein, die an Völkerbundssatzung und Charta der Vereinten Nationen denken läßt: Ein Recht zur Kriegführung bestand nur dann, wenn sich der präsumtive Gegner weigerte, sich Verfahren der friedlichen Kompromißsuche beziehungsweise, bei deren Scheitern, Entscheidungen der Völkergemeinschaft zu unterwerfen, so Wolff. Kam es zum Krieg, war immer eine Seite im Unrecht: nämlich diejenige, die Vermittlung, Schiedsspruch bzw. Entscheidung einer Versammlung der Nationen nicht akzeptiert hatte. Mit anderen Worten: Wolff vertrat einen diskriminierenden Kriegsbegriff.323 Das war in einer Zeit, die letzte Reste der Bellum-iustum-Doktrin abstreifte, altertümlich. Das war zukunftsweisend. Und wo bleibt die Neutralität? Paßt Neutralität zu Völkerbund, Briand-Kellogg-Pakt, UN-Charta? Theoretisch steht sie in einem kaum auflösbaren Span322 Glafeys Neutralitätskapitel ist umfassender, schärfer, konsequenter, deshalb in der Summe auch zukunftsweisender. 323 Wenn auch mit anderen Konsequenzen als Hugo Grotius – entschiedener noch als Pufendorf lehnte Wolff nämlich internationale Strafkriege gegen einen staatlichen Störenfried ab, gegen letzteren durfte allenfalls ein Nachbarstaat zu kriegerischen Mitteln greifen, der unmittelbar geschädigt war (eigentlich eine Einstellung, von der man meinen sollte, daß sie die Option Neutralität begünstigen müßte). Die Haltung der vormodernen Völkerrechtsautoren zu »international punishment« (Neutralität wird nicht erwähnt) ist, neben Kolonialkriegen, das zweite große Thema der Monographie von Richard Tuck; Pufendorfs Äußerungen hierzu: Tuck, The Rights, S. 158–161; Wolff und »international punishment«: ebda., S. 189f.

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nungsverhältnis dazu, praktisch arrangiert man sich mit neutralem Verhalten. Paßt Neutralität zu Wolffs diskriminierendem Kriegsbegriff ? Theoretisch eigentlich nicht, praktisch kommt Wolffs Neutralitätskapitel324 ohne Rekurse auf seinen Kriegsbegriff, seine Friedensutopien aus. Er bejaht ein Recht auf Neutralität, wenn er auch (hier wirklich altertümlich) Verträge dringend empfiehlt – überhaupt geht das ganze Kapitel sichtlich von vertraglich fundierter Neutralität aus. Äquidistanz zu allen Kriegsparteien ist schon Wolffs Neutralitätsdefinition implizit. Die Passagen zum Schutz der territorialen Integrität des Neutralen oszillieren; Wolff verpflichtet ihn, den »transitus innoxius« hinzunehmen, doch muß dessen Unschädlichkeit »satis manifestum« sein, und eine »metus« des Neutralen, die »non vanus« ist, reicht zur Ablehnung hin. Sollen wir das Fehlen jeglicher Eindeutigkeit, damit Rechtssicherheit bemängeln, sollen wir mutmaßen, daß eine solche Furcht glaubwürdig auszumalen den Juristen und Publizisten des Neutralen in der Praxis nicht besonders schwergefallen wäre? Sehr hilfreich für die politische Praxis waren die vom theoretischen Ansatz her interessanten Ausführungen Wolffs zu Krieg, Frieden und Neutralität in ihrer Zeit sicher nicht. Führt uns der Erfolgsautor325 des 18. Jahrhunderts über Glafey und Bynkershoek hinaus? Emer de Vattel bietet in seinem erstmals 1758 vorgelegten »droit des gens« ein detailliertes Kapitel »De la neutralité«326, darin Fortschrittliches und Relikte überkommener Konzeptionen in nicht immer bruchloser Mischung. Versuchen wir, das teilweise Inkommensurable zu systematisieren – Vattel selbst war wahrlich kein Meister gedanklicher Systematik –, indem wir drei aus unserer Sicht fürs Thema besonders wichtige Fragen an den Text stellen! 324 Zum Folgenden: Christian Wolff, Jus gentium methodo scientifica pertractatum, Bd. 1 [von 1764], hg. von Otfried Nippold, Oxford 1934, S. 244–249. Was Wolff in seinen »Institutiones« von 1750 »De iis qui in bello medii sunt« (Pars IV Cap. VII § 1181, S. 738f. – eineinviertel locker und groß bedruckte Seiten) geschrieben hatte, war fragmentarisch, ließ aber die ›neutralitätsskeptische‹ Grundhaltung des Autors noch umstandsloser erkennen. Wolff betonte damals lediglich, daß der Neutrale (das war seit Glafey und Bynkershoek eigentlich überholt) unbedingt Verträge suchen müsse; und daß er trotzdem den »transitus innoxius« hinzunehmen habe. Vgl. Marcellus Thomann (Hg.), Christiani Wolffii Institutiones juris naturae et gentium, Ndr. der Ausgabe von 1750, Hildesheim 1969. 325 Alle Arbeiten über Vattel betonen die exzeptionelle Verbreitung seiner Abhandlungen, zumal aber des erstmals 1758 verlegten »Droit des gens«, wie seinen großen Einfluß auf die politische und juristische Praxis. Daß Vattel ein besonders tiefgründiger, strenger, systematischer Denker gewesen sei, behauptet meines Wissens kein Kenner, auch besonders originell war er sicher nicht (vieles trivialisiert hingegen Christian Wolffs Schulphilosophie), doch schrieb er eben bewußt für ein breiteres Publikum als die meisten Kollegen, und mit Erfolg. Die Literatur zu Vattel ist für völkerrechtsgeschichtliche Verhältnisse ungewöhnlich reichhaltig, vgl. zuletzt Jouannet, Emer de Vattel (ohne Behandlung des Neutralitätskapitels). 326 Zum Folgenden: Vattel, Le droit des gens, Bd. 1, Libre III, chapitre VII, §§ 103–135 (S. 42–55).

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Beinhaltet Neutralität Äquidistanz zu allen Kriegsparteien? Vattel definiert Neutralität eingangs als Unparteilichkeit im Krieg, gleichsam abstrakt fordert er sie strikt ein, ja, er steigert dieses Postulat zur Abstinenz (da man sonst doch wieder unwillkürlich bei einseitigen Begünstigungen für diesen oder jenen lande). So weit, so modern, nur lesen wir dann im selben Kapitel, daß bereits geschlossene Allianz- oder Freundschaftsverträge mit einer Partei der Neutralität nichts benähmen und einzuhalten seien. Der Rechtsstatus Neutralität gebietet also Unparteilichkeit nur insoweit es die Vertragslage ermöglicht. Versuchen wir wohlwollend zu harmonisieren, können wir vielleicht so zusammenfassen: Einseitige Leistungen für eine Kriegspartei sind Ausnahmen zur grundsätzlich schon gebotenen Äquidistanz. Diese wird aber noch weiter ausgehöhlt: Sei es aus Inkonsequenz, sei es aus einem unrealistisch engen Verständnis dessen, was einer Seite im Krieg hilfreich sein kann, erlaubt unser Schweizer Autor dem Neutralen alle möglichen auch einseitigen, vermeintlich nicht kriegsentscheidenden Aktivitäten, so darf er einer Seite Kredite gewähren, der anderen nicht, oder nur den einen bei sich Truppen werben lassen. Für Vattel ergreift der Neutrale damit gar nicht Partei. Äquidistanz des Neutralen? Ja und Nein. Gibt es ein Recht auf Neutralität? An sich ja, sagt Vattel. Man muß hierfür keinen Vertragspartner finden. Freilich empfiehlt er dann doch recht dringend, den Status vertraglich abzusichern – zumal erst das Klarheit über Rechte und Pflichten des Neutralen verschaffe. Außerdem – hier stoßen wir sogar auf ein Relikt der Bellum-iustum-Doktrin – dürfe man nicht durch Abseitsstehen krasses Unrecht begünstigen. Gibt es, drittens, einen fixen Begriffsinhalt, eine festumrissene, beliebigen ad-hoc-Vereinbarungen entzogene Substanz von Neutralität? Ja und Nein, wie wir bereits sahen: Einerseits gibt Vattel schon allgemeine Regeln an die Hand, so den Grundsatz der Äquidistanz; andererseits sollen Verträge Erwartungssicherheit schaffen: eine Empfehlung, die ja einschließt, daß dies generalisierte völkerrechtliche Normen in Vattels Augen nicht vermögen.327 Wir finden die Essentials des klassischen (und modernen) Neutralitätsrechts – fixer Begriffs­umfang, als Kern desselben Äquidistanz, drittens ein Recht auf Neutralität – bei Vattel schon, aber gleichsam kontaminiert. Er definiert Neutralität als Unparteilichkeit im Krieg, sieht einseitige Vergünstigungen als ein Übel an, freilich als verbreitetes und läßliches; betont das Recht auf Neutralität, empfiehlt aber trotzdem Neutralitätsverträge, weil erst sie den Begriffsumfang genau nachzeichneten: eine skurrile Mischung! Vattel nimmt dem Neutralen immer wieder mit der anderen Hand, was er gerade mit der einen konzediert hat, teilweise wohl, ohne das selbst zu merken; doch ist die Grundhaltung überhaupt nicht skeptisch, von moralischer Herablassung dem Neutralen gegenüber keine 327 Vgl. hierzu noch unten S. 494 Anm. 380.

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Spur! Insgesamt hat der Schweizer ein inkonsequentes328, aber dem Neutralen wohlwollendes329 Neutralitätskapitel vorgelegt. Weil eine der Inkonsequenzen Vattels darin besteht, daß er Neutralitätsrecht geben will und doch Verträge mit der Begründung empfiehlt, daß erst sie Klarheit über Rechte und Pflichten schüfen, will ich auf eine kleine neutralitätsrechtliche Studie330 hinweisen, die gewiß keinen »Klassiker«-Status hat, aber in dieser Frage zu einer anderen und ungewöhnlichen Lösung kommt. Ihr Autor empfiehlt im Zusammenhang mit der Frage, »ob in dem neutralen Lande der Verkauf oder Durchfuhre erbeuteter Sachen zu verstatten?«, daß der »Souverain ... sogleich bey der Declaration der Neutralität seine Meynung dießfalls zu erkennen gebe«. Noch ist der Begriffsumfang von Neutralität unklar, doch definiert wird er in dieser Abhandlung vom Neutralen selbst, nicht mehr, wie in den älteren Arbeiten gängig, bilateral.331 An einer Monographie des Dänen Martin Hübner über die Aufbringung neutraler Schiffe332 interessiert diese auf den Landkrieg fokussierte Studie nur die Terminologie. Dem »foederatus« Bynkershoeks hätte333 Hübner die in vertraglichen Grenzen einseitige »neutralité limitée« zugestanden, doch keine »neutralité pleine et entière«, die unparteiisch sei, und seine Kategorie der »neutralité 328 Man könnte beispielsweise anfügen, daß Vattel grundsätzlich sehr betont, die Gebietshoheit des Souveräns sei zu achten, und doch manche Ausnahmen beim »Transitus innoxius« macht. 329 Hat das auch mit gerade aktuellen Haupt- und Staatsaktionen zu tun? Der britische Seekrieg gegen Frankreich und Spanien, insbesondere dann aber der britisch-französische Kolonialkrieg beeinträchtigten massiv den Handel der Nichtkriegführenden, zumal Großbritannien seit 1756 entschieden den Konterbandeschmuggel von Nichtbeteiligten mit den französischen Kolonien zu unterbinden suchte. Aber ob solche Entwicklungen das Neutralitätskapitel des Schweizers Vattel motiviert bzw. beeinflußt haben, scheint mir fraglich zu sein. Beim gleich zu erwähnenden, vor allem an Seehandelsfragen interessierten Dänen Martin Hübner ist das erkennbar anders. 330 Zum Folgenden: [anonym], Des G. K. R. V. Rechtliches Bedencken, S. 20. 331 Schon vorher hatte der Autor freilich klargestellt, daß es »jedem Souverain« freistehe, »was er vor Sachen in seine Länder einführen lassen« wolle (S. 13). Er hat also das Recht, jegliche »Durchfuhre« überhaupt zu verbieten. Insgesamt scheint es unser Autor so zu meinen: Durch einseitige Deklaration macht der Neutrale klar, auf welche ihm eigentlich sowieso zustehenden Rechte er wirklich pochen und wie er sich gleichsam en détail verhalten wird. 332 Zum Folgenden: Martin Hübner, De la saisie des bâtiments neutres ou du droit qu’ont les nations belligérantes d’arrêter les navires des peuples amis, Den Haag 1759. Den Autor (er verhandelte 1759 in London wegen der zahlreichen von England aufgebrachten dänischen und norwegischen Schiffe) motivierten ganz konkrete (und zwar maritime) Probleme der politischen Praxis. 333 Ich muß in den Irrealis setzen, denn merkwürdigerweise nennt Hübner Bynkershoek nicht unter seinen Quellen. Das Droit des gens Vattels habe er erst kurz vor der Fertigstellung des Manuskripts zur Kenntnis genommen (so das Vorwort, S. XVII), sein Text könne nun nicht mehr darauf eingehen.

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générale« – die keines sie gewährenden Vertrags bedürfe, wie er hingegen die »neutralité particulaire« begründe – zeigt, daß er ein Recht auf Neutralität kannte. Die Kategorie der »neutralité limitée« vorstellend, ergänzt Hübner, sie sei genau genommen gar keine Neutralität.334 In Hübners Begrifflichkeit ließ sich, wie die alte, so auch die klassische Neutralität präzise beschreiben, was impliziert, daß letztere als Konzept existiert hat. Neutralité générale sowie Neutralité pleine et entière zusammen ergeben die Neutralität des klassischen Völkerrechts. Natürlich erschienen auch weiterhin Dissertationen zum Thema, so fällt in die Zeit der bedeutendsten völkerrechtlichen Durchbrüche ein Würzburger »Specimen juris gentium de neutralitate«, das hier lediglich aus diesem einen Grund interessant ist: Der Autor verblüfft den Leser mit der Behauptung, man müsse nun endlich einmal die Neutralität nicht nur juristisch anschauen, sondern sie nach ihrem politischen Nutzen befragen, das hätten erst »pauci« versucht, »possem dicere nullus«!335 Offenbar dominierten für die Zeitgenossen nun so die juristischen Bemühungen um den Neutralenstatus, daß die älteren politologischen Arbeiten dazu – jedenfalls in Würzburg – in Vergessenheit gerieten. Überhaupt wurden die Kerngedanken der bedeutenden Völkerrechtsautoren in die kleine Münze weniger bedeutender akademischer Gelehrsamkeitsnachweise und anderer Gelegenheitsschriftchen336 umgeprägt, so weiter popularisiert – galt das »droit de neutralité« nun doch als »einer der bemerkenswertesten

334 »On sent bien que cette dernière espèce de Neutralité n’en est pas exactement une«: ebda., S. 34. – »Neutralité pleine et entière« und »neutralité limitée« sind bei Hübner gewissermaßen Unterabteilungen der »neutralité particulaire«; doch soll es hier, wie gesagt, nicht um Einzelheiten gehen. 335 Johann Andreas Vogt, Specimen juris gentium de neutralitate et eo, quod circa eam justum est, Würzburg 1752, S. 1f. Übrigens kennt Vogt schon ähnliche Distinktionen wie sieben Jahre später Hübner (Unterscheidung in »neutralitatem simplicem et pactitiam«, »neutralitatem absolutam, et restrictam«). Das klassische Neutralitätskonzept war nun eben erarbeitet, auch – gattungsbedingt gar nicht auf gewagte Innovationen erpichte – Qualifikationsarbeiten bauten darauf auf. 336 Um wieder nur ein Beispiel zu geben, das schon vom Erscheinungsjahr her Interesse weckt: Jakob Carpov, Reflexions sur le droit de la neutralité à l’occasion de l’anniversaire de la naissance de Son Altesse Serenissime Madame Sophie Charlotte Albertine ..., Weimar 1744 – nach Glafey und Bynkershoek, vor Vattel. Der Autor schreibt sich auf dem Titelblatt »Jaques Carpov«, sein Französisch ist erbärmlich. Ob an der »Ecole-illustre« in Weimar alle so radebrechend parlierten wie der Herr »Recteur«? Euphorische Lebensskizze (»Carpov’s litterarische Thätigkeit war eine außerordentliche«): ADB 4 (1876), S. 8f. – Ich gehe auf die eine und andere Formulierung solcher Schriftchen ein, wenn weiter unten gattungsübergreifend bestimmte Aspekte der Neutralität vertieft werden; solche Arbeiten hier gleichsam gleichberechtigt neben denen Bynkershoeks oder Vattels ›im Ganzen‹ zu würdigen, erschiene mir unangemessen.

»Ius necessitatis« oder »ius gentium«

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Stoffe des Völkerrechts«337 von großer politischer Relevanz: »Sans doute c’est une question de la derniere [sic] importence [sic] pour un Prince, s’il lui est plus avantageux de prendre parti, ou de garder la neutralité? Car pendant que d’autres Puissances sont en guerre, les deliberations les plus épineuses du cabinet ne roulent que sur ce point.«338 Und die Völkerrechtseuphorie der Spätaufklärung kam auch dem Thema Neutralität zugute: Eine ganze Reihe von Abhandlungen zum Neutralitätsrecht339 versuchten im späten 18. Jahrhundert, aus dem Naturrecht ein ausgefeiltes System der Rechte und Pflichten des Neutralen abzuleiten. Noch im 18. Jahrhundert wurde die Vorstellung, Neutralität sei ein zunächst naturrechtlich ableitbarer, dann auch gewohnheitsrechtlich vorgegebener Status, dessen Ausgestaltung (Verhältnis des Neutralen zu den Kriegführenden, seine Rechte, ihre Pflichten) der vertraglichen ad-hoc-Disposition entzogen sei, Gemeingut der Gebildeten. Man kann es bezeichnend finden, daß Johann Jakob Mosers »Versuch des neuesten Europäischen Völker-Rechts« dem Kapitel »Von der Neutralität überhaupt« ein großes Kapitel »Von denen Rechten [!] derer neutralen Souv.« folgen läßt.340 Als ein Franzose aus Kraft und Willen namens Napoleone Buonaparte Europa unter seinen korsischen Clan aufteilte, hatte die Neutralität auf dem Papier gerade ein stabiles, festumrissenes Terrain erobert.

337 Das dürfte der Sinn dieses hanebüchenen Satzes sein (Carpov, Reflexions, S. 4): »Je me suis proposé de faire des reflexions sur le droit de la neutralité; matiere [sic] des plus remarquables du droit des gens.« 338 »Mais pour en parler generalement, il faut avouer, qu’il est également douteux de part et d’autre d’y répondre«: ebda., S. 7. »Comme il n’est donc pas moins hazardeux d’être neutre que de ne l’être pas: c’est la prudence qui portera le Prince à choisir le parti le moins hazardeux selon l’état des circonstances. Car de deux maux il faut preferer [sic] le moindre, quand il n’est pas faisable de les eviter [sic] l’un et l’autre« (S. 8): Neutralität hatte keinen Malus, keinen Anfangsverdacht mehr gegen sich. Ansonsten bietet das unbedarfte Schriftchen, wie im Titel angekündigt, Neutralitätsrecht. 339 Vielleicht am meisten beachtet (Übersetzungen, wiederum vielbeachtete Entgegnungen): Fernando Galiani, Dei doveri dei principi neutrali verso i principi guerregianti, e di questi verso i neutrali, Neapel 1782; die deutsche Übersetzung von Karl Adolph Cäsar erschien 1790 in Leipzig unter dem Titel »Recht der Neutralität«. Schon 1788 hatte da Georg Friedrich von Martens erstmals seinen »Précis du droit des gens modernes« vorgelegt – klassisches Neutralitätsrecht, damit nicht mehr das diese Studie näher interessierende. 340 Vgl. Johann Jakob Moser, Versuch des neuesten Europäischen Völker-Rechts in Friedensund Kriegs-Zeiten ..., hier Bd. 10.1, Frankfurt 1787. Beim ersten Hinschauen findet man es auch aufschlußreich, daß Moser keine historischen Exempel bietet, die älter sind als ungefähr ein halbes Jahrhundert. Offenbar gab es in Mosers Verständnis vorher keine Neutralität – es war ja auch eine sehr andere! Freilich ist der Befund in den meisten anderen Kapiteln vergleichbar, Mosers Bände interessieren sich durchgehend kaum für die Jahre vor 1740 – dort gab es für ihn als Völkerrechtsautor nichts zu lernen, und als Antiquar verstand er sich ja nie.

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2.4 Fragen quer zu den Gattungsgrenzen 2.4.1 Moralischer Defekt oder Rechtsfigur? 2.4.1.1 Das fortwährende Renommeedefizit Daß Neutralität vor dem 18. Jahrhundert übel beleumundet war, muß diese Zusammenschau nicht mehr umständlich beweisen. Wir sahen, daß zahlreiche fromme Pamphlete der ersten Hälfte der Frühen Neuzeit »Contra neutrales«341 anschrieben, einen Zwang aufbauten, sich zwischen Christus und Teufel, God or Baal zu entscheiden. Neutrale suchten eine »Gottlose sicherheit«, wußte beispielsweise 1574 ein katholischer Autor, die »in effectu anders nichts, als ein pur lautere verblendung des Teufels« war.342 Seit 1618 war die Ruchlosigkeit des Neutralen das große Thema der evangelischen Pamphletistik, denn die »Neutralisten« waren im Dreißigjährigen Krieg »der Catholischen Hoffnung«.343 Neutralität war sündhaft, unbiblisch, unchristlich, war teuflisch. Neutrale wollten »klüger seyn ... als Gott« und verfielen darüber dem »Sathan«.344 Sie waren die Verworfensten der Verworfenen, weil »Gott dergleichen Neutralitet zwischen dero Christlichen Kirchen, vnd dem Antichrist, das ist zwischen GOTT vnd dem Teuffel höher hasset vnd anfeindet, als einem rechten pur lautern Abfall zum Teuffel.«345 Vor der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind nahezu keine Flugschriften auszumachen, die für Neutrale ein gutes Wort kennen.346 Auch danach dominiert noch jahrzehntelang Skepsis, aber theologische Gehalte solcher Neutralitätskritik schrumpfen auf unbedeutende Relikte zusammen.347 Neutralität ist nun ›nur‹ noch unehrenhaft und feige, ehe sich auch diese Vorbehalte im 18. Jahrhundert verflüchtigen. 341 342 343 344 345 346

Maior, Prima pars, Marginalie auf fol. 179. Eder, Inquisition, S. 167. [Anonym], Post Reutter, S. 30. [Anonym], Traw, Schaw, Wem, S. 25. [Anonym], Postilion, Abschnitt Nr. 121. Ich stieß überhaupt nur auf diese Ausnahmen: Die anonyme »Newe Zeitung« lobte 1614 die Lutheraner dafür, daß sie es gegen die verruchten Calvinisten mit der katholischen Seite hielten oder wenigstens »neutral« blieben, um am Ende doch auch vor Neutralität zu warnen: »gebet auff ewre schantze acht, dz jr neutralizando nit ein Instrument seit zu ewren eigenen Vntergang«. In [anonym], Specvlvm Germaniae scheint die dort goutierte kursächsische »Neutralität« Bündnislosigkeit zu meinen. [Anonym], Abtruck Einer Aufgefangenen Jesuitischen Information befürwortete 1637 die Neutralität des Reiches im Verhältnis zu den Generalstaaten (und nur auf diesem Kriegsschauplatz). [Anonym], Trewhertzige Vermahnung lobte 1644 die schweizerische und die burgundische Neutralität. Alle Flugschriften lernten wir schon in Kapitel C.2.1 kennen. 347 Um ein spätes Spurenelement anzuführen: [anonym], Kurtzgefaßte Frage Ob Ein ChurFürst oder Stand des Reichs bey gegenwärtigem Krieg neutral bleiben könne, o. O. 1734 wendet sich gegen die Neutralität von Reichsständen nach der Reichskriegserklärung vom

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Daß Neutralität unehrenhaft war, kein Renommee eintrug, wenig respektiert wurde, daß diese politische Option deshalb schwerlich klug sein konnte: das wußte schon 1513 Machiavelli, wußten nach ihm und besonders in den Jahrzehnten um 1600 seine uneingestandenen Adepten, von Francesco Guicciardini, Jean Bodin und Justus Lipsius bis hin zu Philipp Heinrich Hoenonius oder Christoph Besold, übernahmen von solchen gediegen mittelmäßigen Universitätsgrößen wiederum deren gern gestehende beflissene junge Adepten von Johann Georg Koseritz bis zu den Gebrüdern Mayer. Neutralität war pure »stultitia«, jedenfalls für jeden, der nicht so stark war, daß er sich einfach alles leisten konnte348, sogar die suspekte Neutralität. Auf »Sathan« und »Baal« rekurrieren solche um politische Ordnungsstiftung kreisende Schriften nicht349, aber sie wissen, daß Neutralität schon deshalb geringen Respekt, und damit wiederum wenig Schutzwirkung vor den Kriegsunbilden verspricht, weil sie sich an den Ehrvorstellungen 350 der adeligen Letztentscheider reibt. Keine heilsgeschichtlichen Szenarien (bis hin zur Ausspeiung der »Lauen« vor dem Jüngsten Gericht) verdammen hier die Neutralität, sie hat einfach die Lehren der Menschheitsgeschichte gegen sich.351 Wir sahen sodann, daß Sammlungen von Spruchweisheiten, Sentenzen, politischen Maximen ungleich mehr negative als wohlwollende Bewertungen aneinanderreihten. Es ist bezeichnend, daß sogar Dissertationen über die Neutralität für Mißtrauen allen Neutralen gegenüber plädieren, denn »si in ullo negotio civili parata est ingeniis humanis simulatio, in Neutralitate nostra magna exhibetur histrionia simulationis et dissimulationis. In hac scena omnia ficta et adumbrata, nihil solidum et naturale, cuncta ad ostentationem magis, quam ad fidem fiunt. Plerumque Ludibria et simulacra Neutralitatis pro vera et genuina artificiose ostenditur, et magnificis speciosisque titulis Amicitiae et Quietis hostiles molitiones et inFrühjahr 1734, konzediert dabei, daß Neutralität »zu Zeiten, und in gewissen Fällen wohl gelten möge«: nämlich, wenn einen ein Konflikt einfach »gar nichts angehet«, der Autor fügt hinzu: »weder wegen Göttlichen Worts, noch wegen andern Ursachen«. 348 Der lachende Dritte, der sich Neutralität wegen seiner stattlichen Ressourcen leisten kann: Guicciardini, Bodin, bei den Monographien Koseritz und Schemel. – Fast gleichrangige Würdigung auch etwaiger Pro-Gründe, es kommt alles auf die momentan eben gegebene Staatsräson an: Ribadeneyra, Botero, Neumayr. – Nutzen für die Staatenwelt, Friedensvermittlung: Bodin; Koseritz, Voßenhölen. 349 Theologische Reste: »Erenberg« und Hoenonius, unter den Monographien zur Neutralität Koseritz oder Voßenhölen, sogar noch Gohren, nicht Neumayr, der aber passagenweise ins Moralisieren kommt. 350 Nicht alle Pioniere einer Wissenschaft von politischer Ordnungsstiftung betonen die Kategorie der Ehre gleichermaßen. Machiavelli streicht sie kräftig heraus, bei Eberhard von Weyhe und Hoenonius taucht sie unübersehbar auf, auch bei Neumayr. 351 Die Lehren der Geschichte: besonders dominant bei Bodin, aber auch bei Justus Lipsius, »Erenberg«, Hoenonius, dann wieder ganz besonders bei Besold; wichtig sind sie auch den Monographien von Neumayr und Koseritz.

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sidiae solerter absconduntur.«352 Der Neutrale wird versuchen, den ermatteten Kriegsparteien hinterher ihre Beutestücke wegzuschnappen. 353 Er hemmt den Siegeslauf des Überlegenen, sucht ihm Steine in den Weg zu wälzen, ein Neutraler in der Nachbarschaft ist ein stets glimmender Brandherd.354 Auch Christoph Besold traute diesen unsicheren Kantonisten nicht über den Weg: »Qui neutrarum partium se esse verbo declarant, re tamen unum juvant«, oder sie trachteten danach, »ut in utramque partem fallere possint«.355 Schon Johann Wilhelm Neumayr von Ramsla hatte dies beobachtet: »Es erfolgt doch nichts anders darauß, schlegt einer beyden Theilen die assistentz ab, vnd wil neutral bleiben, so gerät er hierdurch bey allen beyden in Verdacht«. Muß diese Kolportage zeitüblicher Einstellungen nicht unbedingt die Haltung des Autors wiedergeben, warnt er doch an anderer Stelle: »Ja schlegt er dem einen oder andern Theil assistentz ab, vnd sitzt still, kan man dasselbe leichtlich bewegen, daß er sich mit andern, die vns grossen Schaden zufügen können, verbinde«.356 Bei den »Klassikern des Völkerrechts« begegnen keine abschätzigen Kommentare, mit dieser Ausnahme: Johann Wolfgang Textor, der über Neutralität auch sonst nichts Positives zu sagen weiß, gibt die in anderen Textsorten notorischen Livius-Zitate.357 Hugo Grotius vermag dem Nichtkriegführenden nicht viel zu bieten, keinen zuverlässigen Schutz, kein Recht auf diesen Status, aber er diskriminiert ihn nicht moralisch – daß manche bisweilen »extra bellum sunt«, wird einfach erwähnt, nicht bewertet.358 Die großen Völkerrechtler des 18. Jahrhunderts sind weit davon entfernt, Neutralität noch moralisch bewerten, überhaupt irgend kritisieren zu wollen. Bei Adam Friedrich Glafey muß ein Herrscher unter gewissen Umständen geradezu neutral sein – wenn das die Staatsräson nahelegt, ist es seine Amtspflicht. Cornelis van Bynkershoek sagt nicht viel mehr (das immerhin entschieden), als daß der Neutrale unparteiisch zu sein hat, abschätzig ist keine seiner knappen Bemerkungen zum Thema. Und Emer de Vattel ist zwar inkonsequent, aber doch dem Neutralen wohlgewogen. Er hat bei ihm große Handlungsfreiheiten, größere als nach modernem Neutralitätsrecht mit seinem strikten Abstinenzgebot. Aber im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts hatte sich die suspekte Denkfigur auch schon zum Rechtsanspruch verdichtet. 352 353 354 355 356 357

Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 55. Vgl. Schemel, Dissertatio politica, S. 25. Vgl. ebda., S. 26; auch S. 30. Besold, Dissertatio Politico-Juridica, S. 93. Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel IV. Das gilt auch für die im Grunde schon völkerrechtlich zu nennende Dissertation Schröterings – im kurzen Zwischenkapitel über das »utile« neutralen Verhaltens (Thesis XVII) »praeda victori«, »non media, sed nulla via«. 358 Seit 1631 endet sein kurzes Kapitel über Nichtkriegführung sogar mit dieser (wohl Plutarchs Apophtegmata entnommenen) antiken Episode: Als Archidamos, der König der Spartaner, sah, daß die Eleer zur Seite der Arkader hinneigten, schrieb er ihnen einen Brief, der lediglich diese Worte enthielt: »bonum est quiescere«.

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2.4.1.2 Der Verrechtlichungsprozeß Wie weit reicht dieser Verrechtlichungsprozeß zurück? Seit wann bemühten sich Publizisten darum, einen fixen Begriffskern zu zirkeln, indem sie die der Neutralität immanenten Rechte und Verpflichtungen abmaßen? Die frühe politologische Literatur ist nicht an normativer Regelung der internationalen Beziehungen interessiert, glaubt an eine solche Möglichkeit auch gar nicht und zieht aus der ihr unausweichlichen Rechtsunsicherheit die Konsequenz, der Herrscher müsse immer auf der Hut und allzeit schlauer sein als seine vielen Konkurrenten. Neutralität ist hier keine Rechtsfigur, man sichtet vielmehr die Nachteile und etwaige Vorteile einer solchen politischen Leitschnur. Prallen an der Neutralität Bemühungen um eine normierende Verstetigung der internationalen Beziehungen besonders hartnäckig ab? Man könnte diesen Eindruck gewinnen, wenn man vergleicht, was Georg Braudlacht in seinen »Epitome«, im Kapitel »de quasi Foederibus jure tutelari sive protectionis, et item assistentia et neutralitate«, über außenpolitische Bündnisse (wir finden durchaus Ansätze zu juristischer Betrachtungsweise, wer darf solche eingehen, sind auch Reichsstände dazu berechtigt?) schreibt und dann über »neutralitas« – nämlich genau diesen Halbsatz: »quam nonnunquam periculosam, aliquando salubrem esse, circumstantiae et eventus edocere solent«.359 Die neutrale Option mochte Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts noch so häufig zu moralisch und/oder politologisch verankerten Werturteilen provozieren, sie reizte nicht als Gegenstand jurstischer Bemühungen. Auch die ausführliche Monographie von Neumayr bietet allenfalls zerstreute ›rechtsfähige‹ Splitter. Neutralität ist in dieser Abhandlung ganz unspezifisch jedes Abseitsstehen bei Kriegen und Konflikten, eben das Gegenstück zur »Assistentz«, keine fixe Summe bestimmter Rechte und Pflichten. Verschüttet unter all den (gelegentlich moralisierend überhöhten) Klugheitsmaßregeln Neumayrs begegnen ganz vereinzelt Halbsätze, aus denen man ein Neutralitätsrecht zusammenbasteln könnte. Noch am auffälligsten ist der Beginn von Kapitel VIII360 – nachdem wieder einmal betont wurde, daß Neutralität stets prekär, doch manchmal schwer zu vermeiden sei, mahnt der Autor: »Doch daß man auch wider die Jura neutralitatis im wenigsten nicht handele«. Nur, worin bestehen diese Jura? Immerhin wird auf der folgenden Seite Unparteilichkeit angeraten; doch nicht, weil das normativ so vorgegeben wäre, sondern kluger Gefahrenabwehr wegen – man muß alles vermeiden, was den Anschein erwecken 359 Georg Braudlacht, Epitome jurisprudentiae publicae universae, ejusdem methodum, materiarum sub eadem contentarum dispositionem, definitiones divisiones ... exlibens, Neuausgabe [des erstmals 1620 erschienenen Buches] Arnstadt 1666, S. 223. Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus, S. 306 zählt Braudlacht zu den Autoren, »die unser heutiges Bild der staatsrechtlichen Diskussion zu Beginn des 17. Jahrhunderts bestimmen«. 360 Der Ausgabe von 1620: Neumayr, Neutralitet 1620.

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könnte, »daß man einem Theil mehr, als dem andern, zugethan sey: Dann hierauß kan anders nichts, als grosser Schad vnnd Gefahr entstehen«. Bürstete man den langen Text gegen die Intentionen seines Autors durch, könnte man schon Trümmer bergen, aus denen sich Ansätze zu einem Neutralitätsrecht zusammenmontieren ließen. Hätte den Verfasser selbst ein solches auch nur interessiert, wäre er schreibgewandt genug gewesen, seine Verhaltensempfehlungen an einer Stelle konzentriert zu einem Neutralitätsrecht zusammenzuziehen. Man kann es auch bezeichnend finden, daß Neumayr unter seinen zahlreichen Gewährsleuten nur einen Völkerrechtler nennt, Gentili; die am Völkerrecht interessierten Autoren der spanischen Spätscholastik (sogar Vitoria) fehlen gänzlich – was nicht an einer Voreingenommenheit des Autors Spanien gegenüber liegen kann, er hatte dieses Land 1597 besucht und beruft sich wiederholt auf Ribadeneyra. Nein, Neumayr wollte kein Völkerrecht schreiben, sondern dem Leser einen Kompaß an die Hand geben, der ihm half, sich durchs rechtlich ungeregelte Ringen aller mit allen durchzulavieren. Er fixiert nicht, wägt ab: »Es beruhet aber diese materi meistestheils auff der Erfahrung361, zu vorderst aber darauff, das wir vnsere, wie auch der kriegenden Partheyen Macht vnd Gewalt, auch vnserer und ihrer Lande Gelegenheit, vnd andere Vmbstende ... gegen einander halten.« Dürfen wir einige der Neutralität gewidmete Disputationen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gleichsam in den Vorhof eines Neutralitätsrechts plazieren? Johann Georg Koseritz wollte 1638 ausdrücklich kein Neutralitätsrecht geben, wenn er so einen Versuch auch nicht für abwegig hielt: »Neque enim absurdum est transferre ad jus Publicum«.362 Auch in manchen späteren Arbeiten fehlen irgend ›rechtsfähige‹ Ausführungen gänzlich.363 Georg Schröder untersuchte 1659 den (geringen) Nutzen neutralen Verhaltens, doch setzt sein Abschnitt »Quomodo neutralitas ineatur?« so ein: »Quomodo nautralitas [sic] ineatur videndum se offert. Ut ut autem hoc poti o in facto quam jure videatur consistere, tamen ex jure quid legitime fit vel fieri debet decernendum est.«364 Es folgt indes auch hier kein Neutralitätsrecht – man vereinbart eben Verträge (eine nicht vertraglich begründete Neutralität kennt dieser Autor ja gar nicht), und diese aufsetzend, muß der Kriegsherr, da dem Neutralen keinesfalls zu trauen ist, sehr sorgfältig vorgehen. Gerade diese Passagen zeigen instruktiv, daß Neutralität für Georg Schröder keine feste juristische Substanz hatte, sondern in aufwendiger Sorgfalt wieder und wieder ad hoc gezirkelt werden mußte. An zwei anderen Stellen seiner Abhandlung begegnet dann aber doch eine Prise Neutralitätsrecht: Der Autor fragt nämlich danach, ob der Neutrale Truppentransfers hinzuneh361 362 363 364

Dieses Wort gesperrt gedruckt! Ich zitiere aus der Einleitung von 1620. Koseritz, Disputatio politica, fol. A3. Beispielsweise bei Schemel, Dissertatio policita; oder Gohren, Dissertatio inauguralis. Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 62.

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men habe, und verneint das im Prinzip.365 Begründet wird es freilich in beiden Passagen mit verschiedenen Reichsabschieden, auch der Wahlkapitulation366, also einem angeblichen reichsrechtlichen Verbot, Truppen durch andere Reichsterritorien zu führen, nicht speziellen neutralitätsrechtlichen Vorschriften. Außerdem kennt für diesen Autor Not kein Gesetz. Albert Voßenhölen367 gab 1673 in »Caput IV. Quae Medii facere possunt, etquae non« konkrete Verhaltensmaßregeln, freilich wird an keiner Stelle spezifiziert, was denn je und je klug – oder aber warum auch immer rechtlich geboten sei. Der Neutrale soll sich eben so und so verhalten, belegt wird es durch Episoden aus der antiken Geschichte. Rücken wir in »Caput V. Quae bellantes in Medios facere possunt« näher an ein Neutralitätsrecht heran? Ansatzweise gibt der Autor ein solches schon, er spricht dem Neutralen bestimmte Berechtigungen zu, verweigert den Kriegsparteien gewisse Zudringlichkeiten. So wird die Frage, ob ein Kriegführender Burgen, Befestigungsanlagen und Städte des Neutralen besetzen dürfe, wenn er befürchte, daß es andernfalls sein Gegner tue, verneint. Freilich sind Voßenhölens Begründungen eigentümlich vage, oft moralisierend oder theologischer Natur. So wird der Satz »bellantes adversus Medios nihil hostile facere debere« mit dieser »Lex« begründet: »Quod tibi non vis fieri, alteri ne feceris.« Wirklich verläßlich ist der Autor auch nicht, jedenfalls nicht aus der Sicht eines Neutralen, nirgends gibt es eine klare Absage an die notorischen angeblichen Sachzwänge der Kriegführenden, an die ominöse »Ratio belli«.368 Vergleichen wir mit den – freilich viel kürzeren – Passagen der Pionierwerke politischer Ordnungsstiftung, aber auch mit Neumayr, hat schon eine Gewichtsverlagerung vom ursprünglich allein interessierenden Ob zur Ausgestaltung des Wie stattgefunden. Noch ist sie ganz inkonsequent, auch in den Begründungen – es sind überwiegend die herkömmlichen Gelehrsamkeitsnachweise, für moderne Leser eigentlich Kompendien des Inkommensurablen: antike Exempel zuhauf, neuere Autoritäten, ferner biblische Gebote und moralische Gemeinplätze. Daß Johann Heinrich Böckler neutralitätsrechtliche Bruchstücke gab, denen er selbst nicht traute, sahen wir schon im letzten Kapitel. Theoretisch gibt es bei ihm ein Recht auf Neutralität, aber die Kriegsparteien akzeptieren ein solches 365 Vgl. ebda., Abschnitte Nr. 80ff. und Nr. 91. 366 In der Wahlkapitulation von 1658 ist § 13 einschlägig. – Der reichsrechtliche Befund ist diffus. Reichsabschiede, die sich mit Durchzugsfragen beschäftigen – vgl. beispielsweise [Anonym] (Hg.), Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Bd. 3, Ndr. der Ausgabe 1747, Osnabrück 1967, S. 207 oder S. 279 oder S. 424ff. –, auch die Westfälischen Instrumente – vgl. IPO Art. XVII § 9 und IPM § 118 – regeln gewisse Modalitäten des Durchmarschierens über fremdes Territorium (Kaution, »rottenweys« usw.), erwähnen aber nicht die Möglichkeit des Transitlandes, den Durchmarsch etwa zu verbieten, ein etwaiger Neutralenstatus wird schon gar nicht angesprochen. 367 Zum Folgenden: Voßenhölen, Dissertatio inauguralis. 368 Wie das auf S. 49 genannt wird.

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eben nicht. Jeder spricht dem Neutralen das Recht zu, Truppendurchmärsche zu verbieten, jeder marschiert eben durch, wenn es ihm paßt. Will der Neutrale Erwartungsverläßlichkeit, will er etwas Sicheres, an das er sich halten kann, muß er deshalb Vertragspartner finden369, muß er den Begriffsumfang von Neutralität mit den Kriegführenden am Grünen Tisch aushandeln. Dasselbe gilt bei Handelsfragen: Die Kriegführenden nehmen den Wunsch des Neutralen nach freiem Handel mal hin, mal eben nicht, »vt rursus ad pactiones res ista tendere videatur«.370 Böcklers Arbeit verdient weniger wegen einiger neutralitätsrechtlicher Splitter Interesse denn als Zeugnis dafür, daß die Kriegs­praxis seiner Zeit noch kein Neutralitätsrecht kannte. Bemerkenswerter als frühe neutralitätsrechtliche Anläufe dieses Autors sind die ihnen folgenden kräftigen Dementis. Hingegen zweifelte Adolph Schrötering nicht mehr daran, daß man diese Materie juristisch behandeln könne – daß es ihm kaum gelungen ist, fiel dem Autor selbst nicht auf. Es gibt kein Spannungsverhältnis zwischen Regelungsanspruch und Mißtrauen gegenüber jeglicher normativer Steuerungskraft im Bereich der auswärtigen Beziehungen mehr (wie bei Böckler), nur noch eine Diskrepanz zwischen normativem Anspruch und konkreter Durchführung – sie ist noch wenig konsistent, wenig praktikabel. Von den zentralen juristischer Klärung bedürftigen Themenkomplexen behandelt Schrötering das Recht auf Neutralität und das Problem des Truppentransfers über neutralen Grund ausführlich, vom notorischen Problem der Werbeerlaubnis in neutralen Territorien nur einen in der Praxis nicht so virulenten371 Ausschnitt. Außerdem thematisiert er eine in der vormodernen Kriegspraxis nicht unerhebliche Frage, die selbst Autoren des 18. Jahrhunderts stiefmütterlich behandeln werden: »Quid ergo, si is, qui medium se in bello gerit, milites suos dimittat?« Muß er, kann er überhaupt verhindern, daß sie dann

369 Böckler, Libellus de quiete, S. 58f.: »neminem hodie reperiri, quin putet, pacatos mediosque vtramque bellantium partem transitu armato iure [!] prohibere posse; siquidem vim non metuant, id quod consilii est, non iuris [!]. Ex altera parte non minus indubium est ac certum: neminem bellantium ambigere, quin transitum denegatum vi liceat aperire, armisque vindicare, aut astu penetrare. Haec sententiarum diuersitas nobis persuadet, vt credamus, gentes quaestionem iuris muta dissimulatione transmitti ... et ad pactiones deduci rem totam voluisse. Conuentionibus certe et transactionibus, non iuridicis disceptionibus, omne petendi aut concedendi transitus negotium videmus confici.« 370 Ebda., S. 60. 371 Aus eidgenössischer Sicht immerhin war es ein wichtiger Teilkomplex, aber auf die Eidgenossen rekurriert Schröterings Arbeit an sich nicht. – Einleitend strikte Unparteilichkeit anmahnend (sie ist aber nicht durchgehend Schröterings Maxime), fordert der Autor in Thesis XXII: »Unde si militandi licentiam subditis suis concedere velint, integrum ipsis relinquere debent, quasnam partes amplecti velint.« Das recht wichtige Problem, ob es der Neutrale hinnehmen mußte, wenn Kriegsparteien innerhalb seines Territoriums Söldner anzuwerben suchten, behandelt Schrötering nicht.

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einseitig einer Kriegspartei zuströmen?372 Daß die Dissertatio ältere theologische und politologische Diskursschichten noch nicht gänzlich abgestreift hat, wurde bereits herausgearbeitet: Sie steht gleichsam zwischen den Zeiten, vermag keine zukunftsweisenden Lösungen zu präsentieren, zeigt aber an, daß man das Fehlen einer normativen Fixierung des Neutralenstatus so unstrittig373 als Desiderat empfand, daß man es zum Gegenstand einer Doktorarbeit machen konnte. Im Erscheinungsjahr der Dissertation von Adolph Schrötering publizierte Philipp Reinhard Vitriarius seine »Institutiones Juris Naturae et Gentium«. Die vier groß bedruckten Seiten seines Neutralitätskapitelchens beginnen mit einer Nützlichkeitserwägung: »An utile est, ut quis sit medius in bello seu neutrarum partium? Est res consilii et prudentiae politicae, ideoque neutralitas, ut loquntur, non semper vel amplectanda vel declinanda est«, die Marginalie verweist, wiewohl der Autor doch sonst vor allem Hugo Grotius paraphrasiert und glossiert, auf – Machiavellis Principe! Doch folgt diesem gleichsam politologischen Einstieg die flüchtige, grobmaschige Skizze eines Neutralitätsrechts. Verträge hält der Autor nicht für unabdingbar, wiewohl er sich nicht zu einem klaren Recht auf Neutralität durchringen kann. So die Neutralität eines Gemeinswesens einmal vertraglich befestigt oder allseits anerkannt ist, soll es immerhin nicht mehr mit Kriegsunbilden überzogen werden, doch begnügt sich Vitriarius mit einer einzigen Konkretisierung: der etwaigen Erzwingung von Truppentransfers; und ihretwegen mit dieser lapidaren Feststellung: »disputatur«.374 Äquidistanz des Neutralen hält er an einer Stelle implizit für nicht unabdingbar, um sie anderswo explizit zu fordern.375 Täte es dem Büchlein Schröterings, dem Kapitelchen von Vitriarius nicht zu viel Ehre an, könnte man sagen: Sie leiten aus neutralitätsgeschichtlicher Warte das 18. Jahrhundert ein. Vor diesem Säkulum ist ein einigermaßen konsistentes Neutralitätsrecht nicht auszumachen. Die politologischen Arbeiten der Jahrzehnte um und nach 1600 waren an normativer Verstetigung und Verdichtung gar nicht interessiert, populäre und erbauliche Flugschriften natürlich sowieso nicht. Daß auch die »Klassiker des Völkerrechts« erst im 18. Jahrhundert ein Erwartungssicherheit vermittelndes, sogar für den Neutralen verläßliches Neutralitätsrecht 372 Die Antwort ist ein für diesen Autor typisches Jein: an sich kann der abrüstende Neutrale nicht haftbar gemacht werden, doch muß er den Eindruck zu vermeiden suchen, er habe seine Truppen eben deshalb, um einer Kriegspartei zu nützen, abgedankt (Schrötering, Dissertatio, Thesis XX). 373 Diese Büchlein waren ja gemeinhin wenig innovativ; man wollte sich den Doktortitel durch die sprachlich brauchbare und einigermaßen widerspruchsfreie Präsentation gängiger Versatzstücke des geistigen Mainstreams sichern, wollte nichts riskieren. 374 Vitriarius, Institutiones, die Zitate: S. 516 bzw. S. 519. 375 »IV. Quotuplex est neutralitas? Duplex alia generalis, alia specialis; item alia absoluta, quae utramque partem in omnibus aequat: alia restricta, qua certae tantum res vel certi actus excipiuntur ... X. Quodnam est officium eorum, qui sunt neutrarum partium? Aequos se praebere debent utrisque in commeatu praebendo legionibus, in obsessis non sublevandis«.

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erarbeiten werden, haben wir schon im letzten Kapitel gesehen. Der vielgerühmte Hugo Grotius376 kennt immerhin zwei normative Aussagen: Kriegführende dürfen den Durchmarsch verlangen, wenn sie »necessitatem ... summam« ins Feld führen können; Nichtkriegführende müssen den Durchmarsch und andere Vergünstigungen verweigern, wenn die Gewährung »improbam ... causam« stärken würde. Das war natürlich ganz unerquicklich für den Nichtkriegführenden! Er war einem ominösen ›Notrecht‹ ausgeliefert, mußte hingegen selber die Moral hochhalten. Selbst wenn wir diejenigen, die bei Hugo Grotius »extra bellum sunt«, einmal als Neutrale nähmen (was meines Erachtens nicht angeht), hätten wir doch ein sehr kümmerliches ›Neutralitätsrecht‹ vor uns, mit ganzen zwei Regeln, von denen eine als Notrecht daherkommt, die andere mit Moraltheologie verquickt ist. Umfassender und zielgenauer ist 1680 schon Johann Wolfgang Textor. Er will die Rechte und Pflichten des Neutralen markieren: Wie kommt Neutralität zustande, wie endet sie, was darf der Kriegführende, soll der Neutrale? Besonders interessieren ihn freilich Handelsfragen, das sonst (und zumal auch in der Praxis!) so zentrale Problem des »transitus innoxius« wird nur gestreift. Dennoch bietet Textor, unter der insofern zutreffenden Überschrift »de jure neutralitatis«377, schon Neutralitätsrecht, freilich ein überaus verworrenes und dem Neutralen wenig günstiges. 2.4.1.3 Die »Politica« – nichts als überlanger Anlauf zum Völkerrecht? Genug der Fehlanzeigen! Die entschieden weiterführenden Ansichten der Herren Glafey378, van Bynkershoek379, Vattel380 oder Moser381 müssen wir hier 376 Zum Folgenden: Hugo Grotius, De iure belli ac pacis, S. 807f. 377 Textor, Synopsis juris gentium, Bd. 1, Cap. XXVI. 378 Zum Wiedererinnern: unbedingtes Recht auf Neutralität, doch muß der Neutrale die Abstinenzpflicht einhalten – ein sehr einfaches, aber wegen der unumschränkten Geltung dieser beiden Grundsätze lückenloses Neutralitätsrecht. 379 Zum Wiedererinnern: der Neutrale muß unparteiisch sein, das ist der Hauptinhalt des kurzen Neutralitätskapitels; Bynkershoek räumt dem Neutralen ferner das Recht ein, Handel mit den Kriegsparteien zu treiben, außer mit kriegswichtigen Gütern, gar Waffen oder Söldnern. 380 Zum Wiedererinnern: inkonsequentes, aber dem Neutralen günstiges Neutralitätsrecht. – Unter der hier maßgeblichen Fragestellung nach einem Neutralitätsrecht ist natürlich die im letzten Kapitel schon erwähnte Empfehlung, Verträge zu suchen, von verschiedenen Inkonsequenzen die gravierendste. Einerseits kündigt Vattel, nach einer Begriffsdefinition, den Rest seines Kapitels so an: »Nous avons à considérer les obligations et les droits qui découlent de la neutralité« (S. 42, § 103, Kursivsetzung von mir). Andererseits aber soll man, wie gesagt, Verträge suchen, »dans lesquels on convient expressément de ce que chacun pourra faire ou exiger« (steht das denn demnach doch nicht fest?: S. 44, § 108). Dem setzt § 109 noch eins drauf: Man kann vieles dem Natur- und Völkerrecht sowie dem Herkommen (»droit de nature et des gens«, »droit des gens naturel«; »coutume«) entnehmen, aber »disputes« verhindern zuverlässig nur Verträge. 381 Zum Wiedererinnern: umfassendes Neutralitätsrecht, das dem klassischen und cum grano salis dem modernen entspricht.

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nicht noch einmal Revue passieren lassen. Ziehen wir stattdessen die rechtsgeschichtliche Summe! Brachte denn wirklich erst das 18. Jahrhundert den juristischen Durchbruch? Davor nichts als überlange defizitäre Vorgeschichte? So einfach verhält es sich natürlich nicht, und doch auch nicht ganz anders. Die (jedenfalls gedanklich und auf dem Pergament präsente) vertikal geordnete Christianitas mit ihrer der Iustitia aufruhenden strengen Kriegsdoktrin und einer theoretisch unstrittigen Letztinstanz für Gerechtigkeitsfragen hatte einem moralisch einwandfreien sich-Heraushalten im Krieg keinen Raum belassen. Wenn Kriegführung nicht wertfreies Attribut der Staatssouveränität ist, sondern entweder gerecht oder ungerecht, und wenn sich die Gerechtigkeit in jedem Zweifelsfall unschwer autoritativ zuordnen läßt, mag Abseitsstehen faktisch vorkommen und sogar grassieren, aber es ist nicht begründbar, sozusagen nicht diskursfähig – denn ein Christenmensch muß der verfolgten Unschuld beispringen. Solches Abseitsstehen wird denn auch erst auf den Begriff gebracht, als der alte Ordo des Abendlandes in einem offensichtlich langwierigen Transformationsprozeß seine (jedenfalls gedankliche) Evidenz einzubüßen beginnt, im ausgehenden Mittelalter: als neutralità oder neutralité oder neutralitas. Während fromme Traktate und Pamphlete diesen so sichtlich in ihren Ideenkosmos gar nicht hineinpassenden Begriff verteufeln, umkreisen ihn die publizistischen Pioniere einer politischen Ordnungsstiftung des 16. und frühen 17. Jahrhunderts in skeptischer Grundhaltung. Diese färbt auf Adepten und Epigonen ab. Bezeichnenderweise verflüchtigt sich die tendenziell kritische Haltung dieser Denkfigur gegenüber genau dort, wo sie dann auch zum Rechtstitel verdichtet wird: in völkerrechtlichen Arbeiten. Was solche Arbeiten dem Neutralen bieten, war aus seiner Sicht ein eminenter Fortschritt: Erst jetzt nämlich, bei den Völkerrechtlern des 18. Jahrhunderts, bekommen er und seine politischen Partner Verhaltenssicherheit. Die Kriegsparteien müssen neutrales Abseitsstehen durchgehend akzeptieren382, der Neutrale muß unter allen Umständen unparteiisch sein. Damit soll nicht behauptet werden, die Staatsräsonliteratur seit Machiavelli sei ein überlanger Anlauf zum klassischen Völkerrecht. Die Pioniere einer politischen Ordnungsstiftung erreichten nicht weniger, sondern wollten anderes als die völkerrechtlichen Klassiker. Sie zertrümmerten auch nicht etwa mutwillig oder aus intellektueller Primitivität heraus den alten Ordo, sondern gaben in ihrer Zeit dringliche und wichtige Antworten auf dessen Zerfall. Sie suchten dem Herrscher einen neuen Kompaß an die Hand zu geben, weil die überkommene Orientierung – was die Pluralisierung religiöser Wahrheit im Konfessionellen Zeitalter nicht ausgelöst, aber beschleunigt hat – wegbrach. An die Stelle der vielen alten, vermeintlich unverbrüchlichen Normen setzten sie nicht zahlreiche neue, sondern 382 Also, vom Ius ad bellum her betrachtet, ein Recht auf Neutralität hinnehmen; hinsichtlich des Ius in bello die territoriale Unversehrtheit des Neutralen beachten.

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ein zentrales regulatives Prinzip: das Staatswohl nämlich, das es durch kluges Abschätzen der Umstände, durch kluges Kräftekalkül zu mehren galt. Was jedem einzelnen Herrscher (scheinbar) nützte, schuf nun freilich insgesamt, für die ganze Staatenwelt, große Erwartungsunsicherheit und, da ja jeder kluge Herrscher seine Macht auch außenpolitisch mehren mußte (Stillstand ist in allen Staatsräsontraktaten Rückschritt, Zeichen unkluger Staatsführung), aber nicht alle zugleich expandieren konnten, neudeutsch gesagt: ungeheuer viel Streß. Erst in einem dritten Schritt erwuchs dann dem Diskurs der Völkerrechtler wieder ein Normenkosmos. Er konnte nun nicht mehr einer bestimmten Glaubenslehre und einer bestimmten lehramtlichen Letztentscheidungsinstanz aufruhen, mußte – bei hierbei divergierenden Akzentuierungen – Vereinbarungen gleichberechtigter Völkerrechtssubjekte und der Erschließung vermeintlicher Naturrechte erwachsen. Wie einst auf dem mittelalterlichen Pergament, herrschte nun wieder auf dem neuzeitlichen Papier ein Verhaltenskorsett, das Erwartungsverläßlichkeit schaffen sollte. In diesem – karikaturenhaft verknappten – Dreischritt kommt den Pionieren politischer Ordnungsstiftung eine wichtige und verdienstvolle Rolle zu, sie waren in ihrer Epoche innovativ. Daß sie in einer Zeit, da Päpste Eroberungskriege auf der Apenninhalbinsel führten, dann die alte Christianitas in mehrere exklusive, sich schließlich blutig bekämpfende Wahrheitsmonopole zerfiel, nicht mehr an die hegende Kraft eherner Normen glauben wollten, darf der Historiker nicht als defizitär werten. Sie waren viel mehr und ganz anderes als leider Gottes juristisch unbedarfte Vorgänger der Herren Bynkershoek und Vattel. Das mußte gesagt sein, ehe wir abschließend festhalten können, daß sich – aus der hier allein interessierenden Warte eines Neutralen! – durchs 18. Jahrhundert eine lineare Fortschrittsgeschichte zieht. Der alte mittelalterliche Ordo hatte Neutralität gar keinen Raum belassen, die Publizistik des 16. und 17. Jahrhunderts hatte sie diskreditiert: hatte dem Neutralen erklärt, warum er Sünder oder doch ein unkluger Tropf sei, anstatt ihm Verhaltenssicherheit zu verschaffen. Die gewann er, wenn er solche Schriften konsultierte, allenfalls im Verzicht auf die suspekte Denkfigur, das anrüchige politische Handlungsmuster. Erst das Völkerrecht des 18. Jahrhunderts schuf allseitige Erwartungssicherheit – auf dem Papier und soweit das internationales Soft Law bis heute zu leisten vermag. 2.4.2 »Wetterhanen« oder stabile Äquidistanz? In der Frage der »Unpartheilichkeit« eilte die Theorie der politischen Praxis weit voraus. Bildeten populäre Flugschriften des 17. Jahrhunderts den Neutralen realitätsnah als »Fahne im Wind« ab, waren sich gelehrte Publikationen schon dieses Säkulums weitgehend darin einig, daß es ganz unklug wäre vom Neutralen, wenn er heimlich oder offensichtlich Partei ergriffe.

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Ausgerechnet zwei der bekanntesten Autoren weichen unterschiedlich deutlich vom gelehrten Konsens ab: Hugo Grotius, Johann Wolfgang Textor. Daß der Nichtkriegführende des Niederländers sein Verhalten den Kriegsparteien gegenüber moralisch gewichten muß, wissen wir bereits.383 Textor definiert an sich so: »Respectu formae est necessaria aequalitas amicitiae Principis vel Reipublicae neutralis erga hostes, h. e. ut uni non magis vel minùs adhaereat, quam alteri«.384 Doch steht zwei Seiten danach beiläufig diese gravierende Einschränkung: »... nisi ... ex priore obligatione alterutri fuerint specialiter obstrictae«. Und nochmals drei Seiten später lesen wir das: »Vasallus neutralis, etsi salvâ neutralitatis substantiâ possit mittere hostenditias Domino«, also dem Lehnsherrn, darf ihm doch nicht »totis viribus assistere«.385 Äquidistanz ist bei Textor noch kein Zentralprinzip der Neutralität, konkurriert mit anderen Postulaten und kann von diesen relativiert werden. Weil sich die neutralitätsgeschichtliche Dissertatio Adolph Schröterings in den Passagen zu Vertragspflichten und zur Vasallität bei Textor bedient (ohne es zu sagen386), firmiert auch in diesem seines juristischen Anspruchs wegen bemerkenswerten Büchlein Äquidistanz nicht durchgehend als Maxime der Neutralität: Der Vasall kann, so er lediglich zu »servitia determinata« verpflichtet ist, diese ableisten und »de caetero ... Neutralitatem profiteri«; und dieser Autor hält es gar für »manifestum«, »ut a Neutralitate qvis excludendus non sit, etiam si alterutri debita ex conventione praestet auxilia ..., si de caetero Neutralitatem inter partes observet«.387 Es scheint Schrötering nicht weiter aufgefallen oder erläuterungsbedürftig gewesen zu sein, daß er an anderen Stellen etwas gewunden388 oder sogar recht eindeutig die Unparteilichkeit des Neutralen einfordert: »summo studio allaborandum illis est, qui neutras partes profitentur, 383 Modern gesprochen, läßt Hugo Grotius ja aus Nichtkriegführung nur dann Neutralität werden, wenn und solang die Iustitia gerade nicht verortet werden kann. Der Nichtkriegführende darf nichts unternehmen, was »improbam ... causam« stärkt, den Verfechter der gerechten Sache schwächt, hat jedoch »in re vero dubia aequos se praebere utrisque in permittendo transitu, in commeatu praebendo legionibus, in obsessis non sublevandis«: Hugo Grotius, De iure belli ac pacis, S. 807. 384 Textor, Synopsis juris gentium, S. 101. 385 Ebda., S. 103 bzw. S. 106. 386 Wollte man dem Autor übel (aber was sollen moderne Zensuren für dreihundert Jahre alte Qualifikationsarbeiten!), könnte man dies als seinen ›Trick‹ bezeichnen: Er nennt häufig, Bekanntes und Geläufiges referierend, Neumayr, Pufendorf, Böckler; was er ergänzend beifügt und was nach eigener Denkarbeit aussieht, entnahm er gern Textor, aber ihn nennt er nicht. 387 Schrötering, Dissertatio, Thesis X bzw. Thesis XII. 388 Wir wissen schon, daß Schrötering seinem ganzen Themenblock »de officio« der Neutralen diese Leitschnur voranstellte: »Illud vero generaliter in eo consistit, ut utrique parti aequos se praebeant, nec quicquam faciant quo alter directè laedàtur«: Thesis XVII (Kursivsetzung von mir).

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ut aequalia utrique bellantium parti exhibeant Officia«, oder: »utriq; parti eadem amicitiae officia et eadem securitas praestanda sit«.389 Populär gehaltenes Tagesschrifttum äußert sich in der Regel nicht zu diesem Problemkomplex. Zwar nicht an detaillierten Verhaltensmaßregeln für den Neutralen interessiert, konnten aber doch selbst Flugschriften vor einseitigen Vergünstigungen warnen, »welches dann keine neutralitet, sondern vielmehr eine partialitet« wäre.390 »Die Beschaffenheit einer wahren Neutralität erfordert ein solches Gleich-Gewicht, daß man beyden streitenden Partheyen gleichen Vortheil, und keiner mehr Schaden oder Nachtheil dann der andern zubringe.«391 Mit viel mehr Worten – wenn auch bisweilen weniger Klarheit und Konsequenz – forderte schon 1620 Johann Wilhelm Neumayr von Ramsla dasselbe. Beispielsweise warnte er: »Man sehe sich aber ja wol für, daß man weder mit Worten, noch in der That, viel weniger mit einiger bezeigung mercken lasse ..., daß man einem Theil mehr, als dem andern, zugethan sey: Dann hierauß kan anders nichts, als grosser Schad vnnd Gefahr entstehen«. Oder, weniger eindeutig: »Ist derhalben dieses der beste Rath, daß, wer neutral seyn will, sich auch also verhalte, daß er sich auff keiner Seiten zu weit herfür thue«.392 Ein Meister konzeptioneller Klarheit ist dieser Vielschreiber eben nicht gewesen. Das gilt an sich erst recht für den Autor des Heftchens »Von der Neutralitet, Das ist Vnpartheyligkeit, kurtzer Bericht«. Er zirkelt auch keinesfalls ein Neutralitätsrecht, doch ist seine Broschüre in unserem Zusammenhang wegen ihres Titels nennenswert und wegen dieser einleitenden Begriffsklärung: Er wolle als »Vnpartheyligkeit ... verdeutschen was man sonst Neutralitet nennet«.393 Die uns ebenfalls schon bekannte Apologie der kursächsischen Böhmenpolitik definiert Neutralität 1620 so: »Wann zwey Parteyen mit einander streiten, keinem Theil beyfall geben, keine Sache für recht oder vnrecht halten, keinem beystandt leisten«.394 »Keine Sache für recht oder vnrecht halten«: Mit dieser Warnung auch vor moralischer Parteinahme war die Dresdner Apologie progressiver als fünf Jahre später Hugo Grotius, ja, so progressiv, daß besagte Neutralitätsdefinition 389 Ebda., Thesis XXII bzw. Thesis XXVII. Vgl. noch Thesis XXVIII: Neutrale sollen »ob aeqvale in bellantes studium neutris partibus suspecti« sein. 390 So formuliert es [Anonym], Summarische Relation dessen, Worinn deß Pfaltzgrafens Churfürstl. Durchl. ... in viel wege beschwäret ..., o. O. 1674, S. 29; die Schrift mokiert sich in dieser Passage darüber, daß der Marquis de Bethune die einseitige Durchmarscherlaubnis nur für französische Truppen gefordert habe. 391 [Anonym], Deß Holländischen Extraordinari Envoyé. – Darf ich das Zitat meiner Tour d’Horizon durch die Publizistik einreihen? Valkenier scheint tatsächlich ungefähr so vor der eidgenössischen Tagsatzung gesprochen zu haben, nach den auf Zürcher Archivgut gestützten Ausführungen von Schweizer, Neutralität, Bd. 2, S. 307 zu urteilen. 392 Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel VIII (Kursivsetzung von mir). 393 [Anonym], Vnpartheyligkeit, fol. Aij. 394 [Anonym], Deutliche vnd gründliche Außführung, S. 37.

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noch 1734 einfach abgeschrieben worden zu sein scheint.395 Übrigens unterzog Johann Heinrich Böckler den grotianischen Zwang zu moralisch korrekter Nichtkriegführung beiläufig einer Kritik, die den Modernisierungsfortschritt eines halben Jahrhunderts anzeigt – ob wir diese wertfreie historiographische Kategorie nun in diesem Fall als fortschreitende Säkularisierung, als wachsende Ausdifferenzierung verschiedener Lebensbereiche, als Privatisierung des Gewissens oder aber als immer weiter grassierende Abgefeimtheit charakterisieren wollen. Die Forderung des Holländers sei, so Böckler, einfach nicht praktikabel (»impossibilis est«) – der Neutrale müsse nämlich nach außen hin so tun, als seien beide Kriegsparteien gleich viel oder wenig im Recht. »Intra animum« mag der neutrale Zuschauer ja denken, was er will, aber anmerken lassen darf er es sich nicht.396 Auch unsere fleißigen Qualifikationsarbeiten votieren für Unparteilichkeit. Hält sich der Neutrale nicht sorgsam heraus, werden sich am Ende noch die seitherigen Kriegsparteien zusammenschließen, um es ihm heimzuzahlen, warnt 1638 die wohl älteste universitäre Disputation zum Thema.397 »Medii nostri utrique bellantium aeque favere ... debent«, schreibt den Neutralen Albert Voßenhölen ins Stammbuch, oder, an anderer Stelle: »Summa igitur diligentia cavere 395 Man stelle nebeneinander: 1620 – »Vnd zwar so muß man für allen dingen wol erwegen, was eigentlich Neutral seyn heisse? Nemblich, wann zwey Parteyen mit einander streiten, keinem Theil beyfall geben, keine Sache für recht oder vnrecht halten, keinem beystandt leisten, vnnd keinen bekriegen ...«; 1734 – »Und zwar, so muß man vor allen Dingen wohl erwegen, was eigentlich Neutral seyn heiße? Nehmlich wann zwey Partheyen miteinander streiten, keinem Theil Beyfall geben, keine Sache für Recht oder Unrecht halten, keinem Beystand leisten und keinen bekriegen.« So beginnt dieses Schriftchen: [Anonym], Kurtzgefaßte Frage Ob Ein Chur-Fürst oder Stand des Reichs bey gegenwärtigem Krieg neutral bleiben könne, o. O. 1734. 396 Böckler, Libellus de quiete, S. 56f. – Vogt, Specimen juris gentium de neutralitate, S. 23 wendet sich dann wieder gegen Böckler: Wenn die Iustitia verortbar ist, darf man nichts tun, was »improbam causam« stärkt, »ut rectè tenet Grotius, à quo malè dissentit Boeclerus«. Die Fortsetzung zeigt unfreiwillig, daß das grotianische Postulat eben doch nicht praktikabel ist: Trotzdem, so Vogt in unmittelbarem Anschluß an seine Warnung, nicht Unrecht zu stärken, darf der Neutrale ja nun nichts »permittere ..., quo is adjuvetur, alter verò dometur«, sonst verwirkt er den Neutralenstatus. Wie also solidarisch sein mit der verfolgten Unschuld und doch neutral? Der Autor löst die Spannung durch zwei Empfehlungen auf, die man in einer neutralitätsrechtlichen Studie nur als Scheinauswege bezeichnen kann: Wer vom Kriegsgeschehen weit entfernt ist (die geographische Entfernung spielt in der Dissertation ansonsten überhaupt keine Rolle, hier wußte sich Vogt offensichtlich einfach nicht anders zu behelfen), kann ohnehin den Zuschauer spielen; wer ihm benachbart ist, sollte sich, weil er sich sonst ja doch in moralischen Fallstricken verheddern würde, lieber mit der gerechten Seite verbinden – eine Handlungsanweisung, die sich mit dem sonst für diese Arbeit von 1752 charakteristischen Lobpreis auf die Neutralität eigentlich schwerlich verträgt. 397 Vgl. Koseritz, Disputatio politica, fol. B.

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debent Medii«, daß sie nicht in die Querelen der Kriegführenden hineingezogen werden »neque eorum molitionibus actionibusque misceantur«.398 Deutet die zuletzt zitierte Mahnung schon das moderne Abstinenzprinzip 399 an? Frühneuzeitliche Autoren unterscheiden noch nicht kategorial zwischen allseitigem Gewähren und allseitigem Verweigern, »non impediat hanc, illam subleuet: non praestet illi, quod isti negat: sed aut neutram, aut vtramque, necessariis rebus ex aequo iuuet«.400 »Officium Neutralium ... consistit in iis, quae omittere aut facere isti debent; quod uni permittunt, et alteri permittant; quod uni negant, etiam alteri negent«.401 Gewähren und Verweigern gehen in den der »Unpartheilichkeit« gewidmeten Passagen unsystematisch durcheinander, und weil Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts dem Neutralen viel mehr zumuten als das klassische Neutralitätsrecht, neigt sich die Waage tendenziell auf die Seite gleichmäßigen Hinnehmens der allfälligen Zudringlichkeiten, wenn auch selten so einseitig wie bei Hugo Grotius, für den sich vorübergehende Neutralität ja dadurch von Nichtkriegführung abhebt, daß man sich alles von allen gefallen läßt.402 Immerhin äußert sich eine neutralitätsrechtliche Arbeit von 1746 ausführlich zu diesem Thema. Das geforderte »gleichmäßige Betragen« gegen die Kriegführenden könne sich auf zweierlei Art einstellen, fällt ihrem Autor auf: »daß entweder einem Theil so viel, als dem andern verstattet werde oder, daß einem so viel als dem andern verbothen sey«. Er will beides auseinanderhalten und versucht sogar (erfolglos) zwei Begriffe dafür einzuführen: »permissive« versus »prohibitive« Neutralität. Die klassische Neutralität wird, in Termini dieses Schriftchens gesagt, »prohibitiv« sein, nur daß Völkerrechtsdarstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts nicht von einem »Prohibitionsprinzip«, sondern vom »Abstinenzprinzip« sprechen werden. Klar erkennt unser Autor, daß die von ihm so genannte »prohibitive« immer auch bewaffnete Neutralität sein muß403. Unser Rundblick durch tagesaktuell motiviertes Schrifttum wie durch akademische Qualifikationsarbeiten ergab, daß die allermeisten Autoren des 17. Jahrhunderts Äquidistanz empfehlen oder fordern; aber weil sie kein neutralitätsrecht398 Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 37 bzw. S. 44. 399 Klingt es gar schon 1604 bei Richter, Editio nova Axiomatvm politicorvm, S. 535 an? Wahrscheinlich hieße das die folgende Bemerkung überinterpretieren: »Qui verò neutrarum partium se esse verbo declarant: re tamen faces utrisq. ad bellum inflammandum clàm suppeditant: eorum fraus diu latere vix potest«, entsprechende »pernicies imminet«. 400 Böckler, Libellus de quiete, S. 55f. 401 Vogt, Specimen juris gentium de neutralitate, S. 22. 402 Vgl. Anm. 383. 403 Die vom Autor so genannte »permissive« Neutralität »bestehet im Erdulten, und hat also keiner Macht vonnöthen«, die »prohibitive« aber »bestehet in Verbiethen, und [ist] erforderlichen Falls mit Nachdruck zu unterstützen«: [anonym], Des G. K. R. V. Rechtliches Bedencken, S. 6; auf den Folgeseiten Beispiele für solchen auch »militärischen« Nachdruck.

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liches System entwickeln, gibt es auch keinen entsprechenden Rechtstitel. Der Neutrale soll sich eben so verhalten, weil das klug (oder besser gesagt: weniger unklug) ist, weil sich die selten empfehlenswerte Neutralität so noch am ehesten bewährt hat. Ziemlich verbindlich formuliert immerhin die Dissertation Heinrich Schemels von 1661. Wir stoßen dort auf diese beiden Passagen: »Inter neutrales enim censeri non debent, qui sese alteri addixerunt parti, unique duntaxat favent: Neutralitatis enim jus hoc ipso violatur«. Und: »Quidam« erklärten sich für neutral, »subinde tamen alterutram ex partibus clandestinis fovent auxiliis«, was nicht angehe, weil, was einer Seite gewährt werde, moralisch und juristisch (»jure«) auch der anderen zustehe.404 Belegen sollen das wie alle Schemelschen Postulate Exempel der Antike, also aus einer Zeit, der wir schwerlich überhaupt ein Neutralitätskonzept zubilligen werden, aber entscheidend ist, daß der Doktorand – wie gut begründet auch immer – in diesen Passagen mit normativem Anspruch auftritt. Für jene Autoren des 18. Jahrhunderts, die ein völkerrechtliches System und in diesem Rahmen ein präzises Neutralitätsrecht entwickeln wollen 405, gehört Äquidistanz selbstverständlich zu den Grundprinzipien des letzteren. Adam Friedrich Glafey konstatiert nicht nur in seinem Neutralitätskapitel, daß sich der Neutrale gegenüber den Kriegsparteien »gleichgültig und also aufführen« müsse, »daß keine von beyden, über eine Partheylichkeit sich zu beschweren, Ursache hat«406, er konkretisiert das auch an allen möglichen anderen Stellen seines Völkerrechts. Wenn »einer meines Feindes Unterthanen und Sachen in Schutz nimmt«, verletzt das die geforderte »Unpartheilichkeit«407 des »Neutralis«. Oder, bei der Diskussion von Kriegsgründen: zu ihnen kann auch die Verweigerung eines »friedlichen Durchmarschs« gehören, so kann »ein Volck hierdurch sein feindseeliges Gemüthe verrathen, wenn es mir einen Durch-Marsch abschlägt, meinem Feinde aber verstattet, mithin eben dadurch mit meinem Feinde Parthie machet, und die Gränzen der Neutralität offenbahr überschreitet«.408 Weil Neutralität für Glafey einen fixen, normativ feststehenden Begriffsumfang hat, kann man auch dessen »Gränzen« präzise abstecken.

404 Schemel, Dissertatio politica, S. 23 bzw. S. 24 (Kursivsetzungen von mir). 405 Dazu zähle ich Carl Gottlieb Svarez nicht, dessen Verdienste anderswo liegen. Daß seine »Kronprinzen-Vorträge« behaupten, Neutralität beinhalte nicht notwendigerweise Äquidistanz, läuft ganz gegen die Tendenzen seines Jahrhunderts. Vgl. Hermann Conrad/Gerd Kleinheyer (Hgg.), Karl Gottlieb Svarez, Vorträge über Recht und Staat, Köln 1960, S. 563f. 406 Glafey, Recht der Vernunfft, Buch VI, S. 165 (der Beginn des Kapitels über Neutralität). 407 Ebda., Buch IV, S. 798, die Marginalie bezieht ausdrücklich auf den Neutralen: »ein Neutralis darf meines Feindes Unterthanen nicht in Schutz nehmen«. 408 Ebda., Buch VI, S. 65.

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Daß die Unparteilichkeit des Neutralen ganz im Zentrum des kurzen Bynkershoekschen Neutralitätskapitels steht, wissen wir schon.409 Auch für Christian Wolff kann sich der Neutrale noch nicht einmal auf etwa bestehende Allianzverträge hinausreden: »Gens quae uni belligerantium parti foedere obstricta est, media esse nequit«. Neutralität definiert er so: »In bello Medii dicuntur, qui neutri belligerantium parti adhaerent, consequenter bello sese non immiscent«410 – was bei ihm übrigens nicht auf Abstinenz hinausläuft, sondern auf allseitiges Gewähren.411 Sehr entschieden kann412 Emer de Vattel die exakt bemessene Äquidistanz des Neutralen einfordern: »Les peuples neutres, dans une guerre, sont ceux qui n’y prennent aucune part, demeurant amis communs des deux partis, et ne favorisant point les armes de l’un au préjudice de l’autre.« »Tant qu’un peuple neutre veut jouïr sûrement de cet état, il doit montrer en toutes choses une exacte impartialité entre ceux qui se font la guerre.«413 Weil man beiden Kriegsparteien gar nicht »exakt« gleich helfen kann, läuft Vattels Unparteilichkeit auf Abstinenz hinaus: »Je dis ne point donner de secours, et non pas en donner également; car il seroit absurde qu’un Etat secourût en même temps deux ennemis. Et puis il seroit impossible de le faire avec égalité; les mêmes choses, le même nombre des troupes, la même quantité d’armes, de munitions, etc. fournies en des circonstances différentes, ne forment plus des secours équivalens« – das ist eine jener Passagen des »droit des gens«, die viel praktischen Sinn spüren lassen. Vattel war kein systematischer Denker, aber er schrieb gewissermaßen ›lebensnah‹, das muß das Erfolgsgeheimnis gewesen sein. Weil man verhindern können muß, von einer Kriegspartei zu einseitigen Vergünstigungen gezwungen zu werden, hat Neutralität für Vattel bewaffnet zu sein.414 Ein Wörterbuch von 1784 definiert 409 Bynkershoek, Quaestionum juris publici libri duo, S. 67: »Non hostes appello, qui neutrarum partium sunt, nec ex foedere his illisve quicquam debent; si quid debeant, Foederati sunt« – der Beginn des Kapitels über die Neutralität. Ebda., S. 68: »Horum officium est, omni modo carere, ne se bello interponant«. Ebda., S. 69: »In causa belli alterum alteri ne praeferant.« 410 Wolff, Jus gentium, S. 245 bzw. S. 244. 411 Vgl. ebda., S. 248: Der Neutrale muß die Kriegführenden hereinlassen, durchziehen lassen, stets höflich behandeln, »aequo pretio« Lebensmittel einkaufen lassen usw. 412 Daß dieser Autor dort wieder nimmt, was er hier gibt, und dieses Hin und Her noch nicht einmal zu bemerken scheint, wissen wir ja schon: also anderswo Bindewirkung älterer Verträge; sowie die Akzeptanz aller möglichen einseitigen Vergünstigungen, die für den eidgenössischen Autor angeblich nicht kriegsrelevant sind, in der Praxis natürlich schon: Truppenwerbungen nach gusto für nur eine Seite; oder Kredite, so man sie lediglich des Zinses wegen vergebe, also nicht der Außenpolitik, sondern des Profites halber (was für den Schweizer ein so ehrenwertes Motiv zu sein scheint, daß das jedes weitere, gar kritische Wort erübrigt), usw. 413 Vattel, Le droit des gens, S. 42 (Kursivsetzungen von mir). Das folgende Zitat ebda. 414 Vgl. ebda., S. 54f.: Sollte der Neutrale einer Seite nach einer Niederlage aus humanitären Gründen den Rückzug über sein Territorium einräumen, muß er darauf achten, daß die

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so: »Neutre, qui ne prend point de parti«.415 Drei Jahre später wird Johann Jakob Moser unmißverständlich festhalten: »Unpartheylichkeit ist die Seele und das Wesen der Neutralität.«416 Wir können einen Zwischenstand festhalten: Daß Neutralität grundsätzlich strikte Unparteilichkeit beinhalte, war dem 18. Jahrhundert unstrittig. Große Schwierigkeiten bereitete ihm das Verhältnis dieses Grundsatzes zum Postulat der Vertragstreue. Das Problem hat natürlich seine praktische Seite: Im Gewirr der allfälligen Freundschafts- und Bündnisverträge des Ancien Régime fanden sich eben häufig irgendwelche älteren Verpflichtungen hierhin und dorthin – war da Neutralität überhaupt eine praktikable Option? Die bekanntesten Stimmen, die Neutralität für mit solchen Vertragspflichten unvereinbar hielten, waren die Bynkershoeks und Wolffs. Die prominenteste Stimme, für die solche vertragliche Verpflichtungen die Neutralität nicht verwirkten, war die Vattels. Zu verschiedenen weniger prominenten417 gehört diejenige, die uns das Begriffspaar »permissive« versus »prohibitive« Neutralität nahebrachte; ihre Truppen rasch wieder abziehen und nicht einen neuen Vorstoß von neutralem Boden aus in Feindesland vorbereiten – denn sonst darf die andere Kriegspartei dagegen einschreiten: »C’est ce qui arrive aux nations qui ne sont pas en état de faire respecter leur territoire«. 415 Chrétien Frédéric Schwan, Nouveau dictionnaire de la langue allemande et françoise, Bd. 2, Mannheim 1784, s. v. neutral (Kursivsetzung von mir). Viel gewundener die Verdeutschung von »neutre« im dritten Band! »Neutral, keiner Partei zugethan. (Das deutsche Wort unparteiisch ist hier nicht zu gebrauchen, weil es mehr sagt, als man durch neutral ausdrücken will). Les États neutres; die neutralen Mächte, welche keine von den kriegführenden Mächten mit Rath und That unterstützen.« Warum der Neutrale, wenn er noch nicht einmal einen Ratschlag erteilen durfte, nicht »unparteiisch« war? – Jablonski, Allgemeines Lexicon, sowohl in der Ausgabe von 1721 als auch in der von 1767: neutral nenne man den »zustand«, daß einer mit beiden Kriegsparteien »in frieden lebt, und keinem vor dem andern beyfällt, noch eine gunst oder vortheil einräumet«. 416 Moser, Versuch des neuesten Europäischen Völker-Rechts, Bd. 10.1, S. 211 (vgl. auch die Neutralitätsdefinition am Beginn des Kapitels, ebda., S. 148). Die Fortsetzung könnte man Abstinenzprinzip überschreiben: »Dann eben das heißt, an dem Krieg keinen Antheil nehmen, wann man sich schlechterdings alles dessen enthält, was mit dem Krieg einen Zusamenhang hat, und dem einen oder andern Theil zum Vortheil oder Schaden gereicht.« Freilich, S. 274: »Werbungen müssen entweder keinen oder allen kriegführenden Theilen gestattet werden« (ähnlich für Durchmärsche S. 238f.)! 417 Ich erwähne noch, wie inkonsequent Carpov verfährt – ders., Reflexions sur le droit de la neutralité, S. 4: »Un Prince neutre se dégage de toute la preference [sic] de la faveur«, was er dem einen einräumt, muß der andere auch bekommen, was er dem einen versagt, ist auch dem anderen zu verweigern. Ebda., S. 12: Verwirkt nun der Neutrale nicht seinen Status, wenn er eine der beiden Kriegsparteien unterstützt? »La Politique de notre temps leve [sic] les difficultés«, denn »on pretend, qu’un Prince s’étant allié avec un autre avant la guerre, il pourra pendant la guerre garder directement la neutralité, et qu’il pourra néanmoins prendre parti indirectement, en fournissant du secours à son allié« (Kursivsetzungen von mir).

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Ausführungen zum Verhältnis zwischen Neutralität und Allianzverträgen sind weniger originell, machen aber unfreiwillig deutlich, in welche labyrinthischen Verschlingungen sich hier das 18. Jahrhundert hineinmanövrieren konnte. Der Neutrale dürfe eigentlich, so unser Autor, keiner Kriegspartei »weder directe, noch per indirectum« irgend Vorzüge einräumen, dürfe also »an dem vorseyenden Krieg keinen Antheil« nehmen – freilich »so viel er mit Beobachtung derer vorher subsistirenden Verbindlichkeiten zu thun vermag«! Es schließen sich eine Reihe speziellerer Fragen an, die die Arbeit offensichtlich motiviert hatten, die ihr Autor auch befriedigend beantworten zu können meint, uns indes zeigen sie vor allem, wie wenig praktikabel so eine ›bedingte Neutralität‹ sein mußte. Was tun, wenn der Neutrale nur mit einer Kriegspartei eine Verabredung hat, wonach Deserteure zurückzuschicken sind, mit der anderen aber nicht? Dann soll er sie auch nur einseitig ausliefern, meint der Autor, Neutralität bleibt deswegen allemal Neutralität. Soll der »Neutrale« dann auch entsprechend einseitig Deserteure seiner eigenen Auxiliartruppen zurückschicken? Durchaus! Darf die andere Kriegspartei den Durchmarsch von vertraglich geschuldeten Auxiliartruppen des Neutralen für die eine Seite verwehren? Ja, meint unser Autor, ohne hier schon Kriegsverwicklungen erkennen zu wollen, Neutralität bleibt deshalb noch lang Neutralität. Kann es sein, daß man einer Kriegspartei auf deren Verlangen Hilfstruppen zusenden muß, sich aber der anderen gegenüber vertraglich verpflichtet hat, ihr gegen fremde Zudringlichkeiten Schutztruppen zu stellen? O ja, so unser Autor, das kommt vor, dann kämpfen eben die Hilfstruppen des »Neutralen« gegeneinander!418 Daß solche »Neutrale« an einem »vorseyenden Krieg keinen Antheil« nahmen, kann man ernstlich eigentlich nicht behaupten. Aber konsensfähig auflösen wird das Spannungsverhältnis zwischen einer dann als »Abstinenz« buchstabierten Unparteilichkeit und Allianzverträgen erst das 19. Jahrhundert.419 Daß schon das 18. auch dann leises Unbehagen verspürte, wenn es Bynkershoeks und Wolffs Prinzipienstrenge nicht hochhalten wollte, zeigt dieser Abschnitt aus einem Lehrbuch von 1793420: »Vollkommene« Neutralität setze »die strengste Unpartheylichkeit bey jeder Gelegenheit« voraus. Doch kenne die Praxis eben auch eine 418 Er fügt immerhin an: »... ob es schon etwas paradox zu seyn scheint, daß einerley Trouppen wider einander selbst in solchen Fall fechten sollen« ([anonym], Des G. K. R. V. Rechtliches Bedencken, S. 13f.). 419 Da mit dem Ancien Régime dessen jahrhundertelang in alle Richtungen auswucherndes Geflecht von Freundschafts- und Beistandspakten versank, mag man sich danach mit dem hier interessierenden Problem auch leichter getan haben; aber das Staatensystem des 19. Jahrhunderts gehört nicht zu meinen Forschungsschwerpunkten, ich lasse es deshalb mit dieser spekulativen Andeutung bewenden. 420 Zum Folgenden: Heinrich G. Scheidemantel, Repertorium des Teutschen Staats- und Lehnrechts ..., Bd. 3, Leipzig 1793, S. 610–616 (Kursivsetzungen von mir).

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»unvollkommene«. »Was die leztere, die unvollkommene Neutralität betrifft, so scheint diese in der Natur der Sache eigentlich gar nicht gegründet zu seyn. Denn sie involvirt den Begriff, daß ein Volk seiner Neutralität unbeschadet einer der kriegführenden Partheyen gewisse Hülfsleistungen z. B. an Mannschaft, Waffen u. s. w. herbeyschaffen könne. Da aber ein soches Verfahren dem von uns festgesezten Begriffe der Neutralität zuwider läuft: so müste es billig zu verwerfen seyn, und die Nation, die sich desselben bediente, würde dem strengen Rechte nach nicht länger auf die Vortheile der Neutralität Ansprüche zu machen berechtigt seyn. Doch hat die Politik hierin, wie in so manchen andern Dingen, den Sieg erfochten, die Grundsäzze des allgemeinen Völkerrechts haben ihren Befehlen nachstehen müssen«. 2.4.3 Ist jedes Staatswesen jederzeit zur Neutralität berechtigt? War es früh gelehrter Konsens, daß der Neutrale tunlichst Äquidistanz zu den Kriegsparteien (noch nicht: Abstinenz) suchen sollte (noch nicht: mußte421), taucht jenes Anrecht des gerade nicht Kriegswilligen auf den Neutralenstatus, das unzählige vormoderne Herrscher einfach für sich beansprucht haben, erst spät in Druckwerken auf. Nach der jederzeitigen Berechtigung zur Neutralität auch ohne sie etwa gewährenden Vertrag mit dieser oder jener Kriegspartei fragend, postuliert diese Studie natürlich keine Antithese zwischen Vertrag und Völkerrecht; bi- oder multilaterale Verträge sind vielmehr eine tragende Säule des letzteren, und gerade im Zeitalter einer immer obsessiver hochgehaltenen »Souveränität« waren Verträge ein Königsweg, Völkerrechtssubjekte zu binden. Sich in Rats- und Gelehrtenstuben422 auf Verträge zu stützen, ist per se weder defizitär noch rückständig. Aber aus der Sicht des Neutralen ist es doch ein bedeutender Fortschritt, wenn ihm der internationale Konsens zubilligt, sich jederzeit für neutral erklären zu können, ohne dafür erst Vertragspartner finden zu müssen. Nur, seit wann arbeitete der gelehrte Diskurs der Juristen einem solchen politischen Konsens vor? Gab es ein Recht auf Neutralität? Manche Autoren äußern sich gar nicht zu diesem für moderne Augen doch zentralen Problem; beispielsweise sind die aus anderen Gründen interessanten Ausführungen Jean Bodins für besagte Frage unerquicklich423, und die jedenfalls ausführlichen Darlegungen Neumayrs ganz 421 Vor dem ausgehenden 17. Jahrhundert können wir ja noch nicht von einem »Neutralitätsrecht« sprechen, die Empfehlung, die Äquidistanz zu suchen, erwuchs Klugheitskalkülen. 422 Vgl. überdies oben S. 476f. mit Anmm. 310f. 423 Ich versuche so zusammenzufassen: Wer zu den Stärksten zählt, kann auch ohne vertragliche Absicherung neutral sein, er kann sich dieses Verhalten eben aufgrund seiner Potenz leisten (ohne daß Bodin in diesem Zusammenhang von einem ›Recht auf Neutralität‹ sprä-

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unergiebig.424 Neumayr schreibt eben kein Neutralitätsrecht, nimmt zu solchen Fragen gar nicht Stellung. Auch beim Niederländer Hugo Grotius finden wir wieder einmal nicht viel Hilfreiches.425 Zu denjenigen Autoren, die ein Recht auf Neutralität verwerfen, gehört Balthasar de Ayala. Er schrieb seine völkerrechtlichen Fragmente bekanntlich im Hinblick auf die Anfangsphase des Achtzigjährigen Krieges, für ihn eine »seditio«. In solchen »seditiones« nun kam Neutralität nicht in Frage, schon Solon habe sie zu Recht verboten und mit strengsten Strafen belegt. Man mußte Partei ergreifen, »in democratia vel aristocratia« möglicherweise426 für die gerechte Seite, »in monarchia« allemal für die »auctoritatem«. Wiewohl sich im Europa der Composite monarchies, Personalunionen und Staatenverbünde zahlreiche Auseinandersetzungen, so ja auch der Dreißigjährige Krieg, von interessierter Seite unschwer als »innere« hinstellen ließen, gab die einseitig verfassungspolitische Beleuchtung des Neutralitätsthemas bei Ayala publizistisch nicht den Kurs vor. Aber daß jedes Gemeinwesen jederzeit zur Neutralität berechtigt sei, hat der gelehrte Mainstream lange Zeit verworfen. Philipp Heinrich Hoenonius und Eberhard von Weyhe bezeichneten eine derartige Anmaßung des Möchtegernneutralen um 1600 beide ausdrücklich als absurd427. Die wohl erste universitäre Disputation zum Thema definiert Neutralität so: »Neutralitas est pactio publica, quâ Magistratus à belligerantium societate abstinet, ad boni publici salutem conservandam.« An anderer Stelle heißt es beiläufig, Neutralität »e rogatione dissidentium vel ad minimum consensu illorum« sei unter diesen und jenen Voraussetzungen praktikabel.428 Eine andere als explizit, in

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che). Alle anderen müssen zusehen, daß sie die Zustimmung der Mitakteure bekommen, denn besser »allié des deux parties« sein als »sans amitié des uns ni des autres« (Bodin, Les Six livres, S. 181). War für diesen Autor, da er ausschließlich nach klug oder unklug fragte, ein Recht auf Neutralität eben selbstverständlich? Lag ihm eine derartige Vorstellung vielmehr gänzlich fern? Ich zitiere den Anfang von Kapitel VIII: »WAnn es aber nun vmb den Krieg also beschaffen, daß man Vrsach hat, sich desselben keines weges theilhafftig zu machen ... so gehet es bey den Partheyen ohne offension nicht ab: Dahero hat man dahin zu sehen, wie man hierunter bey jhnen sich auffs beste entschuldige ...« Daß manche vorübergehend »in bello medii sunt«, nimmt dieser Autor eben hin, als empirisch gegebenes Faktum; am Ende des kurzen Kapitels rät er zu Verträgen (»proderit etiam cum utraque parte bellum gerente foedus miscere ita ut cum utriusque bona voluntate a bello abstinere«). »Haec deliberatio, vtrius partes aequiores sint, in democratia vel aristocratia ... admitti potest«: Ayala, De Jure et Officiis Bellicis, Bd. 1, fol. 13. »Est indignum et absurdum, si absque causâ vicini quiescunt, susceptum habentes praetextum speciosum juris«: Hoenonius, Disputatio politica XIII, S. 583. »... non reipsa aequale est, sicut praetextu iuris videtur: Estque indignum et absurdum, si absque causa vicini quiescunt, suspectum habentes praetextum speciosi iuris«: »Erenberg«, Meditamenta, S. 269. Koseritz, Disputatio politica, fol. A3 bzw. fol. B3.

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der Regel vertraglich zugestandene Neutralität kennt diese Dissertation einfach nicht, womit sich ihr unsere Frage nicht stellt. Eine Flugschrift von 1637 ist für die zeitgenössische Rechtsauffassung aufschlußreich. Sie polemisiert gegen einen angeblich jesuitischen Autor, der beteuere, die Holländer könnten schon deshalb keine Neutralität im Verhältnis zum Reich reklamieren, weil ihnen das der Kaiser nie »versprochen« habe. Das aber, so das ›Gegenargument‹ unserer Flugschrift, könne doch gar nicht sein – wie kämen die Holländer sonst darauf, sich auf eine Neutralität zu versteifen? Da sie es nun einmal bekanntlich tun, muß es auch eine entsprechende Zusage des Reichsoberhaupts geben.429 Dissertationen blieben dabei: Es gibt kein Recht auf Neutralität. Auch nicht bei Georg Schröder? Er versucht, den merkwürdigen Terminus beispielsweise so zu erklären: »Quando enim inter vicinos Principes per vim publicam dissertantes quidem medii sunt, illi vel ipso jure vel speciali conventionis pacto de belli extremis haud participant.«430 Auch das Kapitel »Quomodo Neutralitas ineatur« beginnt recht verheißungsvoll, mit einer Begriffsaufspaltung in ›freiwillige‹ und ›erzwungene‹ Neutralität; sollte erstere ohne Vertragspartner auskommen? »Initur autem Neutralitas in se, vel Sponte vel Coacte: Sponte quando sine praeviâ necessitate Princeps aliquis alteri neutralitatis jura pollicetur«, die erzwungene muß uns noch weniger interessieren: doch kein Recht auf Neutralität! »Initur autem haec societas vel jurata vel nudâ conventione«, und während unser Autor ein Recht auf Neutralität ohne Vertrag gar nicht erst erwägt, ist ihm die Frage der angemessenen Beeidigung wie alle anderen Züge eines solchen Neutralitätsvertrages viel Druckerschwärze wert. Weil Neutralität ein Vertragsverhältnis ist, muß eine Dissertation über die Neutralität das Kleingedruckte klären. Schröder resümiert so: »Tum etiam iniri solet Neutralitas quemadmodum conventio foederum«.431 Auch, wenn wir uns noch einmal an die Qualifikationsarbeit Heinrich Schemels zwingen, merken wir, daß ein Recht auf Neutralität einfach nicht existiert. Sich der »majoris momenti ... quaestio« zuwendend, ob denn der Mächtigere dem Schwächeren Neutralität zugestehen müsse, gibt diese »Dissertatio politica«, wie stets, keine rechtliche Problemklärung, aber folgende Tatsachenfeststellung: Wer immer dazu von seiner Potenz her in der Lage ist, wird

429 [Anonym], Abtruck Einer auffgefangenen Jesuitischen Information. Ich paraphrasierte recht frei, daher hier die Schlüsselstellen im Original: Der freche Jesuit behauptet, der Kaiser habe niemals, »weder mit Worten oder Schrifftlich Ihnen den Holländern solche Neutralitet versprochen«. Dazu nun sein (angeblicher?) Editor: »Dieses ist ein vberaus Künstlicher Paragraphus« (fol. D1), denn wenn der Kaiser oder seine Vorfahren »den Holländern weder Mündlich noch Schrifftlich die Neutralitet versprochen: Auff was weiß müssen Sie dann sein zuer Neutralitet kommen?« (fol. D2). 430 Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 8. 431 »Neutralitas ... inter amicos initur«; die Zitate: ebda., Nrr. 62–64.

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eine ihm lästige Neutralität beiseitewischen.432 Während ein etwaiges Recht auf Neutralität implizit dementiert, explizit erst gar nicht erörtert wird, breitet der Autor umständlich die seines Erachtens zentrale und umstrittene Frage aus, ob der kluge Kriegführende nicht allseitige offene Parteinahme erzwingen 433, also Neutralität schlechterdings verbieten muß. Johann Wolfgang Textor will einen weiteren Wortgebrauch kennen434, aber juristisch relevant sei Neutralität nur als Resultat ausdrücklicher Vereinbarung: »propriè tamen et ex usu juris gentium loquendo, hi soli neutrales sunt, quibus media isthaec conditio consensu vel pacto fuit concessa«. Neutral sein zu dürfen, ist kein Anrecht, sondern eine Konzession, die dem nicht Kriegswilligen manchmal diese oder jene Kriegspartei gewährt oder auch beide einräumen. »Ex pacto est, nec mero jure citra pactum subsistit«. »Neutralitas nihil aliud est, quàm jus aequalis amicitiae ergà eos, qui bello decertant consensu vel pacto obfirmatum, ubi (1) est necessarium quantum ad causam efficientem, ut consensus sit unanimis eorum, qui bellum gerunt cum tertio, cui neutralitas, quam vocant, conceditur.«435 Neutralität, eine Konzession der Kriegsparteien, kein Anrecht: Diese Position wird an Gelehrtenpulten bis weit ins 18. Jahrhundert hinein vertreten. In den Jahrzehnten um 1700 begegnet sie in eigentümlicher Vermischung mit der Ahnung, ein Souverän könne auch per definitionem zur Nichtteilnahme an einem nachbarschaflichen Konflikt berechtigt sein, sei womöglich sonst keiner. 432 »Cessare illam faciet«, weil es unklug ist, lachende Dritte zu dulden. Die etwas wirren Ausführungen flankiert der Hinweis auf eine Fabel: Einst habe sich der Fuchs Löwe und Bär genähert, als diese vom Kampf um ein Beutestück erschöpft gewesen seien, und ihnen dieses einfach weggenommen. Der Autor will uns damit wohl sagen: So etwas muß und wird der Mächtige nicht dulden. Daß der Neutrale bei dieser Applikation der Fabel als Verkörperung der Schläue auftritt, verdiente bei einer sorgsamer durchdachten Arbeit nicht nur in der Fußnote hervorgehoben zu werden; Heinrich Schemel wird sich nicht viel dabei gedacht haben. 433 Schemel, Dissertatio politica, S. 26: Es sei sehr umstritten, ob es nicht »tutius sit cogere Principem ad se declarandum, et pro aperto hoste potius, quàm pro subdolo fictóque habere amico«. Ebda., S. 27 folgt die Erörterung, »Quando nocebit negligere et permittere Neutralitatem«. Ebda., S. 28: »Qui Status suos augere decrevit, nunquam inferiori Neutralitatem permittet«. 434 Er äußert das beiläufig: Textor, Synopsis juris gentium, Bd. 1, S. 101. Das Beispiel, das diesen unscharfen Wortgebrauch knapp illustrieren soll, legt nahe, daß Textor an Staatswesen denkt, die abgelegen sind, gar keinen Anlaß haben, ihre Position zu irgendeinem fernliegenden Konflikt zu bestimmen – die »pacati« Böcklers, nicht seine »medii«; oder, modern gesagt: entlegene Nichtkriegführende, keine Neutralen. 435 Ebda. Textor betont den Vertragscharakter nachdrücklich durch das ganze Kapitel hindurch; aufgehoben wird die Neutralität, wenn sie einem Vertragspartner nicht mehr frommt, wenn sie ihm »mutata rerum facies« nicht mehr angeraten sein läßt, also »renunciatione unius«, »planè vel uno dissentiente pactum illud per naturam suam claudicare necesse est, nec medii in illo statu manebunt« (S. 109).

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Versuchen wir, die auf den ersten Blick verwirrenden Stellungnahmen dieser langen Übergangszeit mehr zu systematisieren, als textnahen Paraphrasen eigentlich frommte, dann merken wir, daß sie die gleichsam progressiven Schichten gern naturrechtlich, die weitergeschleppten herkömmlichen Versatzstücke gewohnheitsrechtlich herleiten. ›Eigentlich‹ muß ein Souverän ja schon jederzeit neutral sein dürfen, aber ehe man diesen brisanten Gedanken zu Ende denkt, zieht man sich doch lieber rasch wieder auf den sichereren Grund des Vertragsvölkerrechts zurück. Schon Voßenhölens »Dissertatio inauguralis« von 1673 kennt prinzipiell ein Recht auf Neutralität: »Omnes autem Civiles Societates ... Neutralitatem eligere possunt, nisi jure quodam prohibeantur ..., et omnis Populus, nisi specialiori jure legum conventionumque prohibeatur, naturali hac libertate gaudet.«436 Insofern sei die Frage, ob man sich seine Neutralität denn genehmigen lassen müsse, eigentlich »absurde«, so Albert Voßenhölen, freilich: die »mores seculi«! Es walten Lug und Trug, Falsch- und Dummheit, »perversi etenim hominum mores omni tempore leges Naturae obscuraverant«. Weil dem nun einmal so ist, wird man sich sicherheitshalber der Zustimmung aller Kriegsparteien vergewissern.437 Nachdem das klargestellt ist, legt die Dissertation in allen von ihr entfalteten Einzelfragen Neutralitätsverträge zugrunde: Wer darf womit handeln? Das Problem ist so tückenreich, daß es nur durch »transactiones singulares« geregelt werden kann, man muß »pactionibus expressis ... definire«. Die Frage des Truppentransfers ist so dornenvoll, daß sie nur »conventionibus[,] non juridicis disceptationibus« zu lösen ist – aber das sind nur zwei Beispiele 438 für manche. Johann Heinrich Böckler postuliert entschieden ein Recht auf Nichtkriegführung (an dieser Stelle ist nicht ausdrücklich von Neutralität die Rede): »iure naturae et gentium liberum esse cuique debet, armi aliorum abstinere, et inter dissidia externorum quiescere. Foedera, etiam bellica, sua natura libertatis sunt et consilii, non necessitatis et praecepti«.439 Genauso entschieden macht Böckler immer wieder deutlich, daß der »genius temporum« ein solches Anrecht nun einmal schroff verwerfe.440 Ein kluger Herrscher kalkulierte das ein. 436 Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 22 (Kursivsetzung von mir). 437 Ebda., S. 23; mit dieser Verhaltensempfehlung hat der Autor den von ihm nur gelegentlich gestreiften juristischen Boden schon wieder verlassen. 438 Sie stehen auf den Seiten 39 bzw. 41. 439 Böckler, Libellus de quiete, S. 42. 440 Der soeben zitierten Stelle ging diese voraus: »Qui tam bonis ac necessariis consiliis ducti, societatem bellicam declinant, an iure cogi possint, vt partibus accedant, quaerendum est. Facit hanc quaestionem necessariam genius temporum. Non audiuimus modo, sed vidimus, iracunde denegatam iuste petentibus quietem. Quasi hic esset vulgo sensus bellantium, si vires cogendi in partes adsint«, daß sie dann auch davon Gebrauch machen. Man betrachte daneben nur noch den Einstieg in die ganze Studie: »Inter bella et discordias aliorum

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Springen441 wir gleich ans Ende einer hinsichtlich des Rechts auf Neutralität bemerkenswert langen oszillierenden Übergangszeit! Eine 1735 vorgelegte »Dissertatio inauguralis de nevtralitate« erklärt uns, es gebe zweierlei Arten von Neutralität, eine mit, eine ohne Vertrag; freilich behaupteten »nonnulli« – also nicht (mehr) die meisten! –, im strikten Wortsinn sei nur vertraglich vereinbartes Abseitsstehen Neutralität.442 Noch das abstrakte Bekenntnis zu einem Recht auf Neutralität kündet davon, daß dieses an den Gelehrtenpulten keinesfalls selbstquiescere, mediosque et se neutrius partis praestare, nunquam fere defuerunt, qui cupide, quanquam haud raro frustra, expeterent.« 441 Natürlich übergehen wir damit verschiedene Schriften der Jahrzehnte um 1700, die für unsere Frage schon ausbeutbar wären, aber es ergäben sich dort keine neuen Gesichtspunkte. Mit Abstand am ausführlichsten (aber wie stets unpräzise) äußert sich von ihnen die Dissertatio Adolph Schröterings zum Thema. Grundsätzlich ist Neutralität »omnibus« erlaubt, »qvi non peculiari obligatione ad partes alterius bellantium juvandas adstricti sunt«. Vasallität verhindert Neutralität, sofern die geschuldeten »servitia ... indeterminata« sind. »Civilia bella quod attinet, sanè, si hîc medium se gerere Civis velit, officio suo quod summus imperantibus debet, deest, et merito puniendus est«: eine akzidentielle Einschränkung, eine elementare? »Cives« waren beispielsweise Reichsfürsten ja an sich nicht, aber die kaiserliche Propaganda hatte sich einst nicht gescheut, die Kriegsgegner seit 1546 bzw. seit 1618 als Aufrührer darzustellen, die für ihren Ungehorsam »puniendi« seien. Das bedachte unser Doktorand vermutlich nicht; es lohnt nicht, aus einer Schrift durch interpretatorischen Scharfsinn herauslesen zu wollen, was der Autor nicht hineinlegte. Die Zitate: Schrötering, Dissertatio, Thesis II bzw. Thesis X bzw. Thesis VII. – Mit rund einem Viertel des freilich überaus kurzen Neutralitätskapitelchens nehmen um Vertrag oder Recht auf Neutralität kreisende Überlegungen auch bei Vitriarius, Institutiones (hier S. 517f.) einen verhältnismäßig breiten Raum ein. Die Frage »An omnis qui non sequitur alterutram belligerantium partem est neutralis?« beantwortet der Autor im Sinne Textors, ohne doch ganz so entschieden die vertraglich begründete Neutralität zu favorisieren: »Affirmatur in sensu generaliori ... In sensu stricto isti dicuntur neutrales quibus media isthaec conditio pacto vel expresso vel tracito est concessa.« Es schließt sich diese Frage an: »Quotuplex est neutralitas?« Eine der dort gebotenen Distinktionen ist diese: »Item alia expressa, alia tacita, ex usu aequalis amiticiae hostibus hinc inde scientibus et non contradicentibus contracta«. Die Kriegsparteien dürfen demnach widersprechen – also kein Recht auf Neutralität? »Quinam possunt esse neutrarum partium? Omnes, quibus de bello pacisci propria auctoritate et proprio nomine licet«: also doch ein Recht auf Neutralität? 442 Gohren, Dissertatio inauguralis, S. 5: »Duplici vero potissimum ratione fieri potest, ut Neutralitatis status existat: Primum ipso iure et facto, dum quis nullo facto suo sese bello, quod inter alios geritur, immiscet, adeoque ipso iure, naturali [!] puta, ab hostili invasione tutus est, nec opus habet, pacto sibi hoc nomine quidquam stipulari: cum nihil iuri naturali [!] sit convenientius, quam ut is, qui alios non laedit, nec ab aliis laedendus sit. Sed hanc non nisi in generaliore sensu Neutralitatem appelari, nonnulli existimant.« In solchen eher beflissenen als brillanten Traktaten konnte das Naturrecht, als kleinster gemeinsamer Nenner der Menschheitsgeschichte, nur ähnliche Gemeinplätze hervorbringen wie heutzutage die »political correctness«: beispielsweise die Regel »was Du nicht willst, daß ich Dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu«. Ebda., S. 5: Jeder Souverän ist »in statu libertatis naturalis [!] ... rerum suarum ... moderator et arbiter«, so auch im Krieg.

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verständlich war. Und wo der Autor konkret wird, konterkariert er den Rechtsanspruch auf den Neutralenstatus. Denn wenn Gerechtigkeit und Bosheit klar verteilt sind sowie die eigenen Kräfte robust, muß man Unrecht ahnden443; und Reichsstände – das ist das zentrale Thema dieser auf Reichsboden verfertigten Dissertation – dürfen sowieso nie und nimmer neutral sein. Noch 1764 oszilliert das Thema beim an sich doch im Systematisieren geschulten Popularphilosophen Christian Wolff. Bezeichnenderweise im Kleingedruckten seines Erklärungsversuchs, was denn ein Neutralitätsvertrag sei (»Foedus neutralitatis quid sit«), bemerkt er beiläufig: »equidem Gens aliqua etiam sine foedere ipso facto media esse potest«. Dem folgt im nächsten Paragraphen sogar eine naturrechtliche Grundsatzerklärung (»An neutralitas naturaliter licita«) mit scholastischen Restbeständen: »Genti unicuique naturaliter licitum est, ut sit in bello media, si e re civitatis fuerit bello potius abstinere, qaam444 eidem sese immiscere, vel belli etiam causa dubia sit.« Das hindert Christian Wolff nicht daran, anschließend seitenlang ausschließlich über vertraglich begründete Neutralität zu schreiben, ja, dem Konflikt Benachbarte (und wer sollte sonst am Neutralenstatus Interesse haben, sollte sonst auf Neutralität angewiesen sein?) müssen mit den Kriegsparteien solche Neutralitätsverträge vereinbaren: »Foedera neutralitatis pangenda sunt cum utraque belligerentium parte ab ea Gente, cujus territorium vicinum est terris, in quibus bellum geritur«.445 Es ist bezeichnend für diese lange unsichere Übergangsphase, wenn ein kurzer Lexikoneintrag zur »Neutralität« von 1740 das notiert: »Daß man sich ausdrücklich in ein Bündniß deswegen begeben soll, darzu kan wohl [!] niemand gezwungen werden.«446 So gewunden schrieb Adam Friedrich Glafey nicht. Jede Regierung hat bei ihm das Recht, im Krieg neutral zu bleiben, da »einem jeden Souverainen das Wohl seiner Republique zu behaupten anbefohlen ist«447 und anderen Völkern dessen Beurteilung nicht zusteht. Es gibt keinen Obersouverän. Niemand darf zur Neutralität gezwungen werden, niemand zur Parteinahme. Es ist ein schlichtes, amoralisches, insofern progressives Völkerrecht. Fortschritt kann eben intellektuell dürftig sein. »Recteur« Carpov formulierte 1744 kurz und hier einmal bündig: »Il y a deux voyes d’établir la neutralité, savoir, ou par la convention ou par le fait même«.448 Auch für Emer de Vattel darf jeder Souverän neutral bleiben: 443 444 445 446 447

Vgl. ebda., S. 8. Sic! Wolff, Jus gentium, S. 244. Ebda., S. 247. Johann Georg Walch, Philosophisches Lexicon ..., 2. Aufl. Leipzig 1740, Sp. 1901. Glafey, Recht der Vernunfft, Buch VI Kapitel V (S. 165; ich habe das in diesem Zusammenhang entscheidende Wort kursiv gesetzt). Ebda., S. 167: Jeder Herrscher hat »alle seine Actiones« auf die »Nothdurfft seines Staats« abzustellen, ohne daß anderen Herrschern ein Urteil hierüber zustünde. 448 Carpov, Reflexions sur le droit de la neutralité, S. 6.

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»Quand il s’éleve une guerre entre deux nations, toutes les autres, qui ne sont point liées par des traités, sont libres de demeurer neutres ... c’est à elles uniquement de voir si quelque raison les invite à prendre parti«.449 Johann Jakob Moser eröffnet eine Liste möglicher Gründe für Neutralität zwar lapidar so: »Verträge«; doch folgen zahlreiche weitere für diesen Autor offenbar legitime und für allseitige Akzeptanz ausreichende Motive, bis hin zur »Abscheu vor dem Krieg«.450 Das Repertorium des Teutschen Staats- und Lehnrechts konnte 1793 schon in die Historie zurückblicken: Der »Erklärung« des Begriffs Neutralität wird angefügt, es habe früher die falsche Auffassung geherrscht, wonach Neutralität eine »conventio, qua ... nos inter bellum gerentes quietos tenemus« sei. Das also gelte nun nicht mehr, »denn die Neutralität wird gewöhnlich durch eine stillschweigende oder expresse Erklärung begründet; nur selten wird eine förmlichs [sic] Convention darüber geschlossen«.451 2.4.4 Soll der Neutralenstatus vor Kriegsunbilden schützen? 2.4.4.1 Zum Beispiel: Truppentransfers; das »grotianische« Erbe Der Umfang des normativ geforderten Schutzes der territorialen Integrität des Neutralen ist bezeichnenderweise kein Thema der vormodernen Monographien oder Kapitel452 über Neutralität. Doch befassen sie sich zumeist ausführlich mit dem praktisch wichtigsten Teilaspekt dieses Problems (das für sie als ganzes, gleichsam abstrakt und prinzipiell, sichtlich keines ist): der Zulässigkeit und den Modalitäten des »transitus innoxius«453, also des geordneten Truppentransfers 449 Vattel, Le droit des gens, § 106 (S. 43). Daß Vattel dann doch Verträge empfiehlt, oft (etwa, wenn ein expansions- und kriegslüsterner Nachbar solche offerieren sollte) sogar dringend, steht auf einem anderen Blatt (vgl. hierzu §§ 107ff.). 450 Vgl. Moser, Versuch des neuesten Europäischen Völker-Rechts, Bd. 10.1, S. 148f. 451 Der Autor fügt an: »... ob gleich es in den meisten Fällen zur Vermeidung aller Streitigkeiten, die bey dieser so schwankenden Materie so leicht hervorgesucht werden können, nützlich und rathsam seyn würde, es zu thun« (Scheidemantel, Repertorium, S. 610f.). Das folgende Kapitel fragt immerhin noch einmal: »Darf ein Volk neutral bleiben?«, um eindeutig zu antworten: Jedes Volk kann da »frey beschließen«. 452 Nur wegen der notorischen Fehlanzeigen verdienen diese beiden Sätzchen bei Vitriarius, Institutiones, S. 518 vielleicht doch Erwähnung: »Quodnam est officium eorum, qui bellum gerunt, erga neutrales? Ut nullum exerceant actum hostilitatis vel in subditis ... vel in rebus, sive territorium vastando«. 453 Oder »transitus innocens«, auch »nothwendiger unschädlicher paß« u. ä. – meint: weil man die Truppen tatsächlich anderswo zum Kriegführen brauchte und in geordneten Formen. Daß »eigennützige gewaltthätige unordenliche« Heimsuchungen durch fremde Soldaten verboten waren, bedurfte keiner langatmigen Ausführungen.

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über neutralen Boden. Daß Drittstaaten einen solchen hinzunehmen hätten, ist – zumeist ohne expliziten Bezug auf Neutrale – gängige Ansicht seit den frühesten gedruckten Äußerungen hierzu.454 Diego de Covarrubias führt als fünften Posten seiner Liste legitimer Kriegsgründe diesen an: »Quinta ratione ... innoxius enim transitus negabatur, qui iure humanae societatis aequissimo patere debebat.«455 Auch Hugo Grotius äußert sich zur Durchzugsfrage am ausführlichsten im Zusammenhang mit seines Erachtens gerechten Kriegsgründen. Doch beginnen wir mit seinem Kapitel »de his qui in bello medii sunt«! Vom Schutz des Neutralen ist dort nicht die Rede, wohl von der »necessitas« des Kriegführenden456. Die zahlreichen antiken457 (in späteren Ausgaben auch mittelalterlichen) Präzedenzfälle hierzu sollen die Geläufigkeit eines kriegswichtigen Truppentransfers durch das Gebiet des Nichtkriegführenden vor Augen stellen. In einem anderen Kapitel, im Kontext der angeblich naturgegebenen Rechte, deren Verletzung ein gerechter Kriegsgrund sein könne, heischt nicht nur eine »necessitas« die Durchzugserlaubnis, von einer solchen ist hier nun gar nicht die Rede, nein, grundsätzlich ist jeder Durchmarsch hinzunehmen, der der gerechten Sache dient.458 Die Begründung des Niederländers läuft auf das hinaus, was wir heute, natürlich in einem gänzlich säkularisierten Sinne, als Sozialpflichtigkeit des Eigentums

454 Ein Seitenblick auf die vormoderne Herrschaftstopographie mag anmerkungsweise gestattet sein: Composite monarchies mit weit auseinanderliegenden ›Staatspartikeln‹; überhaupt oft ferne Enklaven inmitten anders regierter Gebiete; sich nur allmählich, sehr langsam zu Grenzlinien verdichtende Grenzsäume, sich überlappende und ineinander verzahnende obrigkeitliche Ansprüche; zumal für Mitteleuropa und die Apenninhalbinsel gilt ferner, noch banaler: viel mehr Staatswesen als heute! Natürlich erleichterte es gerade unter solchen Umständen die Kriegführung ungemein, wenn man nicht erst umständlich über die Zulässigkeit jedes »transitus innoxius« verhandeln mußte. 455 Covarrubias y Leyva, Relectio Regulae c. Peccatum, fol. 529. 456 Ich konzediere: »necessitatem ut ius aliquod det in rem alienam summam [!] esse debere« – doch definiert diese »necessitas summa« eben nicht der Neutrale, womit ihn der Superlativ in der Praxis nicht schützt: Hugo Grotius, De iure belli ac pacis, S. 806 (III 17). 457 Vgl. zu den antiken Zitaten, auf die Grotius rekurriert, und auch solchen, die er gar nicht kannte, erschöpfend Ernst Reibstein, Transitus innoxius. Ein verschollenes Kapitel des Neutralitätsrechts, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 21 (1961), S. 429–472. Anders, als der Titel des Aufsatzes vermuten läßt, handelt es sich nicht um eine ›flächendeckende‹ Behandlung des Transitproblems im Nacheinander der Jahrhunderte, sondern vor allem um Grotius-Exegese und -Panegyrik, außerdem behandelt Reibstein in origineller Weise und sehr belesen die antiken Grundlagen des Grotius. Pufendorf wird noch ausführlich und plausibel besprochen, was sonst zur Frühen Neuzeit eingestreut wird, ist unbrauchbar, nützlich scheint mir wiederum (aber hierfür bin ich kein Experte) Reibsteins Ausblick ins 19. Jahrhundert zu sein. 458 »Et terrae et flumina ... patere debet his qui transitu opus habent ad causas iustas«: Hugo Grotius, De iure belli ac pacis, S. 195f. (II 13).

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bezeichnen würden.459 Gegen das Durchmarschbegehren des Gerechten hilft keine Furcht vor der »multitudo« der etwa Durchziehenden, auch keine vor der Reaktion dessen, gegen den die Truppen geführt werden, »sed satis est si sine dolo malo [!] transitus postuletur, qua proximum ac commodissimum est. Plane si iniustum moveat bellum qui transire vult ... negare transitum potero«.460 Den Transit des Gerechten muß der Nichtkriegführende hinnehmen, den des Ungerechten darf er ablehnen. Der Nichtkriegführende kann sich nicht auf eine gleichmäßige, verläßliche Schutzwirkung seiner Souveränität versteifen und muß sich auch noch moralisch exponieren, muß mitten im Kriegsfeuer die Zensuren »gut« und »böse« austeilen. Was Hugo Grotius »de his qui in bello medii sunt« schrieb, war ja alles andere als wegweisend. Aber seine Ausführungen zum Truppentransfer wurden doch rund ein halbes Jahrhundert lang gern zitiert, sie wirkten sich insofern aus. Wir merken es noch bei Adolph Schrötering, der ja die wohl früheste im Kern neutralitätsrechtliche Dissertation vorgelegt hat. Zur Transitfrage äußert er sich recht ausführlich, was uns angesichts seiner logischen Kapazitäten Schlimmes ahnen läßt. Thesis XXIII setzt so ein: »Nec minus in Transitu concedendo cautus esse debet, qui extra belli consortium positus esse vult. Et innoxii quidem transitus facultatem facilè utrisqu; largiri debet«, wie schon Grotius klargestellt habe. Also: der Neutrale genehmigte Truppentransfers besser nicht; doch mußte er sie natürlich genehmigen. Eine halbe Seite (die zur Klärung eines Widerspruchs, den der Autor gar nicht als solchen empfand, nicht das geringste beitragen kann) danach lesen wir das: »Ubi verò transitus petitur ad invadendum alterum461, utrum concedi ille à neutris partibus addicto debeat? dubitari potest.« Also, der Neutrale mußte Truppentransfers doch nicht genehmigen. Doch belehrt uns der folgende Satz: »decidit Grotius, ut justum bellum moventi transitum denegari non posse«. Da in der schnöden Praxis niemand erklärte, er ziehe gerade in einen ungerechten Krieg, mußte der Neutrale also doch ... Nein, weiß Adolph Schrötering, jedenfalls, während er den nächsten Satz zu Papier bringt, denn dort heißt es, daß »transitum invito territorii domino usurpari non posse«. Und über die etwaige Gerechtigkeit eines Kriegszuges äußerte sich der Neutrale besser nicht, das trug ihm nur Ärger ein. Fassen wir zusammen, was uns Schrötering bis dahin wortreich nahezubringen versuchte: Der Neutrale sollte Transfers jeglicher Art nicht genehmigen; »unschädliche« mußte er aber genehmigen; solche, die dem Feinde galten (und wozu sonst Truppentransfers durch Drittstaaten?), 459 Der hier nur unzulänglich angedeutete Eigentumsbegriff des Niederländers (vgl. zuletzt dazu Arnold Künzli, Mein und Dein. Zur Ideengeschichte der Eigentumsfeindschaft, Köln 1986, S. 193–196) ist wichtig für seine Völkerrechtskonzeption überhaupt. 460 Hugo Grotius, De iure belli ac pacis, S. 197 (II 13). 461 Eine gewichtige Einschränkung? Wann dienten Truppentransfers durch Drittstaaten nicht diesem Ziel?

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sollte er wiederum nicht genehmigen; doch hatte er ohnehin freie Hand, da niemand Durchmärsche, zu welchem Behufe auch immer, über neutralen Grund erzwingen konnte. Klärt sich das fast sinnfreie Buchstabengewimmel, wenn wir aus dem Transit ohne charakterisierendes Adjektiv einen ›schädlichen‹ machen, ihm den Transitus innoxius antithetisch gegenüberstellen? Eigentlich auch nicht, denn während der Neutrale über Iustitia oder Unrecht des gerade aktuellen Krieges besser schwieg, war die Charakterisierung eines etwa drohenden Transits als schädlich oder »innoxius« allein seine Sache: »aestimatio verò isthaec ejus sit, à quo transitus flagitatur«. Schon die Befürchtung, die Genehmigung des Transfers für eine Kriegspartei verärgere die andere, reichte hin, um das Begehren als schädlich einzustufen, »causa insuper metuendi adest sufficiens«. So die Juristen des Neutralen nicht wesentlich unfähiger waren als die der Kriegführenden, waren sie diesem Thesenwust zufolge doch besser dran. Abseits der Transitfrage äußert sich Schrötering nicht zum Schutz der territorialen Integrität des Neutralen. Zwar beginnt Thesis XXIV verheißungsvoll so: »Loca ditioni suae subjecta utrisque bellantium tuta praestabit, nec parietur inimicitias in suis quoque terris exerceri«. Hatten die Kriegführenden also draußenzubleiben? Im Gegenteil, nur herein mit ihnen!, ruft der nächste Satz, doch müssen sie sich anständig benehmen: »Ergo etiam flumina et portus utrisque pacificè patere faciet, nec tamen alterum alteri quamdiu intra territorium suum haeret, insultare permittet.« Und wenn die zuletzt siegreiche Kriegspartei, flüchtige Truppen des Gegners verfolgend, auf neutralen Grund drängte? Nur herein mit den Verfolgern!, ruft Adolph Schrötering erneut, doch mußten auch sie sich brav aufführen.462 Das alles war nicht eben praxistauglich. 2.4.4.2 Der Eigentumsbegriff des Hugo Grotius wird fraglich In der 1687 vorgelegten neutralitätsrechtlichen Dissertation Schröterings waren die Ansichten Hugo Grotius’ zum Truppentransfer durch Drittstaaten noch bruchstückhaft präsent, wie wir soeben sahen. In jenen zahlreichen (die Neutralität oft streifenden) militärkundlichen und kriegsrechtlichen Traktaten463, die diese Studie nicht eingehend inspiziert und nacheinander vorstellt, hat das 462 »Admittendus sit«, so Schrötering zum Heer des Verfolgers, »sed ita, ut quietum se praebeat«: Dissertatio, Thesis XXV. 463 Vgl. zu ihnen Oschmann, Metus iustus, im Hinblick auf die Transitfrage S. 116–121. Die Passage ist (wie die ganze Studie) sehr instruktiv, leidet freilich unter einer Vermengung der Durchzugsfrage mit dem Recht auf Neutralität. Vermutlich liegt es daran, daß die von Oschmann gesichteten Abhandlungen das Transitproblem häufig als Aufhänger nahmen, um die Neutralität überhaupt kurz abzuhandeln, gleichsam als Anhängsel zur notorischen, allseits beliebten Transitfrage. Es erschienen sogar eine Reihe von Monographien zum Truppentransfer über fremdes Gebiet.

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»grotianische« Erbe464 die Behandlung der Transitfrage zwei Generationen lang stark bestimmt. (Erst) seit den 1660er Jahren ließen sich daneben Stimmen vernehmen, die dem Neutralen das Recht einräumten, Truppentransfers über sein Gebiet abzulehnen. Die umständlichen Begründungen sind im einzelnen nicht bemerkenswert, aber zwei nun öfters wiederkehrende Argumente sollten doch erwähnt werden: Man äußert die Sorge, »quod non parum principis auctoritas violaretur«465 – die des neutralen Fürsten, wohlgemerkt. Und man verspottet »der Grotianer Meynung«, der Neutrale müsse, ja, könne überhaupt die Gerechtigkeit fein säuberlich zuteilen. Johann Abraham Schefer drückte es 1674 in verschraubtem Deutsch, aber psychologisch plausibel so aus: »Hat der bekriegende Theil eine gerechte Sache, so ist sie doch insgemein also beschaffen, wann derselben Gerechtigkeit wegen vieler scheinbaren Gegen-Gründe (woran es heutiges Tages in denen gerechtesten Sachen nicht fehlet) sehr dunckel ist, daß der Bekriegte, welcher nach der angebohrnen allgemeinen Schwachheit ohne das lieber vor, als gegen sich urtheilet, ohne Argelist in seinem Gewissen darvor halten kan ... oder doch zum wenigsten von der Welt darvor wil angesehen seyn, er habe eine gerechte Sache, und jener, der mein Land passiren wil, eine ohngerechte«. Moralische Erörterungen hülfen dem Neutralen nicht aus dem Dilemma, daß er, wenn er dem einen den Transit gestatte, immer für die andere Seite »auß denen Schrancken der Ohnparteilichkeit« schreite. 466 Versuchen wir, was in solchen Schriften meist recht verworren und immer sehr umständlich daherkommt, zu zwei wichtigen Tendenzen zu verdichten, können wir vorsichtig attestieren, daß der Gesichtspunkt der Souveränität an Bedeutung gewinnt467 und daß die Gerechtigkeitskriterien der traditionellen Bellum-iustum-Doktrin unglaubwürdig werden. Übrigens setzt sich auch eine – ansonsten ganz im Tagesaktuellen aufgehende468 und überhaupt nicht gelehrt daherkommende – antifranzösische Flug464 Außer mit dem grotianischen Eigentumsbegriff argumentierte man gern mit einigen Reichsabschieden (1564, 1569, 1594). Vgl. hierzu schon oben S. 491 Anm. 366. 465 Johann August von Spor, Dissertatio moralis prior et posterior de justitia bellorum ob commeatum denegatum susceptorum, Wittenberg 1667, fol. B2; auf die Arbeit macht Oschmann aufmerksam. 466 Schefer, Eröffnete Gedanken, S. 30f.; Oschmann geht auf diese Arbeit nicht ein, eine vollständige Erfassung des überbordenden militärkundlichen Schriftguts ist auch gar nicht möglich. 467 Ich füge an, was 1680 Johann Wolfgang Textor außerhalb seines Neutralitätskapitels über das ›Hausrecht‹ des Fürsten schrieb: »Reges et potestates non minus ius habent, in regnis et provinciis suis prohibendi exteros a transitu quam habent privati in agris suis« (Textor, Synopsis Iuris gentium, Kap. XVII). 468 Auch die uns hier interessierenden Ausführungen zum grotianischen Eigentumsbegriff haben, natürlich, eine Funktion im tagespolitisch motivierten Diskurs. Der Autor heuchelt

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schrift aus der Zeit des Holländischen Krieges recht ausführlich mit dem Eigentumsbegriff des Hugo Grotius und seinen Folgen für den Neutralen auseinander. Im Fokus ist freilich nicht der Truppentransfer, sondern die für vormoderne Druckwerke zweitwichtigste Frage im Zusammenhang mit der territorialen Integrität des Neutralen – lassen wir sie unseren Autor selbst formulieren: »Die Frag ist: Ob einem Fürsten, welcher Krieg führet, zu Abwendung bevorstehender Gefahr, erlaubet seye in eines benachbarten Fürsten, der sich ruhig und neutral hält, Landen, eine Stadt einzunehmen und mit Besatzung zu belegen? Die Grotianer bejahen es und sagen, daß ein Herr eine frembde Vestung, wann er gewiß weiß, sein Feind werde sich derselben zu seinem grossen Schaden bemächtigen, wol in Besitz nehmen, und also dem Ubel vorbeugen möge«, wenn auch nur vorübergehende »Verwahrung« legitim sei: »Die hohe Noht hätte kein Gesatz, sondern schaffe, daß alle Dinge wieder in den ersten Stand der Gemeinschafft, da das Dein und Mein noch nicht geehret worden, zu seyn schienen«. »Andere« sagten hierzu mit besseren Gründen: Nein! Ihre Argumente reimen sich alle auf den Begriff »Souveränität«. Entschieden ist diese Flugschrift der Ansicht, es könne »keine Noht so groß seyn, daß sie einen berechtigen könte, sich seines Nachbaren Eigenthumb wider desselben Willen« anzueignen, »und mein, wann dieses gelten sollte, wie übel würde es mit den Neutralisten469 bewand seyn, indem es niemalen denen kriegenden Theilen an Vorwand manglen wird, sich ihrer Oerter und Plätze zu bemeistern, damit sie nicht von einem andern überwältiget würden« – zumal der so provozierte »andere« dann auch noch einrücken wird, so daß »die völlige Krieges-Flamme« das Land des Neutralen verzehrt.470 Erfaßten Zweifel am grotianischen Eigentumsbegriff auch Nachwuchsjuristen, die sich durch Arbeiten über die Neutralitas einen Namen machen wollten? In den frühen Dissertationen über die Neutralität spielt die Transitfrage keine oder fast keine Rolle, was angesichts ihres Gewichts in kriegsrechtlichen Abhandlungen überraschen könnte, aber auch noch einmal illustriert, daß diese Schriftchen eben überhaupt nur rudimentär ein Neutralitätsrecht skizzieren – Neutralität reizte vor dem 18. Jahrhundert als Paradebeispiel für politisch unein gewisses Verständnis für die – dennoch unverzüglich zu revidierende – profranzösische Haltung Kurkölns während des Holländischen Krieges. Zu den Ursachen gehöre, daß die Generalstaaten während des Dreißigjährigen Krieges Rheinsberg okkupierten und trotz der »neutralen« Haltung des Kurfürstentums ihnen gegenüber nicht wieder herausrücken wollten. Es folgen die hier interessierenden Passagen. Sie münden in die Feststellung, die kurkölnische Haltung sei historisch nachvollziehbar, aber aktuell unklug und verantwortungslos. 469 Ein Beleg dafür, daß das Substantiv nicht immer negativ konnotiert sein mußte! Tendenziell war dem schon so, konnte man die »neutralitet« eventuell hinnehmen, waren »neutralisten« unangenehme Gesellen. Vgl. schon oben S. 435 Anm. 149. 470 [Anonym], Der Geropffte Hahn, S. 21–23.

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kluges Verhalten, nicht als für juristische Vermessungsarbeiten attraktives Feld. Immerhin ist Georg Schröder schon 1659 der Ansicht, über neutrales Gebiet dürfe man keine Truppen führen471 (wobei er allerdings reichsrechtlich, nicht völkerrechtlich – beziehungsweise spezifisch neutralitätsrechtlich – zu argumentieren versucht). Lückenlos ist der Schutz der territorialen Unversehrtheit des Neutralen bei ihm dennoch nicht, denn in der Frage, ob der Kriegführende neutralen Grund bei Gefahr im Verzug okkupieren dürfe, argumentiert er ganz »grotianisch«.472 Albert Voßenhölen fiel auf, daß das Thema des »Transitus armatus« von den anderen Dissertationen »de neutralitate« vernachlässigt worden sei. Es sei aber auch ein dornenvolles, »magni Voluminis, et ingentis Disputationis«.473 »Non dubitant Medii utramque bellantium partem transitu armato jure prohibere posse. Bellantes econtra non ambigunt, quin transitum denegatum, vi liceat aperire, armisque vindicare, aut astu penetrare.«474 Verwiesen die einen auf die »proprietas« der Wege und eine »libertas territorii«, so andere auf Hugo Grotius. Der aber sei nicht wegweisend, findet Albert Voßenhölen, »in hac quaestione usus vitae humanae apud Gentes aliter procedit«. Das heißt nun nicht etwa, daß dieser Autor dem Neutralen grundsätzlich das Vetorecht einräumte, nein, »conventionibus[,] non juridicis disceptationibus omne negotium petendi et concedendi transitus videmus confici«.475 Der Neutrale mußte also erst einmal Vertragspartner finden, die sich von ihm gern Truppendurchzüge verbieten ließen. Entscheidungsträger, die ihr Land »neutral« durch schwierige Zeitläufte steuern wollten, fanden in solchen Traktaten wenig Tröstliches.

471 Vgl. Schröder, De neutralitate, Abschnitte Nr. 80 und Nr. 91. Auch Schröder verweist, wie die Verfechter eines Rechts der Kriegführenden auf allseitige Transfers, auf Reichsabschiede, nur auf andere (außerdem auf die Wahlkapitulation). Ein explizites spezifisches Neutralitätsrecht kannte die Reichsverfassung eben nicht, man bediente sich eklektisch, wo man vermeintlich passende Splitter fand. 472 Ebda., Nr. 93: »Ita illi, qui justum gerit bellum, licet occupare locum in solo pacato situm, Si scil. periculum sit, ne hostis illum locum invadat in damnum irreparabile, et alia ratione [!?]« (Kursivsetzung von mir). 473 Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 39. 474 Ebda., S. 39f.; es steht nahezu wortgleich bei Böckler, Libellus de quiete, S. 58, und wurde von Voßenhölen wohl dort abgeschrieben. 475 Ebda., S. 41 – wenn man es so schematisch zusammenfassen will: eine Säkularisierung des Argumentationsgangs seit Hugo Grotius, aber nicht mehr Schutz. – Daß eine Kriegspartei Burgen, Befestigungsanlagen und Städte des Dritten okkupieren dürfe, wenn sie befürchte, sonst tue es die andere, verneint Voßenhölen immerhin (ebda, S. 48f.). Die Frage, ob eine Kriegspartei auf neutralem Gebiet »suas offensas contra hostes exequi« dürfe, will er als sehr umstritten nicht entscheiden (ebda., S. 52). Mehr Einzelheiten lohnen wirklich nicht, die Positionen des Autors muten im einzelnen ziemlich beliebig, im Ganzen inkonsequent an.

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Insofern mutet es avantgardistisch an, wenn Neumayr von Ramsla 1620 den Neutralen beiläufig476 davor warnt, »frembden Kriegßvolck freyen Paß vnd Durchzug« einzuräumen. Das war freilich keine normative Festsetzung, sondern ein politischer Ratschlag. Mehr konnte dem Neutralen ein halbes Jahrhundert später auch Pufendorf nicht bieten, das allenfalls in mehr Worten.477 Eine den Holländischen Krieg kommentierende Flugschrift empört sich 1674, die bekannt verderblichen Folgen von Truppendurchmärschen herausstreichend, über die französische Behauptung, solche Transite zu verweigern »wehre ein straffbahres Laster wieder das Recht aller Völcker«.478 Aber eine feste juristische Basis bekam die territoriale Integrität des Neutralen nur sehr, sehr langsam. Noch die »Klassiker des Völkerrechts« kennen keinen lückenlosen Schutz des neutralen Territoriums. Bei Christian Wolff beziehen sich die Passagen über den »Transitus innoxius« nicht explizit auf das unmittelbar voranstehende Neutralitätskapitel, aber sie wurden sicher nicht einfach nur zufällig hier eingereiht. Einerseits weiß Wolff, daß jede »gens ... transitum innoxium permittere debet«479, das Gegenteil wäre sogar – und noch immer – ein Kriegsgrund.480 Andererseits räumt Wolff dem Neutralen einen weiten Ermessensspielraum ein, denn »si non vanus sit metus«, daß der Transit doch Schaden anrichten oder nach sich ziehen könnte, darf er ihn ablehnen481, und die Unschädlichkeit muß »satis manifestum« sein.482 Sehr hilfreich war das für die Praxis wohl nicht, denn alle Betroffenen, zumal aber der Neutrale mußten sich so auf heikle Beurteilungsfragen einlassen. Wie triftig zwischen berechtigter Sorge und Wahn scheiden? Daß Wolff ausgerechnet in diese Passagen ein Lob auf die gedankliche 476 Eigentlich geht es in dieser Passage darum, den suspekten Status der Neutralität nicht dadurch noch labiler zu machen, daß man sich zur Parteinahme hinreißen läßt. Solchen Ausführungen folgt dieser Abschnitt: »So hat man auch mit fleiß Auffacht zu haben, daß man die Vnterthanen nicht einem oder dem andern Theil zuziehen lasse, Oder sonst frembden Kriegßvolck freyen Paß vnd Durchzug vergönne, damit es nicht das Ansehen habe, als hette man sich der Partheyen einer beygepflichtet, vnd were also von der neutralitet abgestanden« (Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel VIII). 477 Ausführliche Zusammenfassung: Reibstein, Verschollenes Kapitel, S. 452–456. Die Quintessenz: Nicht nur, daß es oft schwer ist, darüber zu entscheiden, ob ein Krieg gerecht ist, es wäre unbesonnen, sich zum Schiedsrichter zwischen zwei Feinden aufzuschwingen. Man darf sich nicht leichtfertig einmischen. Pufendorf behandelt das Thema als eines der diplomatischen Klugheit. Völkerrechtliche Schutznormen vor Durchzugsbegehren kennt er nicht. 478 Wie angeblich der Marquis de Gravel erklärt habe: »François de Warendorp«, A Son Altesse Monseigneur le Prince d’Osnabrug, o. O. 1674, S. 29. Es handelt sich um eine Arbeit des kaiserlichen ›Chefpropagandisten‹ Lisola. 479 Wolff, Jus gentium, S. 249. 480 Vgl. ebda., S. 255. 481 Ebda., S. 251. 482 Ebda., S. 255.

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Klarheit und systematische Geschlossenheit des werdende Völkerrecht plaziert hat, das wohl vor allem als Selbstlob zu lesen ist, kann insofern erheitern.483 Sogar Adam Friedrich Glafey ist hier einmal nur fast eindeutig. Im Neutralitätskapitel wird die Transitfrage gar nicht angeschnitten, bei der Diskussion von Kriegsgründen heißt es, die einseitige (!) Verweigerung eines »friedlichen Durchmarsches« verwirke die Neutralität, sei insofern ein Kriegsgrund. Interessanter ist, daß Glafey dem ein – freilich eng gefaßtes – Notrechtsargument anschließt: »Wenn ich keine andere Retirade, als durch eines andern Land, übrig habe«, darf ich den Durchzug erzwingen.484 Eben deshalb, weil sich der Neutrale einen derartigen Durchmarsch ja gefallen lassen muß, hebt er seinen Neutralenstatus nicht auf. Mehr und Klareres wurde dem Neutralen vor Johann Jakob Moser nicht geboten. Auch, beispielsweise, nicht von Emer de Vattel. Generell postuliert der Schweizer zwar Respekt vor der Souveränität des Neutralen. Von »occasions particulieres« abgesehen, können mir – Vattel schlüpft pronominal gern in die Rolle des Staatschefs – Streitigkeiten anderer nicht die freie Verfügung über meine Hoheitsrechte benehmen: »Hors ces sortes de cas, les querelles d’autrui m’ôteront-elles la libre disposition de mes droits, dans la poursuite des mesures que je croirai salutaires à ma nation?« 485 Das ist eine rhetorische Frage – nur gehört zu den eingangs angesprochenen Ausnahmefällen eben der Transitus innoxius! Die Verweigerung eines wirklich unschädlichen Durchzugs ist rechtswidrig. Wir sollten die einschlägige Passage im Wortlaut mustern: »Si l’injustice du refus était manifeste, si l’usage, et, dans le cas dont nous parlons, le passage était indubitablement innocent, une Nation pourrait se faire justice à elle-même, et prendre de force ce qu’on lui refuserait injustement«.486 Das ist echt Vattelsche Wissenschaftsprosa von der Art »es ist nicht recht, Unrecht zu tun«. Wenn die Verweigerung des Durchmarschs offenkundig unrecht ist, setzt sich der Verweigernde ins Unrecht. Aber wer entschied nach welchen Kriterien über die Ungerechtigkeit der Verweigerung, die Unschädlichkeit des Durchzugs? Über letztere 483 Ebda., S. 252: »Vides quam pulchre omnia in Jure naturae ac Gentium inter se conspirent, modo omnem obligationum ac jurium inde descendentium nexum intime perspectum habueris: id quod alter obtineri nequit nisi ope systematis veri numinis, quale condere placuit.« – Die beiläufigen Abwertungen Wolffs in denjenigen neutralitätsgeschichtlichen Studien, die ihn überhaupt erwähnen (natürlich kann neben dem großen Hugo Grotius sowieso niemand bestehen), sind aber meines Erachtens nicht gerechtfertigt. Wolff denkt nicht unschärfer als Vattel, der ihm übrigens manches verdankt. Es »bien étrange« zu finden, wie dieser Wolff »des droits nouveaux pour les États belligérants« kreiere (so Sultan, L’évolution du concept, S. 21f.): das kann seinerseits befremden. Wolff ist dem Neutralen nicht übel gesonnen, nur sind seine Handreichungen wenig praktikabel. 484 Glafey, Recht der Vernunfft, Buch VI, §§ 117f. (das Zitat: S. 65). 485 Vattel, Le droit des gens, libre III, § 110 (S. 44). 486 Ebda., § 122 (S. 50f.).

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offenbar der Neutrale, denn kurz vor der soeben zitierten Passage steht diese: »Si le Souverain neutre a de bonnes raisons de refuser le passage, il n’est point obligé de l’accorder, puisqu’en ce cas le passage n’est plus innocent.«487 Wenn der Neutrale seine Gründe hat, um den Transitus innoxius zu verweigern, ist dieser keiner und er darf ihn verweigern. Solche Gründe gab es natürlich immer. Können wir die – somit unnötig wortreichen – Ausführungen dieses Autors wie folgt zusammenfassen: Der Neutrale darf einen ihm nicht genehmen Durchmarsch nach Belieben ablehnen? So leicht macht es uns Emer de Vattel nicht. Knapp 150 Seiten nach den soeben angeführten Zitaten heißt es, im Zusammenhang mit dem »droit de nécessité« im Krieg, daß die Not des Kriegführenden den Transit sehr wohl legitimiere.488 Es lohnte vielleicht einmal eine Studie, darzulegen, wie die »Klassiker des Völkerrechts« seit Hugo Grotius (hier war er einmal wirklich wegweisend!) ihre Versuche, das interstatale Miteinander normativ zu regeln, selbst durch das in ihren Texten grassierende ›Notrechtsargument‹ unterminiert haben. Zweifelsohne waren sie der Ansicht, dadurch gleichsam ›wirklichkeitsnäher‹ zu schreiben. Aber zurück zu Vattel! Der wäre kein bauernschlauer Schweizer, wenn er nicht wiederum diese Volte dranhängte: eine vergleichbare Notlage des Landesherrn, durch dessen Gebiet der Transit führen soll, sticht bei einem Patt der Notlagen. Auch das Neutralitätskapitel beschwört Grenzfälle und Notlagen, vielleicht können wir das gewundene Hin und Her so auf einen Nenner bringen: Eine evidente Notlage des Kriegführenden rechtfertigt es, einen zweifelsfrei unschädlichen Durchmarsch zu erzwingen, aber solche Zwänge und eine derart eindeutige Unschädlichkeit sind seltene Grenzfälle.489 Normalerweise muß der Neutrale keinen Truppentransfer über sein Gebiet dulden. Bei Wolff wie bei Vattel ist der Neutrale nicht mehr schutzlos, aber seine Gebietshoheit steht nicht im Zentrum des Neutralitätsrechts, ist ein Gut un487 Ebda., § 121 (S. 50). 488 Ebda., libre II, § 123 (S. 192f.): Das »droit de nécessité ... vous permet une action, illicite en d’autres rencontres, celle de ne pas respecter le droit de domaine. Quand une vraie nécessité vous oblige à entrer dans le pays d’autrui ... vous pouvez forcer le passage«. 489 Ebda., libre III, § 122, S. 51: »La tranquillité et la sûreté commune des Nations exigent donc que chacune soit maîtresse de son territoire, et libre d’en refuser l’entrée à toute armée étrangère ... Exceptons en seulement ces cas très rares, où [sic] l’on peut faire voir, de la manière la plus évidente, que le passage demandé est absolument sans inconvénient et sans danger.« Schon auf S. 50 hatte es geheißen: »C’est au maître du territoire de juger si le passage ist innocent; et il est très-difficile que celui d’une armée le soit entiérement [sic].« – Zur Notlage (S. 51): »Un autre cas s’excepte de lui-même et sans difficulté, c’est celui d’extrême nécessité. La nécessité urgement et absolue suspend tous les droits de propriété« (Kursivsetzungen von mir). Auch hier folgt der Joker des Neutralen beim Patt der Notlagen: »Et si le maître n’est pas dans le même cas de nécessité que vous, il vous est permis de faire usage, malgré lui, de ce qui lui appartient« (andernfalls also nicht!).

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ter vielen. Gegen diese vielen anderen Güter ist es je und je abzuwägen, in einer komplizierten Kasuistik. Im Spiegel des Neutralitätsrechts ist die (freilich schon immer häufiger beschworene) einzelstaatliche Souveränität noch nicht das Axiom des ganzen Völkerrechts. Was Johann Jakob Moser über »Durchmärsche« schreibt, steht in einem Spannungsverhältnis zwischen normativer Vorstellung und Realitätswahrnehmung.490 Erstere immerhin ist völlig eindeutig. Das einschlägige Unterkapitel beginnt fettgedruckt so: »Ganze Armeen, Corps, Detachements, Transports von Recrouten, u. d. durch ein neutrales Land marschiren zu lassen, ist man hingegen nicht schuldig. Und wann man es gestattet, kan es, bewandten Umständen nach, als eine Verletzung der Neutralität angesehen werden.« In normalen Lettern folgt unmittelbar das: »Souveraine, welche im Stand seynd, sich zu widersetzen, und Gewalt mit Gewalt abzutreiben, können, auf die an sie ergehende Requisitionen es bewilligen, oder abschlagen. Schwächere hingegen pflegen sich dahin zu äussern: Sie müßten geschehen lassen, was sie nicht hindern könnten; sie bäten nur, das Land, so vil möglich, zu schonen, und alles baar zu bezahlen.«491 Moser beobachtet, daß tatsächlich nur Stärkere eine Ablehnung wagen. Moser postuliert, daß niemand Truppentransfers über sein Gebiet erlauben muß, ja, und das ist der fortschrittlichste Teil der Passage, sie zu gewähren kann den Neutralenstatus gefährden. Diese Gefahr beschworen bereits eine Reihe älterer Autoren beiläufig, im Rahmen ihrer Ausführungen zur »Unpartheilichkeit« des Neutralen. Aber daß Moser seiner Feststellung, Transfers müßten nicht hingenommen werden, gleich die Warnung vor der Erlaubnis auf dem Fuße folgen läßt – und diese beiden Sätze zusammen machen schon das Fettgedruckte seines Unterkapitels über »Durchmärsche« aus –, ergibt doch als ›Gesamtaussage‹ eine dem Truppentransfer über neutrales Gebiet gegenüber skeptische Einstellung. Insofern schlägt uns Moser gleichsam die Brücke ins 19. Jahrhundert.492 2.4.4.3 Andere Problemfelder Die Schutzwirkung erklärter oder vereinbarter Neutralität gegen Truppentransfers interessierte hier als Gradmesser für den Rang der territorialen Integrität 490 Vergleichbar in dieser Hinsicht die kurzen Bemerkungen bei Scheidemantel, Repertorium, S. 611: »Das neutrale Volk kann verlangen, daß sein Gebiet von allen Feindseligkeiten frey bleibe.« Andererseits: »So unläugbar dieser Saz nach dem Naturrechte ist, so findet man doch sehr häufig, daß er von den kriegführenden Mächten übertreten wird.« 491 Moser, Versuch des neuesten Europäischen Völker-Rechts, Bd. 10.1, S. 238. 492 Vgl. schon oben S. 360. Das V. Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 wird den Konsens der Völkerrechtler der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kodifizieren: Während Artikel 2 Kriegführenden den Truppentransfer über neutrales Gebiet untersagt, verpflichtet Artikel 5 den Neutralen, etwaige Durchmärsche zu unterbinden.

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des Neutralen. Verstünde sich diese Studie als eine rechtsgeschichtliche, wollte sie vormodernes Neutralitätsrecht ausbreiten – was ihr fernliegt –, müßte sie noch viele andere Aspekte des komplizierten Verhältnisses zwischen Kriegführenden und Neutralen Revue passieren lassen: beispielsweise Truppenwerbungen auf neutralem Gebiet und Truppenlieferungen des Neutralen; oder Quartiernahmen auf neutralem Grund. Werbungen wie Einquartierungen werden in völkerrechtlichen Arbeiten und militärkundlichen Traktaten durchgehend, in Flugschriften493 sporadisch angesprochen, gern im Zusammenhang mit dem Postulat neutraler »Unpartheilichkeit«. Alle Einzelheiten brächten diese Studie nicht weiter, vieles (Ramsla einerseits progressiv, andererseits juristisch unergiebig; Vattel sehr unscharf und gewunden; völlig klare – oder simple oder intellektuell dürftige: eine Bewertungsfrage! – Regeln erst seit Moser) würde sich auch wiederholen. Verstünde sich diese Monographie als eine rechtsgeschichtliche, müßte sie natürlich sodann alle möglichen Handelsfragen traktieren. Eine auch für Neutrale besonders interessante wurde jüngst, freilich nicht im Hinblick auf Neutrale, durch eine maschinenschriftliche Dissertation von Peter Hug in gründlicher Detailfreude bis in alle ihre Verästelungen hinein untersucht: das Problem des Kriegsmaterialhandels. Fast alles spielt, anders als diese Studie, zur See, aber ein kurzer Seitenblick lohnt. Versuchen wir, einige große Linien einzuziehen, merken wir zunächst einmal, daß die Entwicklung eines Konterbande-Vertragsrechts gut geeignet ist, die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen im Verlauf der Frühen Neuzeit zu illustrieren. Es scheint nicht möglich zu sein, so etwas wie eine Schlüsselzeit, die Ära des großen Durchbruchs zu bestimmen. Zwar macht Hug »zwischen 1550 und 1650« einen »Verrechtlichungsschub« aus – Präzedenzurteile von Gerichtshöfen, obrigkeitliche Dekrete, immer mehr bi- und auch multilaterale Verträge. Nun sind hundert Jahre für einen »Schub« eine lange Zeit, und an anderer Stelle heißt es, »seit dem westfälischen Frieden« sei ein »dichtes Netz differenzierter Normen« entstanden, habe eine »beeindruckende Weiterentwicklung der rechtlichen Konzepte zur Steuerung« des Kriegsmaterialhandels stattgefunden.494 Schaut man genauer hin, gilt all das uneingeschränkt nur für eine kleine Gruppe von maritim aktiven Staaten: Spanien, die Niederlande, Großbritannien, Frankreich. Auch das also merken wir: Die Staatenwelt blieb im Lichte dieses Themas trotz des vielbeschworenen Zerfalls der mittelalterlichen Christianitas hartnäckig vertikal abgestuft, 493 Apodiktisch urteilt [anonym], Des Apollinis Neuer Probier-Ofen ... Aus dem Parnasso hervorgegeben durch Trajanum Bocalini, o. O. 1678, S. 92: Neutralität impliziere, »daß beede Partheyen in dem neutralen Ort so wol werben, als andre Kriegs-Nohtwendigkeiten haben können«. 494 Hug, Geschichte des Kriegsmaterialhandels, S. 95, S. 199 bzw. S. 194.

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denn nur wenige Staaten partizipierten am immer elaborierteren, vielgliedrigen Konterbande-Vertragsrecht. Das galt zunächst für die gleichsam Mittelstarken schon nicht mehr, Peter Hug nennt sie die »Semiperipheren«495. Sie wurden erst seit dem späten 17. Jahrhundert partiell ans System des Konterbande-Vertragsrechts angedockt, beispielsweise durch ausdrücklich so etikettierte Neutralitätsverträge; oder aber, sie versuchten sich in mehr oder weniger konzertiertem Selbstschutz496 und pochten dabei auf die vorgeblichen Rechte der Neutralen: womit nun endlich auch Streulicht497 auf Probleme der vormodernen Neutralität fällt. Kleine blieben gänzlich »peripher«, also weiterhin ohne Rechtssicherheit. Weder »Semiperiphere« noch Kleine fanden vor dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts Tröstliches oder Hilfreiches in völkerrechtlichen Publikationen, denn deren Versuche, das wuchernde Vertragsrecht zu sichten und zu systematisieren, hinkten der diplomatischen Praxis nach. Unsere Dissertationen »de neutralitate« übrigens streifen den Kriegsmaterialhandel allenfalls.498 Albert Voßenhölen findet die Sache so unklar und verworren, daß man nur Boden unter den Füßen gewinnen könne, indem man Vertragspartner finde. So, wie er das formuliert, ist das kein Verweis aufs Vertragsvölkerrecht, sondern Resignation, die überforderte Jurisprudenz muß bei der Diplomatie Zuflucht nehmen: »Ideò inter tantas concertationes expeditius remedium non datur, quam quaestionem juris ad transactiones singulares transferre, et pactionibus expressis rem definire.«499

495 Erneut eine zumal vor 1700 überschaubare Gruppe: Dänemark, Schweden, Rußland, Kurbrandenburg, die Hansestädte; im 18. Jahrhundert beispielsweise noch Venedig oder Neapel. Sie konnten teilweise auf einen bilateralen Vertrag mit diesem oder jenem der für Kriegskonterbandevertragsrecht zentralen Staaten verweisen. Solche manchmal als »Neutralitätsvertrag« firmierenden Abmachungen diskriminierten die »Semiperipheren«, erlegten ihnen aber immer noch weniger Handelsbeschränkungen auf, als sie sich im Kriegsfall die gänzlich vertragslosen »Peripheren« gefallen lassen mußten. Insofern privilegierte diese vertraglich begründete Neutralität gegenüber gänzlich ungeregelter Nichtkriegführung. 496 Also: Verträge, die mehrere »semiperiphere« Staaten einander verbinden und auf eine Art kollektiver bewaffneter Neutralität abzielen; natürlich hat die berühmte Neutralité armée von 1780 hier ihre Wurzeln. All das spielt, anders als diese Studie, zur See – wo man nun beispielsweise Fracht- durch Kriegsschiffe eskortieren läßt. 497 Hug erwähnt vor dem späten 17. Jahrhundert nur sporadisch Nichtkriegführende, und Neutrale noch seltener (vgl. immerhin, zur Nichtkriegführung, ebda., S. 111, sodann S. 239); der Neutralenstatus war für ihn kein spezifischer Untersuchungsgegenstand. Aber manche Ergebnisse seiner lesenswerten Arbeit sind eben doch auch für eine Studie zur Neutralität interessant. 498 Um nicht mißverstanden zu werden: auf sie geht Hug natürlich nicht ein und mußte er nicht eingehen. 499 Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 38f.

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2.4.5 Schützt der Neutralenstatus vor Kriegsunbilden? Daß die erklärte oder verbriefte Absicht, sich neutral herauszuhalten, als Schutzwall gegen Kriegseinwirkungen tauge, behauptet keine mir bekannte Schrift, kein mir bekanntes Kapitel über Neutralität aus dem 16. oder 17. Jahrhundert500. Als halbe Ausnahme könnte man vielleicht Christoph Forstners Tacitus-Kommentar von 1662 verbuchen. Er blickt zwar nicht vom Neutralen her auf die Problematik, warnt aber die Kriegführenden (sie sind die Adressaten): »Quoties igitur inter bellô decertantes est, qui neutrius partes sequatur, utrique se aequè amicorum professus: quietum hostilibus factis lacessere aut ad societatem vi compellere capitalis imprudentia est.« Unter den Exempeln befindet sich auch ein leidlich aktuelles: daß Tilly Magdeburg nahm, habe Johann Georg von Sachsen in die Arme Gustav Adolfs getrieben.501 Wir wissen schon, daß das Akzeptanzdefizit der Neutralität – und eine nur mangelhafte Schutzwirkung der suspekten politischen Option war diesem Manko ja immanent – der zentrale Einwand aller politologischen Auslassungen zum Thema war. Sie im Hinblick auf die Respektierung der territorialen Integrität des Neutralen noch einmal durchzubürsten, wird damit zur Reprise. Angeblich lehrte ja die Geschichte, daß der Neutrale von beiden behelligt und hinterher vom Sieger niedergemacht wurde. Und weil sich Geschichte für unsere vormodernen Autoren nach den ihr immanenten, immergleichen Regeln entfaltete, konnte man daraus nicht nur für die Gegenwart lernen, konnte man ihr auch die Zukunft abschauen: »Videmus, et videbimus«, so der Holländer Justus Lipsius, daß neutrale Zuschauer »acerbissimas poenas« zu entrichten hatten. 502 Eine Maxime bei Gregor Richter ist so überschrieben: »Neutrales periculum, quod declinare volunt, plerunque incurrunt.«503 »Si ab aliis invadantur, sine auxilio relinquuntur«504, weiß Philipp Heinrich Hoenonius – übel beleumundet, durch sein feiges Abseitsstehen isoliert, nimmt sich des Neutralen keiner an, aber hier 500 Anschließend rückte, wie wir ja schon wissen, die juristische Betrachtung des Themas ganz in den Vordergrund, man reihte nun normative Vorgaben aneinander. Soll-Aussagen aber musterte bereits das letzte Kapitel. 501 Christoph Forstner, Ad Libros Annalium XI.XII.XIII. C. Cornelii Taciti, notae politicae, Frankfurt 1662, S. 244 (»ad Libr. XII, Cap. XXXII«). 502 Justus Lipsius, Politicorum sive civilis Doctrinae Libri sex, S. 114f. Fast wortgleich Besold, Dissertatio Politico-Juridica, de Foederum Jure, S. 92: man kannte und zitierte einander. 503 Richter, Editio nova Axiomatvm politicorvm, Maxime CCXLV (S. 534). Wortgleich Mager von Schönberg, De advocatia, S. 284. Ähnlich Beyerlinck, Theatrum vitae humanae, Littera N, S. 27, s. v. »Neutrales«: »Eos plervmque incvrrere periculum quod declinare laborant ... non pauca adduci possent historiarum testimonia«, die zeigen, daß der Neutrale »vtrisque praedae relinqui« – vgl. schon letzte Anm., die folgenden will ich nicht mehr durch den fast immer möglichen Nachweis sehr ähnlicher oder identischer Aussagen aufblähen. 504 Hoenonius, Disputatio politica VII, S. 382.

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ist der Vordersatz noch interessanter, setzt er doch voraus, daß Neutrale mit Invasionsversuchen rechnen mußten, gegen sie keinesfalls gefeiht waren, schon gar nicht der Berufung auf eine vorgebliche Neutralität wegen. »Porrò autem mediam tenere viam, tunc non tutum est«505: das wußte auch Christoph Besold. »Es ist aber diß gar kein sicher Fundament«, urteilt Johann Wilhelm Neumayr von Ramsla, »daß man meinet, wann man keinen beleydiget, vnd rechtmessige Vrsach zu Widerwillen gibt, wölle man sicher seyn«.506 Der Philologe Janus Gruter stellte sein ganzes Neutralitätskapitel unter die Überschrift »Neutrales mediosque, ab utraque parte male accipi necesse est«, einleitend heißt es dann, »ut ab utrisque male tractarentur«.507 Die Pamphletistik aus dem Vor- und Umfeld des Dreißigjährigen Krieges echauffiert sich über die Verworfenheit des Neutralen, zu ihren großen Themen gehört die moralische Qualität dieser politischen Option, gehört nicht die Behandlung der Neutralen in der Kriegspraxis; man könnte in gewisser Weise sagen, daß sie nicht das »Ius in bello« sondiert, sondern das »Ius ad bellum« umkreist – freilich eben nach ethischen, nicht im engen Sinne juristischen Maßstäben, insofern wären die beiden Formeln doch wieder mißverständlich. Beiläufig wissen die Flugschriften dieser Zeit schon, daß die ruchlose Neutralität keine Schutzwirkung besitze. Neutral zu sein, »würde sich fast nicht leiden wöllen«, unter anderem »propter periculum, da gemeiniglich in solchen Fällen die NeutralStände praeda victoris«508 – auch dieser Pamphletist kannte seinen Livius, oder die Livius-Zitate bei Bodin und zahllosen anderen. Etwas ausführlicher geht eine Flugschrift von 1623509 auf die Schutzwirkung der Neutralität ein. Der Erzähler schlüpft in die Rolle des bislang Naiven, den dann ein weltkundiger Gesprächspartner so glänzend aufgeklärt habe (unter anderem über die verderblichen Folgen von Neutralität im Krieg), daß er das Gespräch nun zur Belehrung eines größeren Publikums im Druck wiedergeben müsse. Viele Reichsstädte, erfuhr unser Autor, wollten »neutral« sein, haben deshalb die Union verlassen, auch die Reichsritterschaftlichen suchten die Neutralität – indes, so der Gewährsmann des Verfassers, wie hat man es ihnen gedankt! Zahlreiche Adelssitze sehe man »ruinirt«, »wolte also die Neutralitet vor ein Mittel, durch dasselbe in Sicherheit, Ruh vnd Friden zuleben, absolutè nicht erkennen«. »Vergleicht Neutralitet einem 505 Besold, Dissertatio Politico-Juridica, de Foederum Jure, S. 93. 506 »Dann dem, so die Oberhand behelt, wechst der Muth dermassen, daß er wenig achtet, was recht oder billich ist«: Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel IV – »praeda victoris«! 507 Gruter, Discursus, S. 344. 508 [Anonym], Über die Uniones, S. 366. Deutsche Umschreibungen der Formel »praeda victoris« begegnen in zahlreichen Flugschriften. »Würden wir neutral bleiben ... so würden wir gewiß die Hand des Siegers nicht können vermeiden«: [anonym], Gespräch über das Interesse Deß Englischen Staats, S. 326. 509 Zum Folgenden: [anonym], Andere Schildtwacht, fol. A2.

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Baum«, unter den die Leute bei einem »grossen Platzregen oder Sturmwetter zuentfliehen« suchen, aber was für ein trügerischer Schutz! Die Neutralen sind nicht nur begossene Pudel, sie werden »beropffet vnd berupffet«.510 Was für Lehren zogen Qualifikationsarbeiten »de neutralitate« des dritten Jahrhundertviertels aus dem mittlerweile überstandenen großen deutschen Konfessionskrieg? Die an sich naheliegende Frage läßt sich stringent gar nicht beantworten, denn die damaligen Doktoranden liebten wohl historische Exempel, aber sie argumentierten nicht zeitgeschichtlich. Sie zogen ihre Lehren nicht aus eigener Lebenserfahrung, sondern lasen sie ab, und die renommiertesten Autoritäten boten nun einmal antike Geschichte. Wir könnten deshalb allenfalls darüber spekulieren, ob es auch mit Reminiszensen an die furchtbaren Konfessionskriege zusammenhängt, wenn solche Dissertationen in recht allgemeinen Worten wissen, daß Neutralität keinen Schutz biete, nur Verderben bereithalte: »Neutralis belligerantium injuriis consumitur«, erklärt uns Georg Schröder, »durante enim bello ipsis non parcitur«, danach wurde er bekanntlich sowieso »praeda victoris«. Von den Kriegsparteien wußte der Doktorand das: »Facilem odii ansam arripiunt, ubi neutralem imbecillem ac invalidum conculcare possunt« 511, der Neutrale wurde in den Staub getreten. Heinrich Schemel malt in immer neuen Abschweifungen von seinem engeren Thema aus, wie wenig Rücksicht Kriegführende auf Dritte zu nehmen, wie rücksichtslos sie sich auf angebliche Sachzwänge zu berufen pflegten. Jenen Neutralen, die er so häufig aus dem Blick verliert, kann er da nur einen Ratschlag geben: Sie müssen »tacite« Subsidien bezahlen, um die Armeen von ihren Grenzen fernzuhalten. Zwar will Schemel wissen, daß die Einschätzung existiere, es sei stets sicherer, sich neutral zu verhalten, als sich in fremde Querelen einzumischen. Doch sei diese Ansicht, so unser Autor, grundverkehrt, »futile judicium, vana rationis imago«.512 Bei Albert Voßenhölen und Johann Heinrich Böckler (den ich trotz seines wesentlich größeren akademischen Gewichts hier einmal anreihe) steht die IstAussage immerhin schon in einem Spannungsverhältnis zum Soll-Zustand, aber hier interessiert ja nur erstere. Böckler spricht friedfertige Gemüter so an: »Quid enim tutum sibi inter arma vndique circumiecta et eminentia sperauerint? Neutras partes sequantur? non minuent belli pericula, sed augebunt; et vtriusque praedae ac direptui erunt.«513 Und schon der jugendliche Zuschauer im Theatrum 510 Das erlebten gerade die Reichsstadt Nürnberg und das Herzogtum Württemberg; das Bild vom regendurchnäßten Baum wird auf die (tatsächlich politisch sehr unterschiedlich einzuordnenden) hessischen Landgrafen Ludwig und Moritz bezogen, die nun begossen dastünden. 511 Schröder, De neutralitate, Abschnitte Nr. 12 bzw. Nr. 17 bzw. Nr. 70. 512 Schemel, Dissertatio politica, S. 13 bzw. S. 22. 513 Böckler, Libellus de quiete, S. 39.

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Europaeum wußte, daß einen Bewaffneten »leges non cogitant«. Die Kriegführenden, so Albert Voßenhölen, trugen »Nomen, Titulus et Jus Necessitatis« vor sich her, »quod ab aliis hodie, qui securius loqui amant, Ratio belli appellatur«.514 Wenigstens dieser Autor warf immer wieder einmal Seitenblicke auf die internationale Szenerie seiner Zeit – ohne doch eigentlich eine zeitgeschichtliche Analyse abzuliefern: denn als Zeitgenosse sprechend, erhebt sich Albert Voßenhölen lieber moralisch über die Verderbtheit einer waffenklirrenden Dekade. Sollten wir das als Zeugnis einer Zeitstimmung vielleicht doch ernstnehmen? Sich über den Topos von der »ratio belli« zu mokieren, war, wie die Klage über die »Ruhmsucht« der eigenen Gegenwart, in Publikationen der ludovizianischen Ära topisch. Nehmen wir Albert Voßenhölen also beim Wort! Dann drängt sich diese Frage auf: Wurde die Erwartungsunsicherheit eher größer als endlich etwas geringer, weil ersten zaghaften Bemühungen um einen gelehrten Konsens über völkerrechtliche Essentials ein rasch zynischer, gerissener, härter werdender Politikstil enteilte? »Machiavellus gallicus« wußte nicht nur, woher dieser schon für die Zeitgenossen skrupelloser werdende Politikstil rührte, er versuchte auch eine Verdeutschung der »raison de guerre«: »Es bestehet ins gemein dessen Substantz darinnen, daß man in währendem Kriege, Freund und Feind, Alliirte und nicht Alliirte, Neutrale und andere, Schuldige und Unschuldige, sie stellen sich zur Wehr oder nicht, einen wie den andern ohne Unterschied tractiren, pressen, mit Quartier machen, Contributionen, plündern, berauben, und allen erdencklichen Feindseligkeiten, plagen und verderben möge, dann alles dieses ist raison de guerre«.515 Eine andere Flugschrift aus der Zeit des Holländischen Kriegs beobachtete, daß »der Feind des Reichs wenig darnach fraget, ob ein Ort einen Neutralisten, oder widrigen zustehe, sein raison de la guerre muß alles entschuldigen«.516 Bewies das Schicksal all der vielen Möchtegernneutralen nicht, daß Neutralität den Kriegsunbilden noch mehr aussetzte als aktives Mitkämpfen? Mußte nicht der Neutrale »den ersten Zuschub thun, und Contributiones abstatten«?517 »La Neutralité dont on nous a amusez depuis le commencement de cette guerre ... ne differe en rien d’une guerre declarée«, weiß eine Flugschrift im Hinblick aufs Hochstift Lüttich, ja, »une Neutralité pareille« sei schlimmer als »la Guerre ouverte«.518 Und wie war es Ludwig gelungen, sich Burgunds ohne nennenswerten Widerstand zu bemächtigen? Er »blendete dieser Provintz die Augen 514 515 516 517

Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 47 bzw. S. 49. [Anonym], Machiavellus gallicus (unfol.; Kursivsetzung von mir). [Anonym], Curiosa, nec non politica, S. 402. »Ich wolte darauff wetten, unsere neutral-begierige Crayse musten den ersten Zuschub thun, und Contributiones abstatten«: ebda., S. 400. 518 [Anonym], Pièces curieuses, S. 22 bzw. »avis au lecteur«.

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durch das Band der Neutralität, und benahm ihr den Argwahn aller feindlichen Attentante«519; während man die Burgunder »mit Neutralitäts-Gedancken herum führete«, wurde die militärische Okkupation eingeleitet. Drohten dem Neutralen demnach nicht nur alle denkbaren Unbequemlichkeiten, war diese politische Option lebensgefährlich? »Wann die Nachbarn untergebracht, so wird man euch desto leichter die Hauben abziehen und wen werdet ihr alsdann haben, der euch in eurem Elend beyspringe?«520 So gesehen, war Neutralität »der liebliche Syrenen Gesang«521, der Schutzwirkung vorgaukelte und tatsächlich ins Verderben lockte. Publizistische Einschätzungen der Schutzwirkung der politischen Option Neutralität bieten Variationen der immergleichen Kernaussage »Neutralität ist unklug«. Welchen konzeptionellen und strukturellen Voraussetzungen dieser publizistische Konsens aufruhte, muß Kapitel C.6 ausloten. 2.4.6 Zwei kleine Epiloge Wie sehr sich der Diskurs über die Neutralität um die Mitte des 18. Jahrhunderts gegenüber den beiden vorangehenden Säkula geändert hatte, können uns anhangsweise zwei Texte zeigen, die in allen anderen Hinsichten sehr verschieden sind. Der Autor einer 1752 in Würzburg vorgelegte Dissertation verblüfft den Leser mit der Behauptung, man müsse nun endlich einmal die Neutralität nicht nur juristisch anschauen, sondern sie nach ihrem politischen Nutzen befragen, das hätten erst »pauci« versucht, »possem dicere nullus«!522 »Antiquos Politicos« konsultierend, finde man nichts dazu, so müsse er die Nützlichkeitsfrage aus »rationibus naturalibus« und der Geschichte beantworten523: Offenbar dominierten für die Zeitgenossen nun so die juristischen Bemühungen um den Neutralen-

519 Sic! »Alexander Christian de Metre«, Kurtze Erzehlung Der vornehmsten Thaten, fol. Fij; das folgende Zitat ebda., fol. C. 520 [Anonym], Curiosa, nec non politica, S. 402. 521 [Anonym], Die Entdeckung Des unter dem Fuchs hervor-gläntzenden Wolffs-peltzes, S. 14. 522 Vogt, Specimen juris gentium de neutralitate, S. 1f.; vgl. oben S. 484 mit Anm. 335. – Daß indes Neumayr nach wie vor als Autorität auf dem Gebiet galt, wissen wir schon. Vogt nennt auch ihn nicht – ob aus Unkenntnis, oder um die Originalität seines Themas über Gebühr herauszustreichen, können wir nicht entscheiden. Überhaupt sind solche Schriftchen ja nur im Großen und Ganzen sowie als Zeitsymptome interessant. 523 Ebda., S. 9. Allgemein gesprochen, lehre die Geschichte, daß Fürsten stets nach »utilitas« handelten, »cùm ratio statûs ita postulet, quae verò nihil aliud est, quàm ratio utilitatis«: S. 10. Die Arbeit schleppt dann aber doch Restbestände der scholastischen Bellum-iustumDoktrin weiter, offensichtlich schnappte sie ihr Autor bei Hugo Grotius auf.

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status, daß der Vorsatz, das Thema einmal anders zu traktieren, Originalität für sich beanspruchen konnte. Die Dissertation gibt dann aber doch seitenlang ein Neutralitätsrecht, mit den nun üblich werdenden Distinktionen (in »neutralitatem simplicem et pactitiam«, »neutralitatem absolutam, et restrictam« – andere Überschriften für die auch bei Hübner begegnenden Antithesen). Selbstverständlich gebe es ein Recht auf Neutralität, so unser Autor, das folge »ex Jure Naturae et Gentium vel Neutralitatis vel declarationis«.524 Älterer Verträge wegen unabdingbare Einseitigkeiten verwirkten zwar nicht die Neutralität, aber eigentlich sei Äquidistanz der Kern des Neutralitätsbegriffs: »in abstinentia à studio partium externo, nec non ab auxiliis bellicis uni vel alteri praestandis, Neutralitatis praecipuè essentia quaerenda est«.525 Die Kriegführenden hätten die territoriale Unversehrtheit des Neutralen zu achten, »officium ... Bellantium stat in eo, ut ne ullum actum hostilem vel in territorio, vel adversùs Neutrales, aut circa eorum res exerceant«.526 Soweit das weitgehend zeitübliche Neutralitätsrecht dieser Dissertation, die den Neutralen nicht mehr als Toren oder gar Sünder verunglimpft, vielmehr sein gutes Recht abmißt (und auf ihre Weise noch einmal zeigt, wie wenig innovativ bei diesem Thema wenige Jahre später Emer de Vattel sein wird). Ist nun aber Neutralität politisch klug? Die Nützlichkeitsabwägungen fallen – tempora mutantur – tendenziell zugunsten der Neutralität aus! Schon die Vorrede bejubelt die »Neutralitatis ... commoda«, eine rechte Neutralität bringe dem Vaterland eher Frieden als die Ratschläge derer, die »bella provocant«.527 Hieß es nicht zweihundert Jahre lang wieder und wieder, der Neutrale mache sich alle Kriegsparteien 524 Ebda., S. 6. Vorteilhafter sei es, eine »neutralitatem pactitiam« zu suchen: ebda., S. 3. S. 12f.: aus den Nachteilen des Neutralenstatus hilft es heraus, wenn man sich entweder auf die gerechte Seite schlägt (Restbestände der Bellum-iustum-Doktrin!) »aut Neutralitatem pacto sibi stipuletur; quidque citra offensam tam uni, quàm alteri praestare possit, debeatque, conventione initâ clarè definiatur« (also doch wieder ein unklarer Begriffsumfang? die dann auch bei Vattel begegnende Inkonsequenz!). 525 Ebda., S. 31. 526 Ebda., S. 27. Zum Truppentransfer nimmt Vogt, wie schon unsere »Dissertationes« des 17. Jahrhunderts, erstaunlicherweise nicht allgemein Stellung, doch befindet sich, insofern merkwürdig unmotiviert, bei den historischen Exempeln das Beispiel des Moses, der »per agros Idumaeorum« ziehen mußte und versprach, das geordnet und zügig zu tun. Wahrscheinlich will uns der Autor damit sagen, Truppentransfers stünden dem Kriegführenden zu. 527 Das ist mit Lobhudeleien auf den großen Friedrich Karl von Schönborn garniert, der eine überaus kluge Neutralitätspolitik betrieben habe, und auch dem Adressaten der Widmung, Adam Friedrich von Seinsheim (dem von Fürstbischof Karl Philipp »supremum Rei militaris Praesidium ... delatum«), ist »a sanguine datum«, »Neutralitatis rebus publicis adeò exoptatae Jura sarta tectáque tueri«, usw. Diese würzburgischen Bezüge müssen wir hier, wo das Schriftchen auf zeittypische Aussagen zum Neutralenstatus hin durchforstet wird, nicht vertiefen.

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zum Feind, werde von keinem geachtet? »Qui neutralis est, ab ambobus partibus colitur atque honoratur, ex timore, quem utraque pars habet, ne parti contrariae accedat«, urteilt unsere Schrift. Die Geschichte lehre, daß viele Staatswesen durch Neutralität »dominum suum stabilivisse atque ampliâsse«.528 Hieß es aber nicht zweihundert Jahre lang immer wieder, allenfalls der Starke könne sich diese suspekte Neutralität leisten? Ja, aber nicht mehr in dieser Abhandlung – sie nämlich will ausgerechnet Schwächeren (»potenti principi non multum opus est consilio circa alterutram partem«) die Neutralität besonders anempfehlen: »generaliter loquendo, consultiùs judicarem, ut Princeps debilis Neutralitatem servet«.529 Die der Dissertation angehängten »Corollaria ex universo jure« bieten diese Regel: »Quoniam status belli plura incommoda secum vehit, statum Neutralitatis caeteris paribus statui partialitatis et belli praeferendus est.« Der entsprechende Lexikonbeitrag im »Zedler« von 1740530 zeigt, was für ein weiter Weg von der »neutralitet« des Konfessionellen Zeitalters zur »Neutralität« des 18. Jahrhunderts zurückgelegt worden ist.531 Er beginnt mit dieser Begriffsdefinition: »Neutralität, Lateinisch Neutralitas, Frantzösisch Neutralité, heißt eine solche Aufführung, da zwischen zwey kriegenden Partheyen der dritte sich also verhält, daß er mit beyden im Friede lebet, und keinem vor dem andern beyfällt, noch einige Gunst oder Vortheil einräumet. Wie schwer dieses zu erhalten, sonderlich wo die kriegenden Theile mächtig sind, lehret die tägliche Erfahrung«. Der Einstieg deutet den neutralen Grundsatz der Äquidistanz an (keine einseitige »Gunst«, keine einseitige Bevorteilung); ist die Neutralität im allgemeinen »schwer zu erhalten« oder aber speziell ihre strikt unparteiliche Ausgestaltung? Das Spannungsverhältnis zwischen diplomatischer Praxis und völkerrechtlicher Norm wird zwar konstatiert, aber nicht zugunsten der ersteren aufgelöst, und moralische Vorbehalte klingen noch nicht einmal an. Vom jederzeitigen Recht jedes Völkerrechtssubjekts auf Neutralität spricht die Einleitung nicht. Hält es der Autor einfach für selbstverständlich? Nach einer ersten Begriffserklärung spaltet er die Neutralität, wie das in diesen Jahrzehnten üblich wird, in zwei Unterarten auf, bei ihm heißen sie »gemeine« oder »besondere«; die »gemeine« ist eine solche, bei der man »mit keiner Parthey in einem Bündniß stehet«, im anderen Fall hat man sich »durch einen gewissen

528 Ebda., S. 11. 529 Ebda., S. 16. 530 Also, um auf die »Klassiker des Völkerrechts« zu beziehen: drei Jahre, nachdem Bynkershoeks »Quaestionum juris publici libri« erschienen waren, und lang vor Vattels »Droit des gens«. 531 Zum Folgenden: Großes vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste, Welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden ..., Bd. 24, Leipzig/Halle 1740, Sp. 382–388.

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Vertrag zur Neutralität verbunden«.532 Notwendig ist ein solcher Vertrag also nicht. Einige Spalten danach wird er empfohlen, aber erneut nicht vorausgesetzt: »Am sichersten ist wol bey so grosser und unvermeidlicher Ungewißheit der Umstände, sich, wo möglich, wegen der Handlung durch Pacte zu vergleichen; und die kriegenden Partheyen sind denen neutralen Staaten verbunden, zu dergleichen Pacten sich nicht allzu hart, und unerbittlich finden zu lassen.« Schon hat die Neutralität einen festen Begriffskern (nämlich Äquidistanz), noch gilt es als »sicherer«, das Kleingedruckte ad hoc festzuzurren, noch bleibt den Kriegführenden dabei ein – durch moralische Appelle an ihre Milde nur unzureichend abzufederndes – Belieben. Viel weiter unten auf die »Pflichten« der Kriegsparteien eingehend, spricht der Autor dann doch noch eindeutig das Recht auf Neutralität an, ja, ein solches zu achten ist erste Kriegführendenpflicht: »Die Pflichten hingegen der kriegenden Partheyen gegen neutrale Staaten bestehen fürnemlich darinnen, daß sie denen, die sich neutral halten wollen, solches ihnen zukommende Recht zugestehen ... Es ist also wider alles Völcker-Recht, daß zuweilen mächtige Partheyen denen ohnmächtigern, die die Neutralität gerne erwehlen wolten, selbige nicht gestatten, sondern sie, auf ihre Seite zu treten, zwingen wollen«.533 Davor die »Pflichten« des Neutralen ausbreitend, paraphrasiert und kommentiert der Lexikonbeitrag ausgiebig, was Hugo Grotius »de his qui in bello medii sunt« festgehalten hatte: »Die Pflichten, die einem neutralen Staate gegen die Kriegenden obliegen, sollen, wie Grotius ... davor hält, zweyerley seyn: erstlich, nichts zu thun, dadurch derjenige mächtiger werde, welcher ungerechte Sache hat, oder wodurch die Unternehmungen der Gerechten Parthey gehindert werden; anderns in zweiffelhafften und ungewissem Falle sich billig zu bezeigen gegen beyde Partheyen, sowol in Erlaubung des Durch-Marsches und Ertheilung einer Bedeckung, als auch in Ansehung dessen, daß man denen Belagerten auf keine Weise Vorschub thue.« Das wird referiert, nicht gutgeheißen, und zwar deshalb: »Allein die erste dieser beyden vermeynten Pflichten scheinet ohne Grund, und der Neutralität zuwider zu seyn. Denn diese erfordert, daß ein neutraler Staat sich in die Streitigkeiten der Kriegenden gar nicht menge: welches letztere aber geschehen, und eine offenbare Partheyligkeit andeuten würde, wenn er die Sache der einen Parthey als eine gerechte, und die Sache der andern als eine ungerechte, dergestalt äusserlich tractiren wolte, daß er nur dasjenige unterliesse, was der einen Parthey, deren Sache er vor ungerecht hält, und nicht auch, was der andern deren Sache er vor gerecht hält, zum Vorschub gereichen könte ... Vielmehr muß ein neutraler Staat, da er sich in die Sache der Kriegenden gar nicht mengen will, auch die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit derselben, zum we532 Ebda., Sp. 382. 533 Ebda., Sp. 385.

Fragen quer zu den Gattungsgrenzen

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nigsten äusserlich, dahin gestellet seyn lassen«.534 Das lange Zitat illustriert den Säkularisierungsfortschritt eines Jahrhunderts. Dem Autor ist diese historische Dimension gar nicht bewußt, für ihn ist die Eliminierung der Iustitia aus den internationalen Beziehungen eine dem Neutralitätsrecht untergeordnete Frage und eine der »äusseren« Zweckmäßigkeit. »Und also bleibet nur die andere Regel des Grotius übrig«: nämlich eine noch nicht zur Abstinenz verengte Äquidistanz. Was bei Grotius vorübergehender Notbehelf gewesen war, bis endlich eine triftige Verortung der Iustitia gelungen war, hat sich 1740 zum Begriffsinhalt von Neutralität verfestigt. Der Neutrale ist »schuldig«, das, was er »in Ansehung« beider Kriegsparteien »thun oder nicht thun, ihnen gestatten oder nicht gestatten kan, entweder beyden Partheyen, oder keiner von beyden, zu thun oder zu gestatten«. Nachdrücklich pocht der Lexikonbeitrag auf die Rechte des Neutralen: Er darf weiterhin Handel treiben, sofern er es nur mit beiden Kriegsparteien tut, auch hierbei keine Parteilichkeit erkennen läßt. Er darf sogar Kriegskredite vergeben! »Also ist es ... wohl nicht vor eine Brechung der Neutralität zu halten, wenn man der einen der kriegenden Partheyen ein Darlehn an Gelde verwilliget, wenn auch gleich solches Geld zum Kriege angewendet wird: Wenn nur der Vorschuß nicht in Feindlicher Absicht geschiehet; welcher Verdacht insonderheit dadurch hinweg fällt, wenn man dem andern Theile, dafern er der Wiederbezahlung wegen gnugsame Sicherheit schaffen kan, zu gleicher Gefälligkeit erböthig ist.«535 Lediglich in der leidigen Durchzugsfrage mutet der Autor dem Neutralen dann doch noch etwas zu. Zwar betont er prinzipiell seine Gebietshoheit: »Ferner sind die Kriegenden verbunden, gegen neutrale Lande keine Feindseligkeit noch Gewalt auszuüben. Sie sind also nicht befugt, den Durchzug eigenmächtig, und ohne Vergönstigung, oder gar mit Gewalt zu nehmen«, dasselbe gilt für »Winter-Quartiere«. Zeittypisch wird das mit »dem natürlichen Rechte, und insonderheit dem Rechte des Eigenthums« begründet. Für die wohlgenährten Honoratioren der »aufgeklärten« Societäten des 18. Jahrhunderts lehrte »die Natur« eben nicht zuvörderst die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, sondern dessen Unantastbarkeit; gekoppelt mit der Hypertrophierung der Souveränität im diplomatischen Betrieb dieses Säkulums mußte das dem Schutz neutralen Gebietes (auf dem Papier) besonders zugutekommen. Doch folgt hier ein wichtiges Aber: die überkommene Notrechtsargumentation! Man müsse sich fragen, ob nicht das »Recht der Noth«, eine sich auf dieses Recht »gründende außerordentliche Staats- und Kriegs-Raison«, eine »ächte Staats-Raison« den Durchmarsch erlaube. Darüber sei »nicht wenig gestritten

534 Ebda., Sp. 383. 535 Ebda., Sp. 384.

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worden«, und hier schlägt sich der Autor auf die Seite von Hugo Grotius.536 In allen anderen Hinsichten bietet er dem Neutralen ungleich mehr als der Niederländer, schon vor Vattel und Moser war konzeptionell eine lange Wegstrecke absolviert worden.537

536 Ebda., Sp. 386f. 537 Nur anmerkungsweise sei eine Kuriosität angesprochen, die dem Leser, so er den »Zedler« konsultiert, gleich in die Augen stechen wird: Dem Artikel über »Neutralität« folgt einer über »Neutralisten«, der alle geläufigen abschätzigen Topoi transportiert, sie um abscheuliche zeitgeschichtliche Beispiele ergänzt. Die Erklärung ist diese: hier empört sich der erregte fromme Autor über Neutralität »in Religions-Sachen« – »Neutralisten« sind »in Religions-Sachen diejenigen, die sich zu keiner Religion halten«.

Was diese Studie nur streift und was sie fokussiert

3.

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3.1 Noch einmal: was diese Studie nur streift und was sie fokussiert 3.1.1 Neutralité, neutralità, neutrality. Ein europäischer Rundblick 3.1.1.1 Das Quellenproblem Ob wir schon viel über die vormoderne Neutralitätspraxis wissen? Pamphlete des Konfessionellen Zeitalters echauffieren sich über neutrales Verhalten, anstatt es uns zu schildern. Sie wollen sich empören, nicht analysieren. Diese Verve verflüchtigt sich auf dem Kontinent im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts, doch kennen die Autoren tagesaktueller Broschüren danach, etwa zur Zeit des Holländischen Krieges, die Arkana der internationalen Politik? Natürlich nicht alle, und gerade wenn sie sie kennen, bleibt es doch dabei, daß solche Schriftchen eben »interessiert« sind, von »interessierter« Seite lanciert werden, etwas bewirken wollen. Sie wollen Politik machen, nicht Politik beobachten. Hingegen beteuern die frühen politologischen Arbeiten, ganz abgeklärt zu analysieren, und zwar die politische Praxis. Aber ist es die zeitgenössische Praxis? Ist es eher die Praxis der griechischen und römischen Antike? Diese Autoren wollen aus der Weltgeschichte überzeitlich gültige Klugheitsmaximen herausdestillieren, um gewitzter durch die Gegenwart kommen zu können. Sie wollen dem Herrscher einen Kompaß durch unsichere Zeitläufte an die Hand geben, wenden sich diesen Zeitläuften selbst, ihrer eigenen Gegenwart, der von ihnen erlebten Zeitgeschichte aber kaum zu. Selten nur rekurrieren solche Arbeiten auf zeitgeschichtliche Exempel – versprechen sie doch scheinbar keinen Mehrwert, ohne von so exzellenten Autoren wie Livius oder Tacitus präsentiert zu werden oder alttestamentarisch kanonisiert zu sein. Sicher dürfen wir Heutigen neunmalklug konstatieren, daß diese politologischen Pioniere, als Kinder ihrer Zeit, auch ihre eigenen Maßstäbe an vergangene Zeiten herantrugen, dort zu finden meinten, was sie aus ihrer Gegenwart wußten. Solche Gegenwart ist immer präsent, aber gleichsam larviert. Wir lernen zeitgenössische Einstellungen zur Denkfigur Neutralität kennen, aber kaum zeitgenössische Fakten. Die finden wir auch in völkerrechtlichen Arbeiten unseres Zeitraums nicht. Von Grotius bis Vattel versuchen solche Werke zu systematisieren, was »die Natur« lehre. Sie destillierten ihre naturrechtlichen Normen aus historischer Analyse und logischem Denken, behaupten die »Klassiker des Völkerrechts«, aber eigentlich argumentieren sie psychologisch und soziologisch. Garniert wird üppig mit antiken Exempeln, das schon. Auf die Erörterung aktueller Konflikte, zeitgenössischer Versuche, ihnen beizukommen – sagen wir ruhig in modernem

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Juristendeutsch: auf aktuelle Rechtsfälle – stoßen wir kaum. Solche Literatur »beschreibt nicht, wie das Völkerrecht ist, sondern wie es sein sollte«.1 Eine Geschichte der Neutralitätspraxis läßt sich mit solchen Büchern nicht schreiben. Nun will auch diese Studie keinesfalls eine gleichsam flächendeckende Geschichte der vormodernen Neutralitätspraxis schreiben. Selbst wenn ihr Autor wollte – es ginge gar nicht, nicht in einem Menschenleben. Das würde vielleicht gerade noch zur systematisierenden Analyse der unzähligen Neutralitätspakte hinreichen, die uns vormoderne Vertragssammlungen präsentieren. Freilich ist die Exegese solcher Verträge eben – auch wenn sich das die Autoren der bisher vorliegenden neutralitätsgeschichtlichen Monographien nicht klargemacht haben – lediglich eine Facette des Themas »vormoderne Neutralität«. Bei den von dieser Studie genauer in den Blick genommenen Konflikten wird sich herausstellen, daß sich alle möglichen Gemeinwesen 2 für neutral erklärten, ohne entsprechende Verträge zu siegeln; oder, solche Verträge sicherten die nach allen Seiten betonte Neutralität gegenüber einer von ihnen schriftlich ab; oder sie hielten ein bestimmtes Stadium einer oft langjährigen Neutralitätspraxis wie in einer Momentaufnahme fest. Solche Momentaufnahmen sind nicht wertlos. Nur bekommen wir, derartige gelegentliche Fixierungen aneinanderreihend, keine kontinuierliche und kohärente Geschichte der vormodernen Neutralitätspraxis zustande; bildlich gesprochen, erhalten wir so eine Reihe von Schnappschüssen, aber nicht den Film. Kurz, und bei anderen frühneuzeitlichen Themen ist das ja bare Selbstverständlichkeit: Wir brauchen außer den Urkunden die ungleich zahlreicheren Aktentomi. Man müßte demnach einige hundert europäische Archive systematisch 1 »Allerdings versteckt sie ihren theoretischen Charakter, indem sie sich praktisch gibt«: so die glänzende Formulierung bei Steiger, Mars, S. 66. Ebda., S. 67: »Die zeitgenössische Praxis wird in den frühen Werken [des Völkerrechts] also nicht oder kaum reflektiert.« Und umgekehrt? Rekurrieren Praktiker auf das politologische oder völkerrechtliche Theorieangebot? Nicht zuletzt zur Beantwortung dieser Frage möchte diese Studie einige Mosaiksteinchen beitragen. 2 Im Dreißigjährigen Krieg erklärten sich um ein Vielfaches mehr Höfe für neutral als Neutralitätsverträge zustandekamen. In gewisser Hinsicht könnte man den Holländischen Krieg ans andere Ende der Skala stellen: Denn weil Ludwig XIV. damals einfach keine Neutralitätserklärungen ohne vertragliche Festlegungen akzeptierte, war die Neutralität derjenigen Reichsstände, die sich über Jahre hinweg für »neutral« deklarierten, nach dieser Seite hin vertraglich fundiert, durch Pakte mit Frankreich, die wir heute freilich als Allianzverträge etikettieren würden. Insofern könnte man sagen, daß die damals wichtigen Neutralitäten am Ende doch vertraglich abgesichert worden sind und demnach in Kapitel 3.1.3 anstatt in Kapitel 3.2 abgehandelt werden müßten. Es geht mir aber, meinen Neuansatz charakterisierend, nicht um eine – unsinnige – Antithese »uninteressante Neutralitätsverträge« versus »aufregende einseitig erklärte Neutralitäten«, sondern um das Faktum, daß wir mit der bislang üblichen Konzentration auf die Exegese von Vertragstexten lediglich einen kleinen Ausschnitt der vormodernen Neutralitätspraxis in den Blick bekommen.

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danach durchkämmen, ob irgendwo die Bemerkung auftaucht, man sei in diesem Konflikt, jenem Krieg »neutral«, und dann danach fahnden, wie die politischen oder militärischen Mitspieler auf solche Bekundungen reagiert haben. Zu den Realisierungschancen muß ich kein Wort verlieren. Vielleicht sind ja eines fernen Tages einmal alle Archivbestände »eingescannt« und nach Suchworten erschließbar. Vorerst gilt das noch nicht einmal für Akteneditionen.3 Für eine flächendeckende Bearbeitung ist das Feld einfach zu groß. Manche europäische Herrscher (und übrigens auch Honoratioren bestimmter Regionen oder Grenzstreifen) betrieben sogar gleichsam gewohnheitsmäßig in den oder manchen vormodernen Jahrhunderten »neutrale« Politik. Natürlich fällt uns gleich die schweizerische Eidgenossenschaft ein, aber das ist ein neuerdings strittiger, auch komplizierter Fall. 3.1.1.2 Warum eidgenössische Außenpolitik für diese Studie unergiebig ist Daß die Eidgenossenschaft seit jeher, embryonal bereits im Hohen Mittelalter, in seitdem rasch anwachsender konzeptioneller Klarheit die klassische Neutralität zur Leitschnur ihrer Außenbeziehungen gemacht, diese spätestens seit »Marignano 1515« zum Staatsprinzip erhoben habe, ist natürlich ein Mythos. Eindeutiger als im Fall vieler anderer nationaler Meistererzählungen des nationalstaatlichen 19. Jahrhunderts können wir einen akademischen Geburtshelfer namhaft machen – den, kaum weniger erstaunlich, jedenfalls außerhalb der Schweiz heutzutage niemand mehr kennt –, nämlich den Zürcher Archivar und Universitätslehrer Paul Schweizer.4 Aus heutiger Sicht entbehren seine einst so gern rezipierten, insofern folgenreichen Ausführungen nicht krassser Übertreibungen und unfreiwilliger Komik: »Neutralität war den Eidgenossen 3 Vgl. zu diesem Problem Axel Gotthard, »Gut so«, aber nicht »weiter so«! Die Edition der neuzeitlichen Reichstagsakten – ein Zwischenresümee aus gegebenem Anlaß, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 88 (2002), S. 461–469; sowie jetzt auch ders., »Deus noster sit Deus pacis«. Augsburg 1555: der Reichstag des Religionsfriedens. Zum Abschluss der Edition »Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe«, in: Historisches Jahrbuch 131 (2011), S. 479–521, hier vor allem »IV. Editorische Zäsur? Ein Blick nach vorn«. 4 Vgl. schon oben S. 381ff. – Merkwürdigerweise fehlt bei Schweizer noch ein später wichtiges Mythem, pointiert formuliert: »das Desaster von Marignano hat die Schweiz endgültig aufs seitdem unberirrbar verfolgte Gleis der klassischen Neutralität bugsiert«. Die Schlacht bei Marignano wird von Schweizer noch nicht hervorgehoben. Um als Kontrast dazu nur zu zitieren, was der Autor dieser Zeilen einmal für seine Prüfungen memoriert hat: »1515 ... Marignano ... Sie«, also die Eidgenossen, »geben ihr Großmachtstreben auf und verfolgen seither eine strikte Neutralitätspolitik«, die beiden letzten Worte sind fett gesetzt: Hermann Kinder/Werner Hilgemann, dtv-Atlas zur Weltgeschichte. Karten und chronologischer Abriß, Bd. 1, 11. Aufl. München 1975, S. 219.

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von dem ersten Anfang ihres Bundes an ein wohl bekannter Begriff«!5 Nicht erst am Beginn der Neuzeit war »die Neutralität« eine fixe Konstante schweizerischer Politik, nun natürlich erst recht: »Die Reformation ... stellte die Neutralität auf die schwerste Probe«, doch bewährte sich auch nun das »Neutralitätsprinzip«!6 Weil Schweizer den Begriff (um vom klassischen Neutralitätskonzept gar nicht zu reden) indes viel seltener in den eidgenössischen Akten findet, als ihm lieb sein kann, muß er sein scheinbar festumrissenes (nämlich eben klassisches!) Neutralitätskonzept beim zweiten Hinsehen doch immer wieder weidlich aufweichen, Neutralität ist bei außenpolitischer »Mäßigung« mit »Tendenzen einer Friedenspolitik« gegeben, oder bei »Abneigung gegen auswärtige Verbindungen und weitreichende Unternehmungen«, an einer Stelle triumphiert in bezeichnender Gleichsetzung »die Neutralität oder besser gesagt die republikanische Unabhängigkeitspolitik«.7 Lohnt es wirklich, solche Sätze zu zitieren? Es mußte sein, denn Schweizers Ausführungen wurden fast hundert Jahre lang von neutralitätsgeschichtlichen Abhandlungen8 wie Darstellungen der Schweizergeschichte9 völlig unkritisch tradiert, regierungsamtlich und offiziös tönt es noch immer so.10 Dabei holte und holt sich die moderne Eidgenossenschaft ihren Deckungsbedarf an historischer Identität ja nicht, wie die meisten anderen europäischen Länder, in der Neuzeit, 5 6 7 8 9

Schweizer, Neutralität, Bd. 1, S. 189; es folgt ein angebliches Beispiel von 1254! Ebda., S. 197 (Kursivsetzung von mir). Ebda., S. 193 bzw. S. 190 bzw. S. 201. Vgl. noch Köpfer, Neutralität, S. 32 et passim. Ich stieß selbst bei Hans R. Guggisberg, einem des muffigen Patriotismus wahrlich unverdächtigen Autor, darauf: ders., Parität, Neutralität und Toleranz, in: Zwingliana 15 (1979–82), S. 639f. Die Passagen, die darlegen sollen, daß der konfessionell gespaltenen Eidgenossenschaft ihre Neutralität über die Klippen der Reformationszeit hinweggeholfen habe, werden so eingeleitet: »In seiner 1895 erschienenen, aber auch heute noch sehr informativen Geschichte der schweizerischen Neutralität hat Paul Schweizer dargelegt, daß ...« Einige Sätze danach wundert sich Guggisberg über ein Soldbündnis mit Frankreich von 1521 und die Erbeinung mit Österreich von 1511: »Beide Verträge legten der Eidgenossenschaft Verpflichtungen auf, die eine konsequente Neutralität im Grunde verunmöglichten.« Wenn man, auf Schweizers Spuren, die klassische Neutralität in eidgenössische Urgründe zurückverlegt, kann man schon so kritisieren! – Nochmals eine Etage tiefer, die Sickerprodukte gelehrter Schweizer-Paraphrasen in Schulbüchern: Furrer, Schulbuch, hier S. 217ff. passim. 10 Beispielsweise in einer Studie des lange Jahre als »inoffizieller Außenminister der Schweiz« apostrophierten Ernst Mühlemann: »Dieser neutrale Sonderfall Schweiz ...«; »die schweizerische Neutralitätspolitik ist eine Erfolgsgeschichte sondergleichen, denn sie bescherte uns seit dem Rückzug von Marignano 1515 jahrhundertelange Friedensperioden. Wir hatten den Mut klein zu bleiben und uns nicht in fremde Händel zu mischen«. Diese und alle anderen seit Paul Schweizer gängigen Gemeinplätze stehen noch bei E. M., Schweizerische Neutralität – politisches Nischenprodukt, in: Österreichische Gesellschaft für Landesverteidigung und Sicherheitspolitik (Hg.), Neutralität 2005. Symposium 5. November 2005 Rorschacherberg. Tagungsbericht, Wien o. J. [2006], S. 14.

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sondern in einer mittelalterlichen »Heldenzeit«, einer »heroischen Phase«, die man in der Regel von 1291 bis 1515 (Marignano) währen läßt und die frühneuzeitliche Schweizergeschichte auch quantitativ, etwa in Schulbüchern, weit überwiegt. Aber was an den drei Jahrhunderten seit der Niederlage von Marignano überhaupt noch interessiert, ins Überdimensionale vergrößert wird, das ist eben die schweizerische »Neutralität« – sie als Staatsprinzip nie mehr preiszugeben, sei eine Einsicht gewesen, die man just aus der Schlappe von Marignano gezogen habe. Eigentlich stehen ja die frühneuzeitlichen Jahrhunderte im Schatten der »Heldenzeit«, ein überlanges Intermezzo zwischen ihrem Ausklang und »1848« – aber auch aus diesen Jahrhunderten kann man etwas lernen. Auch sie sahen einen schweizerischen »Sonderweg«, der Neutralität wegen. Schlugen sich die übrigen europäischen Völker gegenseitig die Köpfe ein, waren die Schweizer schon damals ganz bei sich und sich selbst genug. Man mischt sich nicht in »fremde Händel«: Das also ist die zeitlos gültige Lehre, die man aus der insofern nicht völlig wertlosen Frühen Neuzeit ziehen kann. Soweit der populäre, in fast allen Zügen auf Paul Schweizer zurückführbare Neutralitätsmythos! Wissenschaftlich zwar ist das Pendel zuletzt auf die andere Seite ausgeschlagen, neuerdings sind verspätete, aber umso radikalere Dekonstruktionen (wie anderer »Schweizermythen«11, so auch) des Neutralitätsmythos12 angesagt. Die Zerstörungskraft der dabei vorgebrachten Argumente ist unterschiedlich weitreichend. Daß nicht unbändiger Freiheitswille und landestypisches Unabhängigkeitsstreben eines rustikal-unverdorbenen Bergvolks, sondern im weitesten Sinne ›innenpolitische‹ Zwänge 13 zu außenpolitischer Zurückhaltung gemahnten, glauben wir gern, benimmt einer schweizerischen Neutralitätstradition 11 Um nur stichwortartig anzudeuten: Schweizergeschichte spielte sich schon immer, womöglich seit der römischen Antike, im Raum der heutigen Schweiz und ihrer »frontières naturelles« ab; es gibt ein ethnisches Substrat, einen protonationalschweizerischen »homo alpinus«, und die immer wieder einströmenden anderen Ethnien wurden flugs »verschweizert«, integrierten sich dankbar in ein unbändiges Volk gesunder freier Bauern; die Eidgenossenschaft formierte sich im Kampf gegen angebliche reichische oder gleich »deutsche« Zudringlichkeiten, eidgenössische Geschichte ist die Geschichte einer Igelstellung »der Ungebühr des Auslandes gegenüber« und »pour la liberté«. Schweizergeschichte war schon immer »Sonderweg«, sollte und wollte es sein. Die angebliche »Samariterrolle«, die schweizerische »terre d’asil« vor 1945 wird, so scheint mir, nicht mit derselben Verve angegangen. 12 Radikal: Suter, Geschichtsbewußtsein; ähnlich, selbst auf Schulbücher fokussiert, mit weiteren Literaturhinweisen: Furrer, Schulbuch, S. 217–239. 13 Suter, Neutralität, stellt auf diese Faktoren ab: Armut, dezentrale politische Organisation, Heterogenität der außenpolitischen Orientierungen. Artillerie und Musketen seien teuer gewesen; die Aufbringung entsprechender Steuern habe die Kargheit der Böden und der Mangel an administrativen Strukturen verunmöglicht; konfessionelle, sprachliche und kulturelle Affinitäten hätten in ganz unterschiedliche Richtungen gewiesen.

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aber wenig, jedenfalls in nichtschweizerischen Augen. Neutralität als Ausgeburt innerer Schwächen – dem mag14 in der heutigen Schweiz Provokationspotential eigen sein, wir müssen diesen Aspekt nicht vertiefen. Natürlich war das lockere Bundesgeflecht ohne machtvolle politische Gremien und kräftige administrative Strukturen einer raschen Kriegführung wenig günstig, man mag der alten Eidgenossenschaft sogar, wie aus teilweise vergleichbaren Gründen dem Alten Reich, strukturelle Nichtangriffsfähigkeit bescheinigen. Das macht eine Neigung zu neutralem Zuschauen bei kriegerischen Konflikten anderer aber nicht mythisch und nicht mysteriös, sondern plausibel. Erst recht trifft der Einwand Peter Hugs nicht, wonach der Neutralitätsfiktion Paul Schweizers und Edgar Bonjours wegen »der fehlenden militärischen Mittel nicht zugestimmt« werden könne, denn »eine prinzipielle Abwehrpflicht« habe die alte Eidgenossenschaft »nie anerkannt«.15 Das stimmt so »prinzipiell« gesehen schon, trotz einzelner temporärer Anstrengungen, Truppendurchzugsverbote militärisch abzusichern – nur ist eben »eine prinzipielle Abwehrpflicht« erst dem klassischen (wie auch dem modernen) Neutralitätskonzept immanent. Außerschweizerischen Autoren der Vormoderne fiel die eidgenössische Außenpolitik nicht weiter auf. Die Schweiz galt vor Paul Schweizer weder als neutraler Musterfall noch überhaupt als europäischer Sonderfall. Andreas Suter durchforstete vormoderne Reiseberichte daraufhin, ob sie eine außenpolitische Sonderrolle der Schweiz erwähnen, und stieß nur auf Fehlanzeigen16, was ich durch eigene Beobachtungen erhärten könnte.17 Ich gebe freilich zu bedenken, daß etwaige außenpolitische Traditionen einfach nicht zu den Standardthemen, den obligatorischen Beobachtungsfeldern der Gattung gehört haben – wie, beispielsweise, auch die konfessionelle Besitzstandsverteilung nicht. Wir würden dem Befund, daß konfessionelle Kräfteverhältnisse im durchreisten Gebiet selten registriert und daß die interkonfessionellen Beziehungen so gut wie nie charakterisiert werden, ja auch nicht ablesen wollen, daß die Konfession im Konfessionellen Zeitalter ziemlich unwichtig gewesen sei. Vormoderne Völkerrechtsautoren erwähnen die Eidgenossenschaft durchgehend gar nicht oder beiläufig, und nie exklusiv im Zusammenhang mit neutraler Politik.18 14 Man muß es eigentlich nicht so sehen, wenn man nicht den geschlossen formierten nationalen Zentralstaat für das Telos der Geschichte hält. 15 Hug, Kriegsmaterialhandel, S. 145. 16 Vgl. Suter, Neutralität, S. 142f. 17 Ich musterte zuletzt zahlreiche Reiseaufzeichnungen des 14. bis 17. Jahrhunderts, freilich nach einer ganz anderen Fragestellung – kurz gesagt, war ich vormodernen Verräumlichungspraktiken auf der Spur; langer Essay hierzu: Gotthard, In der Ferne. Die Schweiz durchziehend, erwähnen die Autoren keinesfalls eine neutrale Haltung der Eidgenossen. 18 Das gilt für alle in dieser Studie ausgewerteten vormodernen Autoren. Vom Kriegsmaterialhandel herkommend, fiel dasselbe auch Peter Hug auf: ders., Kriegsmaterialhandel, S. 256ff.

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In den für diese Studie ausgewerteten Flugschriften wird die Eidgenossenschaft nur sporadisch erwähnt. Ganze zwei Stellen fielen mir auf, die man für eine besondere Neutralitätstradition der Eidgenossen ins Feld führen könnte, beide appellieren an eidgenössische Adressaten. Ein Pamphlet, das in den frühen 1640er Jahren in der Schweiz Stimmung gegen Frankreich machen wollte, schmeichelte den präsumtiven Lesern mit der Erinnerung, »wie fromb vnd vorsichtig die alte Schweitzer gewesen sein, Sie haben versehen offt angezogene Neutralitet, zu versicherung jhrer freyheit«. Es sei (heißt es sodann in holpriger Syntax) »höchlich zu loben ... die standhafftigkeit mit welcher die Schweitzerische Nation, den Fußstapffen jhrer vorelteren nachfolgen, durchgehends gearbeitet haben vmb die Neutralitet bey allen möglichen mittelen im stand zu halten, vnnd nachdem sie gebrochen gewesen wider auffzurichten vnd in vorigen stand zu bringen«.19 In einer (offiziösen?) Flugschrift von 1692 heißt es: »Und darum hat auch die Löbliche Eydgenoßschafft vom Anfang ihrer erhaltenen Freyheit die Neutralität für eine feste Grund-Seule ihres Ruhe-Stands und Sicherheit zwahren allezeit erachtet, und sich selbiger auch vor diesem Krieg ziemlicher massen zu bedienen beflissen«.20 Ich erwähne noch ein wenig geistreiches, holprig gereimtes »Groß Europisch Kriegs Valet«, das in Strophe 19 den »Cantons der Schweitzer« das Wort erteilt: »Wir dantzen an beyden Seyten,/ Vmbzuhalten zwischen beyden,/ Vnd zu lugen nach dem Tack,/ Der im Spiel am besten knack«.21 Mindestens so auffällig wie diese drei wohl doch erwähnenswerten Bekundungen sind Fehlanzeigen in Kontexten, die jeden Verfasser von Flugschriften zu einer Erörterung spezifisch schweizerischer Neutralität hätten einladen, animieren, ja, geradezu zwingen müssen – so er nur jemals von einer besonderen passim (daß sich die von ihm erwähnten Autoren, darunter Gentili und Hugo Grotius, alle »ausführlich mit der Frage der Neutralität und der Rechte neutraler Staaten« befaßt hätten, so ebda., S. 256, stimmt nun freilich nicht!). 19 So ein »Bericht der Neutralitet welche zwischen den zwey Burgundien auffgericht«, den [Anonym], Trewhertzige Vermahnung, Worinnen viel Denckwürdige vnd Politische Considerationes ... begriffen ..., o. O. 1644, fol. 11–16 abdruckt (die Zitate: fol. 13f.). Macht der »Bericht« heftig Stimmung gegen das machtlüsterne Frankreich, will die »Vermahnung« für einen Waffenstillstand der Generalstaaten mit Spanien werben, weil sonst die französische Eroberung Belgiens drohe. Es geht der »Vermahnung« nicht um Neutralität, sondern um einen Pufferstaat zwischen Den Haag und Paris. 20 [Anonym], Ubergebenes Memoriale. Das »Memoriale« reklamiert, der angeblichen schweizerischen Neutralitätstradition unerachtet, aus aktuellen Gründen Hilfen (Söldner, »Contrabanden und Pferde«) gegen den »Welt-drohenden Feind« Frankreich. 21 [Anonym], Groß Europisch Kriegs Valet, getantzet durch die Könige vnd Potentaten, Fürsten vnd Respublicken, auff dem Saal der betrübten Christenheit, o. J. [1633], anhangsweise abgedr. bei Bartsch, Volkslieder. In Strophe 20 bekennen sich »Die Italianische Fürsten vnd Stände« zur »Mittelstraß«.

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Neutralitätstradition der Eidgenossen gehört hätte.22 Das übliche Schweigen ist vielsagender als es die wenigen, soeben zitierten Ausnahmen zur Regel sind. Alles in allem wird man unsere Beobachtungen wohl so zusammenfassen dürfen: Schweizerische Außenpolitik wurde im 16. und 17. Jahrhundert von den Zeitgenossen nicht als exzeptionell wahrgenommen. Das schließt eine häufig »neutrale« Haltung der Eidgenossenschaft nicht aus, bezeugt eher, daß ein solcher Habitus nicht weiter auffiel – weil er eben auch anderen kleineren und mittelgroßen Potenzen eigen war. Demnach also kein schweizerischer Sonderweg! Hingegen vermag eine Auflistung aller »offensiven Militäraktionen« der frühneuzeitlichen Eidgenossen 23 den Mythos nicht zu zertrümmern, denn es ist aufs Ganze dreier frühneuzeitlicher Jahrhunderte gar nicht zu bestreiten, daß der Eidgenossenschaft ein niedriges machtpolitisches und militärisches Profil eigen war. Sie suchte sich meistens durchzulavieren anstatt zu exponieren. Bei historiographischen Auseinandersetzungen liegt »die Wahrheit« gewiß höchstens zufällig einmal »in der Mitte«. Neue Sichtweisen können sogar auf der ganzen Linie obsiegen – aber doch wohl nicht in diesem Fall. Versuchen wir in aller hier gebotenen Kürze, zusammenzustellen, was noch so viel Dekonstruktionsfuror nicht wird eliminieren können! Unbestreitbar ist, daß das »Stillesitzen« schon im ausgehenden Mittelalter immer wieder seine Rolle für die eidgenössische Geschichte gespielt hat, aber meistens bei innerschweizerischen Vereinbarungen.24 Unbestreibar ist, daß sich 22 Ein Beispiel: [Anonym], Das Sich selbst verleitende Franckreich, S. 16f. wechselt, nach einer Passage zur kurkölnischen »Neutralität«, in die Eidgenossenschaft über, man würde erwarten: um nun auch etwas zu schweizerischer »Neutralität« zu sagen. Stattdessen aber das: »Man hat die Schweitzer vor plumpe Milch-Bauren angesehen und zu übertäuben gedacht; Gott lob aber, da sind Cluge Leute, die ihr Interesse wol wahrnehmen ... Die Schweitzer lassen nicht mit sich schertzen, sie schlagen 2-mahl auff einen Ort ... Sie erwarten ihren Feind nicht allein in ihrem Lande, sondern sie ziehen ihm gleich entgegen und wagen eine Schlacht«: Landsknechtsromantik anstatt Neutralität! – Ein anderes Beispiel: »Eusebius Philadelphus«, Ein sehr Nohtwendige, vnd Ernstliche Warnung, vnnd Vermanungsschrifft, an die Dreyzehen Ort der Loblichen Eydgenoschafft ... Betreffend, Die vielfaltige vnd grosse gefährlichkeiten etlicher außländischer Potentaten ..., o. O. 1586 mahnt zur Einigkeit, warnt vor fremder (das heißt für den Autor: katholischer) Einmischung und gefährlichen Bündnispflichten, man dürfe sich nicht leichtfertig in auswärtige Konflikte hineinziehen lassen, noch nicht einmal durch die Gewährung von Söldnern, usw. usf. – es fehlt nichts, was für Schweizer oder Bonjour schweizerische Außenpolitik ausmachen wird, außer eben: der Neutralität! Von Neutralität ist mit keinem Wort die Rede. Ähnlich: [Anonym], Getreuwe Warnung vnd vermanung an die treizehen orth Löblicher Eydgenosschafft wegen mannigerley böser Prattickenn vnnd sorglicher leuffe so jetzund vorhanden, o. O. 1586. 23 So eine nützliche Liste bietet Suter, Neutralität, S. 151. 24 Die Eidgenossenschaft schrieb in Burg- und Landrechtsabkommen mit Zugewandten Orten oder Gemeinen Herrschaften immer wieder deren »Stillesitzen« bei innerschweizerischen Konflikten fest. Wir würden das heute dem Bereich der Innenpolitik zuordnen, aber die

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die Eidgenossen keinesfalls konsequent, aber doch in manchen Phasen aus den habsburgisch-französischen Querelen an der Schwelle zur Neuzeit herauszuhalten suchten und das als »Stillsitzen« bezeichneten. Unbestreitbar ist sodann, und das hat größeres Gewicht, daß sich die Eidgenossenschaft als Ganze25 aus den großen europäischen Konfessionskriegen herausgehalten und auch bei den zahlreichen europäischen Konflikten der absolutistischen Ära keine nennenswerte Rolle gespielt hat. Kurz, die Eidgenossen pflegten sich, wie viele andere mittlere europäische Potenzen, durchzulavieren. Das also ist unbestreibar, aber sollen wir es als »Neutralitätspolitik« bezeichnen? Das Problem ist auch deshalb vertrackt, weil wir hinsichtlich der Fakten eben auf jenen Paul Schweizer angewiesen sind, dessen Wertungen wir so vehement ablehnen. Es gibt keine neuere, eigenständig recherchierte Gesamtdarstellung. Sie müßte nicht zuletzt die Diskurse etwa an Tagsatzungen daraufhin durchmustern, wie häufig dort die Termini »neutralitet« und »neutral« vorkommen und wie festumrissen und/oder komplex die damit verbundenen Begriffsinhalte gewesen sind. Die »auf Anordnung der Bundesbehörden« verfertigte »Amtliche Sammlung der ältern Eidgenössischen Abschiede« hilft uns nicht weiter. Zwar keinesfalls strikt auf förmliche Beschlüsse fixiert, korrespondiert dem weiten Verständnis von »Abschieden« doch ein stark komprimierter Regestenstil fast ohne wörtliche Wiedergaben. Dennoch zitieren die Schweizergeschichten, nicht nur Paul Schweizers und Edgar Bonjours, munter aus diesen dickleibigen Sammlungen, als böten sie damit kostbare Zipfel von Diskursen des 16. oder 17. Jahrhunderts anstatt Splitter der Zusammenfassung eines Editors aus dem späten 19.! Um nur an einem einzigen Beispiel zu verdeutlichen, wie verdrießlich die Situation ist: Wenn die Proposition an der Badener Tagsatzung vom 5. Juli 1546 befindet, man sei allgemein der Ansicht, sich aus dem Schmalkaldischen Krieg »unparteiisch« heraushalten zu wollen, und wenn, wieder in Baden, am 9. August desselben Jahres die altgläubigen Orte Besorgnisse der evangelischen, die Kurie versuche »ihre Religion im ganzen deutschen Lande mit dem Schwert zu vertilgen«, mit

Entscheidung, inwiefern das fürs 14. und 15. Jahrhundert überhaupt schon eine taugliche Kategorie darstellt, dürfen wir wie alle Einzelheiten getrost den Mediävisten überlassen. 25 Unterschiedlicher Sympathien und auch kleinerer, nie kriegsentscheidender Gefälligkeiten einzelnen Kantone unerachtet. – Der Forschungsstand ist uneinheitlich, am besten im Fall des Dreißigjährigen Krieges, vgl. zuletzt, unter Verarbeitung der noch älteren Arbeiten, die 407 erschöpfenden Seiten von Frieda Gallati, Eidgenössische Politik zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. – Zum Schmalkaldischen Krieg: Karl Geiser, Über die Haltung der Schweiz während des Schmalkaldischen Krieges, in: Jahrbuch für Schweizerische Geschichte 22 (1897), S. 167–249; sowie zuletzt auch, auf die (betont restriktive) Kriegsmaterialausfuhr konzentriert und ohne Kenntnis der Arbeit Geisers, Hug, Kriegsmaterialhandel, S. 58f.

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der Mahnung konterten, man müsse »sich gänzlich unparteiisch verhalten«26: haben wir dann einen frühen Beleg dafür, daß die Eidgenossen Neutralität mit strikter Äquidistanz zu allen Kriegsparteien gleichsetzten? Oder hat der Editor (da er keine Originalwortlaute gibt, eigentlich eine mißverständliche Etikettierung) einfach die »neutralitet« der Quellen mit »Unparteilichkeit« übersetzt? Die »Amtliche Sammlung« hilft dieser Studie nicht weiter. Übrigens stoßen wir im Sachregister des Tomus, aus dem soeben zitiert wurde, auf keine der »Neutralität« subsumierte Seitenzahlen; einige wenige, nicht sehr viele auf diesen Sachverhalt zielende Einträge finden wir unter »Fremde Fürsten und Herren müssigen«. So hat jener Paul Schweizer, der aus den Bänden der »Amtlichen Sammlung« zitiert, als böte diese den Wortlaut vormoderner Debatten, seinerseits auf die späteren Bände des Unternehmens zurückgewirkt: denn deren Register bieten dann zahlreiche Einträge sub voce »Neutralität«. Wo es, wie in dieser Studie, auf Begriffsfüllungen, Konnotationen und unterlaufende Wertungen, allgemeiner gesagt: auf den zeitgenössischen Diskurs über ein bestimmtes Thema ankommt, helfen Elaborate von der Art der »Amtlichen Sammlung« nicht weiter. Wenn Paul Schweizer immer wieder einmal beiläufig erwähnt, die eigenössische Tagsatzung habe von »neutralitet« gesprochen – in der ersten Hälfte der Frühen Neuzeit offenbar deutlich seltener als danach –, dürfen wir ihn wohl trotzdem beim Wort nehmen, weil der Zürcher Archivar flankierend Zürcher Akten benützt hat. Aber da dieser Autor überall schon die klassische Neutralität walten sieht, ist damit so viel auch wieder nicht gewonnen: Wir wissen nicht, ob in diesem ihm bekannten Protokoll, in jener Akte aus Schweizers Hausarchiv einfach ein geläufiges Schlagwort dahergeplappert wird oder ob (und gegebenenfalls wie) man über den Terminus reflektiert hat. Ehe eine umfassende neue Darstellung vorliegt, die die einschlägigen Quellen noch einmal mit unverstelltem Blick durchgeht, sind wir in einer sehr unbefriedigenden Lage. Wohl rekurriert jetzt eine Arbeit über den vormodernen Kriegsmaterialhandel häufig auf die Schweiz, so daß wir sagen können: Die eidgenössische Praxis des Handels mit Kriegsmaterial ist seit einigen Jahren nach modernen wissenschaftlichen Maßstäben gut untersucht. Auf was wir dort stoßen, paßt zu meinem vorläufigen Befund, besser gesagt: meiner leidlich begründbaren Vermutung – die von den Eidgenossen betriebene »Politik der machtpolitischen Selbstbeschränkung, die den Untertanen den Export von Kriegsmaterial an Kriegführende ... untersagte, erschien als Teil einer Sicherheitspolitik, die sich von der Nichtteilnahme an den Konflikten anderer am meisten Schutz und Wohlfahrt versprach«, im Folgesatz

26 Karl Deschwanden (Hg.), Amtliche Sammlung der ältern Eidgenössischen Abschiede, Bd. 4.1.d, Luzern 1882, Nr. 301 bzw. Nr. 307. Ich zitiere selbstverständlich die Zusammenfassung Deschwandens, nur sie liegt hier ja vor.

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wird diese Maxime als »Konzept« apostrophiert.27 Doch weiß besagte Untersuchung auch, daß den eidgenössischen Honoratioren dabei »ein hoher Verrechtlichungsgrad wenig opportun« erschien.28 Korrespondiert dem geringen »Verrechtlichungsgrad« ein niedriges Reflexionsniveau? Die eidgenössische Außenpolitik ist für diese Studie nicht nur deshalb so unergiebig, weil sie von zeitgenössischen Außenbeobachtern als eine irgend profilierte kaum registriert und analysiert wurde; es scheint zudem kaum explizierte Selbstreflexion vorzuliegen. Bis zum Beweis des Gegenteils müssen wir wohl davon ausgehen, daß an Tagsatzungen kaum oder gar nicht auf einer gewissen Abstraktionsebene über Ob und Wie neutraler Politik debattiert wurde. Erst recht wurde darüber nicht geschrieben: Die sechsbändige Bibliographie zur Schweizergeschichte, die Gottlieb Emanuel von Haller in den 1780er Jahren veröffentlichte29, weist unter dem Stichwort Neutralität lediglich auf zwei Schriften hin, die sich 1689 gegen eine neutrale Haltung der Schweiz aussprachen. Die Eidgenossen pflegten ihre Praxis des Durchlavierens nicht programmatisch zu entfalten. Der Stand der Völkerrechtswissenschaft war kläglich, es gab keine schweizerischen Lehrstühle, keine eidgenössischen Autoren, und offenbar auch keine an Tagsatzungsprotokollen ablesbare Rezeption auswärtiger Anstrengungen auf diesem Gebiet, was auch daran liegen mag, daß »in der Tagsatzung ... akademisch gebildete Juristen ... gänzlich« fehlten. »Eine systematische Reflexion der auswärtigen Beziehungen kam unter diesen Umständen nicht auf.«30 Die vermeintlich spezifische Neutralitätstradition der alten Eidgenossenschaft ist ein höchst vertracktes Thema mit ganz unerquicklichem31 Forschungsstand. Ich gestehe, schweizerische Außenpolitik zunächst deshalb am Rand meines Fokus belassen zu haben, weil sie alle meine Vorgänger ins Zentrum gerückt hatten, so daß es hier scheinbar am wenigsten zu entdecken gab. Auf den zweiten Blick ist das gar nicht mehr so sicher, aber aus nun anderen Gründen bereue ich meine Entscheidung nicht.

27 Hug, Kriegsmaterialhandel, S. 223. 28 Ebda., S. 265. 29 Vgl. Gottlieb Emanuel von Haller, Bibliothek der Schweizer-Geschichte, 6 Bände (hier: Bd. 5), Bern 1785–1788. Auf die mir bis dahin nicht bekannte Bibliographie stieß ich bei Hug, Kriegsmaterialhandel. 30 Hug, Kriegsmaterialhandel, S. 259. 31 Unerquicklich deshalb, weil ja alle Wege und selbst Seitenpfade schon wiederholt beschritten wurden, es lockt also kein unberührtes Neuland. Doch scheinen die vielen Bemühungen der Altvorderen keinen Bestand zu haben. Nur, wer will alle Akten, die Schweizer und Co. eingesehen haben, noch einmal hin- und herwälzen?

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3.1.1.3 Vielfältige vormoderne Neutralitätstraditionen Unter den wenigen aktuellen oder zeitgeschichtlichen Exempeln, auf die vormoderne Druckwerke im Zusammenhang mit dem Thema Neutralität gelegentlich einmal rekurrieren können, pflegen nicht eidgenössische, sondern venezianische zu dominieren.32 Das gilt unerachtet der Tatsache, daß uns die Serenissima in den weiteren Kapiteln dieser Arbeit selten nur begegnen wird. Sie fokussieren nämlich keine Konflikte, in die die Lagunenstadt involviert zu werden drohte, hingegen gleich mehrere (Schmalkaldischer, Dreißigjähriger, Holländischer Krieg), bei denen sich gewisse Hoffnungen um die Eidgenossenschaft rankten, weshalb Flugschriften darüber lamentieren konnten, daß sich solche Erwartungen dann nicht erfüllten. Aber für eine besondere Neutralitätstradition stand für vormoderne Autoren doch noch am ehesten die Serenissima. Offensichtlich waren die Zeitgenossen der Ansicht, die Lagunenstadt versteife sich unter all den vielen kleineren Potenzen, die sich durch von ihnen nicht beeinflußbare Großwetterlagen lavieren mußten, besonders gern und häufig auf ihre Neutralität. Auch moderne Darstellungen der venezianischen Geschichte konstatieren, freilich erstaunlich beiläufig33, eine häufig »neutrale« Politik, oder, wie es bezeichnend abschätzig heißt: eine Politik »der sorgfältig abgewogenen, mitunter aber doch auch ängstlichen Neutralität«.34 Schon im 16. Jahrhundert habe Venedig, der berühmten Seeschlacht von Lepanto zum Trotz, in der Regel »Neutralitätspolitik«35 betrieben; dasselbe gilt für die Jahre des Dreißigjährigen

32 Es sind zumeist Halbsätze – schließlich schrieben die lehrreichsten Autoren, wie Livius oder Tacitus, nicht über die Serenissima. Die ausführlichste Notierung, auf die ich gestoßen bin, führt das aus: Neutrale müssen (man ergänze: anders als ein Reichsstand – das ist die aktuelle Stoßrichtung) so stark sein, daß sie beiden Kriegsparteien »die Wage halten« und sich problemlos gegen den einen wie den anderen militärisch verteidigen können. »Also vnd auff diese masse sind die Venetianer gute neutralisten, wenn sich in Italia eine Vnruhe erhaben, vnd sie vermercket, daß sie mächtiger als ein Theil vnter beyden Parteyen, haben sie es mit keinem Theil gehalten, sind neutral geblieben, haben defensivè dergestalt gekrieget, daß, wenn sie Gelegenheit ersehen, sie per ragion di stado von beyden Parteyen jhren stad erweitert«: Wild, Memorial, fol. Eiij. Von den Eidgenossen ist hier wie bei so vielen anderen vormodernen Äußerungen zur Neutralität keine Rede. 33 Das gilt für die mir bekannten deutschsprachigen Darstellungen; schon, weil ich das Italienische nicht beherrsche (bei kürzeren Quellentexten helfen ja Lateinkenntnisse, aber ...), versuchte ich erst gar nicht, mich in die venezianische Neutralitätspolitik zu vertiefen. 34 Manfred Hellmann, Grundzüge der Geschichte Venedigs, Darmstadt 1981, S. 151; vgl. auch die geringschätzigen Urteile, die ebda., S. 135 referiert werden. 35 So beispielsweise Frederic Lane, Seerepublik Venedig, München 1980, S. 401 und S. 593; Hellmann, Grundzüge, S. 150, vgl. auch (»neutral«) S. 147.

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Krieges36; und danach sowieso.37 Es war, solang es die Staatsfinanzen zuließen38, eine imposant bewaffnete, durch Fortifikationsmaßnahmen39 und Söldner bewehrte Neutralität, die außerdem, wie wir noch sehen werden, bisweilen Vermittlungsversuche politisch stabilisieren sollten. Eine Konstante in der Staatenwelt der ersten Hälfte der Frühen Neuzeit war die »neutralité« der beiden Burgund. Eigentlich handelt es sich, in moderner Terminologie, um die Neutralisation bestimmter Gebietsteile zweier Composite monarchies40. Die – immer wieder vertraglich befestigte – Neutralität der Franche Comté und der Bourgogne, die ja bis zum Tod Karls des Kühnen zur 36 Hellmann, Grundzüge, S. 154 attestiert »strikte Neutralität« – »gleichwohl spielten venezianische Diplomatie und venezianisches Geld, das dieser immer noch sehr reichen Stadt zur Verfügung stand, während des Dreißigjährigen Krieges keine geringe Rolle. Sie in ihren verschiedenen Phasen und Auswirkungen zu untersuchen, ist übrigens noch eine Aufgabe der Zukunft.« Ob die Formel »strikte Neutralität« dann glücklich gewählt ist? Äquidistanz ließ sich für vormoderne Neutrale selten realisieren, wie wir noch sehen werden, aber inwiefern war die venezianische Neutralität »strikt«? Bernd Roeck, Venedigs Rolle im Krieg und bei den Friedensverhandlungen, in: Klaus Bußmann/Heinz Schilling (Hgg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa, Textband I, o. O. 1998, S. 161 konstatiert »eine geschickte, auf relativer militärischer Stärke gegründete Neutralitätspolitik«. Freilich versuchte Venedig, das von habsburgischen Truppen besetzte Mantua zu entsetzen, zeitweise flossen Subsidien nach Schweden, doch »vermied« es der Senat, »allzu eindeutig Position zu beziehen« (Roeck, Venedigs Rolle, S. 162). 37 Lane, Seerepublik Venedig konstatiert für die zweite Hälfte der Frühen Neuzeit eine »verhältnismäßig passive Neutralitätspolitik« und »daß Venedig unverändert an seiner traditionellen Neutralität bei Kriegen zwischen den Bourbonen und den Habsburgern festhielt«, sieht auch im Spanischen Erbfolgekrieg »bewaffnete Neutralität«, die »traditionelle Politik bündnisfreier Neutralität« sei maßgeblich geblieben (die Zitate: S. 594 bzw. S. 631). 38 Mit anderen Worten: bis ins zweite Viertel des 18. Jahrhunderts hinein. 39 Sie sollten die Terra ferma unangreifbar machen; wenn »Geopolitiker« in die Vormoderne schauten, müßte sie die Parallele ›Gebirgslage der Eidgenossen‹ – ›Insellage der Lagunenstadt‹ entzücken. 40 Also: von Konglomeraten diverser Regionen je eigener Tradition und Kultur, die auf der obersten staatsrechtlichen Ebene durch eine Dynastie zusammengehalten wurden. Der Ausdruck »Composite Monarchy« geht, wenn ich recht sehe, auf John H. Elliot zurück: ders., A Europe of Composite Monarchies, in: Past & Present 137 (1992), S. 48–71. Man mag auch, mit Otto Brunner, von »monarchischen Unionen von Ständestaaten« sprechen, oder, so der jüngste Vorschlag, von »Mehrfachherrschaften«: Franz Bosbach, Mehrfachherrschaften im 17. Jahrhundert, in: Uta Lindgren (Hg.), Naturwissenschaft und Technik im Barock. Innovation, Repräsentation, Diffusion, Köln/Wien 1997, S. 19–35. Gegen die übliche Auffassung vom frühneuzeitlichen Frankreich als werdendem Nationalstaat ordnet es Franz Bosbach den europäischen »Mehrfachherrschaften« zu (ebda., S. 24), freilich konzediert er, daß sich »dieses Königtum von anderen durch die territoriale Kohärenz des Herrschaftsgebietes deutlich abhob«. Wahrnehmungsgeschichtliche Beobachtungen, die Bosbachs Einstufung als »Mehrfachherrschaft« stützen können: Gotthard, In der Ferne, Kapitel 3.7.

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selben Composite monarchy gehört hatten, um dann (so die Grafschaft) habsburgisch zu werden bzw. den französischen Valois unterstellt zu werden (dieses Los traf das Herzogtum), bewährte sich im 16. und frühen 17. Jahrhundert, wurde dann im Dreißigjährigen Krieg durch ein Schutz- und Tributverhältnis zur Krone Frankreich überlagert, das die Annexion der Grafschaft im Jahr 1674 vorwegnahm und politisch vorbereitete: soweit die großen Linien. Einige interessante Nuancen sollten doch erwähnt werden, denn die vormodernen Autoren ganz geläufige burgundische Neutralitätspraxis ist ja heutzutage, jedenfalls außerhalb eines kleinen Kreises von Spezialisten, nahezu vergessen. Der erste Neutralitätsvertrag zwischen den beiden Burgund wurde nicht, wie in der älteren Literatur durchgehend behauptet, 1522, sondern schon 1508 gesiegelt, auf Initiative der vielfältig verflochtenen ständischen Eliten41 beider Seiten, die sich nicht polarisieren, gar in Kriegen zwischen Habsburg und Valois gegeneinander mobilisieren lassen wollten. Wie diesen, hat man auch die Folgepakte stets auf eine Reihe von Jahren bemessen. Auch in diesen Nachfolgeverträgen42 war immer wieder ausdrücklich von der »neutralité« der Grafschaft und des Herzogtums die Rede, ich stieß ferner in sie paraphrasierendem zeitgenössischem Schriftgut auf den Terminus.43 Um nicht mißverstanden zu werden: Natürlich siegelten solche Verträge die Spitzen der Häuser Habsburg und Valois, außenpolitische Haupt- und Staatsaktionen gehörten zum Kernbereich ihres Herrschaftsmonopols; aber gleichsam eine Etage tiefer, unter dieser obersten staatsrechtlichen 41 Vgl. hierzu jetzt Kathryn A. Edwards, Families and Frontiers. Recreating Communities and Boundaries in the Early Modern Burgundies, Boston/Leiden 2002. – Die burgundische Neutralität ist untypisch gut untersucht. Überblick: Jean Richard, La neutralité entre duché et comté de Bourgogne du XVe au XVIIe siècle, in: Actes du 99e congrès des sociétiés savantes, Besançon 1974. Section de philologie et d’histoire jusqu’à 1610, Bd. 2, Paris 1977, S. 41–52. Die Neutralitätsverträge des 16. Jahrhunderts (außer dem ihm noch unbekannten von 1508) listet bereits Nys, Notes sur la neutralité, S. 71f. auf. 42 So bestimmt der Vertrag von 1522 ( Jean Du Mont, Corps universel diplomatique du droit des Gens ..., Bd. 4, Amsterdam/Den Haag 1726, S. 378), »que lesdites duché et comté soient et demeurent en neutralité entre le Roy et ladite Dame«, also der Habsburgerin Margarete. Den »Traité de Neutralité« von 1610 findet man ebda., Bd. 5.2 (Amsterdam 1731), S. 153–156. 43 [Anonym], Extraict D’un Livre écrit de la main de Mr. le Chancelier de l’Hospital [meint: Michel de l’Hôpital], concernant plusieurs Traitez de paix, Appanages, Mariages, Neutralitez, Reconnoissances, Foy et Hommages, et autres Droicts de Souveraineté, Köln 1681, S. 232: »Neutralité entre le Duché de Bourgogne, et la Franche-Comté«; für drei Jahre habe damals (1522) der König von Frankreich »Neutralité audit Comté« vertraglich zugestanden (»accorda«). Oder, zum Vertrag von 1555: Man habe vereinbart, daß die beiden Burgund »seront en Neutralité durant les guerres d’entre lesdits Seigneurs« (S. 233). – Ein recht interessanter »Bericht der Neutralitet welche zwischen den zwey Burgundien auffgericht« (vgl. oben Anm. 19) weiß, man habe 1522 (auch diese Darstellung setzt hier ein) versucht, die beiden Burgund »in einen Mittelstand, den man Neutralitet nente, zu bringen«. Schon dort wird eine Auflistung aller Verträge bis 1610 geboten.

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Ebene, blieben den beiden politisch getrennten, gesellschaftlich verflochtenen burgundischen Gemeinwesen viele Möglichkeiten, sich abzukoppeln44: auch in Kriegzeiten miteinander Handel zu treiben, die Erträge dies- wie jenseits der staatsrechtlichen Grenzlinien einzutreiben, die eingespielten Mechanismen des sozialen und administrativen Miteinander fortlaufen zu lassen – bis in die 1630er Jahre hinein. Seitdem mußte man registrieren, wie Frankreich die territoriale Integrität der Franche Comté immer weniger respektierte, schließlich 1636, nach der Aufkündigung der Neutralité »durch einen Trompeter«45, die Hauptstadt der Freigrafschaft, Dôle, belagern ließ. Es folgten nun erst recht ausgesprochen unruhige Jahre46, in denen einzelne Kommunen immer wieder das Wohlverhalten der französischen Militärs ›erkauften‹. In der Schlußphase des Dreißigjährigen Krieges versuchten Parlement und Gouverneur, die Außenbeziehungen wieder in ihre Hand zu bekommen, das nun eben zentral entrichtete Schutzgeld blieb. Immer wieder neutralisierten zwischen 1645 und dem Pyrenäenfrieden von 1659 neue Verträge die beiden Burgund – aber eben gegen erhebliche Geldzahlungen der Freigrafschaft. Unübersehbar glitt sie in ein tributpflichtiges Protektionsverhältnis zur Krone Frankreich ab, schon ehe diese 1674 zur offenen Annexion schritt. Wir werden noch sehen, daß vormoderne Neutralitätsverträge – nach unseren Begriffen! – häufig zwischen Protektions- oder Allianz- und Neutralitätspakt oszillieren, auch deshalb ist der Vorgang für uns interessant. Der französische Griff nach der Franche Comté wird in der Flugschriftenliteratur dieser Tage nicht ganz selten angesprochen, die Autoren werten den Vorgang ausnahmslos als Menetekel für neutrale Politik. Eine frankreichfeindliche Abhandlung macht die Burgunder selbst verantwortlich, wohlgerüstet wären sie unverwundbar gewesen, aber falsches Vertrauen in die Neutralität ließ sie Gegenanstalten vernachlässigen – während sie die französische Diplomatie »mit Neutralitäts-Gedanken herumb führete ... kommt S. Maj. unvermerckt ... unter die Stadt Dolen«. Die armen neutralitätsgläubigen Tröpfe »waren eine Heerd 44 Um es mit dem am Rande der Badener Tagsatzung am 1. März 1580 vereinbarten Neutralitätsvertrag (Amtliche Sammlung der Ältern Eidgenössischen Abschiede, Bd. 4.2, [Bern 1861], Beilage Nr. 24) zu sagen: Die Neutralität der beiden Burgund sei ein Mittel gewesen, »dardurch die fründtschafft, Einigung, guter fride, Verstantnus vnnd Nachparschafft ... Erfrischet wurde, wölche sy lange Zyt vndereinander erhalten, Innsonderheit aber, alls die schwäre große Kriege zwüschent den beiden aller Christenlichesten vnnd Catholischen Maiestaten gewäret habent«; man hat deshalb eine Verlängerung um 29 Jahre vereinbart, sollten wiederum französisch-spanische Konflikte »Ynryßen«, werden die beiden Burgund trotzdem in »warer Neütralitet gegeneinandern besten vnnd blyben«. 45 So will es [anonym], Bericht der Neutralitet wissen (fol. 12). 46 Über sie berichtet beispielsweise schon Gallati, Eidgenössische Politik, Teil 2: S. 166f., S. 170f., S. 211f., S. 220f., S. 224f. et passim.

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Schaafe, die keinen Hirten hat«.47 Übrigens spötteln die Memoiren Ludwigs XIV. schon anläßlich des Überfalls auf die Freigrafschaft im Zuge des Devolutionskriegs darüber, wie sich die guten Burgunder durch Verhandlungen über einen neuen Neutralitätsvertrag hätten einschläfern lassen, bis französische Truppen an ihren Grenzen standen, über ihr »assoupissement«.48 Häufiger werden aber die »schläfferigen« Eidgenossen für das Scheitern der burgundischen Neutralität verantwortlich gemacht, was den weiter oben geäußerten Eindruck, schweizerische Außenpolitik sei in der Vormoderne als in jeder Hinsicht unauffällig wahrgenommen worden, etwas relativieren könnte, jedenfalls hier erwähnt sei. Einige Autoren waren in den 1670er Jahren der Ansicht, die Eidgenossen hätten die Neutralität der Franche Comté unbedingt aktiv verteidigen müssen, weil die Freigrafschaft geostrategisch, als Puffer oder Glacis, für sie wichtig sei – auch wegen vergleichbarer politischer Traditionen? Ausgeführt wird dieser Gedanke nicht, vielleicht schwingt er aber doch gleichsam mit. Eine Abhandlung beklagte schon 1672, es sei »bald Burgund, und bald Lothringen der traurige Schauplatz« französischer Aggressionen, schuld an diesem »jämmerlichen Trauerspiele« aber seien, neben dem inaktiven Reich, die »Schweitzer«, die man »eingeschläffert« habe.49 Der Verfasser der uns schon bekannten »nugae-somnia« läßt in seinen »Schwätzgesichtern« auch einen Burgunder auftreten, der bejammert, wie die Eidgenossen die braven Freigräflichen »unter dem Frantzösischen Joche hinraffen lassen«.50 Eine Flugschrift von 1676 wertet die Okkupation, neben der Marginalie »Perte de la Bourgogne que l’on impute aux Suisses«, als »faute des Suisses qui se laisserent corrompre«.51 »Haec omnia Helvetorum culpa acciderunt«.52 47 So schon 1673 [pseudonym], Die Frantzösische Türckey, angerichtet durch Die grossen Staats-Männer Ariante und Polidor ..., entdeckt durch Alexander Christian de Metre, angeblich Rotterdam 1673, S. 19f.; wortgleich »Alexander Christian de Metre«, Kurtze Erzehlung Der Vornehmsten Thaten, fol. C. 48 Vgl. Longnon, Mémoires, S. 264f.: »Il se rencontra par bonheur que les Francs-Comtois ... avaient depuis peu fait demander qu’on renouvelât la neutralité qu’ils avaient souvent obtenue, et je crus que cette negociation serait bonne à occuper leurs esprits pendant que je ferais mes préparativs«. Die Burgunder nahmen erste französische Zurüstungen »pour un artifice étudié à dessein de leur faire augmenter leurs offres. Leur assurance fut si grande«, so Ludwig mit an dieser Stelle besonders offenkundigem Spott, »que les Suisses qui avaient déjà conçu quelque soupçon des démarches qui se faisaient, se rassurèrent«. »Je partis accompagné de tout ce qu’il y avait de noblesse à ma cour. Et alors enfin les Francs-Comtois furent tirés de leur assoupissement«. 49 [Anonym], Le politique du temps, S. 59. 50 [Anonym], Curiosa, nec non politica, S. 403. Ich zitierte schon wiederholt aus der »pars altera« dieser in der Tat kuriosen Abhandlung. 51 [Anonym], Abregé de la vie de Monsieur de Turenne, ou reflexions sur quelques affaires du temps ..., o. O. (»Ville-Franche«) 1676, S. 91. 52 [Pseudonym], Leopoldum I. Romanorum Imperatorem Hollandis ... Jure et absque ulla Religionis nota opitulari, Demonstratur ab Augustino Neptunio, o. O. 1676, S. 38.

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Die Neutralisation bestimmter Staatsteile, besonders von Grenzregionen war offenbar im 16., noch im 17. Jahrhundert gar nicht so selten, wurde indes noch nie zusammenfassend untersucht. Für die Zeitgenossen scheint es nichts irgend Besonderes, ihr Staatsverständnis Irritierendes gewesen zu sein. Alle europäischen Regionen waren mannigfach privilegiert, manche von ihnen eben auch in außenpolitischer Hinsicht. Sie konnten sich ein wenig, weit unterhalb der Schwelle des fürs Große und Ganze Ausschlaggebenden, des Kriegsentscheidenden, von der Außenpolitik ihrer Zentralregierung abkoppeln. Natürlich behielten sich die oft fernen Zentralen die Letztentscheidung vor, sie erteilten Verhandlungsvollmachten, ratifizierten die Ergebnisse. Manche solcher Regionen mit begrenztem außenpolitischem Spielraum lagen, wenig überraschend53, an jener Pyrenäengrenze, die vormoderne Kartographen zu labyrinthischen Verschlingungen zwang: Pyrenäische Talschaften regelten in den so genannten »Lies et passeries« den Fortbestand friedlicher Beziehungen auch in Zeiten französischspanischer Kriege, hatten dabei natürlich vor allem Weiderechte und Viehtriebe im Visier.54 Sodann sah eine ganze Reihe von zwischenstädtischen55 oder interregionalen56 Absprachen den von Kriegsläuften möglichst ungestörten Fortgang des jeweiligen Handels vor. 53 Für die Pyrenäengrenze wurde zuerst gezeigt (von Peter Sahlins: Boundaries. The Making of France and Spain in the Pyrenees, Berkeley 1989), was jüngere Mikrostudien zu einzelnen Grenzregionen oder Grenzabschnitten auch anderswo ergaben: daß die lineare Außengrenze das Ideal der hauptstädtischen Eliten war, nicht die Realität vor Ort. Eine genau definierte, ausgesteinte Grenzlinie durchzog die Pyrenäen erst im Gefolge des Vertrags von Bayonne im Jahr 1868. 54 Die »Lies et passeries« sind das große Thema von Serge Brunet, vgl. beispielsweise: ders., Lies et passeries en Vallée d’Aran aux XVIIe et XVIIIe siècles, in: Revue de Comminges 103 (1990), S. 243–260 und S. 351–373; ders., Les Lies et passeries des Pyrénées sous Louis XIV., ou l’art d’éviter les malheurs de la guerre?, in: André Corvisier/Jean Jacquart (Hgg.), Les malheurs de la guerre, Bd. 1, Paris 1996, S. 271–289; ders., Les mutations des lies et passeries des Pyrénées, du XIVe au XVIIIIe siècle, in: Annales du Midi 114 (2002), S. 431–456; ders., Les lies et passeries des Pyrénées et la genèse de la frontière (XIVe–XVIIIe siècle), in: Revue de Comminges 118 (2002), S. 525–566. 55 Schon länger bekannt ist, daß zwischen den Häfen von Nantes und Bilbao aufgrund solcher »Contractations« auch in Kriegszeiten Handel stattfinden konnte, vgl. beispielsweise Paul Jeulin, Aperçus sur la Contractation de Nantes (1530 environ – 1733). Une Page de l’histoire du commerce nantais du XVIe siècle au début du XVIIIe siècle, in: Annales de Bretagne 40 (1932), S. 284–331; Jean Tanguy, Le commerce du port de Nantes au milieu du XVIe siècle, Paris 1956, besonders S. 72ff. 56 Vgl. jetzt zu den baskischen Provinzen Labourd, Vizcaya und Guipúzcoa Caroline Lugat, Les traités de »Bonne Correspondance« entre les trois provinces maritimes basques (XVIe–XVIIe siècles), in: Revue Historique 307 (2002), S. 611–655. – Daß die Stände des spanischen Königreichs Navarra bis ins ausgehende 17. Jahrhundert das Recht auf freien Handel in Kriegszeiten als ihnen nun einmal zustehendes Privileg verteidigten, zeigt María Dolores Martínez Arce, Conflits entre la France et l’Espagne dans la deuxième moitié du XVIIe

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Wir lesen so etwas gern, verstehen wir doch »State-building« seit geraumer Zeit weniger als Resultat einer zielgerichteten Anstrengung von Regierungszentralen, vielmehr erwachse es dem stets aufs Neue zu erringenden Konsens zwischen Herrschern und Beherrschten – stießen wir soeben auf außenpolitische Indizien hierfür? Wenn es stimmt, daß solche regionalen und lokalen Sonderregelungen an den Residenzen »im Lauf des 17. Jahrhunderts ... zunehmend als Widerspruch zum monarchischen Souveränitätsanspruch wahrgenommen« wurden und daß »die Praxis« solcher Neutralisationen oder Freihandelsresiduen »nur ausnahmsweise« ins 18. Jahrhundert hineinreichte57, haben wir auch einen interessanten Gradmesser für expandierende Souveränitätskonzeptionen und eine Aufblähung des staatlichen Gewaltmonopols im Zuge der Ausformung des europäischen Staatensystems vor uns. Schon das auf den letzten Seiten eher angedeutete, flüchtig anskizzierte denn ausgebreitete, gar durchgearbeitete Material gäbe Stoff für mehrere dicke Bücher. Aber wir müßten für eine flächendeckende Darstellung der vormodernen Neutralitätspraxis noch viel mehr Länder und Regionen aufsuchen. Der Malteserorden, jener Personenverband, der nur zeitweise über ein eigenes Territorium verfügte, verhielt sich seit der namengebenden Belehnung, also seit 1530 traditionell neutral.58 Wie die beiden Burgund, drohte auch das Hochstift Lüttich in den notorischen habsburgisch-französischen Rivalitäten zerrieben zu werden. Der wenig respektierten Neutralität Lüttichs im Holländischen Krieg sind wir beiläufig schon begegnet, aber das Hochstift wollte sich bereits in den Jahrsiècle: le blocus commercial, in: Michel Brunet/Serge Brunet/Claudine Pailhes (Hgg.), Pays pyrénéens et pouvoirs centraux, XVIe–XXe siècles. Actes du Colloque International organisé à Foix les 1–2–3 octobre 1993 ..., Bd. 1, o. O. [Foix] o. J., S. 355–367. 57 Das ist die zentrale These dieses instruktiven, sich indes nicht beweisbarer allgemeinerer Annahmen (Bedeutung des engeren Themas für den Zustand des Staatensystems überhaupt?) enthaltenden Aufsatzes: Christian Windler, Außenbeziehungen vor Ort. Zwischen »großer Stategie« und Privileg, in: Historische Zeitschrift 281 (2005), S. 593–619; die Zitate: S. 615 bzw. S. 618. Ein (das einzige?) Gegenbeispiel stellt die Grafschaft Neuenburg dar: Zu den Bedingungen, unter denen die neuenburgischen Stände 1707/08 den König in Preußen als ihren Grafen anerkannten, gehörte die Neutralität Neuenburgs bei Kriegen, die der Hohenzoller als Herrscher anderer Länder führe. – Die eben genannte Studie ist für die Hinführung an das Thema »vormoderne Neutralisationen« geeignet, machte auch den Autor dieser Zeilen erst auf die spezifischen, sich hierum rankenden Probleme aufmerksam. 58 Nicht völkerrechtlicher Verträge, sondern der ›Ordensräson‹ wegen: internationale Mitgliederstruktur; Ländereien des Ordens sind über den Kontinent zerstreut, während die territoriale Hauptbasis zwischen 1530 und 1798, Malta, für eigenständige Machtpolitik zu klein ist. Vgl. zuletzt, mit einem Schwerpunkt auf der Moderne, Hendrik Schulten, Die Geschichte des Malteserordens und die Entwicklung seiner völkerrechtlichen Neutralität, in: Rudolf Hartmann/Christian Wilhelm Meyer/Marcus Jurij Vogt (Hgg.), CIMIC-Aspekte I: Traditionale Neutralität in Europa, Speyer 2005, S. 11–33.

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zehnten um 1500 »neutre« aus den Konflikten der benachbarten Größeren heraushalten. Die Stiftsregierung erklärte 1477 ihre »bonne et vraie Neutralité«59, 1492 suchte sie, auf traditionellere Bahnen zurückschwenkend, entsprechende Konventionen mit Frankreich und den habsburgischen Niederlanden – erneute Beteuerung der eigenen »bonne et vraie neutralité«, König Karl VIII. (ebenfalls als »neutralité«)60 wie auch die Habsburger Maximilian und Philipp akzeptieren förmlich. Die Neutralité von 1492 ist nicht weniger interessant als die frühe einseitige Neutralitätserklärung von 1477, etwas hochgestochen ausgedrückt, wurde die Neutralité nämlich 1492, vielleicht erstmals, multilateral abgesichert: kein lediglich bilateraler Vertrag, der die Kosten der Neutralität taxiert, so das Ausmaß ihrer Parteilichkeit auf Kosten des nicht paktierenden Dritten abmißt – Neutralität als Status mit gleichartigen Rechten und Pflichten allen Konfliktparteien gegenüber scheint gleichsam schon am Horizont auf. Wir werden sehen, wie weit der Weg dahin tatsächlich sein wird. Ein Beistandspakt mit den Niederlanden beendete 1518 diese neutrale Phase hochstiftischer Politik, doch scheint im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts eine »Rehabilitation of the Neutrality«61 stattgefunden zu haben. Um ins letzte frühneuzeitliche Jahrhundert zu gehen: Eine Monographie zur damaligen holländischen Außenpolitik charakterisiert diese als »trade-oriented policy of neutrality«, die Republik »remained almost entirely neutral«.62 Wir können unseren Rundgang über die Europakarte abbrechen. Er sollte ja lediglich illustrieren, was diese Studie nicht leisten kann. Ausgestaltung und Akzeptanz der Neutralität sind für die Frühe Neuzeit nicht flächendeckend zu erheben, nicht in einem Menschenleben, und nicht zu präsentieren, nicht zwischen zwei Buchdeckeln. Gewiß hätte ich versuchen können, es wie meine in Kapitel 3.1 genannten Vorgänger zu machen, nur etwas besser, weil systematischer: Ich hätte mich also auf Verträge stützen können. Eine nicht etwa vermeintliche Highlights oder Kuriosa aneinanderreihende und paraphrasierende, eben: eine wirklich systema59 Und zwar einseitig, als Neutralitätsdeklaration! Das Wenige, das wir darüber wissen, bietet Knight, Neutrality, S. 99f. 60 So lang der Bischof und die Landstände wirklich »neutres« blieben, behellige sie Frankreich nicht: ebda., S. 100. Sinngemäß versprach Habsburg dasselbe. Die Zusage Karls VIII., das Neutralitätsversprechen des Hochstifts seinerseits zu achten, stand – vielleicht ebenfalls eine Neuerung – in einem einseitig erlassenen Patentbrief. 61 So Knight, Neutrality, S. 103. Die skizzenhafte Studie kann nicht das letzte Wort bleiben. 62 Alice Clare Carter, Neutrality or Commitment: The Evolution of Dutch Foreign Policy, 1667–1795, London 1975, S. V («during the greater part of the eighteenth century«) bzw. S. 15. Vgl. noch die Resümees auf S. 112 und S. 115 (« ... the story of the long continuance but ultimate failure of a determination to remain unaligned and neutral«).

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tische Auswertung der allfälligen Vertragssammlungen auf Abmachungen hin, die unter anderem, für einen bestimmten Krieg oder für eine Reihe von Jahren, neutrales Verhalten vorschreiben oder gestatten, steht nach wie vor aus. Jede traditionsreiche Bibliothek besitzt »Recueils de traités de paix, de trêves et de neutralité«, wie sie häufig heißen, in großer Zahl, manchmal haben sie vorgeblich Europa im Visier (wobei Verträge mit Reichsständen nur gelegentlich begegnen und Osteuropa fehlt), häufiger drucken sie Verträge zwischen zwei bestimmten Ländern nacheinander ab. Man müßte die ganze Fülle solcher Verträge einmal systematisch erfassen (dürfte sich hierbei noch nicht einmal auf den Terminus »neutralité« versteifen63), sortieren, nach bestimmten Kategorien analysieren: also beispielsweise auf einer Skala zwischen Assistenz- und Neutralitätsverträgen bzw. Protektions- und Neutralitätsverträgen verorten oder den jeweiligen Grad der obligatorischen Parteilichkeit des Neutralen bestimmen. Man müßte alle dort begegnenden Rechte und Pflichten des Neutralen erheben und in Beziehung zum klassischen Neutralitätskonzept setzen, beispielsweise64 würde der Blick auf die jeweiligen Bestimmungen über Truppendurchmärsche oder -werbungen zeigen, wie wenig die Gebietshoheit des Neutralen galt – daß man solchen Neutralen »werbungen, durchzüge, einquartierung, musterung und sammelpläz« zuzumuten pflegte, wurde 1637 vom Kaiser gegen einen Neutralitätsvertrag mit den Generalstaaten ins Feld geführt65; ohne Neutralitätsvertrag waren derartige Zumutungen also in seinen Augen leichter abzuwehren. Werden die Pflichten und Rechte des 63 Natürlich interessieren auch Verträge, die das »Stillsitzen« zum Vertragsinhalt haben, von »quiescere« oder »medius esse« handeln, usw. 64 Neben den Problemkomplexen Durchmarsch, Werbungen, Truppenlieferungen wären ferner Handelsfragen zu untersuchen; zentral waren letztere bei der Seekriegsneutralität, weshalb ihnen die bevorzugte Aufmerksamkeit der älteren Literatur gilt – vgl. nur die ausführlichen Angaben bei Jessup/Deák, Neutrality, Bd. 1, S. 36–104.– Weil ich vertraglich fixierte Rechte und Pflichten nicht systematisch ausgewertet habe, will ich auch hinsichtlich vermutbarer Trends zurückhaltend sein. Handelsfragen: Trend von umfassenden Verboten zum Prisenrecht, Initialzündung für die Freiheit neutralen Handels ist erst die Neutralité armée von 1780. Truppendurchmärsche: daß der Neutrale Truppen der anderen, nicht mit am Verhandlungstisch sitzenden Kriegspartei nicht durchziehen lassen dürfe, stipulieren zahlreiche bilaterale Neutralitätsverträge schon des 17. Jahrhunderts, aber daß der Neutrale Durchmärsche aller Kriegsparteien sowohl verweigern dürfe als auch müsse, setzt sich erst im 19. Jahrhundert durch. Anwerbung von Soldtruppen: siehe Truppendurchmärsche, sie ist häufig dem Dritten zu verweigern; beidseitige Abstinenz lehrt erst das 19. Jahrhundert. 65 Zweite Antwort des Kaisers ans Kurkolleg (vom 19. Januar 1637) wegen des von den Holländern nachgesuchten Neutralitätsvertrags, abgedr. bei Lothar Gross/Robert Lacroix (Hgg.), Urkunden und Aktenstücke des Reichsarchivs Wien zur reichsrechtlichen Stellung des Burgundischen Kreises, Bd. 2, Wien 1945, Nr. 865: »Wan sie diese neutralitet per modum pacti erlangen, werden sie sowohl als Spania der werbungen, durchzüge, einquartierung, musterung und sammelpläz ... wollen fähig sein ... und wurde man dieselbe ihnen auch alsdann von wegen der neutralitet füeglich nicht weigern können«.

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Neutralen immer umfassender festgelegt, oder machen sich allmählich verdichtende Verhaltenserwartungen mit der Zeit umständliche Festlegungen obsolet? Aber das sind nur einige wenige Beispiele für denkbare Fragerichtungen: Das ganze überbordende Material müßte streng einem ausgefeilten Frageraster unterworfen werden. Und doch erschlösse man mit dieser Herkulesarbeit nur ein kleines Segment des Themas »vormoderne Neutralität«. Weil Erstaunen über die geringe Akzeptanz von Neutralitätserklärungen der Ausgangspunkt dieser Studie war – dieses Phänomen zuvörderst wollte ich ja, zunächst einmal für mich selbst, nachvollziehbar machen, wollte ich dann schon auch in weitere Kontexte stellen, doch nicht aus dem Fokus verlieren –, werden die folgenden Kapitel anders vorgehen. Ich werde mich nicht etwa auf Vertragssammlungen konzentrieren und alle anderen Erscheinungsweisen vormoderner Neutralität unbeachtet lassen, ich werde mich auf einige ausgewählte Kriege konzentrieren und viele andere Konflikte unbeachtet lassen. Wenn ich im Zuge meiner Beschäftigung mit diesen Kriegen über Neutralitätsverträge gestolpert bin, habe ich nicht angestrengt weggeschaut, aber vorrangig interessiert haben sie mich, wie ich offen zugeben will, nicht. Die in oft zahlreichen Aktentomi dokumentierten Bemühungen um einen neutralen Kurs durch gerade akute Kriegswirren konnten gelegentlich in solche Verträge münden, konnten zeitweise von solchen Verträgen flankiert oder einer Konfliktpartei gegenüber abgestützt sein. Insofern waren solche Dokumente gegebenenfalls in die Analyse miteinzubeziehen, Kapitel 3.1.3 kreist sogar um sie; sie sind aber nicht mehr der Ausgangspunkt der danach, in Kapitel 3.2 entwickelten Überlegungen. Neutralitätserklärungen, Neutralitätsbeteuerungen, Bitten um die Respektierung der (erklärten oder auch vertraglich abgesicherten) Neutralität: all das hat hat nicht den Weg in Vertragssammlungen gefunden; aber auch Quelleneditionen, die neben »Urkunden« noch »Aktenstücke« bieten, die »Briefe und Akten« präsentieren, kennen im Register sehr selten nur ein Stichwort »Neutralität«. Eine flächendeckende Erhebung aller eindringlichen oder beiläufigen Neutralitätsbekundungen an die Adresse dieses politischen Mitakteurs, jenes Militärs ist nicht zu leisten, könnte noch nicht einmal der generalstabsmäßig durchgeplante Großangriff eines vielköpfigen »Projektteams« auf die vormodernen Quellen leisten. 3.1.2 Rechercheschwerpunkte 3.1.2.1 Die späten Kriege Karls V. Welche Ausschnitte vormoderner »Praxis der Neutralität« wurden nun gründlicher und auch archivalisch untersucht? Zunächst einmal wird Kapitel C.3 zwei

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kürzere, doch konfliktreiche Zeiträume beleuchten: die Monate des Schmalkaldischen Krieges (1546/47) und den Fürstenkrieg von 1552. Beide Auseinandersetzungen sind gut erforscht66, doch nicht unter den hier maßgeblichen Fragestellungen: Noch nie wurde nämlich in diesem Zusammenhang untersucht, wie damals über Berechtigung und Grenzen neutralen Abseitsstehens geredet und geschrieben wurde. Noch nie wurde danach gefragt, wie die damals Abseitsstehenden ihre Haltung moralisch und/oder juristisch legitimiert, ob sie sie als »neutralitet« etikettiert haben (dem war tatsächlich gar nicht selten so), welche Rechte und Pflichten sie daraus ableiteten und inwiefern die politischen Mitspieler diese Neutralität sowie vermeintlich damit verknüpfte Ansprüche (beispielsweise auf die territoriale Integrität des Neutralen) akzeptierten. Kurz, es hat noch nie jemanden beschäftigt, wie sich diese beiden an sich wohlbekannten Kriege in eine Archäologie des klassischen Neutralitätskonzepts einordnen. Spezieller hat mich die Haltung Friedrichs II. von der Pfalz und des sächsischen Kurfürsten Moritz (er war nur anfangs neutral) im Schmalkaldischen Krieg, die Albrechts von Bayern und Christophs von Württemberg im Fürstenkrieg interessiert. Bei allen vieren – andernfalls hätte ich ihre Spur ja gar nicht aufnehmen können – zeigen sogar Fußnoten in Forschungsliteratur (Hinweise auf Gutachten oder Instruktionen »causa neutralitatis«), zeigen erst recht Quelleneditionen, daß sie in der Selbst- wie Fremdeinschätzung als »neutrales« firmierten und daß sich die zum Kampf entschlossenen unter den evangelischen Reichsständen wie auch der Kaiser mit dieser Haltung nicht abfinden wollten. Aber mit welchen Vorhaltungen sahen sich die Neutralen konfrontiert, welche Argumente setzten sie ihrerseits dagegen? Bei Moritz von Sachsen ist die Forschung ja seit jeher gespalten, sie ruft hie »Judas«, da »Glaubensheld«, verachtet den verschlagenen »Gauner« und bewundert, unterschiedlich verhohlen, den fintenreichen Vorkämpfer für albertinische Größe wie »teutsche libertät«. Auch die längerfristigen Ziele, die dem Wettiner im Sommer 1546 durch den Kopf gegangen sein mögen, sind umstritten, nach außen hin jedenfalls verhielt er sich neutral. Für seinen Biographen Erich Brandenburg suchte er sogar, in eigentümlicher Steigerungsform, »völlig neutral zu bleiben«. Er versuchte ihm zufolge »seine Neutralität zu bewahren, so lange es möglich sei« – »Neutralität blieb also das Losungswort«, natürlich nur bis zum Bündnisvertrag vom 14. Oktober 1546.67 Wiewohl jedenfalls Mitarbeiter 66 Es gibt jeweils eine Reihe älterer Monographien; vgl. zuletzt Luttenberger, Glaubenseinheit. Die von Luttenberger thematisierte »konfessionsneutrale« Reichspolitik meint natürlich nicht Neutralität im Krieg, wohl konnte sie, so ein Krieg ausbrach, die Option für »neutralitet« in dieser Auseinandersetzung begünstigen. Das Adjektiv »konfessionsneutral« ist ein Forschungsterminus. 67 Erich Brandenburg, Moritz von Sachsen, Bd. 1, Leipzig 1898, S. 491 bzw. S. 442. Brandenburg sieht Moritz nicht als gerissenen Taktiker, der von Anfang an entschlossen war, Partei zu

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des Albertiners den Begriff »neutralitet« kannten68, spielt er in der »politischen Korrespondenz«69 keine Rolle, einige Schriftstücke sprechen vom »Stillsitzen«70 des Wettiners. Daß sich aus der Sicht der Protagonisten viel zu viele Reichsstände aus dem Schmalkaldischen Krieg herauszuhalten suchten, macht dieses Lamento des hessischen Landgrafen Philipp71 deutlich: »Was sich dann uf Coln, Pfalz, Brandenburg, Munster, Zweipruck, Nurmberg, Schweitzer72 und andere neutralisten zu verlassen sein mag, das wist ir vorhin gnugsam«. Einer dieser »neutralisten« war Friedrich II. von der Pfalz. Er sah sich zwar als Anhänger der Augsburger Konfession und suchte im Frühjahr 1546 Anschluß an die Schmalkaldener – was er übrigens damit begründete, daß »die Neutrales der Religion im romischen reich sich vast verlieren und zu partheien machen thun«, sodann, Neutralität spezifischer auf den drohenden Kriegsfall beziehend, daß »diser religion streit auf disen tag dahin geraten« sei, »das kain mittl noch vergleichung zuverhoffen, sonder darob kriege, blutvergiessen und zerstorunge des Reichs teutscher Nation wie vor augen zu besorgen, auch alle andere sachen

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ergreifen, sobald endlich der Preis hierfür stimmte, vielmehr habe er bis zum für ihn bitteren Ende stillzusitzen und zu vermitteln versucht. »Die Wahrheit ist, daß Moritz ... unpolitisch genug dachte, neutral der Entscheidung zusehen und, wer auch siege, unangegriffen bleiben zu können, daß aber der Zwang der Umstände ... ihn schließlich ... zum Eingreifen in den Kampf zwang«: ebda., S. 492. Zu diesen »Umständen« gehöre auch das Scheitern des Plans, »einen ostdeutschen Neutralitätsbund zustande zu bringen«. – So »unpolitisch« sehen selbst den jungen Moritz nicht alle Historiker. Die neueste Darstellung des Schmalkaldischen Krieges nimmt dem Wettiner seine neutrale Attitüde seit der dritten Juniwoche nicht mehr ab: Wieland Held, 1547. Die Schlacht bei Mühlberg/Elbe. Entscheidung auf dem Wege zum albertinischen Kurfürstentum Sachsen, Beucha 1997, S. 36, S. 48f., S. 61 et passim. Ich stieß in der »politischen Korrespondenz« an dieser Stelle darauf: »Wir spuren aber wol so vil, dass die neutralitet, die wir von wegen E. F. Gn. hirin«, also hinsichtlich der Spannungen zwischen Schmalkaldischen und betont Kaisernahen am Nürnberger Reichstag (keine Neutralität im Krieg!), »bisher gehalten, E. F. Gn. mehr gelimpfs und gutes geschreies dann den andern ir furnehmen bringet«: Bericht der Reichstagsgesandten an Moritz vom 14. Februar 1543, Erich Brandenburg (Hg.), Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, Bd. 1, Ndr. Berlin 1982, Nr. 429. Dieses reichhaltigen gedruckten Materials wegen konzentrierten sich meine archivalischen Recherchen zum Schmalkaldischen Krieg auf Friedrich von der Pfalz. Gleich zweimal verwendet Moritz das Verb in seiner Apologie des Stillsitzens gegenüber dem hessischen Landgrafen Philipp vom 18. August 1546: ebda., Bd. 2, Ndr. Berlin 1983, Nr. 979. Die politischen Mitakteure: ebda., Nr. 993 (Kurfürst Johann Friedrich und Landgraf Philipp an Moritz, 1546, August 28; »stillsitzen«: S. 793). Sailer an Günterode und Aitinger, 1546, Juni 29 (Lenz, Briefwechsel, Bd. 3, S. 427): »Man sagt hie unverholen, h. Moritz hab dem kaiser zugesagt, still zu sitzen«. An Jakob Sturm, 1546, Dezember 25: Harry Gerber (Hg.), Politische Correspondenz der Stadt Straßburg im Zeitalter der Reformation, Bd. 4.1, Heidelberg 1931, Nr. 500. Daß die Eidgenossen damals penibel auf eine neutrale Haltung achteten, zeigt ausführlich, freilich hauptsächlich aus bernischer Perspektive, Geiser, Über die Haltung.

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dermaß daran hangen, das ye ain Stand mit dem andern Religionsfreundt oder feindt sein mues, und kain mittl oder neutralitet stat haben will«.73 Während der Kampfhandlungen hielt sich Friedrich dann aber heraus74, was sowohl die Pfälzer selbst75 als auch Außenstehende76 als »neutralitet« etikettierten. Sie provozierte wieder und wieder den Tadel des Pfalzgrafen von Neuburg. Ottheinrich, sodann der Statthalter der kurpfälzischem Erbschutz unterstehenden Pfalzgrafschaft, Hans Kraft von Festenberg, sowie die Neuburger Regenten: Sie alle wären liebend gern dem Schmalkaldischen Bund beigetreten, wenigstens wollten sie dann die evangelische Sache während des Krieges nach Kräften fördern. Die Antwort auf ihre persönlichen Vorhaltungen in Heidelberg wie auf ihre schriftlichen Mahnungen war indes stets dieselbe: Friedrich wolle vermitteln und sei, auch deshalb, »neutral«. Diese »neutralitet« dürften die Neuburger nicht konterkarieren. Der Terminus wurde auch bei diesen gleichsam innerwittelsbachischen Auseinandersetzungen immer wieder verwendet, von allen Seiten – Ottheinrich fand es empörend, daß sich Friedrich lieber »neutral halten dann auf 73 So eine Erklärung vor den »Landtsessen an Graven, herrn und vom Adl« aus der Rheinpfalz am 7. April 1546, abgedr. bei Adolf Hasenclever, Die kurpfälzische Politik in den Zeiten des schmalkaldischen Krieges ( Januar 1546 bis Januar 1547), Heidelberg 1905, als Beilage Nr. II. 74 Die Motive, knapp zusammengefaßt: Friedrich beginnt sein Land der Reformation zuzuführen, doch blockt der hessische Landgraf Philipp eine Aufnahme in den Schmalkaldischen Bund ab, auch will der Kurpfälzer sein traditionell enges Verhältnis zur Hofburg nicht gänzlich preisgeben. Unterstützung für den Kaiser, andererseits, hätte wohl Friedrichs Gewissen verletzt, sicher den regionalen Adel verprellt. 75 Man nehme nur, beispielsweise, die Instruktion »Neutralitatis causa« vom 11. August 1546, auf die Hasenclever, Kurpfälzische Politik, S. 102 mit Anm. 254 eingeht! – Wie die albertinische, ist auch die kurpfälzische Politik während der Kriegsmonate prinzipiell gut untersucht. Adolf Hasenclever eruierte an Daten und Fakten, was sich der unbefriedigenden Aktenlage entringen ließ. Freilich interessierten ihn die Fragen dieser Studie nicht, überhaupt stand er dem Objekt seiner fleißigen Bemühungen ganz verständnislos gegenüber: »Die vollkommene Planlosigkeit der kurpfälzischen Diplomatie« verwirrte ihn, ihn störte »der mangelnde Mut feste Entschlüsse zu fassen«, das »ewige Schwanken in der kurpfälzischen Politik« – »leitende Gesichtspunkte ... vermißt man durchaus«! Neutralität war für Hasenclever eben keine »Leit«-Linie, oder keine respektable. Er verkannte sie als »Doppelspiel«, geißelte »Zaghaftigkeit und Unentschlossenheit«, »mangelnde Selbständigkeit des eigenen Willens«. »Die ewige Schaukelpolitik des Kurfürsten« war für ihn »kein rühmliches Blatt in der Geschichte der Kurpfalz« (die Zitate: S. 75, S. 95, S. 154, S. 156). Auch, daß flankierende Vermittlungsbemühungen den Neutralitätskurs absichern sollten, daß diese insofern ihren Wert in sich trugen, konnte sich Hasenclever nicht erschließen, er mokierte sich über die »törichten Vorschläge« des so wenig mutigen Heidelbergers (ebda., S. 100). »Sehr wohltuend, besonders im Vergleich zu der schwächlichen Haltung Friedrichs«, berührte ihn hingegen »Ottheinrichs Standhaftigkeit«, das war nun einmal eine kerndeutsche, »wahrhaftige« Einstellung (ebda., S. 151 Anm. 369)! 76 »Neutrales«, »neutralisten«, »neutralitet« – vgl. nur Luttenberger, Glaubenseinheit, S. 384 Anm. 138.

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ainiche seitten schlagen« wollte77, »wer sich in disem gemainen hanndl78 neutral« verhielt, mußte zeitliches Verderben und ewige Schande auf sich ziehen 79, und noch, nachdem die Pfalzgrafschaft von katholischen Truppen besetzt worden war, blieb ihr Statthalter steif und fest dabei, daß er, so er tatsächlich, wie von Friedrich gefordert, »der Neutralitet gebraucht«, das Verderben nur umso rascher auf sein Ländchen gezogen hätte.80 Kurz, der Terminus »neutralitet« ist in diesen Diskursen ganz geläufig. Wie die politischen Mitspieler die fortgesetzten Neutralitätsbeteuerungen sowie die Gebietshoheit des Heidelberger Möchtegernneutralen respektierten, mit welchen Argumenten sie Parteinahme einforderten, inwiefern sich der Kurfüst genötigt sah, tatsächlich diese und jene Gefälligkeit zu erweisen (also nicht in Äquidistanz zu verharren): all das soll uns erst weiter unten näher interessieren. Ein Fall für sich ist die »Neutralität« Herzog Wilhelms IV. von Bayern. Der Regensburger Vertrag zwischen ihm, Kaiser Karl und König Ferdinand vom 7. Juni 1546 legte ja klar die einseitigen Verpflichtungen Bayerns im bevorstehenden Konfessionskrieg fest: Truppenhilfe auf Anforderung, bayerische Artillerie, freier Durchmarsch der habsburgischen Heere bei Verproviantierung aus dem Land. Doch hielten die Vertragsparteien ihren Pakt geheim, und so konnten der Herzog wie sein machiavellistischer Meisterdiplomat Eck noch fast ein Vierteljahr lang eine bayerische Neutralität fingieren. Weil die Kriegsräte der Schmalkaldener gewisse (von uns noch näher zu bestimmende) Rücksichten auf jene bayerische Neutralität nahmen, die die kaiserliche Kriegführung von vornherein gar nicht ernsthaft einschränken sollte, hat die Münchner Maskerade nicht wenig zum kaiserlichen Triumph beigetragen. Um es in Wilhelms Worten zu sagen: während er militärische Fortschritte der Kaiserlichen unter der Hand »sovil nur uns muglich« beförderte, bewirkten seine »neutralen« Vermittlungsangebote beim Kriegsgegner, »das ain verzug auß dem andern ervolgt«, so daß Karls Truppen im Herzogtum »nit uberfallen« wurden – »wäre zu verzug dem veindt, und Jrer Mt. zu guetem beschehen«.81 Der Nutzeffekt für den Kaiser war sogar größer, als das vor Kriegsbeginn absehbar gewesen war: Aus hier nicht zu schildernden Gründen mußte Karl V. sein Aufmarsch77 Kurpfälzische Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen Ottheinrich und Kurfürst Friedrich am 4. August 1546 (Kopie), BayHStA Kasten schwarz 16671, fol. 235f. 78 Gar: »in disem gemainen Gottes Hanndl«! Statthalter und Regenten an Kurfürst Friedrich, 1546, Juli 13 (Kopie), ebda., fol. 197. 79 Dass., 1546, Juli 3 (Kopie), ebda., fol. 202f. Der auch von den Provenienzen her vermischte Bestand ist nicht chronologisch geordnet. 80 »Anschreiben an H. Otth. d. Einnahm Neuburgs halben«, undat. Entw. [Herbst 1546], BayHStA Kasten blau 102/ad 4 I, fol. 63–74. 81 Wilhelm an Karl, undat. Entw. [wohl 25. August 1546]: BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2100, fol. 136–139.

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gebiet nach Bayern verlagern, wohin ihm Schertlin von Burtenbach mit seinen schmalkaldischen Truppen aus Respekt vor der vermeintlichen bayerischen Neutralität nicht folgen durfte. Während des Donaufeldzugs hemmte die bayerische Neutralitätsfiktion immer wieder82 die Handlungsfreiheit Schertlins. Wilhelms Maskerade war freilich nicht nur reichspatriotisch motiviert, auch – und mehr, als Karl V. lieb war83 – von der bayerischen Staatsräson diktiert. Modern gesprochen, wollte Wilhelm eben zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, sein Territorium vor schmalkaldischen Übergriffen schützen und jener kaiserlichen Sache, die grundsätzlich auch seine eigene war, genau dadurch nützen. Kamen sich beide Ziele in die Quere, weil sich Wilhelm, um die Glaubwürdigkeit seiner vorgeblichen Neutralität nicht vorzeitig aufs Spiel zu setzen, nicht gar zu offen parteiisch verhalten konnte, obsiegte in gut wittelsbachischer Tradition die bayerische Ratio status – erneut sei es gesagt: einige Male mehr, als Karl V. lieb war. Es kann den heutigen Leser der damaligen Korrespondenzen erheitern, wie da Wilhelm seine Hände in naiver Unschuld wusch, auf daß die Schmalkaldener 82 Alle ereignisgeschichtlichen Einzelheiten sind hier natürlich entbehrlich, zumal sie detailliert aufgearbeitet sind: Sigmund Riezler, Die bayerische Politik im schmalkaldischen Kriege, München 1895. An Riezlers fundierten Ausführungen könnte man allenfalls monieren, daß sie zu selten auf Akten verweisen (kommt hinzu, daß seine raren Fundortangaben nicht mehr der heute zielführenden Nomenklatur entsprechen). Vgl. noch nächste Anm. 83 Dieses Spannungsverhältnis scheint mir bei Riezler zu kurz zu kommen. Ohne auf einem nennenswerten Forschungsstand aufbauen zu können und, so weit sich das rekonstruieren läßt, auf schmaler archivalischer Basis kam er durch gute Kombinationsgabe zum überraschenden Schluß, daß die bayerische Scheinneutralität (die er nicht so nennt, aber es ist wiederholt von einer politischen »Maske« Wihelms die Rede) »mit Billigung des Kaisers und im Interesse der gemeinsamen Sache« (S. 5) verfolgt worden sei, aber über dieser damals verblüffenden Entdeckung bekam er die gleichzeitig (wie typisch fürs wittelsbachischhabsburgische Verhältnis!) obwaltenden bayerisch-kaiserlichen Spannungen nicht scharf in den Blick. Meines Erachtens künden die Münchner Akten (Äußeres Archiv 2098–2103, ohne stringente innere Ordnung) von wachsenden Interessendivergenzen. Für Karl war Wilhelms wohlwollende Neutralität nie wohlwollend genug, vor allem aber forderte er schon Wochen, ehe Wilhelm den Schmalkaldenern gegenüber die Maske fallen ließ, wiederholt auch im Befehlston, die endlich offene Parteinahme. Man nehme nur, für manches ähnliche Schreiben, den Brief Karls an Wilhelm vom 20. August 1546 (Or.: Äußeres Archiv 2100, fol. 120f.): Seine Truppen ziehen jetzt da- und dorthin im Herzogtum, deshalb ist da- und dorthin ausreichender Proviant zu liefern. Sodann muß der Herzog die Schmalkaldener »als gemaine vheindt zu wasser und Lannd abtreiben helffen; und hierin nach allem ... vermögen trewlich zu unns setzen und halten«! Da seine (also Karls) Truppen nun – angeblich, um diese Stadt zu retten – nach Ingolstadt zögen, ist sein »begern«, Wilhelm »welle sich numals gegen denselben unsern widersachern auch declariren und ercleren«! Es folgt die Mahnung, endlich für »ordnung« bei der Verproviantierung der kaiserlichen Truppen zu sorgen sowie dafür, daß Versorgungsmöglichkeiten »dem andern tail sovil ymmer moglich entzogen und abgestrickt« würden; dann die Drohung, es möge Karls Heer »nit getrungen« werden, »die Profiandt auf den armen leuten zu suechen, und dieselben dardurch zubeschedigen« (Kursivsetzungen von mir). Wilhelm antwortete mit einer ausführlichen Apologie seines Verhaltens.

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so einen friedfertigen Geist nicht zum Opferlamm machten. Seine Amtleute wies er an, angriffswilligen Militärs weiszumachen, »das wir uns gegen nyemandt args versehen, noch mit diesem krieg ichts zuethun haben«.84 Monatelang haben es ihm die Schmalkaldener abgenommen – leider sei der arglose Herzog nicht in der Lage, »den durchzug frembdes kriegsvolkhs« zu »woren«, »wais ich, das h. Wilhalm ybel zufriden ist, doch nit so kön, verfast oder so starkh, das er dem nahenden feind kinde gognen ... Derhalben er ful mues connivieren und thun, das sich wienig zur sachen reumpt«.85 Der arme Herzog war nicht etwa verschlagen, sondern »hart erschrokhen und petriebt: hat zu lang lafiert und verzogen ... Und also gat es, wann man auf poden seiten will wasser tragen.«86 Daß der Bayernherzog in Wahrheit den Schmalkaldenern (und nur ihnen) das Wasser abgraben wollte, merkten die erst anläßlich der ersten gravierenden kriegerischen Konfrontation auf bayerischem Boden, vor der Festung Ingolstadt – als es militärisch und politisch fast keine Rolle mehr spielen konnte, weil sich nämlich der Kriegsschauplatz unmittelbar danach nordwärts ins Neuburgische hinein verlagerte. Machte den hessischen Landgrafen Philipp schon stutzig, daß er am 19. August, auf Besichtigungstour vor Graben und Wall unterwegs, von dort aus beschossen wurde – »eine gute neutralitet«, kommentierte der schmalkaldische Feldhauptmann Schertlin sarkastisch87 –, gab es am Tag danach ein böses Erwachen: Als eine stattliche Nachhut mit dem Fuhrwesen der Schmalkaldener über die Donaubrücke zog, unternahm die Ingolstädter Besatzung einen Ausfall, wobei sie, in den Worten Philipps, »in 6 oder 7 Profiandt wagen gefallen, die leut der bey gestochen, nider geschlagen, wagen und pferdt genomen«.88 Das war selbst für den damaligen, sehr elastischen Neutralitätsbegriff zu viel. Nach diesen Präliminarien zum Ende der bayerischen Scheinneutralität durften die Schmalkaldischen Ende August mit ansehen, wie die bayerische Landsassenreiterei in der kaiserlichen Schlachtordnung Stellung bezog. Nun war die vorgebliche bayerische Neutralität für die politischen Mitakteure keine mehr – was das für Umfang und Grenzen früher »neutralitet« zu besagen hat, müssen wir noch ausloten. 84 Wilhelm an Konrad von Bemelburg in Rain, 1546, August 2 (Entw.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2103, fol. 16. 85 Gereon Sailer an Günterode und Aitinger, 1546, Juni 30: Lenz, Briefwechsel, Bd. 3, S. 430– 432. 86 Sailer an Philipp von Hessen, 1546, Juli 17: ebda., S. 438–440. 87 Schertlin von Burtenbach an die Bürgermeister von Augsburg, 1546, August 20/21: Theodor Herberger (Hg.), Sebastian Schertlin von Burtenbach und seine an die Stadt Augsburg geschriebenen Briefe, Augsburg 1852, Nr. 45. 88 Philipp von Hessen an die Stadt Ingolstadt, 1546, August 20 (Kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2101, fol. 112. Der Landgraf drohte nach diesem Lamento damit, zur Vergeltung die umliegenden Dörfer zu verwüsten.

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Ohnehin habe ich wohl schon zu viele ereignisgeschichtliche Details ausgebreitet. Wichtiger als solche Einzelheiten ist für uns an dieser Stelle, daß die bayerische Haltung vom Sommer 1546 in den zeitgenössischen Akten immer wieder als »neutralitet« etikettiert wird – erneutes Indiz dafür, daß der Terminus damals durchaus schon geläufig war! Schertlin kennt diese »neutralitet«, auch wenn der Ausdruck bei ihm früh einen spöttisch-mißtrauischen Beiklang89 bekommt; der viel gutgläubigere90 hessische Agent in der – übrigens neutralen91 – Reichsstadt Augsburg, Gereon Sailer, kennt sie (und verwendet den Ausdruck, wenn er von seinem Bayern benachbarten Beobachtungsposten über die Münchner Politik berichtet); die Münchner selbst ordneten ihre Politik nach außen hin dieser Kategorie zu. Hatte sich die Schreibung des neumodischen Terminus noch nicht verfestigt? Die Instruktion für eine Gesandtschaft ins schmalkaldische Feldlager behauptete am 11. August, München habe sich »diser kriegs rustung nit beladen, noch teilhaftig machen, sonder Neiteral sein wöllen«.92 Zwei Blatt danach können wir nachlesen: Der Forderung nachzugeben, bayerische Festungen mit schmalkaldischem Kriegsvolk »zubesetzen«, wäre »nit Neuteral«.93 Ein Entwurf für diese Instruktion hatte davon gesprochen, Wilhelm habe »Neutral sein wollen«, evan89 Vgl. außer Anm. 87 noch insbesondere Schertlin an die Bürgermeister von Augsburg, 1546, August 13 (Herberger, Briefe, Nr. 38) – Zug gen Ingolstadt, haben dort »500 Spanier antroffen ... die von Ingelstat als vermeinten neutralisten geben jnen prouiandt auss der statt«, und das, wo doch Herzog Wilhelm immer »neutral sein will«. Daneben auch schon dass. am 2. August (ebda., Nr. 29): »Was aber sie«, die Bayerischen, »hierjn gesinnet würdet die zeit gebenn«. 90 Die Blauäugigkeit dieses von Eck umgarnten hessischen Beobachters ist schwer begreiflich. Am 18. September, also drei Wochen nach dem Geschützkampf vor Ingolstadt, schrieb er dem Landgrafen (Lenz, Briefwechsel, Bd. 3, S. 455), als gelte es eine Neuigkeit zu vermelden: »Mich dunkht warlich, Bairn sei nit recht neutral«! Vgl. noch ebda., S. 470f. 91 NN an Sailer, 1546, Juni 22 (Kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2098 (unfol.): Was ist nur mit den Augsburgern los? Es heißt im hessischen Lager, »Jetzo in Zeit der not, so sizen sie still«, offenkundig wollen sie »die fürsten allso in der not stecken lassen«, »und scheme mich desselben zuhören«. Sailer an Günterode und Aitinger (in Regensburg), 1546, Juli 5, Lenz, Briefwechsel, Bd. 3, S. 433: »Rat«, »in der ersten umbfrag send nur funf gewesen, die ain pedenkhen gehabt haben, das man sol still sitzen; in der andern umbfrag send dieselben auch zum merern gefallen«. Vgl. ebda., S. 425. 92 Der uns schon bekannte schwäbische Schuster Hans Heberle wird noch 1646 notieren: »unsere heren haben die neiteralitet angenomen« (»Zeytregister«, S. 209). Aber die Orthographie des »Zeytregisters« ist derart hanebüchen (ich sollte der Fairneß halber anfügen, daß die so transportierten Inhalte noch den heutigen Leser tief beeindrucken!), daß diese Schreibung nicht viel besagt. In akademischen Milieus war, als Heberle von einer »neiteralitet« hörte, seit vielen Generationen die »neutralitet« etabliert. 93 Instruktion auf Wolf von Schellenberg und »Jörg« Stockhammer für einen Vortrag vor Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen, 1546, August 11 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2103, fol. 41–44 (Kursivsetzung, auch im Folgenden, von mir).

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gelische Festungsbesatzungen wären »nit neutral«.94 Eine zeitgenössische Kopie besagter Instruktion schreibt an beiden Stellen »Neutrall«.95 Daß sich eine ganze Reihe von Territorialherren neutral aus dem Fürstenkrieg heraushielten, ist bekannter als die soeben angesprochenen Fälle von »neutralitet«, weil die von einer reichhaltigen älteren Forschungsliteratur vielgenannten, wenn auch nicht hochgelobten »neutralen Vermittlungsfürsten« bei den Passauer Verhandlungen eine gewisse Rolle gespielt haben. Beugt man sich mit diesen Lektüreeindrücken im Hinterkopf über die Akten, ist man zunächst überrascht, daß die »neutralitet« dort beiläufig und recht sporadisch bleibt. Ich gewann den Eindruck, daß der Terminus in Akten zum Schmalkaldischen Krieg spürbar häufiger begegnet, statistisch erhärten kann ich es freilich nicht.96 Karl selbst übrigens mied den Ausdruck, für ihn gab es Gehorsam oder Aufsäßigkeit, aber keine »neutralitet«. Der Terminus begegnet auch da nicht in kaiserlichen Schreiben, wo wir ihn von der Sache her eigentlich erwarten könnten.97 Zu den Reichsfürsten, die 1552 »neutral bleiben«, sich nicht »aus der neutralitet« drängen lassen wollten, die »in der neutralitet zu verharren« gedachten, gehörte Albrecht von Bayern. Die Münchner charakterisierten ihre Haltung selbst, auch in internen Papieren, als »neutral«. Ein Rätegutachten98 begründet diese »neutralitet« programmatisch so: Eigentlich sei Albrecht, wie alle Reichsfürsten, dem Kaiser »zu gehorsam und treuen verpflicht«, doch sei diese Verpflichtung eine reziproke. Karl indes habe nicht verhindert, daß zahlreiche Reichsterritorien »verderbt« seien, auch Bayern stehe in »täglicher gefar unnd sorgen«, ohne, daß es an Karl Rückhalt bekomme. Träte es aktiv an der Seite des Reichsoberhaupts in den Krieg ein, zöge man angesichts der gegnerischen Stärke nur »lannd unnd 94 Entwürfe für eine Instruktion, ebda., fol. 51–56. 95 Kopie der Instruktion vom 11. August, Äußeres Archiv 2100, fol. 40–43. Ebda., fol. 44f.: zweimal »neutrall«. 96 Und über das Warum nachzudenken, wäre hier verfrüht, lohnt erst, wenn wir die Akzeptanzprobleme der politischen Option »neutralitet« besser kennengelernt haben. Daß die Konjunkturkurve der »neutralitet« nach der kleinen frühen Hausse von 1546 gleichsam eine kurzfristige Baisse durchlief, liegt zweifelsohne nicht zuletzt an den Erfahrungen des Schmalkaldischen Krieges: Man wußte nun, wie die Hofburg auf diesen suspekten Terminus reagierte – beispielsweise heidelbergischer Erfahrungen wegen, vgl. zu ihnen unten S. 618f. 97 Vgl. nur Karl V. an Kurfürst Friedrich von der Pfalz, 1552, Mai 25 (Or.), Kurbayern Äußeres Archiv 3169 (unfol.): Es hätten ja des Kurfürsten »Lande und Leithe mit diser Jnnerlichen aufrurigen Kriegesübung gar nichts zu thun ...« Natürlich sah sich Karl nicht mit einem Kriegszug selbst außenpolitisch aktiver Obrigkeiten konfrontiert, sondern mit innerem Aufruhr. 98 Zum Folgenden: Gutachten der Münchner Räte, s. d. [es wurde von Herzog Albrecht am 9. Juli 1552 gelesen], BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4526, fol. 257–259.

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leutt, in entliche verderben«. »Item so ist auch in diser gewelltiger Khriegs emberung daz ende wol zuerwegen«: Selbst, wenn Karl zuletzt alle Kriegsfürsten militärisch niederränge, »so khan doch dasselb on merckhliche geverlichait, und verlust, vil guetter zum khrieg tauglicher leutt auch verschwendung der guetter, und schwechung der gantzen teutschen Nation nit beschehen, dan« – der Rest des Satzes ist unterstrichen – »es schlag der sig auf welchen thail er welle, So ist khain gemainer nutz daraus zuerhoffen«. Die Räte sähen deshalb »keinen anndern« Ausweg als zunächst einmal zügige Friedensvermittlungen und – die folgende Passage ist wieder unterstrichen – »wo ye nit frid zuerlangen wäre, das doch Ir. Chur- und furstliche gnaden neutral beleiben möchten«. Man müsse in Kaiser wie König dringen, Bayern und andere Nichtkriegführende »in sollicher Neutralitet« verharren zu lassen. So Karl oder auch die Kriegsfürsten die Münchner »aus der Neutralitet« drängen wollten, müsse man das Konsensrecht der Landschaft vorschützen, das verschaffe etwas »luft oder zeit«. Ich zitierte so ausgiebig, weil das Gutachten die bayerischen Motive in seltener Vollständigkeit anführt und weil es den Terminus »neutralitet« – erneutes Indiz für seine Geläufigkeit in der politischen Praxis schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts – gleich mehrmals verwendet; er begegnet genauso in anderen internen Gutachten.99 Auch die Außenpolitik des württembergischen Herzogs Christoph wurde von diesem selbst als »neutral« charakterisiert.100 Wie der Schmalkaldische, ist der Fürstenkrieg an sich ziemlich gut untersucht, doch erneut sind die einschlägigen Arbeiten schon deshalb nicht an einer Auslotung der Rechte und Pflichten, Chancen und Gefahren des Neutralenstatus interessiert, weil sie diesem mit so gravierender psychologischer Reserve, mit so gravierenden moralischen und »nationalen« Vorbehalten gegenüberstehen101, daß sie sich selbst jedes historische Verständnis verbauen. 99 Vgl. nur noch Gutachten Georg Stockhammers (Or.: ebda., fol. 260f.) – »der Neutralitett halb, werden gemain Churf. F. und stend, so khainem teyl bisher offentlich anhengig, bey derselben zubeleiben sonder zweifel genaigt sein«, hoffentlich kann man auch König Ferdinand dafür gewinnen, »In der neutralitet zuverharren«. Oder: Gutachten der in München verbliebenen Räte für den in Passau weilenden Herzog vom 7. Juni (Or.: ebda., fol. 50f. – Besorgnis, für die Kriegsfürsten sei die bayerische »Neutralitet nit genueg«). Aus Münchner Binnenperspektive suchte man von Anfang an die »neutralitet«. 100 Memorial Christophs [vom Juni 1552]: Viktor Ernst (Hg.), Briefwechsel des Herzogs Christoph von Wirtemberg, Bd. 1, Stuttgart 1899, Nr. 609. Für den »Briefwechsel« (welches Understatement im Titel dieser imposanten Quellensammlung!) gilt, was ich in Anm. 69 zur »politischen Korrespondenz« des Albertiners Moritz gesagt habe – hier also im Archiv Konzentration auf Albrecht von Bayern. 101 Vgl. zum Schmalkaldischen Krieg Anm. 75. Im Fürstenkrieg sieht man die Neutralen ebenfalls (offensichtlich auch moralisch!) haltlos hin- und herschwanken, von »schwankenden Gefühlen« beherrscht (so urteilt über den Stuttgarter Herzog Bernhard Kugler, Christoph, Herzog zu Wirtemberg, Bd. 1, Stuttgart 1868, S. 182). Es treibe sie »lediglich die Gefähr-

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Schmalkaldischer Krieg, Fürstenkrieg – gewiß wären selbst im Mitteleuropa des 16. Jahrhunderts andere Schwerpunkte denkbar gewesen. Die Beutezüge des Kulmbacher Markgrafen Albrecht Alkibiades, damit verknüpfte Turbulenzen nicht nur im Fränkischen motivierten 1553 die Gründung einer überkonfessionellen Allianz, des Heidelberger Vereins102, den man als Neutralitätsbündnis verstehen kann103: als Reaktion darauf, daß der Neutralenstatus damals eben trotz der angestrengt gesuchten Vermittlerpose kaum Sicherheit bot. Das läßt diese Studie auf sich beruhen. Wie geläufig der Terminus »neutralitet« auch in diesem Zusammenhang gewesen ist, mag ein archivalischer Zufallsfund, die »Württenbergische Entschuldigung der Execution halb wider Mg. Albrechten« vom 17. Februar 1554 illustrieren: Das kurze Schreiben104 beruft sich gleich zweimal dung der particularistischen Interessen des eingenen[sic] Gebiets« zu einer nach größeren Maßstäben inkonsistenten Politik, sogar zwischen dem Kaiser und Heinrich II. von Frankreich, »diesem Nationalfeinde«, lavierten sie verantwortungslos hin und her, was allein schon »die ganze Kläglichkeit der Politik der ›vermittelnden Stände‹« entlarve, die von »ihrem Charakter« verschuldete Unfähigkeit »zu einem energischen Handeln«: »Heinrich wusste nur zu gut, was ihm von diesen Schwächlingen drohen konnte«. Der Historiker konnte ihnen auf ihren »schmachvollen Weg« nur voller Abscheu folgen – freilich, wie ihnen dann wissenschaftlich gerecht werden? Die Zitate: Reinhold Neumann, Die Politik der Vermittlungspartei im Jahre 1552 bis zum Beginn der Verhandlungen zu Passau, Diss. Greifswald 1896, S. 29 bzw. S. 48 bzw. S. 61 bzw. S. 83f. Nachdem der »Erbfeind« zum europäischen Partner mutiert war, verschwanden solche nationalpolitischen Verdikte, aber die Neutralität der rheinischen Kurfürsten entsprang weiterhin keinem respektablen politischen Konzept, sondern der »Zwiespältigkeit ihrer Gefühle«, einem »Hin- und Hergerissensein zwischen den Parteien«: Franz Petri, Das Jahr 1552 in der rheinischen Geschichte, in: Spiegel der Geschichte. Festgabe für Max Braubach, Münster 1964, S. 304; vgl. S. 318f. 102 Die recht reichhaltige Literatur zum Heidelberger Verein nennt Dietmar Heil, Die Reichspolitik Bayerns unter der Regierung Herzog Albrechts V. (1550–1579), Göttingen 1998, S. 77 Anm. 131. Ich hebe hervor: Albrecht [Pius] Luttenberger, Landfriedensbund und Reichsexekution. Erster Teil: Friedenssicherung und Bündnispolitik 1552/1553, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35 (1982), S. 1–34; Bernhard Sicken, Der Heidelberger Verein (1553–1556). Zugleich ein Beitrag zur Reichspolitik Herzog Christophs von Württemberg in den ersten Jahren seiner Regierung, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 32 (1973/74), S. 320–435. 103 Das macht die vorliegende Literatur (vgl. beispielsweise Luttenberger, Landfriedensbund, S. 123 oder S. 131 bzw. Sicken, Heidelberger Verein, S. 348 oder S. 428) passim schon deutlich, ohne, daß sie dieser Aspekt näher interessiert hätte. Vgl. noch Heil, Albrecht V., S. 76f.; sowie diese instruktiven Aktenstücke: Druffel/Brandi, Briefe und Akten, Bd. 4, Nr. 113 (hier S. 126) oder Nr. 266. Man hätte das Thema »Heidelberger Verein als Neutralitätsbund« dennoch aus den Archiven erarbeiten müssen, was ich nicht getan habe. 104 »Württenbergische Entschuldigung der Exekution halb wider Mg. Albrechten an Chamerrichter und beysizer 17. Febr. anno 54«, BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2036, fol. 78: »1. Bluets verwanndtnus 2. Haydlbergisch abschid und Erklerung der Neutralitet halb auf beyder partheien sonderlich des von Würtzburg Erforderung und begern Es sey Ime ein und ander hand zugesagt, sie mit dank angenomen. 3. dess sey hernach durch beyder seits zuschreiben und ermanen sich der Neutralitet zuhalten von neuem confurmiret«. Auch kai-

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auf die württembergische »Neutralitet« den fränkischen Konfliktparteien gegenüber. Aber die Geschichte des Heidelberger Vereins wird hier, wie gesagt, nicht noch einmal aufgerollt. Warum meine Studie in ihrem der »Praxis« der Neutralität gewidmeten Teil Mitteleuropa nicht verlassen kann, habe ich schon ausgeführt. Natürlich wurden auch im Frankreich der Hugenottenkriege Neutrale sowie Publizisten, die für Neutralität warben (also besonders die »politiques«!), diffamiert105: »Si aucuns veulent estre moyens, et ne se declarent point de part ou d’autre, ils sont reputez ennemis«.106 Auswirkungen der westeuropäischen Konfessionskriege auf die westlichen Grenzregionen des Reiches werde ich in einigen Zusammenhängen streifen – denn die betreffenden Reichsstände klagten immer wieder darüber, sich in diesen Auseinandersetzungen für »neutral« erklärt, strikt »neutral« verhalten zu haben und doch die schlimmsten Behelligungen, wie Durchzüge, Einquartierungen, Handelsblockaden erleiden zu müssen. Auch daraus läßt sich etwas für die vormoderne Neutralität lernen. 3.1.2.2 Die Zeit der zugespitzten konfessionellen Konfrontation Ein langgestreckter zeitlicher Schwerpunkt wird der Dreißigjährige Krieg sein, schon die Vorkriegsjahre sind für diese Studie sehr aufschlußreich. Daß sich zahlreiche Flugschriften, Pamphlete, Traktate dieses Zeitraums – fast immer abschätzig, meistens gehässig – mit dem Neutralenstatus beschäftigen, sahen wir bereits. Wie geläufig der Terminus bei publizierenden »Politici« am Vorabend des großen deutschen Konfessionskriegs gewesen ist, illustriert ein 1617 vorgelegter »Außführlicher Discvrs« des am Niederrhein aktiven brandenburgischen Rates Nikolaus von Langenberg.107 Das niederrheinische Territorienkonglomerat Jülich-Kleve-Berg war nach dem Aussterben des Hauses der Herzöge von Kleve serliche »approbation« (4.) liege im Grunde genommen vor, wenn man an Karls Reaktion auf die Bundesgründung [bei der beschlossen wurde, daß sich die Allianz aus bereits schwelenden Konflikten heraushalte] denke, außerdem gebe es (5.) noch Versuche einer gütlichen Lösung. Wegen weiterer Gründe für die württembergische Zurückhaltung verweise ich auf die Instruktion Herzog Christophs für seine Vertreter am Kreistag zu Ulm vom 11. März 1554, Kopie: ebda., fol. 162–170 (»... In ansehung das Marggraf Albrecht ain vetribener, verderbter furst, da nichts zuerjagen«). Kursivsetzungen von mir. 105 Das zeigt schon diese klassische, noch immer lesenswerte Studie: Roman Schnur, Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des modernen Staates, Berlin 1962, S. 23f. et passim. 106 Loys Le Roy, Exhortations aux François pour vivre en Concorde, et iouir du Bien de la Paix, Paris 1570, fol. 39. Auf die Schrift weist Schnur, Juristen, S. 24f. hin. 107 Zum Folgenden: Nikolaus von Langenberg, Außführlicher Discvrs Von der Gülchischen Landen und Leuten hochbetrübten Zustand, o. O. 1617, neu hg. von Franz Josef Burghardt, in: Kein der schlechtesten Oerter einer. Beiträge zur Geschichte der Stadt Wipperfürth, Wipperfürth 2006, S. 41–100.

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1609 jahrzehntelang zwischen verschiedenen reichsständischen Prätendenten umstritten, besonders heftig im ersten Jahrfünft; Brandenburg und Pfalz-Neuburg hatten von besagten Prätendenten am schnellsten reagiert, hatten einfach ihre Administratoren und Truppenkontingente in Bewegung gesetzt, vollendete Tatsachen geschaffen und waren nun als – ihrerseits einander belauernde – »Possedierende« (so die damalige Aktensprache) im faktischen, indes politisch und juristisch heftig bekämpften Besitz der Erbmasse. Katholische wie evangelische Nachbarn in Westeuropa waren, aus geostrategischen Gründen, am Ausgang der Streitigkeiten brennend interessiert (und wir wissen ja auch schon, daß sich 1610, dann noch einmal 1614 an diesen Querelen beinahe ein großer europäischer Krieg entzündet hätte). Langenberg sollte am Niederrhein die Berliner Interessen hochhalten. In seinem »Discvrs« stolpern wir dauernd über die Neutralität. Der Begriff changiert zwischen eher innenpolitischen Bezügen (»Neutralität« zwischen den niederrheinischen »Possedierenden«, also Kurbrandenburg und Pfalz-Neuburg108) und eindeutig außenpolitischen.109 Kaum noch zu unterscheiden sind solche Bezüge, wenn sich der Autor wieder und wieder über Neutralitätsverletzungen des Abtes von Siegburg echauffiert – sie dürften übrigens seine freilich weit ins Große und Allgemeine ausgreifende Abhandlung veranlaßt haben110: Da hatte schon der letzte Abt gebeten, »daß i[h]n[en] die Neutralitet möchte gelassen werden, biß der Gülchische Successionsstreit erörtert«, hatte sein Nachfolger mitsamt den Kapitularen »gelobt und versprochen«, »in terminis neutralitatis« zu bleiben, um dann doch neutralitätswidrig (wie Langenberg findet) »Soldaten einem Wallonischen Regiment in Dienst des Königs von Hispanien angehörig« bei sich zu stationieren111, sich also militärische Rückendeckung an der Brüsse108 Beispielsweise ebda., S. 51: abfällige Äußerungen über »etliche von den Adelichen Rähten unnd Amptleuten«, die sich »davon gemacht« hätten, »den beyden Chur- und Fürsten nicht beypflichten, sondern Neutral verbleiben und etwa deß Außgangs erwarten wollen«. 109 Beispielsweise ebda., S. 75: Hoffnung, daß sich »die Neutral benachbarte« weiterhin im Streit der »Possedierenden« zurückhalten. 110 Langenberg war involviert, er hatte am 14. März 1615 beim Abt Neutralitätsverletzungen rügen und eine sofortige Entlassung der »Spanier« anmahnen müssen: das ergibt sich aus den Ausführungen bei Peter Heinz Krause, Belagert, erobert, geplündert. Siegburger Kriegszeiten von 1583 bis 1714 – ein militärhistorischer Überblick, Siegburg 1998, S. 35. Den weiteren Rahmen (Streit über das Territorienkonglomerat um Jülich und Kleve) kennen wir bereits. Nun zum engeren Rahmen: Trotz eines Neutralitätsvertrags zwischen Abt und Kapitularen von Siegburg, Kurbrandenburg und Neuburg vom Juli 1610 (er ist unter falschem Datum als Beilage A dem »Discvrs« beigegeben) nahm Abt Gerhard III. im März 1615 einige spanische Soldaten auf, angeblich zum Schutz der Abtei und auf Anordnung des Kaisers als des obersten Lehnsherrn. Alle militärgeschichtlichen Einzelheiten und Folgen: Krause, Berlagert, S. 34–37. 111 Die Zitate: Discvrs, S. 76 bzw. S. 79.

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ler Statthalterregierung des Madrider Hofes zu verschaffen. Der in praktischer Politik versierte Autor kann anmahnen, die Siegburger sollten »die Neutralitet behalten«112, kann über die »angemasten Neutralisten« anderswo herziehen und alle geläufigen abschätzigen Topoi über die Neutralität ausbreiten113 – es braucht uns im Einzelnen jetzt noch gar nicht zu interessieren, jedenfalls zeigt die von unserem Zentralbegriff nur so wimmelnde Langenbergsche Abhandlung schlagend, wie geläufig der Terminus Neutralität Politikern des frühen 17. Jahrhunderts gewesen ist. Davon künden erst recht die Akten. Wir stoßen in den schriftlichen Hinterlassenschaften der konfessionellen Allianzen des Vorkriegsjahrzehnts häufig auf unsere Wortfamilie, so entnahm, beispielsweise, Franz von Vaudemont im März 1613 Briefen aus Paris, daß dortige Werbungen für einen Ligabeitritt der Regentin wenig sinnvoll seien und »qu’elle desire demeurer neutre et estre arbitre de Vos diferans«.114 Vor allem aber begegnen die Begriffe »neutral«, »neutralstende«, »neutrales«, »neutralisten« und »neutralitet«115 im Hinblick auf all jene Reichsstände, die sich weder in der Union noch in der Liga organisierten. Man konnte sie, wenn mehr nicht zu erhoffen war, sogar ermahnen, sich im (seit 1608 ja absehbaren) Kriegsfall zu den »neutralen« zu halten116 bzw. die »neutralitet« zwischen Union und Liga117 zu suchen. Vor allem aber umwarb man die »Neutralen« in der Erwartung, sie doch noch für das je eigene Bündnis gewinnen zu können. 112 In diesem Zusammenhang begegnen Ansätze zu Neutralitätslob, die ganz zeituntypisch sind (und auch in dieser Schrift unverbunden neben der üblichen Abscheu gegenüber »neutralisten« stehen): »Man weiß noch kein Exempel, daß wenig Hoch oder Niderstands im Reich, diesen Wehrten Schatz so leicht verschertzet unnd dahin geben« (ebda., S. 84); »man hette den Weg wol richtiger gehen, beyde Partheyen zu Freund behalten, auff dem hohen Berge weit umb sich sehen, der Neutralitet mit der Printzen williger und unwilliger devotion geniessen, zwischen beyden die balantz im Mittel tragen und in diesem trüben Wasser [das denn doch!] noch wol gute Fisch fangen können« (ebda., S. 86). 113 Diese Topoi stellt im Zusammenhang Kapitel C.4 vor, Langenberg läßt kaum einen aus; das letzte Zitat: ebda., S. 53. 114 BA, Bd. 10, Nr. 40, Anm. 1 auf S. 156. 115 Gedruckte Belege: BA, Bd. 9, Nr. 134 mit Anm. 1, auch Nr. 154 (S. 382); BA, Bd. 10, Nr. 20 Anm. 3 (S. 59), Nr. 33 (S. 97f.), Nr. 47 Anm. 2 (S. 176), Nr. 95 (S. 371), Nr. 103, Nr. 133 (S. 463f.), Nr. 137, Nr. 190 (S. 700), Nr. 248 Anm. 1 (S. 874), auch Nr. 88 Anm. 2, Nr. 145, Nr. 169 (S. 608), Nr. 172, Nr. 209 (S. 747), Nr. 241 (passim), Nr. 247 Anm. 2 (S. 872), Nr. 252 (S. 884, S. 890), Nr. 261 oder Nr. 266. 116 Aufzeichnung eines mündlichen Vortrags des bayerischen Emissärs Theodor Viepeck in Nürnberg am 8. März 1610, Staatsarchiv Nürnberg Unionsakten 13: Wenn Nürnberg der Liga beitreten will, wird man es »gerne einnemen«, zumindest aber soll sich die Reichsstadt, wenn die Liga angegriffen wird, zu den »neutralen« halten. 117 Schriftliche Version des Viepeckschen Vortrags, ebda.: Wenn die Nürnberger ligistisch werden wollen, ist das Bayern und seinen Verbündeten »nicht zu wider«, andernfalls sollen sie im Konfliktfall die »neutralitet« zwischen Union und Liga suchen.

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Als der für die Reichspolitik unter Kaiser Matthias maßgebliche Wiener Kardinalerzbischof Melchior Khlesl 1613 versuchte, die »defensio catholica« in einen überkonfessionellen Bund der Kaisertreuen umzumodeln, war durchgehend von einer Gewinnung der »neutrales« oder der »neutrales confessionisten«, also der evangelischen, indes reichspolitisch gleichsam neutralen Reichsstände die Rede.118 Sie ließen sich am Ende nicht einfangen, ja, sogar manche katholische Reichsstände zögerten weiterhin mit ihrem Beitritt, weil sie die Liga im Ernstfall ja doch nicht schützen könne – wiewohl man ihnen klarzumachen versuchte, daß »ein vermeinte neutralitet sie ebenso wenig und weniger vor onbilligen gewalt (da es ad extrema kommen solte) ... schuzen und retten kann oder wird«.119 »Neutralitet« meint in all diesen Texten des frühen 17. Jahrhunderts keine Neutralität in einem aktuellen militärischen Konflikt, aber in einem absehbaren. Besonders enttäuscht war Khlesl darüber, daß sich Kursachsen nicht zu einem Ligabeitritt durchrang – wiewohl dieser ja schon drei Jahre zuvor an der Elbe ernsthaft erwogen worden war. Kurfürst Christian II. schwankte im Herbst 1610 wochenlang zwischen den Promotoren eines Ligabeitritts (zu denen der Ernestiner Johann Kasimir von Sachsen-Koburg gehörte) und den guten Erfahrungen, die man doch bislang mit der »neutralitet« gemacht habe. Als Christian dem Koburger am 7. November signalisierte, seinen Lockungen erlegen zu sein, begründete er es so: Es sei »auff die neutralitet nicht vielmehr zu bauen«, die Zeitumstände zwängen dazu, sich »umb gute freunde umbzusehen«.120 Wiewohl man das an der Elbe bald wieder anders einschätzte, begegnet der Plan, Kursachsen fester, ver­tragsmäßig im katholisch-kaiserlichen Lager zu verankern, auch in den diplomatischen Korrespondenzen der Folgejahre, im März 1612 zum Beispiel mahnte der Darmstädter Landgraf Ludwig den kursächsischen Rat Marx Gerstenberg, es sei nicht gut, »in die harre neutral zu pleiben«.121 Nachdem sich die Vorkriegs- in Kriegsbündnisse verwandelt hatten und die Union von Auhausen 1621 darüber zerbrochen war, kreisten Projekte, eine neue, reichspolitisch vorsichtige, rein lutherische Union zu gründen, gleich dreifach um den Begriff der »neutralitet«: weil man die nun bündnislosen »neutralen« Lutheraner gewinnen wollte, Adressaten aller Sondierungen waren die »neutrales«; weil als vorrangiges 118 Gedruckte Belege: BA, Bd. 11, Nr. 33 (»neutral-stend«); Nr. 46 (Anm. 2 auf S. 176f.) und Nr. 227 II (»neutral«); Nr. 133 und Nr. 252 (»neutrales«); Nr. 266 (»Neutralisten«); Nr. 25 (»neutralitet«). 119 So formulierte der kurmainzische Rat Brömser (an Gereon, 1613, März 9): ebda., Nr. 46. 120 Christian II. an Johann Kasimir, 1610, November 7 (Entw.), HStADr Locat 8806, Siebzehende Buch Jülichische Sachen, fol. 269–274. Die Zusage war voreilig, den Dresdnern kamen bald wieder Zweifel. Hier sollen uns nicht Einzelzüge der damaligen Bündnisprojekte interessieren, interessiert die Sprachregelung für die (noch oder dauerhaft) Abseitsstehenden. 121 BA, Bd. 10, Nr. 148.

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Motiv durchgehend die Einsicht begegnet, die »Neutralisten« seien ohne organisierte Gegenwehr der Rache der Sieger schutzlos preisgegeben122; und weil die hinter dem Projekt stehenden Diplomaten betonten, die – auch konfessionspolitisch zurückhaltende, aber eben doch einheitlich lutherische – neue Union müsse sich militärisch »neutral« verhalten.123 Die Neutralität war in den einschlägigen Diskursen stets präsent. 3.1.2.3 Der Dreißigjährige Krieg Wir sind schon unversehens in den Kriegsjahren gelandet. Während des großen deutschen Konfessionskriegs wurden eine Reihe von Neutralitätsverträgen gesiegelt, mindestens so interessant sind Vertragsentwürfe, die nie Rechtskraft erlangten – weil nämlich die Gründe hierfür aufschlußreich sind. Vor allem aber versuchten sich zahlreiche Reichsstände ohne eigene Kriegsziele, aber auch ohne die Neutralität anvisierende Verträge »neutral« durchzulavieren. Sie charakterisierten ihre Außenpolitik intern wie den Mitakteuren gegenüber als »neutral«. Der Begriff begegnet von Anfang an auch in den Analysen ausländischer Beobachter, sei es hinsichtlich des mitteleuropäischen Krisengeschehens, sei es im Hinblick auf die internationale Reaktion darauf. Um nur je ein Beispiel zu geben: Am 21. Oktober 1620 teilte der Vertreter Londons im Haag, Dudley Carleton, Moritz von Oranien mit, von Jakob I. beauftragt worden zu sein, ihm anzuzeigen, daß »the affair of Bohemia« ohne Wissen des Königs ausgebrochen und er 122 Schon die erste deutliche archivalische Spur, ein Bericht des Nürnbergers Johann Sigmund Fürer über Beratungen mit dem Ansbacher Markgrafen im Dezember 1621, stößt uns auf diesen Zusammenhang: Relation vom 21. Dezember 1621 (Or.), Staatsarchiv Nürnberg Unionsakten 120, fol. 7–11. Zeigten dann nicht die in Böhmen einsetzende Gegenreformation und die als »Spanische Kanzlei« im Reich umlaufenden kaiserlichen Depeschen an den in Diensten der päpstlichen Diplomatie stehenden Kapuzinermönch Hyacinth, die mansfeldische Soldaten abgefangen hatten, daß man den »Neutralisten ... eine Nasen drehen« wollte? So fragt: Benjamin Bouwinghausen an Marx Konrad von Rehlingen, 1621, November 26 (Kopie: BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 95). Andererseits, konnte sich die suspekte Neutralität nicht allenfalls der Starke leisten? Galt nicht, »das man bey der neutralitet nicht werde bestehen können, wofern man keinen starkhen rukhen habe« (wie ihn nur Kursachsen einbringen konnte)? So eine Resolution Ulms »die coniunction betreffend«, undat. Kopie: Staatsarchiv Nürnberg Unionsakten 120, fol. 310–313 – usw., usf. Es geht mir hier, wie gesagt, nicht um Einzelheiten der damaligen Bündnissondierungen, sondern um die Geläufigkeit des Terminus »neutralitet«. 123 Die große (und berechtigte) Sorge der insbesondere fränkischen Iniatiatoren des Projekts war es, daß sich Kursachsen zu der »angemuthen Neutralitet schwerlich verstehen werde«, daß Kurfürst Johann Georg »auff die coniunction der Evangelischen neutralen Stent mit der Kayserlichen armee« dringen werde: Ulmer Gutachten vom 17. Juli 1622, Stadtarchiv Ulm A1407 Nr. 165 bzw. Joachim Ernst von Ansbach an Christian von Kulmbach, 1622, Mai 12, Or.: Staatsarchiv Bamberg C48 Nr. 68, fol. 193.

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dort »neutral« sei.124 Am 27. Dezember 1618 wußte ein führender französischer Diplomat, daß der Bayernherzog vorgebe »de demeurer neutral«.125 Axel Oxenstierna will 1620 gar beobachtet haben, daß »die meisten« (!) Reichsglieder »die Neutralität als das Sicherste zu pflegen« schienen.126 Tatsächlich hatten viele Reichsstände schon auf die ersten Nachrichten vom böhmischen Aufstand hin geradezu reflexhaft, ganz im Sinne des Rückgriffs auf ein gängiges Aushilfsmittel der Politik, auf ihre »neutralitet« in dieser Streitsache verwiesen. Am Rothenburger Unionstag vom Oktober 1618127 war man sich einig, kaiserliche Gesuche um die Erlaubnis von Truppenwerbungen auf Unionsgebiet und Hilfsappelle an diejenigen Unionsfürsten, die Lehen der Krone Böhmen besaßen, unter Verweis auf deren »neutralitet« abzuwimmeln. Ehe sie dann doch an der Seite des Kaisers gegen die Aufständischen einschritten, erklärten auch die außerhalb der Union stehenden Dresdner, im böhmischen Konflikt »neutral« zu sein. Über interne Meinungsbildungsprozesse am Hof Johann Georgs I. berichten ja kaum (erhaltene?) Beratungsprotokolle, doch besitzen wir ein sehr ausführliches aus dem Oktober 1618128 – der Begriff »neutralitet« ist dort geläufig129, alle waren sich darin einig, daß man diese »neutralitet« aufrechterhalten müsse, keiner stellte ihre Berechtigung in Zweifel. Die Dresdner wurden dann doch noch zur Kriegspartei, aber fast alle anderen nicht in der Union organisierten evangelischen Reichsfürsten versuchten sich herauszuhalten. Eindeutig und explizit auf die »neutralitet« setzten bei-

124 Hinds, State Papers, Bd. 16, Nr. 622. 125 Etienne de Sainte-Catherine an Brûlart de Puysieulx, zit. bei Tapié, Politique étrangère, S. 274. 126 Zit. nach Günter Barudio, Gustav Adolf – der Große. Eine politische Biographie, Frankfurt 1982, S. 679 (Anm. 42). 127 Er war der erste, an dem die Union intensiv über die Einschätzung der böhmischen Instabilitäten beriet; Protokoll: HStASt A90A tom. 20, fol. 474–538; vgl. hier insbesondere fol. 525ff. 128 Es dokumentiert, wie Johann Georg, die Geheimen Räte und mehrere Militärs ihre Position zu den böhmischen Querelen zu bestimmen suchten: HStADr Locat 9168 Dritte Buch Unruhe im Königreich Böhmen, fol. 21–42. – Gelegentlich klingt doch auch der von einem Bellum iustum ausgehende Entscheidungszwang an, so, wenn die Graue Eminenz des Dresdner Kurhofes, Kaspar von Schönberg, erklärte, man müsse untersuchen, ob die Glaubensgenossen in Böhmen »eine gutt sache« verfolgten (doch sei »an der gute und gerechtigkeit« des Aufstands ja wohl zu zweifeln, Neutralität demnach erlaubt) – im Zusammenhang mit der Doktrin vom Gerechten Krieg rekurrierte ich weiter oben schon auf das interessante Protokoll. 129 Vgl. außerdem Karl August Müller, Fünf Bücher, Bd. 1, S. 138f. (kurfürstliche Proposition vor einem »Theil des Engen Ausschusses der Stände«: ist »bei der Neutralität [so zweifelsohne zu lesen] zu verharren«?) und ebda., S. 141 (»der Landschaft Bedenken«: der Kurfürst soll bei der »Neutralität ... verbleiben«).

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spielsweise130 durchgehend die Landgrafen von Hessen-Darmstadt131, setzte zeitweise der brandenburgische Kurfürst Georg Wilhelm.132 Nach der Selbstauflösung der Union im Mainzer Vertrag beriefen sich auch manche ehemalige Auhausener ausdrücklich auf ihre »neutralitet« – so viele Reichsstädte133, so der 130 Es kann hier nicht um Vollständigkeit gehen! Die habituelle Neutralität Hamburgs (mit strittiger reichsständischer Qualität): Hans-Dieter Loose, Hamburg und Christian IV. von Dänemark während des Dreißigjährigen Krieges. Ein Beitrag zur Geschichte der hamburgischen Reichsunmittelbarkeit, Hamburg 1963, S. 23, 27–29, 35 et passim. Pommersche Versuche: Max Bär, Die Politik Pommerns während des dreißigjährigen Krieges, Leipzig 1896, S. 59f. und S. 76f.; ostfriesische Versuche: Michael Kaiser, Politik und Kriegführung. Maximilian von Bayern, Tilly und die Katholische Liga im Dreißigjährigen Krieg, Münster 1999, S. 309; oldenburgische Versuche: Michael Roberts, Gustavus Adolphus. A History of Sweden 1611–1632, Bd. 2, London 1953, S. 525. – usw., usf. 131 Hier gäbe es manches aufzuarbeiten; vgl. vorerst (unbefriedigend) Kurt Beck, Die Neutralitätspolitik Landgraf Georgs II. von Hessen-Darmstadt. Versuche und Möglichkeiten einer Politik aus christlichen Grundsätzen (nachgewiesen an einem Gutachten Marburger Theologen vom 5. Juni 1632), in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 22 (1972), S. 162–228 – die umständliche Kommentierung eines einzigen Gutachtens, in dem öfters die Termini »neutralität« und »neutralitas« vorkommen. Die habituelle Neutralität HessenDarmstadts im Dreißigjährigen Krieg wird uns in Kapitel C.3.2 noch wiederholt begegnen. 132 Weil Neutralität nur »vor die sammetliche Lande« Sinn mache, die niederrheinischen Herzogtümer um Jülich und Kleve aber »uniret« seien, »auch pro indiviso an jezo besessen« würden, »dahero auch denselbigen die Neutralitet pro parte zuewilligen und pro parte nicht zuewilligen, sich gar nicht schicken will« (Erklärung der kurbrandenburgischen Emissäre vor den Vertretern Heidelbergs am Bundestag der Heilbronner, 1634, Juni 11, Kopie: BayHStA Kasten blau 102/4 I), war auch der Kampf des Pfalzgrafen von Neuburg für die Neutralität seiner niederrheinischen Besitzungen nur jene eine Seite der Medaille, für die ich mich bei meinem Versuch der Schwerpunktsetzung eben entschieden habe, die Berliner drängten genauso darauf. Sie bedienten sich auch immer wieder des Terminus »neutralitet« – »do ia der Krieg mit Schweden, nicht abzuwenden«, habe »mann eine neutrali­tet ... zu erhandeln«: so erklärten die brandenburgischen Räte ihren kursächsischen Kollegen im April 1630 in Annaburg (Protokoll: HStADr Locat 8105 24. Buch Friedenstractation im Reich bel., fol. 389–435, hier zum 20. April). Aber das ist nur ein Beispiel. Allgemein zur Neutralitätspolitik Georg Wilhelms Axel Gotthard, Zwischen Luthertum und Calvinismus (1608–1640), in: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 2000, S. 74–94, hier S. 87–93. Ich will das in der vorliegenden Studie nicht wiederholen. 133 Vgl. beispielsweise für die fränkischen unter ihnen Helmut Weigel, Franken im Dreißigjährigen Krieg. Versuch einer Überschau von Nürnberg aus, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 5 (1932), S. 1–50 und S. 193–218 (fast auf jeder Seite: »Neutralität«, »Neutralitätspolitik«). – Zu Mühlhausen: Michael Zeng, Des Reiches freie Stadt? Die Politik des Rates der Reichsstadt Mühlhausen in der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges, in: Benigna von Krusenstjern/Hans Medick (Hgg.), Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, Göttingen 1999, S. 311–322 (charakterisiert den Kurs Mühlhausens durchgehend als »Neutralitätspolitik« oder jedenfalls »versuchte Neutralitätspolitik«).

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Kulmbacher Markgraf Christian134, so die vormalige Leit­macht des vorsichtig agierenden Mehrheitsflügels der Auhausener, Württemberg. Dem Stuttgarter Herzog Johann Friedrich wurde die »neutralitet« in den Jahren bis zum Restitutionsedikt vielbeschworener Leitstern der Außenpo­litik, geradezu zum Synonym für die »ratio status« des Landes; der Begriff taucht fast in jedem Schriftstück auf, das sich mit außenpolitischen Ange­legenheiten des Herzogtums befaßt. »Wir können anders nichts als neutral sein und blei­ben«135, urteilten die württembergischen Politiker selbst, und andere attestierten dem Stutt­garter Herzog, er »könde rebus sic stantibus sein land nit an­derst« denn »in neu­tralitate salvieren«.136 Weil sich die Liga nicht in die holländisch-spanischen Querelen verwickeln lassen wollte, berief auch sie sich recht häufig auf ihre »neutralitet«137 – allerdings nur an dieser Kriegsfront. Wiewohl die Hofburg (wie wir noch sehen werden) Begriff und Sache distanziert gegenüberstand, erwähnt sogar der Prager Frieden die Neutralen: »Obgedachter amnisti«, die zwischen dem Kaiser und seinen »kriegsverwandten« einerseits, Sachsen und seiner »kriegsparthei« andererseits vereinbart worden war138, sowie »insgemein des gantzen friedenschlußes sollen die bei der vorgangenen kriegsubung neutral gebliebene stände ... mit genießen«.139 Ein katholischer Dauerneutraler aus Neigung und Notwendigkeit war der neuburgische Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm.140 Wieder und wieder beteuerte er 134 »Die Markgrafschaft als neutrales Gebiet von 1618 bis 1631«, überschreibt Ernst [Ludwig] Sticht, Markgraf Christian von Brandenburg-Kulmbach und der 30jährige Krieg in Ostfranken 1618–1635, Kulmbach 1965, das größte Kapitel seiner Dissertation (S. 21–110). Leider analysiert er keinesfalls, inwiefern Christians Politik »neutral« war und welche spezifischen Probleme sich daraus ergaben. War »neutralitet« überhaupt ein zentrales Anliegen der markgräflichen Regierung, berief sie sich ausdrücklich darauf ? Wir wissen es nicht, weil Sticht nicht aus den Akten zitiert. Er selbst nennt die markgräfliche Politik eben »neutral«. 135 So der württembergische Hofrat Benjamin Bouwinghausen in einem Brief an Marx Konrad von Rehlingen, 1621, Dez. 30, Kopie (»copia eines intercipirten schreibens, darauß allerlay abzunemmen«), HHStAW Böhmen 63 Dezem­ber, fol. 66f. 136 Reichsvizekanzler Hans Ludwig von Ulm an den Kaiser, 1621, Juli 26, Or. (aus dem »Zellerbad« bei Heidelberg), HHStAW Reichskanzlei Reichstagsakten 93 Subfasz. 2, fol. 58–60; Ulm machte sich offenbar ›vor Ort‹ mit der Staatsräson des Herzogtums vertraut, akzeptierte die Sachzwänge. 137 Maximilian von Bayern brachte die ligistische Holland-Politik immer wieder auf diesen Begriff, vgl. die Zitate bei Kaiser, Politik und Kriegführung, S. 218, S. 220f. und S. 229f. – Um das Motiv anzudeuten: Maximilian wollte sich nicht für Hausmachtinteressen der benachbarten katholischen Dynastie, gar im Rahmen einer europäischen »Habsburger-Liga« einspannen lassen. Das »neutrale« Handlungsmuster griff einigermaßen in den 1620er Jahren, nicht mehr im Schwedischen Krieg. 138 »Hauptvertrag« von Prag, 1635, Mai 30, § [58]: BA N. F., Bd. 2.10, Nr. 564A. 139 Ebda., § [66]. 140 Von der ereignisgeschichtlichen Seite her zufriedenstellend: F. Küch, Die Politik des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm 1632–1636. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte von Jülich und Berg während des dreissigjährigen Krieges, in: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins.

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seine »neutralitet«, um freilich nur mit großen Mühen und auch Einschränkungen Akzeptanz auf evangelischer Seite zu finden. Archivalisch sehr gut dokumentiert ist das zähe diplomatische Ringen zwischen dem »neutralisten« und Axel Oxenstierna sowie dessen Heilbronner Verbündeten in den Jahren 1633 und 1634.141 Wolfgang Wilhelm versteifte sich auf eine Neutralitätszusage des toten Schwedenkönigs Gustav Adolf142, deren Akzeptanz sich vor allem darin konkretisieren sollte, daß die Schwedischen Neuburg und ebenfalls von ihnen okkupierte Teile der niederrheinischen Herzogtümer räumten; Oxenstierna aber beteuerte, »wegen einer sonderbahren Neutralitet für dero landt und Leuth« allein nichts »statuiren« zu können143, was intensive, komplizierte und langwierige Verhandlungen im Spätsommer 1633 und seit dem Frühjahr 1634 an den Frankfurter Bundestagen der Heilbronner, dann noch einmal seit dem Spätherbst 1634 am (ersten) Wormser Konvent des Bundes, etwas weniger dichte auch im Vorfeld dieser Versammlungen zur Folge hatte. Kurz, man hat rund zwei Jahre lang unablässig um Akzeptanz und Ausgestaltung der neuburgischen »neutralitet« gerungen – anders als die ereignisgeschichtlichen Einzelheiten144 müssen uns die von allen Seiten geäußerten Argumente weiter unten, in den entsprechenden Kontexten, noch näher interessieren. Wir werden sehen, daß erst die schwedische Katastrophe vor Nördlingen145 den Weg frei machte für eine einigermaßen bündige »verschonungs Erclerung«.146 Den Endpunkt hinter dem immerwährenden

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Jahrbuch des Düsseldorfer Geschichts-Vereins 12 (1897), S. 1–193. Freilich hegt Küch die gleichsam üblichen Vorbehalte, wie wir gleich noch sehen werden. – Ganz unbefriedigend, analytisch sehr schwach: Renate Leffers, Die Neutralitätspolitik des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm als Herzog von Jülich-Berg in der Zeit von 1636–1643, Neustadt 1971. Wenn die konfuse Abhandlung wenigstens ausgiebig aus den einschlägigen Quellen zitierte! Ich zog noch einen von Küch (sowie Kretzschmar, vgl. Anm. 144) nicht benützten riesenhaften Bestand heran: BayHStA Kasten blau 102/4 I – ersichtlich aus kurpfälzischen wie neuburgischen Provenienzen zusammengewürfelt, ohne chronologische Ordnung und durchgehende Paginierung. Bei manchen Aktenstücken ist das Datum zweifelhaft, weil die Kurpfälzer im alten, die Neuburger im neuen Stil datierten. Das war das eine (uns hier besonders Interessierende), der Pfalzgraf pochte stets auf diese Neutralitätszusage des gefallenen Königs, die seine Nachfolger indes nicht als sie bindend erachteten, ferner auf eine kaiserliche Zusage, von der man in Wien nichts (mehr?) wissen wollte. Außerdem existierte ein Neutralitätsvertrag mit Spanien und den Generalstaaten. Resolution Oxenstiernas, 1633, Juli 7 (Kopie), BayHStA Kasten blau 102/4 I. Über die äußeren Abläufe informiert gerafft (und übersichtlicher als Küch) Johannes Kretzschmar, Der Heilbronner Bund 1632–1635, 3 Bände, Lübeck 1922, hier: Bd. 2, S. 455, S. 458f., S. 463–466; Bd. 3, S. 54–57. Knapp gesagt: Die Heilbronner konnten es sich nun nicht mehr leisten, auch noch Wolfgang Wilhelm an die Seite des übermächtigen Kriegsgegners zu drängen; Neuburg war ohnedies verloren, der Niederrhein fernab vom aktuellen Kriegsschauplatz. Die »verschonungs Erclerung« wurde abgegeben, als sie militärisch überhaupt nichts mehr kostete. »Copia Schwedischer und des Evangelischen Bunds verschonungs Erclerung«, 1634, Dez. 15, BayHStA Kasten blau 102/4 I: Wolfgang Wilhelm dankt weitgehend ab, hat

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Ringen Wolfgang Wilhelms um die Akzeptanz seiner Neutralität markiert auch sie nicht, nur den Endpunkt jenes Zeitabschnitts, den diese Studie mikroskopisch in den Blick nimmt. Auf die Termini »neutralitas«, »neutralitet« und »neutral« stößt man in den um die neuburgische Neutralität kreisenden Akten ständig. Wolfgang Wilhelm bediente sich ihrer auch intern, in seinen Diarien147, in vertraulichen Schreiben148, vor allem aber waren es Schlüsselbegriffe bei den Verhandlungen mit den Heilbronnern – es ging dort um die Anerkennung der »Neutralitet« des Pfalzgrafen, auch einmal seiner »Neütralitet«149 oder schon seiner »Neutralität«150. Nur am Rande erwähnt sei bei der Gelegenheit, daß ferner die Reichsstadt Dortmund in diesen Tagen stets um die Hinnahme ihrer »neutraliteth«151 seitens der Heilbronner nachsuchte. Überhaupt dürfte fast jeder Reichsstand gleichsam punktuell, in dieser Kriegsphase, angesichts jener Zumutung einmal auf seine Neutralität rekurriert haben. Der Terminus grassiert in den damaligen Akten. Das ist auch nicht allen Biographien, Landesgeschichten und Regionalstudien völlig entgangen, im Grunde ist die Forschungslage die uns schon von den frühen Konfessionskriegen her bekannte: Es gibt faktenreiche Abhandlungen, die immer wieder einmal eine »Neutralität« erwähnen, ohne diese doch zum

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»die fortification des Closters und Stättleins Siegburg« zu »demoliren« und bringt eine »gegenversicherung« der Ligisten bei; dafür verschonen sie seine Territorien, sie werden auch »keine durchzüg, ohne unumbgängliche noth« vornehmen. »Item hat [der spanische Gesandte in Wien] Castagnetta proponirt, mir in causa Julia zue procuriren, si vellem abstinere a neutralitate«: F. Küch (Hg.), Tagebuch des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm 1636, in: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins. Jahrbuch des Düsseldorfer Geschichts-Vereins 12 (1897), S. 202. »Reis von Düsseldorf auf Brüssel und was dabei notirt worden« (Abdr.: F. Küch, Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm in Brüssel 1632, in: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins 10, 1895, S. 209ff.): S. 213 (»neutral«), S. 223 (»neutralitet«). »Haben sie sich billig zu erinnern, dass mir als einem neutralen mit fugen ein mehrers nit zuzumuten, als ich bisher gethan, man wolte mich denn und die land umb die neutralitet bringen«: Wolfgang Wilhelm an ? (Küch zitiert lediglich ausgiebig aus dem Schreiben, nennt nicht den Adressaten), 1632, Oktober 28, Küch, Wolfgang Wilhelm in Brüssel, S. 204. So wiederholt geschrieben im Protokoll der Frankfurter Beratungen unter Leitung des schwedischen Vizekanzlers Jakob Löffler am 31. Mai 1634: BayHStA Kasten blau 102/4 I. Ferner: die Verbündeten an Oxenstierna, 1634, Juni 2 (Entw.), ebda. »Memorial« der in Frankfurt versammelten Alliierten »ahn H. Reichs Cantzlers Exc.«, 1634, Juni 12, ebda. – »La neutralité«: Küch, Die Politik, S. 95 Anm. 2; »neutralidad«: ebda., S. 114 Anm. 2. So ist der Terminus durchweg auf jenen Kopien geschrieben, die, über den Riesenbestand BayHStA Kasten blau 102/4 I zerstreut, von Dortmunds Bemühungen um eine Akzeptanz der Neutralität künden.

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Thema sui generis zu machen, ziemlich durchgehend fehlt auch jedes Verständnis für die Anliegen und Nöte damaliger Neutraler. Die so transportierte Memoria straft »neutrale« Politik gnadenlos ab: Der Stuttgarter Herzog Johann Friedrich galt der württembergischen Landesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts als schwankender Schwächling, der Kurbrandenburger Georg Wilhelm firmiert als allererbärmlichste Kreatur in der ansonsten doch so glorreichen Geschichte des Hauses Hohenzollern. Die schneidigsten Aburteilungen jenes vermeintlich mißratenen Vorgängers des vermeintlich »Großen Kurfürsten« zu zitieren, wäre dankbar, repräsentativer ist, wie eine landesgeschichtliche Arbeit die Politik des Kulmbacher Markgrafen Christian charakterisiert: »So flüchtete der Markgraf in eine Politik des zögernden Abwartens, der Passivität und Neutralität, welche sich selbst Grenzen zog ... Damit ging es also dem Markgrafen letzten Endes viel weniger um ... eine eindeutige Stellungnahme zu den politischen Gegebenheiten der Zeit, als vielmehr nur [!] um die Frage, wie man in einem schrecklichen Dilemma selbst am sichersten überlebe und sich behaupte. So wurden ihm die großen Probleme, um die Europa rang, mehr und mehr zu einer reinen Angelegenheit der Selbstverteidigung und Selbsterhaltung seines kleinen und recht unbedeutenden Territoriums«152 – »ein Weg des ängstlichen Lavierens«, »ein passives Treibenlassen«; wo nur war jene »klare Linie«, die dem modernen Rekonstrukteur eine spannende Geschichte in die Feder gab?153 Über den »stets vorsichtigen, oft übervorsichtigen« Neuburger Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm gossen landesgeschichtliche Arbeiten nicht minder ihren Spott aus, »leider waren Wort und Feder so ziemlich die einzigen Waffen, die er zu führen verstand« – »Stempel der Unentschlossenheit und Engherzigkeit«, »Politik des Zauderns, der Unbestimmtheit und übertriebenen Vorsicht ... zum Nachtheil seines Landes und zu seinem eigenen Schimpfe«. Auch Landeshistoriker schrieben lieber über wuchtige Tatmenschen, die unangenehm komplizierte neuburgische Neutralitätspolitik mußte »in dem Charakter des nicht unbegabten, aber des weiten Blicks und der Thatkraft entbehrenden Fürsten begründet« liegen.154 Neutralität kündet von psychischen Defekten. Kurz, die Neutralität ist in der Forschungsliteratur zum Dreißigjährigen Krieg unter- und fehlbelichtet. In den Akten dieser Jahre grassiert der Terminus. Ist das lediglich eine gleichsam statistische Beobachtung? Korrespondiert der offenkundigen Geläufigkeit des Begriffes reges Räsonnieren, dürfen wir uns über ein hohes Reflexionsniveau freuen? Wo die Aktenlage gut ist, durchaus. Ein zeitgenössischer Registrator attestierte – sicher nicht zeitgleich, aber wohl zeitnah – 152 Sticht, Markgraf Christian, S. 26f. 153 Ebda., S. 42 bzw. S. 58. 154 Die Zitate: Küch, Die Politik, S. 56, S. 70, S. 79, S. 136; ders., Tagebuch, S. 208f.

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einem bayerischen Faszikel mit Akten der Monate um die Jahreswende 1631/32: »In disem ganzen fasciculo wirdt durchgehendt von der neutralitet gehandlet: wirt underschidlich disputirt, obs muglich, rhätlich, und verantwortlich, dieselbe einzugehen, darunter sonderlich die grosse Not nach der Leipziger schlacht in consideration khumt.«155 In der Tat, das Faszikel ist voll von grüblerischen »considerationes« und »disputationes« zur Neutralität, bietet mehr Reflexionen rund um diese politische Option als alle mir bekannten Akten aus der Zeit des Schmalkaldischen und des Fürstenkriegs zusammen. Dabei handelt es sich nur um einen von verschiedenen materialreichen Beständen allein zu diesen Monaten, und in den anderen ist die Neutralität nicht etwa weniger zentral! Kurfürst Maximilian und seine Räte quälten sich wirklich mit dem Thema. Dabei sahen (oder beschworen) sie eine existentielle Notlage: Man brauchte in absehbarer Frist Europas Frieden und jetzt sofort die bayerische Neutralität, weil der Münchner Hof, »da der Kenig in Schweden preualiren solte, sambt der Catholischen religion zu grund gehe, ader aber156 da die Osterreichische die Oberhand erhielten, die Libertet desto mehr periclitiren«. Es war »Status militie periculosissimus«, der Feind übermächtig, »Caesar nos dereliquirt«, von der desolaten Liga war keine Unterstützung zu erhoffen beim immer schwierigeren Versuch, »religion et land und leuth zu erhalten«.157 »Niemand auf der weldt« werde helfen, hielt Maximilian damals von eigener Hand fest, allein die neutrale Option lasse noch hoffen, »bei Land und leutt zu verbleiben und dadurch auch die Catholische Religion darinnen zuerhaltten«. »Weil nunmehr die Catholische im Reich eintweder Land und Leutt gantz oder doch die mittl zur continuation des khriegs gentzlich ... entgangen, also bleibt Jhnen khein ander Hofnung zu widerlangung derselben Uberig, als dise Neutralitet«.158 Warum dann in einer so eindeutig gegebenen Notlage so viele Grübeleien, so quälende, wieder und wieder vermessene Skrupel159? Es war eben »Neutralitas

155 Anonyme Notiz: BayHStA Kasten schwarz 15021/5, fol. 49. 156 Sic! Maximilian an seinen Pariser Emissär Johann Kütner von Küniz (Maximilian schrieb durchgehend »Küttner«), 1632, Januar 29 (Entw.), ebda., fol. 115–129. Vom alarmistischen Grundton abgesehen, enthält der zitierte Satz die Essenz der bayerischen Reichspolitik: betonte Katholizität im Schulterschluß mit der Hofburg, die angestrengt hochgehaltene »teutsche Libertät« soll verhindern, daß daraus eine allzu vereinnahmende Umarmung wird. 157 Aufzeichnungen Richels über die Geheimratssitzung am 17. Dezember 1631 (mit Beteiligung Maximilians), hier: die Ausführungen des Kurfürsten zu den Zeitläuften – Kasten schwarz 15021/5, fol. 44–47. »Wan leüt Ruiniert und von Land vertrieben, wirdt darumb Khayser und ostereich nit salviert«: Von Maximilian zusammengestellte Liste von Gesichtspunkten »Pro Neutralitate«, Kasten schwarz 131, fol. 98f. 158 »Rationes Neutralitatis«, von Maximilians Hand, Kasten schwarz 131, fol. 97. 159 Natürlich ist auf die moraltheologischen und reichsrechtlichen Bedenken in den jeweiligen Kontexten noch einzugehen.

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vocabulum odiosum«160, noch immer! Stets aufs Neue redete der Herzog sich, redeten die Münchner einander ein, daß die Notlage so groß sei, daß man sich mit dem Rückgriff auf das eigentlich Odiose in diesem einen Fall nicht beschmutze. Maximilian war nun einmal »in terminis Impossibilitatis«, mußte »durch die Neutralitet bej dem uberrest des Seinigen bleiben«. Alle Instanzen wurden aufgeboten, von Gott im Himmel bis zum kleinen Untertanen: »Solle die Neutralitet ausgeschlagen werden, und hernach disem Land eintweder Sedes bellj zuewexen oder etwa da Gott vor sej etwa gar verlohren werden wurden nit allein die posteritet und successors sondern auch die Landstend und underthonen mir ubel vil lange Jar und der red nachfluechen, und vorgeben, dz ich die selbst angebottne mittel sie bej der Religion, Land Leütt, Hauß und Hoff zuerhalten nitt habe annemmen wollen sondern sambtlich muttwilliger weiß in verlust sezen, und umb dz Jrig bringen wellen«.161 Das Papier befindet sich im Archiv, Maximilian wollte, daß es die »successors« dort fanden, wollte seine tiefempfunden Skrupel dokumentiert sehen. Waren auch andere zermürbt bis fast zur Handlungsunfähigkeit? Maximilian führte vor seinen Räten das aus: Sein Oberbefehlshaber Tilly sei »ganz perplex, in consiliis irresolut ... concludirt nichts«, er bekenne, »daz er weder rath noch mitl weiss, habs Jhrer Chf. dl. selbst ad partem[?] gesagt. Ghott müess guden rath und mittel eingeben. Keiser hab kein midl ... die augen gehn ihm uber, wen er von disen sachen red«.162 Nein, leichten Herzens griff man in München damals nicht zur »odiosen« Neutralität, die Zeitläufte hatten indes »die Neutralitet selbs erzwungen«, »also die Neutralitet von sich selbs erfolgt«.163 Das immerhin war möglich, Neutralität konnte eine von der Staatsräson gebotene politische Option sein. Die internen Münchner Aufzeichnungen dieser Wochen dokumentieren insofern (und schon durch den aberdutzendfachen Wortgebrauch), wie geläufig das politische Konzept zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges gewesen ist – und wie suspekt. Übrigens ergeben Seitenblicke auf den zeitgleichen polnisch-schwedischen Krieg 160 »Cum legatis Gallicis actum. Dr. Jocher proponirt« (resümierende Notizen zu den Jocherschen Vorschlägen für einen Neutralitätsvertrag und den französischen Reaktionen darauf ): Kasten schwarz 15021/5, fol. 55f. 161 »Pro Neutralitate« überschriebene Notizen Maximilians, wie Anm. 157. 162 Zuletzt meint Maximilian wohl wieder sich selbst: Aufzeichnungen Richels, vgl. Anm. 157. 163 Der Kaiser hilft nicht, seine erfolglosen Truppen werden im Gegenteil zur Last, »und eben dise proceduren haben ohne zuthuen und willen d. assistierenden die Neutralitet selbs erzwungen, In deme den assistirenden, die mittel der Underhaltung, Ire Verfassung aus der Hand, mit gewaldt gerissen, Und dem bundt allein der blose Nam gelassen worden. dahero weil sie Ir Mt. nit mer helffen khunden sie wol numer mit layd und bedauern zuesehen miessen also die Neutralitet von sich selbs erfolgt«: die innere Erregung läßt jede grammatikalische Ordnung erzittern! »Rationes Neutralitatis« von Maximilians Hand, wie Anm. 158.

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der 1620er Jahre, daß auch dort häufig die »neutralitet« gesucht oder konzediert wurde.164 Politiker der Kriegsjahre seit 1618 brachten den Ausdruck »neutralitet« nicht immer gern, aber häufig über die Lippen. Es fiel sogar einem der damals führenden Schriftsteller auf: In Johann Rists dramatischer Dichtung »Das Friedewünschende Teutschland«165 bangt Mars, nachdem er Germania übel traktiert hat, um das Überleben der allzu geschundenen Frau, man müsse sich rasch nach einem »geschikten Feldscherer ummesehen« – er kenne da »einen trefflich erfahrnen Meister, Er ist von Gebuhrt ein Italiäner, der heisset Ratio Status«. Für Rist scheint sich der Mann mittlerweile auch gern in Frankreich aufzuhalten, jedenfalls läßt er ihn parlieren, es freue ihn, daß ihn Mars habe »commendiren« wollen, nun werde er »couragieuxer weise« ans Werk gehen und Frau Germania kurieren. Zunächst schlägt er der Patientin das »Emplastrum Ligae«, dann das »Emplastrum Unionis«166 vor, doch erklärt Teutschland, beide Wundpflaster habe es in der Vergangenheit schlecht vertragen. Daraufhin will ihm Ratio Status »das Emplastrum Neutralitatis zurichten«. Doch ist Teutschland nur zu bewußt, daß die Schutzwirkung dieses Heilmittels mehr als zweifelhaft ist: »Ja, daß es Gott erbarm! Solte Jch mich bei diesem Pflaster wol befinden? Die Neutralität ist mir bißweilen eine solche schädliche Salbe gewesen, daß sie mir auch manches schönes Glied an meinem ehemahls herrlichen Leibe auff das eusserste hat verderbet.« 3.1.2.4 Seitenblicke: der Erste Nordische Krieg Der erste Anstoß zu diesem Buch war Überraschung, wie schon die Vorrede bekannte: Sein Autor stieß in Akten des Dreißigjährigen Krieges in einer Frequenz auf den Terminus »neutralitet«, die ihn angesichts der höchst beiläufigen 164 Danzig erklärt sich für neutral: Volker Keller, Herzog Friedrich von Kurland (1569–1642). Verfassungs-, Nachfolge- und Neutralitätspolitik, Marburg 2005, S. 148. Königsberg wird von Gustav Adolf die Neutralität eingeräumt: vgl. zuletzt ebda., S. 160. Kurland bemüht sich jahrelang und nicht ohne Erfolge um seine »neutralitet«: ebda., S. 149–192 passim. Keller reiht fleißig und vollständig die einschlägigen diplomatischen Aktionen aneinander, fragt aber an keiner Stelle, was die so oft genannte »neutralitet« denn damals meinen konnte. Er wollte die kurländische Politik in ihrer zeitlichen Abfolge schildern (was ihm gelungen ist), nicht die Substanz der vormodernen Neutralität bestimmen oder die Gründe für ihre geringe Akzeptanz eruieren. 165 Zum Folgenden: Johann Rist, Das Friedewünschende Teutschland, In einem Schauspiele öffentlich vorgestellet und beschrieben ..., Neuausgabe [der erstmals 1647 veröffentlichten dramatischen Dichtung] von 1649, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. 2, hg. von Eberhard Mannack, Berlin/New York 1972, die Zitate: S. 167, S. 173, S. 175–177. 166 »... welches nur gahr ein weinig zusammen hält, und demnach nicht so gahr stark ist, als das vorige«: Rist kannte sich in Zeitgeschichte aus!

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Bemühungen der Geschichtswissenschaft um diese politische Option erstaunte. So durfte er auch jetzt in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts besonders ausführlich sein. Doch muß diese Studie natürlich in die Ära nach den europäischen Konfessionskriegen hineinreichen, wenn sie langfristigen Wandlungen bei den konzeptionellen und strukturellen Voraussetzungen der vormodernen Bellizität, in diesem Rahmen beispielsweise etwaigen Säkularisierungsvorgängen auf die Spur kommen will. Einige Seitenblicke werfen die folgenden Kapitel auf den Ersten Nordischen Krieg, auch wegen eines aufschlußreichen Neutralitätsvertrags vom November 1658 zwischen Kurbrandenburg und Holstein167, mehr noch, weil eine von vielen Facetten dieses multilateralen Konflikts der Jahre 1655 bis 1660 eine recht lebhafte publizistische Debatte ausgelöst hat, die ausdrücklich um die Nichtakzeptanz erklärter, sogar vertraglich bestätigter Neutralität kreiste: nämlich um die kurländische Neutralität im allgemeinen, insbesondere aber ihre spektakuläre Mißachtung durch Schweden im Herbst 1658. (Übrigens motiviert die Neutralitätstradition des kleinen kurländischen Herzogtums auch einige jener Seitenblicke auf den polnisch-schwedischen Krieg von 1621 bis 1629, die eben schon angekündigt wurden: Die Vormoderne hatte eben viele gute Gründe dafür, beim Stichwort »Neutralität« nicht gleich an die schweizerische Eidgenossenschaft zu denken.) Was aber hat sich in Mitau im Herbst 1658 ereignet? Während diese Studie beim Schmalkaldischen und beim Fürstenkrieg, beim großen dreißigjährigen wie beim Holländischen Krieg – zu diesem zeitlichen Schwerpunkt gleich mehr – hinreichende Faktenkenntnisse einfach voraussetzt, muß sie die (heute noch rekonstruierbaren168) Grundzüge der windungsreichen Episode vom Herbst 1658, ihrer begrenzten Bedeutung fürs Große und Ganze des Ersten Nordischen Kriegs unerachtet, kurz skizzieren. Denn was damals viele Flugschriften motiviert hat, ist heute ja vollkommen vergessen. Herzog Jakob von Kurland versteifte sich angesichts jener Verwicklungen, die wir heute manchmal als Ersten Nordischen Krieg rubrizieren, auf seine Neutralität, stützte sich hierbei auf ältere, vor Kriegsbeginn gesiegelte Schiftstücke: eine Neutralitätszusage der Königin von Schweden, einen Neutralitätsvertrag mit dem Zaren. Karl X. Gustav freilich fühlte sich durch das Versprechen seiner Vorgängerin wenig gebunden, je nach Kriegslage, also Bedarf pochte er auf offe167 Darauf geht gleich Kapitel C.3.1.3.3 ein. 168 Einige Angaben findet man (nach modernen wissenschaftlichen Maßstäben sehr unbefriedigend) bei Karl Wilhelm Cruse, Curland unter den Herzögen, Bd. 1, Mitau 1833, S. 156–171 passim. Viel mehr für uns interessante Einzelheiten bieten, natürlich vom jeweiligen Parteistandpunkt aus, die Flugschriften der Jahre 1658 bis 1660, manchen sind Quellenanhänge beigefügt. Ich habe zum Ersten Nordischen Krieg nicht archivalisch recherchiert.

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nen Anschluß oder doch verdeckte Gefälligkeiten; mal hieß es, die von Königin Christine akzeptierte Neutralität sei längst verwirkt, mal konnten ihr Wohlverhalten und logistische Hilfen, einmal auch die Zahlung von fünfzigtausend »Reichsthalern« doch wieder neues Leben einhauchen. Das blieb natürlich den anderen Konfliktparteien nicht gänzlich verborgen, auch Rußland drohte dem kurländischen Herzog, da er nicht wirklich neutral agiere, mit militärischer Okkupation, doch interessiert uns die schwedische Seite mehr. Im Frühjahr 1658 hieß es in Stockholm wieder einmal, die kurländische Neutralität sei allzu lästig, nicht mehr hinzunehmen, der schwedische Statthalter in Livland, ein Graf de la Gardie, erhielt Befehl, Herzog Jakob entweder zum Bundesgenossen oder aber zum Gefangenen zu machen. Der Kurländer blieb stur, woraufhin mehrere tausend Mann unter Generalfeldmarschall Robert Douglas in die Mitauer Gegend zogen. Angeblich sollten sie von Litauen nach Livland transferiert werden, und um den Herzog vollends einzulullen, stellte Douglas eine »Versicherung« aus, wonach es, natürlich gegen neue Gefälligkeiten, bei der vom Schwedenkönig »bisher gegönneten Neutralität, bis auff dero fernere ratification« verbleibe. Anschließend169 bat der Generalfeldmarschall darum, unmittelbar am Mitauer Schloß vorbei Kranke und Verwundete nach Riga verschiffen lassen zu dürfen. Für den herzoglichen Hof ganz unerwartet, legten die Schiffe an, die vermeintlich Siechen eilten quicklebendig zum nicht verteidigungsbereiten Schloß und verhafteten die herzogliche Familie. Statt der »Kranken« wurde Herzog Jakob nach Riga abtransportiert, wo er bis zum Frieden von Oliva in Haft blieb. Am 13. Juni 1660 trat er die Heimreise nach Mitau an. Das schwedische Bubenstück entfachte eine publizistische Debatte, die explizit die kurländische Neutralität, ihre Berechtigung oder Unzulässigkeit thematisierte: einige proschwedische und viele prokurländische Veröffentlichungen, unter letzteren evangelische wie sogar katholische, ferner solche, die mit dem kurländischen Herzog seine Neutralitätspolitik verteidigten und solche, die Neutralität an sich als unklug und verwerflich ablehnten, doch der Ansicht waren, der Herzog habe, wiewohl »nicht unschuldig«, eine so große »Plage« doch nicht verdient. Einige der folgenden Kapitel schöpfen auch aus diesen Flugschriften – sie sind zwanglos weder konfessioneller Pamphletistik noch gar der Staatsräsonliteratur subsumierbar, weshalb sie auch in den diesen Publikationsformen gewidmeten Kapiteln weiter oben keine Rolle spielten. Weder fromme Kampfschriften also haben wir vor uns noch politologische Studien, eher parteiische zeitgeschichtliche Arbeiten, sie gehen alle detailliert auf die Kriegsereignisse ein, 169 Cruse, Curland, Bd. 1, S. 165 datiert auf den 19. September, die zeitgenössische Publizistik überwiegend auf den 10. Oktober 1658. Wir müssen das hier nicht klären, uns interessieren nicht ereignisgeschichtliche Einzelheiten, interessiert der damalige Diskurs über die kurländische Neutralität.

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bieten oft lange Quellenanhänge. Diese wie ihre narrative Verarbeitung nutzte ich als Fundgruben für zeitgenössische Urteile der politischen Eliten über Neutralitätsverträge. Mit anderen Worten: wiewohl ich diese Arbeiten vielleicht auch im Zusammenhang der »Bewertung der Neutralität in Druckwerken« hätte würdigen können, tauchen sie doch vor allem in den Fußnoten der folgenden Kapitel auf – freilich nur gelegentlich, den Ersten Nordischen Krieg habe ich nicht fokussiert, will ich lediglich streifen. 3.1.2.5 Der Holländische Krieg In der Ära nach den Konfessionskriegen hielt, pointiert gesagt, nicht mehr der Glaubenszwiespalt, sondern die Ruhmsucht Ludwigs XIV. Europa in Atem. Aus vielen Gründen schien es mir wichtig zu sein, als gründlich (und auch archivalisch) recherchierten Schwerpunkt ›nach 1648‹170 einen der ludovizianischen Kriege auszuwählen; entschieden habe ich mich schließlich für den Holländischen Krieg. Die erfolgsverwöhnten französischen Diplomaten mußten damals die sie frustrierende Erfahrung machen, daß die Frankreich so gewogene Stimmung östlich des Rheins gekippt war. Ludwig ließ ja im Vorfeld des Holländischen Krieges mit erheblichem diplomatischem und finanziellem Aufwand im Reich um Bündnispartner gegen Holland werben – doch mit bezeichnend geringem Erfolg.171 Die meisten Reichsstände dachten nicht daran, sich militärisch einspannen zu lassen, typisch war vielmehr eine »neutrale Haltung«.172 170 Und das 18. Jahrhundert? Bekanntlich will diese Studie die politische Option Neutralität umkreisen, ehe sich diese zum Rechtstitel verdichtete und verfestigte, deshalb bedarf es keiner umständlichen Begründung, warum sie vor allem vom 16. und 17. Jahrhundert handelt. Daß sie in ihrem der »Praxis« gewidmeten Teil nicht trotzdem auch ins 18. Jahrhundert ausgreift (wie das ihre »publizistischen« Kapitel ja versuchen), liegt ausschließlich an der Machbarkeitsfrage, liegt am Rechercheaufwand. Neutralität war im letzten frühneuzeitlichen Jahrhundert ein so gängiges politisches Muster, daß sich beiläufig dazu nichts Taugliches sagen läßt. Man mustere nur einmal ausführliche diplomatiegeschichtliche Arbeiten zum 18. Jahrhundert nach »neutralen« Staaten und Neutralisationen! Zahlreiche Neutralitätsverträge, zahlreiche Versuche, sich in einem bestimmten Konflikt neutral herauszuhalten; habituelle Neutralität nicht nur kleinerer Staaten (wie Venedigs, Dänemarks, der Schweiz), sondern auch der größeren ›Absteiger‹ Spanien und Niederlande ... Instruktiv für die Geläufigkeit dieser Option an der Jahrhundertschwelle, erfreulicherweise mit einem eigenen Stichwort »Neutralität« im Register: Max Plassmann, Krieg und Defension am Oberrhein. Die Vorderen Reichskreise und Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden (1693–1706), Berlin 2000. 171 Der Fürstbischof von Münster, Bernhard von Galen, und der Kurkölner Max Heinrich gaben sich her, machten ihre Territorien zu Aufmarschgebieten und ließen dann anfangs auch kleinere eigene Truppenverbände mitkämpfen. 172 Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich 1648–1806, Bd. 1, Stuttgart 1993, S. 250. Auch »das Ziel der verunsicherten ehemaligen Mitglieder des Rheinbundes war die Neutralität«: ebda.,

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Sie wurde auch hundertfach so apostrophiert, man suchte das »remedium neutralitatis«173, wollte nicht »aus dem standt der neutralitet gesetzet« werden174, obwohl die Kriegsparteien die »verwehrung aller neutralität« 175 betrieben. Was uns schon im nächsten Kapitel beim Durchmustern von Neutralitätsverträgen wieder auffallen wird: Das gar nicht wortkarge Zeitalter putzte die Neutralität nun gern mit schmückenden Adjektiven, gar Adjektivkaskaden heraus, mindestens beteuerte man seine »fidèle neutralité«, seine »wahre neutralitet«, oder, sicher ist sicher, seine »wahre und auffrichtige neutralitet«, eleganter war für die wortreich parlierenden Zeitgenossen »une sincere, veritable et parfaite Neutralité«. Man konnte auf seiner »exacte et entière neutralité« herumreiten oder sich schon einmal bescheiden mit einer »limitirten neutralitet« zufriedengeben, betonte gern, sich einer ausgesprochen »favorablen neutralitet zu befleisen«. Nur eine Frage des Zeitgeschmacks, oder sagt solcher Wortreichtum auch etwas über den Bedeutungskern von Neutralité im ludovizianischen Zeitalter aus? Diese Frage muß unten Kapitel 3.2.3.1 noch einmal kurz aufgreifen. Weitere interessante Fragen liegen vielleicht näher: Mit welchen Argumenten traten die Reichsstände den gebieterischen Assistenzforderungen der damals stärksten Militärpotenz, nämlich Frankreichs entgegen, wie begründeten sie ihre dennoch aufrechterhaltene Neutralität? Wie begründeten einige von ihnen andererseits, daß sie, seit 1674, auch dem Reichskrieg gegen Frankreich »neutral« zuschauen wollten? Wurde Frankreich der Reichskrieg erklärt? Klaus Müller hat es 1973 bezweifelt – faktisch habe das Reich schon gegen Frankreich Krieg geführt, förmlich erklärt habe es ihm diesen Krieg aber nie.176 Doch wies Christoph Kampmann nach, daß es die Zeitgenossen anders gesehen haben. »Den entscheidenden Schritt«177, Frankreich förmlich zum Reichsfeind zu erklären, habe der Reichstag am 28.

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S. 249. Bayern, Mainz, Köln, Kurpfalz, zeitweise Kursachsen, vorübergehend Kurbrandenburg: mehrere Kurfürsten setzten in den Anfangsjahren durchgehend oder zu Zeiten auf die Neutralität, dazu die wichtigeren Reichsfürsten (Braunschweig, Württemberg, PfalzNeuburg, Hessen, von den geistlichen Reichsfürsten der Straßburger). »Continuatio Relationis« des nach Wien abgesandten kurpfälzischen Emissärs Johann Georg Geyer, undat. Kopie [ Januar 1676], BayHStA Kasten blau 102/4 (unfol.): war beim Kammerpräsidenten, dem Grafen von Sinzendorf – soso, die Kurpfalz wolle nun also das »remedium neutralitatis« ergreifen, aber das werde ihre Wunden nicht heilen. Pfalzgraf Philipp Wilhelm an den neuburgischen Vizekanzler Stratman, 1672, Dezember 6 (Entw.), BayHStA Kasten blau 7/21, fol. 86f. Ferdinand Maria von Bayern an seinen Reichstagsgesandten Delmuck, 1674, August 21 (Entw.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3407, fol. 307f. Vgl. Klaus Müller, Zur Reichskriegserklärung im 17. und 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 90 (1973), S. 246–259. Zustimmend Aretin, Das Alte Reich, Bd. 1, S. 261 mit Anm. 20. Christoph Kampmann, Reichstag und Reichskriegserklärung im Zeitalter Ludwigs XIV., in: Historisches Jahrbuch 113 (1993), S. 49.

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Mai 1674 unternommen, als er den Kaiser aufforderte, ein entsprechendes Avocatorialmandat zu erlassen.178 Das von Leopold I. »auff Ansuchen der gesambten Chur-Fürsten und Ständen deß Reichs zu Regenspurg versammleten Räthen, Botschafften und Gesandten« am 22. Juli publizierte Mandat ist für unser Thema interessant, denn im Zentrum179 steht dort das Verbot, sich ohne »Vorwissen und Genehmhaltung« des Kaisers »in einige Neutralität« einzulassen.180 Zu den wenigen Reichsfürsten 181, die sich weiterhin auf ihre Neutralität versteiften, gehörte Ferdinand Maria von Bayern. Natürlich spielte hierbei die Hoffnung aufs spanische Erbe eine Rolle, noch war dem Kaiser kein Sohn geboren. Die Münchner Neutralität wurzelte im auf diesen Erbfall zielenden bayerisch-französischen Vertrag vom 17. Februar 1670; aktuell absichern sollten sie (nach modernem Verständnis: parteiische) Subsidien- und Neutralitätsverträge mit Frankreich, der letzte dieser Verträge (vom 19. Juni 1674) datiert nach der ›Reichskriegserklärung‹ vom 28. Mai 1674.182 Die Münchner verließen ihren Neutralitätskurs auch nicht, als der Reichstag am 18. Juli 1675 ferner Schweden 178 Präziser: ein bereits im September 1673 erlassenes Avocatorialmandat, in dem Reichsangehörigen jeder weitere Waffendienst für Frankreich untersagt wurde, »erneut und mit größerem Nachdruck zu publizieren« (ebda., S. 50). – Es könnte irritieren, daß Kampmann einerseits erklärt, schon dieses erste Avocatorialmandat sei nach zeitgenössischer Rechtsauffassung als »formale Feind- bzw. Kriegserklärung zu betrachten«, um eine Seite danach das zweite Mandat, vom Frühjahr 1674, als ›eigentliche‹ Kriegserklärung zu interpretieren, doch müssen wir das hier nicht vertiefen. – Kampmann zustimmend zuletzt Schultheiß-Heinz, Publizistik, S. 220. 179 Daß die Strafandrohung für Neutralität im Zentrum der Wiener Beratungen über das Mandat stand, zeigt Müller, Reichskriegserklärung, S. 253. Ich erwähne noch diese Einschätzung bei Kampmann, Reichskriegserklärung, S. 50 Anm. 39: »Die Strafandrohung gegen Neutrale muß zweifellos als praktisch-politisch einschneidendste Sanktionsbestimmung des Avocatorialmandats ... betrachtet werden«. 180 »Fernerweithes Kayserl. Allergnädigstes Mandatum Avocatorium. De Dato 22. Julii, 1674«, BayHStA Kasten blau 79/4, fol. 438. Abdr.: Michael Kaspar Londorp (Hg.), Der Römischen Kayserlichen Majestät und des Heili­gen Römischen Reichs ... Acta publica ..., Bd. 10, Frankfurt 1687, Nr. 112. – Eine Kopie des »Conclusums« der beiden oberen Kurien in Sachen »avocatoria« liegt beispielsweise in BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3406, fol. 439f. 181 Auch Johann Friedrich von Hannover verweigerte dem Kaiser jegliche Hilfe, ferner stellte (immerhin!) der Erzkanzler keine Kontingente zur Reichsarmee. – In der Spätphase des Krieges kamen dann auch wieder neue Neutralitätsprojekte auf, so die uns in verschiedenen Zusammenhängen noch näher interessierende Idee einer oberrheinischen Neutralitätszone, einer »local neutralitet« entweder nur der Rheinpfalz oder aber des »obern Rheins«, eventuell unter Einbeziehung des Elsaß, auch des Schwäbischen, gar Fränkischen Kreises. Es gilt hier wie stets: Diese Studie interessieren Argumente und Sprachregelungen, keine ereignisgeschichtlichen Einzelheiten. 182 Die ereignisgeschichtlichen Abfolgen sind recht gut aufgearbeitet (deutlich besser als für die meisten anderen damaligen Neutralen, etwa Pfalz-Neuburg): vgl. schon M[ax] Doeberl, Bayern und Frankreich. Vornehmlich unter Kurfürst Ferdinand Maria, Bd. 1, München

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den Reichskrieg erklärte.183 Während der Pfalzgraf von Neuburg, vordem »ein neutraler reichs fürst«184, nun ins kaiserliche Lager überschwenkte, blieb Bayern im Sommer 1675 und die ganzen weiteren Kriegsjahre hindurch dezidiert »neutral«. Anders als an vielen zuzeiten – und zumal anfangs – erklärt »neutralen« Höfen, war die Aufrechterhaltung der Neutralität in München durch alle Kriegsjahre hindurch oberste Maxime der Außenpolitik, weshalb sie diese Studie beleuchten muß. Wie hat die Regierung des Reichsterritoriums Bayern, nachdem die erste Bestürzung über die Reichskriegserklärung verflogen war 185, die Fortsetzung des Neutralitätskurses argumentativ abgestützt? Was konnte man salbungsvollen Appellen, sich das Schicksal der von französischen Truppen bedrängten westlichen Reichsterritorien »zu Patriotischem gemüth« zu führen186, entgegensetzen? Und spielen moraltheologische Erwägungen in den einschlägigen Briefwechseln noch eine Rolle?

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1900; sowie zuletzt Ludwig Hüttl, Caspar von Schmid (1622–1693), ein kurbayerischer Staatsmann aus dem Zeitalter Ludwigs XIV., München 1971. Auf diese Kriegsfront wird die vorliegende Studie hin und wieder auch blicken, im Vordergrund steht aber das Konfliktdreieck Frankreich-Holland-Reich. So die Statusbestimmung in der Relation des neuburgischen Emissärs Johann Ferdinand von Yrsch aus Wien, 1673, Dezember 28 (Or.), BayHStA Kasten blau 79/4, fol. 29–36; »ein neutraler und teutscher Reichs fürst«: dass. vom 7. Januar 1674 (Or.), ebda., fol. 41/43. Die Reichstagsberatungen einerseits, die Münchner Reaktionen andererseits lassen sich sehr genau in BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv, Tomi 3404 bis 3407 verfolgen. Wiewohl sich alles in gründlicher, also zeitraubender Reichstagsroutine hinzog (mit anderen Worten: wiewohl sich die Schlinge langsam über den Münchnern zusammenzog), war Ferdinand Maria doch monatelang völlig perplex – er lebte politisch in einer anderen Welt. Noch über ein Vierteljahr nach der Reichskriegserklärung lesen wir Kommentare wie diese: Lassen sich denn alle »irre machen«? »Sehen wür eben nichts anders, als das mann ohne einige yberlegung gleich auff daz hinaus gehet, wohin die Spanische Consilia abzihlen«; oder: wie ist nur zu verstehen, daß sich in Regensburg »fast niemandt etwaß rechts zusagen getrawet«? Die Zitate: Schreiben des Kurfürsten an seinen Reichstagsgesandten Delmuck, 1674, Sept. 4 bzw. Sept. 7 (Entww.), Äußeres Archiv 3407, fol. 397f. bzw. fol. 413. Kaiserliches Kommissionsdekret vom 10. März 1674 (Kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3405, fol. 402–405. – Die Zentralbegriffe der bayerischen Voten am Reichstag lauteten auf »güte« und »neutralitet«, doch waren Bayern und Köln mit ihrem »weeg der güte« nahezu isoliert – allenfalls noch die Bremischen (Schweden!) und die Hannoverschen waren ansprechbar. Nachdem die Kurpfälzer »avocatoria« angeregt hatten, wonach gegen alle, die den jüngsten (antifranzösischen) Reichsschlüssen »khein genügen thun«, »nach inhalt der Reichs Constitutionen verfahren werden sollte« – das »Conclusum« der beiden oberen Kurien vom 28. Mai wird die Folge sein –, hat im Fürstenrat »niemandt das geringiste movirt, ohne bedenckhen denen Conclusis eingerukht«: Relation Delmucks vom 28. Mai 1674 (Or.), Äußeres Archiv 3406, fol. 409–413. Auch die »hiebevor« vernünftigen Stände wollten nun, so Delmuck, »die Österreichische consilia schier ohne underscheidt secundirn«, so daß »alles gleichsamb nach belieben ... hinaus getruckt werde«: Relation vom 10. September (Or.), ebda., fol. 466f.

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Allgemeiner gefragt: Was ist anders als in der Ära der Konfessionskriege, welche Muster haben sie überdauert? Wir konnten bereits der regen Begleitpublizistik zum Holländischen Krieg ablesen, daß sich der Diskurs über die Neutralität säkularisiert hat. Wurde deshalb ihre Akzeptanz größer? Die Frage läßt sich nicht en passant beantworten, doch werfen wir schon einmal ein erstes Schlaglicht darauf ! Im Januar 1676 stellte der kurpfälzische Emissär Johann Georg Geyer »Notamina« zu den Vorwürfen zusammen, mit denen er an der Hofburg wegen gerade aktueller Heidelberger Überlegungen hinsichtlich einer südwestdeutschen Neutralitätszone konfrontiert wurde. Zu den Wiener Vorhaltungen gehörte die (wie wir noch sehen werden: topische) Wendung, Neutralität sei eine »unglückseelige Straße« – dazu der pfälzische Gesandte: »Regulariter und den gemeinen schlag nach der Neutralitet, nicht aber wie es Chur Pfalz vorgeschlagen«. Neutralität lohne nie, so die Wiener, ziehe immer üble Folgen nach sich – »dieses seind die früchte der ordinari ohne fug und noth selbst vor sich nehmender neutralitet, wordurch man Seine schuldigkeit außer aug sezt«, kommentierte Geyer, die jetzt in Heidelberg gesuchte aber fließe »aus hochst tringender noth«. Sodann hielt man Geyer vor, Neutralität sei nicht mit verschiedenen Reichsschlüssen vereinbar. Auch das leuchtete unserem Emissär grundsätzlich völlig ein: »Wohl die gemeine neutraliteten, so auf trennung angesehen, nicht aber diese extraordinarie in casu necessitatis«.187 Da sah sich einer gedrängt, eine momentan für unumgänglich gehaltene Neutralität zu verteidigen, aber für suspekt hielt er diese Option allemal. Doch begegnen keine theologischen Erwägungen. Ein Schlaglicht! Wir müssen die Akzeptanzfrage noch gründlicher angehen. Das gilt auch für die neben diesem zentralen Anliegen meiner Studie immerhin wichtigen Gesichtspunkte, etwa die Frage nach der Festigkeit und Konsistenz der Begriffsfüllung, nach einem stabilen Bedeutungskern. Wir werden sehen, daß vertraglich nicht fixierte Neutralität nach wie vor einen ganz unklaren Begriffsinhalt hatte, beispielsweise im Hinblick auf Durchmarschrechte; Verträge aber changieren weiterhin zwischen Beistandspakt und Neutralitätszusage, oder es gibt ein interessantes Spannungsverhältnis zwischen ihren ostensiblen und den geheimen Teilen. Es existierten feine Abstufungen verschieden schattierter Neutralitäten, von »Impartialität« über »neutralité favorable« hin zur »neutralité avantageuse«, aber man fand es auch nicht merkwürdig, sich seine »entière et exacte neutralité« mit Subsidien entlohnen zu lassen und dem Bezahlenden einseitig die Passage einräumen. Machten die Bekräftigung des »ius territorii et superioritatis« 187 »Notamina«, s. d. [wohl Januar 1676], BayHStA Kasten blau 102/4 (unfol.). In Heidelberg teilte man die im Grundsatz sehr skeptische Einschätzung der Neutralität durch Geyer. »Notata« für weitere Konferenzen mit den kaiserlichen »Ministris«, ebda.: Warum hat die Hofburg denn die »alte Neutralisten« so gnädig davonkommen lassen, »da man sich ihrer noch zu nutz machen können, und an statt sie zu ruiniren [!], ihre freunde«, also die Parteigänger des Kaisers, »ruiniert«?

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und die Bestätigung des reichsständischen Ius pacis ac belli im Instrumentum Pacis Osnabrugense fürstliche Neutralität unanfechtbarer? Natürlich ist auch das Spannungsverhältnis zwischen Reichs- und Lehnrecht sowie Neutralität gerade im Holländischen Krieg eine Analyse wert. 3.1.3 Einige Beobachtungen im näheren Umfeld von Neutralitätsverträgen 3.1.3.1 »Gratia indulsimus«: kein abrufbares Recht, sondern Gnadenerweis Warum wurde die politische Option Neutralität in der Vormoderne unzählige Male schriftlich fixiert? Verträge wie einseitige Zusagen sprechen offen aus, daß sie kein Recht auf Neutralität kennen, diese Neutralität wird gnädig gewährt: »Neutralitatem perpetuam, sequentibus tamen conditionibus sancte observandis, pro Nobis, Successoribusque Nostris, ex singulari nostra Regia gratia indulsimus«.188 Doch sollten wir der Frage, warum die damaligen Akteure offensichtlich in manchen Fällen der Ansicht waren, die Neutralität müsse schriftlich abgesichert werden, nicht zuvörderst in den entsprechenden Narrationes nachgehen: Wir verstehen sie nämlich besser, wenn wir weiter unten Neutralitätserklärungen ohne vertragliche Absicherung analysiert haben. Verhaltenserwartungen hatten sich einfach noch nicht so zu völkerrechtlichen Normen verdichtet, daß man sich auf ihre Einhaltung einigermaßen verlassen konnte und daß, wer dagegen verstieß, die öffentliche Meinung des schreibenden und lesenden Europa gegen sich hatte. Sodann war die neutrale Option eben wenig ehrfurchtgebietend: nicht rechtlich, aber auch nicht moralisch bewehrt. Solang selbst der Neutrale lamentierte, daß ihn »alle welt ... vor eine feige memme halten« müsse (»besser in ehren gestorben als in schanden gelebt«), lag es manchmal nahe, sich die Ak188 Schriftliche Neutralitätszusage der schwedischen Königin Christine fürs Herzogtum Kurland, zit. nach [anonym], Schwedische Trew und Glaube, Oder Außführliche Deduction mit angehengten warhafften Documentis ..., o. O. 1660, Quellenanhang A. – Die um diese Neutralitätszusage bzw. ihre spektakuläre Mißachtung im Herbst 1658 kreisenden Flugschriften sind sich, ob proschwedisch, ob prokurländisch, darin einig, daß Herzog Jakob kein situationsunabhängiges Recht auf Neutralität besaß, sondern Stockholm um diese gebeten hatte: Er hatte Königin Christine »angesucht, vnd dieselbe [Neutralität] erhalten«, hatte »umb die Neutralität auff künfftige besorgende Fälle anhalten« lassen. Die Zitate: [anonym], Ursachen Wodurch eigentlich die Königl. Mayst. zu Schweden bewogen worden, den Hertzog von Churland auß seinem Fürstenthumb hinweg, in Verwahrung zu ziehen, o. O. o. J. [1658], fol. Aiiij bzw. [anonym], Wiederlegung Der von Schwedischer Seiten außgestreueten Vrsachen, Wodurch eigentlich die Königl. Maytt. zu Schweden bewogen worden, den Hertzog in Churland aus seinem Fürstenthumb hinweg, in Verwahrung zubringen ..., o. O. 1660, fol. Aij.

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zeptanz dieses suspekten, moralisch minderwertigen Verhaltens durch allerlei Gefälligkeiten an einen Vertragspartner gleichsam zu erkaufen und den Kaufpreis schriftlich zu fixieren. Die bloße Beteuerung, sich heraushalten zu wollen, brauchte niemanden zu beeindrucken, weil sie moralisch disqualifizierte. Was hier gleichsam im Vorgriff flüchtig skizziert wurde, werden wir wie gesagt besser verstehen, wenn wir die Akzeptanz von nicht oder nur phasenweise vertraglich flankierten Neutralitätserklärungen untersucht haben. So verweist uns schon die erste Annäherung an Neutralitätsverträge auf das eigentlich interessantere Thema einseitiger Neutralitätserklärungen. Was sollen dieser Studie Neutralitätsverträge? Den Katalog der in den älteren Monographien paraphrasierten Pakte will sie nicht verlängern. Auf die dort aneinandergereihten Kurzparaphrasen von Vertragstexten – der Leser kennt sie irgendwann alle, die Autoren lasen einander ebenfalls – will diese Studie überhaupt nicht weiter eingehen. Solche grob skizzierende Inhaltsangaben helfen einer Arbeit, die vor allem Sprachregelungen interessieren, gar nicht so häufig weiter. Aber natürlich stieß ich, Neutralitätserklärungen auf der Spur, auch immer wieder selbst auf Neutralitätsverträge, sei es in Archiven, Quellensammlungen oder Untersuchungen zu den in dieser Studie fokussierten Kriegen. Warum sie nicht wenigstens einmal ansatzweise systematisieren? Das Frageraster gaben freilich meine Bemühungen um Neutralitätserklärungen vor. Was Sachverhalte von einer anderen Seite beleuchtet, auf die wir bei den Neutralitätserklärungen wieder stoßen werden, worauf wir dort also hilfreich zurückgreifen können: das und nur solches soll uns im Folgenden interessieren. Also interessiert uns das Problem der Erwartungsverläßlichkeit – Neutralitätsverträge sagen manchmal selbst von sich, sie reichten hierfür nicht aus; interessiert uns, daß solche Verträge keine Äquidistanz des Neutralen vorsehen, sondern seine einseitig dem Vertragspartner geschuldeten Begünstigungen festlegen189, also Art und Ausmaß der Parteilichkeit umreißen; interessiert uns schließlich (und eng damit zusammenhängend), daß die ad-hoc-Vereinbarungen über die Modalitäten, sozusagen über das Kleingedruckte, je und je wieder anders und abhängig von den momentanen Machtverhältnissen auszuhandeln waren.190 Nur das Kleingedruckte? Nein, sogar die Überschrift war wieder und wieder erst mit Leben zu füllen, diese Verträge leisteten Begriffsarbeit, zirkelten stets aufs Neue ihre Neutralité, wobei die Definitionshoheit in der historischen Praxis ziemlich regelmäßig nicht bei demjenigen lag, der zur Neutralität Zuflucht nehmen zu müssen glaubte. Die Neutralität 189 Das 19. Jahrhundert hätte als »wohlwollende Neutralität« etikettiert, das 20. als »Nichtkriegführung«. 190 Es gab also keinen feststehenden, angeblich »der Natur« ablesbaren und/oder gewohnheitsrechtlich verankerten Begriffsumfang.

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dieser Verträge war, um es pointiert zusammenzufassen, kein abrufbares Recht, sondern großzügig von einer Konfliktpartei gewährte Gnade. 3.1.3.2 Zum Beispiel: die »rudes conditions« des Schwedenkönigs Gustav Adolf In allen soeben angesprochenen Hinsichten aufschlußreich sind die von Frankreich initiierten Verhandlungen über einen schwedisch-ligistischen Neutralitätspakt im Winter 1631/32. Den längst dem Arcanbereich der Verhandlungsakten entrissenen, mehrfach ausführlich ausgebreiteten Daten und Fakten ist nichts mehr hinzuzufügen. Die Verhandlungen um diesen nie gesiegelten Vertrag wurden wiederholt geschildert, wenn auch jedesmal aus der Warte eines einzelnen der Hauptakteure (Frankreich, Schweden, Bayern) und ohne diese Ereignisse in eine Problemgeschichte der vormodernen Neutralität einzubetten. Während des Dreißigjährigen Krieges wurden eine Reihe von Neutralitätsverträgen vereinbart191, aber nie zwischen der Liga und Schweden. Woran sind die damaligen Verhandlungen gescheitert? Stecken wir zunächst kurz ihren weiteren Rahmen ab! Richelieu versuchte die katholische Liga jahrelang zu neutralisieren, vor allem aus zwei Gründen: weil die Kräfte des schwedischen Verbündeten, der Konfrontation mit den katholischen Reichsfürsten enthoben, konzentriert den traditionellen Erzfeind Habsburg treffen sollten; und weil sich derart besser vertuschen ließ, daß es Frankreich aus machtpolitischem Kalkül in einem Konfessionskrieg mit der falschen Seite hielt – »ce principe de la neutralité, ... c’est le seul moyen d’éviter une guerre de religion«.192 Daß es in diesem 191 Einige Beispiele: Neutralitätsvertrag zwischen Schweden und dem Administrator der (Erz) stifte Bremen und Verden – offenbar 1636 in Stade unterzeichnet: Johann Gottfried von Meiern (Hg.), Acta pacis Westphalicae publica oder West­phälische Friedens-Handlungen und Geschichte, Bd. 2, Hannover 1734, § XXIV Subadj. A. Neutralitätsvertrag zwischen Schweden und Kurbrandenburg vom 24. Juli 1641: M. Koch, Geschichte des deutschen Reiches unter der Regierung Ferdinands III., Bd. 1, Wien 1865, S. 341. Eine Konvention vom 29. November 1631 zwischen Gustav Adolf und Landgraf Georg von Hessen-Darmstadt räumte letzterem vorläufig, für die Dauer von angeblich bevorstehenden Friedensverhandlungen, die Neutralität ein: vgl. Kretzschmar, Heilbronner Bund, Bd. 1, S. 71 mit Anm. 2 und S. 403 Anm. 1; vertragsähnlich: die Neutralität des Landgrafen, die nach zähen Verhandlungen an einem Bundestag der Heilbronner der Frankfurter Abschied vom 23. September 1633 festhielt – vgl. Kretzschmar, Heilbronner Bund, Bd. 1, S. 458 sowie zuletzt Stefan Zizelmann, Um Land und Konfession. Die Außen- und Reichspolitik Württembergs (1628–1638), Frankfurt u. a. 2002, S. 221. Die eine wohlwollende Neutralität zwischen dem Kaiser und Braunschweig-Lüneburg festschreibenden Verträge vom Januar/April 1642: Koch, Regierung Ferdinands III., Bd. 1, S. 339f. Zur vertraglichen Neutralisierung Königsbergs 1627 (polnisch-schwedischer Krieg): Droysen, Gustav Adolf, Bd. 1, S. 304. 192 Memorandum Pater Josephs zur deutschlandpolitischen Strategie Frankreichs, wohl vom November 1633: Fagniez, Le Père Joseph, S. 146–151, hier S. 147. Das Memorandum be-

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Krieg um die Rettung der Libertät der deutschen Fürsten vor dem machtgierigen habsburgischen Kaiserhaus gehe, war wenig glaubhaft, solang Schweden mit französischen Subsidien einen Teil dieser Fürsten militärisch bekämpfte. Immer wieder versuchte Paris deshalb, Verhandlungen zwischen dem bayerischen Oberhaupt der Liga, Maximilian von Bayern, und Gustav Adolf bzw., nach seinem Tod, dem Heilbronner Bund in Gang zu bringen. Schon der Vertrag von Bärwalde im Januar 1631 sah die Neutralität der Liga vor193, entsprechende Vorstöße und Sondierungen erstreckten sich fast bis zum aktiven Kriegseintritt Frankreichs vier Jahre danach. Am konkretesten wurden diese Projekte in den Monaten nach dem katholischen Fiasko bei Breitenfeld im September 1631. Viele Ligastände dachten in diesen Monaten über eine Neutralität nicht nur an der holländischen Kriegsfront (wo man sie ja bekanntlich traditionell suchte), sondern auch gegenüber den Schwedischen nach, nicht zuletzt, ob für sich oder alle Verbündeten, der Bayernherzog. Den Briefboten gab damals Hercule de Charnacé: französische Vermittlung also, es waren französische Garantien vorgesehen. Die Instruktion, die Ludwig XIII. am 27. Oktober 1631 seinem Emissär mit auf den Weg an die Isar gab, läßt die beiden Hauptziele der französischen Diplomatie klar erkennen: Man müsse versuchen »de reduire les choses à ce point, que le Roy de Suède tourne ses forces sur les estats et terres hereditaires de l’Empereur, pour arrester le cours de la violence de la maison d’Autriche«, und: »La neutralité sera consideré par les Catholiques et les Protestans comme le principal instrument de la conservation de leur liberté«.194 Dieser Krieg hatte aus Pariser Sicht für die »liberté«, für die teutsche Libertät geführt zu werden, nicht für konfessionelle Besitzstände – kein Konfessionskrieg also, Freiheitskampf gegen habsburgische Bedrückung! Am 24. Dezember präsentierte der Bayernherzog Charnacé einen recht allgemein gehaltenen Vertragsentwurf.195 Er sah vor, daß Schweden die besetzten kathoginnt mit diesem offenbar nicht satirisch gemeinten Appell: »Évitons, au nom de Dieu, une guerre de religion«! Weil uns weiter oben auch schon der Gleichgewichtsgedanke interessierte, will ich noch diese Behauptung zitieren: »il«, nämlich der Franzosenkönig, »ne tend qu’à maintenir l’équilibre en Europe« (ebda., S. 149). 193 Im Mittelpunkt standen bekanntlich französische Subsidien für die schwedische Kriegführung, doch bestimmt Artikel 8, daß Bayern und seine ligistischen Verbündeten für Neutrale gehalten würden, so auch sie selbst sich neutral verhielten. Frankreich werde, gegen eine entsprechende bayerische Gegenversicherung, diese Neutralität garantieren. 194 Zit. nach Dieter Albrecht, Die Auswärtige Politik Maximilians von Bayern 1618–1635, Göttingen 1962, S. 322f. 195 »Documentum Neutralitatis«, BayHStA Kasten schwarz 15021/5, fol. 63f., der knappe Text setzt so ein: Frankreich hat zwischen Schweden und der Liga ein Abkommen »de amicitia et Neutralitate« [!] vorgeschlagen, auf daß »facilius ad Pacem Universalem in Imperio« zu gelangen ist ... Die ältere Forschung geht auf den Inhalt durchgehend kurz ein, so zuletzt Albrecht, Auswärtige Politik, S. 330f.

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lischen Regionen restituierte, kein Ligagebiet mehr angriff, natürlich bestand Maximilian auf einer expliziten Sicherung seines frischerworbenen, politisch und rechtlich anfechtbaren196 Kurhuts und der Kurlande. Am 30. Dezember legte Charnacé den Vertragsentwurf in Mainz Gustav Adolf vor, der rundweg ablehnte. Der schwedische Gegenentwurf vom 19. Januar 1632 197 beinhaltete unter anderem den Abzug der Ligatruppen aus allen evangelischen Gebieten. Was den Protestanten »in inferiori Saxonia« seit 1618 weggenommen worden war, sei zu restituieren. Die Liga habe ziemlich weitgehend abzurüsten und jegliche Hilfen für den Kaiser oder andere Feinde Schwedens zu unterlassen. Im Gegenzug würden Gustav Adolf und seine Verbündeten kein noch nicht besetztes Ligagebiet angreifen, außer dem Fürstbischof von Bamberg auch keinem Ligisten »onera bellica« auferlegen, vielmehr auf »sinceram Neutralitatem« achten. Der König von Frankreich habe für die Einhaltung der Neutralität von Seiten der Liga zu garantieren. Charnacé und sein Kollege Brézé übermittelten, erneut contra spem, diesen Vertragsentwurf nach München, wo ihn Maximilian unverzüglich zurückwies. Damit war der Versuch einer Neutralisierung der Liga gescheitert. Soweit die äußeren Abläufe. Warum nun sind die Verhandlungen gescheitert, ehe sie überhaupt recht in Gang gekommen waren? Allgemein gesagt, weil die jeweiligen Vertragsentwürfe inkompatibel waren und weil zudem beide Seiten nicht davon überzeugt waren, daß sich der potentielle Vertragspartner, so er doch unterschriebe, hinterher auch tatsächlich daran gebunden fühlen würde. Von den ersten diplomatischen Kontakten bis zum bitteren Ende beherrschte gegenseitiges Mißtrauen das Feld. Erteilen wir einem Kenner der schwedischen Verhandlungsakten, dem jüngeren Droysen das Wort: »Gustaf Adolf gab dem Franzosen«, also Charnacé, »zur Antwort, daß er nicht abgeneigt sei, auf die Neutralität einzugehen; allein er müsse Sicherheit haben und diese müsse darin bestehen, daß die Ligisten ... ihre Truppen abdankten und sie, um allen Argwohn zu vermeiden, dem Könige von Frankreich gegen Spanien zur Verfügung stellten«! Das war nichts anderes als die Forderung nach offener Parteinahme 196 Vgl. zu Umständen und Problematik der Kurtranslation von 1623 Gotthard, Säulen des Reiches, Bd. 1, S. 100–112; sowie zur fortan zentralen Bedeutung dieser frischerrungenen Trophäe für Maximilians Politik Gotthard, Maximilian und das Reich. 197 Zum Folgenden: »Neutralitet manutenirungs conditiones« Gustav Adolfs, ich zitiere nach dem zeitnahen Abdruck in einer wohl verbreiteten Flugschrift, auf die ich in der UB Halle und in der ThULB Jena stieß: [anonym], Warhaffte vnd eigentliche Beschreibung, Welcher gestalt ... Der Königlichen Majestät in Schweden ... Gustavi Adolphi ... General ... am 11. Februarii ... 1632. Jahres die ... Festung und Stadt Göttingen mit stürmender Hand ... eingenommen hatt ..., o. O. 1632. Die recht zahlreichen späteren Drucke bis hin zu Hermann Hallwich sind stark ›modernisiert‹. Handschriftliche Kopie: BayHStA Kasten schwarz 15021/5, fol. 159f.

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und Neutralität zugleich, aber hier soll uns noch nicht das Verhältnis zwischen vormoderner Neutralität und Äquidistanz interessieren, sondern das grundsätzliche Mißtrauen sogar vertraglich begründeter Neutralität gegenüber. Es waren Forderungen, »welche, wie der sächsische Gesandte sich ausdrückt, zeigten, daß der König ›sich mit der Neutralität nicht begnügen, sondern Freund oder Feind von ihnen haben wollte, da sie unter dem Schein der Neutralität doch nicht unterlassen würden, dem Feinde allerlei Vorschub zu thun‹«.198 Hermann Weber, ein Kenner der französischen Verhandlungsakten, betont, daß Paris, weil anders eine Garantie der ligistischen Neutralität nicht möglich sei, auf der flankierenden Auslieferung einiger ligistischer Schlüsselstellungen in den rheinischen Erzstiften an die französische Krone bestanden habe.199 Gustav Adolf rückte dann zwar von seiner Forderung nach der völligen Entmilitarisierung der Liga ab, bestand aber auf einschneidenden einseitigen Abrüstungsmaßnahmen, »es sei gegen alle Vernunft, so zweifelhafte Freunde bewaffnet hinter sich zu lassen«.200 Die schwedischen »conditiones« vom 19. Januar sahen eine Reduzierung der Ligatruppen auf zehn- oder zwölftausend Mann vor, zudem sei das Heer zu dislozieren: »per Civitates et ditiones proprias dictorum Principum«, also der Ligastände, »hinc inde distribuatur, nec sub corpore201 aliquo contineatur«. Und es blieb dabei, daß Frankreich die Einhaltung der Neutralität »majoris securitatis« wegen zu gewährleisten202 hatte: Der Neutralitätsvertrag allein also schuf in schwedischen Augen keinesfalls »securitas«! Gustav Droysen entnahm den schwedischen Akten, daß Gustav Adolf »von Anfang an nicht geringen Argwohn gegen die Aufrichtigkeit der ligistischen und insbesondere der bayerischen Neutralitätswünsche gehabt« habe.203 Was sagen uns die Müncher Akten? Unter den »Rationes Contra«, die der Kurfürst am 17. Dezember 1631 seinen Räten vortrug, befand sich diese: »Sueci diffidentia

198 Droysen, Gustav Adolf, Bd. 2, S. 482f. 199 Vgl. Hermann Weber, Frankreich, Kurtrier, der Rhein und das Reich 1623–1635, Bonn 1969, S. 158. 200 Droysen, Gustav Adolf, Bd. 2, S. 484. 201 Sie durften demnach nicht als ein geschlossener Truppenkörper beisammen bleiben, nicht als »corpus«. So richtig in der Warhafften vnd eigentlichen Beschreibung – also nicht »sub corpere«, wie Hermann Hallwich, Briefe und Akten zur Geschichte Wallensteins (1630– 1634), Bd. 2, Wien 1912, Nr. 615 schreibt. 202 Eigentlich: feierlich zu versprechen hatte. »Majoris securitatis erga Christianissimus Galliarum Rex spondebit Ducem Bavariae et ei consociatos Catholicos Germaniae Principes, Status et Civitates Neutralitatem hanc in omnibus suis articulis sanctè observaturos, si verò contràvenerint, tunc se pro R. Mte. Sveciae staturum, et in violaturos [wie so vieles bei Hallwich verschrieben!] omnibus viribus arma moturum, eosque ad satisfactionem compulsurum.« 203 Droysen, Gustav Adolf, Bd. 2, S. 493.

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et perfidia«.204 »Wirdt Schweden sein zusagen nit haltten«.205 Konnte man sich dann wenigstens der Rückendeckung des Promotors dieser Neutralität, der Pariser Regierung sicher sein? Sicher war für Wilhelm Jocher, einen der maßgeblichen Berater des Bayernherzogs, nur eines: daß man sich auf keinen Mitspieler verlassen konnte. »Chur Baiern hat es nit ausschlagen wöllen zu dem end, wan Suec. nit zuhelt, das alsdann Gallus impegniert206, den Schweden als seinen offnen feind muos angreiffen ... Im fahl aber wider mündtliche schrifftliche widerholte contestationes und verspruch francia nit zuhalten wolt: So hat francia den ubrigen schandt fleckh ruinae Imperii Catholici, Chur Bayern muos es Gott bevelhen, wan man wider glaub trauen Sigl und brief handlet.« Wenn alles »nicht gehalten sol werden«, so die Jocherschen Aufzeichnungen einigermaßen fatalistisch, dann war der Ruin Bayerns eben besiegelt. Also, auf die ›perfiden‹ Schweden konnte man sich ohnehin nicht verlassen, auf die vor keiner »schandt« zurückschreckenden Franzosen207 aber auch nicht wirklich. Man wird »under dessen« die Truppen »sterkhen«, tröstet sich eine Aufzeichnung über die Unzuverlässigkeit des Neutralenstatus hinweg, »und dann, da sich einig mangl oder bruch der neutralitet (wo vilfeltig beschiht) ereignen solte, also vester der occasion bedienen wurden, und dannenhero mehrgedachte Neutralitet anderst für nicht dienstlich sein, als die Zeit zugewinnen«.208 Vier Wochen, nachdem die Verhandlungen geplatzt waren, schrieb der Wittelsbacher seinem Bruder in Köln, ihm sei klar gewesen, daß der Schwedenkönig 204 Aufzeichnungen Richels über die Sitzung des Geheimen Rates vom 17. Dezember 1631, BayHStA Kasten schwarz 15021/5, fol. 44–47. 205 So eine der »Rationes Contra« in einer vom Kurfürsten zusammengestellten Liste »Pro Neutralitate« (das ist die Überschrift fürs Ganze), BayHStA Kasten schwarz 131, fol. 98f. 206 Sic! Meint natürlich »impugniert«: Aufzeichnungen Jochers, s. d., BayHStA Kasten schwarz 15021/5, fol. 165–172 (Kursivsetzungen von mir). 207 Einer Relation Donnersbergs aus Wien zufolge (1632, Januar 28, Or.: BayHStA Kasten schwarz 131, fol. 126–132) erklärte Eggenberg: »... sollen sich nit so gar sicher, auf dis pactum verlassen, man wisse, d. d. Cardinal«, also Richelieu, »in allen seinen actionibus nur sein interesse considerier«. 208 »Ursachen derentwegen die Churf. durchl. in Bayern die ... neutralitet solle annemmen«: BayHStA Kasten schwarz 15021/5, fol. 224f. Aufzeichnung eines bayerischen Rates? Zu denken gibt, daß ebda., fol. 222 ein Papier liegt, das auf Französisch so ziemlich dasselbe sagt: »Cependant« wird man die Truppen stärken, und so sich »quelque manquament[sic, überhaupt schwer lesbar] ou Infraction« der Neutralität zeigt, »ce qui n’arrive que pour souvan [meint zweifelsohne: souvent]«, hat man Zeit gewonnen »pour mettre ordre aux affaires«. Ich konnte die Herkunft dieses französischsprachigen Memorials nicht klären. – Wie zuverlässig hätten sich Schweden und Frankreich denn auf die bayerische Neutralität verlassen können? »Per Neutral. khan es«, also Österreich, »alzeit von Bayern favorem und hülff sotto manu erwartten, quod non fiet wan man gar ruiniert«, halten »Causae Neutralitatis« betitelte Münchner Überlegungen fest (Kasten schwarz 131, fol. 109). Alle Kursivsetzungen, auch im folgenden Zitat, stammen von mir.

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das Neutralitäsabkommen doch nicht einhalten und die okkupierten katholischen Gebiete doch nicht restituieren werde, ja, daß er, »wan er mit Ihrer Kayserlichen Majestät förtig, als dan die Catholische Churfürsten und Stend gleichfals überfalt, und sie durch dise Neutralitet merer nicht, als wan es wol gehet, einen schlechten verzug« erreicht hätten.209 Der Neutrale war eben »praeda victoris«, daran änderten nach zeitgenössischer Überzeugung auch vertragliche Absicherungen nichts. Äquidistanz war für eine neutralisierte Liga nicht vorgesehen. Der Spiritus rector des ganzen Neutralitätsprojekts forderte, gleichsam als Gegenleistung für die französische Garantie der ligistischen Neutralität, nicht nur die Auslieferung rheinischer Schlüsselstellungen, sondern auch einen gleichzeitig mit dem Neutralitätspakt zu vereinbarenden ligistisch-französischen Vertrag, der vorzusehen habe, daß die rheinischen Erzstifte ihre Resttruppen jederzeit im Bedarfsfall auf Pariser Anforderung hin nach Frankreich zu überstellen hätten. Heißt es allzu pointiert resümieren, wenn man konstatiert, daß dem Neutralitätsvertrag ein Unterwerfungsvertrag zur Seite gestellt werden sollte? Und auch ersterer wäre ja nicht ausgewogen gewesen, allenfalls den Machtverhältnissen aus schwedischer Sicht angemessen – weitgehende Demilitarisierung des Neutralen, der einiges zu restituieren hätte, selbst fast nichts restituiert bekäme. Selbst Richelieu schimpfte über die »rudes conditions«210 des Schwedenkönigs, der bayerische Kurfürst empörte sich über »schwehre hochmüetige und nachdenkhliche conditionen«211 und Maximilians Bruder auf dem Kölner Erzstuhl fand »die articulos so exorbitant«, daß den Ligisten selbst »in des Feindts händen ... nit wol ein schwerers zugemuetet werden könnte«.212 Gustav Adolf und die Häupter der Liga hatten von der festzuschreibenden »neutralitet« sehr unterschiedliche Vorstellungen. Gewiß ist die Neutralisierung der Liga nicht nur daran gescheitert. Aus konzeptionellen wie kriegspraktischen Gründen kam die Neutralisierung des katholischen Deutschland dem vorgeblichen Retter des deutschen Protestantismus weniger zupaß als Richelieu. Aber die Verhandlungen über die ligistische Neutralität im diplomatischen Dreieck Frankreich-Bayern-Schweden illustrieren auch, wie weit auseinandergehen konnte, was Zeitgenossen als »neutralitet« etikettierten. Einmal anders, nämlich 209 Maximilian an Ferdinand von Köln, 1632, Februar 17, Entw.: BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 143a/II. 210 Zit. nach Droysen, Gustav Adolf, Bd. 2, S. 489. 211 Soeben erfährt er, »was ... über daz bewuste von unns ausgefertigte Documentum Neutralitatis mit dem König in Schweden für weüttere tractation gepflogen, und was für schwehre, hochmüetige und nachdenkhliche conditionen« der Schwedenkönig dabei vorschlug: Maximilian an seinen Pariser Emissär Kütner, 1632, Januar 19 (Entw.), BayHStA 15021/5, fol.  115–129. 212 Zit. nach Albrecht, Auswärtige Politik, S. 337.

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aus der Warte einer Geschichte der Neutralität beleuchtet, illustrieren die an sich wohlbekannten Vorgänge vom Winter 1631/32, daß »neutralitet« damals noch immer keinen festen, der machtabhängigen ad-hoc-Definition entzogenen Begriffsumfang besaß. Eine zeitgenössische Flugschrift will von einem diplomatischen Nachspiel am 20. April 1632 wissen. Es kann jedenfalls so, wie es uns vom anonymen fingierten Insider präsentiert wird, nicht stattgefunden haben, doch soll der vermeintliche Gesprächsmitschrieb ja glaubwürdig wirken. Angeblich suchte an diesem 20. April der französische Spitzendiplomat St. Etienne Gustav Adolf bei Ingolstadt auf, um einen »Accord« zwischen Maximilian von Bayern – es ist nun durchgehend nur von ihm, nicht mehr der ganzen Liga die Rede – und dem Schwedenkönig zu vermitteln. St. Etienne eröffnet den Dialog mit der Beteuerung, »es geschehe Ih. Maj. in Franckr. ein grosses gefallen, wenn die Neutralitet mit Beyern fortgesetzt würde«. Gustav Adolf reagiert einerseits »Froidement«, andererseits mit Beschimpfungen des Bayernherzogs, der »vermische die Farben wie er wolle, alleine er werde dißmal den König in Schweden nicht betriegen können, alldieweil er sein falsches Gemühte schon erfahren«. St. Etienne antwortet auf diese Suada bezeichnenderweise kurz und knapp so: Gustav Adolf möge doch »Conditiones fürschlagen, darauff er«, also Gustav Adolf, »geantwortet, wann Beyern die Armada abschaffe, vnd das Gewehr niederlegte, alsdann wolte er jhme Leges fürschreiben«. Der Rahmen, der Gesprächsverlauf macht deutlich, daß »Conditiones fürschlagen« und »Leges fürschreiben« synonym stehen für ›den Entwurf eines Neutralitätsvertrags vorlegen‹. Wir bekommen erneut, aber (zumal in schwedischer Formulierung) mit besonders drastischen Worten vor Augen geführt, daß Neutralität kein fixer, völkerrechtlich verankerter Rechtsstatus mit jedenfalls grundsätzlich, nämlich in den Grundzügen feststehenden Rechten und Verpflichtungen war, daß der Begrifffsumfang vielmehr stets aufs Neue abgesteckt werden mußte. Und Gustav Adolf war, unserem fingierten Dialog zufolge, nur dann bereit, diese Gnade (denn ein abrufbarer völkerrechtlicher Titel war es noch nicht) zu gewähren, wenn der zu Neutralisierende vorher vollständig demilitarisiert, ihm also tatsächlich auf Gnade und Verderben ausgeliefert war. Übrigens findet auch unser fingiertes Gespräch, wie die tatsächlich verbürgten Verhandlungen ein Vierteljahr zuvor, kein Happy end. Der unbekannte Autor ›protokolliert‹ die schwedische Forderung, Maximilian müsse »sichere Assecuration thun, daß er dem Feinde nit wolte einigen Vorschub thun«: Ein Neutralitätsvertrag allein also war keine »sichere Assecuration« für Neutralität! Konkret fordert der Schwedenkönig die umfassende Demilitarisierung der katholischen Seite. St. Etienne hält dagegen, daß Maximilian wohl bayerische Truppen, aber doch nicht die der ganzen Liga und des Kaisers womöglich noch dazu abdanken könne, doch sind das für den Schwedenkönig rabulistische Aus-

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flüchte. Man wolle ihn mit der »neutralitet« nur »betriegen«, auf so etwas falle er nicht herein.213 3.1.3.3 »Papier und Dinte«: Neutralitätsverträge schaffen auf beiden Seiten keine »Gewißheit« Gustav Adolf wähnte nicht nur in dem gut erfundenen Gespräch vom April 1632, daß ihn die deutschen Möchtegernneutralen »betriegen« wollten. Als ihn ein brandenburgischer Emissär im Juli 1630 um den Gnadenerweis der Neutralität anflehte, hielt er ihm ungnädig das entgegen: »Was soll ich für Gewißheit und caution dessen haben, was meint Ihr, Papier und Dinte?«214 Nein, »Papier und Dinte« eines Neutralitätsvertrages gewährleisteten für den Schwedenkönig keinesfalls die Neutralität. Die Konvention zwischen Gustav Adolf und dem Darmstädter Landgrafen Georg vom 29. November 1631215 räumte letzterem die Neutralität ein, ersterem im Gegenzug die Festung Rüsselsheim. Besonders aufschlußreich ist die vertraglich fixierte Neutralisierung Kurtriers 216, weil wir dort auf mehrere Grundmuster stoßen, die wir schon aus den Verhandlungen über eine Neutralisierung der ganzen Liga vom Winter 1631/32 kennen. Kategorisch verlangten die Schwedischen als Vorbedingung für eine kurtrierische Neutralität die Auslieferung der Festungen Ehrenbreitstein und Philippsburg, sei es an sie selbst, sei es an ihren französischen Verbündeten217: Anfangsverdacht der Untreue des Neutralen, fehlende Äquidistanz! Den Weg zum Neutralitätsvertrag mit Schweden mußte ein Protektionsvertrag mit Frankreich ebnen. Er kennt die »neutralitas« nur in der Narratio: Anlaß für das Protektionsverhältnis sei das Scheitern der Neutralitätsverhandlungen zwischen Schweden und der 213 [Anonym], Gespräch deß Königs in Schweden mit den Frantzösischen Gesandten, welcher vor Chur Bayern die Neutralitet begehret, o. O. 1632. Da es sich um eine mutmaßlich seltene Kusiosität handelt, mag der Fundort angebracht sein: ThULB Jena, HZ Bud.Hist.nu 131(91). 214 Den Dialog zwischen Gustav Adolf und dem brandenburgischen Emissär Wilmersdorff in Stettin breitet nach der Kopie einer Relation des letzteren im »K. Sächs. Archiv« mit langen wörtlichen Zitaten Helbig, Gustav Adolf, S. 12–18 aus; das Zitat: S. 17. 215 Vgl. Anm. 191. 216 Zum Kontext: das kaum verteidigungsbereite Erzstift war in Bedrängnis, weil sich schwedische Truppen näherten, um Quartier zu nehmen. Eilends ließ Kurfürst Philipp Christoph seine Neutralität beteuern, die französische Rückendeckung genieße. »Der Schwede erteilte ihm nicht nur eine ironische Abfuhr, sondern forderte als Garantie für die Neutralitätsbeteuerungen ... die Moselpassage bei Koblenz, die Besetzung von Ehrenbreitstein und eine ansehnliche Summe Geldes«: Weber, Frankreich, S. 175. Ich springe im Folgenden gleich in die Schlußphase der Verhandlungen, in der ersten Aprilwoche 1632. Schwedischer Verhandlungsführer war Oxenstierna. 217 Vgl. Weber, Frankreich, S. 185 und S. 192.

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ganzen Liga. Von elf Artikeln behandeln die sieben ersten die Auslieferung von Ehrenbreitstein, auch Philippsburg ist zu übergeben. Wir stoßen nicht auf den diskriminierenden Begriff »protectio«, wohl wiederholt auf eine französische »custodia«; dennoch hat der erfahrene Editor Michael Kaspar Londorp nicht falsch rubriziert, wenn er uns den Vertrag als »Capitulatio Electoris Trevirensis super acceptata protectione Gallica«218 vorstellt. Der erst danach vereinbarte trierisch-schwedische Vertrag sichert die »synceram Neutralitatem« ausdrücklich eben dadurch ab: daß für die gesamte Dauer des Krieges französische Garnisonen in Ehrenbreitstein und Philippsburg lägen. Interessant ist die einleitende Begründung: das habe zur Bekräftigung der Neutralität zu geschehen und auf daß der Schwedenkönig »de supra positis capitibus satis cautum ... sit«.219 Nein, »papier und dinte« schufen keine Sicherheit – das tun sie auch heute nicht in jedem Fall und überall auf der Welt; aber das damalige »papier« behauptete noch nicht einmal von sich selbst, seine Respektierung als erwartbaren Normalfall anzusetzen. Wie hätten sich unter diesen Umständen jene – uns ja vor allem interessierenden – Akteure, die sich einfach einseitig für neutral erklärten, auf die Bindewirkung dieser Selbstfestlegung für andere verlassen können? War Gustav Adolf von Schweden »Papier und Dinte« gegenüber besonders mißtrauisch? Die fortgesetzte Neutralisation der beiden Burgund wurde bereits angeschnitten. Sie besaß 1548 schon eine jahrzehntelange Kontinuität – und also besondere Glaubwürdigkeit, sollte man meinen. Karl V. sah es wohl anders, in einem seiner »Avisos« für den Sohn Philipp hielt er das fest: Die Freigrafschaft liege »weit entfernt von meinen anderen Ländern«, sei deshalb schwer zu verteidigen, und eben deshalb habe er »große Sorgfalt darauf verwendet, dass sie sich mit Frankreich vertraglich über ihre Neutralität verständigt« habe. »Doch den Franzosen ist nicht zu trauen ... Deshalb habe ich angeordnet, die Stadt Dôle, die Hauptstadt des Landes, zu befestigen ... Ihr müsst ... die Hand darauf halten, dass diese Arbeiten vollendet werden«.220 Steine und Mörtel gaben »Gewißheit«, »Papier und Dinte« eines Neutralitätsvertrags nicht. Zu den ganz unbekannten221 (und sicher auch nicht zu den weltgeschichtlich bedeutsamen) Neutralitätsverträgen gehören die am 15. November 1658 in Flensburg vereinbarten »Accords-Puncta Wegen der Fürstlichen Residentz Gottorff ... Zwischen Ihrer Churfürstl[ichen] Durchl[aucht zu Brandenburg] und dem Hertzogen von Holstein«. Mit dem Stichwort »Erster Nordischer Krieg« 218 Michael Kaspar Londorp (Hg.), Der Römischen Kayserlichen Majestät und des Heili­gen Römischen Reichs ... Acta publica ..., Bd. 4, Frankfurt 1668, S. 274f. (9. April 1632). 219 »Capitulatio Electoris Trevirensis cum Axelio Oxenstirn super acceptata Neutralitate Suecica per Legatos Regis Galliae negotiata« vom 22. April 1632, ebda., S. 275–277. 220 Instruktion Karls V. vom 18. Januar 1548: Kohnle, Vermächtnis, Nr. 3, hier S. 84. 221 Ich stolperte gleichsam (in Jena) über einen zeitgenössischen Druck (Schleswig 1658): ThULB Bud.Hist.un. 142 (49).

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ist der Kontext hinreichend angedeutet222, nehmen wir uns gleich die Vertragsinhalte vor! Die »Accords-Puncta« sollen Holstein neutralisieren, aber zu welchen Konditionen? Die herzoglichen Truppen werden Gottorp räumen, im Gegenzug kaiserliche und brandenburgische Truppen dort einziehen. Reicht das (immerhin zusammen mit einem signierten Neutralitätsvertrag!), um die Neutralität Holsteins in hohenzollerischen und habsburgischen Augen zu gewährleisten? Offenbar nicht, denn der Vertrag sieht auch vor, daß der Herzog die Schanze Stapelholm »demoliren lassen« wird. »Dagegen wird Seiner Fürstl[ichen] Durchl[aucht] zu Schleßwick Holstein im Nahmen Ihrer Kayserl[ichen] Majest[ät] und Seiner Churfürstl[ichen] Durch[laucht] hiemit versprochen, daß Sie Deroselben der völligen unbeschranckten Neutralität geniessen laßen« – Neutralität ist Gnadenerweis, kein Rechtstitel! – »und darauff bestes Fleißes bedacht seyn wollen, daß Ihr[er] Fürstl[icher] Durchl[aucht] Land und Leute bestes müglichst conserviret, und die wegen dieser unumbgänglichen Expedition ihnen zuflissende Onera dergestalt moderiret werden, daß sie darunter nicht gar in Verderb gesetzet werden mögen«, trotz der Quartiere, die man nehmen wird, und trotz der alliierten Kontributionen. Also, man behelligt den Neutralen schon, ist aber so gnädig, »müglichst« darauf zu achten, daß er darüber nicht gänzlich ruiniert wird. Übrigens gehen die Vertragspartner keinesfalls davon aus, daß die vertraglich vereinbarte Neutralität von Außenstehenden respektiert wird, denn der Text endet so: Falls der Herzog »dieser Neutralität halben ... von iemand angefochten und überfallen werden« sollte, stützen ihn Habsburger und Hohenzollern. Vergleichbare Klauseln finden wir immer wieder in Neutralitätsverträgen. Um nur noch zwei Beispiele aus dem Vor- und Umfeld des Holländischen Krieges zu geben: Am 23. Oktober 1671 sicherte der Welfe Ernst August dem Franzosenkönig vertraglich »une exacte Neutralité« zu; sollte er »pour le sujet de cette Neutralité« seiner Gebiete beraubt werden, werde Ludwig auf Restitution bestehen.223 Ein »Neutralitäts-Recess« vom 21. September 1675 stellt Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg in Aussicht, daß ihn, so er »dieser Neutralität halber, angefochten oder Feindlich tractiret« werden sollte, die Vertragspartner »schutzen« werden224; sich vier Wochen danach seine Neutralität auch von französischer 222 Der Feldzug nach Schleswig-Holstein und Jütland, mit allen militärgeschichtlichen Einzelheiten: Eckardt Opitz, Österreich und Brandenburg im Schwedisch-Polnischen Krieg 1655–1660. Vorbereitung und Durchführung der Feldzüge nach Dänemark und Pommern, Boppard 1969, S. 116–176. 223 Vertrag zwischen Ludwig und Ernst August vom 23. Oktober 1671: Jean Du Mont (Hg.), Corps universel diplomatique du droit des Gens ..., Bd. 7.1, Amsterdam/Den Haag 1731, Nr. 69. 224 »Neutralitäts-Recess« zwischen Christian V. von Dänemark, Friedrich Wilhelm von Brandenburg und Fürstbischof Bernhard von Münster einerseits, Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg andererseits: ebda., Nr. 141.

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Seite genehmigen lassend, wurde Johann Friedrich zugesagt, daß er, »en haine [!] de la presente Neutralité« attackiert, auf Restitution hoffen dürfe.225 Der Streit um die Neutralität Kurlands im Ersten Nordischen Krieg stößt uns auf ein weiteres, für uns Heutige zunächst überraschendes Problem vertraglich vereinbarter Neutralität: Banden solche Pakte auch die Regierungsnachfolger?226 Karl X. Gustav zweifelte die Neutralität Herzog Jakobs unter anderem mit dem Argument an, daß den entsprechenden Vertrag ja nicht er selbst, nur seine Vorgängerin, Königin Christine, unterzeichnet habe. Um es mit den Worten einer wohl offiziösen proschwedischen Abhandlung zu sagen: Das »Instrumentum Neutralitatis« wurde »nicht zu Anfang dieses Polnischen Krieges, sonderen zimlich viel Jahre vorhero« und nicht vom amtierenden Schwedenkönig »gegeben«, »da dann unterdessen, biß es zum Kriege wieder außgebrochen, viele considerationes sich umb ein grosses geändert«. Deshalb hätte sich Kurland nur dann auf seine Neutralität versteifen können, wenn diese von Karl X. Gustav nach seinem Regierungsantritt »bestättiget« worden wäre.227 Daß die kurländische Neutralität im Ersten Nordischen Krieg nicht vor Kriegsunbilden, Drohungen und barschen Assistenzforderungen abschirmte, spiegelt sich in der damaligen Flugschriftenliteratur mannigfach wieder. Selbst diejenigen Arbeiten, die Herzog Jakobs Neutralität gegen die politischen und publizistischen Attacken Schwedens verteidigen, konzedieren, daß der Kurländer den Feinden des Schwedenkönigs Proviant habe zukommen lassen, freilich, was sei ihm denn anderes übriggeblieben? Es habe eben geheißen, »fals der Hertzog nicht wolte, daß es die Soldatesca mit disordre holen solte«, habe er zu liefern – doch habe er ja den Schwedischen »ungeleich mehr« gegeben.228 »Proviant hat Er dem Großfürsten [von Litauen] auff sein Begehren, gleich wie Er Polen und Schweden gethan, folgen lassen müssen. Schaden hat Er also von allen gelidten, Unrecht aber keiner Parthey gethan. Und kan diß kein Verbrechen genannt werden«.229 Vor allem aber klagen die antischwedischen Abhandlungen natürlich über die unablässigen Zudringlichkeiten der skandinavischen Macht, die »Proviant ... erpresset« habe, die »die queer und die länge« sowie mit »groben exces225 Ludwig XIV. wird keinen Friedensvertrag unterzeichnen, der dem Welfen nicht zurückgibt, was er »à cause du present Traité«, also des Neutralitätsvertrags wegen verloren hat: Neutralitätsvertrag zwischen dem Welfen und Ludwig vom 18. Oktober 1675, ebda., Nr. 144. 226 Was ich hier auf Neutralitätsverträge zuspitze, galt offenbar generell für vormoderne internationale Verträge. »Die Praxis der Vertragsschließung zeigt, daß die Vertragsfreiheit bis weit ins 18. Jahrhundert hinein als persönliches Recht souveräner Herrscher angesehen wurde. Verträge galten oft bis ein Jahr nach deren Ableben«: Dicke, Freiheiten im Völkerrecht, S. 67. 227 [Anonym], Ursachen Wodurch eigentlich, fol. Bij. 228 [Anonym], Wiederlegung der außgestreueten Vrsachen, fol. Cij. 229 [Anonym], Ein Privat-Schreiben, Welches ein guter Freund von dem andern inständig begehrt hat ..., »Wahrburg« 1659, fol. M3.

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sen« mit ihren Truppen durchs Herzogtum marschiere230, die »grosse Summen Geldes und viel Proviant von Jhm«, nämlich dem Herzog »erpresset, das Land mit Durchzügen vertorben« habe.231 Eine schriftliche Zusage der Schwedischen, Kurland mit »brennen, raub v[nd] plündern« zu verschonen, kostete am 29. Juni 1658 66.000 Gulden, 600 Rinder, große Mengen an Roggen, Gerste, Heu232, aber es ließen sich vergleichbare Papiere mit ähnlichen Tarifen zitieren. Aus der Sicht des kämpfenden Vertragspartners war das Dilemma freilich ein anderes: die fehlende Verläßlichkeit des Neutralen, den ja, wie wir schon wissen, nach zeitgenössischer Auffassung »Papier und Dinte« nicht wirklich fesselten. Publizistisch ließ Karl X. Gustav die offene Mißachtung der kurländischen Neutralität im Oktober 1658 unter anderem mit diesem ›Argument‹ verteidigen: »Da die Situatio von Churland gegen Liffland vnd Riga, seine Hauen233 an der See, seine communicatio mit Samoiten vnd Litthawen, allezeit vnd auff jede begebende Veränderung, suspect vnd gefährlich wurde«, habe er, »umb dieser reflexionen willen«, bei Herzog Jakob »darauff gedrungen, daß Er seines Orths sich declariren solte, entweder mit Schweden, oder contra, zu seyn«. Ausschlaggebend war also die geostrategische Lage, war diese »suspect vnd gefährlich«, konnte auch ein Neutralitätsversprechen keine Verhaltenssicherheit schaffen – war doch Neutralität selbst suspekt! »Bey einer solchen conjunctur, da man es mit der gantzen Cron Polen zu thun hatte«, konnte kein Mensch erwarten, daß »so avantageuse Plätze des Polnischen Dominii« (der Polenkönig war Lehnsherr des Herzogs von Kurland) »ohne genawere Versicherung, in Händen gelassen« würden. Man konnte ja diese »Brücke gegen Liffland«, diese »offene Thüre«, durch die alle Feinde mit ihren Emissären »hin und her gehen könten, als etwann eine General-Postmeysterey, dem Feinde zum besten« nicht einfach neutral sein lassen. Schweden durfte deshalb nicht nur, es mußte unter diesen Umständen auf eine »cathegorische Resolution« dringen234: denn Neutralität, auch vertraglich fixierte Neutralität, schuf eben keine »Versicherung«! Das merkte im Holländischen Krieg auch die Stadt Speyer. Die von Frankreich wie vom Reich ausdrücklich konzedierte, schriftlich fixierte Neutralität schützte den Sitz des Kammergerichts nämlich nicht vor Kontributionen. Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz pochte auf einen älteren Schirmverein von 1655, der Hilfen im Fall der Bedrängnis vorsehe. Angesichts französischer Übergriffe auf sein Territorium habe er sich deshalb, so eine Eingabe an den Reichstag, gezwungen 230 [Anonym], Wiederlegung der außgestreueten Vrsachen, fol. Biiij. 231 [Anonym], Kurtze aber doch gründliche Wiederlegung, Der auff Schwedischer Seiten vor wenig Monaten außgestreueten Vrsachen, Warumb der verstorbene Schwedische König Carolus Gustavus den Hertzogen in Churland ... überfallen ... lassen, o. O. 1660, fol. Aiiij. 232 [Anonym], Schwedische Trew, Quellenanhang F. 233 Meint: Häfen. [Anonym], Ursachen Wodurch eigentlich, fol. C. 234 Ebda., fol. Diij (Kursivsetzungen von mir).

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gesehen, Speyer einen monatlichen »Beytrag« von zweihundert Reichstalern abzufordern; weil sich die Stadt sträubte, versuchte er sie von Lebensmittelzufuhren abzuriegeln; daß sich Speyer daraufhin mit einer Klageschrift an den Reichstag wandte, empfand der Pfälzer als Provokation. Bezeichnenderweise mündet seine Gegenschrift vom August 1675 in diese höhnende Feststellung: Was die Integrität des obersten Reichsgerichtes angehe, könne ja doch kein vernünftiger Mann annehmen, »daß desselben Sicherheit durch dergleichen schrifftliche Neutralität, welche der Feind seiner Gewonheit nach, nicht länger als seine Gelegenheit es zuläst, achten oder halten wird, genugsam verwahret« sei.235 Wie die Heidelberger selbst solche Schriftstücke respektierten, mag ein Vortrag des kurpfälzischen Emissärs Geyer im März 1676 in Wien illustrieren: Na gut, der Kurfürst hat »quartier in Vorstätt gegeben ... auch selbige besezt«, was regt sich die Stadt so darüber auf ? »Inter arma et pro bono Imperij publico silere illas leges, und heiße es, salus publica suprema lex esto«. Alles geschah »ex lege necessitatis«.236 3.1.3.4 »Sera toûjours prest à donner des preuves de son affection«: der Neutralfreund ist stets zu Diensten Stoßen wir, die allfälligen vormodernen Vertragssammlungen durchblätternd, auf »Stillsitzen« oder »Neutralité« in Konflikten des ausgehenden Mittelalters, des 16. oder 17. Jahrhunderts, stellen wir uns fast immer dieselbe Frage: Beistandspakt, Neutralitätsvertag? Es changiert in ein und demselben Text, oder zwischen verschiedenen Papieren einer diplomatischen Gesamtlösung. Die »freundschaftliche« Anlehnung konnte auch auferlegt sein 237 – also Changieren zwischen Protektions- und Neutralitätsvertrag. Alle älteren neut235 Schreiben Karl Ludwigs an den Reichstag vom 14. August 1675, abgedr. bei [Martin Meyer (Hg.)], Diarium Europaeum insertis actis Electoriis oder kurtze Beschreibung denckwürdigster Sachen ..., Bd. 31, Frankfurt 1675, S. 555–564. Mit genau diesem Argument hatte sich schon der Votant für Pfalz-Lautern am 21. Mai 1674 gegen eine speyerische Neutralität ausgesprochen: Es habe doch »die Cron Frankhreich, wie die bisherige erfahrung gegeben, dero zuesag, sonderlich wegen der Neutralitet, schlecht, und nur solang, bis Sie Jren vortel ersechen, gehalten« (Fürstenratsprotokoll vom 21. Mai 1674, BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3406, fol. 390f.). 236 »Protocollum« Geyers über seine Gespräche mit Montecuccoli und Hocher in Wien am 30. März 1676, BayHStA Kasten blau 102/4 (unfol.). Zum Rahmen nur soviel: die Heidelberger hatten in die Neutralisierung Speyers nie eingewilligt, verlangten zum Zeitpunkt des zitierten Gesprächs energisch, daß dieser potentielle Störfaktor, dieses potentielle Einfallstor für französische Operationen aller Art durch alliierte Truppen besetzt werde. 237 Aufoktroyierte Neutralität – ein Beispiel für hundert: Heinrich IV. von Frankreich erlegt Lothringen am 19. Juni 1596 Neutralität während des Krieges gegen Spanien auf; der entsprechende Vertrag: Jean Du Mont (Hg.), Corps universel diplomatique du droit des gens ..., Bd. 5.1, Amsterdam/Den Haag 1728, S. 527.

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ralitätsgeschichtlichen Darstellungen würdigen (als angeblich besonders frühen Beleg für den Terminus Neutralität238), daß Franz I. von Frankreich ausdrücklich die Neutralität von Cambrai anerkannt habe. Wie registriert der kundige, mit allen diplomatischen Wassern gewaschene Michel de l’Hôpital den Vorgang in seinen Aufzeichnungen? »L’ An 1542. le Roy François octroya Lettres de Neutralité à ceux de Cambray, par lesquelles l’Evesché de Cambray, Comté et Pays de Cambresis sont et demeurent neutres«.239 Eine Fußnote zur Geschichte des Stillsitzens, der diese Studie nicht nachgehen will, ist die traditionelle Neutralität der Kanalinseln bei englisch-französischen Auseinandersetzungen. Bottié gibt in seinem »Essai« einen Überblick, in seinen Kontexten (maritime Neutralität, Handelsfragen) ist sie ja auch recht interessant, uns interessiert hier nur eine von ihm zitierte »Charte«, die Königin Elisabeth von England 1561 publiziert habe und so beginne: »Attendu que ... certains privilèges ... ont été, de tout temps, octroyés et confirmés aux susdits insulaires ...«240 Privilegienbestätigung, Oktroi? Zwangsprivileg? Wir wollen es im Hinblick auf die Kanalinseln gar nicht vertiefen, jedenfalls war Neutralität in solchen Verträgen und Erklärungen ein Privileg, und wer es gewährt oder aufgenötigt bekam, hatte sich dafür dankbar zu erzeigen. Es gab ein Macht- und auch ein Prestigegefälle, zwischen dem Gewährenden (oder Oktoyierenden) und dem, der sich der suspekten, moralisch minderwertigen Neutralität hingab (oder hingeben mußte), das sich fast immer den Vertragsbestimmungen einprägte. Alle Verträge aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges241, die auf den letzten Seiten erwähnt wurden, waren bilaterale Pakte zwischen dem, der »stillsitzen« wollte, und nur einer Konfliktpartei – deren Bereitschaft, die Neutralität des Vertagspartners zu akzeptieren, nicht auf offene und massive militärische Unterstüt238 Noch die »Geschichtlichen Grundbegriffe« haben es so (offenbar von Nys) übernommen – als vermeintlich zweitältesten Beleg für »die Verwendung des Begriffs« Neutralität »in der Staatenpraxis« führen sie an: »1543 anerkannte [sic] Franz I., daß ›l’evêché, comté et pays de Cambresis sont et demeureront neutres‹« – Schweitzer, Art. »Neutralität II.«, S. 324. 239 [Anonym] (Hg.), Extraict, S. 15 (Kursivsetzung, auch im folgenden Zitat, von mir). 240 Zit. nach Bottié, Essai, S. 184. 241 Ich übergehe hier die frühen deutschen Konfessionskriege. Typischer bilateraler Vertrag aus der Zeit des Fürstenkriegs: »Artikel, darauf die erclerung von dem bischof capitel und stenden des stifts Wurtzburg sol gericht werden« (wie sie am 26. März 1552 von würzburgischer Seite akzeptiert werden): August von Druffel (Hg.), Briefe und Akten zur Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts mit besonderer Rücksicht auf Bayerns Fürstenhaus, Bd. 3, München 1882, Nr. 1163. Es handelt sich um das Resultat hessisch-würzburgischer Verhandlungen, zuletzt in Schweinfurt – Würzburg läßt den Feinden Hessens und seiner Verbündeten keinerlei Hilfe zukommen, auch keine Durchzugserlaubnis und keinen Proviant; versichert »dargegen aber dem landgrafen« und seinen Alliierten »gute beferderung, mit gebung passes«, außerdem gegen Bezahlung »zufertigung der proviant«, streckt ferner sechzigtausend Gulden vor (Artikel 1, 2 und 5).

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zung zu pochen, dankbar durch bestimmte Vergünstigungen zu honorieren war, mindestens durch die einseitige Erlaubnis von Truppentransfers.242 Durchgehend präsentiert sich die dort vereinbarte Neutralität als Variable des momentanen Machtgefälles; häufig handelt es sich im Grunde um durch vorgebliche Neutralität kaschierte Protektions- und Unterwerfungsverträge. Lassen wir nur die uns schon bekannten Projekte unter diesem Gesichtspunkt noch einmal kurz Revue passieren! Den Neutralitätsvertrag des Kurfürsten von Trier mit Schweden flankierte ein Protektionsvertrag mit Frankreich, und ersterer sah, wie wir ja schon wissen, französische Garnisonen in Ehrenbreitstein und Philippsburg vor – also Garnisonen des Verbündeten dessen, der die Neutralität gewährte. War Schweden somit gleichsam indirekt im Erzstift militärisch präsent, galt hinsichtlich der Feinde: »diribitoria distribuere, congregare, arma exportare, aut alium quemcunque belli apparatum instituere non permittemus, sed ubique inviolatam et synceram Neutralitatem observabimus«.243 Der Feind also durfte in keiner Weise unterstützt werden. »Sincera Neutralitas« war solche, die den Vertragspartner dankbar begünstigte. Die Neutralisierung der ganzen Liga scheiterte bekanntlich daran, daß zwischen Gustav Adolf und dem Bayernherzog kein Konsens darüber herzustellen war, wie deutlich sich das Machtgefälle in der Konturierung der Neutralität niederschlagen durfte. Zu den Papieren, die nie Rechtskraft gewannen, gehört ferner der Pariser Vertrag vom 1. November 1634. Nach dem Fiasko von Nördlingen verhandelten Mitglieder des zerfallenden Heilbronner Bundes ohne Wissen Oxenstiernas mit Richelieu, die Gespräche mündeten in besagten Vertrag, den der schwedische Reichskanzler dann nicht ratifizierte. Artikel XV sah vor, daß die Krone Frankreich diejenigen Reichsstände, die sich »du parti des Ennemis communs« zurückzögen, »en sa protection« halten werde, »et les Confederez les recevront en Neutralité«.244 Landgraf Georg von Hessen-Darmstadt – auch davon war in anderen Zusammenhängen schon die Rede – hatte Gustav Adolf dankbar die Festung Rüsselsheim und Kontributionen einräumen müssen245; nach dem Tod des Schwedenkönigs urteilte der Abschied eines Konvents der Heilbronner 242 Fast beliebig herausgegriffen: Koch, Regierung Ferdinands III., S. 341 zur brandenburgischschwedischen Neutralität (1641) und ebda., S. 339 zur lüneburgisch-kaiserlichen Neutralität (1642). 243 Protektionsvertrag vom 9. April 1632, vgl. oben Anm. 218. 244 »... en Neutralité sous des conditions raisonnables proposées par La Majesté«: aber diesen Zusatz greife ich weiter unten noch auf – Pariser Vertrag vom 1. November 1634, abgedr. bei Jean Du Mont (Hg.), Corps universel diplomatique du droit des gens ..., Bd. 6.1, Amsterdam/Den Haag 1728, Nr. 60 (Kursivsetzungen von mir). Beim mitunterzeichnenden »Jaques Loffler« handelt es sich um Jakob Löffler; vgl. zu diesem heute vergessenen damaligen Spitzendiplomaten Gotthard, Konfession und Staatsräson, S. 462ff. und Personenregister. 245 Vgl. oben Anm. 191 und S. 596.

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Verbündeten, der Landgraf dürfe weiterhin neutral bleiben, habe dafür freilich zu bezahlen, als sei er Bundesmitglied. 246 Die suspekte Neutralität sollte nicht billiger sein aus aufrechte Parteinahme für die gerechte Sache. Daß Herzog Jakob von Kurland am 19. Juni 1658 vom schwedischen Generalfeldmarschall Robert Douglas eine schriftliche »Versicherung« erhielt, wonach es vorerst bei der »bisher gegönneten Neutralität« bleibe, war nur noch Maskerade, doch selbst diese Scheinneutralität mußte der Herzog teuer durch Kriegsunterstützung für die Schwedischen erkaufen.247 Überhaupt war die kurländische Neutralität im Ersten Nordischen Krieg eine Schweden überaus wohlwollende (wie man in der Terminologie des 19. Jahrhunderts charakterisieren könnte), bezeichnenderweise purzeln die Termini »Protection« und »Neutralität« in den damaligen Flugschriften derart – und zwar frontübergreifend, quer zum proschwedischen oder prokurländischen Standpunkt des jeweiligen Autors – durcheinander, daß der Leser dieser parteiischen zeitgeschichtlichen Abhandlungen für keine Kriegsphase eine konsensfähige Einstufung herausdestillieren könnte. Auch Vereinbarungen aus der Zeit des Holländischen Krieges changieren zwischen Beistandsverheißung und Neutralitätszusage. Zwar putzte man die Neutralität nun gern wortreich auf, bevorzugt mit französischen Adjektiven, doch stand solche »sincère et véritable neutralité«, solche »entière et exacte neutralité« für Unparteilichkeit? Frankreich faßte das Verhältnis zu seinen wenigen Anhängern im Reich im Vorfeld des Holländischen Krieges in die Form vorgeblicher Neutralitätsverträge. Analysieren wir einmal exemplarisch, wie die »exacte Neutralité« des Welfen Ernst August gezirkelt wurde! Sie definiert sich so: Ernst August erlaubt Ludwig Truppenpassagen248, der Franzose darf bei ihm »autant de Vivres & de Munitions de Guerre« aufkaufen lassen wie er das für angemessen hält. Aber mit weiteren derartigen Kleinigkeiten gibt sich der Vertrag dann gar nicht mehr ab, generalisierend heißt es, der Welfe werde dem Allerchristlichsten König stets zu Diensten und allzeit unterwürfig sein:«sera toûjours prest à donner des preuves 246 Kretzschmar, Heilbronner Bund, Bd. 1, S. 458: Der Landgraf hat »alle bewilligten und später zu bewilligenden Kontributionen und Lasten des Bundes nach seiner Quote« zu tragen, sich als »Freund der Bundesmitglieder« zu bewähren, dafür bekommt er Rüsselsheim zurück. Vgl. zum Abschied des Frankfurter Konvents der Heilbronner vom 23. September 1633 jetzt auch Zizelmann, Um Land und Konfession, S. 221. 247 Die »Versicherung« vom 19. Juni 1658 bieten die damaligen Flugschriften auszugs- oder anhangsweise, vgl. beispielsweise [anonym], Schwedische Trew, Quellenanhang G. Ich habe schon eingestanden, daß ich zum Ersten Nordischen Krieg nicht archivalisch recherchiert habe. 248 Für die Gegenseite gibt es nur den Vorbehalt der Reichsgesetze (also Durchmarsch der Reichsarmee im Fall der Landfriedensexekution).

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de son affection aux interêts & service du Roi, pour meriter d’autant plus par toute sa conduite la bien-veillance & confiance de Sa Majesté«. So anschmiegsames Wohlverhalten entlohnt Ludwig mit fünftausend Ecus monatlich, und er »sera obligé d’assister & proteger ledit Sieur Duc, contre ceux qui le pourront attaquer ou inquieter«. »Exakte« Neutralität meint also: »Assistenz« und »Protektion«. Überhaupt verspricht der König, noch umfassender, noch herzinniger, »d’appuyer toûjours puissamment les interêts dudit Sieur Duc, pour lui donner de plus en plus sujet de s’attacher à ceux de Sa Majesté«.249 Der Vorsatz »à observer une exacte Neutralité« mündet also ins Projekt einer umfassenden Interessenkonvergenz. Es ließe sich ähnlich für alle Neutralfreunde Ludwigs zeigen – auch für den Dauerneutralen in München, der seit 1673 französische Subsidien bezog. Von der Einsicht, daß keine als »neutral« deklarierte Politik, sondern nur starke Truppen vor Kriegsunbilden abschirmten, über die Erkenntis, daß man zu deren Finanzierung die Subsidien einer Kriegspartei brauchte, war es nur ein kurzer letzter Schritt zu entsprechenden Vereinbarungen mit Frankreich. Diese Kriegspartei also finanzierte nun jenes bayerische Heer, das die Neutralität Münchens zwischen Frankreich und seinen »teutschen« Gegnern militärisch absichern sollte. Neutralität kaschierte im Holländischen Krieg politische Anlehnung an den Reichsfeind und seine militärische Begünstigung. »Machiavellus gallicus« resümierte 1675 so: »In währendem Kriege machte der König mit etlichen Teutschen Fürsten eine Neutralität, bediente sich darunter deren Länder zum Durchzuge, auch Munition, Proviant und Retirade: Da aber ein gleiches selbiger ReichsFürsten natürlichem Ober-Haupt, dem Römischen Kayser, Jure Vasallagiis subjectionis vel saltem Neutralitatis, solle zugestanden und erwiesen werden, muste es eine greuliche Injuri, und offenbahre Feindsehligkeit gegen die Frantzosen heissen.«250 Der anonyme Autor des Pasquills lehnt die unpatriotische Haltung dieser vaterlandslosen Gesellen ab, verbindet das aber nicht mit Begriffskritik. Wer merkliche Parteinahme als Neutralität bezeichnete, setzte sich nicht dem Gespött Europas aus, weil der »neutralité« selbst in den Augen kritischer Zeitbeobachter Äquidistanz zu beiden Kriegsparteien schlechterdings nicht immanent war. Es kann hier nicht darum gehen, alle Verträge dieser Jahre Revue passieren zu lassen. Wie umständlich sie die Losung »neutralité« inhaltlich umschreiben konnten, zeigt ein Pakt zwischen Ludwig XIV. und Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg vom 18. Oktober 1675: Der Welfe verspricht »d’observer une sincere, veritable et parfaite Neutralité«. Diese getreulich und wahrhaft perfekte 249 Vertrag zwischen Ludwig XIV. und Ernst August vom 23. Oktober 1671, Du Mont, Corps universel, Bd. 7.1, Nr. 69 (Kursivsetzung von mir). 250 [Anonym], Machiavellus gallicus (unfol.).

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Neutralität bewährt sich darin, daß er Ludwig stets zu Diensten sein wird: »promet de même d’emploier dans toutes les occasions qui se presenteront, ses bons Offices pour les Interêts du Roi«, er wird gewisse »assistances« erbringen und sich überhaupt als »bon Ami« bewähren. Solche Neutralfreundschaft ist nicht nur lieb, sondern auch teuer, sie wird mit monatlich zweitausend Ecus aus Paris entlohnt. Daß der Welfe unter bestimmten Umständen Truppen gegen seinen »bon Ami« stellen muß, kann er trotzdem nicht ausschließen.251 Welch gar nicht zu überschätzenden Fortschritt es für die Verhaltensverläßlichkeit aller Seiten bringen wird, Neutralität als (sich in konsequenter Abstinenz konkretisierende) Äquidistanz zu den Kriegsparteien zu definieren, illustriert auch die Neutralität des Kammergerichtsortes Speyer: Frankreich akzeptierte sie förmlich, jedoch unter der Bedingung, daß französische Offiziere, Soldaten sowie »particulierement les gens du Munitionaire general ... entree libre dans la dite ville de Spire« bekamen »pour y faire les provisions en payant qui leur sont necessaires«.252 Und bekanntlich bestand Karl Ludwig von der Pfalz trotz der Neutralitätszusagen für Speyer darauf, daß ihm die Stadt finanziell helfen müsse, französische Übergriffe auf die Rheinpfalz abzuwehren. Ein Spannungsverhältnis zwischen Neutralenstatus und solchen Zahlungen dementierte er ausdrücklich: Es könne diese »Hülff, nebenst Haltung der Neutralität wol geleistet werden, wie dann auch solches in andern dergleichen Fällen vielfältig geschieht«.253 Es zeigt eine deutliche Schärfung des Begriffs Neutralität an, wenn Cornelis von Bynkershoek sechzig Jahre später (und vielleicht noch mehr in therapeutischer als in diagnostischer Absicht?) seinem Postulat, daß der Neutrale auf strikte Äquidistanz zu allen Kriegsparteien zu achten habe, das anfügt: »Et sane id, quod modo dicebam, non tantum ratio docet, sed et usus, inter omnes fere Gentes receptus.«254 Fast alle Abschnitte dieses Kapitels – ob sie nun, beispielsweise, von mangelndem Konsens über das Wesen von »neutralitet« bei scheiternden Vertrags251 »Nonobstant l’engagement de l’Article ci-dessus« (das ist derjenige, der von Freundschaft und Unterstützung handelt), »S[on] A[ltesse] se reserve la liberté d’envoier suivant les conclusions de la Diette de l’Empire, les Troupes de sa quote-part pour ses Etats, et pour ceux des Quartiers qui lui ont été assignez par son Traité de Neutralité [!] du 21. Septembre, avec les Alliez de l’Empereur ...«: »Traité de Neutralité« vom 18. Oktober 1675, Du Mont, Corps universel, Bd. 7.1, Nr. 144. 252 Erklärung Turennes vom 29. Juli 1674 (Kopie: BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3407, fol. 305f.) – hat sich mit Kammerrichtern und Magistrat auf »les articles Suivans« geeinigt, es folgt unter anderem die zitierte Passage. Eine zeitnahe Übersetzung bietet das Diarium Europaeum, Bd. 31, Appendices, S. 317–319 (der Band ist aber nicht durchgehend paginiert). 253 Schreiben Karl Ludwigs an den Reichstag vom 14. August 1675, Diarium Europaeum, Bd. 31, S. 555–564. 254 Bynkershoek, Quaestionum juris publici libri, S. 69.

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verhandlungen oder wortreich zu umreißenden Begünstigungen einer Kriegsseite bei gelingenden handeln – zeigen es: Der Begriffsumfang von »neutralitet« oder »neutralité« lag nicht etwa prinzipiell fest, so daß die Vertragspartner nur noch gleichsam an den Rändern einige Begriffsschärfungen vorzunehmen hatten, vielmehr mußte die Substanz dieses Begriffes jedesmal neu bestimmt werden. Der Pariser Hof stellte den Mitgliedern des zerfallenden Heilbronner Bundes im November 1634 nicht etwa Unparteilichkeit in Aussicht, so sie mit Frankreich paktierten, sondern »Neutralité sous des conditions raisonnables proposées par Sa Majesté«.255 Diese Verträge fügten nicht etwa einem völkerrechtlich fixierten Status das Kleingedruckte seiner Applikation auf eine spezifische politische Lage an, sie leisteten Begriffsarbeit, definierten stets aufs Neue, worin »neutralité« überhaupt bestehe. Man gewährte Neutralität »auf gewisse mass und weise und mit underschiedlichen conditionen«256. Diese Konditionen gab der Mächtigere vor – also regelmäßig nicht der, der bei einer Kriegspartei um die Gewährung der Neutralität nachsuchte. Sollten die Kriegsparteien da ausgerechnet denjenigen, die sich einseitig für »neutral« erklärten, die Begriffshoheit überlasssen haben? Solche Neutralitätsbeteuerungen rücken im nächsten Kapitel in den Vordergrund, ohne daß wir jene vertraglichen Fixierungen, in die sie gelegentlich mündeten oder die sie, manchmal phasenweise, einer Seite gegenüber abstützen konnten, darüber ganz aus dem Blick verlieren dürfen.

3.2 Die Akzeptanzprobleme der Neutralität im Spiegel diplomatischer Akten 3.2.1 Beispielsweise: Eine Fußnote zum Dreißigjährigen Krieg Spätestens seit der Jahreswende 1621/22 war Freund wie Feind klar, daß der badische Markgraf Georg Friedrich etwas im Schilde führte. Im benachbarten Herzogtum Wüttemberg, das seit dem unrühmlichen Ende der Union von Auhausen in seitdem vielfach erklärter »neutralitet« zur Ruhe zu kommen suchte, nahm man die badische Umtriebigkeit mit Sorgen wahr. Georg Friedrichs Zurüstungen erreichten für seinen Zwergenstaat im­mense Ausmaße. Wie selbstverständlich scheint der Markgraf Werber auch ins Herzogtum Württemberg 255 Vertragsentwurf vom 1. November 1634: Du Mont, Corps universel, Bd. 6.1, Nr. 60. 256 So faßt die zweite Antwort des Kaisers ans 1636 zum Kollegialtag versammelte Kurkolleg in Sachen holländische Neutralität zusammen, was die Kurfürsten Ferdinand (in beschwichtigender Absicht) vorgeschlagen hatten: Gross/Lacroix, Urkunden und Aktenstücke, Bd. 2, Nr. 865. Die Generalstaaten ließen auf einen Neutralitätsvertrag drängen, der Kaiser sträubte sich dagegen, das Kurkolleg beschwichtigte in der zitierten Weise – bedingte Neutralität, halbe Neutralität, Neutrality light.

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entsandt zu haben, jedenfalls beschwerte er sich am 25. Januar bei Herzog Johann Friedrich, man behindere die entsprechenden Anstalten seines Generalkommissars Pleikard von Helmstatt.257 Georg Friedrich war der Ansicht, Werbungen auf neutralem Territorium stünden ihm ohne weiteres zu. Akzeptiert hat er die württembergische »neutralitet« sowieso nicht, dem gerade in Durlach weilenden Bruder des württembergischen Herzogs, Magnus, lag er »wegen besserer zusamensetzung« der beiden benachbarten Reichsterritorien im Ohr.258 Zur selben Zeit drohten Scharmützel zwi­schen württembergischen Truppen und den Scharen des Herzogs Wilhelm von Sachsen-Weimar, die unangekündigt an den Grenzen des theoretisch neutralen Herzogtums aufge­taucht waren und offenbar dem Durlacher zuziehen wollten, erst nachträglich suchte Georg Friedrich um die Durchzugserlaubnis nach. Johann Friedrich ließ die Weimarer bei Murrhardt anhalten, alsdann die Neckarpassage bei Heilbronn sperren; schließlich setzten Wilhelms Truppen aber doch weiter südlich bei Lauffen über.259 Wie hätten sie sonst auch zügig ins Badische kommen können? Da zählten keine papiernen Neutralitätsbekundungen. Georg Friedrich versuchte mit allen Mitteln, den sich als »neutral« deklarierenden Stuttgarter in seine Opera­tionen zu involvieren, erbat (und erhielt) Munition260, forderte (vergeblich) Proviant an, »ordinanzweis« und in Worten, die die Stuttgarter als halbe Kriegserklärung deuteten, als Drohung mit dem Einfall.261 Die badischen Zumutungen riefen bei den Stuttgarter Räten kein einheitliches Echo hervor. Plädierten die einen dafür, noch einmal energisch auf die württembergische Neutralität zu pochen, machte Hofrat Andreas Lemblin eine andere Rechnung auf: Neutralität erfordere eigentlich »viel ein andre sterke«, als sie das Herzogtum aufweise, urteilte er; der Markgraf werde sich so oder so holen, was er brauche, sich dabei nicht ausgerechnet durch eine Neutralitätserklärung abschrecken lassen, denn »noth hab kein gesez«.262 Es bleibe nichts übrig als der Bittgang. Man müsse jemanden nach Durlach abordnen, der dort »umb verschonung zu bitten, simpliciter zu bitten« habe.263 Außerdem, und diesem Votum Lemblins schloß sich mit Benjamin Bouwinghausen einer der damaligen 257 Vgl. Georg Friedrich an Johann Friedrich, 1622, Jan. 25 (Or.), HStASt C9 Bü. 213 Nr. 23. 258 Vgl. nur Magnus an Johann Friedrich, 1622, April 12 (Or.), HStASt G66 Bü. 39. 259 Vgl. in den Grundzügen schon Hans Wertheim, Der tolle Halberstädter. Herzog Christian von Braunschweig im pfälzischen Kriege 1621–1622, Bd. 2, Berlin 1929, S. 137f.; sodann Georg Friedrich an Johann Friedrich, 1622, April 11 (Or.), HStASt A90A tom. 35, fol. 61f. 260 Vgl. nur Georg Friedrich an Johann Friedrich, 1622, April 25 (Or.), HStASt A90A tom. 35, fol. 63f. 261 Vgl. Johann Friedrich an seinen Hofrat Andreas Lemblin, 1622, Mai 4 (Entw.), ebda., fol. 65f. 262 »Sie werden nit hungers sterben wollen umb dieses landes willen«: Beratungsprotokoll, 1622, April 29, HStASt A90A tom. 39, fol. 1040–1043. 263 Ebda.

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Spitzendiplomaten des evangelischen Deutschland an, habe man Baden-Durlach aller Neutralitätsdeklarationen unerachtet »under der handt« ein wenig zu helfen – man mache sonst die alten Freunde aus Unionszeiten zu Feinden und gewinne doch unter den Katholiken durch bloße Neutraliätsbekundungen »nimmermehr« neue dafür.264 Zum badischen Druck kam heidelbergischer. Der pfälzische Rat Karl Pawell avancierte zum Dauergast in Stuttgart, wo er den aus Glaubenssolidarität geschuldeten Schulterschluß mit dem geschlagenen »Winterkönig« einforderte.265 Die Pfälzer glaubten, daß ihnen handgreifliche Unterstützung schlechterdings zustehe, und wollten sich nicht auf Pawells Bemühungen allein verlassen: Im April 1622 weilte Johann Philipp von Ortenburg in Stuttgart, um Friedrichs Ankunft in Germersheim bekanntzumachen und eine Vereinigung der württem­bergischen mit den pfälzischen Truppen anzumahnen.266 Kaum war der Or­tenburger wieder abgereist, traf der pfälzische Rat Johann Casimir Kolb von Wartenberg in Stuttgart ein – alle »interpositiones« seien deplaziert und einzustellen, die Heere der einstigen Unierten müßten Friedrichs Kommandogewalt unterstellt werden.267 Die mündlichen Vorträge seiner Emissäre flankierten entsprechende Schreiben Friedrichs V., der einstige Bundesgenosse habe seine Truppen unverzüglich ihm zuzuführen.268 Die Stuttgarter sahen sich mit einem konzertierten Ansturm auf ihren Neutralitätskurs konfrontiert, und dieser Eindruck war so falsch nicht. Alle versuchten sie, Württemberg wieder zur Kriegspartei zu machen. »Nos toti in eo sumus«, berichtete Pawell zu Recht, wenn auch in etwas holprigem Latein, dem gestürzten oberösterreichischen Ständeführer Tschernembl aus Stuttgart.269 Der vorgeblich »neutrale« Stuttgarter Herzog wagte den vielfältigen Avancen keine eindeutige Abfuhr zu erteilen, aus Furcht vor militärischen Übergriffen 264 Minderheitsvotum von Andreas Lemblin und Benjamin Bouwinghausen zum Rätegutachten vom 29. April 1622, HStASt A90A tom. 35, fol. 109–112. 265 Genau dazu hielt ihn Heidelberg an: vgl. Memorial für Pawell, 1622, März 28 (Entw.), BayHStA Kasten blau 122/3b, fol. 332f.; sodann etwa: Bericht Pawells, 1622, April 14 (Or., teilweise chiffriert), ebda., fol. 383f. 266 Vgl. »calendarium domesticum« des württembergischen Herzogs, Württembergische Landesbibliothek cod. hist. 6b, fol. 170; dazu auch Friedrich V. an Johann Friedrich, 1622, April 23 (Kopie), Staatsarchiv Bamberg C48 Nr. 67. 267 Vgl. Vortrag Kolbs in Stuttgart, 1622, Mai 3 (Or.), HStASt A90A tom. 35, fol. 93–100. Kolbs Proposition in Ulm (undat. Kopie): Stadtarchiv Ulm A1407 Nr. 33; sein Anbringen in Kulmbach und die Resolution des Markgrafen: Staatsarchiv Bamberg C48 Nr. 42; vgl. auch die (badische?) Kopie mit der Datumsangabe 16. März in BayHStA Kasten schwarz 7052; sowie kurpfälzisches Rätegutachten, 1622, Jan. 13, BayHStA Kasten blau 122/3b, fol. 189–192. 268 Vgl. nur Friedrich an Johann Friedrich, 1622, April 23 (Or.), HStASt A90A tom. 35, fol. 13f. 269 Karl Pawell an Georg Erasmus von Tschernembl, 1622, April 23 (Kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv tom. 4435, fol. 211–215.

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auf sein Territorium. Gewunden und mißverständlich waren seine Resolutionen, gewunden und mißverständlich war eine Art Gratulationsschreiben des Herzogs nach Friedrichs ersten militärischen Erfol­gen in seinen Erblanden, beim Versuch, Heidelberg aus der militärischen Um­klammerung zu befreien.270 Katholische Streifen fingen das Schreiben ab, nun hatte die Liga einen Beweis dafür, daß der württembergischen Neutralität nicht zu trauen sei. Einigermaßen hilflos versuchten die Stuttgarter das unselige französischsprachige Schreiben mit Übersetzungsfehlern zu ›erklären‹, insbesondere aber habe zur Zeit der Abfassung berechtigte Furcht vor einem Einfall badi­scher und mansfeldischer Truppen ins neutrale Herzogtum geherrscht.271 Das war nicht nur Vorwand, man befürchtete tatsächlich, als Neutraler das Opfer der Parteinahme einfordernden enttäuschten Nachbarn zu werden. Denn der Neutrale stand ja isoliert da, keiner nahm sich seiner an – hie halte man sie für »spanisch«, klagte Benjamin Bouwinghausen in einem Schreiben an den württembergischen Agenten in Wien, Jeremias Pistorius, da aber »für corrumpirte leuth«272: »neque amicos parat, neque inimicos tollit«! Übrigens scheint auch Bouwinghausens Schreiben wieder abgefangen worden zu sein – noch dieses Detail illustriert, daß der vorgeblich »Neutrale« besonders mißtrauischer Beobachtung unterlag. Das Gratulationsschreiben an Friedrich würde den Württembergern noch lang vorgehalten werden, wenn sie wieder einmal auf ihre Neutralität rekurrierten. Diese wiesen dann, stets vergebens, auf die damals akute Gefahr badisch-pfälzischer Übergriffe hin und daß die territoriale Integrität des Neutralen doch »wol mehr als eines solchen höfflichen schreibens weert« sei.273 Johann Friedrich von Württemberg war gewiß nicht der tumbe Tor, als den ihn eine übelwollende Landesgeschichtsschreibung hinzustellen beliebte, aber (ist das wirklich ein Gegensatz?) er stützte seinen außenpolitischen Kurs wo immer möglich auf den Konsens eines Rätekollegiums, das überdurchschnittlich profilierte und auch diplomatisch versierte Köpfe vereinte. Das heißt, im Frühjahr 270 Vgl. Johann Friedrich an Friedrich, 1622, April 16 (Kopie), BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 529, fol. 18 – umständliche Werbung für den württembergischen (also friedlichen!) Weg, der Friedrich zum gleichen Ziel führen werde wie der von ihm selbst gewählte kriegerische, aber auch Gratulation zu Friedrichs militärischen Erfolgen, die ihm Gott geschenkt habe, »le priant de tout mon coeur de vouloir prosperer vostre progres«. 271 Undat. Kpt.kopie einer Erklärung zum inkrimierten Gratulationsschreiben, wohl vom Januar 1623, HStASt A90A tom. 37, fol. 194–196. Vermutlich wurde ein entsprechendes Papier von Bouwinghausen am Regensburger Fürstenkonvent den Bayerischen übergeben. In Regensburg kursierten wieder einmal Vorwürfe, die Neutralität Württembergs sei vorgetäuscht, man müsse Johann Friedrich herzitieren, um zu sehen, was er wirklich »im schild« führe – ich kann und muß auf solche Einzelheiten hier nicht erschöpfend eingehen. 272 Extrakt eines (interzipierten?) Schreibens Bouwinghausens an Jeremias Pistorius, 1622, Mai 17, HHStAW Böhmen 64, fol. 74–77. 273 Wie Anm. 271.

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1622 argumentierten sie eben nicht vereint, und das erklärt zu einem Gutteil die Unsicherheit auch des Herzogs. Wie im badischen Fall, divergierten die Empfehlungen der Hofräte, wenn es ums Verhältnis zum einstigen Unionsdirektor ging. Mehrere hielten eher symboli­sche, bescheidene Hilfen unter der Hand für unvermeidlich, sonst bezahle man die Neutralität des Territoriums mit seiner Okkupation. Andreas Lemblin prophezeite auch im Hinblick auf die pfälzischen Forderungen, daß man die Neutralität auf längere Sicht ohnehin nicht werde durchhalten können. Also sehe man lieber, wer die »oberhand« behalte, »zu deme werd man sich müssen schlagen«.274 Auch die katholische Seite nämlich suchte Parteinahme zu erzwingen. Schon seit Jahresanfang275 bedienten sich Tillys Truppen recht ungeniert in den nörd­ lichen Ämtern des neutralen Herzogtums, am 20. März forderte der katholische Feldherr zum vereinten Widerstand gegen Mansfeld auf, Württemberg könne sich in diesem Fall auf militärische Rückendeckung durch die Liga verlassen.276 Kaum hatte Johann Friedrich die Anlehnung ans seitherige Gegenbündnis dankend als unnötig aus­geschlagen277, da hieß es, er müsse, so wieder Frieden im Reich einkehren solle, seine Truppen kaiserlichen Generalen unterstellen.278 Anfang April forderte der Bayernherzog, wie auf der anderen Seite Georg Friedrich, Proviantlieferungen.279 Nur mit Mühe und mit Hilfe des Nachdrucks – nein, nicht einer erneuten Neutralitätsdeklaration, sondern der Einquartierung einer Kom­panie Kreisvolks konnte Johann Friedrich Maximilian davon abhalten, bayerische Truppen nach Heilbronn zu legen.280

274 Beratungsptotokoll, 1622, April 24, HStASt A90A tom. 39, fol. 1036–1040. 275 Vgl. zum Beispiel Instruktion Johann Friedrichs für Jost Faber an Tilly, 1622, Jan.  29 (Entw.), HStASt C9 Bü. 213 Nr. 18. 276 Vgl. Johann Tserclaes Tilly an Johann Friedrich, 1622, März 10 (Or.), ebda. Nr. 31. 277 Vgl. Johann Friedrich an Johann Tserclaes Tilly, 1622, März 14 (Or.), BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 105/I. 278 Vgl. Proposition der Darmstädter Emissäre vor einer Versammlung einiger einstiger Auhausener in Ansbach, 1622, März 31 (Kopie), BayHStA Kasten blau 122/3b, fol. 358f. Obwohl der Darmstädter Landgraf ja vorgeblich – und im Gegensatz zu Johann Friedrich schon traditionell – ebenfalls »neutral« war, ließ er hier ungeniert für die katholische Kriegspartei werben. Doch hatte Johann Friedrich, wiewohl dazugeladen, erst gar keine Emissäre nach Ansbach gesandt, um seine »neutralitet« nicht schon wieder Anfechtungen auszusetzen. Die Darmstädter »neutralitet« wäre ein (kaum untersuchtes) Kapitel für sich – in moderner Terminologie allenfalls Nichtkriegführung, in Terminologie des 19. Jahrhunderts eine dem Kaiser ungemein »wohlwollende Neutralität«. Vgl. schon oben S. 572 Anm. 131. 279 Vgl. Maximilian an Johann Friedrich, 1622, April 3 (Entw.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv tom. 2327, fol. 303f.; Or. der Antwort aus Stuttgart (Klage über Viehmangel etc.): ebda., fol. 305–308. 280 Um den drohenden bayerischen Zugriff auf Heilbronn ranken sich sehr umfangreiche Korrespondenzen; vieles liegt z. B. in HStASt C9 Bü. 213.

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Die Katholiken waren bei ihren Versuchen, Württemberg zur Parteinahme zu zwingen, schon deshalb wenig skrupulös, weil Gerüchte von den entspre­chenden Anstrengungen der Gegenseite natürlich zu ihnen durchgesickert waren. Selbst eine in den Wiener Kriegsakten liegende Analyse der evangelischen Umtriebe im Reich weiß, daß Friedrich V., der badische Markgraf und Mansfeld den Stuttgarter Herzog unter Druck setzten – der Markgraf habe mit Johann Friedrich ein Bündnis abgeschlossen (was falsch ist) und bestehe nun ge­genüber dem sich sträubenden Württemberger unter massiven Drohungen (was so falsch nicht ist) auf der Realisierung seiner Beistandserwartungen, noch immer erzürnt über den nach Durlacher Ansicht durch spanische Dublo­nen erkauften württembergischen »Verrat« eines Übergangs zu »neutraler« Politik.281 Durch die bayerischen Korrespondenzen der ersten Monate des Jahres 1622 geistert die Erwartung, die vorgeblich neutralen ehemaligen Unierten suchten tatsächlich eine bewaffnete Vermittlung zwischen den Kriegsparteien und einen »newen passauischen vertrag« zu erzwingen. Man könne ihnen erst nach vollständiger Demilitarisierung trauen, ihre Truppen müßten weg, ohnehin leiste der vorgebliche neutrale Württemberger mit den Seinigen zweifelsohne dem evangelischen Söldnerführer Mansfeld »sotto manu assistenz«.282 Das Mißtrauen saß tief; Maximilian animierte sogar seinen zum Katholizismus konvertierten Schwiegersohn, Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg, er möge doch Verbindung zum einst in neuburgischen Diensten stehenden Stuttgarter Hofrat Lemblin aufnehmen, vielleicht bekomme man auf solchen Umwegen heraus, was sich tatsächlich hinter der suspekten württembergischen Neutralität verberge.283 Ich blende mich aus. Was sollen uns diese unspektakulären Fußnoten zu einer unspektakulären Phase des Dreißigjährigen Krieges284? Beispielsweise zeigten sie uns, daß die Berufung des württembergischen Herzogs auf seine »neutralitet« fast nichts geklärt hat. Ob ihm überhaupt ein Recht auf Neutralität eigne, wurde nicht in abstrakten Grundsatzdebatten ausgelotet, faktisch akzeptiert wurde diese »neutralitet« jedenfalls nicht. Merkwürdig genug: einerseits scheint der Terminus alle Adressaten gereizt zu haben, er provozierte geradezu geringschätzige Ablehnung; andererseits hielten ihn die Mitakteure offenbar für ziemlich nichtssagend – wer sich für neutral erklärte, beeendete damit nicht etwa unzweideutig 281 Vgl. anonyme, undat. Abhandlung in HHStAW Kriegsakten 42, fol. 89f. 282 Maximilian von Bayern an Kaiser Ferdinand II., 1622, Januar 26 (Kpt.kopie), BayHStA Kasten schwarz 31, fol. 101–104. 283 Heraus kam wenig: Wolfgang Wilhelm an Lemblin, 1622, Februar 14 (Entw.), BayHStA Kasten schwarz 3689, fol. 24f.; Lemblins Antwort (»extrahat pro Baiern«) vom 13. März: ebda., fol. 26f. 284 Seine »böhmisch-pfälzische« Periode war, jedenfalls in rückschauender Analyse, längst entschieden, wir sind schon in der langgestreckten Phase der Nachhutgefechte auf Reichsboden (Georg Friedrich, der »tolle Halberstädter«).

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jede Diskussion über seinen außenpolitischen Kurs, häufig genug begannen die politischen Partner nun erst so recht, an diesem zu ziehen und zu zerren. Man mußte um seine Neutralität »bitten«, mußte erst recht »simpliciter bitten«, daß daraus »verschonung« von Kriegseinwirkungen erwuchs. Nachdruck verschafften solchen Bitten nicht wiederholte Neutralitätserklärungen, sondern Gefälligkeiten für diese oder jene Kriegspartei, so möglich »sotto manu«, »under der handt«. 3.2.2 Um Neutralität muß man »bitten« Um Neutralität mußte man »bitten«. Der Adressat solcher Bitten nahm nicht zur Kenntnis, sondern lehnte entweder ab oder gewährte vorläufig. Tat er letzteres, hat das der Neutrale »mit dank angenomen«.285 Um von Nachwehen des Markgrafenkriegs in der Mitte des 16. Jahrhunderts zum polnisch-schwedischen Krieg der 1620er Jahre und aufs Baltikum zu wechseln: Vom Herzog von Kurland und der kurländischen Ritterschaft um die Akzeptanz ihrer Neutralität gebeten, erteilte König Sigismund von Polen im Januar 1625 seinen »consensum«.286 Auch Schweden gegenüber beriefen sich die Kurländer immer wieder auf ihre Neutralität, mit wenig durchschlagendem Erfolg287, weshalb man sich wiederholt genötigt sah, Bittbriefe abzusenden, gar Delegationen, auf daß die an die Schwedischen appellierten, »unß bey d[er] Neutralitet vollenkomen ... zuelassen«.288 Schon die Formulierung dieser Bitte läßt (wie hundert ähnliche) erkennen, daß der Adressat natürlich auch Nein sagen konnte. 3.2.2.1 »Ich will von keiner neutralität nichts wissen noch hören«: Fundamentalkritik an Neutralitätserklärungen Dieser Adressat hieß Gustav Adolf. Damit haben wir, wohl etwas holprig, den Übergang von den Problemen einer südwestdeutschen Mittelmacht im Böhmisch-pfälzischen Krieg zum Schwedenkönig geschafft. Daß Neutralität kein abrufbarer Rechtstitel war, daß man auf die Realisierung dieser – zwar schon 285 »Württenbergische Entschuldigung der Exekution halb wider mg. Albrechten ...« vom 17. Februar 1554 (Kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2036, fol. 78: Die »Neutralitet« in den fränkischen Auseinandersetzungen um den Kulmbacher Mordbrenner Albrecht Alkibiades wurde »Ime ein und ander hand zugesagt, sie mit dank angenomen«. 286 Aus der entsprechenden Urkunde, offenbar vom Januar 1625, zitiert Keller, Herzog Friedrich von Kurland, S. 149. 287 Sie ernteten das übliche Mißtrauen, so bestand das Königreich darauf, Mitau und Bauske besetzt zu halten, sonst könne man sich auf die kurländische Neutralität nicht verlassen: ebda., S. 152ff. passim 288 Zit. ebda., S. 173 (Sommer 1627).

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denkbaren und häufig gedanklich umkreisten – politischen Option nach zeitgenössischer Auffassung kein Anrecht hatte, machte in den frühen 1630er Jahren Gustav Adolf immer wieder besonders drastisch deutlich. Beispielsweise im Juli 1630, als ihn der brandenburgische Emissär Wilmersdorff in Stettin aufsuchte – nach seiner Relation289 hat Karl Gustav Helbig das Gespräch 1854 auf vielen Druckseiten nachgezeichnet. Es dokumentiert in besonderer Dichte wie Fülle die Probleme »neutraler« Territorien im Dreißigjährigen Krieg. Der brandenburgische Gesandte brachte dem Schwedenkönig nicht etwa die Neutralität seines Kurfürsten zur Kenntnis, er bat um ihre Gewährung. Gustav Adolf replizierte: »Ich will von keiner neutralität nichts wissen noch hören. Sr. Lbd. muß Freund oder Feind sein. Wenn ich an ihre Grenze komme, so muß Sie kalt od. warm sich erklären. Hier streitet Gott und der Teufel. Will Sr. Lbd. es mit Gott halten, wohl, so trete Sie zu mir; will Sie es aber lieber mit dem Teufel halten, so muß Sie fürwahr mit mir fechten, tertium non dabitur, das seid gewiß.« Gustav Adolf schlug die Bitte um Neutralität also aus – nicht der Berliner hatte ein Anrecht auf Neutralität, der Schwedenkönig durfte verlangen, Freund und Feind eindeutig verorten zu können. Er kannte, woher auch immer, die theologischen Einwände der polemischen Flugschriftenliteratur gegen »neutrales« Verhalten: kalt-warm-Topos, Kampf zwischen Gott und Teufel. Daneben frappiert das große Mißtrauen dem Möchtegernneutralen gegenüber: »Was soll ich für Gewißheit und caution dessen haben, was meinet Ihr, Papier und Dinte?« »Etwas Reales in Händen kann mich versichern, anderes nichts: Manus meae oculatae sunt, credunt quod vident.« Lasset »mich zum tutor Jhrer machen, daß ich ihre Festungen bewahre. Sonsten halten Sie nichts und ist nicht zu trauen.« Neutralitätserklärungen, auch schriftliche Beteuerungen brachten keine »Gewißheit«, keine Erwartungsverläßlichkeit, man konnte dem Neutralen nicht »trauen«. Neutraliätsbekundungen waren nichts »Reales«. Die erneute Bitte, es möge doch »die neutralität zugelassen werden«, fegte der König so vom Tisch: »Solch Ding ist doch nichts als lauter quisquiliae, die der Wind aufhebt und wegweht. Was ist denn doch das für ein Ding neutralität – ich verstehe es nicht.« Er verstand natürlich wohl, der Terminus war seit hundert Jahren im diplomatischen Verkehr eingeführt.290 Doch war Gustav Adolf offenbar der Ansicht, sich keinesfalls der

289 Genauer gesagt wird es sich um eine nach Dresden gesandte Kopie der Relation Wilmersdorffs gehandelt haben; Helbig beruft sich in seiner Arbeit lediglich in allgemeiner Form auf das »K. Sächs. Archiv«. Zum Folgenden: Helbig, Gustav Adolf, S. 12–18. Leider hat Helbig sichtlich sprachlich ›modernisiert‹. 290 Von den scheiternden Verhandlungen über einen Neutralitätsvertrag mit der Liga wissen wir schon, auch, daß Gustav Adolf im November 1631 mit dem Landgrafen von HessenDarmstadt einen Neutralitätsvertrag vereinbaren wird – beide Vorgänge kamen in Kapitel C.3.1.3 wiederholt zur Sprache.

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Lächerlichkeit preiszugeben, wenn er so tat, als sei ihm dieser suspekte Begriff gar nicht recht geläufig. Auch anderen Mitakteuren gegenüber lehnte Gustav Adolf Neutralität in Bausch und Bogen ab. In der Pose des Glaubenskämpfers intervenierend, wollte der Schwedenkönig die protestantischen Reichsstände nicht als Zaungäste akzeptieren: »Unsere Angelegenheiten dulden in Teutsch­land keine Neutralen.«291 Reagierten Politiker und Militärs ansonsten in beiläufiger Geringschätzigkeit auf – deshalb wenig schützende – Neutralitätsbekundungen (wie wir noch sehen werden), neigte der Schwedenkönig bei diesem Thema zu Grundsatzerklärungen. Dem württembergischen Herzog Julius Friedrich schrieb er, die »gesuchte neutralitet« komme überhaupt nicht in Frage, der Herzog sei »ohne das vor Gott unndt gewissens halbers schuldig«, sich »ohne einige fernere Verweigerung« mit den Schwedischen »zu conjungiren«. »Auf den ganz unverhofften fall«, daß der Stuttgarter den Bundesschluß verweigere, werde er ihn für »des gesambten Evangelischen wesens öffentlichen Feindt haltenn unndt erkennen«.292 Den Nürnbergern ließ der Schwedenkönig erklären, er werde Neutrale »für Abtrünnige und ärger als den Feind selbst halten und behandeln«, es gelte »der schädlichen Neutralität Adieu sagen«.293 Sogar auf einer Tagsatzung der reformierten eidgenössischen Kantone waren vergleichbare Töne zu vernehmen: Neutralität sei »für eine Faulheit und Verräterey ... zu halten«. Gustav Adolf werde diese Neutralität als »Hostilitet, welche die seinige erwecket und provociert« behandeln. Es sei »loblicher und heilsamer«, sich für die »Freyheit und Wolfahrt« zu exponieren »als schentlich underm Hütlein zu spielen, zu temporisieren oder zu heuchlen«. Man wisse doch, »daß der bede Theil offendier und reitze, der keinem helfen will; dass rumlicher und sicherer mit zuzuschlagen, als des Streichs zu erwarten«.294 291 Das erklärte Gustav Adolf am 10. November 1629 am Reichstag in Uppsala: zit. nach Günter Barudio, Gustav Adolf – der Große. Eine politische Biographie, Frankfurt 1982, S. 401. Unmittelbar nach seiner Landung an der Gegenküste betonte er zweimal gegenüber pommerschen Gesandten, von Neutralität könne keine Rede sein, er wolle wissen, wer Freund, wer Feind sei: vgl. Droysen, Gustav Adolf, Bd. 2, S. 148f. und S. 157. Auch an den geistlichen Kurhöfen ließ er einmal proponieren, er wolle wissen, ob Freund, ob Feind, und »durchaus von keiner Neutralität etwas halten noch wissen« (ohne Datumtsangabe [Ende 1631] zit. bei Barudio, Gustav Adolf, S. 554). 292 Gustav Adolf an Julius Friedrich, 1632, Februar 19: Theodor Schott, Württemberg und Gustav Adolf. 1631 und 1632. Mit einem Anhang ungedruckter Briefe von Gustav Adolf, Maximilian von Bayern und Barbara Sophia von Württemberg, in: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte N. F. 4 (1895), S. 343–402, hier Beilage Nr. 7. 293 Zit. nach Droysen, Gustav Adolf, Bd. 2, S. 440 bzw. S. 442. Eine hessische Denkschrift zur Politik Landgraf Georgs II., aus der Richter, Fürstentestamente, S. 176 Anm. 450 zitiert, faßt die Anspruchshaltung des Schwedenkönigs so zusammen: »Wer nicht mit Ihr seye, der seye wieder Sie«. 294 Vortrag des schwedischen Emissärs Rasche im März 1632, zit. nach Bonjour, Geschichte 1965, Bd. 1, S. 26f.

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Diese Episode schwedischer Fundamentalkritik an der Neutralität endete mit Gustav Adolfs Schlachtentod, doch wird die Satzung des Heilbronner Bundes ganz bescheiden erklären, daß die »Neutralität ... hiemit unter den Evangelischen gäntzlich auffgehoben seyn solle«.295 Dementsprechend erklärte Axel Oxenstierna darmstädtischen Gesandten, als diese am 23. Mai 1633 auf ihren Neutralitätsvertrag pochten, Neutralität gebe es nicht mehr, der Heilbronner Pakt habe sie abgeschafft.296 3.2.2.2 »Ob er fraindt oder feindt sein wölle«: zur Reaktion auf Neutralitätserklärungen im Schmalkaldischen Krieg Weil Gustav Adolf, Neutralitätswünsche konterkarierend, zu langen Belehrungen neigte, habe ich zeitlich vorausgegriffen. Weniger elaborierte Geringschätzung der Neutralität begegnet schon im Schmalkaldischen Krieg, schon damals konnte man auf eine Akzeptanz allenfalls hoffen. Der bis heute ausführlichsten und gründlichsten Biographie des Albertiners Moritz, aus der Hand von Erich Brandenburg, läßt sich detailreich ablesen, wie dieser Herzog, als der Krieg offenkundig bevorstand, von beiden Seiten bedrängt wurde: Die Schmalkaldener forderten offene Parteinahme, dem Kaiser schien ihm wohlwollende Nichtkriegführung zunächst zu genügen, aber nachdem sich Moritz vertraglich verpflichtet hatte, nicht für die Schmalkaldener zu fechten, wurde ihm deutlich gemacht, daß Kursachsen fürs Haus Wettin verloren sei, so er sich nicht aktiv militärisch für den Kaiser einsetze – mithin den Neutralitätskurs verlasse. Er verließ ihn bekanntlich, viel weniger bekannt, aber bezeichnend ist, daß Moritz vorher, als er noch allenthalben auf seine Neutralität verwiesen hatte, einen Vertragsentwurf hatte ausarbeiten lassen, der die Umrisse eines größeren Schutzbundes für Neutrale skizzierte. Ein am 29. August zwischen albertinischen Räten und dem kurbrandenburgischen Emissär Eustachius von Schlieben vereinbartes Papier297 beschwört die Sorgen wegen »vielfaltiger bedrauunge« von Seiten der Kriegsparteien – »wo ihnen der sieg zufallen sollt«, würden sie »land und leut« derer, die zur Neutralität Zuflucht genommen hatten, »deshalben zu 295 »Da nun, zum Fünfften ... einer oder mehr Confoederation-Verwandter über verhoffen, von den andern außsetzen, sich gefährlicher Practiken gebrauchen oder unternehmen würde, denen ubrigen wider den gemeinen Feind nicht getreulich beyzustehen, oder zu helffen, es geschehe unter der Neutralität (welche hiemit unter den Evangelischen gäntzlich auffgehoben seyn solle) oder anderm Praetext«, wird der Betreffende erst abgemahnt, dann »für Feind erklärt«: Heilbronner Bundesvertrag vom 13. April 1633, Londorp, Acta publica, Bd. 4, S. 314–317. 296 Also habe der Landgraf zu erklären, ob er eintreten oder als Feind gelten wolle: Kretzschmar, Heilbronner Bund, Bd. 1, S. 403f. 297 Abdr.: Brandenburg, Politische Korrespondenz, Bd. 2, Nr. 995.

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uberziehen« versuchen. Man wolle dieser Gefahr gemeinsam entgegentreten.298 Ehe man in drei Wochen erneut zusammenkomme, um den Vertrag zu signieren, werde man in Böhmen und Polen wegen eines Anschlusses sondieren, das Erzstift Magdeburg und das Hochstift Halberstadt, Pommern und Mecklenburg einbeziehen, auch mit den Markgrafen von Küstrin und Kulmbach deswegen reden: das Projekt eines großen ostmitteleuropäischen Neutralitätsbundes! Daraus wurde nichts, wohl signierten Emissäre aus Berlin und Dresden am 20. September in Zossen einen Vertrag, der das gemeinsame Vorgehen gegen einen etwa siegreichen Kaiser, die etwa siegreichen Schmalkaldener in Paragraphen faßte.299 Der Neutrale, präsumtive »praeda victoris«! Durchgehend verwies damals der Pfälzer Friedrich auf seine Neutralität, durchgehend wurde sie von den anderen verworfen. Die Schmalkaldener deklarierten die Auseinandersetzung als »religionsach«, die feiges Abseitsstehen verbiete300 (nur am Rande sei erwähnt, daß mit vergleichbaren Appellen auch die evangelischen Eidgenossen bedrängt wurden, die »Sache christenlicher Religion« nicht im Stich zu lassen301); der Kaiser beharrte darauf, daß der Krieg eine »profansach« sei, gerade deshalb erheische er den »gehorsam« des Reichsstands302, die 298 Ist in ersten allgemeineren Passagen in drastischen Worten davon die Rede, daß jemand die »lande« der Unterzeichner »anzugreifen, zu uberziehen, zu beschedigen« versuche, zeigt die Spezifikation solcher Gefahren weiter unten in dem etwas unausgegorenen Papier, daß man sich doch mehr vor einem Sieg der Schmalkaldener fürchtete. Zu Karl nämlich folgt dort nur: Sollte er [man ergänze: in Süddeutschland] siegen, wird man ihn gemeinsam bitten, bei seinem dann erwartbaren »angriff« aufs Kurfürstentum Sachsen das Herzogtum von »beschwerunge« freizuhalten. 299 Vgl. Brandenburg, Moritz, Bd. 1, S. 477, auch S. 491. 300 Beispiele für moralische Vorhaltungen der Schmalkaldener: Hasenclever, Die kurpfälzische Politik, S. 102; Luttenberger, Glaubenseinheit, S. 359. 301 Straßburg an die evangelischen Orte der Eidgenossenschaft, 1546, Oktober 23, zit. nach Paul Burckhardt, Basel zur Zeit des Schmalkaldischen Krieges, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 38 (1939), S. 41. Ohnehin mahnten die Theologen in ihren Briefen: »Das christliche und deutsche Blut wird durch Gottes Zorn vergossen, wenn sich nicht die helvetische Tapferkeit noch aufrafft« (so im November 1546 Bucer in einem Schreiben an den Basler Antistes Oswald Myconius: Gerber, Politische Correspondenz der Stadt Straßburg, Bd. 4.1, S. 473 Anm. 1). 302 Schon im Juni 1546, als sich die politischen Spannungen aufgipfelten, forderte der Kaiser, unter anderem der Reichs- und Lehnsbande wegen, eindeutige Parteinahme ein; instruktiv Hasenclever, Die kurpfälzische Politik, Beilage Nr. VII. – Auch im Zuge der neuerdings (vgl. RTA, Bd. 17, hier vor allem S. 446ff.) umfassend dokumentierten Bemühungen Karls um Unterstützung oder wenigstens Wohlwollen am Rande des Reichstags von 1546 war stets von »gehorsam« und »ungehorsam« die Rede, das waren die zentralen Kategorien. – Nachdem die im August eintreffenden spanischen und italienischen Truppen den Rücken gestärkt hatten, beschloß Karl, mit seinem abtrünigen Vasallen ein ernstes Wort zu reden. Als der auch noch erneut darum bat, neutral bleiben zu dürfen und mit Truppentransfers über sein Territorium verschont zu werden, wurde das »glatt abgewiesen«. »Mit den

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Treue des Vasallen.303 Der Neutrale durfte sich dann hinterher beim Sieger für sein ungebührliches Verhalten entschuldigen – so er Glück hatte. Im Februar 1547 ließ Friedrich Emissären des neuburgischen Pfalzgrafen Ottheinrich erklären, »es were auch vergebens bey Kay. Mt. zusollicitiren, auf das sein Mt. ir entschuldigung anhörte, dann seine Mayt. woll nit das man entschuldigt sey, sonnder das man sich schuldig gebe, unnd umb gnade bitte«.304 Der Kurpfälzer wußte, wovon er da sprach. Bei schwierigen Verhandlungen mit Granvelle und Naves am 10. Dezember 1546 in Ellwangen hatte er sich auf eine Krankheit in den entscheidenden Kriegsmonaten hinausgeredet. War Neutralität weniger anstößig, wenn sie sich krankheitsbedingter Unzurechnungsfähigkeit anlasten ließ? Konnte man auf so eine politische Schimäre nur im Fieberwahn verfallen? Inständig bat der überführte Neutralschurke um Gnade.305 Neun Tage später durfte Friedrich seinen Canossa-Gang zu Karl selbst antreten, der die Illoyalität des Vasallen durch »demonstrative Demütigung«306 ahndete. Vor zahlreichen Zuschauern hatte sich der Möchtegernneutrale barhäuptig, mit Tränen in den Augen, dreimal vor dem Kaiser zu verneigen und dabei um Gnade zu winseln. Karl mochte dem ruchlosen Neutralen nicht einmal die Hand geben, ließ stattdessen einen Text verlesen, der so begann: »Mon cousin, il me deplait, que vous vous estes si mal conduit envers moy«. Die Demütigung des ungehorsamen Neutralen blieb im Gedächtnis haften – sicher auf beiden Seiten. Die katholische ließ es auf einem 1593/94 gemalten Bild307 so dokumentieren: Karl posiert als Herrscher des Erdkreises – der linke Fuß steht auf einem Globus, die geschlagenen Feinde umringen den Triumphator dekorativ, vom Franzosenkönig über Papst Clemens VII. bis hin zu einer »Africa devicta« (der Tunisfeldzug). Großen Raum, nämlich die untere Hälfte – damit den Vordergrund – der linken Bildhälfte, nehmen die besiegten Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes ein.

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schärfsten Strafen« werde er jegliche Behinderung seiner Durchmärsche ahnden, so Karl, »im hochmütigsten Tone werden Friedrichs Vermittlungsvorschläge schroff abgewiesen«: Hasenclever, Die kurpfälzische Politik, S. 103. Vgl. noch Relation des Nuntius Serristori, 1546, August 19: Karl hat Unterstützung reklamiert, weil Friedrich sein Vasall sei und wegen der »oblighi infiniti che tiene seco« – Walter Friedensburg (Hg.), Nuntiaturberichte aus Deutschland 1533–1559 nebst ergänzenden Aktenstücken, Bd. 9, Gotha 1899, S. 198 Anm. Resolution Friedrichs für Gesandte Ottheinrichs, s. d. [Ende Februar 1547], BayHStA Kasten schwarz 16672, fol. 64. Vgl. die ausführliche Schilderung der Gespräche bei Hasenclever, Die Kurpfälzische Politik, S. 143f. So kommentiert es Luttenberger: Glaubenseinheit, S. 387. Karl hat »die ganze Schale seines Zornes ergossen«: Hasenclever, Die Kurpfälzische Politik, S. 148. Ebda., S. 147–149 eine ausführliche Schilderung der Audienz. Abdr.: Carl A. Hoffmann u. a. (Hgg.), Als Frieden möglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden, Regensburg 2005, S. 298.

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Im Vordergrund dieses Vordergrundes aber, vor den anderen und größer als sie, kniet demütig und entblößten Hauptes – der erklärt neutrale Kurpfälzer, Friedrich II. Der Gottgefällige verachtete eben Neutralität mehr »als einen rechten pur lautern Abfall zum Teuffel«! Daß Herzog Wilhelm von Bayern »neutral« zu sein versuche, haben die Schmalkaldener bis Ende August 1546 geglaubt, doch nicht akzeptiert. Von Anfang an308 bestanden sie auf sehr konkreten Nachweisen bayerischer Parteinahme für die gerechte Sache – Wilhelm müsse Flagge zeigen, man habe ein Recht darauf, zu wissen und zu spüren, »ob er fraindt oder feindt sein wölle«.309 Von vielen vergleichbaren Schreiben will ich nur exemplarisch das vom 3. August paraphrasieren: Da die »freiheit der deuzschen Nation« auf dem Spiel steht, gehen sie davon aus, »hulff, rath, forderung310 unnd beistandt« zu erhalten. Wilhelm wird also »dem gegenteil alles das, so wider unser notwendige defension furgenommen werden mecht, abwendenn, abbrechen, unnd Ihn daran vorhindern«, konkret die kaiserlichen Truppen aus Rain und Ingolstadt »herausser vorschaffen«, hingegen schmalkaldische Truppen dort aufnehmen, denen sowieso freier Paß und Verproviantierung zu gewährleisten sei. Sie gäben ihm sechs Tage Zeit, »gemuet und meynung« hierzu »unvortunckelt« offenzulegen, andernfalls habe er »zuerachten, was unnser notturfft dargegen auch sein«. Alle derartigen Schreiben waren gewissermaßen im Befehlston abgefaßt, man war nicht gewill, mit dem Bayernherzog etwa über seinen außenpolitischen Kurs zu »disputiren«.311 Sogar

308 Das früheste diesbezügliche Schreiben, auf das ich stieß, datiert vom 4. Juli 1546 – Johann Friedrich von Sachsen, Philipp von Hessen »und gemeiner Christlicher eynung vorordnete Kriegs Rhete« an Wilhelm von Bayern (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2100, fol. 8f.: Spanier und Italiener seien im Anmarsch, er habe ihnen den Paß zu »wehren«, »unnd wes wir unns des also ... gewißlich zuverlassen, des [er]bitten wir ... schriftlich ... antwort«. Es kann im Folgenden gar nicht um Vollständigkeit gehen. 309 So faßt es Schertlin von Burtenbach in einem Schreiben an die Augsburger vom 3. August zusammen: Herberger, Briefe, Nr. 30. Die Schmalkaldener bestehen jetzt entschieden darauf, von Wilhelm »entlich vnd fürderlich zu wissen, wessen sie sich zu jme zuuersehen haben, oder nit«: ebda., Nr. 31. Vgl. noch Nr. 34 oder Nr. 37. 310 Meint: Unterstützung, er muß ihre Sache befördern. – Die Schmalkaldener (vgl. vorletzte Anm. – der Briefkopf derartiger Schreiben war immer gleich gestaltet) an Wilhelm, 1546, August 3 (Or.), Äußeres Archiv 2103, fol. 11–14. 311 So er ihnen unverzüglich Paß und Verproviantierung zusagt, wollen sie mit ihm »In ungutem nichts zuschaffen haben«. Die Zusage müsse »ausdrucklich, vorstendlich« erfolgen, denn sie seien nicht gewillt, mit ihm »ferner ... zu disputiren«, er wird sich an ihre vorige »vorwarnung« erinnern: die Kriegsfürsten an Wilhelm, 1546, August 7 (Or.), Äußeres Archiv 2100, fol. 23–26. Dass. am 9. August (ebda., fol. 32–34): Sie haben »clar vormeldet«, daß sie mit ihm »ferner nit zudisputiren« gedenken. Seine Antwort war unbefriedigend, deshalb werden ihre Truppen morgen in Rain am Lech einrücken. Da er vorgebe, ihre »Pess« nicht »versichern« zu können, werden sie »solche Pess mit unserm Kriegs volckh, unsser

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an nachgeordnete bayerische Stellen wandten sich die Schmalkaldener mit entsprechenden Forderungen, ja, Anweisungen.312 Aber auch der Kaiser, dessen Truppen ja längst auf bayerischem Grund standen, sich zum Teil in der Festung Ingolstadt verschanzt hatten, mit anderen Worten: der von der Maskerade einer bayerischen »neutralitet« viel mehr profitiert hatte als die Schmalkaldener, wurde in der zweiten Augusthälfte ungeduldig und forderte den unverzüglichen offenen Anschluß an die gerechte Sache. Am 20. August beispielsweise folgte der Information (nicht etwa Bitte um Genehmigung!) über die in den nächsten Tagen bevorstehenden kaiserlichen Märsche durchs Herzogtum, der Anweisung, an die entsprechenden Orte genügend Proviant zu liefern, diese Mahnung: Es sei »dem andern teil der pass und vortail des wasserstraumbs mit nichten zubewilligen«, Wilhelm müsse die – von den unübersehbaren kaiserlichen Militäroperationen auf bayerischem Gebiet mittlerweile, spät genug, doch ins Land gezogenen – Schmalkaldener »als gemaine vheindt zu wasser und Lannd abtreiben helffen, und hierin ... trewlich zu unns setzen und halten«, müsse sich »numals gegen denselben unsern widersachern auch declariren und ercleren«.313 Er habe »alles[,] das den vheindten zu verhinderung unnd abbruch, unnd uns zu vortail und guetem gelangen kan, mit allem fleiß unnd ernst [zu] befurdern unnd in das werk [zu] stellen«.314 Kurz: Karl billigte seinem Glaubensgenossen an der Isar kein Recht auf eine noch so wohlwollende Neutralität zu. Werfen wir abschließend den Blick auf eine kleine Fußnote zum großen Kriegsgetöse! Der hessische Agent in Augsburg, Gereon Sailer, wollte nicht einmal dieser militärisch unerheblichen Reichsstadt ihr »Stillesitzen« durchgehen notturfft nach, selbst zuverwahren unnd zubesetzenn« wissen (»Pess« meint hier offenbar nicht, gleichsam abstrakt, das Durchzugsrecht, sondern Brücken, Furten u. dergl.). 312 Vgl. nur, für viele vergleichbare Schreiben, Landgraf Philipp an Bürgermeister und Rat der Stadt Ingolstadt, 1546, August 13 (Or.), Äußeres Archiv 2101, fol. 75: Es heißt, daß »etliche Hispanier« in Ingolstadt oder »zwischen der brucken und der stat sein, der meinung uns und unserm Kriegsvolck dene pass zu wehren«. Sie haben ihm deshalb zu erklären, »was wir uns zu euch zuversehen haben sollen, und ob Ir Inen hilff unnd forderung erzeigen woltet«. – Riezler scheint die entsprechenden Bestände im Bayerischen Hauptstaatsarchiv (heute »Äußeres Archiv«) benützt zu haben, denn er geht auf den einen und anderen derartigen Brief ein, doch nicht nur kurz, leider auch ungenau – so kann beispielsweise keine Rede davon sein, daß die Schmalkaldener »Geschütz, Pulver, Geld, Volk und Proviant« verlangt hätten (so aber Riezler, Die bayerische Politik, S. 62), es ging immer ›nur‹ um freien Paß (aber eben lediglich für die Rechtgläubigen!) und Verproviantierung, im August dann auch um eine schmalkaldische (anstatt der kaiserlichen) Besatzung in Ingolstadt. 313 Karl V. an Herzog Wilhelm, 1546, August 20 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2100, fol. 120f. Vgl. beispielsweise noch Instruktion Karls auf Lazarus von Schwendi, 1546, August 23 (Kopie), ebda., fol. 133f. (»Declaration gegen den veindten«). Siehe zum Kontext bereits oben S. 560 Anm. 83. 314 Karl an Wilhelm, 1546, August 25 (Or.), ebda., fol. 142f.

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lassen. »Wurde der landgraf sigen, so hetten sie gewiß, das er in mit gewalt und durch haimlich zurichten laids thun« werde, prophezeite im Juni 1546 sein Vortrag vor dem Magistrat315, »gieng er«, also der hessische Landgraf, hingegen »zu grund, so kumpt zwischen den fursten und dem adel, bevorab wider die stett, bald ain freuntschaft und mitleiden«, vereint werde man es dann den »böswicht« in den illoyalen Städten zeigen: neque amicos parat, neque inimicos tollit! 3.2.2.3 »Von ainer solchen gemainen sach nit absonndern«: zur Reaktion auf Neutralitätserklärungen im Fürstenkrieg Als König Ferdinand von Passau nach Villach reiste, um seinem Bruder Karl die Zustimmung zu den Passauer Vereinbarungen abzuringen, wünschte der Bayernherzog von seinen Räten zu wissen, was dem Territorium blühe, falls der Kaiser ablehne, der Fürstenkrieg somit weiterginge. Die Gutachten für Herzog Albrecht sind unspektakulär, aber für uns ist ihre Wortwahl aufschlußreich. Daß sie den Terminus »neutralitet« wiederholt und doch in beiläufiger Selbstverständlichkeit verwenden, wurde schon weiter oben herausgestellt, als zu zeigen war, daß man während des Fürstenkriegs mit dem Begriff operiert und über seine Füllung reflektiert hat316 – aber gab es ein Anrecht auf diese politische Option? Die Mehrheit des Rätekollegiums war klipp und klar, ohne jeden Abstrich, für eine konsequente Fortführung bayerischer »neutralitet«. Daß die bayerische Regierung ein Recht auf Neutralität besitze, bildeten sich Albrechts Ratgeber indes nicht ein. Wenn der Frieden nicht rasch zustandekomme, heißt es in ihrem Gutachten, müsse man mit beiden Kriegsparteien Gespräche aufnehmen, um so – also auf dem Verhandlungsweg – zu erreichen, »das doch Ir Chur- und furstliche gnaden neutral beleiben mochten«. Die simple Erklärung, auf ein solches jedem freistehendes Recht eben mal zurückzugreifen, reichte demnach nicht hin. Sollte die eine oder die andere Seite daran arbeiten, daß Albrecht »aus der Neutralitet wollte gedrungen, oder ainichem thail, mit hilff unnd beystannd sich anhengig zemachen, angemuottet« werden, müsse man, so führt das Gutachten weiter aus, auf die vorher zu konsultierenden Landstände verweisen, nur so könne man etwas »luft oder zeit« gewinnen.317 Noch skeptischer war ein Separatgutachten Georg Stockhammers. Auch er war dafür, bei »der Neutralitett ... zubeleiben« – »wie aber sollichs beschehen mög, daran ist es alles gelegen«! Auch Stockhammer wollte Abstimmungsbedarf mit den Landständen vorschützen, glaubte aber nicht recht, daß »sonnderlich die 315 Abdr.: Lenz, Briefwechsel, Bd. 3, S. 428–430. 316 Vgl. oben S. 563f. 317 Gutachten der in München verbliebenen Räte, s. d. [Anfang Juli 1552], BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4526, fol. 257–259.

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Pundtischen daran ersettigt sein werden«, entsprechende Erfahrungen anderer »neutraler« Reichsfürsten318 zeigten, daß sich die Kriegsfürsten nicht hinhalten ließen. »Es wirdet auch zweifls one solch anmueten319 nicht beschehen, Sy die Punndtischen seien dan mit gewaltigem hör vor der thur, da mues man nach gelegenhait der gefhar, unnd wie es zur selben Zeit allenthalben peschaffen die anntwort bedenkhen«. Ein weiteres Separatgutachten, aus der Hand Wiguleus Hundts, ließ jedenfalls zwischen den Zeilen grundsätzliche Skepsis der »neutralitet« gegenüber erkennen, und schon gar kein Recht auf Neutralität. Hundt mahnte zu äußerster Vorsicht, noch nicht einmal diplomatisch exponieren 320 dürfe sich der Neutrale. Als Neutraler werde sich der Herzog nach Kriegsende ohnehin »sonderbar zu Entschuldigen unnd zuverthedigen« haben.321 Tatsächlich wurden die Neutralen im Fürstenkrieg unablässig zur Parteinahme »gedrungen«, und »verthedigen« mußten sie ihren suspekten Status häufig genug – auch gegen moralische Vorhaltungen: Es drohe ein Reichsfürst nach dem anderen »aufgefressen« zu werden, schrieb Moritz von Sachsen beispielsweise im März nach München, »also das die fürstlichen heuser und alle hohe und Nidere Stend, von Ir Teutschen libertet322 gedrungen, und in ewige servitut geraten miessen, derhalb alle Ober und Erberkeit, vor Got und der wellt schuldig ... sein ..., gemeine wolfart, erhalten zuhelffen«323, sprich: sich der Kriegsallianz anzuschließen. Die Kriegsfürsten forderten Proviant an, Geschütz, auch Truppen, gern im Befehlston, nicht selten drohend. Die Worte wiederholten sich, so können hier einige Stichproben genügen – wenn er »ane einichen lengern vertzug« offen auf 318 Stockhammer nennt keine Namen, aber das vermeintliche Aushilfsmittel »ich muß vor einer Parteinahme die Landstände befragen« wurde wohl des öfteren erprobt. Friedrich von der Pfalz an Christoph von Württemberg, 1552, April 21 (Kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 197–199: Auch Württemberg soll sich also jetzt »verschreiben«? Er ist ebenfalls der Ansicht Christophs, »das uff söllich schwer anmuotten, nit gleich Ja zusprechen, oder Sobald etwas zuobewilligen sey«, man wird Bedenkzeit erbitten und erklären, die »Lanndschafft« konsultieren zu müssen. 319 Also: Forderung nach unverzüglicher Parteinahme. – Gutachten Georg Stockhammers, s. d. [Anfang Juli 1552], BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4526, fol. 260f. 320 Dieser Aspekt muß uns noch in Kapitel C.5.1 beschäftigen. 321 Gutachten Hundts, 1552, Juli 10, BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 262f. Hundt machte sich vor allem der kaiserlichen Reaktion wegen Sorgen, Karl »werd noch mal auffkommen«. Der Neutrale, praeda victoris! 322 Die Fürstenallianz um Moritz verband ein Bündnisvertrag mit dem König von Frankreich, der gemeinsame Nenner war die teutsche Libertät, jetzt gern zugespitzt auf die von Karl (der Gefangennahme des hessischen Landgrafen wegen) gekränkte »Ehre« des deutschen Fürstenstandes. Die moralischen Vorhaltungen an die Adresse des Neutralen waren deshalb nicht vorrangig religiöser Natur. Überhaupt ist der Fürstenkrieg eben nur in Beimischungen ein Konfessionskrieg gewesen, vgl. hierzu schon oben Kapitel A.2.2.3.1. 323 Kurfürst Moritz an Herzog Albrecht, 1552, März 25 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 70f. (Kursivsetzung von mir).

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ihre Seite trete, schrieben die Kriegsfürsten am 13. April an den Fürstbischof von Eichstätt, »wol und guet, so hats seinen weg. Wo nit so kunnen seine L. gedenken, was uns als dann geburen wil«.324 Fürstbischof Moritz fühlte sich massiv bedroht, »steckhen also In dem hochsten Last, darinnen Wir ye gewesen«.325 Einige Tage davor hatten die Kriegsfürsten nach Stuttgart geschrieben, sie könnten nicht »erachten«, daß der Herzog »solchen hochwichtigen handel, der allen und iden ehrliebenden Teutschen ... giltet, zuruckstellen« und seinen »beistand« versagen werde. Tue er es doch, »so musten wir vor uns und unsere mitverwante E. l. vor unsern widerwertigen ... halten.«326 Als der erschrockene Neutrale Emissäre ins Heerlager abordnete, wurden die keineswegs unbedachten Drohungen wiederholt.327 Im Juni hieß es, man könne der Bitte Christophs, sein Land zu »verschonen«, nicht »statt geben«, denn sie bestünden darauf, »von allen und ieden stenden des hailigen reichs ain entlichs und onzweifenlichs, auch unverdunckels, rund wissen zu haben, wes sich by inen zu versehen und zu getrosten, oder vermeg der usschreiben gegen inen thetlich zu handlen«. Beispielsweise habe der Herzog nun unverzüglich Truppenhilfe zu leisten.328 Intern werteten die Stuttgarter das harsche Schreiben als Drohung mit der Okkupation des Herzogtums.329 Andere Neutrale wurden vergleichbar bedrängt, förmlich und offiziell, durch gezielt ausgestreute beängstigende Gerüchte.330 Wer den Verteidigern der Libertät »hülff 324 Die Kriegsfürsten an Moritz von Eichstätt, 1552, April 13 (Kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 190. 325 Die Kriegsfürsten übersandten ihm ihre »articulos« und verlangen von ihm, sich ihnen zu »verschreyben«. Er will es nicht, »Jnn Bedenckhung der Pflicht, Damit Wir Röm. Kay. auch Konigl. Mat. ... zugethan«, von deren Rat und Beistand er indes »Jnn diser Eyll abgeschnitten« sei. Weigere er sich, fürchte er, sein Hochstift werde »eingenommen« und »verderbt«. Es folgt das Zitat: Moritz an Herzog Albrecht von Bayern, 1552, April 18 (Or.), ebda., fol. 186. – Ich versuche, den Duktus der Kriegsfürsten zu belegen. Ob Fürstbischof Moritz tatsächlich ernsthaft die »neutralitet« suchte, vermag ich mangels Kenntnis eichstättischer Akten nicht zu beurteilen. – Vgl. noch Moritz von Eichstätt an Albrecht von Bayern, 1552, Mai 13 (Or.), ebda., fol. 252f.: Markgraf Albrecht Alkibiades übersandte einen »offenen veindtsbrief« – Moritz habe sich nicht »erklert«, deshalb sei er, der Kulmbacher, nun beauftragt, ihn »mit feyndtlichen thaten haimbzesuechen und zu gepurlichem gehorsam zepringen« (nicht nur Karl also reklamierte »gehorsam«!) – außer, er erlege eine »straff« von zwanzigtausend Gulden »sambt 12 stuckh Puchsen« und Munition. 326 Kurfürst Moritz, Markgraf Albrecht Alkibiades und Landgraf Wilhelm an Herzog Christoph, 1552, April 3: Ernst, Briefwechsel, Bd. 1, Nr. 456. 327 Vgl. ebda., Nr. 537 – er möge eben das Schreiben vom 3. April entsprechend beantworten, dann habe man mit ihm »in ungutem nichts zu thon«, »dann wo das nit, solte es wol ander weg gewinnen ...« 328 Die Kriegsfürsten an Christoph von Württemberg, 1552, Juni 4: ebda., Nr. 598. 329 Vgl. das Memorial Christophs ebda., Nr. 609. 330 Vgl. nur Jörg Haslang an die Kammerräte in München, 1552, Juni 4 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4526, fol. 37–39; oder die in München verbliebenen Räte an Herzog Albrecht, 1552, Juni 7 (Or.), ebda., fol. 50f.

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vnnd beystandt« versage, auch nur zögere, sich definitiv zu »erklären«, werde als Feind behandelt, »mit ernst, Schwerdt vnd Fewer« bestraft.331 Auf der anderen Seite bat Karl V. nicht etwa um Beistand, er forderte Gefolgschaft ein. Von Anfang an warnte er im Befehlston davor, sich etwa von ihm »abwennden« zu lassen332, jeder gehorsame Reichsfürst werde vielmehr »bestendiglich und beharrlich bey unns pleyben und halten«. 333 Häufig trafen die entgegengesetzten, herrisch oder auch ultimativ vorgetragenen Forderungen nach offener Parteinahme für diese wie jene Seite mehr oder weniger zeitgleich ein – hie forderten »scharpff schreiben«, sich für die Kriegsfürsten »zuercleren unnd zudeclarirenn«, klagte einmal Herzog Christoph von Württemberg, da wachse die kaiserliche »ungnad«, so daß es dem Neutralen »beschwerlich ja auch in die harr, unmeglich sein welle allso in gefaar« zu stecken.334 Weil es kein Recht auf Neutralität gab, schützte die Erklärung, sich neutral heraushalten zu wollen, nicht vor Zudringlichkeiten aller Kriegsparteien. Die dem Reichsoberhaupt geschuldete Unterstützung konnte in diplomatischer Parteinahme bestehen335, meinte häufiger massive militärische Unterstützung: »alle guete hilff« bei der Aufbringung kaiserlicher Truppen336, oder Lebensmittellieferungen an diese337, oder Geschütz und Munition, gegen die 331 »Außschreiben« der Kriegsfürsten, undat. Druck (die Frist, binnen derer sich die Adressaten »zuerklären« hatten, blieb Leerstelle, war also je und je mit der Feder nachzutragen), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3169 (unfol.). 332 Er wird sich »bey disen gefahrlichen Zeiten nit allein von Irer Mt. nit abwennden, sondern auch derselben als Iren rechten ainigen herrn Jn crafft Jrer gethanen Pflicht, und schuldiger gehorsam, getreulich beystehen, und anhangen«: Werbung Schwendis bei Albrecht von Bayern, 1552, Februar 2 (Kopie), Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 2–5. Wortgleich: Werbung des Grafen Philipp von Eberstein in Stuttgart, 1552, März 5, Kopie: ebda., fol. 28–32. 333 Karl V. an Kurfürst Friedrich von der Pfalz, 1552, Mai 25 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3169 (unfol.). Auch diese Forderung ist mit Gehorsams- und Treueappellen gekoppelt, doch interessieren uns solche kaiserlichen ›Argumente‹ näher in Kapitel C.6.4. 334 Instruktion Christophs für Ludwig von Frauenberg, 1552, Mai 29 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 294–296. 335 Vgl. nur Karl an die Passauer Versammlung, 1552, Juni 30 (Kopie), BayHStA Kasten blau 105/4a, fol. 329–331: Die Passauer Vermittler können »leichtlich abnemen und ermessen das Jr billich nicht bei uns sonder viel mehr bei dem gegenteil anhalten und dieselbigen bewegen und bereden soltten, das sie von Jrem unbillichen furnemen ... abseen«; wie stets »pflicht«, »treu« usw. usf. 336 Vgl. nur Karl V. an Herzog Albrecht von Bayern, 1552, Mai 30 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 298 – wie fast immer im Befehlston. 337 Vgl. nur, wieder für zahllose ähnliche Schreiben, Karl an Albrecht, 1552, Juli 25 (Or.), ebda., fol. 300f.: »ernstlich gesynnen, unnd Begern«, daß er seine Untertanen und besonders die Amtleute anweist, das Korn ausdreschen und alles dorthin bringen zu lassen, wo es sein »oberster Profiandtmeister« haben will. Außerdem wird er (Information, keine Bitte!) demnächst in mehreren namentlich benannten bayerischen Orten mustern lassen.

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Kriegsfürsten, gegen Frankreich. 338 Karl konnte auch allumfassend die ganze Kraft des Landes einfordern: Der seither Neutrale wird sich, an seine Verantwortung erinnert, künftig wie »anndere gehorsame Stennde ... mit volckh zu wasser unnd fues, unnd anderer Kriegs notturfft« seinem »Eussersten vermögen nach, gefasst machenn«, wird mit so gestärkten Kräften der »emporung Stattlichenn Widerstanndt, verhinderung, unnd abbruch thun«.339 Drohungen lagen Karl genauso wenig fern wie der Fürstenallianz, und wie diese konnte er salbungsvoll werden: Die vom Kurfürsten von Trier »begert[e] neutralitet« kam nicht in Frage, ihm mußten doch des Reichs »vndergang vnnd verderben, so darunder gesuecht wirdet, zum hochsten zu hertzen geen«; das einmal vor Augen, werde er sich »von ainer solchen gemainen sach, vns vnd dem hailigen reiche vnnd gemainem vatterlannd zu trost nit absonndern«, vielmehr »khainer muhe noch arbait« scheuen, damit »dem hailigen reiche teutscher nation dises hochbeschwerlichen lasts auf alle mugliche weg vnnd mittel abgeholffen« wurde.340 Wer neutral blieb, sonderte sich vom Gemeinnutzen ab, verweigerte eigennützig seine Hilfe, ja, ging bequem aller Mühsal und Arbeit aus dem Weg: »Pfui der Faulkeit vnd Schande«!341 3.2.2.4 »Welcher uns am Narrenseil so lang herumgeführt«: zur Reaktion auf Neutralitätserklärungen im Dreißigjährigen Krieg Auch die Möchtegernneutralen des Dreißigjährigen Krieges mußten »einstendigh«342 darum bitten, sie in die »neutralitet gnedigst zusetzen«343, mußten »underthänig« nachsuchen, daß ihnen doch die »neutralitet gegünnet« 344 338 Wiederum exemplarisch: Mandat Karls V. aus Villach, 1552, Juni 4 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4226, fol. 239f. – legt aus kaiserlicher »macht« fest, daß seinen Truppen auf Ansuchen Proviant, ebenso Geschütz und Munition geliefert wird. »Ungehorsam« wird schwere Strafen nach sich ziehen. Zum »geschütz«, speziell kurpfälzischem, reichhaltige Korrespondenzen in BayHStA Äußeres Archiv 4305. 339 Karl V. an Herzog Christoph von Württemberg, 1552, April 4 (Kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 138. 340 Karl V. an den Kurfürsten von Trier, 1552, April 2: Lanz, Correspondenz, Bd. 3, Nr. 767 (Kursivsetzungen von mir). 341 Vgl. oben S. 416. 342 »Weilln ahnietzo die Neutraliteth der Gülischen lender einstendigh gesuchet wurdt ...«: »Underthänige supplication unndt Pitt« der Dortmunder Emissäre an den Heilbronner Bund, »praes.« am 13. Mai 1634, Kopie: BayHStA Kasten blau 102/4 I. »Der Ober- und Niedersächsischen Craise votum«, undat. Kopie (ebda.): stellen es den anderen »anheimb«, ob man Dortmunds Gesuch »verwilligen« will. (Das tat man auch in den nächsten Monaten nicht, aber hier interessieren nicht die Fakten, interessiert der sprachliche Duktus.) 343 »Memorial« der »Abgeordneten« Dortmunds, undat. Kopie (ebda.) 344 Arnold Jost Graf zu Bentheim an den Frankfurter Bundestag der Heilbronner, 1634, Mai 1 (Kopie), ebda.

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werde. Beispiele aus dem großen deutschen Konfessionskrieg kennen wir an sich ja schon, insbesondere die oft harsche Neutralitätskritik, mit der Gustav Adolf Bitten um die »neutralitet« abzukanzeln pflegte. Der am Niederrhein wie an der Donau mit dem Kriegsgeschen konfrontierte neuburgische Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm hatte auch nach Gustav Adolfs Schlachtentod viele gute Gründe für die Klage, man versuche »allenthalben« zu erreichen, daß er und sein »landt nur in den Krieg mit eingemischet wurden«.345 Wien wie Brüssel verlangten dem katholischen Pfalzgrafen offene Parteinahme ab, unterstrichen diese Forderungen wieder und wieder durch Truppeneinlagerungen, die den störrischen Glaubensbruder mürbe machen sollten. Gesandtschaften der Kurfürsten von Mainz und Köln gaben sich die Klinke in die Hand, Wolfgang Wilhelm müsse nun endlich der Liga beitreten.346 Der Pfalzgraf blieb störrisch, fühlte sich indes massiv bedrängt, wie beispielsweise dieses Schreiben an seine Gemahlin zeigt: »In summa sie haben alle zusammen geschworen (ausser Wirtzburg), sie wollen mich nothigen, dass ich mit den Schwedischen brechen oder doch der K. M. mein Volk uberlasse, darzu ich keinen sin, auch nit gemeint bin, mich nöthigen zu lassen«.347 Auf der anderen Seite räumten die Heilbronner natürlich auch dem Pfalzgrafen kein Anrecht auf Neutralität ein. Dieser mußte wegen seiner »sonderbahren Neutralitet für dero Landt und Leuth underschiedlich werben und suchen lassen«348, konnte auch an die vermeintlichen »Concedenten« appellieren, sich zu »erhandleter neutralitet« zu bekennen.349 Diese wollten sich dann üblicherweise so genau nicht mehr erinnern – wer hatte schon inmitten derart unübersichtli345 »Copia Propositionis ahn den Schwedischen Reichs Cantzlern Herrn Ochsenstiern ubergeben«, 1633, Juli 2, ebda. 346 Vgl. nur an gedruckten Belegen Küch, Die Politik, S. 3, S. 76, S. 108, S. 116 (u. v. a.). Der habsburgische Triumph bei Nördlingen machte die Sache keinesfalls besser, sogleich verlangte der Kaiser, da ja die Pfalzgrafschaft nun »vom feindt liberirt« sei, daß Wolfgang Wilhelm seine Truppen zu des Kaisers »und der Catholischen getrewhertzigen« Stände »clarwürdigen volckh zustoßen« veranlasse und so leiste, was »dem gesambten Catholischen gemeinen weesen zum besten und merckhlichem uffnemen gereichet«. Der Neutrale sonderte sich vom konfessionell definierten »gemeinen weesen« ab: Wir haben hier das katholische Gegenstück zur lebhaften evangelischen Kritik an neutralem Verhalten vor uns. Die Zitate: der Kaiser an Wolfgang Wilhelm, 1634, Sept. 17 (Kopie), BayHStA Kasten blau 102/4 I. 347 Aus dem Schreiben zitiert Küch, Die Politik, S. 119 Anm. 2 (Kursivsetzungen, auch im Folgenden, von mir). 348 So die narrative Hinführung zu einer Resolution Oxenstiernas vom 8. Juli 1633, Kopie: BayHStA Kasten blau 102/4 I. 349 Wolfgang Wilhelm an »die Wetterauische Correspondirende Graven«, 1634, Januar 11 (Kpt.kopie), ebda. Die Adressaten hatten natürlich noch gar nichts »concedirt«, Wolfgang Wilhelm versteifte sich aber auf ältere Zusagen Gustav Adolfs und der Hofburg (von der letztere freilich nichts wissen wollte).

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cher Kriegswindungen alle diplomatischen Details präsent? Oder sie erklärten, sie hätten zwar beschlossen, generös »eine richtige Neutralitet gnedigen zulassen«, doch müsse man sich nun noch »de modo Neütralitatis vergleichen«350, der Wunsch nach Neutralität werde »ohne vorhergehende tractation« seine »richtigkeit schwerlich erreichen«.351 Ein festkonturierter abrufbarer Rechtstitel ist sie eben nicht gewesen. Die »Bitte« konnte »verwilliget« werden352, oder aber, man sah gute Gründe, »die angesonnene Neutralitet zuverweigern«353, besonders, wenn »status publicus et ratio belli nicht zugeben welle, solche lande ... noch zur Zeit in sichere neutralitet zusezen«.354 Die »gesuchte« Neutralität, die »erbetene« Neutralität – wir dürfen nicht meinen, solche Charakterisierungen in den narrativen Hinführungen zu den allfälligen Resolutionen der Kriegsparteien seien durchgehend lediglich belanglose Floskeln! So sie es sind, ist auch das vielsagend. Jedenfalls manchmal wurden derartige Präambeln indes sehr sorgsam formuliert, wie bei guter Überlieferungssituation Korrekturen auf Entwürfen zeigen können. Eine Auflistung von Änderungsvorschlägen zum Entwurf einer Resolution für Wolfgang Wilhelm befindet, bei der Formel »bishero instendig gesuchte Neutralitet« sei das diskriminierende »instendig« gnädig auszulassen.355 Oxenstierna sah das ausdrücklich anders, die Resolution ließ den Neuburger dann doch »instendig« nachsuchen.356 Erst nach dem Desaster von Nördlingen war das Macht- und Prestigegefälle zum Möch350 Proposition Jakob Löfflers bei Beratungen am 31. Mai 1634: ebda. (alle Kursivsetzungen von mir). 351 So faßt Wolfgang Wilhelm in einem Schreiben an seinen Agenten beim Frankfurter Bundesrat, Dr. Erasmus, vom 4. Januar 1634 einleitend zusammen, was ihm dieser in seinen Relationen berichtet hatte, Or.: ebda. – »Des loblichen Gravlichen Collegii« Stellungnahme zur »neuburgischen neutralitet«, »praes.« am 13. Juni 1634 (ebda.): »Seye frembdt zuvernehmen, daß die Newburgische von keinen conditionen hören wollen, da doch solche in allen dergleichen fällen ... eingangen werden, also hierab so viel zuspüren, daß es Newburgischen mit der handlung nicht ernst«. 352 »His conditionibus könte Neutralität verwilliget werden«, aber nur für die niederrheinischen Gebiete: »Deputati von Herrn Reichs Canzlers Excell.«, 1634, Mai 31, ebda. Neuburg können sie hingegen »nicht müsigen«, »ratio belli dasselb erfordere«. Die Heilbronner weigerten sich bis in den Sommer 1634 hinein konsequent, über eine Räumung Neuburgs auch nur zu verhandeln, aus militärisch nachvollziehbaren Gründen – eine sofortige bayerische Besetzung wäre die wahrscheinliche Folge gewesen. 353 Man hätte an sich gute Gründe, »die angesonnene Neutralitet zuverweigern«, aber weil die niederrheinischen Lande »also situirt das daraus dem Feindt groser vorschub beschehen kan und dann das S. F. D. in zimlicher bedenklicher armatur begriffen seindt«, kann »die neutralitet, doch uff gewise mas undt conditiones ... verwilligt werden«: Die Frankfurter Deputierten an Oxenstierna, 1634, Mai 19 (Kopie), ebda. 354 Resolution der Heilbronner Verbündeten, 1634, Juni 28 (Or.), ebda. Die Passage zielt auf Neuburg. 355 Auflistung von Änderungsvorschlägen der »Stände und Gesanten« in Frankfurt, s. d., ebda. 356 Vgl. Resolution der Heilbronner Verbündeten, 1634, Juni 28 (Or.), ebda.

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tegernneutralen so eingeebnet, daß derartige Formulierungen vorübergehend aus den Akten verschwanden.357 Übrigens wird gerade beim Neuburger, diesem Neutralen aus Gewohnheit und Staatsräson, deutlich, daß die politischen Partner auch deshalb geradezu reflexhaft erst einmal negativ auf Neutralitätsbeteuerungen und entsprechende »Bitten« reagierten, weil sie dem Neutralen »mit dem grössten Misstrauen«358 begegneten. Wenn da einer, wie Wolfgang Wilhelm, jahraus, jahrein auf diesem suspektem Status herumritt, war ihm umso weniger zu trauen – »mit dem von Neuburg, welcher uns am Narrenseil so lang herumgeführt«, mußte man »letztlich einmal teitsch« reden.359 Zu den Autostereotypen »des Teutschen« gehörte Aufrichtigkeit, »der Teutsche« war frei von »welscher« Tücke – neutrales Herumlavieren war, so gesehen, undeutsch. Wir werden, uns in Kapitel C.4 konzentriert den Topoi des vormodernen Neutralitätsdiskurses zuwendend, noch merken, daß manche Publizisten Neutralität tatsächlich als »unteutsch« zu diffamieren pflegten. Interessanterweise begegnet beim neuburgischen Konvertiten Wolfgang Wilhelm aber auch der uns schon bekannte Argwohn, Katholiken betrieben Politik nach der Maxime »quod haereticis non servanda fides«.360 Vom kurfürstlichen Nachbarn in Köln mußte sich der Pfalzgraf einmal höhnisch vorhalten lassen, er sei ja »den protestirenden Stenden, villicht361 mehr suspect, als wir andere«, also die Ligisten. Weil Neutralität nun einmal »suspect« war, wurde »stetig auff eine assecuration derselben getrungen«362, wer konnte denn für sie »haften«?363 Konnte 357 Auch der bis dahin notorische Terminus »neutralitet« spielte nun vorübergehend fast keine Rolle mehr. Wolfgang Wilhelm pochte im Herbst 1634 selbstbewußt auf »verschonung«, diese wurde ihm schließlich zugesagt. »Verschonung« war mehr wert als der suspekte Terminus »neutralitet«, der ja eben gerade nicht zuverlässig »verschonung« vor Kriegsunbilden beinhaltete. Vgl. genauer unten S. 652 mit Anm. 470. 358 Küch, Die Politik, S. 53. »Abneigung und Misstrauen«: Küch, Wolfgang Wilhelm in Brüssel, S. 194. Man begegnete den Emissären Wolfgang Wilhelms »äußerst mißtrauisch«: Kretzschmar, Heilbronner Bund, Bd. 1, S. 461. 359 So Kurfürst Ferdinand von Köln in einem Schreiben nach Osnabrück am 12. November 1633, aus dem Küch, Die Politik, S. 78 Anm. 1 zitiert. »Neuburg führt uns alle an der Nase herum«: ebda., S. 115. 360 Das habe man einem neuburgischen Emissär am 11. Juli 1633 bei Besprechungen am Rand des Frankfurter Bundestags der Heilbronner vorgehalten, erwähnt Küch, Die Politik, S. 53. 361 Sic! Zitiert bei Küch, Die Politik, S. 41. 362 So lamentierte Wolfgang Wilhelm in einem Schreiben an seinen Emissär Dr. Erasmus vom 4. Januar 1634 (Or.): BayHStA Kasten blau 102/4 I. 363 Man sollte darauf dringen, daß die »hochmögenden herren Staten ... vor diese neutralitet haften«: »Der Ober- und Niedersachsischen Craise votum«, undat. Kopie [Mai 1634], ebda. Man muß eben »conditionen« aushandeln, dazu gehören auch Abdankung und »versicherung«: Protokoll der Beratungen von Vertretern des Heilbronner Bundes mit Emissären des Pfalzgrafen am 31. Mai 1634, ebda. Sie brauchen »genugsahme versicherung und acta publica«: Resolution der Heilbronner vom 18. Juli (Kopie), ebda. – usw., usf.

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sie überhaupt ausreichend »versichert« werden?364 Ein Resolutionsentwurf der Heilbronner verlangt »genugsame assecuration« auch durch »dero Landt Stände«, ja, sogar eine »verpflichtung« der »underthanen«!365 Zu den praktischen Folgen solch notorischen Mißtrauens dem Neutralen gegenüber gehörte die durchgehende Forderung der Kriegsparteien, daß er seine Truppen abdanken müsse.366 Suspekte Neutrale konnte man allenfalls in demilitarisiertem Zustand ertragen, suspekt blieben sie doch. Es war aus der Warte des Neutralen ein Circulus vitiosus: Weil sein Status so wenig schützte, so wenig respektiert wurde, sah er sich oft genug gezwungen, seine Neutralität durch eigene Truppen zu befestigen – doch vergrößerte eben das noch das Mißtrauen der Mitakteure. Daß Wolfgang Wilhelm Übergriffe der Kriegsparteien zu seinen »Costbaren KriegsWerbungen« veranlaßten, sei wenig glaubhaft, urteilt beispielsweise ein Gutachten der Heilbronner, diese Rüstungen belegten vielmehr den Wunsch des Pfalzgrafen, »sich mit den ligisten zue conjungiren«.367 Weil Neutralität so wenig schützte, so wenig respektiert wurde, weil sich der Neutrale auf keinem nun einmal gegebenen Rechtstitel ausruhen konnte, mußte er stets auf allen Seiten diplomatisch präsent sein – doch konnte 364 Natürlich müßte die »neutralitet« von allen Seiten »versichert« werden, doch sind sie der Ansicht, »der feindt möchte sich [man ergänze: selbst dann] solcher Landen nicht weniger zu seinem vortheil wie die Confoederirte [be]dienen, halten demnach darfur, es wurde ... der sicherste und thunlichste weg sein«, wenn sich der Pfalzgraf mit ihnen »in societatem belli« begebe: Resolution des Heilbronner Bundes vom 7. September 1634, ebda. 365 »... und daß Sie ein gleichmesiges beim gegentheil erlangt«: »Vorgeschlagene Conditiones«, zu denen die von Neuburg »gesuchte Neutralität [sic] ... zuverwilligen« sei, ebda. Es handelt sich offenbar um einen Vorentwurf zur Resolution vom 28. Juni 1634. Wie sich die Autoren des Papiers die »verpflichtung« der »underthanen« auf die Neutralität konkret vorstellten (lediglich ein öffentlich anzuschlagendes Dekret des Pfalzgrafen, wonach sich beispielsweise keiner als Söldner anwerben lassen dürfe?), wird nicht ausgeführt. Gutachten »des Ober und Niedersächsischen Creyses« für die »vier oberländischen«, undat. Kopie: Wolfgang Wilhelm muß für sich »und wegen dero Landständen, den Capitulirten und beschlossenen Neutralitets Conditiones ... eine schrifftliche versicherung leisten«. 366 Wir sahen das schon beiläufig und werden es noch des öfteren sehen, ich will kein eigenes Kapitel daraus machen. Vgl. zur Neutralität Wolfgang Wilhelms: »Der Ober- und Niedersachsischen Craise votum«, undat. Kopie [Mai 1634], ebda. – man muß dem Neuburger eine Obergrenze für Festungsbesatzungen auferlegen, »damit nicht unter dem schein der guarnisonen, dem feind zum besten, volkh zusammen lauffen möge«. Resolution der Heilbronner vom 28. Juni 1634 (Or.), ebda: Wolfgang Wilhelm hat seine Truppen entweder den Heilbronnern zuzustellen, oder man muß »zu deroselben abdankung ... sich gewisser Zeit ohrt und mas vergleichen«, was für Heilbronner wie Generalstaaten kontrollierbar sein muß – usw., usf. Ich zitiere nur noch diesen bezeichnenden Dialog (Protokollnotizen vom 10. Dezember 1634, ebda.): Was biete denn Wolfgang Wilhelm für »assecuration« seiner Neutralität? Darauf dessen Emissär: »Die Securitet were, das s. d. nit schaden kenne, wan volk abgedanckt werde«. 367 Gutachten des Grafenkollegiums vom 18. Mai 1634 (Kopie), ebda.

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auch das Mißtrauen säen: »Ja es seint viel geheime und offentliche münd- und schriftliche conferentien mit dem feindt bishero« veranstaltet worden, zweifelsohne hatten diese »tractaten« längst zu »alliancen« geführt, orakelt das soeben schon zitierte evangelische Gutachten.368 An die »Akzeptanzprobleme der Neutralität im Spiegel diplomatischer Akten« sollten uns, Kapitel C.3.2 einleitend, diplomatische Nöte des Stuttgarter Hofes im Frühjahr 1622 heranführen. Aber die württembergische »neutralitet« wurde von den Mitakteuren mißachtet, seit sie im Sommer 1621 als neue Leitlinie der Stuttgarter Außenpolitik formuliert worden war. Für den Kaiserhof und seine Anhänger hatte auf das Ende der evangelischen Union eben nicht »neutralitet« zu antworten, sondern tätiger Einsatz gegen die trotzdem verbliebenen Ruhestörer. Der Möchtegernneutrale müsse mithelfen, das Heer des evangelischen Söldnerführers Mansfeld »trennen zu helfen«369, hieß es, wenigstens eine »nachbarliche zusamensezung« sei er schuldig370; oder er müsse seine Soldaten unter die kaiserlichen Truppen stoßen371 – »neutralitet« sei kein Ausweg und habe jetzt auch »kein statt«.372 Johann Friedrich beschied solche im Befehlston vorgetragene Zudringlichkeiten zwar negativ, weil man sich sonst »partheysch machen und aus der neutralitet schreiten«373 würde, aber es war doch bestürzend rasch, noch im Sommer 1621 klar geworden, wie schmal der Pfad außenpolitischer Neutralität war, wie groß die Absturzgefahr. Übergriffe katholischen Volks mußte das erklärt neutrale Herzogtum fast gewohnheitsmäßig hinnehmen, im Juli wurden Plünderungen aus den Ämtern Weinsberg und Möckmühl gemeldet, im August wüteten marodierende Reiterhorden in Neckarsulm und Obereisesheim.374 368 Ebda. 369 Ludwig von Hessen-Darmstadt an Johann Friedrich von Württemberg, 1621, Nov. 19 (Or.), HStASt A90A tom. 34, fol. 86f. Der Stuttgarter versteifte sich in seiner Antwort auf die »neutralitet«: 1621, Nov. 24 (Kopie), BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 135. Selbst der ›kaisernähere‹ (man verzeihe mir in diesem Rahmen solche Vereinfachungen) Mömpelgarder Regent Ludwig Friedrich stimmte dem Bruder in Stuttgart zu, man werde durch Militärhilfen gegen Mansfeld »per indirectum in die Liga gezogen«: Ludwig Friedrich an Johann Friedrich, 1621, Dez. 24 (Or.), HStASt A90A tom. 34, fol. 209–212. 370 Erzherzog Leopold an Johann Friedrich, 1621, Dez. 1 (Or.), HStASt A90A tom. 34, fol. 138–140. 371 Vgl. Kaiser Ferdinand II. an Johann Friedrich, 1621, Dez. 29 (Or.), HStASt A90A tom. 34, fol. 238f. Entsprechende Schreiben gingen auch nach Durlach und an mehrere kleinere Reichsstände, wie die Konzeptkopie in BayHStA Kasten schwarz 30, fol. 472f. zeigt. 372 Das erklärte offenbar, im Auftrag Erzherzog Leopolds (nun sollte man die württembergischen Truppen seiner Kommandogewalt unterstellen), Hans Werner Raitenau, ich zitiere aus dem damit befaßten Beratungsprotokoll vom 19. Februar 1622: HStASt A90A tom. 39, fol. 1009–1012. Abschlägige Resolution Johann Friedrichs vom 20. Februar (Or.): HHStAW Palatina 4, fol. 91–94. 373 Rätegutachten vom 19. Februar 1622, HStASt A90A tom. 34, fol. 473f. 374 Vgl. die Korrespondenzen in HStASt A90A tom. 33, fol. 230ff.

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Im Oktober alarmierte die Meldung, Mansfeld stehe bei Boxdorf, keine drei Meilen von Möckmühl entfernt. Die Untertanen der Ämter Maulbronn, Weinsberg, Möckmühl und Neuenstadt wurden von Stuttgart aus aufgefordert, ihre Wertsachen weiter ins Landesinnere zu schaffen.375 Wie auf der anderen Seite Wien und Innsbruck, ließ auch der weiterkämpfende badische Markgraf Georg Friedrich auf ein Bündnis drängen, das mehr sei als nur »eine schlechte landtsdefension«376, und im November hieß es, nun fordere Mandfeld gebieterisch, daß man die Truppen des erklärt neutralen Herzogtums unter seine Horden stoße377; zur selben Zeit erpreßte der Söldnerführer vom Flecken Großengartach 25000 Gul­den, wurde Zaisenhausen geplündert. Die Stuttgarter Regierung versuchte erst gar nicht, solche Neutralitätsverstöße zu ahnden, vielmehr beschied sie den Obervogt zu Brackenheim, die Großengartacher müßten wohl bezahlen, »dann besser seye es, einen kleinen schaden zu leyden, als das sie alles verlieren«.378 Die Württemberger seien in »grosser consternation, schräken und ängsten«, fiel den Ulmern Hans Schad und Konstantin Varnbüler bei einer Reise nach Stuttgart auf.379 Sollte gegen solche »ängste« der Mittelmacht ohne Kriegsziele nicht die »neutralitet« schützen? Der Herzog hatte zwar einen Emissär zu Mansfeld gesandt und bitten lassen, man möge Württemberg doch »bey der neutralitet lassen«.380 Aber was pflegten derlei Appelle bei Söldnerführern schon zu bewirken, wenn ihre Truppen unter Geld- und Nahrungsmangel litten! Im Januar 1622 schreckten Nachrichten von Exzessen und »ranzionen« in Mömpelgard, im März hieß es, Mansfeld halte Johann Friedrich für »gar gut kayserisch«, ein Angriff aufs Herzogtum stehe bevor. Die Räte empfahlen Spionage, Berichte aus den Feld­lagern seien »zu allen consiliis nothwendig«.381 Was das mit unserem Thema zu tun hat? Modernes Neutralitätsrecht soll vor Kriegseinwirkungen abschirmen und lehrt den stetigen Maßstab der Äquidistanz. Die damalige Mittelmacht Württemberg aber sah sich gezwungen, ihre Politik an den je aktuellen militärischen Kräftever­hältnissen zu orientieren. Sie mußte, wie ein neutralitätskritischer Topos der gedruckten Literatur lautet, »den mantel nach dem wind« 375 Vgl. Rätegutachten, 1621, Okt. 22, HStASt A90A tom. 34, fol. 11–18; ferner Johann Friedrich an den Ober­amtmann zu Neuenstadt, 1621, Okt. 25 (Or.), A238 tom. 45*. 376 Vgl. den Bericht der Emissäre Georg Friedrichs über ihre Bemühungen in Stuttgart vom 30. September 1621, Or. (Beuteakten!): BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 135. 377 Vgl. Georg Friedrich von Durlach an Johann Friedrich, 1621, Nov. 21 (Kopie), ebda. 378 Johann Friedrich an Obristleutnant Hehlin und den Obervogt zu Brackenheim, 1621, Nov. 23 (Entw.), HStASt A90A tom. 34, fol. 52f. 379 Relation Schads und Varnbülers, 1621, Dez. 9 (Or.), Stadtarchiv Ulm A1405 Nr. 114. 380 Instruktion Johann Friedrichs auf Ferdinand Geizkofler für Verhandlungen mit Mansfeld, HStASt A90A tom. 34, fol. 62–64. 381 Rätegutachten, 1622, April 6, ebda., fol. 647f.

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hängen, und vor etwa aufziehenden Stürmen haben Neutralitätserklärungen nicht geschützt. Ehe wir uns in hundert vergleichbaren Details verlieren, die zumeist in engster Verschränkung verschiedene Facetten des vormodernen Akzeptanzproblems von Neutralität (unklarer Begriffsumfang, mangelnde Schutzwirkung, kein Recht auf Neutralität usw.) illustrieren, will ich allgemeiner zu formulieren versuchen, was sie uns im hier interessierenden Zusammenhang lehren: Auch im Dreißigjährigen Krieg war die häufig beschworene »neutralitet« nicht nur begrifflich unscharf, sie war fast immer strittig, prekär, angefochten. Entlarvend schon, daß »neutrale« Politiker ihre »neutralitet« wieder und wieder beschworen, offenbar beschwören mußten, daß sie reichspolitische Mitspieler wie Militärs wieder und wieder anflehten, man möge sie doch »bey der neutralitet lassen«! Sich semel pro semper für neutral zu erklären, daraus bestimmte Rechte abzuleiten reichte augenscheinlich nicht hin. Der Adressat konnte sich gegenüber »solcher oft continuierter bitte, sie in neutralität zu lassen«382, einsichtig zeigen, so man ihm deutlich machte, welche momentanen Vorteile er aus dem Stillsitzen ziehen konnte, oder sich dickfellig geben, gerade so, als habe er von die­sem merkwürdigen Terminus noch nie gehört. »Was ist denn doch das für ein Ding neutralität – ich verstehe es nicht«, erklärte Gustav Adolf bekanntlich dem schon erwähnten Berliner Emissär Wilmersdorff.383 Die gespielte Begriffsstutzigkeit des Schwedenkönigs ist nicht geradewegs repräsentativ, seine Geringschätzung schon. Man mußte solche »bitten« nicht akzeptieren. Noch immer bezeichnete »Neutralität« eine politische Absicht, ein (prekäres) politisches Konzept, keinen Rechtsstatus – Neutralitätspolitik ja, Neutralitätsrecht nein!384 Die Erklärung, neutral sein zu wollen, begründete kein Rechtsverhältnis, aus dem sich für den einen oder den anderen Kriegführenden, den Neutralen bestimmte Pflichten ergeben hätten; und nichts befugte einen Politiker, ein Land, neutral zu sein, man mußte sich dieses moralisch zweifelhafte, den Kriegsparteien suspekte Verhalten leisten können. So sah keine reputierliche politische Option aus, und – auch deshalb – in vieler Augen keine kluge, sondern eine »selbverderbliche«.385 382 Gutachten der Marburger Theologenfakultät vom 5. Juni 1632: Beck, Gutachten, S. 173. Bezugspunkt ist die gewohnheitsmäßige Neutralitätspolitik der Landgrafschaft HessenDarmstadt schon unter Ludwig V., nun unter Georg II. 383 Vgl. oben Anm. 289. 384 Mit dieser dezidierten Feststellung sind viele Mutmaßungen der Literatur nicht vereinbar, vgl. oben Kapitel C.1.4.1. 385 König Christian IV. von Dänemark wies am 6. Februar 1628 Versuche des Hamburger Senats, »seine actiones« – er hatte verschiedene Habsburg mißliebige Dänen, die sich nach Hamburg geflüchtet hatten, in eine Art Schutzhaft nehmen lassen – »mit dem Mantel der selbverderblichen Neutralität« zu umkleiden, zurück; aus dem Schreiben zitiert Loose, Hamburg, S. 27.

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3.2.2.5 »Was für schädliche frücht«: zur Reaktion auf Neutralitätserklärungen im Holländischen Krieg Er müsse doch wissen, »was für schädliche frücht aus dergleichen privat Tractaten unndt neutraliteten ... zufolgen pflegen«, schrieb Kaiser Leopold I. dem pfälzischen Kurfürsten Karl Ludwig am 26. Januar 1676 ins Stammbuch, er könne diese »abtrettung der allgemeinen Sach«386 nicht gutheißen. Nein, er werde es nicht »verwilligen«, oder, wie es wenig später hieß, werde in diese Neutralität »keineswegs einwilligen«.387 Neutralität war genehmigungspflichtig. Wer im Holländischen Krieg auf die »neutralitet« baute, erntete das »müsstrawen« der Diplomaten388, die »animositet« der Militärs.389 Ein Recht auf Neutralität billigten ihm nicht die einen, nicht die anderen zu. Besonders häufig bekam das der Dauerneutrale dieser Auseinandersetzung, Ferdinand Maria von Bayern, zu hören. Es galt nicht, sich stillschweigend davonzustehlen, sondern des Kaisers »gerechtigste intention in alle weg kräfftigst zu secundiren«390, man mußte der gerechten Seite »verhülfflich erscheinen«.391 Neben (freilich nicht mehr konfessioneller, sondern gleichsam säkularisierter) Iustitia vermochte Leopold eine breite Palette Parteinahme erfordernder Gründe aufzubieten, der Kurfürst hatte »vermög dero dem Röm. Reich und mir zutragender Pflicht und Churfürstl. Verein dero Waffen mit den Meinigen ohnverlängt würcklich zu conjungiren«.392 Zumal diese »Pflicht« ja Reichsschlüsse unterstrichen – »wie schwahr undt gefährlich es seye, sich von den conclusis imperij zu entziehen, konne man leichtlich erachten«; Neutralität war unter diesen Umständen eine »wiederwertige bezaigung«, die »verbitterung« provozieren mußte.393 Bei der »Rettung des Heyl. Reichs« 386 Wohl so zu lesen: Absonderung von »der allgemeinen Sach« – Leopold an Karl Ludwig, 1676, Januar 26 (Or.), BayHStA Kasten blau 102/4 I (unfol.). Das folgende Zitat ebda. 387 Dass., 1676, April 22 (Kopie), ebda. Kurfürst Karl Ludwig antwortete am 22. Mai (Entw.: ebda.), er beuge sich diesem »urtheil« des Kaisers über die politische Option Neutralität. 388 Klage über das »gannz unverschuldet eingerissene müsstrawen«: Bericht des neuburgischen Vizekanzlers Yrsch aus Wien, 1673, Dezember 28 (Or.), BayHStA Kasten blau 79/4, fol. 29–36. 389 Jülich wird von Brüsseler Truppen grausam traktiert, »wie ein offener feindt« behandelt, er kann nicht begreifen, woher diese »sonderbahre animositet« rührt: Vortrag Yrschs in Wien am 30. April 1674 (Kpt.kopie?), ebda., fol. 387–390. 390 Schriftlicher Bescheid für den bayerischen Emissär [ Johann] Ewald von Kleist, 1673, August 2: Londorp, Acta publica, Bd. 10, S. 83f. 391 Leopold an Ferdinand Maria, 1674, März 31 (Or.), BayHStA Kasten schwarz 8744 (unfol.). 392 Dass., 1673, August 23: Londorp, Acta publica, Bd. 10, S. 88f. 393 Bericht von Yrsch und Schellerer aus Wien, 1674, Sept. 6 (Kopie), BayHStA Kasten blau 79/4, fol. 439–442. Ich scheine mein Thema zu verfehlen, Yrsch und Schellerer waren die Vertreter Neuburgs in Wien (ersterer 1674/75 als prominenter Langzeitgast, Schellerer war

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konnte Leopold gerade von Ferdinand Maria »als einem Vornehmen und nahen bluetsverwandten« Unterstützung »verhoffen und erwartten«.394 »Still zuesizen« kam schon deshalb nicht in Frage, weil die spanischen Niederlande, wenn die Holländer est »supprimiert« waren, anschließend ebenfalls »unfehlbar subjugirt« wurden, so daß Frankreich den Meister Europas spielen konnte.395 Manche solcher Argumente müssen uns im Schlußkapitel noch näher beschäftigen – die drohende Hegemonie oder reichsrechtliche Begründungszusammenhänge mehr als die Stimme des Blutes oder der Kurverein –, hier war zu zeigen, daß dem Möchtegernneutralen von der Hofburg kein Recht auf Neutralität zugestanden wurde. Auch Frankreich hat den politischen Mitspielern im Holländischen Krieg keinesfalls ein Recht auf Neutralität eingeräumt; das heißt, Neutralitätsverträge akzeptierte Frankreich schon, konnte es fordern, aber Neutralitätserklärungen, so hieß es immer wieder, werde man nicht akzeptieren. Als sich, beispielsweise396, die Berliner einfach für neutral erklärten, replizierte der französische Emissär, Saint-Géran, »scharf, sein König werde die Verweigerung einer vertraglichen Neutralitätsverpflichtung als offene Gegnerschaft auffassen«, er drängte »zum Anschluß oder wenigstens zur formellen Neutralität«, will sagen: zum bilateralen Neutralitätsvertrag. Die Berliner mußten schließlich erkennen, daß »ein neutraler Status mittels einfacher Erklärung nicht zu erreichen war«. 397 Der münsteraner Fürstbischof Bernhard von Galen ließ es so begründen, warum er sich an der Seite Frankreichs im Holländischen Krieg engagiere: Er habe, als sich diese Auseinandersetzungen abgezeichnet hätten, den Holländern anzeigen lassen, sich »zur neutralität resolvirt« zu haben, diese indes hätten erklärt, daß sie die Münsteraner »nicht neutral halten könten«, außer wenn diese unter Neutralität eindeutige Parteinahme für die so berechtigten holländischen Anliegen verstünden. Gesprächsweise hätten immer wieder »Staatische hohe Officirer und Generals Personen« gedroht, wenn die Fürstbischöflichen »schon neutral seyn wolten, würden sie dieselbe doch nicht neutral lassen«.398 Das ist natürlich Pro-

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der ständige Gesandte des Pfalzgrafen an der Hofburg). Beim hier wiedergegebenen Gespräch mit Hocher zog man indes tatsächlich über die Haltung Bayerns her, Pfalz-Neuburg suchte nach der ›Reichskriegserklärung‹ wieder Anschluß – Anfang 1676 wird sich Yrsch sogar für den Versuch hergeben, offiziös die Münchner wieder in kaiserliches Fahrwasser zu bugsieren. Kaiserliche Resolution für die bayerischen Emissäre Johann Ewald von Kleist und Johann Baptista Leidl, 1673, August 2 (Kopie), BayHStA Kasten blau 79/1, fol. 139f. Bericht Yrschs (aus Landshut, indes in dieser Passage über die Verurteilung der bayerischen Neutralität in Wien berichtend), 1673, August 19 (Or.), ebda., fol. 132–137. Dem Folgenden vergleichbare Vorgänge in Mainz: Aretin, Das Alte Reich, Bd. 1, S. 250. Decker, Frankreich, S. 43. [Anonym], Kurtzer Bericht Was Gestalt An Seiten der Vereinigten Niederlanden der zu Cleve im Jahr 1666. den 18. April. mit Ihrer Hoch Fürstl. Gn. zu Münster etc. geschlos-

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paganda399, aber auch solche wollte ja glaubwürdig sein. Der zeitübliche, insofern ›typische‹ Diskurs kannte weiterhin kein fürstliches Recht auf Neutralität. Er ging ganz selbstverständlich davon aus, daß Kriegsparteien (wie in diesem Fall die Holländer) Neutralitätsgesuche ablehnen konnten. Fokussieren wir einmal einen winzigen Ausschnitt des großen Kriegstheaters: den Versuch, den Sitz des Reichskammergerichts, die Reichsstadt Speyer, »neutral« den Kriegswirren zu entziehen! Er wird schließlich in schriftliche Zusagen beider Seiten münden, die die Konditionen festschreiben, die französische wird ausdrücklich von ihren »articles« sprechen: weshalb schon im Zusammenhang von Neutralitätsverträgen kurz davon die Rede war. Man kann den Wunsch Speyers und des Reichskammergerichts nach Neutralität, von dieser schriftlichen Endform her, dort einsortieren; doch sollen uns hier nicht noch einmal die Folgen besagter Papiere interessieren, sondern die Beratungen in ihrem Vorfeld. Was lernen wir aus ihnen über ein etwaiges Recht auf Neutralität? In der bayerischen Reichstagsrelation vom 21. Mai 1674 spiegelt sich der Vorgang beispielsweise so wieder: Die beiden oberen Kurien seien »per maiora« dafür gewesen, Speyers Wunsch nach Neutralität zu entsprechen, nachdem der Kaiser zugesagt habe, diese »Neutralitet zuverwilligen« – so ferner Frankreich zustimme, werde »mann sich von Reichs wegen darmitt auch conformiren«.400 Im Fürstenrat hatte der salzburgische Votant zwei Tage zuvor einleitend bermerkt, man brauche wohl keine förmliche Umfrage zu veranstalten, schließlich habe das Reichsoberhaupt gegen eine speyerische Neutralität, so auch Frankreich zustimme, »kheine bedenkhen«. Der bayerische Votant widersprach nicht, unterstrich aber, daß sich die Reichsstadt nun auch »umb die Neutralitet bei Frankhreich bewerben« müsse.401 Zu den Gegnern einer speyerischen Neutralität gehörte der Votant für Pfalz-Lautern, für ihn war Speyer die Neutralität »genzlich« zu »verbiedten«.402 Das »Conclusum« der beiden oberen Kurien hielt dann aber schließlich fest: Da sich der Kaiser die »neutralitet der Statt Speyer ... nit zuwider sein lasse,

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sener Fried fast in allen Articulen und Puncten gebrochen, o. O. 1672, wiederabgedr. in: Continuatio XXV. Diarii Europaei, Frankfurt 1672, Appendix, S. 41–65, hier S. 43f., vgl. S. 54. Ich erwähne nur, daß der münsteraner Fürstbischof den »Kurtzen Bericht« einem Schreiben an Friedrich Wilhelm von Brandenburg beilegte: Reinhold Brode (Hg.), Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 13, Berlin 1890, S. 151. Relation des bayerischen Votanten im Fürstenrat, Franz Gotthard Delmuck, vom 21. Mai 1674 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3406, fol. 379–382 (Kursivsetzung, wie auch im Folgenden, von mir). Fürstenratsprotokoll vom 19. Mai 1674, ebda., fol. 392–399 (in der Tat keine förmliche Umfrage, auch keine Grundsatzdebatte, doch verschiedene Wortmeldungen zu Detailfragen, auch Bedenken einer Minderheit). Fürstenratsprotokoll vom 28. Mai 1674, ebda., fol. 431–435.

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wann zuvorn man derentwegen auch erpieten der Cron Frankhreich, und zwar schrifftlich in forma probante, genugsamb versichert sein werde«, könne sich der Reichstag damit »conformiren«.403 Auch die Reichsspitze erklärte noch einmal, sie wolle sich das »suchen« der Stadt und des Gerichtshofs »nicht zu wider seyn lassen«.404 Der Magistrat der Reichsstadt hat daraufhin auch die andere Seite, nämlich Ludwig XIV. sowie den französischen Generalfeldmarschall Turenne »inständig ersucht«405, eine speyerische Neutralität ausdrücklich hinzunehmen. Der Sonnenkönig bekundete, man habe ihn über die Bereitschaft des Magistrats von Speyer informiert, »d’accepter la Neutralité, que Sa Majesté est en volonté de leur accorder«.406 Turenne erklärte, man werde sich die Neutralität gefallen lassen, so Gericht und Stadt binnen zweier Monate eine »gleichmäßige«, vom Kaiser »bewilligte Neutralität vorzeigen« könnten.407 Wir können uns schon wieder ausblenden. Auch sonst sind die Verben aufschlußreich, mit denen man sich während des Holländischen Krieges für neutral – nein, eben nicht »erklärt« hat. »Wie begehren die Neutralitet von dem Kayser«, heißt es immerhin, recht entschieden, in einer wohl offiziösen eidgenössischen Schrift von 1675; er möge endlich jemanden abordnen, um »von der Neutralitets Conditionen handlen« zu können, denn am besten sei ja doch »ein Neutralitets Tractat« – da wußte man, woran man war.408 Der Kurfürst von Brandenburg hingegen hat Frankreich »für die Neutralität

403 »Conclusum« vom 26. Mai 1674 (Kopie), ebda., fol. 439f. »Reichs Stattisches Conclusum« und Reichsgutachten fielen entsprechend aus – hier interessieren ja, wie gesagt, keine faktischen Einzelheiten. 404 Kaiserliches Kommissionsdekret vom 28. Mai 1674, Abdr.: Diarium Europaeum, Bd. 31, Appendices, S. 46–48. 405 Neutralitätszusage Turennes an die Stadt Speyer vom 29. Juli 1674, Diarium Europaeum, Bd. 31, Appendices, S. 317–319. Es handelt sich um eine zeitnahe Übersetzung, im originalen Wortlaut ist das Schreiben als Beilage zu dieser Flugschrift abgedruckt: [anonym] (Hg.), Notification An Gesambte Chur-Fürsten und Stände des Heyl. Röm. Reichs bey gegenwärtigem Reichs-Tag zu Regensburg, Vom Kayserl. ... Cammer-Gericht und der Statt Speyer, wegen der mit denselben und der Cron Franckreich würcklich geschlossener Neutralität ..., Dictirt in der reichs dictatur den 3./13. Aug. 1674. Ich stieß auf die »Notification« in der ThULB (4 Bud. Ded. 95). 406 Es sei deshalb notwendig, jemanden abzuordnen »pour convenir avec les dits habitants des conditions«: kein fixer Begriffsumfang! Er habe hierfür Turenne ausgewählt: Erklärung Ludwigs XIV. vom 16. Juli 1675, Kopie: BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3407, fol. 303. 407 Wie vorletzte Anm. 408 [Anonym], Vnpartheyische Reflexion über Ihro Kayserl. Majest. Antwort-Schreiben an gesamte löbliche Eydgnoschafft betreffend die Neutralitet in dero Nachbarschafft, underm dato Wien den letzsten Aprill 1675 ..., o. O. [1675], S. 6 bzw. S. 8.

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gebethen«.409 Die zeitgenössische Publizistik operierte wie selbstverständlich mit vergleichbaren Verben, wußte von »humbles supplications« um die Neutralität410 und daß solche demütige Bitten »rund abgeschlagen«411 werden konnten. Noch am Beginn des Siebenjährigen Krieges erwog ein französisches Memorandum in bezeichnender Terminologie (und nur sie kann uns hier ja interessieren), ob man eine reichszerstörende Spaltung unter den Reichsständen anders verhindern könne »qu’en leur laisser la liberté d’être neutres«.412 Wir können resümieren: Neutralität war im 16. und im 17. Jahrhundert kein von jedem Gemeinwesen abrufbarer Rechtstitel. Neutralitätserklärungen konnten auf keinerlei Respektierung rechnen. Häufig provozierten sie höhnische Mißachtung, nicht selten moralische Verurteilung. Ob nach juristischen oder ethischen Kriterien – es gab eben kein Anrecht auf Neutralität im Krieg. Hierfür fehlten offensichtlich rechtsgeschichtliche wie ideen- und mentalitätsgeschichtliche Voraussetzungen. Auf der Akzeptanz seiner Neutralität konnte man nicht bestehen, man mußte sich dieses suspekte Verhalten leisten können (oder einen finden, der er vertraglich konzedierte). 3.2.3 Unklare Begriffskonturen 3.2.3.1 Der sachliche Umfang neutraler Indifferenz als Variable des Machtgefälles Wenn der Begriffsumfang von Neutralität nicht im völkerrechtlichen Konsens fest umrissen war, sondern in Abhängigkeit von den aktuellen Machtverhältnissen fluktuierte, war ein steiles Machtgefälle für Möchtegernneutrale besonders problematisch. Es ließe sich mit vielen Details belegen, wie die katholischen Triumphe im Vorfeld des Restitutionsedikts von 1629 etwa noch hingenommene »neutraliteten« verformten. Die Macht der Waffen trug Macht über die Begriffe ein. Schon, wer seine Kontroverstheologen weiterschreiben ließ, verstieß 409 Antwort Kurbrandenburgs auf die schriftliche Eingabe Gravels an den Reichstag vom 23. September 1672, ohne Datumsangabe abgedr. in [anonym], Deß Königl. Frantzösischen Plenipotentiarii Memorial, hier S. 314. 410 So Franz Paul von Lisola unter Bezug aufs Hochstift Straßburg: »François de Warendorp«, A Son Altesse, S. 73. 411 »Die Lütticher haben die Neutralität bey Holland gesucht, so ihnen aber rund abgeschlagen worden«: Der Teutsche Kriegs-Kurier vom 4. Mai 1674. 412 Aus dem Papier Bussys zitiert Externbrink, Friedrich der Große, S. 137 Anm. 8. Ebda., S. 138: »Nachdem im Frühjahr 1757 die Kampfhandlungen im Reich und insbesondere in Böhmen begonnen hatten, stellte eine mögliche Neutralität Hannovers oder anderer Reichsstände keine Option mehr für die Franzosen dar.«

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nun gegen die Pflichten eines Neutralen: Das Arsenal der für Neutralität oder Parteilichkeit indifferenten Lebensäußerungen wurde leergeräumt, der sachliche Umfang neutraler Indifferenz413 schrumpfte ein. »Viele Details« können hier nicht ausgebreitet werden, aber ein Beispiel sollte schon illustrierend einspringen – die »causa Thummii« also. Theodor Thumm war ein tüchtiger Kontroverstheologe so recht nach dem Geschmack der Zeit und in vielen Hinsichten für sie repräsentativ, ein Durschnittspasquillant eben. Was das mit neutraler Politik zu tun hat? Als der württembergische Hofrat Benjamin Bouwinghausen im Frühjahr 1625 in Wien weilte, um Truppenpassagen durch den neutralen Südwesten des Reiches zu monieren, hielt man ihm dort selbstbewußt und anklagend zweierlei vor. Erstens seien im Württembergischen Söldner für die Venezianer rekrutiert worden. Herzog Johann Friedrich scheint nichts davon gewußt zu haben, ließ die Werbungen jedenfalls rasch unterbinden.414 Dennoch hatte er in den Augen der katholischen Reichsstände gegen seine »neutralitet« verstoßen415, eine interne Aufzeichnung des Bayernherzogs vermißt die dem Neutralen ziemende »devotion«.416 Werbungen beim Neutralen also waren, übrigens nicht nur im Dreißigjährigen Krieg, heikel – jede Kriegspartei nahm sich solche heraus und beklagte die Werbungen des Gegners als neutralitätswidrig. Zweitens hielt Kaiser Ferdinand Bouwinghausen das entgegen: »Kan doch ewer fürst seine pfaffen nicht ziehen, wie sollten dann wir unsere soldaten ziehen?« Verschiedene Pasquillen des streitbaren Tübin­ger Theologieprofessors Theodor Thumm hatten die Hofburg geärgert.417 Ferdinand forderte nun nicht weniger als die Auslieferung Thumms nach Wien; falls sich erhärten lasse, daß 413 Den Terminus übernehme ich vom Politologen Daniel Frei, vgl. zum Beispiel ders., Dimensionen neutraler Politik. Ein analytischer Kategorienrahmen, in: Politische Vierteljahresschrift 20 (1969), besonders S. 637f. Das statische Raster Freis erhält Spannung und Dynamik, wenn man den sachlichen wie den räumlichen Umfang neutraler Indifferenz als Variablen gerade obwaltender Machtverhältnisse auffaßt – oder, je nach heuristischem Ansatz, als ihren Indikator. 414 Vgl. herzogliches Dekret vom 13. Februar 1625, Druck: HStASt A39 Bü. 5; ferner die zunehmend ärgerlichen, dann drohenden Schreiben an den entsprechenden Söldnerführer, Bernhard Schaffalitzki, Kopien: BayHStA Kasten schwarz 1863. 415 Vgl. Relation Bouwinghausens vom 9. April 1625 (Or.), HStASt A262 Bü. 88; die Entwarnung des württembergischen Agenten bei der Hofburg, Jeremias Pistorius, vom 19. März (Or.: HStASt A74 Bü. 7 – die Innsbrucker Denunziationen seien »so crudel, das ein selzame resolution darauf hette folgen müessen, aber ich hette einen weisen engel gehabt, der solches alles abgewendet hette«) war also verfrüht gewesen. 416 Vgl. Randnotiz zum Entwurf eines Schreibens an Johann Friedrich (1625, April 1): BayHStA Kasten schwarz 1863 – er vermisse die geschuldete »getrew lobliche devotion«, nehme stattdessen »ein clares spieglfechten« wahr. 417 Vgl., auch zum Folgenden, Entschuldigungsschreiben Thumms vom 23. Juni 1625; Bouwinghausens Glossen dazu; und Johann Friedrich an Benjamin Bouwinghausen, 1625, Juli 22 (Or.), alles in HStASt A262 Bü. 88.

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er sein am meisten beanstandetes Werk mit Einwilligung von Rektor und Senat der Landesuniversität Tübingen verlegt habe, werde er »privilegia academiae concessa cassie­ren«. Das inkriminierte Pasquill418 bezeichnet den Papst als Antichristen, Götzen und Abgott, »Dei hostis« usw. – kurz, wir finden dort das damals Übliche. Es handelt sich um zeittypische Polemik, die den Rahmen orthodox-lutherischer Streitlust an keiner Stelle sprengt. Interessant ist nicht dieses Traktätlein, bezeichnend ist die Wiener Reaktion darauf – sie verweist bereits aufs Vorfeld des Restitutionsedikts, als der siegestrunkene Katholizismus vergleichbare Exempel öfters statuieren wird.419 Noch konnte der württembergische Emissär die Wiener Zumutungen zur vagen Forderung nach einer »real demonstration« abschwächen. Johann Friedrich erbrachte sie, indem er Thumm mahnte, sein Buch nicht mehr feilzubieten, und indem er die theologische Fakultät anwies, fortan »moderation« walten zu lassen – es solle überhaupt nur noch »erbawelich« geschrieben werden.420 Durfte von neutralem Grund aus keine Kriegspartei moralisch bevorzugt oder publizistisch verlästert werden? Hatte der Neutrale auch so etwas wie Gesinnungsneutralität421 herauszukehren? Benjamin Bouwinghausen sah es so, denn »man müsse sich jezt ducken, wa man hin komme, wolle man uns übel, bei den papisten und calvinisten«.422 Neque amicos parat, neque inimicos tollit! Nach den katholischen Waffenerfolgen der Niedersächsisch-dänischen Kriegsphase kamen die Habsburger auf die vermeintlich längst beigelegte »causa Thummii« zurück. Stein des Anstoßes war nicht irgendeine aktuelle Verbalinjurie des streitbaren Gottesmannes gegen einen seiner Lieblingsfeinde im »jesuiti418 Vgl. Theodor Thumm, Disquisitio Theologica Jubilaeo Antichristiano et Indulgentiis Pontificiis ..., Tübingen 1625. Das Elaborat attackiert das Jubeljahr 1625 und seine Ablaßpraktiken. 419 Ein anderes Beispiel: das Schicksal des Kemptener Theologen Zeämann; vgl. dazu Johann Philipp Abelin (Hg.), Theatrum Europaeum, Oder, Außführliche und Warhafftige Beschreibung aller und jeder denckwürdiger Geschichten, so sich hin und wieder in der Welt ... zugetragen haben, Bd. 1, Frankfurt 1662, S. 260 und S. 320. 420 Vgl. Johann Friedrich an die theologische Fakultät in Tübingen, 1625, Juli 22 (Kpt.kopie), HStASt A262 Bü. 88. 421 Anmerkungsweise füge ich eine moderne Scheinparallele an: Im Spätsommer 2006 kritisierten Exponenten der schweizerischen Volkspartei um Justizminister Blocher die Außenministerin Calmy-Rey, weil sie durch Kritik am Vorgehen Israels im Libanon die Neutralität des Landes unterminiere. Ich entnahm es einem Zeitungsartikel: Konrad Mrusek, Viersprachiges Schweigen?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. August 2006, S. 8. Der Schlußsatz macht deutlich, wodurch sich diese Posse von den peinigenden Problemen vormoderner Neutraler unterscheidet: »Der Konflikt zwischen Frau Calmy-Rey und Blocher ist daher ein Vorbote des Wahlkampfs zwischen Linken und Rechten.« 422 So ein Votum Bouwinghausens nach seiner Rückkehr aus Wien, wo er unter anderem der »causa Thummii« halber verhandelt hatte: Stuttgarter Beratungsprotokoll vom 11. Juni 1625, HStASt A90A tom. 39, fol. 1257–1259.

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schen« Lager, etwa Jakob Bidermann, sondern – das war das eigentlich Bedenkliche daran – ein schon im Jahr 1617 erstmals aufgelegtes »vergiftes tractat«423, das in der titel­gebenden Frage, »Ob ein Evangelischer Christ, auff begehren und nötigen weltlicher Obrigkeit, mit gutem Gewissen, zur Päpstischer Religion sich bege­ben könde?«, die Glaubensgenossen zur Standhaftigkeit ermahnte; als letzten Ausweg empfahl Thumm freilich nicht Aufruhr, sondern Auswanderung.424 Aber auf dem (vermeintlichen) Gipfelpunkt ihrer Macht wollten die Wiener nun demonstrieren, wie sich »neutralitet« buchstabierte. Es gab offenbar, soweit sich das aus archivalischen Spuren rekonstruieren läßt, sogar eine Art Grundsatzdebatte mit Beteiligung des Reichsoberhaupts – sollte man den neutralen Herzog durch Milde »auf ein newes obligat« machen425 oder aber demonstrativ in die Schranken weisen? Ferdinand bestand auf letzterem. Johann Friedrich lasse zu, daß von angeblich neutralem Boden aus die Stände in Böhmen und Mähren publizistisch zur Aufsäßigkeit ermuntert würden, erzwinge dadurch ernsthafte Gegenmaßnahmen von Wiener Seite. Man entdeckte in anderen Büchern Thumms (die bezeichnenderweise alle vor 1625 erschienen waren!) auf einmal weitere völlig inakzeptable Verbalinjurien426, mit anderen Worten: hatte offenbar, berauscht von den Siegen Wallensteins und Tillys, jemanden beauftragt, die Schriften dieses Theodor Thumm mit roter Tinte, spitzer Feder und dem festen Vorsatz, sich tüchtig zu empören, kritisch durchzugehen. Ein vorgeblich neutraler Herrscher, der derlei Publikationen nicht unterbinde, ziehe schwere Strafen auf sich, drohte der Kaiser unverblümt. Thumm sei in Verwahrung zu nehmen, seine Bücher seien zu konfiszieren.427 In Augsburg, Nürnberg und Straßburg ließ die Hofburg eine »inquisition« in Buchläden und

423 So charakterisierte es am 30. November 1626 der Innsbrucker Erzherzog Leopold in einem Schreiben an Kaiser Ferdinand (Entw.: Tiroler Landesarchiv Oberste Hofregistratur D91). 424 Vgl. Theodor Thumm, Christlicher wolgegründter Bericht, Auff die Frag: Ob ein Evangelischer Christ, auff begehren und nötigen weltlicher Obrigkeit, mit gutem Gewissen, zur Päpstischer Religion sich begeben könde?, mir lag nur die zweite Auflage (Tübingen 1621) vor. Spätere Auflagen verstanden sich offenbar auf dem Titelblatt als »Warnung und Trost allen Evangeli­schen unter dem Papstthumb, sonderlich aber in Oesterreich, und PfaltzNew­burg«. 425 Hierfür plädierte Hans Ulrich von Eggenberg: an Kaiser Ferdinand, 1627, August 20 (Or.), HHStAW Kriegsakten 76, fol. 239f. 426 Beispielsweise – aber die krausen Details brauchen uns an sich nicht zu interessieren – trug er nun auf einmal Mitschuld am Ausbruch des Oberösterreichischen Bauernkriegs! Der Papst genehmige den Habsburgern blutschänderische Ehen, fand man bei Thumm – als fiele das im Wust solcher konfessioneller Polemiken irgend auf, der Papst ist in ihnen ja ohnehin durchgehend der Antichrist, Habsburg in den klebrigen Fängen der »blutdurstigen Jesuiter«! 427 Vgl. Kaiser Ferdinand an Johann Friedrich, 1627, Februar 13 (Kopie), HStASt A63 Bü. 82.

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Drucke­reien veranstalten, die aufgestöberten Bücher sollten umgehend nach Wien überstellt werden.428 Die Stuttgarter durchschauten, daß es nicht um den wahren Glauben oder die Ehre des Hauses Habsburg ging, sondern darum, ein »würklichs exempl«429 zu statuieren, und hatten doch nicht die Kraft, den sachlichen Umfang neutraler Indifferenz zu verteidigen. Natürlich stand auch die landesherrliche Autorität auf dem Spiel – der Herzog habe »anzügige schreyben« noch nie geschätzt, ließ er in Wien erklären, aber er müsse auf einem fairen Verfahren unter seiner eigenen Jurisdiktionsgewalt bestehen.430 Die Hofräte waren ratlos, es gab in Stuttgart so viele Meinungen wie Politici und Theologen. Warnten die einen vor gefährlichen »praejudicia« (in der Tat hatte Thumm ja ungefähr das geschrieben, was ein Kontroverstheologe, der auf sich hielt, eben so zu schreiben pflegte) und »böser nachred« bei allen Protestanten im Reich, wollten andere die Affäre »politice« behandelt sehen. Schließlich ließ der Herzog Thumms Bücher konfiszieren, den Autor in Arrest nehmen. Das sorgsam aufgebaute Image des neutralen Vermittlers zwischen den Fronten wurde schwerer gewichtet als »eines einigen priesters halsterrigkeit«.431 Der Neutralität eines Territoriums im Krieg eine ›Gesinnungsneutralität‹ einzuschreiben, Neutralität nicht nur in der Werktagspolitik, sondern auch theologisch und am Sonntag abzuverlangen: Das scheint den Begriffsumfang des Wortproteus »neutralitet« in singulärer Weise zu überdehnen. Und doch hat es vergleichbare Überlegungen schon im Schmalkaldischen Krieg gegeben: Unternahm der »neutrale« Pfälzer Friedrich nichts, um das Kursieren von kaiserfeindlichen Pamphleten der Schmalkaldener in seinem Territorium zu unterbinden432, wies der da noch vorgeblich »neutrale« Albertiner Moritz am 20. und 428 Vgl. hierzu die Korrespondenzen in Hessisches Staatsarchiv Darmstadt E1 B21/3. 429 Stuttgarter Beratungsprotokoll vom 10. Mai 1627, HStASt A90A tom. 39, fol. 1386–1389. 430 Herzogliche Instruktion auf Ferdinand Geizkofler vom 21. April 1627 (Or.), Staatsarchiv Ludwigsburg B90 Bü. 457. 431 Ein Diktum Benjamin Bouwinghausens: Beratungsprotokoll vom 5. November 1627, HStASt A90A tom. 39, fol. 1421–1429. – Ich blende mich im Herbst 1627 aus, das diplomatische Gezerre um Thumms Arrestierung auf der Festung Hohentübingen war damals das vermeintlich gewichtigste Thema einer Mission, die Ferdinand Geizkofler an die Hofburg führte. Offenbar eher beiläufig sprach man auch über die landsässigen Klöster, wegen entsprechender Restitutionsgelüste könne er »etwas bessern trost« geben als in der »causa Thummii«, befand der Emissär nach seiner Rückkehr: in Gewichtung wie Prognose eine eklatante Fehleinschätzung. »Die Torheit der Regierenden« im Angesicht gerade virulent werdender neuer Probleme! – Um wenigstens noch diesen Ausblick zu geben: Am 29. April 1628 meldete der in Wien weilende Hofrat Jakob Löffler, der Kaiser habe sich mit Thumm »nunmehr allerdings usgesöhnet«, der Theolgieprofessor könne wieder auf freien Fuß gesetzt werden (Relation Löfflers, Or.: HStASt A66 Bü. 2 Nr. 13a). Die Hofburg bereitete nun das Restitutionsedikt vor, diplomatische Nebenkriegsschauplätze störten nur. 432 Vgl. Hasenclever, Die Kurpfälzische Politik, S. 120.

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noch einmal am 29. August 1546 die Prädikanten im Land an, im Interesse der Glaubwürdigkeit seiner Neutralität von den Kanzeln herab nicht weiter gegen den Kaiser zu wettern.433 Vor allem ein steiles Machtgefälle, wie es sich im Vorfeld des Restitutionsedikts herausbildete, konnte zur Ausdehnung des sachlichen Umfangs neutraler Indifferenz verlocken. Die militärisch ohnmächtige Reichsstadt Aachen mußte sich 1589 vom Herrscher der nach zeitgenössischer Ansicht mächtigsten Monarchie Europas das sagen lassen: Weil sie sich anschicke, »orthodoxam fidem extinguere« und »depravatae Calvinistarum sectae, aliisque id generis pestiferis dogmatibus« Vorschub zu leisten, indem sie Flüchtlingen mit dieser verabscheuungswürdigen Glaubenshaltung eine neue Heimstatt biete, könne er sie in den aktuellen Auseinandersetzungen mit seinen rebellischen Nordprovinzen nicht mehr als »neutralem locum« erachten und behandeln.434 ***

Am 19. März 1644 versuchte Frankreichs Erster Minister, Jules Kardinal Mazarin, den Bevollmächtigten der Krone bei den münsteraner Friedensverhandlungen, den Comte d’Avaux435, vor der Illusion zu bewahren, seine Unterredung mit dem erklärt neutralen Pfalzgrafen von Neuburg werde ersprießliche Resultate zeitigen: Wolfgang Wilhelm stehe unter erheblichem Druck der Kaiserlichen, müsse ihnen Kontributionen entrichten, auch lägen einige kaiserliche Regimenter in den Grenzregionen. Ja, es sei zu befürchten, daß der Widerpart jegliche »correspondance« des Pfalzgrafen mit Paris zum Vorwand nehme, um ihm auch noch kaiserliche Garnisonen in die Festungen zu legen.436 Gehörte zum unstrittigen sachlichen Umfang neutraler Indifferenz nicht einmal die Kontaktpflege mit beiden Kriegsparteien? Das hatte man sich zehn Jahre früher auch in der (freilich vertraglich437) neutralisierten Landgrafschaft Hessen-Darmstadt fragen müssen. Axel Oxenstierna hielt dem Landgrafen vor, er korrespondiere mit dem Kaiser und anderen Feinden Schwedens, ja, habe sich unterstanden, einen Rat nach Wien abzuordnen, ohne Schweden vorher um seine Einwilligung gebeten zu haben. Als sich 433 Vgl. Brandenburg, Kurfürst Moritz, Bd. 1, S. 468f. 434 Mandat König Philipps II. von Spanien an die Reichsstadt Aachen vom 10. Dezember 1589: Keller, Actenstücke, Bd. 2, Nr. 30. 435 Abdr. des Schreibens: APW II.B.1, Nr. 5. 436 Der Text ist an dieser Stelle etwas dunkel und an einer Stelle unleserlich: »... prenans prétexte de la correspondance que ce Prince entretient avec la France, ne luy demandent enfin cette place [wohl »Duren«; auch »Dusseldorp«?] et n’achèvent de la metre en [unleserlich; occupation?]«. 437 Am 29. November 1631 war ein Neutralitätsvertrag zwischen Landgraf Georg und Gustav Adolf zustandegekommen.

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Georg II. herausnahm, die Ansicht zu äußern, als Neutraler dürfe er doch mit den Kaiserlichen ebenso diplomatische Kontakte pflegen, wie er das ja auch unentwegt mit den Schwedischen tue, replizierte Oxenstierna verärgert, er wolle »es doch dahingestellt lassen, ob ein neutraler Fürst mit dem Kaiser korrespondieren dürfe«.438 Die Deputierten am Heilbronner Bundestag in Frankfurt waren der Ansicht, man habe dem um Respektierung seiner Neutralität ansuchenden neuburgischen Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm unter anderem diese Voraussetzung für »neutralitet« klarzumachen: Er müsse sich »aller der Cron Schweden und den Evangelischen nachtheiligen Correspondentz enthalten«.439 Implizierte Neutralität eine einseitige diplomatische Kontaktsperre? Nochmals zehn Jahre früher hatte sich diese Frage auch den Württembergern gestellt. Als Herzog Johann Friedrich im Sommer 1624 den in Süddeutschland herumziehenden französischen Emissär Guillaume Marescot in Stuttgart empfing440 und sich wenig später nach Jahren wieder einmal im Schwarzwaldflecken Wildbad mit dem Ansbacher Markgrafen Joachim Ernst zu Beratungszwecken an einen Tisch setzte, ohne daß im einen wie im anderen Falle irgendetwas Folgenreiches oder auch nur Greifbares herausgekommen wäre441, monierte der Kaiserhof »allerhandt gefährlich weitaussehende anschläge«442, und dem Stuttgarter Agenten in Wien erklärte man, das vorgeblich neutrale Württemberg »mache 438 Kretzschmar, Heilbronner Bund, Bd. 1, S. 411. 439 Die Deputierten der Heilbronner an Axel Oxenstierna, 1634, Mai 19 (Kopie), BayHStA Kasten blau 102/4 I. 440 Marescots Deutschlandaufenthalt steht natürlich im Kontext der Neuorientierung der französischen Außenpolitik nach dem Sturz Sillerys und vollends dem Eintritt Richelieus in den engeren Staatsrat, doch kam in Stuttgart wie an den meisten anderen süddeutschen Höfen offensichtlich nichts Greifbares heraus; vgl., bei einer insgesamt unbefriedigenden Quellenlage, insbesondere Johann Friedrich an den Magdeburger Administrator Christian Wilhelm, 1624, Juli 3 (Entw.), HStASt A90A tom. 40, fol. 532f.; Resolution des badischen Markgrafen Friedrich, 1624, August 8 (Entw.), Generallandesarchiv Karlsruhe 46/5235 Nr. 10; Ansbach, Kulmbach (und Angaben zu Straßburg): Staatsarchiv Bamberg C48 Nr. 111. 441 Die Wildbader Beratungen mündeten in den wahrhaft sensationellen Beschluß, gemeinsam den Kulmbacher Markgrafen Christian zu bitten, im Namen auch der beiden anderen an Kursachsen »als den vornembsten stand reiner religion« zu appellieren, sich der bedrängten süddeutschen Protestanten anzunehmen, natürlich vergebens: Johann Friedrich und Joachim Ernst an Markgraf Christian, 1624, Juli 7 (Or.), Staatsarchiv Bamberg C48 Nr. 109; dazu Johann Georg von Sachsen an die drei Bittsteller, 1624, August 6 (Kopie), HStASt A90A tom. 40, fol. 176f. 442 Ferdinand II. an Johann Friedrich, 1624, Juli 20 (Or.), HStASt A90A tom. 40, fol. 571– 573. – Vgl. noch die Korrespondenzen in A29 Bü. 39; sowie, zu den internen Bewertungen auf katholischer Seite, Ferdinand II. an Maximilian von Bayern, 1624, Aug. 3 (Or.), BayHStA Kasten schwarz 47, fol. 29–33; Maximilian an den Kaiser, 1624, Aug. 11 (Or.), HHStAW Kriegsakten 59; Hans Ludwig von Ulm an den Kaiser, 1624, August 11 (Or.), ebda.

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es gar zue grob«.443 Die Stuttgarter reagierten auf solche Vorwürfe erschrocken, man mußte sich offenbar noch mehr anstrengen, »gewarsamb zu gehen, die partheyligkeit zu verhüten«.444 Konnte diplomatische Umtriebigkeit den Neutralenstatus gefährden? Diese Frage stellte sich neutralen Herrschern umso schärfer, als sie ja notorisch versuchten, das Renommeedefizit der Neutralität durch Friedensappelle und Vermittlungsofferten zu kompensieren – doch wird konzentriert hierauf erst Kapitel C.5 schauen. Natürlich stand der Anspruch, im Interesse einer rascheren Befriedung Gesprächsfäden zu knüpfen, in einem latenten Spannungsverhältnis zum tief eingewurzelten Mißtrauen, das die Kriegsparteien diplomatischen Aktivitäten des suspekten Neutralen gegenüber hegten. Sondierten die Emissäre des »Neutralisten« gerade beim Kriegsgegner, weil sie Friedenschancen ausloten wollten – oder schmiedeten sie dort ein Kriegsbündnis? Vermittlungsversuche sollten den prekären Neutralenstatus befestigen helfen (das wird, wie gesagt, Kapitel C.5 zeigen), konnten ihn in den Augen der Kriegsparteien aber auch infragestellen. Schon die Neutralen des Fürstenkriegs haben sich entsprechenden Sorgen hingegeben. In der zweiten Aprilwoche 1552 versammelten sich die rheinischen Kurfürsten in Oberwesel, eine Gesandtschaft an Heinrich II. von Frankreich mit etwas vager Vermittlungsofferte wurde schon einmal instruiert, noch nicht sogleich abgeschickt. Dazu kam es dann auch aus verschiedenen, hier weniger interessierenden Gründen nicht mehr, doch stellte sich hinterher heraus, daß sie der Kölner Kurfürst auch keinesfalls mitgetragen hätte. So eine Schickung wäre »nit ettlicher sonderer glieder, sonder gemeiner stende deß Hey. Reiches werckh«, denn da sich der Franzosenkönig Karl V. gegenüber »fur ein feundt erklert« habe, sei es bedenklich, sich ohne kaiserlichen Konsens und ohne Vorwissen der anderen Reichsstände »mitt Franckreich einzulassen«.445 Aber vielleicht geht es zu weit, das einer sehr strikten Neutralitätsdefinition anzulasten, sollten wir lieber von ängstlicher Vorsicht des Herrschers über ein geostrategisch exponiertes Hochstift sprechen. Anfang Mai 1552 fand die in Oberwesel schon anvisierte Versammlung in weiterem Kreise tatsächlich statt, in Worms: Furcht vor den heranrückenden französischen Truppen, man ist sich einig, daß eine Gesandtschaft an Heinrich II. von Frankreich nun doch abgehen muß – freilich ist zunächst nur der Kurpfälzer bereit, sich persönlich zu beteiligen, für die rheinischen Erzbischöfe setzte man sich damit dem Verdacht des Ungehorsams und des Treuebruchs aus. Die Furcht, vom Kaiser wegen der Kontaktaufnahme mit dem Kriegsgegner der Parteinahme bezichtigt zu werden, durchzieht das 443 Jeremias Pistorius an Johann Friedrich, 1624, September 4 (Or.), HStASt A74 Bü. 6. 444 Rätegutachten vom 22. Juli 1624, HStASt A90A tom. 40, fol. 555f. 445 Adolf von Köln an Sebastian von Mainz, 1552, April 27 (Kopie), BayHStA Kasten blau 105/2c, fol. 184/222.

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ganze Beratungsprotokoll. Nicht nur der Mainzer hatte »bedenken, dweil es bei der kei. mt bedenklich fallen [mochte], zum konig, so irer mt feint ietzo ist, [zu] schicken«. Es sei »bei der kei. mt nit zu verantworten«, könne »allerhant bedenken bei der kei. mt pringen«. Tagelang quälte man sich mit solchen vagen, aber hartnäckigen Skrupeln ab, es sei »soliche Schickung also furzunemen, das die nit der kei. mt bedenklich fallen« könne, »damit es bei der kei. mt nit ursach zue einigem nachdenken mocht geben«. Auf keinen Fall durfte man »suspicion bei der kei. mt« riskieren. »Zu bedenken, ob nit etwas verdenkens daraus ervolgen.« »Zu besorgen, den erscheinenden churfursten etwas mochte angehenkt werden«. 446 Doch begegnet im Zusammenhang mit solchen Besorgnissen der faktisch neutralen Vermittlungsfürsten nicht der – 1552 ohnehin seltener als fünf Jahre vorher verwendete – Terminus »neutralitet«. Dem ist im dreißigjährigen deutschen Konfessionskrieg ganz anders – in den wir denn auch hiermit zurückkehren. Wir sahen schon, wie die kaiserlichkatholische Seite Wallensteins Triumphe nicht nur dafür ausnutzte, einseitig die vorgeblich einzig authentischen Lesarten des Religionsfriedens im Restitutionsedikt festzulegen – auch die allenfalls zulässige Form von »neutralitet« wurde nun diktiert. Aber schon die katholischen Siege in der ersten, der Böhmischpfälzischen Kriegsphase hatten die Hofburg animiert, den sachlichen Umfang neutraler Indifferenz zu reduzieren. So glaubte man sich in die Personalpolitik erklärt neutraler Territorien einmischen zu dürfen. Als der Stuttgarter Herzog im Spätsommer 1622 den zuvor in pfälzischen, dann badischen Diensten bewährten447 Pleikard von Helmstatt zum neuen Landhofmeister ernannte, hieß es, diese Personalentscheidung eines vorgeblich Neutralen verursache »allerhand nachgedenkens«448, sie gefährde zumal in Verbindung mit der Indienstnahme 446 Protokoll der Wormser Beratungen (die rheinischen Kurfürsten, Jülich, Württemberg, Würzburg) Anfang Mai 1552: Bernhard Kugler (Hg.), Urkunden zur Geschichte des Herzogs Christoph von Wirtemberg und des Wormser Fürstentages, April und Mai 1552. Fortsetzung, in: Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde 1869, S. 305–363; die Zitate: S. 332, S. 333, ebda., S. 309, S. 311, S. 319, S. 325, S. 331. 447 München und Wien stuften den Lutheraner (entschieden zu eindeutig) als politischen »Calviner«, also als Anhänger eines europaweiten Glaubens- und Freiheitskrieges ein. Die Etikettierung als »Calviner« kann in Akten um und nach 1600 mal eine konfessionelle, mal eine (außen)politische Option bezeichnen. 448 Kaiser Ferdinand II. an den Reichshofratspräsidenten, Johann Georg von Hohenzollern, 1622, Sept. 19 (Kopie), BayHStA Kasten schwarz 31, fol. 453f. Hohenzollern sollte diese Bedenken weitertragen. Vgl. aber auch als interne Mißtrauensbekundung Johann Tserclaes Tilly an Herzog Maximilian von Bayern, 1622, Dezember 26 (Entw.), BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 157, fol. 27f.: daß die Württemberger nicht verhinderten, daß sich soeben abgedanktes Kreisvolk in alle Winde zerstreute, anstatt geschlossen kaiserlichen Werbekommissaren zuzulaufen, und die herzogliche Personalpolitik zeigten, wie der angeblichen Neutralität zu trauen sei. Da der Herzog an seinen Räten festhalte, »welche mehrers

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des bekannten evangelischen Heerführers Dodo Knyp­hausen die behauptete Neutralität des Herzogtums. Johann Friedrich stritt die Bestallung des letzteren zu Unrecht449 ab und ließ ihn eilends bitten, »daß er seinen ufzug noch etwaß einstellte«450 – hatte sich der Neutrale demnach den Kriegsparteien genehmen Ratgebern und Feldherrn anzuvertrauen? *** Ausgriffe auf innen- und kirchenpolitische Fragen, die Personalpolitik des Neutralen, quasi-Kontaktsperren – solche Begriffsdehnungen erwuchsen zumeist einem steilen Machtgefälle. Wenn eine Seite kurz vor dem militärischen Triumph zu stehen schien, gab es nichts mehr zu erörtern, wurde der sachliche Begriffsumfang neutraler Indifferenz einseitig diktiert. Üblich war, daß um die Begriffsfüllung gerungen, daß sie gleichsam ausgehandelt wurde. Schon Wilhelm von Bayern erklärte den schmalkaldischen Kriegsfürsten, nachdem er ihre Maximalforderungen abgelehnt hatte, weil ihnen nachzukommen neutralitätswidrig sei: Man müsse eben über diese Fragen, mit anderen Worten: über die konkrete Ausgestaltung seiner Neutralität eine »vergleichung« aushandeln, er werde deshalb Diplomaten ins schmalkaldische Heerlager schicken.451 Die Substanz der »neutralitet« war wieder und wieder durch oft langwierige und anstrengende Begriffsarbeit neu zu umreißen. in den churpfalzischen und turlachischen diensten gewesen und noch uff dato in dero devotion verbleiben«, werde er auch mit einiger Sicherheit »wie Pfalz und Turlach« enden. 449 Johann Friedrich hatte den profilierten evangelischen Heerführer schon 1620 »als ein berümbten generalobristen von haus aus in bestallung genommen« (so rückblickend das Beratungsprotokoll vom 22. Oktober 1622: HStASt A90A tom. 39, fol. 1101–1103); im August 1622 fanden dann weitere Verhandlungen mit dem Obristen statt, man sandte ihn zum »tollen Halberstädter«, um »sich ledig zu machen«: »calendarium domesticum« des Herzogs, Württembergische Landesbibliothek cod. hist. 6b, fol. 199. 450 Zit. nach einem Rätegutachten vom 24. Oktober 1622, HStASt A90A tom. 36, fol. 485f. 451 Herzog Wilhelm von Bayern an die Kriegsfürsten, undat. Kpt.kopie [ca. 10. August 1546], BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2100, fol. 4f. Ergänzung zur Instruktion auf Wolf von Schellenberg und »Jörg« (meint sicher: Dr. Georg) Stockhammer, ebda., fol. 46f.: Er bietet dies und das zu diesen und jenen Konditionen an (»wären auch erputtig, Ire flöß, schif, proviandt, gellt, vnd was Inen dergleich nachvolgen möchte, auf dem wasser auch passieren zulassen«, Verproviantierung bekommen sie, so bezahlt wird ...), »Item es ist von nöten, das solliche vergleichung in ain schrifft gestellt« und signiert wird: Natürlich, am Ende solcher Aushandlungsprozesse konnte einer jener förmlichen Neutralitätsverträge stehen, die dieses Kapitel nicht mehr vorrangig interessieren; der Normalfall war es nicht. – Ein Beispiel aus dem Fürstenkrieg: Moritz von Eichstätt an Albrecht von Bayern, 1552, Mai 13 (Or.), Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 252f.: Der Kulmbacher Markgraf übersandte einen »offenen veindtsbrief«, von dessen Folgen nur die Erlegung einer »straff« von zwanzigtausend Gulden »sambt 12 stuckh Puchsen« befreie. (Das also war die kulmbachische Taxe für die Gewährung der Neutralität!) Moritz habe daraufhin über Gesandte mit dem Kulmbacher verhandelt, der schließlich mit der Lieferung von etwas Geschütz zufrieden gewesen

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Wie die Begriffsfüllung zwischen auf Augenhöhe stehenden Akteuren auszuhandeln war, kann die Neutralität der katholischen Liga an der holländischen Kriegsfront illustrieren. Stabil definiert, fest umrissen war sie nie. Wurde sie dadurch verletzt, daß Proviant für die Spanier die kurkölnische Stadt Bocholt passierte? Der Kurfürst von Köln war Mitglied der Liga, und also monierten es die Holländer. Umgekehrt beklagten sich katholische Reichsstände über logistische Unterstützung für den »tollen Halberstädter«, Christian von Braunschweig; schon, daß ihm Holland Rückzugsgebiet und Versorgungsbasis war, verletzte in ligistischen Augen die »neutralitet« der Generalstaaten, und Maximilian von Bayern regte an, sich – gewissermaßen demonstrativ – in Den Haag zu erkundigen, was die Holländer denn unter diesem Begriff verstünden.452 War es die gehorsamen Reichsgliedern frommende Vollstreckung einer Reichsexekution, wenn dem Versuch des geächteten Söldnerführers Mansfeld, das von spanischen Truppen belagerte Breda zu entsetzen, ein Zug des Ligagenerals Anholt zur Unterstützung der Belagerer auf dem Fuße folgte, oder hatten die Holländer Recht, wenn sie das als Verstoß gegen die prätendierte ligistische »neutralitet« anprangerten?453 Um vom westlichen Reichssaum in den Osten des Alten Reiches zu gehen: Als 1626 schwedische Söldner durch die Mark Brandenburg zogen, gestattete Kurfürst Georg Wilhelm, um nicht den Argwohn seiner Parteilichkeit zu nähren, auch Wallensteinschem Volk den Durchmarsch – worin nun wiederum Dänemark eine Verletzung der ihm zugesagten brandenburgischen Neutralität erblickte.454 Wie weit durften sich Verhaltenserwartungen der Kriegsparteien in die Innenpolitik hinein erstrecken? Die Schwedischen und die Heilbronner hielten dem konvertierten neuburgischen Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm wiederholt seinen konfessionspolitischen Eifer vor: Es sei neutralitätswidrig, daß er sich auf sein Ius reformandi versteife, zu den Vorbedingungen für Neutralität gehöre die Einräumung des Religionsexercitiums für evangelische Glaubensrichtungen.455

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sei, nun sind noch »umb befridung willen unsers Stiffts auch in das andre leger« Emissäre »mit unser entschuldigung [für die erzwungene einseitige Begünstigung des Kriegsgegners!] abzuefertigen«. Daß der Bayernherzog den begriffsdefinitorischen Schwebezustand bei Gelegenheit auch flexibel zu seinen Gunsten ausbeuten konnte, steht auf einem anderen Blatt. Die völkerrechtliche Leerstelle ließ viel Raum für flexibles politisches Ausloten – ich komme gleich noch einmal grundsätzlicher darauf zurück. Alle Beispiele werden erwähnt bei Kaiser, Kriegführung: S. 209 (Bocholt), S. 228 (Christian von Braunschweig), S. 212 (Breda). Vgl. Reinhold Koser, Geschichte der brandenburgisch-preußischen Politik, Bd. 1, Stuttgart/ Berlin 1913, S. 414. Vgl. das reichhaltige Material in BayHStA Kasten blau 102/4 I. In der Spätphase der Verhandlungen war nicht mehr davon die Rede, das Desaster vor Nördlingen entzog derartigen evangelischen Forderungen die machtpolitische Basis. – Auch die Generalstaaten drangen auf konfessionspolitische Zugeständnisse: Erst habe man ihm vorgehalten, Jülich beziehe

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Inwiefern waren neutrale Fürsten für den militärischen Tatendrang ihrer schneidigen jüngeren Brüder oder Söhne haftbar? Auch diese Frage stellte sich für Wolfgang Wilhelm456, stellte sich vergleichbar anderen – so mußten sich die Stuttgarter jahrelang anhören, ihre Neutralität sei schon deshalb nicht glaubhaft, weil zu den Opfern des evangelischen Debakels vor Wimpfen im Mai 1622 ein Bruder des Herzogs, der junge Magnus, gehört hatte. Georg Friedrich von Durlach hatte ihn »unter dem schein der neutralitet, doch wider unsern willen, an sich gezogen«; als sich die Schlacht abzeichnete, wollte man ihn eilends nach Stuttgart zurückholen457, indes zu spät. Aber lenken wir unsere Blicke wieder auf die gewohnheitsmäßige »neutralitet« Wolfgang Wilhelms! Der Pfalzgraf setzte im Dreißigjährigen Krieg dauerhaft auf diese Option, er kann als gewissermaßen mittlere Potenz apostrophiert werden – mit diesem Herrn gleich mehrerer Länder konnte man nicht umspringen wie mit dem Magistrat irgendeiner reichsunmittelbaren Ackerbürgerstadt; ein vorrangiger militärischer Machtfaktor war der Herr über so viele kaum haltbare Grenzlinien andererseits auch nicht. Wie man in Düsseldorf und in Neuburg um die Substanz von »neutralitet« gerungen hat, kann exemplarisch zeigen, wie Neutralität – um dieses Diktum noch einmal aufzugreifen – ›auf Augenhöhe‹ ausgehandelt zu werden pflegte. Und was für definitorische Probleme sich dabei stellen konnten: War es mit der Neutralität der Pfalzgrafschaft an der Donau vereinbar, wenn der Heilbronner Bund eine Räumung Neuburgs ablehnte, Zahlungen in Höhe des normalen doch spanische Subsidien, so Wolfgang Wilhelms Emissär Weschpfennig in einer Relation vom 23. März 1634, »jetzt kommen sie angezogen mit der religion« (zit. nach Küch, Die Politik, S. 97 Anm. 3). 456 Der Pfalzgraf mußte sich von schwedischer Seite vorhalten lassen, »dass sein junger Sohn Philipp Wilhelm vor etlichen Jahren Inhaber eines spanischen Regiments geworden war, wenn dieser es auch nicht selbst commandirte« (Küch, Wolfgang Wilhelm in Brüssel, S. 205). In Brüssel erwirkte der Neuburger schließlich, »dass mein son nit mehr mit seinem regiment zu schaffen, damit umb deswillen niemant kein action auf ihn haben könne« (so ein Schreiben des Pfalzgrafen an seine Gemahlin vom 6. November 1632, zit. ebda. Anm. 1). 457 Jedenfalls beteuerten das die Württemberger fortan stets, wenn ihnen wieder einmal der Schlachtentod des Magnus als neutralitätswidrig vorgehalten wurde: Man habe damals Ludwig Andreas Lemblin ins Heerlager Georg Friedrichs geschickt, um Magnus zu überreden, eilends nach Stuttgart zurückzukehren. Stringente Beweise für die Stuttgarter Behauptung konnte ich nicht aufspüren, vgl. aber diese Notiz auf einer Nebeninstruktion für Lemblin vom 3. Mai 1622 (Or.: HStASt A90A tom. 35, fol. 86f.): »auch ein creditiv an herzog Magnum zu fertigen«; ferner Extrakt eines (interzipierten?) Schreibens Benjamin Bouwinghausens an den Wiener Agenten Jeremias Pi­storius, 1622, Mai 7, HHStAW Böhmen 64, fol. 74–77: Georg Friedrich habe Magnus »unter dem schein der neutrali­tet, doch wider unsern willen, an sich gezogen«, nun sei er womöglich gefallen, hätte ihn doch nur Lemblin noch er­reicht ...

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Beitragssatzes verlangte und daß Wolfgang Wilhelm zwar nicht für die Pfalzgrafschaft, wohl aber für seine niederrheinischen Besitzungen um Jülich dem Bund beitrete?458 Verstieß Wolfgang Wilhelm nicht gegen seine »neutralitet«, wenn er mit der energischsten Feindin des Kaisers im letzten Kriegsjahrzehnt, der Kasseler Landgräfin Amalie Elisabeth, über ein Verteidigungsbündnis verhandelte, das zwar »nit wider die Kayserliche Mayestet« gerichtet sein sollte, aber doch die »mit ihren allyrten aufgerichte alliance« Amalie Elisabeths akzeptierte und die Stationierung hessischer Truppen in Jülich vorsah?459 Fokussieren wir unseren Blick noch stärker, nämlich auch in zeitlicher Hinsicht! Die häufig intensiven, nie ganz abreißenden Verhandlungen zwischen neuburgischen Diplomaten und dem Heilbronner Bund in den Jahren 1633/34, über die machtpolitischen Verschiebungen im Sommer 1634, vollends den militärischen Umsturz nach der Schlacht von Nördlingen hinweg, zeigen vielleicht besonders instruktiv, wie die inhaltliche Füllung der »neutralitet« mangels völkerrechtlicher Vorgaben changierte, sich gewissermaßen mit den Windungen des Kriegsglücks ihrerseits hin- und herwand. Ich muß einräumen, daß diese Verhandlungen keine spektakulären Resultate zeitigten, sie haben überhaupt nichts irgend Spektakuläres an sich. Dieses Hin und Her war zäh, oft genug zänkisch, fast immer kleinlich, der Eleganz einer Rekonstruktion, die genau das zeigen will, sind recht enge Grenzen gesetzt. Die Alliierten sträubten sich zunächst hartnäckig gegen eine konzise Zusage, Wolfgang Wilhelms »neutralitet« zu akzeptieren. Ihre ersten Resolutionen gehören, streng genommen, noch gar nicht in den hier interessierenden Kontext, weil sie nicht den Begriffsumfang von »neutralitet« zirkeln, sondern eine – wie auch immer konkretisierte – neuburgische »neutralitet« verwerfen. Nehmen wir uns, exemplarisch, die Resolution vom 7. September 1633 vor! Zwar suche Wolfgang Wilhelm »beeder Landen neutralitet«, heißt es dort, doch wüßten die Emissäre ja sicher selbst, wie die Lage »ex situatione loci« nun einmal sei und was, so man Neuburg »quittirte«, der Feind »für einen ruckhen und vorthel« gewänne. »So will auch Jhres ermessens die billigkeit selbsten erfordern, daß dieselben Landt«, also die Pfalzgrafschaft, »zu erhaltung des Reichs libertet undt zuwiederbringung des Edlen wehrten friedens« – der Neutrale hatte die Friedensliebe nicht für sich gepachtet! – »auch nach müglichkeit etwas beytragen«. Wolfgang Wilhelm werde deshalb einsehen, »dz beruhrt Fürstenthumb der Confoederirten ChurFürsten undt Stände Landt und Leuthen gleich gehalten werde«, also »mit undt neben denselben der Reichsmatricul und gebürender proportion nach inskünfftig die Kriegsbeschwehrden tragen« müsse. Was die »Gulchische Landen« betreffe, 458 Die entsprechenden Verhandlungen vom Herbst 1632 im Überblick: Kretzschmar, Der Heilbronner Bund, Bd. 1, S. 461–464. 459 Vgl. Leffers, Wolfgang Wilhelm, S. 66ff. passim.

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wünsche Wolfgang Wilhelm, daß die »neutralitet« von allen Seiten »versichert« werde. Sie aber seien der Ansicht, »der feindt möchte sich solcher Landen nicht weniger zu seinem vortheil wie die Confoederirte [be]dienen, halten demnach darfur, es wurde ... der sicherste und thunlichste weg sein«, wenn er sich mit ihnen »in societatem belli« begebe.460 Selbst bei sehr weiter Dehnung des damals flexiblen politischen Konzepts »neutralitet« – noch räumten die Alliierten Wolfgang Wilhelm keine ein. Doch mündeten die Verhandlungen dann in vielmonatige zähe Begriffsarbeit. Während Wolfgang Wilhelm auf ältere Zusagen Gustav Adolfs pochte und einfach ein erneutes »Ja« vernehmen wollte, bestanden die Heilbronner darauf, »neutralitet« nach ihren »conditiones« zu bemessen, und zwar für die niederrheinischen Herzogtümer anders als für die Pfalzgrafschaft, je nach der hie bzw. da obwaltenden »ratio belli«. Man machte dem Pfalzgrafen klar, daß die von ihm beschworene »neutralitet« ohne »vorhergehende tractation ihre richtigkeit schwerlich erreichen« werde461, daß die »Neutralitet uf gewise conditiones, maas und weis« zu stellen sei462, allenfalls »uff gewise mas undt conditiones ... verwilligt werden könte«.463 Diese Definitionsarbeit zog und zog sich – natürlich blieben die schwedischen Truppen solang im Land stehen. Noch die Resolution der Heilbronner vom 28. Juni 1634 macht deutlich, daß Neutralität aus ihrer Warte durch eine enumerative Aufzählung der damit momentan anvisierten kriegspraktischen Auswirkungen zu konkretisieren war. Hinsichtlich der niederrheinischen Herzogtümer heißt es, sie seien »erbietig dieselbe in solche neutralitet kommen zulassen, daß sie mit einiger hostilitet, quartir, einlägerung, durchzüg contribution oder andern gellt exactionen nicht sollen beschwerd« werden, natürlich gegen einige Vorbedingungen.464 Der letzte Vorentwurf hatte, noch deutlicher, formuliert: Sie seien »erbietig, die selbe in conditionirte und solche neutralitet kommen

460 Resolution für die neuburgischen Vertreter in Frankfurt, 1633, Sept. 7 (Kopie), BayHStA Kasten blau 102/4 I. 461 Relation des neuburgischen Agenten beim Frankfurter Bundesrat, Dr. Erasmus, vom 4. Januar 1634 (Or.), ebda. 462 Gutachten des Grafenkollegiums, 1634, Mai 18 (Kopie), ebda. 463 Die Frankfurter Deputierten an Oxenstierna, 1634, Mai 19 (Kopie), ebda. 464 So blieben schwedische Truppen in Siegburg, und die Zusage werde nur in Geltung treten, wenn »der feind und gegenthail in gleichmesige neutralitet gesezt und hierüber die CronSchweden unnd Confoederirte Stännd so wohl von J. F. dl. als auch dem feind und gegentheil genugsam assecurirt werden«. Hinsichtlich der Pfalzgrafschaft gelte, daß »status publicus et ratio belli nicht zugeben welle, solche lande ... noch zur Zeit in sichere neutralitet zusezen«. Also: »neutralitet« nur für einige der von Wolfgang Wilhelm regierten Gebiete, und auch da Schlupflöcher, Hintertürchen, das Mißtrauen ist weiterhin mit Händen zu greifen. – Alles nach: Resolution der Heilbronner Verbündeten, 1634, Juni 28 (Or.), ebda.

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zulassen, das sie ...«; die Termini »hostilitet, quartir« wurden in einem allerletzten Korrekturverfahren vervollständigend eingefügt.465 Indes waren die Neuburger angesichts unübersehbarer Auflösungserscheinungen in der schwedisch-reichsständischen Kriegsallianz seit dem Frühsommer 1634 nicht mehr gewillt, »neutralitet« von den Heilbronnern definieren zu lassen. Schon am letzten Maitag hatten sie erstmals vernehmlich aufbegehrt: Vom schwedischen Vizekanzler Jakob Löffler wieder einmal in sattsam bekannter Manier belehrt, daß es nun »mit Jhnen von den conditionibus et modo Neutralitatis zu tractiren« gelte, entrüsteten sich die Emissäre Wolfgang Wilhelms, mit zweifelsohne gespielter Überraschung, die Erwähnung irgendwelcher »conditiones« komme für sie ganz unerwartet, ihr Herr »were niehmals Jn einiger hostilitet begrieffen gewesen wieder den bund, und anderst nichts begert, als Seine Landen Jn frieden zubesitzen, Sich auch weder in einigen krieg ingelassen«. Für sie war »neutralitet« damit hinreichend definiert, im Grunde im Sinne des modernen Abstinenzprinzips. Als Löffler ungerührt erwiderte, es gelte jetzt eben die »conditiones« abzustecken466, stellten die Neuburger klar, sie seien »nit ferner Jnstruiret, als eine gewierige Resolution abzuholen«, keinesfalls aber für eine »tractation«.467 Die evangelische Sache stand militärisch schlecht, offensichtlich hielten es die Neuburger nicht mehr für nötig, »neutralitet« von den Heilbronnern nach Belieben und »ratio belli« mit Inhalt füllen zu lassen. Auf die schon erwähnte Resolution vom 28. Juni replizierte Wolfgang Wilhelm am 12. Juli unwirsch, er habe auf »ein unclausulirte wilfehrige resolution« gehofft, ob sich die Heilbronner schon klargemacht hätten, »das sie ohne das feindt gnug haben« und was deshalb herauskomme, »wan man uns zu hart tretten und dringen wurde«?468 Während die Heilbronner nach Ausweis interner Papiere zutiefst davon überzeugt waren, Wolfgang Wilhelm ein mehr als wohlwollendes Angebot unterbreitet zu haben469, hielt der Neuburger die alliierte Resolution für völlig inakzeptabel, und zwar nicht aufgrund dieses oder jenes Details, sondern weil er sich sicher war, nun auf einer umstandslosen Respektierung seiner Unparteilichkeit und – modern gesprochen – seiner Abstinenz vom Kriegsgeschehen mit all seinen Mißhelligkeiten bestehen zu können. Für ihn war die Definitionsarbeit der Heilbronner beendet, ja, nach so langem unerquicklichem Begriffsgefeilsche war ihm der Terminus offenbar regelrecht verleidet: Weil »das wort neutralitet von ei465 Entwurf der Resolution vom 28. Juni: ebda. Es handelt sich, wie schon erwähnt, um einen Mischbestand kurpfälzischer und neuburgischer Provenienzen. 466 Alles nach einem Protokoll der Beratungen am 31. Mai 1634: ebda. 467 So ein anderes Protokoll der Beratungen am 31. Mai 1634: ebda. 468 Wolfgang Wilhelm an die Frankfurter Bundesversammlung, 1634, Juli 12 (Or.), ebda. 469 Alle Protokolle und Memoranden betonen, daß man Wolfgang Wilhelm besonders weit entgegenkomme, weil er ja grundsätzlich schon gutwillig sei, außerdem verwendeten sich die Generalstaaten für ihn.

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nem weither extendirt, von dem andern enger eingezogen und restringirt wirdt«, wolle er, »zu abschneidung kunftiger Jrrung und mißverständtnus ahn statt der Wort ›in volkommene neutralitet zusezen‹« klare Antworten auf alle seine sehr konkreten Forderungen und Beschwerden – also völliger Abzug, Schadensersatz, »versicherung« und Anordnungen an die Befehlshaber, nie mehr durch Neuburg oder Jülich zu ziehen, worüber »in authentica forma acta« zu »ertheilen« seien. In der Tat wird sich der Terminus »neutralitet« in den Folgemonaten, nach dem evangelischen Desaster bei Nördlingen, etwas470 aus den Verhandlungsakten zurückziehen, es geht nun um »verschonung« und »versicherung« des Pfalzgrafen. Doch gab Wolfgang Wilhelm in der Replik vom 12. Juli noch seine Definition von »neutralitet«: »so wir ... auf die abstellung der einlegerung, und aller oberzehlter beschwerdten in unsern landen, und derselben kunfftiger bestendiger verschonung verstehen«. Er bitte nicht mehr, verlange »wilfahrung« ohne »praeiudicirliche auch zwischen freunden ungewonliche clausulen, conditiones oder anheng«.471 Ich schiebe einen kleinen Exkurs ein, der illustriert, wie auch im Sommer 1634 verschiedene Neutrale ihre Neutralität unterschiedlich definierten. Während Wolfgang Wilhelm betonte, Neutralität beinhalte die allseitige Verschonung vor Kriegsunbilden, setzte sie der Graf von Bentheim mit einer Fixierung und »moderation« solcher Belastungen gleich: Er bitte, ließ er die Heilbronner wissen, daß ihm, auch für die Herrschaft Steinfurt, »eine Verantworttliche neutralitet gegünnet, und die Contributiones nicht nach eines jeden Kriegs Obristen belieben« erhoben, sondern nach der armen Untertanen »gelegenheit unnd vermögen moderiert und gelindert werden mügen«, die Kaiserlichen werde er sodann um »eine gleiche neutralitet unnd moderation der Kriegs ufflagen« angehen.472 Doch kehren wir noch einmal zum Pfalzgrafen von Neuburg zurück! Mit dem Waffenglück hatten sich die diplomatischen Töne geändert. Daß nun Wolfgang Wilhelm auf »versicherung« pochte, »acta publica« verlangte, war auch eine Retourkutsche: Bislang hatten die Heilbronner ihn damit gequält, daß er für seine Neutralität keine hinreichende »versicherung« bieten könne, man brauche »acta 470 Er begegnet schon weiterhin – Wolfgang Wilhelm verlange neuerdings »ein gannz unConditionirte neutralitet«, faßten die Frankfurter Deputierten in einem Schreiben an Oxenstierna zusammen: 1634, Juli 12 (Kopie), ebda. Resolution der Heilbronner für die neuburgischen Emissäre vom 15. Juli (Entw.: ebda.): für Neuburg ist keine »völlige neutralitet« möglich, hingegen gewähren sie für Jülich »ausserhalb Syburg ... völlige neutralitet«. Es ließen sich einige weitere Beispiele anführen, aber der Terminus grassiert nun, nach Wolfgang Wilhelms ›Begriffskritik‹, bis in den November hinein nicht mehr so wie in den beiden Jahren zuvor. 471 Wie Anm. 468. 472 Arnold Jost Graf zu Bentheim an die Frankfurter Versammlung, 1634, Mai 1 (Kopie), Kasten blau 102/4 I.

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publica« hierüber, auch vom »feindt«. Nach der Schlacht bei Nördlingen473 verspottete der Neuburger sogar jene »ratio belli«, die es bislang angeblich immer unmöglich gemacht hatte, seine »neutralitet« einfach so, ohne »maas und conditiones«, zu achten. Sein Schreiben an Axel Oxenstierna vom 14. Oktober 1634 darf man frech nennen. Er wolle ja »Landt undt underthanen dem Krieg sehr ungern eingemischet sehen«, suche genau deshalb die Neutralität, aber woher man so sicher sei, daß ihn nicht ständige Brüskierung eines anderen belehren könne? Daß eine bündige Verschonungszusage für Neuburg noch immer ausstehe, mache ihn »perplex«, sie werde ihm ohne triftigen Grund verweigert »ausserhalb daß allein per gratia vorgewendet worden daß an Jhrer seiten ratio belli et Status publici solches nit zulasse«. Nun habe aber schon Gustav Adolf die Verschonung Neuburgs versprochen, der »den ruhm gehabt«, daß er »rationem belli et Status so wohl als bey diesen Zeiten einiger mensch in dieser welt verstanden«.474 Wer den Nördlinger Schaden hatte, brauchte für den Spott nicht mehr zu sorgen. Den Begriffskern von »neutralitet« definierten nun andere. Doch sollten sich die Rahmenbedingungen auch für Wolfgang Wilhelm bald wieder ändern, der Kampf um den Bedeutungsumfang der neuburgischen »neutralitet« war fast ein dreißigjähriger. *** Hatte sich fünfzig Jahre später ein terminologischer Konsens herausgeschält? Ludwig XIV. hat einseitige Neutralitätserklärungen ja nicht akzeptiert – ihm genügte nicht irgendein (offenbar nach wie vor vages) Prinzip, interessierten Paragraphen. Diese boten mehr als das Kleingedruckte, waren ad hoc festzulegen, natürlich unter Berücksichtigung der Machtverhältnisse. Betrachten wir auch unter diesem Gesichtspunkt unseren kleinen Testfall, die speyerische Fußnote zum großen Kriegstheater! Er wurde informiert über die Bereitschaft Speyers »d’accepter la Neutralité, que Sa Majesté est en volonté de leur accorder«, erklärte Ludwig XIV. am 16. Juli 1674 – diese Neutralität war ein Gnadenerweis. Doch entpurzelten dem gnädigen Füllhorn des Sonnenkönigs dann »articles«, 473 Dieses Fiasko der Heilbronner, zumal aber Schwedens legte nicht eben nahe, nun auch noch Wolfgang Wilhelm durch fortgesetzte kleinliche Begriffsarbeit an der »neutralitet« auf die Seite des neuerdings übermächtigen Kriegsgegners zu drängen. Vgl. zu den Folgen der Schlacht von Nördlingen schon oben S. 574 Anm. 145. 474 Wolfgang Wilhelm von Neuburg an Axel Oxenstierna, 1634, Okt. 14 (Kopie), ebda. – Wie stets, verzichte ich auf alle ereignisgeschichtlichen Einzelheiten. Wolfgang Wilhelm verlangte ›nach Nördlingen‹ nicht nur kategorisch die Abführung aller schwedischen Truppenreste, auch, daß sie Geschütz, Munition, Getreidevorräte u. dergl. zurückließen. An eigene Demilitarisierung dachte er gar nicht mehr. Oxenstierna wand sich, doch der (erste) Wormser Bundestag erließ schließlich, wie wir ja schon wissen, eine einigermaßen bündige »verschonungs Erclerung«.

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Paragraphen: Weil er entschieden habe, Speyer als neutral zu erachten, sei es jetzt nötig, jemanden dorthin abzuordnen »pour convenir avec les dits habitants des conditions« und »signer les articles«.475 Zwischen dem großen Ludwig und der kleinen Reichsstadt waren jene »conditions« auszuhandeln, die sich zu dieser spezifischen Neutralité zusammenfügten. Noch gab es nur je und je spezifische Neutralitäten, nicht »die Neutralität«. Auf der anderen Seite pochte die Hofburg auf ihr Konsensrecht zu einer etwaigen Neutralität, nicht nur im Fall Speyers, und seit der ›Reichskriegserklärung‹ akzeptierte sie reichsständische »neutraliteten« grundsätzlich nicht mehr. Kaiserliche und alliierte Akten sprechen seither von der »verbottenen neutralitet« oder der »angemas. neutralitet«. Die meisten seitherigen Neutralen fügten sich, die Reichstagsgesandten des kleinen Rests versuchten den Behauptungskurs abzustecken. Doch prägte ihre Beratungen sichtlich Ratlosigkeit – sollte man aufs 1648 verankerte Ius pacis ac belli der Reichsglieder pochen? Damit habe man theoretisch Recht, praktisch verfange das Argument bei den anderen Reichständen nicht, berichtete der Votant Bayerns im Fürstenrat, Franz Gotthard Delmuck, aus Regensburg. Man werde deshalb die »conjuncturen zubeobachten« haben, »und was die kays. undt allijrten waffen, etwa für weitteren success haben mechten«. 476 Der Neutrale, die Wetterfahne im Wind, wie stets und noch immer! Man brauchte mindestens so aufmerksame Kriegsberichterstatter wie die Konfliktparteien, mußte seine Neutralität den Kriegsläuften anschmiegen. Im Herbst 1673 sah sich der bayerische Dauerneutrale gezwungen, kaiserliche Truppen westwärts durchziehen zu lassen, im Herbst 1675 fühlte er sich stark genug, Kontingente des Passauer Fürstbischofs wieder ins Hochstift zurückzuschicken. Im Herbst 1673 sah Frankreich sein Kalkül massiv durchkreuzt477, im Herbst 1675 fand der Kaiser kräftige Worte für seine Empörung.478 Was aber frommte einem Neutralen? Das eben stand 475 Dieser Jemand sei Turenne: Erklärung Ludwigs, Kopie: BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3407, fol. 303. 476 Bericht Delmucks über seine Beratungen mit den bremischen (Schweden!) und hannoverschen Gesandten, 1674, August 27 (Or.), ebda., fol. 353–355. 477 Sowohl der Hauptvertrag vom 17. Februar 1670 als auch der Bündnisvertrag vom 14. Januar 1673 sahen vor, daß der Durchmarsch kaiserlicher Truppen zu verhindern sei – dafür bekam der Kurfürst ja aus Pariser Warte seine stattlichen Subsidien! Trotzdem ließ Ferdinand Maria, protestierend, doch untätig, im Herbst 1673 kaiserliche, von Eger heranziehende Truppen die Oberpfalz passieren. 478 Vgl. nur Leopold an Ferdinand Maria, undat. Kopie [Oktober 1675], BayHStA Kasten schwarz 235 (unfol.): muß herausstellen, »wie ohnverantworttlich auch denen Reichssazungen bevorab jüngst zu Regenspurg ausgefallenen und bestettigten Conclusis allerdings zuewider seye, das ein Standt dem andern dergestalt den Pass für seine abschickhende Volkher verwaigere«. »Mit was fueg und raggion« will er »das publicum mit einer unzeittigen privat passion hemmen«?, Verweigerung des geschuldeten »Respects«, usw. usf.

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nicht unverrückbar fest, mußte je und je erwogen, ausgehandelt, ausgetestet werden, immer noch und nach wie vor. Mußte, durfte der Neutrale »Avocatorien« publizieren, die den Untertanen »auswerttige Kriegsdienste« verboten? Ferdinand Maria verweigerte es beharrlich479, für die Hofburg demonstrierte er dadurch seine Parteilichkeit. Anstatt uns in weiteren solcher kriegspraktischer Einzelheiten zu verlieren, sollten wir Besonderheiten des damaligen Neutralitätsdiskurses in den Blick nehmen. Es geht um mehr oder weniger aufschlußreiche Nuancen, vielleicht weniger aufschlußreich480 ist die Sprachregelung der Hofburg. Für sie durfte sich kein Reichsstand »in einige Neutralität« einlassen. »Einige Neutralitet oder dergleichen könten einmahl Ihre Maiestet ... nicht gestatten«, man dürfe sich nicht »auff einige verderbliche abweg einer Neutralitet verleitten« lassen.481 Von einem festumrissenen Rechtstitel spricht man anders, der Sprachgebrauch signalisiert, daß es viele Schattierungen von »Neutralitet oder dergleichen« gab. Vielleicht ist eine andere Beobachtung wichtiger: Es wurde bereits erwähnt, daß uns die Neutralité in Akten der 1670er Jahre selten nackt entgegentritt. Was hat das zu besagen? In den Jahrzehnten um 1600 war die Neutralitet ja bereits geläufig gewesen, aber weil stets etwas von verruchtem Machiavallismus mitschwang, galt der Terminus doch auch als so suspekt wie neumodisch. War der um 1600 noch (in jeder Hinsicht) aufregende Terminus ein Dreivierteljahrhundert danach so abgegriffen, daß präzisierende Adjektive beispringen mußten? Es läßt sich natürlich nicht strikt beweisen, zumal das Barockzeitalter eben überhaupt kein wortkarges war, die zuvor schon langen Sätze noch gewundener werden ließ. Jedenfalls beteuerte man nun mindestens seine »wahre 479 Die Graue Eminenz des Kurhofes, Caspar von Schmid, stand dahinter, wollte die Publikation solcher Mandate unbedingt verhindern; vgl. nur, für manche vergleichbare Schreiben, Schmid an Kammersekretär Huber, 1674, August 8 (Entw.), Kasten schwarz 15243 (unfol.). 480 Hinsichtlich der Prägnanz des Terminus Neutralität! Die Hofburg hat damals alle, die an dieser vage umrissenen politischen Option festhielten, in sehr prägnanten Worten des Ungehorsams und der Treulosigkeit bezichtigt, aber das interessiert uns näher im Schlußkapitel dieser Arbeit. 481 »Fernerweithes Kayserl. Allergnädigstes Mandatum Avocatorium. De Dato 22. Julii, 1674«: BayHStA Kasten blau 79/4, fol. 438; Relation des kurpfälzischen Emissärs Geyer vom 6. Februar 1676 (was ihm Hofkanzler Hocher in Wien erklärt habe), Or.: Kasten blau 102/4 I; Bericht Geyers vom 20. Februar (Or., ebda.) über weitere Wiener Gespräche. – Der Kaiser betreibt also die »verwehrung aller neutralität«, resümierte der bayerische Kurfürst Ferdinand Maria (an Delmuck, 1674, August 21, Entw.: Kurbayern Äußeres Archiv 3407, fol. 307f.). Verwehrte der Kaiser demnach die Neutralität ganz und gar, oder verwehrte er alle Sorten und Schattierungen dieser politischen Option? Wenn der pfalz-lauterische Votant im Fürstenrat erklärte, der Kaiser habe vor, »alle neutralitet aufzuhöben« (Fürstenratsprotokoll vom 18. August 1674, ebda., fol. 317–320), mag die erste Deutung näherliegen.

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neutralitet«482, seine »aufrichtige neutralität«483, typischer als so dürre Neutralitäten war dann schon die »wahre und auffrichtige neutralitet«484, man suchte »einen gantz ungefärbten wahren neutralen standt«485, zirkelte in Neutralitätsverträgen »une sincere, veritable et parfaite Neutralité«.486 Aber auch das wortreiche Understatement kommt vor. Karl Ludwig von der Pfalz versuchte der Hofburg an der Jahreswende 1675/76 sein Projekt einer südwestdeutschen Neutralitätszone als »limitirte Neutralitet« erträglich zu machen, aber, erneut sei es gesagt, bei so dürren Worten ließ man es nun nicht mehr bewenden – die Akten sprechen zum Beispiel von »wohllimitir[t]er extraordinari noth-neutralitet«, kennen die »limitirt- und cautelirte extraordinari neutraliteten«.487 Eigentlich, so die Pfälzer, suchten sie mit ihrer »Neutralitet, oder dergleichen Stillstand« lediglich »einige temporal sublevation bis zu anderwerten mehr ergiebigen hülff«.488 Da war es eine böse Überraschung für den kurpfälzischen Emissär Geyer, daß die Hofburg selbst eine derart entleerte Neutralität nicht leiden mochte. Er habe doch dargelegt, berichtete Johann Georg Geyer im Januar 1676 perplex nach Heidelberg, »daz der vorschlag Neutralitatis gar nicht auf eine trennung und aussezung von der Parthey« (!) ziele, indes wolle man diese »limitirte neutralitet« in Wien einfach »nicht begreifen«, der Kammerpräsident habe begriffsstutzig erklärt »entweder gar Nein, oder laß gar sein«.489 Es war an der Zeit, daß das Völkerrecht die Begriffsschärfung betrieb!

482 Vgl. etwa Relation Yrschs von Neuburg nach Düsseldorf, 1673, August 24 (Or.), BayHStA Kasten blau 79/1, fol. 143–146; Bericht dess. aus Wien, 1673, Dezember 28 (Or.) Kasten blau 79/4, fol. 29–36. 483 Er hat sich in diesem Krieg »allezeit einer aufrichtigen neutralität ... befliesen«: pfalzgräfliche Instruktion für den neuburgischen Vizekanzler Johann Ferdinand von Yrsch, undat. Kpt.kopie [Ende 1673?], BayHStA Kasten blau 79/4, fol. 1–8. 484 Philipp Wilhelm sei »so wenig eines, als andern theils feindt«, sondern bediene sich »einer wahren, und auffrichtigen neutralitet«: Relation Yrschs vom 28. Dezember 1673, wie vorletzte Anm. 485 Relation von Yrsch und Schellerer aus Wien, 1674, September 6 (Kopie), BayHStA Kasten blau 79/4, fol. 439–442. 486 »Traité de Neutralité« vom 18. Oktober 1675 zwischen Ludwig XIV. und Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg, Du Mont, Corps universel, Bd. 7.1, Nr. 144. Völlig üblich, sozusagen die adjektivische Mindestausstattung, war in den Verträgen der Zeit die »exacte neutralité«, wie jeder Blick in irgendeine Vertragssammlung rasch ergibt. Auch die »sincère neutralité« ist sehr häufig. 487 »Concept Ausführlichen Neben remonstrations Memorialis« für den Kaiser, undat. Entw. [Ende Februar 1676], BayHStA Kasten blau 102/4 I (unfol.) – es sind lediglich zwei Beispiele. 488 Projektskizze für eine oberrheinische Neutralitätszone, undat. Kopie, ebda. 489 »Continuatio Relationis« Geyers (hier: über eine Audienz beim Grafen von Sinzendorf ), undat. Kopie (?), ebda.

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3.2.3.2 Keine Äquidistanz Wenn der Begriffsumfang von Neutralité wieder und wieder in Abhängigkeit von den momentanen Machtverhältnissen neu zu umreißen war, konnte Neutralität nicht zuverlässig und regelmäßig auf Äquidistanz hinauslaufen – nicht in der politischen Praxis. Die Haltung der Publizistik lernten wir ja schon kennen490, in bemerkenswerter Diskrepanz zu dem, was im 16. und 17. Jahrhundert politisch möglich und realistisch gewesen ist (man könnte auch sagen: in bemerkenswertem zeitlichem Vorauf zur Entwicklung in der politischen Praxis) warnte sie den Neutralen vor offenkundig werdender Einseitigkeit. Überhaupt begegnet eine ›Idealvorstellung‹ unparteilicher Neutralität von Anfang an. Im Jahr 1509 »la légende des Vénetiens« ausspinnend, wußte Jean Lemaire de Belges, die Venezianer hätten sich von Karl dem Großen das Privileg zusichern lassen, daß sie in seinem Strauß mit dem byzantinischen Kaiser Nikephoros »estoient neutres, c’est à dire ilz ne se debvoient mesler ne d’un costé ne d’autre«.491 Die Zürcher instruierten 1536 ihre Tagsatzungsgesandten darauf, für eine »Unpartyschung und Neutralitet«492 im Ringen um Mailand zwischen Karl V. und Franz I. zu plädieren, die aufs moderne Abstinenzprinzip hinausgelaufen wäre – man dürfe keinen irgend unterstützen und habe alle eidgenössischen Söldner heimzurufen. Die Ansicht, Neutralität könne Unparteilichkeit mit umfassen, kommt von Anfang an vor. Aber sie mußte eben nicht. Üblich waren mehr oder weniger gravierende, mehr oder weniger offensichtliche einseitige Begünstigungen – auch während der in dieser Studie näher betrachteten Konflikte, übrigens auch im Fall der Eidgenossenschaft.493 490 Nämlich in Kapitel C.2.4.2. 491 Jean Lemaire de Belges, La légende des Vénetiens, hg. von Anne Schoyman, Brüssel 1999, S. 13. Auf Jean Lemaire, den Nachfolger Jean Molinets als Historiograph der habsburgischen Herzöge von Burgund, wurde ich bei Oschema, Auf dem Weg, S. 107 aufmerksam. Bezeichnender Weise ›entlarvt‹ Lemaire anschließend die tatsächliche Parteinahme der Lagunenstadt für die Byzantiner, das Unparteilichkeitsideal wurde nicht Realität. 492 Zit. nach Schweizer, Neutralität, Bd. 1, S. 201. – Karl V. kämpfte damals an der schweizerischen Südgrenze mit dem Franzosenkönig ums Herzogtum Mailand. 493 Bezeichnend eine der wenigen Episoden Paul Schweizers, die den Eidgenossen nicht einfach beim Durchlavieren zusieht (und das als Neutralität im modernen Wortsinn verkauft), sondern von einer expliziten Festlegung aufs »stillsitzen« berichten kann: Im Januar 1508 sagte die Tagsatzung Maximilian I. zu, sich bei seinen italienischen Kämpfen mit Frankreich »lut des stillsitzens« herauszuhalten – freilich seien sie »dennocht och dabi pflichtig, dem küng von Frankrich die Aynung zu halten«! Vgl. Schweizer, Neutralität, Bd. 1, S. 196, auch S. 70. Sogar der in Schweizergeschichten vielgerühmte Vorsatz von 1632, allen Kriegführenden den Durchmarsch zu verweigern, erfolgte »so wyt und fehr es one Verletzung unserer Pündtnussen geschechen mag«. Ältere, vor einem aktuellen Konflikt eingegangene Beistandsverpflichtungen standen einer »neutralitet« in diesem Konflikt nach vormoderner Auffassung nicht im Wege: Gerade darüber wird sich dann ja Bynkershoek echauffieren.

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Zur Neutralitätsmaske des bayerischen Herzogs Wilhelm im Schmalkaldischen Krieg gehörte die Beteuerung, »Neuteral, oder diser Kriegssachen unparteisch« zu sein, er sei »diser rustung unparteisch«494, habe sich »pisher unparteysch gehalten«.495 Das war so glaubwürdig496 wie die Beteuerung des neuburgischen Statthalters Hans Kraft von Festenberg, die Pfalzgrafschaft habe sich »keinem tail anhengig machen«, sich »auch iederzeit am liebsten allerdings unpartylich erzeigt haben« wollen497 – beide Beteuerungen sind hier nicht noch einmal zu dekonstruieren, wir sehen jedenfalls, daß die Vorstellung einer idealiter »unparteischen« Neutralität durchaus existiert hat, und zwar so ziemlich von Anfang an; sie scheint ungefähr so alt zu sein wie der politische Begriff einer »neutralitet«. Für die Münchner Räte wird es – man gestatte mir diesen knappen zeitlichen Vorgriff – zur bayerischen »neutralitet« im Fürstenkrieg gehören, daß sie, ganz im Sinne des modernen Abstinenzprinzips, »keinem thail wider den anndern weder furderung noch verhinderung theten«.498 Anderen weismachen konnte man das schon, man konnte es sich sogar selbst vormachen oder doch vornehmen. Die damalige Kriegswirklichkeit war stets eine andere. Dieselbe Reichsstadt Donauwörth, die im Sommer 1546 allen Kriegsparteien gegenüber ihre Neutralität beteuert hatte, wurde Anfang August »zum großen Heerlager der Verbündeten«.499 Der im Schmalkaldischen Krieg erklärt neutrale Kurpfälzer Friedrich stellte einem erklärten Schmalkaldener, nämlich Ulrich von 494 Instruktion für eine Gesandtschaft ins schmalkaldische Kriegslager, 1546, August 11 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2103, fol. 41–44. 495 Wilhelm an die schmalkaldischen Kriegsfürsten, 1546, August 8 (Kpt.kopie), Äußeres Archiv 2100, fol. 19–21. 496 Schon der Regensburger Vertrag vom 2. Juni 1546 hatte ja erhebliche einseitige Leistungen an die kaiserliche Seite fixiert – Geld, Geschütz, Munition, sechshundert »fossores« (für Schanzarbeiten) usw. Abdr.: Karl Lanz (Hg.), Correspondenz des Kaisers Karl V. Aus dem königlichen Archiv und der Bibliothèque de Bourgogne zu Brüssel, Bd. 2, Leipzig 1845, Nr. 623. Tatsächlich hat Wilhelm den Kaiser vielfältig, auch über die Regensburger Verpflichtungen hinaus, begünstigt. 497 »Anschreiben an H. Otth. d. Einnahm Neuburgs halben«, undat. Entw. [Herbst 1546], BayHStA Kasten blau 102/ad 4 I, fol. 63–74. 498 Rätegutachten, s. d. [Anfang Juli 1552], BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4526, fol. 257–259. 499 Maria Zelzer, Geschichte der Stadt Donauwörth, Bd. 1, 2. Aufl. Donauwörth 1979, S. 211. »Hier wurde ein großes Waffenlager angelegt, und am 7. August kamen die Häupter der Schmalkaldener persönlich, um Verpflegungsangelegenheiten zu erledigen.« Karl V. antwortete am 9. Oktober mit Sturmleitern und Sprengkommando. – Zelzer schildert die Neutralität »Schwäbischwerds« im Schmalkaldischen Krieg leider in betulich-heimatkundlichem Duktus und ohne aus den offensichtlich von ihr konsultierten Akten zu zitieren, dennoch wird deutlich, daß sich die Reichsstadt nicht einfach ›nur‹ durchzulavieren suchte, sondern den Terminus Neutralität verwendet und über den Begriff reflektiert hat (vgl. beispielsweise ebda., S. 209: »am 9. Juli ging ... eine Ratsabordnung zum kaiserlichen Rat Anton Fugger ..., er solle sagen, was unter Neutralität zu verstehen sei«).

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Württemberg, ein Fähnlein Reiter und zwei Fähnlein Fußsoldaten zur Verfügung. Bei Beratungen mit Philipp von Hessen und eben Friedrich in Maulbronn hatte Ulrich erfolgreich auf die Erbeinung zwischen den Dynastien gepocht. Am selben Tag, an dem die versprochen Kontingente ausrückten, ließ der Heidelberger Kurfürst beiden Kriegsparteien förmlich seine Neutralität erklären!500 Die zeitliche Koinzidenz lehrt uns, daß der Pfälzer zwischen der Erfüllung älterer Vertragspflichten und aktueller Neutralität keinen unauflöslichen Widerspruch empfand. Friedrich ging wohl wirklich davon aus, daß die Hilfstruppen nur defensiv verwendet würden501, indes beschloß eine Konferenz hessischer, württembergischer und kursächsischer Räte im August, die pfälzischen Reiter im Bundesheer der Schmalkaldener einzusetzen. Der Kurfürst wurde nicht gefragt, zog seine Kontingente freilich auch nicht sogleich zurück, sondern erst im November, nach dem Auslaufen der befristeten Maulbronner Vereinbarung. Der Albertiner Moritz beabsichtigte und erklärte im Sommer 1546, sich bei den absehbaren militärischen Auseinandersetzungen zwischen Karl und den Schmalkaldenern neutral verhalten zu wollen, gleichzeitig ließ er seine Emissäre am Regensburger Reichstag versichern, einer präsumtiven Kriegspartei, nämlich Karl und Ferdinand, »allen schuldigen gehorsam, treu und dienstbarkeit alle seins vermögens zu leisten«.502 Im Regensburger Vertrag zwischen Karl, Ferdinand und Moritz vom 19. Juni503 versicherte letzterer, sich stets so zu verhalten, »ut obedientem et fidelem vasallum ac principem decet«. Dieser einleitenden Versicherung schließt sich die folgende Selbstverpflichtung an: »adjuvabit et etiam apud alios, quantum studio, consilio atque auctoritate consequi poterit, laborabit«, daß Karl und Ferdinand »obedientia legitima in Imperio conservetur et manutenetur«, daß »publica pax observetur«, überhaupt werde sich Moritz als »amicus« des Hauses Habsburg (also einer Kriegspartei!) bewähren. ***

Am 26. März 1552 verständigten sich würzburgische und hessische Räte in Schweinfurt auf einige »Artikel«504. Sie schrieben unverkennbar die Parteilichkeit des Neutralen fest: Das Hochstift verpflichtete sich, dem Landgrafen und seinen Verbündeten »gute beferderung, mit gebung passes« sowie Proviant (gegen 500 Vgl. von der gleichsam ereignisgeschichtlichen Seite her Hasenclever, Die Kurpfälzische Politik, S. 92. Irgend problematisiert, gar in eine Geschichte der Neutralität eingeordnet wird das von Hasenclever natürlich nicht. 501 Vgl. nämlich Luttenberger, Glaubenseinheit, S. 360f. 502 Aufzeichnungen der albertinischen Räte über ihre erste Unterredung mit Granvelle Anfang Juni 1546 in Regensburg: Erich Brandenburg (Hg.), Politische Correspondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, Bd. 2, Ndr. der Ausgabe 1904, Berlin 1983, Nr. 911. 503 Ebda., Nr. 922. 504 Druffel, Briefe und Akten, Bd. 3, Nr. 1163.

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Bezahlung) zukommen zu lassen, all das deren Feinden zu versagen. Als sich Anfang April Herzog Christoph von Württemberg in Tübingen mit Emissären aus Heidelberg und München traf, um erste Grundsteine für eine neutrale Vermittlungspartei zu legen, verabredete man auch, was zu antworten sei, so sie »von den kriegsfursten hinzwischen solten angesucht werden, sich zuerclerenn«. Man verweise dann darauf, so der konzertierte Vorsatz, daß sich die drei süddeutschen Fürsten demnächst persönlich zu treffen gedächten, »mit ferner vermeldung, Jnen mitler weil, umb zimliche billiche bezahlung, prophianndt, auch wo von nötten den pass, on alle hinderung zugestatten unnd zugebenn«. Wenn hingegen der Kaiser »bei ainem oder allen« um »hilff« nachsuche, seien »Entschuldigung unnd abschlag« angezeigt, man werde sich auf »die bedrangt not, armuot, gefar, unvermuglicheit« hinausreden – also keine »hilff«, doch dieser »Rath«: Er möge alles tun, damit »guetliche« Versuche der »unpartheischen« Reichsstände zum Erfolg führten.505 Aber ob die in Tübingen vereinbarten ›Musterantworten‹, gegeneinander gehalten, von einer »unpartheischen« Haltung künden? Die Tübinger Diplomaten mögen sich diese Frage selbst gar nicht gestellt haben, zumal Neutralität eben nach zeitgenössischer Auffassung nicht vor Durchmärschen schützte.506 Sie wurden den Truppen der Kriegsallianz in der Tat eingeräumt, und die erklärt »Neutralen« haben sie dabei verproviantiert, auf daß »schaden verhuot« wurde, die Untertanen von eigenmächtigen Requirierungen »verschont« blieben507 und um »allen gueten willen zubeweisen«.508 Man kann eine so verstandene »neutralitet« als flexibel rühmen, andererseits stürzte sie immer wieder in prekäre Abgrenzungsprobleme. Wie weit ließ sich der unscharfe Begriff dehnen, ehe sich die eine oder die andere Kriegspartei getäuscht, ehe sie ihrerseits keine »neutralitet« mehr beim Dritten obwalten sah? Das war im Kriegsalltag für alle Seiten immer aufs Neue schwer kalkulierbar und höchst unsicher. Ich will es mit einem unspektakulären Beispiel für Dutzende ähnliche illustrieren: Ende Mai erfuhr Herzog Albrecht von Bayern, daß Kai505 »Abschied zu Tubingen«, 1552, April 3, BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 85– 89. 506 Faktisch mußten sich die Tübinger Beschlüsse natürlich parteiisch auswirken: Nur die südwärts ziehenden Truppen der Fürstenallianz benötigten momentan Durchmarschmöglichkeiten und entsprechende Verproviantierung, beides wollte man ihnen ausdrücklich nicht verweigern, während man Karl jegliche »hilff« abzuschlagen gedachte. 507 Die in München verbliebenen Räte an Albrecht von Bayern nach Linz, 1552, Mai 4 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4571, fol. 75 bzw. an Wilhelm von Hessen, 1552, Mai 4 (Kpt.kopie), ebda., fol. 76. – Die bayerischen Kriegsakten sind voll von entsprechenden Anordnungen, ich verweise nur noch auf Äußeres Archiv 4525, fol. 244 oder Äußeres Archiv 4526, fol. 22ff. 508 Fürstbischof Moritz von Eichstätt an Wiguleus Hundt, 1552, April 18 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 184f./189. Daß der Eichstätter auch Geschütz stellte, wissen wir schon (vgl. oben Anm. 451, dazu Anm. 325).

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ser Karl die Reichsstadt Regensburg, weil er dort Truppen zu mustern gedenke, militärisch absichern und deshalb auch etwas Volk in die bayerische Umgebung legen wolle.509 Entschieden war der Herzog dagegen, an »die von Regenspurg« schrieb er, daß »Eure gegenthail aus disem hoch verursacht möchten werden vnns unnser Land und leuth feindlich anzugreiffen zuplündern, unnd zuverderben, darumb unns dann die Rm. Kay. Mt. bisher mit umbschlagen, Musterpletzen, und Einlagerung der Knecht in unnsere flecken, unbeschwert gelassen«. Albrecht wollte also weder Einquartierungen noch Werbungen, wollte überhaupt keine kaiserlichen »Knecht« bei sich sehen – sollte man meinen. Wenig später wandten sich die in München zurückgelassenen Räte an ihren mittlerweile in Passau weilenden Herzog: Es drohten erneut Werbungen und Musterplätze für die Kaiserlichen, natürlich müsse man versuchen, das abzuwenden, denn wenn es die Kriegsfürsten mitbekämen, würden sie über »land unnd leut zu mercklichem verderben khommen«.510 Man sollte meinen, daß diese Einschätzung der seitherigen herzoglichen Linie entsprach, doch Albrecht wies seine (darob zweifelsohne ziemlich verblüfften) Räte scharf zurecht: Es sei seine »Maynung nie gewest«, es dem Kaiser »abzuschlahen«, »knecht In unserm Furstenthumb ... aufzenemen ... und kundt bej euch selbs erwegen, was verdacht sollichs bey Kay. Mt. pringen werd«. Freilich müßten diese Werbungen »haimlich« vonstatten gehen. »Haimliche« Werbungen dürften sie auf keinen Fall wem auch immer abschlagen. 511 Ob es zwischen Albrecht und seinen Räten Kommunikationsstörungen gegeben hatte, ob ersterer seine Meinung geändert hatte – es läßt sich nicht mehr rekonstruieren, überhaupt sind die referierten Schreiben ja so unspektakulär wie hundert ähnliche, aber sie zeigen doch exemplarisch an, wie unscharf der sachliche Umfang neutraler Indifferenz gewesen ist. Vormoderne Neutralität konkretisierte sich nur selten in jener strikten »Abstinenz«, die moderner Neutralität immanent ist. Werfen wir, anstatt uns in weitere Windungen des Fürstenkriegs zu vertiefen, abschließend den Blick auf ein Memorial des Herzogs von Württemberg! Christoph hält dort folgende Überlegung fest: »Wa man sich mit ainer suma gelds [für die Fürstenallianz] abkaufen möchte und das man neutral belibe, achtet ich, derselbig wege an dem furstendlichisten zu sein«.512 Man konnte um 509 Vgl. das Material in BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 245ff.; das folgende Zitat entnahm ich einem herzoglichen Schreiben vom 27. Mai: ebda., fol. 286f. 510 Die Münchner Räte an Albrecht, 1552, Juni 9 (Kopie?), Äußeres Archiv 4526, fol. 56–58. 511 Albrecht an die Münchner Räte, 1552, Juni 12 (Or.), ebda., fol. 85. 512 Memorial Christophs [vom Juni 1552]: Ernst, Briefwechsel, Bd. 1, Nr. 609. – Hingegen schlug der Stuttgarter Herzog zwei Jahre später kulmbachische Bitten um Kriegskredite aus, aber die Situation war nun eine andere: Der Markgraf war ein unangenehmer, doch dem stattlichen Herzogtum Württemberg schwerlich wirklich gefährlicher, war ferner ein wenig reputierlicher Kriegsherr. Um mit ihm nicht gemeinsame Sache machen zu müssen, war die

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Neutralität »bitten«, man konnte versuchen, sie sich zu erkaufen, so man einen Handelspartner fand; einfach auf sie zu pochen und sich auf strikte Abstinenz zurückzuziehen, war selten eine realistische Option. ***

Sie war es auch nicht im Dreißigjährigen Krieg, nicht für die vielen Fürsten, die sich vorübergehend unter das löcherige Schutzdach der »neutralitet« flüchteten, nicht für die Dauerneutralen513 aus Neigung und Staatsräson. Wer gerade das militärische Übergewicht in der Region besaß, holte sich, was er dringend brauchte oder zu brauchen meinte. So hatte der Neutrale denn sein Land als Quartiergebiet zur Verfügung zu stellen514, Durchmarschrechte einzuräumen515, aber beispielsweise auch Viehherden, so sie die Bauern nicht gut genug versteckten, oder sogar Hilfstruppen516. Viehherden scheinen das gleichsam harmloseste Glied in dieser Aufzählung zu sein. Doch manchmal sind auch unspektakuläre Einzelheiten vielsagend – blicken wir also, wieder einmal, durch die Lupe auf eine kleine Fußnote des großen Kriegs-

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»neutralitet« ein willkommener Vorwand. So ließ Christoph erklären, Kriegskredite einzuräumen würde ihm, »der mit mund und hand allen tailen zugesagten neutralitet zuwider, gar mit nichten gepürn« (so jedenfalls erfuhr es Zasius gesprächsweise vom Stuttgarter: Zasius an König Ferdinand, 1554, März 15, Druffel/Brandi, Briefe und Akten, Bd. 4, Nr. 396). Um nur anmerkungsweise auf das hamburgische Beispiel einzugehen: mal hatte der Monographie von Loose, Hamburg, passim zufolge die »dänisch-schwedische Partei« die Stimmführerschaft im Senat der Hansestadt, mal eine »kaiserliche Partei«, aber beide legten größten Wert darauf, ihre Politik als »neutral« zu etikettieren. »Im Rahmen der Neutralität sah die eine die zweckmäßigste Politik für Hamburg in einer Hinneigung zur kaiserlichen, die andere zur dänischen (und dann schwedischen) Seite. Die Ereignisse zeigen, daß jeweils die Partei im Rat die Majorität erhielt, deren Weg in der jeweiligen Lage den größten Vorteil für die Stadt zu bringen versprach« (S. 29), und zwar in Abhängigkeit von der Einschätzung, von welcher Kriegspartei gerade die massivere Gefährdung drohte. Auch im schwedischdänischen Krieg seit 1643 suchte Hamburg »neutral zu bleiben, wiewohl seine Sympathien den Schweden gehörten, denen es heimlich Subsidien zuwendete« (S. 110). Ich verweise nur auf die niederrheinischen Herzogtümer Wolfgang Wilhelms – dem der Kaiser zwar im April 1635 »Verschonung« zugesagt hatte, dabei, wie synonym, auch das Wort »Neutralitet« verwendend, dessen Gebiete er dann aber jahrelang immer wieder mit Einquartierungen belegte, also keinesfalls »verschonte«: Leffers, Wolfgang Wilhelm, passim. Ein anderes von zahllosen Beispielen wäre Kurbrandenburg – dazu Gotthard, Preußen, S. 88ff. passim. Vgl. zum Problem des Truppentransfers unten Kapitel C.3.2.4. Vgl. nur Zeng, Mühlhausen, S. 317: trotz der »Neutralitätspolitik des Rates« stellt der, wenn auch »zögernd«, Bernhard von Weimar 1632 die zur Besetzung des Eichsfelds verlangten Hilfstruppen zur Verfügung. Bezeichnend ist dieses Resümee des Autors: »Im großen und ganzen wahrte die Stadt immer einen gewissen Rest [!] an Eigenständigkeit und Neutralität gegenüber den großen Kriegsparteien.« An moderner Neutralität gemessen, waren es in der Tat nur »Reste«.

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theaters! Ich wähle den Juli 1622 und begebe mich in die Heilbronner Gegend. Von dort liefen damals alarmierende Meldungen in Stuttgart ein: Truppen Tillys verwüsteten ganze Landstriche, hätten mehrere Ortschaften in Asche gelegt.517 Angeblich, so hieß es jetzt und noch monatelang, täten sich zahlreiche »cosacken« bei diesen Exzessen hervor. Vermutlich handelte es sich tatsächlich um polnische Chevaux-legers, die sich in Schlesien kaiserlichen Obristen angedient hatten, schließlich Erzherzog Leo­pold überstellt wurden518 – nachdem sie das Herzogtum Württemberg monatelang in Angst und Schrecken versetzt hatten. Beeindruckte die erklärte Neutralität519 des Herzogtums denn gar nicht? Alle Lamentos über das »niederhawen unserer underthanen«, über »schendung weib und kind« half nichts und auch nicht des Her­zogs Feststellung, Tillys Horden seien »nicht besser als die turken selbsten«.520 Der Kaiser und Maximilian von Bayern nahmen solche Klagen schon zur Kenntnis, stimmten sich auch beiläufig über angemessene Antwortschreiben ihrerseits ab – aber Handlungsbedarf sahen sie keinen. Tilly sei ein erfahrener Feldherr, urteilten sie, er gebe nie leichtfertig, sondern nur im Falle unabweisbarer militärischer Notwendigkeiten Anlaß zur Klage.521 Und gegen solche Notwendigkeiten half eben keine Neutralität!

517 Alle Einzelheiten in HStASt A90A tom. 36. 518 Vgl. Anonymus (aus Prag) an Benjamin Bouwinghausen, 1622, Juli 6 (Kopie), HStASt A29 Bü. 32 (»Got verhiete, daß sie nit in unser Schwabenlandt kommen, unsere pauren wurden sie fur lauter türken und tataren halten«); Maximilian von Bayern an Johann Friedrich von Württemberg, 1622, Juli 15 (Or.), A90A tom. 36, fol. 141–144; Erhzerzog Leopold an Johann Friedrich, Juli 19 (Or.), ebda., fol. 139f.; Kaiser Ferdinand an Maximilian, 1622, Aug. 31 (Or.), BayHStA Kasten schwarz 31, fol. 432f. 519 Die Klagen des Sommers 1622 beriefen sich außerdem auf Heilbronner »puncta«, die uns hier weniger interessieren. Eben, weil die Berufung auf die »neutralitet« so wenig fruchtete, hatte der württembergische Obristleutnant Kraft von Hohenlohe mit dem bayerischen Obristen Levin von Mortaigne in Heilbronn einen Vertrag ausgehandelt, der eine im Namen des Stuttgarter Herzogs wie des Schwäbischen Kreises, der andere im Namen Tillys: Alle Mißhelligkeiten zwischen den Heeresteilen seien vergeben und vergessen, fortan sollten »guot vertrauen und alle freindtschaft« herrschen, sollten Streifzüge, Einquartierungen, Truppentransfers unterbleiben. Der Bayernherzog kritisierte das Vorgehen Mortaignes scharf (vgl. folgende Notiz in BayHStA Kasten schwarz 1863: »Diß hat dem Mortagne zu accordiren nit gebürt wie auch nit, daz er sich general von der artilery tituliert, in den puncten selbst sind viel praeiudicierliche sachen ...«), auch Tilly bedauerte, daß Mortaigne »sich so weit ... hab bereden lassen«. Es wird bei der Lektüre der bayerischen Akten nicht recht deutlich, ob die Münchner überhaupt jemals die theoretische Verpflichtung empfunden haben, sich strikt an diese »puncta« zu halten. In der Praxis haben sie es jedenfalls nicht getan. 520 Johann Friedrich an Maximilian, 1622, Juli 26 (Entw.), HStASt A90A tom. 36, fol. 209– 211. Der dicke Tomus enthält viele ähnliche Beschwerdeschreiben. 521 Vgl. beispielsweise Kaiser Ferdinand an Maximilian von Bayern, 1622, Aug. 16 (Or.), BayHStA Kasten schwarz 32, fol. 236.

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Anfang August machte sich der württembergische Emissär Hans Melchior Kechler von Schwandorf zu Tilly auf. Der erklärte ungerührt, er könne es seinen hungernden Soldaten nicht verdenken, wenn sie sich in ihrer Not selbst behülfen. Zwar habe er einige Exempel statuieren lassen, doch »es helfe alles nichts«. Im Gegenzug wurde Kechler mit der Forderung konfrontiert, das nominell neutrale Herzogtum solle Tillys Heer mit monatlich 1400 Stück Vieh gegen Bezahlung beliefern oder aber Friedrich V. zur Herausgabe von Heidelberg und Mannheim bewegen, auf daß Tilly dort neue Quartiere be­ziehen könne. »Il se faut repondre de nous assister en cela que nous demen­dons522, ou de se laisser ruiner«, erklärte der Ligageneral bei der Abschieds­audienz. Einseitige Begünstigungen oder Ruin: kein Wunder, daß der schockierte Gesandte da »nichts zu repliciren gewüst«! Er mußte erfahren, wie wenig Papiere oder Neutralitätsdeklarationen in Kriegs­ zeiten wert waren, die den je aktuellen militärischen Nutzen über diplomati­sche Verläßlichkeit stellten. An den Hof des Fürstbischofs von Speyer weiterreisend, wo er sich ebenfalls wegen einiger Übergriffe beschweren sollte, wies man den Gesandten, jedenfalls nach seiner Überzeugung demonstrativ, in eine »elende herberg«, nach einer auf der Ofenbank verbrachten Nacht mußte er sich vom Fürstbischof verhöhnen lassen, als er die Namen der an den Übergriffen beteilig­ ten Soldaten nicht zu nennen wußte – blanker Zynismus der Macht! Viehlieferungen an Tillys Heere waren natürlich mit Unparteilichkeit nicht zu vereinbaren, es sei denn, man hätte die Gegenseite ebenfalls groß­zügig bedient. Zudem herrschte im Schwäbischen Kreis offenbar aufgeprägter Fleischmangel. Freilich, Johann Friedrich konnte dem Feldherrn noch so ein­dringlich vor Augen stellen, wie ausgemergelt und verelendet der deutsche Südwesten sei523, anderswo war die Not noch größer, und so blieben Tilly, aber auch der Kaiser524 und Maximilian525 bei ihren Forderungen nach einseitiger Verproviantierung. Sie standen selbst unter dem Druck ihrer Offiziere; der Württemberger und andere Protestanten ließen katholische Aufkäufer »todtschlagen«526, klagten diese, hingegen lieferten die angeblichen Neutralen ja doch zweifelsohne »under der hand« den Heidelbergern, was die sich nur immer wünschten. Der damals 522 Sic! Also »demandons«, verlangen – alles nach der Relation Kechlers vom 8. August 1622, Or.: HStASt A90A tom. 36, fol. 295–301. 523 Vgl. zum Beispiel Johann Friedrich und die Kriegsräte des Schwäbischen Kreises an Tilly, 1622, Aug. 7 (Or.), BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 105/I; Proposition Christoph von Laimingens in München, 1622, Aug. 10 (Or.), ebda. Kasten schwarz 1863; Johann Friedrich an Maximilian, 1622, Aug. 10 (Or.), ebda. Kur­bayern Äußeres Archiv tom. 2327. 524 Vgl. Ferdinand an Johann Friedrich und die Kriegsräte des Schwäbischen Kreises, 1622, Aug. 16 (Ko­pie), BayHStA Kasten schwarz 32, fol. 243–246. 525 Vgl. Maximilian an Johann Friedrich, 1622, Aug. 16 (Or.), HStASt A90A tom. 36, fol. 404– 407 (wenn er sich nicht fügt, werden ihm allerlei »inconvenientien« blühen). 526 Extrakt eines Schreibens der in der Unterpfalz eingesetzten Offiziere an den Bayernherzog, 1622, Aug. 22: BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv tom. 2327.

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wichtigste Offizier Johann Friedrichs mahnte, es sei besser, »mit willen und ordnung« zu liefern, was sich die Ligisten sonst ohnehin holen würden.527 Schließlich gaben die Württemberger nach: Tillys Aufkäufer dürften sich im Schwäbischen umsehen, konzedierte der Herzog528, semel pro semper werde der Kreis zudem selbst eine stattliche Rinderherde aufbrin­gen.529 Das war leichter versprochen als getan! Natürlich herrschte überall Mangel; wurden irgendwo ein, zwei Dutzend Rinder gesichtet oder gar feilgeboten, löste dies hektische diplomatische Aktivitäten aus530, meist vergeblich. Die archivalischen Spuren des monatelang jedermann so aufregenden Themas »Rinder für die Liga« verlieren sich unter letzten Drohungen Tillys531 und nach einigen (wohl eher symbolischen) württembergischen Viehlieferungen, denn seit dem Spätsommer ängstigte sich alles vor sich offenkundig abzeichnenden Winterquartieren im Südwesten – und wir können uns ausblenden. Wir inspizierten, wieder einmal, Szenen des damaligen Kriegsalltags, die für sich genommen kaum Interesse beanspruchen zu können scheinen. Doch illustrieren sie, wie wenig Respekt die Berufung auf die »neutralitet« einbrachte; und – darauf kam es hier vor allem an – daß der Neutrale nicht darum herumkam, dieser oder jener Seite allerlei Gefälligkeiten zu erweisen. Tilly brachte ja beides auf den Punkt, den mangelnden Respekt wie die Notwendigkeit der Hilfeleistung: einseitige Hilfen oder »Ruin«! Eine merkwürdige Neutralität!, ist man versucht zu sagen – zumal wir ja schon wissen, daß die Publizistik des 17. Jahrhunderts den Neutralen ziemlich regelmäßig vor offenkundig werdender Parteilichkeit gewarnt hat. Normativ verdichtet freilich haben sich solche Empfehlungen erst im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts. Noch brachte, wer dem suspekten Neutralen einseitige Vergünstigungen aufnötigte, keinesfalls die öffentliche Meinung Europas gegen sich auf. Die Neutralen des Dreißigjährigen Krieges konnten sich ganz offenkundig auf keinen reichs- oder völkerrechtlich anerkannten Positionen ausruhen, sahen sich deshalb gezwungen, die Fahne nach den militärischen Winden zu hängen; und da diese selten kräftig und unzweideutig aus einer Richtung bliesen, war die 527 Kraft von Hohenlohe an Johann Friedrich, 1622, Aug. 25 (Or.), HStASt A90A tom. 36, fol. 399–403. 528 Vgl. Resolution Johann Friedrichs für Tillys Emissär Julian, 1622, Aug. 28 (Or.), BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 105/I. 529 Vgl. Johann Friedrich und die Kriegsräte des Schwäbischen Kreises an Maximilian, 1622, Aug. 30 (Or.), ebda. Kurbayern Äußeres Archiv tom. 2327. Der ganze Schwäbische Kreis hatte sich damals für neutral erklärt, im Sommer 1622 versuchten die Württemberger, ihren Neutralitätskurs auf Johann Friedrichs Kreisämter abzustützen. 530 Vgl. nur die Korrespondenzen in Stadtarchiv Ulm A1407 Nr. 120ff. 531 Vgl. Tilly an den württembergischen Herzog, 1622, Sept. 22 (Entw.), BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 105/I.

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Resultierende eine zwangsläufig labile, changierende »neutralitet« mit je und je neu, abgestuft und sorgfältig dosierten Freund­lichkeiten für die eine oder die andere Seite. Der »Neutralist« torkelte von einer Verlegenheit in die nächste: Gab er den Zumutungen der einen Seite nach, war er für die andere nicht mehr »neutral«; gab man nicht in allem nach, bewies diese »widerige und unaffectionierte bezaigung«532 dem Fordernden, daß man mit dem Gegner sympathisiere. Suspekt war man eben beiden Kriegsparteien. Die Stuttgarter Beratungsprotokolle der 1620er Jahre kreisen ständig um dieses Kardinalproblem des Neutralen. Als die Kaiserlichen im Winter 1623/24 unaufhaltsam auf der Siegesstraße marschierten und Ferdinand II. Württemberg (wie andere Reichsstände) um eine Geldhilfe gegen Bethlen Gabor anging, erklärte der damals einflußreichste Ratgeber des Herzogs, Benjamin Bouwinghausen, die Machtverhältnisse erzwängen Subsidien des Neutralen. »Kaysers sach stehe nit übel«, die »spanisch monarchie« sei ohnehin nicht mehr zu verhindern, man wisse, »wie schwarz« der Ruf des Herzogs in Wien sei, wo man seinen Neutralitätsbeteuerungen nicht recht glaube.533 Der Kaiser sei »diesmals mit worten nit zu bezahlen«.534 Geld gegen bindende Verschonungszusagen, so lautete sein Verhandlungsmotto. Genau das hielten die Ratskollegen nicht für realistisch – die siegreiche Kriegspartei werde das Geld einstreichen und trotzdem nach Bedarf Quartiere nehmen535; also behalte man das Geld lieber, für eigene Truppen, um so die Defensivkraft des Neutralen zu stärken. Außerdem werde der Herzog, wenn er bezahle, unter den Protestanten vollends »bloß gesezt, und die wenige correspondentz und verwandtnuß noch mehr geschwecht werden«536: neque amicos parat, neque inimicos tollit! Der Herzog schlug sich auf die Seite 532 So kommentierte es Ferdinand II. (an Maximilian von Bayern, 1622, Dez. 23, Or.: BayHStA Kasten schwarz 16443), daß der Schwäbische Kreis, der sich ja als ganzer für »neutral« erklärt hatte, seine Truppen so zügig abdankte, daß es der Liga nicht gelang, die Kontingente einfach en bloc zu übernehmen. 533 Eine Einschätzung, die zweifelsohne stimmt – ich erwähne nur, wegen der zeitlichen Koinzidenz, eine wohl im Dezember 1623 erstelle »lista und verzeichnus deren correspondenten«, die mit dem geächteten Winterkönig »zue erweckung neuer unruhen im reich ... correspondiren«, Stuttgart firmiert dort als einer der freilich zahlreichen Schauplätze reichsfeindlicher Konspiration. Von der »lista und verzeichnus« liegt im Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Kasten schwarz 13466, fol. 262–275) ein auf den 26. Dezember 1623 datiertes, in der Österreichischen Nationalbibliothek (cod. 7990, fol. 10–23) ein (fragmentarisches, ansonsten praktisch identisches) undat. Exemplar (es wird vor der Verstümmelung des Deckblatts ebenfalls datiert gewesen sein). 534 Beratungsprotokoll vom 21. November 1623, HStASt A90A tom. 39, fol. 1132–1136. 535 Außerdem bangte man schon damals mittelfristig um die Klöster, auch von dieser Gefahr werde man sich nicht loskaufen können – das Restitutionsedikt fiel ja nicht vom Himmel, aber seine Vorgeschichte interessiert hier weniger. 536 Mehrheitsvotum im Rätegutachten vom 16. Dezember 1623, HStASt A90A tom. 38, fol. 272–275.

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Bouwinghausens; daß er dann doch um eine gesonderte Geldzahlung herumkam, liegt daran, daß sich die Hofburg schließlich mehr von überall im Reich einzufordernden Kreishilfen versprach.537 Das Beispiel ist so unspektakulär wie Dutzende vergleichbare aus den in singulärer Vollständigkeit erhaltenen württembergischen Beratungsprotokollen, deshalb will ich es bei dem einen belassen. Wir können verallgemeinern: Neutralität konnte sich nur selten in Unparteilichkeit konkretisieren. Sie bedeutete noch nicht einmal zuverlässig strikte Nichtkriegführung – in Dresdner Akten ist die »neutralitet« einfach ein Synonym für Bündnisfreiheit. Dabei begegnet die Auffassung, ›eigentlich‹ sei Neutralität doch im Idealfall unparteilich, schon weiterhin, nur ließ sie sich eben kaum je realisieren. Im April 1638 erhob der Zürcher Gesandte an der Tagsatzung in Baden seine Stimme für eine Neutralität, die, »wie es der namen uff sich tragt [!], gegen dem einen theil wie gegen dem anderen, glych und ohne vortheil gehalten« werde.538 Tatsächlich hielten die eidgenössischen Orte im Dreißigjährigen Krieg keinesfalls auf Äquidistanz.539 Der Pfalzgraf von Neuburg – um nach den vielen württembergischen Beispielen noch einen katholischen Reichsstand zu erwähnen, dessen Neutralität sich ebenfalls in zahllosen Akten niedergeschlagen hat – hielt es keinesfalls für neutralitätswidrig, in Brüssel wieder und wieder Hilfsgelder zur Finanzierung seiner armierten Neutralität zu erbitten, freilich wollten die Spanier nichts herschießen, solang Wolfgang Wilhelm »mit Schweden neutralisire«.540 Daß dieses »Schweden« und seine Heilbronner Hilfstruppen unter einer etwaigen neuburgischen Neutralität nie Unparteilichkeit verstanden, wissen wir schon. Die Deputierten der Ritterschaft erklärten einmal im Hinblick auf eine Neutralisierung der niederrheinischen Territorien Wolfgang Wilhelms: »Scheint nit unthunlich zu sein das Werk auff eine ahnsehnliche gewisse gelts summam zu setzen, daruber die

537 Schwäbischer Kreisabschied: HStASt A95 Bü. 37, dazu die Mahnungen der Hofburg und des Reichspfennigmeisters in C9 Bü. 220 und die Prozeßakten in A41 Bü. 479; fränkischer Kreisabschied: Stadtarchiv Ulm A1413 Nr. 130. Knapp zusammengefaßt, bekam Ferdinand erfreuliche Beschlüsse, aber hinterher trotzdem nur wenig Geld. 538 Zit. nach Gallati, Eidgenössische Politik, Teil 2, S. 201f. Selbst diese programmatische Erklärung zielte nicht auf Abstinenz, nein, sowohl der Erbeinung mit Habsburg als auch französischen Bündnispflichten müsse man nachkommen; was am besten dadurch gewährleistet werde, daß man den privaten Handel und Wandel mit allen Seiten gewährleiste. 539 Vielmehr begünstigten die evangelischen Orte ihre Glaubensgenossen oder auch Frankreich, die katholischen suchten dem Ruin der an sich wenig geliebten Habsburger vorzubauen. Wir merkten das schon in anderen Kontexten, insbesondere aber zeigt Gallati, Eidgenössische Politik, passim immer wieder, wie die evangelischen Orte (sie hat vor allem evangelische Akten ausgewertet) die Feinde Habsburgs unterstützten. 540 Das Zitat steht ohne Quellenangabe bei Küch, Die Politik, S. 78.

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neutralitet zuverwilligen, so vil ratio belli wurtt leiden mogen«.541 Lagen mehr als Nuancen zwischen Komplizenschaft und »neutralitet«, wenn sich erstere in Subsidien zu konkretisieren pflegte, letztere durch eine »summa gelts« erkauft wurde? Durften sich die Kriegführenden, wenn schon nicht die militärischen, dann doch wenigstens die finanziellen Ressourcen des Neutralen dienstbar machen? Immer wieder hat man auf beiden Seiten542 darüber nachgedacht, ob nicht die »Neutralisten ... in die Contribution gezogen werden« müßten. Wer abseitsstand, durfte nicht billiger wegkommen als diejenigen, die aktiv Recht und Billigkeit hochhielten, auch deshalb stand letzteren »der neutralisten hilf« unbedingt zu. Noch 1643 hat es deshalb Streit gegeben, weil hessische Truppen Kontributionsforderungen an den neutralisierten Kongreßort Münster gewaltsam eintrieben, die Stadt aber erklärte, Neutrale müßten – und dürften gar keine Kontributionen entrichten. Einige Züge der damaligen Querelen sind für unser Thema aufschlußreich. Im Hochstift Münster standen auch nach der Neutralisierung des präsumtiven Kongreßortes543 kurkölnische und hessische Truppen, letztere überfielen am 20. Juni 1643 nachts das vor den Stadtmauern gelegene Stift St. Mauritz, plünderten es aus und führten etliche Gefangene mit sich fort, angeblich, weil »die ingesessene weltliche baurßleute« ihre Kontribution schuldig geblieben seien. Die Stadt 541 »Der ritterschaft resolution uber Pfalzgraven Wolffgang Wilhelms f. g. proposition«, undat. Kopie [wohl zweite Augusthälfte 1633]: BayHStA Kasten blau 102/4 I. Ich erwähne nur noch: Die Deputierten der Heilbronner an Oxenstierna, 1634, Mai 19 (Kopie), ebda. – man hätte an sich gute Gründe, »die angesonnene Neutralitet zuverweigern«, aus hier nicht interessierenden Erwägungen heraus sind sie aber doch dafür, sie hinzunehmen, gegen diverse »Conditiones«, zu denen diese gehören: Neuburg soll zwar grundsätzlich verschont werden, doch »zur versicherung« sind »etliche Orth in der Cron Schweden und Evangelischen Stände Handen« zu belassen, Kontributionen »und andere« finanzielle Beiträge zur Kriegführung des Bundes sind auszuhandeln. 542 Ich will für jede nur je ein Beispiel anführen. In ihrer Antwort auf die Proposition Oxenstiernas am Heilbronner Konvent vom 28. März 1633 bekundeten die dort versammelten Protestanten, sie besorgten, mit dem für den Heeresunterhalt notwendigen Geld »bey sich selbst« nicht aufzukom­men, also sei es »rathsam«, wenn die »Neutralisten ... in die Contribution gezogen« würden (Replik, ohne Datumsangabe abgedr. bei Londorp, Acta publica, Bd. 4, Nr. 11). – Am Regensburger Ligatag erklärten die Würzburgischen bei Sonderverhandlungen der oberländischen Stände am 1. März 1623, der Kaiser habe die neutralen Stände zur Beihilfe ans oberländische Ligadirektorium aufzufordern, das sei eine Frage ihres »gehorsams«. Am Tag darauf führten die Bamberger bei Separatgesprächen mit Kurmainz und Bayern aus, man müsse »der neutralisten hilf den oberl[ändischen] ständen zugehen lassen«: BA N. F., Bd. 2.1, Nr. 10. 543 Zu den äußeren Abläufen: M. Koch, Geschichte des deutschen Reiches unter der Regierung Ferdinands III., Bd. 2, Wien 1866, S. 6. Die Neutralisierung Osnabrücks konnte erst drei Wochen nach der Münsters verkündet werden, weil die schwedische Besatzung auf Schloß Petersburg den Abzug verweigerte und dreist erklärte, man möge eben auch sie für neutral erklären, auf daß sie bleiben könne.

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›revanchierte‹ sich dadurch, daß sie einige hessische Reiter festnehmen ließ. Waren die Münsteraner der Ansicht, dadurch ihre Neutralität zu verteidigen, hatten sie diese in hessischen Augen nun verwirkt. Erklärten die Münsteraner, die Stadt und das ihr zugehörende Stift müßten und dürften als Neutrale keine Kontributionen entrichten, erklärten die Kasseler Militärs, sie wüßten »von keinem gesetz«, wonach die neutralisierte Stadt nun etwa von Kontributionsleistungen befreit sei. Man akzeptiere die Neutralität, bestehe auf der Kontribution.544 ***

Um »neutrale« Kongreßorte hat es immer wieder mancherlei Verwicklungen gegeben. Nach dem englisch-niederländischen Krieg seit 1665 gab es so große Nöte, überhaupt einen »Neutral-Handel-Platz« für die Friedensberatungen zu finden, daß das ganze Kaskaden von Flugschriften animiert hat.545 Verstieß die Verhaftung des mit dem französischen »Reichsfeind« sympathisierenden Freiherrn von Fürstenberg in Köln am 14. Februar 1674 gegen die »Neutralität« des unglücklichen Kongreßortes am Rhein, der den Holländischen Krieg (freilich auch aus anderen Gründen) nicht beenden konnte?546 Einige Jahre danach rangen Holländer und Franzosen zäh um die Größe der Neutralitätszone um Nijmwegen, auch war heftig umstritten, ob Frankreich in dieser Zone Kontributionen 544 Vgl. Johann Gottfried von Meiern (Hg.), Acta pacis Westphalicae publica oder Westphälische Friedens-Handlungen und Geschichte, Bd. 1, Hannover 1734, § LXIII; APW III.D.1, Nr. 30 und Nr. 34. – Am Ende gaben die Hessischen weitgehend nach, wofür auch eine Rolle gespielt haben mag, daß sogar der Dänenkönig für den Kongreßort intervenierte und Landgräfin Amalie Elisabeth bat, sie möge doch Münster seine »neutralitet würcklich genießen ... lassen«: Christian IV. von Dänemark an die Kasseler Landgräfin, 1643, Juli 21, APW III.D.1, Nr. 36. Das Fiasko Christians im dänisch-schwedischen Krieg und sein Ausschluß von den Westfälischen Verhandlungen standen im Juli noch nicht fest. 545 Einiges davon liegt in ThULB Jena 4.H.un. VIII,23. Bekanntlich wurde der Frieden dann in Breda ausgehandelt. 546 Das ist das Thema dieser Flugschrift: »Christoph Gangwolff«, Gerechte, Nutzliche, Und Zu Erhaltung Ihro Kayserlichen Mayestät Höchsten Gewalt, Zu Des Reichs Ruhe-Stand, Und Zu Beförderung des Friedens, Nohtwendige Gefangenschafft Des Printz Wilhelmen von Fürstenberg, o. O. 1674. Fol. Bij – die »Neutralität« Kölns »verstehet sich allein zu dem jenigen, was die Friedens-Handlungen betrifft«, garantiert, daß »die Gesandte alle Ehr und Sicherheit empfangen und geniessen sollen«, »daß sich aber besagte Sicherheit auf jede gemeine Person und Verbrechen erstrecken solle, das wäre ja hoffentlich für sich selbsten nicht allein gantz ungereimbt.« Dieses angeblich »für sich selbsten« sprechende Argument überzeugte wenig, Schweden und England protestierten wegen Völkerrechtsbruchs, Frankreich hatte einen willkommenen Vorwand, um seine Delegation aus Köln abziehen zu können. Verhaftung und Verschleppung Fürstenbergs nach Wien waren der Anlaß, nicht die Ursache für das Scheitern der Kölner Verhandlungen. – Hinter der Flugschrift steckt sichtlich der kaiserliche Chefpropagandist Franz Paul von Lisola; ob er ihr alleiniger Autor ist, vermag ich nicht zu sagen.

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erheben dürfe. Schließlich erklärte Paris seine Bereitschaft zum Verzicht547, und wir haben etwas mühsam den Übergang zum Holländischen Krieg geschafft. Im Juli 1672 alarmierten den Düsseldorfer Hof Berichte aus Frankreich, in denen es hieß, Ludwig XIV. habe sich mit den Holländern ausgesöhnt, der Krieg werde, kaum angefangen, wieder eingestellt. Diese furchtbar friedliche Fehlprognose beunruhigte den Pfalzgrafen, seinem Vizekanzler Stratman schrieb er, man müsse »besorgen«, daß Ludwig – das Folgende ist grammatikalisch etwas zweifelhaft, aber inhaltlich nachvollziehbar – »darvor halten möchten, im fahl der frieden[,] wie allhier erschallen wil, bereits geschlossen, es keines weitern neutralitet tractate bedörffen, der Verreichung der subsidien geldter auch erspart werden könne«.548 Wenn der Krieg nicht währte, konnte der Sonnenkönig an seinen Neutralfreunden sparen. Daß Neutralitätsverträge mit Frankreich in den 1670er Jahren verbrämte Beistandspakte gewesen sind, haben wir schon festgestellt. Und wenn wir uns weiter unten der Idee der »Dritten Partei« zuwenden – sie hat gerade während des Holländischen Krieges eine mehr als nur marginale Rolle gespielt –, werden wir noch sehen, daß auch sie keinesfalls auf eine unparteiliche Stellung zwischen den Kriegsparteien zielte. Der Große Kurfürst suchte eine solche bewaffnete Dritte Partei gerade deshalb zu formieren, weil sie ihm den Rücken für flexible Frontwechsel und »eine freie Parteinahme«549 je nach Kriegslage stärken sollte. Er wollte also außer diplomatischer Isolierung auch eine dauerhafte klare Festlegung meiden, doch keinesfalls die Parteinahme nach momentaner Staats547 Vgl. Heinz Duchhardt, Arbitration, Mediation oder bons offices? Die englische Friedensvermittlung in Nijmwegen 1676–1679, in: ders., Studien zur Friedensvermittlung in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 1979, S. 41f. 548 Philipp Wilhelm an Theodor Heinrich Altet von Stratman, 1672, Juli 8 (Entw.), BayHStA Kasten blau 7/21, fol. 38f. 549 So treffend Decker, Frankreich, S. 41. »Mit der erstrebten Unabhängigkeit nicht vereinbar war eine Mittelstellung in Form ohnmächtigen Stillesitzens. Dem Kurfürsten stand hier als negatives Beispiel der schwächliche und erfolglose Neutralitätskurs seines Vaters Georg Wilhelm während des Dreißigjährigen Krieges vor Augen.« Daß Decker hier die Politik Georg Wilhelms in üblicher, doch unzutreffender Weise verzeichnet, steht auf einem anderen Blatt. – Bezeichnend schon die Terminologie in einem Schreiben Friedrich Wilhelms an Otto von Schwerin vom 6. Mai 1671: »Lieber herr Schwerin, ich hab gestern spette euer Schreiben erhalten, vndt darauss ersehen, welcher gestaldt die conferentz mitt dem franschosischen [sic] abgeschicktten [Verjus] abgangen, vndt dass er mitt meiner resolution nicht fridlich gewessen, sonderen wegen der Neutralitet tractiren wolte, Ich sehe hierauss so viell, das er entlich auff eine cattegorische erklärung dringen wirdt, vndt mich zu binden durch die Neutralitet dass ich keine freie hande behalten soll«. Man muß nun auf Zeit spielen, »vndt zu sehen wie der anfang des krieges ablauffen werde, inmittels muste man freie hande behalten«. Abdr. des interessanten Schreibens: Ferdinand Hirsch (Hg.), Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 12, Berlin 1892, S. 946f.

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räson. Kurbrandenburg war dann nicht mit von der Partie, als im Dezember 1673 tatsächlich eine Dritte Partei vertraglich begründet wurde. 550 Sie präsentiert sich als Club frustrierter Frankfreichfreunde, die eine gewisse Distanz zu Paris, doch keinesfalls Unparteilichkeit gewinnen wollten, und bewährte sich dann auch alles in allem recht gut als diplomatischer Hilfsverein für Ludwig XIV. Der Sonnenkönig hatte den Zusammenschluß am 25. November ausdrücklich genehmigt. Er schätzte die Dritte Partei als nützlichen Hebel für die zuletzt schwieriger gewordene Pariser Deutschlandpolitik551, wenn er auch anfänglich wegen einiger Vertragsdetails Bedenken trug; als er diese durch zwei Emissäre im Januar 1674 vortragen ließ, beruhigten die Adressaten: Was zähle schon das Kleingedruckte, im Zweifelsfall werde man sich ja doch stets auf die Seite Frankreichs schlagen!552 Bezeichnenderweise kam schon Anfang 1674 der Gedanke auf, neben der profranzösischen Dritten Partei eine »vierte Partei«553 neutraler Reichsfürsten zu formieren. Neutralité pflegte im ludovizianischen Zeitalter ja wortreich adjektivisch aufgeputzt zu werden. Oft zeigten diese charakterisierenden Adjektive den Grad der Parteilichkeit an – Paris unterschied klar zwischen einer »neutralité favorable« und einer »neutralité avantageuse«554, wiewohl beide natürlich nicht »Impartialität« meinen konnten. Deklamatorisch konnte Ludwig eine solche unparteiische »égale neutralité« schon einmal den Straßburgern zubilligen555, tatsächlich respektiert hat er sie gerade in diesem Fall bekanntlich keinesfalls. Bleiben wir noch in Straßburg: Die offiziell und demonstrativ neutralen eidgenössischen Städte Zürich und Bern verstärkten die Straßburger Garnison während des Holländischen Krieges durchgehend mit eigenen Truppen, anfangs mit dreihundert, 550 Gemeint ist die Defensivallianz mit vertraglich fixierter Vermittlungsabsicht zwischen Bayern, Pfalz-Neuburg, Hannover und Schweden. 551 Vgl. nur Decker, Frankreich, S. 277; auch, allgemeiner, Schmidt, Frankreich, S. 28. 552 Im einzelnen Decker, Frankreich, S. 272. 553 Sic! Der Vorschlag wurde Anfang 1674 in Mainz an den Abbé Gravel herangetragen: Decker, Frankreich, S. 396 Anm. 2. 554 Vgl. nur Decker, Frankreich, S. 363 Anm. 406. Klaus Peter Decker hat das Verhältnis zwischen den wichtigeren Reichsständen und Frankreich in den Jahren 1672 bis 1675 minutiös rekonstruiert und in chronologischer Abfolge dargestellt – nicht nach neutralitätsgeschichtlichen Fragestellungen, gewiß, aber weil alle von ihm in den Blick genommenen Reichsstände zeitweise oder durchgehend auf die Neutralité bauten, ist von ihr implizit auf jeder Seite des Buches die Rede. 555 Am 21. März 1675 ließ Ludwig durch seinen Gesandten St. Romain den Eidgenossen versichern, ihre Schutztruppe zum Erhalt der »égale neutralité« Straßburgs sei in Paris willkommen; aus dem Schreiben zitiert Schweizer, Neutralität, Bd. 2, S. 317 Anm. 2. – Daß Frankreich die von dieser Reichsstadt nicht durchgehend, aber zumeist gesuchte Neutralität tatsächlich nicht hinzunehmen bereit war, ist eines der gängigen Themen der Begleitpublizistik zum Holländischen Krieg und beispielsweise das zentrale Thema dieser Flugschrift: [anonym], Relation, Von der Ruptur.

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später mit neunhundert Mann – was deshalb bemerkenswert ist, weil sie diese auch nicht zurückzogen, als Straßburg 1674 offen für das Reich optierte und die wiederhergestellte Rheinbrücke der antifranzösischen Koalition zur Verfügung stellte, als Kaiserliche und Brandenburger durch die Stadt paradierten und sie als Brückenkopf für ihre elsäßischen Kriegsziele nutzten556; weil sie diese ferner keinesfalls zurückbeorderten, als die elsäßische Reichsstadt auf die wiederholten Neutralitätsverletzungen durch französisches Militär im Spätsommer 1678 dadurch reagierte, daß sie sechs Bataillone kaiserlicher Truppen bei sich aufnahm.557 Für die Zürcher und Berner war das alles mit ihrer Neutralität vereinbar. Der offiziell neutrale bayerische Wittelsbacher Ferdinand Maria setzte Ende April 1672 ein Hilfskontingent für den mit Ludwig verbündeten Kurfürsten von Köln in Marsch, warum auch nicht?, die an den Rhein überstellten Truppen kämpften dort ja unter nichtbayerischer Fahne gegen die Holländer, für den kölnischen Wittelsbacher.558 Noch epidemischer als während des Holländischen Krieges war in seinem Vorfeld in Paris von »neutralité« die Rede gewesen. Das zeigen beispielsweise die Relationen des kurbrandenburgischen Emissärs Lorenz Georg von Crockow. Ich gehe hier auf einige von ihnen ein, weil sie in instruktiver Beiläufigkeit vor Augen führen, daß Neutralité – noch immer und jetzt erst recht – selten Äquidistanz zwischen den Kriegsparteien meinte. Am 22. Januar 1672 nahm der Gesandte schon jenes französisch-schwedische Bündnis ins Visier, das dann tatsächlich drei Wochen später signiert werden würde: »Von selbiger Allianz vernehme ich noch immerfort dasselbe ... nämlich dass dieselbige in sich begreife: an seiten Schweden eine Neutralität und Obligation, mit demjenigen zu brechen, welcher sich wider I. K. M. declariren würde.«559 Neutralitätspakt, Freundschaftsvertrag? Für Crockow offenbar beides, ohne, daß ihn das irgend irritierte. Am 23. April schrieb er nach Berlin, man sei in Paris allgemein der Ansicht, der Kurfürst werde »sich nicht opponiren dürfen, sondern gezwungen sein, Ihrer K. M. Freundschaft omnibus modis zu suchen und wider Ihren Willen neutral zu verbleiben«.560 Eine Woche später schloß der Emissär aus aufgeschnappten Andeutungen, »dass Frankreich vielleicht sucht, Hannover ausser der versprochenen Neutralität noch näher zu engagiren«561 – schon die Neutralität also war Crockow zufolge ›Engagement‹ für Ludwig. 556 Vgl. Johann Gustav Droysen, Geschichte der Preußischen Politik, Bd. 3.3, Leipzig 1865, S. 322. 557 Vgl. Schweizer, Neutralität, Bd. 2, S. 320. 558 Vgl., auch mit den militärischen Einzelheiten, Doeberl, Frankreich, Bd. 1, S. 489f. 559 Relation vom 22. Januar 1672: Brode, Urkunden und Actenstücke, Bd. 13, S. 49–53. 560 Relation vom 23. April 1672: ebda., S. 73–77. 561 Relation vom 29. April 1672: ebda., S. 78–82 (alle Kursivsetzungen von mir).

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Man konnte solche Neutralfreundschaft aber auch der Hofburg in Aussicht stellen. Als die Heidelberger im Frühjahr 1676 über die Nützlichkeit einer südwestdeutschen Neutralitätszone nachdachten, ließen sie in Wien beteuern, das sei keine »abtrettung von der allgemeinen Sach«.562 Nein, die kurpfälzische Regierung sei keinesfalls gewillt, »die gutte Partey zu quittiren, sondern wolte gleichwol daz Jhrige bey der gemeinen Sache anderwerts thun«.563 Neutralität war demzufolge Assistenz mit anderen Mitteln. Wie selbstverständlich Neutralität damals für die Zeitgenossen eine Form von Komplizenschaft gewesen ist, zeigen auch beiläufige Formulierungen der regen Begleitpublizistik564 zum Holländischen Krieg. Der »verkleidete Götter-Both Mercurius« wußte 1674, daß die Heidelberger »wider aller Vermuthen resolvirt« hätten, »die Frantzösischer Seiten schädlich angebottene Alliantz, oder Neutralität abzuschlagen«.565 Wir sahen schon, daß sich Ludwig XIV. in anderen Flugschriften selbst entlarvt, indem er seine Weltherrschaftspläne entwickelt – zum fingierten Szenario gehört, daß er die wichtigsten Ratgeber »an vornehmen Höfen« bestechen läßt, auf daß sie ihre Herrn von einer Unterstützung der Holländer abhielten, ihnen vielmehr das vorgaukelten: »tutiusve esse Neutralitatem eligere et Gallum in amicitiam sollicitare«566, »viel besser hergegen thäten sie, wenn sie die Neutralität erwelleten, und unsere Freundschafft suchten und pflegten«.567 Der Fürstbischof von Münster, Bernhard von Galen, ließ seine frankreichfreundliche Haltung bekanntlich568 in einer Flugschrift als unausweichlich hinstellen. Nicht zuletzt seien die Holländer einfach selbst schuld. Er habe ihnen anzeigen lassen, neutral bleiben zu wollen, doch hätten ihm diese erklärt, daß sie die Münsteraner »nicht neutral halten könten, wann sie nicht mit ihnen in Alliantz treten, oder den Frantzösischen Truppen den Paß nicht verwehren würden«.569 Das lehnte der 562 Nein, man wird weiterhin treu zu Diensten sein, auch, beispielsweise, für die »quotam zu der Reichs Verfassung« einstehen: »Notata«, auf deren Basis Johann Georg Geyer in Wien ein Memorial erstellen soll, das er dem Kaiser zu überreichen hat, BayHStA Kasten blau 102/4 I (unfol.). ­– Will auch als Neutraler ein »getrewer Churfürst und Vasall« bleiben, man möge nun ruhig konkret werden, die »neutralität« ist »also zu conditioniren«, »mit denen nöhtigen reservationibus Meiner Schuldigkeit«: Kurfürst Karl Ludwig an den Kaiser, 1676, März 3 (Entw.), ebda. 563 So faßte Geyer zusammen, was er in Wien immer beteuere: Bericht vom 20. Februar 1676 (Or.), ebda. 564 Gewiß hätte ich das Folgende auch oben in Kapitel C.2.4.2 plazieren können. Dort analysiere ich Soll-Aussagen, frage ich, wann sich diese Empfehlungen normativ verdichtet haben; hier reihe ich dem Aktenbefund einige Ist-Aussagen in sozusagen ›politiknaher‹ Publizistik an. 565 [Anonym], Der Verkleidete Götter-Both, Mercurius, S. 48. 566 [Anonym], Epistola (alle Kursivsetzungen von mir). 567 [Anonym], Von der allgemeinen Monarchie. 568 Die Flugschrift ist uns in einem anderen Kontext schon begegnet: S. 634 mit Anmm. 398f. 569 [Anonym], Kurtzer Bericht, S. 44.

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Fürstbischof ab, ohne doch deshalb Begriffskritik zu üben. Die Flugschrift spottet nicht etwa über das Ansinnen einer ›Neutralallianz‹. Der Fürstbischof wollte aus bestimmten tagespolitischen Gründen keine »Alliantz« und keine einseitige Begünstigung der Holländer, prangerte aber weder das eine noch das andere als neutralitätswidrig an. Für eine antischwedische Abhandlung aus der Schlußphase des Ersten Nordischen Krieges hatte sich Karl X. Gustav Schimpf und Schande zugezogen, als er im Herbst 1658 den kurländischen Herzog Jakob inhaftieren ließ, wiewohl dieser doch – jedenfalls in seiner eigenen Einschätzung wie der unserer Flugschrift – kein Kriegsgegner, sondern Neutraler war. Dem Autor ist wichtig, herauszustellen, daß der Herzog nicht etwa nur beteuerte, neutral zu sein, nein, er habe sich ja auf eine schriftliche Neutralitätszusage der Vorgängerin des jetzigen Schwedenkönigs berufen können. Aber lassen wir ihn doch selbst zu Wort kommen: Für den Kurländer spreche nicht etwa »eine blosse und schlechte Neutralität, die mit Enderung der Zeiten ohne570 Gelegenheit und Zustande des Landes nach Belieben möchte geendert werden können«, er dürfe sich auf eine »perpetuelle Neutralität« versteifen, die von der Krone Schweden ausdrücklich »zu ewigen Zeiten sancte fest und unverbrüchlich« zugesagt sei. Selbst diese Parteischrift für den traditionell neutralen Herzog von Kurland ist also der Ansicht, Ob und Wie der Akzeptanz bzw. inhaltlichen Füllung einer nicht schriftlich fixierten Neutralität seien ins jederzeit variable »Belieben« der Kriegsparteien gestellt. Ich will mit einem zeitlichen Ausgriff ins 18. Jahrhundert schließen: Eine Flugschrift von 1745 wird wortreich dafür plädieren, daß die Reichsstände »eine genau Neutralität«571 Frankreich gegenüber »beobachten«, »in den Schranken einer genauen Neutralität« verbleiben572 sollten, »und zwar verstehen wir eine so vollkommene Neutralität573 gegen eine jede von denen im Krieg begriffenen Potenzen, vermög welcher sie keiner mehr Gunst als der andren erzeigen, sondern in allem sich so betragen werden, daß ihre Aufführung keiner seits vor verdächtig angesehen werden könne«. Wenn die »neutralité scrupuleuse«574 so 570 Sic! Wir würden hier »nach« schreiben. – [Anonym], Wiederlegung Der außgestreueten Vrsachen, fol. Aij. 571 »Une scrupuleuse neutralité«; die Flugschrift ist zweisprachig. Zum Folgenden: [Anonym], Wird das Reich wider Franckreich die Waffen ergreiffen? oder Wird es in denen Schrancken einer genauen Neutralität verbleiben? L’Empire armera-t-il contre la France? Ou se contiendra-t-il dans les bornes d’une exacte neutralité?, o. O. [1745?], hier S. 8. Zu den Umständen nur soviel: Habsburg versuchte damals seine Auseinandersetzungen mit Frankreich zur Reichsangelegenheit zu machen, wünschte den Reichskrieg. 572 »Se contenir dans les bornes d’une exacte neutralité«: ebda., S. 32. 573 »S’entend d’une neutralité si scrupuleuse envèrs [sic] chacune des Puissances belligerantes ...«: ebda. 574 Siehe Anmm. 571 und 573.

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wortreich näher bestimmt werden mußte, konnte Neutralität offenkundig auch ganz unskrupulös Parteinahme meinen.575 3.2.4 Kein Schutz der territorialen Integrität des Neutralen 3.2.4.1 Drei Indikatoren Dürfen wir konstatieren, daß der Widerstreit zwischen dem Wunsch nach ungehemmter Kriegführung und dem Schutzbedürfnis des Neutralen mit einem Achtungserfolg für die Neutralen ins Licht der Geschichte trat? In den späten 1380er Jahren tobte am Mittelrhein der »Städtebundkrieg« – ein Krieg der im Städtebund zusammengeschlossenen mittelrheinischen Kommunen, darunter Mainz, gegen mehrere südwestdeutsche Territorialfürsten mit grausamen Exzessen, viel Rücksichtslosigkeit gegen Feinde wie Nichtkriegführende. Zahlreiche geschädigte ›Neutrale‹ erhoben 1389 Schadensersatzansprüche gegen eine Anzahl von Mainzer Bürgern, wie das Haderbuch Oberingelheim zeigt – bei seiner Auswertung stieß der Rechtshistoriker Adalbert Erler auf den Vorgang. Er mündete in 73 Prozesse, die einige Beklagte verloren, typisch scheinen, modern gesprochen, gütliche Vergleiche gewesen zu sein.576 Die geschädigten ›Neutralen‹ erfuhren also immerhin eine gewisse Genugtuung, und dem Schädiger, der Stadt Mainz, wurde signalisiert, daß er nicht ganz korrekt gehandelt hatte. Der Fall ist natürlich nicht auf moderne Verhältnisse übertragbar: Individuen sind keine Subjekte des klassischen oder modernen Völkerrechts, moderne Einwohner moderner Stadtgemeinden haften nicht gesellschafterisch für kriegerische Aktivitäten der Kommune, und Kommunen entfalten heutzutage auch gar keine derartigen Aktivitäten. Außerdem ist im Haderbuch nicht von »neutralitet« die Rede, sondern, beispielsweise, davon, daß die Geschädigten »mit yn«, den Schädigern, »nit zu schickin hatten«; die beschuldigte Kommune ließ erklären, daß sie ihre »diener« geheißen habe, sie sollten »nymandes andirs schedigen dan ire fiende«. Streng genommen, dürfen wir also noch nicht von »Neutralität« spre575 Wir wissen freilich schon aus Kapitel C.2.4.2, wo es um die Verdichtung publizistischer Warnungen vor allzu offenkundiger Parteilichkeit zur normativen Vorgabe der Äquidistanz ging, daß letztere von den Völkerrechtlern des zweiten Drittels des 18. Jahrhunderts durchweg eingefordert wurde. An vorderster wissenschaftlicher Front mußte man eine unparteiliche Neutralité nicht mehr, wie das unser Flugschriftenautor versucht, adjektivisch präzisieren. 576 Vgl. Adalbert Erler, Kriegsschäden Neutraler im Städtebundkrieg 1388. Spuren von Völkerrecht im zerfallenden Reich, in: Alexander Böhm/Klaus Lüderssen/Karl-Heinz Ziegler (Hgg.), Idee und Realität des Rechts in der Entwicklung internationaler Beziehungen. Festgabe für Wolfgang Preiser, Baden-Baden 1983, S. 33–43.

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chen. Oder doch? Belegen die Vorgänge nicht, daß man damals bereits über den Status der nicht aktiv Kriegführenden reflektiert hat? Mehr als Präliminarie können die skizzierten Vorgänge sicher nicht sein. Zumal sie dem Thema »Rechte des Neutralen« nicht den Weg wiesen. Denn die Schutzwirkung von Neutralitätserklärungen war in den ersten beiden neuzeitlichen Jahrhunderten ziemlich gering. Überblicken wir die Schutzräume, die Neutrale dieser beiden Jahrhunderte für sich reklamierten, indes von den Kriegführenden notorisch mißachtet wurden, stoßen wir auf drei Problembereiche mit denkbar großen Diskrepanzen zwischen den Erwartungen der Neutralen und den Ansprüchen der Kriegführenden: Erstens stecken Handelsfragen einen solchen Problembereich ab; sie waren zumal im Rahmen der Seekriegsführung immer heftig umstritten. Die älteren, vor allem am Seekrieg interessierten neutralitätsgeschichtlichen Monographien577 breiten hierzu viel Material aus – damit wird sich das folgende Kapitel deshalb nicht mehr befassen. Zweitens waren Durchzugsrechte der Kriegführenden über neutralen Grund notorisch umstritten, das zentrale neutralitätsgeschichtliche Problem des frühneuzeitlichen Landkriegs. Sodann gewann ich, drittens, den Eindruck, daß man ziemlich notorisch über das Recht der Kriegführenden stritt, Söldner auf neutralem Gebiet anwerben lassen zu dürfen, also bei der Rekrutierung die Manpower des Neutralen abzuschöpfen. Wie das Terrain der Rechte und Pflichten des Neutralen überhaupt, waren insbesondere diese drei besonders dornenvollen Felder über weite Strecken der Frühneuzeit hinweg normativ unerschlossen.578 Das Problem der Truppenwerbungen beim Neutralen wird in den älteren neutralitätsgeschichtlichen Darstellungen nicht adäquat gewürdigt. Wir finden dort – allenfalls – einige Splitter aus der Schweizergeschichte, mit dieser bezeichnenden Schlagseite: Nicht um eine dem Neutralen etwa zuzumutende Duldung von Werbekampagnen geht es solchen knappen Passagen, sondern um die Berechtigung des Neutralen, Truppen zu stellen, Söldner liefern zu dürfen: die einträgliche Praxis der eidgenössischen »Soldbündnisse«! Diese sogar nach 1815 fortgesetzte Praxis wurde vorher ohnehin vom Rest Europas hingenommen, grassierte besonders im ludovizianischen Zeitalter.579 Publizistische Debatten darüber 577 Das gilt ferner für die (freilich nicht speziell am Neutralenstatus interessierte) Dissertation über den vormodernen Kriegsmaterialhandel von Peter Hug. 578 Insofern ist diese pauschale Feststellung der klassischen englischsprachigen Völkerrechtsdarstellung des 20. Jahrhunderts nicht falsch: »Until the latter part of the eighteenth century the mutual relations of neutral and belligerent states were ... in a chaos«. So urteilt William Edward Hall, A Treatise on International Law, 8. Aufl. Oxford 1924, S. 691. 579 Während des uns besonders interessierenden Holländischen Krieges kämpften vor allem auf französischer Seite zahllose Söldner, die mit ausdrücklicher kantonaler Genehmigung oder unter stillschweigender Duldung auf eidgenössischem Boden angeworben worden waren,

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gab es schon, während des Dreißigjährigen Krieges waren sie meinen Lektüreeindrücken zufolge schärfer und grundsätzlicher als danach – während der ludovizianischen Kriege kämpften auch so viele Eidgenossen auf außerschweizerischen Kriegsschauplätzen, daß Fundamentalkritik580 daran lächerlich gewirkt hätte, nun ging es allenfalls noch ums Kleingedruckte, um die »Transgressionen«.581 Klagte doch einmal ein politischer Mitspieler darüber, daß durch so umfassende Werbungen »die Neutralität zu einer Partialität zu werden« drohe582, verwiesen die Eidgenossen darauf, daß man hierbei ja keine Kriegspartei diskriminiere; zumal die Kapitulationen mit Frankreich haben sich außerdem gewohnheitsmäßig die rein defensive Verwendung der Söldner ausbedungen, ohne, daß man sich in den eidgenössischen Orten besonders daran gestört hätte, daß darauf hinterher selten geachtet wurde: Man hatte ja bei der Vertragsunterzeichnung seinen Willen zur Neutralität bekundet! Noch Emer de Vattel argumentiert hier mit der Kraft des Faktischen: »Les Suisses ... accordent des levées de troupes à qui il leur plaît; et personne jusqu’ici ne s’est avisé de leur faire la guerre à ce sujet«. Doch müsse es die andere Kriegspartei – ihr also, nicht dem (etwa vorab prüfungspflichtigen) Neutralen schiebt der eidgenössische Autor gleichsam den Schwarzen Peter zu – nicht widerspruchslos hinnehmen, wenn die vermeintlich defensiven Hilfskontingente des Neutralen zu Invasionstruppen mutierten. Der andere Grenzfall ist noch weniger praktikabel und Relikt aus älteren völkerrechtlichen Formationen: Die dadurch geschädigte Kriegspartei dürfe es monieren, wenn die beim Neutradanach auf Grund »bündnismäßiger« Kapitulationen oder in angeblich bündniswidrigen »Freikompagnien« ihren angeblich »defensiven« Dienst taten. Vor allem, ob – und gegebenenfalls wie »defensiv« – Kampfeinsätze eidgenössischer Söldner gegen Mächte (wie Holland!) sein durften bzw. mußten, die in den Bundes- und Soldverträgen nicht ausdrücklich als Gegner ausgenommen waren, war diplomatisch und publizistisch heftig umstritten, meist unter dem Stichwort »Transgressionen«. Über solche »Transgressionen« wetternd, konnte man im zeitgenössischen Sprachgebrauch die Übertretung von Bündnis-, Kapitulations-, auch Ländergrenzen (Übergang zum Offensivkrieg) monieren. 580 Allenfalls diesen Satz könnte man aufbieten, »Götter-Both Mercurius« hat ihn 1675, auf die Eidgenossenschaft herabschauend, formuliert: »Es lieffe selbiges schon gegen die Neutralität, so werden auch die Cantons, absonderlich die Catholischen, die Frantzösischen Werbungen nicht leicht verbieten« – so [Anonym], Fernere Continuation abgestatteter Relationen Des verkleideten Götter-Bothens Mercurii ..., o. O. (»Wahrburg«) 1675, S. 7. Der Neutralitätsbegriff dieses Flugschriftenautors scheint Werbungen für Kriegsparteien ausgeschlossen zu haben, näher ausgeführt wird die möglicherweise grundsätzlich gemeinte Kritik nicht. 581 Vgl. vorletzte Anm.! 582 An der eidgenössischen Tagsatzung vom November 1632 in Baden wetterte ein habsburgischer Emissär, auf eidgenössischem Boden werde »hin und wieder ganz ungescheut geworben«, da drohe »die Neutralität zu einer Partialität zu werden«: Jakob Vogel/Daniel Albert Fechter (Hgg.), Amtliche Sammlung der ältern Eidgenössischen Abschiede, Bd. 5.2, Basel 1875, Nr. 611b.

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len rekrutierten Truppen »pour la défense d’une cause odieuse et manifestement injuste« verwendet würden.583 Daß Kriegführende ohne weiteres ein Anrecht auf Truppentransfers über fremde Territorien besäßen, stand für die Frühe Neuzeit grundsätzlich fest. Für die Pioniere des Völkerrechts war dies ebenfalls (dementsprechend kurz abgemachte) bare Selbstverständlichkeit. Es mag auch damit zusammenhängen, daß Europa damals mehr Territorialgrenzen zerschnitten als heutzutage – irgendwie mußten die Truppen trotzdem an ihren Einsatzort kommen. Es sei doch absehbar gewesen, daß Ludwigs Krieg gegen die Holländer auch Reichsgebiete tangieren werde, erklärte der Präsident des Wiener Hofkriegsrats, Raimund Graf Montecuccoli, einmal dem neuburgischen Emissär Johann Ferdinand von Yrsch, »und daß die franzosen, nit in der Lufft herüber in Hollandt springen können«.584 Daß unzählige Verträge des 17. Jahrhunderts ausdrücklich Durchzugsrechte festschreiben, illustriert freilich, daß man sich lieber doch nicht nur auf ein abstraktes Naturrecht auf freien Durchzug verließ, schon, um gegebenenfalls Zeit zu sparen, nicht jedesmal über Konditionen und Einschränkungen parlavern zu müssen. Davon, daß Unbeteiligte nach zeitgenössischem Konsens Truppentransfers etwa untersagen durften, kann keine Rede sein. Änderte eklärte Neutralität hieran etwas? Wir wissen schon, daß seit den 1660er Jahren publizistische Stimmen nachweisbar sind, die es dem Neutralen anheimgestellt sehen wollten, ob der Truppentransfers gestatten wollte; daß aber selbst die Völkerrechtsautoren des 18. Jahrhunderts in dieser Frage letzte Klarheit und Entschiedenheit vermissen lassen; und daß die Pflicht des Neutralen, Truppentransfers über sein Gebiet zu unterbinden, erst in der Moderne festgeschrieben wurde.585 Soviel, im knappen Resümee, zur Theorie! Und die vormoderne Praxis? Schweizer immerhin glauben hier Bescheid zu wissen. Nach schweizerischem Selbstverständnis waren die eidgenössischen Kantone Vorreiter einer wehrhaften, aktiv gegen Truppentransfers vorgehenden Neutralität. So weiß es, beispielsweise, Edgar Bonjour, und er macht schon 1545 eine in der hier interessierenden Hinsicht »ungewöhnlich scharfe Handhabung der Neutralität« aus. 586 Tatsächlich beschloß die Tagsatzung, als sich die schmalkaldischen Kriegshandlungen abzeichneten, keine Truppentransfers oder Kriegsgütertransporte dulden zu wollen, nur – dieser Vorsatz wurde eben nicht realisiert.587 Dasselbe gilt für einen 583 Vattel, Le droit des gens, Livre III, Chapitre VII (§110). 584 Bericht von Yrsch aus Wien, 1673, Dezember 28 (Or.), BayHStA Kasten blau 79/4, fol. 29–36. 585 Vgl. oben Kapitel C.2.4.4. 586 Bonjour, Geschichte 1965, Bd. 1, S. 24. 587 Vgl. zum Ganzen am ausführlichsten Geiser, Über die Haltung, hier besonders S. 169f. und S. 194. Historiographisch aufschlußreich Schweizer, Neutralität, Bd. 1, S. 202f.: In kräftigen

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Tagsatzungsbeschluß vom Mai 1632, der ohnehin ältere Bündnisverpflichtungen ausnahm.588 Aber Prunkstück schweizerischen Selbstbewußtseins ist sowieso ein Tagsatzungsbeschluß vom Februar 1638, als man einhellig befand, künftig keine Passagen mehr dulden zu wollen und jedermann »allen Ernstes« davon abzuhalten.589 Nur konnte von solchem »Ernst« eben hinterher auch diesmal keine Rede sein, die einzelnen Orte blieben bei ihrer Politik einseitiger Begünstigungen nach Konfessions- und Kantonsräson, vereinbarten weiterhin ihre »Kapitulationen« mit Frankreich, Spanien, Venedig oder den Niederlanden.590 Übrigens war der Tagsatzungsbeschluß von 1638 auch nicht gleichsam neutralitätspolitisch, sondern versorgungspolitisch motiviert, er stand nicht im Dienste guter Neutralität, sondern »guter Policey« – denn man fürchtete bei weiteren Durchmärschen fremden Kriegsvolks ein weiteres Ansteigen der Lebensmittelpreise.591 Auch davon, daß »nach dem Westfälischen Frieden ... für die Eidgenossenschaft das allgemeine Durchzugsverbot bereits eine Selbstverständlichkeit« gewesen sei592, kann keine Rede sein. Wie hätte sie bei ihrem niedrigen machtpolitischen und militärischen Profil auch dafür Sorge tragen können? Während des Holländischen

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Farben wird der mannhafte Beschluß der Tagsatzung herausgestrichen, um dann klein und unauffällig in Anm. 2 auf S. 203 anzufügen, daß man den Franzosen eben doch den Durchzug (»aber in sehr beschränkter Weise«) gestattet habe. Hier ist der Wunsch, der Schweiz eine jahrhundertelange Tradition gleichsam schon moderner Neutralität zu schenken, mit Händen zu greifen. Vgl. hierzu zuletzt Bonjour, Geschichte 1965, Bd. 1, S. 27. Frieda Gallati, diese Kennerin eidgenössischer Akten des Dreißigjährigen Krieges, weiß nichts von einer Vorreiterrolle der Eidgenossen hinsichtlich der Abwehr von Truppentransfers, aber sie berichtet von unausgesetzten ›Grenzverletzungen‹ (nach modernen Maßstäben): auch ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte des von Bonjour herausgehobenen Tagsatzungsbeschlusses! Die Kernpassagen zitiert Reibstein, Transitus, S. 462; vgl. auch schon Schweizer, Neutralität, Bd. 1, S. 269; Gallati, Eidgenössische Politik, Teil 2, S. 196; sodann Bonjour, Geschichte 1965, Bd. 1, S. 52. – Aufs vergleichbar (und gern in diesem Zusammenhang) hochgerühmte »Defensionale von Wil« aus dem Jahr 1647 gehe ich im Zusammenhang mit »bewaffneter Neutralität« weiter unten noch ein. Es ist bezeichnend, wie tief die Kennerin der Akten dieser Jahre, Frieda Gallati, den Tagsatzungsbeschluß von 1638 im Gegensatz zu ihren späteren Exegeten hängt: »... kam es in der Paßfrage endlich zu einer gemeinsamen Entscheidung: die Tagsatzung beschloß – unter Vorbehalt der Verträge natürlich – niemandem den Paß durch die eidgenössischen Lande zu gestatten und jeden allen Ernstes davon abzuhalten. Über das Wie der Durchführung freilich zerbrach sie sich so wenig den Kopf wie früher.« Man vergleiche nur mit Bonjour! Vgl. nämlich Walter Bodmer, Die Bewegungen einiger Lebensmittelpreise in Zug zwischen 1610 und 1821 verglichen mit denjenigen in Luzern und Zürich, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 34 (1984), S. 449ff., besonders S. 452. Besserte sich die Versorgungslage, brauchte man auch keine Durchzugsgesuche mehr abzuwimmeln! So Bonjour, Geschichte 1965, Bd. 1, S. 52, mit der hübschen Anfügung, allenfalls »kleine Grenzritzungen« habe man fürderhin gesehen (ebda., S. 53).

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Krieges mit seinen weit abliegenden Kernkampfgebieten immerhin bemühte sie sich im Rahmen ihrer beschränkten militärischen Kräfte, Durchmärsche abzuwehren, »um die Ruhe und Neutralität des Vaterlandes zu wahren«593 und sich »alß ein Ehrlicher NeutralStandt« zu bewähren594; selbst jetzt nicht mit vollem Erfolg.595 Während des Spanischen Erbfolgekrieges versuchte die alte Eidgenossenschaft erst gar nicht, die allfälligen Durchmarschversuche596 abzuwehren. 3.2.4.2 »Menigelichen plindt unnd alles genommen«: Beobachtungen im 16. Jahrhundert Ob sich bereits im Verlauf des 18. Jahrhunderts ein Spannungsverhältnis zwischen Neutralität und Truppentransfers aufbaute, kann diese Studie nicht beiläufig entscheiden.597 Wie verhielt es sich mit Durchzügen speziell, mit der Achtung der territorialen Integrität des Neutralen im allgemeinen bei unseren ausgewählten Konflikten des 16. und 17. Jahrhunderts? Und bieten die Akten Räsonnements zu diesem Problemkreis? Gelegentlich schon. Ich will mit einer interessanten Kontroverse aus dem Vorfeld des Schmalkaldischen Krieges einsetzen. Ende Juni 1546 verhandelten der neuburgische Statthalter Hans Kraft von Festenberg, Rentmeister Gabriel Arnold und ihr Sekretär Christoph Arnold in Heidelberg mit der kurpfälzischen Regierung. Knapp gesagt, drängten erstere auf entschiedene Parteinahme von Kurfürstentum wie Pfalzgrafschaft im absehbaren Krieg, pochte letztere auf ihre ausdrücklich so genannte »neutralitet«, die glaubwürdiger sei, wenn sich auch die Neuburger heraushielten. Am 26. Juni beschieden die Heidelberger ihre Gäste 593 Pupikofer/Kaiser, Eidgenössische Abschiede, Bd. 6.1.1, Nr. 587 (im Kontext der Beeidigung der Kriegsräte und »hohen Offiziere« an der Tagsatzung vom 3. Mai 1674 in Baden). 594 Erläuterungen und Zusätze zum Defensionale vom 3. Mai 1674, ebda., Bd. 6.1.2, S. 1688. 595 Vgl. nämlich (in verschämter Beiläufigkeit) Paul Schweizer, Geschichte der Schweizerischen Neutralität, Bd. 2, Frauenfeld 1895, S. 298. 596 Vgl. jetzt (beiläufig) Hug, Kriegsmaterialhandel, S. 144 und S. 234. 597 Auf diesen Zufallsfund will ich immerhin anmerkungsweise hinweisen: Im Februar 1757 beschäftigte sich der »premier commis« François Bussy mit der Frage, ob Paris den Fürsten von Braunscheig, Gotha, Weimar, Mecklenburg, Hessen-Kassel und Bayreuth die Neutralität einräumen sollte, und plädierte im positiven Fall für eine Klausel, die das Durchzugsrecht durch die neutralen Territorien vorsah, das sei »notwendig, um nicht vom guten Willen der neutralen Macht abhängig zu sein«. Schon zuvor, bei Kriegsausbruch, hatten Marschall d’Estrées und Kaunitz vereinbart, Hannover die Neutralität zuzugestehen, doch unter einer Bedingung: Der französischen Armee sollten Truppentransfers dem Brandenburgischen zu gestattet sein – was für den Landesherrn, König Georg II. von England, jedoch nicht akzeptabel war. Die Selbstverständlichkeit, mit der dem Neutralen in früheren Zeiten Passagen zugemutet wurden, war offenbar nicht mehr gegeben. Ich stieß auf die erwähnten Episoden bei Externbrink (der sie natürlich in ganz andere Kontexte stellt), Friedrich der Große, S. 137 bzw. S. 136.

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einer neuburgischen Aufzeichnung zufolge so: Sie sollten zwar einige strategisch besonders wichtige Punkte in der Pfalzgrafschaft »sovil meglich« bewachen lassen und absichern, aber »Sonnst sollen wir stillsizen unnd niemand zu widerwillen verursachen, der zuversicht, man werde gegen unns nichts furnemmen«. Kurfürst Friedrich trage die Sorge, daß die Pfalzgrafschaft »ytziger Kriegsrustung etwas nahend gesessen« sei, »Solten wir unns nun mit dem wenigisten mit rustung, besezung oder dergleichen mergkhen lassen, daraus mecht uns gefahr unnd nachtail erfolgen«.598 Friedrich setzte also nicht auf bewaffnete Schutztruppen, sondern auf die diplomatische Schutzwirkung der Neutralität. Daran wollten die Neuburger nicht recht glauben. Kaum aus der Rheinpfalz an die Donau zurückgekehrt, schrieb Gabriel Arnold dem Kurfürsten, er wisse wohl, »das Wir in dem ainen unnd den andern weg verderbt werden muessen«, doch ergriffen sie Partei, hätten sie wenigstens Anlaß, sich auf »beschutzung hoffnung« zu machen599: also darauf, nicht von beiden Kriegsparteien behelligt zu werden, sondern von der einen gegen die Zumutungen der anderen Beistand zu bekommen, ›beschützt‹ zu werden. Wurde Friedrich in seiner Neutralitätseuphorie verunsichert, war er einfach der dauernden neuburgischen Nörgeleien überdrüssig? Jedenfalls stellte er dem Donaufürstentum in seiner Replik den außenpolitischen Kurs allgemein, spezieller eventuelle militärische Zurüstungen frei (womit natürlich auch er selbst von jeglicher Verantwortung für etwaige Folgen frei war): Er wünsche nicht, heißt es da, daß sie seinetwegen »in ainigen nachtail« gerieten. Wenn sie »umb mer sicherheit willen ... zum ernst zubegeben und verhoffend dz besser dardurch zuerhalten, also leib und hab zuretten«, sei es hiermit zu ihrem »bedengken gestellt«.600 Diesem Schreiben zufolge verschaffte Neutralität also nicht per se, aus sich heraus, »sicherheit«. Die Neuburger waren davon, wie gesagt, sowieso überzeugt, und sie blieben auch bei dieser skeptischen Einschätzung der Neutralität, nachdem ihrer Parteinahme für die Schmalkaldener die Besetzung durch kaiserliche Truppen auf dem Fuße gefolgt war.601 598 »Anntwort darauf von Hofmaister unnd Reten gefallen«, undat. Kopie einer neuburgischen Aufzeichnung [vom 26. Juni 1546], BayHStA Kasten schwarz 16671, fol. 167f. 599 Gabriel Arnold an Kurfürst Friedrich, 1546, Juli 2 (Kpt.kopie? es handelt sich um einen auch chronologisch kaum geordneten Mischbestand aus verschiedenen Provenienzen), ebda., fol. 177–179. 600 Friedrich an Statthalter und Regenten zu Neuburg, 1546, Juli 7 (Kopie), ebda., fol. 185–187. 601 Vgl. nur die wortreiche ›Apologie‹ Festenbergs [vom Herbst 1546; undat. Entw.] in Kasten blau 102/ad 4 I, fol. 63–74: Es war richtig, daß sie »pluet und guet zu Jnen«, nämlich den Schmalkaldenern, »zusezen bewilligt haben«. Hätten sie eine eindeutige Positionierung »underlassen und uns gleichwol der Neutralitet gebraucht, So hetten wir dazumal ... nichts zugewarthen noch gewisers gehabt«, wäre »das Land und leut, durch unser verursachung aus der Pfalz und gemainer landtschaft hand zu mergklichem verderben und abfal kommen«.

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Ehe klar war, daß der Heidelberger Kurfürst im sich abzeichnenden Krieg auf die Neutralität setzte, ließ Karl V. höflich anfragen, ob er bereit sei, »sans empeschement« kaiserliches Kriegsvolk durchmarschieren zu lassen und es »a raisonable pris«, also keinesfalls ohne Gegenleistung, zu verproviantieren.602 Nachdem sich Friedrich für neutral erklärt hatte, gab es keine Schonung und auch keine Höflichkeit mehr. Der Habsburger »bestand unter Androhung empfindlicher Strafen« auf freier Passage wie Verpflegung und beschied Beschwerden dagegen »in schroffer Form abschlägig«.603 Karls Truppen wurden angewiesen, sich notfalls »mit energischen Mitteln«604 das Durchmarschrecht zu erzwingen. Daß Friedrich die niederländischen Kontingente Karls Ende August tatsächlich der Donau zuziehen ließ, war für den Kriegsverlauf nicht unwichtig. Bei weiteren Durchmärschen wurden die Bewohner der erklärt neutralen Pfalzgrafschaft, jedenfalls in Friedrichs Augen, »comme ennemys«605 traktiert. Dabei hatte der Kurfürst den Schmalkaldenern Truppenwerbungen untersagt, dies verstoße gegen seine Neutralität.606 Das sah Moritz von Sachsen, solang er noch von sich behauptete, neutral zu sein, durchaus anders. Als kaiserliche Mandate einliefen, die verlangten, die Untertanen vom Dienst für die schmalkaldischen Reichsfeinde abzufordern und im Herzogtum keine Werbungen für sie zu dulden, kamen der Albertiner und seine Räte zum Schluß, derartige Maßregeln verletzten die sächsische Neutralität, man dürfe solche Werbungen nicht untersagen; die Mandate wurden also nicht angeschlagen.607 Moritz und seine Entourage waren demnach der Ansicht, keine Werbungen zu gestatten, sei neutralitätswidrig. So etwas wie die Gesamtbilanz etwaiger Schutzwirkungen von Neutralitätsbeteuerungen läßt sich für den Schmalkaldischen Krieg nicht ziehen, das erlaubt der Forschungsstand nicht. Einen Nutznießer scheint es ja gegeben zu haben: den bayerischen Scheinneutralen. Seit dem 9. Juli hatte er zwar die kaiserlichen Truppen im Land608, aber fast einen Monat lang hielt Rücksicht auf 602 Instruktion Karls V. auf Reichsvizekanzler Naves vom 15. Juni 1546: Hasenclever, Die Kurpfälzische Politik, Beilage Nr. 7. 603 Luttenberger, Glaubenseinheit, S. 379. 604 So faßt Hasenclever, Die Kurpfälzische Politik, S. 96 zusammen; vgl. zu anderen, militärisch weniger bedeutsamen kaiserlichen Durchmärschen Luttenberger, Glaubenseinheit, S. 380 Anm. 125. 605 So Karl V. an seinen Feldherrn Büren, s. d., unter Rekurs auf pfälzische Schreiben, zit. nach Hasenclever, Die Kurpfälzische Politik, S. 145 Anm. 354. – Wiederholt drohten Karl und Büren zudem dem unbotmäßigen Neutralen mit Winterquartieren: ebda., S. 123 und S. 125. 606 Vgl. ebda., S. 79. 607 Vgl. Brandenburg, Moritz, Bd. 1, S. 456f. 608 Am 9. Juli überfiel Schertlin von Burtenbach Füssen, den Hauptwerbeplatz der Kaiserlichen. Diese zogen sich sogleich auf bayerisches Gebiet zurück, Schertlin wollte die Verfolgung aufnehmen, doch erhielt er die politisch motivierte Anweisung, bayerisches Gebiet nicht zu betreten. Es war von da an ein notorischer Reibungspunkt zwischen dem Feldhauptmann

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die Münchner Neutralitätsbeteuerungen die Schmalkaldener davor ab, sie auf bayerischem Boden zu verfolgen. Als sie sich schließlich doch auf die andere Donauseite wagten, verrieten ihre Operationen noch einmal gut zwei Wochen lang auffallende Rücksichtnahme auf den vermeintlichen Neutralen. Am 14. August wurde in Reichertshofen Kriegsrat gehalten: Sollte man nicht rasch »dem Khaiser vnder augen« nach Landshut ziehen, dann München »erobern«, so den noch unterlegenen Karl zu einer Schlacht nötigen? (Der Schmalkaldische Krieg hätte womöglich eine ganz andere Richtung genommen!) »Die Wirtenbergischen«, Landgraf Philipp und seine Räte sowie natürlich609 Schertlin von Burtenbach waren für diesen militärisch plausiblen Plan, aber sie wurden »vbermheret«. Immerhin sah auch das Mehrheitskonzept vor, »den stifft Aystet vnnd was hertzog Wilhalm auf derselbigen seitten der Thonaw ligen hette, ein[zu]nemen vnd [zu] brandschatzen«.610 Wenige Tage später machte man sich zur bayerischen Festung Ingolstadt auf. Quasi automatisch (man hat ja abgestimmt und »vbermheret«!) hat der Neutralenstatus also nicht vor Kriegsbehelligungen geschützt, erst recht nicht auf Dauer. Übrigens hatten die Bayerischen ohnehin von Anfang an beteuert, »alle päß vnverspert«611 zu lassen, also Durchmärsche keiner Kriegspartei abzuwehren, das gehörte (zeittypisch) zu Wilhelms Neutralitätsbegriff. Daß sich die erklärt Neutralen des Fürstenkriegs nicht auf die Schutzwirkung dieser Option verlassen konnten, muß nicht wortreich bewiesen werden, der Konflikt ist ja ereignisgeschichtlich bestens aufgearbeitet. Vergeblich klagten die Möchtegernneutralen über immer neue »blunderungen, abdringung profiandt viehes pferde wagen etzlichs meines geschützs munition und dergleichen andern grossen mutwillen«612 und daß die durchziehenden Truppen »menigelichen plindt613 unnd alles genommen« hätten.

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und der politischen Führung der Schmalkaldener. Ersterer wollte ins Bayerische hineinstoßen, letztere hingegen die Truppen so lang wie irgend möglich auf der linken Donauseite nordwärts ziehen lassen. Schertlins Briefe nach Augsburg (Herberger, Briefe, passim) künden beredt von seinem Unmut. Der Feldherr hatte den bayerischen Neutralitätsbekundungen ja von Anfang an großes Mißtrauen entgegengebracht. Am 16. Juli wollte er Madruzzo in Landsberg überrumpeln, doch zog der rasch nach Bruck ab. Wäre es nur nach der militärischen Führung der Schmalkaldener gegangen, hätte die bayerische Neutralitätsfiktion keinerlei Schutzwirkung entfaltet. Schertlin an die Bürgermeister von Augsburg, 1546, August 15: Herberger, Briefe, Nr. 40. Instruktion für eine Gesandtschaft ins schmalkaldische Heerlager, 1546, August 11 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2103, fol. 41–44 (so ähnlich öfters). Kurfürst Friedrich von der Pfalz an den Kaiser, 1552, Sonntag nach »Caneptionis Marie« [?], Entw.: BayHStA Kasten blau 105/2b (unfol.). Also: geplündert, alle wurden ausgeraubt. Landsberger Pfleger an Herzog Albrecht, 1552, April 14 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 173f.

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Neben diesen vielen kleinen Besorgnissen plagte die Neutralen die große Sorge, etwa durchziehende Truppen – gar nicht mehr loszuwerden, durch ihre Neutralitätsbeteuerungen die Okkupation des Territoriums zu provozieren. Christoph von Württemberg schrieb Ende Mai an seine Vertreter in Passau, er trage im Falle weiterer Verzögerungen bei den Friedensverhandlungen »die fursorg«, daß »die kriegs chur- und fursten auf unser land rucken und uns ires gefallens zu tringen understeen wurden«. Zeichne sich ein Scheitern der Passauer Gespräche ab, hätten sie deshalb zum Kaiser weiterzuziehen und ihm Folgendes vorzutragen: Stelle sich nicht rasch Frieden ein, würden die Kriegsfürsten auf den Anschluß des neutralen Herzogtums drängen und im Fall der Verweigerung »mit höresmacht« ins Land kommen, um ihn »mit gewalt dahin zu tringen, das wir inen ires willens willfaren muessten, oder aber grundlichs und jämerlichs verderben und verhörung unsers lands und villeicht entlichs verjagens gewertig sein«.614 Der Herzog mag rhetorisch aufgebauscht haben, glaubte aber offensichtlich selbst an die von ihm beschworenen Gefahren.615 Auch der Erzkanzler machte damals traumatisierende Erfahrungen, sie sprechen aus diesen Worten vom September 1553: »Si het­ten je nichtz mer, wären zu ainem dorfpfarrer ... geraten«. Über den Kriegseinwirkungen616 sei das Erzstift »zu trim­mern gangen«. Es sei nun »arm, verderbt und one das mitten under den hunden säss«. Er sei »vor geprent worden, dorumb furchtete er nit unpillich das feur«.617 Das ist nicht ganz unwichtig für die Vorgeschichte des Augsburger Religionsfriedens, hier interessiert mehr, daß die neutrale Option eben sichtlich nicht zuverlässig vor Kriegseinwirkungen geschützt hat. Truppendurchmärsche forderten damals die Kriegsfürsten wie ihr französischer Alliierter. Es war ein Thema des Rheinischen Kurfürstentags von Oberwesel Ende April 1552.618 Der Trierer Erzbischof ließ seinen Votanten ausführen, König Heinrich habe Durchzug und Verproviantierung verlangt, und »sollt ihm solches verweigert werden, müst er ein anders furnemen«; werde der Franzose 614 Christoph an seine Räte in Passau, 1552, Mai 29: Ernst, Briefwechsel, Bd. 1, Nr. 582; Instruktion auf dieselben für einen Vortrag vor Karl V. desselben Datums, ebd., Nr. 583 (sowie ganz ähnlich: Instruktion Christophs für Ludwig von Frauenberg, 1552, Mai 29, Or.: BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 294–296). 615 Vgl. nämlich das undat. Memorial von seiner Hand bei Ernst, Briefwechsel, Bd. 1, Nr. 609. 616 Fürsten- wie Markgrafenkrieg trafen den Kurfürsten hart, zusammenfassend und mit der einschlägigen Literatur: Gotthard, Religionsfrieden, S. 77f. 617 So berichtete Zasius am 11. September 1553 König Ferdinand über ein Gespräch mit Kurfürst Sebastian: Druffel/Brandi, Briefe und Akten, Bd. 4, Nr. 256. Der Kurfürst, so Zasius, »hält sich stättigs in seinem zimmer und ist immer zu, wie ich verstee, voller melancolei«. 618 Bericht der pfälzischen Räte (nur die geistlichen Kurfürsten waren persönlich anwesend) von dort: Druffel, Briefe und Akten, Bd. 3, Nr. 1434 II. Vgl. sodann Kurfürst Friedrich an Herzog Christoph, 1552, Juni 10: Ernst, Briefwechsel, Bd. 1, Nr. 608. Ein ausführliches, doch schwer lesbares Verlaufsprotokoll liegt in BayHStA Kasten blau 105/2c, fol. 65–89.

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tatsächlich »den profiant und pass nemen, müst er’s beschehen lassen, hat ein offen land, kundt es nit wehren«.619 Neutralitätsbekundungen konnten eben erst recht nicht »wehren«! Auch der Mainzer erklärte rundweg, »inen sei unmuglich widerstand [zu] thun«.620 Der Trierer fügte der Feststellung, daß man den Franzosen »pass und proviant nit waigern« könne, bezeichnenderweise an: »Es wolde die not den weg machen«. Für die deutschen Kriegsfürsten galt diese Parole sowieso, sie bestanden auf ungehindertem Durchmarsch, jederzeit bereit, ihn notfalls zu erzwingen.621 Wir können zusammenfassen: Die Neutralen des Fürstenkriegs hat die Berufung auf ihre »neutralitet« in keiner Weise vor Kriegsunbilden jeglicher Art geschützt. Werfen wir noch einen Seitenblick auf den Achtzigjährigen Krieg! Die Spanier wie ihre sezessionistischen Nordprovinzen behelligten im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts die östlichen Grenzanrainer ungeniert mit Truppenwerbungen, Durchmärschen, Einquartierungen, Handelsblockaden; zeitweise schien der ganze Niederrheinisch-westfälische Reichskreis622 als Versorgungs- und Nachschubbasis dieser oder jener oder beider Kriegsparteien zu fungieren. Für die Grafschaft Mark wurde gezeigt, daß sie in der Mehrzahl der Jahre ein oder zwei Grenzverletzungen hinzunehmen hatte: Durchzüge, »Freibeuter-Raubzüge«, Einquartierungen.623 Meistens hielten es die Kriegsparteien nicht einmal für 619 Oder (Protokoll, hier zum 24. April): »Kond der retung halb nichts thun«, er muß »dem gewalt weichen«. 620 Protokoll, erneut zum 24. April. Nur der Kölner wollte französische Passagen nicht hinnehmen, »ehe daruber leyden« (ebda.). – Die Kurfürsten beschlossen schließlich (ohne praktische Folgen), eine Gesandtschaft zu König Heinrich abzuordnen, die Instruktion vom 24. April (undat. Entw.: Kasten blau 105/2c, fol. 100–102) pocht nicht etwa auf eventuelle Rechte Neutraler, bittet in sehr devotem Ton, doch »der armen unschuldigen underthanen zuverschonen«. 621 Man beachte nur den erpresserischen Duktus noch in Wilhelm von Hessen an Albrecht von Bayern, 1552, Mai 2 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv tom. 4571, fol. 73f.: offene Drohung mit Übergriffen seiner Söldner – dabei wurde längst in Linz über eine Beendigung des Krieges verhandelt! Erst danach mäßigte sich der Ton den Neutralen gegenüber, vgl. beispielsweise Moritz und Wilhelm an Albrecht, 1552, Mai 8 (Kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv tom. 4525, fol. 250. 622 Zu seinem Los im Angesicht des Achtzigjährigen Krieges zusammenfassend Arndt, Reich und Niederlande, S. 104. Ebda., S. 109f. berichtet Arndt, »Kriegszüge nach Westfalen und ins Rheinland« hätten für beide Kriegsparteien »nicht nur den Charakter von Versorgungsunternehmen, sondern auch von ›Freizeitgestaltung‹ für die Soldaten« gehabt, die dort einmal so richtig nach Herzenslust die Quartiere leersaufen und sich dem lustigen Plündern hingeben durften, ehe es weiter westlich wieder ernst wurde. 623 Jürgen Kloosterhuis, »... an villen Orteren von allerseidtz Kriegsfolck verdorben ...« Die Folgen des Spanisch-Niederländischen Krieges (1566–1609) für die Grafschaft Mark, Teil 3, in: Der Märker 32 (1983), S. 206f. Vgl. die Bilanz auf S. 202.

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geboten, die Landesherren, durch deren Gebiete ihre Soldaten zogen, vorab zu informieren. Die Oranier waren der Ansicht, daß ihnen Hilfe sowieso ohne weiteres zustehe, wenn Madrid die niederländischen Privilegien so grob mißachte; umgekehrt war die spanische Statthalterregierung in Brüssel der Überzeugung, bei ihrem legitimen Kampf gegen Aufrührer auf die Solidarität anderer legitimer Regierungen jeglichen Anspruch zu haben. Was zählten beim Kampf gegen die Despotie bzw. gegen Rebellion schon die Empfindlichkeiten quengelnder Grenznachbarn? Als sich die Hofburg doch einmal aufraffte, in Brüssel Respekt vor der Gebietshoheit der nordwestdeutschen Reichsfürsten anzumahnen, erhielt sie von Alba diese bezeichnende Antwort: Man wünschte anstatt mit Vorwürfen mit Hilfen gegen die Rebellen überhäuft zu werden und habe lediglich »dasjenig gehandelt, was die höchste notturft zu erhaltung von Gott eingesetzter ordenlicher oberkait und der undertanen schuldigen gehorsambs grösslich ervordert«.624 Aus dem Munde von Rheinländern und Westfalen klang das anders, so beschwerten sie sich am Reichstag von 1582 über die »hochverderblichen schäden und beschwernussen«, die ihnen »durch ein- abzüge, inlagerungen, ausfälle mit Raub, Prennen, Brandschatzen, ertödten, erbarer Frauen und Jungfrauen schendungen erbarmlich, unmenschlich und unaufhörlich zugefüget« würden, über »unerträgliche, unleidliche, übermenschliche beschwerlichkeiten«.625 Die Betroffenen rekurrierten einerseits aufs Reichsrecht – sie hätten ein Anrecht auf ungestörten Landfrieden, auf Schutzmaßnahmen gemäß der Reichsexekutionsordnung. Aber sie argumentierten auch gleichsam626 völkerrechtlich, mit ihrer erklärten Neutralität – jedenfalls am Wormser Reichsdeputationstag von 1586627, dessen Verhandlungen eine Aktenedition dokumentiert, die auch darin vorbildlich ist, daß sie im Sachregister, ganz untypisch, Berufungen auf die Neutralität auswirft.628 Verschiedene Betroffene beteuerten in Worms, sie hätten 624 Antwort Albas an die kaiserlichen Gesandten vom 15. Juni 1571: Gross/Lacroix, Urkunden und Aktenstücke, Bd. 2, Nr. 640 (Kursivsetzung von mir – noch war eben die »notturft« des Kriegführenden nicht einmal auf dem Papier durch etwaige Rechte Neutraler eingegrenzt!). 625 Gravamina der Gesandten des Niederrheinisch-westfälischen Reichskreises, 1582, Juli 30, Abdr.: Johannes Müller, Richtpunkte und Ziele der äusseren Politik Deutschlands zur Zeit des Augsburger Reichstages vom Jahre 1582, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 21 (1894), S. 1–53, hier: Anhang Nr. 5. 626 Eine pointierte Gegenüberstellung »Reichsrecht versus Völkerrecht« ist gleich aus zwei Gründen problematisch. Zum einen kündet ja diese Studie fast auf jeder Seite davon, wie wenig Neutralität schon zum Rechtstitel verdichtet war. Außerdem betrieben die Reichsstände traditionell eine eigenständige Außenpolitik, sie agierten also, wiewohl Reichsglieder, doch auch als Völkerrechtssubjekte. 627 Zur damaligen Kriegslage, als sich der holländische Sezessionskampf und der Kölner Krieg personell wie räumlich verflochten, zuletzt Arndt, Reich und Niederlande, S. 106f. 628 Ich gestehe, daß das meinen Seitenblick auf den Achtzigjährigen Krieg veranlaßt hat – solang wir große Aktenmassen nicht einfach kurz mal »einscannen« und nach Suchworten

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sich stets »neutral gehalten«, »der neutralitet sich gebrauchet«, auch der ganze Niederrheinisch-westfälische Reichskreis habe »sich der neutralitet gehalten«. Und doch habe man unter »thatlichait und außfallen« leiden müssen, seien »die beschwerden groß, sonnderlich mit dem außfallen, einlegerungen unnd sperrung der commertien und päß«, leide man »außfell, rantzionierung, plunderung, fahen, spannens, schändlichen einziehens, mordens und raubens, auch sperrung der gemeinen commertien unnd schiffarten halben«. Man machte wieder einmal die Erfahrung, daß »durch schreiben, mandieren und schickhen wenig außzurichten, so nit ain macht vorhanndten«. Neutralitätserklärungen allein jedenfalls schützten nicht, auch nicht in den ersten Jahrzehnten629 des Achtzigjährigen Krieges. Völkerrecht hat auch heutzutage allzu oft der »macht« zu weichen – aber damals hatte sich Neutralität noch gar nicht zur Rechtsfigur, zum Völkerrechtstitel verdichtet. Von den schlechten Erfahrungen der Nordwestdeutschen mit ihrer »neutralitet« wußte man sogar in Tübingen: Die Nutz- und Schutzlosigkeit der Neutralitas belegt in Christoph Besolds »Dissertatio de Foederum Jure« an sich der übliche Wust vermeintlich zeitlos gültiger antiker Exempel, doch »dicunt nonnulli«, so Besold, auch die Westfalen und andere dem holländischen Sezessionskrieg Benachbarte hätten ihre Nutzlosigkeit »non sine maximâ incommoditate« verkannt.630 3.2.4.3 »Landt unnd Leutte außgemergelet«: Beobachtungen im Dreißigjährigen Krieg Die vielen Kleinen ohne eigene Kriegsziele, die seit 1618 Zuflucht bei der »neutralitet« suchten, mußten diese Erfahrung der Reichsstadt Mühlhausen teilen: »Trotz aller ... Neutralitätspolitik gegenüber den Kriegsparteien blieb es bei der permanenten Aneinanderreihung von Einquartierungen und finanziellen Forderungen«.631 Wenige Zeilen, nachdem er notiert hatte, daß die »heren« der Reichsstadt Ulm »die neiteralitet angenomen« hätten, hielt Hans Heberle das in durchforsten können, brauchen wir solche Hilfen. Zum Folgenden: Thomas Fröschl (Hg.), Deutsche Reichtstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662. Der Reichsdeputationstag zu Worms 1586, Göttingen 1994, S. 457, S. 459, S. 466, S. 523, S. 738, S. 744. Die damaligen Beschwerden betrafen vor allem die spanische Kriegspartei. 629 Er zerfällt ja (vieler anderer Feingliederungen unerachtet) gleichsam in zwei große Blöcke, die der Zwölfjährige Waffenstillstand von 1609 durch einen gar nicht so kleinen Graben teilt; als die Konflikte danach wieder akut wurden, verflochten sie sich mit dem großen deutschen Konfessionskrieg. Hier thematisiere ich den ersten Kriegsblock; am zweiten interessiert mich die Neutralität zwischen separatistischen Nordprovinzen und katholischer Liga. 630 Besold, Dissertatio Politico-Juridica, S. 92. 631 Zeng, Mühlhausen, S. 320. Vgl. nur noch Nürnberg – außer von 1631/32 bis 1635 nominell neutral, trotzdem schlimmste Kriegsbelastungen: Axel Gotthard, Reuter und Beuter. Der

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seinem »Zeytregister« fest: »Dieweil wir aber beide theil, freündt und feindt632, bey unß haben, sind es große partey im land hin und wider zogen. Die haben alles außgeblündert auff beide seiten, dardurch ist großer schaden im landt geschehen.« Zu den mittleren Potenzen im Reichsverband gehörte der neuburgische Pfalzgraf Wolfgang Wihelm mit seinen Territorien an Donau und Niederrhein. Übergriffe und zeitweilige Okkupationen dieser erklärt neutralen Gebiete waren so geläufig, daß sie hier gar nicht aufgezählt werden können633 – einige Schlaglichter auf jenen Zeitraum, der uns der intensiven Verhandlungen zwischen Wolfgang Wilhelm und den Heilbronnern in Sachen »neutralitet« halber in anderen Zusammenhängen besonders interessiert hat, sollen genügen: Von Oktober bis Dezember 1632 stehen schwedische Truppen in den niederrheinischen Herzogtümern, der Möchtegernneutrale hat monatlich zwanzigtausend Pfund Brot zu liefern und eine Kontribution von 130000 Reichstalern zu entrichten; General Baudissin erklärt, er habe von Gustav Adolf Befehl, sich der niederrheinischen Gebiete, aller Neutralitätsbeteuerungen unerachtet, »zu seiner Commodität zu bedienen«.634 Im Januar 1633 folgen spanische und ligistische Truppen: Klagen über massive Viehdiebstähle, angeblich reißt man den Einwohnern die Kleider vom Leib, in Oberwinter Truppenmusterungen. Im Sommer 1633 Durchmarsch eines großen Ligaheeres unter Merode, Plünderungen, die Getreidefelder werden teils verwüstet, teils abgeerntet. Noch immer stehen außerdem in und um Siegburg schwedische Besatzungstruppen, Ausfälle, Plünderungen auch von dieser Seite. Die Pfalzgrafschaft an der Donau ist komplett von schwedischen Truppen okkupiert, der schwedische Obrist Speerreuter weist Priester aus, setzt neue Amtleute ein, läßt neue Zolltafeln mit schwedischen Wappen anbringen ... Weitere Einzelheiten sind gar nicht nötig, um zu belegen, daß Neutralitätsbekundungen und Neutralitätsverhandlungen keinesfalls zuverlässig vor Kriegseinwirkungen abgeschirmt haben. Außer den ganz konkret erlebten Kriegsbelastungen quälte die stete Furcht, daß die auferzwungenen Leistungen für die eine Kriegspartei, von der Quartiergestellung bis zu Kontributionen oder Viehlieferungen, die andere dazu animierten, die Neutralität für verwirkt zu erklären. Wolfgang Wilhelm notierte in Dreißigjährige Krieg in Fürth, um Nürnberg und in Mittelfranken, in: Barbara Ohm (Red.), Vorträge zur Fürther Geschichte, Fürth 2007, S. 37–62. 632 »Freündt« sind beim Lutheraner Heberle durchgehend, und ihres aktuellen Fehl- oder Wohlverhaltens unerachtet, evangelische Truppen. – Heberle, Zeytregister, S. 210; es handelt sich um Einträge des Jahres 1646. 633 Und müssen! Sie werden in den äußeren Abläufen von Küch und Leffers ausführlich geschildert – wir lesen unaufhörlich von »Plünderungen und Gewaltthaten jeder Art« (Küch, Wolfgang Wilhelm in Brüssel, S. 200). 634 Zit. nach Küch, Die Politik, S. 7.

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Brüssel, wo er im Spätsommer 1632 spanische Zudringlichkeiten abzuwehren, spanischen Argwohn zu zerstreuen suchte, in sein Diarium (also nicht im Hinblick auf Außenwirkung): »Haben sie sich billig zu erinnern, dass mir als einem neutralen mit fugen ein mehrers nit zuzumuten, als ich bisher gethan, man wolte mich denn und die land umb die neutralitet bringen, auf deren conservation ich notwendig gedenken muss«.635 Stets waren die Truppen der einen Seite geeignet, auch die anderen ins Land »zuziehen«.636 Es ist nachvollziehbar (und muß nicht, mit der gesamten älteren Literatur, als Querulantentum eines wenig heldenmütigen, eines geradezu weinerlichen »schwachen« Fürsten abqualifiziert werden), daß Wolfgang Wilhelm wieder und wieder klagte, »unangesehen« der »von allen kriegenden theilen erhandleter neutralitet« werde ihm »von beeden kriegenden theilen, sehr hart zugesetzt«.637 Besonders die Heilbronner Alliierten wurden mit wahren Wortkaskaden überschüttet, trotz »der Gulchschen unnd zugehörenden landen neutralitet« seien »Landt unnd Leutte ... außgemergelet«, er und seine Länder würden behelligt »mit villfältigen starcken einlagerungen, durchzuegen, occupirung dero Stätte, Schloser, Cloester unnd Heuser auch consumirung ihrer furstlichen gefälle unnd intraden unnd in mehr wege zugefuegter fast unerträglicher beschwernussen«.638 Die Jülicher Lande seien »durch die erlittene einlägerungen gantzer Armeen, starke garnison, unnd unaufhorliches streiffen, und plundern, in grundt und boden also verdorben, daz der eingesessenen underthanen, viele vor Hunger unnd noth verschmachtet, andere in dz bittere elendt davon gelauffen«.639

635 Aus dem Diarium zitiert ausgiebig Küch, Wolfgang Wilhelm in Brüssel, hier S. 204 (zum 28. Oktober). 636 Wenn Siegburg schwedisch besetzt bleibt, ist das allein genug, »alles zu hindern, und keyserische daher zuziehen«: Erklärung der neuburgischen Gesandten am Frankfurter Bundestag der Heilbronner Allianz nach einem Protokoll vom 31. Mai 1634, BayHStA Kasten blau 102/4 I. – Gerade die in den äußeren Abläufen gut aufgearbeitete Geschichte der von Wolfgang Wilhelm regierten Territorien in den 1630er Jahren liefert viele Beispiele für diesen diabolischen Mechanismus. »Als Gustav Adolf im Frühjahr 1632 den Krieg nach Bayern hineintrug, nahmen weder Kaiserliche noch Ligistische auf die Neutralität der neuburgischen Besitzungen Rücksicht, besetzten Neuburg und andere Städte ... Die Folge war, dass auch Gustav Adolf ... Truppen in Neuburg einlegte«: Küch, Die Politik, S. 3. »Die Neutralität war in Neuburg durch den Kaiser und die Liga, in Jülich-Berg durch Pappenheim zuerst verletzt worden, und so hatten auch die Schweden keine Veranlassung, sie ferner zu beobachten«: ebda., S. 9. Aufschlußreich auch ebda., S. 34. 637 Wolfgang Wilhelm an »die Wetterauische Correspondirende Graven«, 1634, Januar 11 (Kpt.kopie), BayHStA Kasten blau 102/4 I. 638 »Memorial« zur Frage, was bei Oxenstierna und seinen »Allijrten« vorzutragen ist, 1633, August 15, ebda. 639 Vortrag der neuburgischen Gesandten am Frankfurter Bundestag des Heilbronner Bundes, 1633, Sept. 10 (Kpt.kopie), ebda.

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Das war keine hohle Rhetorik, aber die in Kriegsakten aller Provenienzen grassierende, und hat die Heilbronner denn auch wenig beeindruckt. Interne Dokumente lassen erkennen, daß man sich von den neuburgischen Ergüssen genervt fühlte, was echauffiere sich der Pfalzgraf denn dauernd – das sei eben »ratio et status belli«.640 Die katholischen Adressaten der neuburgischen Lamentos sahen das genauso, im Diarium Wolfgang Wilhelms ist diese vielsagende Episode festgehalten: Der Pfalzgraf sprach in Wien beim kaiserlichen Ratgeber Maximilian von Trautmannsdorff vor, »der mir absolute gesagt, dass, wenn man mir alles was ich beger, hundertmal verspreche, dass man mir doch solches, wenn es ratio belli et status nit zuelasse, nit halten werde«.641 Man könnte sich fragen, warum das die Möchtegernneutralen partout nicht einsehen wollten. Denn abfinden wollten sie sich mit dieser Malaise ja nie – das verdient schon festgehalten zu werden, aber wie ist es zu deuten? Gleichsam psychologisch, als Furcht vor dem Eingeständnis, eine weitgehend nutzlose politische Option zu verfolgen? Dürfen wir so weit gehen, ein Spannungsverhältnis zwischen vormoderner Kriegspraxis und vormodernem Neutralitätsbegriff zu konstatieren? Bei aller Vagheit (oder, positiv gewendet: aller Flexibilität) dieses Begriffes scheint ihm doch konstant, unausrottbar, durch noch so viele entgegengesetzte Erfahrungen nicht revidierbar ein Verschonungsappell immanent gewesen zu sein. Sollen wir anstatt primitivpsychologisch popularphilosophisch kommen (»wer den Krieg nicht angefangen hat, an ihm als Neutraler ganz unschuldig ist, soll auch seine Folgen nicht spüren müssen«), den gesunden Menschenverstand strapazieren? Die Akten reflektieren all das nicht, künden lediglich von immer neuen auf die »neutralitet« gestützten Bitten um Verschonung, scheinbar contra spem. Die damaligen Politiker, die nicht alle tumbe Toren gewesen sein können, haben sich von solchen Bitten, Appellen, Lamentos etwas versprochen. Sie rechneten mit gewissen Effekten. Das »etwas« zu taxieren, irgendwelche – wie die letzten Seiten zeigten: keinesfalls offen zutageliegenden, gar spektakulären – Effekte evident werden zu lassen, erlaubt häufig die Überlieferungssituation nicht. Vor allem hätten wir gern viel mehr Beratungsprotokolle, die die internen Meinungsbildungsprozesse bei den Adressaten der Neutralitätsbeteuerungen abbilden. Dem ist auch im Fall der Neutralität des ›mittelgroßen‹ Territoriums Württemberg so, obwohl deren ›Binnenseite‹ archivalisch einzigartig dicht belegt ist. Wie können wir ihre Schutzwirkung taxieren? Als im Oktober 1623 die gleichsam saisonüblichen Gerüchte aufkamen, wonach Tilly Winterlager suche, wollten die Stuttgarter nicht allein darauf setzen, seinem politischen Auftraggeber in München wieder einmal mit der württembergischen »neutralitet« auf die Nerven 640 Gutachten des Grafenkollegiums, 1634, Mai 18 (Kopie), ebda. 641 Küch, Tagebuch, S. 202.

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zu fallen, sie beschlossen ferner, Maximilian fortan allen rechtlichen Zweifeln zum Trotz als Kurfürsten zu titulieren.642 Außer dem schönen Titel offerierte man Proviant, doch half am Ende weder dieser Versuch, sich gleichsam freizukaufen, noch die immerhin in München einlaufende kaiserliche Bitte, den Neutralen zu verschonen643, sondern eine Veränderung der militärischen Planungen an der Isar – Furcht vor einem gemeinsamen Angriff Bethlen Gabors und des Sultans, entsprechende Truppenverlagerungen nach Osten. Gesagt hat man das dem neutralen Stuttgarter nicht, »muß denn ein jeder die motiva wissen?«644 So zitterte man im Württembergischen also weiter, freilich hielten sich die tatsächlichen Belastungen des Herzogtums im Winter 1623/24 dann doch in Grenzen. Lediglich einige Randgebiete, in denen die Besitzverhältnisse unklar oder jedenfalls kompliziert waren, mußten Einquartierungen und Übergriffe hinnehmen. Nachdem man Maximilian davon in Kenntnis gesetzt hatte, daß einige von seinen Truppen besetzte Dörfer um Heilbronn zu Württemberg und nicht zur Unterpfalz gehörten, ließ er die Kontingente abziehen645: Ein genauer Blick in die Akten zeigt also schon Unterschiede zwischen der Behandlung des Neutralen und der des Kriegsgegners. »Neutralitet« war im Winter 1623/24646 nicht einfach nur Chimäre. Das wurde sie bezeichnenderweise seit dem Winter 1627/28, nun brachen auch in Südwestdeutschland alle Dämme – angesichts des Ausmaßes der Aufrüstung unter Wallenstein (und der Verwüstung seiner seitherigen Quartiergebiete) war im Vorfeld des Restitutionsedikts, mit dem die scheinbar unaufhaltsam siegreiche katholische Seite ihre Kriegsziele zu realisieren gedachte, an eine Schutzwirkung evangelischer Neutralitätsbeteuerungen gar nicht mehr zu denken. Es wimmelte nun von katholischen Truppen im Schwäbischen, auch im neutralen Herzogtum, man konnte die vielfältigen Belastungen und Belästigun642 Vgl. Rätegutachten vom 6. und vom 11. Oktober, HStASt A29 Bü. 37 bzw. A90A tom. 38, fol. 44–48. – Allgemein zur reichsrechtlich fragwürdigen und umstrittenen Kurtranslation auf den Bayernherzog Gotthard, Säulen des Reiches, Bd. 1, S. 100–112. 643 Vgl. Ferdinand II. an Maximilian von Bayern, 1623, Nov. 16 (Or.), BayHStA Kasten schwarz 35, fol. 219. 644 So lautet die Notiz Maximilians auf dem Entw. eines Schreibens an Tilly vom 8. November 1623: BayHStA Kasten schwarz 35, fol. 224 – eine Kopie des Briefes sollte an den württembergischen Herzog gehen, und wohl eben deshalb wurde die Passage zu Bethlen Gabors Umtrieben nachträglich gestrichen. 645 Vgl. undat. Notiz [ Januar 1624] in BayHStA Kasten schwarz 1863. 646 Ich gewann generell den Eindruck, daß in jenen 1620er Jahren, deren archivalische Hinterlassenschaft ich besser als die jedes anderen vom Krieg dominierten Zeitraums kenne, die kleineren schwäbischen Kreisstände deutlich ungenierter belastet wurden als das Herzogtum Württemberg, doch quantifizieren kann ich das nicht, auch läßt sich die Schutzwirkung der württembergischen »neutralitet« nicht gegen den Respekt vor dem (mäßigen, aber eben das kleinerer Grafschaften oder Reichsstädte übersteigenden) Abwehrpotential des Herzogtums verrechnen.

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gen gar nicht mehr überblicken – die Regimenter zogen »dags einen bald da, dags ander dorthin«.647 Etwaige Klagen wurden routinemäßig mit dem (auch vorher wahrlich nicht unbekannten!) Verweis auf »hohe unumbgengliche notturft« 648 beschieden, mit derselben Routine konnte man auf »inevitabilem necessitatem« verweisen, »welche kein gesez noch maß leidet«.649 Gegen »hohe notturft« und unvermeidliche Zwangslagen halfen keine Neutralitätserklärungen. Wir können einen Zwischenstand festhalten: Neutralitätsbekundungen mittlerer Potenzen waren nicht einfach nur Schall und Rauch, nur haben sie eben nicht zuverlässig und vor allem nicht semel pro semper gewirkt. Etwaige Verschonungen oder Erleichterungen mußten in jedem Einzelfall aufs Neue erbeten oder erkauft werden. Und die Schutzwirkung der »neutralitet« war von den momentanen Kriegsläuften abhängig, ein hoher Mobilisierungsgrad und ein steiles Machtgefälle waren ihr abträglich. Suchen wir noch eines der großen Reichsterritorien auf – Kurbrandenburg also! Der Kurstaat war seit 1626 wieder und wieder Transitland für fremde Truppen, anstatt das flächendeckend auszumalen, wähle ich für eine Stipvisite den Frühsommer 1631. Gustav Adolf hatte gerade seinen Brückenkopf in Hinterpommern durch die Eroberung von Greifenhagen und Gartz erweitert, damit den Weg ins restliche Vorpommern und nach Mecklenburg geöffnet. Solang seine Kräfte dadurch gebunden waren, erklärte er, die Neutralität des Kurfürsten zu akzeptieren, so der hinsichtlich der Durchmärsche und Musterplätze Unparteilichkeit zeige, sie also keinem oder allen einräume. Als es für den Schwedenkönig nützlich schien, forderte er dann freilich kategorisch den Durchzug; Georg Wilhelm replizierte bezeichnend, dann sei er für die Kaiserlichen nicht mehr neutral; darauf der Schwedenkönig: sonst werde eben er ihn als Feind behandeln. Die schwedischen Truppen zogen oderaufwärts ins Land. Zum Paß verlangte Gustav Adolf die Festung Küstrin. Bald stand der Großteil der schwedischen Armee im Kurstaat, wodurch sich Georg Wilhelm der Hofburg gegenüber so kompromittierte, daß Gustav Adolf nun frohgemut drohen konnte, so der Kurfürst nicht mit ihm paktiere, werde er sein Land durch dessen Räumung der kaiserlichen Rache preisgeben. Schließlich erzwang der Schwedenkönig den Anschluß650 nicht nur 647 Johann Friedrich an seinen nach Wien abgeordneten Hofrat Jakob Löffler, 1628, Mai 2 (Or.), HHStAW Antiqua 1153 Konv. 5. Er sehe sich sogar in seinem »hofstaat und hofgericht blocquirt«: dass. am 24. Mai, ebda. 648 Kaiserliche Resolution vom 2. August 1627 (Or.), HStASt C14 Bü. 367a. 649 »Ob inevitabilem necessitatem, welche kein gesez noch maß leidet« (Kaiser Ferdinand an den württembergischen Herzog, 1628, Januar 15, Or.: HStASt C14 Bü. 268) zogen im Januar 1628 Regimenter der Obristen Cratz, Verdugo, Cronberg und Curtenbach ins Schwäbische, einige Splitter auch ins Herzogtum. 650 Man muß zur Ehrenrettung des allzu häufig verlästerten Kurfürsten sagen, daß er sich gewisse Spielräume bewahrte – freilich eben nun außer Durchmarschrechten auch zwei

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mit solchen Drohungen, sondern durch eine militärische Demonstration: zog selbst seinen Truppen voran in die Mittelmark ein, ja, konzentrierte die Truppen um die Hauptstadt Berlin, ließ sie schließlich am 20. Juni in Schlachtordnung vor den Stadtmauern aufziehen, die Kanonen zielten aufs Schloß. Der Durchmarsch mündete in die militärische Bedrohung der Hauptstadt des (seitherigen) Neutralen! Es waren solche Erfahrungen, die den Großen Kurfürsten in seinem Politischen Testament von Neutralität abraten ließen651: »Dan das ist einmahll gar gewiß, wan Ihr darzu stille sitzen wurdet und gedencken, das Feuer seie noch ferne von Eweren Grenzen: Ewere Lande das Theatrum sein wurden, darauff man die Tragedi spillen. Ich geschweige der viellen Marchen und Remarschen, welche die Lande gentzlichen ruiniren undt treffen wurde«. 3.2.4.4 Die »raison de guerre« der Söldnerführer Es verschärfte die Akzeptanzprobleme der Neutralität in der ersten Hälfte der Frühen Neuzeit, daß Kriege damals von sehr selbständig operierenden Söldnerführern ausgefochten wurden, denen ihre eigenen finanziellen Interessen und sogar die lebenspraktischen Bedürfnisse ihrer Soldateska mehr am Herzen lagen als politische Vorgaben (um von völkerrechtlichen Grundsätzen gar nicht zu reden). Vor der Verstetigung und Verherrschaftlichung der Truppen im Zeichen des höfischen Absolutismus, also ehe das territorial ungebundene, nur für einen bestimmten kriegerischen Konflikt angeworbene Unternehmerheer zum stehenden Fürstenheer652, ehe das Vertragsverhältnis der Söldnerführer zum Dienstverhältnis, ehe der selbstherrliche Regimentschef zum landesherrlichen Festungen, vor allem aber Subsidien für Schweden. – All das wurde häufig geschildert, ausführlich schon bei Droysen, Gustav Adolf, Bd. 2, S. 248ff. (mit bezeichnenden Urteilen über die Neutralitätspolitik des Kurfürsten: »so jammervolle Windungen«, »mit dem Schwanken und Hintersichsehen hatte es für den Kurfürsten ein Ende«, »wurde die brandenburgische Neutralität zur Unwahrheit und zum nichtigen Schein«). 651 Konkret geht es in dieser Passage um den Fall, daß der Kaiser von Schweden »unbilliger Weisse angegriffen werden« sollte – dann »musset Ihr nicht dabey stille sitzen ...«: Politisches Testament Friedrich Wilhelms I. (von 1667), abgedr. bei Duchhardt, Politische Testamente, S. 165–186, hier S. 173. Vgl. unten Anm. 663. – Was ergibt unser Seitenblick auf den zeitgleichen polnisch-schwedischen Krieg? Das unermüdlich um seine Neutralität bittende Herzogtum Kurland wurde fast unaufhörlich das Opfer von Streifzügen, von Plünderungen; beide Kriegsparteien sahen sich berechtigt, beliefert zu werden, Subsidien einzustreichen, 1628 teilte das polnische Heer »das Herzogtum Kurland eigenmächtig in Quartier- und Proviantkreise ein«: Keller, Herzog Friedrich von Kurland, S. 181. Vgl. nur noch ebda., S. 187. 652 Die Formel vom »stehenden Fürstenheer« scheint mir die beiden zentralen Neuerungen auf den Punkt zu bringen: Die Truppe oder doch ein gewisser Kern (Kommandostäbe, Logistik, Heeresstruktur) bleibt über das Kriegsende hinaus erhalten; die Truppe steht, in sonst seltener Übereinstimmung mit der absolutistischen Ideologie, dem Fürsten zur alleinigen

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Regimentskommandeur mutiert war653, war das Akzeptanzproblem der Neutralität ein doppeltes. Selbst, wenn politisch maßgebliche Kreise erklärten, eine bestimmte erklärte Neutralität achten zu wollen, mußten es ihnen die militärisch maßgeblichen Kreise keinesfalls immer und überall nachtun, wobei zwischen bewußter Opposition zu politischen Vorgaben, deren gleichgültiger Mißachtung sowie ausdrücklich vereinbarter oder aber in stillschweigendem Übereinkommen praktizierter kühl kalkulierter Doppelzüngigkeit654 alle Nuancen vorkamen. Nicht nur Politiker konnten den reklamierenden und lamentierenden Neutralen darauf verweisen, daß man sich eben der »bellorum omnium ratio« beugen müsse (um den Polenkönig Sigismund III. von Wasa zu zitieren655), auch für führende Militärs war es ein gängiges Aushilfsmittel, auf ihre »raison de guerre«656 zu rekurrieren, eine »necessité qui n’eut jamais de loy«657 – denn »noth hab kein gesez«.658 »Neutralitet« war ein sehr schwaches Schutzschild, wenn Offiziere der Ansicht waren, militärische Sachzwänge exekutieren zu dürfen und zu müssen. Seine Truppen könnten »ja unterm blawen himel nicht lig[en] noch durch die luft flihen«, erklärte einmal der Oberbefehlshaber des polnisch-litauischen Heeres, Leo Sapieha659, womit zu Quartieren und Passagen aus seiner Sicht alles gesagt war. Albert Voßenhölen, ein keinesfalls den Neutralen widrig gesonnener Autor, wird 1673 spotten: »Frustra recitantur Leges apud milites, et Jocularis est dis-

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Verfügung – Durchsetzung des »Primats der Politik« hieß zunächst: Durchsetzung der unumschränkten Lenkungsmacht des Monarchen. Vgl. schon S. 168 Anm. 261. In Militärgeschichten firmiert, was ich hier anzudeuten versuche, häufig unter der Überschrift »Entmachtung der Obersten«. Es war ein Prozeß der Integration (das freilich nur langfristig, denn zunächst wurde die Truppe von der Geldanlage des Kriegsunternehmers zum Spielzeug des absolutistischen Fürsten, nicht zum Staatsapparat), der Disziplinierung, auch der Uniformierung (übrigens im doppelten Wortsinn). Natürlich war es für den Kriegsherrn bequem, wenn er bei Beschwerden der politischen Mitspieler reflexhaft erst einmal darauf verweisen konnte, daß sich die gerade angeheuerten Miettruppen leider Gottes nicht so penibel an politische Vorgaben zu halten pflegten. An Herzog Friedrich von Kurland, 1628, Mai 30, zit. nach Keller, Herzog Friedrich von Kurland, S. 182. Auf sie verwies Bernhard von Weimar, als sich von seinen Truppen im Winter 1637/38 geplagte, übrigens sogar gebrandschatzte eidgenössische Grenzorte beklagten: Gallati, Eidgenössische Politik, Bd. 2, S. 193. Das Zitat, leider wie häufig nicht belegt, bei Leffers, Wolfgang Wilhelm, S. 74. Mit diesen Worten faßte der württembergische Hofrat Andreas Lemblin die gängige Argumentation der Soldateska zusammen, um so fortzufahren: »sie werden nit hungers sterben wollen umb dieses landes willen«, deshalb dessen erklärte Neutralität wenig achten (Protokoll der Beratungen am 29. April 1622, HStASt A90A tom. 39, fol. 1040–1043; ich zitierte aus demselben Protokoll schon weiter oben: S. 608 mit Anm. 262). Nach einem Bericht des kurländischen Emissärs Grotthuss vom polnischen Reichstag am 17. Januar 1626: Ernst Seraphim (Hg.), Materialien zur Geschichte Kurlands unter Herzog Friedrich, in: Jahrbuch der Felliner Litterarischen Gesellschaft 1889, S. 20.

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putatio de jure apud eos, qui prae armorum strepitu jura exaudire non possunt, jusq[ue] omne in manu et armis gerunt.«660 3.2.4.5 »Das sich die underthonnen sobaldt nicht erhollen dürffen«: Beobachtungen im Holländischen Krieg Ob unseren Doktoranden auch zeitgenössischer Anschauungsunterricht gewitzt gemacht hat? Vom Sonnenkönig war keine zuverlässige Respektierung des Schutzbedürfnisses Neutraler zu erhoffen. Am 19. Februar 1672 berichtete Lorenz Georg von Crockow nach Berlin, man erkläre ihm hier an der Seine nur immer, der Kurfürst möge die Militäraktion gegen die Hollländer nun mitmachen oder sich für »neutral declariren ..., die Ruin des platten Landes wäre auf keine Mittel und Wege zu verhüten«.661 Solcher Zynismus wird den Großen Kurfürsten nicht erschüttert haben. Schon im Mai 1671 hatte er in einem Schreiben an Otto von Schwerin prognostiziert, »daß Ludwig entlich auff eine cattegorische erklerung dringen wirdt, vndt mich zu binden durch die Neutralitet dass ich keine freie hande behalten soll«, um das hinzuzusetzen: »Was Neutral zu sein ist hab ich schon vor diessen erfahren, vndt wan man schon die allerbesten conditiones hatt662, wirdt man doch vbel tractiret, ich hab auch verschworen mein leben lang nicht neutral zu sein«.663 Die Erwartungen Friedrich Wilhelms trogen nicht. Wiewohl sich anfangs die meisten Reichsstände heraushalten wollten, ja, nicht zuletzt aus Empörung darüber ließ Ludwig seine Truppen im Holländischen Krieg bevorzugt von Reichsgebiet aus operieren. Die Neutralen sahen fast unaufhörlich Anlaß zum Lamento, sie würden, wiewohl sie doch »in einer auffrichtigen Reichs-neutralität«664 660 Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 5. 661 Relation Crockows vom 19. Februar 1672, Brode, Urkunden und Actenstücke, Bd. 13, S. 61–63. Was Crockow kolportiert, ist sicher so gemeint: Wenn die niederrheinischen Besitzungen des Großen Kurfürsten weder durch einen unklaren Status noch durch erklärte Neutralität geschützt werden, kann er auch gleich an der Seite Frankreichs gegen die Holländer ziehen (man ergänze: um für die sowieso unvermeidlichen Kriegsschäden nach einem Sieg wenigstens Kompensationen erhoffen zu können). 662 Ludwig ließ durch Verjus schon seit geraumer Zeit auf »un traité exprès et formel« dringen, die zitierte Äußerung Friedrich Wilhelms wird sich hierauf beziehen. – Das Zitat: Friedrich Wilhelm an den Oberpräsidenten Schwerin, 1671, Mai 6, abgedr. bei Hirsch, Urkunden und Actenstücke, Bd. 12, S. 946f. 663 Auch die Fortsetzung ist interessant: »... vndt wurde mein gewissen damitt beschweren, Ich hab diesse gantze nacht wegen diesser wichtigen sache nicht schlaffen können, vndt hab Gott fleissig angeruffen, mir im sin zu geben was ich zu thun vndt zu lassen hette«. Spezifiziert werden die »gewissens«-Zweifel leider nicht. 664 So formuliert das kurtrierische »Beschwerungs-Memorial« fürs Reichstagsdirektorium vom 19. Juli 1673 (Abdr.: Continuatio XXVI. Diarii Europaei, S. 489–491), ehe die üblichen Raubzüge, Plünderungen usw. angeprangert werden.

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verharrten, »ubel tractiret«, alles werde dem »droit de guerre« untergeordnet.665 Sogar der Große Kurfürst, der sich doch eigentlich über die Schutzwirkung der Neutralität noch nie Illusionen gemacht hatte, schimpfte im September 1672, die französischen Truppen hätten im Klevischen seine Städte okkupiert, seine Besatzungen verjagt, kurz, »wie ein Feind« gehaust, wiewohl er doch »still gesessen« sei. Man kann es bemerkenswert finden, daß er anfügte, das Verhalten der ludovizianischen Truppen verstoße »wider das Recht aller Völcker« 666, wiewohl dieser Vorwurf floskelhaft daherkommt, nicht näher ausgeführt wird. In der Tat wird sich ja ein Spannungsverhältnis zwischen der herkömmlichen Kriegspraxis einerseits, zeitgenössischen Souveränitätsvorstellungen und ersten normativen Bemühungen um den Neutralenstatus in Völkerrechtsdarstellungen andererseits aufbauen. Nicht nur um die Gewährung von »Neutralité«, erst recht um ihre kriegspraktische Respektierung mußte man im Holländischen Krieg »bitten«, nach allen Seiten hin. Er müsse darum »bitten«, die Oberpfalz »mit dem Durchzug zu verschonen«, weil andernfalls auch die Gegenseite Transferrechte reklamieren werde, ließ beispielsweise im August 1673 der bayerische Kurfürst verlauten.667 Das hielt die kaiserlichen Truppen nicht davon ab, westwärts durch die Oberpfalz zu marschieren, obwohl Alternativrouten existiert hätten; auch Gebiete des erklärt neutralen Pfalzgrafen von Neuburg wurden tangiert.668 Es gab die üblichen Kollateralschäden, »und hat leider das Stüfft waldtsassen, die ämbter walldeckh, Eschenbach, Grawenwörth, awerbach, und das Landtrichter ambt zue Schlicht 665 Vgl. Decker, Frankreich, passim – man stößt das ganze Buch hindurch auf entsprechende Topoi. 666 »Erste Beantwortung« einer schriftlichen Eingabe Gravels an den Reichstag vom 23. September 1672 von kurbrandenburgischer Seite, abgedr. in [anonym], Deß Königl. Frantzösischen Plenipotentiarii Memorial, hier S. 312f. 667 Schriftlicher »Bescheid« des bayerischen Kurfürsten Ferdinand Maria für den kaiserlichen Emissär Leopold Wilhelm Graf von Königseck, 1683, August 13: Londorp, Acta publica, Bd. 10, S. 86–88. Der Kaiser replizierte abschlägig, er sei der festen »Zuversicht«, Ferdinand Maria werde ihm »als deß Reichs höchsten Oberhaupt für besagte meine armada einen innoxium transitum« klaglos einräumen, »weil dergleichen so gar keinem Stand deß Reichs mit Fug verweigert werden kan«: Leopold an Ferdinand Maria, 1673, August 23, ebda., S. 88f. Grundsätzlich teilte man in München diesen Rechtsstandpunkt. Der neuburgische Emissär Yrsch berichtete am 19. August 1673 aus Landshut nach Düsseldorf (Or.: BayHStA Kasten blau 79/1, fol. 132–137), der Kurfürst habe ihn bei einer Audienz mit dem Problem konfrontiert, wie man sich verhalten solle, so die kaiserliche Generalität Durchzug und Verproviantierung reklamiere, denn »ob zwar in dem Reich ein Standt dem andern innoxium transitum secundum constitutiones Jmperii nit wohl zuverwaigern«, mußte doch bei der derzeitigen »coniunctur« die »Verstattung auch eines unschädtlichen durchzugs andere pericula, und böse consequenzen« provozieren. Ferdinand Maria behauptete also nicht, ein spezifisches ›Neutralitätsrecht‹ hebe reichsrechtliche Traditionstatbestände auf. 668 Das zeigt passim das Material in BayHStA Kasten blau 79/1.

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dergestalt getroffen, das sich die underthonnen sobaldt nicht erhollen dürffen«. Es wurde gnadenlos »exorbitiert«, die Soldateska habe »vieh niedergeschossen, öffen, und fenster eingeschlagen«669 – kurz, die kaiserlichen Truppen zogen mit der zeitüblichen Rücksichtslosigkeit über neutralen Boden. Die bayerischen Proteste verhallten wirkungslos. Im Frühjahr 1676 ließ der Kaiser Truppen in den schwäbischen Exklaven des bayerischen Kurfürsten, in Mindelheim und Wiesensteig einquartieren. »Dis ist nun wider ... ein Newe Philosophy, die Ich nit Verstehe«, lamentierte die Graue Eminenz des Münchner Hofes, Caspar von Schmid670, aber aus kaiserlicher Sicht waren die Einquartierungen schon verständlich: Man wollte dem Dauerneutralen demonstrieren, daß er nicht besser wegkam als die anderen und daß er französischer Rückendeckung unerachtet verletzlich war. Summa summarum wird man dennoch konstatieren dürfen, daß der bayerische Kurfürst sein Territorium unbehelligter durch die Kriegswirren seit 1672 brachte als viele benachbarte Regenten des Schwäbischen und Fränkischen Kreises. Mußte sich Ferdinand Maria aus geostrategischen Gründen nur um die Respektierung seiner Neutralität von kaiserlicher Seite Sorgen machen, gehörte Pfalzgraf Philipp Wilhelm zu denjenigen Fürsten, deren Neutralität beide Kriegsparteien herzlich wenig achteten. Man habe von französischer Seite »grossen Schaden gelitten«, schimpften die Düsseldorfer zu Recht und folgenlos, Ludwig XIV. habe alles »mit der unumbgänglichen Kriegesraison entschuldiget«.671 Weil dem so war, halfen auch alle Bitten um »indemnisation« oder »satisfaction«, um endliche Verschonung vor weiteren Kriegsunbilden »mittels der getroffenen neutralitets tractaten« wenig672, Frankreich hat eben »die aufgerichtete neutralitets tractaten in vielerley weys und weg selbsten contravenyrt«.673 Doch gab es nach der anderen, der Wiener Seite hin nicht weniger Grund zur Klage: Man traktiere Philipp Wilhelm »als einen bey dem Krieg gantz uninteressirten reichs fürsten« mit »bestialien«.674 Er sei »so wenig eines, als andern theils feindt«, son669 »Extract aus einem schreiben von Amberg«, 1673, Sept. 3, ebda., fol. 180. 670 In einem Schreiben an den in schwedischen Diensten stehenden Diplomaten Esaias von Pufendorf: 1676, Februar 5 (Entw.), BayHStA Kasten schwarz 6710, fol. 166f. Dass. am 4. März (Entw.: ebda., fol. 179f.): »Ich will gern sechen ob Sie gewalth anlegen werden, dis ist nun wider ein effect der Teutschen libertät und freyheit, die mann dem Vorgeben nach, bey iezigem Khrieg zu manutenirn suechet«. 671 Erklärung des neuburgischen Vizekanzlers Stratman bei einem Treffen mit dem Großen Kurfürsten am 1. Oktober 1672, Protokoll der Gespräche in Kassel: Brode, Urkunden und Actenstücke, Bd. 13, S. 329. 672 Hierum kreisen fast alle Schreiben in BayHStA Kasten blau 7/21. 673 Pfalzgraf Philipp Wilhelm an seinen (gerade in Frankreich verhandelnden) Vizekanzler Stratman, 1672, Dezember 29 (Entw.), ebda., fol. 129f. 674 »Bestialien«, Exzesse, Brandschatzungen, die Gebiete mußten »mit durchmarchen und Remarchen ie länger ie mehr verderben« ...: Instruktion auf Johann Ferdinand von Yrsch für eine Wienreise, undat. Kpt.kopie: BayHStA Kasten blau 79/4, fol. 1–8.

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dern verharre in einer »auffrichtigen neutralitet«, habe also den »total ruin« seiner »Landten nit verdienet«.675 Die niederrheinischen Landstriche würden durch »unerhörte exactiones« zermürbt, Kaiserliche und Spanier wollten offenbar »ihren vorhin unnerträglichen quartiers last ... zu der Landten völliger untergang täglich ergrössern«.676 Warum nur wurde der Neutrale »wie ein offener feindt«677 behandelt? Es war ein Circulus vitiosus. Jeder einzelne Übergriff verschuldete nicht nur je und je seine konkreten materiellen Schäden, jeder Durchmarsch, jede Einquartierung ermunterte die andere Kriegspartei, gleich zu verfahren, und konnte den instabilen Status des »neutralen« Zuschauers weiter schwächen. Um auch das in neuburgischen Worten zu sagen: Könne der Pfalzgraf französische Einquartierungen um Jülich nicht abwenden, drohe er »aus dem standt der neutralitet gesetzet« zu werden, oder er müsse »den Hollendern undt Spaniern ... gleiches fahls in unser landt zu gehen« erlauben.678 So taumelte man in Düsseldorf von einer peinigenden Notlage in die andere. Dabei war bislang von der wohl drastischsten 675 Bericht Yrschs über Gespräche mit Montecuccoli, 1673, Dezember 28 (Or.), ebda., fol. 29– 36. Bei erneuten Gesprächen am 4. Januar 1674 kam Yrsch dem kaiserlichen Spitzenmilitär reichsrechtlich: »Insonderheit aber werde man ia considerieren, ob es particulare vel universale bellum Jmperij seie, si prius, zaige sich von selbsten, daß derselbe sine damno, et periculo tertij Jnnocentis zueführen; si posterius (warvon ich gleichwohlen nichts wisse, noch einiges conclusum Jmperij gesehen hette [!]), müeste man doch nach selbiger meinung eines Reich kriegs verfahren, und keinem standt allein den last auf den Hals laden«. Montecuccoli: es tue ihm »von Herzen laidt«, so sei er eben, der Krieg ... Man werde »disciplin« anordnen. (Am Rande erwähnt: bei einer wohl vergleichbaren ›Belehrung‹ des Reichsoberhaupts wurde dieses undiplomatisch, vermutlich an der soeben mit einem Ausrufungszeichen markierten Stelle: »Jlle füele mir in die redt, vermeldent, sie halten Jhn für einen Reichs Krieg« – Relation vom 31. Dezember 1673, Or.: ebda., fol. 51–55.) 676 Bericht Yrschs aus Wien, 1674, März 4 (Or.), ebda., fol. 214–216. Philipp Wilhelm an einen ungenannten Adressaten in schwedischen Diensten, 1674, Dezember 19 (Kpt.kopie), ebda., fol. 466: »Diese meine landen seindt vor einem Jahr durch die von den Kayserl. Völckern genommene Winter Quartier, so dann durch die Spanische Exactiones und Contributiones, auch durch die Holländische damahlige Violentien und sonsten durch continuirliche gedauerte march undt remarche allerseits Kriegs Völcker also mitgenommen worden, daß meine arme landen den total ruin vor augen haben«, jetzt beziehen die kaiserlichen Truppen erneut Winterquartiere ... Yrsch mahnte deswegen unentwegt in Wien, die Standardantwort lautete auf Milderung in Abhängigkeit von den Kriegskonjunkturen, nie auf komplette Verschonung – letztere also hat man nicht einmal versprochen. 677 Vortrag Yrschs in Wien am 30. April 1674 (Kpt.kopie?), ebda., fol. 387–390. Bericht Yrschs vom 7. Januar 1674 (Or.: ebda., fol. 41/43): Erklärte dem spanischen Gesandten an der Hofburg, daß sich Philipp Wilhelm immer als »neutraler« Reichsfürst bewährt habe, er sei »mit keinem kriegendten theil impliciert, und wurdten sich dergestalt nit zwingen lassen. Ich wisse nit, warumb man Euer hochfürstl. dl. also feindlich zueseze«, es gebe doch auch Reichsstände, »die bey disem Krieg in neutralem stanndt friedlich still sizen«. 678 Philipp Wilhelm an Theodor Heinrich Altet von Stratman, 1672, Dezember 6 (Entw.), BayHStA Kasten blau 7/21, fol. 86f.

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Mißachtung der Neutralität im Holländischen Krieg noch gar nicht die Rede! Der Kurpfalz wurde ihre anfangs neutrale Haltung von französischer Seite so grausam vergolten679 wie danach freilich auch ihr Wechsel ins kaiserliche Lager. Die kriegsflankierende Publizistik ist voll von Meldungen, die illustrieren, daß Neutralität nach wie vor keine zuverlässige Schutzwirkung entfalten konnte – man schaue nur einmal in den Teutschen Kriegs-Kurier680 oder in die London Gazette681. Wenn letztere im Spätwinter 1673, nach Lüttich blickend, wahrnahm, das ganze Hochstift sei »at presence so miserably ruined by the Spaniards, who, nothwithstanding the Neutrality[,] exact excessive sums of Money, by way of Contribution«682, deutet diese Formulierung wie die weiter oben zitierte kurbrandenburgische an, daß man bereits ein Spannungsverhältnis zwischen erklärter Neutrality und der Ausbeutung für Kriegszwecke konstatieren konnte, ohne, daß solche leise Bedenken irgend auf die Kriegspraxis durchgeschlagen hätten. Vielleicht könnte man hier anreihen, daß es eine Eloge auf den Großen Kurfürsten, auf die Anfänge des Holländischen Krieges zurückblickend, (freilich beiläufig) »jetzo dahin gestellet seyn« lassen wollte, ob Kriegführende einfach so nach Belieben, wie damals die Franzosen am Mittel- und Niederrhein, »in einem dritten und Neutralen territorio sich eines Platzes bemächtigen« dürften.683 Man konnte derartige Behelligungen des Neutralen also schon für rechtlich zweifelhaft halten. (Völker)rechtliche Bedenken gegen die Beeinträchtigung der territorialen Souveränität des Neutralen gehörten aber in der damaligen Publizistik nicht zu den Leitmotiven. Wir wissen schon, daß sich der anonyme Autor des »Machiavellus gallicus« 1675 darüber echauffierte, daß Neutralität im Holländischen Krieg politische Anlehnung an den Reichsfeind und seine militärische Begüns679 Vgl. hierzu detailreich Ludwig Häusser, Geschichte der Rheinischen Pfalz nach ihren politischen, kirchlichen und literarischen Verhältnissen, Bd. 2, Ndr. (der Erstausgabe von 1845) Heidelberg 1924, S. 625ff. »Wie dann Karl Ludwig einen Boten ins Elsaß schickte, um sich bei dem König selbst zu beschweren, ward ihm bedeutet: das sey die verdiente Strafe für die Neutralität« (ebda., S. 628). Ich zitiere noch eine Passage, die für die traditionelle Einstellung der Historiographie zur Neutralität bezeichnend ist, ebda., S. 629: »Die Folgen der Neutralität hatte Karl Ludwig jetzt schwer genug empfunden, um gesundere [!] Rathschläge anzunehmen und den Weg zu befolgen, den ihm die angeborne Pflicht des deutschen [!; das Adjektiv gesperrt gesetzt] Fürsten anwies. Er trat entschiedner auf die Seite des Reiches«. 680 Vgl. beispielsweise Der Teutsche Kriegs-Kurier vom 25. November 1675: Die Franzosen haben ein Schloß und fast die Hälfte eines Dorfes bei Speyer eingeäschert, ferner eine Wegstunde vor der Stadt einen Weintransport aufgebracht, »vorgebend, daß der König die Neutralität allein der Stadt Speyer, und nicht ausserhalb verwilliget hätte«. Andere Beispiele erwähnt Schultheiß-Heinz, Publizistik, S. 231f. 681 Ich stieß bei kursorischer Lektüre in den Nrr. 858, 893f. und 931 auf Ausführungen zur »neutrality«. Vgl. aber außerdem Schultheiß-Heinz, Publizistik, S. 263. 682 The London Gazette Nr. 858 (»from Thursday February 5 to Monday February 9« 1673), Sp. 3 (Kursivsetzung von mir). 683 [Anonym], Kurtzer Entwurff der Glücklichen Thaten, S. 28f.

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tigung kaschierte. Er resümiert so: »In währendem Kriege machte der König mit etlichen Teutschen Fürsten eine Neutralität, bediente sich darunter deren Länder zum Durchzuge, auch Munition, Proviant und Retirade. Da aber ein gleiches selbiger Reichs-Fürsten natürlichem Ober-Haupt, dem Römischen Kayser, Jure Vasallagiis subjectionis vel saltem Neutralitatis, solle zugestanden und erwiesen werden, muste es eine greuliche Injuri, und offenbahre Feindsehligkeit gegen die Frantzosen heissen. Zwar denen Frantzosen wäre es auch wohl ohne Neutralität erlaubt, in dem Reich Durchzug zu thun, Quartier zu machen, in Contribution zu setzen ...«684 Der Vorwurf des unbekannten Pamphletisten zielt darauf ab, daß Neutralität für Frankreich krasse Parteilichkeit impliziere (das war es, was uns in Kapitel C.3.1.3.4 an dieser Flugschrift interessierte), aber seine Ausführungen lassen ferner durchscheinen, wie selbstverständlich sowohl für Ludwig XIV. als auch für den Autor selbst Neutralität keinesfalls vor Truppentransfers schützte. Dem Resümee des faktischen Verhaltens der Franzosen folgt die normative Aussage, dem Kaiser stünden (der Lehnsbande wegen, aber auch) »Jure ... Neutralitatis« Truppentransfers zu, und der Schlußsatz lehrt uns, daß der Neutrale dieses spezifischen Status wegen Durchmärsche besonders (!) bereitwillig hinzunehmen habe – Neutralität schützte also diesem Autor zufolge nicht etwa nur unvollkommen vor Passagen, sie lud in besonderer Weise zu solchen ein. Wir können auf die beiden ersten neuzeitlichen Jahrhunderte zurückblicken: Der begriffsdefinitorische Schwebezustand begünstigte in ihnen einerseits die Konjunktur der »neutralitet«, die als multipel anpassungsfähiges politisches Konzept immer wieder gesucht und erprobt wurde. Die völkerrechtliche Leerstelle beließ viel Raum für flexibles politisches Ausloten. Weil ziemlich dehnbar war, was schon oder noch als »neutrales« Verhalten bezeichnet werden konnte, lösten etwaige »rupturen« keinen möglicherweise ja gerade unerwünschten Zugzwang aus, man konnte ihnen auch kulant begegnen, konnte sozusagen mit erneuter Begriffsarbeit anstatt mit Kanonendonner reagieren. Aber die Kehrseite solcher Flexibilität hieß eben: ziemlich geringe Schutzwirkung. Nicht nur die Pflichten des Neutralen, auch seine Rechte waren disponibel, bis hin zum Recht auf territoriale Integrität. Weil »neutralitet« so elastisch daherkam, ließ sie sich über viele Verhältnisse und Konstellationen stülpen, aber die Schutzfolie war eben dünn. Ein zuverlässiges Schutzschild ist die vorklassische Neutralität nicht gewesen.

684 [Anonym], Machiavellus gallicus (unfol.)

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4. Topoi des vormodernen Neutralitätsdiskurses »Dans le droit des gens« gebe es keine »matière plus confuse, plus complexe«.1 Nein, »aucune autre partie du droit des gens n’a été laissée dans un état plus anarchique que la neutralité«2: Jene modernen neutralitätsgeschichtlichen Monographien, die Kapitel C.1 gesichtet hat, pflegen über die Konturenlosigkeit ihres Themas zu klagen, seine »oscillations continuelles« – es handle sich da um »quelque chose d’incohérent et d’inchoatif«3, die Befunde seien »obscure et indécise«.4 Weil diese modernen Autoren ihre Kenntnisse anderen modernen Autoren, ferner Vertragssammlungen verdanken, wissen sie nicht, daß ihre vormodernen Kollegen vergleichbar geklagt haben.5 »Haec materia difficilis est«6: Das Thema galt als dornenreich.Von der Neutralität im Krieg »zu handlen, ist ein schweres Vornehmen, deßgleichen, glaub ich, nicht ist in allem, das von Standen, Regimenten vnd Herrschafften, gehandelt wird«, urteilte eine anonyme Abhandlung um 16007, und sie hätte sich damit auf Giovanni Botero berufen können, dessen »Aggiunta« zur Neutralität mit der Einschätzung einsetzen, es handle sich hier um eines der diffizilsten Probleme der Wissenschaft vom Staat.8 Man konnte sogar den Topos von der Schwierigkeit des Themas gelehrig belegen, so wußte Martin Mager von Schönberg 1625: »Hac in quaestione certi quid definire, periculosum esse dicat Ware.ab Ehrenberg.«9 »Hic Labyrinthus est Ariadnae filo indigens«10, drechselte, das Topische fast bis zur Unkenntlichkeit rhetorisch aufputzend, 1661 Heinrich Schemel. Sein Doktorandenkollege Johann Georg Koseritz behauptete 1638, daß zu diesem leidigen Thema »Auctores nihil fermè

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Politis, La neutralité, S. 37. Sultan, L’évolution du concept, S. 1. Schopfer, Le principe juridique, S. 82 bzw. S. 98. Kleen, Lois et usages, S. 1. Man kann es merkwürdig finden, daß sie auch nicht über das Spannungsverhältnis zwischen ihrer Grundannahme, wonach »Neutralité« ein fixes Konzept sei (man sucht ja die klassische Neutralität in der Vormoderne), und solchen Stoßseufzern über die Konturenlosigkeit der Befunde nachdenken. Hoenonius, Disputatio XIII, S. 583. [Anonym], Vnpartheyligkeit, fol. Aij. Vgl. Truyol y Serra, Botero, S. 457. Das in der letzten Anmerkung genannte Schriftchen mag den Topos tatsächlich von Botero übernommen haben, bietet es doch, sprachlich unbeholfen, halbverstandene Botero-Versatzstücke. Mager von Schönberg, De advotatia, S. 284. – Eberhard von Weyhe (»Waremundus ab Erenberg«), Meditamenta pro foederibus, S. 270: »haec materia difficilis«, »periculosum est quicquam certi definire«. Schemel, Dissertatio politica, S. 31; Rat schüfen vor allem Botero und Neumayr.

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reliquerint« – »apud plerosque arbitror fuisse causam incertitudinem ejus ac varietatem ob circumstantias«.11 Auctores nihil fermè reliquerint? Da hat der Nachwuchsgelehrte geschummelt. Er suggeriert eine Originalität, die sein Thema nicht hat. Es gibt schon eine stattliche Reihe von »Auctores«, die sich zur Neutralität im Krieg geäußert haben. Und doch finden wir in den nicht gar so raren Ausführungen dazu selten Originelles oder auch nur gänzlich Neues. Die gedruckten Auslassungen zu diesem Thema erweisen sich als Montagen der immergleichen Werturteile und Bilder. Man bediente sich nach Geschmack im Bestand von vielleicht drei Dutzend Topoi, die zusammengenommen das Gerüst des vormodernen Neutralitätsdiskurses ausmachen. Versucht man, die auf den zweiten Blick überschaubare Gruppe von immer wiederkehrenden Topoi zu systematisieren, lassen sie sich restlos drei Aussagekategorien zuordnen: Neutralität ist unklug; Neutralität ist unehrenhaft; Neutralität ist sündig. Gewiß wären bei den drei Rubrizierungsversuchen Modifikationen möglich: Neutralität ist gefährlich (deshalb eben unklug); sie ist schändlich, weil ehrlos; sie ist schändlich, weil gottlos. Es kommt nicht auf die genaue Formulierung der Etiketten an, interessanter ist, daß alle wiederkehrenden Wertungen und Bilder umstandslos in eine der drei so charakterisierten Schubladen passen – was auch besagt: Es gibt keinen einzigen Topos, der positive Wertungen konnotierte! Weil auf den folgenden Seiten publizistische Zitate die archivalischen überwiegen, hätten sie auch weiter oben angereiht werden können, als Kapitel 2.4 »Fragen quer zu den Gattungsgrenzen« an die vormoderne Publizistik stellte. Aber manche der publizistischen Topoi12 finden wir schon auch in politischen Akten der Zeit – was zeigt, daß man an den Schalthebeln der Macht von den gedruckten Wortmeldungen Kenntnis genommen hat; und das hier gewählte Prozedere rechtfertigen dürfte, gedruckte wie archivalisch nachweisbare Klischees im Zusammenhang vorzustellen, nachdem zuvor, gleichsam isoliert, zunächst die publizistische Behandlung der »neutralitet« (Kapitel C.2), danach der archivalische Niederschlag der vormodernen Neutralitätspraxis (Kapitel C.3) nacheinander fokussiert worden waren. Das den »Topoi« gewidmete (C.4) wie das ihm folgende, neutrale Vermittlungsaktivitäten behandelnde Kapitel (C.5), 11 Koseritz, Disputatio politica, fol. A2. Vgl. schon [anonym], Vnpartheyligkeit, fol. Aij: schwierigstes Thema, »darumb dann ich mich nicht weis zu erjnnern, das ich hieuon bey den alten Scribenten jemahls etwas gefunden oder gelesen habe«. Hingegen bekennt Schrötering, Dissertatio, in der Einleitung, so auf Latein den Running gag (um nicht schon wieder vom Topos zu sprechen) aller mittelmäßigen Proseminararbeiten vorwegnehmend: Er sei nicht der erste Autor, »qvi in tam spatioso campo decurrere auderet«. 12 Ob es alle wären, so wir in Archivbeständen gezielt nach Suchworten wie »neutralitet« fahnden könnten? Daß im Folgenden eindeutig gedruckte Belege dominieren, hat mutmaßlich methodische Gründe, Gedrucktes läßt sich rascher durchforsten.

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natürlich ohnehin das resümierende Abschlußkapitel (C.6) speisen sich sowohl aus vormoderner Literatur als auch aus Akten.

4.1 Neutralität ist unklug »Neutrales periculum quod declinare volunt, plerunque incurrunt«13: Daß Neutralität in »Gefahr« setze, »periculum« heraufbeschwöre, daß diese politische Option »unsicher« oder »non tutum« sei, glaubte jedermann zu wissen. Es ist die Hauptmelodie aller Ausführungen zum Thema, die nicht penetrant moralisieren, und wird von den anderen subsidiär herausgestrichen.14 Daß »der mitler oder neutral weg ... nichts wärth, sondern voller gefahr sey«, stand bei allen sonstigen Unsicherheiten dieses leidigen Themenfeldes unumstößlich fest, denn »es halten auch alle weltweise vnd in Regimenten erfahrene Leuthe oder Politici, nach anbietung vnvmbstoßlicher gründe vnd vnzehlicher exempeln die Neutralitet für ein vber die massen schädliches vnd gefährliches werck«.15 »Es bezeugen« – um nur noch eine Variation der immergleichen Melodie zu bieten – »die Historien, vnd vornehmer Politicorum Regeln, daß alle vnpartheyligkeiten sehr gefährlich seyn«.16 Warum war die im politischen Alltag doch durchaus geläufige Neutralität so gefährlich? Zunächst einmal wußte die Vormoderne, daß man mit diesem politischen Konzept keine Freunde gewann. »Der Sieger will keine verdächtigen Freunde ... Der Besiegte aber gewährt dir keine Zuflucht«, urteilte schon an 13 Besold, Dissertatio Politico-Juridica, S. 91. Neutral zu sein, ist »non tutum«: ebda., S. 93. Der zuerst zitierte Satz steht wortgleich bei Hoenonius, Disputatio politica VII, S. 382. 14 Auch deshalb würde eine stupide quantitative Auswertung ein Überwiegen von Topoi wie »Neutralität gebiert keine Freunde« oder »Beute des Siegers« über Topoi wie »hält es gleichzeitig mit Christus und dem Antichristen« erweisen. Doch ergäben Strichlisten ein schiefes Bild, nicht nur deshalb, weil die Blütenlese dieses Kapitels ja keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann: Die moralisierenden und/oder theologisierenden Pamphlete des Konfessionellen Zeitalters sind ganz eindeutig und zentral an moralischer Diskreditierung der Neutralität interessiert; daß dieses unmoralische Verhalten in der frühen politologischen Literatur auch noch als unklug charakterisiert wird, kann man beiläufig registrieren, um das Verdammungsurteil noch vernichtender zu machen oder seine Belesenheit herauszustreichen, aber was hier die Strichliste »Neutralität ist unklug« anwachsen lassen würde, sind eben wirklich Beiklänge. Umgekehrt sprechen die politologischen Pionierwerke bewußt (davon in der Kunst kluger Politik Distanz zu gewinnen, gehört ja gerade zu den Konstitutionsbedingungen dieser neuen publizistischen Gattung!) nicht von »Gott oder Teuffel«, wenn sie Neutralität im Krieg thematisieren, hier bekäme die Strichliste »Neutralität ist sündig« also keinen Zuwachs. Aus ›Strichezählen‹ gewonnene Summen würden suggerieren, daß überall deutlich Klugheitsmaximen überwögen, dem ist aber nicht so. 15 [Anonym], Gespräche und Discursen, fol. 12. 16 [Anonym], Traw, Schaw, Wem, S. 24.

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der Schwelle zur Neuzeit Niccolò Machiavelli.17 Seine verhohlenen Epigonen pflegten es aber, weil deklarierter Antimachiavellismus Christenpflicht war, nicht mit dem Florentiner, sondern mit Livius zu sagen – wußten also, daß »la voye de neutralité, neque amicos parat, neque inimicos tollit«18: »Ce n’est pas le moyen d’eviter un ennemy, ny de se concilier un amy.«19 Was gelehrte Abhandlungen gern lateinisch oder französisch sagten, konnte ein politisches Gutachten aus der Anfangsphase des Dreißigjährigen Krieges so auf den Punkt bringen: Man wisse, daß »die Neutralitet keinen freundt macht«.20 Kurfürst Christian II. von Sachsen quälten im Herbst 1610 Pro und Contra eines Beitritts zur Liga; daß er sich im November vorübergehend dazu durchgerungen hatte, tatsächlich den Anschluß ans katholische Lager zu suchen, begründete er in einem Schreiben nach Coburg so: Es sei »auff die neutralitet nicht vielmehr zu bauen«, die Zeitumstände zwängen dazu, sich »umb gute freunde umbzusehen«.21 Der Neutrale gewann keine Freunde – Publikationen konnten den dutzendfach begegnenden, insofern schon etwas abgenutzten Slogan ausschmücken, beispielsweise so: »Neque amicos paret, dum vtraque pars auxilium Neutralistae frustra expectat, neque inimicos tollit«22; »also entzeucht man sich durch diese lawlichte arth die Freunde, wendet die Feinde nicht abe«.23 Oder, man koppelte den beliebten Livius-Lehrsatz mit einem beliebten Livius-Bild, der Neutralität als der »mittleren« Straße (die, wie wir gleich noch sehen werden, ein Irrweg war): »Media via neque amicos parat, neque inimicos tollit«.24 Genau diesen Satz zitiert übrigens auch der ganz auf eine bestimmte, praxisrelevante politische Frage, nämlich die Gründung der evangelischen Union abzielende ulmische 17 Machiavelli, Der Fürst, S. 94. 18 Bodin, Les six libres, S. 180. Schon bei Livius kann man nachlesen, daß Neutralität »neque amicos parat, neque inimicos tollit«: Ayala, De Jure et Officiis, Bd. 1, fol. 13. Livius lehrt, daß Neutralität »neque amicos paret, nec inimicos tollat«: Textor, Synopsis juris gentium, S. 104. Von Neutralität gilt der anerkannte Grundsatz »neque amicos parere, neque inimicos tollere«: Neumayr von Ramsla, Neutralitet 1620, Vorrede; [anonym], Vnpartheyligkeit, fol. Aiij; Schemel, Dissertatio politica, S. 4. Auf Polybios meint Vogt, Specimen juris gentium, S. 11 rekurrieren zu müssen, dieser Autor nämlich urteile von der Neutralität: »Neque amicos parat, neque inimicos tollit«. 19 [Anonym], Le politique du temps, S. 43. 20 Undat. Gutachten (ca. 1620, sicher vor 1623) in Staatsarchiv Bamberg C47 Nr. 75. 21 Christian an Johann Kasimir von Sachsen-Coburg, 1610, Nov. 7 (Entw.), HStADr Locat 8806 Siebzehende Buch Jülichische Sachen, fol. 269–274. 22 Mager von Schönberg, De advocatia, S. 284. 23 [Anonym], Politischer Discurs, Ob sich Franckreich, fol. Biij. 24 Hoenonius, Disputatio politica VII, S. 382; Besold, Dissertatio Politico-Juridica, S. 91. »Media via nec amicos parit, nec inimicos tollit«: Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 15. »Media via illa est quae neque amicos parat, neque inimicos tollit«: Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 17.

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»Discurs Uber die Bundtnussen«25, als Marginalie. Neutralität ist diesem Gutachten zufolge »viel mehr schädtlich dann nützlich«, weil der Neutrale »vonn dem obsiegenden Theill gemeiniglich auch vndertrückt wirdt, Dann es ist und bleibett wahr, das die Neutralitet keinen freundt machet, auch entgegen keinen feindt aufhebtt«.26 Media via neque amicos parat, neque inimicos tollit – die Version für ein breiteres Publikum konnte beispielsweise so lauten: »Der Mittelweg, oder die Mittelstrasse machet keine Freunde, und befreyet nicht von Feynden«. 27 Wer keine Freunde hatte, wurde nicht einfach nur ignoriert, sondern überall scheel angesehen: »Er ist beyden Verdächtig, und helt jhn keiner vor seinem freund«28; »Neutrales mediosque, ab utraque parte male accipi necesse est«29; dort30 sind die Neutralen »zum allerwenigsten grobe narren«, hier aber »werden sie zum allerwenigsten für schlechte Gesellen gehalten«. Wie klagte doch der Stuttgarter Hofrat Benjamin Bouwinghausen am 7. Mai 1622 in einem Schreiben an den württembergischen Agenten in Wien, Jeremias Pistorius? Hier halte man sie für »spanisch«, dort aber »für corrumpirte leuth«.31 Eine Projektskizze aus der Zeit des Holländischen Krieges weiß, daß die »Neutralitet ... leicht von andern und etwa dem feind so wohl als freund in übele consequentz« gezogen wird.32 Der Neutrale war nicht nur keiner Seite Freund, war beider Feind, »helt jhn ein jeder vor seinen Feind«.33 Neutrale waren »inimici omnibus«.34 Wenn die Neutralen keiner mochte, hatten sie auch eine geringschätzige Behandlung zu gewärtigen: »Ab utrisque male tractarentur«35, wußte der Altphi25 Vgl. schon oben S. 345. 26 Discurs Uber die Bundtnussen, HStADr Locat 7272 1. Buch Unio und Zusammensetzung, fol. 253–266 (hier fol. 257). 27 [Anonym], Gespräch über das Interesse, S. 326. »... daß der mitler oder neutral weg ... keine freunde mache«: [anonym], Gespräche und Discursen, fol. 12. – »Unsern Neutralisten gehet es, leyder! nach der alten Regul, qui studet omnibus placere, is tandem nemini placet«: [anonym], Curiosa, nec non politica, S. 415. 28 Neumayr von Ramsla, Neutralitet 1620, Kapitel IV. 29 Gruter, Discursus, S. 344. 30 Meint in dieser apokalyptisch aufgeladenen Schrift: im Lager des Antichristen; für »schlechte Gesellen« hielt die Neutralen jeder aufrechte Protestant – [anonym], Postilion, Abschnitt Nr. 121. 31 Extrakt eines (abgefangenen?) Schreibens Bouwinghausens an Jeremias Pistorius, 1622, Mai 17, HHStAW Böhmen 64, fol. 74–77. 32 Skizze des Projekts einer oberrheinischen Neutralität, undat. Kopie: BayHStA Kasten blau 102/4 (unfol.). Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz an Kaiser Leopold, 1676, März 3 (Entw.), ebda.: ein rascher Friedensschluß wäre natürlich besser als diese »etwa dem feind so wohl als freünden, in üble consequenz ziehende, oder ausdeütende Neutralitet«. 33 Neumayr von Ramsla, Neutralitet 1620, Kapitel IV. 34 Hoenonius, Disputatio politica VII, S. 382. 35 Gruter, Discursus, S. 344.

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lologe Janus Gruter; der Professor, Verwaltungsexperte und Diplomat Eberhard von Weyhe urteilte drastischer, daß sie »ab vtraque factione perdebantur«.36 Um vollends auf die Seite der politischen Praxis zu treten: Der kurbrandenburgische Rat Nikolaus von Langenberg äußerte in einem Memorandum die Überzeugung, daß »diejenige, welche sich auff angedeute weiß mit der Neutralitet zu behelffen unterstehen«, geradezu zwangsläufig, weil nämlich »keine Perthey [sic] im Krieg noch im Frieden sich irer annemen« wird, »immer dem Raub und Gewalt unterworffen seyn« mußten, »ja, werden auch ... dafür geachtet, quod omniubus [sic] sint inimici, tanquam qui aliorum malis laetentur, et quod propter incritiam et vilitatem Rem publicam deserant«.37 Neutralität gebiert keinen Freund, aber zwei Feinde? Das ist »der Nutzen darvon«, nämlich aus der Neutralität, »daß man damit Feindtschafft erkaufft von beeden Theilen«, resümiert eine Flugschrift Erfahrungen des Böhmisch-pfälzischen Krieges.38 Christoph Lehmanns »Florilegium politicum« definiert so: »Neutralisten seynd beyder Theil feind«.39 Galt dann nicht auch, daß sie »vtriusque praedae«40 waren? Weil es die Durchlässigkeit über Stilebenen und Sprachen hinweg illustriert, zitiere ich zu dieser Frage noch ein eigentlich ganz populär-appellativ daherkommendes Pamphlet von 1620: »Johanes Bodinus helt darfür, daß die, welche sich zu keiner parthey halten, endtlich beyden partheyen, wenn sie sich widerumb vergliechen, in das netz fallen«.41 Eine Sammlung von Sprichwörtern und Sentenzen beginnt ihre Abteilung »Auß der Neutralitet« mit der Einsicht, »daß wer es mit keiner vnder zwoen Partheyen helt, der wirt endlich beyden zur Beuth«.42 Vor allem aber waren sich Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts sicher, daß der Neutrale Beute des Siegers wurde. Man hat das nicht etwa zeitgenössischen Kriegen abgeschaut, sondern alten Autoritäten oder untereinander abgelesen – wie sollten auch die flüchtigen Zeitereignisse vor den köstlichen immergültigen antiken Maximen bestehen! Weil sie ja nur wie im matten Abglanz bestätigen konnten, was Livius schon viel besser formuliert hatte, griff man lieber gleich dort zu. Und schon die Alten hatten eben gewußt, daß der Neutrale »praeda victoris« wurde. Fast alle gelehrten Abhandlungen kennen die Formel43, sie fand von dort 36 »Erenberg«, Meditamenta, S. 268. 37 Langenberg, Discvrs, S. 54. 38 [Anonym], Andere Schildtwacht, fol. B. Hier wird wirklich einmal zeitgeschichtlich argumentiert. 39 Lehmann, Florilegium politicum, s. v. »neutral«, Sentenz Nr. 9. 40 Böckler, Libellus de quiete in turbis, S. 39; »vtrisque praedae relinqui«: Beyerlinck, Syntagma, S. 27. 41 [Anonym], Traw, Schaw, Wem, S. 24; »... werden beyden partheyen zur beut«: ebda. 42 [Anonym], Continuatio der Newen Zeitungen, s. v. »Auß der Neutralitet«. 43 Vgl. nur, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Justus Lipsius, Libri sex 1590, S. 115; »Erenberg«, Meditamenta, S. 268; Saavedra, Abris Eines Christlich-Politischen Printzens, S. 1071; [anonym], Vnpartheyligkeit, fol. Aiij; Hoenonius, Disputatio politica XIII, S. 583; Besold,

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auch Eingang in tagesaktuelle Flugschriften. So urteilt eine am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges vorgelegte Abhandlung »Über die Uniones«: Neutral zu sein, »würde sich fast nicht leiden wöllen«, unter anderem »propter periculum, da gemeiniglich in solchen Fällen die Neutral-Stände praeda victoris«.44 Drei Jahre nach dem Fenstersturz warnte ein angeblicher »Sendbrieff« aus Böhmen nach Nürnberg, Neutralität sei »gar gefehrlich. Dann gemeinglich gehet das Spiel aus vber den Zuseher, der des Obsiegenden Theils Raub seyen mus. Wer sich nun zwischen zwey Balger menget, der wird leichtlich auff beyden theilen verwundet.«45 Ein fingierter Dialog, der die Eidgenossen zum Anschluß an Gustav Adolf animieren sollte, lehrt dies: Zu den »richtschnür vnd regulen« der Außenpolitik gehört, daß »die zuseher des Kriegs in der Nachbarschafft dem obsiegenden theil zur beut werden«.46 Und ein fingierter Brief Ludwigs XIV. an Papst Clemens IX. frohlockt: »Wenn uns diese Practique«, nämlich die anderen Herrscher im Konflikt Frankreichs mit den Holländern zur Neutralität zu verführen, »wird angehen, daran wir keinen Zweiffel tragen, wollen wir alle Fürsten und Potentaten ohne alle Gnade zur Beute bekommen«.47 Der Neutrale, »praeda victoris« – man konnte die Formel mit anderen Versatzstücken des Neutralitätsdiskurses koppeln, beispielsweise so: »Neutrales periculum, quod declinare volunt, plerumque incurrunt ..., certa fiunt victoribus praeda«.48 Der Neutrale, »praeda victoris« – natürlich suchte man auch zu dieser Formel Variationen, gelegentlich begegnet die Formulierung »praemium victoris«.49 Auch sie fand man übrigens bei Livius50 (oder einem Kollegen, der sie bei Livius gefunden hatte). Nach unserem Verständnis ist in den entsprechenden antiken Passagen ja nicht von Neutralität die Rede – die Antike hat über die weltgeschichtliche Konstante, daß an einem Krieg kaum je alle denkbaren Akteure teilgenommen haben, nach allem, was wir wissen51, nicht reflektiert, hat Nichtteilnahme an einem Krieg nicht konzeptualisiert. Diese historische Differenz ist unseren Autoren nicht bewußt. Da die ersten beiden neuzeitlichen

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Dissertatio Politico-Juridica, S. 91 («victoribus praeda«); Gruter, Discursus, S. 348; Koseritz, Dissertatio politica, fol. A2 (»praeda victoribus«); Mager von Schönberg, De advocatia, S. 284; Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 10 (»victori enim praedae«); Schrötering, Dissertatio, Thesis XVII; Vogt, Specimen juris gentium, S. 2 Anm. b und S. 11. [Anonym], Über die Uniones, S. 366. [Anonym], Wichtiger Sendbrieff, fol. Diij. [Anonym], Gespräche und Discursen, fol. 12. Der lateinische Text dieses zweisprachig präsentierten ›Briefes‹ formuliert, natürlich: »praeda nobis victoribus erunt« – »Epistola«, vgl. oben S. 223 Anm. 449. So lehre es Bodin: Hoenonius, Disputatio politica VII, S. 382. Vgl. Gruter, Discursus, S. 348; Mayer/Mayer, Quaestio Politica, fol. B4. »Praeda victoris«: Livius, Römische Geschichte, Buch XXXII, Kapitel 21; »praemium victoris«: ebda., Buch XXXV, Kapitel 49. Vgl. schon oben S. 387.

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Jahrhunderte gleichsam auf dem Weg – einem langen, gewundenen Weg voller Unwägbarkeiten – zu einem Neutralitätsrecht waren, hat man auch hierbei, wie für alle denkbaren Lebenslagen, Wegweisung durch die überzeitlich gültigen Ratschlüsse der antiken Autoren gesucht. Das griechische und römische Denken über Krieg und Frieden war der Denkfigur Neutralität indes so wenig affin, daß eine solche erst gar nicht entwickelt, reflektiert, konturiert wurde; strich man diese historische Differenz, ließen sich viele antike Äußerungen zu Krieg und Frieden, zumal aber die vom Geist des römischen Imperialismus imprägnierten, als Neutralitätskritik verwerten. Der Neutrale, praeda oder praemium victoris – man konnte es auch etwas anders sagen, schließlich bildeten sich unsere Autoren ein, gute Lateiner zu sein: »Ab alterutro victore tandem opprimatur«52; »ab alterutro victore sine ullo gratiae aut dignitatis respectu tandem opprimatur«.53 In der ludovizianischen Ära schrieb der Mann von Welt französisch, wußte er also, daß »aprés [sic] tout l’on est la malheureuse victime du vainqueur, qui sacrifie ce faux Politique«, nämlich die Neutralité, »à sa colere«.54 Populär gehaltene deutschsprachige Flugschriften führten aus, daß man sich als Neutraler »dem obsigenden theil preiß« gab55 – »der jenig welcher zwaien kriegenden Nachbawrn zusihet vnnd stillsitzet, hat gewiß zu außgang deß kriegs den sighafften theil im haar«.56 Ein unter bayerischen Akten verwahrtes Memorandum vermutlich kurmainzischer Provenienz formuliert es so: »Die historien bezeugen, dass die neutralstände beider theil raub gewesen und dem victori zur beut geworden.«57 Das hatte sich auch an den deutschen Kurhöfen herumgesprochen, man lebte ja nicht hinter dem Mond.

52 Schemel, Dissertatio politica, S. 5. 53 Koseritz, Disputatio policita, fol. A2. Auch die Variante ist von Livius inspiriert – Römische Geschichte, Buch XXXV, Kapitel 49: »sine gratia, sine dignitate praemium victoris eritis«. Koseritz hat es aber aus Gruter (und meint, der zitiere hier Tacitus). 54 [Anonym], Le politique du temps, S. 43. 55 [Anonym], Politischer Discurs Ob sich Franckreich, fol. Bij. 56 [Anonym], Copie Vertrewlichen Schreibens Wentzeln von Meroschwa. 57 Der unbekannte Autor zieht also die in gedruckter Literatur gebotenen Topoi »vtriusque praeda« und »praeda victoris« zusammen, fährt übrigens so moralisierend fort: »Darumb ist besser, auch gegen Gott und die welt ehe zu verantworten«, wenn man sich zu einer der »partheien« schlägt (natürlich zu derjenigen, die den Augsburger Religionsfrieden richtig interpretiert, also zur katholischen Liga – das Memorandum bezieht sich auf kursächsische Erwägungen im Winter 1610/11, der Liga beizutreten; da Johann Schweikhard von Mainz sehr am Projekt eines überkonfessionellen Bundes aller Kaisertreuen interessiert war, der Leiter des anderen Ligadirektorats, der Bayernherzog, Abstriche am katholischen Charakter der Liga hingegen erbittert bekämpfte, dürfte einiges für einen mainzischen Autor sprechen). Aus dem »Discurs« zitiert, ohne hinreichende historische Einordnung, BA, Bd. 11, Anm. 1 zu Nr. 9 (auf S. 33).

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Analysieren die folgenden vier Abschnitte einen Topos? Oder schweife ich von meinem Thema ab? Konterkariere ich gar meine Behauptung, alle Topoi des vormodernen Neutralitätsdiskurses seien abschätzig? Wir wissen schon, daß »Discorsi« des 16. Jahrhunderts Neutralität vor allem als Option militärisch schwacher Gemeinwesen (und in der historischen Praxis nahmen ja in der Regel eben solche kleineren, auch mittlere Potenzen zu diesem Konzept Zuflucht!) verdammten, während sie der Neutralität des Mächtigen manchmal sogar etwas abgewinnen konnten. Diese Einschätzung finden wir auch in einigen gelehrten Abhandlungen des 17. Jahrhunderts, freilich eher beiläufig: Wer so mächtig ist, daß er die Rache des Siegers nicht fürchten muß, »is tutò Neutralis manere potest«.58 »Necesse est, ut iste, qui neutrarum partium se profiteri volit, aeque dignitate quàm potentia superet eos«, die sich bekämpfen.59 Wiewohl diese Einschränkung der politologischen Neutralitätskritik in den einschlägigen gelehrten Arbeiten nur sporadisch – und dann wie gesagt beiläufig – begegnet, ist sie doch in einige der dem aktuellen Zeitgeschehen weniger entrückten und populärer geschriebenen Pamphlete herabgesickert. Ein rabiat neutralitätsfeindliches Elaborat macht doch diese Einschränkung: Es stehe fest, daß man Neutralität »meyden vnd fliehen solle, man were dann so mächtig, daß man sich für dem theil, so obsiegen möchte, nicht zu förchten habe«.60 Ein anderes verdammt Neutralität vehement als unchristlich und teuflisch, bemerkt offensichtlich gar keinen Widerspruch zwischen solcher moraltheologischer Fundamentalkritik und folgendem Kräftekalkül in einer gleichsam politologischen Passage: »Vber das ist auch keine Neutralität niergendts worzu nutze, wo sie nicht einen gewissen Scopum vnd Absehen hat, daß nemblich der, so die Neutralität hält 1. so viel Mittel habe, daß er aller beyder Theil sich bemächtigen könne. Oder aber 2. so starck were, daß er sich ins Mittel legen köndte, vnd gewisse ordre einem vnd dem andern vorschreiben ... Oder aber müste 3. gewärtig seyn, daß er von beyden Theilen zugleich vffgefressen würde.«61 Eine jener ziemlich raren Flugschriften, die (anstatt einer aktuell interessierenden Frage mit überzeitlich gültigen Exempeln bevorzugt antiker Provenienz beizukommen) die eigene Gegenwart intensiv ins Visier nehmen, das militärische Zeitgeschehen detailliert analysieren – mit anderen Worten: die gleichsam zeitgeschichtlich argumentieren und insofern vom Ballast des Angelesenen unabhängig zu 58 Besold, Dissertatio Politico-Juridica, S. 92. 59 Koseritz, Dissertatio politica, fol. B. Vgl. noch Mager von Schönberg, De advocatia, S. 284: Wenn etwaige Dritte »ita viribus ac potentia pollent, vt ab vtroque belligerantium, quocunque belli alea cadat, se defendere possint, adeoque tuti sind vt metuere non habeant necesse, se victoribus fore praedam, sed eo casu non immerito, nisi alia subsit faciendi contrarium causa, neutrales manere possunt«. 60 [Anonym], Gespräche und Discursen, fol. 12. 61 [Anonym], Magna Horologii Campana, Tripartita, S. 65.

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sein scheinen –, weiß doch zum Thema Neutralität cum grano dasselbe: »Die Neutralitet wer keinem Stand deß Reichs Nutz, als den jenigen Ständen, so proprio Marte auf alle begebende fälle sich defendiren vnd beeden parten widerstand thun könden.« Daraus folge, »das die Neutralitet seye der geringen Stätt vnd Ständen jhre Sterb- vnd Verderbsucht«.62 Hat diese Flugschrift vor allem die (militärisch durchgehend schwachen) Reichsstädte im Visier, warnt eine andere speziell die Nürnberger vor der Neutralität: »Der obsigt wirdt jhnen vil zu starck sein«.63 »Der schwach ist, kan nicht neutral bleiben, sondern muß mit einem Theil vnten oder oben liegen«64, führt die Sentenzensammlung Christoph Lehmanns aus. In der politischen Praxis suchten natürlich vor allem die »Geringen«, die »Schwachen« ohne eigene Kriegsziele Zuflucht zur Neutralität, nicht nur in der Mitte Europas, und das wird auch der Grund dafür sein, daß die politologischen Pionierwerke den Gedankengang »für Starke kann Neutralität ein erwägenswertes politisches Konzept sein« nicht weiter ausmalen. Spurenelemente des Motivs finden sich gleichwohl in den Archiven, beispielsweise65 urteilten die »Älteren und Geheimen der Stadt Ulm« am 12. März 161066, »Neutralitet« sei verderbenbringend, zumal »dem Jhenigen Stand, so Neutral sich halten wurde, wenig geholffen, do der sonderlichen, die Macht nit hette, den widerigen theil (welchem die Neutralitet ungefellig) von feindlichem vorhaben abzuwenden«. Auch ein vermutlich kulmbachisches Gutachten weiß, daß Neutralität allenfalls einmal für starke Potenzen als Option in Frage komme, und nie als (vermeintlicher) Ausweg aus momentaner Bedrängnis: Denn in »nottfällen« werde Neutralität »für ein irrweeg gehalten«.67 Nun kam es freilich auf die Haltbarkeit dieses Konzepts im »nottfall« an, und war nicht jeder Krieg ein solcher? Wir können ein Zwischenfazit ziehen: Eine recht kleine, aber vielleicht doch nennenswerte Minderheit jener Texte, die Neutralität als gefährlich denunzieren, adressiert diese Warnung vor allem oder sogar ausschließlich an Schwache. Insofern durfte der Gedankengang »Neutralität ist allenfalls für Starke eine erwä62 63 64 65

[Anonym], Andere Schildtwacht, fol. B. [Anonym], Copie Vertrewlichen Schreibens Wentzeln von Meroschwa. Lehmann, Florilegium politicum, s. v. neutral, Sentenz Nr. 6. Elaboriert wird der Gedanke in keinem mir bekannten archivalischen Schriftstück, undeutliche Anklänge können sporadisch begegnen. Der uns schon bekannte »Discurs uber die Bundtnussen« (HStADr Locat 7272, 1. Buch Unio und Zusammensetzung, fol. 253–266) kennt, neben grundsätzlicher Neutralitätskritik, auch diesen Gedankengang: Es heiße, daß »demjenigen, so nit ubermechtig sei, die Neutralitet vielmehr schädlich denn nüzlich sey«. Darf man auch das wohl mainzische Gutachten anführen, von dem in Anm. 57 die Rede war? »Neutral zu sein, wurde nicht ohne gefahr zugehen, weil man im notfal keinem theil zu widerstehen mächtig genug sein wurde«, heißt es dort (recht allgemein). 66 Or.: Staatsarchiv Nürnberg, Unionsakten 13. 67 Undat. Gutachten (wohl um 1620, sicher vor 1623), Staatsarchiv Bamberg C47 Nr. 75.

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genswerte Option« wohl in diese Topoi-Revue eingereiht werden, auch wenn er keinesfalls zu den geradewegs obligatorischen Auslassungen zum Thema gehört. Obligatorisch waren hingegen vielfältige Warnungen. Wen militärische Schwäche, schwache Entschlußkraft oder moralische Haltlosigkeit zum Fehlschluß verleiteten, sich lieber »neutral« heraushalten zu wollen, der wurde zwischen den Kriegführenden aufgerieben »velut granum inter duos molares«.68 Etwas gnädiger als das Bild mit den beiden Mahlsteinen meinte es das von den beiden Stühlen mit dem Neutralen, er wurde hier nicht zerquetscht, aber er plumpste zwischen den haltgebenden Sitzgelegenheiten herab. Er befand sich eben nicht (einem noch heute gängigen, aber nicht themenspezifischen Sprichwort folgend) zwischen allen, doch »zwischen beyden Stülen«.69 Auch Akten kennen das Bild: Man müsse achtgeben, daß man sich nicht »zwischen zwaien Stuelen nidersitz«, mahnte am 2. Juli 1546 der neuburgische Rentmeister Gabriel Arnold den pfälzischen Kurfürsten Friedrich70, weil der sich im Schmalkaldischen Krieg auf seine »neutralitet« versteifte. Ferner begegnet das Bild von den beiden Achseln recht häufig. Man habe das »vnteutsche« Wort neutral »verteutscht: beyderley, weil sie gemeinlich vff beyden Achseln tragen«71, spottet eine Sentenzensammlung von 1620 – eine Worterklärung, die noch eine Dissertation von 1735 wörtlich übernehmen wird!72 Natürlich ließ sich, was hier als Übersetzungsvorschlag präsentiert wird,

68 Besold, Dissertatio Politico-Juridica, S. 91 und Schemel, Dissertatio politica, S. 5; »tanquam granum inter duos molares«: Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 13; »diuturnitate belli velut granum inter duos molares ... atteratur«: Mager von Schönberg, De advocatia, S. 284; »non ignoro, conari multos id statuere, inutile omninò esse, eà de causâ, quod necesse sit, ut qui medium se velit, aut diuturnitate belli velut granum inter duos molares, ipse quoque atteratur« oder aber Beute des Siegers wird: Koseritz, Dissertatio politica, fol. A2. – Das vergleichbare Bild, wonach »der jenige, so zwischen zweyen Fechtern stehe, von beyden seiten getroffen werde« ([anonym], Gespräche und Discursen, fol. 12), könnte ein Unikat sein. 69 »Die zwischen beyden Stülen nieder sitzen«: Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 18. Vgl. Wild, Memorial, fol. C. »Meinet ihr nicht, ihr guten wanckelnden Neutral-Hertzen, es werde euch einsten auch so gehen, daß ihr zwischen Bäncken und Stühlen zu sitzen kommt?«: [anonym], Curiosa, nec non politica, S. 401. 70 Kopie: BayHStA Kasten schwarz 16671, fol. 177–179. 71 [Anonym], Continuatio der Newen Zeitungen, s. v. »Auß der Neutralitet«. 72 Gohren, Dissertatio inauguralis, S. 3f. Anm. a: das »Wörtlein neutral« sei »undeutsch«, unter anderem habe man es »verdeutschet, beyderley, weil sie gemeiniglich auf beyden Achseln tragen«. Nur orthographisch anders Schrötering, Dissertatio, Thesis I. In allen drei Fällen (war Schrötering die Quelle Gohrens?) folgt als Übersetzungsvorschlag »untreu« (dazu gleich mehr). – »Die auff beyden Achseln tragen«: Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 18. »Als trügen sie auff beeden Achseln«: [anonym], Vnpartheyisches Vrtheil Auß dem Parnasso, fol. 95 (was hier aber nicht kritisch gemeint ist).

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auch lateinisch sagen: »Nunquam enim bonum fuit, duabus anchoris niti«.73 Für eine »Leicht-Predigt« auf Gustav Adolf gehört das Übel der Neutralität zu den Gründen für Gottes offenkundigen Zorn. Er hätte »solches sein Werck ... ohne allen Zweiffel, zu einem erwünschten End gebracht, wann wir jhme nicht durch vnsere Sünden gleichsam die Hand gebunden« hätten; nach der Sünde der »Vnbußfertigkeit« (und vor der Verurteilung kriegspraktischer Exzesse) steht dieses Lamento: »Wie viel seynd auch gewesen, bey welchem dieser theure Held, für sein Lieb vnd Trew, für sein Sorg vnd Arbeit, für sein angewendtes auffgesetztes Gut vnd Blut, wenig Danck verdienet, man hat dero schlechten Vorschub gethan, nicht conjunctis viribus den Feind angreiffen, sondern viel lieber auff beeden Achseln tragen wöllen«.74 Gereon Sailer wußte sogar, von Augsburg aus gutgläubig der bayerischen Scheinneutralität im Schmalkaldischen Krieg zuschauend, welche Last der Neutrale auf seine beiden Achseln packte: »Und also gat es, wann man auf poden seiten will wassser tragen.«75 »Wolt jhr auff beyden Achseln tragen, so müst jhr beyden würcklich mit Geld beyspringen«76, warnte ein Flugschriftenautor die Reichsstädte vor den Folgen der Neutralität im Böhmisch-pfälzischen Krieg. Übrigens konnte man die beiden zuletzt angeführten Motive auch kombinieren: »Wer auff beyden Achseln trägt, der sitzet zwischen zweyen Stülen nider«.77 Der Neutrale zwischen zwei Mahlsteinen, zwischen zwei Stühlen – vor allem aber wohnte er unbequem zwischen Ober- und Untergeschoß. Dieses heute vergessene Bild war im 16. und 17. Jahrhundert nahezu obligatorisch bei Auslassungen zu unserem Thema. Der Neutrale bewohnte die mittlere Etage, wo er von unten mit Rauch belästigt, von oben aber je nach Stilempfinden des Autors blaß mit »Staub«78, deutlicher mit »Vnrath«79 eingedeckt, wo er »beschüttet«80, 73 Hoenonius, Disputatio politica XIII, S. 583. »Nunquam enim bonum fuit ... duabus anchoris niti, et tutissimus qui minimum gratificatur hostibus«: »Erenberg«, Meditamenta, S. 268. 74 Corberus, Threnologia Sveco-Regia, S. 23. 75 Sailer an Landgraf Philipp von Hessen, 1546, Juli 17: Lenz, Briefwechsel, Bd. 3, S. 439. »Etzlich haben auff beyden Achßlen Wasser getragen«: Dieterich, Leichklag, S. 10. 76 [Anonym], Wichtiger Sendbrieff, fol. E; ähnlich fol. Aiij. 77 Lehmann, Florilegium politicum, s. v. neutral, Sentenz Nr. 16. Ähnlich Sentenz Nr. 15. Bringt Sentenz Nr. 5 (»er kan auff zweyen Sätteln reiten«) nicht ein positiv konnotiertes Bild? Der Anfang derselben Sentenz stellt es wieder in Frage: »Der Neutralist ists weder Fisch noch Fleisch« (ich erläutere diesen eindeutig abschätzigen Topos gleich). [Anonym], Nova nova antiqua continuationis weiß, »daß die utriusque, das ist auf beiden Achselnträger, bald dörften inter utrumque, das ist zwischen beiden Stühlen, darnider sitzen«. 78 Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel IV. Wenig deftig auch Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 12 (»... â susperioribus [sic] casum, ab inferioribus fumum metuere debet«). 79 Vgl. Anm. 86. 80 »Daß wer mitten im Haus wohnt, der wird von oben herab beschüttet, vnd von vnden hinauff beräuchert«: [Anonym], Continuatio der Newen Zeitungen, s. v. »Auß der Neutralitet«.

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»begossen«81, nur mit »wasser«82 oder doch eher »con l’urina«83, »urinâ«84, »lotium«85 oder »Harn«86 bedacht, so »besaicht«87 wurde. »Qui media in domo habitant, ab inferioribus inhabitantibus fumo necantur, à superioribus perminguntur«88 – aber das ist nur ein lateinisches Beispiel für zahlreiche, und dieses eines von vielen deutschsprachigen: »Gehe den Neutralisten anders nicht, als einem der in der Mitte eines Hausses (in welchem drey vnterschiedliche Haußgenossen sindt) Wohnet, von den vntern wirdt er mit dem Rauch, von dem Obern aber mit dem Urin beschwert, also werden auch die neutralstände beropffet vnd berupffet«.89 Sollen wir die Tatsache, daß die harmlose Begießung des Neutralen mit »wasser« erst im 18. Jahrhundert aufkam90, eher einer Abmilderung der neutralitätskritischen Einstellung des gelehrten Mainstream oder aber einer Verfeinerung des Stilempfindens im Jahrhundert der Aufklärung zuschreiben? Eine andere Frage ist noch interessanter: Haben sich auch die Entscheidungsträger des Bildes von der fatalen mittleren Etage bedient? Eine Flugschrift aus der Zeit des Holländischen Krieges unkt: »In Betrachtung so vieler Gewaltthätigkeiten« der Franzosen in der Anfangsphase des Krieges hätten die 81 »... von den Obern begossen, oder sonst unruhig, gemacht«: Zeiller, Centuria IV, S. 102. »Wer Neutral ist, der wird von oben begossen, von vnten bereuchert«: Lehmann, Florilegium politicum, s. v. neutral, Sentenz Nr. 10. 82 »Und gehet es nach dem ausspruche eines alten Politici, denen neutralen ingemein, wie denen, so den mittleren stock eines hauses bewohnen, daß ihnen von unten her der rauch, von oben das wasser beschwerlich wird«: Jablonski, Lexicon, s. v. Neutralität; vgl., ohne nennenswerte Abweichungen hiervon, Zedler, Universal-Lexicon, s. v. Neutralität (gleich nach der Begriffsdefinition). 83 So zitieren Besold, Dissertatio Politico-Juridica, S. 93 und ders., Politicorum Libri duo, S. 755 (»quali habitano nel primo palco della casa, che da quelli di sotto, sono travagliati co’l fumo, è da quei di sopra, con l’urina«); sowie orthographisch leicht abweichend Gohren, Dissertatio inauguralis, S. 7f. Anm. i und Mager von Schönberg, De advocatia, S. 284 Alphonsus Neapolitanus, alle aus zweiter Hand nach Botero. Mager von Schönberg selbst formuliert: »Neutralitatem seu mediam viam non esse tutam ... docemur. Sicut enim illi qui mediam domus partem inhabitant ab infimis fumo à superioribus vrina molestantur«. 84 »Ab inferioribus fumo, à superioribus verô urinâ molestantur«: Reyger, Thesaurus, s. v. Nevtralitas. 85 »... quos e superiori parti lotium, ex imâ fumus infestat«: Schemel, Dissertatio politica, S. 5. 86 Dem Neutralen geht es wie denen, »welche die im obern mit außschüttung des Harns vnnd andern Vnraths hefftig zu belästigen, die im vndersten aber durch den Rauch beschwerlich zu vexiren pflegen«: [anonym], Traw, Schaw, Wem, S. 24. Ähnlich [anonym], Politischer Discurs Ob sich Franckreich, fol. Biij. 87 [Anonym], Nova nova antiqua continuationis, S. 390. 88 So wortgleich Hoenonius, Disputatio politica XIII, S. 583; »Erenberg«, Meditamenta, S. 268; nur orthographisch abweichend Koseritz, Dissertatio politica, fol. A2 und Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 19. 89 [Anonym], Andere Schildtwacht, fol. A2. 90 Vgl. Anm. 82: Jablonski 1721 wie 1767, Zedler 1740.

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Deutschen, so sie sich von den französischen Sirenengesängen zur Neutralität hätten verlocken lassen, »in der That würden empfunden haben, was ich mich erinnere, S. Churfürstl. Durchl. [von Brandenburg] schon ehemahls«, nämlich offensichtlich im Vorfeld des polnisch-schwedischen Krieges, einem »Schwedischen Abgesandten bey der offerirten Neutralität mit Polen antworten lassen: Es pflege ins gemein von einer Neutraliät91 judiciret zu werden, daß dieselbe mehr schäd- dann nützlich wäre, dann wer in der Mitten wohnete, der müste von dem unter Jhm, allen Stanck auffriechen, von denen aber über Jhm müste er Jhme Staub und Unflaht lassen ins Gesichte werffen.« Leider konnte ich das hier Kolportierte nicht in Akteneditionen verifizieren.92 Wenn Neutralität keine Freunde, aber allseits Feinde eintrug, zur Beute aller oder doch des Siegers machte, selbstmörderisch zwischen Mahlsteine oder doch unbeqem zwischen Stühle und Emissionsquellen plazierte, war dieses politische Konzept unklug, deshalb zu meiden. Abhandlungen des 16. und 17. Jahrhunderts zogen auch dieses Resümee mit Livius: »media via nulla est«. Die Formel begegnet dutzendfach, als Quintessenz weltgeschichtlicher Erfahrungen mit der Neutralität oder auch unter ausdrücklichem Rekurs auf die große antike Autorität.93 Man fand sie offenbar so schlagend, daß nur selten Ausschmückungen oder 91 Sic! [Anonym], Kurtzer Entwurff der Glücklichen Thaten, S. 30. 92 Die schwedisch-brandenburgischen Verhandlungen über eine eventuelle Allianz gegen Polen sind bei Bernhard Erdmannsdörffer (Hg.), Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 4, Berlin 1877 sowie bei Max Hein (Hg.), Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 23.1, Berlin/Leipzig 1929 dokumentiert. Während der Berliner Beratungen rund um den bevorstehenden, dann anhebenden Nordischen Krieg (Erdmannsdörffer, S. 321ff.) wird Neutralität gelegentlich als mögliche Option im Verhältnis zu Schweden erwähnt, aber nicht breit ausdiskutiert, erst recht nicht grundsätzlich abgelehnt. Beispielsweise erlegt eine Instruktion für Verhandlungen in Schweden vom 21. August 1655 den Emissären Otto von Schwerin und Johann Ulrich von Dobrczenski auf, Schweden die brandenburgische Neutralität schmackhaft zu machen, man halte Neutralität in Berlin jetzt für die beste Wahl; die Nebeninstruktion für Georg Friedrich von Waldeck vom 11. Mai 1656 (erneut Verhandlungen in Schweden) erklärt in beiläufiger Selbstverständlichkeit: »Auch werden die Gesandten bemühet sein, die Neutralität mit dem Moscoviter vor Uns zu erhalten«. In den bei Hein abgedruckten Papieren vom Sommer 1655 ist ebenfalls wiederholt von einer brandenburgischen Neutralität die Rede, so erklärte der Schwedenkönig intern, er sei auch zufrieden, falls der Kurfürst »neutraliteten förslaget« (S. 207; vgl. die schwedische Instruktion auf S. 211). Aber den kolportierten Ausspruch Friedrich Wilhelms habe ich dort nicht gefunden. 93 Jede Belegliste frühneuzeitlicher Zitate dieses Ausspruchs, der angeblich eine Bundesversammlung der Achäer im Jahr 198 vor Christus zur Unterstützung der Römer gegen König Philipp V. von Makedonien aufrütteln sollte (Livius, Römische Geschichte, Buch XXXII, Kapitel 21), wäre unvollständig. Vgl. nur Bodin, Les six livres, S. 180; Ayala, De Jure et Officiis, Bd. 1, fol. 13; Justus Lipsius, Libri sex 1590, S. 114; »Erenberg«, Meditamenta, S. 267; Hoenonius, Disputatio politica VII, S. 382; Gruter, Discursus, S. 348; Besold, Dissertatio

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Variationen vorkommen: »Mediam enim in hujusmodi rebus, qui monstrat viam, nullam certè monstrat, in quam pedem figere liceat«.94 Auch Übersetzungen sind selten: »Wieder diese Mittelrähte giebet vns Aristhenes ein Praetor Achaiae eine stadtliche Antwort«, indem er denen, die den Achäern empfahlen, sich aus den Auseinandersetzungen der Römer mit dem makedonischen König Philipp herauszuhalten, »weiset, der vorschlag wehre nicht ein mittelweg, sondern gantz vnd gar nichts«.95 Diese gar nicht zielführende Neutralität war, um auch hier Akten zu Wort kommen zu lassen, eine »unglückseelige Straße«.96

4.2 Neutralität ist unehrenhaft97 Es war unklug, aber auch schimpflich, sich »zur schändtlichen Neutralität zu begeben«, sich auf »eine solche schändtliche Neutralität« einzulassen.98 Die Graue Eminenz des Dresdner Kurhofes, Kaspar von Schönberg, äußerte am 26. Dezember 1619 die Einschätzung, neutrales Verhalten verdiene keinen Respekt, provoziere »Despekt«.99 Dieses Wortspiel hat sich, so weit ich sehe, nicht eingebürgert, doch gab es eine Reihe anderer, immer wieder begegnender Wendungen, die zum Ausdruck brachten, daß neutrales Verhalten wenig respektabel sei. Zur Neutralität Zuflucht zu nehmen, war nicht mutig und mannhaft. Konnte man, während der verruchte Franzmann die Holländer quälte, »so Weibisch stillsitzen«?100 Schon ein Pamphlet aus der Anfangszeit des Dreißigjährigen Krieges hatte den Neutralen vorgeworfen, sie reagierten mit »Weibischen Gebärden, 94 95 96

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Politico-Juridica, S. 91; ders., Politicorum Libri duo, S. 755; Koseritz, Dissertatio politica, fol. A2; Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 17; Textor, Synopsis juris gentium, Bd. 1, S. 104; Vogt, Specimen juris gentium, S. 2 Anm. b. Hoenonius, Disputation politica XIII, S. 583. Denn man gebe sich so »dem obsigenden theil preiß«: [anonym], Politischer Discurs Ob sich Franckreich, fol. Biij. »Notamina« des nach Wien gesandten kurpfälzischen Emissärs Johann Georg Geyer, s. d. [ Januar 1676], BayHStA Kasten blau 102/4 (unfol.). Geyer kommentiert Vorhaltungen der Hofburg, das »notamen« zur »unglückseeligen Straße« lautet so: »Regulariter und den gemeinen schlag nach der Neutralitet, nicht aber wie es Chur Pfalz vorgeschlagen«! Allgemein zur Kategorie der »Ehre«: Kapitel A.3.1. Es kann im Folgenden nicht darum gehen, stupid nach dem Stichwort »Eer« zu fahnden. Es war nach vormodernen Maßstäben ehrverletzend, sich als politischer Entscheidungsträger der Zaghaftigkeit, Mutlosigkeit, Wankelmütigkeit, vergleichbarer – nach damaliger Auffassung! – »weibischer« Verhaltensmuster zeihen lassen zu müssen. [Anonym], Magna Horologii Campana, Tripartita, S. 67 bzw. S. 66. Lange Auszüge aus dem Protokoll der Dresdner Beratungen gibt, leider sprachlich ›modernisiert‹, Karl August Müller, Fünf Bücher, Bd. 1, hier S. 349. [Anonym], Nachdenckliches Gespräch (Erklärung »Freyholds«).

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Thränen vnd grämen«, wo »Hülffe, Rath vnd That« geschuldet seien.101 Oder war der Neutrale weder Mann noch »Weib«, nicht Hermes, nicht Aphrodite? Die Monographie Neumayrs nennt unter den Synonyma, die dieses undeutsche Wort erklären könnten, den »Zwitter«.102 Eine den Holländischen Krieg kommentierende Flugschrift läßt103 über »Unsere Hermaphroditen (mit keinem bessern Praedicat kan ich sie belegen) die Neutralistisch Gesinnten« wettern, und auch ein englisches Pamphlet weiß, daß Neutrale »content bo be an Hermaphrodite« seien.104 Übrigens scheint ein solcher pejorativer Beiklang schon der grammatikalischen mittelalterlichen Kategorie »neuter« eigen gewesen zu sein.105 Wenn diese Beobachtung stimmt, war der Terminus offenbar angesichts einer an gewaltaffinen Männlichkeitsidealen orientierten, bipolar strukturierten vormodernen Wertordnung gleichsam ›vorbelastet‹, und er brachte seine Anrüchigkeit demnach ›lediglich‹ in neue, nun außenpolitische Kontexte mit. Nicht Mann, nicht »Weib« – und »nicht fleisch noch fisch«?106 Auch in diese Zwitterstellung wird der Neutrale öfters gesetzt, manchmal gekoppelt mit einem eigenartigen anderen Bild, dem Krebsgang: »weder Fisch noch Fleisch, sondern ein Gerichte Krebß, die so bald zu rücke als vorgehen«.107 Man erinnerte sich an solche angelesenen Bilder offensichtlich auch in Diplomatenkreisen, denn am 11. Mai 1632 schrieb Gustav Adolfs Emissär Christoph Ludwig Rasche, der in diesen Monaten so rast- wie ergebnislos für ein eidgenössisch-schwedisches Bündnis warb, an die Zürcher, er wolle eine »endlich auf Fisch oder Fleisch angerichtete« Antwort der vier evangelischen Orte hören.108

101 »Johann Huß, genandt Martyr«, Böhmische Nebelkap, S. 9. 102 Neumayr, Neutralitet 1631, S. 504. 103 Man ergänze: einen Vertreter des Kurrheinischen Kreises – der unbekannte Verfasser versteckt sich hinter diversen Sprechern: [anonym], Curiosa, nec non politica, S. 401. 104 [Anonym], Neutrality condemned, S. 4. 105 So jedenfalls Oschema, Auf dem Weg, S. 88. Über seine Gesandtschaftsreise nach Konstantinopel im Jahr 968 berichtend, charakterisiert Liudprand von Cremona die Griechen als »molles, effoeminatos, manicatos, tiaratos, teristatos, mendaces« sowie, an diese wenig schmeichelhafte Kette von Attributen angereiht, »neutros« (Relatio de legatione Constantinopolitana, in: L. v. C., Opera, hg. von Joseph Becker, 3. Aufl. Hannover/Leipzig 1915, c. 54). 106 [Anonym], Gespräche und Discursen, fol. 41; »weder Fisch noch Fleisch«: Lehmann, Florilegium politicum, s. v. neutral, Sentenz Nr. 5. 107 Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 18; [anonym], Continuatio der Newen Zeitungen, s. v. »Auß der Neutralitet«: »Als habens etliche verteutscht, keinerley, das ist, weder Fisch noch Fleisch, sondern sonst ein verdeckt essen Krebs, die eben so bald hinder sich als vor sich gehen«. So noch wortgleich, nur orthographisch modernisiert, bei Gohren, Dissertatio inauguralis, S. 3f. Anm. a und Schrötering, Dissertatio, Thesis I. 108 Aus dem Schreiben zitiert, natürlich ohne Kenntnis der gedruckten Entsprechungen, Gallati, Eidgenössische Politik, Teil 1, S. 97.

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Dem Neutralen war kein bestimmtes Geschlecht (und zumal nicht das in Krieg und Politik maßgebliche mutig-männliche) eigen, kein kontinuierlich voranschreitender Gang – und auch kein richtungsfester, denn Neutrale wollten »den Mantel nach dem Winde hängen«. Auch diese Charakterisierung war stets abschätzig gemeint, nicht nur dann, wenn der Autor109 anfügte, daß solche Wetterfahnen »einen auffstössigen Eckel« provozierten. Dieser wertenden Erläuterung bedurfte es genauso wenig bei der Gleichsetzung »Neutralität heißt Untreue«. Sie ist pejorativer, als der moderne Leser beim ersten Hinschauen vermuten würde, denn hier schwang nicht nur der notorische Beiklang »unmännlich« mit, Treue war zudem der Zentralwert jenes Lehnswesens, das moderne Geschichtsstudenten allenfalls noch im Mittelalterproseminar kennenlernen, das aber natürlich für die ganze Vormoderne bedeutsam gewesen ist. Das Reich war politisches System und war Lehnsverband, war beides gleichzeitig.110 Der Vorwurf der »Untreue« evozierte deshalb immer auch den des Ungehorsams, der Illoyalität, damit, nach Lehnsrecht, der Illegalität. Dieses schwere Geschütz fuhren Autoren nicht, wie in der politischen Praxis die Hofburg, gewohnheitsmäßig auf, aber einige Druckwerke kennen die Gleichsetzung schon: »Neutralisten« seien »untrewe Brüder« und »Verräther«111, wer dem Strauß neutral zuschaue, müsse sich hinterher seine »Vntrew« vorhalten lassen.112 Oder, weite Verbreitung dieser Assoziation suggerierend: Man verdolmetsche das merkwürdige Wort »neutralitet«, wenn es nicht verstanden werde, gern als »vntrew«113 oder »untreu«114. Da es zu den Autostereotypen des »Teutschen« gehörte, (zwar vielleicht etwas ungehobelt, aber dafür allemal) mutig und treu zu sein, mußte eine als »weibisch« und »untrew« verstandene Neutralität »unteutsch«115 erscheinen, und in der Tat 109 Genauer gesagt: der von ihm vorgeschützte Sprecher des Oberrheinischen Kreises – [anonym], Curiosa, nec non politica, S. 415 (Neutrale wollen es »Wetterwendischer Weise mit beyden Partheyen halten«: das erlärt ebda., S. 401 ein Vertreter des Kurrheinischen Kreises). Halten es die Eidgenossen wirklich für ratsam, im Holländischen Krieg »still zu sitzen, den mantel nach dem wind zu richten«?: [anonym], Gespräche und Discursen, fol. 14. »Als die Römer wider die Fidener vnd Veier Krieg führten, wolte Metius Suffetius, König in Albania, den Mantel auch nach dem Wind hengen«: Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel IV. 110 Vgl. Gotthard, Das Alte Reich, S. 4f. 111 [Anonym], Duplex Census, S. 17; ich spitze etwas zu, aber der Autor bietet wohl doch eine Synonymenkette. Der Kontext: Viele danken Schweden seinen Einsatz nicht, »es sind Neutralisten, Opinionisten, Träumer, vntrewe Brüder, Quadruplatores vnd Verräther«. 112 Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel IV. 113 [Anonym], Continuatio der Newen Zeitungen, s. v. Auß der Neutralitet. 114 [Anonym], Nova nova antiqua continuationis, S. 390 sowie ihr oder einem ähnlichen Druck nach 135 Jahren kritiklos folgend Gohren, Dissertatio inauguralis, S. 4; schon zuvor hatte es Schrötering, Dissertatio, Thesis I abgeschrieben. 115 Neumayr, Neutralitet 1631, S. 504. »Undeutsch«: Gohren, Dissertatio inauguralis, S. 3f. Anm. a; Schrötering, Dissertatio, Thesis I.

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wird sie auch häufig so charakterisiert. Mit dem notorisch neutralen Neuburger Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm, »welcher uns am Narrenseil so lang herumgeführt«, müsse man »letztlich einmal teitsch« reden, monierte einmal der Kölner Kurfürst Ferdinand.116 Publizisten ließen gern, und wohl bewußt, Wortgeschichte (das lateinische »neuter«) und Semantik (ein deutschem Wesen nicht frommender Begriffsinhalt) ineinanderfließen. »Weil das Wörtlein Neutral vnteutsch«, suchten manche deutsche Synonyma, weiß eine Sentenzensammlung von 1620, »andere habens darvor gehalten, Neutral sey nichts anders als gut Spanisch, bemühe man sich also vergebens, dem Kind ein teutschen Namen zu geben«.117 »Cum vox Neutrale haud sit Germanicè dicatur«, mußte man es durch Wendungen und Bilder erklären118 – nicht wenige der auf den letzten Seiten ausgebreiteten Topoi kommen als derartige ›Übersetzungshilfen‹ oder angebliche Synonyma daher. Ich füge eine Beobachtung zum Schriftbild an: Noch im späten 17. Jahrhundert wurde »neutralitet« oder »Neutralität« (diese Schreibung beginnt nun üblich zu werden) nahezu durchgehend in ›lateinischen Lettern‹ gesetzt, also als Fremdwort empfunden. Der typographische Brauch hielt sich, mit nur langsam abnehmender Konsequenz, weit ins 18. Jahrhundert hinein.119 Ein auffallender Gegenbefund stammt aus dem Jahr 1757: Eine anonyme Flugschrift über »die Neutralität« schreibt nicht nur diesen Terminus durchgehend ›altdeutsch‹, bei der Formel »exacte Neutralität«120 wird »exact« in Antiqua, »Neutralität« in Fraktur gesetzt: Ersteres empfand der Autor offenbar noch als Fremdwort, die Neutralität nicht mehr. Gleichsam an der Nahtstelle zwischen der »schändlichen« und der »sündhaften« Neutralität sind Charakterisierungen angesiedelt, die den Neutralen als faul und träge kennzeichnen, ihm unterstellen, er verweigere die eigentlich geschuldete Hilfe – denn tätige Nächstenliebe war Christenpflicht. Ich verbleibe aber noch bei Topoi ohne explizit theologische Dimension. Der Neutrale, ein gar nicht harmloser Faulpelz: Schon Justus Lipsius wußte 1590, daß zur Neutralität Trägheit oder übermäßige Verschlagenheit verführten, »ignauia« oder »praua calliditas«.121 Wie lang Urteile des vielgelesenen Deutsch-Niederländers nachhallten, zeigt eine Flugschrift von 1673, die von denjenigen, die sich im Holländischen Krieg für neutral erklärten, weiß, daß sie sich »auß Faulkeit oder

116 Vgl. oben S. 628 mit Anm. 359. 117 [Anonym], Continuatio der Newen Zeitungen, s. v. Auß der Neutralitet. 118 Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 18. Es folgt dieser ›Übersetzungsversuch‹: nicht Fisch, nicht Fleisch, sondern Krebsgericht. 119 Vgl. nur [anonym], Kurtzgefaßte Frage (1734) oder [anonym], Rechtliches Bedencken (1746). 120 [Anonym], Die Neutralität, o. O. 1757, S. 10. 121 Justus Lipsius, Libri sex 1590, S. 115.

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irgends einer Verschlagenheit auff solche Art fürm Kriege gehütet«.122 Die Koppelung Faulheit-Verschlagenheit war aber nicht obligatorisch, häufiger begegnen Kombinationen wie »zagheit, trägheit, vnd faulkeit«.123 Neutrale »zeigen damit jhr ignorantiam vnd Vnverstand, oder jhren Geitz, jhr Faulkeit, vnd daß sie kein courage im Leib haben«.124 Der schon erwähnte schwedische Diplomat Rasche kannte auch solche Konnotationen, im März 1632 höhnte er vor der evangelischen Tagsatzung in Aarau, was »für eine Faulheit und Verräterey«125 die Neutralität doch sei. Recht häufig wird die Neutralität mit einem Verb charakterisiert oder auch erklärt, das man heute im Deutschunterricht nicht mehr durchnimmt: neutral sein heiße zu »temporisiren«. Weil wir das Wort nicht im Duden, wohl aber in Französischlexika finden und weil es auch französischsprachige Flugschriften (und sogar Akten126) bieten, könnte man es für eine Eindeutschung von französisch »temporiser« im Zeichen des ludovizianischen Kulturimperialismus halten, doch fiel mir das Verb vor allem in Elaboraten des Konfessionellen Zeitalters auf.127 Natürlich war die Wendung vom »schädlichen vnd lächerlichen temporisiren«128, wie alle hier begegnenden Klischees, abschätzig gemeint, aber warum? Der Vorwurf der Mutlosigkeit schwingt mit, des Zauderns und Zagens – der Neutrale war eben kein mannhafter Tatmensch. Aber der Vorwurf changiert auch hin zu Verschlagenheit (schließlich wußte der aufrechte Mann, daß Neutralität »lauter heuchlerey« war129), unehrenhaftem Abwarten, wie denn 122 123 124 125 126 127

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[Anonym], Von der allgemeinen Monarchie (unfol.). Hier zitiert nach [anonym], Gespräche und Discursen, fol. 40. [Anonym], Das Teutsche Klopff Drauff, fol. Aij. Aus dem Vortrag zitiert Fäh, Gustav Adolf, S. 26. Zum damaligen Wirken Rasches allgemein: Gallati, Eidgenössische Politik, Teil 1, S. 74ff. passim. »Le duc de Bavières ... temporisera comme neutral avec les autres«, prognostizierte am 13. März 1552 Antoine Perrenot de Granvelle in einem Schreiben an Königin Maria, die Statthalterin der Niederlande: Druffel, Briefe und Akten, Bd. 2, Nr. 1108. Auch die Neutralitätsmonographie Neumayrs kennt es: »Wo wird der jenige, so sich neutral gehalten vnd temporisiret hat«, seinerseits Beistand finden (Kapitel IV)? Eine Schrift nennt den Ausdruck sogar auf dem Titelblatt: Der Autor des »Duplex Census« kündigt dort an, gegen das anzuschreiben, was »von den Bäpstlern, Neutralisten, Zweyfflern vnd Temporisirern« agitiert werde – also vom konfessionspolitischen Widerpart sowie von denen, die sich neutralisierend, zweifelnd, temporisierend herauszuhalten suchten. [Anonym], Gespräche und Discursen, fol. 11. »Darumb ich auch vnser schädliches vnd lächerliches temporisiren verwerffe«: ebda., fol. 19; »kindisches Temporisiren«: ebda., fol. 21; man darf sich nicht »vnzeitigen temporisiren vnd fantasiren« hingeben: [anonym], Anderer jüngstgehaltener Discurß, fol. 40. Eder, Evangelische Inquisition, fol. 154. [Anonym], Ursachen Wodurch, fol. Diiij weiß, daß der Schwedenkönig dem ständig auf seiner »Neutralität« herumreitenden kurländischen Herzog Jakob gegenüber zu Recht auf eine »cathegorische Resolution« drang, auf daß

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die Sache ausgehe – der Neutrale spielte auf Zeit, womit auch unterstellt wurde: eine dauerhafte Option konnte dieses suspekte politische Konzept gar nicht sein. Wieder einmal erweisen sich gerade Diplomaten in schwedischen Diensten als belesen: Gustav Adolf bestehe darauf, daß die Reichsstadt fortan »alles Neutralisiren und Temporisiren bei Seite« setze, erklärten im Oktober 1631 zwei schwedische Gesandte den Nürnbergern130, und der uns schon bekannte Emissär Rasche suchte den Eidgenossen einzubläuen, daß es »loblicher und heilsamer« sei, »sich offenlich und frey und rein heraus« zu »bekennen, als schentlich underm Hütlein zu spielen, zu temporisieren oder zu heuchlen«.131 Dem traditionell neutralen neuburgischen Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm schrieb 1636 der kölnische Kurfürst Ferdinand das ins Stammbuch: »Ich muss bei demjenigen verpleiben, was ich Derselben allezeit remonstrirt, dass mit dem temporisiren E. L. bis dato noch wenig Ihren Unterthanen zu Trost gewonnen«; ob er denn nicht merke, daß er sich nur auf allen Seiten »suspect« mache?132 Einige Autoren ließen die Neutralen nicht »temporisiren«, doch »cunctiren«. Im »Memorial« Simon Wilds von 1632 begegnen wieder und wieder, den ganzen Text hindurch, Doppelformeln wie »Neutralitet vnd Cunctation«, »cunctation vnd neutralitet«, »neutralisiren oder cunctiren«.133 Auch die folgende Suada dürfte Synonyma aneinanderreihen: Die jetzt »mit jhren irresolutionibus, neutralitet vnd cunctiren gleichsamb rei totius summam, vorsetziglich in verderben stürtzen wolten«, mußten dafür am »Jüngsten Tage« büßen.134 Häufig lassen vormoderne Meinungsäußerungen zur Neutralität im Krieg Feuersbrünste ausbrechen – es war ein damals naheliegendes Bild, Hausbrände waren noch häufiger als die allfälligen Kriege und ohne Brandmauern und Feuerschutzversicherungen fast so verheerend. Der Neutrale erklärte, »wann einen ein

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das »Heuchelen« Jakobs ein Ende habe. Von der »heuchlerischen lästerlichen Neutralität« spricht der anonyme Postilion, er kennt diese Gleichsetzung: »heuchelte oder neutralisirte« (Abschnitt 122). »Häuchle keinem Herren nicht, Der dir nach der Gurgel sticht«: das ruft [anonym], Wach auff, Klopff drauff denjenigen Reichsständen zu, die im Holländischen Krieg Neutralitätsverträge mit Frankreich suchten. Zit. nach Droysen, Gustav Adolf, Bd. 2, S. 440. Zit. nach Fäh, Gustav Adolf, S. 26. »Der effectus es schon leider mit E. L. underthanen hochstem schaden erwisen, wie sie«, nämlich die Kriegsparteien, »E. L. respectiren«: Kurfürst Ferdinand von Köln an Wolfgang Wilhelm, ohne Datumsangabe zitiert bei Küch, Die Politik, S. 41. Es ist bezeichnend für die Haltung Küchs zur von ihm doch ereignisgeschichtlich so genau rekonstruierten Neutralität Wolfgang Wilhelms, was er in der Fußnote dazu schreibt: »Ich gebe diese Stelle im Wortlaut wieder, weil sie eine durch die Ereignisse selbst begründete Kritik der ganzen pfalz-neuburgischen Politik enthält«. Wild, Memorial, passim. [Anonym], Außführlicher vnd Nachdencklicher Discurs, fol. B.

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Fewer nit brenne, solle er es nit leschen«135, »gratus ignis adspectus est«.136 Die bis ins 18. Jahrhundert hinein für maßgeblich gehaltene Monographie zum Thema führt aus: »Es werden auch etliche gefunden, welche, ob sie sich wol neutral halten, doch offtmaln das Fewr mehr anzünden, alß daß sie es leschen solten«, was Neumayr übrigens nicht grundsätzlich verdammt: Es scheine vielmehr manchmal clever zu sein – bleibe freilich »nicht lang verborgen«, und dann merkten die Zündler rasch, »was jhnen solche neutralitet genützet«.137 Hier hat wohl Bodin Pate gestanden: »Mais ceux-là qui sont neutres, bien souvent allument le feu au lieu de l’estaindre«.138 In beiden Fällen wird der Topos »löscht nicht« durch die Unterstellung ergänzt, daß der Neutrale sogar noch Öl ins Feuer gieße, in beiden Fällen wird das trotzdem nicht in Bausch und Bogen verdammt: zwei Ausnahmen zur Regel. Üblicherweise fehlt die zündelnde Rolle des Neutralen, üblich sind mehr oder weniger harsche Verurteilungen seiner Zuschauerrolle beim Löschen. Im günstigsten Fall schädigte der Gaffer nur sich selbst: »If my neighbours House burne, mine owne will the sooner kindle ...; the best way in that case to prevent the ruine of thine owne, is to be active in quenching thy neighbours fire«.139 »Wann brennen thut deins Nachbarn Wandt/ Bey zeitt hilff löschen solchen Brandt/ Wiltu aber gantz sitzen still/ Vnd zusehen wo hinauß es will/ Vnd dich ergreifft alßdann das Fewer/ So wirdt das lachen werden thewer«. 140 Die folgenden Verse mögen eher als moralischer Appell zu lesen sein: »Wenn deines Nachbars Hauß in vollen Flammen steht,/ So dencke, daß die Noth auch dich zugleich angeht«.141 Eigeninteresse wie Gewissen bringt der folgende Text ins Spiel: »Wann bey einer grossen vnd gemeinen Fewersbrunst, in einer Statt, die jenigen bloß allein, deren Häuser brennen, löschen müssen, die Nachbahren aber, derer wohnungen noch gefreyet, nicht hand mit anlegen, sondern nur stehen vnd zusehen wöllen, wird der schade, vnd das fewer, sie auch ohnzweiffelich mit betreffen« – schreibt Johann Philipp Spieß den Eidgenossen ins Stammbuch, um sodann auf moralische Appelle umzuschwenken: Es gehe nicht an, »daß wir nur stehen vnd gaffen, wie das fewer so lustig brennet«, man müsse sich »nicht allein alß schawer vnd gaffer, sondern alß helffer« an der für diesen Autor ja überaus hehren Sache bewähren.142 Nach Ansicht des Vertreters der Eidgenossen bei 135 136 137 138 139 140 141

[Anonym], Das Teutsche Klopp Drauff, fol. Aij. Schemel, Dissertatio politica, S. 31. Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel IV. Bodin, Les six livres, S. 184. [Anonym], Neutrality condemned, S. 4. »Johann-Philippus Spindesius«, Der Ander Teutsch-Bruder-Freund, fol. Bij. [Anonym], Gedancken Uber der Schweden Einfall in Teutschland, Und zwar vornehmlich In die Churfl. Brandenburg. Provintzen, Marck und Pommern, o. O. 1675, fol. Biiij. 142 [Anonym], Anderer jüngstgehaltener Discurß, fol. 26.

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den Westfälischen Kongressen, Rudolf Wettstein, hatte es das Renommee der Schweizer Kantone zuletzt geschädigt, daß sie eben das nicht getan hatten, im April 1647 mahnte er deshalb: »Es genügt nicht, die Hände in den Schoss zu legen; man muss sich in fremde Händel mischen und des Nachbars Haus löschen helfen, um das seine zu erhalten«.143 »Hilffe« für die »Nachbahren« hieß gut biblisch Nächstenliebe. So war denn der Weg zu religiösen Wertungen nicht weit, doch tragen hier die Feuermetaphern in der Regel nicht dick auf. Es konnte die Billigkeit hinreichen: »Wann ein Feuer in der Stadt angehet, und ein Hauß brennet, so ists billig, daß jedermann löschen helffe«.144 Auch dieser Appell des aus Zürich entliehenen Prädikanten Johannes Haller an Heinrich Bullinger angesichts der Nöte seiner neuen Gemeinde Augsburg im Schmalkaldischen Krieg kommt ohne explizite religiöse Begründung aus: »Ermahne die Deinen, daß sie nicht ruhig zu Hause sitzen«, wenn »das Haus des Nachbarn brennt«.145 Wertet eine Flugschrift von 1615 deutlicher, oder koppelt sie unreflektiert heftige moralische Entrüstung mit dem Unklugheitstopos? Die schändliche Neutralität einfach so hinzunehmen, meint besagte Publikation, ist »eben als wann die jenige, welche jhre vereinigte in der noth verlassen, nicht vngerechter vnd erger wehren als die Feinde, noch weniger mißhandelten, wann sie sich öffentlich zum Feinde schlügen: Oder der jenige welcher seines Nachbarn Hauß im Brandt siehet, nicht vrsach genvg hette zuerwachen vnd das seine in acht zu nehmen«.146 Unübersehbar religiös aufgeladen ist diese Notierung von 1673: »O GOtt, es muß ein sonderliches Verhängnis von dir, über uns obhanden seyn, sonsten wäre es unmüglich, daß man so Weibisch stillsitzen und des Nächsten Haus ohne Gegenwehr brennen sehen könte.«147 Vollends wurde die Schwelle zur Gleichsetzung »Neutralität ist Sünde« in dieser Suada einer evangelischen Flugschrift von 1620 überschritten: »Mit was straff meynen wir, daß Gott der Allmächtige die werde heimsuchen, welche das Fewer,

143 Zit. nach Edgar Bonjour, Geschichte der schweizerischen Außenpolitik in ihren Grundzügen, in: Die Schweiz und Europa. Ausgewählte Reden und Aufsätze von Edgar Bonjour, Bd. 4, Basel 1976, S. 21. 144 [Anonym], Kurzgefaßte Frage. 145 Die hier interessierende Feuermetapher steht im Schreiben Hallers an Bullinger vom 20. Juni 1546; ich erlaubte mir, damit eine ›Ermahnung‹ im Brief vom 17. Juni zu koppeln. Die damaligen Schreiben Hallers an Bullinger sind voll von vergleichbaren Appellen, noch hoffte Haller auf tatkräftige militärische Unterstützung der Schmalkaldener durch die evangelischen Eidgenossen. Die Briefe Hallers an Bullinger bietet Friedrich Rudolf, Der Zusammenbruch der Zwingli-Kirche in Augsburg, 1546/47, nach Briefen Joh. Haller-Heinr. Bullinger, in: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1944, S. 7–35, die Zitate: S. 14 bzw. S. 15. 146 [Anonym], Politischer Discurs Ob sich Franckreich, fol. Bij. 147 [Anonym], Nachdenckliches Gespräch (Erklärung »Freyholds«).

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so der Bapst vnd sein Anhang in der Christenheit ... angezündet, außzuleschen sich versaumen werden«?148

4.3 Neutralität ist sündhaft Frühneuzeitliche Texte lieben das Bild vom Haupt und seinen Gliedern, aber ob wir die Gliedermetapher als Neutralitätstopos apostrophieren dürfen? Auf die Neutralität im Krieg applizieren das Bild nur einige wenige jener Flugschriften, die wir in Kapitel C.2.2 kennenlernten. Wir merkten dort auch schon, daß die »Glieder« nicht immer demselben »Haupt« zugeordnet wurden. Wenn die wohl offiziöse Apologie der Dresdner Haltung zum böhmischen Aufstand »Wehetagen des Haupts« beschwört, denen die Füße durch den Gang in die Apotheke, die Hände durch eifriges Einschmieren beizukommen haben, dürfen wir fürs Kopfweh das bedrängte Reichsoberhaupt einsetzen. Dem Manne muß geholfen werden, so diese Flugschrift. Wenn eine andere im selben Jahr 1620 deshalb vor der Neutralität warnt, weil doch »alle, als Glieder eines Leibs, vnder jhrem Haupt Christo leben«149, wird die Forderung nach aktiver Parteinahme unübersehbar in einen theologischen Rahmen gestellt. War Neutralität sündhaft? Viele Pamphlete zumal des Konfessionellen Zeitalters waren ja dieser Ansicht, doch bieten ihre oft schäumenden Suaden nicht so viele Topoi wie die politologischen Abhandlungen zum Thema. Erweisen sich letztere, nacheinander gelesen, durchgehend als Montagen der immergleichen Versatzstücke, griffen theologisch geschulte Pamphletisten in ihrem heiligen Zorn nur gelegentlich auf einige wiederkehrende Bilder zurück – offensichtlich war es für diese Autoren nicht so wichtig wie für die Pioniere der noch avantgardistischen Wissenschaft der »Politica«, unter Beweis zu stellen, daß sie mit dem überzeitlich gültigen Exempel- und Zitatenschatz der alteuropäischen Gelehrtenrepublik vertraut waren. Hielten es die frühen Politologen offenkundig für wichtig, genauso belesen zu sein wie alle anderen, traditionell römisch- und privatrechtlich arbeitenden Juristen, wollten die Kontroverstheologen ihre Kollegen an heiligem Eifer noch übertreffen. So merkwürdig das bei solchen, einem modernen Publikum ja kaum zumutbaren Ergüssen klingen mag: Sie sind beim Thema »neutralitet« durchgehend viel origineller, nacheinander gelesen auch abwechslungsreicher, sprachlich reicher als die frühen politologischen (und übrigens auch die völkerrechtlichen) Äußerungen hierzu. Wenn dieses Kapitel insgesamt weniger Topoi aus dem 148 [Anonym], Traw, Schaw, Wem, S. 26. 149 [Anonym], Deutliche vnd gründliche Außführung, fol. 55f. bzw. [anonym], Traw, Schaw, Wem, S. 17; ähnlich wie die zuletzt genannte Flugschrift setzt das Bild der »Sächsische Merckauf« ein – wir lernten diese Schriften ja, wie gesagt, schon in Kapitel C.2.2 kennen.

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Topoi des vormodernen Neutralitätsdiskurses

Sinnbezirk »Neutralität ist sündhaft« als aus den Umfeldern von Klugheit und Ehre aufbieten kann150, belegt das nicht, daß bei gedruckten Ausführungen der ersten beiden neuzeitlichen Jahrhunderte zum Thema Neutralität theologische Erwägungen und Bewertungen selten gewesen wären, das Gegenteil ist richtig. Einige religiös aufgeladene Formeln und Bilder wiederholen sich schon. Daß Neutralität »von Christo selbst, höchlich verbotten« war, »weil niemand zweyen Herren dienen könne«151, faßten nicht nur theologisch studierte Autoren gern ins biblische Bild der Ausspeiung der »Lauen«. Neutrale waren »weder kalt noch warm«152, »neither hot nor cold«.153 Der kurbrandenburgische Rat Nikolaus von Langenberg weist in einem durchaus tagesaktuellen Fragen (nämlich dem wiederholt die Schwelle zum internationalen Krieg streifenden Erbschaftsstreit um die niederrheinischen Herzogtümer Jülich und Kleve) gewidmeten »Discvrs« die Verfechter der »Neutralitet« so in die Schranken: »Möchte ihnen dasjenig vorgeworffen werden, was auß dem Befelch und Geist Gottes von dem heiligen Johanne an den Bischoff der Kirchen zu Laodicea mit diesen Worten zugeschrieben: ›Ich weiß deine Werck, dann du weder kalt noch warm bist; ach, daß du kalt oder warm werest; weil du aber law bist unnd weder kalt noch warm, werde ich dich anfangen außzuwerffen auß meinem Munde.‹« 154 Der moderne, nicht mehr so bibelfeste Leser könnte davon in die Irre geführt werden, denn in den Johannes-Briefen findet er das Zitat nicht.155 Auf die Sprünge hilft ihm diese Information: Als im neutralen Zürich 1631 Stimmen laut wurden, die den Anschluß an Gustav Adolf von Schweden befürworteten, hielt Antistes Breitinger demonstrativ eine Synodalpredigt »über den Text der Apokalypse ›Weil du lau bist und weder kalt noch warm, so will ich dich usspeien us minem mund‹«.156 Um nach politiknaher Publizistik und nicht nur erbaulicher Predigt noch ein gelehrtes Beispiel zu geben: Die »de neutralitate« handelnde Dissertation Georg Schröders von 1659 weiß, daß »et ipsi Deo media via displiciat; juxta illud:

150 Vgl. hierzu auch oben S. 703 Anm. 14! 151 [Anonym], Magna Horologii Campana, Tripartita, S. 65; Anlehnung an Matthäus 6,24 und Lukas 61,13 (wo es für moderne Leser freilich nicht um Kriege, sondern um eine materialistische Lebenseinstellung geht, um die Antithese Gott-Mammon). 152 »Neutrales, Beydenhänder, weder kalt noch warm« – diese Synonyma bietet Eder, Evangelische Inquisition, S. 167. Es gilt im Konfessionskrieg »nicht Law zu sein, sondern entweder kalt oder warm«: Wild, Memorial, fol. Eij. 153 [Anonym], Neutrality condemned, S. 4. 154 Langenberg, Discvrs, S. 54. 155 Sondern in jenen ersten Passagen der »Apokalypse des Johannes«, in denen der Erzähler göttliche Befehle für sieben an asiatische Christengemeinden zu schreibende Briefe erhält, speziell ist der zitierte Satz der Gemeinde von Laodizea ins Stammbuch zu schreiben: Apokalypse 3,15f. 156 Bonjour, Geschichte 1965, Bd. 1, S. 25.

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Utinam frigidus vel calidus esses, cum autem, tepidus sis evomam te«.157 Ein ansonsten bar jeglichen theologischen Gehalts daherkommendes »Gespräch über das Interesse Deß Englischen Staats« von 1674 wettert unvermittelt, eingereiht in die üblichen gleichsam politologischen Bedenken gegen Neutralität158: »Der schändlichste Nahme, welchen die Heilige Schrifft einem Menschen gibt, ist, wann sie sagt: Er sey weder kalt noch warm.« Derartige »Laulichkeit« schändete vor Gott und den Menschen, wie noch eine Flugschrift von 1756 weiß.159 Man mußte »weder Kalte noch warme Freunde«160 fliehen – oder hoffen, daß sie noch auf den rechten Pfad der Tugend zurückfanden: »Weiln dann ein so hohe gefahr darauff stehen thut, daß der Allerhöchste die, so weder kalt noch warm sind, außzuspeyen betrawet, solten billich die jenigen, denen es biß dahero entweder an dapfferer Erklärung, oder uff den willen, das Reich Jhesu Christi zubefürdern gemangelt, eine von beyden Partheyen erwehlen.«161 Weil dem Neutralen Tapferkeit oder überhaupt jeglicher guter Wille abging, war er nicht gottgefällig. Man konnte die kalt-warm-Antithese der Johannes-Apokalypse mit einer anderen, in den synoptischen Evangelien begegnenden162 koppeln. Um es mit einer Flugschrift von 1632 zu sagen: Es gab schon deshalb nichts »bösers« als die Neutralität, weil »die Göttliche Schrifft klärlich erweiset, daß Gott die laulichen, das ist, die Neutralisten, darumb daß sie nicht kalt noch warm, außspeyen thüe: vnd der Herr Christus mit hellen deutlichen worten solche für seine feinde helt, in dem er sagt; Wer nicht mit jhm sey, der sey wider jhn: vnd der nicht mit jhm samle, der zerstrewe«.163 Das einzige Bibelzitat in Lehmanns Sentenzensammlung zur Neutralität lautet: »Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich, sagt der Herr.«164 »Qui non est mecum, contra me est.«165 »Der HErr Christus verwirfft die Neutralitet vnd Cunctation ... außdrücklichen, in dem er spricht: Wer nicht mit Mir ist, der ist wider Mich«.166 Das Bibelzitat eigentümlich in Klugheitskalküle einbettend, unter eigentümlicher Berufung auf das Erfahrungswissen der 157 Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 21. 158 Ich will nur die beiden meinem Zitat folgenden Sätze anfügen: »Verständige und kluge Leute, denen die Staats-Sachen bekannt seynd, haben dieße Grund-Regtl [sic], als sehr gefährlich, jederzeit geflohen. Der Mittelweg, oder die Mittelstrasse machet keine Freunde, und befreyet nicht von Feynden«: [anonym], Gespräch über das Interesse, S. 325f. 159 [Anonym], Gründlicher Beweis. 160 »So da eines warmen Badts, die erkalte Christliche Liebe, zuerwärmen bedürfftig«: »Johann Huß, genandt Martyr«, Böhmische Nebelkap, S. 9. 161 [Anonym], Anderer jüngstgehaltener Discurß, fol. 25. 162 »Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut«: Matthäus 12,30 und Lukas 11,23; vgl. Markus 9,40. 163 [Anonym], Gespräche und Discursen, fol. 12. 164 Lehmann, Florilegium politicum, s. v. neutral, Sentenz Nr. 12. 165 Maior, Prima pars, fol. 179; die Marginalie am Rand verdeutlicht: »Contra neutrales«. 166 Wild, Memorial, fol. Eij.

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»Politici« schreibt Nikolaus von Langenberg: »Und ob sie wol die Neutralitet gnaw zu obse[r]virn sich befleissigen, so werde es doch anderst verstanden und könen schwerlich so behutsam sich anstellen, daß [sie] nit bey einer der widerwärtigen Partheyen in Verdacht und Argwohn gerahten, und wird hierzu die Sententz Christi von den Politicis angezogen, da er sagt: Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich, wer nicht mit mir samblet, der zerstrewet.«167 Das also trug ein Politikprofi in die Druckerei; das mündliche Plädoyer eines in seiner Zeit berühmten Publizisten, des Reichsfreiherrn Franz Paul von Lisola, ist so in den Akten festgehalten: Der Kaiser verdiene im Holländischen Krieg »beystandt«, »qua declaratione imperij« könne er »billig dene reichstanden sagen qui non est mecum contra me est«.168 Es mag heute erstaunen, wie theologisch durchtränkt Diskurse sein konnten, mit denen »von den Politicis«169 vor Neutralität gewarnt wurde. In einem Brief an Heinrich Bullinger (immerhin einen Theologen) warb der bernische Diplomat Hartmann von Hallwil im September 1546 wie folgt für Parteinahme im Schmalkaldischen Krieg: »Unser lawer sinn« werde sonst die »straff Gottes« provozieren.170 Ein enger Vertrauter, der Basler Oswald Myconius, schrieb Bullinger damals übrigens, unter Bezug auf den Thurgau und das (von kaiserlichen Truppen okkupierte) Konstanz: »Mit der Hilfe Gottes hättet Ihr sie schützen können gegen diese Teufel.«171 Gustav Adolf warf dem uns schon bekannten unglücklichen kurbrandenburgischen Emissär Wilmersdorff das an den Kopf: »Wenn ich an die Grenze komme, so muß Sie«, der Kurfürst, »kalt oder warm sich erklären. Hier streitet Gott und der Teufel«.172 Natürlich, darauf lief theologisch begründete Kritik an der Neutralität ja hinaus: Wer nicht kalt und nicht warm war, konnte sich nicht zwischen Gott und Teufel, zwischen »Tyranno diabolo« und »Christo in coelo«173 entscheiden, »neither for Got nor Baal«174 optieren. Neutrale waren solche, die es »so zu reden, mit Gott, vnd mit dem Teuffel, mit dem Himmel vnnd mit der Helle, mit dem ewigen Leben vnd ewigen Todt zugleich halten«175, die »jhre thorhaffte 167 Langenberg, Discvrs, S. 54. 168 Bericht des neuburgischen Vizekanzlers Theodor Heinrich Altet von Stratman über ein Gespräch mit Lisola in Köln, 1673, Okt. 26 (Or.), BayHStA Kasten blau 7/22 (unfol.). 169 Es bleibt unklar, ob Langenberg hier, modern formuliert, praktisch tätige Politprofis oder aber politikwissenschaftliche Autoren meint. 170 Aus dem Schreiben vom 26. September 1546 zitiert Max Niehans, Heinrich Bullinger als Neutraler im Schmalkaldischen Krieg von 1546/47, in: Zwingliana 8 (1944–1948), S. 251. 171 Zit. ebda., S. 252. 172 Zit. nach Helbig, Gustav Adolf, S. 14. 173 Maior, Prima pars, fol. 179. 174 [Anonym], Neutrality condemned, S. 4. 175 [Anonym], Magna Horologii Campana, Tripartita, S. 67.

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Hoffnung zugleich vff dem Antichrist vnd Christum setzen«.176 Was für eine Versündigung an diesem und am eigentlichen Leben, wenn man bedachte, daß »Gott dergleichen Neutralitet zwischen dero Christlichen Kirchen, vnd dem Antichrist, das ist zwischen GOTT vnd dem Teuffel höher hasset vnd anfeindet, als einem rechten pur lautern Abfall zum Teuffel«177! Denn »welcher nur halb vnsers Herr Gotts seyn will, der ist gar des Teuffels«.178 »Wie lange hincket jhr vff beyden Seiten? Ist der HErr Gott, so wandelt jhm nach: Ists aber Baal, so wandelt jhme nach.«179 »If the LORD be God, follow him; but if Baal, then follow him.«180 Die auf den letzten Seiten präsentierten Topoi weisen uns auf einige Spannungsverhältnisse hin, die dafür verantwortlich sein könnten, daß sich das an der Schwelle zur Neuzeit schon durchaus geläufige politische Konzept der »neutralité« oder »neutralitet« so langsam nur zur allseits181 anerkannten Rechtsfigur verdichten wird. Beispielsweise stand die Denkfigur Neutralität in einem Spannungsverhältnis zur jahrhundertelang maßgeblichen abendländischen Kriegsdoktrin, der Lehre vom Bellum iustum, und sie vertrug sich nicht mit ihrer im Konfessionellen Zeitalter grassierenden Zuspitzung auf das Bellum necessarium, den Holy war.182 Entweder war für die Pamphletistik des Konfessionellen Zeitalters ein Krieg gerecht – dann hatte sich jeder Christ daran zu beteiligen; oder, er war ungerecht – dann war es verdammte Pflicht und Schuldig­keit, dem Ag176 [Anonym], Postilion, Abschnitt Nr. 121. 177 Ebda. 178 [Anonym], Continuatio der Newen Zeitungen, s. v. »Auß der Neutralitet«. Nur orthographisch abweichend [anonym], Nova nova antiqua continuationis, S. 390. 179 [Anonym], Postilion, Abschnitt Nr. 122. 180 »E. W.«, Sermon against Neutrality, Motto des Büchleins. – Wir sahen schon, daß im »Zedler« einem auf der Höhe der Zeit stehenden Beitrag über Neutralität im Krieg (vgl. Kapitel C.2.4.6) eine erstaunliche Suada gegen »Neutralisten« folgt. Sie kennt manche der auf den letzten Seiten vorgestellten Topoi, so sind die verruchten Neutralisten »weder kalt noch warm, sondern laulicht«, und der kurze Beitrag wettert gegen diejenigen, »die sich öfters einbilden, daß sie GOTT und dem Mammon zugleich dienen, GOTTes und der Welt Freunde zugleich seyn können; welches iedoch unmöglich ist. Wer nicht mit mir ist, sagt der HERR Luc. II,23. der ist wider mich ...« Nun ist in diesem Lexikoneintrag sichtlich nicht mehr (wie zuvor) von Neutralität im Krieg, sondern von konfessioneller Indifferenz die Rede – sie derart verteufelt zu sehen, kann im »Jahrhundert der Aufklärung« freilich verblüffen, das wollte ich wenigstens anmerkungsweise erwähnt haben. 181 Jedenfalls auf dem Papier! Schon am Ende jenes Jahrhunderts, das an den Schreibtischen der Juristen die Völkerrechtsfigur der Neutralität hervorbrachte, wird es unter Napoleon schlimme praktische Rückfälle geben. Hegemoniale Staatenkonstellationen vertragen sich generell wenig mit der Neutralität – das muß weiter unten noch etwas vertieft werden. 182 Von dieser Resakralisierung des Kriegsbegriffs im Konfessionellen Zeitalter unter Rückgriff auf den Jahwe-Krieg mancher alttestamentarischer Bücher war in Kapitel A.2.1.3 die Rede. Vgl. auch die Überlegungen in Kapitel A.2.1.4.

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gressor sie Stirn zu bieten, »tertium non dabitur«183. Neutralität rieb sich sodann an den tradierten, kriegsaffinen Ehrbegriffen der politischen Letztentscheider, nämlich des europäischen Hochadels, und sie paßte schlecht zum antiken Zitatenschatz, der die Ausführungen der europäischen Gelehrtenwelt über Krieg und Frieden speiste. Auch deshalb (und eben weil es kein Neutralitätsrecht, somit kein abrufbares Recht auf Neutralität gab) stießen Neutralitätsbekundungen in der Regel auf »despekt« – der Neutrale war dem Anfangsverdacht moralischer Minderwertigkeit ausgesetzt, wer seine Schutzbedürfnisse mißachtete, brachte keinesfalls Europas öffentliche Meinung gegen sich auf. Aus diesen Gründen waren wiederum frühe politologische Arbeiten in aller Regel der Ansicht, sich für neutral zu erklären, sei unklug. Der Neutrale, ein ehrloser sündhafter Tor – wer sich aus Kriegen neutral heraushalten wollte, handelte gegen Seelenheil, Herz und Verstand. Ob wir auf den letzten Seiten nicht eine Teilerklärung für jene eminente frühneuzeitliche Bellizität gefunden haben, die Kapitel A (oft fragend, manchmal ratlos) umkreist hat?

183 »Hier streitet Gott und der Teufel. Will Sr. Lbd. es mit Gott halten, wohl, so trete Sie zu mir; will Sie es aber lieber mit dem Teufel halten, so muß Sie fürwahr mit mir fechten, tertium non dabitur, das seid gewiß«: wie Anm. 172.

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5. »Moyenner la paix« – kompensieren Friedensvermittlungen das Sicherheits- und Ehrdefizit? Diese Studie breitete in den letzten Kapiteln Indizien für gravierende Akzeptanzprobleme der Neutralität in der Vormoderne aus und wird im nächsten fragen, warum der Neutralenstatus damals so prekär gewesen ist. Das sind ihre beiden Hauptanliegen. Aber soll sie deshalb ganz ausblenden, wie die ihre Neutralität Beteuernden mit dem Akzeptanzproblem umgingen, welche Gegenstrategien sie erprobten? Ich habe danach nicht systematisch gefahndet, aber was ich in vormodernen1 Büchern und Aktenstapeln gar nicht übersehen konnte, will ich in diesem Kapitel doch wenigstens andeuten. Zunächst einmal fällt auf, daß sich viele Neutrale durch Vermittlungsofferten hervortaten. Suchten sie ihre militärische Absenz durch diplomatische Umtriebigkeit zu kompensieren? Ging es ihnen um den Frieden oder um eine Stabilisierung ihres noch nicht völkerrechtlich geschützten Status? Schützte die Vermittlerpose den Neutralen hinreichend, oder mußte er zudem auf militärische Absicherung achten? »Armirte« Neutralität und Vermittlungsanspruch führte das Konzept der »tiers parti« zusammen; über so eine »Dritte Partei« hat schon während der Konfessionskriege der eine und andere Hofrat nachgedacht, eine gewisse praktische Bedeutung gewann das Konzept während des Holländischen Kriegs. Das Intermezzo über Gegenstrategien der Neutralen ist nicht nur ein belangloser Schnörkel, könnte Ergebnisse der letzten Kapitel bestätigen: Sollte sich das Kalkül nachweisen lassen, daß der Neutrale des Renommees des Friedens1 Gewiß ist die Kunst der Friedensvermittlung auch heutzutage ein interessantes Thema, doch meinen moderne Untersuchungen hierzu ohne Seitenblicke in die Frühe Neuzeit auszukommen. Die der modernen Neutralität gewidmeten Studien des Politologen Daniel Frei bieten manches auch zu neutraler Vermittlung. Oran R. Young, The Intermediairies. Third Parties in International Crises, Princeton 1967 untersucht die Rolle unparteiischer Vermittler nach dem Zweiten Weltkrieg, ohne frühneuzeitliche Beispiele. Das Kernanliegen aller Vermittlungskunst sei dieses: »aiding the parties to a crisis to realize their own common or overlapping interests« (S. 35). Daß die Friedens- und Konfliktforschung sogar dann, wenn sie sich der »Vergangenheitsarbeit« zuwendet, selbst nicht aus der Geschichte lernen zu können glaubt, zeigte zuletzt dieser an sich lesenswerte (weil zur Hinführung an das noch nicht lang erschlossene und noch nicht fest abgesteckte Forschungsfeld der »Transitionsforschung« geeignete) Sammelband: Susanne Buckley-Zistel/Thomas Kater (Hgg.), Nach Krieg, Gewalt und Repression. Vom schwierigen Umgang mit der Vergangenheit, Baden-Baden 2011 – die meisten Studien des Tagungsbandes (die »transitional« und/oder »traditional justice« analysieren, der Arbeit von »Wahrheitskommissionen« oder internationalen Gerichtshöfen zuschauen) sind noch virulenten Konfliktfolgen gewidmet, keine leuchtet weiter als bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zurück. – Es gehört zu den wenigen für Neuzeitler aufschlußreichen Ergebnissen der Studie von Bauslaugh über »the Concept of Neutrality in Classical Greece«, daß damals nicht aktiv am Krieg Beteiligte (ich würde sie nicht als Neutrale bezeichnen) offensichtlich nicht durch Vermittlungsbemühungen auffielen.

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Kompensieren Friedensvermittlungen das Sicherheits- und Ehrdefizit?

vermittlers bedürfe, unterstriche das, daß Neutralitätsbeteuerungen allein wenig renommierlich waren. Sollten sich Überlegungen nachweisen lassen, wonach selbst Vermittlungsofferten die Neutralität nicht befestigten, keinesfalls »armirten« Schutzes enthöben, unterstriche das, daß Neutralitätsbeteuerungen allein eben nicht geschützt haben.

5.1 Politisches oder militärisches Schutzschild? 5.1.1 Neutralität, Frieden und Vermittlung in der Publizistik Waren Mittlerdienste geeignet, der von der Zeit so wenig respektierten Neutralitet Rang und Würde, eine positiv gefüllte Legitimation zu verschaffen? Überblicken wir gedruckte Äußerungen, fällt zunächst einmal auf, daß derselbe thüringische Autor, der 1620 die erste (und einzige deutschsprachige) mitteleuropäische Monographie über die »Neutralitet« geschrieben hat, vier Jahre später als viel­leicht erneut erster2 »Friedes H ­ andlungen«3 monographisch traktierte. Übrigens hatte er schon in seinem Neutralitätsbuch Vermittlungsbemühungen anempfohlen: »Es ist aber diß vor einem, der sich neutral helt, wol der versicherste Weg, Daß er, wo immer müglichen, zwischen den partheyen zum Fried handele, Dann damit erlangt er Ehr und Freundschaft bey ihnen und versichert sich und sein eigen Land«.4 Schon vierzig Jahre zuvor hatte Jean Bodin geur­ teilt: »C’est donc le plus seur à celuy qui est neutre de moyenner la paix, que de nourrir la guerre«, denn dabei erwerbe er »l’honneur et l’amitié des autres, auec 2 Jedenfalls wird sein Traktat bei Konrad Repgen, Friedensvermittlung und Friedensvermittler beim Westfälischen Frieden, in: ders., Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, hg. von Franz Bosbach und Christoph Kampmann, Paderborn u. a. 1998, S. 700 nach der Feststellung, daß sich über Mediationen vor 1648 in der Literatur praktisch nichts finde, als ältester Titel genannt. 3 Sic! Das von mir eingesehene Exemplar jedenfalls schreibt auf dem Titelblatt so, trägt einen etwas anderen Titel als von Repgen (vorige Anm.) angegeben: Johann Wilhelm Newmayr von Ramsla, Von Friedes Handlungen und Verträgen in Kriegszeiten, Sonderbarer Tractat oder handlung, Jena 1624. Kapitel VII ist Mittlerdiensten gewidmet, handelt davon, »was ein Fürst, welcher zwischen zweyen Kriegenden Partheyen Fried handeln vnd machen wil, in acht zu nehmen hat«. 4 Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel VIII. Kapitel III hält unter anderem dies für einen »Nutz, so man auß der Neutralitet zu gewarten hat«: Man »kan auch vber der andern jrrungen vnd streittigkeiten leichtlich zum Schiedsman werden, welches dann einen auch so viel mehr zur neutralitet bewegen sol, bevorab, wann man an Macht vnd Würde die Partheyen vbertrifft«. Wir dürfen »Schiedsman« hier wohl eher nicht als juristischen Terminus technicus nehmen, doch ist die Schiedsrichterrolle des Übermächtigen natürlich von Vermittlungsbemühungen mindermächtiger Neutraler zu unterscheiden.

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la seureté de son estat«.5 »Versicherung« und »Ehr«, »honneur« und »seureté«: Vermittlungsbemühungen als Doppelstrategie gegen das Sicherheits6- und das Ehrdefizit vormoderner Neutralität! Sogar eine fromme Eloge auf die Heldentaten des von Gott gesandten Erlösers Gustav Adolf7 kennt diese Strategie: »Etzliche« seien der Ansicht, als Neutraler könne man »zum interponenten sich brauchen lassen, pro arbitrio alles dirigiren, sein interesse ohne Mühe darbey in acht nehmen, vnd müsten so denn beyde Theil auff ihn sehen«.8 Akzeptieren kann die Flugschrift dieses Kalkül nicht, aus moralischen und theologischen Gründen, »es muste auch ein solcher interponent an der Gerechtigkeit der Sachen, vnd ob die Evangelische Religion die wahre allein seligmachende sey, zweiffeln«: Das ist ein Einwand, der besonders deutlich macht, daß nicht nur »neutralitet« als solche, sondern gerade der Gedanke vermittelnder Neutralität in einem Spannungsverhältnis zu den polarisierenden Tendenzen des Konfessionellen Zeitalters stehen mußte, insofern als Indikator für Säkularisierungsprozesse taugt. Die nach den großen Konfessionskriegen vorgelegten Dissertationen »de neutralitate« sehen es wie Bodin und Neumayr. Sogar bei Heinrich Schemel trägt 5 Bodin, Les six Livres, S. 798; ich korrigierte »senreté« in »seureté«. – Evtl. blasser Nachhall dieser Passage? [Anonym], Vnpartheyligkeit, fol. Aiij: »Wird der, so sich Vnparteyisch verhelt, von beyden widerwertigen Partheyen respectirt vnd hoch angesehen: Dieweil jeder besorget, er möchte sich zum Gegentheil schlagen. Hiedurch ist [er] gleichsam als ein Scheidesman zwischen jhnen«. 6 Erkennt diesen Zusammenhang auch die anonyme Flugschrift »Discurs Ob sich Frankreich ...« von 1615? Man darf das Folgende wohl nicht überinterpretieren: Der unbekannte Autor beklagt, daß manche Ratgeber in Paris nach Spanien schielten, andere bewürworteten »bey entstehung einigen Sturmwindes die Neutralitet, als ein sichern wege«, denn dann könne man »Richter vnd Scheidman« spielen (fol. Biij). 7 Wild, Memorial, hier fol. Diiij. 8 Wir werden gleich merken, daß dieses Kalkül in reichsständischen Akten auch begegnet – nur zeigt die Fortsetzung des Wild-Zitats, daß dieser Autor, wie Bodin, an starke, zur Schiedsrichterrolle, nicht nur zu Briefbotendiensten befähigte Neutrale dachte: »... vnd müsten so denn beyde Theil auff ihn sehen, sich befürchten, daß er dritten Mann gebe, oder zu einem wider den andern trette«. Jene Reichsstände, die während des Dreißigjährigen Krieges über vermittelnde Neutralität nachsannen, konnten zu keiner Zeit auch nur daran denken, den Kriegsparteien etwa ihren Willen aufzuzwingen. Der Verfasser des »Memorial«, dessen heiliger Eifer ihn keineswegs für kluge Einschätzungen der aktuellen politischen Lage blind gemacht hat (in der eigentümlichen Vermischung beider Schichten paßt das Memorial genau in diese Kriegsphase, zur Peripetie des militanten Konfessionseifers), wußte das – neben vielen moralischen Einwänden gegen neutrale Vermittlungsversuche begegnet dieses Kalkül: »Die Verbündnüß auff beyden Seiten ist zu groß vnd also kein Fürst vnd Stand im Reich in solchem Ansehen, daß er sich autoritate gravi interponiren könte« (fol. E). Es folgt unmittelbar, in ein und demselben Satz (um die enge Verschränkung von Fanatismus und Kalkül einmal zu illustrieren), der oben wiedergegebene theologische Einwand vom Zweifel an der »Gerechtigkeit der Sachen«.

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Kompensieren Friedensvermittlungen das Sicherheits- und Ehrdefizit?

es dem neutralen Herrscher Lob und Ehre (»honoris fastigium«), seinem Staat Schutz (»munimentum«) ein, wenn er zwischen den Konfliktparteien Frieden zu stiften versucht.9 Und für Georg Schröder winkt dem Neutralen am wenig reputierlichen Bühnenrand im Kriegstheater sogar Gloire, wenn er aktiv Frieden herbeiführt – er müsse »tentare pacem«, so dieser Doktorand, »eo enim se magis amicum reddit belligerantibus, si honestas pacis rationes ac conditiones ultro citroqu; moverit. Si enim Pacem procuraverit sibi, praeter firmam securitatem, nunquam intermorituram gloriam, et aliis Pacem tanquam inaestimabile bonum acquiret.«10 Hielt den Neutralen nicht nur das Eigeninteresse zu Vermittlungsversuchen an? Adolph Schrötering sieht ja eine gleichsam moralische Verpflichtung, »cum pacati inter bellorum tumultus securi qvasi ex littore aliena naufragia despiciant, humanitati conveniens est, ut bello componendo sedulam impendant operam«.11 Von einem nicht näher qualifizierten »officium« des Neutralen, zum Frieden zu mahnen, weiß im selben Jahr 1687 Philipp Reinhard Vitriarius.12 Auch Johann Georg Koseritz charakterisiert seinen Imperativ nicht näher, weiß eben, von den »conditiones seu requisita« der Neutralität handelnd, es sei »necesse«, daß der Neutrale »finem hunc sibi propositum habeat, ut controversiarum quae Principibus inter ipsos saepiùs intercedunt arbitru[m] dare velit, eosq reddere intersese amicißimos«.13 Johann Heinrich Böckler gibt ebenfalls keine Begründung, kolportiert auch nur als verbreitete Ansicht: »Illis porro, qui medii sunt, praecipue 9 Schemel, Dissertatio politica, S. 9; seitenlang ergeht sich der Autor nach dieser Feststellung in Allgemeinplätzen zur Vermittlungskunst. Doch nimmt Schemel ja lieber die Perspektive der Kriegführenden ein, aus ihrer Sicht nun ist der Neutrale eben deshalb, weil er sich womöglich um »pacem regionis« und »tranquillitatem« bemüht, ein Ärgernis, er kann konsequente Kriegführung erschweren, der energisch ihre Kriegsziele verfolgenden Truppe Steine in den Weg wälzen. 10 Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 57. Andererseits ist eines der wenigen Pro-Argumente dieser Dissertation die Denkfigur des lachenden Dritten, und der müsse Öl ins Feuer gießen (vgl. Abschnitt Nr. 59). Abschnitt Nr. 76 macht die Sache nicht klarer: »Nihil autem Principi, qui Neutralis inter belligerantes et vicinus est, tutius ac dignius quam ad concordiam belligerantes sedulo hortari et ab iis impiis fraudibus abstinere, ac potius bello implicitos â funesto interitu ad Pacem revocare ... Si tamen Neutralis aliter suae saluti consulere haud possit, videbimus an no[n] aliqua ratione partes potius ad mutua bella incitare possit, ut praesens exitium effugiat, quam ad pacem.« 11 Schrötering, Dissertatio, Thesis Nr. XXVIII. Ich erwähnte schon in einem anderen Kontext, dem endlich nachlassender Vehemenz gelehrter Neutralitätskritik, daß Schrötering Neutralitas als privilegierten Zustand bezeichnen konnte, der die Erwartung begründe, daß sich Neutrale um Vermittlung zwischen den Kriegsparteien bemühten: vgl. S. 470 mit Anm. 287. 12 Vitriarius, Institutiones, S. 520. 13 Koseritz, Disputatio, fol. B. Das kann der Neutrale, weil er die Kriegenden an Dignitas und Potentia überragt: vgl. hierzu oben Anmm. 4 und 8.

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id datum negotii creditur, vt discordantes ad pacem et consensionem temperare summa ope studeant«. Verpflichten will sie der Autor indes nicht dazu, man sei da auf »bona fides« der Neutralen, ihre »virtus« angewiesen.14 Albert Voßenhölen wiederum will die Neutralen in der Pflicht sehen, sie müssen (»debent«) unter Anspannung all ihrer Kräfte (»ex omnibus viribus«) Frieden stiften.15 Aus dem 18. Jahrhundert ließen sich ähnliche, stets beiläufige, wie selbstverständliche und eben deshalb unbegründete Urteile anfügen – wie schon Philipp Reinhard Vitriarius, erklärt auch Andreas Vogt Friedensvermittlungen zum »officium« des Neutralen16, für den Dänen Martin Hübner sind sie »le grand devoir« aller neutralen Staaten.17 Suchen sich deshalb diejenigen Herrscher neutral aus Kriegen herauszuhalten, die den Frieden lieben zw. nach Kräften befördern wollen? Gibt es auf der Motivebene oder hinsichtlich der Wirkungen eine Affinität Frieden-Neutralität? Daß Neutrale nicht aus Feigheit und »Faulkeit«, sondern ihrer Friedensliebe wegen die Waffen ruhen ließen, kam vor dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts kaum einem Autor18 in den Sinn. Es ist dann aber natürlich das große Thema der Dissertation Voßenhölens. Sie entwickelt ja ihre ganze Neutralitätslehre von 14 Zudem ist es ein dornenreiches Unterfangen, rasch ist der Zorn der Kriegsparteien erregt: Böckler, Libellus de quiete, S. 79f. 15 »Ante omnia«, heißt es am Beginn von »Caput IV. Quae Medii facere possunt, et quae non«, muß der Neutrale »ex omnibus viribus« danach trachten, daß »dissidentes ad pacem et concordiam postliminio quasi reducantur«. Eine Seite später stellt der Doktorand fest, die Neutralen müßten »procurationem et negotationem Pacis« besorgen: Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 36f. 16 Vgl. Vogt, Specimen, S. 26. Die Abhandlung frappiert wieder einmal durch ihre gedankliche Heterogenität –­­ da will einer das mittlerweile juristisch abgesteckte Feld endlich einmal nach »politischen« Gesichtspunkten durchpflügen und landet tatsächlich wieder und wieder beim Moralisieren. Die Arbeit macht jedenfalls eines deutlich: daß Neutralitätslob nicht mit einer Rückkehr zur grotianischen Kriegsdoktrin zusammengeht. Aber nun zu Seite 26! Dem Postulat, zum Frieden zu mahnen, folgt dieses weitere: Lehnt der Stärkere (Kräftekalkül!) billige Friedensbedingungen ab, müssen sich seitdem Neutrale mit Waffengewalt auf die Seite des Schwächeren schlagen, »ut ne quiescendo oppressae innocentiae [moralische Bewertung!] testes duntaxat agant«. Die Realitätsferne solcher angeblich politologischer Ratschläge bedarf keiner Erörterung. 17 Hübner, De la saisie des bâtiments neutres, tome I, première partie, chapitre II (S. 44): »le grand devoir de tout État neutre, c’est qu’il doit faire tout son possible pour rétablir la paix et que, pour cet effet, il doit employer sincèrement ses bons offices ...« 18 Ich stieß lediglich auf eine Ausnahme. Der Verfasser des »Hansischen Weckers« läßt an der Neutralität kein gutes Haar, geht aber offenbar davon aus, daß die »Neutralisten« Friedensliebe zu ihrer schädlichen und schändlichen Haltung treibe, wenn er schreibt, man wisse ja, »wie es gemeiniglich daher gehet das die jenigen, so bey grossen Empörungen vnd Kriegen sich neutral halten, den werthen Frieden lieben, demselben nachjagen, vnd jhn gerne behielten, dennoch wieder jhren willen, in Krieg geflochten werden« (fol. Aij). Sonst könnte ich allenfalls noch erwähnen, daß jene eidgenössischen »Discurse«, die ohnehin in ähnlichem

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der angeblich naturgegebenen oder doch von der Natur geforderten Friedensliebe des Menschen aus, Neutralität ist »Species pacis«, »Pax particularis«19. Daß das maßgebliche Motiv für Neutralität im Krieg Friedensliebe sei, setzt dieser Autor als selbstverständlich voraus.20 Sonst finden wir auch jetzt und danach nur Spurenelemente: Ungefähr zeitgleich erwähnt Johann Heinrich Böckler, zur Neutralität trieben »belli detestatio, et pacis amor«21, hundert Jahre danach nennt Johann Jakob Moser, in einer Liste aller möglichen Gründe für Neutralität, auch diesen: »Liebe zum Frieden, und Abscheu vor dem Krieg«.22 Häufiger können Abhandlungen zur Neutralität anerkennen, daß diese Kriege einzudämmen, damit eventuell auch zeitlich abzukürzen helfe. In populär gehaltenen Flugschriften wurde ich nur einmal fündig, 1673 oder 1674 kommentierte ein unbekannter Autor so die Haltung der Eidgenossen im Holländischen Krieg: »Und diß eben halten sie zu Beförderung des Friedens sehr vorträglich, daß sie weder für sich selbst in neue Feindschafft sich begeben wollen, noch auch mit ihrer Freindschafft die Opiniatrität groß verhärten, sondern zwischen Trost und Schrecken zu einem beständigen guten Fried hindurch dringen wollen«.23 Gelehrte Abhandlungen streifen den Gesichtspunkt recht häufig: Das Vorhandensein Neutraler erleichtere die Einleitung von Friedensverhandlungen. Das ändert wenig an der lange Zeit obligatorischen negativen Grundhaltung zur Neutralität, wird aber immerhin in diesem festgezurrten Rahmen konzediert. »Et si tous les Princes sont ligués les vns contre les autres, qui sera moyenner de la paix«?, fragt Jean Bodin, und es ist natürlich eine rhetorische Frage – was auch bei ihm nichts daran ändert, daß die Gründe, die gegen Neutralität sprechen, »plus pregnantes« sind als etwaige Pro-Argumente24. Neumayr scheint Bodin zu übersetzen, wenn er fragt: »Wann alle Fürsten sich gegen einander verbinden wolten, wer wolte endlich ein Mitler zwischen jhnen seyn?« 25 Zuvor hatte der Thüringer betont, daß Neutralität allenfalls einmal für besonders Starke eine

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Duktus geschrieben sind (am Ende gar denselben Autor haben?), den törichten »Hans« gern vom »lieblichen Frieden« schwadronieren lassen. »Paci autem tam nomine amabili, quam re salutari Neutralitatis originem adscribimus, quae non subdito titulo in familia pacis existens, Species Pacis, vel Pax particularis jure meritoque dici et haberi debet«: Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 9. Vgl. beispielsweise ebda., S. 11: Wenn Krieg ausbricht, versuchen die Streithähne auch andere in den Strudel hineinzuziehen, mit den verschiedensten Methoden gelingt ihnen dies oft auch, doch »alii pacis justitiaeque memores nemini nisi lacessiti injuria nocere volentes, medios se praestare et neutri parti applicare malunt«. Böckler, Libellus de quiete, S. 35. Moser, Versuch des neuesten Europäischen Völker-Rechts, Bd. 10.1, S. 148f. [Anonym], Vnpartheyisches Vrtheil Auß dem Parnasso, fol. 95. Als die Argumente derer, »qui defendent la neutralité«: Bodin, Les six Livres, S. 794. Die zuvor zitierte Frage steht auf S. 793. Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel VIII.

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Option sei, und in diesen Zusammenhang stellt zeitgleich auch Christoph Besold seine Bemerkung zur Friedensvermittlung: Eigentlich ist Neutralität nicht zu empfehlen, allenfalls, wer so mächtig ist, daß er die Rache des Siegers nicht zu fürchten braucht, »tutò Neutralis manere potest«, zumal es nützlich ist, wenn »Pacis mediatores« existieren.26 Zwei Generationen danach wird es Georg Schröder ähnlich sehen.27 Die »Praefatio« zu zwei neutralitätsrechtlichen Abhandlungen von 1747 bemerkt inmitten neutralitätsskeptischer Betrachtungen immerhin, die Kriegführenden könnten es gern sehen, wenn Neutrale existierten, auf daß »non desint pacis mediatores«.28 Es sind immer wieder fast identische Halbsätze, knappe, nie in die Tiefe schürfende Bemerkungen, einige von ihnen zu referieren lohnte nur, weil hier untypisch einmal ein Nutzeffekt der suspekten Neutralität gewürdigt – nein, besser gesagt: angedeutet wird. Zu den wortreichsten Beteuerungen gehört schon diese (Martin Mager von Schönberg hat sie formuliert): »Neutralitas vtrisque qui bellum inuicem mouerunt, vtilis esse potest vt ... mediatorem quod frequentissime ob pacem communem fieri solet se interponat«.29 Johann Heinrich Böckler kann aus diesem Grund als einziger sogar Neutralität im Bürgerkrieg ausdrücklich etwas abgewinnen.30 26 Besold, Dissertatio Politico-Juridica, S. 92. 27 Am Beginn seines Kapitels »qui Neutrales esse possunt« – allenfalls Starke, die sich dann als »mediatores pacis« hervortun: Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 57. 28 [Anonym], Praefatio, fol. a4. 29 Mager von Schönberg, De advocatia, S. 285. 30 Er bezweifelt, was man allgemein »Solonis legem« nenne, daß nämlich im Bürgerkrieg keine Neutralität geduldet werden dürfe (so kann man es in der Tat in zahlreichen frühneuzeitlichen Abhandlungen nachlesen: Solon habe Neutralität im Bürgerkrieg unter strenge Strafe gestellt; auch Gespräche mit Althistorikern halfen mir hinsichtlich eines etwaigen »wahren historischen Kerns« nicht auf die Sprünge – vgl. übrigens schon oben S. 425 Anm. 109), denn Besänftigung und Vermittlung könne besser ein Neutraler erwirken: Böckler, Libellus de quiete, S. 37. – Ausgerechnet derselbe Böckler bezweifelt dann fünfzig Seiten später, daß der Neutrale bei internationalen Auseinandersetzungen wirklich konfliktdämpfend wirken könne. Ebda., S. 81f. heißt es, man habe im vorigen (also dem 16.) Jahrhundert noch erlebt, daß Neutrale als »arbitratores« tätig gewesen seien, das aber sei aus der Übung gekommen, der Grund hierfür liege klar zutage: Die Vor- und Nachteile, die allen Ländern aus jedem beliebigen Konflikt erwachsen könnten, seien so kompliziert ineinander verwoben, daß die Kriegsparteien kaum noch sicher sein könnten, uneigennützige Schlichter zu finden (eine hinsichtlich der Entstehung eines Staatensystems interessante Einschätzung!). Wenn wir Böckler strikt beim Wort nehmen, spricht er hier freilich nicht von Friedensvermittlung, sondern von Schlichtung, der »arbiter« (allgemein zu diesem Begriff: Kampmann, Arbiter) war mehr als ein Briefbote zwischen Kriegsparteien. So mag es einschlägiger sein, wenn Böckler kurz zuvor, im Zusammenhang mit Wendungen wie »operam in reconcilianda pace offerunt« oder »mediatores vocant«, gefragt hatte, ob man erwarten könne, daß der Neutrale beim Vermitteln den unparteiischen Makler spiele, um diese skeptische Antwort zu geben: »Frustra id quidem, et inique a se id peti, iudicauerint. Vt enim hodie saeculum est, vis ferio pacem aliorum amant aut procurant, nisi qui suas inde vtilitates sperant« (S. 80).

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Wir können zurückblicken: Zu den zentralen Themen der publizistischen Auseinandersetzung mit der Neutralität gehören etwaige Friedensimpulse nicht, aber eine Reihe von Autoren behaupten doch immerhin beiläufig eine gewisse Friedensaffinität der Neutralität. Der Neutrale sollte aus Eigeninteresse und/ oder muß aus (leider nie spezifizierten) Gründen einer übergeordneten Räson der europäischen Staatenordnung Friedensvermittlungen initiieren oder forcieren, manche Autoren konzedieren sogar, daß für deren Zustandekommen oder Gelingen die Existenz Neutraler nützlich sei – und das alles im Rahmen einer unübersehbar neutralitätsskeptischen Grundhaltung! Die beiläufig bleibenden Bemerkungen zu den friedfördernden Effekten der Neutralität ändern an der negativen Gesamtbewertung dieser politischen Option nichts: was denn wohl doch auch etwas für den Rang der Pax im Wertekanon des 16. und 17. Jahrhunderts besagt. 5.1.2 »Die gutte unnd gegenrustung sich nit wol neben eynander gedulden«: was sich Akten des 16. Jahrhunderts von der Vermittlerpose erhoffen Politische Akten der Neutralen thematisieren nicht den (auch in gelehrter Literatur vage bleibenden) Nutzen neutraler Vermittlungsbemühungen fürs Große und Ganze der Staatenwelt, aber ihren Nutzen für die Akzeptanz des eigenen Neutralenstatus reflektieren sie gelegentlich schon. Nicht immer freilich lassen sich die Motive für Vermittlungsanstrengungen des Neutralen namhaft machen: woran manchmal die Aktenlage schuld ist, vielleicht noch häufiger die Tatsache, daß der Verfasser dieser Zeilen etwa doch aussagekräftige Akten nicht ausfindig gemacht hat. Es ist natürlich leichter, aufzuzeigen, daß Neutrale häufig ihre Mittlerdienste anboten, als die dahintersteckenden Motive aufzudecken. So muß sich denn auch der folgende Rundblick häufig mit ersterem begnügen. Dachte man über Vermittlungsanstrengungen des Neutralen nach, seit man überhaupt über das Abseitsstehen bei Kriegen anderer reflektierte, also seit jene Denkfigur Neutralität, die sich dann sehr langsam nur zur Rechtsfigur verdichten wird, überhaupt greifbar wird? Es gibt dazu keinen Forschungsstand, doch ist vielleicht erwähnenswert, daß schon erste Wurzeln innereidgenössischer Neutralität Vermittlungsvorsätze flankierten.31 Nun streichen ja vormoderne Texte eine besondere Neutralitätstradition der Eidgenossen gar nicht heraus, eher stand die

31 Vgl. Hug, Kriegsmaterialhandel, S. 51–53 passim.

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Serenissima in diesem Ruf, und sie tat sich wiederholt durch Vermittlungsaktionen hervor.32 In allen Konflikten, denen Kapitel C.3 sein Anschauungsmaterial entnahm, fallen Friedensappelle und Vermittlungsangebote der Neutralen auf: so schon im Schmalkaldischen Krieg. Im Fall des Pfälzers Friedrich sind sie jetzt gut dokumentiert, durch den entsprechenden Reichstagsakten-Band33: keine elaborierten Konzepte, einfach Appelle zur Friedfertigkeit, sonst drohe der Türke, werde der Gemeine Mann unruhig. Die ältere Forschung monierte, es seien »positive Vorschläge« ausgeblieben.34 Und wenn es gar nicht so sehr darauf ankam, sich mit ausgefeilten Lösungskonzepten zu exponieren, weil Friedensappelle des Neutralen ihren Wert in sich trugen? Sie hatten im kurpfälzischen Fall auch ihre innerdynastische Stoßrichtung. Von Pfalzgraf Ottheinrich wie den neuburgischen Regenten mit moralischen Vorhaltungen seiner sündhaften Neutralität wegen gequält, berief sich Friedrich auf einen Wert, der solche moraltriefende Suaden konterkarieren konnte – eben den Frieden. Auch sein außenpolitischer Kurs sollte nicht nur interessengeleitet, sondern werthaltig sein. In einem Brief nach Neuburg vom 7. Juli 1546 liest sich das so: »Euch wollen Wir aber nit verhalten, daz Wir dem Vatterlandt unnd rechter Religion zu gut ... damit frid unnd Rue im reiche konndt erhalten werden mer gethan, dann etlich von unns zu gefallen haben«. Daß er »friden im reiche« zu befördern suche »geschicht abermals dem Vaterland zu gut unnd niemand zuwider«.35 Blies die Propaganda der Schmalkaldener zum heilsnotwendigen und patriotisch gebotenen Kampf für die »libertet« des Gewissens und des Reiches gegen den Tyrannen Karl – womit man an einem von Iustitia entkoppelten faulen Frieden keinen »gefallen« 32 Daß Venedigs »geschickte Diplomatie« immer wieder zu Vermittlungszwecken gefragt gewesen sei, betont Lane, Seerepublik Venedig, S. 593 (ein Beispiel – »Triumph friedlicher Diplomatie« – ebda., S. 596). Die Vermittlungsbemühungen der Serenissima bei den Westfälischen Friedensverhandlungen seit 1643 wurden schon verschieden beurteilt, recht hoch veranschlagt sie Hellmann, Grundzüge, S. 155, während sie für Roeck, Venedigs Rolle, S. 165 »ein Tropfen Öl in der Friedensmaschinerie« waren; jedenfalls stellte Contarini häufig sein Quartier für Gespräche zur Verfügung, er soll an über 800 Einzelgesprächen selbst teilgenommen haben, mit eigenen Friedenskonzeptionen trat der Gesandte freilich nur selten (und dann ohne Fortune) hervor. Interessant ist, daß die Serenissima damals ihre Vermittlerrolle unstrittig selbst suchte. 33 Vgl. RTA, Bd. 17, Nrr. 88–92. Außerdem Hasenclever, Die Kurpfälzische Politik, S. 75, S. 78 Anm. 190, S. 79, S. 97, S. 100, S. 102, S. 141, S. 150, S. 152; Luttenberger, Glaubenseinheit, S. 357f., S. 363 Anm. 58, S. 377, S. 381, S. 389, S. 395. 34 Hasenclever, Die Kurpfälzische Politik, S. 100. Luttenberger, Glaubenseinheit, S. 389 fiel auf, daß die Pfälzer gar nicht auf die »religionspolitischen Vorstellungen« Karls eingingen, »eine weiterreichende, die Lösung des ... Reichsfriedensproblems anvisierende politische Konzeption war nicht mit ihnen«, nämlich den Friedensappellen, »verbunden«. 35 Kurfürst Friedrich an Statthalter und Regenten in Neuburg, 1546, Juli 7 (Kopie), BayHStA Kasten schwarz 16671, fol. 185–187.

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mehr finden konnte –, betonte Friedrich, im Grunde moderner, »frid und Rue«36 besäßen per se hohen religiösen wie patriotischen37 Rang. Die Fiktion einer bayerischen Neutralität sollte von der Münchner Beteuerung befestigt werden, daß man den Krieg durch Vermittlungsanstrengungen zu »verhieten«38, dann abzukürzen wünsche. Bezeichnenderweise wurde der Ton solcher bis dahin beiläufiger Offerten bedeutend eindringlicher, nachdem die Schmalkaldener für die grundsätzlich von Anfang an eingeforderte offene Parteinahme am 3. August erstmals ultimativ eine Frist gesetzt hatten. Nun wollte Herzog Wilhelm »khain muehe, vleiß unnd costen unndterlassen«, um den werten Frieden zu vermitteln – so es den Schmalkaldenern »gefellig« sei, werde er dem Kaiser »zu fueße fallen, unnd pitten, die Rustungen zu ainem fridlichen enndt zupringen«.39 Ferner ist bezeichnend, daß außer dem theatralischen Szenario dieses Fußfalls, das sicher nicht beim Wort genommen werden wollte, kein bayerisches Vermittlungs- oder Friedenskonzept auszumachen ist. Sich derart zu exponieren, hätte ja nur politische Risiken heraufbeschworen; die Vermittlungsbereitschaft sollte vor solchen abschirmen, durfte und mußte deshalb nebulös bleiben. In gespielter Naivität beteuerte Leonhard von Eck, dieser gar nicht einfältige frühe deutsche Machiavellist, am 18. Juli, sein Herr würde so gern eine vertragliche Lösung befördern helfen, aber »von keinem tail angesuecht« und »unwissendt«, wen oder was Karls bewaffnete Strafaktion überhaupt treffen solle, habe es ihm »nit gebüren wöllen«, »mitl des vertrags fürzuschlagen«.40 Vermittlungsangebote und -versuche der Neutralen von 1552 durchzogen die gesamte Kriegszeit, setzten schon im Vorfeld ein41 und überdauerten den Passauer 36 Geht es zu weit, das »und« hier nicht additiv zu verstehen, Frieden und Ruhe als Synonyma zu nehmen? Dann könnten wir Friedrich attestieren, den Frieden auch deshalb ›moderner‹ zu nehmen, weil er ihn als ›bloße‹ Abwesenheit massiver Gewalt definiert. Natürlich dürfen wir das dem politischen Alltagsbetrieb erwachsene Schreiben nicht überstrapazieren. 37 Da Friedrich drei Instanzen bemüht, die »Religion«, das »Vatterlandt« sowie das »reich«, dürfte seine Patria hier das kurpfälzische Territorium sein. 38 »Wann es je angan, wolte sein herr nit unterlassen, sich mit allem vermogen zum unterhandler einzudringen und krieg helfen verhieten«: So referiert Gereon Sailer in einem Schreiben an Landgraf Philipp von Hessen (1546, Juni 12: Lenz, Briefwechsel, Bd. 3, S. 417), was ihm der bayerische Kanzler Leonhard von Eck mitgeteilt habe. 39 Wilhelm an die Schmalkaldener, 1546, August 6 (Kpt.kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2100, fol. 19–21. 40 »So auch mein g. h. noch heut zu tag wesste, mit wem und auf was maß ain frid gemacht werden mocht, wurde an m g. hn. nichts erwinden«: Eck an Sailer, 1546, Juli 18 (Kpt.kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2098 (unfol.). – Schertlin von Burtenbach konnten auch diese recht häufig wiederholten Vermittlungsbeteuerungen nicht täuschen, vgl. nur Herberger, Briefe, Nr. 48 (S. 154f.). 41 Vgl. nur: Antwort des bayerischen Herzogs Albrecht für den kaiserlichen Emissär Schwendi, 1552, Februar 7 (Entw.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 6f.: Karl soll sich,

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Vertragsabschluß42, ehe deutlich wurde, daß dieser den Fürstenkrieg tatsächlich zu beenden vermochte. Die Offerten betrafen alle gerade akuten Konflikte: natürlich zentral den, der heute als »Fürstenkrieg« firmiert, aber auch seinen häßlichen fränkischen Ableger (Vorgeschichte des »Markgrafenkriegs«) und das angespannte habsburgisch-französische Verhältnis.43 Das ist der Literatur grundsätzlich schon lang bekannt, doch wunderten sich die Autoren immer wieder einmal beiläufig darüber, daß dem allfälligen Vermittlungseifer der Neutralen keine vergleichbar ausgeprägte konzeptionelle

so Gerüchte über Zurüstungen triftig sein sollten und so diese ihm, dem Kaiser gälten, »auf etliche unpartheyische Chur- unnd fursten, zu guetlicher Unndterhanndlung und hinlegung eingerissenen Mißverstannds« stützen. Wenn er, Albrecht, etwas dazu beitragen kann, will er es daran nicht fehlen lassen (schwache Vermittlungsofferte). Zentral ist der Vermittlungsgesichtspunkt im kurpfälzisch-bayerisch-württembergischen »Abschid zu Tubingen« vom 3. April 1552 (ebda., fol. 85–89). Auf den Fortgang bis hin zu den Linzer und Passauer Gesprächen muß ich hier nicht eingehen. 42 Vgl. nur Friedrich von der Pfalz, Wilhelm von Jülich und Christoph von Württemberg an Albrecht von Bayern, 1552, August 3 (Kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4527, fol. 6–8: Kommt es zum Frieden? Sie waren sich einig, daß man sich erneut persönlich treffen müsse, um, »welchermassen, furnemlich, ein allgemeyner bestendiger Fride, Jm Hey. Reich Teutzscher Nation erbawet, und erhalten werden möchte, zutractirn und zuhandlen«. Heidelberger Abschied vom selben Tag (Kopie: ebda., fol. 9f.): Da die Passauer Veranstaltung offenkundig »unfruchtbar zerschlagen und abgangen were«, trafen sie hier in Heidelberg zusammen. Nun haben die Kriegsfürsten zwar mittlerweile die Passauer Artikel angenommen, doch dieser »fridtstanndt« ist ja nur befristet, das Reich aber ist eines »algemeinen bestendigen friedes« bedürftig. Man muß deshalb erneut, diesmal unter Einbeziehung des Bayernherzogs, zusammenkommen. Es erwuchsen diesem Vorsatz in der dritten Septemberwoche Beratungen in Urach, aber da war dann längst klar, daß der Fürstenkrieg zuende war. – Während der Passauer Beratungen hatte vor allem der Kurpfälzer unermüdlich dafür geworben, im Falle eines Scheiterns dieser Bemühungen ein alternatives Vermittlungsprojekt von »weltlichen stenden, So mit solchen Kriegssachen, noch zur Zeit nichts zuthun«, zu initiieren (das Zitat: Schreiben Friedrichs an Christoph von Württemberg, 1552, Juni 17, Kopie: Äußeres Archiv 4526, fol. 104–107; in dem Tomus liegen viele ähnliche Schreiben). Friedrich warb auch besonders engagiert für Vermittlungsversuche auf dem fränkischen Nebenkriegsschauplatz. 43 Begreiflicherweise waren an diesem Thema die rheinischen Kurfürsten besonders interessiert. Vermittlungsversuche waren das zentrale Thema einer Versammlung in Oberwesel (das Material: BayHStA Kasten blau 105/2c) im April des Jahres, die uns gleich noch in Kapitel C.5.2 interessieren muß, dann einer Versammlung in Worms in erweitertem Kreis (noch Jülich, Württemberg, Würzburg) Anfang Mai, deren Protokoll gedruckt vorliegt: Kugler, Urkunden. Friedens- und Vermittlungsrhetorik durchzieht es regelrecht: Man sei »dieser kriegsrustung halb, die zu stillen, bei einander«, es müsse »die Teutsche nation zu frieden pracht werden«, man werde »nichts erwinden laßen, damit man zu rug und frieden khommen möge«, »nit mehr begern, dan das zwischen dem keiser und konig möcht friede sein«. Es müssen »die dieng in gutte gerichtet« werden, man hat »zu befürderung gemeines fridens ... sich güetlicher underhandlung undernommen«, usw., usf. (die Zitate: S. 328, S. 307, S. 309, S. 317, ebda., S. 362).

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Kraft entsprochen habe.44 Wie wahr! Nehmen wir uns nur einmal exemplarisch jene Wormser Gespräche vor, die im ersten Maidrittel mehrere neutrale Reichsfürsten45 zusammenführten: Die hohen Herren waren sich rasch einig, daß eine Gesandtschaft zu den Kriegsfürsten ratsam sei, um derart ihren nur guten Willen zu dokumentieren, etwas zur zügigen Wiedergewinnung des Friedens beizutragen; über etwaige eigene Vermittlungsvorschläge zu beratschlagen, überließen sie freilich – einem Räteausschuß. Als die Ergebnisse der Ausschußarbeit eigentlich im Plenum zur Annahme angestanden wären, traf der königliche Emissär Johann Ulrich Zasius am Rhein ein, um die Einladung nach Passau auszusprechen. Man möge sich dort der Vermittlungsaktion Ferdinands anschließen. Das Wormser Plenum nahm deshalb zu den Vorschlägen des Ausschusses inhaltlich gar keine Stellung mehr, die entsprechenden Papiere wanderten in die Registraturen. Man verließ Worms, um die Koffer für Passau zu packen, das war nun dringlicher als ein Vermittlungskonzept. Die Neutralen reisten ohne ein solches zu den Passauer Verhandlungen. Auch danach ebbte die Springflut von Forderungen nach »güettlicher hanndlung« und »prosequirung weitterer guette« bis in den August hinein nicht ab46; so etwas wie ein neutrales Vermittlungsprogramm wurde nicht daraus. Besaß die Vermittlerpose ihren Wert in sich? Welche Nutzeffekte sahen die Neutralen? Zunächst einmal fühlten sie sich einfach militärisch bedroht. Sie wünschten wirklich, daß die Waffen möglichst bald schwiegen, dieses elementare Faktum war der ganze gemeinsame Nenner. Der Stuttgarter Herzog schloß sich dem Heidelberger Wunsch, im Falle eines Scheiterns der Passauer Verhandlungen eine neue, pfälzisch-württembergischbayerische Vermittlungsaktion zu starten, am 11. Juni mit diesem Argument an: Wenn die Passauer Gespräche nicht fruchteten, »so wurdet der verzug unns allen, auss aller handt ursachen, unnd sonnderlich, dieweil wir drey, am nechsten 44 Vgl. zuletzt Luttenberger, Glaubenseinheit, S. 651: Erstaunen, daß »die vermittelnden Stände, die sich Ende Mai 1552 nach und nach in Passau einfanden, kein eigenständiges, gemeinsames Vermittlungsprogramm ... mitbrachten«. Man sah sich deshalb »darauf verwiesen, von den Verlautbarungen der Parteien auszugehen«. Oder Heil, Albrecht V., S. 53 (»tatsächlich konnten sich die neutralen Stände bis zum Passauer Tag nicht auf eine einheitliche Politik oder gemeinsame Vermittlungsbemühungen einigen«) und S. 66 (»keine Alternative zur Fortsetzung der bisherigen Neutralitäts- und Vermittlungspolitik« und doch »wurde erneut für die Vermittlung selbst kein Konzept entwickelt«). 45 Vgl. schon Anm. 43. 46 Am häufigsten kamen solche Appelle aus Heidelberg (vgl. nur die zahlreichen, mehr oder weniger gleichlautenden Schreiben in Kurbayern Äußeres Archiv 4526 und übrigens schon oben Anm. 42), ohne etwa bei den Adressaten Widerspruch zu ernten. Nur waren die rudimentären Friedensvorstellungen dieser Adressaten nicht dieselben, so stand für den württembergischen Herzog Christoph eine Entschärfung des konfessionellen Konfliktpotentials im Zentrum, ohne, daß er damit (aus unterschiedlichen Gründen) in Heidelberg oder in München auch nur auf ernsthaftes Verständnis rechnen konnte.

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gesessen seyen, gantz beschwerlich fallen«.47 Zwei Wochen später übermittelte Christoph die neuesten Kriegsgräuel an die Isar, um damit diese Erwägung zu koppeln: »Ist derwegen gut abzenemmen, und zuermessen ... was volgendts, da die gehort guetlichkait ansteen sollte« – falls also die Passauer Gespräche scheitern würden –, gegen die drei präsumtiven Initiatioren einer neuen Vermittlungsoffensive »gesucht unnd gehanndelt werden mecht«.48 Auf Vermittlungsaktivitäten drängte, wer sich gerade selbst besonders bedrängt fühlte. Künden solche Schreiben ›nur‹ vom Wunsch nach dem Frieden, weil der Krieg sonst das eigene Territorium treffen konnte, oder auch von der Hoffnung, daß vermittelnde Neutrale ihres Moderatorenstatus wegen den allfälligen Zudringlichkeiten der Kriegsparteien nicht mehr so schrankenlos ausgesetzt waren? Jedenfalls versuchten die Neutralen immer wieder, mit dieser Karte zu stechen. Als der kaiserliche Obrist Konrad von Hanstein einige Neutrale aufforderte, sich »in ernstliche rüstung zu ross unnd fuess« zu »begeben« und eine »unverzugliche antwort« zu erteilen, wieviel Volk und Geschütz sie »uffs kurtzest« unter das Heer der Kriegsallianz »zustossen« gedächten49, replizierte Christoph von Württemberg so: Da er »der mit underhanndlenden Fursten einer« sei (weil nämlich Stuttgarter Räte in Passau mit am Tisch saßen), müsse es ihm »bedenkhlich fallen«, dem »begeren« nach militärischer Parteinahme stattzugeben.50 Karl V. verlange von ihm energische Zurüstungen gegen die rheinwärts ziehenden französischen Truppen (die übrigens ebenfalls darauf pochten, er möge ihre Operationen »furdern«), berichtete Friedrich von der Pfalz am 22. April seinen Vertretern am Oberweseler Konvent. Dem müsse man argumentativ entgegenhalten, daß den rheinischen Kurfürsten vom Kaiser »die gutlichkeit furzunemmen, erlaupt, und eyngereumpt« worden sei. Da könnten sie nicht gleichzeitig gegen eine Kriegspartei militärisch aufrüsten, »in bedenkung die gutte unnd gegenrustung sich nit wol neben eynander gedulden oder vergleichen möchten«.51 Die Alternative »politisches oder militärisches Schutzschild« wurde zur Antithese zugespitzt. Der bayerische Rat Dr. Georg Stockhammer war Anfang Juli skeptisch, ob die Kriegsparteien die Neutralität des Münchner Herzogs und einiger anderer süddeutscher Fürsten noch lang hinnähmen. Man müsse noch einmal eindringlich 47 Christoph an Albrecht von Bayern, 1552, Juni 11 (Or.), BayHStA Äußeres Archiv 4526, fol. 59. 48 Dass., Juni 23 (Or.), ebda., fol. 209f. 49 Konrad von Hanstein an Friedrich von der Pfalz, 1552, Juni 21 (Kopie), ebda., fol. 243. 50 Christoph von Württemberg an Konrad von Hanstein, 1552, Juni 26 (Kpt.kopie), ebda., fol. 245. 51 Friedrich an seine Gesandten in Oberwesel, 1552, April 22 (Or.), BayHStA Kasten blau 105/2c, fol. 108–111. Die Oberweseler Instruktion für eine Gesandtschaft an Heinrich II. von Frankreich koppelt dann den (eindringlichen) Wunsch nach Verschonung vor Kriegsunbilden mit einem (etwas blassen) Vermittlungsangebot: Kasten blau 105/2a, fol. 204–206.

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darum bitten, so seine Empfehlung – doch lassen wir sie ihn doch selbst aussprechen! Er halte es für notwendig, daß die Bayerischen die Konfliktparteien »anhielten«, daß denen die Münchner »in sollicher Neutralitet unnd alls ain getreuer gnedigister mitler frid zumachen in stäter übung belib[ten]«.52 Neutralität und »stäte« Vermittlungsbemühungen werden hier im Grunde synonym verwendet. 5.1.3 »Da wissen wür Jhnen dermahlen hierinfahls nichts specials vorzuschreiben«: die Vermittlerpose in Akten des 17. Jahrhunderts Wenn Friedensappelle selbst nach dreißig Kriegsjahren zum guten diplomatischen Ton gehörten, zeigt (auch) das, daß der Krieg nie zum Normalfall wurde – wie wir in Kapitel A.1.3 sahen. Hier müssen wir ans notorische Friedensgerede dieser kriegerischen Zeit eine andere Frage stellen: Glaubten die Neutralen des Dreißigjährigen Krieges, wenn sie den Frieden beschworen, selbst an ihre Parolen? Präziser gefragt: Waren sie der ehrlichen Überzeugung, durch ihre Optionswahl, eben eine erklärte oder vertraglich befestigte Neutralität, nicht nur der eigenen Ratio status, auch der Beruhigung einer angespannten Gesamtlage zuzuarbeiten? In einem untypisch53 gut dokumentierten Fall scheint (ich mutmaße54: untypischerweise) ein vorsichtiges Ja erlaubt zu sein: bei den Überlegungen, die um die Jahreswende 1631/32 an verschiedenen Ligahöfen, besonders an den 52 Gutachten Stockhammers, s. d. [Anfang Juli 1552], BayHStA Äußeres Archiv 4526, fol. 260f. 53 Wird die württembergische Neutralität der 1620er Jahre durchgehend in internen Aufzeichnungen, Beratungsprotokollen usw. reflektiert, sind die bayerischen Akten selten so redselig wie an der Jahreswende 1631/32. Die württembergische »neutralitet« ist überhaupt ein archivalischer Glücksfall, man braucht die Hoffnung, irgendwo sonst eine ähnlich umfassend dokumentierte vormoderne Neutralität aufzutun, vielleicht nicht aufzugeben, wetten würde ich darauf nicht. 54 Die eben aufgeworfene Frage triftig zu beantworten, ist aus methodischen Gründen schwierig: Wir brauchen hierfür reichlich interne Quellen. Reichlich sprudeln diese aber selten. Selbst hier, im Fall der Neutralisierung der Liga, vermag ich keine über jeden Zweifel erhabenen internen Dokumente aufzubieten: Briefe wie den Ferdinands (siehe nächste Anm.) pflegte man schon mal abschriftsweise auch politischen Mitspielern bekanntzumachen, waren keinesfalls vertrauliche ›Familienkorrespondenz‹. Dasselbe gilt für das Schreiben an Kütner in Paris: keine Herzensergießungen Maximilians, sondern offizielle Anweisung, wie an der Seine diplomatisch vorzugehen sei. Die internen Grübeleien, Pro- und Contralisten kreisen nicht um den Frieden für Europa, sondern um die Rettung Bayerns. – In den vergleichsweise wenigen ähnlich gut dokumentierten Fällen stieß ich nicht einmal spurenweise auf die Überzeugung, durch die eigene Neutralität der Beendigung des Krieges zuzuarbeiten, vielmehr auf eine Haltung, die man pointiert so zusammenfassen könnte: »der Weg ist das Ziel«. Friedensappelle und Vermittlungsangebote trugen ihren Wert in sich, weil sie die suspekte Neutralität befestigen und moralisch aufwerten konnten.

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wittelsbachischen und am intensivsten an dem in München um einen Neutralitätsvertrag mit Schweden kreisten. Hier spielte die Hoffnung auf eine Befriedung Mitteleuropas tatsächlich eine gewisse Rolle. Erzbischof Ferdinand schrieb seinem Bruder nach München, er suche die Neutralität auch, »damit man durch disen anfang zu einem ... friden umb so vil ehender zugelangen« vermöge; man bekomme so »gelegenhait«, den »gemainen friden zu befürdern«.55 Im Brief an einen engen Mitarbeiter betonte der Bayernherzog, die Pariser Regierung habe durch ihre Emissäre in München »versprechen« lassen, daß sie, wenn er »die Neutralitet annemme, ... alsdan Universalem pacem Imperii omnibus modis befürdern«, ihre Verbündeten auch dazu animieren und einen entsprechenden Konvent anberaumen werde56 – diese Aussicht spielte für die vorübergehende bayerische Hinneigung zum Neutralenstatus, neben näherliegenden und auch viel konkreter ausgemalten Gesichtspunkten (Zustand der Ligatruppen, Gefährdung der eigenen Grenzen), eine gewisse Rolle. Maximilian hatte seine Kriegsziele realisiert, ehe Bayern die Kriegsfolgen überhaupt zu spüren bekam, er hatte von diesem Krieg nichts mehr zu erhoffen, aber viel zu verlieren. Einige Monate lang glaubte er, eine Neutralisierung der Liga könne den Weg zum Frieden abkürzen, hielt er auch deshalb die Neutralität für eine nützliche Option. Es führt von unserem engeren Thema weg, aber erwähnen will ich doch wenigstens, daß die Münchner damals eine Beendigung des Krieges ferner deshalb für unaufschiebbar hielten, weil sie scharfsichtig Deformationen im politischen System des Reiches diagnostizierten – die »libertas Principum Germanorum« gedeihe besser im Frieden, der lange Kriegszustand drohe in die Aufrichtung eines »Monarchicus ac Haereditarius dominatus« zu münden.57 55 Ferdinand an Maximilian, 1631, November 21 (Or., teilweise chiffriert), BayHStA Kasten schwarz 960 (unfol.). 56 Erst danach (freilich: eventuelle Außenwirkung, vgl. vorletzte Anm.!) folgt dieser sonst an sich zentralere Gesichtspunkt: ferner habe man »versprechen« lassen, daß Paris, so der Schwedenkönig den ihm vorgelegten Neutralitätsvertrag ablehne, mit ihm »rumpiren« werde. Die Münchner hofften damals allen Ernstes, über die Neutralitätsfrage einen Keil zwischen Paris und Stockholm treiben zu können: eine schwer nachvollziehbare (für Maximilian an sich ungewöhnliche!) Selbstüberschätzung. Alles nach: Maximilian an Kütner, 1632, Januar 29 (Entw.), BayHStA Kasten schwarz 15021/5, fol. 115–129. Übrigens beschwört ja auch der bayerische Vertragsentwurf (»Documentum Neutralitatis«, ebda., fol. 63f.) den Frieden: Frankreich hat einen Freundschafts- und Neutralitätspakt zwischen Schweden und der Liga vorgeschlagen, heißt es da, auf daß »facilius ad Pacem Universalem in Imperio« zu gelangen ist. 57 »Austriaca domus non supprimenda, sed tantum cohibenda. Cohibebitur autem, si pacis consilia praevalent et maturentur. Tempore enim pacis manus Caesari ex Legibus Imperij fundamentalibus et maximé iuratis ab eo capitulationibus sunt ligatae, Ideoque omnibus modis et ante omnia pax quaerenda et promovenda, ut per eam res Imperij ad quietum Statum reducantur, libertas Principum Germanorum reviviscat ...«: um die »Neutralitatem« kreisende Überlegungen (von Johann Peringer?), ebda., fol. 137–142. Um jene reichspolitischen

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Durch Vermittlungsangebote traten viele Neutrale des Dreißigjährigen Krieges hervor, einen auch nur annähernd vollständigen Überblick gestattet die Forschungslage nicht. Immer wieder hat sich Landgraf Georg von Hessen-Darmstadt vermittelnd für den Frieden engagiert – bekannt und leidlich erforscht sind seine Bemühungen während des Frankfurter Kompositionstages von 1631 und seine Verhandlungen mit den Kaiserlichen in Leitmeritz 1634.58 Ein Gutachten, das der Landgraf von den Marburger Theologen erbat, sekundierte im Juni 1632 – es sei wünschenswert, daß Georg »alles darbey thue, was ... per modum mediatoriae interpositionis immer möglich sein wird«, damit er »auch auff alle begebenheiten für Gott und der ehrbaren Christenheit entschuldigt« sei.59 Der neutrale kurländische Herzog Friedrich wurde zeitgleich im polnisch-schwedischen Krieg von beiden Seiten zu Vermittlungsdiensten gedrängt60 und versuchte auch aus eigenem Antrieb, Waffenstillstände zu vermitteln.61 Dem englischen König Jakob kann man keine konstruktiven Bemühungen um Europas Frieden attestieren, doch glaubte offenbar auch er, seine Neutralität so beschönigen zu müssen – den Generalstaaten gegenüber ließ er im Oktober 1620 erklären, daß »he kept neutral so that he might act as a mediator«.62 Ob an der Seite des Darmstädter Landgrafen oder selbständig, auch der Neuburger Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm strich wieder und wieder demonstrativ seine Bereitschaft heraus, den Frieden zu vermitteln, sei es zwischen den Generalstaaten und der Infantin in Brüssel, sei es zwischen Habsburg und Bourbon.63 Ob sich Wolfgang Wilhelm ernsthaft eingebildet hat, der Welt den Frieden schenken zu können? Darum ging es sichtlich nicht, in den einschlägigen Akten liegen auch gar keine ausgefeilten Vermittlungskonzepte, man hat Frieden und

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Kontexte, die diese interne Aufzeichnung nicht auszuführen brauchte, wenigstens anzudeuten: Entscheidungsbedarf in Hülle und Fülle, aber keine Reichstage mehr, der Kaiser regiert gleichsam ›nach Kriegsrecht‹. Genau diese Deformation des politischen Systems wird 1648 IPO Art. VIII rückgängig zu machen suchen. Die Darmstädter Reichspolitik im Dreißigjährigen Krieg müßte unbedingt einmal adäquat aufgearbeitet werden; vgl. zum hier angeschnittenen Politiksegment vorerst Karl-Heinz Frohnweiler, Die Friedenspolitik Landgraf Georgs II. von Hessen-Darmstadt in den Jahren 1630–1635, in: Archiv für hessische Geschichte und Alter­tumskunde N. F. 29 (1964), S. 1–185. Beck, Gutachten, S. 196. Vgl. (beiläufig) Keller, Herzog Friedrich von Kurland, S. 162 und S. 169. »Ausgeprägtes Vermittlungsbestreben«: ebda., S. 197. »Copy of letter of Sir Dudley Carleton ... to the Prince of Orange, on 21st October, 1620, in conformity with the Ambassador’s exposition made that same day in the Assembly of the States General«: Hinds, Calendar of State Papers, Bd. 16, Nr. 622. Einige Beispiele aus den frühen 1630er Jahren: Küch, Wolfgang Wilhelm in Brüssel, S. 192f., S. 196, S. 201; Küch, Die Politik, S. 138 und S. 143f. Sodann suchte Wolfgang Wilhelm 1639/40 zwischen dem Kaiser und Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel zu vermitteln: Leffers, Wolfgang Wilhelm, S. 57 und S. 91.

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Vermittlungsbereitschaft »generalissime« beschworen.64 In den neuburgischen Akten sind »neutralitet« und »friden« fast Synonyma, selten, daß vom einen ganz ohne das andere die Rede ist. Wolfgang Wilhelm wollte sein »beharlich friedtliebendes gemuth« nicht weniger als »der ganzen Welt fur augen« stellen.65 Immer wieder hat er »die befürderung des fridens commendirt«66, herausgestrichen, daß er »sich gern zu wieder erlangung, unnd stabilirung des werten friedens interponiren, und allerseits mögliche officia einwenden« wolle67, sich an »eiffer in befurderung des lieben fridens«68 von niemandem gern übertreffen lasse. Er verspüre »starke desideria ... umb die zehrende Kriegsflamme im Romischen Reich Teutscher Nation helffen zudempffen«.69 Das verlieh seinen dauernden Nörgeleien wegen dieses Übergriffs, jener Zumutung ethischen Schwung. Die Adressaten der so aufgeputzten Tiraden zeigten sich nicht eben tief beeindruckt, aber auch nicht genervt, nicht der Friedensrhetorik wegen – sie gehörte eben zur »neutralitet«. Als sich die Heilbronner im Dezember 1634 endlich zu einer definitiven »verschonungs Erclerung« durchrangen, griffen sie die neuburgische Sprachregelung sogar in der Narratio auf: Sie nämlich attestiert Wolfgang Wilhelm »einen besondbaren eiffer und begierd, mit menniglich friedtlich zuleben«.70 Das konnte auch auf dieser Seite etwas beschönigen, nämlich die Tatsache, daß man sich aufgrund veränderter machtpolitischer Konstellationen nun doch dazu genötigt sah, diesem Fürsten die suspekte »neutralitet« ausdrücklich zu verbriefen. Wir dürfen ein Zwischenfazit festhalten: Neutrale verspürten »starke desideria«, den Krieg abzukürzen – oder haben doch wenigstens so getan, indem sie so unaufhörlich wie »generalissime« den werten Frieden beschworen; und die politischen Mitspieler rechneten mit solcher Friedensrhetorik, erwarteten nichts anderes, ohne sich doch tief beeindruckt zu zeigen. Friedensrhetorik konnte das 64 »Diarium der hin und herreiss von Düsseldorf auf Brüssel ... vom Monat October 1632«, Abdr.: Küch, Wolfgang Wilhelm in Brüssel, S. 209–224 (hier S. 210) – Gespräche mit führenden Vertretern der Generalstaaten, »underscheidlicher beschwert und anderer puncten sonderlich aber generalissime der fridenshandlung halber«, auch seine Gesprächspartner haben »in general sich erklert«. 65 Wolfgang Wilhelm an die in Frankfurt versammelten Heilbronner Verbündeten, 1634, Juli 12 (Or.), BayHStA Kasten blau 102/4 I. 66 »Diarum der hin und herreiss« (wie vorletzte Anm.), hier S. 224. 67 »Memorial« für Weschpfenning und Gise, s. d. [Sommer 1633, für Verhandlungen mit Oxenstierna und den Heilbronnern]: BayHStA Kasten blau 102/4 I. 68 Trotz der stets »observirten fridfärtigkeit« wurden seine Territorien durch Exzesse jeglicher Art geschädigt, der »eiffer in befurderung des lieben fridens« wird ihm also nicht gedankt: »Copia Propositionis ahn den Schwedischen Reichs Cantzlern Herrn Ochsenstiern ubergeben«, 1633, Juli 2, ebda. 69 Replik Wolfgang Wilhelms auf Oxenstiernas Resolution, 1633, Juli 12 (Kopie), ebda. Er sei »zu gueten officijs« jederzeit bereit. 70 »Copia Schwedischer und des Evangelischen Bunds verschonungs Erclerung«, 1634, Dezember 15, ebda.

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Manko, nicht mannhaft für die »gerechte« Seite, für die bedrohte Iustitia zu streiten, keinesfalls kompensieren, aber die neutrale Haltung doch etwas aufwerten, denn auch Pax hatte ihren Wert. Die Westfälischen Verhandlungen läuteten keine Ära des Friedens ein, beispielsweise des Ersten Nordischen Krieges wegen. Ein Neutraler dieser multilateralen Auseinandersetzung in Europas Nordosten, der kurländische Herzog Jakob, »ermüdete nicht«, stets aufs Neue Waffenstillstände anzumahnen und anzuregen.71 Wenig später hub die Ära der ludovizianischen Aggressionen an, unter denen uns die zum »Holländischen Krieg« eskalierende am meisten interessiert. »Considerationes politicae de praesenti statu Europae« registrierten 1672 das: »Unter den Reichs-Ständen war der Churfürst zu Mayntz Johann Philipp, keiner Parthey zugethan, und versuchte auß blosser Sorgfalt für das gemeine Wesen und den Frieden ..., mit rahten, ermahnen, und Abfertigung seiner Gesandten, alles, was zu Erhaltung der allgemeinen Beruhigung immer zuträglich seyn konte«. 72 Es war nicht nur Lobhudelei, der militärisch unbedeutende Erzkanzler setzte in der Tat auf diplomatische Aktivitäten und betonte immer wieder, daß er eben deshalb, um als Vermittler in Betracht zu kommen, neutral bleiben müsse.73 Bekannter ist, daß sich der Frieden von Vossem (1673) wesentlich Vermittlungskünsten der damals neutralen Neuburger verdankt. Der dem Sonderfrieden zwischen Frankreich und Brandenburg durch monatelange Verhandlungen in Paris vorgearbeitet hatte, Theodor Heinrich Altet von Stratman nämlich, weilte zwei Jahre später erneut an der Seine, um einem Separatfrieden zwischen dem Kaiser und Frankreich vorzuarbeiten, diesmal vergebens.74 Die neutralen Phasen pfalzgräflicher Politik flankierten Friedensphrasen. Philipp Wilhelm legte Wert darauf, daß die Mitspieler seine Neutralität so motiviert sahen, als vom Friedenswunsch geboren wahrnahmen – er habe »gewislich nach allen Kräfften best möglichst dazu laroriret«, den Frieden wiederzugewinnen75, wünsche ihn »höchlich ... offerendo operam et officia sua«.76 »Ieziges feindtliches tractament« habe er schon deshalb nicht verdient, weil er doch unablässig daran arbeite, »forderist den reichs- und dan den auswertigen frieden wiederbringen, und restabiliren zuehelffen«, er habe sich deshalb »mit aigenen abschickhungen, schreiben, und allen 71 72 73 74 75

Cruse, Curland, Bd. 1, S. 162. [Anonym], Considerationes politicae, S. 29. Vgl. Decker, Frankreich, S. 97; auch S. 60 und S. 131. Vgl. hierzu ausführlich Schmidt, Friedensmission. Philipp Wilhelm an einen ungenannten Adressaten in schwedischen Diensten (Pufendorf ?), 1674, Dezember 19 (Kpt.kopie), BayHStA Kasten blau 79/4, fol. 466. 76 Protokoll eines Gesprächs des (damals noch) neuburgischen Vizekanzlers Stratman mit (seinem späteren Arbeitgeber) Friedrich Wilhelm I. in Kassel am 2. Oktober 1672, abgedr. bei Brode, Urkunden und Actenstücke, Bd. 13, S. 329f.

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andern möglichsten interpositionen soviel bemüehet, als von einigen77 Chur- und Fürsten des reichs geschehen«. Unaufhörlich begleiteten den Holländischen Krieg sodann, und zwar von den Anfängen bis in jene Tage hinein, da man längst in Nimwegen zum Friedenskongreß versammelt war, Friedensappelle und Vermittlungsangebote des Dauerneutralen in München. Zu recht betonte Ferdinand Maria einmal, er habe sich »bey allen gelegenheiten« und »allzeit erbotten«, den Krieg abkürzen zu helfen.78 Kaum waren schwedische Truppen in Pommern gelandet, versuchten die Münchner auch auf dem nordischen Kriegsschauplatz zu vermitteln.79 Aber hatten die in unermüdlicher Routine vorgetragenen Appelle und Offerten Substanz? In der Literatur zum Holländischen Krieg kann man leise Zweifel oder doch Irritationen finden: So wunderte sich Klaus Peter Decker, daß die vertraglichen Bestimmungen der schwedisch-bayerisch-neuburgisch-hannoverschen Defensivallianz am Jahresende 1673 wohl Friedensvermittlungen vorsähen, aber »die Friedenskonditionen selbst« fehlten. »Wegen der Diskrepanz« zwischen allen Beteiligten in dieser Frage »wurde der heikle Punkt offen gelassen«.80 Beim unseligen Kölner Kongreß (bekanntlich mit bayerischer Beteiligung auch er) sei »der zentrale Punkt ... gerade die gravierende Schwachstelle des Vorhabens« gewesen: »die konkrete Formulierung eines Friedensangebots unter akzeptablen Bedingungen mußte offen bleiben«.81 Bezeichnend die Instruktion, die die bayerischen Emissäre mit an den Rhein nahmen! Sie liest sich wie eine Chronik des unermeßlichen Friedensruhms des bayerischen Kurfürsten. Es war als »bekahnndt« vorauszusetzen, »mit war sonderbahrem eyfer unnd sorgfalt« er unentwegt den Frieden gesucht, angemahnt, angeregt, dabei nicht in Wien noch Paris oder Berlin vergessen hatte, sich selbst »pro mediatore ahnzugeben«. Wer außer Ferdinand Maria konnte überhaupt geeignet sein, dem Reich den Frieden wiederzubringen, hatte dieser doch als einziger durchgehend »kheine partheyligkeit« erkennen lassen. Ganz am Ende geschwollener historischer und friedenspädagogischer Betrachtungen heißt es dann, seltsam wortkarg, was »die materialia selbsten«, also etwaige Friedenskonzepte und -konditionen anlange, »da wissen wür Jhnen dermahlen hierinfahls 77 Sic! Gemeint ist, daß ihn mit solchen Aktivitäten kein Reichsfürst übertroffen hat – Bericht von Yrsch über seine Vorträge und Gespräche in Wien, 1673, Dezember 28 (Or.), BayHStA Kasten blau 79/4, fol. 29–36. 78 »Von herzen« wünsche er dies nun einmal: Ferdinand Maria an Kaiser Leopold, 1675, November 19 (Kopie), ebda., fol. 513f. 79 Vgl. beispielsweise Hüttl, Caspar von Schmid, S. 280. Der schwedisch-bayerische Vertrag vom 9. März 1675 dementiert diese Vermittlerpose nicht, sieht ausdrücklich weitere bayerische Versuche der »Interposition« vor: Decker, Frankreich S. 391. 80 Ebda., S. 270. 81 Ebda., S. 399.

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nichts specials vorzuschreiben«.82 Sollte es auf die Vermittlerpose als solche angekommen sein? War die formale Bereitschaft zur Vermittlung viel wichtiger als irgendeine substantielle Vorstellung davon, wie die Konfliktparteien tatsächlich ausgesöhnt werden konnten? Wofür könnte die unentwegte Betonung dieser formalen Bereitschaft, wie auch immer zu »interpositionen« beizutragen, wie auch immer »den Frieden« zu befördern, gut gewesen sein? Sie konnte zunächst einmal ad hoc und ganz konkret dafür instrumentalisiert werden, bestimmte Zudringlichkeiten und Zumutungen abzuwimmeln. Kaiser Leopold faßte die bayerische Abwehrstrategie einmal empört, aber treffend so zusammen: Wolle man etwas von den Münchnern, sei es die Publikation von antifranzösischen »Avocatorien«, sei es die einem gehorsamen Reichsstand geziemende Stellung von Truppen, komme die immergleich Leier, daß »solches die ... anerbottene Mediation nit wohl zulasse«, weil sich der Kurfürst nicht »durch ainigen Actum so anderen suspect wehre« für Mittlerdienste »untüchtig zuemachen« gedenke.83 Als Ludwig XIV. auf eine Offenlegung des Vertrags vom Januar 1673, damit der französischen Subsidien für Bayern drang, konterte das Ferdinand Maria genau gleich, nämlich daß er »sich eine Vermittlungsmöglichkeit offenhalten müsse«.84 Nun wurde der neutrale Friedenswunsch nicht nur sporadisch und situationsabhängig geäußert. Daß das neutrale Friedensgerede so flächendeckend erdröhnte – wir sind ja mit dem scheinbar widersprüchlichen Befund konfrontiert, daß man den Kriegsparteien in notorischer Routine salbungsvoll geschwollen kam –, legt die Vermutung nahe, daß wir mit solchen konkreten, punktuellen Instrumentalisierungen noch nicht die ganze Wahrheit erfaßt haben. Mußte der Neutrale in Ermangelung eines abrufbaren Rechtstitels patriotisches Pathos mit 82 Fast so aufschlußreich ist die Fortsetzung: »... sondern lassen dahin gestelt sein, was theils von besagten Frantzösischen, theils aber auch von denen ChurCöllnischen unnd Fürstl. Münsterischen Gesandten, zu facilitirung des werks unnd Jhrer hochen herrn Principaln Satisfaction, ahn unnsere Gesandte gebracht« wird. Von elfeinhalb geschwätzigen Seiten ist dies der knapp halbseitige Schluß. Man wollte gefallen, jedenfalls nicht anecken, wollte unbedingt dabei sein, über realistische Lösungskonzepte zerbrach man sich nicht den Kopf. Der Entwurf liegt in BayHStA Kasten schwarz 1023 (unfol.). 83 Leopold I. an Ferdinand Maria, undat. Kopie [Oktober 1675], BayHStA Kasten schwarz 235 (unfol.). Vgl. nur noch Caspar von Schmid an Kammersekretär Huber, 1674, August 8 (Entw.), Kasten schwarz 15243: Sollte Wien »avocatorien« mit dem Verbot von Truppenwerbungen für Frankreich zustellen, wird man antworten, diese »publicatio« sei »unnottwendig«, und das »umb so vil mehr«, als Ferdinand Maria »bey dem friedens werckh, wohin noch immerdar alle ihre Consilia gerichtet sein, desto kräfftiger cooperiren köndten, und sich durch dergleichen actionen [oder: avocatorien? das Wort ist unleserlich] darzue nit undichtig machten«. 84 Decker, Frankreich, S. 166. Wir stoßen in dieser materialreichen Arbeit immer wieder auf besagtes Muster, vgl. nur noch S. 259 (Abwimmeln von Assistenzforderungen, die Yrsch als Sprachrohr der Wiener vortrug, durch Schmid).

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Friedenspathos kontern? Offenbar reichte das »interesse« am Neutralenstatus nicht hin, nein, der Neutrale tat besser daran, wenn er sich durch demonstrative »Friedliebenheit und begierde zur allgemeinen ruh« hervortat – denn das war reputierlicher als »blos auf eigenes interesse« zu schauen.85 Als sich in Regensburg antifranzösische Ressentiments aufbauten, schließlich die ›Reichskriegserklärung‹ am Horizont absehbar wurde, pochten die Münchner nicht auf irgendein Neutralitätskonzept oder gar -recht, sie propagierten den »gütlichen Weg«.86 Der Neutrale suchte »die Güte«, wer sich nicht heraushielt, gefährdete »den Frieden«, denn es kam so viel »Elend« daher, daß »man sich von des Reichs wegen frembder händl nit enthelt«.87 In den bayerischen Reichstagsakten dieser Monate firmieren die weniger werdenden anderen Neutralen schon gelegentlich als solche, vor allem aber als Friedensfreunde.88 Gegen salbungsvolle Appelle an die Reichs- oder Vertragstreue89 half kein Rekurs auf eine selbst auf dem Papier noch kaum konturierte Völkerrechtsfigur, auch der Möchtegernneutrale mußte moralische Gehalte aufbieten: nämlich bevorzugt den Anspruch, den Frieden vermitteln zu können. Wie schön, daß Ferdinand Maria anläßlich des schwedischen Überfalls auf kurbrandenburgisches Territorium dann sogar von der Hofburg um seine »Inter85 Oder auf »die ersezung dessen was Ihro abgehet«: Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz an Kaiser Leopold, 1676, März 3 (Entw.), BayHStA Kasten blau 102/4 (unfol.). Er suche deshalb eine dem Frieden förderliche, von Friedensbemühungen begleitete »limitirte Neutralitet«. 86 Die Relationen Delmucks in BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3405–3407 sowie die Anweisungen an diesen bayerischen Votanten im Fürstenrat, zeitweise auch im Kurfürstenrat wimmeln von entsprechenden Formulierungen. Ich zitiere pars pro toto den Entw. für ein bayerisches Votum im Kurfürstenrat vom 23. März 1674: Soll darauf hinweisen, daß Reichsverfassung »und sonderlich« Westfälischer Frieden »den weeg der güte zuvordrist ahn die hand« geben, »iztgedachter weeg der güte« sei dem ganzen Reich wie der Kurpfalz »nutzlicher und ahnstandiger« als ein militärisches Hazardspiel. 87 Ferdinand Maria an seinen Reichstagsgesandten Delmuck, 1674, Februar 13 (Entw.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3405, fol. 164. Man mußte deshalb einen »redlichen unparteyischen stillstand der waffen« suchen. 88 Vgl. nur, für manch Vergleichbares: soll sich abstimmen mit denen, »die bishero mit uns zu befürderung des friedens werck, gleiche intentiones geführt«: also mit Schweden, Hannover sowie vorsichtig mit Kurmainz – Ferdinand Maria an Delmuck, 1674, August 21 (Entw.), BayHStA Äußeres Archiv 3407, fol. 307. 89 München verstieß nicht gegen die Buchstaben der Neutralitäts- und Protektionsverträge mit Frankreich, aber doch wohl gegen deren Geist, ganz gewiß gegen die sich an sie knüpfenden Pariser Erwartungen. Paris hatte gehofft, Bayern werde zum Bollwerk gegen rasche Diversionen der Kaiserlichen nach Westen und zum (mit Hilfe französischer Subsidien aufgerichteten!) Stachel im Fleische seiner östlichen Gegner, aber statt bayerischer Hilfstruppen kamen von der Isar Friedensappelle und der notorische Hinweis darauf, daß man selbst bedroht sei, deshalb die (wie gesagt von Frankreich mitbezahlten) Truppen im Land halten müsse. Die Verträge von 1670 und 1673 enthielten tatsächlich solche Klauseln hinsichtlich des Schutzes der eigenen »procvinciae«.

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position« gebeten wurde! Da genügte nun kein einfaches Ja, das war die treffliche Gelegenheit, wieder einmal wortreich herauszustreichen, daß er »zu abwendung, des, dem Gemainen teutschen lieben Vatterlandt und so vilen stadlichen provincien, wie mehr den zuvil notorium hier vor augen ist, uber den hals gewachsenen grundverderblichen ruins, gleich anfang getrewe sorg getragen, und die güte, dem ungewissen ausgang der waffen lieber vorgezogen« hatte.90 Wenn die »vergiessung des werthen Christen Bluettes« solche Ausmaße annahm, war es an der Zeit, wieder einmal darauf hinzuweisen, daß er sich »alzeith erbotten« hatte, den Frieden zu vermitteln. Natürlich war der brave Neutrale auch jetzt bereit zu jenen Vermittlungsaktivitäten, die – das war der Konter auf die Wiener Gehorsamsund Gemeinwohlparolen! – »schuldigkeit und obgelegener eyfer zu befürderung des gemeinen wohlweesens« von ihm verlangten.91 Kompensierte Friedenspathos nicht nur das Patriotismusdefizit des Neutralen, auch sein Ehrdefizit? In Akten aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges stieß ich auf keine kräftigen Indizien für diese Annahme. Wir sahen schon, daß das notorische Friedensgerede der damaligen Neutralen die Kriegsparteien wenig zu beeindrucken pflegte. Fand es in den 1670er Jahren dankbarere Adressaten? Es werde auf Bayern und seine Friedensliebe »allerorten ... grosse Reflexion« gemacht, berichtete der Geheime Rat Leydel einmal aus Wien, und ein Nuntiaturbericht attestiert dem Münchner Kurfürsten, Bayern durch seine Vermittlungsversuche »grosse Reputation« einzutragen.92 Der vermittlungswütige Neutrale dachte ja doch demonstrativ nicht nur an sich! Als zum holländischen Kriegsschauplatz ein brandenburgischer hinzukam, bat der mittlerweile nicht mehr »neutrale« Düsseldorfer Pfalzgraf den bayerischen Dauerneutralen, daß er sich »ins mitl lege«, um »dem ausbruch einer grösseren flamme vorzupauen«. Er bringe es vor Ferdinand Maria, weil der »mit unter den gar wenigen, in dem Röm. Reich, welche sich bei den bisherigen leidigen Khriegs wesen nit Jnteressirt« gezeigt hätten, deshalb die entsprechende »authorität« besitze. Der Kurfürst finde hier – es ist natürlich (in zeitüblicher, also französisierender Diktion) Schmeichelei! – eine treffliche Gelegenheit, seine »bereits erworbene glori volkhommen zumachen, auch dieselbe gänzlich zu eternellisieren«. 93 Es ist natürlich erneut Schmeichelei, wenn ein schwedischer Diplomat Caspar von Schmid gegenüber 90 Natürlich wird er »in dem von sovil tausend betrangten seelen desiderirenden gemainen friedens werck, im geringsten nichts ausser obacht lassen«: »Beschaid dem Kays. ob. Regiments Rath und alhiesigen Residenten zuzustellen«, 1675, Januar 17 (Entw.), BayHStA Kasten schwarz 235 (unfol.). 91 Ferdinand Maria an Kaiser Leopold, 1675, November 19 (Entw.), erneut unter Bezug auf den nordischen Kriegsschauplatz, ebda. 92 Beide Zitate, leider ohne Beleg und ohne Datumsangabe, bei Doeberl, Frankreich, S. 511. 93 Philipp Wilhelm an Ferdinand Maria, 1675, Februar 16 (Or., chiffriert), BayHStA Kasten schwarz 6710, fol. 62f. Ebda., fol. 61 liegt eine Auflösung.

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des Kurfürsten »rühmlichs« Bemühen um den Frieden lobte und hinzusetzte, er habe damit »den andern zu einem fürgänger und exempel gedienet«.94 Doch hörte der so oft der Untreue und der Schande (nicht mehr der Sünde) geziehene Neutrale gewiß gern auch einmal ein Kompliment – zumal ja eine auf Ehre und Ruhm verkürzte »gloire« wohl nie angestrengter als in den Jahrzehnten um 1700 hochgehalten wurde. Nicht nur wegen der konkreten kurzfristigen Nutzeffekte waren Mittlerdienste für die Neutralen »ein gesuchtes werckh«.95 5.1.4 »Armirte« Neutralität und »tiers parti« »Wan auch zwischen zwe anderen Krieg entstehen solte, so suchet durch Ewere Interposition den Streidt beizulegen, aber stehet alzeitt in gutter Postur, damitt Ihr Nachdruck habet«96: das empfahl der Große Kurfürst dem Nachfolger in seinem Politischen Testament von 1667. Drei Jahre später, als sich der Holländische Krieg abzuzeichnen begann, gutachteten die Räte Friedrich Wilhelms: »Es deucht uns am allerrathsamsten zu seyn, daß sich Ihre Churfürstl[iche] Durchl[aucht] neutral, jedoch allezeit zum Kriege sattsam parat halten, damit sie sowohl ihre Lande wider die feindlichen Anfälle bedecken, als auch der FriedensMediation gehörigen Nachdruck dadurch geben können.«97 Schon, weil es jenen Vermittlungsaktivitäten, die die neutrale Option häufig flankierten, Nachdruck verschaffen konnte, lag es für Neutrale nah, über Rüstungsanstrengungen nachzudenken. Es gab dafür aber natürlich noch näherliegende Gründe: das geringe Renommee des Neutralenstatus, das Fehlen verläßlicher völkerrechtlicher Normen – Neutralität war moralisch und rechtlich so wenig bewehrt, daß sie gegebenenfalls militärisch verteidigt werden mußte. Ansatzweise finden wir solche Zusammenhänge auch in vormoderner Literatur, so weiß Neumayr von Ramsla: »Dieweil aber auch keiner auff seine neutralitet so gar trawen soll, daß er darumb vermeinen wolle, er were nunmehr gnugsam versichert, und sey ausser aller Gefahr: So ist von nöten, so balden er sich zur neutralitet erkläret, daß er, bevorab, 94 Esaias von Pufendorf an den bayerischen Kanzler, 1675, Dezember 16 (Or.), ebda., fol. 142– 145. 95 »Es stehet ... bey den principal kriegenden theilen, wen sie pro mediatore belieben, oder recusiren wöllen, es ist ein gesuchtes werckh«: Bericht Yrschs aus München nach Düsseldorf, 1673, Juni 25 (Or.), BayHStA Kasten blau 79/1, fol. 34f. 96 Politisches Testament vom 19. Mai 1667: Duchhardt, Politische Testamente, S. 165–186, hier S. 172. 97 Aus dem »brandenburgischen Staatsconcilium aus dem Jahre 1670« zitiert Ernst Reibstein, Das »Europäische Öffentliche Recht« 1648–1815. Ein institutionengeschichtlicher Überblick, in: Archiv des Völkerrechts 8 (1959/60), S. 410.

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wann er der Ge­fahr nahe sitzet, nichts minder sich auch rüste«.98 Die bloße Beteuerung, man sei neutral und halte sich aus allem heraus, »versicherte« eben nicht. »Si enim in summa pace de bello maxime consultandum sit«, zitiert Georg Schröder einen Topos frühneuzeitlicher Ausführungen zu Krieg und Frieden, »eo magis sollicitus sit ad belli apparatus neutralis, quo periculum est propinquius. Adeoq; in hoc apprime vigilare debet, ne belligerantium militem in suum territorium admittat, eumq; si sanis rationibus avertere non poterit, vi potius reprimat«.99 Weil die »rationes« des Neutralen nicht stachen, brauchte er selbst Waffen. Sogar bis in die Reichsstadt Ulm hatte sich herumgesprochen, daß Neutrale »starkh und mächtig genug« sein mußten, um diesen den Kriegführenden unliebsamen Status befestigen, buchstäblich verteidigen zu können, »daß man bey der neutralitet nicht werde bestehen können, wofern man keinen starkhen rukhen habe«.100 Der pfälzische Kurfürst Karl Ludwig notierte auf einer Relation seines Wiener Emissärs Geyer: »Wan man armirt kan man die neutralitet desto besser manuteniren«.101 Aber suchten nicht vor allem Territorien Zuflucht bei der »neutralitet«, die diesen »starkhen rukhen« eben nicht hatten? Es war ein grundlegendes Dilemma vormoderner Neutralität, daß sie meistens aus (militärischer, machtpolitischer) Schwäche gesucht wurde und doch gerade Schwache nicht zuverlässig schützte. Jene vielen Mittleren und Kleinen, für die sowieso keine Hauptrollen im großen Kriegstheater und keine lukrativen Kriegsziele in Aussicht standen, nahmen zur vermeintlich ressourcenschonenden Neutralität Zuflucht und mußten dann doch darüber nachdenken, ob sie nicht zuzurüsten hatten, als jagten sie gerade aktiv den lockendsten Kriegszielen nach. 98 Neumayr, Neutralitet 1620, Kapitel VIII. 99 Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 71. Abschnitt Nr. 78: »De congrua defensione prospexerit, quo tutius contra periculosas belligerantium irruptiones se defendere possit«. 100 Resolution der Reichsstadt Ulm »die coniunction betreffend«, undat. Kopie: Staatsarchiv Nürnberg Unionsakten 120, fol. 310–313. – Es handelt sich nicht um eine Variation des gelegentlich begegnenden Gedankens »nur mächtige Gemeinwesen können sich die suspekte Option Neutralität leisten«. Zum Kontext: Nach dem Ende der Union von Auhausen im Frühjahr 1621 dachten die sich als »neutral« sehenden fränkischen Markgrafen, die Nürnberger, die Ulmer darüber nach, neue Formen gegenseitigen Schutzes zu organisieren. In diesen Zusammenhang ist die Ulmer Resolution, wohl vom Frühjahr 1622, zu stellen. Eines der frühesten interessanten Zeugnisse aus diesem Umfeld ist ein Bericht des Nürnbergers Johann Sigmund Fürer über Beratungen mit dem Ansbacher Markgrafen im Dezember 1621. Letzterer habe geklagt, so Fürer, daß die »Neutralisten« der Rache der siegreichen Katholiken schutzlos preisgegeben seien, man müsse eine ansehnliche gemeinsame Armee auf die Beine bringen, freilich »bloß ein landtsrettung« (Relation vom 21. Dezember 1621, Or.: ebda., fol. 7–11). 101 Notiz Karl Ludwigs am Ende einer Relation Geyers vom 6. Februar 1676 (Or.), BayHStA Kasten blau 102/4 (unfol.).

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Wie wenig indes einige eigene Fähnlein geeignet waren, die Akzeptanzprobleme vormoderner Neutralität zu beheben, zeigt das neuburgische Beispiel. Wolfgang Wilhelm versuchte der Neutralität seiner niederrheinischen Herzogtümer seit 1632 militärischen Nachdruck zu verleihen, ehe ihm das das Rüstungsverbot des Prager Friedens von 1635 verunmöglicht hat.102 Furchteinflößend war das klevische Heer nicht: Der Dienst in erklärt neutralen Gebieten versprach Obristen und Söldnern keine lukrativen Eroberungen, keine Beute; und Wolfgang Wilhelm war, wie fast alle seine fürstlichen Standesgenossen, verschuldet. Also ging er die Kriegsparteien um die Finanzierung seiner Truppe an – vergebens die Generalstaaten, mit einem gewissen Erfolg die spanische Regierung in Brüssel. Die niederrheinische Neutralitätsarmee wurde auch von spanischen Geldern finanziert103: War das mit neutraler Distanz zum Kriegsgeschehen vereinbar? War der Argwohn der Kriegsparteien dem Neutralen im allgemeinen, besonders aber einem »armirten« Neutralen gegenüber also berechtigt? Wir sahen ja schon, daß Rüstungsanstrengungen den Neutralen besonders »suspect« machten, für die Heilbronner belegten die »Costbaren KriegsWerbungen« Wolfgang Wilhelms seinen Wunsch, »sich mit den ligisten zue conjungiren«.104 Keine Äquidistanz des Neutralen, kein Respekt ihm gegenüber – wir stoßen bei der bewaffneten Neutralität auf alle Probleme, die wir schon von der nicht »armirten« her kennen. Weil dieser Status nicht juristisch bewehrt war und weil die neutralen Rüstungsanstrengungen in der Regel nicht imposant genug waren, um vor Übergriffen der Kriegsparteien zuverlässig abzuschirmen, war der Effekt für die betroffenen Untertanen nicht selten eine dreifache Belastung: Mal forderte diese, mal jene Kriegspartei ihre Kontributionen, zu alledem mußte die 102 Alle Einzelheiten bei Küch, Die Politik, passim; vgl. beispielsweise S. 1, S. 10, S. 76, S. 172f. sowie, zum Ende im Zeichen des Prager Friedens und entsprechender kaiserlicher Mandate, S. 177–179. Daß Wolfgang Wilhelm trotz des Prager Friedens dem Kaiser immer wieder in den Ohren lag, er müsse ihm eigene landesherrliche Truppen einräumen, weil nur so der Weg der »neutralitet« gangbar sei, zeigt Leffers, Wolfgang Wilhelm, S. 8f. Alle ereignisgeschichtlichen Einzelheiten sind entbehrlich. – Und die Eidgenossen? Wiewohl sich ihr eigentümlich wenig reflektiertes, kaum konzeptionell geschärftes »Stillesitzen« im Wesentlichen als niedriges machtpolitisches Profil auswirkte, sahen doch auch sie sich wiederholt dazu genötigt, dieses Stillsitzen zu bewehren, schon während des Schmalkaldischen Krieges (dazu Geiser, Über die Haltung, S. 184f.), erst recht immer wieder während des Dreißigjährigen – mit dem vielgerühmten »Defensionale von Wil«, dem Projekt einer konzertierten Sicherung der Grenze, mit genauen Mannschaftszahlen und logistischen Einzelheiten für den Bedarfsfall, als Gipfelpunkt; zu ihm zuletzt Marco Jorio, Die Schweiz und der Westfälische Friede von 1648, in: 1648 – 1798 – 1848 – 1998: 350 Jahre bewaffnete Neutralität der Schweiz/ 350 ans de neutralité armée suisse, Bern 1999, S. 20f. 103 Vgl. auch hierzu, in ereignisgeschichtlicher Fülle, Küch, Die Politik, S. 86–89 und S. 94f. 104 Gutachten des Grafenkollegiums vom 18. Mai 1634 (Kopie), BayHStA Kasten blau 102/4 I. Ich zitierte schon weiter oben, im Kontext der mangelhaften Schutzwirkung von Neutralitätserklärungen, aus diesem Gutachten: S. 629 mit Anm. 367.

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Neutralitätsarmee unterhalten werden.105 Andererseits konnte die Armierung das diplomatische Gewicht des Neutralen schon etwas erhöhen. Man hätte an sich gute Gründe, »die angesonnene Neutralitet zuverweigern«, urteilten die Heilbronner Verbündeten am 19. Mai 1634, aber weil die niederrheinischen Herzogtümer Wolfgang Wilhelms »also situirt das daraus dem Feindt groser vorschub beschehen kan und dann das S. F. D. in zimlicher bedenklicher armatur begriffen seindt«, sei man zum Schluß gekommen, »das die neutralitet, doch uff gewise mas undt conditiones vermittelst deren man die besorgende inconvenientien evitiren mag, verwilligt werden könte«.106 Die Konzeption eines Blocks bewaffneter Neutraler mit durch ihre »Armirung« unterstrichenem Vermittlungsanspruch firmiert in vormodernen Akten als »dritte parthey«. Sie führt die beiden zuletzt angesprochenen Themen, Friedensvermittlung und Rüstungsanstrengungen, zusammen. Durchgehend begegnet der Gedanke der Formierung einer Dritten Partei während des Holländischen Krieges, entsprechende Gedankenspiele gab es aber auch bei den früheren von dieser Studie fokussierten Konflikten. So sponn der kursächsische Rat Georg Kromerstadt im August 1546 das Szenario eines Zusammenschlusses der Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen, der Stifter Magdeburg und Halberstadt, der Harzgrafen und Böhmens aus. Diese bislang neutralen Territorien sollten rasch ein zwanzigtausend Mann starkes Heer auf die Beine bringen, das unter der Kommandogewalt der Kurfürsten Joachim und Moritz dem Kriegsschauplatz zuzöge, woraufhin beiden Kriegsparteien ultimativ ein Friedensplan zu übermitteln und gegebenenfalls der zustimmenden Seite gegen die etwa ablehnende zu helfen sei.107 Sondierungen in Prag und wohl auch Berlin erbrachten offenbar keine Resonanz auf das kühne Projekt.108 Im Sommer 1552 hätte der Pfälzer Friedrich gern eine engere Zusammenarbeit der Neutralen auch bei der Abwehr von Zudringlichkeiten und Übergriffen der Kriegsparteien gesehen, ein von ihm wieder und wieder propagiertes Treffen der weltlichen Neutralen motivierte er so: »damit man ein mal sich vergleich unnd

105 Instruktiv für den Sommer 1634 Küch, Die Politik, S. 120: »schwere Contributionen« Wolfgang Wilhelms, schwedische Truppen im Land, ebenso kaiserliche Quartiere, so daß »die Unterthanen nun von drei Seiten in Anspruch genommen wurden«. 106 Natürlich gehörte zu diesen »conditiones« die weitgehende Demilitarisierung: Die Deputierten der Heilbronner an Axel Oxenstierna, 1634, Mai 19 (Kopie), BayHStA Kasten blau 102/4 I. 107 Vgl. Brandenburg, Moritz, Bd. 1, S. 474. 108 Was wir von diesen Sondierungen wissen, faßt Luttenberger, Glaubenseinheit, S. 402f. zusammen.

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auff unversehenlichen eilenden uber fall oder zumuttens, zurichten wiss«.109 Der Widerhall war gering, die politischen Partner setzten einseitiger als Friedrich auf die Linzer, dann Passauer Verhandlungen, also, plakativ gesagt: auf Vermittlungsdiplomatie. Nach dem Ende der Union von Auhausen im Frühjahr 1621 dachten manche ihrer bisherigen Mitglieder über eine nun freilich nicht mehr von vornherein parteiische, weil konfessionspolitisch engagierte, sondern pointiert friedensorientierte Neuauflage nach, kurz: über die Formierung einer »dritten parthey«. Entsprechende Szenarien stieß beispielsweise der Kalenberger Vertrag vom 24. Februar 1623 an, mit dem sich der »tolle Halberstädter«, Christian von Braunschweig, um Quartierplätze bei Wolfenbüttel zu ergattern, scheinbar von Mansfeld trennte, angeblich, um die Aussöhnung mit dem Kaiser zu suchen – ein Täuschungsmanöver, doch weckte es bei den süddeutschen Protestanten prompt Hoffnungen auf eine um Dresden gruppierte, mit Christians Truppen bewaffnete Neutralitätspartei.110 Schon im Dezember 1621 hatte der Stuttgarter Hofrat Benjamin Bouwinghausen Mahnungen, die württembergische Neutralität durch hinreichende Rüstungsanstrengungen zu befestigen, mit dieser Utopie verbunden: »Wann dann wir alle in particulari also versehen, und uns, wie wir alhier durchaus resolvirt, auf keine seiten lenken, auch weder durch lieb und zwang uns dahin kriegen lassen, sonder tertiam partem machen kendten, pro sola libertate patriae et religionis, und etwo Sachsen und andere zue uns stüenden, kendten wir villeicht mit Gott uns noch ab interitu vindiciern ... und es nit ad extrema kommen lassen, das die fremde nationen in unsern landen ihre passiones ausfiehrn«111 – finanzielle und militä­rische Handlungsfreiheit als Basis nicht nur für die eigene Sicherheit im Niemandsland zwischen den Blöcken, sondern für reichspolitische Wirksamkeit, eine befriedende, integrierende Wirksamkeit, die den ausländischen Eingriffen den Boden entzöge! Einmal vorausgesetzt, Bouwinghausen hätte seine Ratskollegen in Stuttgart mitreißen können: Besaß die Vision Realisierungschancen? Es fehlte diesem und vergleichbaren Projekten, in der Aktensprache der Zeit gesagt, am »starcken rukhen«. Die katholische Führungsmacht, Bayern unter dem längst nach dem

109 Friedrich von der Pfalz an Herzog Christoph von Württemberg, undat. Kopie [ Juli 1552], BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4526, fol. 264f. 110 Vgl. beispielsweise den Bericht des Nürnbergers Georg Volkamer über eine Besprechung mit Kulmbacher Gesandten (ausdrückliche Berufung auf eine so formbare »dritte parthey«) vom 13. April 1623: Staatsarchiv Nürnberg Unionsakten 127, fol. 480–482. 111 Benjamin Bouwinghausen an Marx Konrad von Rehlingen, 1621, Dez. 30 (Kopie), HHStAW Böhmen 63 Dezember, fol. 66f. (»copia eines intercipirten«, also abgefangenen »schreibens, darauß allerlay abzunemmen«).

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Kurhut schielenden Maximilian, wollte ihre Kriegsgewinne im Schulterschluß112 mit der Hofburg einfahren; die Dresdner aber lehnten reichsständische Sonderbündnisse, egal unter welcher Flagge, sowieso ab, für sie ging Reichspatriotismus in angestrengter Kaisertreue auf.113 Die Dritte Partei blieb papierne Utopie. Zehn Jahre später entwickelte ein enger außenpolitischer Mitarbeiter Richelieus, Père Joseph, in einer Denkschrift, die uns schon in anderen Kontexten interessiert hat114, ansatzweise so etwas wie die Idee einer reichsständischen Dritten Partei. Man müsse katholischen wie lutherischen115 Fürsten, so das Papier, folgendes klarmachen: »Ce principe de la neutralité« sei »le seul moyen«, um eine »guerre de religion« herumzukommen und »d’adoucir peu à peu les esprits et d’ouvrir la voie à une paix sûre«. Natürlich wäre die von einer solchen Neutralitätspartei angebahnte »paix sûre« auf Kosten Habsburgs gegangen. Frankreich wollte gegen diese katholische Dynastie keinen Konfessionskrieg führen, wollte sie in einem säkularen Machtkampf in die Schranken weisen. Aber wiewohl die konfessionellen Gehalte des Dreißigjährigen Krieges in den 1630er Jahren spürbar absanken, blieben die reichsständischen Sympathien doch grundsätzlich entlang der konfessionellen Trennlinie geteilt. Hätte sich der große deutsche Konfessionskrieg durchgreifend entkonfessionalisiert, wäre der ihn beendende Westfälische Frieden nicht über weite Strecken ein Zweiter Religionsfrieden geworden.116 Eine reichsständische Dritte Partei hätte interkonfessionell sein müssen, schon deshalb war sie vor 1648 utopisch.

112 Der war durchaus kühl kalkuliert, niemals herzlich innig. Aber der Beitritt zu einer etwaigen Dritten Partei kam für Maximilian aus mehreren Gründen nicht in Frage. Daß er gern von »teutscher Libertät« sprach (das legitimierte die wohlkalkulierte Distanz zur Hofburg), darf nicht zum Schluß verleiten, den Mann hätten reichspatriotische Gefühle beseelt, Maximilians Patria war das Herzogtum Bayern. Nie und nimmer konnte eine Dritte Partei ausgerechnet auf den Münchner bauen. Das wird mehr als klar, so man sich in die Reichspolitik Maximilians vertieft – was hier nicht zu leisten ist, vgl. stattdessen (ohne Bezug aufs Neutralitätsthema) Gotthard, Maximilian und das Reich. 113 Ich darf so knapp (und pointiert) formulieren, weil ich auch die Dresdner Reichspolitik an anderer Stelle analysiert habe: Gotthard, Kursachsen – in Dresdner Sicht hatte man »keiner Union nötig, da man in solchen terminis verharrete«, wie sie Kaiser und Reichsgesetze vorgaben, »gebe die Reichsverfassung genuegsamb ordnung«. 114 Ich erwähnte sie, als ich den Rahmen für die bayerisch-französisch-schwedischen Verhandlungen von 1631/32 zu skizzieren suchte: vgl. S. 589 mit Anm. 192. – Abdr. des wohl im November 1633 niedergeschriebenen Memorandums: Fagniez, Le Père Joseph, Bd. 2, S. 146–151 (hier S. 147). 115 Das Memorandum hat hier zum einen die katholischen Reichsstände, »particulièrement« die katholischen Kurfürsten, sodann mit der Hofburg sympathisierende Lutheraner im Visier; die französischen Parteigänger aus der überwiegend calvinistischen »Aktionspartei« wollte Père Joseph keinesfalls in die Neutralität vertreiben. 116 Vgl. außerdem oben S. 200 mit Anm. 367.

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Konfessionspolitische Hindernisse standen während des Holländischen Krieges entsprechenden Projekten bezeichnenderweise nicht im Weg. Über Ansätze kamen sie dennoch nicht hinaus. Neben dem gleich zu skizzierenden Machtdilemma ist schlicht in Rechnung zu stellen, daß es Ludwig den frechen Holländern eben unbedingt einmal zeigen wollte, es fehlte in Paris jeglicher Friedenswille. Dem Roi soleil und den Holländern dabei zu helfen, »to realize their own common or overlapping interests«117, war ein wenig aussichtsreiches Unterfangen! Dieses Manko also war neu und spezifisch, daneben blieb ein Grunddilemma: das gravierende Machtdefizit, es fehlte der »starcke rukhen«. Schon jenem brandenburgischen Rätegutachten von 1670, aus dem am Beginn dieses Kapitels zitiert wurde118, läßt sich das auch in den Folgejahren maßgebliche Problem ablesen: Dem Ratschlag, »neutral, jedoch allezeit zum Kriege sattsam parat« zu sein, auf daß man »der Friedens-Mediation gehörigen Nachdruck« verleihen könne, folgt das Eingeständnis, daß der Kurfürst bekanntlich »von der Neutralität einen Abscheu« habe, weil »solche mit dero Staats-Interesse nicht bestehen könnte«. Seine Räte empfehlen ihm vorerst trotzdem diese Neutralität, doch müsse man »die Cron Franckreich vermögen, ihnen so viel Subsidien, zu Unterhaltung so vieler Völcker, zu geben, als zu Behauptung der Neutralität nöthig sind«. Man muß bewaffnet sein, schon, um seinen Friedensvermittlungen Nachdruck zu verleihen, braucht dazu aber die Mittel einer Kriegspartei! Über dieses Dilemma kamen auch Zusammenschlüsse mehrerer Reichsstände nicht hinweg, und als sich seit dem Sommer 1673 einige Reichsfürsten den »starcken rukhen« an Schweden holten, war dieses von Frankreich genehmigte Bündnis mit dem von französischen Subsidien abhängigen nördlichen Königreich offenkundig alles andere als unparteiisch. Der Gedanke der Dritten Partei war während des Holländischen Krieges stets präsent. Ereignisgeschichtlich ist das für die ersten drei Kriegsjahre gut aufgearbeitet, man braucht nur die Studie von Klaus Peter Decker über das Verhältnis der Reichsstände zu Frankreich nach dem Suchwort »Dritte Partei« zu durchforsten, für die Jahre nach 1675 wird man etwas weniger ausführlich in anderen Monographien fündig.119 Entsprechende Erwägungen werden auch in den Akten durchgehend so etikettiert: als Idee der »driten«120 oder, üblicher, der 117 Vgl. Anm. 1. 118 Wie Anm. 97. 119 Vgl. nur Hüttl, Caspar von Schmid, S. 266 und S. 270f. Noch im Mai 1678 (!) einigten sich Kurbayern und Kursachsen auf einen Vertrag, der vorsah, auf einen raschen Frieden zu dringen, »denselben nötigenfalls mit einer militärischen Kooperation zu erzwingen und zu diesem Zwecke eine Armee von 20000 Mann aufzustellen«: Doeberl, Frankreich, Bd. 1, S. 504. 120 Die Relationen des neuburgischen Residenten Schellerer aus Wien berichten seit 1676 notorisch von der Furcht der Hofburg vor einer »driten parthey«: BayHStA Kasten blau 69/13.

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»dritten parthey«.121 Beispielsweise faßte damals der Große Kurfürst »die Bildung einer bewaffneten Dritten Partei ins Auge«, die »gegebenenfalls die schwächere Seite im Sinne der Balance zu stärken« hatte122; Philipp Wilhelm von PfalzNeuburg arbeitete, »statt sich auf eine individuelle Neutralität zurückzuziehen«, an der Aufrichtung einer »Mittelpartei«, um »Deutschland überhaupt aus dem Konflikt heraushalten« zu können, angetrieben hat ihn nicht zuletzt »der Ehrgeiz, sich mit dem Ruhm eines Vermittlers zu schmücken«123; zumal aber der Erzkanzler, Johann Philipp von Schönborn, propagierte als gegebenes Instrument der Einhegung des Holländischen Krieges die Formierung einer bewaffneten vermittelnden Dritten Partei, »il tiendra ... autant qu’il pourra neutre à la teste de toutz les Électeurs et Princes de l’Empire qui ne sont encore entréz en aucun engagement, avec lesquels il formera un tiers parti dont il puisse favoriser celuy des deux qui seroit en guerre, lequel tesmoignera plus d’inclination à la paix sous la condition de sa garantie universelle«.124 Es blieb, wie gesagt, bei den guten Vorsätzen. Was sich dann im Sommer 1673 als um Schweden gruppierte lockere Vereinigung frustrierter seitheriger Frankreichfans zu formieren begann, war ja eklatant parteiisch.125 Vordringliches Motiv war nicht der Wunsch nach Friedenswahrung fürs Reich und nach Friedensvermittlung, es handelte sich um den verzweifelten Versuch, etwas Distanz zu Frankreich zu gewinnen und bei Kaiser wie Mitständen nicht vollends das Gesicht zu verlieren – so spricht denn jene Defensivallianz vom Dezember 1673126, die München, Neuburg und Hannover fortan mit Schweden verband, nicht nur von Bündnisfällen und Truppenkontingenten, nein, man werde außerdem solidarisch die schwedischen Vermittlungsversuche unterstützen und gegebenenfalls die Kriegführung derer, die »billige conditiones« ausschlügen, durch die Verweigerung der Passage etwas erschweren.127 121 Vgl. nur, für Dutzende ähnlicher Formulierungen: »bey dene secreten articeln« waren seine Gesprächspartner am Rande des Kölner Kongresses »einig, dan wan es eine dritte partey solte seyn so müste dieselbe nicht so fort mit dene kriegenden teillen sich einlassen« – Bericht Stratmans aus Köln, 1673, Oktober 20 (Or.), BayHStA Kasten blau 7/22 (unfol.). 122 Decker, Frankreich, S. 41. 123 Ebda., S. 71. 124 So faßte die kurmainzischen Ziele treffend der Abbé Gravel zusammen: an Ludwig XIV., 1672, November 20, zit. nach Decker, Frankreich, S. 123 Anm. 161. 125 Schon im Herbst 1672 hatte sich der Große Kurfürst (an die Geheimen Räte, 1672, Oktober 19, Brode, Urkunden und Actenstücke, Bd. 13, hier S. 347) gewundert: »Wird viel bei einigen Chur- und Fürstlichen Häusern gearbeitet, eine dritte Partei zu machen, welches doch eben diejenige sein, so bisher dem Französischen Werk so sehr favorisiret haben.« 126 Vgl., mit der weiteren Literatur, Decker, Frankreich, S. 269f. 127 Man schließe sich auch deshalb »unitis consiliis et viribus« zusammen, um »zu verhindern und zu wehren, daß der oder die den Frieden und die ... dahin zielende billige conditiones ausschlagende theile, durch ihre lande und gebieth ... einigen march, weniger Quartier«

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Dieser diplomatische Hilfsverein für die Pariser Deutschlandpolitik war so wenig unparteiisch, daß allen Ernstes Vorschläge aufkamen, daneben eine »vierte Partei« der tatsächlich einigermaßen unabhängigen Kräfte zu formieren – aber hiervon war in anderen Zusammenhängen schon die Rede.128 Wenn die Propagandisten dieser »vierten Partei« dafür warben, gemeinsam Passagen und Quartiernahmen abzuwehren, sich aber ansonsten weder in den Krieg einzumischen noch in etwaige Friedensverhandlungen129, die zu befördern man gern der »tiers parti« überlasse: dann präsentiert sich dieses skurrile Projekt als Versuch der Vereinigung jener Neutralen, für die militärische Abstinenz mit diplomatischer Einigelung einherzugehen hatte.

5.2 Diplomatische Einigelung oder erhöhte politische Aktivitäten? 5.2.1 Das Quellenproblem; und einige Schlaglichter War dem so? Frommte der Neutralität diplomatische Selbstbeschränkung? Oder war es erfolgversprechender, ein niedriges machtpolitisches Profil durch erhöhte diplomatische Aktivitäten zu kompensieren? Das will diese Studie nicht entscheiden (und kann man semel pro semper zweifelsohne gar nicht entscheiden), doch sollte uns interessieren, ob sich die damaligen Neutralen über derartige Probleme den Kopf zerbrochen haben. Gab es im Kreis der Ratgeber Auseinandersetzungen darüber, ob Neutralität besser bei diplomatischer Enthaltsamkeit gedieh, oder ob der (weiter oben abgemessene) Nutzen von Vermittlungsanstrengungen schwerer wog? Und wie war es im einen, wie im anderen Fall mit der auf den letzten Seiten thematisierten »Armirung« bestellt? Korrelieren militärische Zurüstungen und diplomatische Aktivitäten, sei es im parallelen oder aber gegenläufigen Sinn? Man kann, was dieses Kapitel thematisiert, auch so ausdrücken: Es nimmt neben den zuletzt umkreisten Polen »Friedensvermittlung« und »Armirung« drittens den Gedanken bewußter diplomatischer Selbstgenügsamkeit ins Visier und fragt danach, wie vormoderne Ratsgremien in diesem Dreieck den politischen Kurs des Territoriums abzustecken versuchten. Oder gilt es ein Viereck nachzuzeichnen? Weil diplomatisch abzutauchen und sich als Vermittler anzubieten schwerlich zusammengeht, sind ja, so wir ganz schematisch verfahren, vier politische Maximen denkbar, nicht »armirte« wie bewaffnete Mediation, unbewehrte nähmen: dritter der geheimen Nebenartikel. Eine Kopie liegt in BayHStA Kasten schwarz 1022. 128 Vgl. oben S. 671. 129 Vgl. Decker, Frankreich, S. 396 Anm. 2.

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wie »armirte« diplomatische Zurückhaltung. In dieses Drei- oder Viereck also tauchen wir im Folgenden ein, wobei uns rekonstruierbare Entscheidungsfindungsprozesse mehr interessieren sollen als das Resultat solcher Beratungsarbeit, die dann tatsächlich verfolgte Außenpolitik des Territoriums. Legen wir drei Rätegutachten nebeneinander, die dem erklärt neutralen Bayernherzog Anfang Juli 1552 vorgelegt wurden130, können wir Meinungsunterschiede hinsichtlich neutraler Vermittlungspolitik in seinem Beraterkreis zwar nicht prägnant umreißen, aber doch erahnen. Wenn der Krieg weitergehe, urteilte das Gros der Räte, sähen sie »keinen anndern« Weg, »dan das unnser gnediger Fürst unnd Herr, auch annder Chur unnd fursten, so diser khriegs verbundtnuß nit verwandt sind, die sachen zu furderung aines gemainen fridens« bewegten, »auch mit baiden thailen hanndleten«. So jetzt nicht rasch die Waffen schwiegen, müsse der Herzog weiterhin »neutral beleiben« und »sich diser kriegshandlung annderst nit, dan frid zumachen annemen«. Neutralität, Friedensliebe und Vermittlungsbemühungen werden hier im Grunde synonym verwendet. Aus einem Memorandum Georg Stockhammers zu diesem Gutachten zitierte ich schon am Ende von Kapitel 5.1.2 – wir sahen, daß er die Akzeptanz der bayerischen Neutralität skeptischer einschätzte, eben deshalb müsse man jetzt Gesandtschaften an beide Kriegsparteien abfertigen, die hier wir dort aktiv dafür zu werben hätten, daß die Münchner Regierung »in sollicher Neutralitet unnd alls ain getreuer gnedigister mitler frid zumachen in stäter übung belib[te]«. Das ging einem Ratgeber Albrechts gegen den Strich; leider besteht seine impulsive Suada gegen die Kollegen aus Vorwürfen und Anspielungen, hinter denen wir so etwas wie eine politische Leitlinie erst suchen müssen. Man habe sich »nit zeweit einzulassen, unnd sich [nicht] fremder sachen taylhafftig zemachen«, warnte Wiguleus Hundt. Vertraulich (»bittent diß mein schreiben weiter nit kommen zelassen«) müsse er folgendes anmerken: »Macht mir das Emsig unauffherlich anhalten der zuesamenkunfft oder schickhens unangesehen alhier«, also in Passau, »werender unterhandtlung allerlay nachgedankhes«, »sieht man vom andern tayl auch vileicht gern zu bis man sich wol vertieff, domit man dester mer ursach hab« – ja, zu was eigentlich? Dem Unkenruf folgt die Prophezeiung, Karl V. »werd noch mal auffkommen«. Hundt fürchtete offenbar die Rache eines Reichsoberhaupts, dem Neutralität für Ungehorsam stand und das Konferenzen der Neutralen als konspirative Treffen einschätzen mochte; doch darf man wohl auch allgemeiner formulieren, daß für diesen Ratgeber Neutralität nicht nur militärische, sondern ferner diplomatische Abstinenz hieß. 130 Wir lernten sie schon in einem anderen Zusammenhang kennen; zum Folgenden: Gutachten der Münchner Räte, s. d., BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4526, fol. 257–259; Gutachten Georg Stockhammers zu diesem Memorandum, s. d., ebda., fol. 260f.; Gutachten von Wiguleus Hundt, 1552, Juli 10, ebda., fol. 262f.

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Auch das Protokoll der Oberweseler Tagung der rheinischen Kurfürsten im April 1552131 läßt ansatzweise divergierende Einschätzungen neutraler Vermittlungsbemühungen erkennen. Einerseits springt dem heutigen Leser sofort eine geradezu aufdringliche Friedensrhetorik ins Auge (»nichts liebers sehen fried und rhue im heilig reich erhallten, und an Jr neben andern zuhandlen kein fleis erwinden lassen«); doch wollten die Votanten aus Mainz und Trier dann doch lieber die für eine weitere Versammlung in größerem Kreise notwendige Zeit verstreichen lassen als »allain den last uf sich nemen« zu müssen, »damit was gehandlet nit allain Jnen ufn nacken«.132 Diese Beobachtungen aus dem Fürstenkrieg warfen lediglich kleine Schlaglichter auf den weiter oben entwickelten Fragenkomplex. Um das In-, Mit- und Gegeneinander militärischer wie diplomatischer Anstrengungen rekonstruieren und wenigstens punktuell auch auf dahinterstehende Motive rekurrieren zu können, bedarf es einer außergewöhnlich guten Überlieferungssituation. Das macht die württembergische »neutralitet« der 1620er Jahre für dieses Kapitel besonders wertvoll. Über die internen Stuttgarter Beratungen im ersten Kriegsjahrzehnt informieren uns wohl an die tausend Blatt mit Verlaufsprotokollen und gelegentlich daraus fließenden, ebenfalls ganz der Tagesaktualität verpflichteten Rätegutachten. Sie sind über zahllose Bestände zerstreut133, aber irgendwo findet sich doch für fast jede Woche mindestens ein Protokoll oder ein kurzes Memorandum. Weil die Hofräte gänzlich aktualitätsbezogen über das tagespolitische Kleinklein zu befinden hatten, die meisten von ihnen auch nicht eben intellektuelle Kapazitäten (sondern tüchtige Verwaltungsroutiniers) waren, weil sie nicht ansprachen (oder vom Protokollanten nicht festgehalten wurde), was ohnehin im damaligen Bewußtseinshorizont selbstverständlich war, und weil der grundsätzlich nicht selbst anwesende Herzog (ein redlich bemühter, auch keinesfalls tumber Mann, aber ebenfalls keine intellektuelle Kapazität) offenkundig wer-

131 BayHStA Kasten blau 105/2c, fol. 65–89; die folgenden Zitate: fol. 65, fol. 70, fol. 68. 132 Die dann doch schon einmal entworfene und gleichsam auf Halde gelegte Instruktion für eine Gesandtschaft an Heinrich II. (undat. Entw.: ebda., fol. 100–102) kündet denn auch von einer Ängstlichkeit, die zur Friedenseuphorie des Protokolls merkwürdig kontrastiert – man wisse gar nicht, warum französische Truppen heranzögen, fingierten die Kurfürsten, trotzdem seien sie »urputig allen muglichen fleis anzuwenden«, auf daß der König »das Jhenig was sich geziemen und geburen will, erlangen und zu frieden gestelt« werde. Die Vermittlungsofferte bleibt vage. Vgl. zur ängstlichen Haltung der rheinischen Kurfürsten schon oben S. 644. 133 Für die Jahre der Union von Auhausen ist HStASt A90A tom. 39 am ergiebigsten: ein Tomus, der ausschließlich Verlaufsprotokolle der Besprechungen der auf die Union vereidigten Hofräte enthält. Aber selbst für diese Zeit finden sich auch in anderen Beständen einzelne Protokolle, und für die Jahre nach dem Ende der Union muß man sich solche ohnehin in Dutzenden von Bänden und Büscheln zusammensuchen.

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dende Minderheitsmeinungen134 überhaupt nicht schätzte: deshalb, aus all diesen Gründen, darf man sich selbst bei dieser reichhaltigen Aktenlage nicht zu viel versprechen. Wir finden in solchen Protokollen keine politologischen Analysen. Aber ohne derartige Protokolle ist eine triftige Bestimmung von handlungsleitenden Motiven fast nicht zu leisten. Der Grad der »Armirung« der württembergischen Neutralität war schon deshalb stets brisant, weil aus Wien die ganzen 1620er Jahre hindurch Anweisungen eintrafen, die abwechselnd die sofortige Einstellung aller vorgeblich eigenmächtigen Truppenwerbungen oder gar die Entlassung aller Truppen oder aber die Unterstellung der gerade vorhandenen Kontingente unter irgendeinen kaiserlichen Feldherrn anordneten.135 Nicht nur »neutralitet« war eben für Ferdinand II. Ungehorsam, auch die Wahrnehmung des herkömmlichen reichsständischen Ius armorum – es sind zwei Facetten jenes teutscher »libertät« hohnsprechenden ferdinandeischen Zentralismus, der noch seiner umfassenden Analyse harrt.136

134 Ohnehin wurde natürlich nicht diskutiert, sondern in stets derselben Reihenfolge »votirt«, wie wir das, beispielsweise, auch vom Reichstag her kennen. Man redete also nicht drauflos, sondern nahm, wenn die Reihe an einem war, zum Eröffnungsvotum Stellung. Die intellektuell interessantesten Köpfe (Bouwinghausen, auch Lemblin, später Jakob Löffler) waren entsprechend eingereiht, konnten nicht einfach originelle Konzeptionen entwickeln oder ihren Gedanken freien Lauf lassen. Und, wie schon gesagt: Der Herzog schätzte Abweichungen, die sich in Minderheitsmemoranden niederschlugen (die Verlaufsprotokolle selbst wird er nicht regelmäßig studiert haben), gar nicht. Auf solchen Rätegutachten basierten die tagespolitischen Entscheidungen des Hohen Herrn, er wollte sich das saure Regierungsgeschäft nicht auch noch durch unterschiedliche Meinungen verkomplizieren lassen. 135 Kurios war die Situation beispielsweise im Februar 1622, als sich Anweisungen aller drei Grundtypen ziemlich zeitgleich überkreuzten. Das war den Stuttgartern natürlich gar nicht unrecht, »perplex« über so viele Widersprüche bleibe er bei seinen Defensivanstalten, erklärte der württembergische Herzog: Johann Friedrich an den Kaiser, 1622, Februar 15 (Or.), HHStAW Kriegsakten 46, fol. 48–51; Resolution für Hans Werner von Raitenau, 1622, Februar 20 (Or.), ebda. Palatina 4, fol. 91–94. 136 Jüngst legte Thomas Brockmann für die Jahre 1619–1630, vom Fenstersturz bis zur Entlassung Wallensteins, eine umfassende politische Biographie vor (Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg, Paderborn u. a. 2011), die die disparaten Einsichten aller erreichbaren Spezialstudien bündelt und durch die Früchte von Aktenstudien zumal in Wien ergänzt: ein erheblicher Fortschritt! Nur ist der hier interessierende Gesichtspunkt einer Gefährdung der »teutschen libertät« durch die ferdinandeische Regierungspraxis sozusagen der ›blinde Fleck‹ der so gewichtigen wie problematischen Studie, vgl. demnächst meine ausführliche Besprechung in der Historischen Zeitschrift. Siehe ferner unten S. 837 mit Anm. 246.

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5.2.2 Für die »salvirung unserer landen, benebens erhaltung rechter neutralitaet«: der mikroskopische Blick auf ein Beispiel Wir kennen nun die archivalischen wie die historischen Rahmenbedingungen. Machen wir uns also auf die Suche nach Diskursen oder doch Debattensplittern, die um die militärische und/oder diplomatische Befestigung der württembergischen »neutralitet« kreisen! Die Stuttgarter gingen nach dem Ende der evangelischen Union, so weit sich das noch rekonstruieren läßt, offenbar mit dem Vorsatz in ihre nun häufig erklärte »neutralitet«, diese durch militärische Kooperation mit den lutherischen und süddeutschen unter den seitherigen Verbündeten zu untermauern. Ihr Ziel war im Grunde, ohne daß dieser Begriff in den Akten stünde, die Aufrichtung einer armierten ›Neutralitätspartei‹ ohne politische Ambitionen oder Vermittlungsanspruch. Man glaubte, mit der Union jeglicher Verstrickung in abenteuerliche europapolitische Konzeptionen der »Calviner«, nicht aber der engen militärischen Kooperation der reichspolitisch zuverlässigen Lutheraner ledig geworden zu sein. Intern ganz unstrittig war die »armirte« Neutralität wohl nicht, aber wir finden in den Akten der Jahre 1621 und 1622 keine Grundsatzdebatten, nur kleine Splitter. Klar immerhin ist die Haltung der Landschaft: Für sie war mit der Union endlich die Außenpolitik überhaupt abgeschafft, die nicht interessierte und schon gar nichts kosten durfte.137 Die Hofräte waren sich wohl darin einig, daß diese landständische Haltung beschämend sei. Es sei entehrend, urteilt ein Rätegutachten, daß Johann Friedrich, während noch die kleinsten Reichsgrafen »armirt« seien, »einzig und allein still sitzen« und »eines jeden straifenden herrenlosen häuflins« wehrlose Beute werden müsse.138 Gab es trotzdem Meinungsverschiedenheiten über das wünschenswerte Ausmaß der »Armirung« der Neutralität? Hofrat Benjamin Bouwinghausen monierte gegenüber einem landfremden Korrespondenzpartner, die Neutralen müßten besser »gefasst« sein, wollten sie nicht »beeden tailen zue raub werden«.139 Als der badische Thronfolger Friedrich mit einer hochrangigen Delegation für gemeinsame Rüstungsanstrengungen warb, verärgerte die zurückhaltende Reaktion des Stuttgarter Herzogs Bouwinghausen derart, daß er das Zwiegespräch 137 Entsprechend zäh und für die Regierung unerquicklich verlief der Landtag um die Jahreswende 1621/22; vgl. beispielsweise Karl Pawell an Johann Christoph von der Grün, 1622, Januar 2 (Or.), BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 110/III, fol. 219–222. Die PawellBrüder gehörten zur Konkursmasse des zertrümmerten kurpfälzischen Imperiums, weilten damals gerade mit ihren Familien in Stuttgart. 138 Rätegutachten vom 22. Oktober 1621, HStASt A90A tom. 34, fol. 11–18. 139 Bouwinghausen an Marx Konrad von Rehlingen, 1621, Dez. 30 (Or.), HHStAW Böhmen 63 Dezember, fol. 66f. Anschließend entwickelt Bouwinghausen jenes Szenario einer »tertia pars ... pro sola libertate patriae et religionis«, von dem schon die Rede war.

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mit dem Hofmeister Friedrichs suchte: Die Hofräte seien nicht über die »neutralitet«, doch über das Ausmaß ihrer »armirung« uneins140, es gelinge ihm nicht, die Meinungsführerschaft im Rätegremium zu erringen, doch wenn die badische Delegation unnachgiebig nachsetze, werde auch er dort einmal »daz maul recht aufthun«.141 Vier Wochen später monierte er in seiner bildkräftigen Sprache: »Unser thor stehe offen, also köndten die schwein einlaufen«. 142 Daß dem so blieb, liegt nicht nur an der Haltung der Kollegen Bouwinghausens im Hofrat, es fehlten geeignete143 externe Partner für eine »armirte« Neutralitätspartei; Sondierungen bei den kleineren evangelischen Ständen des Schwäbischen und sogar des Fränkischen Kreises144 erbrachten gänzlich enttäuschende Resultate. Es läßt sich mangels ensprechender programmatischer Äußerungen nicht beweisen, liegt aber nah, daß die Stuttgarter genau aus diesem Grund schon seit dem Sommer 1621 ersichtlich diplomatische Aktionsfelder suchten. Ohne von irgendeiner Seite um ihre Meinung oder gar ihre Vermittlung gebeten worden zu sein, überschütteten sie monatelang die Mitglieder der vagabundierenden pfälzischen Exilregierung mit Mahnungen, sich konziliant zu zeigen, Abbitte zu leisten, sich nicht dem kaiserlichen »gehorsamb und respect« zu »entziehen«145, regten sie umgekehrt gegenüber den siegreichen Habsburgern immer wieder die »güttliche interposition ettlicher friedliebender ständ«146 an. Unüberhörbar dachten sie dabei nicht zuletzt an sich selbst. Vielleicht sahen ja beide Seiten 140 Bouwinghausen ging sogar auf die Haltung einzelner Ratgeber ein; seine eigene Position teilten lediglich Ludwig Andreas Lemblin und der – nicht besonders einflußreiche – Obristleutnant Jost Faber. 141 So jedenfalls ein Bericht des Prinzen und seines Begleiters Heinrich von Limpurg über ihre Stuttgarter Gespräche vom 30. September 1621, Or. (sic! also »Beuteakten«): BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 135. Johann Friedrich teilte die Zurückhaltung der Rätemehrheit um Sebastian Faber. 142 Beratungsprotokoll, 1621, Oktober 27: HStASt A90A tom. 39, fol. 931–938. 143 Weil soeben von badischen Werbungen die Rede war, sollte wohl erwähnt werden, daß der Durlacher Markgraf, der in den letzten Jahren der Union entschieden deren ›aktivistischem‹ Flügel zugehört hatte, nicht eben ein Wunschpartner des Stuttgarter Hofes war. 144 Vgl. beispielsweise Johann Friedrich an Gottfried von Oettingen, 1621, Nov. 1 (Entw.), HStASt C9 Bü. 212; dass. an die Ulmer, Or.: Stadtarchiv Ulm A1405 Nr. 38; Johann Friedrich an die Nürnberger, 1621, Dez. 15 (Kopie), Generallandesarchiv Karlsruhe 46/5060. Die Reaktionen (in den entsprechenden Beständen) sind durchgehend negativ, alles hatte nur Angst vor neuen »uniones«; umgekehrt sagte Johann Friedrich am 5. Dezember 1621 endgültig dem badischen Markgrafen in Sachen Zweierallianz ab (Or.: BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 135 – wie so manches Papierbündel in München »Beuteakten«!). 145 Johann Friedrich an Friedrich von der Pfalz, 1622, Jan. 28 (Kopie), BayHStA Kasten schwarz 7052, fol. 21–23. Es gibt viele vergleichbare Schreiben. 146 So die Formulierung in einem Schreiben an Erzherzog Leopold vom 5. November 1621, Kopie: BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 110/III, fol. 201–204; die zitierte Formel z. B. wortgleich in dass., 1622, Jan. 5 (Kopie), ebda. Kasten blau 122/3b, fol. 296f.

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ein, daß es solcher vermittelnder Neutraler bedurfte, und sei es nur im Sinne einer zusätzlichen Option in der Hinterhand, falls man militärisch einmal nicht so vorankäme wie erhofft und einen Boten suchte, der »Friedensfühler«147 ausstreckte? Konnte dieser Friedensbote so seiner Neutralität Würde und Ansehen verleihen? Entsprechende programmatische Überlegungen sind erst zwei Jahre später nachweisbar, wir müssen uns mit dem Faktum der angestrengt gesuchten Mittlerrolle begnügen und dem genauso offensichtlichen Faktum, daß sich diese nicht etwa auf ein ausgefeiltes Ausgleichskonzept stützte. Kam es darauf gar nicht so sehr an? War der Weg das Ziel? Die Stuttgarter mahnten zum Frieden, boten sich als Briefboten an, und das war in der Situation der Jahre 1621/22 eigentlich nicht genug, da Friedrich sein Fiasko durch angestrengtes Wegsehen ungeschehen zu machen suchte und weder der Kaiser noch gar der Bayernherzog an einem diplomatischen Ausgleich, der Kompromisse abgefordert hätte, wirklich interessiert waren. War es doch genug, weil es die württembergische Neutralität befestigte? Wirklich vor Lockungen und Drohungen der reichspolitischen Mitspieler gefeiht hat die Stuttgarter ihre demonstrative Vermittlungsbereitschaft nicht. Immerhin versuchten beide Seiten, wenn auch mit leichter Hand, sich am Neckar in ein gutes Licht zu setzen. Beide Seiten warfen einander vor Stuttgarter Publikum vor, den jeweils anderen nur hinhalten und »ausmatten« zu wollen148, den Württembergern blieb die wohl ebenfalls verschmerzbare Klage, die Kriegsgegner verharrten hinsichtlich etwaiger Wege zur Aussöhnung allzu sehr »in terminis generalibus«.149 Jene militärische Zuspitzung des Frühjahrs 1622, die schließlich ins badische Debakel bei Wimpfen münden wird, stürzte die von Vermittlungsofferten flankierte Neutralität Württembergs nicht in eine Krise; nur einer der gerade maßgeblichen Hofräte, Ludwig Andreas Lemblin, hielt dieses Konzept nun für nicht mehr tragfähig – man habe aufmerksam zu registrieren, wer wohl die »oberhandt« behalte, »zu deme werd man sich müssen schlagen«.150 Der Herzog beharrte auf seinem Status als neutraler Vermittler, was half, die allfälligen badischen Hilfs147 Ich übernehme den Terminus von Hans von Hentig, Der Friedensschluß. Geist und Technik einer verlorenen Kunst, München 1965, S. 71. »Bevor Friedensbedürfnis, Friedenswunsch oder Friedensabsicht sich zu festen Ent­schlüssen und konkreten Schritten formalisieren, finden leichtere, versuchsweise und nichtverbindliche Berüh­rungen statt. Solcher Kontakt ist nicht schwer herzustellen, solange noch Neutrale ... außerhalb der Feuerli­nie stehen«. 148 Die Gegenseite sucht die Sache »auf die lange bank« zu schieben, bis er »vollendt ausgemattet« ist: Friedrich V. an Johann Friedrich, 1621, Sept. 16 (Kopie), HStASt A90A tom. 33, fol. 590f.; der Gegner gaukelt Ausgleichsbereitschaft nur vor, will ihn tatsächlich »ausmatten«: Ferdinand II. an Johann Friedrich, 1621, Okt. 12 (Or.), ebda., fol. 683–686. 149 Johann Friedrich an Johann von Zweibrücken, 1621, Okt. 29 (Or.), BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 110/I, fol. 211f. 150 Protokoll der Beratungen am 24. April 1622, HStASt A90A tom. 39, fol. 1036–1040.

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gesuche abzuwimmeln: Ergreife er Partei, so Johann Friedrich, sei er nicht mehr geeignet, Wege zum Frieden zu suchen.151 Der Vermittlungsanspruch sollte es erleichtern, Assistenzforderungen der Kriegsparteien abzuwehren, ohne diese zu brüskieren. Denn man bedurfte ja einer Argumentationsfigur hierfür, konnte schwerlich erklären, man glaube nicht an die Siegchancen des Hilfesuchenden und an die Gerechtigkeit seiner Sache. Der militärisch eindeutige Ausgang des Wimpfener Treffens machte Friedensmahnungen nicht obsolet. Militärische Siege hatten episodalen Charakter, solang das Reversoir neuer Söldner und das Reservoir neuer Bündnispartner, seien es frustrierte Haudegen irgendwo im Reich oder ausländische Herrscher irgendwo in Europa, unerschöpflich schienen. Jede Seite war mit sich im Reinen, fühlte sich absolut und mit allen Siegeln der Transzendenz versehen im Recht, und für jede Seite schienen sich immer neue Chancen zu eröffnen, diesem Recht zum Sieg zu verhelfen. Den Frieden erzwingen konnte die militärisch schwache Mittelmacht Württemberg nicht, und warum hätten die Kriegsparteien ihr Schicksal in die Hände eines kleinen Reichsfürsten legen sollen? So trugen die württembergischen Friedensmahnungen ihren Wert einstweilen in sich. Sie wurden nach der Schlacht bei Wimpfen eine Zeitlang sogar noch intensiviert. Zu den herkömmlichen Zügen – vergeblichen Aufrufen zur Waffenruhe, unerwiderter Vermittlungsbereitschaft in der »Pfalzfrage« – kam nun diplomatisches Engagement in der neuen »badischen Frage«: Was wurde aus dem um sein Territorium bangenden jungen Friedrich von Durlach, dem Sohn des unglücklichen Feldherrn von Wimpfen? Auch bei der rhetorischen Abwehr von Zudringlichkeiten der triumphierenden katholischen Seite half der Vermittlungsanspruch – seien sie den Pfälzern, Mansfeld und ihrem Anhang »gar zuewider«, schrieb Benjamin Bouwinghausen einmal an den Reichshofratspräsidenten, »so werden wir nit mehr von ihnen gehört und wie Sachsen und Darmstatt152 gehalten werden und die neutralitet verlühren«.153 Kurz, der Stuttgarter Hof suchte seine Neutralität zunächst durch aktive Vermittlungsdiplomatie zwischen den Fronten abzusichern; nicht aus militärischen,

151 Vgl. Johann Friedrich an Friedrich von Baden, 1622, April 24 (Entw.), ebda. tom. 35, fol. 15–20. 152 Also: wie der sächsische Kurfürst und der Landgraf von Hessen-Darmstadt, die, wiewohl Lutheraner, forciert kaisertreu agierten und deshalb, als Reizfiguren, keinen besänftigenden Einfluß auf die calvinistische »Aktionspartei« ausüben konnten. Ihrer Kaisernähe unerachtet konnten die Regierungen Kursachsens wie Hessen-Darmstadts ihre traditionelle Bündnislosigkeit gelegentlich als »neutralitet« etikettieren. 153 Benjamin Bouwinghausen an Johann Georg von Hohenzollern, 1622, Juni 3 (Kopie), HHStAW Böhmen 64, fol. 116–119. Vgl. auch Johann Friedrich an Kaiser Ferdinand, 1622, Juni 29 (Kopie), BayHStA Kasten schwarz 32, fol. 190–193.

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sondern aus politischen Gründen sollten beide Seiten die württembergische »neutralitet« respektieren, ja, gutheißen. Von diesem Kalkül, das sich bis dahin nur zwischen den Zeilen, dort aber doch recht deutlich herauslesen läßt, rückte man aber am Neckar im Spätsommer 1622 wieder ab, um Neutralität in den nächsten eineinhalb Jahren defensiver als diplomatische Leisetreterei zu interpretieren. Die Stuttgarter ließen sich, über das gänzliche Ausbleiben jeglicher Resonanz auf die allfälligen Vermittlungsofferten schließlich doch frustriert, vom anschwellenden Chor der Beschimpfungen und Verwünschungen aller gott- und ehrlosen »neutralisten« einschüchtern. Mehr nicht zu den Ursachen!154 Anlaß war der zu Recht wenig bekannte Heilbronner Vertrag vom Juni 1622: kein reichspolitisch bedeutsames Dokument, lediglich ein württembergisch-bayerischer Partikularanstand von zweifelhafter Rechtskraft155, der sich jeder ambitionierten Zielvorgabe oder auch nur der Erwähnung der virulenten Pfalzfrage enthält, lediglich die Kriegswirren vom Südwesten des Reiches fernzuhalten verspricht156, ohne Rücksicht darauf, wie es anderswo weiterging. Es war der von vornherein fragwürdige Versuch, aus dem Schwäbischen Reichskreis eine windstille Zone inmitten der Stürme des Krieges zu machen. Uns braucht an diesem Vertragsschluß nur näher zu interessieren, daß er einen dicken Schlußstrich unter die württembergische Vermittlungsrhetorik der eineinhalb Jahre zuvor zog. Auf die Stuttgarter konnte man fortan nicht mehr rechnen. Sogar, wenn ihnen in den nächsten eineinhalb Jahren ansatzweise diplomatische Aktivitäten angetragen wurden (und sei es nur, daß die Kreisstände eine harmlose Fürsprache in Wien wegen dieser oder jener Notlage wünschten), wimmelten sie stereotyp ab, getreu dieser Maxime: »Man hat sich bei so bewanten zeithen, leuthen und leuften nicht weiter hinauszulassen«.157 Die Stuttgarter glaubten also, sich diplomatisch einigeln zu müssen – das war verständlich, aber es war nicht klug. Interessanterweise ging mit selbstgewählter

154 Wir müßten sonst viele heute vergessene Kriegsepisoden und Schauplätze aufsuchen. Beispielsweise wurde Benjamin Bouwinghausen, als er beim Winterkönig die Freilassung des gefangengesetzten, ebenfalls erklärt neutralen hessischen Landgrafen Ludwig erwirken wollte, von Friedrichs Entourage mit üblen Beschimpfungen der »Neutralisten« empfangen. Letzte Schreiben an die verschiedenen habsburgischen Höfe und nach München in Sachen Friedensvermittlung waren demonstrativ frostig beantwortet worden ... Es lohnt in unseren Zusammenhängen nicht, all das auszubreiten. 155 Vgl. oben S. 663 Anm. 519. 156 Alle Mißhelligkeiten zwischen den Heeren seien hiermit »gentzlich cassiert«, heißt es im Vertrag, es werde fortan »guot vertrauen und alle freindtschaft« herrschen; Streifzüge und Übergriffe sollten unterbleiben, ebenso Einquartierungen und Durchmärsche: »Puncten« vom 28. Juni 1622 (Or.), HStASt A90A tom. 35, fol. 612–615. 157 Notiz Johann Friedrichs von Württemberg auf einem Rätegutachten vom 5. Juli 1623: HStASt A90A tom. 38, fol. 34f.

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diplomatischer Isolation militärische Abrüstung einher.158 Der Stuttgarter Hof saß rund eineinhalb Jahre lang der Fehleinschätzung auf, man könne durch Papiere und Rechtstitel gewissermaßen semel pro semper Sicherheit gegen Kriegsgefahren erlangen, anstatt darüber nachzudenken, wie man beide Seiten immer wieder, stets aufs Neue, an Württembergs Neutralität interessiert machen könne. Es hat vielleicht doch auch für unser Großes und Ganzes (nämlich eine Archäologie des Neutralitätsrechts und sogar den damaligen Stand des Völkerrechts überhaupt) etwas zu besagen, daß sich dieser Versuch des Neutralen, sich auf ein Papier zu versteifen, nicht ausgezahlt hat. Der Radius der württembergischen Diplomatie war zu klein geworden. Quasi vergessen, einfach übersehen wurde das Herzogtum nicht dadurch, daß es sich außenpolitisch in keiner Weise mehr bemerkbar machte, dafür war es schon als Quartierreserve zu attraktiv. Fraglos gingen die Kriegsparteien, zumal im Winter 1623/24, rücksichtsloser, ruppiger, einfach geringschätziger mit der Stuttgarter Regierung um als zu der Zeit, da sie noch versucht hatte, sich durch Vermittlungsaktionen unentbehrlich zu machen. Daß dem ach so braven Herzog in rüdem Ton mit Einquartierungen gedroht wurde, brachte die Stuttgarter Hofräte dann doch ins Grübeln. Der erste Anstoß für eine erneute Kurskorrektur kam aber von außen. Als der württembergische Hofrat Ludwig Andreas Lemblin im November 1623 wegen der erwähnten Einquartierungsgefahr in München weilte, regte Maximilian gemeinsame württember­gisch-bayerische Bemühungen um eine Befriedung des Reiches an. Was auch für die bayerische Außenpolitik recht interessant ist159, veranlaßte uns noch mehr interessierende interne Beratungen über den künftigen außenpolitischen Kurs Württembergs. Hier nun stoßen wir endlich auf Ansätze zu einer programmatischen Begründung für Vermittlungsaktivitäten des Neutralen. Ein Rätegutachten vom 19. Februar 1624 begrüßte die bayerische Anregung mit diesem Argument: Vermittlungsversuche könnten bewirken, daß München und Wien »weniger ursach« sähen, das Herzogtum mit Einquartierungen zu belästigen, da man es sich ja nicht mutwillig mit einem Vermittler verscherzen wolle.160 Vizekanzler Seba­ stian Faber hatte sich wenige Tage zuvor bei einer Besprechung noch deutli­cher ausgedrückt: Württemberg könne das Reich kaum wirklich befrieden, das könne nicht einmal der Kaiser, da nun England im Spiel sei und Dänemark und beide wiederum nach Den Haag blickten; freilich, engagiere sich Johann Friedrich für 158 Im Frühjahr 1624 dürfte das Herzogtum mit seinen langgestreckten Grenzen nicht viel mehr als tausend Mann in Bestallung gehabt haben. Material zu den Abdankungen des Jahres 1623 liegt beispielsweise in HStASt A29 Bü. 38. 159 Um wenigstens anzudeuten, warum: Maximilian, dieser frischgebackene Kurfürst, hatte seine Kriegsziele früh realisiert und wollte nun (schon jetzt und, von einigen Abirrungen im Vorfeld des Restitutionsedikts abgesehen, noch 25 Jahre lang) nur noch den Status quo in einen möglichst zügigen Frieden hinüberretten. 160 Rätegutachten, HStASt A90A tom. 40, fol. 355f.

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Ausgleich und Frieden, werde er Maximilian und Ferdinand da­durch »benigniorem« machen, ja, »könd man dardurch land desto besser conserviren«161 – der Gedanke einer nicht so sehr patriotisch (nämlich reichs- und friedenspolitisch) movierten denn von der Staatsräson des neutralen Herzogtums gebotenen Vermittlungsdiplomatie! Ihr unterlag keine missionarische Sendung162, sie war funktional der Neutralitätspolitik zugeordnet, sollte diese stabilisieren. Also knüpften die Stuttgarter fortan wieder an ihren wenig konkreten, aber salbungsvollen Friedensdiskurs von 1621/22 an. Man versandte wieder Schreiben, die allgemeine Friedensbereitschaft anmahnten, und offerierte, nur um weniges griffiger, Mittlerdienste in der Pfalzfrage.163 Ist man einmal darauf aufmerksam geworden, findet man die funktionale Herangehensweise ans Thema der neutralen Vermittlung in den württembergischen Ausführungen oft kaum kaschiert, wenig raffiniert. Als im Februar 1624 wieder einmal Nachrichten einliefen, wonach katholische Truppen an den Grenzen stünden, schrieb Johann Friedrich nach München, er könne dem Vaterland »viel nutzlichern dienst« als die Aufnahme einiger Fähnlein ins Winterlager leisten, die die Neutralität gefährdeten und damit seine Vermittlungsaktivitäten torpedierten.164 Als der württembergische Emissär Christoph von Laimingen im März an der Isar monierte, bayerisches Volk drücke einige württembergische Lehnsleute, und zugleich, »um bey Bayern desto angenemmer zu sein«165, weitere Vermittlungsaktivitäten in Aus161 Protokoll der Beratungen am 15. Februar: ebda. tom. 39, fol. 1182–1185. 162 Der (an frühneuzeitlicher Geschichte nicht interessierte) Politologe Daniel Frei perhorresziert in seinen lesenswerten Studien zur modernen Neutralität die Attitude der Neutralen, sich als Schiedrichter oder Friedensstifter aufzuspielen, gern pauschal als »in der Denkart isolationistisch-ethnozentrischer Neutralität« wurzelnde »Neutralitätsideologie«. Auch daß ein sich in Vermittlung äußernder »Sendungsgedanke« der inneren Festigung des Neutralen, seiner »nationalen In­tegration« zuarbeite (das ist die zentrale These dieses Aufsatzes: Daniel Frei, Sendungsgedanken in der Schweizerischen Außenpolitik, in: Annuaire Suisse de Science Politique 6, 1966, S. 98ff.), trifft im Falle Württembergs natürlich nicht den Kern der Sache. Die württembergischen Vermittlungsofferten waren außen-, besser: sicherheitspolitisch motiviert. 163 Gern verband man auch beides miteinander – alle »getreue patrioten« seien aufgerufen, das Reich durch seine rasche Befriedung davor zu bewahren, unter »ein ausländisch joch« zu geraten; er sei bereit zu helfen, freilich, mit »lehrer hand« könne er nicht vermitteln, Friedrich von der Pfalz werde »unter blosser hoffnung eines ungewissen« die Waffen nicht aus der Hand legen, man müsse ihm handfeste Zugeständnisse machen: so schrieb der Herzog am 19. Februar 1625 nach München (Kopie: BayHStA Kasten blau 121/1II, fol. 52f.), und dieser Brief mag pars pro toto für alle anderen stehen, die wir keinesfalls nacheinander gesondert betrachten müssen. 164 Johann Friedrich an Maximilian, 1624, Februar 19 (Or.), BayHStA Kasten schwarz 1863. 165 So motiviert rückblickend ein Rätegutachten vom 10. März 1624: HStASt A90A tom. 40, fol. 402–405. Das übrige Material zur Mission Laimingens und ihren Erfolgen liegt ebenfalls in tom. 40.

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sicht stellte, wurden die beanstandeten Fähnlein prompt abgezogen. Daß der württembergische Herzog an seine Vermittlerpose von 1621/22 anknüpfte, zahlte sich (in Grenzen) aus, vielleicht hat man auch vom Vermittlerstatus profitiert, als es im Herbst 1624 um die Verteilung der katholischen Heere in die Winterquartiere ging.166 Kaum war der Winter leidlich glimpflich vorübergegangen, beschlossen die Württemberger, ihren Vermittlungsversuchen in der »Pfalzfrage« durch die Einbeziehung einer Komoderators mehr Gewicht zu verleihen. Warum sie dabei ausgerechnet auf den Herzog von Lothringen kamen und warum die erhofften Zusatzeffekte eher ausblieben, lassen wir hier auf sich beruhen, die zahlreichen Schreiben, die fortan zwischen Wien, München, Den Haag, Nancy und Stuttgart hin- und hergingen, könnte man etwas sarkastisch mit Karl von Lothringen so charakterisieren: »Ce sont touiours les mesmes choses«. 167 Das Hin und Her fand sein recht abruptes Ende, als der damals einflußreichste Ratgeber Kaiser Ferdinands, Hans Ulrich von Eggenberg, intern gutachtete, man gönne dem Württemberger und dem Lothringer ja »die ehr und das meritum« – noch im Abgesang auf die neutralen Vermittlungsaktivitäten finden wir immerhin die seltene Notierung einer »ehren«-vollen Neutralität! –, doch da das Resultat all ihrer Bemühungen gar so kläglich sei, müsse man fortan auf andere Wege zum Frieden sinnen.168 Kurz und knapp beschied Ferdinand II. daraufhin am 27. August 1627 den Stuttgarter Herzog, seine Vermittlungsanstrengungen seien gescheitert, er möge sich nicht weiter bemühen.169 Am Kurfürstentag von Mühlhausen wurden noch einmal Pro und Contra weiterer württembergischer Mittlerdienste hin- und hergewendet, die katholische Mehrheit urteilte, »daß diese tractation langsamb und schwer hergangen«170, damit war sie an ihr Ende gelangt. Soweit einige äußere Umrisse der württembergisch-lothringischen »tractation«; welches Kalkül stand dahinter, und ging es auf ? Aufschlußreich ist die Instruktion, die Johann Friedrich seinem für das gemeinsame Vermittlungsprojekt werbenden Emissär Pleikard von Helmstatt im März 1625 nach Nancy mit auf den Weg gab. Während die Modalitäten eines etwaigen Ausgleichs zwischen 166 Jedenfalls legten der Bayernherzog und wohl auch der Kaiser auf eine weitgehende Verschonung Württembergs Wert: vgl. zum Beispiel BA N. F., Bd. 2.1, Nr. 203 oder Jeremias Pistorius an Johann Friedrich, 1624, Dez. 18 (Or.), HStASt A74 Bü. 6. 167 Karl von Lothringen an Johann Friedrich, 1626, Nov. 20 (Or.), HStASt A109 Bü. 32 a Lit. K7. 168 Hans Ulrich von Eggenberg (aus Graz) an Kaiser Ferdinand, 1627, Aug. 21 (Or.), HHStAW Palatina 10/3. 169 Vgl. Ferdinand an Johann Friedrich, 1627, August 27 (Or.), HStASt A109 Bü. 32b Nr. 59. 170 So formulierte es der mainzische Votant: Trierer Kurfürstentagsprotokoll, Landeshauptarchiv Koblenz 1C 9216, fol. 237–279 (hier zum 25. Oktober 1627); vgl. Relation der kurtrierischen Gesandten vom 1. November 1627, Or.: ebda., fol. 56f.

Diplomatische Einigelung oder erhöhte politische Aktivitäten

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Winterkönig und Kaiserlichen ganz vage bleiben, werden die Motive für gemeinsame Vermittlungsanstrengungen präzise benannt: Es gehe um die »salvirung unserer landen, benebens erhaltung rechter neutralitaet«. Die gemeinsam zu betreibende »interpositio« werde bewirken, daß »beede theil etwas einen mehrern respect gegen uns tragen und solches unsern landt und leuthen wohl zustatten« komme.171 War dem so, trugen die lothringisch-württembergischen Vermittlungsaktivitäten der neutralen Stuttgarter Regierung »respect« ein? Schlichtweg bejahen kann man die schwierige Frage nicht. Die Stuttgarter hatten auch in diesen zweieinhalb Jahren oft genug Anlaß, kleinmütig zu werden, am 11. Juni 1625 entfuhr Benjanim Bouwinghausen, fast, als wolle er für neue diplomatische Splendid Isolation werben, dieser Stoßseufzer: »Man müsse sich jezt ducken, wa man hin komme, wolle man uns übel, bei den papisten und calvinisten«.172 Der Wiener Agent, Jeremias Pistorius, wurde gelegentlich mit dem Vorwurf konfrontiert, die Stuttgarter mischten sich chronisch in fremde Angelegenheiten; mußte man den Eindruck vermeiden, Johann Friedrich versuche hyperaktiv »aller orthen handlung zu thun«?173 Am 21. Januar 1627 äußerte der Bayernherzog in einem Schreiben an seinen Bruder auf dem Kölner Erzstuhl einen gefährlichen Gedanken: Das Stuttgarter Vermittlungsprojekt gehe ihm zu zögerlich voran, können wir da nachlesen, schuld sei vielleicht, daß Karl und Johann Friedrich »die ungelegenheit des kriegs bishero wenig empfunden«.174 Das sollte doch wohl heißen: Weil in Stuttgart und Nancy der Leidensdruck zu gering sei, fehle es dort am nötigen Engagement! Alles in allem überwog aber doch sicher das gegenteilige Kalkül, daß man sich den Vermittler gewogen halten müsse. Man stößt in den Akten immer wieder auf die beiläufige Mahnung an diesen oder jenen Militär, bei seinen Dispositionen »treu und devotion«175 des Stuttgarter Hofes zu berücksichtigen. Wenn der fast allmächtige Hans Ulrich von Eggenberg eineinhalb Jahre, ehe er die württembergischen Vermittlungsanstrengungen in einem gründlich verwandelten reichspolitischen Umfeld für obsolet erklärte, beteuert hatte, daß sie in Wien »hoch esti171 Instruktion für Pleikard von Helmstatt, 1625, März 3(/13?), abgedr. bei Christian Friedrich Sattler, Geschichte des Herzogthums Würtenberg under der Regierung der Herzogen, Bd. 6, Tübingen 1773, als Beilage Nr. 60. Vgl. den Bericht Helmstatts über seinen Vortrag vor Herzog Karl vom 22. März, Or.: HStASt A109 Bü. 32a Lit. J. 172 Beratungsprotokoll, HStASt A90A tom. 39, fol. 1257–1259. 173 So faßt die kolportierten Vorhaltungen ein Rätegutachten vom 9. August 1625 zusammen: HStASt A262 Bü. 88. 174 Maximilian von Bayern an Ferdinand von Köln, 1627, Januar 21 (Entw.), BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 206/II. 175 So die Formulierung in: Kaiser Ferdinand an Albrecht von Wallenstein, 1626, April 28 (Kopie), BayHStA Kasten schwarz 50, fol. 100f. Natürlich darf man solche Floskeln nicht überbewerten.

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Kompensieren Friedensvermittlungen das Sicherheits- und Ehrdefizit?

miert« seien176, war das keine hohle Schmeichelei. Man schätzte die zusätzliche diplomatische Option in der Hinterhand, das Vorhandensein von Briefboten, die man nicht allzu eklatant verärgern durfte. Mittlerdienste konnten das Ehrdefizit der wenig respektablen »neutralitet« nicht wettmachen, aber verringern. Noch jenes Reichshofratsgutachten vom 28. Mai 1627177, das die »Restitution« der württembergischen Klöster einläutete, kündet von der Schutzwirkung neutraler Vermittlungsbemühungen – freilich auch ihren Grenzen. Die von katholischer Seite erbetenen »processus und mandata« seien fraglos Reichsverfassung und Religionsfrieden gemäß, hielten die Reichshof­räte fest, »demnach aber ieziger zeiten und des aus­geschriebenen deputations tags178 halber, sonderlich [!] aber bey mehrbenennten herzogen zu Württemberg der obhabenden pfalzischen commission wegen allerhandt politische respect mit underlaufen«, rieten sie, Johann Friedrich erst einmal die Anschuldigungen bekanntzumachen und ihn um Berichter­stattung binnen zweier Monate anzuhalten.179 Die Vermittlerrolle vermochte die territoriale Katastrophe des Herzogtums nicht zu vereiteln, immerhin etwas hinauszuschieben. Wir sahen, daß die beiden Möglichkeiten, die suspekte, noch nicht vom Völkerrecht bewehrte »neutralitet« zu stabilisieren – nämlich ihre »armirung« oder aber neutrale Vermittlungsaktivitäten –, nicht berührungslos nebeneinander standen. Beide Kurven verliefen nicht unbeeinflußt voneinander. Die Stuttgarter gingen mit dem Vorsatz in die »neutralitet«, diese durch koordinierte Rüstungsanstrengungen der süddeutschen Lutheraner zu befestigen. Weil sich hierfür indes keine Ansprechpartner fanden, setzte das militärisch auf sich selbst zurückgeworfene Herzogtum anschließend auf noch halbherzige Vermittlungsaktivitäten. Verliefen die beiden Kurven »Armierung« und »Vermittlung« bis dahin gegenläufig, sanken sie 1622/23 parallel ab, als die Stuttgarter gleichsam abzutauchen suchten und dem Irrglauben verfielen, sich semel pro semper mit Papier und Tinte Rechtssicherheit verschafft zu haben, anstatt stets aufs Neue durch diplomatische Aktivitäten dafür zu sorgen, daß beide Seiten ein gewisses Interesse an der württembergischen »neutralitet« besaßen. Nachdem die Stuttgarter diese 176 Hans Ulrich von Eggenberg an Johann Friedrich, 1626, April 16 (Or.), HStASt A109 Bü. 32a Lit. F5. 177 Kpt.kopie: HHStAW Decisa 268. 178 Der Erzkanzler hatte am 1. Februar einen Reichsdeputationstag ausgeschrieben – einer von vielen Versuchen, den Entscheidungsnotstand in einem reichstagslosen Reich abzuarbeiten, es wurde, wieder einmal, nichts daraus. Vgl. zur damaligen Debatte über Reichstagssurrogate Gotthard, Säulen des Reiches, Bd. 1, Kapitel II.4 und zum Ausschreiben vom 1. Februar 1627 ebda., S. 333f. 179 Was auch geschah: Ferdinand an Johann Friedrich, 1627, Juli 3 (Kpt.kopien), HHStAW Mainzer Erzkanzlerarchiv geistliche und Kirchensachen 1a, fol. 433f. (wegen Reichenbachs) bzw. fol. 427f. (wegen Lorchs, Anhausens und Herbrechtingens); dass. (Entw.), ebda. Antiqua 142 Nr. 5 (wegen Maulbronns, Königsbronns und Bebenhausens).

Diplomatische Einigelung oder erhöhte politische Aktivitäten

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Fehleinschätzung als solche erkannt hatten, setzten sie, ehe das Machtgefälle im Reich dann allzu steil wurde, konsequent auf Vermittlungsdiplomatie. Machte sie Rüstungsbemühungen obsolet, oder gedieh sie so recht erst mit militärischem Nachdruck? Hierüber gab es im Kreis der Hofräte unterschiedlich Ansichten, wie wir sahen. Insbesondere Benjamin Bouwinghausen plädierte immer wieder für eine energische »armirung«, sonst werde man »beeden tailen zue raub«. »Neutral zu sein oder neutral zu bleiben«, sich dabei aber nicht entschlossen »in Verfassung zu stellen«, sei »nichts anderes denn die lautere Schwindsucht«, hatte einmal 1619 die Graue Eminenz des Dresdner Kurhofes, Kaspar von Schönberg, erklärt.180 Schwindsüchtig waren indes auch die landesherrlichen Kassen, das arbeitete jenen Hofräten in die Hände, die neben dem politischen kein militärisches Schutzschild für unabdingbar hielten. Unstrittig war seit dem Spätsommer 1623, daß Vermittlungsbemühungen des Neutralen ihren Wert in sich trugen. Die Stuttgarter bildeten sich nicht ein, dem Reich den Frieden schenken zu können, sie wollten die Früchte pflücken, die auf dem Weg zu diesem allzu fernen Ziel wuchsen.

180 Und zwar bei den Beratungen am 26. Dezember 1619: Karl August Müller, Fünf Bücher, Bd. 1, S. 349.

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Akzeptanzproblem vormoderner Neutralität

6. Zugleich ein Resümee: konzeptionelle und strukturelle Gründe für das Akzeptanzproblem vormoderner Neutralität Warum war die »neutralité« so prekär, wenig schützend und wenig geschätzt? Wir müssen ja noch nicht einmal zwischen den Zeilen vormoderner Texte fahnden, um konstatieren zu können, daß Neutralität vor dem 18. Jahrhundert durchgehend übel beleumundet war – darin stimmen Kriegsakten und Beratungsprotokolle, hitzige konfessionellen Kampfschriften und kühl kalkulierende Staatsklugheitslehren1 überein, das ist den wieder und wieder begegnenden Topoi des Neutralitätsdiskurses wie den je und je anderen Verbindungsstücken und Überleitungen zwischen ihnen gemeinsam. Auch künden sie alle von einem vagen – deshalb immerhin flexibel handhabbaren – politischen Konzept, nicht von einer Rechtsfigur. Warum verdichtete sich diese vielen suspekte politische Option so spät erst zum allseits akzeptierten, prinzipiell wertneutralen Völkerrechtstitel? Dem folgenden Kapitel geht es weniger darum, neues Material auszubreiten (wiewohl uns viele seiner Zitate und Paraphrasen noch nicht begegnet sind), es will die uns schon bekannten Texte danach befragen, ob sie konzeptionelle und strukturelle Gründe fürs Akzeptanzproblem vormoderner »neutralitet« durchscheinen lassen. Damit schließt sich ein Kreis. Die Überschrift annonciert nicht leichtfertig das Surrogat eines Resümees, in der Tat wird das allerletzte Kapitel dieser Monographie nicht nur Kapitel C bilanzieren, ferner fast auf jeder Seite in Kapitel A zurückschauen. Dieses Buch begann mit dem Versuch, das Umfeld der politischen Option Neutralität abzuschreiten. Wie dachten vormoderne Entscheidungsträger über den Krieg, wie über den Frieden, war letzterer ein Wert an sich, ersterer der größte anzumehmende diplomatische Betriebsunfall, damit auch unter allen Umständen eine Blamage für diejenigen Politiker, die ihn nicht hatten vermeiden können? Es blieb im Grunde beim Fragegestus, bei den vielen Fragezeichen – anstatt das Umfeld der Neutralität eben mal rasch abstecken zu können, verloren wir uns im sprichwörtlichen »weiten Feld«. Wichtige konzeptionelle Voraussetzungen der enormen vormodernen Bellizität sind recht unklar, und auch manche ihrer strukturellen Voraussetzungen scheinen nicht restlos geklärt zu sein. Das vormoderne Denken über Krieg und Frieden umkreisend, mußten wir im Eingangskapitel häufig die faktisch eingespielten wie normativ fixierte Regeln des Miteinanders der vormodernen Staaten, der vormodernen Herrscher mitbedenken, wir mußten Seitenblicke auf den Prozeß der Formierung eines europäischen Staatensystems 1 Für besonders mächtige Staaten konnte Neutralität in den Augen einiger der frühen Politologen unter bestimmten Umständen schon einmal eine erwägenswerte Option sein, wie wir sahen: aus einer Stärke heraus, der sogar dieses eigentlich gefährliche politische Konzept nichts anhaben konnte; an der negativen Gesamtbilanz ändert diese Fußnote nichts.

Neutralität verscherzt »Ehre« und »Ruhm«

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werfen und das selten betretene Terrain der Völkerrechtsgeschichte durchstreifen. Kapitel A griff weit aus, Kapitel C versuchte, konzentriert zu fokussieren. Auf den ersten Blick scheinen sich Vergleiche und Rückbezüge nicht eben anzubieten. Und wenn Neutralität auch deshalb prekär war, weil sich »Ehre« weniger durch umsichtige Friedenssicherung denn in ruhmvoller Schlacht akkumulieren ließ? Wenn das Problem der zwischenstaatlichen Erwartungsverläßlichkeit deshalb voll auf die politische Option Neutralität durchschlug, weil man denjenigen, der im neutralen Niemandsland operierte, für besonders unberechenbar hielt, zumal mit den Rechten auch die Verpflichtungen des Neutralen noch nicht einmal am Schreibtisch konsensfähig gezirkelt waren – womit wiederum der Formationsprozeß des Völkerrechts mit in den Fokus rückt? Wenn Neutralität auch deshalb dem Anfangsverdacht moralischer Verworfenheit aussetzte, weil sie in einem Spannungsverhältnis zum noch nicht gänzlich säkularisierten und formalisierten Kriegsbegriff der Zeit stand? Taugt die Neutralität als Testfall? Kann der Versuch, die Akzeptanzprobleme der vormodernen Neutralität zu beleuchten, auch viele der eingangs, in Kapitel A, aufgeworfenen Probleme erhellen? Ich denke schon, und hoffe, das auf den nächsten Seiten erhärten zu können.

6.1 Schimpf und Schande – Neutralität verscherzt »Ehre« und »Ruhm« Zeugt es heutzutage, in Zeiten entgrenzter »Flexibilität« und demonstrativ beiläufiger »Coolness«, von die Lächerlichkeit streifendem Biedersinn, sich auf seine »Ehre« zu versteifen, war diese Instanz in der Vormoderne ein wichtiger und keinesfalls unverbindlich-harmloser Wert: Daran hat schon Kapitel A.3 erinnert. Wir müssen hier nicht noch einmal der Frage nachgehen, ob den alteuropäischen Adel seit jeher und kontinuierlich, schon, als er sich noch auf Ritterburgen und hinter Panzerplatten verschanzt hatte, ein potentiell kriegstreibender, militant daherkommender Ehrbegriff geritten hat, oder ob die Epoche des sogenannten »Absolutismus«, der man nicht ganz glücklich attestiert hat, sie habe Kriegführen als den »Sport der Könige« erachtet, die eigentliche Hochzeit der »Ehrensucht« gewesen ist. Gewiß sprechen gute Gründe dafür, eine auf »gloire« verkürzte, veräußerlichte Ehre als kräftige Triebfeder der absolutistischen Bellizität zu erachten, doch wird Versuchen, sich aus Kriegen anderer als Neutraler herauszuhalten, schon in politischen Akten des Jahrhunderts davor immer wieder Ehrlosigkeit attestiert. Gelegentlich begegnet der Vorwurf bereits zur Zeit des Schmalkaldischen Krieges. Beispielsweise hielt der hessische Agent Gereon Sailer den Mitgliedern des Augsburger Magistrats vor, sie setzten, wenn sie »neutral« zu bleiben versuch-

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Akzeptanzproblem vormoderner Neutralität

ten, ihre »ehr« aufs Spiel – man werde ihnen »ir klainmutikait, unbestendikait und zaghafte weis« heimzuzahlen wissen.2 Die moralisch durchtränkten Vorhaltungen, die Pfalzgraf Ottheinrich und die Neuburger Regenten an den Kurpfälzer Friedrich adressierten, bedienten sich im Sinnbezirk der »Sündhaftigkeit«, Neutralität war moraltheologisch unhaltbar. Friedrich versündigte sich an »gottes Eer«3, jedenfalls vordergründig nicht seiner eigenen – wenigstens an dieser Stelle aber doch: »Wo im hanndl Gottes, Christlich Mannhait und furnemblich gottes Eer und wort« auf dem Spiel stehen, da kann man nicht »so gar spottlich unnd langsam sein und nit bey der Zeit deß vatterlannds verderben abwenden helffen«.4 In den kaiserlichen Hilfsappellen während des Fürstenkriegs dominieren die Schlüsselbegriffe »Gehorsam« und »Trew«, doch konnte sie Karl V. mit der Kategorie der »Ehre« verbinden: Die Adressaten wüßten sich hoffentlich zu verhalten, wie es einem »getrewen und gehorsamen Eerliebenden Fürsten ansteet«.5 Umgekehrt forderten die Kriegsfürsten ultimativ Parteinahme ein, weil alle »Ehrliebenden« unter ihren Standesgenossen »hülff unnd beystanndt« schuldig waren.6 Ein besonderer Ehrenpunkt war natürlich aus der Sicht der Kriegsfürsten die schimpfliche Arrestierung des hessischen Landgrafen Philipp durch Karl V. Anstatt immer nur von Frieden zu reden (man darf ergänzen: und diesen insofern als Wert an sich hochzuhalten!), müsse ihm nun »auß dieser last, des landgraven halben, mit ehre geholffen« werden, betonte Kurfürst Moritz.7 Auch Wilhelm von Hessen konnte den Neutralen friedensethische Lektionen erteilen: »Mugen mit Gott, unnd aller warheit bezeugen, das unns mit guttem friedenn, unnd 2 Beilage zu einem Brief Sailers an Günterode und Aitinger, 1546, Juni 29: Lenz, Briefwechsel, Bd. 3, S. 428. 3 Die »Ehre Gottes« begegnet sogar in Schreiben, die die Kritiker der kurpfälzischen Neutralität untereinander wechselten, sozusagen im Rahmen der Selbstvergewisserung; vgl. nur, für manches Ähnliche, Christoph Arnold an Pfalzgraf Ottheinrich, 1546, Nobember 4 (Kopie), BayHStA Kasten schwarz 16671, fol. 503: »Gott welle der Pfalltz unnd allen anndern potentaten die augen aufthun, das Sy nit auf den aigen nutz sonndern gottes Ehre und wort, auch daz Gemain Vaterlannd unnd Christennliche Gemain als die recht kirch sehen und bestenndiglich zusamen setzen«. 4 Hans Kraft von Festenberg und Christoph Arnold an Kurfürst Friedrich, 1546, Juli 2 (Kopie), ebda., fol. 199–201. Ich setzte jene beiden Begriffe, die mir am deutlichsten auszudrücken scheinen, daß Friedrich außer seinem Seelenheil auch seine Ehre aufs Spiel setzte, kursiv. 5 Karl V. an Kurfürst Friedrich von der Pfalz, 1552, Mai 25 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3169 (unfol.) – die Formel in diesem Schreiben gleich zweimal. 6 »Außschreiben« der Kriegsfürsten, undat. Druck, ebda. – Kurfürst Moritz, Landgraf Philipp und Markgraf Albrecht Alkibiades an Herzog Christoph, 1552, April 3, Ernst, Briefwechsel, Bd. 1, Nr. 456: Können nicht »erachten«, daß Christoph »solchen hochwichtigen handel, der allen und iden ehrliebenden Teutschen ... giltet«, seinen »beistand« versagen werde (Kursivsetzung von mir). 7 In einer Resolution für Emissäre der rheinischen Kurfürsten, 1552, April 6 (Kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 211–215. Vgl. schon oben S. 241 mit Anm. 30.

Neutralität verscherzt »Ehre« und »Ruhm«

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rhuwe, Eben so wole were, als einem menschen uf Erdtreich, da unns derselb Fride mit Gott, unnd Eeren gedeyhen möchte«8: die so häufige Verschränkung des Sündenvorwurfs mit dem Ehrdiskurs! Pax mußte mit der gottgewollten Ordnung und mit der »Ehre« kompatibel sein, war sonst nichts wert – war eben kein Wert an sich. Zeugte Neutralität, wo nicht geradewegs von Ehr-, so doch von Mutlosigkeit? Als die Berner noch hofften, eine offene Unterstützung der Schmalkaldener durch die dann freilich doch erklärt neutrale Eidgenossenschaft zu erreichen, schrieben sie nach Basel9, sich jetzt den deutschen Glaubensgenossen gegenüber auf sein Stillsitzen zurückzuziehen, sei schimpflich, »in Ansächen, daß sy darob ... unser aller Kleinmüete gespüren möchten«. Warum kommte ich dem Leser mit »Kleinmüete«, wo doch die Überschrift Ehrdiskurse avisiert? Es kann in diesem Kapitel nicht darum gehen, vormoderne Akten nach dem Suchwort »Eer« zu durchforsten, wiewohl wir auf den Begriff schon manchmal stoßen. Es war nach vormodernen Maßstäben ehrverletzend, dem anderen Zaghaftigkeit, Mutlosigkeit, Feigheit gar vorzuwerfen. Wann ist ein Mann ein Mann ...? Zu den vormodernen Ehrmaßstäben gehörte die ›Mannhaftigkeit‹, die »Mannhait«. Wenn Neutralität für Kleinmut, Feigheit, ferner Wankelmütigkeit, kurz, für »weibisches« Verhalten stand, konnte diese politische Option keine Ehre eintragen. Als Adam von Schwarzenberg 1626 eine Abkehr vom zuletzt verfolgten kurbrandenburgischen Neutralitätskurs forderte, sah sich Kanzler Pruckmann bemüßigt, eine Denkschrift aufzusetzen, die sich gegen den Vorwurf wehrte, Kurfürst Georg Wilhelm sei bislang »wie ein alt Weib still gesessen«. Im Namen des Kurfürsten beschied Schwarzenberg seinen Ratskollegen wie folgt: »Sitze ich so stille und sehe meinem Unglück so zu, was wird man von mir sagen? Hingegen da ich mich noch wehre und tue was ich kann, so hab ich doch noch nit so hohen Schimpf. In der Heiligen Schrift findet man von Hiob, daß er der Geduld halber gelobt ward, aber er ward von Gott heimgesuchet; die sich aber von Menschen vexieren, bravieren und mit Stillsitzen das Ihrige nehmen lassen, die wird kein Historienschreiber loben, noch etwas zu Ruhm von ihnen schreiben können. Alle Welt müßte mich vor eine feige Memme halten, da ich mich so coujonieren lassen und so ganz stille sitzen sollte. Besser in Ehren gestorben, als in Schanden gelebt.«10 Georg Wilhelm hat es danach noch häufig und nicht immer ungeschickt mit dem »Stillsitzen« versucht, hat damit das Wenige für seine Länder 8 Antwort Wilhelms auf das »anbringen« der vier rheinischen Kurfürsten, 1552, April 7 (Kopie), ebda., fol. 208f. 9 1546, Oktober 1, zit. nach Burckhardt, Basel, S. 40. 10 Zit. nach Koser, Geschichte der brandenburgisch-preußischen Politik, Bd. 1, S. 411f. (Kursivsetzungen von mir).

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erreicht, das sich unter den damaligen geostragegischen Rahmenbedingungen herausholen ließ, kurz, hat es später besser gewußt als 1626 – und hatte doch auch 1626 Recht, denn die Geschichtsschreibung gönnt diesem wenig schneidigen Neutralen aus Neigung und Gewohnheit bis heute allenfalls den zweifelhaften »Ruhm«, der erbärmlichste aller Hohenzollernherrscher gewesen zu sein. Übrigens mußte sich sein Emissär Wilmersdorff von Gustav Adolf auch das sagen lassen: »Um Gottes Willen bedenke Sie sich doch ein wenig und fasse einmal mascula consilia«.11 Daß Neutralität in den Augen des kursächsischen Spitzendiplomaten Kaspar von Schönberg »Despekt« eintrug, wissen wir schon. Es lohnt im Hinblick auf unsere jetzige Fragestellung, den Kontext der Äußerung zu zitieren: »So wollte sich auch bei so schwierigen Zeiten bei Einem und dem Andern nicht das Herz und der Muth finden, welche bei den hochlöblichen Vorfahren gewesen, die ihnen vorgenommene und wohlerwogene Schlüsse ins Werk zu setzen; denn ein Jeder vermeinete, er ihm dadurch mehr Unheil als Heil, Unglück denn Glück möchte zuziehen, daß also die Respekt nunmehr so hoch überhand genommen, daß man viel lieber wollte Despekt leiden und dem Vaterlande Ungelegenheit und Schaden anthun lassen, als Einen und den Andern, ungeachtet die Pflicht dazu verbinde, offendiren, daher dann und aus diesem allen die Neutralität erwachsen.«12 Christoph Ludwig Rasche versuchte im März 1632 in Aarau so, die evangelischen Orte der Eidgenossenschaft aufzurütteln: »Sich dieser Zeit mit Neutralität zu behelfen, ist Faulheit und Verräterei ... rühmlicher ist es, mitzuschlagen, als des Streiches zu erwarten; rühmlicher, auf dem Triumphwagen mitzusitzen, als demselben zu folgen ... rühmlicher ist es, ehrlich zu fallen oder zu leiden, als schändlich in Dienstbarkeit zu geraten.«13 Als ein bayerischer Rat um die Jahreswende 1631/32 seine Gedanken zur »Neutralitas« ordnen wollte14, hielt er unter anderem das fest: »indignissima, Deo invisa«. Neutralität brachte hienieden Schimpf ein und war Gott im Himmel verhaßt. Sah das auch Erzbischof Ferdinand in Köln so? Vom bayerischen Kurfürsten wegen eines etwaigen Neutralitätsvertrags mit Schweden um seinen Ratschlag angegangen, mahnte er 11 Helbig, Gustav Adolf, S. 13. Es folgte Spott auf »den Herzog in Pommern, (welcher auch so unschuldigerweise, indem er gar nichts verwirket sondern nur sein Bierchen in Ruhe getrunken, so jämmerlich um das Seine ist gebracht worden) ...« 12 Zit. nach Karl August Müller, Fünf Bücher, Bd. 1, S. 349 (Kursivsetzung von mir). Kursachsen war damals auf dem Weg von vermittelnder »Interposition« an die Seite des Kaisers, die »Pflicht« mag in diesem Zusammenhang Gehorsam dem obersten Lehnsherrn gegenüber meinen. 13 Den Vortrag zitiert Fäh, Gustav Adolf, S. 26 (Kursivsetzungen von mir). 14 »Neutralitas« überschriebene Erwägungen eines bayerischen Rates (wohl Johannes Peringer), BayHStA Kasten schwarz 15021/5, fol. 130–133. Es sind Gedankensplitter, wir würden heute von einem Notizzettel sprechen.

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den Bruder, er dürfe sich auf nichts einlassen, was »vor Gott, der Erbaren weltt und der Erbaren posteritet« nicht »zue verantwortten« sei.15 Wir sollten den zeitgleichen polnisch-schwedischen Krieg nicht dem großen deutschen Konfessionskrieg subsumieren, doch habe ich mir ja bisweilen Seitenblicke erlaubt; am 23. April 1626 faßte der kurländische Emissär Grotthuss seine Gespräche in Warschau in der Relation16 für Herzog Friedrich so zusammen: König Sigismund werde die faktische Neutralität Kurlands hinnehmen, aber keine Urkunde darüber ausstellen, denn das gereiche »der Chron Polen zu schimpff«. Schimpf und Schande trägt Neutralität erst recht in vielen damaligen Flugschriften ein. Sie kennen und verarbeiten die Urteile der politologischen Pionierwerke, können aber viel un­­skrupulöser werten. Eine Flugschrift von 1615, die französische Unterstützung für die evangelischen Fürsten im absehbaren Krieg um die konfessionelle Besitzstandsverteilung im Reich einfordert, zeigt ihre Kenntnis der »Politica« dadurch, daß sie auf die dort bisweilen anzutreffende Ansicht rekurriert, Neutralität sei lediglich für Schwächere grundsätzlich verderblich, während sich Starke diese Option unter gewissen Umständen leisten könnten – um dann freilich bezeichnenderweise jenen moralischen Mehrwert zu bieten, auf den die Staatsklugheitslehren (unterschiedlich konsequent) freiwillig verzichten. »Wann zwey theil so schwach sein, das der Siegende an macht viel geringer ist als wir«, so der unbekannte Autor, dann kann man »alles bedencken, der Ehr vnd pflicht hindan gesetzt, Neutral bleiben«. Nun setzte natürlich kein vormoderner Politiker seine Ehre »hindan«, auch nicht in Paris, außerdem mochte Frankreich zwar mächtiger sein als alle Reichsstände zusammen, aber mit Spanien war doch indirekt eine zweite Großmacht involviert, die viel geschlossener und imposanter dastand als die französische Monarchie – jedenfalls in den Augen unseres Autors. Er vollzieht dann übrigens eine Rückwendung vom Kräftekalkül aufs moralische Terrain: Es sei entschieden besser, die deutschen Protestanten »mit rechtmessigem Kriege zubeschützen, als vnsern Feinden jhre anschlege, vermittelst einer schmälichen nachtheiligen neutralitet zu enthengen«.17 Elaborate der anderthalb Dekaden seit 1618 konnten es noch viel deutlicher sagen: Die es vorzogen, »still zusitzen«, wenn beim Nachbarn das Feuer loderte (wir kennen dieses Bild schon), demonstrierten dadurch, daß sie »kein courage 15 Kurfürst Ferdinand an Kurfürst Maximilian, 1631, November 21 (Or., teilweise chiffriert), BayHStA Kasten schwarz 960 (unfol.). Freilich kommt das Schreiben zögerlich zum Schluß, man müsse wohl zur Neutralität Zuflucht nehmen, müsse bei so katastrophalen Kriegsläuften »dz geringste ybel erwählen«. 16 Abdr.: Seraphim, Materialien, S. 49. 17 [Anonym], Discurs Ob sich Franckreich, die Zitate: fol. Biij bzw. fol. Biiij (Kursivsetzungen wie im Folgenden von mir).

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im Leib haben«.18 Neutrale waren »Memmen«.19 Der Verfasser des »Hansischen Weckers« stellte seinen noch schläferigen Adressaten, diesen unklugen und ehrvergessenen »neutralisten«, angesichts der Belagerung Stralsunds diese rhetorische Frage: »Ob sie Hertz vnnd Muth also forth fallen vnd sincken lassen wollen vnd sollen. Oder ob jhnen nicht vielmehr gebühre, durch Göttlichen Beystand, sich männlich zuerwehren, vnnd die jhnen anbefohlene Kirche vnnd ehrliebende Bürgerey zu defendiren«. »Es will mit Weibischen Wehklagen nicht außgerichtet, sondern also fort nil cunctando dazu gethan seyn«. Oder, den Ehr- mit dem Sündendiskurs mischend: Man konnte ja »Ehr: vnnd Gewissens wegen nicht lenger zusehen«.20 Ein »Memoriale« von 1632, das nur auf den ersten Blick von heiliger Einfalt kündet, verschränkt die Diskursebenen, nachdem es zeitgeschichtliche Exempel gescheiterter Neutralitätshoffnungen hatte Revue passieren lassen, so in einem Satz: »Die jenigen Stände des Reichs, denen die Defensio Religionis et Regionis, vnd jhre eigene reputation vnd conservation ein Ernst, werden sich solcher Wanckelmütigkeit wol enthalten.« Oder, den Klugheits- und den Ehrendiskurs koppelnd: »Wer sich nun der Experientz neben der Vernunfft nicht weisen lassen wil, kann seinen Schaden vnd Schande befördern helffen ... vnd die Neutralitet als ein herrlich Mittel commendiren«.21 Der Autor der neutralitätskritischen »Gespräche und Discursen« persifliert eine pazifistische Ansprache, natürlich kommt sie aus dem Munde des törichten »Hans«: »Was Heldenbuoch, was Heldenbuoch, wann ich oder jhr schon nicht dareyn kommen, wöllen wir doch nichts desto minder gute Leuthe seyn: ich kenne meiner guten freunde einen grossen hauffen ... deren keiner ... den lieblichen Frieden nicht mehr alß andere grosse Kriegstitul vnd Nammen lieben werde, ja solte wol darumb, daß man jhn ins Heldenbuoch setzen wolte, nicht einen Narrenhund, fleischmesser, warmes brodt, vogel oder wurm geben!« Der weltkluge »Stephan« erweist sich hingegen als Ehrenmann: »Ja lieber Gevatter, derer kenne ich auch mehr alß mir lieb vnd gut ist: alldieweil es je höchlich zu betrauren vnd zu beklagen, daß wir so gar auß der art vnserer Heldenmässigen 18 [Anonym], Das Teutsche Klopff Drauff, fol. Aij. 19 [Anonym], Von jetzigen Kriege, beginnt seinen Schlußappell (fol. Dij) so: »Ja wenn wir Teutschen nicht solche Memmen weren, vnd nach dem Spanischen Joch vnser Haut vns juckete, so solten freylich (1.) die Churfürsten nicht stille darzu sitzen, sondern nach der gülden Bulla vnd Kayserlicher Capitulation diß Werck reguliren«. Die hier interessierende (syntaktische und inhaltliche) Nähe Stillsitzen – Memmenhaftigkeit ist klar, der Rest weniger. Warum werden (ohne ›Vorwarnung‹ auf den 24 Seiten zuvor, die hauptsächlich darlegen, daß man in einen »ReligionsKrieg« verwickelt sei) speziell die Kurfürsten apostrophiert? Sollen sie Ferdinand II. für abgesetzt erklären? Grundsätzlich war die Goldene Bulle geeignet, ein kurfürstliches Absetzungsrecht (wie es freilich in der Neuzeit nie praktiziert worden ist und auch nicht praktikabel war) zu stützen: Gotthard, Säulen des Reiches, Bd. 2, S. 623f. 20 [Anonym], Hansischer Wecker, fol. Aiij bzw. fol. Diij. 21 Wild, Memoriale, fol. Cij bzw. fol. Diiij.

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Vorfahren schlagen, vnd nichts dann eytele faulkeit22, gute tage ... vnd den wollüsten vnd wolleben ergeben seind: vergessen darüber aller Heroischen tugenden ... oder wünschen wir nichts anders, alß ein müssiges, keinnütziges Leben: dahero es dann kommt, daß in vnseren ohren nichts lieblichers klinget, alß der thon vnd gesang vom Frieden«. »So müßten wir vns für den lebendigen schämen, eines stätigen fluchs von unseren Nachkommenen besorgen, vnd in eusserster dienstbarkeit mit schand vnd spott vnser Leben enden: wie wir dann nichts alß vnehr, schmach vnd spott verdienet, daß wir auß lauterer nachlässigkeit, faulkeit vnd zagheit« neutral geblieben sind. Man sollte nicht »dem triumph­wagen23 zu fuß nachfolgen oder den begleiten, sondern auff denselben mit ehr vnd ruhm gezieret mitsitzen«.24 Es scheint nicht nur die Stilebenen zu verquirlen, wenn ich so derb daherpolterndem Bellizismus Lyrik von Martin Opitz anschließe. Eine wohl doch explizit neutralitätskritische Passage seines »Trostgedichtes« kennen wir schon25, anderswo kann dieser wenig zartbesaitete Autor »Grimm« und »rotes Blut« auf »Muth« reimen, um dann so fortzufahren: »Wann diese Wächter uns sind aus den Augen kommen/ Da wird uns auch der Sinn zur Munterkeit genommen«.26 In Flugschriften dieser Jahre finden wir so muntere Militanz zuhauf. Der Autor der »Magna Horologii Campana, Tripartita« erinnert an »vnsere liebe Vorfahren« wie Moritz von Sachsen, Philipp von Hessen, »Hans« von Küstrin, andere Heroen der späten Reformationszeit, dann an Wilhelm und Moritz von Oranien. Was ihnen allen gemein ist? Daß es »noch heutiges Tages von männiglichen, so wol Politicis als Theologis hochrühmlich gedacht vnd jhnen in jhre Grube nachgerühmet wirdt, daß sie ... mit darsetzung jhres Leibs vnd Lebens, Haab vnnd Güter ... mit stürtz- vnnd vergiessung vieles bluts, dero Conscientz, Libertät vnd Freyheit zu mainteniren« gedachten »vnd keine Neutralität leyden noch dulden wollen«. Neutralen war es »warlich nit recht vmb jhr eygen Gewissen, vmb Gottes Wort, vmb jhre Ehre, noch vmbs Vatterlandt, sondern nur vmb jhren Privatnutz, oder 22 »Faulkeit« als Synonym für Neutralität: vgl. Kapitel C.4! Der Autor der »Gespräche« hat auch hier nicht allgemein Friedensliebe, sondern spezieller die eidgenössische Neutralität im Schwedischen Krieg im Visier. 23 Vgl. S. 778 mit Anm. 13! Der anonyme Autor kannte die Bilder und Motive der schwedischen Propaganda, ich spekuliere weiter oben (vgl. S. 418 Anm. 72), um wen es sich gehandelt haben könnte. 24 [Anonym], Gespräche und Discursen, fol. 18f. bzw. fol. 15. – Ich füge eine Beobachtung an, die ich nicht recht einordnen kann, weil mir das ganze Pasquill, ein vorgebliches Gebet des »Bischoffs zu Tillingen« an Gustav Adolf, rätselhaft ist. Jedenfalls lautet der Schluß, unter Rückgriff auf einen Neutralitätstopos (der »Mantel im Wind«), so: »Der Bischof hängt den Mantel dar,/ Nach dem der Wind herwehet;/ Damit er schändlich bestehet,/ Mit Spott singt mit mir: Amen!« (Kursivsetzung von mir) – Bartsch, Volkslieder, Nr. 99. 25 Vgl. oben S. 416. 26 Opitz, Trostgedichte, Buch II, Zeilen 379–382.

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vmb jhren Bauch vnd Mammon, der dann jhr rechter Gott ist, eygentlich vnd allein zu thun«.27 Wer, anstatt tatkräftig mitzumischen, »dem Spiel zu zusehen«, so »Zeit zu gewinnen«28 und im »trüben Wasser« zu fischen suchte, verspielte Renommee. Eine proschwedische Flugschrift hielt dem im Ersten Nordischen Krieg neutralen Herzog von Kurland ausdrücklich vor, es wäre reputierlicher gewesen, wenn er es mit Schwedens Kriegsgegner gehalten hätte, anstatt sich auf seine Neutralität zu versteifen – oder, in den Worten des anonymen Autors: »daß bei einer solchen Bewantnus hätte rühmlicher29 seyn können, sich an der Polnischen Crone ... zu halten, vnd deroselben Fortune mit außzuwarten, als zwischen beeden mit Betrug zu stehen«. Neutralität schadete mehr als Parteinahme für die ›falsche‹ Seite, denn letztere war allenfalls unklug, sie schändete nicht. Daß zwar viele eidgenössische Söldner im Holländischen Krieg mitkämpften, vor allem für Ludwigs Kriegsziele, daß sich aber die Eidgenossenschaft als ganze für neutral erklärte, wurde von manchen Flugschriften abschätzig kommentiert. Wenn »diese Kühemelcker in ihren Felsen ruhig bleiben«30, wenn sie »in ihrer Einfalt bey ihrem Käß und Milch so weit kommen, daß sie gelernet: Man solle gar behutsam gehen, mit grössern Potentaten sich zu alliiren«, solle lieber »still sitzen«31, waren sie ja vielleicht clever oder doch bauernschlau, aber Achtung trug derartiges Taktieren nicht ein. Eine Flugschrift von 1674 brachte es so auf den Punkt: Die Eidgenossen »tun nichts als daß sie Volck hergeben, auß ihren Löchern und Pässen kommen sie nicht« – so werden sie zwar »reich«, doch »inaestimabel«!32 Diese Autoren sprachen nicht mehr von Sünde, doch von Schande, auch, wenn sie in eigenen Worten zwischen den diversen vorgestanzten Topoi, etwa aus den Sinnbezirken »weibisch« oder »Faulkeit«, überleiteten. Im »Gespräch über das Interesse Deß Englischen Staats« wird das auffallend haltlose Plädoyer für ein neutrales England so von einem Nachredner widerlegt: »Würden wir Neutral bleiben ..., so würden wir ... den Verweiß der gantzen Christenheit uns schändlich 27 [Anonym], Magna Horologii Campana, Tripartita, S. 68f. Die Passagen sind natürlich (wie die Arbeit insgesamt sowieso) auch theologisch durchtränkt, hier ging es mir um den ebenfalls immer wieder angesprochenen Gesichtspunkt der »Ehre« (Kursivsetzung von mir). 28 Was impliziert: Neutralität war sowieso keine politische Option, die auf Dauer gestellt werden konnte; daß neutral zu sein nicht selten als »temporisiren« bezeichnet wurde, sahen wir schon in Kapitel C.4. Die Zitate: [Anonym], Ursachen Wodurch, fol. Biij. 29 Ich denke, das Adjektiv hat (wie häufig in Texten dieser Jahrzehnte) mehr Facetten, als der moderne Leser zunächst mitbedenkt: nicht einfach nur »lobenswert«, wir dürfen den »Ruhm« noch wörtlich nehmen, es geht um Gloire, die Reputation bei Mit- und Nachwelt. – Ebda., fol. Bij. 30 [Anonym], Geheime Raths-Stube, S. 41f. 31 [Anonym], Der Abgesandte Mercurius, S. 37f. 32 [Anonym], Reformirter Friedens-Curirer ..., o. O. 1674, S. 23.

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über den hals bringen, bey welcher der Nahme [der] Englischen Nation würde zum höchsten verachtet seyn«. Man verbinde sich nun mit Frankreich, verbinde sich mit Spanien – einerlei, nur eben keine Neutralität! »Auf solche Weise werden unsere Soldaten durch ihr tapffermüthiges Streiten die Ehre wieder erlangen, welche unser ehemaliges Kriegs-Volck so schändlich und zaghafftig ohnlängst verlohren«. Man hatte allen Grund, »die Neutralität vollkömmlich zu verbannen, als welche höchst-schädlich vor die Englische Ehr«.33 Hatten auch Reichsfürsten Ehre im Leib? Konnten sie nur »Weibisch stillsitzen«? Ach, hätten sie doch dem Kaiser beherzt gegen Frankreich geholfen, klagt 1673 »Freyhold«, das wäre »weit rühmlicher gewesen, als der gestalt kleinmüthig in der Reverse34 zu ligen«. Deutschland durfte sich nicht solcher »Zaghafftigkeit ergeben«, »einige Neutralität« kam nicht in Frage, wenn man doch – »weit rühmlicher«! – »dem Vatterlande mit Gut und Blut beystehen« konnte.35 Diese Rhetorik beherrschte auch die Hofburg im diplomatischen Verkehr mit neutralen Reichsfürsten. Einem Emissär aus Heidelberg erklärte man, der Kurfürst solle doch, angesichts wahrhaft reichspatriotischer Motive für die Kriegserklärung an die Krone Frankreich, nicht dauernd »queruliren«. Dieser Abqualifizierung als Reichsquerulant folgt: Er möge doch »nicht alles so gram nehmen, und gar nichts mit thun oder leyden oder gleich gar daraus scheiden«, also Neutralität vorschützen. Vielmehr gelte es »standhaftig« das Wohl des Vaterlandes zu befördern.36 Neutralität war keine gleichsam ›wertneutrale‹ politische Option, wurde psychologisierend als Wankelmütigkeit abgetan und moralisierend als Quertreiberei, als Verweigerung normativ gebotener Einordnung in ein (hier reichs­patriotisch begründetes) Wertegefüge. Der Wankelmütige wie der Querulant provozierten »Despekt«, verspielten Ehre.37 33 [Anonym], Gespräch über das Interesse, S. 327 (Kursivsetzungen von mir). Der nächste, dritte Redner assistiert, es sei schön gezeigt worden, daß es »nothwendig ist, daß wir, sonder so viel krumme Striche zu gebrauchen, eine Parthey erwehlen« müssen (S. 328). Der vierte und letzte Redner beweist dann, daß diese Partei die spanische sein muß, denn »der Frantzoß ist Engellands natürlicher Erbfeynd« (mit diesem damals in besonders hitzigen deutschen Flugschriften begegnenden Topos dürfte die Fiktion einer Übersetzung aus dem Englischen hinfällig sein) – was den Vorrednern einleuchtet (S. 333). 34 Sic! Daß »in der Reserve« verharren Neutralität meint, macht beispielsweise der wenige Zeilen davor bemühte Topos vom »Weibisch stillsitzen« deutlich. – Vortrag »Freyholds« im in »Freybergk« verlegten »Nachdencklichen Gespräch«. 35 [Anonym], Curiosa, nec non politica, S. 402. 36 Bericht von Johann Georg Geyer über Gespräche in Wien, 1676, März 26 (Or.), BayHStA Kasten blau 102/4 (unfol.). 37 Scheute sich der neuburgische Vizekanzler Theodor Heinrich Altet von Stratman deshalb nicht, die Neutralitätspolitik des Pfalzgrafen diesem gegenüber (1673?) als »nicht sehr ehrenvoll« zu bezeichnen? Das Zitat gibt Schmidt, Friedensmission, S. 237, leider ohne Beleg und Datierung – ich kann es also nicht historisch kontextualisieren, und auch die Plazierung an dieser Stelle des Kapitels in dieser Fußnote mag beliebig anmuten.

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Woher eigentlich wußten die auf den letzten Seiten präsentierten Flugschriften, daß Neutralität keine Gloire eintrug? Nicht aus frommen Traktaten – deren Autoren sorgten sich ums himmlische Wohlgefallen, nicht um irdischen Applaus. Wenn Flugschriften die Neutralität als unehrenhaft diskreditierten, multiplizierten sie entsprechende Einschätzungen der frühen politologischen Literatur. Niccolò Machiavelli handelt die Neutralität in einem Kapitel ab, das die Übersetzung Rudolf Zorns treffend so überschreibt: »Was ein Fürst tun muß, um sich Ansehen zu erwerben«.38 Hier also lag schon für Machiavelli das Kernproblem neutralen Verhaltens: Es brachte nicht Ehre noch Ruhm, nicht einmal Reputation ein. Die politologischen Libri sex des Deutschniederländers Justus Lipsius behandeln die Neutralität im Kapitel, das der »Auctoritas« des Herrschers gewidmet ist, ihren innenpolitischen, dann auch äußeren Voraussetzungen.39 Das Ehrproblem des Neutralen wurde um und nach 1600 in einprägsame Topoi (die besonders griffigen wurden im vorletzten Kapitel vorgestellt) oder doch mit gewissen Variationen immer wieder begegnende Wendungen gefaßt, beispielsweise hielt man den Neutralen vor, »quod amissâ omni gratiâ atque dignitate victoris praeda eritis aut praemium«.40 Der Satz umgreift die gravierendsten politologischen Einwände gegen das Konzept der Neutralität: unsicher, unklug, Beute des Siegers – und all das eben auch noch mit Schimpf und Schande. Fast nie fehlt die Antithese männlich-schimpflich: »Viriliter potiùs pugnare debemus, quàm turpiter perire«.41 Weil die Ehre der politischen Entscheidungsträger nicht unpolitisch war, weil politischer Erfolg mit politischer Reputation zusammenhing, kennen diese vermeintliche Alternative auch die neutralitätskundlichen Dissertationen des 17. Jahrhunderts: »Longè illustrius sit viriliter pugnare, quam turpiter perire«.42 Oder: »generosius43 longè est fortiter praevenire, quam turpiter

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»Quod principem deceat ut egregius habeatur«: Kapitel XXI. Nämlich in Liber IV Caput IX. So noch 1752, gelehrig in den traditionellen Bahnen, Vogt, Specimen, S. 11. Ich zitiere, was so ähnlich häufig begegnet, hier nach Hoenonius, Disputatio XIII, S. 583. Der – an sich ja nicht von »neutralitas« sprechende – Satz ist eingebettet in eine Kaskade von Sentenzen gegen die Neutralität, in ihnen wird sie auch meistens beim Namen genannt. Im einzelnen nicht nennenswerte Variationen des zitierten Diktums ließen sich bei allen frühen Politologen nachweisen. 42 Schröder, De neutralitate, Abschnitt Nr. 23. 43 Adeliger, adelsaffiner? Ehrenvoller? Ebda., Abschnitt Nr. 14; die Stelle geht so weiter: »... illi enim quos vel praepostera ignavia, vel prava calliditas vel foetida timiditas â bello vicino abhorret, praesentissimum interitus periculum metuere debent«. Hinter Neutralitas standen eben häufig »calliditas ac pigritia«, es verdiente keinen Respekt, wen »ignavia ... aut prava calliditas ... armis abstinet«: Mayer/Mayer, Quaestio Politica, fol. B3. Daß zur Neutralität »ignauia« oder »praua calliditas« verführten, wußten die Doktoranden von Justus Lipsius (in der Erstausgabe von 1590: S. 115).

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praeveniri«. Wer es nach seinen juristischen Studien im Adelsdienst zu etwas bringen wollte, mußte im Adelsethos bewandert sein. Die »Dissertatio politica« Heinrich Schemels weiß, daß es doch Gründe dafür geben kann, die Neutralität eines Nachbarn hinzunehmen anstatt auf seinen Beistand zu pochen: nämlich wenn es sich da um ein Staatswesen handelt, das innerlich verfault ist44 – alle sind dort ängstlich und verweichlicht, keine Hilfe wird tragen und man infiziert sich als Bündnispartner nur mit diesem Ungeist. Danach erörtert der Doktorand den Umgang mit einem Nachbarn, der sehr mächtig ist – mit diesem bezeichnenden Zusatz: als Neutraler wird er’s nicht lang bleiben! »Quia dum obtentâ Neutralitate in otio se conservat, vilescere incipit ipsius auctoritas«, und der einst so Respektierte wird ein dankbares Angriffsziel werden. Mit der »auctoritas« schwanden die politischen und militärischen Möglichkeiten, damit die Abwehrkräfte. Und »auctoritas« gewann man nun einmal nicht durch Neutralität. Neumayr von Ramsla stellt schon in der Vorrede seiner Monographie klar: »Ein Fürst erlanget ihm reputation und ansehen, wann er in Kriegszeiten sehen lest, daß er entweder Freund oder Feind sey«.45 Man konnte es noch 1747 ungefähr so nachlesen: »Un prencipe l[’] aquista la reputazione con l’essere stimato o vero amico o vero inimico«.46 Das war das eine.

6.2 Sündenbesudelt – Neutralität verscherzt das Seelenheil 6.2.1 »Let cursed neutrality go to Hell« Und dann ließ ein zum Notwendigen gesteigerter Gerechter Krieg47 kein neutrales Abseitsstehen zu. Wenn »God calls«, wenn es galt, »the ruin of God’s enemies« zu besorgen, konnte man nicht einfach zuschauen: »Arise, arise in the name of God, let cursed neutrality go to Hell (if Hell will receive it).« Ging der Ehrenmann keinem Strauß aus dem Weg, in dem sich Gloire erringen ließ, war es Pflicht jedes Christenmenschen, zu den Waffen zu eilen, wenn Gott selbst den Kampf anbefahl. Daß man Neutrality noch nicht einmal in der Hölle leiden mochte, behauptet die Druckfassung einer Predigt, die William Beech im Oktober 1645 vor Parlamentstruppen gehalten haben will, die einen von royalistischen Kräften gehalte44 »Animi qui in delitiis vilescunt« usw.: Schemel, Dissertatio politica, S. 30f. 45 Neumayr, Neutralitet 1620, Vorrede. Natürlich stand hier unmittelbar oder vermittelt Machiavelli Pate, vgl. oben S. 439 mit Anm. 163. 46 [Anonym], Praefatio, fol. A3. Der Autor zitiert offenbar aus dritter oder vierter Hand, jedenfalls verweist er nicht auf den »Principe«, sondern schreibt: »Vid.cinvzzes in tr. della vera militar disciplina antica e modernaL.II.« 47 Ich komprimiere in dieser Formel, dem »Notwendigen Krieg«, was weiter oben etwas ausführlicher entwickelt wurde: vgl. insbesondere Kapitel A.2.1.3.1.

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nen Landsitz, Basing House, zu erstürmen suchten.48 England ließ sein Zeitalter der Konfessionskriege später zurück als Kontinentaleuropa. Markieren, im Lichte unserer Sondierungen nach Konnotationen von »neutralitet«, in Mitteleuropa nicht schon die frühen 1630er Jahre die Peripetie – und danach ein fast jäher Abschied von den generationenlang inbrünstig gepflegten moraltheologischen Vorbehalten? Wir müssen Zeugnisse der beiden deutschen Konfessionskriege, seit 1546 und seit 1618, daraufhin durchmustern, ob und warum sie »neutralitet« theologisch verwerfen. Daß der Fürstenkrieg nur in Beimischungen auch ein Konfessionskrieg gewesen ist, bestätigt sich, so man nach theologischen Verurteilungen der neutralen Option fahndet. In Texten der Monate des Fürstenkriegs dominieren als appellative Instanzen der »Gehorsam« Kaiser und Reich gegenüber bzw. die »Libertät« der Reichsglieder. Das machte »neutralitet« wenig respektabel, aber als sündhaft wird sie nur selten perhorresziert. Immerhin strich Wilhelm von Hessen einmal den Neutralen gegenüber heraus, er sei zur Kriegführung »nach allen naturlichen Rechtenn, unnd göttlichen gebott, zum höchsten verpflicht«.49 Viel häufiger begegnet der Sündendiskurs im Zusammenhang mit neutralem Verhalten im Schmalkaldischen Krieg. Wir sahen schon, daß die damals attackierten evangelischen Fürsten ihren Abwehrkampf als »religionsach« deklarierten. So gesehen, provozierte »neutralitet« nicht nur abschätzigen Hohn und moralische Vorhaltungen, sondern auch die »straff gottes«, wie jede Sünde. Im September 1546 warnte der bernische Diplomat Hartmann von Hallwil vom evangelischen Feldlager an der Donau aus 50 die Zürcher, so die Eidgenossen still säßen, führe das jedermann vor Augen, daß den Schweizern »der lieb got[,] sin namen und eer« nichts wert seien. Wenn eine eidgenössische Hilfsaktion ausbleibe, »wirt unser lawer sinn und gemütt zu grossen spott und verachtnis bei aller welt verschreit werden und unvermeidenliche straff gottes volgen«: der Ehren- und der Sündendiskurs in enger Verschränkung! Für die neuburgischen Kritiker der kurpfälzischen Neutralität war diese »das gottlose wesen«.51 Wer ihr verfiel, riskierte ewige Verdammnis, aber auch schon 48 Es dann übrigens, so angefeuert, auch schafften: William Beech, More Sulphure for Basing: or, God will fearfully annoy and make quick riddance of his implacable Enemies, surely, sorely, suddenly ..., London 1645, S. 28f. 49 Antwort Wilhelms auf das »anbringen« der vier rheinischen Kurfürsten, 1552, April 7 (Kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 208f.; vgl., zum damit verschränkten Ehrdiskurs, schon oben S. 776f. 50 Hallwil weilte dort als offizieller Beobachter des einzigen eidgenössischen Ortes, der im Spätsommer und Herbst 1546 für Parteinahme im Schmalkaldischen Krieg eintrat, Berns nämlich. Sein Schreiben vom 26. September 1546 an Heinrich Bullinger zitiert Niehans, Bullinger, S. 251. 51 Statthalter und Regenten von Neuburg an Pfalzgraf Ottheinrich, 1546, Sept. 21 (Kopie), BayHStA Kasten schwarz 16671, fol. 317–319. Dieses »wesen« kam »unnser Sund willen«

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diesseitige Strafe für solche Ruchlosigkeit: »Wir wissen wer in disem gemainen hanndl neutral sein wirdet, das derselb nit allain von der pfaffen parthey das gewiß verderben ubersteen muesst, sondern auch volgends, von den Christlichenn Stennden nit ungestrafft bleiben werd.«52 Der fromme Mann war offene Parteinahme für die gerechte Seite seinem Herrgott »schulldig«53, »wollten aber Gott das ain Jeder Potentat Innsonderhait den gemainen unnd sonndern nachthail abfal unnd unwiderbringlichs verderben der under solcher Neutralitet verborgen ligt Christlich unnd schulldiger weis zu hertzen furet«.54 Noch nach der Besetzung der Pfalzgrafschaft durch kaiserliche Truppen waren sich die Regenten sicher, daß »Neutralitet« nicht nur unklug gewesen wäre, sondern auch »gegen Got und dem Vaterland unverantwortlich«, tat der Kaiser doch alles, um »das Antichristische Babsthumb zuerhallten« – man habe nun einmal »Got mer weder dem Menschen zugehorsamen«.55 Auch die anderen erklärt »Neutralen« mußten sich vorhalten lassen, nicht gottgefällig zu handeln, die »Eer gottes« begegnet in den Akten des Schmalkaldischen Krieges häufiger als profane Ehrlosigkeit. Falls die Augsburger weiter »neutral« bleiben wollten, »So thäten sie wider Gott«, wußte der Agent des hessischen Landgrafen Philipp, Gereon Sailer.56 Im September 1546 mahnte Herzoginwitwe Elisabeth von Rochlitz den da noch neutralen sächsischen Kurfürsten Moritz, nicht weiter »stillzusitzen«, da die Auseinandersetzung »vornemlichen unsere wahre religion, die ehre gottes und unser heil und seligkeit belanget« und – wir kennen das Bibelzitat bereits aus dem letzten Abschnitt! – »man Gott mehr

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in die Welt – Neutralität als Geißel Gottes! Notabene: es handelt sich hier um ein ›internes‹ Schreiben, um Selbstvergewisserung, nicht etwa um frömmelnde Propaganda! Statthalter und Regenten an Kurfürst Friedrich, 1546, Juli 3 (Kopie), ebda., fol. 202f. Neuburgische Aufzeichnung der Besprechungen Ottheinrichs mit den Heidelbergern, »den 6. August anno 46«, ebda., fol. 236f.: Ottheinrich befahl »dem Cannzler«, Friedrich Folgendes zu überbringen: Daß der Pfalzgraf nicht neutral zusehen will, dazu hat ihn »Erstlich der Christlich Eifer unnd begurd die glider unnsers heiligen Christlichen Glaubens unnd Religion, Wie dann alle Christen zethun schulldig seind helffen zuretten bewegt«, er will in solcher Lage nicht »laviren«, hat »als ain anhenger unnd bekenner Christlicher religion nit wenig ursach gehabt dergestallt nit hier sitzen zebleiben« (man ergänze: sondern mit – natürlich gefälligst von Friedrich abzustellenden – Truppen den Schmalkaldenern zuzuziehen). Die neuburgischen Regenten an Ottheinrich, 1546, Nov. 13 (Kopie), ebda., fol. 517f. Ich zitiere nur noch, um die apokalyptische Diktion zu charakterisieren, diesen kurz darauf folgenden Satz: »die auserwellten werden mitten im elend in gottes wort bestendig erhallten«. »Anschreiben an H. Otth.« (undat. Entw.), BayHStA Kasten blau 102/ad 4 I, fol. 63–74. Der Briefentwurf stammt aus der Hand Festenbergs. Beilage zu einem Brief Sailers an Günterode und Aitinger, 1546, Juni 29: Lenz, Briefwechsel, Bd. 3, S. 428; damit verschränkt wird, wie eben so häufig, der Gesichtspunkt der Ehre: vgl. oben S. 776 mit Anm. 2.

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dann den menschen in diesem fall gehorsamen soll«.57 Schon im Juni hatte Philipp von Hessen den erklärt neutralen Wettiner so zur Fahne der Rechtgläubigen gerufen: »Wilcher man wollt um seines schöpfers und gottes ehre und der ewigen seligkeit, auch um des lieben vaterlands willen sich gegen solich unvermuthlich böse listig furnehmen mennlich und kecklich zu streiten nachlessig vermerkt werden?«58 Der Neutrale mußte in sich gehen, mochte auch seine »theologen und prediger« fragen, was er »fur gott schuldig« sei.59 Was die »theologen und prediger« sonntags die Untertanen des Wettiners so lehrten, läßt dieses Gutachten des Landschaftsausschusses vom 29. August 154660 erahnen: Die »predicanten« behaupteten von den Kanzeln herab, es gehe den Kaiserlichen darum, »unsere christliche religion zu tilgen«, moniert dieser Text, wodurch »das volk angereizet wirdet, mit den und dergleichen worten: dass ein jeder schuldig sei, sich in diesen kriegsleuften zu erhaltunge des wort gottes gebrauchen zu lassen, gut und blut dobei zuzusetzen, und gleich zu verstehen geben, als ob wider Ksl. Mt. um des evangelii willen die christliche lehre mit deme schwerte zu erhalten gestritten werden musste«. Um nur noch durch eine publizistische Stimme zu ergänzen: »Es gilt allhie nicht, da du dich Neutralisch halten ... wolst«, rief Georg Maior in einer anonym veröffentlichten Flugschrift allen wahren Christen ins Gewissen, »Denn du mit leib, gut und blut, du seiest welches stands du wölst ... das rechte göttliche Lere, rechter gottesdienst auffgericht werde, schüldig bist du zu helffen«. Es ging gegen »des Teufels ordnung«, »jr zu widerstreben« war jeder Christenmensch »verpflicht und schüldig«. Durch vorgebliches »stillsitzen« leistete man tatsächlich den Schergen des Teufels Vorschub.61 57 Elisabeth an Moritz, 1546, September 13: Brandenburg, Politische Korrespondenz, Bd. 2, Nr. 1005. – Allgemein zur konfessionspolitisch ambitionierten, vor allem durch ihre Briefwechsel wirksamen Witwe des sächsischen Herzogs Johann zuletzt André Thieme, Glaube und Ohnmacht? Herzogin Elisabeth von Rochlitz am Dresdner Hof, in: Enno Bünz/Stefan Rhein/Günther Wartenberg (Hgg.), Glaube und Macht. Theologie, Politik und Kunst im Jahrhundert der Reformation, Leipzig 2005, S. 149–174. 58 Landgraf Philipp an Moritz, 1546, Juni 25: Brandenburg, Politische Korrespondenz, Bd. 2, Nr. 932. 59 Instruktion des Kurfürsten Johann Friedrich und des Landgrafen Philipp für eine Werbung bei Moritz, [1546, Juli 4]: Brandenburg, Politische Korrespondenz, Bd. 2, Nr. 944. Es war »ein itzliche christliche obrigkeit« die Untertanen »wider alle tyrannei« zu beschützen »fur gott schuldig« – die damals häufige Verschränkung von Widerstands- und Kriegsdiskurs. Was wir heute als »Schmalkaldischen Krieg« kennen, war eben auch Widerstandsaktion gegen eine vorgebliche »Exekution« der obersten Obrigkeit, des Kaisers; was heute oft »Fürstenaufstand« genannt wird, wird fünf Jahre später eben zugleich Krieg sein. Die heute üblichen Etikettierungen beziehen für eine von zwei damals gleichermaßen verbreiteten Lesarten, für eine von zwei gleichermaßen legitimen und sinnvollen Interpretationsmöglichkeiten Stellung. 60 Ebda., Nr. 994 (Kursivsetzungen von mir). 61 [Anonym], Allmechtiger Maiestat Declaration, fol. F1f.

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Lagen nun nicht Sieg oder Niederlage ohnedies in Gottes Hand? Schon, aber diese Einsicht durfte nicht zu Quietismus verführen. Der fromme Mann funktionierte vielmehr gern als Werkzeug Gottes, wenn dieser einen Krieg wünschte oder anbefahl. Die Einwände des ulmischen »Discurs Uber die Bundtnussen« aus dem frühen 17. Jahrhundert gegen das Konzept der »neutralitet« münden in diese Ausführungen: »In dem man aber alles Gottes des allmechtigen Schutz Heimbsetzen, und derentwegen ruhig stillsizen, sich der Bundtnussen entschlagen woltte, were ein solches anders nichts, dann die von Gott verordnete Mittel, aus dem mittel thun, da doch dieselbigen zum heilsamen gebrauch von Ihm selbsten verordtnett sein«.62 Ein in bayerischen Akten liegender »Discurs« von unbekannter Hand, wohl aus dem Jahr 1611 fragt: Wie soll sich Kursachsen im eskalierenden Konflikt der Konfessionsparteien positionieren? »Neutral zu sein«, wäre nicht nur gefährlich, es sei »auch gegen Gott und die welt ehe zu verantworten«, wenn man sich zu einer der »partheien begebe«.63 Stabil an der Spitze einer der »partheien« im Dreißigjährigen Krieg stand Maximilian von Bayern. Als er, um die Jahreswende1631/32, doch mit dem Gedanken umging, vorübergehend Zuflucht zur Neutralität zu nehmen, war das zunächst einmal von akuten Kriegsnöten diktiert, von gegnerischen Siegen, kaiserlichen Niederlagen und dem Zustand der Ligakasse. Aber die Münchner redeten sich hartnäckig ein, mit dem Land die Religion retten zu müssen, nur diese Gleichsetzung machte die Neutralität erträglich. Es ging darum, »religion et land und leuth zu erhalten«64, war zu befürchten, daß Bayern, »da der Kenig in Schweden preualiren solte, sambt der Catholischen religion zu grund gehe«.65 Eine von Maximilian selbst zusammengestellte Liste von Gesichtspunkten »Pro Neutralitate« kreist durchgehend um diesen vermeintlichen Zusammenhang, beschwört ihn geradezu – da mußte einer sein Gewissen beruhigen: »Zubesorgen, ob es ein possibilitet sei, die Religion herdu[r]chen66 neben Land und Leütt zu erhalten oder ob eins neben dem andern zu grund gericht werden mieße«, »ist zufürchten wan Bayern supprimiret und vertrieben« – erneut diese Gleichsetzung von bayerischem, ja, kurfürstlichem Los und Schicksal des Katholizismus, die als 62 Discurs Uber die Buntnussen [von 1608], HStADr Locat 7272 1. Buch Unio und Zusammensetzung, fol. 253–266. 63 BA, Bd. 11, Nr. 9 Anm. 1. 64 Aufzeichnungen Richels über die Geheimratssitzung am 17. Dezember 1631, BayHStA Kasten schwarz 15021/5, fol. 44–47. 65 Maximilian an seinen in Paris weilenden Emissär Kütner, 1632, Januar 29 (Entw.), ebda., fol. 115–129. 66 Wie manches kaum lesbar, meint wohl: hierdurch, durch die Neutralität. Aufzeichnungen Maximilians, hier: die »Pro Neutralitate« überschriebenen, BayHStA Kasten schwarz 131, fol. 98f.

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geradezu hypertroph provozieren könnte, aber damals quälende Selbstzweifel, bohrende moralische Skrupel besänftigen sollte! –, »Religio Cath[oli]ca werd in Teütschland totalé extirpationé zugewarten haben, auf den fall aber Bayern conserviret wirdt mitler weil die Religion wider mechte khinden germiniren und prosperiren«. »Der Catholischen Religion im Reich noch den Stiften wirdet durch die Neütralitet nichts was p[rae]iudiciret, sondern stet alles an seim unpr[ae]iudicirelichen ort, biß zu khonnftiger algemeiner tractation«, also dem erhofften baldigen Friedenskongreß 67. Auch Maximilians Räte dachten wohl in diesen Bahnen, die skizzenhaften Aufzeichnungen zu einer Geheimratssitzung am 18.  Dezember 1631, an der der Kurfürst nicht teilnahm, wimmeln geradezu von Beschwörungen der »religion«, es gehe um »conservation Religionis«.68 »Dz Mitl gegen Ghott und dem Reich zu verantworten«. Die Aufzeichnungen münden in diese »Conclusio per maiora: Neutralitas nit außzuschlagen, 1.69 die religion und Catholische zuconserviren«. Ein Mitglied des Geheimen Ratskollegiums, Johannes Peringer, hielt mit dieser Conclusio dagegen: »In extremis extrema zu ergreifen«. Das war ein Plädoyer für Heroismus, die Neutralität aber war ein »suspectes« 70 Aushilfsmittel. Vermutlich ebenfalls von Peringer stammt ein ausführliches Gutachten »contra Neutralitatem«. Hier begegnen keine heroischen Klänge, die Grundmelodie dürfen wir religiös nennen, präziser gesagt: es wird moraltheologisch argumentiert, in spätscholastischer Tradition. Eingangs heißt es, eine politische Leitschnur müsse »aequa« und »iusta« sein. Die anvisierte bayerische Neutralität sei beides nicht, denn sie werde den Schulterschluß mit dem katholischen Kaiserhaus beenden, werde Schweden dabei helfen, Herr Deutschlands zu werden, »Imperialem coronam haeretico capiti imponi«. Eine derartige Neutralität war »res indignissima, Deo invisa et praesentissimum Religionis Catholicae ex Imperio funditius eradicandae et omnium Archiepiscopatuum, Episcopatuum, Monasteriorum, bonorum Ecclesiasticorum profanandi, medium«. Diese Neutralitas war »iniustissima«. Das 67 Freilich gab es auch diese Sorge: »Da in der fridens tractation in puncto Religionis was solte nachgeben werden wurdt mann diser Neutralitet wollen die schuld beimessen«: Aufzeichnungen Richels, wie Anm. 64. 68 »Gott müess dz herz geben sonst sind wir verloren«. Ich zitiere nur noch aus undat. Aufzeichnungen Jochers (Kasten schwarz 15021/5, fol. 165–172), um zu illustrieren, wie religiös durchtränkt der Münchner Duktus war: Die Neutralität half hoffentlich, daß man »etwas zeit gewinne und herzwischen Gott darzwischen khome«. 69 Dieses »1.« ist zweifelsohne so zu ›übersetzen‹ und zu ergänzen: »vor allem, weil so«. Ein Neutralitätsvertrag war nicht auszuschlagen, vor allem, weil so, auf diesem Wege, die »religion« gerettet werden konnte. – Aufzeichnungen Richels zur Geheimratssitzung am 18. Dezember 1631, BayHStA Kasten schwarz 5974, fol. 134–150. 70 »Die neutralitet auch missliches mitel«, »suspectes«: von Richel festgehaltener Einwurf, ich kann nur vermuten, daß auch er (wie zweifelsfrei das zuvor zitierte Diktum) auf Peringer zurückgeht.

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unfromme Aushilfsmittel war »iniustum, Catholicorum Electorum et Principum iuramento, quo Caesari et Imperio obligati sund, adversum«.71 Eine Vorstufe zu Peringers Gutachten hatte neben die Notiz »indignissima, Deo invisa« Brocken wie »injustissima Neutralitas«, »id iniustum, mali exempli« gesetzt.72 Dieser Geheime Rat bewegte sich gedanklich völlig in den Bahnen der traditionellen Bellum-iustum-Doktrin, vermochte die »Neutralitas« damit nicht in Einklang zu bringen. Die anderen Geheimen Räte wie der Herzog hätten einen Neutralitätsvertrag zu (ihres Erachtens) fairen Konditionen dennoch akzeptiert, aber leicht gemacht haben sie es sich bei ihrer Gratwanderung zwischen Konfession und Staatsräson wahrlich nicht. Natürlich befragte Maximilian seine Theologen, die offenbar73 Grünes Licht gaben. Es war Maximilian wichtig, daß »sowol v. Theologis als politicis darfür gehalten worden«.74 Weiten wir den Fokus wieder! Während des Dreißigjährigen Krieges quälten sich zahlreiche Politiker mit dem moraltheologischen Malus der politischen Option Neutralität ab – nicht nur in Deutschland. Parlamentspräsident Pierre Jeannin begründete es im Februar 1620 so, warum Ludwig XIII. den böhmischen Unruhen nicht aus sicherer Distanz zuschauen dürfe: »Sa Majesté ne pourroit demeurer neutre et spectateur en cet endroit sans blasme, et sans estre tenu pour deserteur de sa Religion«, »la religion l’oblige«.75 Parteinahme war Christenpflicht. Gustav Adolf konnte sie bekanntlich drastisch so in Worte fassen: »Hier streitet Gott und der Teufel«. Wann, wenn nicht jetzt mußte jeder Christ Partei ergreifen? »Tertium non dabitur«.76 Den Nürnbergern ebenfalls nicht, zwei schwedische 71 »Informatio contra Neutralitatem«, wohl von Johannes Peringer, BayHStA Kasten schwarz 15021/5, fol. 137–142 (Kursivsetzungen von mir). 72 »Neutralitas« überschriebene Notizen, ich vermute erneut: von Peringer; ebda., fol. 130–133. 73 Ich habe kein theologisches Gutachten gefunden, doch rekurrieren die Aufzeichnungen der Geheimen Räte und Maximilians wiederholt auf ein solches. 74 Liste Maximilians »Pro Neutralitate«, BayHStA Kasten schwarz 131, fol. 98f. – Die Suche nach (der moderne Leser ist versucht, zu sagen: noch so fadenscheinigen) konfessionspolitischen Rechtfertigungen ging so weit, daß man – voreilig, wie sich herausstellen würde – aus der Mitwisserschaft (oder auch von der französischen Krone suggerierten Mitwisserschaft, das vermag ich nicht zu beurteilen) des Pariser Nuntius das stillschweigende Plazet der Kurie ableitete, fingierte, sich selbst weismachte: »Geet auch des Nuntij Parisien [sic] mainung und guetachten, welches er zweifl ohn Jr bapstl. Hey. Intention nit zuwider wissen wirdt«, in die bayerische Richtung: ebda. »Nuncii Parisiensis itidem unde papae consensus per sein pott, Theologi et Juristae opinari«: so ein Splitter in Richels Aufzeichnungen vom 17. Dezember 1631 (Kasten schwarz 15021/5, fol. 44–47). 75 Gutachten Jeannins für Ludwig XIII. vom Februar 1620, abgedr. in: [anonym] (Hg.), Ambassade extraordinaire, S. 25–33. 76 Suada Gustav Adolfs vor einem kurbrandenburgischen Emissär im Juli 1630, die wir schon aus anderen Kontexten kennen; sie zitiert ausgiebig Helbig, Gustav Adolf, S. 12–18.

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Emissäre77 machten ihnen klar, daß sie »alles Neutralisiren und Temporisiren bei Seite setzen und sich zu der Partei, zu der sie Gott, die wahre Religion, die sie bekennen, und ihr eignes Gewissen wiesen, schlagen« mußten. Auch Georg Wilhelm von Brandenburg mußte »in dieser gerechten Sache sich conjungiren«.78 Es war offenkundig die theoretisch unange­fochtene Doktrin vom »bellum iustum«, die der Neu­tralität in der hitzigen konfessionspolitischen Atmosphäre des ersten Drittels des 17. Jahrhunderts zusetzte, so oft sich auch die »Politici« in ihrer Verzweiflung auf sie beriefen. Ein Krieg war gerecht – dann hatte sich jeder Christ daran zu beteiligen; oder, er war ungerecht – dann war es verdammte Pflicht und Schuldig­keit, dem Aggressor sie Stirn zu bieten. Tertium non datur: wer sich heraushielt, stahl sich davon. Es »gebür[t]e keinem wahren Christen in Gottes, seines höchsten Herrn, sach, Neutral zu seyn«.79 Wer sich doch mit dem Gedanken trug, setzte sich dem Verdacht aus, der »vera dottrina e regola Machiavellica« zu folgen.80 (Daß für den Florentiner Politiktheoretiker Neutralitas der »auctoritas« des Princeps abträglich gewesen war, spielt in solchen Diskursformationen des Konfessionellen Zeitalters überhaupt keine Rolle: Wer Politik nicht in engster Anbindung an die Postulate der Beichtväter trieb – beispielsweise, weil er sich trotz der Doktrin vom Gerechten Krieg »neutral« aus einem Konfessionskrieg heraushielt –, war eben dem »verruchten Machiavell« verfallen.) Neutralität war moralisch bedenklich: Damit mochte für die politische, die militäri­sche Praxis noch nicht alles entschieden sein. Denn natürlich wurden ja Kriege nicht in der Gelehrtenstube ausgefochten und gewonnen. Aber Sickerprodukte der gelehrten Kriegsdoktrin haben doch an den Schalthebeln der Macht, also in den Ratsgremien mit ihren juristisch gebildeten, belesenen, nicht selten auch selbst schriftstellernden Mitgliedern, wie wir in dieser Arbeit immer wieder 77 Darunter Chemnitz! Ich zitiere nach Droysen, Gustav Adolf, Bd. 2, S. 440. 78 Vgl. vorletzte Anm. (Kursivsetzung von mir). 79 So zitiert Julius Wilhelm Zincgref (Der Teutschen Scharpfsinnige Kluge Sprüch, Apophthegmata genant, Bd. 1, Straßburg 1628, S. 298) Peter de Brederode, einen holländischen Spitzendiplomaten. Brederode war zeitweise Resident in Heidelberg, führte wichtige Verhandlungen zwischen den Generalstaaten und der Union. 80 So der Vorwurf eines in Rom zirkulierenden Schriftstücks an die Adresse des Bayernherzogs, weil der mit Schweden und Frankreich über eine Neutralisierung der Liga verhandelte. Der bayerische Resident in Rom, Giambattista Crivelli, übersandte besagtes Schriftstück nach München: Albrecht, Maximilian, S. 811. – Es mag angebracht sein, hinzuzusetzen, daß die Kurie keinesfalls eine gleichsam ›fundamentalistische‹ Außenpolitik zu betreiben pflegte. Man wollte im europäischen Staatenkonzert hörbar mitspielen, wollte Frieden, Ruhe, öffentliche Ordnung – nur, wenn ohne Gefährdung dieser Ziele konfessioneller Terraingewinn möglich schien, galt es konfliktbereit zuzugreifen. Paul V., der noch nach dem Triumph vom Weißen Berg Truppen sandte, um die Ausrottung der Ketzerei zu beflügeln, war wohl die sprichwörtliche Ausnahme – nach seinem Tod 1621 kehrte Rom zum herkömmlichen Kurs zurück, auch die bayerischen Neutralitätssondierungen nahm die Kurie stillschweigend hin.

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sehen konnten, ihre Wirkung getan. Neutralität war moralisch bedenklich: Damit mußte für die politische, die militärische Praxis noch nicht alles gesagt sein. Freilich ist es eben doch ein gravierender Unterschied, ob der Terminus »neutralitet« zunächst einmal ehrfurchtgebietend ist, den Kriegswilligen zu­rück­schaudern läßt – oder aber moralisch entlarvt, den, der das Wort im Munde führt, fast schon ins Unrecht setzt, ihn jedenfalls dem Anfangsverdacht der Verwor­fenheit aussetzt. Die Denkfi­gur der »neutralitet« paßte nicht zum damaligen Kriegsbegriff, ins Gedankengebäude um das »bellum iustum«, vor allem deshalb die hundertfach in den Akten der Kriegsjahre begegnenden pejorativen Beiklänge! In zahlreichen Flugschriften dieser Jahre sind es ja keinesfalls nur Beiklänge. Wie weiter oben, als wir nach der publizistischen Zuspitzung des Gerechten zum Notwendigen Krieg fragten81, begegnen auch beim Neutralitätsthema die zugespitztesten Aussagen in den frühen 1630er Jahren, etwa im 1631 gedruckten »Postilion«, der bekanntlich weiß, daß »Gott dergleichen Neutralitet ... zwischen GOTT vnd dem Teuffel höher hasset vnd anfeindet, als einem rechten pur lautern Abfall zum Teuffel« – Neutrale »spotten« für dieses Pamphlet »des HErrn Christi ins Angesicht, in deme sie jhre thorhaffte Hoffnung zugleich vff dem Antichrist vnd Christum setzen«.82 Die fingierten Dialoge zwischen dem neutralitätsseligen Hans und dem so klugen wie frommen Stephan bieten nicht nur alle Topoi aus dem Sinnbezirk der Sündhaftigkeit auf, auch Suaden wie diese: Neutralität verletze »die schuldigkeit, darmit wir Gott ... verbunden seind«. Es könne keine »faulkeit, zagheit oder nachlessigkeit«, kurz, keine Neutralität geduldet werden, wenn es gelte, »Leib, Guot vnd Bluot, wie wir mit Gott verbunden seind«, frischen Muts »auff[zu]opferen«. Dem faulen Neutralitätshansel bleibt nur die zerknirschte Einsicht, »daß wir bey der verfechtung vnd erhaltung der allgemeinen sache[,] so vns, vermöge des Bunds vnd Eydes mit Gott auffgerichtet ... für alles auff der Welt höchst mit angelegen« hätte sein müssen, »alß trewlose, meyneydige vnd Feldflüchtige verkäuffer vnd vberläuffer, schändlich den rücken gewendet«. So geläutert, kann schließlich auch er moralisch einwandfreie Appelle formulieren, beispielsweise fordern, daß sich die Eidgenossen »fein herauß zu der von Gott vns angewiesenen Partey erklär[t]en«.83 Eine andere Schrift von 1632 weiß, »daß solche Neutralität öffentlich in Gottes Wort, hin vnd wieder, vnd zumal von Christo selbst, höchlich verbotten« wurde. »Was hat Christus vnd Belial mit einander zu schaffen? Solchen Leuten ist es warlich nit recht vmb jhr eygen Gewissen, vmb Gottes Wort, vmb jhre Ehre84, noch vmbs Vatterlandt, sondern 81 Vgl. Kapitel A.2.1.3. 82 [Anonym], Postilion, Abschnitt 121. 83 Die Zitate: [anonym], Gespräche und Discursen, fol. 14 bzw. fol. 20 bzw. fol. 28. 84 Sündendiskurs, Ehrdiskurs – es ist eben, was ich hier darstellerisch trenne, in vielen Abhandlungen ineinander verwoben!

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nur vmb jhren Privatnutz, oder vmb jhren Bauch vnd Mammon, der dann jhr rechter Gott ist, eygentlich vnd allein zu thun.«85 Anderswo heißt es, wiederum 1632: »Man versündiget sich an Gott ... ja man thut böses, daß man das Papstthumb durch stillsitzen hilfft stabiliren«.86 Und nachdem der »Gottesstreiter« aus Schweden gefallen war? Eine »Leicht-Predigt« führt unter jenen »Sünden«, die Gottes Zorn erregt haben mußten, an prominenter Stelle, nämlich unmittelbar nach der gattungsspezifisch dominierenden »Vnbußfertigkeit«, die Neutralität an: Allzu viele hätten sich, anstatt »conjunctis viribus« dem Feind entgegenzuziehen, darauf hinausgeredet, neutral zu sein.87 Zu solch heiligem Eifer spornten Siegeslauf und »Heldentod« Gustav Adolfs an. Aber daß Neutralität moraltheologisch bedenklich sei, predigen Flugschriften, seit die politische Paralyse des Reichsverbunds einen mitteleuropäischen Konfessionskrieg befürchten ließ, für die Zeitgenossen wahrscheinlich machte, dann vollends und in gesteigerter Erregung, seit da in Prag zwei kaiserliche Räte in den Burggraben gefallen waren. Es ist nicht notwendig, daß wir all die vielen hitzigen Elaborate der anderthalb Dekaden seit dem Fenstersturz, die uns in Kapitel C.2.1 begegnet sind, hier noch einmal Revue passieren lassen. Nehmen wir uns, nach der letzten Aufgipfelung frommer Empörung in den Jahren 1631/32, noch den Beginn der Woge in den Jahren 1619/20 vor! Wird Neutralität schon jetzt ausdrücklich als sündhaft verdammt? Ein nicht gar so langer »Außführlicher vnd Nachdencklicher Discurs« von der »Vnruhe in dem Löblichen Königreich Böheimb« mündet in folgende Verdikte: »Neutralitet« in dieser Auseinandersetzung könne »mit gutem Gewissen nicht geschehen«, es sei »dabey auch kein bestandt, sondern nur Gottes fluch vnd straff zugewarten«. Der Schlußabsatz des ganzen Schriftchens prophezeit: Die jetzt durch ihre »neutralitet vnd cunctiren gleichsamb rei totius summam, vorsetziglich 85 [Anonym], Magna Horologii Campana, Tripartita, S. 65 bzw. S. 69. 86 Wild, Memorial, fol. Cij. 87 »Ach wie viel solche vndanckbare Leut, hat es vnter vns auch geben ...«: Corberus, Threnologia Svecio-Regia, S. 23. Es ist ein Hauptanliegen der Flugschrift, vor Zaghaftigkeit zu warnen, die Leser sollen trotz des erschütternden Todesfalls bei der Stange gehalten werden: »... wa ist O teutsches Heer/ Dein alter Lehenmut! dein freudig Hertz nunmehr!/ Laß ja erkalten nicht den Eifer deiner Sinne/ Dein alte Redlikeit ein new Lob jtzt gewinne/ Verbind mit Freunden dich, die Gott auß Mitternacht/ Zu Gut in dieses Land anhero hat gebracht«: ebda., S. 34. »Ad Germaniam« wird appelliert: »Sey einig, setz zusamm« (S. 38). So schlimm der Tod Gustav Adolfs war, man konnte aus ihm lernen, nicht zuletzt, daß man in dieser Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse nicht neutral bleiben durfte. – Weniger spezifisch führt Dieterich, Leichklag, S. 10f. allerlei Beispiele dafür an, daß man Gustav Adolf nicht »conjunctis viribus« beigestanden sei, nur ein Glied in der Kette ist das Bild von den beiden Achseln, der Versagensbilanz folgt diese Frage: »Solte denn vmb dieser grossen vnverschambten Vntrew vnd Vndancks willen, vns Gott den frommen König nicht auß vnserm Mittel wegnehmen«?

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in verderben stürtzen wolten«, werden »am Jüngsten Tage, für Christo vnd seinen Gliedern, für den Richter-Stuel Gottes angeklaget vnnd zugleich verdammet werden«.88 Das Finale scheint Eindruck gemacht zu haben. Ein anderes Pamphlet desselben Jahres 1619 nämlich prophezeit – grammatikalisch etwas glättend – allen, die zur verruchten Neutralität Zuflucht nahmen, daß sie »darüber am Jüngsten Tag, von Christo vnd seinen Gliedern, für den Richter Stul Gottes angeklagt, vnd zugleich verdammet werden«.89 Sie wurden es, weil Neutralität genauso90 sündhaft war wie Parteinahme für die offenkundig ungerechte Sache. »Der nicht verbeut zu sündigen, weil er es wol könte wehren, der heisset sündiget«, versucht uns eine Flugschrift radebrechend diesen Zusammenhang klarzumachen. Zur »vnpartheyligkeit« im aufbrandenden Glaubenskampf verführe die Politiker »Sathan«, klärt uns ein Pamphlet von 1620 auf – es »solten billich die jenigen, denen es biß dahero entweder an dapfferer Erklärung, oder uff den willen, das Reich Jhesu Christi zubefürdern gemangelt, eine von beyden Partheyen erwehlen«. Auch die folgenden Drohungen galten ­– wie uns das vorletzte Kapitel lehrte (»neutralisiren« als »heucheln«, Feuermetapher) – dem Neutralen: Sollte Gott »nicht genugsame vrsach haben, die jenigen mit vnnachlässiger straff anzusehen, welche mit den Feinden seines Worts vnd der Kirchen Christi wollen heuchlen«? »Mit was straff meynen wir, daß Gott der Allmächtige die werde heimsuchen, welche das Fewer, so der Bapst vnd sein Anhang in der Christenheit ... angezündet, außzuleschen sich versaumen werden«?91 Wieder ein anderes Elaborat desselben Jahres 1620 (das freilich an die Seite des Kaisers rief 92) fand es »nicht schwer, aus heiliger Schrifft vnnd sonsten zu erweisen, daß bey dergleichen zustand die Neutralitet sich nicht wol schicken noch verantworten lassen wolle«. Wer, anstatt weiterhin auf Neutralität zu setzen, Kaiser und Reich beispringe, »der hilft ohne einigen zweiffel, Gottes Sach ausführen, der stehet der gerechten Sach bey«. Ein Christenmensch war nun einmal verpflichtet, »vor Gott vnd sein Wort, oder vor eine gerechte sach« zu kämpfen.93 Auch der Neutrale mußte doch einmal einsehen, »that this war ist just on one side«.94 Wir merken, daß es Neutrale so 88 [Anonym], Außführlicher und Nachdencklicher Discurs, fol. B. Derartige Absonderung war »die Häuptsach ... alles gegenwertigen vnheilß«. 89 »Johan Huß redivivus, genandt Martyr«, Fallstrick (Kursivsetzung von mir). 90 Nicht wenige Flugschriften eklären ja: noch mehr! Das folgende Zitat: »Johann Huß, genandt Martyr«, Nebelkap, S. 13. 91 [Anonym], Traw, Schaw, Wem, S. 23 bzw. S. 24f. bzw. S. 26. 92 Auch das nicht zuletzt mit religiösem Pathos – daß dem Reichsoberhaupt die »jm verpflichtete stände trewlich beystehen« ist »dem Wort Gottes vnd seinem geoffenbarten willen gemäß«: [anonym], Deutliche vnd gründliche Außführung, S. 49. Die folgenden Zitate stehen auf S. 37 bzw. auf S. 59. 93 [Anonym], Traw, Schaw, Wem, S. 26f. 94 [Anonym], Neutrality condemned, S. 4.

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lang schwer haben mußten, wie die Bellum-iustum-Doktrin Köpfe und vielleicht mehr noch Herzen vieler Akteure im Griff hatte – so lang nämlich konnte »neutralitet« nicht Vertrauen evozieren und bis zum Beweis des Gegenteils als friedensfördernd geschätzt werden, mußte sie unwillkürlich dem Anfangsverdacht verantwortungsloser Pflichtverletzung aussetzen. Besagte Doktrin verlor aber, erster gelehrter Lockerungsübungen unerachtet95, nicht ausgerechnet während eines dreißigjährigen Konfessionskriegs, in dem stets das Letzte und Höchste mit ins Spiel kam, in dem nicht nur Grenzen, sondern zuvörderst Seelen umkämpft waren, ihre Prägekraft aufs Denken der handelnden und schreibenden Eliten. Nun schrieben natürlich manche schon in einem ganz anderen Duktus. Es ist bezeichnend, daß die Doktrin vom Gerechten Krieg für diejenigen Autoren, die Neutralität bereits im 16. und 17. Jahrhundert nicht zuvörderst moralisch bewerteten (sie vielmehr – in durchaus skeptischer Grundhaltung – an Klugheitskalkülen bemaßen), keine gewichtige Rolle mehr spielte. Machiavelli hatte sie überhaupt nicht beachtet. Machiavellis Idealfürst übte sich nicht in frommer Demut, glänzte durch »virtù«. Seine Leitsterne hießen »necessità« oder »communa utilità«, nicht »iustitia«. Wenn sich Botero zu Krieg und Frieden äußerte, kam die Gerechtigkeit zwar noch vor, aber sie wurde gleichsam ins Psychologische aufgelöst – sich, wie triftig auch immer, einzubilden, für die rechte Sache zu kämpfen, stärkte die Moral der Truppe. Der Anschein von Iustitia war Doping für die bewaffneten Kämpfer. Irrlichternd hineinspielen konnte Iustitia in politologische Äußerungen zur Neutralität noch im 17. Jahrhundert. »Junge ... te cum meliore, et, si licet, parte potentiore, vel [!] cum eo, qui Deum socium habet«, riet »Waremundus de Erenberg«, ehe er darlegte, warum Neutralität keine Option sei.96 Christoph Besold schärfte dem Neutralen ein, sich wirklich aus allen Verwicklungen herauszuhalten, »nunquàm etiam se jungat, nisi cum eo, qui Deum socium habet«97 – auch dieser (übrigens wenig konsequente) Gedankengang belegt, daß den »Politica«-Autoren Versatzstücke der herkömmlichen Doktrin geläufig waren, daß sie ihnen, salopp formuliert, noch im Kopf herumspukten, aber das scholastische Konzept war nicht mehr organisierendes Zentrum der Ausführungen zu Krieg, Frieden und Neutralität. Notorisch changiert die ausführlichste Monographie zum Thema zwischen den Diskursfeldern. Wiewohl eine rein quantitative Analyse (im Hauptteil stellt Neumayr von Ramsla zumeist Nützlichkeitserwägungen an) zum Schluß verleiten könnte, da habe sich einer vom Bellum iustum emanzipiert, entkam die95 Ich fasse salopp zusammen, was Kapitel A.2.1 ausführlich thematisiert hat. 96 »Waremundus de Erenberg«, Meditamenta, S. 269. 97 Besold, Dissertatio Politico-Juridica, S. 93. Vgl. schon, noch ohne Bezug zum Neutralitätsthema, Kapitel A.2.1.2; und dort zu Besold S. 125 mit Anm. 72.

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ser Autor doch nicht den älteren Denkkate­gorien, sein Text schwankt vielmehr zwischen den eigentlich inkommensurablen Polen Pragmatismus und Bellum iustum, Staatsräson und Iustitia. Schon die Einleitung zur Erstausgabe von 1620 läßt die theoretische Unsicherheit (das ganze Werk cha­rakterisierend, könnte man auch sa­gen: konzeptionelle Dürftigkeit) der Ausarbeitung erkennen: Sein Thema sei ein diffiziles, meint der Autor, »dann man weniger nicht hierunter Gott, und das Gewissen vor Augen haben, und der kriegenden Fürsten ge­rechte oder böse Sach bedencken sol, Bella necnon necessaria, et injusta, infelices successus, et tragicos exitus habent. Und insonderheit [!] was Nutz oder Schaden wir auch auff einem oder dem andern fall hierunter zugewarten haben möchten.« Werfen wir nur noch einen Blick auf Kapitel VII: Erwägt man Parteinahme statt Neutralität, ist »insonderheit« darauf zu achten, »daß der Krieg rechtmessig sey, dann wider öffentliche Billigkeit sol man nicht streiten, erfolget auch schlechte victori drauff«, indes sei manchmal auch »noch unaußgeführet, dunckel und zweiffelhafftig«, wer Recht habe – Bellum iustum, billig ausgemünzt in die Erwägung, wer denn gewinne, vollends ganz entwertet durch die (›moderne‹?) Feststellung, Recht und Unrecht seien manchmal schwer zu verorten. Verschiedene Denkschichten stehen ungeklärt neben­einander.98 Das zeigen erst recht die beiden letzten Kapitel des Elaborats. Zunächst geht es dort um das »Bellum civile«. In ihm nun frommt es dem »gemeinen Nutz besser«, wenn man Partei ergreift, und zwar grundsätzlich für die stärkere Seite, »weil doch gemeiniglich in dergleichen Zustand eine jetzwedere Parthey nicht Unrecht haben will« und Bürgerkriege »nimmermehr zum End« kommen, »es geschehe dann mit Außtilgung des einen Theils, oder untergang des Stats«. Daß der schwächere der »unschuldige Theil« sein kann, konzediert der Autor ausdrück­lich, aber »wann etwas auff des Vaterlands gäntzlicher Wolfart bestehet, so soll man nicht ansehen, was Recht oder Unrecht, Mitleidlich oder Grawsam, Löblich oder Schändlich ist, son­dern allen respect hindan setzen, und zu denen Mitteln greiffen, dadurch das Leben und die Freyheit erhalten werde«. Hier haben offensichtlich uneingestanden die »Discorsi« Machiavellis Pate gestanden. Natürlich hat die Disparatheit der Neumayrschen Argumentationszüge mit der 98 Kapitel VII wendet sich auch Problemen zu, die sich aus vasallitischer Treue ergeben könnten, Neumayr entwindet sich diesem Thema dann freilich so: »Weil aber auff diese vnd vorige Fragen die Feudisten zur gnüge antworten, ist nicht von nöten, diß Orths viel davon zu handeln. Doch wird dafür gehalten, Der Lehenman sey keines weges schuldig deme beyzustehen, welcher eine böse Sache hat ... Welcher Vasall ein recht Christlich Gewissen hat, derselbe wird bald sehen, was jhme auff solchem fall zu thun sey: Gewissen sollen Frey vnd ohne scrupel seyn.« Ich erwähne noch Kapitel XI – ob man »dem Stärckern, oder dem Schwächern« helfen soll: wie üblich hauptsächlich Nützlichkeitsgesichtspunkte (übrigens keine Räsonnements zum Gleichgewichtsgedanken), dann aber wieder un­vermittelt, gleichsam punktuell, die Forderung, einen »Unterscheid zu machen, Ob der Stärckere eine böse oder gerechte Sache habe, oder nicht« (Neutralitet 1620).

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Disparatheit seiner Quellen zu tun – griechische und römische Autoritäten, Altes und Neues Testament, Autoren des 16. Jahrhunderts, alles bunt durcheinander und prinzipiell gleichgewichtig. Man könnte, den zuletzt zitierten Satz durchlesend, zum Schluß kommen, hier seien höchst progressive, weit in die Zukunft weisende Gedanken(splitter) angedeutet: das Bellum iustum ex utraque parte, ja, die völlige Entkoppelung einer nur unter Effektivitätsgesichtspunkten betrachteten, etatistisch enggeführten Pax von der Iustitia, die »pax civilis« des Thomas Hobbes99; und liest mit um so größerer Überraschung, daß der Autor anschließend empfiehlt, »Unterthanen, so von ihrer Obrigkeit der Religion, oder anderer Ursach halben, betrengt, und verfolgt werden«, von externer Seite aus »Beystand« zu leisten. Hier nun wird religiös argumentiert100, auch, daß Neumayr mit seinen Empfehlungen zu Gunsten 99 Ich extrapoliere hier etwas gewagt in die Zukunft. An welche zeitgenössische Diskursformationen knüpft Neumayr wohl an? Der des Italienischen kundige Autor wird die Ausführungen Machiavellis zur Notlage des Vaterlandes in den »Discorsi« gekannt haben, aber diese waren natürlich in Mitteleuropa, wo die damalige Political correctness erklärten Antimachiavellismus vorschrieb, nicht zitierfähig. Die um 1600 boomende Tacitus-Rezeption mag Pate gestanden haben, dem »Tacitismus« subsumierbare Autoren sprachen gern und häufig von der »necessitas« des Vaterlandes und erklärten die »defensio patriae« zur ersten Bürgerpflicht. Es gehört zu den Charakteristika späthumanistischer Arbeiten über die »Respublica«, ob sie sich nun auf Tacitus berufen oder nicht, ob sie um den Begriff der »Ratio status« kreisen oder nicht, daß sie die Rettung des Vaterlandes vom Staatsnotstand ausführlich thematisieren und hierbei den Bruch sonst gültiger Normen konzedieren. Die Rettung der Patria entbindet nicht nur von sonst bindenden Pflichten, sie wird selbst zentrale Bürgerpflicht. Gewiß sind solche Diskurse Symptome einer Zeit, da die konkurrierenden Wahrheitsmonopole die Stabilität mancher europäischer Gemeinwesen strapazierten, und zugleich bereits ein Beitrag zur geistigen Überwindung der konfessionellen Polarisierung (um nicht schon wieder »säkularisierende« Wirkungen zu beschwören). – Nur der Vollständigkeit halber erwähne ich, daß man Neumayrs Ausführungen zum Bürgerkrieg auch zu den zeitgenössischen Diskussionen über ein ständisches Widerstandsrecht in Beziehung setzen könnte, zum Widerstreit zwischen Traktaten »contra tyrannos« und »Monarchomachen« sowie solchen Autoren, denen ein Recht auf Widerstand die Stabilität des Gemeinwesens zerrüttete: also etwa Jean Bodin, Justus Lipsius, auch schon Ayala oder Gentili. In Mitteleuropa scheinen die heftigen publizistischen Auseinandersetzungen der Jahre 1546/47, die aus ganz bestimmten Gründen (Luthers Ausführungen zum Gehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit gehören natürlich dazu) um den Begriff des erlaubten Widerstands gekreist waren, nicht nur Hortleders wegen wieder verstärkt zur Kenntnis genommen worden zu sein. 100 Wobei es Neumayr, genauer besehen, besonders verwerflich findet, wenn ein Fürst konfessionelle Freiheiten rechtsverbindlich zugesagt hat und das dann nicht einhält – inmitten religiöser ›Argumente‹ also wiederum ein (auch) juristisches, das geeignet sein könnte, das Interventionsrecht ganz ohne Rekurs auf theologische Postulate (Vertragstreue läßt sich auch anders einfordern) zu rechtfertigen! – Anspielung auf den Majestätsbrief ? Eine Stu­ die speziell zu Neumayr (der sich hier übrigens als Anhänger der Freistellung im weitesten Wortsinn zu erkennen gibt) fände in den Passagen zum Bürgerkrieg manche Anhalts-

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der verfolgten Unschuld jenen Bürgerkrieg provozieren oder schüren muß, den er soeben noch perhorresziert hat, scheint ihn selbst nicht zu stören. Was sollen uns übrigens »Bürgerkriege«? Was dem Zeitalter der »Glaubenskriege« seinen Namen gegeben hat, wurde von interessierter Seite immer auch oder ausschließlich als Aufstand und Rebellion denunziert, kurz, zum Bürgerkrieg gemacht: Da kämpften dann beispielsweise rebellische Holländer gegen ihre Madrider Kapitale, suchten unbotmäßige böhmische Magnaten ihre ererbte Obrigkeit abzuschütteln, wandten sich untreue Reichsfürsten gegen ihren obersten Lehnsherrn. Insofern sind auch diese Kapitel Neumayrs für unser Thema aufschlußreich. Das Verhältnis zwischen Nutzen und Gewissenspflicht, Pragmatismus und Moral wird auch in der erweiterten Neuausgabe der Neumayrschen Neutralitätsmonographie von 1631 nicht befriedigend geklärt, der Autor empfand besagte Unschärfe offensichtlich gar nicht als Problem. Versuchte man, das eigentlich Inkommensurable doch auf einen Nenner zu bringen, könnte man vielleicht sagen: Neumayr wollte die politische Klugheit schulen, war nicht primär an theologischen oder völkerrechtlichen Normen interessiert; die Iustitia war ihm nicht (mehr) das organisierende Zentrum fürstlichen Handelns, sondern eine Schranke, die sonst überweite, da lediglich flexiblem Abwägen verpflichtete Handlungsspielräume einengte; war nicht (mehr) Richtschnur politischer Entscheidungen, sondern ihre Begrenzung. Aber vielleicht sollte man das Disparate gar nicht zu harmonisieren versuchen. Vielleicht sind die gedanklichen Inkonsequenzen und Brüche gerade das besonders Interessante, weil Signifikante an diesem Text: Er zeigt uns, wie zur Zeit hitzigster konfessioneller Konfrontation schon keimhaft die Gedankensplitter und Topoi sprossen, die Alteuropa schließlich, eine bis zwei Generationen später, bei der Überwindung seines Zeitalters der Konfessionskriege helfen werden. Noch vermögen sie in dieser Monographie ältere Denkschichten und Argumentationsfiguren nicht gänzlich abzuschütteln. 6.2.2 Ein Indikator für Säkularisierungsprozesse? Der Frau Iustitia angeschmiegte diskriminierende Kriegsbegriff verblaßte dann doch unaufhaltsam, auch in Texten über die Neutralität. Lediglich eine der Flugschriften, die die kurländische Neutralität im Ersten Nordischen Krieg seit 1655 kommentieren, argumentiert theologisch. Wiewohl sie zu den dezidiert antischwedischen gehört (oder sollen wir sagen: weil ihr Autor so heftig gegen Schweden eingestellt ist?), will ihr doch auch die traditionelle kurländische Neu-

punkte für die Haltung des Autors zu Zeitereignis­sen. Für unseren Zusammenhang ist das unerheblich.

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tralitätspolitik nicht gefallen. Mir ist nicht klar, für welches Land101 im folgenden Bild die kindliche Unschuld steht, wichtiger ist, wie der Autor die Neutralität charakterisiert: »Was träget ein armes Kind für Schuldt, wann ein rasender Wolff gejaget, und es auff seinem Wege im vorbeylauffen von demselben gebissen wird? die jenigen habens grösser Sünde, welche stille sitzen, und den Wolff nicht fällen, damit er nicht andern unschuldigen Leuten mehr Schaden zufüge. Haben wir diese Straffe«, nämlich die Inhaftierung des kurländischen Herzogs durch schwedisches Militär, »bey GOtt verdienet, so ist es dadurch geschehen, daß wir nicht zugleich wider der Schweden unseeliges Wütten, die Waffen ergriffen, sondern auch lieber zu unsern Schwedischen Glaubensgenossen, die Neutralität erwehlet, da doch kein elender Thier auff der Welt, als die Neutralität«.102 Am allerwichtigsten aber ist diese Feststellung: Keine der zeitgleichen Flugschriften zum Thema griff solche Töne auf. Alle anderen Autoren kommen ohne Gott und Sündenstrafen aus. Immerhin stieß ich an einer Stelle auf das Adjektiv »heilig« – in diesem sehr bezeichnenden Zusammenhang: Zunächst beteuerte Karl X. Gustav, die Neutralitätszusage seiner Vorgängerin Christine einhalten zu wollen, freilich, dann »muste die Schwedische heilige ratio status aufftreten«.103 Wir sahen schon, daß konfessionelle Motive in der Begleitpublizistik zum Holländischen Krieg anfangs eine gewissen Rolle gespielt haben, nicht ganz selten begegnen, ehe sich auch auf diesem Nebenkriegsschauplatz, bei der Guerre de la plume, die Einschätzung durchsetzte, daß Frankreich »den Religions-Mantel« aus machtpolitischem Kalkül entstaubt, »die Religion zum Deckmantel der Regiersucht« gemacht hatte, »denn die liebe Religion muß gemeiniglich der Status Mantel sein, welchen Frau Ratio umb sich hänget«.104 Im Zusammenhang mit Pro oder Contra von Parteinahme oder Neutralität stoßen wir nicht mehr auf »Gott und Teufel«, das eine führte nicht in den Himmel, das andere nicht mehr zur Hölle. »Stillsitzer« hatten sich nicht vor Gottes Richterstuhl, allenfalls vor dem Reichstag zu verantworten. Irgend religiös konnotierte Floskeln begegnen 101 Kurland, weil der rasende Wolf Karl X. Gustav seinen Herzog »im vorbeygehen« inhaftieren ließ? Aber die kurländische Neutralitätspolitik wird ja unmittelbar danach kontrastiv für schlimmer (»grösser Sünde«) gehalten – als was? Die für ihr Erscheinungsjahr ungewöhnlich frömmelnde Schrift poltert nicht nur, sie holpert auch, hier jedenfalls kann ich den Sinn nicht restlos aufklären. 102 [Anonym], Appendix Des Schwedischen Spiegels, Oder Außführlicher Bericht, Dessen Was newlich ... vorgelauffen ..., o. O. 1658, S. 6. Ebda., S. 7: »Hätten wir uns an einer gewissen Partey, so eine gerechte Sache gehabt, mit gewehrter Hand gehalten, so hätte uns dieselbe ja negst GOTT wieder aufhelffen können, sed sumus neutrales ergo etiam Neuter miseretur nostri« (Kursivsetzung von mir). Die Flugschrift ist durchgehend theologisch, doch nicht konfessionell imprägniert, fragt beispielsweise, »ob nicht mehr Christliche bey den Türcken alß bey den Schweden« seien, spricht von den »North-Türcken«. 103 [Anonym], Wiederlegung Der außgestreueten Vrsachen, fol. Aiiij. 104 Vgl. schon oben S. 218 mit Anm. 426.

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im Zusammenhang mit der Neutralität in der Popularpublizistik der 1670er Jahre nur noch in vereinzelten Splittern, selbst diese raren Spurenelemente sind eingewirkt in die dominierenden Klugheits- und Ehrendiskurse.105 Dasselbe gilt für diplomatische Akten.106 Der folgende Satz aus einer Flugschrift von 1675 taugt noch nicht einmal zur sprichwörtlichen Ausnahme, belegt auf seine Weise die Säkularisierung des Diskurses: »Es ist wol höchlich zu verwundern, daß die Teutsche Gemüther, so gar sehr den Frantzosen nachhängen und vor eine Sünde ja der teutschen Aufrichtigkeit zu wieder achten, wenn sie sich unhöflich gegen den Frantzosen erwiesen«.107 Wie am Ende des vorletzten Abschnitts das Adjektiv »heilig«, steht hier die »Sünde« in einem gänzlich säkularen Kontext. Wird im vorletzten Abschnitt die Staatsräson zur Ersatzreligion, so hier der Nationalismus mit seinen Auto- und Heterostereotypen – jedenfalls, wenn wir den (möglicherweise auch schludrig so dahingeschriebenen) Satz beim Wort nehmen, denn dann ist »Sünde« ja kein ›Letztunwert‹ mehr, sondern weniger schlimm als klischeewidriges Handeln, als ein Verstoß gegen das Autostereotyp von teutscher Aufrichtigkeit. Genau gelesen, marginalisiert dieser Satz die »Sünde« (so, wie im vorletzten Abschnitt Heiligkeit trivialisiert wurde), aber wahrscheinlich hat der Autor das weder gemerkt noch bezweckt, was man ebenfalls bezeichnend finden kann. Halten wir einen Zwischenstand fest! Eine Reihe früher politologischer Arbeiten konnten über die – in ihnen noch nicht zum Völkerrechtstitel verdichtete – politische Option Neutralität bereits ohne moralische Erregung schreiben, ehe konfessionelle Polemik gegen eine als sündhaft verlästerte Neutralität zur publizistischen Springflut anschwoll. Während die Pionierwerke der »Politica« 105 Typische Beispiele: »Gott [!], es muß ein sonderliches Verhängnis von dir über uns obhanden sein, sonsten wäre es unmöglich, daß man so weibisch stille sitzen ... könnte«; »würden wir Neutral bleiben«, würden wir »den Verweiß der gantzen Christenheit [!] uns schändlich über den Hals bringen«: [anonym], Nachdenckliches Gespräch (Erklärung »Freyholds«) bzw. [anonym], Gespräch über das Interesse Deß Englischen Staats, S. 325 (Kursivsetzungen von mir). 106 Was fehlt, kann nicht zitiert werden. Mir fiel bei meinen Recherchen zum Holländischen Krieg überhaupt nur eine der »neutralitet« benachbarte Berufung auf die Iustitia auf, bezeichnenderweise ist sie mit Staatsräsonkalkül bzw. ›Kriegsräson‹ gekoppelt: Gespräch des neuburgischen Agenten an der Hofburg, Andreas Schellerer, mit Graf Wolfgang von Oettingen, der erklärt, Pfalzgraf Philipp Wilhelm sei in Wien nicht so wohlgelitten, »mit der neutralitet« sei man hier nun einmal »nit vergnügt«. Daraufhin will Schellerer das erklärt haben: »Wann iustitia causae et status belli derselben«, nämlich dem Pfalzgrafen, »zue abandonierung der neutralitet wurden anlaß geben, sye auch wider gebühr mit harten unverdienten pressuren zue Einem andern nit veranlasset wurden, wurden dieselbe nach befinden dero status sich hierinfahls dergestalt wissen zue competiren, daß Ihr May. daryber wurden satisfait sein können« (Relation Schellerers vom 26. November 1673, Or.: BayHStA Kasten blau 69/13, unfol.). 107 [Anonym], Der Abgezogene Frantzösische Staats-Rock.

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um und nach 1600 der Neutralitas zwar wenig abgewinnen konnten, sie indes nicht als sündhaft verdammten, verlangten Akten wie Flugschriften noch gut eine Generation länger, ja, während der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges heftiger denn je Parteinahme »für Gott« und »gegen Sathan«. Neutralität sei sündhafte Verweigerung tätiger Nächstenliebe. Der Neutrale wolle einen »faulen« Frieden ohne Iustitia, versage sich in einem Gerechten, ja, Notwendigen Krieg dem Schlachtruf Gottes: Das verdient auch im Rückblick auf Kapitel A.2.1.3 festgehalten zu werden, wo wir Indizien für eine Resakralisierung der Rede über Krieg und Frieden sichteten. Aber Sünde und ewige Verderbnis verschwanden dann rasch aus dem Neutralitätsdiskurs. In der Spätphase des Dreißigjährigen Krieges, im Ersten Nordischen, im Holländischen Krieg begegnen aus diesem davor so dominanten, wortreich ausgemalten Diskursfeld sowohl in Akten als auch in der kriegsflankierenden Popularpublizistik nurmehr ganz vereinzelte Splitter. Sprechen die kriegskundlichen Dissertationen der Jahrzehnte um 1700 noch von Sünde? Bei Albert Voßenhölen scheint ein Spannungsverhältnis zwischen Iustitia und Neutralität, auch wenn es der Autor nicht scharf ins Visier nimmt, doch gelegentlich auf. Beispielsweise stellt Voßenhölen die (nicht eigentlich von ihm beantwortete) Frage, ob Neutralität nicht deshalb häufig ausgeschlossen sei, weil man doch dem zu Unrecht geschädigten unter die Arme greifen müsse 108, oder, ohne Fragezeichen: »Verum naturalis illa inter homines conjunctio, quo homo hominem ab injuria defendere cogitur«, was nur da an seine Grenze stoße, wo es ums eigene Überleben gehe.109 Auch hält dieser Autor die grotianische Zumutung an Dritte, die Iustitia bei einer der beiden Kriegsparteien zu plazieren, immerhin noch für ein diskussionswürdiges Problem110, doch neigt er zu einem vermeintlichen Ausweg, der die einst brisante Frage nach der Verortung der Iustitia im Krieg jeglicher rechtlicher und politischer Konsequenzen beraubt: Der Neutrale möge die Gerechtigkeitsfrage in seinem Herzen ausloten, dürfe sich nach außen hin nichts anmerken lassen. Adolph Schrötering ist im Kontext der Transitfrage dieser Ansicht: »Nec justa bellum alteri illaturi causa hîc quicquam conferri poterit. Sanè enim is qui 108 Vgl. Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 34. 109 Ebda., S. 35. 110 Müssen und dürfen Neutrale »de Justitia bellorum« urteilen, weil ihnen Hugo Grotius verbietet, etwas zu tun, was die unrechte Sache stärkt? »Boeclerus« habe das für unpraktikabel gehalten, Voßenhölen selbst ist sich (seit seiner Böckler-Lektüre?) nicht (mehr?) sicher (»incertior sum multo quam dudum«). Vermutlich habe Böckler Recht, denn aus vorgeblicher Neutralität werde so ja doch Parteinahme. Ihrer politischen und rechtlichen Wirkungen beraubt, wird die Iustitia dann so verinnerlicht: »Medii tantum consilio in cor convocato, et intra animum secure de justitia belli judicare possunt« (ebda., S. 45).

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neutras partes profitetur, sui non aestimabit arbitrii de justitia causae decidere, aliàs manifesti in partem alteram studii suspectus futurus«. 111 Der Verzicht auf Gerechtigkeitserörterungen wird nicht mit der Kategorie staatlicher Souveränität begründet, noch nicht einmal die Staatsräson wird explizit bemüht, aber der Sache nach ist sie im Kalkül Schröterings maßgeblich: Der Neutrale wird keiner Seite Recht geben, weil er sonst die andere verärgert und damit seinem Neutralenstatus schadet. Der Schutz der territorialen Integrität ist nicht nur wichtiger als die Verortung der Iustitia, er verbietet es, diese offenkundig zu verorten. Noch in der »Dissertatio inauguralis de nevtralitate« Gohrens von 1735 stoßen wir auf die Termini »iustus« und »iniustus«112, außerdem auf diese Grundsatzerörterung: Heischen nicht die »Leges Socialitatis«, daß man der verfolgten Unschuld beispringt? Da gibt es gewichtige »exceptiones«, weiß der Doktorand: nämlich das Eigeninteresse; außerdem sei die Frage nach Recht oder Unrecht »saepe difficillimae obscurissimaeque disceptationis«.113 Wir merken auch an Abhandlungen über die Neutralität, was weiter oben grundsätzlich schon gezeigt wurde114: Die Iustitia verblaßte einerseits, wurde andererseits überdehnt, die Kriegsschuldfrage verlor ihre theologische und ethische Brisanz. Gohren jongliert noch mit den Termini »Recht« und »Unrecht«, aber sie sind so wenig prägnant, daß sie nun für die fast ubiquitäre Möglichkeit moralisch völlig einwandfreier Neutralität ins Feld geführt werden können. Das Große vollständige Universal-Lexicon von 1740 kann mit Hugo Grotius nichts mehr anfangen.115 Bezeichnenderweise kontert der »Zedler« dessen Forderung, die Iustitia eindeutig zu verorten, nicht mit sittlichen oder theologischen Erörterungen, sondern mit dem formalen Argument, Neutralität sei Unparteilichkeit, die Zuteilung von Iustitia an eine Seite aber parteiisch. Da wird nicht mehr ein theologisch verankertes Kriegskonzept entfaltet und dann gefragt, inwiefern es neutralem Verhalten Raum gibt, wird vielmehr ein Neutralitätskonzept entfaltet und von daher gefragt, ob der Neutrale noch nach gerecht oder ungerecht fragen soll. Er soll nicht mehr, darf allenfalls, aber nur im stillen Käm111 Schrötering, Dissertatio, Thesis XXIII. 112 Nämlich auf S. 28: Ist den Reichsgliedern Neutralität nicht dann erlaubt, wenn ein Krieg »ex causa ad Imperium plane non pertinente« gegen das Reich geführt wird? Nein, so Gohren, denn dann ist der Abwehrkampf um so gerechter (»quod eo iniustius bellum, Imperio ab eodem illatum, eo iustius vero bellum defensivum«). Auch, weil sie für die immer wieder diskutierte Frage nach der Zugehörigkeit »Reichsitaliens« zum Reichsverband interessant ist, zitiere ich noch die Fortsetzung: »Sane vix iustior belli causa Imperio esse poterit, quam si hostis terras Imperii, sive ad Germaniae, sive ad Italiae Regnum pertinentes, ex causa ad Imperium haud spectante, invadat«. 113 Ebda., S. 6–8. 114 Nämlich in Kapitel A.2.1.1. 115 Vgl. schon oben Kapitel C.2.4.6.

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merlein. Über derart gleichsam privatisierte Erörterungen will der Autor nicht richten, »äusserlich« jedenfalls darf man nicht den einen als gerecht, den anderen als ungerecht »tractiren«, vielmehr muß der Neutrale die Gerechtigkeitsfrage »zum wenigsten äusserlich, dahin gestellet seyn lassen«. Eine »Die Neutralität« überschriebene anonyme Flugschrift von 1757 verspottet den vergeblichen 116 Versuch des Preußenkönigs, möglichst viele Reichsstände »unter Vorgeben des bedrängt-werden wollenden Glaubens an sich zu ziehen, oder doch bey einer neutralen Gesinnung zu erhalten«. Solche Gesichtspunkte hatten nun nach Ansicht (nicht nur) dieses Autors in Debatten um Parteinahme oder Neutralität nichts mehr zu suchen. Bemerkenswert ist auch, daß die Schrift Neutralität an sich überhaupt nicht abwertet oder skeptisch sieht, nur einer »erzwungen werden wollenden Neutralität« steht sie ablehnend gegenüber, einer durch Preußen »forcirten Neutralität«.117 Denn jedes Gemeinwesen hatte nun einmal völlig frei darüber zu disponieren, ob und wann es neutral bleiben wollte. War Neutralität, wenn religiöse Argumente im Diskursfeld Krieg und Frieden nicht mehr ernstgenommen wurden, des Stigmas eines Vierteljahrtausends ledig? Eine ausschließlich mit dem notorisch beschworenen »Interesse«, dem »propre intêret« der Reichsstände argumentierende Flugschrift von 1745 preist die »Vortheile einer glücklichen Neutralität«, »des douceurs d’une heureuse neutralité«.118 Die »glückliche Neutralität« – eine etwa während des Dreißigjährigen Krieges undenkbare Formel! Von der »glückseligen Neutralität«119 spricht dann aber bereits eine den Holländischen Krieg kommentierende, wohl offiziöse Flugschrift von 1672. Zwanzig Jahre später wandte sich der »Holländische Extraordinari Envoyé« bei den Eidgenossen, Peter Valckenier, mit einem gleich auch in die 116 So sah es dieser Autor noch! Dauerhaft gänzlich erfolglos wird Friedrichs Versuch, im Siebenjährigen Krieg die religiöse Klaviatur zu spielen, dann ja nicht sein, ohne, daß wir übertreiben dürfen: Der Dritte Schlesische Krieg ist nicht Deutschlands letzter Konfessionskrieg, sondern ein irrlichternder Nachhall. Was einmal motiviert und innerlich zerwühlt hatte, war zum Progapandaklamauk verkommen. Zum Folgenden: [anonym], Die Neutralität, o. O. 1757; die Zitate: S. 8 bzw. S. 14. 117 Anmerkungsweise sollte ich einen Zwischenschritt nachholen: Nachdem sich das Schriftchen darüber lustiggemacht hat, daß Friedrich mit (vermeintlich) so geringem Erfolg religiöse Motive vorgeschützt habe, klagt es über diese angebliche Schlußfolgerung des Preußenkönigs: Er habe, über die geringe Resonanz seiner religiösen Schalmeienklänge erbost, danach lieber auf Gewalt und »Schrecken« gesetzt, versucht, die Neutralität der anderen Reichsstände gleichsam zu erzwingen. 118 [Anonym], Wird das Reich wider Franckreich die Waffen ergreiffen? oder Wird es in denen Schrancken einer genauen Neutralität verbleiben? L’Empire armera-t-il contre la France? Ou se contiendra-t-il dans les bornes d’une exacte neutralité?, o. O. [1745?], S. 25. 119 So die (wohl von Wilhelm von Fürstenberg verfaßte) Antwort auf das »Send-Schreiben Eines Lüttichschen Edelmans«: S. 24.

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Druckerei getragenen Memorandum120, modern gesagt: mit einem Offenen Brief an die Tagsatzung. Er moniert dort zwar (was uns hier weniger interessieren muß) die vielfältigen »Transgressionen«121 eidgenössischer Söldner, den Status der Neutralität im Krieg indes preist er in den höchsten Tönen – finden die Eidgenossen vollends zu einer »wahren Neutralität«, also einer unparteiischen, einer solchen ohne »Transgressionen«, sitzen sie im Paradies auf Erden. »Bey solcher Bewandnüß geniesset man die herrlichen Früchten deß lieben Friedens, und behaltet beyde streitende Theil zu guten Freunden« (bemerkenswerte Kontrafaktur zum Topos »neque amicos parat«!), »da indessen selbige nach allen Kräfften einander trachten zu stürtzen«. Valckenier verurteilt anschließend die französische Außenpolitik entschieden, doch ohne jeden religiösen Beiklang. Die Eidgenossen leisten durch ihre Nachlässigkeit in der Durchführung einer »wahren«, einer unparteilichen Neutralität dem »Welt-drohenden Feind« Vorschub, behindern hingegen die Erfolge jener Alliierten, die »vor die allgemeine ... Freyheit« und gegen »ihro aller Unterdruckung« kämpfen. Der »Unterscheid der beyden streitenden Partheyen« ist also nicht gering zu achten, aber kein metaphysischer mehr. Es geht um Gleichgewicht versus Hegemonie, aber nicht mehr um Himmel und Hölle, geht um Freiheit, nicht mehr um Seelen. Wiewohl hier durchaus noch »diskriminiert« wird, muß sich der Neutrale nicht mehr für Gott und gegen den Teufel entscheiden. Korrespondiert die Vorstellung einer nicht etwa so gerade noch hinnehmbaren, sondern »glücklichen« Neutralität notwendig mit einer Säkularisierung der Rede über Krieg und Frieden? Ich kehre nach diesem Exkurs (oder Rekurs) ins Jahr 1745 zurück. Statt der früher obligatorischen Antithesen Gott-Teufel oder Mut-«faulkeit« kennt unsere Flugschrift ganz andere, so »die Gewißheit der von dem Krieg unzertrennlichen Trübsalen« neben »der Gewißheit des mit der Neutralität verknüpften Ruhestands«. »Wann einer Seits die angenehme Vorzüge der Neutralität, und anderer Seits die ungewisse Folgen, beneben denen Gefahren des Kriegs gegeneinandergesetzet werden, wird man sich über die Wahl wenig zu bedencken haben«. Der kluge Mann wußte »die angenehmen Früchte einer unschätzbaren Neutralität zu geniessen«.122 Natürlich, es handelt sich hier um eine Parteischrift. Der anonyme Autor wollte offensichtlich Versuche der Hofburg konterkarieren, ihre Auseinandersetzungen mit Frankreich zur Reichssache zu machen. Aber auch Denk120 Zum Folgenden: [anonym] (Hg.), Deß Holländischen Extraordinari Envoyé, Herrn Valkeniers, An die Dreyzehen wie auch Zugewandte Orte der Löblichen Eydgenoßschafft in Baden versammlet, Ubergebenes Memoriale ..., o. O. 1692. Das Memorandum wurde am 10. Juli 1692 der Tagsatzung überreicht. 121 Vgl. zu ihnen kurz oben S. 676 Anm. 579. 122 »Goutons tranquillement ... les fruits d’une inestimable Neutralité«: [anonym], Wird das Reich, S. 33f. (die Schrift ist zweisprachig, ohne, daß der französische immer gänzlich dem deutschen Text entspräche).

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figuren und Wendungen in Parteischriften wollten ja ernstgenommen werden! Offensichtlich ist eine positive Bewertung der Neutralität dann glaubhaft und plausibel, wenn das moralische Gefälle zwischen den Kriegsparteien nicht allzu steil ist. Offensichtlich verträgt sich Neutralitätslob nicht mit einem stark diskriminierenden Kriegsbegriff – wofür man auch im Umfeld der weltanschaulich aufgeladenen »Weltkriege« des 20. Jahrhunderts Anschauungsmaterial sammeln könnte.123 Erst recht verträgt sich Neutralitätslob nicht mit einem Kampf der Augustinschen Civitates. Die Mutation einer allenfalls einmal vorübergehend hinnehmbaren zu einer »glücklichen« Neutralität setzte die Emanzipation von jenem Bellum iustum voraus, der jedenfalls in Europas Konfessionellem Zeitalter (um es nicht nach universalhistorischen Maßstäben entscheiden zu müssen124) stets zum Bellum necessarium hin tendiert hatte. Einer zügigen Verdichtung der schon im 16. Jahrhundert geläufigen politischen Option Neutralität zum Völkerrechtstitel stand auch ein weiterhin diskriminierender Kriegsbegriff im Wege: So lautet eine auf den letzten Seiten entwickelte und begründete These. Wenn sie stimmt, muß besonders interessieren, wie Völkerrechtsdarstellungen die Iustitia im Umkreis der Neutralität behandeln. Wir sahen schon, daß Hugo Grotius nicht eigentlich Neutralitätsrecht bietet. Er zwingt die Nichtkriegführenden in seinem kurzen Kapitel »de his qui in bello medii sunt« zu handlungsrelevanten moralischen Bewertungen. Verhaltenssteuernd sind nicht etwa die normativen Vorgaben eines Neutralitätsrechts, ist das moralische Gefälle zwischen den Kriegsparteien. Sich aus dem Kriegsgeschehen heraushalten zu wollen, geht nur solang vorübergehend an, bis die Verortung der Iustitia gelungen ist.125 Das war schon in den 1620er Jahren so praxisfern, daß man sich fragen könnte, ob die grotianischen Postulate denn der Respektierung der territorialen Integrität des Möchtegernneutralen, der Akzeptanz seines Wunsches, möglichst von Kriegseinwirkungen verschont zu werden, tatsächlich geschadet haben, blieb aber theoretisch ein halbes Jahrhundert lang unbestritten, ehe es Johann Heinrich Böckler in seinem »Libellus de quiete in turbis« für unpraktikabel, ja, »impossibilis« erklärte. Wir ahnen schon, warum es für Böckler ein Unding war, den Neutralen moralische Parteinahme aufzunötigen – denn 123 Vgl. schon oben S. 359f. Auch, daß zwischen den auf beide Weltkriege antwortenden Systemen kollektiver Sicherheit und einzelstaatlicher Neutralität ein Spannungsverhältnis herrscht, wurde schon erwähnt: Völkerbund, Briand-Kellogg-Pakt, UN-Charta wenden sich gegen das freie Kriegführungsrecht und verpflichten zur solidarischen Verfolgung von Friedensstörungen. Solang man an das allgemeine Gewaltverbot glaubte und die vorgesehenen Sanktionen für praktikabel hielt, schien Neutralität historisch überwunden. 124 Vgl. meine wenig erschöpfenden »weltgeschichtlichen Betrachtungen« in Kapitel A.2.1.4. 125 Vgl. Kapitel C.2.3.

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Dissertationen wie die Voßenhölens haben es natürlich bei Böckler abgeschrieben: Die Gerechtigkeit ist oft dauerhaft kaum triftig verortbar; und selbst, wenn sie verortbar wäre, dürften Neutrale ihr Urteil nicht offensichtlich machen, weil sie damit selbst ihren Neutralenstatus schwächten. »Relinquitur ergo, vt intra animum sentiant aut iudicent de iniustitia belli, minime autem aperiant mentem, et significent, nisi periculis partium velint inuolui«.126 Iustitia wurde zum folgenlosen Privaturteil des Fürsten als Menschen verinnerlicht. Natürlich büßte sie damit politische Relevanz ein, aber wie langwierig und konturenarm der Prozeß des Verblassens der Iusta causa gewesen ist127, zeigen auch völkerrechtliche Bemühungen um die Neutralität. Johann Wolfgang Textor kommt 1680 in seinem langen Neutralitätskapitel an sich ohne Theologie aus, doch stolpern wir über zwei Einsprengsel. Die Grenzen der Hilfspflicht eines Vasallen für seinen Lehnsherrn erörternd, weist Textor beiläufig auf die Möglichkeit hin, daß dessen Krieg »non sit legitimè decretum, vel sit notoriè injustum«. Und falls man eine eigentlich bis Kriegsende vereinbarte Neutralität vorzeitig aufkündigen will, wird man sich auf »justam causam« hierfür berufen. Eine solche Iusta causa war wohlfeil zu haben: »causa autem justa erit mutata rerum facies«128 – so einfach war das! Die Iustitia kursierte noch, aber zu einem billigen Nennwert. Noch Bynkershoek sieht sich in seinem knappen Neutralitätskapitel bemüßigt, zur grotianischen Forderung Stellung zu nehmen, daß Nichtkriegführung nie, wie indirekt auch immer, zum Sieg der ungerechten Sache beitragen dürfe. Er kappt dieses Postulat an der Basis: Es sei nicht Sache des Dritten, »ex causa aequiore vel iniquiore huic illive plus minusve tribuere vel negare«. Und selbst wenn er dazu eine Meinung habe, dürfe sich das nicht auswirken: »Si recte disputavi, placere non potest, quod video placere plerisque, qui de Jure Publico scripserunt, alterum nempe amicum, cujus causa potior et justior mihi videtur, a me juvari et posse et deberi«.129 Lediglich in einem Spezialfall, der unmittelbar gar nicht mit Neutralität, sondern mit Bündnispflichten zusammenhängt, kommt der herkömmliche diskriminierende Kriegsbegriff doch wieder zum Tragen: wenn nämlich vertragliche Bindungen an beide Kriegsparteien bestünden – dann könne sich der Dritte nicht etwa genau deshalb heraushalten, dann sei er vielmehr zu

126 Böckler, Libellus de quiete in turbis, S. 56f. Wenig später: »Vbi itidem distinctionem belli iusti ac iniusti, mediis, vt tales sunt, prodesse non posse existimauerim«. 127 Vgl. hierzu allgemein Kapitel A.2.1.1. 128 Textor, Synopsis juris gentium, Caput XXVI (S. 102 bzw. S. 109). Vgl. noch Caput XVII: Erörterung der Frage, ob die Transitverweigerung einen gerechten Kriegsgrund darstellt, ohne explizite Erwähnung der Neutralität – ja, unter gewissen Bedingungen, eine von ihnen ist diese: »Si bellum contra tertium non appareat injustum«. 129 Bynkershoek, Quaestionum juris publici libri duo, S. 69 bzw. S. 70.

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einem qualitativen Urteil über die Kriegsmotive verpflichtet.130 Unvermutet steht auf einmal wieder Frau Iustitia vor uns. Daß Adam Friedrich Glafey sein Völkerrecht auf Souveränität und Staatsräson gründet, daß man sich die zerstreuten Bemerkungen zur Iustitia im Kriege mühsam zusammensuchen muß, sahen wir schon.131 Von den schwer auf den älteren Texten lastenden Spannungsverhältnissen, zwischen Konfession und Staatsräson, Christianitasidee und Souveränität, Recht und Politik ist kaum etwas übriggeblieben. Auch, wenn Glafey von Neutralität spricht? Er erwähnt sie unter anderem in seinem Kapitel »Vom Eigenthum«.132 Darf ich Landstriche, die der Nachbar einem anderen »unrechtmässiger Weise abgenommen« hat, meinerseits diesem Nachbarn entreißen? Nein, denn es ist »ein Tertius die Frage: Ob einer einen rechtmässigen Krieg habe?«, zu beurteilen »keinesweges befugt, indem solcher Streit auch unter Souverainen Völckern deswegen, weiln merhentheils beyde Theile wider einander allerhand Gravamina haben, fast nicht zu debattiren ist ... Dem dritten Mann verbiethet anbey solches die zu observiren habende Neutralität, welche er hierdurch, wenn er eine Parthey vor einen unrechtmässigen Aggressorem erklären wolte, mercklich beleidigen und überschreiten würde«. Das ist auch ein beiläufiger Kommentar zu Hugo Grotius, ohne, daß Glafey hiervon noch Aufhebens machte. Man könnte sagen: Glafey gab hier Böckler gegen die Grotianer Recht, aber eine ernsthafte wissenschaftliche Debatte war das für ihn sichtlich nicht mehr. Bis jetzt also: nichts Neues bei Glafey – aber wir befinden uns ja noch gar nicht in seinem Neutralitätskapitel. In diesem133 wird die Frage der Bewertung von Kriegsmotiven passagenweise gestreift. Darf jemand dazu gezwungen werden, neutral zu sein? Nein – zwar haben neben der Staatsräson auch die Frage der »gerechten Ursache« zum Kampf und das Wohl des Nachbarn ihr Gewicht, aber nur intern, letztlich im Kopf des abwägenden Fürsten. Denn eines steht nun einmal fest: »daß einem Tertio; ob ich in einen Krieg mich zu meliren Ursach habe oder nicht? zu beurtheilen keineswegs zusteht, massen die Sorge für mein Wohl mir, und nicht ihm oblieget«. Außerdem sind natürlich für Glafey »die Pflichten gegen mich, denen Pflichten gegen andere vorzuziehen«. Der Souverän darf also nicht gezwungen werden, neutral zu bleiben. Darf er gezwungen werden, Partei zu ergreifen? Nein – der Herrscher muß für das »Wohl des Staates« sorgen, »alle seine Actiones« haben 130 »Si duo mihi foederati se invicem aggrediantur, ex foedere satisfaciam ei, qui justiorem causam habet«, denn »in causa improba non teneor adesse Foederato«. »Quia auxilia promisit ..., aestimat quoque de justitia vel injustitia causae, et an casus foederis, ut vulgo loquuntur, existet«: ebda., S. 72f. 131 Nämlich in Kapitel C.2.3. 132 Zum Folgenden: Glafey, Recht der Vernunfft, Buch IV, Kapitel IV (die Zitate: S. 801 und S. 804). 133 Zum Folgenden: ebda., Buch VI, Kapitel V (die Zitate: S. 166–170).

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genau und nur darauf abzuzielen, »er hat also nicht mehr Gewalt, als die Nothdurfft seines Staats erfordert«, sie ist die alleinige Richtschnur. Die Räson des souveränen Einzelstaates ist Glafeys Schlüssel für alle völkerrechtlichen Problemlagen, so auch die Neutralität – bis dahin. Und dann stolpern wir in einer einzigen Passage doch wieder über die Iusta causa: Was, wenn ein Beistandspakt vorliegt? Dann kann der Fürst nicht neutral bleiben, denn Verträge sind zu erfüllen, fast in jedem Fall – außer »per impossibilitatem moralem«. Diese Moral müssen wir kurz inspizieren! Man hat, so Glafey, einem etwa vorliegenden Beistandspakt nicht nachzukommen, wenn der Verbündete »ohne Raison mit einem andern Krieg anfängt, oder auf angebothene hinlängliche Satisfaction die Waffen nicht niederlegen und sich accomodiren will«, denn die vertraglich an sich geschuldete Hilfspflicht kann sich »per impossibilitatem moralem« nicht darauf erstrecken, »daß ich einen andern in seinem ungerechten Beginnen soll secundiren«. Glafey bemerkt natürlich das Spannungsverhältnis zwischen solchen Erwägungen und der Feststellung, über die Gerechtigkeit seines Tuns dürfe nur der Souverän selbst urteilen. Bei einem Pakt sei das anders, meint er, »massen einer eben dadurch, daß er mit mir in ein Bündnuß tritt, mich des Rechts[,] von der Gerechtigkeit eines solchen Krieges, worzu ich Hülffe leisten soll, zu urtheilen theilhafftig macht«. Man könnte vielleicht so glätten, mit den übrigen Passagen des Neutralitätskapitels in Übereinstimmung bringen: Ein Bündnisvertrag darf kein Blankobillet sein, den anderen in absurde, durch nichts zu rechtfertigende Kriegsabenteuer hineinzuziehen. Die Termini »moralis« und »Gerechtigkeit« lassen sich aber an dieser Stelle nicht wegdiskutieren. Ansonsten und in seinem Kern ist das Neutralitätskapitel Glafeys nicht mehr auf einen diskriminierenden Kriegsbegriff gestellt. Das gilt im Großen und Ganzen auch fürs »droit des gens« Vattels.134 Natürlich denunziert er »neutralité« nicht als moralisch minderwertig, gar sündhaft, heißen die Zentralinstanzen seines Neutralitätskapitels Staatsinteresse und Souveränität. Alle souveränen Regierungen »sont libres de demeurer neutres«135 – und doch: wenn sie der verfolgten Unschuld freiwillig beispringen, ist das ein netter Zug von ihnen.136 Truppenwerbungen darf der Neutrale einer Kriegspartei oder beiden erlauben, findet dieser Schweizer – um der davon geschädigten Kriegspartei großzügig ein Beschwerderecht zuzubilligen, falls die beim Neutralen rekrutierten Truppen »pour la défense d’une cause odieuse et manifestement injuste« verwendet werden.137 Im sich anschließenden Kapitel über Truppentransfers le134 Zum Folgenden: Vattel, Le droit des gens, Buch III, Chapitre VII. 135 Ebda., § 106 (das Zitat: S. 43). 136 Vgl. schon ausführlicher, im Kontext der »gewundenen Verlaufskurve« einer Säkularisierung der Rede vom Krieg, oben S. 123. 137 Vattel III, VII, § 110; wir lernten das Zitat bereits kennen, als vom »Schutz der territorialen Integrität des Neutralen« die Rede war: S. 678 mit Anm. 583.

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sen wir, daß sie der Neutrale, so er »bonnes raisons« hierfür findet (wofür ihm ja wohl ein paar Juristen zu Gebote standen!), ablehnen dürfe, außerdem »on peut le refuser à celui qui le demande pour une guerre manifestement injuste«.138 Offensichtlich war es bei der Neutralität und dieser eng angeschmiegten Problemen (der Truppentransfer gehörte dazu) besonders schwierig, sich von den altüberkommenen Wendungen und argumentativen Versatzstücken vollends zu trennen, zumal für einen Autor wie Vattel, der eher durch seine lebendige Sprache als durch stringentes Denken glänzt. Außerhalb des Neutralitätskapitels stoßen wir hierauf: »Quiconque veut demeurer neutre dans une guerre, est obligé de la considérer, quant à ses effets, comme également juste de part et d’autre«.139 Wer nicht wenigstens nach außen hin so tat, als seien alle Kriegsparteien gleich gerecht oder schurkisch, verwirkte seine Neutralität. Der Terminus »juste« kommt in diesem »droit des gens« noch vor, in den zitierten und in anderen Zusammenhängen, aber nur subsidiär. Ausschlaggebend war die Räson des souveränen Staates. Und wer diesen neuen Götzen nicht respektierte, beging damit himmelschreiendes Unrecht! »De tous les droits qui peuvent appartenir à une nation, la souveraineté est sans doute le plus précieux, et celui que les autres doivent respecter le plus scrupuleusement, si elles ne veulent pas lui faire injure«.140 Iustitia setzte der einzelstaatlichen Souveränität keine Grenzen, bestand in deren Respektierung. Wenn die Staatsräson nach Neutralität rief, durfte sich ein Volk in Christian Wolffs Augen gar nicht für die gerechte Sache ereifern.141 In den sich auch hier den Neutralitätspassagen anschließenden142 Ausführungen zum »transitus 138 Ebda., Chapitre VIII, § 135 (das Zitat: S. 55). 139 Ebda., Buch III, § 208 (S. 103). Es geht hier eigentlich ums Postliminium, das »droit de postliminie«. 140 Ebda., Buch II, § 54 (S. 167). 141 »... in potestate ipsius non esse patet, ut bellum etiam iustum gerenti opem ferat«: Wolff, Jus gentium, S. 244. 142 Völkerrechtsautoren, die von der Neutralität handelten, plazierten das entsprechende Kapitel gern neben das Transitkapitel; übrigens pflegte die Transferfrage deutlich mehr Druckerschwärze zu beanspruchen. Beide Themen sind natürlich nicht deckungsgleich. Worin besteht ihre Affinität? Aus der Sicht dessen, der Truppen bewegen wollte, waren erklärt neutrale Gebiete besonders problematisch; aus der Sicht des Neutralen gefährdete jeder genehmigte oder hingenommene Transfer nicht nur Land und Leute, sondern auch den Neutralenstatus (wir sahen das beispielsweise schon in Kapitel C.3.2.4.2 oder, im Spiegel gelehrter Beleuchtung, in Kapitel C.2.2.4). Man hatte sich ja eigentlich gerade deshalb für neutral erklärt, weil man von den Unbilden eines Krieges, in dem man keine eigenen Ziele verfolgte, verschont bleiben wollte. – Auch eine Analyse der Transitkapitel ergäbe so etwas wie einen Säkularisierungsprozeß: Erlegte Hugo Grotius (mit Augustinus) Drittländern eine moralische Bewertung auf (Iustae causae erheischten die Durchzugserlaubnis), widersprachen dem später beispielsweise, um nur die beiden berühmtesten Autoren zu nennen, Pufendorf (der bekanntlich kein Neutralitätsrecht schrieb) und eben Wolff. Auch

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innoxius« kommen die alten Versatzstücke dann zwar noch einmal vor, man muß »transitus ad justas causas« dulden – »nisi adsit metus justus damni«! Wie sinnentleert Iustitia hier einherkommt, zeigt beispielsweise die Erläuterung, daß jener »metus vanus non est, si justas habuerit causas, aut, si mavis, rationes sufficientes«143 – Iustae causae waren nachvollziehbare Argumente. In diesem Sinne hatte es schon, die dem Transit gewidmeten Passagen einleitend, geheißen: Man müsse den Transitus innoxius grundsätzlich hinnehmen, weil jedes Volk ein »jus belli« besitze und zum Kriegführen nun einmal Truppen benötigt würden, »consequenter transitus copiarum militarium belli causa spectandus est tanquam transitus ad justam causam«!144 Die alten Termini wie »Iustitia« oder »gerecht« kamen noch vor, hatten aber substantiell nichts mehr mit Theologie, schon gar nichts mehr mit der scholastischen Bellum-iustum-Doktrin zu tun. »Iustus« war in den zuletzt zitierten Sätzen einfach, was nicht offenkundig unvernünftig war, nicht gänzlich sinnfrei oder sachfremd. Fast möchte man »iustus« in solchen Passagen als völkerrechtliches Pendant der Lieblingsvokabel aller Aufklärer nehmen, zum Synonym für »vernünftig« machen. So säkularisiert und formalisiert, konnte die Iustitia der Ausbildung des klassischen Neutralitätsrechts nicht mehr im Wege stehen. 6.2.3 Noch einmal: die Beharrungskraft binärer Codes An die Beobachtung, daß eine politisch-interstatale Verwendung der Termini Neutralité oder Neutralità erst seit den letzten mittelalterlichen Jahrzehnten nachweisbar ist, knüpfte Kapitel C.1.4.2145 die Überlegung, ob die späte Begriffswerdung146 auch damit zu tun haben könnte, daß das politische und soziale Leben

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die Vertragspraxis der letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts (zu ihr ausführlich Reibstein, Transitus innoxius, S. 460ff.) kennt hinsichtlich der Transitfrage keine Gerechtigkeitskriterien. Schon der jedenfalls in der Schweiz berühmte eidgenössischen Beschluß von 1638, künftig »allen Ernstes« Durchmarschversuche beider Seiten abzuwehren, spricht nicht von etwaigen Kriegsgründen, abstrahiert insofern von der Gerechtigkeitsfrage. Wolff, Jus gentium, S. 251. Ebda., S. 249. Zum Sachverhalt, daß Neutralité erst im Herbst des Mittelalters auf den Begriff gebracht wurde, stellen ferner gleich die Anfangspassagen von Kapitel C.6.3.2.1 einige weitere Überlegungen an. Die Formulierung verkürzt natürlich ungebührlich. Präziser, freilich auch viel wortreicher müßte man so formulieren: der universalhistorische Sachverhalt, daß an Konflikten nicht immer alle potentiellen Konfliktparteien tatsächlich aktiv teilgenommen haben, wurde nach unserem Kenntnisstand erst spät, im ausgehenden Mittelalter, auf den Begriff (einer neutralità, neutralitas oder neutralité) gebracht und, im Zuge fortgesetzter ›Begriffsarbeit‹ und Begriffsschärfung, diskursiv umkreist.

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der mittelalterlichen Jahrhunderte binäre Codes organisierten und strukturierten, die stark mit Werten aufgeladen waren: Treue versus Felonie, Freundschaft und Feindschaft, civitas Dei oder civitas Diaboli. Gehört es – so fragten diese Passagen abschließend – zu den Voraussetzungen für eine breite Akzeptanz der Denkfigur Neutralität, daß sich eine durch und durch wertegebundene Gesellschaft säkularisiert, daß sich hochgradig personalisierte gesellschaftliche Beziehungen formalisieren und funktional ausdifferenzieren? Daß da eine ›Zwischenhaltung‹, ein »tertium«147 zwischen Pro und Contra, zwischen Freund und Feind denkbar, dann auch, viel später, völkerrechtlich operationalisierbar wurde, könnte im Kleinen bedeutende mentalitätsgeschichtliche Veränderungen anzeigen. Rechtssoziologisch könnte man konstatieren, Europa entwachse dem Zeitalter der »Status-Kontrakte«. Für Max Weber prägten diese zutiefst das öffentliche Leben vorkapitalistischer Gesellschaften, er hat sie so charakterisiert: Sie zielten auf »eine Veränderung der rechtlichen Gesamtqualität, der universellen Stellung und des sozialen Habitus« der Vertragspartner. Bei der »Mehrzahl« von ihnen handle es sich um »Verbrüderungsverträge«, sie erzwängen, das »Gesamtverhalten zueinander dem Sinn der Verbrüderung entsprechend« auszurichten. Immer aber zielten »Status-Kontrakte« auf »universelle Qualitäten des sozialen Status der Person«, heischten sie »spezifische Gesinnungsqualitäten«, gingen sie mit »universalen Rechten und Pflichten« einher.148 Was Weber als Weg vom »Status-Kontrakt« zum »anethischen Zweck-Kontrakt« beschreibt, würden Systemtheoretiker wohl die funkionale Ausdifferenzierung 147 »Ich will von keiner neutralität nichts wissen noch hören. Sr. Lbd. muß Freund oder Feind sein. Wenn ich an ihre Grenze komme, so muß Sie kalt od. warm sich erklären. Hier streitet Gott und der Teufel. Will Sr. Lbd. es mit Gott halten, wohl, so trete Sie zu mir; will Sie es aber lieber mit dem Teufel halten, so muß Sie fürwahr mit mir fechten, tertium non dabitur, das seid gewiß«: so Gustav Adolf zum bedauernswerten Berliner Emissär Wilmersdorff im Juli 1630. Wir kennen die Suada ja schon, sie zitiert (nach der kurbrandenburgischen Relation) Helbig, Gustav Adolf, S. 12–18; Kursivsetzungen von mir. 148 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Fünfte, revidierte Auflage, besorgt von Johannes Winckelmann. Studienausgabe, Tübingen 1990, die Zitate: S. 401 und S. 403. Die kapitalistische Gesellschaft prägten hingegen »ZweckKontrakte«, »welche nur die Herbeiführung konkreter, meist ökonomischer, Leistungen oder Erfolge zum Zweck haben«: ebda., S. 402. – Fügt sich die Entwicklung hin zu einem Neutralitätsrecht paßgenau zu Webers Kategorien? Gewiß, der neuzeitliche Neutrale pochte darauf, sich aus einem bestimmten Konflikt herauszuhalten, ohne deshalb »Feind« zu sein, er wollte trotz seiner Neutralität mit allen Seiten diplomatische und ökonomische Kontakte unterhalten, so gesehen, brach ein monolithisches »Gesamtverhalten« hier schon auf. Aber Krone dieser Entwicklung war eben nicht der Neutralitätsvertrag, sondern die völkerrechtlich verankerte Berechtigung zur Neutralität auch ohne Vertrag. Insofern läßt sich die Geschichte der Neutralität nicht nahtlos ins Webersche Schema einpassen. – Auf die »Status-Kontrakte« Max Webers machten mich einige Bemerkungen bei Oschema, Auf dem Weg aufmerksam. Vgl. zu dieser instruktiven Studie noch unten Anm. 162.

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der Gesellschaft nennen – jedes Subjekt agiert in allen möglichen Rollen, ein monolitisch aufgefaßtes »Gesamtverhalten« wird in viele Facetten gebrochen. Der Fürst kann als Politiker in einem bestimmten Konflikt neutral bleiben, ohne deshalb notwendigerweise menschliche Anstandsregeln zu verletzen, Freundschaftsbande zu brechen und zum immerwährenden Feind zu mutieren, und ohne deshalb der Civitas Diaboli zu verfallen. Er kann als oberster Militär seines Landes neutral bleiben und doch in anderen Rollen – als hochadeliger Standesgenosse, als Glaubensbruder oder als Handelspartner – weiterhin mit allen Konfliktparteien konstruktive Beziehungen unterhalten. Daß der Weg der Neutralità von der Begriffswerdung hin zu festen völkerrechtlichen Konturen drei Jahrhunderte währte, ist ein Indiz für die Langwierigkeit der soeben angedeuteten Prozesse. Das auf vasallitischer Treue aufgebaute Lehnswesen blieb ein wichtiger Rechtskreis; Treue wie auch Freundschaft forderten den ›ganzen Mann‹. Die den ›ganzen Mann‹ fordernde (und nur als Ganze zu habende) Ehre blieb gerade im Adel ein Zentralwert. Und das Seelenheil heischte die uneingeschränkte Christusnachfolge 149, man hatte der verfolgten Unschuld beizuspringen. Die strikte Wertorientierung des Christenmenschen vertrug sich im Rahmen des eng mit Iustitia verschwisterten Friedensbegriffs der Scholastik und ihres diskriminierenden Kriegsbegriffs schwerlich mit Neutralität. Deshalb ist die Akzeptanz der politischen Option Neutralität auch ein tauglicher Indikator für Säkularisierungsprozesse. Und wir merken in diesem Lichte, wieder einmal, daß solche Prozesse der longue durée nicht einsinnig linear-progressiv angesetzt werden dürfen. Die Akzeptanz der Denkfigur Neutralität ist in der Ära der Konfessionskriege keinesfalls angewachsen, jedenfalls gewiß nicht vor den frühen 1630er Jahren; erst danach schwinden die moraltheologischen Vorbehalte, das nun immerhin rasch, aus den einschlägigen Diskursen (während der Ehrenvorbehalt zunächst fortbesteht).

6.3 »Papier und Dinte« – das Problem der Erwartungsverläßlichkeit 6.3.1 Neutralität ist nicht völkerrechtlich bewehrt Wir analysierten zuletzt Säkularisierungsprozesse. Kann man die Ausformung eines Ius inter gentes nicht auch als Säkularisierungsvorgang interpretieren? Weil der hierarchische, ideell Rom zugeordnete mittelalterliche Ordo sukzessive zer149 Wie sie unsere vormodernen Texte interpretieren. Dort spielen jene pazifistischen Appelle der neutestamentarischen Evangelien, die dem modernen Leser geradezu in die Augen springen, keine Rolle.

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brach, weil Europas Einzelstaaten auf ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit pochten und seit dem 16. Jahrhundert verschiedenen Konfessionen anhingen, weil mit der Glaubenseinheit auch die Iustitia zerbrochen war, brauchte man neue Spielregeln, die nicht mehr auf bestimmte Glaubenssätze zurückgeführt oder im Zweifelsfall kurialer Letztentscheidung unterworfen werden konnten. »Das moderne Völkerrecht war die Antwort auf den Zerfall des mittelalterlichen Ordos«.150 Die Ent-Ethisierung und Formalisierung des Kriegsrechts ist nicht lediglich irgendein Rand­aspekt der Entfaltung des Völkerrechts. Balthasar Ayala, Alberico Gentili und Hugo Grotius avisierten auf dem Buchdeckel nicht etwa, Völkerrecht zu bieten, handelten vielmehr »de jure et officiis bellicis«, »de iure Belli« bzw. »de iure belli ac pacis«. An der Wiege des Völkerrechts standen Versuche, das Ius ad bellum auszuloten. Auch deshalb haben unsere Sondierungen nach der Relevanz der Iusta causa belli mehr mit der Ausformung eines Völkerrechts zu tun, als sich modernen Augen auf den ersten Blick erschließt. Und weil das Ius gentium als Kriegsvölkerrecht begann, müßte die theoretische und praktische Handhabung der Neutralität im Krieg etwas für den gerade erreichten Stand dieses Teilbereichs der Rechtswissenschaft besagen. Das tut sie natürlich auch, fast jede der letzten vierhundert Seiten kündete davon, und ich muß lediglich knapp resümieren. Wir sahen, daß Neutralitätserklärungen keinesfalls gleichsam automatisch von den anderen Akteuren respektiert wurden, sie provozierten vielmehr »Despekt«, dem Möchtegernneutralen schlug gewissermaßen ein ›Grundmißtrauen‹ entgegen. Viele der gängigen Topoi künden davon, von der »Fahne im Wind« bis zu »Faulkeit und Verräterey«. Und viele diplomatiegeschichtliche Einzelheiten ganz unterschiedlicher Tragweite künden davon, von der besonders mißtrauischen Überwachung des Briefverkehrs des Neutralen bis hin zur Forderung, er möge doch als Unterpfand seiner Neutralität dieser oder jener Kriegspartei Schlüsselfestungen einräumen. Der mißtrauischer Dauerbeobachtung ausgesetzte Neutrale konnte es niemandem rechtmachen, auch, weil der Begriffsumfang von »neutralitet« diffus war und changierte, weil Rechte und Pflichten weder konsensfähig fixiert noch stabil waren. Beinhaltete Neutralität lediglich den Verzicht auf aktives Mitkämpfen, oder durfte der Neutrale noch nicht einmal zulassen, daß von seinen Kanzeln herab sonntags gegen eine Kriegspartei gewettert wurde?151 Keine Seite genoß Verhaltensgewißheit, nicht die Kriegsparteien, nicht der Neutrale – nicht im 150 Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700– 1785, Paderborn u. a. 1997, S. 73. 151 Vgl. zu diesem und zahlreichen ähnlichen Problemen des »sachlichen Umfangs neutraler Indifferenz« oben Kapitel C.3.2.3. – Keller, Herzog Friedrich von Kurland, S. 197 resümiert, die Kurländer hätten sich in den 1620er Jahren mit dem Versuch, neutral zu sein, auch »wegen der anfangs ja völlig fehlenden Erfahrungen mit der Problematik« schwergetan.

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Kleinen, auch nicht im Großen: Denn der Neutrale mußte ja ständig befürchten, daß die eine oder die andere Konfliktpartei diesen suspekten Status gar nicht mehr akzeptierte. Er mußte »beschwerlich, ja auch in die harr unträglich ... zwuschen zwaien höchsten gefärden sitzen« und hatte »anderst nichtz dann an der ainen seiten uberzugs und verderbens, auf der andern unnachlessliche ungnad ... zu gewarten«.152 Neque amicos parat, neque inimicos tollit! Getraut hat dem Neutralen eben niemand, und der konnte keinesfalls der Schutzwirkung seiner Neutralitätserklärung trauen. Hatte er »ein offen land, kundt [er] es nit wehren«.153 Neutralitätsbekundungen allein jedenfalls haben ihn nicht bewehrt. Offensichtlich konnte die einfache Willensbekundung, die Beteuerung, sich künftig neutral zu verhalten, ohne vetragliche Absicherung auf keinerlei Respektierung rechnen, weil sich Verhaltenserwartungen noch nicht so zu völkerrechtlichen Normen verdichtet hatten, daß man sich einigermaßen 154 darauf verlassen konnte, daß sie von allen Seiten stabil eingehalten wurden. Weil Daß (Recht auf Neutralität?) und Wie einer Neutralität nicht völkerrechtlich normiert waren, mußten sie stets aufs Neue, abhängig von sich unablässig ändernden Machtverhältnissen, ausgehandelt werden, was die Dinge im Fluß hielt155, aber für alle Seiten sehr anstrengend war. Weil keine rechtlichen Normen für Verhaltensverläßlichkeit sorgten, versuchten sich die Kriegsparteien eines ihnen genehmen Verhaltens des Neutralen zu versichern, indem sie permanenten diplomatischen und nicht selten sogar militärischen Druck auf ihn ausübten. Umgekehrt mußte sich der Neutrale wiederum durch eigene Zurüstungen absichern, wiewohl ja häufig militärische Schwäche die politische Option Neutralität nahegelegt hatte. Auch die vielen vertraglichen ad-hoc-Vereinbarungen waren eine Antwort aufs Problem der Erwartungsverläßlichkeit, aber sie vermochten das Sicherheitsdilemma nicht wirklich zu lösen. Wir sahen, daß sie eine stabile Erwartungs-

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Natürlich, einfach in einem Völkerrechtsbuch nachschlagen, sich dort über Rechte und Pflichten kundig machen konnten sie eben nicht! Instruktion des württembergischen Herzogs Christoph für seine Vertreter in Passau, 1552, Mai 29: Ernst, Briefwechsel, Bd. 1, Nr. 583. So hielt die kurpfälzische Relation vom Rheinischen Kurfürstentag zu Oberwesel im April 1552 ein kurtrierisches Votum fest: Druffel, Briefe und Akten, Bd. 3, Nr. 1434 II. »Kond der retung halb nichts thun«, muß »dem gewalt weichen«: so die Version des Verlaufsprotokolls in BayHStA Kasten blau 105/2c, fol. 65–89 (hier zum 24. April, zweite Umfrage). Noch heute gilt das Völkerrecht als »soft law«, noch heute gibt es keine überall respektierte ›Weltgerichtsbarkeit‹. Außenpolitische Regelverstöße sind nicht einklagbar wie innerstaatliche Gesetzesbrüche. Man könnte wohl auch sagen: »neutralitet« zu einem sehr flexiblen, nicht zuletzt deshalb von so vielen wieder und wieder erprobten politischen Konzept machte. Die Schwelle zu dieser multipel gestaltbaren politischen Option lag recht niedrig, doch durfte man auch die erhoffbaren Gewinne nicht zu hoch veranschlagen.

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haltung aufzubauen suchten, indem sie das Verhalten der Vertragsparteien, in Abhängigkeit vom gerade gegebenen Machtgefälle, wortreich festzurrten. Selbst diese Verträge künden vom vormodernen ›Grundmißtrauen‹ dem Neutralen gegenüber: Er hatte drastisch abzurüsten, mußte Festungen ausliefern oder »demoliren lassen«156, womöglich mußte eine mächtige dritte Potenz die Einhaltung der Neutralität »majoris securitatis« halben gewährleisten.157 Der bilaterale Neutralitätsvertrag allein also schuf keinesfalls »securitas«!158 Gustav Adolf brachte das Mißtrauens-Dilemma sogar vertraglich begründeter Neutralität besonders griffig auf den Punkt: »Was soll ich für Gewißheit und caution dessen haben, was meinet Ihr, Papier und Dinte?« »Etwas Reales in Händen kann mich versichern, anderes nichts«. Lasset »mich zum tutor Jhrer machen, daß ich ihre Festungen bewahre. Sonsten halten Sie nichts und ist nicht zu trauen.«159 Auf der anderen Seite mochte auch der vertraglich Neutralisierte keinesfalls »trauen«; für Maximilian von Bayern bedeutete selbst vertraglich abgesicherte »Neutralitet merer nicht, als wan es wol gehet, einen schlechten verzug«.160 Und noch zwei Generationen später höhnte Karl Ludwig von der Pfalz: Wie könne ein vernünftiger Herrscher nur der Ansicht sein, daß sich »Sicherheit durch dergleichen schrifftliche Neutralität« gewinnen lasse, »welche der Feind seiner Gewonheit nach, nicht länger als seine Gelegenheit es zuläst, achten oder halten wird«?161 Das üppig wuchernde Geflecht der bilateralen Allianz-, Freundschafts- oder Neutralitätsverträge vermochte eine stabile völkerrechtliche Grundlage des Miteinanders sich – unter dem modischen Schlagwort der »souveraineté« – exzessiv autonom gerierender Staaten nicht zu substituieren. Verhaltenserwartungen hatten sich einfach noch nicht so zu Rechtsverhältnissen verdichtet, die das politische und militärische Handeln dem Gutdünken der Akteure entzogen hätten, daß man sich auf ihre Einhaltung – ob nun mit oder ohne bilaterale Vertragsklauseln – wirklich verlassen konnte, weil, wer dagegen

156 [Anonym] (Hg.), Accords-Puncta Wegen der Fürstlichen Residentz Gottorff. 157 »Majoris securitatis erga Christianissimus Galliarum Rex spondebit Ducem Bavariae et ei consociatos Catholicos Germaniae Principes, Status et Civitates Neutralitatem hanc in omnibus suis articulis sanctè observaturos ...«: [anonym], Warhaffte vnd eigentliche Beschreibung, hier: »Neutralitet manutenirungs conditiones« Gustav Adolfs vom 19. Januar 1632. 158 Das zeigen viele Beispiele in Kapitel C.3.1.3.3, unter der Überschrift »›Papier und Dinte‹: Neutralitätsverträge schaffen auf beiden Seiten keine ›Gewißheit‹«. 159 Gustav Adolf im Juli 1630 zum kurbrandenburgischen Emissär Wilmersdorff nach dessen Relation: Helbig, Gustav Adolf, S. 12–18. 160 Maximilian an Ferdinand von Köln, 1632, Februar 17 (Entw.), BayHStA Dreißigjähriger Krieg Akten 143a/II. 161 Karl Ludwig an den Reichstag, 1675, August 14: Diarium Europaeum, Bd. 31, Appendices, S. 555–564.

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verstieß, den Konsens der Völkerrechtler und die öffentliche Meinung Europas gegen sich gehabt hätte. 6.3.2 Ein Indikator für die Ausformung des regelgesteuerten modernen Staatensystems? 6.3.2.1 Der neue Götze »souveraineté« Die Akzeptanzprobleme der »neutralitet« sind nicht zuletzt ein Indikator dafür, wie wenig die vormodernen internationalen Beziehungen schon von völkerrechtlichen Normen durchdrungen waren. Was könnten sie uns sonst noch über die Art dieser Beziehungen sagen? ( Jedenfalls mit den Mitteln dieser Studie) schwer zu beantworten ist die Frage, warum »neutralité« im Herbst des Mittelalters auf den Begriff gebracht wurde. Der Neuzeitler162 könnte zunächst geneigt sein, reflexhaft auf die im Ausgang des Mittelalters kulminierenden Kämpfe um die Beherrschung der Apenninhalbinsel zu verweisen, als sich die kriegerischen wie auch (der vielgliedrigen »Ligen« wegen) die diplomatischen Kontakte zwischen den Staaten ungemein intensivierten. Sollte das der Anlaß gewesen sein, etwa für italienische Autoren, eidgenössische Politiker, den Versuch, dennoch abseitszustehen, auf den Begriff zu bringen? Eine derartige Korrelation ist schon deshalb wenig plausibel, weil die zeitliche Parallelität nicht gegeben ist, erste Belege für einen außenpolitisch-militärischen Wortgebrauch von Neutralité bzw. Neutralità sind (etwas) älter. Auch sollten wir nicht etwa annehmen, mittelalterliche Gemeinwesen hätten einfach so nebeneinanderher gelebt. Gewiß war Außenpolitik 162 Weil er so traditionell von der außenpolitischen Seite her den Beginn ›seiner‹ Großepoche begründet. Von der Neutralitet des Konfessionellen Zeitalters aus ins späte Mittelalter zurückblickend, könnte man auch mutmaßen, daß die (nicht zwischenstaatliche, sondern innerkirchliche) Neutralitas im großen abendländischen Schisma gleichsam in den Vorhof einer interstatalen Neutralität geführt haben könnte; ich räsonniere hierüber schon ausführlicher in Kapitel C.1.4. – Mein Manuskript war längst fertig ausformuliert, als ich auf eine lesenswerte Studie von Klaus Oschema stieß, die dem gleichsam ›vorpolitischen‹ Wortgebrauch im Mittelalter auf der Spur ist. Oschema vermutet: »Eine pragmatischere Einschätzung, die den Einsatz des Konzepts [man ergänze: im außenpolitischen Bereich] erst ermöglichte, ergab sich im späten 15. Jahrhundert auf der Grundlage der vorangegangenen religiös-politischen Verunsicherungen durch die Kirchenspaltung« (Oschema, Einleitung, S. 18). An anderer Stelle wundert er sich, »dass noch [!] im 16. Jahrhundert die Neutralität als eindeutig negativ oder minderwertig gekennzeichnet werden konnte«, es folgt ein Beispiel aus der Chronistik (sie bildet Oschemas Quellenkorpus) von 1514: Oschema, Auf dem Weg, S. 106f. Tatsächlich werden die Wertungen über weite neuzeitliche Strecken hinweg vergleichbar bleiben, das konnte der Mediävist natürlich nicht wissen. So gesehen, erstreckt sich Mittelalter bis in die Frühaufklärung hinein!

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damals im Wesentlichen noch Nachbarschaftspflege, aber Nachbarschaftskonflikte gab es doch zuhauf, also viele Kriege. Gab es »Kriege«? War die Bellizität des Mittelalters nicht geringer, aber doch sehr anders? Ingmar Krause hat jüngst die anscheinend nicht abreißende Kette von Konflikten innerhalb der westfränkisch-französischen Herrschaftsschicht des 10. und 11. Jahrhunderts, in der Zeit der »anarchie féodale« beleuchtet.163 Wir merken, daß das komplizierte Geflecht von Verwandtschafts-, Freundschaftsund Lehnsbanden unaufhörlich punktuelle Konflikte provozierte, aber auch bei ihrer Beilegung durch – wiederum oft sehr spezielle – Friedensschlüsse half. Der Neuzeithistoriker wird nicht wirklich von Krauses Befunden überrascht – derart kompliziert und gleichsam kleinteilig hat er sich »Konflikt und Frieden« im Mittelalter immer vorgestellt; aber es ist doch beruhigend, so instruktiv aufgewiesen zu bekommen, daß man es sich damit nicht etwa bloß zu Entlastungszwecken164 allzu einfach gemacht hat. Was aber könnte das für eine Kategorie wie die »neutralitet« besagen? Standen in den mittelalterlichen Jahrhunderten alle potentiell oder aktuell in Konflikte Verwickelten in sowohl vielfältigen als auch sehr speziellen Abhängigkeitsverhältnissen zueinander, waren die Nuancen und Schattierungen so mannigfach, daß Etiketten wie »Kriegspartei« oder »Neutraler« viel zu grobschlächtig165 gewirkt hätten, so daß niemand Anlaß hatte, über so weitgespannte, gleichsam ›großflächige‹ Kategorien überhaupt nachzusinnen? Das muß in dieser Studie Vermutung bleiben. Sie leuchtete nicht ins Mittelalter zurück, fokussierte das 16. und 17. Jahrhundert, bei vielen Ausblicken ins 18. Es zeigte sich, daß die Vorgeschichte der klassischen Neutralität lang ist, nicht rasch aufsteigende Linien166 erkennen läßt, sondern hartnäckige Wider163 Vgl. Krause, Hinc principum discordia. 164 Wie vielleicht mit der Annahme einer nicht nur auf dem Pergament, auch realiter hierarchisch dem Papsttum zugeordneten mittelalterlichen »Staatenpyramide«; oder ganz gewiß Zeitgeschichtler und Politologen mit ihrem vermeintlichen »Westphalian System« – beides wurde in dieser Studie schon problematisiert. 165 Im Grunde handelt es sich bei der »neutralitet« ja, aller in dieser Studie hin- und hergewendeten Anwendungsprobleme unerachtet, um eine intellektuell recht anspruchslose Kategorie – um von der intellektuell dürftigen »Neutralität« des klassischen Völkerrechts gar nicht zu reden! Die Teleologie dieser Studie, die von der klassischen und modernen Neutralität ausgehend nach deren Wurzeln fahndet, versteht sich nie als eine wertende, etwa nach dem Strickmuster: »von gedanklicher Wirrnis zu endlich klaren Kategorien«. 166 Vielleicht eine angreifbare Formel – vgl. aber letzte Anm.! Man mag auch eine »absteigende« Linie hin zur intellektuell dürftigen klassischen Neutralität wahrnehmen. Ich will hier keine einfältige ›Fortschrittsgeschichte‹ schreiben. Wohl bin ich dezidiert der Ansicht, daß auch eine erkenntnistheoretisch sensible Geschichtswissenschaft aus ihren unzähligen Lesefrüchten in vormodernen Texten am Ende doch Entwicklungslinien herausdestillieren sollte.

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stände und Stockungen. Es lag ersichtlich an konzeptionellen (ideengeschichtlichen, mentalitätsgeschichtlichen, rechtsgeschichtlichen) Umständen, aber völlig vernachlässigen dürfen wir die strukturellen Rahmenbedingungen über dieser Beobachtung nicht. Die Axiome, auf die das klassische Völkerrecht sein Ius pacis ac belli stellt – nicht diskriminierender Kriegsbegriff, Kriegführung als gleichsam ›wertneutrales‹ Attribut souveräner Staatlichkeit; jeder Souverän hat genauso selbstverständlich wie sein Ius ad bellum ein Ius ad neutralitatem, ohne daß anderen hierüber ein Werturteil zustünde –, fügen sich zu einem horizontalen und polizentrischen System souveräner, insofern gleichberechtigter Völkerrechtssubjekte. Erst in einer solcherart strukturierten Staatenwelt konnte die Neutralität zu einer allseits akzeptierten und völkerrechtlich definierten politischen Option werden. Gelegentlich konnten schon Politiker und Publizisten des 17. Jahrhunderts derartige Affinitäten andeuten. Natürlich sprachen sie nicht über ein »modernes Staatensystem«, aber sie reflektierten den Zusammenhang von »neutralitet« und »gleichheit« oder von »neutralité« und »souveraineté«. Der holländische Gesandte Foppius van Aitzema drängte am Kurfürstentag von 1636 auf einen Neutralitätsvertrag zwischen dem Reich und den Generalstaaten, der Kaiser sträubte sich, aber warum? Seine Berater gutachteten: »Nun importire aber die neutralitet vast eine gleicheit stands halber zwischen denen so dieselbe mit einander aufrichten«.167 Ist diese Bemerkung nennenswert? Ist sie nicht einerseits in einen sehr spezifischen Kontext eingebettet168, andererseits recht banal? Transportieren wir sie einmal versuchsweise in die soeben gestreiften Zeiten der »anarchie féodale«: wie hätte hier die Kategorie der »gleicheit« greifen können? Der spanische Gesandte Oñate empörte sich in einem Schreiben nach Madrid, es gehe nicht an, daß Ferdinand »sur pied d’égalité« mit den Holländern über deren Neutralität verhandle.169 Dem Kurkolleg versuchte der Kaiser die Problematik so klarzumachen: Das Neutralitätsgesuch der Holländer zeige, daß sie sich »vom reich und dessen soverainitet ganz zu entziehen und ein neuen statum, welcher niemand als ihm selbst und ihrem aignen gefallen unterworfen« aufrichten wollten. Schlösse nun der Kaiser mit ihnen einen Neutralitätsvertrag, würde er dadurch »denselben ihre angemaste soverainitet de facto confirmirn«.170 Ferdinand hatte natürlich Recht – die Kategorie der Neutralität sträubte sich gegen ein hierarchisches Ge167 Rätegutachten vom 10. Oktober 1636: Gross/Lacroix, Urkunden und Aktenstücke, Bd. 2, Nr. 863a (Kursivsetzung von mir). 168 Die Holländer waren für die Hofburg schlechterdings Rebellen gegen ihre Madrider Obrigkeit, außerdem Reichsglieder, sie verstießen also aus Wiener Warte gegen doppelte Loyalitätsbande, gegen den »gehorsam« der Untertanen und gegen die Treuepflichten des Vasallen. 169 Gross/Lacroix, Urkunden und Aktenstücke, Bd. 2, Nr. 865, Herausgeberkommentar. 170 Zweite kaiserliche Antwort ans Kurkolleg wegen der holländischen Neutralität, 1637, Januar 19: ebda., Nr. 865 (Kursivsetzung von mir).

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fälle, Abhängigkeitsverhältnisse gar, sie brauchte »gleicheit«, »égalité«, brauchte Völkerrechtssubjekte, die »niemand[em] als« sich »selbst ... unterworfen« waren, kurz: gründete auf der »soverainitet«. Gelehrte Abhandlungen über die Neutralität pflegten diese Zusammenhänge seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts jedenfalls ansatzweise zu entwickeln. Albert Voßenhölen begründet seine Ansicht, daß »jure Naturae et Gentium liberum est unicuique populo armis abstinere, et inter concertationes exterum quiescere«, so: Niemand habe je ein »imperium paris in parem« behauptet; jemandem sein Recht auf Neutralität abzustreiten hieße eine »violationem Majestatis« zu begehen.171 Das Recht auf Neutralität war dem Souveränitätsbegriff immanent. Wenn Neutralität ein Faustpfand der Souveränität war und Iustitia mittlerweile vor allem darin bestand, die Souveränität der Mitakteure zu respektieren172, dann galt auch: »C’est blesser la justice que de contraindre un Prince souverain d’abandonner la neutralité«.173 Für die Väter des klassischen Völkerrechts in den mittleren Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts spielte der hierarchische Ordo der Christianitas keine Rolle mehr, ihr Europa konstituiert eine horizontale Staatenordnung souveräner Völkerrechtssubjekte. Der Souverän hat per definitionem ein Ius ad bellum, von dem er nach Staatsräson Gebrauch macht (oder eben nicht), ohne darüber irgendjemandem Rechenschaft schuldig zu sein. Es gibt keinen ›Obersouverän‹174, der über die Sittlichkeit der außenpolitischen Operationen eines Souveräns urteilen könnte, schon deshalb sind ethische Diskussionen über die politische Option Neutralität obsolet. Wir wissen bereits, daß Adam Friedrich Glafey 1732 ungefähr so über Neutralität im Krieg geschrieben hat, wie das dann zwischen 1750 und 1900 cum grano salis üblich sein wird175; wir wissen schon, daß das bei Glafey im weiteren Rahmen eines nahezu theologiefreien, man könnte wohl auch sagen: sehr weitgehend säkularisierten Völkerrechts stand, dessen Leitstern nicht die Iustitia gewesen ist, sondern die Souveränität.176 Begegnet diese Kategorie auch im Neu171 Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 47. »Majestas« war der neulateinische Ausdruck für »souveraineté«. – Schrötering nennt den Souveränitätsbegriff nicht, aber er kann die Behandlung des »Utile« auch deshalb so knapp abtun, weil, wie er diese Passage einleitend feststellt, »utilitas suae unusqvisq; sit aestimator et arbiter legitimus, hinc istius qvidem rei uni cuivis relinqvendum est judicium« (Dissertatio, Thesis XV). 172 Vgl. oben S. 810 mit Anm. 140. 173 So versucht es »Recteur« Carpov (Reflexions sur le Droit de la neutralité, S. 11) französisch zu sagen. 174 Die Kurie hat als moralische Letztinstanz für internationale Verwicklungen (sporadischer letzter Vermittlungsaufträge zum Trotz) längst ausgespielt, eine organisierte Völkerrechtsgemeinschaft (um von einem Weltgerichtshof gar nicht zu reden) existiert noch nicht. 175 Vgl. Kapitel C.3.4. 176 Vgl. Kapitel A.2.2.1.

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tralitätskapitel177? Nach einer einleitenden Definition begründet Glafey das Recht auf Neutralität damit, daß »einem jeden Souverainen das Wohl seiner Republique zu behaupten anbefohlen ist«, während anderen Völkern dessen Beurteilung gar nicht zusteht. Darf nun ein Herrscher gezwungen werden, neutral zu sein? Natürlich nicht, weil »einem Tertio; ob ich in einen Krieg mich zu meliren Ursach habe oder nicht? zu beurtheilen keineswegs zusteht« und auch die qualitative Bewertung der Kriegsmotive nicht »dem Judicio eines Tertii« unterworfen ist – denn wenn man sich hier von anderen »Gesetze vorschreiben« ließe, würde das »Exercitium« der »jurium Majestaticorum« eingeschränkt. Sich völlig frei für Kriegführung oder aber Neutralität entscheiden zu können, ist ein Prüfstein für die Souveränität. Die bis dahin üblichen, in den letzten Kapiteln sattsam ausgebreiteten moralischen Vorhaltungen an die Adresse des Möchtegernneutralen sind in diesem Rahmen nicht nur obsolet, sie mutieren zu gefährlichen Anschlägen auf die staatliche Souveränität. Dem Neutralen Moral abzufordern, wird zur unmoralischen Anmaßung. Das breitenwirksamere, wenn auch nicht konzisere Völkerrecht Vattels führt die Kategorie der Souveraineté ja schon im Titel, eine deutsche Übersetzung von 1760 fügte diese Unterzeile an: »Ein Werk welches Anleitung giebt, das wahre Interesse souveräner Mächte zu entdecken«.178 Vattel begründet es so, warum alle Völker das Recht auf Neutralität besäßen: »Si quelqu’un vouloit les contraindre à se joindre à lui, il leur feroit injure, puisqu’il entreprendroit sur leur indépendance, dans un point très-essentiel«.179 Nicht mehr der Neutrale ist dem Anfangsverdacht der Verworfenheit ausgesetzt, sondern derjenige, der Unterstützung einfordert – er könnte ja durch so ungebührliches Pochen auf Parteinahme die völlige Handlungsfreiheit souveräner Staaten »essentiell« einschränken. Die alte Dame Iustitia hatte abgedankt, der neue Götze Souveränität duldete keine anderen Götter neben sich. Auch, daß der Truppentransit grundsätzlich der vorherigen Genehmigung des Neutralen unterliege, begründet Vattel mit der Souveraineté: Der Kriegführende »doit en demander la permission au Souverain«, einfach so beim Neutralen einzurücken hieße »violer ses droits de Souveraineté«. 180 »La tranquillité et la sûreté commune des nations exigent donc que chacune soit maîtresse de son territoire«181: Wir merken auch an dieser Formulierung, wie der Anfangsverdacht vom Neutralen wegwanderte; wer ihm etwas zumutete, drohte damit womöglich die internationale Ordnung zu stören, weil ihren neuen Leit177 Zum Folgenden: Glafey, Recht der Vernunfft, Buch III, Kapitel V. 178 Ich meine diese deutsche Ausgabe: Johann Philipp Schulin, Des Herrn von Vattels Völkerrecht ... Ein Werk welches Anleitung giebt, das wahre Interesse souveräner Mächte zu entdecken; das Neutralitätskapitel steht dort in Bd. 3 (Frankfurt/Leipzig 1760). 179 Vattel, Le droit des gens, Libre VII, chapitre III, hier S. 43 (§ 106). 180 Ebda., S. 50 (§ 120). 181 Ebda., S. 51.

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stern Souveränität zu verdunkeln. Ich zitiere nur noch diese Passage des Vattelschen Neutralitätskapitels: »Parce que des étrangers ne peuvent rien faire dans un territoire contre la volonté du Souverain, il n’est pas permis d’attaquer son ennemi dans un pays neutre«. Die intellektuell anspruchslose, griffige, rein formale Kategorie der Souveränität ließ alle qualitativen Überlegungen, alle Wertungsfragen hinfällig werden.182 Das junge Ius publicum Europaeum gründete eben auf der Souveränität183 als seinem Axiom. Souveränität und Neutralität sind verschwistert.184 Weil »souveraineté« das Gravitationszentrum aller um die zwischenstaatlichen Beziehungen kreisenden Überlegungen ist, schrumpft die Kriterientrias des Bellum iustum auf die Frage nach der »auctoritas« ein, die Frage nach dem gerechten Kriegsgrund wird irrelevant – denn sie kann nur der Souverän selbst beantworten, er hat sich per definitionem, nach dem Begriffsverständnis des 18. und auch noch des 19. Jahrhunderts185, keiner richtenden Instanz, keinem ›Obersouverän‹ gegenüber zu verantworten. Souveraineté, immer nur souveraineté! Das war das neue Modewort, dem Neutralen konnte es recht sein. »Darf ein Volk neutral bleiben?«, fragt ein juristisches Repertorium von 1793 immerhin noch, aber diese Frage ist eine rhetorische. Natürlich darf »ein souveraines Volk ... vermöge seines unveräußerli182 Auch Bynkershoek deutet in seinem kurzen Neutralitätskapitel an, daß die nun universell maßgebliche Kategorie der Souveränität eine qualitative Beurteilung der Kriegsgründe durch Dritte hinfällig werden läßt: »... eccur Principes, qui sui juris sunt, meo judicio stabunt cadentve? mearum partium non est, omnes omnium Principum injurias vindicare« (Bynkershoek, Quaestionum juris publici libri duo, S. 71). – In Christian Wolffs Neutralitätskapitel grassiert nicht die »majestas«, aber die »res civitatis«, also die Räson des souveränen Einzelstaats. »Naturaliter utique licitum est, ut Gens in bello media sit, si e re civitatis fuerit bello potius abstinere, quam eidem sese immiscere«; oder, man konnte das gar nicht oft genug wiederholen: »Genti ... unicuique naturaliter licitum est, ut sit in bello media, si e re civitatis fuerit a bello potius abstinere«, dieser Nachsatz begegnet sogar wortgleich ein drittes Mal. Mehr noch: gegen seine Staatsräson darf sich ein Volk gar nicht an einem Krieg beteiligen, selbst, wenn es für ihn moralisch einwandfreie Gründe gibt (»in potestate ipsius non esse patet, ut bellum etiam justum gerenti opem ferat«): kein Recht auf Gerechtigkeit mehr! Die Zitate: Wolff, Jus gentium, S. 244f. 183 Wie sie als ›Souveränität der Herrschaft‹ postuliert worden war, sich dann zur Souveränität eines fest umgrenzten, territoriale Integrität beanspruchenden Staates auswuchs. 184 So stellen denn Relativierungen der einzelstaatlichen Souveränität auch die Neutralität wieder in Frage. Um als Historiker nicht über die Gegenwart schwadronieren zu müssen, erinnere ich an die Jahre der Anfangseuphorie über Völkerbund bzw. UNO: Modelle kollektiver Sicherheit, die ja, solang man wirklich an sie geglaubt hat, die Neutralität obsolet zu machen schienen. 185 Im 20. Jahrhundert wird man es wieder differenzierter sehen: (noch?) keine ›Weltregierung‹, doch Völkerbund bzw. Vereinte Nationen und Ansätze zu einer internationalen Strafgerichtsbarkeit. Man betont nun auch Pflichten des Souveräns: gegenüber der »Völkergemeinschaft«, gegenüber internationalen Institutionen.

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chen Rechts der Unabhängigkeit« in dieser Frage »frey beschließen«.186 Das 19. Jahrhundert wird es dann ohnehin so sehen. Werfen wir nur noch einen Blick ins seinerzeit überaus renommierte »Staats-Lexicon« von Rotteck und Welcker! Der 1841 gedruckte ausführliche Beitrag zur Neutralität187 setzt so ein: »Wenn zwischen zwei Staaten Krieg ausbricht, so hat ein dritter unabhängiger Staat das unbezweifelte Recht, neutral zu bleiben ... Niemals kann die blose Thatsache der zwischen den anderen ausgebrochenen Feindseligkeiten einem unabhängigen Staate das Recht benehmen, sich neutral zu halten; es ist dieses lediglich Sache seiner freien Entscheidung«.188 Auf dem Territorium des Neutralen dürfen grundsätzlich »keine Feindseligkeiten verübt werden«, keine Durchmärsche gesucht, keine Werbungen angestellt werden, »nicht sowohl weil seiner Neutralität dadurch zu nahe getreten, als weil in seine Hoheitsrechte eingegriffen würde«.189 Der Lexikonbeitrag illustriert, wie die Hypertrophierung der Souveränität und das Verblassen der Iusta causa miteinander zusammenhängen. Dem unbedingten Recht auf Neutralität wird das angefügt: »Auch ist ihm«, dem »unabhängigen Staate« nämlich, »nicht zuzumuthen, daß er die Ursachen des Krieges untersuche, und für die gerechte Sache sich entscheide; er hat das Recht neutral zu bleiben, und der Neutrale ist so wenig Richter als Partei«. Und, wenig später: Es sei ja völlig klar, daß »kein unabhängiger Staat seine Motive der Beurtheilung eines anderen unterzustellen pflegt«.190 Doch die Moderne will diese Studie ja nicht mehr ausleuchten. Machen wir stattdessen noch eine Gegenprobe! Reygers »Thesaurus Iuris Civilis et Canonici« von 1704 weiß in seiner knappen Erklärung der »Nevtralitas« noch nichts Positives zu sagen: »Periculosam esse impatet, quòd plerumque sine gratia et dignitate praemium fiant victoris«, außerdem sitzen die Neutralen in der uns ebenfalls schon sattsam bekannten fatalen mittleren Etage. Es folgt bezeichnenderweise ein Rückgriff aufs Ordnungskonzept der Christianitas: »Melius itaque est, se adjungere qui Religionem veram, aut patriae libertatem defendit. quia membri Ecclesiae sub uno capite sunt comprehensa, ad mutuam defensionem et auxilia. Et pro Religione pugnata bella sunt Domini«.191 Wenn Gott der Kriegsherr war, durfte man sich nicht neutral davonstehlen – das wäre die Applikation auf die Säkularisierungsthese. Hier interessiert uns mehr, daß Neutralität nicht recht ins Ordnungskonzept einer Christianitas paßt, das allen Gemeinwesen ihren Platz als »membri Ecclesiae« zuweist; problemloser fügt sie sich zu einer horizon186 Scheidemantel, Repertorium, Bd. 3, S. 611. 187 Carl von Rotteck/Carl Welcker, Staats-Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften, Bd. 14, Altona 1841, S. 284–309. 188 Ebda., S. 284 (Kursivsetzung von mir). 189 Ebda., S. 286. 190 Ebda., S. 284 bzw. S. 285. 191 Reyger, Thesaurus, Bd. 2, s. v. Nevtralitas.

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talen Ordnung gleichberechtigter, weil souveräner Völkerrechtssubjekte. Beide Gesichtspunkte zusammenfassend, können wir zweifelsfrei festhalten, daß Neutralität vorbehaltsloser florieren konnte, wenn sich Gemeinwesen nicht als »membri Ecclesiae sub uno capite«, sondern als allein ihrer Staatsräson verpflichtete autonome Staaten verstanden. 6.3.2.2 Und das Gleichgewicht? »So will auch keine Monarchia eintzige Neutralität dulden noch leyden, sondern verschlinget einen mit dem andern. Weil nun die Spannische Consilia alle auff eine allgemeine Monarchia gehen«, also auf die Hegemonie über Europa abzielen, »wird man sich auff der Gegenseyte«, eben im von Madrid dominierten katholischen Lager, »zwar eine Neutralität vff eine zeitlang, biß zu einer guten vnnd bequemen Occasion, da man sie nicht mehr wird dulden vnd leyden dürffen, belieben lassen, aber hernacher nicht mehr darvon hören wollen«192: Das prophezeit ein Pamphlet aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (nachdem zuvor wortreich nachgewiesen worden war, daß Neutralität sündhaft sei). Wir sahen schon in verschiedenen Zusammenhängen, daß sich der Neutrale nicht nur mit einem steilen moralischen Gefälle schwertat, auch mit einem machtpolitischen – beispielsweise suchte ich zu zeigen, wie in den späten 1620er Jahren, nach den spektakulären Triumphen Wallensteins und Tillys, die Macht der Waffen Macht über die Begriffe eintrug.193 Wir dürfen verallgemeinern: Jene Neutralität, die sich gut in eine horizontale Ordnung souveräner Völkerrechtssubjekte fügte, vertrug sich schlecht mit eklatant asymmetrischen Machtkonstellationen sowie mit hierarchischen oder hegemonialen Strukturen. Dürfen wir noch einen Schritt weitergehen, gibt es eine Affinität von Neutralität und Gleichgewicht? Es wurde in der Forschungsliteratur schon gelegentlich behauptet, zumeist beiläufig, immer vage, »zwischen beiden waltet eine Art Verwandtschaft und geheime Anziehungskraft«194 – warum und wann auch

192 [Anonym], Magna Horologii Campana, Tripartita, S. 65. Vgl. ebda., S. 112: »Neutralitet« greift nicht, »zuvorauß, weil sich das Hauß Osterreich eine Souverainitet vnd Monarchiam einbildete«. »Souverainitet« scheint hier für »Vorherrschaft« über Europa zu stehen, so wie durchgehend die »(allgemeine) Monarchia«. Was wir heute »Hegemonie« nennen, drückte die Frühe Neuzeit so aus: Es drohe eine »monarchia universalis«. 193 Vgl. oben Kapitel C.3.2.3.1. 194 Edgar Bonjour, Europäisches Gleichgewicht und schweizerische Neutralität, in: ders., Die Schweiz und Europa. Ausgewählte Reden und Aufsätze, Basel 1958, S. 14; wortgleich in Bonjour, Neutralität 1965, S. 35. Es bleibt so vage – beides verbinde der Wunsch, den Frieden zu erhalten, beides seien »Folgerungen des praktischen Menschenverstandes, der politischen Vernunft« (Europäisches Gleichgewicht, S. 18).

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immer, mal läßt man sie im 17. Jahrhundert195 »walten«, mal im 18.196 oder auch erst im 19197. Die Anziehungskraft muß so »geheim« sein, daß sie vormodernen Autoren nicht auffiel. Immerhin, Jean Bodin preist das Gleichgewicht in immer neuen hohen Tönen, und in einem solchen Zusammenhang (»il est dangereux aussi de souffrir que la puissance d’un Prince croisse en telle sorte qu’il puisse apres donner loy aux autres«, »il n’y a rien meilleur pour la seureté des estats, que la puissance des plus grands soit egale«198) heißt es: »... cela est bien vray, et n’y a plus grande occasion pour laquelle celuy qui est neutre, doit l’empescher199 tant qu’il pourra: car la seureté des Princes et des Republiques, gist en un contrepoids egal de puissance des uns et des autres«. Bodin sinnt nicht darüber nach, ob denn erst eine einigermaßen ausbalancierte Staatenordnung Neutralität zur realistischen politischen Option mache, er empfiehlt dem (warum auch immer) Neutralen, die schwächere Waagschale zu stützen. Unparteilich also mußte Neutralität für Bodin nicht sein – aber das ist hier nicht noch einmal unser Thema. Natürlich war seine Handlungsanweisung nur für starke Drittstaaten200 praktikabel. Ansonsten stieß ich nur noch auf diese beiläufige Bemerkung in einer Publikation von 1747: »Aliquando medius cursus a quibusdam tenetur, vt libertas et aequilibrium, conseruetur, ne neutra pars bellantium praepotens euadat.«201 Ehe man eine potentielle Hegemonialmacht auch noch als Allianzpartner zusätzlich bestärkte, ließ man sie ihre Kriege lieber allein ausfechten – auch dieser Autor behauptet nicht, daß das Gleichgewicht Neutralität ermögliche oder erleichtere; es zu stabilisieren, ist immerhin eines von diversen plausiblen Motiven für 195 So Bonjour, Europäisches Gleichgewicht, S. 13: »Es ist kein Zufall, daß das europäische Gleichgewicht und die schweizerische Neutralität zur selben Zeit, im siebzehnten Jahrhundert, ins allgemeine Bewußtsein traten und ihre scharfe Ausprägung erhielten«. 196 Oeter, Ursprünge, S. 470f.: »Die Koinzidenz zwischen dem Siegeszug des Gleichgewichtskonzeptes im politischen Denken der Praktiker und Publizisten zu Beginn des 18. Jahrhunderts und der wenige Zeit darauf erfolgten Ausformulierung der ›modernen‹ Neutralitätskonzeption wird man auf dem Hintergrund dieser politischen Prozesse [welcher? zuvor hatte Oeter die großen Friedenskongresse zwischen 1648 und 1714 aufgelistet] kaum als zufällig begreifen können.« 197 Der Gleichgewichtsgedanke sei einer der Gründe für die Etablierung eines Neutralitätsrechts im 19. Jahrhundert gewesen, findet Schindler, Aspects contemporains, S. 230f. Das 1815 verankerte Prinzip der immerwährenden Neutralität der Schweiz »folgt« unmittelbar aus dem 1815 dominanten »Konzept des militärischen Gleichgewichts«: Suter, Neutralität, S. 158. 198 Bodin, Les six Livres, S. 183; die folgende Empfehlung an denjenigen, »qui est neutre«, steht zwischen den beiden zitierten Sätzen zur Balance. 199 Vgl. letzte Anm.; der Neutrale muß also »empêcher«, daß die »puissance« eines Fürsten zur Hegemonie wird. 200 Also beispielsweise nicht für die von Bonjour (vgl. Anm. 194) anvisierte Eidgenossenschaft! 201 [Anonym], Praefatio, fol. b4.

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Neutralität. Daß Johann Philipp von Mainz nicht aktiv Frankreich stützte, sondern die Neutralität suchte, ja, von »Impartialität« sprach, charakterisierte der französische Reichstagsgesandte Jules de Gravel in einem Bericht nach Paris vom Oktober 1672 als Versuch einer Politik der »contre-balance«.202 Wenn die Projektskizze für eine oberrheinische Neutralitätszone203 befindet, es sei »recht de tempore ... weiln die sachen noch in aequilibris zu sein scheinen, ehe etwan ein glücklichs accident solche, wie leicht geschehen kann, verändert«: Dann ist kein austarierter Kontinent, immerhin eine gleichsam ausgeglichene Kriegslage, ein Patt zwischen den beiden Kriegsparteien im Visier. An vorletzter Stelle erwähne ich noch, daß ein »Kriegs Valet« von 1633 »Die Italianische Fürsten vnd Stände« diese Rumpelreime aufsagen läßt: »Wir müssen Valet seh’n halten,/ Vmbzuseh’n mit wems zuhalten,/ Vnd sehn gern die Mittelstraß,/ Das niemands zu hoch gienge was.«204 Denselben Fürsten wollte Diego de Saavedra Fajardo keinesfalls die Neutralität anempfehlen, seine Erläuterung der Pictura »nevtri adhaerendvm« schwenkt nach allgemein gehaltenen Warnungen vor der Neutralität so auf die den Autor eigentlich interessierende Apenninhalbinsel zurück: »Vnd die [italienischen] Fürsten betriegen sich sehr, wan sie vermeinen daß vnparteisch sein ein kräftiges mittel sey, die Spanische vnd Frantzösische macht in gleicher wage zu erhalten.«205 Damit ist meine kleine Liste von Äußerungen, die Neutralität und Gleichgewicht engführen, schon am Ende. Das Gleichgewicht hatte offensichtlich keinen festen Platz im vormodernen Neutralitätsdiskurs. Und man wird auch als moderner Historiker nicht ernsthaft behaupten wollen, Neutralität im Krieg setze ein exakt gezirkeltes Gleichgewicht und Konvenienzpolitik voraus. Neutralität fügte sich gut in ein Staatensystem mit juristisch gleichrangigen, weil gleichermaßen souveränen Gliedern, die natürlich machtpolitisch nicht alle gleich gewichtig sein konnten. Neutralität vertrug sich gut mit dem nun einmal vorhandenen Machtgefälle zwischen Großen und Kleinen – faktisch haben vor allem letztere wieder und wieder auf die Neutralität gesetzt, nicht jene Großen, denen es Jean Bodin oder Pedro de Ribadeneyra allenfalls anraten mochten –, aber sie vertrug sich nicht mit der Hegemonie eines einzigen Großen. Das Umfeld der Neutralität mußte nicht exakt austariert, durfte aber nicht hegemonial sein. Wie die Idee einer hierarchisch gestuften Staatenpyramide dem politischen Konzept der Neutralität gedanklich im Wege gestanden hatte, mußte es eine einpolige Hegemonialordnung faktisch verun202 Zit. nach Decker, Frankreich, S. 121. Meint: Habsburg dürfe nicht allzu sehr geschwächt werden, weil Frankreich sonst übermächtig werde. 203 Der wohl um die Jahreswende 1675/76 verfaßte, undat. Text kurpfälzischer Provenienz liegt in BayHStA Kasten blau 102/4 (unfol.). 204 Bartsch, Volkslieder, Anhang, Strophe Nr. 20. 205 »Dan es ist gewiß nöhtig, das man sich gern den Spaniern gewogen erzeige«: Saavedra, Abris Eines Christlich-Politischen Printzens, S. 1072.

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möglichen. Eine der Neutralität günstige Staatenwelt mußte nicht exakt austariert, aber mehrpolig sein. Neutralität gedieh bei juristischer Gleichberechtigung und machtpolitischer Vielfalt. Sie bedurfte einer horizontalen Staatenordnung souveräner, insofern gleichberechtigter Subjekte des Völkerrechts, die polyzentrisch und einigermaßen stabil war. Wir können zurückblicken: Auf den letzten Seiten, in den Kapiteln C.1 bis C.3, nach den konzeptionellen (ideen-, mentalitäts- und rechtsgeschichtlichen) wie strukturellen Voraussetzungen für die Herausbildung der Neutralität des klassischen Völkerrechts fragend, hoffte ich ja, daß im Umkehrschluß wiederum Licht auf diese Kontexte falle. Zuletzt war von strukturellen Rahmenbedingungen die Rede, von der Physiognomie des europäischen Staatengefüges. Dürfen wir die überlange Vorgeschichte der klassischen Neutralitätskonzeption als Indiz dafür nehmen, daß sich die Transformation der mittelalterlichen Christianitas ins horizontale Staateneuropa der Moderne nicht in einem bestimmten Schub zusammenballte, sondern über Jahrhunderte hinweg erstreckte?206 Wir sahen ja schon207, daß die Geschichtswissenschaft lange Zeit wie selbstverständlich davon ausging, das moderne Mächteeuropa habe sich in den Kriegen um die Apenninhalbinsel seit 1494 herausgebildet; daß indes manche Mediävisten widersprachen, »die Anfänge des europäischen Staatensystems im späteren Mittelalter« verorteten; daß umgekehrt zuletzt Neuzeithistoriker dazu tendieren konnten, den Initialschub viel später zu datieren, der Westfälische Friede sei die Geburtsstunde gewesen, er habe die Pyramide entgipfelt, das alte Ordnungsmodell Europas außer Kraft gesetzt. Die Wahrheit wird nicht einfach ›in der Mitte liegen‹, aber haben alle drei Positionen insofern ihre Berechtigung, als es sich tatsächlich um einen sehr langwierigen, vom 14. bis ins frühe 18. Jahrhundert reichenden Transformationsprozeß handelt? Die lange Inkubationszeit der Neutralität des klassischen Völkerrechts spricht dafür. Der Befund paßt zu einigen (mehr oder weniger neuen) Einsichten in anderen für die vormoderne internationale Politik wichtigen Segmenten: so zur ›Karriere‹ jenes Gleichgewichtsgedankens, der sich schon um 1500 nachweisen läßt, um doch wohl erst im 18. Jahrhundert zum regulativen Prinzip der europäischen Politik zu werden; oder dem langen Weg vom Grenzsaum zu jener linearen Grenzlinie, die Mediävisten schon im 13. Jahrhundert gesichtet haben wollen, während der Neuzeitler im Archiv auf zahlreiche Grenzstreitigkeiten noch des 206 Gewiß könnte man diesen Transformationsprozeß als Facette der vielbeschworenen, vielen ominösen, aber als heuristische Kategorie doch unverzichtbaren »Säkularisierung« des einst christlichen Abendlandes nehmen – so gesehen, beleuchtet Kapitel C.6.3 jene Säkularisierung nur von einer anderen Seite her als Kapitel C.6.2, wo die Archäologie der klassischen Neutralität in eine Säkularisierung der Diskurse über Krieg und Frieden eingebettet worden war. 207 Vgl. nämlich Kapitel A.3.2.

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17. Jahrhunderts stößt. Diese lange Inkubationszeit zeigt uns auch, wie langsam das an den Schreibtischen des 16. Jahrhunderts bereits antizipierte Völkerrecht tatsächliche Relevanz gewann: den zwischenstaatlichen Verkehr stabilisierte, Verhaltenserwartungen kalkulierbar machte.

6.4 »Neutralitet wider das oberhaupt« – Neutralität verstößt gegen »gehorsam« und »trew« 6.4.1 Präliminarien; und einige weitere Seitenblicke aufs Baltikum Eine Flugschrift von 1745 appliziert die soeben thematisierte Affinität Souveränität-Neutralität so aufs politische System des Reiches: Nur, wenn eine »fremde Potentz« einen Reichsstand »offensive« angreife und der sich allein nicht wehren könne, müßten ihm die anderen Reichsstände beispringen. Andernfalls hätten sie »die Freiheit«, sich »nach ihrem besten Gutdüncken« zu verhalten, zumal sie 1648 »alle mit der Souverainität verknüpffte jura, besonders aber das Recht ... Krieg zu führen ... zugeschrieben« bekommen hätten, »wie viel mehr dann stehet es nicht in eines jeden Stands Belieben beständig in seiner Ruhe zu verharren«.208 Bei katholischen Separatbesprechungen am Rande der eidgenössischen Jahresrechnungs-Tagsatzung zu Baden am 30. Juni 1675 ließ der Bischof von Basel erklären, der Kaiser habe noch keine Neutralität im Holländischen Krieg zugestanden, sie bäten deshalb »um Schuz für das durch den deutschen Frieden jedem Reichsfürsten zugesicherte Recht, bei eintretendem Kriege sich neutral halten zu dürfen«.209 Natürlich haben die Basler Rechnungsprüfer so wenig Recht wie unser Flugschriftenautor. Die Reichsstände bekamen 1648 weder ein »Recht« auf Neutralität noch überhaupt neue »jura«, es wurden damals lediglich, mit anderen Kriegsfolgelasten, zentralistische Deformationen des politischen Systems in den Kriegsjahren beseitigt – man lenkte zum verfassungspolitischen Vorkriegszustand zurück. Zu ihm hatte auch gehört, daß Reichsstände tradtionell eine quasistaatliche Außenpolitik betrieben, Diplomaten ausschwärmen ließen, nach Bedarf und Kräften eigene Armeen unterhielten. Außerdem pflegten sie mit anderen Reichsständen wie mit ausländischen Kronen Allianzen einzugehen. Dieses Gewohnheitsrecht auf Bündnisse konnte man seit 1635 vom Prager Frieden infragegestellt sehen210, deshalb wurde es im Westfälischen Frieden (IPO Art. VIII 208 [Anonym], Wird das Reich?, S. 21. 209 Pupikofer/Kaiser, Eidgenössische Abschiede, Bd. 6.1, Nr. 622. 210 Der Prager Frieden äußert sich nicht grundsätzlich zu einem reichsständischen Bündnisrecht, erklärt aber existierende Bündnisse außer dem Kurverein für aufgelöst. Konkret betraf diese Bestimmung damals die katholische Liga.

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§ 2) bekräftigt – freilich auch durch eine Zweckbindung und durch ein Verbot präzisiert, ja, man darf schon sagen: eingeschränkt.211 Wenn Reichsstände »pro ... conservatione ac securitate«, also zum Selbstschutz Bündnisse suchten, durften sich diese fortan nicht »contra Imperatorem et Imperium« richten. Umfassender waren den Reichsgliedern schon unmittelbar davor (IPO Art. VIII § 1) alle ihre rechtlichen Besitzstände bestätigt worden: »In antiquis suis iuribus ... stabiliti firmatique sunto«. Bündnisse von Reichsständen – es hatte sie seit Jahrhunderten gegeben, immerhin stand nun, was vorher eben gewohnheitsmäßig praktiziert worden war, in einem Reichsgrundgesetz. Damit war es unangreifbarer, war es zumal außerhalb des Reichszusammenhangs mit seinen komplexen ungeschriebenen Spielregeln leichter einsichtig und verstehbar, kurz, war es im diplomatischen Gespräch einfach griffiger zu handhaben als die Berufung auf Reichsherkommen und Libertät. Nicht nur Publizisten, auch Diplomaten konnten deshalb auf das ›Bündnisrecht von 1648‹ rekurrieren. Drei Tage, nachdem ein »Conclusum« der beiden oberen Kurien scharfe »avocatoria« gegen die Neutralen des Holländischen Krieges angemahnt hatte212, steckte der Vertreter Kurbayerns im Regensburger Fürstenrat, Franz Gotthard Delmuck, schon einmal so die Verteidigungslinien ab: Man wird die Gewohnheit der »Directoria« geißeln, die Anträge »gleich ohne gewonliche umbfraag hindurchzubringen«; sowie, weiter tragend, auf die »iura statuum« verweisen. Einige Wochen später warf eine Regensburger Relation diese für Delmuck rhetorische Frage auf: Sind die »avocatoria« überhaupt mit dem Westfälischen Frieden vereinbar, der den Ständen doch ausdrücklich »foedera cum Exteris« einräumt?213 Das ›Bündnisrecht des Westfälischen Friedens ‹ konnte, wiewohl so ein ›Bündnisrecht‹ 1648 ja nicht eigentlich innovativ gewesen war, zur Chiffre für ein Recht auf eigenständige Außenpolitik werden, zum Inbegriff des Ius pacis ac belli. Dieser 1648 normativ fixierte Traditionstatbestand stellte Reichsstände in ein eigenartiges Spannungsverhältnis, einerseits waren sie untergeordnete Glieder eines politischen Systems (namens Heiliges Römisches Reich deutscher Nation), andererseits agierten sie als Völkerrechtssubjekte. Es gab noch ein für unser Thema wichtiges Spannungsverhältnis. Gewiß, zu den »iura« der Reichsstände gehörte traditionell, seit 1648 auch nominell, das Bündnisrecht. Aber das Alte Reich kannte nicht nur Rechte und Pflichten, auch Schutz und Gehorsam. Das Alte Reich war ein politisches System, dessen 211 Allgemein dazu, mitsamt den hiervon abweichenden älteren Forschungspositionen, Gotthard, Preußens deutsche Sendung, zusammenfassend: S. 364f.; populärwissenschaftlich: Gotthard, Das Alte Reich, S. 87. 212 Ich fasse knapp zusammen, vgl. zum Conclusum vom 28. Mai 1674 (Kopie: BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3406, fol. 439f.) schon oben S. 584. 213 Relation Delmucks vom 1. Juni 1674 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3406, fol. 452; vgl. ganz ähnlich dass. vom 27. August (Or.), Äußeres Archiv 3407, fol. 353–355.

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Regelwerk allen Gliedern bestimmte Rechte und Verpflichtungen zuwies; und war ein Lehnsverbund, dessen Spitze von den Vasallen Gehorsam und Treue einfordern konnte. Die Kaiser des 16. und 17. Jahrhunderts spielten die ganze Klaviatur, gern mit gemischten Tönen: betrieben also bewußt keine trennscharfe Scheidung zwischen der Rolle des zu bestimmten Bedingungen214 gewählten Reichsoberhaupts und der Rolle des obersten Lehnsherrn. Routinemäßig, im reichspolitischen Alltag, also ohne vordergründig lehnrechtliche Bezüge pflegten Wiener Schreiben die Reichsfürsten als »gehorsame« Reichsstände zu apostrophieren, pflegten sie jene »pflichten und ayd« ins Spiel zu bringen, mit denen die Glieder dem Reich und »Kayserlicher Majestet verwant« seien. Solche Rhetorik konnte, scheinbar banal, irgendwelche fiskalischen Forderungen flankieren, politisch brisanter war es schon, wenn die Wiener »Gehorsams«-Rhetorik auf mißliebige außenpolitische Aktivitäten der Reichsstände reagierte – denn diese betrieben ja quasistaatliche Außenpolitik, vor und nach 1648, seitdem nicht mehr nur nach Gewohnheitsrecht. Weil die Hofburg auf »Gehorsam« und »Trew« pochte, konnte es in Wiener Perspektive auch keine »neutralitet« im Reichsverband geben – nicht bei (vornehmlich oder auch215) internen Auseinandersetzungen wie dem Schmalkaldischen, dem Fürstenkrieg, dem großen deutschen Konfessionskrieg seit 1618, nicht, wenn die Reichsspitze den ganzen Reichsverband gegen einen auswärtigen Herrscher zu mobilisieren versuchte (wie im Französisch-schwedischen Krieg seit 1635 oder im Holländischen Krieg). Die Hofburg pflegte dann gewohnheitsmäßig den Gehorsam des Reichsglieds, die Treue des Vasallen einzufordern.216 Dem Reichsoberhaupt gegenüber konnte man folgsam sein oder aber ungehorsam, tertium non datur. Dem obersten Lehnsherrn konnte man seine Loyalität erweisen oder aber untreu sein, tertium non datur. Gewiß konnten lehnrechtliche Bindungen auch außerhalb des Reichsverbands ins Neutralitätsthema hereinspielen – doch weil hierzu kein Forschungsstand existiert und außerdeutsche Archivbestände so wenig »eingescannt« sind wie deutsche schon elektronisch nach Suchworten durchforstet werden könnten, 214 Wie sie die jeweilige Wahlkapitulation, der Kompetenzkatalog des Kaisers, festschrieb. 215 Natürlich nehme ich hier die Perspektive der Hofburg ein – noch nicht einmal die Ligahöfe sahen sich ja seit 1618 mit einer »Rebellion« konfrontiert. Wir stießen auf solche Fragen der Nomenklatur (»Krieg«, »Bürgerkrieg«, »Rebellion«, »Freiheitskampf«) weiter oben immer wieder. 216 Das verdiente unbedingt einmal eine flächendeckende Untersuchung, die nicht nur spektakuläre kriegerische Aufgipfelungen, sondern auch das querelenreiche Kleinklein des reichspolitischen Alltags ins Visier nehmen müßte. In allen mir näher bekannten Konflikten übte die Hofburg im angedeuteten Sinne Druck aus, taten das die entsprechenden Ratsgremien nicht einfach mit leichter Hand ab, sie waren mehr oder weniger davon beeindruckt – nicht zuletzt dieses »Mehr oder Weniger« (Korrelation zur Größe des Reichsterritoriums, seiner geostrategischen Lage, Südnordgefälle?) bedürfte natürlich einer Präzisierung.

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läßt sich Genaueres hierzu vorerst nicht sagen. Auf ein einziges nichtreichisches Gebiet wenigstens will ich einige Seitenblicke werfen: das baltische Kurland, ein Lehnsfürstentum der Krone Polen – auch in den anderen Kapiteln dieser Studie fiel dorthin ja immer wieder Streulicht. Wir wissen schon, daß sich die Mitauer Regierung »neutral« aus dem polnisch-schwedischen Krieg der 1620er Jahre wie aus dem Ersten Nordischen Krieg der 1650er Jahre herauszuhalten suchte. In der Begleitpublizistik zum letzteren spielt die Lehnsabhängigkeit des Herzogs eine gewisse Rolle, die prokurländischen Flugschriften beteuern, er habe »von beyden« Kriegsparteien, Rußland wie Schweden, »mit Zulaß Seiner Oberkeit«, also des Polenkönigs, »die Neutralität erhalten«.217 Auch die Sympathisanten (oder Lohnschreiber?) Herzog Jakobs betonen also nicht etwa, dieser habe von sich aus, eben als Staatsoberhaupt, jederzeit für die Neutralität optieren können; vielmehr soll die explizit erwähnte Erlaubnis der Krone Polen die Validität der kurländischen Neutralität unterstreichen. Etwaige Spannungsverhältnisse zwischen Neutralität und vasallitischer Treue werden über- oder heruntergespielt218. Eine offenbar offiziöse proschwedische Arbeit führt unter den Gründen, die es Karl X. Gustav schließlich unmöglich gemacht hätten, die prätendierte kurländische Neutralität länger zu dulden, auch an, daß Herzog Jakob »ein Polnischer vnd also eines feindlichen Reiches Vasall ware«.219 Als der kurländische Emissär Grotthuss im Februar 1626 am Rand des polnischen Reichstags wegen der Neutralität Mitaus im polnisch-schwedischen Krieg sondierte, erwiesen sich die Lehnsbande nach Ausweis seiner Relationen mehrfach als hinderlich. So habe ihm ein auf die Neutralität angesprochener Senator skeptisch erklärt, daß »es ein gar schwer sach ist, wen geschworne Underthane, mit ihres herren feindt sollen neutraliteten auffrichten«.220 Rückblickend zusammenfassend, warum König Sigismund eine Neutralitätsurkunde für 217 [Anonym], Kurtze aber doch gründliche Wiederlegung, fol. Aiiij. 218 Mit anderen Worten: werden gar nicht erwähnt oder etwa in dieser Manier ›harmonisiert‹: Der Herzog von Kurland hatte alle Ursachen, sich auf seine »beständige Neutralität« verlassen zu dürfen, natürlich durfte er auch »mit gutem Gewissen der Pflicht, da Er Pohlen mit verwandt war, nicht abweichen«, keiner konnte ihm zumuten, daß er, nur weil man das in Stockholm gern so gesehen hätte, »Pohlen verlassen, mit Muscow Feind werden« würde: ebda., fol. Biiij. 219 [Anonym], Ursachen Wodurch, fol. C. Es handelt sich freilich, aufs Ganze gesehen, um ein Nebenmotiv, die Schrift reitet auf anderem herum. Der Kontext des Zitats: Herzog Jakob suchte in Stockholm »umb confirmation« der Neutralität nach, die wurde ihm »abgeschlagen«, und zwar zu Recht, »weilen es nicht wol raison haben konte, daß dieser Herr, der ein Polnischer vnd also eines feindlichen Reiches Vasall ware«, in einer Lage, da sogar Preußen und der Berliner Kurfürst »zu Schweden devotion sich ergaben«, »allein hätte einer anderen condition sollen seyn, als alle die übrige«. 220 Zit. nach Keller, Herzog Friedrich von Kurland, S. 156.

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Kurland verweigert habe, nannte der Gesandte fünf Gründe, »erstlichen« diesen: »dass es bey andern Potentaten nicht gebräuchlichen wehre, ob sie gleich die von ihren unterthanen mit dem feinde gepflogene Neutralitet per conniventiam221 tolerirten«.222 Über die Neutralität des Lehnsmannes konnte man einmal hinwegsehen, genau betrachtet, stand sie ihm nicht zu. 6.4.2 »Comme prince electeur et nre vassal et du st empire«: Neutralität und Lehnsbande im 16. Jahrhundert Das sahen die Habsburger nicht anders als die katholischen Wasa. Karl V., dieser sonst doch so prinzipienstarre, rechthaberische, wenig geschmeidige Kaiser, ging, als er den schmalkaldischen Konfessionskrieg vorbereitete, erstaunlich flexibel vor.223 Während er den evangelischen Reichsständen gegenüber Expansionsgier und Machtrausch der schmalkaldischen Fürsten geißelte, die die »religion ... allain zu ainem teckmantel und beschönung ires unpillichen furnemens« mißbrauchten, verhehlte er den katholischen Reichsständen nicht, daß »disser handel«, nämlich der von ihm beabsichtigte Militärschlag, »allermeynst die christlichen religion« betraf. Die Sprachregelung war also eine je spezifische, doch begegnet überall die zentrale Kategorie des »gehorsams«. Karl besaß »kein ander mittel« mehr, um die Schmalkaldener »zu gepuerendem gehorsam zu bringen, dann die weg der schörpf und notwher«. Waren dann nicht auch neutrale Zuschauer »ungehorsam«? Reichsvizekanzler Johann Naves sollte im Juni 1546 dem Heidelberger Kurfürsten Friedrich verdeutlichen, daß Karl von ihm »comme prince electeur et nre vassal et du st empire« aktive Unterstützung und keine »parolles generales« erwarte.224 Als Friedrich trotzdem in letzter Minute zu vermitteln suchte, machte ihm Karl unzweideutig klar, daß er auf »gehorsam« bestehen, »ungehorsamb« bestrafen müsse225 – in diesem Kontext war klar, wie der folgende, sonst blasse Appell zu lesen war: Friedrich werde sich »aller gebure, und wie ime seinem standt und wurden nach wol

221 Die gängigen, auf klassisches Latein fixierten Wörterbücher kennen das Substantiv nicht. Die Frühe Neuzeit meinte damit, was sie deutsch gern so ausdrückte: »durch die finger sehen« ­­– modern gesagt: »fünf grade sein lassen«, »es einmal nicht so genau nehmen«. 222 Der rückblickende Bericht vom 23. April 1626 ist abgedr. bei Seraphim, Materialien, S. 49. 223 Das ist neuerdings noch besser belegt: RTA, Bd. 17, Nrr. 76–87. Die folgenden Zitate: Nr. 77 bzw. Nr. 80. 224 Instruktion auf Naves vom 15. Juni 1546: Hasenclever, Die Kurpfälzischen Politik, Beilage Nr. VII. 225 Vgl. RTA, Bd. 17, Nrr. 88–92.

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ansteet« zu verhalten wissen.226 Einem (zudem prominenten227) Glied des Reichs und Vasallen Karls gebührte Parteinahme. Einem anderen Vasallen des Kaisers konnten es sogar seine Landstände ins Stammbuch schreiben: Der Albertiner Moritz habe dem Kaiser zu »parirn«, erklärten sie, »zuforderst der pflicht halben, domit« er dem Kaiser »als der belehnte furst des hl. reichs verwandt« sei.228 Es mag im schrillen rhetorischen Kampf zwischen »Gott« und »Teuffel«, »teutscher freyhait« und »spanischer servitut« auf den ersten Blick nicht weiter auffallen, aber die Neutralen hatten sich im Schmalkaldischen Krieg auch des Verdachts zu erwehren, »ungehorsame« Reichsglieder und »untrewe« Vasallen zu sein. Als sich Moritz diesem Verdacht durch seine späte, dann freilich entschiedene Parteinahme für Karl doch noch229 entwand, legten »eine Reihe« von (offiziösen?) Liedern »in aller Breite« dar, daß der Herzog seit dem Herbst 1546 »nur seinen Verpflichtungen als Lehensmann gegenüber Kaiser und Obrigkeit gefolgt sei«.230 Lediglich am Rande erwähnen will ich, daß die Folgsamkeit der »ordentlichen obrigkhait«231 gegenüber im Gefüge der bayerischen Scheinneutralität eine andere Rolle gespielt hat – als Schutzschild gegen evangelische Zudringlichkeiten. Wilhelm betonte stets, daß es gar nicht in seiner Macht stehe, die kaiserlichen Truppen von seinem Territorium fernzuhalten, aber diese Beteuerung konnte der Verweis auf Loyalitätspflichten flankieren. Von einem Spannungsverhältnis zwischen Neutralität und »gehorsam« sollten wir indes in diesem Fall wohl nicht sprechen (auch wenn Karl die bayerischen Gefälligkeiten gar nicht weit genug gehen konnten), der Kaiser und sein scheinneutraler Quasiverbündeter hatten eine gemeinsame Sprachregelung erarbeitet.232 226 Karl V. an Kurfürst Friedrich, 1546, Juli 27: ebda., Nr. 92. 227 Die Kurfürstenwürde! Die Kurfürsten galten, um es mit zwei in der Frühen Neuzeit grassierenden Topoi zu sagen, als »furderste glieder« des Reiches wie als »innerste rät« des Kaisers. Man beachte die Reihenfolge der für Friedrich verfänglichen Rollenzuschreibungen (Kurfürst, Lehnsmann, Reichsglied) in der eben genannten Instruktion auf Naves! 228 Gutachten des sächsischen Landschaftsausschusses vom 29. August 1546: Brandenburg, Korrespondenz, Bd. 2, Nr. 994. Bezeichnenderweise wurde das Postulat auf diese Diagnose gestellt: wenn es stimme, daß es sich nicht um »religion- sondern profansachen« handle, dann ... Karl wußte schon, warum er den Konfessionskrieg als Landfriedensexekution verkleidete! 229 Sorgen des da noch neutralen Herzogs, man werfe ihm Ungehorsam vor: Brandenburg, Moritz, Bd. 1, S. 430. 230 Kerth, Landsfrid, S. 217. 231 Daß sie von ihm verlangen, dem Kaiser die Möglichkeit zu »versperen«, »Kriegsfolckh anzunemen« und durch bayerisches Territorium zu führen, geht nicht an, Karl ist »unnser ordentliche obrigkhait«: Wihelm an die schmalkaldischen Kriegsfürsten, 1546, August 6 (Kpt.kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 2100, fol. 19–21. 232 Karl an den Bayernherzog, 1546, August 8 (Or.), ebda., fol. 89f.: da ihn Wilhelm fragte, wie er denn die zudringlichen Kriegsfürsten beantworten solle, hat er »nit underlassen wellen«, Grundlinien der herzoglichen Antwort auf einem beiliegenden »zettel« festzuhalten. Dieser

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Als sich fünf Jahre später zahlreiche Reichsstände zu »neutralen« Zuschauern beim Ringen zwischen der Fürstenallianz und Karl V. erklärten, versuchte der, aus seinen persönlichen Kalamitäten eine Notlage von Kaiser und Reich zu machen, die Loyalität der Reichsglieder und Vasallen erheische. Er appellierte an die »gehorsamen Fürsten«, die »gehorsamen Stände«, sich als »treu« zu erweisen233, sich zu verhalten, wie es »gehorsamen fursten« nun einmal gebühre.234 »Als Jrem und des reichs gehorsamen fürsten« mußten sie Karl »als Jrem rechten ainigen herrn Jn crafft Jrer gethanen Pflicht, und schuldiger gehorsam, getreulich beystehen, und anhangen«.235 Die nie fehlenden Zentralbegriffe waren »gehorsam«, »treu« und »pflicht«, letztere galt tautologisch dem Reich und seinem Oberhaupt.236 Karls Widersacher waren die »untrewen«.237

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»zettel« (ebda., fol. 91) führt, wenig überraschend, aus: »Den Schmalkaldischen solte auf dise maynung zu antworten sein, Nemblich dieweil die Romisch Kaiserlich Maiestat, des Fursten von Bayren Rechter natürlich Herr und Obrigkait«, die kaiserlichen Truppen ferner schon im Territorium stünden, könne Wilhelm den schmalkaldischen Hilfsappellen nicht nachkommen. Der Bayernherzog hielt sich an diese Vorgabe – vgl. nur Instruktion für eine Gesandtschaft ins schmalkaldische Heerlager, 1546, August 11 (Or.), Äußeres Archiv 2103, fol. 41–44: Hat »bedacht, das uns unser pflicht nach, damit wir der Kay. Mt. dem gemainen Reichs aid nach verwant, nit gepurn welle, Irer Mt. ordnung zugeben oder zuwärn«, daß er »ain kriegsfolgkh annemen solle«. Die Münchner hatten aber ohnedies schon immer auf dieser Linie argumentiert, vgl. nur Leonhard Eck an Gereon Sailer, 1546, Juli 18 (Kpt. kopie), Äußeres Archiv 2098 (unfol.): »Was wir besorgen muessen, so sich S. g. wider den Kaiser als sein obrigkait gesetzt hette«, kann er ja »wol ermessen«. Der Kaiser an Herzog Albrecht von Bayern, 1552, Mai 25: Druffel, Briefe und Akten, Bd. 3, Nr. 1444 (Anm. 1: »Man wird annehmen dürfen, dass ein gleiches Schreiben auch an andere Fürsten abgesandt wurde«). Vgl. beispielsweise noch ebda., Nr. 1212. Der Kaiser an Herzog Christoph von Württemberg, 1552, Juli 2: Ernst, Briefwechsel, Bd. 1, Nr. 672. Werbung Schwendis bei Albrecht von Bayern, 1552, Februar 2 (Kopie), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4525, fol. 2–5; die zitierte Passage ist als die zentrale am Rand markiert, zum Teil auch unterstrichen. Wortgleich: Werbung des Grafen Philipp von Eberstein in Stuttgart, 1552, März 5, Kopie: ebda., fol. 28–32. Für Dutzende ähnlicher Formulierungen: äußert das »begeren ... Jr wollent in solcher eur pflicht damit Jr uns und dem heiligen reich verwandt bedenckhen und erwegen und desselben nutz frommen und uffnemen mit solcher redlichkeit treu und fleis befürdern helffen, als Jr zu befurderung des gemeinen nutzs zuthun schuldig«: Karl V. an die Passauer Versammlung, 1552, Juni 30 (Kopie), BayHStA Kasten blau 105/4a, fol. 329–331. Oder Mandat Karls V., 1552, Juni 4 (Or.), Kurbayern Äußeres Archiv 4526, fol. 239f.: befiehlt hiermit mit kaiserlicher »macht bei den pflichten damit euer jeder uns und dem reich zugethan und verwant ist«, dies und das zu leisten (Proviant, Geschütz, Munition ...). Wieder für viele vergleichbare Formulierungen: Moritz und seine Anhänger sind die »aufrurigen« bzw., mehrmals, die »untrewen«, man merkt ja, »mit was untrewen die Aufrurigen das Reich Teutscher Nation meinen«, hingegen wird sich Friedrich als »getrewer und gehorsamer« Kurfürst erweisen ...: Karl V. an Friedrich von der Pfalz, 1552, Mai 25 (Or.), BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3169 (unfol.).

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Sie zerstörten die eherne »ordenung«.238 In dieser dichotomischen Weltsicht hatte Neutralität keinen Platz. Die Neutralen waren sich eines Spannungsverhältnisses ihrer politischen Option zum politischen System des Reiches und zum mitteleuropäischen Lehnsverbund durchaus bewußt. Eigentlich sei Albrecht wie alle Reichsstände dem Kaiser »zu gehorsam und treuen verpflicht«, gutachteten die Räte des Bayernherzogs, doch umgekehrt der Kaiser aufs Wohl des Reiches und seiner Territorien239 – die indes »verderbt« würden, in »täglicher gefar unnd sorgen« stünden, ohne daß Karl Abhilfe bringe. Die bayerischen Hofräte rechtfertigten hier Neutralität intern so, wie die Kriegsgegner Karls V., in der aktuellen Auseinandersetzung wie fünf Jahre zuvor, ihren Waffengang vor sich selbst und nach außen hin legitimiert hatten: Der Kaiser kam seinen Amtspflichten nicht nach, hatte damit den Anspruch auf unbedingte Folgsamkeit verwirkt. Wenn Reichsstände zu »Gehorsam« und »Treue« verpflichtet waren, unterschieden sich Neutralität und Kriegsgegnerschaft allenfalls graduell, durch die Schwere des Verstoßes gegen die Loyalitätspflichten eines Reichsglieds. Zu den Folgeerscheinungen des Fürsten- und des Markgrafenkriegs gehört der Heidelberger Verein, im Grunde ein Neutralitätsbündnis. Daß es im Juni 1554, während des Wormser Bundestages, so polarisiert wurde, daß es danach nur noch auf dem Papier stand, hatte verschiedene Gründe240 – ein wichtiger war das Spannungsverhältnis zwischen denjenigen Bundesmitgliedern, die sich in den aktuellen politisch-militärischen Auseinandersetzungen weiterhin neutral verhalten wollten, und denen, die dem Kaiser sowohl bei der Vollstreckung der über den Kulmbacher Markgrafen verhängten Reichsacht als auch gegen die (nach Metz, Toul und Verdun ausgreifende) Krone Frankreich zur Seite gehen wollten. Bezeichnenderweise nannten sich letztere selbst »gehorsame Stände«.241 238 Karl an die rheinischen Kurfürsten, 1552, April 2 (Kopie), BayHStA Kasten blau 105/2a, fol. 140–143. Das Schreiben nimmt die Gegenpropaganda um »libertet« und »viehische spanische servitut« auf: Es geht jetzt »weder umb des Landgraven erledigung, noch der Teutschen Nation libertet«, sondern um die Rettung von »ordenung« und »herkommen«, die Kriegsfürsten haben vor, das Reich »einem frembden gewaldt, und viehischer dienstparkeit zuunderwerffen«. Die Adressaten »und andere gehorsame Stende des Reichs ... müesten zusamenthun« und dem »fewer« Einhalt gebieten – Neutralität kam also nicht in Frage (Kursivsetzung von mir). 239 »So ist doch auch entgegen Ir. Mt. zu merung deß heiligen Reichs, unnd ainen yeden Reichs stannd bey Recht, friden, alltem herkhomen, unnd freihaiten, zeschutzen, schirmen, unnd zuerhallten nit weniger verpunden«: Gutachten der Münchner Räte für Herzog Albrecht, s. d. [vom Bayernherzog am 9. Juli 1552 gelesen], BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 4526, fol. 257–259. Ich zitierte aus dem Gutachten schon weiter oben: S. 563 mit Anm. 98. 240 Bündiger Überblick: Heil, Albrecht V., S. 79–82. 241 Siehe Sicken, Heidelberger Verein, S. 399.

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Sie parierten eben den kaiserlichen Mandaten, auf solche nicht zu reagieren, weil man ja »neutral« sei, war aus der Sicht der »gehorsamen Stände« Inoboedienz; auch die Loyalitätspflichten der Reichsglieder untereinander konnten Neutralität legitimatorisch erschweren242, so spätestens seit der Verhängung der Reichsacht das Postulat der gemeinsamen Landfriedenssicherung. Unter dem Dach des Reichsverbands traten zu den europaweit üblichen Spannungsverhältnissen – zwischen Neutralität und Bellum necessarium, Neutralität und alteuropäischem Ehrenkodex, Neutralität und Forza-Kalkül der frühen Politologie – weitere, reichsspezifische hinzu. Auch eine kleine, noch nicht einmal für den Jülicher Erbfolgestreit bedeutsame, aber in unserem Zusammenhang vielleicht doch nennenswerte Episode vom Niederrhein kann es illustrieren: Im Juli 1610 hatten sich Abt und Kapitulare zu Siegburg in einem Vertrag mit Kurbrandenburg und der Pfalzgrafschaft Neuburg243 verpflichtet, »hinfüro dem einen noch andern Theil sich nicht beypflichtig machen, sondern in terminis neutralitatis verbleiben« zu wollen. Im März 1615 nahm der Abt dennoch einige wallonische Soldaten in spanischem Sold auf, angeblich auf kaiserlichen Befehl. Für die Kurbrandenburger war das ein Verstoß gegen die Neutralität, rasch wurden Emissäre in der Abtei vorstellig, ein neuer Vertrag wurde aufgesetzt244: Man habe »zu Abwendung besorgten und bedroheten Unhails etliche wenig Soldaten, von wegen der Röm[ischen] Keys[erlichen] Majest[et] eingelassen, deroselben sich im Notfall, allein für Salveguardy zu gebrauchen, folgends aber vernommen, daß ein solches in viel wege übel gedeutet und ferner ubel außgesagt unnd verstanden werden wollen«, weshalb man die Soldaten »wider gütlich abfertigen und dem vorigen schrifft- und mündlich beschehehen Zusagen, und Verpflichtungen nach Neutral verebleiben« werde. Die Siegburger akzeptierten also vorübergehend die brandenburgische Interpretation ihrer Neutralität, doch schwenkte Abt Gerhard III. dann zurück: Er habe die Soldaten nun einmal »im Namen Keys[erlicher] May[estet] auffgenommen«, fiel ihm wieder ein, und müsse dem obersten Lehnsherrn gehorsam sein245, könne den Vertragsentwurf deshalb nicht ratifizieren.

242 Instruktiv hierfür auch das bei Druffel/Brandi, Briefe und Akten, Bd. 4, Nr. 182 abgedruckte Schriftstück (darf man das Reichsglied Moritz von Sachsen einfach im Stich lassen?). 243 Der Vertrag vom 13. Juli 1610 ist unter falschem Datum abgedr. bei Langenburg, Discvrs: Beilage A. 244 Dann freilich vom Abt nicht ratifiziert; der Vertragstext vom 15. März 1615 ist ebda. als Beilage D abgedr. 245 Langenburg, Discvrs, S. 79; wir dürfen dem Autor hier glauben, er selbst hatte die Neutralitätsverletzung vor Ort gerügt und den neuen, dann nicht ratifizierten Vertrag aufsetzen helfen. Ich ging auf die Siegburger Neutralität in einem anderen Zusammenhang schon weiter oben kurz ein: S. 567 mit Anm. 110.

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6.4.3 Neutralität zwischen territorialer »ratio status« und Reichspatriotismus 6.4.3.1 Inwiefern Wiener Gehorsamsappelle in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wirkten und wo nicht Neutralität verlor das Odium des Ungehorsams nicht ausgerechnet während des Dreißigjährigen Krieges, in Jahren stärkster Polarisierung, exzessiver Parteilichkeit wie kaiserlicher Parteinahme, aber auch kaiserlicher Zentralisierungsanstrengungen246. Sich »neutral« zu verhalten, wenn es politische Klugheit und die spezifi­sche Interessenlage des Territoriums zu gebieten schienen: Das setzte voraus, daß man diesem Territorium eine eigene, nicht von universalen moralischen Maßstäben abgeleitete oder aber – und dieser Zusammenhang interessiert uns hier mehr – vom Reichsoberhaupt amtlich definierte »ratio status« überhaupt zubilligte. Nun erreichte ja die Denkkategorie der »ratio status«, wie wir schon wissen, ausgerechnet um 1600 den mitteleuropäischen Politikbetrieb.247 Doch bezeichnenderweise war sie damals ähnlich strittig wie die Neutralität, vielen suspekt, manchem ein Reizwort. Das wird sich in der zweiten Jahrhunderthälfte zwar rasch ändern; ich zitierte bereits den Fuldaer Kanzler Wilhelm Ignaz Schütz, der sich 1661 darüber amüsierte, daß von der Staatsräson »viel geschwetzt, und geplaudert« werde. Der Begriff stehe für alles und nichts – »was unge­schickte Handwercker verderbt haben, das muß Ratio Status entschuldigen und wider gut machen ...«.248 So ungezwungen und gleichsam mit leichter Hand konnte man um 1600 oder 1620 nicht über die verrufene Kategorie reden. »Ratio status« war genauso wenig respektheischend wie die »neu­tralitet«. Sie stand wie diese im Ruche der Unmoral, schon wegen des jedem Chri­sten obligatorischen, empört vorzutragenden Antimachiavellismus249, genauso wie die Berufung auf die »neu246 Sie müßte man unbedingt einmal systematisch aufarbeiten. Vgl. vorerst Alfred Kohler, Kontinuität oder Diskontinuität im frühneuzeitlichen Kaisertum: Ferdinand II., in: Heinz Duchhardt/Matthias Schnettger (Hgg.), Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum, Mainz 1999, S. 107–117; Gotthard, Das Alte Reich, S. 91–95. Gerade das Lehnswesen wurde von den beiden Ferdinanden immer wieder für ihren Versuch einer zentralistischen Deformation der herkömmlichen forma Imperii instrumentalisiert, erste Beobachtungen hierzu: Gotthard, Konfession und Staatsräson, Sachregister, s. v. Treue, vasallitische. Siehe auch schon oben S. 762 mit Anm. 136. 247 Vgl. oben S. 204 mit Anm. 380. 248 Schütz, Reflexiones, S. 67. 249 Wir wissen schon, daß den Terminus gar nicht Machiavelli geprägt oder bekanntgemacht hat; doch wurde die »ratio status«, so weit ich sehe, von allen ihren Kritikern in den Ratsstuben der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit »machiavellistischer« Politik in Verbindung gebracht.

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tralitet« evozierte sie »ungehorsam«250: Denn ein patriotischer Reichsfürst folgte seinem Kaiser, anstatt auf eine spezielle, nicht im Reichswohl251 aufgehende »ratio status« gerade seines Territoriums zu rekurrieren252 – die sich zum Beispiel in der »neutralitet« konkretisieren konnte. Für die Hofburg war es ihr gutes Recht, von den selbsternannten »Neutralen« des Dreißigjährigen Krieges Gehorsam einzufordern253, und sie hat es häufig wahrgenommen. Es war eine gängige Formel in kaiserlichen Schreiben, daß »neutralitet wider ... das ober­haupt ... nicht statthaben« könne.254 »Neutralitet« hatte in Wiener Sicht »kein statt, dann kayser als oberhaupt interessirt, deme sey man schuldig zu assistiren«.255 Das galt, beispielsweise, auch für die niedersächsischen Kreisstände. Am 14. Oktober 1638 schrieb der kaiserliche Generalleutnant und Geheime Rat Matthias Gallas an Reichsvizekanzler Ferdinand Kurz von Senftenau, dieser Reichskreis wolle sich unter Rekurs auf seine Neutralität Einquartierungen entziehen – dergleichen »praetendierende neutralität« trage indes »die erschütterung des schuldigen gehorsams auf dem rücken«. Es sei besser, noch tausend Jahre Krieg zu führen, als sie hinzunehmen.256 Auch die (in reichspatriotischer Pose als »Säulen des Reiches« agierenden) Kurfürsten bedienten sich der argumentativen Versatzstücke der Wiener, wenn sie im November 1638 den niedersächsischen Kreisständen vor Augen führten, daß die Reichsgesetze »dergleichen

250 Ich erinnere nur an dieses instruktive Zitat: S. 72 mit Anm. 184. 251 Wie es in Wien definiert wurde! Tatsächlich erfaßte die exzessive Polarisierung des Konfessionellen Zeitalters auch, ja, gerade das Jus, es gab keinen Konsens mehr über Reich, Recht und Gesetz. Wer Reichs- und Kaisertreue nicht als Synonyma nahm, war im Dreißigjährigen Krieg aus Wiener Sicht »ungehorsam«, also Rebell. 252 Wie die »neutralitet«, war also auch die »ratio status« erstens allgemein strittig (gibt es überhaupt anerkennens­werte staatliche Interessen jenseits der im Privatleben unangefochtenen moralischen Postulate?) und zweitens insbesondere bei Reichsständen (Kategorie des »gehorsams«, Postulat der Kongruenz von Reichs- und Territo­rialinteressen). 253 Am 26. Juli 1628 gutachtete der Reichshofrat, Reichsständen (sie werden als »Unterthanen des Reich« apostrophiert!) stünde die Neutralität »gegen dem höchsten Haupt« nicht zu; Kaiser, Kriegführung, S. 233 zitiert aus dem Gutachten. 254 Ferdinand II. an die schwäbischen Kreisstände, 1622, März 2 (Kopie), HStASt C9 Bü. 214. 255 Erklärung des Hans Werner Raitenau in Stuttgart, wo er erreichen sollte, daß die Württemberger ihre Truppen der Kommandogewalt Erzherzog Leopolds unterstellten; zit. nach dem Beratungsprotokoll vom 19. Febr. 1622, HStASt A90A tom. 39, fol. 1009–1012. 256 Aus dem Schreiben zitiert Lothar Höbelt, Der Kaiser, der Papst, die Lega und Castro: Eine Fallstudie zur österreichischen Neutralität, in: Römische Historische Mitteilungen 47 (2005), S. 208. Höbelts Aufsatz ist eine instruktive, glänzend formulierte Studie über die Guerra di Castro von 1641 bis 1644, trägt freilich, außer dem zitierten Satz, nichts zu einer Geschichte der Neutralität bei.

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praejudicirliche Neutra­litet, sonderlich mit257 denen, welche mit der Kayserlichen Mayest[et] und allen gehorsamen Reichs-Ständen, in offenen Feindseligkeiten sich befinden ... in keinerley Weiß und Weg nicht zulassen oder nachgeben«; diese »verbottene Neutralitet« sei »Absonderung«.258 Das Kollegialschreiben entstammt den Jahren nach dem Prager Frieden; daß dieser, seines vaterländischen Pathos wegen und weil er eigenständige Zurüstungen einzuschränken suchte, Neutralen ihr Geschäft nicht eben erleichtert hat, brauche ich nicht umständlich zu begründen. Der Reichsabschied von 1641 geißelt »die von etlichen Ständen vor sich selbst angemaßte Neutralitäten« aufs schärfste, erklärt solch »hochschädliche Neutralität« für »expresse cassirt«, »alldieweil in den Reichs-Verfassungen nicht zu finden, daß einigem Stand, auß was für Ursachen, Ehehafften und Noth259 dasselb auch seyn möchte, zugelassen worden, in allgemeiner Noth und Gefahr deß Vatterlands von dem andern sich abzusondern«. Neutralität, eine unter allen Umständen abscheuliche Option? Man dürfe sich keinesfalls für neutral erklären, so der Reichsabschied – außer »mit Vorwissen und Genehmhaltung« des Reichsoberhaupts!260 257 Man sollte die Beobachtung nicht überinterpretieren, aber anmerkungsweise will ich doch einmal darauf hinweisen, daß derartige Vorwürfe gern, wie von einem Pakt »mit« dem Feind, von der Neutralität »mit« reichsfeindlichen Kräften sprechen. 258 Die Kurfürsten an den Niedersächsischen Kreis, 1638, Nov. 27, abgedr. in Henricus Oraeus (Hg.), Theatri Europaei Continuatio, Bd. 3, Frankfurt 1670, S. 1004–1006 (Kursivsetzung von mir). Die Kurfürsten argumentieren, außer mit den »Constitutiones«, der hergebrachten Reichsverfassung, noch mit dem Prager Frieden von 1635 – auch er besage klar, daß keinem Reichsstand, »so lange noch einige Reichsfeind überig, sich abzusondern, und in Neutralitet [zu] setzen, zuge­lassen« sei. Man möge doch das »publicum« mehr als das »privatum« achten. 259 »Ehaft« wird in Matthias Lexers Mittelhochdeutschem Taschenwörterbuch, 35. Auflage Stuttgart 1979, unter anderem mit »recht und gesetzmässigkeit« sowie »gesetzmäs­siger beschaffenheit« übersetzt. Näher an den Wortgebrauch des Reichsabschieds dürfte die Notierung »ehaftiu not« bei den Nachträgen führen: »notstand, höhere gewalt (im juristischen sinne)«. 260 Reichsabschied vom 10. Okt. 1641, abgedr. in Schmauss/Senckenberg, Sammlung, Bd. 3, S. 564f. (§§ 86f.). – Schon außerhalb des von dieser Studie gründlich untersuchten Zeitraums liegt der Beschluß vom Frühjahr 1689, im heute so genannten Pfälzischen Erbfolgekrieg »keine Neutralität, unter was Praetext und Vorwand es auch immer seyn könnte, ingleichen keine Correspondentz mit Franckreich ... zuzulassen« (eine bezeichnende Formulierung!): Johann Joseph Pachner von Eggenstorff (Hg.), Vollständige Sammlung aller von Anfang des noch fürwährenden Teutschen Reichs-Tags de Anno 1663 biß anhero abgefaßten Reichs-Schlüsse, Bd. 2, Ndr. Hildesheim/Zürich/New York 1996, Nr. CCCCLXXXVI. Reichsschluß und Kommissionsdekret mit positiver Würdigung einer »exacten Neutralität« für bestimmte Reichsteile (also, modern gesprochen, ihrer Neutralisierung) im Zweiten Nordischen Krieg: ebda., Bd. 3, Nr. CCCXII bzw. Nr. CCCXIII. Bekanntlich wurde das Problem reichsständischer Neutralität vor allem im Siebenjährigen Krieg wieder virulent, doch kann all das, mitsamt weiteren neutralitätskritischen Reichsschlüssen des 18. Jahrhunderts, hier nicht im Vorbeigehen mitbehandelt werden.

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Solche »Genehmhaltung« war der Sache nach gelegentlich einmal, nie aber explizit zu erzielen. Gerade in Wien war »Neutralitas vocabulum odiosum«.261 So räumte denn Ferdinand III. 1637 dem Administrator von Bremen und Verden »nicht eben eine Neutralität sondern eine Kayserliche Exemtion« ein, »weil man das Wort Neutralität den Ständen zu geben bedencklich gehalten«.262 Der kaiserliche Emissär Sebastian Bilgerin Zwyer, auf der Rückreise vom Regensburger Reichstag 1641 in Zürich mit dem Vorschlag konfrontiert, Konstanz neutral aus den Kriegswirren herauszuhalten, erwiderte bezeichnender Weise: Man müsse das Wort Neutralität an der Hofburg mit anderen »minder empfindlichen« umschreiben.263 Nicht alle verfassungspolitischen Vorstellungen der Hofburg wurden von allen Ligagliedern geteilt, zu Zeiten konnten sich hier sogar trotz der grassierenden konfessionellen Polarisierung des Reichsverbands Nebenkonflikte entzünden – doch selten der »neutralitet« wegen. Den Ligageneral, Tilly, um die Verschonung mit Durchzügen bittend, provozierten ihn Emissäre des Kasseler Landgrafen Moritz am 1. April 1623 mit einem Reizwort – »als sie sich des Ausdrucks Neutralität bedienten, fiel Tilly ein: Es heiße nicht Neutralität, es heiße Gehorsam der Fürsten und Stände des Reiches, ihr Herr sey Fürst des Reiches, der Kaiser dessen Oberhaupt«.264 Die Wittelsbacher in Köln und München kannten den Wiener Rechtsstandpunkt ebenfalls und teilten ihn grundsätzlich. Das machte den sorgsam erwogenen, nach quälenden Klärungsprozessen dann auch gesuchten Weg in die Neutralität um die Jahreswende 1631/32 nicht einfacher. Maximilians Überlegungen könne er schon nachvollziehen, schrieb der Bruder auf dem Kölner Erzstuhl, Ferdinand, am 21. November 1631, man müsse jetzt eben »dz geringste ÿbel erwählen«. Was an die scholastische Denkfigur vom kleineren Übel denken lassen könnte, erwuchs hier einer radikal negativen Einschätzung des Kriegsverlaufs, man könnte auch, etwas überkandidelt, sagen: erwuchs Staatsräsonkalkül. Doch folgen dann, neben moraltheologischen Bedenken, der Einwand, daß Neutralität »zwischen dem haubt unnd glidren ÿbel ausgedeitet werden« könne, sowie die Mahnung, »das nit etwas eingangen unnd gewilliget werde, dardurch dero der Kay. Mat. aidtlich gelaistete Pflicht zuwider gehandlt«. Wie wand sich der Kölner aus diesem Dilemma? Er beschwor, außer der militärischen Notlage, die Unfähigkeit des Kaisers zur Abhilfe: »Sie aus ihren Erblandten bey dem unionwesen und zuerhaltung der Catholischen landten nichts oder wenig praestirt sondern 261 Vgl. oben S. 578 mit Anm. 160. 262 So rückblickend ein bremisches Gutachten vom 26. März 1646, das Meiern, Acta pacis Westphalicae, Bd. 2, § XXIV Subadj. A. zitiert. 263 Die Episode erwähnt Gallati, Eidgenössische Politik, Teil 2, S. 218. 264 Zit. nach Christoph von Rommel, Neuere Geschichte von Hessen, Bd. 3, Kassel 1839, S. 538.

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denselben und dem Reich den ganzen last zugewiesen«.265 Der Kaiser war unfähig zu Schutz und Schirm, konnte seinen Amtspflichten nicht mehr nachkommen – er war, auch wenn dieser nächste Schritt nicht mehr ausformuliert wird, eigentlich gar kein Kaiser mehr. Wir kennen die Argumentationsfigur ja schon, übrigens auch von der gelehrten Diskussion erlaubten Widerstands gegen die Obrigkeit her: Der außenpolitische Diskurs und der Widerstandsdiskurs vermischten sich eben immer wieder im Umfeld der vormodernen Neutralität.266 Auch, als sich Maximilian selbst die Sache durch Notizen zurechtzulegen suchte, spielte der Vorwurf unkaiserlichen Verhaltens eine Rolle: »Es hab Jr. Kays. Mt. aigen Khriegs Volkh in d. assistierenden Landen erger als der feind selbst gehaust«, den kaiserlichen »Officiern« sei offenbar gar nicht »an der Conservation« der Verbündeten gelegen, sie hätten sich »vielmehr dern ruin angelegen sein lassen. Und eben dise proceduren haben ohne zuthuen und willen d. assistierenden die Neutralitet selbs erzwungen«.267 Sichtlich quälte Maximilian die Aussicht, zu einer so suspekten, in seinen Augen auch verfassungspolitisch prekären Option Zuflucht zu nehmen – die Beschwörung äußerer Zwänge sollte das eigentlich Undenkbare erträglich machen. Ausführlich ließ Maximilian seinen Schritt in Wien rechtfertigen. Hierbei stellte er freilich nicht die Unfähigkeit des Kaisers, die Liga zu schützen, in den Vordergrund, sondern die Unmöglichkeit ligistischer Hilfen für die Hofburg: »Ja wann wir auch schon underwissen, daß durch unser unnd unnseren Lannden ruin und undergang Jre[r] Mt.[,] dem gemeinen Catholischen weesen, unnd dem Römischen Reich geholffen werden khenndte«! Dem war nicht so, führt die Instruktion für Oberstkanzler Donnersberg aus, die Ligahöfe mußten »wieder unsern willen der eüsseristen necessitet in etwas concediren«. Die Instruktion geht davon aus, daß der Kaiser lamentieren werde, die Neutralität sei »Aydt unnd Pflichten nit gemes«.268 Donnersberg hatte dann seinen Herrn so zu rechtfertigen: »Sovil das iurament belanget, damit die Chur-Fürsten und Stendt Jrer Mt. zugethan«, hat er seine »Rechts gelehrte« und die »Theologos« konsultiert, »die haben darfür gehalten, das die Obligatio dises iuramenti sich so weit nit erstreckt«, daß die Ligisten »in diser ihrer selbst aigener eusserister Nott und gefahr die würckhliche assistanz, zumal ihnen solches ohne das bey obverstanndtner hochgefehrlicher unnd ellenden beschaffenhait Jrer Lannden und armaden diser Zeit unmüglich 265 Ferdinand von Köln an Maximilian von Bayern, 1631, Nov. 21 (Or., teilweise chiffriert), BayHStA Kasten schwarz 960. 266 Vgl. hierzu schon oben Kapitel C.2.1.2. 267 »Rationes Neutralitatis«, von Maximilians Hand, BayHStA Kasten schwarz 131, fol. 97. 268 Sogar Johannes Peringer war in seinem ausführlichen, ansonsten freilich theologisch argumentierenden Contra-Gutachten der Ansicht gewesen, Neutralitas sei »Catholicorum Electorum et Principum iuramento, quo Caesari et Jmperio obligati sunt, adversum«: »Informatio contra Neutralitatem«, BayHStA Kasten schwarz 15021/5, fol. 137–142.

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ist«, dem Reichsoberhaupt »zuerzaigen unnd zulaisten, verbunden sindt, sondern die wissentliche impossibilitet unnd eisseriste necessitet, thuen dieselbige genuegsamb entschuldigen, und dahin tringen«, daß sie den Neutralitätsvertrag »eingehen müessen«. Dieser Vertrag war schon deshalb »iustificirt«, weil man »dardurch viel grösserer gefahr« vorbaute (also als kleineres Übel). »Äusseriste nott und gefahr« erzwangen die Neutralität, man suchte das Vertragsverhältnis zu Schweden »nit aus freyem willen, sondern lautter hochstgetrungener noth«. Übrigens, so penetrant und wortreich die Instruktion Not und Elend, Zwang und »vor augen stehende Total ruin« beschwört: von »Neutralitet« ist nur einmal die Rede, womöglich eine Unachtsamkeit – denn sonst geht es durchgehend nicht um diese suspekte Option, es ist vom »pactum de non offendendo« die Rede.269 Es war eben »Neutralitas vocabulum odiosum«! Ich erwähne noch, was Johann Kütner am 14. Januar 1632 aus Frankreich berichtete: Gespräch mit dem Marquis de Brézé über die Lage im Reich, dabei sei die Bemerkung gefallen, der Pariser Emissär Charnacé sei nicht immer geschickt vorgegangen, »weil parola della Neutralità Electoribus Ecclesiasticis nit angenem, ein anders aequivalens [?] verbum zugebrauchen«.270 Diese Bemerkung zielt freilich nicht auf die Haltung der Hofburg. Die war dann wenig überraschend. Laut auftrumpfende Bekundungen271 verbot die desolate Kriegslage, aber natürlich lehnte Wien die bayerische Neutralitätspolitik ab272, sie war mit »keinem einigen schein rechts justificirt«. Daß in Wiener Sicht keine »neutralitet wider das oberhaupt« statthaft war, bekam auch Foppius van Aitzema zu spüren, der als Gesandter der Generalstaaten am Kurfürstentag von 1636 auf einen Neutralitätsvertrag drang und im Kurkolleg damit auf positive Resonanz stieß. Den Säulen des Reiches gegenüber setzte der sich sträubende Kaiser, wie wir schon sahen, auf einen gleichsam völ269 Instruktion für Donnersberg, 1632, Januar 10, BayHStA Kasten schwarz 131, fol. 2–34. – Auch Aufzeichnungen, die Jocher im Vorfeld der Wienreise Donnersbergs anfertigte (s. d., Kasten schwarz 15021/5, fol. 165–172), erwähnen, daß die »lautter Impossibilitet und der eisseriste noth« Neutralität erzwängen. Ferner wird das Treue-Problem angesprochen: »Ser. Elector hette treulich bey Jhr. May. und dero haus gehalten«, Maximilians »treu, respect, devotion« seien »bezeuget«. Sonst geht Jocher mehr auf kriegspraktische Einzelheiten ein, das muß uns hier nicht interessieren – die Instruktion für Donnersberg folgt nicht den von Jocher vorgezeichneten Bahnen, scheint von Richel verfaßt worden zu sein. 270 Bericht Kütners aus Paris, 1632, Januar 14 (Or.), BayHStA Kasten schwarz 15021/5, fol. 87–96. Die Relation ist, wie so viele Schreiben dieser Monate (um von den internen Notizen gar nicht zu reden!), kaum lesbar. Es liegen ungewöhnlich viele bayerische Quellen aus diesen Monaten vor, doch sie sind ungewöhnlich schwer lesbar. Maximilian scheint auf gepflegte Handschrift keinen Wert gelegt zu haben. 271 »Implacabile odium Caesaris et Hispanorum erga D. Bavariorum« hatte Maximilian, Richels Aufzeichnungen zufolge, bei der Geheimratssitzung am 17. Dezember 1631 beschworen: BayHStA Kasten schwarz 15021/5, fol. 44–47. 272 Vgl. besonders Relation Donnersbergs vom 28. Januar 1632 (Or.), BayHStA Kasten schwarz 131, fol. 126–132.

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kerrechtlichen Diskurs, Neutralität impliziere »soverainitet«.273 Interne Papiere akzentuieren etwas anders, hier ist vornehmlich von Lehnrecht die Rede. »Istae provinciae sunt feudum imperii Romani«274, gutachteten die kaiserlichen Räte. Die Holländer seien nichts als »des vassaux médiats de l’empire«, mokierte sich der spanische Gesandte Oñate.275 Daß die Hofburg von der seit vielen Dekaden geläufigen Option »neutralitet« recht eigenwillige Vorstellungen besaß und den Begriff am liebsten ganz aus dem Wortschatz der Reichspolitik verbannt hätte, zeigt diese Passage aus dem Bescheid des Kaisers fürs Kurkolleg: »Und obgleich darwider gesagt werden möchte, es hetten ihre kais[erliche] M[aieste]t auch andern ständen die neutralitet in diesen sowol andern kriegen eingeraumet und nachgesehen und solches were gleichwol dem reich unpraeiudicirlich, also könte es hier wol auch geschehen, so ist doch darbei ein grosser unterschied, dan jene ständ haben aus not, umb mehrern unhails zu verhüeten, dieses medium bei ihrer kais[erlichen] M[aieste]t als ein kais[erliche] gnad ausgebeten und ist doch ihrer keinem sub titulo neutralitatis, sondern allein einer verschonung und mit disem austrücklichem vorbehalt verwilliget [worden], wofern der feind ihrer im gleichen auch verschonen und die ratio belli ein anders nicht erfordern würde.«276 Selbst als kaiserlicher Gnadenerweis durfte Neutralität nicht so heißen. Noch 1763 wird die Hofburg übrigens ganz besonders ärgern, daß die reichsständische Front gegen den Friedensstörer in Berlin ausgerechnet unter mannigfacher Berufung auf das Unwort Neutralität bröckelt: zunächst separate Neutralitätskonventionen, dann in Regensburg Beratungen über eine Neutralität des ganzen Reiches, bei denen dem französischen Gesandten Mackau auffällt, wie da »tous les princes séculiers d’anciennes maisons ... ont voulu humilier la cour de Vienne en adoptant expressément le terme de neutralité [man ergänze: in den Reichsschluß] qu’elle ne paroit ne point agréer«.277 273 Vgl. oben S. 819 mit Anm. 170; doch ist auch in diesem Bescheid fürs Kurkolleg davon die Rede, »dass diese provincien zum heil. röm. reich als ein mitglied gehören und ein feudum sacri imperii und dannenher desselben unverneinlich aigentumb sein«. 274 Gutachten des Geheimen Rates vom 15. Januar 1637: Gross/Lacroix, Urkunden und Aktenstücke, Bd. 2, Nr. 864c; vgl. dass. vom 10. Oktober 1636, ebda., Nr. 863a. 275 Am 14. Oktober 1636 in einem Schreiben an Philipp IV.: ebda., Nr. 865, Anm. 276 Zweite Antwort des Kaisers ans Kurkolleg wegen des holländischen Neutralitätsgesuchs, 1637, Januar 19: ebda., Nr. 865. 277 Aus dem Schreiben Mackaus an Praslin vom 13. Februar 1763 zitiert Externbrink, Friedrich der Große, S. 142 Anm. 35. – Zum Wiedererinnern: Schlußphase des Siebenjährigen Krieges; seit der Jahreswende 1762/63 schlossen nacheinander Württemberg, Bamberg, Würzburg und Bayern Neutralitätskonventionen ab; seit dem 17. Januar 1763 dann wurde am Reichstag über eine Neutralität des ganzen Reiches beraten, vier Tage vor dem Hubertusburger Friedensschluß stand das entsprechende Conclusum zur Abstimmung; Mackaus Schreiben berichtet über das Beratungs- und Abstimmungsverhalten der kaisernahen geist-

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Aber kehren wir vom Siebenjährigen zum Dreißigjährigen Krieg zurück! Die theologisierende und moralisierende neutralitätskritische Publizistik dieser Jahrzehnte hat den kaiserlichen Rechtsstandpunkt kaum je aufgegriffen. Ihr ist Neutralität Sünde, nicht Felonie. Natürlich (ist man versucht zu sagen) gehört zu den ganz wenigen Ausnahmen die wohl offiziöse Apologie der betont kaisernahen Dresdner von 1620. Kursachsen konnte im Böhmisch-pfälzischen Krieg schon deshalb nicht neutral bleiben, weil es »viel Bömische Lehen« umfaßte. Als Neutraler hätte der Kurfürst »die Lehen entweder bey keinem, oder nur bey beyden suchen« können, dies wie jenes hätte in »grosse Vngelegenheit« gestürzt, »da ist die Neutralitet schon gantz auffgehoben. Da heist es recht niemand kan zweyen Herren dienen.«278 Soweit die vasallitische Treue! Und der forcierte »Gehorsam«? Er wird in typisch dresdnerischer Diskurstradition aus dem Kurfürstentitel abgeleitet. »Der Keyserlichen Mayestät sind jhre Churf[ürstliche] Gn[aden] ebnermassen Anno 1619. Eydlich verpflichtet worden per Electionem, in dem sie dieselbe zum Haupt jhr selber, vnd dem gantzen heiligen Römischen Reich erwehlen helffen ... Das sind nun treffliche starcke Bande, die mit gutem Gewissen nicht können zurissen noch getrennet, derowegen auch die Neutralitet nicht passiret noch gelitten werden.«279 In Dresden waren die Kurfürsten traditionell nicht etwa die herausgehobenen Interessenvertreter »des Reiches« seinem Oberhaupt gegenüber, sondern die »innersten, geheimsten rhät« des letzteren – also ihm, nicht so sehr den nachgeordneten Reichsständen in besonderer Weise verbunden. Der badische Markgraf Georg Friedrich hatte es 1610 Kurfürst Christian II. gegenüber einmal in diesen Stoßseufzer gefaßt: Er sei doch »ein Churfürst des Reichs und nicht des Kay­sers«.280 Das mußte ins Leere laufen, denn im kursächsischen Reichsdiskurs waren Reichs- und Kaisertreue tautologisch. Erstere ging fast vollständig in letzterer auf. Die Formel »Kaiser und Reich« bezeichnete an der Elbe nicht die Pole in einem dualistisch angelegten System, sie stand dort nicht für libertär verstandene, potentiell antithetische Zweiheit, sondern für ›organische‹ Einheit – die Gliedermetapher, das Bild vom ›Haupt und seinen Gliedern‹ begegnet in den Dresdner Akten ständig. Die Apologie von 1620 argumentiert also gut dresdnerisch. Freilich gingen ihre Autoren bekanntlich281 davon aus, daß die Leser biblische Begründungen

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lichen Reichsstände wie der auf eine Demütigung Wiens (durch den Terminus Neutralität!) erpichten »princes séculiers«. [Anonym], Deutliche vnd gründliche Außführung, S. 39. Ebda., S. 40. Vortrag Georg Friedrichs in Dresden, 1610, April 11 (Kopie), HStASt A90A tom. 7, fol. 980–1003. Ich stellte die »Deutliche vnd gründliche Außführung« schon im Rahmen meiner Beobachtungen »zur Wahrnehmung des böhmischen Aufstands in Europa« (Kapitel B) vor;

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erwarteten, und so ergaben sich denn die besonderen Verpflichtungen der Kurfürsten ihrem Kaiser gegenüber angeblich auch aus »Psalm 119«.282 An anderer Stelle heißt es: »S. Paulus wil von keiner Neutralitet wissen, gegen die Oberkeit, sondern treibet starck die schuldigkeit, vnd macht ein Gewissenssachen daraus, wie weitleufftig zu lesen zum Römern am 13.Cap. Nun ist es vmbs Gewissen ein zartes ding vnnd wird dasselbe ja so wol beschweret, wann man nicht thut, was man thun sol, als wann man thut, das nicht seyn sol. Derowegen ChurSachsen, Gewissens halben, von jhrem Haupt vnd Herrn nicht hat absetzen sollen, noch können. Daher lieset man, wie gestrafft werden die Gileaditer, die Daniter, vnnd die Asseriter, daß sie zu rück geblieben, vnnd sich Neutral bezeiget, da sie doch den andern Stämmen Israel verbunden gewesen, im Buch der Richter am 4.Cap.«283 Der gewissermaßen zeitübliche, theologisch durchtränkte Diskurs wird hier einmal mit den Diskursstrategien der Hofburg (»gehorsam«, »trew«) verschränkt. Es folgt übrigens (Gliedermetapher!) das uns schon bekannte Bild von den »Wehetagen des Haupts« – wenn das Kopfweh drückt, müssen die Füße in die Apotheke eilen, müssen die Hände Salbe auftragen, anstatt sich für neutral zu erklären. Hier also fand die Hofburg mit ihrer spezifischen Neutralitätskritik publizistische Resonanz, anderswo kaum. Immerhin konstatierte eine katholische Flugschrift in der Vorkriegszeit, »neutral284 zu seyn würde sich fast nicht leiden wöllen«, unter anderem »propter legis285 imperii, welche jedem Stande vorbilden, dem Betrangten Hülffe zu leisten, damit er deß Religion- und Prophanfriedens fähig seyn möge« – nicht die besonderen Loyalitätspflichten der Reichsglieder ihrem Oberhaupt gegenüber286, aber die untereinander werden hervorgehoben. Sonst könnte man allenfalls noch erwähnen, daß zwei skurrile, phantasievoll

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sodann streiften wir sie in Kapitel C.2.1.4, als es um die Polemik der Flugschriften des Konfessionellen Zeitalters gegen die »neutralitet« ging. Wegen Strophe 113 (»ich hasse die Wankelmütigen und liebe dein Gesetz«)? Es ist in Psalm 119 viel vom »Gesetz des Herrn« die Rede, aber dieser »Herr« saß für den Dichter im Himmel, nicht in Wien. [Anonym], Deutliche vnd gründliche Außführung, S. 43. In diesen Jahren zeichnete sich ein nur schwer noch vermeidbarer Konfessionskrieg schon ab, aber natürlich ist hier im strengsten Wortsinn noch nicht von »Neutralität im Krieg« die Rede, es geht um die Formierung jener Konfessionsbündnisse, die dann 1619/20 Kriegsallianzen sein werden. Sic! [Anonym], Über die Uniones [von 1617], S. 366. Immerhin fährt der Text so fort: »Es hat sich demnach biß anhero bey vielen ansehen lassen, als wolte man die Kays[erliche] Majest[ät] und Hochheit zwar mit Worten respectiren, aber im Werck hat man die Kayserliche Jurisdiction fast gar suspendiren, oder doch in Zweifel stellen wollen, keinen Mandaten gehorsamen, noch ihrer Maiestät Cognition sich submittiren ...« Soll man dieses zeitübliche katholische Lamento noch auf die unmittelbar vorangehende Neutralitätspassage beziehen?

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fingierte287 Schreiben aus »Behmen« ans Nürnberger Patriziat so vor Neutralität warnten, zur Fahne des Reichsoberhaupts riefen: »Der Kayser hette zu zürnen grosse vrsach, dann man jhme gelobt vnd geschworen, wer jhne verlaßt, pflicht vnnd eyd beyseits setzt, hat deß Reichs Acht zuerwarten.« »Der Keyser nun empfindets billich, dann jhr seyd jhme mit Eydespflichten zugethan, vnd verbunden. Verlast jhr nun diesen ewren Herren in seiner Gefahr, So wird er euch für trewlose Eydsvergessene Leute, vermög der Reichsordnungen, erkleren«. Nach 1621 fiel mir überhaupt keine gedruckte Passage mit den Argumentationsschichten »Gehorsam« und/oder »vasallitische Treue« mehr auf, die auf die Neutralen des Dreißigjährigen Krieges288 gemünzt gewesen wäre; allerdings mag 287 Die multiple Maskerade (bis hin zu pseudo-dialektalen Splittern) erlaubt keine punktgenaue historische Verortung. »Copie Vertrewlichen Schreibens Wentzeln von Meroschwa Behmen« scheint 1620 das Auseinanderbrechen der Union bereits zu antizipieren, der »Sendbrieff Eines Böhemischen Landherrens Vladislaw Kobolentzki, an einem seinen guten Freund« von 1621 (das zweite der folgenden Zitate; fol. Diij) könnte schon von Sondierungen über eine neue, rein lutherische Union Kenntnis haben, die in der Forschung keine Resonanz fanden, indes seit der Jahreswende 1621/22 gerade die fränkischen Protestanten (wie ich aus Akten weiß) sehr umtrieben. Beide Flugschriften versuchen jedenfalls, Nürnberg sowohl vor neuen Unionen als auch vor der Neutralität zu warnen, letzteres bekanntlich vergeblich. 288 Eine besonders verworrene Flugschrift von 1637 zielt auf den Achtzigjährigen Krieg, spricht aber in diesem Zusammenhang auch vom Reich. Es handelt sich um den »Abtruck Einer auffgefangenen Jesuitischen Information«, die der mutmaßlich pfälzische »Editor« dann widerlegt; die »jesuitische Information« wird entweder verstümmelt zitiert oder schlecht erfunden, der Widerlegungsversuch ist einigermaßen konfus. Zu unserem Thema: »Der Jesuit« wendet gegen eine Neutralität »des Reiches« den Generalstaaten gegenüber unter anderem dieses ein: »Und ob woln daß Reich dato mit den Holländern keinen Krieg geführet, So hat es doch von seiner Hochheit darumb« – was genau ist gemeint? vier Seiten zuvor hatte es geheißen, daß die Holländer »auch viel Lehen deß Reichs jnnen haben« (fol. C1) – »das geringste nicht fallen lassen, daß es etwa zue einiger Neutralitet sich mit gedachten Provintzien zu verstehen, geniedriget hette« (fol. C3). Außerdem sei der König von Spanien Vasall des Reiches, aus dieser Lehnsbindung indes zieht »der Jesuit« ganz andere Folgerungen als im holländischen Fall: »Solde nun die Neutralitet ins Mittel kommen, so würde ja der König deren Mitteln beraubet, die er von Rechts wegen sonsten auß dem Reich haben solt« (fol. D4), man »schwächete« durch diese Neutralität den Holländern gegenüber »einen Vasallen deß Reichs« (fol. E2) – »soll dann das Reich den Vnterthanen wider seinen Lehemann helffen« (fol. E3)? Die Holländer haben »viel Lehen deß Reichs jnnen«, der König von Spanien hat es, helfen muß man letzterem. Vielleicht soll einfach vorgeführt werden, wie verquer »jesuitische« Logik sei, der »Editor« jedenfalls will den Holländern ihre Neutralität gönnen. »Der Jesuit« wie sein Kritiker applizieren ihre Ausführungen zur holländischen Neutralität auch auf den Reichsverband, natürlich in entgegengesetzten Richtungen: »So würde hiemit denen im Reich das Fenster geöffnet, daß Sie hernacher solch Neutralisiren gegen andere mehr suchen; Würde also weder Haupt noch Glieder einander zue Hülff kommen können; Worfür mann sich ja wol zu hüten hat« (fol. E3). Der pfälzische Glossator stolpert natürlich nicht über solche »jesuitische« Fallstricke: »Ergò so muß auch vom Röm. Kayser vnd dem Reich vnehrlich gehandelt sein, wenn mann

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dem weiterhin begegnenden Topos »das unteutsche Wort ›neutral‹ kann als ›untrew‹ übersetzt werden« eine – in den konkreten Anwendungsfällen nicht mehr aktualisierte – Wurzel im Lehnrecht eigen sein. Das kann nicht den Eindruck verwischen, daß sich hinsichtlich der Relevanz spezifisch reichischer Bindungen fürs Neutralitätsthema der archivalisch faßbare und der gedruckt vorliegende Diskurs deutlich unterscheiden. Für das typische neutralitätskritische Pamphlet der 1620er und 1630er Jahre überhörten Neutrale nicht etwa Treueappelle ihres Lehnsherrn, sondern den Ruf Gottes. 6.4.3.2 Patriotische versus Friedensdiskurse: Beobachtungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Hat erst die Säkularisierung des publizistischen Diskurses über Neutralität spezifisch mit dem politischen System des Reiches zusammenhängenden Argumenten Raum verschafft? Was zählte, solang »GOtt« und »Teuffel« miteinander rangen, das Lehnrecht? In Qualifikationsarbeiten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts über die Neutralität kommt es vor. Georg Schröder legt ausführlich dar, »qui non possint esse Neutrales«, nämlich »Subditi« und »Vasalli«.289 Wir merken wieder einmal, daß sich die Säkularisierung des Diskurses nicht so auswirken muß, daß dieser etwa heute moderner anmutete, beispielsweise, wenn wir auf die folgende Feststellung stoßen: »Quod Dominus feudi à Vasallo suo exigere potest, est servitium militare Germ. Lehn oder Ritterdienst«. Man könnte die beiläufige Applikation dieser Einsicht aufs Reich fast überlesen: »Ita et Status Imperii, qui cum Imperatore unum corpus constituunt«, wie Limnaeus lehre, »licet sint simul Subditi ac Vasalli imperii«.290 Ist Neutralität für Reichsstände demnach grundsätzlich verboten? Der Autor ist wohl dieser Ansicht, näher ausgeführt wird es nicht.291 einigem Fürsten oder Standt deß Reichs die Neutralitet vergönnen«, also wohl: mißgönnen »thet. Dann der Jesuit solche der Stände Neutralitet der Hollander allhier gleich helt, vnd sonderlich darvor warnet und abmahnet; Vnd müsten auf diese weise solche Reichs Fürsten vnd Stände, gleich allhier die Holländer genandt werden, ebenmässig (quod tamen absit) deß Reichs Feind seyn. Worzu aber der Hertzog von Newburg zu Düsseldorff, Landgraff zue Hessen Darmstat, der Bischoff von Bremen, Graffen von Frießlandt vnd Oldenburg, der Hertzog von Holstein, vnd König in Dennemarken, so viel Holstein betrifft, vnd andere Nein sagen werden« (fol. E3) – so führt uns das krause Machwerk doch immerhin wieder einmal vor Augen, wie viele Reichsfürsten damals zur Neutralität Zuflucht nahmen. 289 Schröder, De Neutralitate, Abschnitte Nrr. 25ff. bzw. Nrr. 32ff.; das folgende Zitat: Abschnitt Nr. 32. 290 Ebda., Abschnitt Nr. 39. 291 Es gibt noch gleichsam einen ›Reichsabschnitt‹, Nr. 47: »Quantum itaq; ad Imperium nostrum attinet quod unum corpus constituit, ex capite et membris collatum. Sive externus hostis repellendus; Sive intestini motus et rebelles subditi sedandi; Sive Pacis publicae vio-

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Die Gebrüder Mayer scheinen Schröder zusammenzufassen, wenn sie knapp urteilen: »Non licet subditis vel vasallis particularis necessitatis praetextu obtendere neutralitatem; cum ad defensionem sint obstricti et ad servitia militaria cogi qveant.«292 Das ist so allgemein gesagt, daß damit fürs politische System des Reiches nichts geklärt wird, was auch für die gleichwohl ausführlicheren Erörterungen Adolph Schröterings gilt.293 Albert Voßenhölen spricht Lehnsbande nicht ausdrücklich an, dafür den Reichsverbund – in ihm nun kann es keine Neutralität geben, weil hier »corpore naturali omnia membra mira concordia conspirant« und sich deshalb gegenseitig helfen müssen. Neutralität innerhalb des Reichsverbandes ist für diesen Autor 35 Jahre nach dem weiter oben zitierten Kollegialschreiben aus der Zeit des Französisch-schwedischen Kriegs, als habe er dieses übersetzen wollen, »secessio«.294 Voßenhölen wie die Mayers schrieben ihre Qualifikationsarbeiten während des Holländischen Kriegs. Was das für Ob und Wie der Behandlung des Neutralitätsthemas bedeutet hat, läßt sich derartigen akademischen Übungen nicht ohne weiteres ablesen – sie sollten ihre Verfasser als Kenner des kanonischen Zitatenschatzes der Gelehrtenrepublik und überdies brauchbare Lateiner, nicht als aufmerksame Zeitgenossen profilieren. Ob sie wußten, daß der Neutralitätsvertrag zwischen dem Welfen Ernst August und Ludwig XIV. vom Oktober 1671 ausdrücklich »la fidelité« ausnahm, »qu’il«, nämlich der Lüneburger, »doit à l’Empereur et à l’Empire«?295 Es mag den Blick aufs Spannungsverhältnis zwischen Neutralität und Reichsbanden geschärft haben, daß jenes kaiserliche Avo-

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latores tanquam praedones et Latrones als Freybeuter und gartende Knechte eliminandi, communis Statuum assistentia exigitur«, es folgt der Hinweis auf die deshalb bestehende Reichsmatrikel, auf die Reichskreise. Mayer/Mayer, Quaestio Politica, fol. B. Vgl. Schrötering, Dissertatio, Thesis IX: Der Vasall muß »promtius servitia militaria« leisten, kann also nicht neutral bleiben, »sed necesse esse, ut in partes descendat«. Thesis X: Wenn die geschuldeten »servitia ... determinata« sind, kann der Vasall »de caetero ... eventum belli expectare, aut Neutralitatem profiteri«, »ad qvietem in reliqvis se componat, verum puto«, doch darf ihn der Kriegsgegner des Lehnsherrn seiner »servitia determinata« wegen ebenfalls als Feind betrachten. »Si tamen juri suo renunciare is velit, atq; Neutralitatem Vasallo hostis, salvo jure auxilium submittendi concedere, sanè id qvin liceat et eâ ratione Vasallus Neutralitate gaudere qveat, dubium mihi non est.« Fürs Reich war damit nichts gewonnen, es wird bei diesen akademischen Fingerübungen auch gar nicht erwähnt. Voßenhölen, Dissertatio inauguralis, S. 25. – Vitriarius, Institutiones, S. 518: »Subditi« können gezwungen werden, nicht neutral zu bleiben. »Sic Status Imperii R. Germanici, ubi est bellum Imperii, cogi possunt, et oportet, ut militem, qui in Imperii matricula vel comitiis est assignatus, mittant.« Vertrag zwischen Ludwig und Ernst August vom 23. Oktober 1671 (Du Mont, Corps universel diplomatique, Bd. 7.1, Nr. 69): Ernst August beachtet (man ergänze: natürlich auch im Hinblick auf den damals schon absehbaren Holländischen Krieg!) »une exacte Neutralité«, jedoch gilt, »que ledit Sieur Duc se pourra reserver la fidelité qu’il doit à l’Empereur

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catorialmandat vom 22. Juli 1674, das die Zeitgenossen als Reichskriegserklärung gelesen haben296, ausdrücklich jeden Versuch unter Strafe stellt, sich ohne »Vorwissen und Genehmhaltung« des Kaisers »in einige Neutralität« einzulassen.297 Seit der Jahreswende 1675/76 vorübergehend mit einer südwestdeutschen Neutralitätszone liebäugelnd, glaubte Karl Ludwig von der Pfalz die Empfindlichkeiten der Hofburg zu kennen: Als des Kaisers und des Reiches »getrewer Churfürst und Vasall« bitte er um die Neutralität mit Leopolds »gnädigster erlaubnus«, selbstverständlich bedürfe diese Neutralität kaiserlicher »approbation«, schrieb der Pfälzer nach Wien.298 Gedankt wurde solch vorauseilender Gehorsam nicht – es sei alles ganz aussichtslos, berichtete der Vertreter des Heidelberger Kurhofes an der Kaiserresidenz, »weiln man allhier durchgehendts auch den bloßen Nahmen einer neutralitet, Sie möge ahngetragen werden wie sie wolle, jezigen conjuncturn nach abhorriret und nicht gerne einmahl nennen höret«.299 Was »dise der orten allerdings auch nur dem nahmen nach300 exose neutralitet« betreffe, müsse man einfach zur Kenntnis nehmen, daß die Hofburg »von Neutralitet, Neutralisten und Stillstand der waffen sub quocumque etiam modo nichts hören oder wissen« wolle. Neutralität sei in Wien »separation«301, »abtret-

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et à l’Empire, sur les choses qui pourroient être concluës [sic] ou arrêtées par les Etats de l’Empire, dans les formes ordinaires et accoûtumées«. Wie Kampmann, Reichskriegserklärung, S. 48ff. nachweist; vgl. zum Ganzen schon oben S. 583f. »Fernerweithes Kayserl. Allergnädigstes Mandatum Avocatorium. De Dato 22. Julii, 1674«: BayHStA Kasten blau 79/4, fol. 438. Abdr.: Londorp, Acta publica, Bd. 10, Nr. 112; die hier interessierende Passage: »und nachdem auch denen reiterirten Reichs-Schlüssen in alle Wege gemäß ist, daß ein jeder Stand des Reichs, nicht allein sein Volck und Contingent gegen den Feind anziehen lassen; sondern auch ohn unser Vorwissen und Genehmhaltung in einige Neutralität sich nicht einlassen solle«, ordnet er an (»gebieten und befehlen wir hiermit« kraft »Kayserlicher Macht Vollkommenheit«!), sich an diese Gesetzeslage zu halten, der Reichsfiskal in Speyer und der Reichshofrat sind angewiesen, gegen »Säumige, so die geschlossene Hülff nicht leisten«, vorzugehen. Kurfürst Karl Ludwig an Kaiser Leopold, 1676, März 3 (Entw.), BayHStA Kasten blau 102/4 (unfol.). Bericht Johann Georg Geyers aus Wien, 1676, März 26 (Or.), ebda. Meint zweifelsohne nicht ›lediglich dem Namen nach, in der Sache schätzt man sie durchaus‹, sondern: schon der »Nahme«, der Begriff Neutralität reizt. – Johann Georg Geyer an den kurpfälzischen Vizekanzler Peil, 1676, Januar 29 (Or.), ebda. Ich erwähne noch, was Andreas Schellerer am 26. November 1673 (Or.: Kasten blau 69/13, unfol.) aus Wien nach Düsseldorf gemeldet hatte: Man spricht hier nur schlecht vom Pfalzgrafen, »mit der neutralitet Weren Ihr May. ainmahl nit vergnüget«. »Continuatio Relationis« Geyers, s. d. [ Januar 1676], BayHStA Kasten blau 102/4. Der Reichsvizekanzler habe ihm erklärt, Leopold könne »statum neutralitatis« einfach nicht leiden, sogar einem Gesandten des Bischofs von Basel habe er, obwohl an Basel gar nichts liege, ein entsprechendes Gesuch »per consequentia« (sic) abgeschlagen, und die »angemaß. neutralitet« Straßburgs reize ihn.

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tung der allgemeinen Sach«302, nicht »dem bono Jmperii publico« zuträglich303. Neutralität, »sie werde darnach clausulirt und cautionirt wie sie wolle«, könne nur zu »allgemeinem praejudiz geschehen«. Der Kurfürst habe »keine ursach, solche extremitet einer neutralitet zu ergreiffen«!304 Als die Hofburg sicher davon ausgehen konnte, daß der Spuk einer kurpfälzischen Neutralität vorübergezogen war, setzte Leopold rhetorisch so nach: Er könne nun einmal in die Neutralität »keineswegs einwilligen«, aber jetzt sei ja glücklicherweise »von diesem punct der Neutralitet weiter nichts zu melden«, da sich der Kurfürst »völlig unterworffen« und ihm »von Newem dero beständigen Trew undt devotion ... versichert« habe.305 Der Kaiser adressierte solche Schreiben nicht an Völkerrechtssubjekte, sondern an seine Vasallen. Jahrelang sah sich der neutrale Münchner Kurhof mit dem Wiener Treueund Gehorsamsdiskurs konfrontiert. Der Kurfürst werde die »gerechte Intention« des Kaisers »neben andern getreuen Patrioten und Mit-Gliedern würcklich und nachtrücklich secundiren«306, so die Erwartungshaltung der Hofburg. Alle »getrewen« Reichsglieder erwiesen sich als solche, indem sie Leopold den schuldigen »beyfahl«307 gaben. Im Vorfeld der ›Reichskriegserklärung‹ wurde der Duktus blumiger. Man hatte sich die Exzesse der Franzosen »zu Patriotischem gemüeth« zu nehmen und sich »die Conservation der Teutschen libertet, unnd des gemeinen wesens wohlfahrt, allermassen es eines iden gethreuen Patrioten schuldikheit erfordt, besser angelegen sein« zu lassen. Es galt nun, sich dem Reichsfeind mit »rechtschaffener einmüettiger zusammensezung, zwischen des Reichs höchsten Oberhaubt unnd gesambten Glidern« entgegenzustemmen.308 Der Reichstag griff die Wiener Rhetorik im Kern auf, wenn er im März 1674 »eine rechtschaffene einmüethige zusamensezung zwischen dem höchsten Ober302 Er kann diese »abtrettung [von] der allgemeinen Sach« nicht gutheißen, hat Karl Ludwig doch ihm und dem Reich bislang »so grosse Threw« bewiesen – und nun will er sich »von der allgemeinen Sach« abwenden? So Leopold I. an den Kurfürsten von der Pfalz, 1676, Januar 26 (Or.), ebda. – Am selben Tag erklärte Schwechhausen im Heidelberger Geheimen Rat (Protokoll: ebda.), »weiln keine neutralität eingegangen werden könne ohn J. K. M. genehmhaltung« und diese nun einmal nicht zu erhoffen sei, sei das Thema erledigt; die anderen plädierten für einen weiteren Vorstoß in Wien. 303 Bericht Geyers aus Wien (1676, Februar 6, Or., ebda.) über Gespräche mit Hofkanzler Hocher – »einige Neutralitet oder dergleichen könten einmahl Jhre Maiestet ohne höchstes praeiudiz und üble [sic] nachklang rebus sic stantibus nicht gestatten, oder verwilligen«. 304 »Protocollum« Geyers über ein Gespräch am 30. März 1676 mit Montecuccoli und Hocher, ebda. 305 Leopold an Karl Ludwig, 1676, April 22 (Kopie), ebda. 306 Leopold an Ferdinand Maria, 1676, Juni 20: Londorp, Acta publica, Bd. 10, S. 75f. 307 Ihm (militärisch) ›beifielen‹: dass. am 29. Juni, Kopie: BayHStA Kasten blau 79/1, fol. 75. 308 Kaiserliches Kommisssionsdekret vom 10. März 1674, Kopie: BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3405, fol. 402–405.

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haubt unnd dessen Glidern« einforderte.309 Neutralität war fortan nicht mehr nur in Wien, auch in Regensburg ein Reizwort. Ich will es nur mit dieser Fußnote illustrieren: Als sich das Reichskammergericht, nachdem die französische Neutralitätszusage für Speyer eingetroffen war, mit einem »Memorial« an den Reichstag wandte, gab es in den beiden oberen Kurien kräftige Opposition gegen ein neues Reichsgutachten in dieser Angelegenheit, konsensfähig war schließlich lediglich eine »blosse remission« an den Kaiser, »doch mit abstrahirung von der Neutralitet«.310 Man verblieb (modern gesagt: in seinem Begleitschreiben zum nach Wien weitergeleiteten »memorial«) »in terminis generalibus«, sprach nur allgemein die »sicherheit« der Stadt und des Gerichtshofs an. Der Votant für Pfalz-Lautern, der unermüdlich gegen die Neutralität Speyers anpolemisierte, hatte seit dem März 1674 natürlich zusätzliche Argumente bei der Hand, neben dem weiterhin strapazierten Reichsabschied von 1641 sogar nagelneue! Dieses alten Reichsabschieds, aber eben auch der den Rheinpfälzern soeben vom Reichstag ausgesprochenen »guarantie wider der Cron Frankhreich vergewaltigungen« wegen könne »dergleichen Neutralitet eines, oder andern Standts, oder Statt kheinen blaz haben«, erklärte er beispielsweise am 21. Mai im Fürstenrat.311 Oder, eine Woche später: Neutralität sei »dene Reichs Sazungen und sunderlich dem abschiedt de anno 1641 auch lestern [sic] Reichs Conclusis zuwider«.312 Kurz, die Hofburg hatte ihre Sprachregelung auch am Reichstag durchgesetzt. Das wiederum verhalf ihr zu neuem Material für ihre Schmähbriefe an die Münchner Adresse. Es würde ermüden, das alles zu zitieren. Pars pro toto, ein

309 Consultum der beiden oberen Kurien vom 30. März 1674, Kopie: BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3406, fol. 23; die Passage steht wortgleich im Reichsgutachten vom 31. März: Kopie, ebda., fol. 27f. Kaiserliche Resolution hierauf vom 7. April (Kopie: ebda., fol. 175–177): So ist’s recht, er hätte »wünschen mögen«, daß die »höchstnottwendige zusammensezung« zwischen dem Kaiser und den »gethreuen Mitgliedern« des Reiches »schon längstens erfolgt« wäre. Man wird nun strikt darauf achten, daß »würkhlich volzogen« wird, wozu der Reichsschluß »einen ieden« anhält. Um noch diese Kostprobe der nun üblichen Diktion zu geben – sächsisches Votum im Kurfürstenrat am 23. April (Protokoll: ebda., fol. 225–235): das Reichsgutachten ist nur »dem iehnigen, warzue ieden threuen Reichs Standt und Patrioten, seine Pflicht, liebe, mitleiden unnd schuldigkheit gegen das Reich und mit Stendte anweiset ... gemes«. 310 So faßte eine Relation Franz Gotthard Delmucks (1674, August 20, Or., BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3407, fol. 314f.) zusammen. – Notiz zum Regensburger Geschehen am 18. August (ebda., fol. 320): Salzburg hat ein Reichsgutachten entworfen, dem Kurfürstenrat zugestellt, im Fürstenrat verlesen, »und ob zwar Bayern und Bremen erinneret, daz bei den worthen ›Jre sicherheit erhalten‹ verb[a] ›mitls der neutralitet‹ mechten inseriert werden, ist es doch nit zuerhalten gewest«. 311 Fürstenratsprotokoll vom 21. Mai 1674, BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 3406, fol. 390f. 312 Fürstenratsprotokoll vom 28. Mai 1674, ebda., fol. 431–435.

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Schreiben Leopolds vom Oktober 1675313 – er sieht nicht ein, weshalb sich Ferdinand Maria untersteht, seine Truppen »zurugg zuhalten«, »zuemahlen die Regenspurgische Reichs Conclusa Clar und austruckhlich mit sich brachten, daß ein Jeder Standt verbunden sein solte ... sein Contingent ... anziehen zulassen«. Die Münchner Verweigerungshaltung ist nicht »ohne Praeiudiz der schuldigkhait und Respects wormit ein jeder Standt Jhro Kays. May. als dem hochsten Oberhaubt und dem gesambten Reich zugethan«, er ist »einer weitt besseren Willfährigkhait gewerttig«. Hier wie stets werden, in gezielter Unschärfe, Rechtstitel und Gehorsamsappelle vermischt. Die Hofburg ließ politisches System und Lehnsverbund rhetorisch ineinanderfließen. Was die Neutralen solchen Ergüssen bevorzugt entgegenhielten, wissen wir schon. Intern zwar waren sie alle der festen Überzeugung, daß die Landeshoheit Außenpolitik nach Staatsräson nicht nur zuließ, sondern erforderte – das war, wie während des Holländischen Kriegs auch der routinierte Verweis auf entsprechende Passagen des Instrumentum Pacis Osnabrugense, so selbstverständlich, daß hierfür selbstvergewissernde Halbsätze genügten. Solche konnten schon auch einmal in Schreiben nach Wien stehen314, aber sich in reichsstaatsrechtliche Grundsatzdebatten mit der Hofburg einzulassen, galt als ganz fruchtlos. Nein, Wien gegenüber strich der neutrale Reichsfürst nicht seine außenpolitischen Kompetenzen heraus, sondern seine Friedensliebe. Dem patriotischen Diskurs der Hofburg antwortete der Friedensdiskurs des Neutralen. Ob unbekümmert oder auch manchmal verbittert, jeder redete am anderen vorbei und wußte das auch. Beide Seiten hielten ihre Werte hoch, eine Wertedebatte erwuchs hieraus nicht. Populär gehaltene Flugschriften wagten sich weiterhin nicht gern aufs unübersichtliche lehn- und reichsrechtliche Terrain. Knapp urteilt eine (offiziöse?) Flugschrift: »Der itzige Zustand des Reichs ist dergestalt beschaffen, daß kein treuer Churfürst, Fürst oder Stand weder Frantzösisch, noch Schwedisch, auch nicht Neutral seyn kan.«315 Neutralität war unpatriotisch, also moralisch verwerflich, 313 Undat. Kopie: BayHStA Kasten schwarz 235. 314 Oder in Bekundungen an die Adresse der Wiener – Johann Ferdinand von Yrsch will die neuburgisch-niederrheinische Neutralität so verteidigt haben: Der Kurfürst will »sich mit einer wahren, und aufrichtigen neutralitet dergestalt gubernieren ..., wie es dero auf des Reichs Gränz liegenden landten situation erfordere«, was an »trew« und »gehorsamb« dem Kaiser gegenüber nichts ändert und was »dero landtsfürstl. gerechtsambe und libertet« erheischen. Andeutung einer spezifischen Staatsräson (die geostrategische Lage des Territoriums), Zugeständnis an den Wiener Treuediskurs, Andeutung der Landeshoheit – ein unauffälliges, insofern typisches Beispiel. Ich zitierte aus der Relation Yrschs vom 28. Dezember 1673, Or.: BayHStA Kasten blau 79/4, fol. 29–36. 315 [Anonym], Einige Anmerckungen Bey Der von dem Könige in Schweden herausgegebenen und also genannten fründlichen Wiederlegung, Der Von Ihrer Churfl. Durchl. zu

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aber war sie auch illegal? Ein lehnrechtlicher Gehalt der zitierten Aussage steckt allenfalls implizit im Adjektiv »treu«. Der »Verkleidete Götter-Both Mercurius« läßt einen Speyrer lamentieren: »Ich bin letztens zu Heidelberg gewesen, und genugsamb gesehen, wie man gar hönisch auff hiesige Herren und Stadt spottete, Sie wolte alleine im Reich neutral bleiben, da doch Ihr Kayserl. Maiestät von keiner Neutralität im gantzen Reiche wissen wolte«.316 Von der Speyers schon – aber während Leopold die Neutralität des Reichskammergerichtsortes ausdrücklich genehmigt hatte317 (natürlich nicht, ohne dabei gebührend herauszustreichen, daß dieser Status eben überhaupt seiner Genehmigung bedürfe!), betonte man in Heidelberg weiterhin, es könne doch keine »Gleichheit zwischen dem Reich und dessen Feinden gemacht« werden.318 Das kolportierte Lamento wird deshalb nicht gleich authentisch sein, glaubhaft ist es doch. Der unbekannte Autor hatte wenn schon keine »göttliche«, so doch brauchbare Informationsquellen. Etwas ausführlicher nimmt ein »Neuer Friedens-Curier« von 1673 zum Thema Stellung: Manche meinten, der Kaiser wolle den bedrängten Holländern Brandenburg Publicirten Antwort Auff Ihrer Königl. Maytt. zu Schweden an Chur-Fürsten und Stände des Reichs ohnlängst unterm 16. Dec. 1675 abgelassenes Schreiben, o. O. 1675, fol. B3 (Kursivsetzung von mir). Der durch und durch probrandenburgische Autor behauptet, eine Privatarbeit vorzulegen. Dem zitierten apodiktischen Urteil stehen diese Passagen voran: »Wie es den Neutralisten zu gehen pfleget, das ist bekandt, und geschicht wol dergleichen mehrentheils auß Noth«, so im Fall der Stadt Straßburg, deren Neutralität »der Pflicht, womit sie dem Reiche verwandt, nicht zuwider« sei. Der Kurfürst von Bayern »muste vor diesem, sein Land zu retten, auß Noth ... auch eine neutralität ... eingehen, sie währete aber nicht lange.« Das alles also ist vergeben und vergessen, doch den aktuellen Nöten Kurbrandenburgs kann man nicht ungerührt zusehen ... 316 [Anonym], Der Verkleidete Götter-Both, Mercurius, S. 60. 317 Vgl. kaiserliches Kommissionsdekret vom 4. Mai 1674, abgedr. bei Johann Joseph Pachner von Eggenstorff (Hg.), Vollständige Sammlung aller von Anfang des noch fürwährenden Teutschen Reichs-Tags de Anno 1663 biß anhero abgefaßten Reichs-Schlüsse, Bd. 1, Ndr. Hildesheim/Zürich/New York 1996, Nr. 406: Ein Reichsgutachten regte die Neutralität der Stadt Speyer an, »und ob zwar Se. Kayserliche Majestät angeregter Neutralität halber kein sonderbares Bedencken tragen; So werden jedoch Dieselbe sich darzu ehender nicht verstehen können, biß man derentwegen zuvor auch an Seiten der Cron Franckreich, und zwar schrifftlich, in forma probante, genugsam versichert seyn wird; auf welchen Fall mehrAllerhöchstbesagte Kayserliche Majestät, die behörige weiter Verordnung thun zu lassen, nicht ermangeln werden, damit gedachte Stadt Speyer von allen Durchzügen und Einquartierungen der Kayserlichen, und anderer bey denenselben stehenden Völcker befreyet, und mit allen andern Kriegs-Beschwehrden gäntzlich verschonet bleiben möge«. Ich setzte die Begriffe kursiv, die unterstreichen, daß es sich hier nicht etwa um eine Selbstneutralisierung kraft eigenen Rechts handelt. 318 Die französische »Neutralität Verschreibung« ist schimpflich, und es kann nicht angehen, daß »dißfalls eine durchgehende Gleichheit zwischen dem Reich und dessen Feinden gemacht worden«: Schreiben Karl Ludwigs an den Reichstag vom 14. August 1675, Diarium Europaeum, Bd. 31, S. 555–564.

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helfen, weiß der ungenannte Autor; andere unkten, er blicke in Wahrheit in die spanischen Niederlande, die Habsburg bei französischer Umklammerung nicht werde halten können, »tue dieses um seines eignen Interesse willen. Bey solcher Beschaffenheit hielten etliche dafür, daß andere Stände dabey nicht minder ihre Freyheit behalten, als wann ein Fürst deß Reichs in auswändige Kriege sich einliesse. Möchte also ein jeder der Sach nach Belieben sich annehmen, oder Neutral bleiben: Da hingegen, wann der Kaiser als Kaiser sich der Sach annehme, keine Neutralität Platz fende«. Letzteres verbürge der Reichsabschied von 1641, aus dem die Flugschrift ausgiebig zitiert. Er verbietet bekanntlich319, »in allgemeiner Noth und Gefahr deß Vatterlands von dem andern sich abzusondern«. Das sei, so unsere Flugschrift, derart allgemein formuliert, »daß man nicht möchte gedencken, es wäre vorgedachte Disposition nur auf die damahlige Kriege angesehen gewesen, und gelte heut zu Tag nicht mehr«. »Dieses zu bekräfftigen« bezögen sich manche auf »das Exempel der Stadt Speyer«: Nicht nur, daß sie sich am Kaiserhof um die »Erlaubnus« bemüht habe, neutral zu bleiben, Richter und Assessoren des Reichskammergerichts, »welche dißfalls wohl wissen quid juris«, hätten sich flankierend an den Reichstag gewandt, auf daß der das Gesuch Speyers in Wien befürworte. »So scheinet doch daraus, daß nach der Kammerrichter und Assessorum unpartheyischen Judicio bey diesen gegenwärtigen Zeiten die Sache also bewandt, daß ein Stand deß Reichs für sich selbst sich nicht Neutral erklären dörffte«. Doch gibt der unbekannte Autor allenfalls durch die ausführliche Paraphrase solcher Ansichten zu erkennen, daß er sie wohl für plausibel hält, er referiert auch knapp die Gegenposition: »Andere sagten, es hätte sich dißfalls kein Stand an den andern zu kehren. Die Städte wären nur in der untersten Class der Reichs-Stände: Fürsten ließen sich nicht also in Sack stecken«.320 Ich stieß in Flugschriftenliteratur nur ein zweites Mal auf etwas ausgedehntere Erörterungen des Spannungsverhältnisses zwischen Reichssystem und reichsständischer Neutralität. Eine Eloge auf den »grossen Leopoldum« findet nach seitenlangem Lobpreis reichspolitischer Großtaten des Heros: »Durch diese Politic sind auch der Reichs-Ständ schädliche Mißbräuch zimlich beramet worden, als die Freyheit mit frembden Potentaten Bündniß zu machen, ihnen zu dienen, im Mittel oder Neutral-Stand zu bleiben, frembde Waffen ins Reich zuziehen«. Der empirischen Wahrnehmung folgt die normative Bewertung: »Der Mittel- und Neutral-Stand ... wurde damals« – der Autor blickt wohl in jenes Konfessionelle Zeitalter zurück, als dessen großen Überwinder er Leopold zeichnet – »vor kein Staats- oder Reichs-Crimen oder Verbrechen gehalten«, sei aber inzwischen »ein grosses«, weil er »dem allgemeinen Reichs-Schutz zuwider[läuft], und der allgemeinen Reichs-Erklärung der Außländischen vor Reichs-Feind ei319 Vgl. oben S. 839 mit Anm. 260. 320 [Anonym], Neuer Friedens-Curier, fol. Bjjjj.

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nen Abbruch thut«.321 Sonst spielen reichs- und lehnrechtliche Probleme in den populäreren Druckwerken keine nennenswerte Rolle, auch nicht, wenn sie sich kritisch zur Neutralität äußern. Sie kommen uns weiterhin salbungsvoll, nicht mehr mit konfessioneller Emphase, doch mit patriotischem Pathos. 6.4.4 Ausblicke Ist man einmal auf die entsprechende Sprachregelung mit ihren um den Zentralwert der Treue gruppierten Schlüsselwörtern aufmerksam geworden, merkt man, daß ein Spannungsverhältnis zwischen der politischen Option »neutralitet« und der Reichskonzeption eines Lehnsverbunds in Kriegsakten sehr präsent ist: Weil die Hofburg von »neutralen« Reichsständen notorisch »Gehorsam« und »Trew« einforderte, weil diese Sichtweise immer wieder viele in einem gerade virulenten Konflikt mit der Hofburg verbündete Reichsfürsten teilten und weil sie auch wiederholt am Reichstag mehrheitsfähig war. In Publizistik und Pamphletistik hingegen hat die Wiener Gehorsamsrhetorik keine tiefen Spuren eingegraben. Weil der lehnrechtliche Gehalt der zuletzt beleuchteten Flugschriften so dürftig ist, will ich einige Lesefrüchte aus jenem 18. Jahrhundert anfügen, dessen Konflikte diese Studie nicht vertieft behandeln kann. Der Polnische Thronfolgekrieg animierte einige Autoren dazu, das Spannungsverhältnis zwischen Reichsbanden und Neutralität zu vermessen. Rekapitulieren wir kurz die elementaren Fakten! Frankreich erklärte Karl VI. am 10. Oktober 1733 den Krieg, drei Wochen danach erging ein kaiserliches Kommissionsdekret an den Reichstag, in dem dieser aufgefordert wurde, dem Königreich Frankreich wegen der Eroberung der Festung Kehl und weil seine Truppen den Rhein überquert hätten den Krieg zu erklären. In Regensburg bekundeten freilich die Votanten der drei wittelsbachischen Kurfürsten (Bayern, Pfalz, Köln), ihre Auftraggeber wünschten das Reich in dieser Auseinandersetzung neutral zu sehen. Kurhannover und Preußen lavierten, stimmten der Kriegserklärung schließlich zu. Am 20. Februar 1734 hat sie der Reichstag beschlossen, freilich gegen den Protest der wittelsbachischen Kurfürsten, auch des wittelsbachischen Fürstbischofs von Regensburg und Freising. Der Kaiser achtete diese Proteste gering und ratifizierte, Karl Albrecht von Bayern achtete die Reichskriegserklärung gering und verhandelte mit Frankreich über etwaige gemeinsame Militäraktionen.322 Band die Reichskriegserklärung alle Reichsstände, auch diejenigen, die sich in Regensburg dagegen ausgesprochen hatten? Vertrug sich die Neutralität einzel321 [Anonym], Kurtzer Entwurff Des Hauß Oesterreichs heutigen Reichs-Politic, fol. B3. 322 Vgl. zuletzt, mit der weiteren Literatur, Aretin, Das Alte Reich, Bd. 2, S. 341f.

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ner Reichsglieder überhaupt mit den Reichsbanden? Unter anderem diesen Fragen sind anonyme »Reflexions sur le Proiet de la nouvelle Monarchie« gewidmet. Sie verorten zunächst, freilich ohne weitere Termini aus theologischen Sinnbezirken, die Iustitia auf der Seite des Kaisers: »La Liberté de l’Europe se trouvant ainsi visiblement en danger«, hat man französischem Übermut entgegenzutreten, die Reichsstände müssen »les très-justes Intensions« des Kaisers unterstützen. Und sie müssen sich von der Vorstellung verabschieden, daß »quelque Neutralité pourroit avoir lieu dans cette conjoncture. C’est aussi de là qu’il a été conclu dans le Resultat de la Diéte ..., que l’Empire ne soufrira aucune Neutralité sous quelque prétexte que ce puisse étre323, comme étant contraire à ses Constitutions.« Neutralität war verfassungswidrig. Eine kurze Flugschrift äußert sich sogar monographisch zum Thema »Reichsbande und Neutralität«. Aus mehreren eher allgemeinen oder gerade aktuellen, spezielleren Gründen dürfen Reichsstände generell oder doch jedenfalls jetzt324 nicht neutral sein. Der Autor setzt mit einem Fallbeispiel ein, das jeder Kriegsdienstverweigerer der 1970er und 1980er Jahre von seiner Vorbereitung auf die »Gewissensprüfung« (und wohl auch dieser selbst) her kennt: »Es siehet ein Sohn, daß seinen Vater325 Gewalt von jemand geschehen«. Die Flugschrift interessiert nun nicht ein etwaiger, fürs kriegstauglich robuste Gewissen verräterischer individueller Impuls, dem vaterschänderischen Schurken an den Kragen zu gehen, sie appliziert aufs Neutralitätsthema: »In solchem Fall könnte ja der Sohn nicht mit guten Fug neutral seyn, sondern wäre schuldig sich seines Vaters anzunehmen«. Unser Autor kann das sogar theologisch begründen, muß hierfür natürlich aufs Alte Testament zurückgreifen: Wer sehe, daß eine »Parthey«, die »Obrigkeit« sei, angegriffen werde und dem neutral zusehe, verstoße gegen das Vierte Gebot, »sintemahlen die Obrigkeiten in der Schrifft Väter heisen«. Man kann sich wundern, daß der Autor einer Flugschrift mit tagespolitischer Wirkungsabsicht noch 1734 biblisch einsetzt, kann sich wundern, wie wortgetreu diese Exposition einer Passage der offiziösen Apologie der kursächsischen Böhmenpolitik von 1620 entspricht.326 Jedenfalls folgt der pseudotheologischen Skurrilität eine vage Wendung hin zum Reichsrecht: Alle Reichsstände seien »hoch interessiret«, da sich Frankreich sichtlich am Reich vergreife, »bey wel323 Sic! Ich folge auch sonst der eigenwilligen Orthographie dieser Schrift: [Anonym], Reflexions sur le Proiet de la nouvelle Monarchie, o. O. 1734, hier S. 38f. 324 Immer, speziell jetzt? Die intellektuell bescheidene unpag. Flugschrift klärt das nicht präzise. Zum Folgenden: [Anonym], Kurtzgefaßte Frage Ob Ein Chur-Fürst oder Stand des Reichs bey gegenwärtigem Krieg neutral bleiben könne, o. O. 1734. 325 Sic! – Bundesrepublikanische »Gewissensprüfer« bewiesen ihre juvenile Aufgeschlossenheit dadurch, daß sie (so auch im Fall der »Gewissensprüfung« des Autors dieser Zeilen) »Vater« durch »Freundin« ersetzten. 326 Vgl. nämlich oben S. 414.

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chen Umständen ja ein jeder Stand des Reichs verbunden ist, seinen Noth- und Gewalt leidenden Mit-Stand ob vinculum societatis, und aus gegen dem gesambten Heil. Reich tragender Pflicht« beizustehen. Speziell die Kurfürsten – diese Betrachtung mag die starke kurfürstliche Komponente im Wittelsbacherblock motiviert haben – seien Karl  VI. außerdem »eydlich verpflichtet worden per Electionem«327, »welches ja solche feste Band seynd, die mit gutem Gewissen nicht können zerrissen noch getrennet, derowegen auch die Neutralitaet nicht passiret noch gelitten werden«. Doch gilt das in einem weiteren Sinne, jedenfalls momentan, für alle Reichsglieder: »Bey solcher Beschaffenheit, da das Haupt mit denen Gliedern so starck verknüpfet und untereinander verbunden, findet man gar nicht, wie bey der Neutralitaet ohne besorglichen Schaden des Gewissens und anderer Ungelegenheiten um einer eingebildeten und ungegründeten Gefahr Willen man verbleiben könne«. Das Traktätlein resümiert, in eigenartiger Verschränkung theologischer Restbestände mit dem vage bleibenden reichsrechtlichen Gesichtspunkt: »GOttes Wort, die gegen Kayserl[iche] Majestät und das gesammte Heil[ige] Römische Reich obhabende theuere Pflicht und das eigene Gewissen« verbieten (jedenfalls jetzt) die Neutralität. Johann Adolph Wilhelm von Gohren legte seine »Dissertatio inauguralis de nevtralitate« während des Polnischen Thronfolgekriegs vor. Sie kennt ein selbstverständliches Recht auf Neutralität, grenzt es aber so auf Souveräne ein: »Quodsi enim Populus iste vel princeps sui iuris sit, ita, vt Superiorem non habeat, nisi DEum; certe is nullo modo cogi poterit, vt aliorum sese immisceat bello, ad se non spectanti. Cum enim in statu libertatis naturalis quilibet rerum suarum ipse sit moderator et arbiter«.328 Diese Koppelung Neutralität/Souveränität ist an sich nicht weiter auffällig, steht völkerrechtlich auf der Höhe der Zeit, und so merkt der Leser denn auch erst einige Seiten später, worauf der Autor hinauswill: Der zweite, der Hauptteil seiner Dissertation nämlich ist ausschließlich dem Nachweis gewidmet, daß Reichsständen die dem Souverän zustehende Neutralität im Falle eines Reichskriegs eben nicht fromme. Gohren begründet das mit recht allgemeinen Erwägungen und einem viel konkreteren Argument, dessen Aktualität 1735 auf der Hand lag – weil Reichsstände »communi iuris publici329 vinculo ... ad salutem Imperii pro virili sua promouendam« verbunden seien, dürften sie nicht neutral bleiben, »imprimis« aber 327 Präzise kann sich der Autor auch hier nicht ausdrücken – die Kurfürsten sind dem Kaiser in besonderer Weise verpflichtet »per Electionem, oder durch darauf gefolgte legitime Erkanntnüß, indeme Sie Dieselbe zum Haupt Ihrer selbst, und des gantzen Heil. Röm. Reichs erwählen lieffen, oder doch nachgehends solche Wahl selbsten approbiret, auch Ihren Kayser selbst treu und gehorsam zu seyn versprochen«. 328 Gohren, Dissertatio inauguralis, S. 6f. (Kursivsetzung im Original). 329 Des Gemeinen Rechts wegen? Eine Fußnote macht nicht erfindlicher, welche Rechtsbestände reichsständische Neutralität verhinderten: »Fluit hoc ex principiis Iuris Naturalis,

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wegen der Reichskriegserklärung des Reichstags330, ein solcher Reichsschluß binde auch diejenigen, die ihm nicht zugestimmt hätten.331 Dabei ist eindeutig vom Abwehrkampf gegen eine von auswärts, diesseits der Reichsgrenzen kommende Attacke die Rede, nicht von Auseinandersetzungen zwischen Reichsständen, aber manche Formulierungen der Arbeit hätte die Hofburg zum Beispiel nach 1618 wohlfeil verwenden können. So beginnt Gohren seinen dem Reichskrieg gewidmeten Hauptteil mit der Feststellung, das Recht auf Neutralität besitze, wer nicht »alterius Imperantis Supremae Potestati« unterworfen und wer nicht »ex feudali, qui inter Dominum et Vasallum intercedit, nexu« gebunden sei.332 Auf die Suprema potestas des Reichsoberhaupts und obersten Lehnsherrn hatte Habsburg 1546, 1552 und seit 1618 gern rekurriert. Gohren betont auffallend die monarchischen Gehalte in der Mischverfassung des Reiches, die »subiectio« seiner Glieder, und liebt die im Konfessionellen Zeitalter in Dresden so geschätzten Gliedermetaphern.333 Außerdem beteuert er allen Ernstes, seine Argumentationskette bekröne334 der Reichsabschied von 1641, aus dem er ausgiebig zitiert! Beiläufig betont er zudem, die Reichsgesetze verlangten auch den Kampf aller gesetzestreuen Reichsglieder gegen innere Feinde.335 Gegen solche, nämlich gegen angeblich grassierenden »Ungehorsam« hatte die Hofburg deklamatorisch ihre mitteleuropäischen Konfessionskriege geführt, aber damals war die Beteuerung der Gegner, sie kämpften für Wahrheit und Seelenheil (weshalb Neutralität Sünde sei), für die meisten Flugschriftenautoren

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cumprimis Iuris Publici Vniuersalis, dum in qualibet Societate Civili Salus Reipublicae suprema Lex est, quae adeo et Caput et Membra Reip. obligat«: ebda., S. 14f. Anm. (a). Ebda., S. 15. Vgl. ebda., S. 27f. Ebda., S. 9–11. Vgl. nur S. 21 Anm. (b): »Siquidem Corpus istud Imperii vnum nihilominus caput supremum habet, Imperatorem, puta, qui vera Maiestate [!] gaudet, huiusque iura ... per vniuersum Imperium exercet.« Oder S. 22 Anm. (c): Die Reichsstände sind dem Kaiser dreifach verbunden, »nexu subiectionis, nexu feudali, et nexu sociali« (»tanquam membra vnius corporis ... etiam cum capite«); »nexus subiectionis, cuius ex pristino statu Monarchico supersunt reliquiae, licet meri subditi hodie status Imp. non sint, ad obsequium, Imperatori et Imperio, bellum aduersus hostem Imperii decernentibus, atque neutras sequi partes vetantibus, praestandum, vtique obligat.« Gegen »hostes Imperii« kämpften bekanntlich auch nach 1618, jedenfalls deklamatorisch, Kaiser und Liga. »Palmarium huius sententiae fundamentum merito censendum, quod Neutralitas eiusmodi statuum Imp. in Legibus Imperii diserte improbata sit ac feuere prohibita«, die lange Fußnote bietet dann die einschlägigen Passagen von 1641 (ebda., S. 18). »Ex praescripto constitutionum de pace publica seruanda atque tuenda, nec non ordinationis executionis, aliarumque constitutionum imperialium, Imperium aduersus internos externosue hostes defendere tenentur«: ebda., S. 19 (Kursivsetzung von mir). Das ist natürlich zunächst einmal, etwa angesichts der Reichsexekutionsordnung, ein Gemeinplatz, aber wer definierte das Reichswohl, identifizierte ›feindselige‹ Attacken auf dieses?

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glaubwürdiger gewesen. Erst nach 1648, als angebliche weltanschauliche Wahrheitsmonopole und die Rettung möglichst vieler »Seelen« keine politisch korrekten Kriegsgründe mehr waren, wurde jenes Spannungsverhältnis zwischen Neutralität und Reichsbanden, das seine größte praktische Relevanz doch schon vor 1648 besessen hatte, zum Gegenstand ausgedehnterer publizistischer Erörterungen. Weil die Neutralität um 1730, 1740 längst auf dem Weg von der politischen Option zum juristisch einigermaßen präzise konturierten Völkerrechtstitel war, vermessen solche Erörterungen nun auch ein interessantes Spannungsverhältnis – nämlich zwischen Völkerrecht und Reichsrecht –, das in der ersten Hälfte der Frühen Neuzeit noch kaum beachtet worden war. Eine erschöpfende, systematische Ansprüche befriedigende Behandlung des Themas ist mir andererseits nicht bekannt. Erörterungen der Frage, wann (gar: ob?) Reichsstände neutral sein durften, werfen Schlaglichter auf den fragilen völkerrechtlichen Status der Reichsterritorien und tragen doch wenig zur Erhellung dieses eigentümlich diffusen Status bei. Es gibt kein anerkanntes, von allen Autoren abzuarbeitendes Lastenheft der einschlägigen Teilaspekte im Bermudadreieck Neutralität/Reichssystem/Lehnsverbund – allenfalls der heute vollkommen vergessene Reichsabschied von 1641 begegnet fast immer, wenigstens eine Konstante also in diesem Themenumfeld! Zu den Ausnahmen gehört der (nach dem Muster eines Kleinstaats ohne ambitionierte eigene ›Außenpolitik‹ gemalte) »Teutsche Fürsten-Staat« Seckendorffs, der nicht ins Jahr 1641 blickt, beim Thema Neutralität lediglich empörten Reichspatriotismus aufbietet.336 Manche Stellungnahmen noch des ausgehenden 17., sogar des 18. Jahrhunderts setzen, scheinbar altertümlich, allein am Lehnswesen an, als gebe es keine anderen Rechtskreise. Sie reden von Vasallität im allgemeinen, gehen aber auf Spezifika der Lehnsabhängigkeit gerade der deutschen Fürsten wenig tiefenscharf ein, insbesondere vermessen sie nicht das Spannungsverhältnis zwischen ihr und den innen- wie außenpolitischen »iura« der Reichsstände. Nahm man den Reichsverband als Lehnsverbund, waren seine Glieder zu Gehorsam und Treue verpflichtet; nahm man das Reich als politisches System, waren dessen Elementen bestimmte 336 Vgl. Veit Ludwig von Seckendorff, Teutscher Fürsten-Staat ... mit dienlichen Anmerckungen ... versehen, durch Hn. Andres Simson von Biechling ..., Jena 1737, Anderer Theil, Cap. 2 (S. 44): »Da das Römische Reich von äusserlichen feinden oder innerlichen auffrühren, angefallen und beleidiget würde«, ist jedes Reichsglied »schuldig, auf erfordern der Kayserl. Maj. und des Reichs ... mit etlicher, oder mit aller [!] macht seiner land und leute ... sich dar zu stellen und hülffe zu leisten.« Eine Anmerkung verdeutlicht: »Woraus ferner abzunehmen, was von der so genannten neutralität eines reichsstandes ... zu halten sey«. Es folgt noch die Wendung ins Klugheitskalkül: »Ausser deme auch dar zu thun wäre, daß dieses«, nämlich neutral zu bleiben, »wieder das eigene beste derer stände gehandelt [wäre]; denn wenn man darzu stille sitzet, wenn ein auswärtiger mächtiger feind die ihm nahe gelegenen länder auffrißt, so kan es wohl am ende nicht anders denn übel hergehen.«

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Rechte und Pflichten eigen – im reichsinternen Miteinander wie nach außen hin. Reichsstände waren nicht einfach »cives« einer »respublica« oder Untertanen einer sich zentralisierenden Monarchie, aber sie waren auch nicht im gleichen Sinne Völkerrechtssubjekte wie der König von Frankreich oder der Doge von Venedig: Deshalb war der Dreißigjährige Krieg nicht einfach ein »Bürgerkrieg« und doch auch nicht nur eine internationale Auseinandersetzung gewesen, sondern je nach Blickwinkel und Interessenlage mehr dies oder das. Die etwas größeren unter den Reichsständen betrieben traditionell nicht nur Reichsbinnen-, sondern auch europäische Außenpolitik, aber es gab doch eine unsichtbare Grenze, hinter der die diffuse, zumeist unterschwellig wirksame, selten manifest werdende337 Drohung von Felonie und Reichsacht lauerte. Diese Grenze bestimmen auch publizistische Äußerungen zur Neutralität von Reichsständen nicht präzise. Recht ausführlich äußert sich Johann Wolfgang Textor zum Spannungsverhältnis zwischen Neutralität und Lehnswesen. Grundsätzlich setze ein Neutralitätsvertrag (Textor kennt bekanntlich nur vertraglich begründete Neutralität) den Konsens des Lehnsherrn voraus, das zeige der Reichsabschied von 1641, zeige der kaiserliche Konsens zur Neutralität Straßburgs und Speyers im Holländischen Krieg. Gelte der Krieg freilich gar nicht dem Lehnsherrn selbst, werde er unmittelbar zwischen Dritten und Vierten geführt, oder drohe der Vasall andernfalls vom Kriegsgeschehen ruiniert zu werden, dann338 sei es »jure gentium« erlaubt, einen Neutralitätsvertrag abzuschließen, ohne den Konsens des Lehnsherrn abzuwarten – womit Textor findige Juristen des Neutralitätswilligen vor keine allzu hohen Hürden stellt. Er kritisiert sogar ausdrücklich den Reichsabschied von 1641 dafür, daß er »ne casum quidem necessitatis exceptum concedit à regulâ prohibitae neutralitatis«339: Inmitten ganz altertümlich anmutender lehnrechtlicher Erörterungen merken wir doch, wie die Hypertrophierung der einzelstaatlichen Souveränität und der Staatsräson auch den Status der Reichsstände befestigte, den Reichsbindungen Schranken setzte. Aber die alten Diskursschichten hatten eine beträchtliche Beharrungskraft. Noch die Lexikonnotierung im »Zedler« verschränkt den ›moderneren‹ Gesichtspunkt der einzelstaatlichen Ratio, des Staatsinteresses, innig mit den ›älteren‹ lehnrechtlichen (und an dieser Stelle sogar den religiösen) Argumentationszusammenhängen: »Dahingegen findet die Neutralität gar keinen Platz, wenn man 1) in der Sache selber intereßiret, oder 2) einem Theile mit Eyd und 337 Immerhin griff die Hofburg 1547, 1583 und 1623, gestützt auf angebliche Felonie, dreimal in die Zusammensetzung des Kurkollegs ein! Spektakuläre Reichsachterklärungen sah auch der Spanische Erbfolgekrieg. Alltäglich waren routiniert vorgetragene Anspielungen, Fürst X und Graf Y wüßten ja, was einem »gehorsamen« Reichsstand fromme ... 338 »His sanè et similibus casibus«: Textor, Synopsis juris gentium, S. 102. 339 Ebda.; außerdem verbiete der Reichsabschied Neutralität ja nur angesichts »allgemeiner Noth und Gefahr des Vatterlands«, sonst also sei sie im Umkehrschluß erlaubt.

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Pflicht verbunden ist. Daß man in dem ersten Falle nicht neutral bleiben könne, fliesset aus dem Rechte der Natur, welches unsere eigene Erhaltung und Wohlfahrt der Liebe gegen den Nächsten vorziehet, womit auch die Heilige Schrift übereinstimmet« – eine geschmeidige Harmonisierung! »Daß aber in dem andern Falle keine Neutralität zuzulassen, erhellet aus dem Göttlichen Gebote von den Pflichten gegen Vater und Mutter, welches auch auf Lehns-Herren und Obrigkeiten zu appliciren«.340 Durften Reichsstände demnach nicht neutral bleiben, wenn der Kaiser in einem Konflikt Partei ergriff ? Mit lehnrechtlichen Gemeinplätzen ließ sich diese Frage eigentlich nicht beantworten, denn das Reich war eben nicht nur Lehnsverbund. Auch der anonyme Herausgeber einer 1747 vorgelegten Sammlung neutralitätsrechtlicher Abhandlungen verzichtet in seiner Praefatio auf die Kategorie des »Reichskriegs«, stellt auf Lehnsbande ab: Wenn ein Krieg »ipsi imperio infertur«, ist »ob iuramentum, quo singuli imperio et imperatori fideles se fore iurant«341, keine Neutralität erlaubt. Noch dieser Publizist erinnert außerdem an den Reichsabschied von 1641. Er sei »etiam hodie ordinibus imperii semper ad animum et ob oculos ponitur in multis scriptis« – daß jedenfalls die zweite Beobachtung stimmt, haben wir schon gemerkt. Ob unser Herausgeber bei Jakob Bernhard Multz nachgelesen hat? Dieser »letzte bedeutende Verfechter einer Theorie kaiserlicher Machtvollkommenheit«342 hatte 1690343 das festgehalten: »Cum totum Imperium bello ardet, nulli licet esse Neutrarum partium, quia quilibet juravit se Imperatori et Imperio fidelem futurum. Ita Neutralitas sublata fuit in R[ecesso] I[mperii] Ratisbon[ensi] de Anno 1641.«344 So der Kaiser einen Krieg in seiner Eigenschaft als Reichsoberhaupt führt (welcher Ermessensspielraum in der Rollenzuschreibung für die Hofburg!), müssen Reichsstände »Neutralitatem ut vocant [!]« stets von vorheriger kaiserlicher Erlaubnis abhängig machen. Neutralität ist ein »beneficium«, das der Kaiser gnadenhalber345 einräumen kann. Den Westfälischen Friedensinstrumenten – es muß eine originelle Interpretation von Artikel VIII, Paragraph 2 des IPO sein – entnimmt Multz, daß Neutralität dann erlaubt ist, wenn sie »non est contra [!] Imperatorem et Imperium«. Verbindet Multz demnach, wie vage auch immer, seine im Kern lehnrechtliche Argumentation mit der Kategorie des erklärten 340 Universal-Lexicon, Sp. 382. 341 Praefatio, fol. b2 (Kursivsetzung von mir). 342 Bernd Roeck, Reichssystem und Reichsherkommen. Die Diskussion über die Staatlichkeit des Reiches in der politischen Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts, Wiesbaden 1984, S. 38. 343 Ich benützte diese Ausgabe: Jakob Bernhard Multz, Majestas Imperatoria juri suo asserta ..., Nürnberg 1714. Die Schrift wurde erstmals 1690 in Oettingen gedruckt. 344 Ebda., S. 318 (Kursivsetzung von mir). 345 Er kann »veniam Clementissime indulgere«: ebda., S. 303.

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Reichskriegs? So ist es wohl nicht gemeint, zumal der Autor erst gar nicht ermessen will, welches Mißfallen (oder dürfen wir mit »Schande« übersetzen?) dem gebührt, der den Kaiser bei einem Krieg bloß deshalb nicht unterstützt, weil er ihn nicht in seiner Eigenschaft als Reichsoberhaupt führt: »Sed tamen quid inde sibi indignationis attrahant, qui ab ipsius«, nämlich des Kaisers, »partibus stare detrectant, cum suô nomine, non ut Imperator, sed ut Princeps Imperii bello implicitus est, cuique aestimandum relinquitur«.346 Juristische Stringenz wird man Multzens Auslassungen zur Neutralität schwerlich zubilligen, aber die Behandlung des Neutralitätsthemas ist doch in vielen Diskurszusammenhängen ein interessanter Indikator – hier für eine publizistische Überzeichnung der kaiserlichen Position im Reichsverband. Ein halbes Jahrhundert nach den zentralistischen Exzessen unter dem zweiten und dritten Ferdinand mutet sie seltsam überlebt an, Realitätsnähe können weder die Kaiserkonzeption dieses Autors noch seine Verdikte über die Neutralität beanspruchen. Nicht mit dem Lehnswesen, sondern mit dem politischen System des Reiches argumentiert ein wohl 1756 vorgelegter »Gründlicher Beweis« der Unzulässigkeit reichsständischer Neutralität im Siebenjährigen Krieg.347 Neutralität könne »bey diesen jetztmahligen gantz besondern Umständen ... vermög deren Gesetzen nicht statt haben«, sie sei, wie es unter Erweiterung um einen Europas Aufklärern zentralen, ungemein positiv besetzten Begriff heißt, »Gesetz- und Societät widrig«. Konkreter bringt das Traktätlein die Reichsexekutionsordnung in Stellung: »Alle Stände des Reichs sind auf dem Land-Frieden verpflichtet, dieser leget das gemeine verbindliche Gesetz auf, daß einem vergewaltigten Mitstand ... nach allen Kräfften und Vermögen zu Hülffe geeilet« wird.348 »Wie kan nun mit diesem so klar beschriebenen des Reichs Grund-Satz und Ordnungen ein Gedancken von einer Neutralität vorgeblendet werden, ohne daß das wesentliche der Reichs-Ständischen und societäts-mäßigen Obliegenheit ausser Augen gesetzet würde«? »Und wie wäre einem zeitigen Römischen Kayser nach der Verfassung des deutschen Vaterlandes, es eine Möglichkeit, bedrängte Stände zu retten, wann bey dem entstehenden Fall, einem oder mehrern Ständen die 346 Ebda. 347 Zum Folgenden: [anonym], Gründlicher Beweis daß eine Neutralität der Stände des Reichs in gegenwärtigen Umständen nicht statt haben könne. Das vierseitige Traktätlein nennt weder Druckort noch -jahr; vor den österreichischen Versuchen, die gänzliche Eroberung Sachsens durch preußische Truppen militärisch zu verhindern, mit anderen Worten, vor dem Oktober 1756 kann es nicht geschrieben worden sein – wahrscheinlich wurde es um die Jahreswende 1756/57 herum verfaßt. In ThULB HZ Bud.Var. 638 ist es unter Schriften des Jahres 1756 eingereiht. 348 Daß Maria Theresia Kursachsen beisprang, zeigte, daß sie »dieser Gesetz- und societätsmässigen Obliegenheit« nachzukommen gedachte.

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Ermässigung oder Willkühr verbleiben solte, die schuldige Hülffe zu leisten, oder nicht?« Neutralität war, so gesehen, »eine wissent- und beflissentliche Absagung der Reichs-Ständischen Schuldigkeit«. Das proösterreichische Parteischriftchen läßt diese »Schuldigkeit« der Reichsexekutionsordnung erwachsen, weil Maria Theresia ihren Kampf gegen den »bösen Mann in Berlin« als Reichsexekution zu führen gedachte; am 17. Januar 1757 beschloß der Reichstag die Aufstellung einer »Reichs-Exekutions-Armee gegen des Königs in Preußen Majestät wegen Dero Überziehung der Chur-Sächsischund Chur-Böhmischen Lande«.349 Das Traktätlein beansprucht gar nicht mehr, als Neutralität »in gegenwärtigen Umständen« zu verwerfen. Aber wir finden doch immerwährende Verdikte gegen die Neutralen, die uns schon sattsam bekannt sind: Weil sie sich ihrer »Schuldigkeit« entzogen, war der Kaiser von Amts wegen verpflichtet, gegen diese »ungehorsamen Ständen nach der Schärfe derer Gesetze« vorzugehen, er konnte solche »Laulichkeit« nicht dulden.350 Andere Stellungnahmen zur Problematik reichsständischer Neutralität fokussieren den erklärten Reichskrieg. Sogar für Adam Friedrich Glafey war »in einem dergleichen Staat, als das Teutsche Reich ist, keinem Stand neutral zu verbleiben vergönnet ..., wenn das gantze Corpus einen Reichs-Krieg grund-gesetz-mäßig declariret hat«.351 »In bello, quod Imperii nomine geritur, cogi possunt, et oportet, ut militem in matriculâ Imperii vel comitiis assignatum mittant«, findet Johann Andreas Vogt, das Recht auf Neutralität erörternd.352 Eine ungewöhnlich353 komplette Behandlung fand das Problem reichsständischer Neutralität ausgerechnet am Vorabend der finalen Agonie des Reichsverbands, im 1793 verlegten Repertorium des Teutschen Staats- und Lehnrechts. Dem Recht auf Neutralität für jedes »souveraine Volk« fügt der Autor an: »Eben dieses gilt auch von halbsouveränen oder solchen Völkern, die sich in einem Lehnsnexus befinden«, doch »nur insofern«, als es nicht »ihrer höhern Verbindlichkeit«

349 Zit. nach Helmut Neuhaus, Das Reich im Kampf gegen Friedrich den Großen. Reichsarmee und Reichskriegführung im Siebenjährigen Krieg, in: Bernhard R. Kroener (Hg.), Europa im Zeitalter Friedrichs des Großen. Wirtschaft, Gesellschaft, Kriege, München 1989, S. 215. 350 [Anonym], Gründlicher Beweis (Kursivsetzungen von mir). 351 Glafey, Recht der Vernunfft, Buch VI, Kapitel V, § 24. 352 Vogt, Specimen juris gentium, S. 5. 353 Soweit mir meine Belesenheit ein solches Urteil erlaubt! Bekanntlich blendet sich diese Studie, die eine Archäologie des Neutralitätsrechts sein, nicht dieses selbst nachzeichen will, in den Jahrzehnten um und nach 1700 allmählich aus, in Korrelation zur Verdichtung der politischen Option »neutralitet« zum Völkerrechtstitel »Neutralität«.

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zuwiderläuft, nämlich »der Pflicht, der sie sich in Hinsicht ihres Obern oder ihres Lehnsherrn unterzogen haben«354 – soweit das Lehnswesen im allgemeinen. Der Artikel geht aber auch speziell auf den Reichsverband ein, interessanterweise zunächst von der sonst kaum je thematisierten Seite einer Hilfspflicht des Reichsganzen für ein einzelnes seiner Glieder her: »Darf das teutsche Reich neutral bleiben, wenn ein teutscher Reichsstand von einer auswärtigen Macht angegriffen wird?« Nein, findet der Autor, wenn »der Reichsstand als Reichsstand« angegriffen wird, müssen Kaiser und Reich helfen, »vermöge der Reichsverbindung«. Denn »jeder Reichsstand befindet sich zu Kaiser und Reich in einem doppelten Verhältnisse; nämlich 1) ist er als Vasall Kaisers und Reichs zu betrachten; 2) ist er aber auch als Unterthan des ganzen Staatscörpers und als Mitstand mehrerer unter einem gemeinschaftlichen Oberherrn verbündeter Staaten anzusehen«. Der Vasall muß von seinem Lehnsherrn unterstützt werden, »die Lehnsverpflichtungen sind nicht einseitig, sie sind reciprok, und eben so wenig, wie der Vasall es dulden darf, daß das Leben, die Ehre, die Güter seines Lehnsherrn angegriffen werden, eben so wenig darf auch der Lehnsherr seinen Vasallen angreifen« lassen. »Mehr noch aber darf sich jeder teutsche Reichsstand wie Unterthan und Verbündeter einer Staatengesellschaft den Beystand dieser ganzen Gesellschaft versprechen.« Kaiser und Reich müssen »auf gleiche Art, vermöge des Lehns-, als vermöge des Reichsbandes (ex nexu feudali et ex nexu civili)« helfen.355 Hier sind einmal, selten genug, sowohl der Lehnsverbund als auch das politische System (dieses, in zeitgebundener Teminologie, als »nexus civilis«) angesprochen. Aber auch den »Reichskrieg« vergißt der Artikel nicht: Unter der Überschrift »Darf ein teutscher Reichsstand nach erklärtem Reichskriege neutral bleiben?« wird nahezu ausschließlich mit der Bindekraft der Reichstagsmaiora argumentiert. »Wären auch keine ausdrükliche Reichsgesezze über die in diesem Paragraphen aufgeworfene Frage vorhanden« (dem ist für den Autor aber nicht so, die Fußnote zitiert ausführlich aus dem Reichsabschied von 1641), so würde »die Entscheidung derselben doch gar keinen Schwierigkeiten unterworfen seyn. Denn nicht zu gedenken, daß jeder Reichsstand schwört, er wolle dem Kaiser und dem heiligen Reiche getreu, hold, gehorsam und gewärtig seyn, ist es ganz unläugbar« – was übrigens für die Reichstagspraxis schlechterdings nicht zutrifft!356 354 Scheidemantel, Repertorium, S. 611. 355 Ebda., S. 613f. 356 Um nur stichwortartig anzudeuten: Maxime des »quod omnes tangit«, die zahllosen »protestationes«; sodann die Möglichkeit, eine Itio in partes einzufordern, weil angeblich konfessionell einschlägige Materien keine Majorisierung duldeten ... Die stets fragliche, nach Reichstagsende verhandelbare und tatsächlich nicht ganz selten erst ausgehandelte Bindekraft von Reichsschlüssen für jedes einzelne der Reichsglieder darf nicht an modernen parlamentarischen Gepflogenheiten gemessen werden.

Neutralität verstößt gegen »gehorsam« und »trew«

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–, »daß den Reichsgesezzen und dem Reichsherkommen gemäß, die Mehrheit der Stimmen in den drey Reichscollegiis, der Regel nach, bei allen vorkommenden Reichsangelegenheiten gelten«. Erklärt der Reichstag mehrheitlich den Reichskrieg, handelt es sich um einen solchen Regelfall, beim Reichskrieg kann »auf keine Weise ein ius singulorum verstattet werden«.357 Auch bereits signierte Verträge des betreffenden Reichsstands ändern daran nichts: ein bemerkenswertes Prä der Reichsbindungen vor Souveränitätsprätentionen aus der Schlußphase des Alten Reiches! Als das »Repertorium« 1793 erschien, war vermutlich 358 kaum einer seiner Leser der Ansicht, demnächst den Untergang des dort beschriebenen politischen Systems und Rechtsverbunds zu erleben. Zwei Jahre später wurde indes die Agonie eingeleitet, als sich Preußen durch den Sonderfrieden von Basel359 aus dem Reichskrieg gegen Frankreich davonstahl und mit dieser auswärtigen Macht zudem vereinbarte, daß der Krieg auch für alle anderen Reichsglieder zu Ende sei, die entweder binnen dreier Monate preußische Friedensvermittlung anriefen oder aber nördlich einer Demarkationslinie lagen, die von Münster über Kleve hin zum Main verlief. Spätestens im Juli 1796, als die Hofburg die offizielle Mitteilung der norddeutschen Neutralität zur Kenntnis nehmen durfte, war das Reich keine Schicksalsgemeinschaft mehr, und konnte man deutlicher vor Augen führen, daß der Wiener Arm nicht mehr in die norddeutsche Tiefebene hineinreichte? Es blieb im Gedächtnis haften, noch 1841 wird es im RotteckWelckerschen »Staats-Lexicon« heißen: »Preußens Neutralitätssystem nach dem Baseler Frieden ... konnte ... zu nichts Anderem führen, als zur Auflösung, zum Untergange des Reiches«.360 357 Ebda., S. 615. 358 Untersucht ist es nicht. Zwar wurde eine fundierte wahrnehmungsgeschichtliche Aufarbeitung des Reichsendes in den letzten Jahren endlich in Angriff genommen, insbesondere durch zwei Monographien, die Wolfgang Burgdorf und Eric-Oliver Mader vorlegten, doch fokussieren beide Autoren den Sommer 1806. Lesenswert ist ferner ein von Christine Roll und Matthias Schnettger herausgegebener, ebenfalls wahrnehmungsgeschichtlich ausgerichteter Sammelband zum »Epochenjahr 1806«; die Binnenperspektive beleuchtet dort Bettina Braun, zur Sichtweise der Hofburg äußert sich pointiert Lothar Höbelt. – Vgl. jetzt noch die Anfangs- und Schlußpassagen in Michael Puchta, Mediatisierung »mit Haut und Haar, Leib und Leben«. Die Unterwerfung der Reichsritter durch Ansbach-Bayreuth (1792–1798), Göttingen 2012. 359 Nicht nur seiner Neutralitätspassage wegen leitete der Friedensschluß von Basel die Agonie des Alten Reiches ein, auch, weil sich von Basel (sowie den Folgeverträgen von Berlin) aus eine dicke Linie zum Reichsdeputationshauptschluß von 1803 ziehen läßt: so die rückschauende Analyse des modernen Historikers (vgl. knapp zusammenfassend Gotthard, Das Alte Reich, S. 153–155). Ob sie der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen entspricht, wissen wir, wie gesagt, nicht. 360 Rotteck/Welcker, Staats-Lexicon, s. v. Neutralität (hier S. 305).

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Akzeptanzproblem vormoderner Neutralität

So wurde in den letzten Jahren des Reiches noch einmal spektakulär deutlich, daß sich zwischen Neutralität und Reichsbanden ein (so schwer faß- wie auflösbares) Spannungsverhältnis auftat. Im Grunde bestätigt sich von dieser überraschenden Seite her, was wir weiter oben im Hinblick aufs europäische Staatensystem konstatieren konnten: daß sich nämlich Neutralität am besten in eine polyzentrische horizontale Ordnung fügt. War die Idee einer von Kaiser und Papst angeführten abendländischen Staatenpyramide wohl stets mehr Ideal als Wirklichkeit (und insofern, pointiert gesagt, mehr konzeptionelles denn stukturelles Hindernis für die Ausbildung des klassischen Neutralitätsrechts), war das Reichsoberhaupt eine politische Realität – nicht nur das dem Inhaber des Amtes zufließende Charisma war in Rechnung zu stellen, auch seine Position im politischen System des Reiches wie als oberster Lehnsherr. Unsere Sondierungen im Umfeld der vormodernen »neutralitet« warfen nicht nur Schlaglichter auf die langwierige Prozeßhaftigkeit der Ausformung eines horizontalen regelgesteuerten europäischen Staatensystems, auch auf die Bedeutung des vermeintlich archaischen Lehnswesens für die frühneuzeitliche Reichsgeschichte.

6.5 Schlußbetrachtung Dieses Buch griff, als es nach konzeptionellen und strukturellen Voraussetzungen der vormodernen Bellizität fragte, ziemlich weit aus; und zirkelte seinen Fokus viel enger, als es die Akzeptanzprobleme der Neutralität in den Jahrhunderten zwischen der Begriffswerdung und der Verdichtung zum Völkerrechtstitel beleuchtete. Sollten die weitgreifenden Fragen von Kapitel A zunächst lediglich dabei helfen, die Rahmenbedingungen für ein der Neutralität gewidmetes Buch abzustecken, wurde im Zuge der Recherchen immer deutlicher, daß sich letztere, die »neutralitet«, zur Fallstudie eignete. Ihre in der Vormoderne gravierenden Akzeptanzprobleme nämlich sind für die konzeptionellen und strukturellen Voraussetzungen der eminenten vormodernen Bellizität aufschlußreich. So stehen denn Kapitel A und Kapitel C in einem engen Wechselverhältnis. Warfen die von diesen Kapiteln analysierten Sachverhalte etwas Streulicht auf Themen, die nicht nur Experten für die Geschichte der internationalen Beziehungen interessieren könnten? Lassen sie gewisse Entwicklungslinien in der Ordnung361 des menschlichen Zusammenlebens etwas deutlicher hervortreten? Ich will dieses Buch mit seinen vielen langen, gelehrt daherkommenden Fußno361 Mit dem Begriff der »Ordnung« haben sich Vertreter vieler wissenschaftlicher Disziplinen, am häufigsten wohl aber Philosophen befaßt. Die reichhaltige Literatur nennt und sichtet

Schlußbetrachtung

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ten und Archivnachweisen mit einigen Überlegungen abschließen, die essayistischer Natur sind und keine wissenschaftliche Stringenz beanspruchen. Versuchen wir zunächst einmal, einen vorneuzeitlichen Ausgangspunkt zu fixieren! In aller hier notwendigen Verknappung dürfen wir wohl festhalten, daß »Ordnung« dem mittelalterlichen Abendland hierarchische Anordnung war, die unmittelbar oder mittelbar (die Natur als Schöpfung Gottes) göttlicher Disposition erwuchs. Sie war menschlicher Verfügbarkeit enthoben, lebenspraktisch als Imperativ zur Einordnung zu lesen. In welche Richtungen entwickelten sich spezifisch neuzeitliche Ordnungsvorstellungen? Schlagwortartig verknappt, wird man eine Formalisierung von Ordnungsstiftung und ihre Subjektivierung konstatieren, eine Enthierarchisierung von Ordnung und ihre Segmentierung. Waren die um Krieg und Frieden kreisenden Sondierungen dieser Studie geeignet, solche Trends zu illustrieren, können sie ein klein wenig dazu beitragen, ihnen prägnantere Konturen zu verleihen? Im Verlauf der zweiten Hälfte der Frühen Neuzeit und zumal im Zeichen der Aufklärung gewann der Gedanke an Boden, daß staatliche Ordnung eine Pluralität von Weltanschauungen und Lebensstilen nicht etwa verhindern, sondern erst ermöglichen solle. Bereits der Augsburger Religionsfrieden versuchte 1555 nicht mehr, ein Wahrheitsmonopol festzuschreiben, sondern das Nebeneinander je exklusiver Wahrheitsmonopole politisch handhabbar zu machen – ein 1555 in europäischem Maßstab noch avantgardistischer Gedanke, eine avantgardistische Friedenskonzeption. Sie griff ihrer Zeit in manchen Hinsichten zu weit voraus, aber mit dem Zweiten Religionsfrieden wird man 1648, nun erfolgreich, am überkonfessionellen Augsburger Friedenskonzept anknüpfen. Thema verfehlt? Darf man diesen Religionsfrieden einfach in gleichsam ›außenpolitische‹ Bezüge stellen? Regelte er nicht das Zusammenleben von Gliedern ein und desselben politischen Systems (namens Heiliges Römisches Reich deutscher Nation)? Andererseits wurde er zwischen Territorialherren geschlossen, die eigenständige Außenpolitik trieben, auch untereinander und mit Europas Königen Allianzen einzugehen pflegten. Der Augsburger Religionsfrieden regelte das Zusammenleben selbst außenpolitisch aktiver Reichsterritorien, aber unter dem Einen Dach des Reichsverbands. Wie so viele reichspolitische Zusammenhänge, läßt er sich nach zwischenstaatlichen Kategorien analysieren oder als Reichsinnenpolitik begreifen – eine Frage der Perspektive. Wir stießen indes im Verlauf dieser Studie immer wieder auf eine Entkonfessionalisierung (um es im Horizont der Zeitgenossen zu formulieren), allgemeiner gesagt: auf eine Entethisierung des Friedens auch in Kontexten, die unzweideutig dem Bereich staatlicher Außenpolitik zugehören. »Tranquillitas ordinis«, nämlich beispielsweise der Artikel »Ordnung« in Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hgg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Darmstadt 1984.

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Akzeptanzproblem vormoderner Neutralität

Pax, einst eng mit Iustitia verschwistert362, schrumpfte – auch, weil Iustitia interkonfessionell nicht mehr konsensfähig war363 – auf »Ruhe und Ordnung« ein. Zu Ende ging diesen Weg von den vormodernen Staatstheoretikern nur Thomas Hobbes, aber alle bekannten Völkerrechtsautoren des 18. Jahrhunderts wandelten, vom zwischenstaatlichen Frieden handelnd, doch mehr oder weniger konsequent auf seinen Spuren. Frieden war ihnen kein kosmisches Ordnungsprinzip, nicht »der Gerechtigkeit Frucht«364 sondern die cleverer Vertragspolitik. Ob in Zusammenhängen, die wir heute als »innenpolitische« bezeichnen (»Herrschaftsvertrag«), ob in »außenpolitischen« (völkerrechtliche Verträge): Frieden war eben die Abwesenheit physischer Gewalt, meinte nicht »Wahrheit und Gerechtigkeit«, sondern Ruhe und Stabilität. Frieden küßte nicht mehr Frau Iustitia, reichte der Securitas die Hand. Auch das Ius ad bellum kam nun ohne Gerechtigkeitskriterien aus, bemaß sich an der formalen Kategorie einzelstaatlicher Souveränität. Krieg durfte führen, wer souverän war, sollte oder mußte führen, wem das die Staatsräson nahelegte. Zu dieser Entethisierung von Frieden wie Krieg fügt sich die vormoderne Neutralità. Wir merkten in Kapitel C, daß Neutralität bei zwischenstaatlichen Konflikten, im Zuge eines langwierigen Abschieds von den binären Codes des Mittelalters (civitas Dei versus civitas Diaboli, Amicitia versus Feindschaft, Treue versus Felonie), von der sündhaften Verweigerung ethisch korrekter Einordnung zum ›sittlich neutralen‹ Attribut souveräner Staatlichkeit wurde, zum Völkerrechtstitel, auf den jeder Souverän jederzeit nach Maßgabe seines Staatsräsonkalküls zugreifen konnte. Eine moraltheologische Entleerung, eine ›Entwertung‹ von Ordnungsstiftung 365 läßt sich also auch auf zwischenstaatlicher Ebene evident machen. 362 Als »tranquillitas ordinis« begriff »der Vater der christlichen Friedensidee«, Augustinus, Pax: Janssen, Friede, S. 548 mit Anmm. 21–24 (dort die reichhaltige ältere Literatur). Pax und Iustitia: Gotthard, Religionsfrieden, Kapitel B.III.3.1 und Kapitel D.I.2 sowie in dieser Studie oben Kapitel A.1. Es lohnt vielleicht, die Begriffsdefinitionen Augustins vorzustellen, sie lagen ja dem Friedensdiskurs des Folgejahrtausends zugrunde: Pax war »tranquillitas ordinis«; Ordo die »parium dispariumque rerum sua cuique loca distribuens dispositio«; Iustitia schließlich das Vermögen und der Wille, derart jedem Ding und jedem Lebewesen den ihm zukommenden ›richtigen‹ Platz in der hierarchisch aufgebauten kosmischen Ordnung zuzuweisen. 363 Wir sahen in dieser Studie wiederholt, daß der Zerfall der Christianitas in mehrere christliche Konfessionen die Formalisierung von Ordnungsstiftung beförderte. – Ist der longuedurée-Trend der Globalisierung so weit vorangeschritten, daß konkurrierende Ordnungsvorstellungen in einer zusammenrückenden Welt nicht mehr nebeneinander Platz haben, sondern aufeinanderprallen oder sich doch aneinander reiben? Es stellt sich damit das Problem der Universalisierung von Ordnungsvorstellungen, die genetisch in je spezifischen Kontexten wurzeln. Kann der gemeinsame Nenner nur der kleinste der respektvollen Hinnahme von Alterität (»political correctness«) sein? Das läßt sich mit den Mitteln dieser Studie natürlich nicht erhärten. 364 Vgl. oben S. 32. 365 Dieser elementare Prozeß überdauerte gewiß die Frühe Neuzeit. Seit wann kann man konstatieren, daß Ordnung nicht mehr in Anordnung, also Plazierung besteht, sondern sich

Schlußbetrachtung

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Wann hatte sich der Glaube an eine göttlicher Stiftung erwachsende oder doch »der Natur« ablesbare Grundordnung menschlichen Zusammenlebens so verflüchtigt, daß »Ordnung« nicht mehr einfach vorgefunden, sondern nur noch durch Strukturierungsbemühungen des analysierenden Betrachters hergestellt bzw. ins empirische Material hineingelegt werden konnte? Und wann kam der Begriff »Ordnung« überhaupt gleichsam aus der Mode? Beide Fragen kann diese Studie natürlich nicht im Vorbeigehen beantworten. Beide Entwicklungen interessieren sie nur deshalb, weil sie (gewiß nicht nur, aber auch) mit der Entsubstantialisierung von Pax zusammenhängen könnten. À la longue hat sich Ordnung unverkennbar vom normativen Appell zur Einordnung hin zu einer beschreibenden Kategorie entwickelt – der Moderne geht es nicht mehr zentral darum, einer als »wahr« behaupteten, der einzig »richtigen« Ordnung zu genügen, moderne Menschen agieren in zahlreichen, oft oszillierenden Rollen, und jeder Teilbereich gesellschaftlicher Wirklichkeit darf und soll seiner Eigenlogik gehorchen, folgt seinen spezifischen Spielregeln, deren Zusammenwirken man natürlich analysieren kann. Das Resultat solcher Sondierungen bezeichnet man aber nicht mehr gern als je und je vorgefundene »Ordnung« der Dinge, lieber analysiert man »Systeme«, rekonstruiert man »Strukturen«. »Ordnung« nämlich evoziert Statik, ja, klingt heutigen Ohren politisch inkorrekt. Es hat zweifelsohne damit zu tun, daß sich die moderne Schrumpfform von Pax, »Ruhe und Ordnung«, schon in der Metternich-Ära366, vollends als »Friedhofsruhe« totalitärer Regime des 20. Jahrhunderts moralisch diskredierte. Die Moderne hatte wieder zu lernen, daß der Verzicht auf moralische Maßstäbe nicht moralisch folgenlos bleiben muß. Nun zielte, wer »Ruhe und Ordnung« propagierte oder perhorreszierte, überwiegend nicht auf zwischenstaatliche, sondern auf innergesellschaftliche Verhältnisse. Wir sahen freilich in dieser Studie, daß die zwischenstaatliche Pax denselben Weg ging. Iustitia ist im Umfeld des Ius ad bellum bei den Völkerrechtsautoren des 18. Jahrhunderts keinerlei Prägnanz mehr eigen. Regulatives Prinzip der Konvenienzpolitik des 18. Jahrhunderts war mit dem Gleichgewicht im formal korrekten »Verfahren« verwirklicht? Für moderne gesellschaftliche Teilbereiche und moderne Staaten gilt dies sicherlich. Moderne Ordnung besteht nicht in semel pro semper gültiger Platzanweisung, es »herrscht Ordnung«, wenn das unentwegte Fluktuieren zwischen Positionen und Rängen von nachvollziehbaren, der Mehrheit plausiblen (vulgo: »fairen«) Regeln kanalisiert wird. 366 Es soll hier um die großen Linien gehen. Wenigstens anmerkungsweise will ich doch erwähnen, daß bereits Autoren der Hoch- und Spätaufklärung Kritik an einem auf Stabilität eingeschrumpften Friedenskonzept üben konnten. In dem Maße, in dem die Schrecken der Konfessionskriege zum Geschichtsstoff verblaßten, rückten Kehrseiten der »pax civilis« in den Vordergrund: mangelndes Gerechtigkeitsempfinden, verweigerte Partizipation, »strukturelle Gewalt« (um es mit einem Terminus des 20. Jahrhunderts zu sagen).

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der Kräfte eine rein formale, der Mechanik entlehnte, aus sich heraus amoralische Kategorie. Die Konvenienzpolitik wollte ungezügelte Staatsegoismen gewiß zähmen, aber sie läßt sich doch insofern in eine von der Ratio status bis hin zum modernen »Realist Thought« reichende Entwicklungslinie einreihen, als sie nicht aus feststehenden Werten deduzierte, sondern mit sich stets wandelnden Kräfteverhältnissen kalkulierte, als sie nicht qualitativ bewertete, sondern je und je neu gewichtete. Ihrer Mechanik frommte die konzertierte Aufteilung Polens, aber welche »Gerechtigkeit« befestigten diese Teilungen? Wir können einen Zwischenstand festhalten: Diese Studie stieß, nach vormodernen Kriegs- und Friedensbegriffen fragend, immer wieder auf der »inneren« Ordnungsstiftung vergleichbare Formalisierungsprozesse bei den konzeptionellen Grundlagen des zwischenstaatlichen Zusammenlebens. Es mag beim ersten Hinschauen widersprüchlich erscheinen, und doch: Der Entsubstantialisierung von Ordnung korrespondiert nicht nur ihre Formalisierung, auch ihre Subjektivierung. Diese Subjektivierung ist ebenso evident, vergleichbar elementar, doch ähnlich schwierig zu konturieren wie die Formalisierung der Ordnungsstiftung – Mediävisten mögen den entscheidenden Schub beim Nominalismus verorten, der Neuzeitler denkt eher an Holbach und Hume, dann Kant. Nach modernem Verständnis ist Ordnung nicht »an sich« da und immerwährend vorgegeben, sondern abhängig von einem Subjekt, das sie in die Natur hineinliest – oder gleich keck zugibt, sie selbst zu setzen. Diese Subjektivierung der Ordnungsvorstellungen impliziert ihre Säkularisierung. Von außenpolitischen Bezügen aus ist dem hier nichts mehr hinzuzufügen – wir sahen auf den letzten 870 Seiten, daß sich die Rede über Krieg, Frieden, Neutralität, überhaupt die interstatalen Beziehungen auf allen Ebenen enttheologisiert hat. Wir merkten auch, daß besagte Säkularisierung nicht einsinnig linear-progressiv verlief. Wir merkten (insbesondere im Umkreis der »Ehre« und zumal im Hinblick auf die schon von Zeitgenossen so etikettierte ludovizianische Epoche der »Ehrensucht«), daß Säkularisierung nach unseren modernen Maßstäben nicht Rationalisierung bedeuten muß. Wenn metaphysische Abstraktionen (bzw. »Spekulationen«) grundsätzlich unbeweisbar sind, stellt sich die Frage ihrer Zwingkraft für die Lebenspraxis. Schon die im 18. Jahrhundert an den Schreibtischen der Aufklärungsautoren gezirkelte Ordnung beruhte auf zwischenmenschlicher Vereinbarung, auf Verträgen – innerterritorialen »Herrschaftsverträgen«, dem zwischenstaatlichen Vertragsvölkerrecht367. Wenn Menschen die Spielregeln, an denen sie ihr Zusammenleben 367 Letzteres interessierte diese Studie natürlich mehr, vor allem fragten wir uns immer wieder, wie und seit wann es (nach dem Zerfall des hierarchischen Ordnungsmodells der mittelalterlichen Christianitas und angesichts der Zerklüftung von Iustitia infolge der Ausbildung mehrer Konfessionen) gelang, durch die Schreibtischarbeit der Völkerrechtsautoren, also

Schlußbetrachtung

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ausrichten wollen, nicht mehr »der Schöpfung« oder »der kirchlichen Tradition« ablesen können, wird zum Problem, warum sie sich in eine Ordnung einfügen sollen, von der sie wissen, daß sie selbst sie geschaffen haben. Ordnung wird so zukunftsoffen: anstatt Deformiertes zu »re-formieren«, kann der Mensch sich eine »neue Ordnung« schaffen. Ist auch hierfür368 schon die Entstehungsgeschichte jenes Augsburger Religionsfriedens aufschlußreich, der ja erst gar nicht versuchte, die eine und wahre Ordnung zu zirkeln (vielmehr den Dissens zwischen zwei Ordnungen, zwei je exklusiven Wahrheitsmonopolen, ihnen erwachsenden inkompatiblen Rechtsgefügen politisch handhabbar machen wollte)? Vertieft man sich in die zum Religionsfrieden hinführenden Akten, fällt auf, daß 1555 nicht die Stunde der Theologen war. Gewiß, wie immer in der Vormoderne begleiteten sie den Politikbetrieb mit ihren gelehrten Gutachten und auch manchem (angefordertem oder ungebetenem) ad-hoc-Ratschlag, aber das hat dem Reichstag nicht den Weg gewiesen. Der Augsburger Religionsfrieden ist ein durch und durch politischer Frieden, wurde ausgearbeitet von juristisch geschulten Räten, abgesegnet von Reichsfürsten und reichsstädtischen Magistraten. Die Kluft zwischen den Konfessionen wurde nicht von Theologen abgearbeitet, sondern von Juristen politisch handhabbar gemacht. Es war am Reichstag durchaus strittig, ob diese Ausdifferenzierung nach Sachlogiken legitim, ob sie gottgefällig war. Nicht nur katholische Stimmen fanden einen Lösungsversuch durch Juristen und Politiker »der sachen gantz ungemeß und unfurträglich, dann gemaine stende seind der profession nit, das sy in der religions- und glaubenssachen fruchtbarlich handlen köndten«.369 Auch Protestanten konnten diese Abwehrhaltung einnehmen, etwa, als es um den Geistlichen Vorbehalt ging: »Es seyen zwey regiment auf diser erden, das ain spirituale, das ander temporale [...] die sachen stienden in foro conscientiae«.370 Besonders im Fürstenrat entbrannte immer wieder heftiger Streit der Friedenskonzepte durch völkerrechtliche Normen wieder so etwas wie Erwartungsverläßlichkeit in die internationalen Beziehungen zu bringen. 368 Also jenen Machbarkeitsglauben, der einer Subjektivierung von Ordnungsstiftung erwächst; ich hätte die folgenden Überlegungen genauso zur Segmentierung von Ordnung in Beziehung setzen können: Politik emanzipiert sich vom Anspruch der Theologie, den universal gültigen Ordnungsrahmen zu setzen, nimmt sich 1555 heraus, ihren eigenen Sachzwängen (Rettung der Stabilität des Reichsverbands) zu folgen. 369 So formuliert die Instruktion Karls V. für seine Reichstagskommissare (RTA, Bd.  20, Teilbd. 1, Nr. 26, hier S. 217). Im Fürstenrat mit seinen vielen geistlichen Voten wurde immer wieder vergleichbar argumentiert. 370 Votum des Gesandten der Herzöge von Sachsen, Eberhard von der Thann, im Fürstenrat vom 2. September 1555: ebda., Teilbd. 3, Nr. 215, hier S. 2045. Der Duktus ist natürlich ›typisch lutherisch‹. Katholiken argumentierten beispielsweise gern mit dem Amtseid der Fürstbischöfe, der kanonischen Verpflichtung zur Ketzerbekämpfung, spielten den allein

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Akzeptanzproblem vormoderner Neutralität

und Rollenerwartungen. Durfte Politik tatsächlich ihren eigenen Sachzwängen gehorchen, oder überhob sie sich beim hybriden Versuch, mehr zu werden als Ancilla theologiae? Solche Anfragen ans Selbstverständnis der Politik werden seit den 1580er Jahren immer bohrender, immer schärfer kontroverstheologische Traktate und katholische Flugschriften aufwerfen – war der »zeitlich, Politisch, eusserlich Friden« nicht notwendigerweise »ein Gottloser Friedt vnnd mit Sünden vermengt vnnd besudelt«?371 Der Modernisierungsfortschritt eines Vierteljahrhunderts war dahin. Aber am Augsburger Reichstag war die Überzeugung vom Primat der Politik eindeutig mehrheitsfähig gewesen. Die Politiker waren 1555 davon überzeugt, daß sie die Sache in ihre Hand nehmen durften, jetzt mußten. In diesem Sinne ›selbstbewußt‹ haben sie in Augsburg »Geschichte gemacht«. Daß die Politici von Augsburg der Stabilität des politischen Systems des Reiches geschuldeten politischen Sachzwängen folgten, würde die Systemtheorie als Indiz für fortschreitende gesellschaftliche Ausdifferenzierung (also die Segmentierung von Ordnung!) lesen. Besagt es auch etwas für eine Geschichte der Subjektivierung von Ordnungsstiftung? Diese Subjektivierung erfaßt ja wie den Raum372 gleichermaßen die Zeit – Geschichte ist nicht mehr biblisch geweissagte Verfallsgeschichte, die in feststehenden, weil prophezeiten Weltaltern dem apokalyptischen Ende zu absinkt, vielmehr stellt der Mensch als Homo Faber selbst seine Geschichte her. Ob wir nun den Bezug zur Segmentierung von Ordnung oder aber den zu ihrer Subjektivierung plausibler finden: daß sich die Politici 1555 zutrauten, den Dissens zweier je exklusiver Wahrheitsmonopole politisch handhabbar zu machen, ist für eine Geschichte politischer Ordnungsstiftung allemal aufschlußreich. Erfaßte die Subjektivierung von Ordnungsstiftung auch Europas »Staatenordnung«? Es illustriert, welch erstaunliche Wissenslücken hier klaffen, daß wir diese Frage nicht triftig beantworten können. Seit wann wir von einem »Staatensystem« sprechen sollten, wurde weiter oben bereits recht ausführlich diskutiert. legitimen, von Theologen zu erarbeitenden »inneren« gegen einen wertlosen politischen »äusseren« aus. 371 So fragt »Franciscus Burgkardus«, De Autonomia, fol. 209. 372 Dem ist diese Studie nicht nachgegangen. Spätestens seit Georg Simmels (freilich wenig rezipierter) »Soziologie des Raums« müßten wir eigentlich wissen, daß Räume nicht ›einfach so da sind‹. Im Alltagsverständnis sind sie es wohl weiterhin, aber wissenschaftlich sollte man sich heutzutage nicht mehr darüber streiten müssen, daß Räume keinesfalls materiell vorgegeben sind; von materieller Qualität sind lediglich – vermeßbare, verortbare – Punkte der Erdoberfläche, Dinge und Lebewesen, die der Mensch durch individuelle, indes von der zeittypischen Sozialisation abhängige, insofern gesellschaftlich vorgeprägte Syntheseleistung zu »Räumen« zusammenfügt. Vgl. hierzu Gotthard, In der Ferne; ausdrücklich zum Raumbegriff (»der Raum, ein Identitätsangebot«, »der Raum, eine Kopfgeburt«) ebda., S. 68–71.

Schlußbetrachtung

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Ziemlich sicher hilft uns der Systembegriff im Frühen und Hohen Mittelalter nicht weiter, aber gab es damals eine wie auch immer geartete »Staatenordnung«? Fehlen für solche Rede alle Voraussetzungen – was sollten wir uns im Frühen Mittelalter unter »staatlicher« Außenpolitik, ja, was überhaupt unter »Außenpolitik« vorstellen? Jedenfalls auf dem Papier (bzw. Pergament) stand indes mit dem Konzept der von Papst und Kaiser geleiteten Christianitas ein grundsätzlich nicht hinterfragbares hierarchisches Leitmodell fürs ganze Abendland fest. Inwiefern diese Konzeption tatsächlich die praktische Politik steuerte, kann der Neuzeithistoriker nicht beurteilen, ums Verhältnis zwischen den beiden Leitinstanzen jedenfalls wurde zu Zeiten ganz handfest gerungen. Der Neuzeit war das hierarchische Ordnungsmodell nicht mehr plausibel. Der letzte Römische Kaiser, für den dieser Titel mehr beinhaltet hat als einen gewissen Prestigevorsprung vor Europas Königen, Karl V., ist in der politischen Realität mit all seinen hochtrabenden Ansprüchen gescheitert, nach heroischen Anstrengungen zwar: ein imposantes Scheitern, aber Scheitern eben doch. Der Kirchenstaat war im ausgehenden Mittelalter, der anhebenden Neuzeit eine von diversen mittleren Potenzen auf der Apenninhalbinsel; die Reichweite eines gleichsam ideellen Führungsanspruchs illustriert die Rezeption der Gregorianischen Kalenderreform. Der Papst hätte für eine derartige, überstaatlich wichtige Angelegenheit durchaus der geeignete Impulsgeber sein können – wenn es die Eine Christianitas noch gegeben hätte. Das neuzeitliche Europa kannte keine feststehenden, immerwährenden Leitmächte mehr. Das Gewicht, das einer Regierung im zwischenstaatlichen Verkehr zukam, hing vom fluktuierenden Respekt der Mitspieler ab, also von der Gloire des Herrschers, seinen diplomatischen Ressourcen, gewiß auch der momentanen ökonomischen, damit militärischen Potenz seines Landes – beziehungsweise davon, wie die noch nicht mit Spionagesatelliten operierenden Mitspieler diese Potenz subjektiv einschätzten: »Reputation of power, is Power«.373 Führungspositionen waren allenfalls noch informell, vorübergehend und nie unstrittig zu erringen. Der Blick auf Europas »Staatenordnung« fördert also Indizien für einen weiteren elementaren Trend der Ordnungsstiftung zutage: für die Enthierarchisierung von Ordnung. Aus qualitativer Abstufung wird funktional adäquate Reihung oder Serie. An die Stelle des Privilegs tritt im Verlauf der letzten vormodernen Jahrhunderte das Gesetz für alle. Alle modernen Menschen haben dieselben »Grundrechte« und gleiche »bürgerliche Rechte«. Alle Staaten der insofern horizontal gegliederten Völkergemeinschaft sind gleichermaßen souverän.

373 Thomas Hobbes, Leviathan Or The Matter, Forme, & Power of a Common-Wealth Ecclesiasticall and Civill, ed. by Ian Shapiro, New Haven/London 2010, S. 53. »Chap. X. Of Power« zielt an sich nicht speziell auf außenpolitische Sachverhalte.

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Die Enthierarchisierung des Ordo mündet nicht in Universalisierung und Nivellierung, sie korrespondiert mit einer Segmentierung von Ordnung. Wenn »die« Lebenswirklichkeit in gesellschaftliche Teilbereiche auseinanderfällt, der Mensch also in verschiedenen Rollen agiert, gibt es nicht mehr »den« ihm vorgegebenen Rang.374 Wenn ein monolitisch aufgefaßtes »Gesamtverhalten«375 in viele Facetten gebrochen wird, kann der Fürst als Politiker in einem bestimmten Konflikt neutral bleiben, ohne deshalb notwendigerweise menschliche Anstandsregeln wie die Beachtung von Freundschaftsbanden zu brechen und zum immerwährenden, in die Hölle gewünschten Feind zu mutieren; er kann als oberster Militär seines Landes neutral bleiben und doch in anderen Rollen – als hochadeliger Standesgenosse, als Glaubensbruder oder als Handelspartner – weiterhin mit allen Konfliktparteien konstruktive Beziehungen unterhalten. Wenn Politik und Rechtsprechung nicht mehr Ancillae Theologiae sind, dürfen sie ihren eigenen Sachzwängen gehorchen. Sie wurden im Fall der Politik als »ratio status« auf den Begriff gebracht; die Staatsräson orientierte sich nicht an feststehenden Normen und Werten, kalkulierte mit sich stets wandelnden, als dynamisch aufgefaßten Kräfteverhältnissen. Auch deshalb gab es für jene Völkerrechtssubjekte des 18. Jahrhunderts, die einerseits formal (da »souverän«) alle gleich, andererseits höchst unterschiedlich respektiert, bewehrt, ökonomisch potent, politisch vernetzt waren, keine angestammten Ränge im »Theatrum Europaeum« mehr. Für die Staatenordnung des 18. Jahrhunderts war ja einerseits ein rein formale Kategorie zentral, die der Souveränität. Alle Staaten der insofern horizontal angeordneten Völkerrechtsgemeinschaft waren gleichermaßen souverän, deshalb grundsätzlich gleichberechtigt. Schon deshalb mußten sie, so sie neutral bleiben wollten, weder vor einer moralischen Letztinstanz noch vor einem (im Rahmen des damaligen Souveränitätskonzepts gar nicht denkbaren) ›Obersouverän‹ Rechenschaft ablegen. Ihr informeller Einfluß hing nicht an einer fixen Dignität, erwuchs nicht einem angestammten Rang in der Staatenpyramide, bemaß sich an ständig fluktuierenden (charismatischen, materiellen) Ressourcen. Gipfelpositionen ließen sich schon seit dem späten Mittelalter höchstens vorübergehend erringen und nie unstrittig, mit wachsender praktischer Konsequenz wurde gegen einen solchen Führungsanspruch auch die Gleichgewichtsmechanik mobilisiert. Die zwischenstaatliche Ordnung war weder fix noch wollte sie eine gottgewollte 374 Jeder gesellschaftliche Teilbereich hat »seine« Ordnung, die aber meistens nicht mehr so genannt wird, wie wir schon sahen: Lieber spricht man von je eigenen Sachlogiken, Spielregeln o. ä. – Aus der Sicht der Neuesten Geschichte stellt sich die Frage, ob und wann die »Segmentierung« von Ordnung einer »Fragmentierung« weicht, die jeden gruppenspezifischen Diskurs sich selbst genug sein läßt, eine interdiskursive Verständigung nahezu verunmöglicht. Für anregende Gespräche über derartige Problemstellungen der ›allerneuesten‹ Geschichte danke ich meinem Erlanger Kollegen Friedrich Kießling. 375 Vgl. oben S. 812 mit Anm. 148.

Schlußbetrachtung

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oder kosmologische Ordnung abbilden, sie wurde von Politikern durchs Vertragsvölkerrecht ›gemacht‹ und auch durch die Systematisierungsversuche der solches Material sichtenden Völkerrechtsautoren. Die von dieser Studie beleuchteten Facetten des zwischenstaatlichen Mit- und Gegeneinander bieten viel Anschauungsmaterial für die Enthierarchisierung, Segmentierung, Subjektivierung, Formalisierung und Säkularisierung von Ordnung. Wir müssen freilich alle diese Vorgänge noch genauer verstehen lernen.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Ungedruckte Quellen Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHStA) Kasten blau Nr. 7/21, Nr. 7/22, Nr. 69/13, Nr. 79/1, Nr. 79/4, Nr. 102/4, Nr. 102/4 I, 102/ ad4 I, Nr. 105/2a, Nr. 105/2b, Nr. 105/2c, Nr. 105/4a, Nr. 121/1 II, Nr. 122/3b Kasten schwarz Nr. 30, Nr. 31, Nr. 32, Nr. 35, Nr. 47, Nr. 50, Nr. 131, Nr. 235, Nr. 960, Nr. 1022, Nr. 1023, Nr. 1863, Nr. 3689, Nr. 6461, Nr. 6710, Nr. 7052, Nr. 8170, Nr. 8744, Nr. 10410, Nr. 13466, Nr. 15021/5, Nr. 15243, Nr. 16443, Nr. 16671, Nr. 16672 Dreißigjähriger Krieg Akten Nr. 95, Nr. 105/I, Nr. 110/I, Nr. 110/III, Nr. 135, Nr. 143a, Nr. 157, Nr. 206/II, Nr. 529 Kurbayern Äußeres Archiv tom. 2036, tom. 2098, tom. 2100, tom. 2103, tom. 2327, tom. 3169, tom. 3405, tom. 3406, tom. 3407, tom. 3408, tom. 4305, tom. 4435, tom. 4525, tom. 4526, tom. 4527, tom. 4571

Generallandesarchiv Karlsruhe Abt. 46 Nr. 5060, Nr. 5235

Hauptstaatsarchiv Dresden (HStADr) Locat 7272 1. Buch Unio und Zusammensetzung Locat 8105 24. Buch Friedenstractation im Reich bel. Locat 8238 Original Instructiones und befehliche an Herr Dr. Gödelmannen Locat 8804 Vierzehende Buch Jülichische Sachen Locat 8806 Siebzehende Buch Jülichische Sachen Locat 9168 Dritte Buch Unruhe im Königreich Böhmen Locat 10209 Vierdte Buch Reichstags­sachen 1608 Locat 10520 Abschriften vom Testament Kurfürst Johann Ge­org I.

Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStASt) A29 Bü. 32, Bü. 37, Bü. 38, Bü. 39 A39 Bü. 5

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Quellen- und Literaturverzeichnis

A63 Bü. 82, Bü. 84 A66 Bü. 2 A74 Bü. 6, Bü. 7 A90A tom. 7, tom. 19, tom. 20, tom. 21, tom. 22, tom. 23, tom. 24, tom. 25, tom. 27, tom. 29, tom. 33, tom. 34, tom. 35, tom. 36, tom. 37, tom. 38, tom. 39, tom. 40 A90B Bü. 1 A95 Bü. 37 A109 Bü. 32a, Bü. 32b A238 tom. 45* A262 Bü. 88 C9 Bü. 212, Bü. 213, Bü. 214, Bü. 220, Bü. 221 C14 Bü. 268, Bü. 367a G66 Bü. 39

Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (HHStAW) Antiqua Nr. 142, Nr. 1153 Böhmen Nr. 55, Nr. 63, Nr. 64 Decisa Nr. 268 Kriegsakten Nr. 42, Nr. 46, Nr. 59, Nr. 76 Mainzer Erzkanzlerakten: Juliacensia 6; Wahl- und Krönungsakten 15; geistliche und Kirchensachen 1a Palatina Nr. 4, Nr. 10/3 Reichstagsakten Nr. 93

Hessisches Staatsarchiv Darmstadt D4 98/1 E1 B21/3

Hofkammerarchiv Wien Reichsakten 204

Landeshauptarchiv Koblenz 1C 9216

Quellen- und Literaturverzeichnis

Nationalbibliothek Wien cod. 7181, cod. 7990 Handschriften W 292

Staatsarchiv Bamberg C47 Nr. 75 C48 Nr. 42, Nr. 67, Nr. 68, Nr. 109, Nr. 111

Staatsarchiv Ludwigsburg B90 Bü. 398, Bü. 457

Staatsarchiv Nürnberg Unionsakten 13, Unionsakten 120, Unionsakten 127

Stadtarchiv Ulm A1338 Nr. 3866 A1343 Nr. 4400y A1405 Nr. 38, Nr. 114 A1407 Nr. 33, Nrr. 120ff., Nr. 165 A1413 Nr. 130 A1418 Nr. 85

Tiroler Landesarchiv Innsbruck Oberste Hofregistratur D91

Württembergische Landesbibliothek Stuttgart Cod. hist. 6b

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Gedruckte Quellen und vor 1800 erschienene Literatur [Anonym], Abregé de la vie de Monsieur de Turenne, ou reflexions sur quelques affaires du temps ..., »Ville-Franche« 1676. [Anonym], Abtruck Einer auffgefangenen Jesuitischen Information Vber die Frage: Ob das H. Römische Reich den Herrn Staten von Holland Die Neutralitet länger Verstatten soll oder nicht ..., o. O. 1637. [Anonym], Acta Bohemica. Das ist: Gründliche Warhaffte vnnd eigentliche beschreibung der furnemsten ... Historien und Geschichte ..., o. O. 1620. [Anonym], Aigentlicher vnd kurtzer Bericht, Was massen Herr Comte de Dompiro ... das zu Garsch Newgeworbene vnnd anders Manßfeltische Kriegsvolck ... in dem Marckt Garsch vberfallen ... vnd ein gute Beut bekommen ..., Augsburg 1620. [Anonym], Aller Neutralisten Spiegel. Das ist: Sehr schwere und große Klag eines armen Salzsieders zu Hall in Sachsen [von 1626], in: Julius Opel/Adolf Cohn (Hgg.), Der Dreißigjährige Krieg. Eine Sammlung von historischen Gedichten und Prosadarstellungen, Halle 1862, Nr. 39. [Anonym], Alte und Newe Zeitung Von der weitbekandten Stadt Magdenburg, welche auß gerechtem Vrtheil GOttes, jhr verdiente Straff, wegen ihres vor 80. Jahrn verübten grossen Muetwillens, den 20. Maij deß lauffenden 1631. Jahrs erschröcklich außgestanden, o. O. 1631. [Anonym], Ambassade extraordinaire de Messieurs les ducs d’Angoulesme ..., Paris 1667. [Anonym] ( Johann Philipp Spieß?), Anderer jüngstgehaltener Discurß zweyer Eydgenossen, vom Zustand des jetzigen Wesens, o. O. [1632]. [Anonym], Anmerckungen über den unzeitigen Friedens Curirer ..., »Verona« 1674. [Anonym], Appendix Des Schwedischen Spiegels, Oder Außführlicher Bericht, Dessen Was newlich ... von Schwedischer seiten ... vorgelauffen ..., o. O. 1658. [Anonym], Auß Leipzig, vom 13. Februarij. Kurtzer Bericht, was sich bey angehendem ... Convent vernemen lassen ..., »Leipzig« 1631. [Anonym], Außführlicher Discvrs Und bedencken, eines Deutschen Catholischen Patrioten, an alle alte Catholische, Deutscher Nation ..., o. O. 1615. [Anonym] ( Johann Philipp Spieß?), Bedencken eines guten Eydgenossen, vber die Gespräche Stephans vnd Hansens, o. O. [1632]. [Anonym], Bedencken Uber einige Gedancken Der Wohlgemeynter Erinnerung, An die sämptlichen Churfürsten und Stände des Reiches etc. Betreffend Den ReligionsFrieden, o. O. 1674. [Anonym], Brief eines Freundes aus Londen an einen Vertrauten im Haage unterm Dato den 11. Februarii 1667 betreffend die Resolution des König in England zu einem Neutral-Handel-Platze, o. O. 1667. [Anonym], Cabala, Mysteries of State, in Letters of the great Ministers of King James and King Charles. Wherein Much of the Publique Manage of Affaires is Related. Faithfully Collected by a Noble Hand, London 1654.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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[Anonym], Catholische Liga, oder Papistische Bündtnus vnd Entdeckung, Etlicher Blutgieriger vnd Fewriger Räth und Anschläg ..., o. O. 1615. [Anonym], Christliches und gantz Getrewes Hertzwolgemeinetes Bedencken ..., o. O. 1620. [Anonym], Colloquium Politicum, Vber die Frag: Warum solt ich nicht Schwedisch seyn? ... Insonderheit Dem gemeinen Mann, welcher ohne das gantz irr gemacht worden, zu lesen nützlich, o. O. 1632. [Anonym], Considerationes politicae de praesenti statu Europae sive causis imminentium bellorum ..., Frankfurt 1672. [Anonym], Consilium Der Churfürstlichen Wittembergischen Universitet, Ob dem Kayser in jetzigem Kriege zu assistiren oder nicht ... Johann Ernsten ... ertheilet, o. O. 1620. [Anonym], Consilium politico-apocalypticum pro commodo statuum Germaniae protestantivm ..., o. O. 1631. [Anonym], Continuatio der Newen Zeitungen Von vnterschiedlichen Orten: Das ist, Die alte Warheit mit eim newen Titul. Vermehrt vnd auch verbessert, o. O. (»gedruckt in der Parnassischen Truckerey«) 1620. [Anonym], Conversation Zwischen zwayen Studenten, einem Catholischen vnnd Caluinisten. Ob die Jesuiter an allerley Empörungen ... schuldig seyen? ..., angeblich Prag 1620. [Anonym], Copia Eines Schreibens, N. N. von Nürnberg, an N. N. von Leipzig, sub dato 24. Julij, 3. Augusti, Anno 1631, o. O. [1631]. [Anonym], Copie Vertrewlichen Schreibens Wentzeln von Meroschwa Behmen, an Johann Trauten Burgern zu Nürnberg ..., Darinn die beschaffenheit deß Kriegs inn Behmen, vnd was die Reichsstätt darunder in acht zunemen begriffen ..., angeblich Augsburg 1620. [Anonym], Curiosa, nec non politica vagabundi per Europam, vulgo sic dicti, Rationis Status, de praesenti tempore nugae-somnia ..., o. O. 1675, wiederabgedr. in: Diarii Europaei Insertis variis Actis Publicis ... Ein und dreyssigster Theil, Frankfurt 1675, Appendix, S. 385–464. [Anonym], Curiosorum, nec non politicorum vagabundi per Europam, vulgo sic dicti, Rationis-Status, de praesenti tempore nugae-somniorum pars altera ..., o. O. 1675, wiederabgedr. in: Diarii Europaei Insertis variis Actis Publicis ... Ein und dreyssigster Theil, Frankfurt 1675, Appendix, S. 465–536. [Anonym], Das Höllisch Frewdenfewr, so die Esawiter verschienen September zu Rom gehalten, damit sie dann jhr böß Hertz aller Welt geoffenbaret, o. O. 1620. [Anonym] (Sebastian Franck), Das Kriegsbüchlin des frides, o. O. 1539. [Anonym], Das Sich selbst verleitende Franckreich, Oder unterschiedene finstere Wolcken, Die man Nach einer kurtzen Zeit sich wieder aufklären sehen wird ..., »Freystadt« 1673. [Anonym], Das Teutsche Klopff Drauff. Oder, Hochnötigste vnd Rechtmäßige auch gut Teutsche Anmahn- vnd Erinnerung ..., o. O. 1626.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

[Anonym], Der Abgesandte Mercurius, In das Heil. Römische Reich. Herausgegeben durch Libertinum Statistam, o. O. 1675. [Anonym], Der Abgezogene Frantzösische Staats-Rock, und Teutsche Schutzmantel ... von Anonymo Wahrmund, o. O. 1675. [Anonym], DEr Allermechtigste vnnd vnüberwindlichste Kayser, vermant seine gelobte vnnd geschworne Hauptleut, das sy auffs fürderlichst, on alle hindernuss gerüst vnd auff seyen, Maihingen [1546]. [Anonym], Der Geropffte Hahn, Von Einem ohnpartheyischen Eid-Genossen D. F. A. seinem guten Freunde H. R. D. S. Zu Gefallen abgebildet, o. O. 1677. [Anonym], Der Mitternächtige Post-Reuter, Vnd seine vnvergreiffliche fünff-fache Postvnd Schrifft-Zeitung ..., o. O. [1632]. [Anonym], Der Schwedische Jäger in Teutschland, o. O. [1647]. [Anonym], Der Verkleidete Götter-Both, Mercurius ..., o. O. 1674. [Anonym], Der von Magdeburg Ausschreiben an alle Christen, Magdeburg 1550. [Anonym], Der Wind gehet nuhn aus einem Andern Loche ..., o. O. (»aufm Parnasso«) 1676. [Anonym], Des Apollinis Neuer Probier-Ofen ... Aus dem Parnasso hervorgegeben durch Trajanum Bocalini, o. O. 1678. [Anonym], Des G. K. R. V. Rechtliches Bedencken, über die Natur, Eigenschafften und Würckungen der Neutralität, auch unterschiedene daraus fließende besondere Fragen, Frankfurt/Leipzig 1746. [Anonym], Des in der Welt zum Vierdtenmal verschikten und verkleideten Götter-Bothens Mercurii, abgestattete Erzehlung ..., »Warburg« 1675. [Anonym], Deß Durchleuchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Carl Ludwigs ... Abgelassene Schreiben ..., o. O. 1674. [Anonym], Deutliche vnd gründliche Außführung dreyer jetzo hochnötiger vnd gantz wichtiger Fragen ..., o. O. 1620. [Anonym], Die bereits Fehl-gebohrne und Geruch-verlohrne Lilie, o. O. 1674. [Anonym], Die Entdeckung Des unter dem Fuchs hervor-gläntzenden Wolffs-peltzes ... Denen Herrn Schwaben zum besten vorgestellet ... von Einem rechtdeutsch-Patriotischen Medico, o. O. [1674]. [Anonym], Die Neutralität, o. O. 1757. [Anonym], Die zum Andernmal eröffnete Frantzösische geheime Raths-Stube, Worinnen die Consilia über jetzigen betrübten Frantzösischen Zustand zusammen getragen worden ..., o. O. 1675. [Anonym], Dormi secure oder Spanischer Schlafftrunck ..., o. O. 1620. [Anonym], Duplex Census Oder Zweyfache, vnd sehr weit vnterschiedene Gebühr ..., o. O. 1634. [Anonym], Ehr- und Freyheit-liebende Gedancken, Uber die Frage, Mit welchem Theile (der anjetzo streitenden Oesterreich- und Frantzös. Partheyen) ein vernüftiger genereuser Teutscher Fürst zu Nutz seines Estats und Landen es halten solle und könne? ..., o. O. 1675.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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[Anonym], Eidtgnößisches Wach auff, Und Eidtgnößisches Klopff drauff. Das ist, Zwey wolmeinlich bestellte Gsang, Darinn Die Gmeine Hochlobliche Eidtgnoßschafft und alle derselben Glieder auffgemunteret werden zu der ... Hochnothwendigen Wachtbarkeit, Und Erforderlichen Dapfferkeit, o. O. 1673. [Anonym], Eigentlicher Abriß, Auch Waarhafftiger Bericht, wie es mit Eroberung der vhralten, Weitberühmten Stadt Magdeburg hergangen, o. O. 1631. [Anonym], Ein Außführlicher vnd Nachdencklicher Discurs, Von der jetzigen gefehrlichen vnd weit außsehenden Vnruhe in dem Löblichen Königreich Böheimb ..., o. O. 1619. [Anonym], Ein Gesprech Deutscher Nation mit dem alten Rolland ..., o. O. 1546. [Anonym], Ein Gesprech, Pasquilli vnd Vadisci, von den fehrlichen Kriegshendeln, dieses Lauffenden 1546 Jares, o. O. 1546. [Anonym], Ein gründliches vnd ohnpassionirtes Bedenken, Was von deß Abtrinnigen Hanß Caspari Scioppi blutdürstigen Buch, genant Classicum Belli sacri ... zuhalten ..., o. O. 1619. [Anonym], Ein Privat-Schreiben, Welches ein guter Freund von dem andern inständig begehrt hat ..., »Wahrburg« 1659. [Anonym], Ein Send-Schreiben, Welches Sincerus Germanicus An Ludovicum Seldenum abgehen lassen ..., o. O. o. J. [Anonym], Einige Anmerckungen Bey Der von dem Könige in Schweden herausgegebenen und also genannten fründlichen Wiederlegung, Der Von Ihrer Churfl. Durchl. zu Brandenburg Publicirten Antwort Auff Ihrer Königl. Maytt. zu Schweden an Chur-Fürsten und Stände des Reichs ohnlängst unterm 16. Dec. 1675 abgelassenes Schreiben, o. O. 1675. [Anonym], Evangelischer Hertz-Klopffer, oder Lutherischen Gewissens-Weckerlin ... o. O. 1632. [Anonym] (Georg Maior), Ewiger: Göttlicher, Allmechtiger Maiestat Declaration, Wider Kaiser Carl, König zu Hispanien ..., o. O. o. J. [Wittenberg 1546]. [Anonym], Examen literarum svecicarum quae ... ad Proceres S. R. Imperii Ratisbonae congregatos ... missae sunt, o. O. 1675, wiederabgedr. im 30. Bd. des »Diarium Europaeum«, Appendices, S. 465–537. [Anonym], Extract aus Gasparis Scioppij, eines Oesterreichischen vnd Spanischen bestellten Raths (wie er sich nennet) ... Büchlein ..., Güstrow 1619. [Anonym], Extract der grossen Catholischen versamlung, welche jüngsten zu Rom gehalten, vnd was darauff geschlossen worden. Darinnen die Bäpstliche Practicken vnd Anschläg ..., o. O. 1620. [Anonym], Extraict D’un Livre écrit de la main de Mr. le Chancelier de l’Hospital [meint: Michel de l’Hôpital], concernant plusieurs Traitez de paix, Appanages, Mariages, Neutralitez, Reconnoissances, Foy et Hommages, et autres Droicts de Souveraineté, Köln 1681. [Anonym], Fernere Continuation abgestatteter Relationen Des verkleideten Götter-Bothens Mercurii ..., »Wahrburg« 1675.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

[Anonym], Feuer-Rother Sud-Stern, erschienen denen ... Völckern in Europa, damit sich ihre Schiffer ... vor den Babylonischen Sirenen und Steinklippen besser, als geschehen, vorsehen ..., o. O. 1674. [Anonym], Flores Scioppiani: Ex libro Ticini hoc ipso anno MDCXIX, edito ..., o. O. 1619. [Anonym], Frantzösische Tyrannei, Das ist: Vmbständlich-warhaffte Erzehlung, der bißher verborgenen unmenschlichen Grausamkeiten, so durch die Frantzosen in denen Niederlanden Zeithero verübet worden ..., o. O. 1674. [Anonym], Gedancken Uber der Schweden Einfall in Teutschland, Und zwar vornehmlich In die Churfl. Brandenburg. Provintzen, Marck und Pommern, o. O. 1675. [Anonym], Gegründete vnd nachdenckliche Motiven, So allen Christlichen Hohen Potentaten billich Anlaß vnd Vrsach geben sollen ... viel lieber eine General Amnistiam zuverstatten ... als den werthen Frieden deßwegen auffzuhalten ..., o. O. 1639. [Anonym], Gespräch deß Königs in Schweden mit den Frantzösischen Gesandten, welcher vor Chur Bayern die Neutralitet begehret, o. O. 1632. [Anonym] ( Johann Philipp Spieß?), Gespräche und Discursen zweyer Evangelischer Eydtgenossen, von dem gegenwertigen Zustand, o. O. [1632]. [Anonym], Gespräch über das Interesse Deß Englischen Staats, Darinnen klärlich gezeiget wird, wie schädlich es vor das Königreich Engelland seye, mit Franckreich ... sich zu verbinden ..., o. O. 1674, wiederabgedr. unter den Appendices zum 28. Bd. des »Diarium Europaeum«, S. 313–360. [Anonym], Getreuwe Warnung vnd vermanung an die treizehen orth Löblicher Eydgenosschafft wegen mannigerley böser Prattickenn vnnd sorglicher leuffe so jetzund vorhanden, o. O. 1586. [Anonym], Gottes vnd deß Heyligen Romischen Reichs Liecht Butzer ..., o. O. 1632. [Anonym], Gründlicher Beweis daß eine Neutralität der Stände des Reichs in gegenwärtigen Umständen nicht statt haben könne, o. O. o. J. [wohl 1756]. [Anonym], Hansischer Wecker, Das ist: Trewhertzige Warnung, an die Erbare HanseStädte ..., »Grüningen« 1628. [Anonym], Idolum Principum, Das ist: Der Regenten Abgott, den Sie heutigs Tags anbetten, und Ratio Status genennet wird ... Denen Höflingen ... vorstellig gemacht, o. O. 1678. [Anonym], Indicina synoptica, Oder, Kurtze Abbildung, Darinnen erwiesen werden, die wahre Vrsachen, dieses tödlich in Teutschlandt entstandenen Kriegs ..., o. O. 1633. [Anonym] (Matthias Hoë von Hoënegg?), Klag- vnd Buß-Gebet, So wegen erhaltenen Göttlichen Siegs, doch trawrigen vnd betrübten Abgang Jhrer Königl. May. zu Schweden, in deroselben hinterlassenen Armeen, fürnemlichen bey den gewöhnlichen wöchentlichen Bußpredigten soll gebrauchet werden, 2. Aufl. Leipzig 1632. [Anonym], Kurtze aber doch gründliche Wiederlegung, Der auff Schwedischer Seiten vor wenig Monaten außgestreueten Vrsachen, Warumb der verstorbene Schwedische König Carolus Gustavus den Hertzogen in Churland ... überfallen ... lassen, o. O. 1660.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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[Anonym], Kurtzer Bericht und Ableinung der Beschwerungen, welche den Evangelischen Ständen ... beygemessen werden wollen, o. O. 1618. [Anonym], Kurtzer Bericht Was Gestalt An Seiten der Vereinigten Niederlanden der zu Cleve im Jahr 1666. den 18. April. mit Ihrer Hoch Fürstl. Gn. zu Münster etc. geschlossener Fried fast in allen Articulen und Puncten gebrochen, o. O. 1672, wiederabgedr. in: Continuatio XXV. Diarii Europaei, Frankfurt 1672, Appendix, S. 41–65. [Anonym], Kurtzer Entwurff der Rechtmässigen Waffen Und Glücklichen Thaten Des Durchlauchtigsten Chur-Fürsten von Brandenburg, Bey den bisherigen Europäischen Verwirrungen, o. O. 1678. [Anonym], Kurtzer Entwurff Des Hoch-Ertz-Hertzogischen Hauß Oesterreichs heutigen Reichs-Politic, o. O. 1678. [Anonym], Kurtzer Politischer Discursus zwischen dieser Zeit im Reich streitenden dreyen Religions: aber zweyer Factions Partheyen ..., o. O. 1620. [Anonym], Kurtzgefaßte Frage Ob Ein Chur-Fürst oder Stand des Reichs bey gegenwärtigem Krieg neutral bleiben könne, o. O. 1734. [Anonym], Le politique du temps ou le conseil fidelle svr les mouvemens de la France ..., o. O. 1672. [Anonym] (Kaspar Schoppe?), Lermen Blasen. Auch Vrsachen vnd Außschlag, deß besorgten innerlichen Kriegs zwischen den Catholischen vnd Caluinisten in Teutschlandt ..., o. O. 1616. [Anonym], Machiavellus gallicus, Das ist: Verwandelung und Versetzung der Seele Des Machiavelli in Ludovicum XIV. dem König von Franckreich ..., o. O. 1675. [Anonym], Magna Horologii Campana, Tripartita. Das ist, Ein Dreyfache, im gantzen Teutsch-Landt hellauttende Glocke, vnd Auffwecker ... o. O. 1632. [Anonym], Manifest Deß Aller-Christlichsten Königs in Franckreich rechtmässiger Ursachen, Warum Sr. Königl. Maj. Denen Herrn Staaten derer vereinigten Niederlande den Krieg angekündiget ..., o. O. 1672. [Anonym], Memorial oder Motiven, Warumb Ihr Kays. Mayest. mit den Bohemen vnnd den benachbarten Königreichen vnnd Landen Frieden machen, vnd den Krieg nicht continuiren solle?, o. O. 1620. [Anonym], Mitternächtiger Post-Reuter, auß Leipzig in die Pfaffen-Gasse ..., o. O. 1631. [Anonym], Mvndi Miracvla Oder Wunder Thier: Das ist Bericht von der Grossen Forcht ..., o. O. (»Auß Constantinopel geschickt«) 1619. [Anonym], Nachdenckliches Gespräch Auff den ietzigen Zustand im Heil. Römischen Reich absonderlich aber auff dessen Freyheit gerichtet ..., »Freybergk« 1673. [Anonym], Neuer Friedens-Curier ins Teutsche übersetzet ..., o. O. 1673. [Anonym], Neutrality condemned, by declaring the Reasons Why the Deputy-Lieutenants, intrusted by the Parliament for Chesire, cannot agree to the Treaty of Pacification made by some of that County, o. O. 1643. [Anonym], Neuwe, warhafftige Zeitung, Von dem erschröcklichen Zeychen, welchs Gott am Himmel hat lassen erscheinen vber die vngehewren Papistischen Kriegsleuthe,

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Quellen- und Literaturverzeichnis

welche das Euangelium Jesu Christi ... grewlich verfolget, abgeschaffet, vnd an statt desselbigen die Bäpstischen Grewel widerumb angerichtet. Derhalben Gott sein Zornzeychen hat sehen lassen ...., o. O. 1588. [Anonym], Newe Zeitung Darinnen ein Wolmeinend vnd vertrawlich Colloquium oder Gesprech etli­cher Personen von jtzigen Zustande des Römischen Reichs begriffen ..., o. O. 1614. [Anonym], Newzeitung aus Cöllen. Warhafftiger vnnd gründtlicher Bericht, Wie ... der Hertzog Casimirus ist im fullen Anzügen vnd helt den Musterplatz zu Sigem, auch wie der Herr Truxes das Sedtlein [sic] Deutz darin 400. schöne Gebew verbrand, vnd das Kloster eröbert ..., Köln 1583. [Anonym], Niderländischer Starnstecher, Oder, Der aus den Frantzösischen Augen in denen Spanischen vermeindt gestochene Balcken ..., Aus dem Frantzösischen gezogen, o. O. 1675. [Anonym], Nova nova antiqua continuationis der neuen Zeitungen ... [von 1621], in: Julius Opel/Adolf Cohn (Hgg.), Der Dreißigjährige Krieg. Eine Sammlung von historischen Gedichten und Prosadarstellungen, Halle 1862, Nr. 83. [Anonym], Nuda veritas. Das ist: Kurtze jedoch gründliche demoustration [sic], was sonderlich die am Rheinstrohm befindliche Reichs-Stände zu befahren gehabt hätten, falls man sich der Assistentz der Republicq der Nider-Landen gegen die Cron Franckreich nicht angenommen hätte, o. O. 1675. [Anonym], Pièces curieuses concernantes la Neutralité du pays de Liege ..., Lüttich 1674. [Anonym], Politische Considerationes, Oder Bedencken Vber gegenwärtigen Krieg zwischen Franckreich und Holland, o. O. 1673, wiederabgedr. in: Continuatio XXVI. Diarii Europaei ..., Frankfurt 1673, S. 369–400. [Anonym], Politischer Discurs, Ob sich Franckreich der Protestirenden Chur vnnd Fürsten wieder Spannien annehmen, oder neutral erzeigen, vnd mit diesem Hause befreunden solle. Auß dem Frantzösischen ins Deutzsche gebracht, Berlin 1615. [Anonym], Politischer Discurs und Bedencken über die Uniones im Reich [wohl von 1617], abgedr. bei Michael Kaspar Londorp (Hg.), Der Römischen Kayserlichen Majestät und des Heili­gen Römischen Reichs ... Acta publica, Bd. 1, Frankfurt 1668, S. 362–367. [Anonym], Politischer Discurs, Von der wichtigen und schweren Frag: Ob die Chur- vnd Reichs-Fürsten anjetzo nach getroffenem Religions-Frieden ... zur beschützung der Augspurgischen Confession Bündtnussen eingehen ... könden?, o. O. 1624. [Anonym], Politischer Discurs Von jetzigen Kriege in Teutschland ... Darinn man augenscheinlich sehen kan, ob dieser Krieg ein Regions, oder ReligionsKrieg sey? ..., o. O. 1627. [Anonym], Postilion, An alle und jede Evangelische Könige und Potentaten ... von etli­ chen vertriebenen Badischen, Wirtenber­gischen, Pfaltzischen und Augspurgischen Theologis und Politicis spedirt, o. O. (»unterm blawen himmel, nicht weit von Straß­ burg«) 1631.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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[Anonym], PostReutter, an Bäpstliche Heiligkeit, Bapst Paulum V. durch einen fürnemen geistlichen Praelaten in Italianischer Sprach anßgefertigt [sic] ..., o. O. 1620. [Anonym], Praefatio, in: ders. (Hg.), Dilvcidationes Jvris publici de nevtralitate provti illa inter gentes liberas atque inprimis inter ordines S. R. Imp. vsitata est ..., Jena 1747 (nicht durchgehend foliiert). [Anonym], Projekt Der eröffneten Schwedischen Rath-Stuben ..., o. O. 1675. [Anonym], Publicirter Religions Friede Im Königreich Böhmen, Welchen Röm. Kay. May. Rudolph II. ... 1609 bewilliget vnd nachgegeben ..., o. O. 1620. [Anonym], Raht vnd Anschläge: Welche Herr Caspar Scioppius, ein Oesterreichischer vnd Spanischer bestelter Raht (wie er sich selbsten nennet) in diesem 1619. Jahr zu Pavia in offenen Truck außgehen lassen ..., o. O. 1619. [Anonym], Raht vnd Anschläge: Welche Herr Caspar Scioppius ... zu Pavia in offenen Truck außgehen lassen, vnd selbige zwar, in einem Lateinischen Büchlein ... ins Teutsche gebracht ..., o. O. 1619. [Anonym], Reflexions sur le Proiet de la nouvelle Monarchie, o. O. 1734. [Anonym], Reformirter Friedens-Curirer, Oder Betrachtung über den unzeitigen Neuen Friedens-Curirer ..., o. O. 1674. [Anonym], Relation, Von der Ruptur der Neutralität der Stadt Straßburg, Straßburg 1674. [Anonym], Rex Sveciae, Rex Gloriae ..., o. O. 1633. [Anonym], Schoppische Blumen, Auß einem zu Ticin oder Pavia in Welschland ... in Druck außgegangenen Buche ... Zusammen getragen, vnnd auß Lateinischer in HochTeutsche Sprach versetzet ..., o. O. 1619. [Anonym], Schwedisch Perspectiv, Dardurch man in die Hertzen, der genandten Catholischen, vnd Lutherischen Regenten sehen ... kan ..., o. O. 1632. [Anonym], Schwedische grillen ..., o. O. 1659. [Anonym], Schwedische Trew und Glaube, Oder Außführliche Deduction mit angehengten warhafften Documentis ..., o. O. 1660. [Anonym], Spanisch Mucken Pulver: Wessen man sich gegen dem König in Spanien vnd seinen Catholischen Adhaerenten versehen solle ..., o. O. 1620. [Anonym], Specvlvm Germaniae. Ein Teutscher Spiegel. Darinnen Das ... Königreich Teutschlandt ... nach dem werthen Frieden seufftzet, Dillingen 1621. [Anonym], Suite des pièces curieuses concernantes la neutralité du pays de Liège ..., o. O. [1674/75]. [Anonym], Summarische Relation dessen, Worinn deß Pfaltzgrafens Churfürstl. Durchl. ... in viel wege beschwäret ..., o. O. 1674. [Anonym], Teutsch-Lands Klag-Straff- und Ermahnungs-Rede ..., o. O. 1673. [Anonym], Theses von der Gerechtigkeit und Berechtigung zum Kriege, Jetziger Zeit in Franckreich üblich, Welche Unterm Praesidio derer Staats-erfahrnen Professoren, der Herren de Lionne und Colbert, Wider Aller Rechts-Gelehrten Einwürffe zu defendiren sich vorgesetzet Ludovicus der XIV. ... Gehalten am 14. Januarii 1672. Im Königlichen Palatio zu Paris, o. O. 1673.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

[Anonym], Traum-Gesicht vom Democritus und Heraklitus, da jener den itzigen Zustand in Teutschland belachet, dieser aber beweinet ..., o. O. 1675. [Anonym], Traw, Schaw, Wem, Das ist ... Erinnerung ..., gestellet an vnterschiedliche des H. Römischen Reichs von deß Bapsts Sawerteig abgesonderte Ständte, sie wollen doch dem liebkosen der Papisten so viel nicht trawen, sonder mit allem fleiß darauf schawen, wie sie, hindangesetzt aller Neutralitet vnd eygenen nutzes, vnter sich selbst frieden halten ..., o. O. 1620. [Anonym], Trewhertzige Erinnerung Eines deutschen Patrioten an die Stende des Reichs Augspurgischer Confession, Von der Papisten Practicken vnd Anschlegen ..., o. O. 1605. [Anonym], Trewhertzige Vermahnung, Worinnen viel Denckwürdige vnd Politische Considerationes ... begriffen ..., o. O. 1644. [Anonym], Ursachen Wodurch eigentlich die Königl. Mayst. zu Schweden bewogen worden, den Hertzog von Churland auß seinem Fürstenthumb hinweg, in Verwahrung zu ziehen, o. O. [1658]. [Anonym], Vermumbter Spannischer Danntz Mit der Königin Helvetia ..., »Jürch« 1629. [Anonym], Victori Schlüssel, Mit welchem ... Gustavus Adolphus ... durchgebrochen ..., o. O. 1631. [Anonym], Vnpartheyische Reflexion über Ihro Kayserl. Majest. Antwort-Schreiben an gesamte löbliche Eydgnoschafft betreffend die Neutralitet in dero Nachbarschafft, underm dato Wien den letzsten Aprill 1675 ..., o. O. [1675]. [Anonym], Vnpartheyisches Vrtheil Auß dem Parnasso, Uber den Neuen Friedens-Curier, Vnd dessen Vermeinten Reformierer ..., o. O. o. J. [1673/74]. [Anonym] (Ludwig Camerarius?), Vnser Friderichs Von Gottes Gnaden Königs in Böheim ... Offen Außschreiben, Warumb Wir die Cron Böheim ... auff Uns genommen, Prag 1619. [Anonym], Von der allgemeinen Monarchie Uber die Gantze Welt ..., o. O. 1673. [Anonym], Von der Heuptfrag An Haeretico sit Fides servanda: Ob auch einem Ketzer trew vnd glaub zu halten sey ..., o. O. 1612. [Anonym], Von der Neutralitet, Das ist Vnpartheyligkeit, kurtzer Bericht, o. O. o. J. [Anonym], Wahrsagerischer Welt-Spiegel, Seiner Königlichen Majest. in Franckreich, statt einer Antwort heimgeschicket ..., o. O. [1674], wiederabgedr. im 29. Bd. des »Diarium Europaeum«, Appendix, S. 257–280. [Anonym], Warhaffte vnd eigentliche Beschreibung, Welcher gestalt ... Der Königlichen Majestät in Schweden ... Gustavi Adolphi ... General ... am 11. Februarii ... 1632. Jahres die ... Festung und Stadt Göttingen mit stürmender Hand ... eingenommen hatt ..., o. O. 1632. [Anonym], Warhafftige Relation Der Glück vnd Frewdenreichen, vom Herrn Grafen Bucquoij ... den 12. dits Monats April, Anno 1620 durch Göttliche Krafft vnd Segen, bey Egenburg vnd Sitzendorff erhaltenen Victori, Augsburg 1620.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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[Anonym], Warhafftiger abdruck und Copey, einer abschrifft, So vnlangst der Antichrist der Babst zu Rom, an die dreyzehen Ort in Schweitz gethan ..., o. O. 1546. [Anonym], Warnung an Alle Stande deß Churfurstenthums zu Sachssen, in den Bömischen Krieg sich nicht zumischen ..., o. O. 1620. [Anonym], Widerlegung, Deß wider Chur Cölln und Münster Außgangenen Chur Brandenburgischen manifests, o. O. [1673]. [Anonym], Widerlegung Eines Büchleins, so den andern Tag May dises 1674. Jahrs zu Handen kommen. Dessen Titul ist: Wahrer Bericht Von der Holländern Religion ..., o. O. 1674. [Anonym], Wiederlegung Der von Schwedischer Seiten außgestreueten Vrsachen, Wodurch eigentlich die Königl. Maytt. zu Schweden bewogen worden, den Hertzog in Churland aus seinem Fürstenthumb hinweg, in Verwahrung zubringen ..., o. O. 1660. [Anonym], Wird das Reich wider Franckreich die Waffen ergreiffen? oder Wird es in denen Schrancken einer genauen Neutralität verbleiben? L’Empire armera-t-il contre la France? Ou se contiendra-t-il dans les bornes d’une exacte neutralité?, o. O. [1745?]. [Anonym], Wohlgegründte Antwort vnd Wiederlegung Zweyer Jesuwiterischen und jhrem Spaniolisirten Anhang Fragen, Ob der Böhmische Krieg, vor ein Religion oder Region Krieg zu achten sey ..., o. O. 1620. [Anonym], Wohlgemeinte Rettung des Politischen Discurs, Von der Dennemärckischen vnnd NiederSächsischen Kriegsverfassung, zu beantwortung der dagegen publicirten Erinnerung, o. O. 1626. [Anonym], Wohlgemeinter und nicht weniger curieuser Discours Worinnen endlich nichts, als alleinig Die liebe Warheit Sincerität und Discretion solle Platz haben ..., o. O. [1673]. [Anonym], Wohlmeynende Erinnerungen, An die sämptlichen Chur-Fürsten und Stände des Reichs, Worinnen erleutert wird, In was für grosser Gefahr das gantze Reich schwebe, wenn Holland verlohren gehen, und Franckreich des Reinstrohms sich bemächtigen solte ..., o. O. 1673. [Anonym] (Vincenz Müller?), Wolmeinender, warhaffter Discurs, Warumb, vnnd wie die Römisch Catholischen in Deutschland, sich billich von Spaniern vnd Jesuiten, absondern ... sollen ..., o. O. 1616. [Anonym], Zweyfacher SoldatenSpiegel, Das ist: Trewhertziger Discurs. Darinnen Vrsachen angezeiget werden: Warumb in dem Zehenjährigen teutschen Kriege die Catholischen den Evangelischen gemeiniglich obgesieget ..., o. O. 1629. [Anonym] (Hg.), Abermahlige Missive der Herren General-Staten an den König in England wegen Eines Neutral-Platzes zur Friedens-Handlung, o. O. 1667. [Anonym] (Hg.), Abtruck Chur Sächsischen Jubel, Lob, Danck vnd Denckfestes ... wegen der Herrlichen Victori vnd Sieg, so Jhre Churfürstliche Genaden zu forderst mit beystand des Allerhochsten ... vnd dann deß ... Herren Gustavi Adolphi ... als eines Großmächtigsten Gideons den 7. Septemb. 1631 Sieghafftig erhalten ..., Dresden 1632.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

[Anonym] (Hg.), Abtruck der verwarungsschrifft, der Chur vnd Fürsten, auch Grauen, Herren, Stette vnnd Stende der Augspurgischen Confession Ainungsverwandten ... an Kaiserliche Maiestat aussgangen ..., Augsburg 1546. [Anonym] (Hg.), Accords-Puncta Wegen der Fürstlichen Residentz Gottorff ... Zwischen Ihrer Churfürstl[ichen] Durchl[aucht zu Brandenburg] und dem Hertzogen von Holstein, Schleswig 1658. [Anonym] (Hg.), BEstendiger, gegründter vnd warhafftiger bericht, auff die vnrechtmessige, vermainte, nichtige vn vnbestendige Achts Erclärung ..., Karlsruhe 1546. [Anonym] (Hg.), Copei eynes schreibens, So der Churfurst zu Sachsen, Vnd der Landtgraff zu Hessen, etc. An die Römischen Keyserlichen Maiestat ... gethan ..., Marburg 1546. [Anonym] (Hg.), Der Durchleuchtigst, vn Durchleuchtigen Hochgebornenen Fursten vnd Herren, Herren Johans Friderichen, Hertzogen zu Sachsen, Vnnd Herren Philipsen, Landgrauen zu Hessen, Warhafftiger bericht ..., o. O. 1546. [Anonym] (Hg.), Der Durchleuchtigst vnnd Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten vn Herren, Herrn Johans Friderichen Hertzogen zu Sachssen ... Vnd Herrn Philipsen, Landtgrauen zu Hessen ... verantwortung ..., Karlsruhe 1546. [Anonym] (Hg.), Deß Holländischen Extraordinari Envoyé, Herrn Valkeniers, An die Dreyzehen wie auch Zugewandte Orte der Löblichen Eydgenoßschafft in Baden versammlet, Ubergebenes Memoriale, Worinnen Die von der Eydgenoßschafft gegen dero schuldigen Neutralität vielfältig und stets hin unternommene Proceduren klärlich vor Augen gestellet werden ..., o. O. 1692. [Anonym] (Hg.), Deß Königl. Frantzösischen Plenipotentiarii Memorial, Oder KlagSchrifft ... Sammt einer zweyfachen Beantwort- und Ableihnung desselbigen ..., Frankfurt 1673, wiederabgedr. in: Continuatio XXVI. Diarii Europaei, Appendix, S. 306–328. [Anonym] (Hg.), Die Dem Chur-Brandenburgischen Extraordinarie Hrn. Abgeordneten Von Dem Eydgenossischen zu Arau in Argau versambleten Herren Gesandten Ertheilte Antwort ..., o. O. 1675. [Anonym] (Hg.), Gründliche Relation Wie es bey Eroberung der Statt Pilsen in Böhmen ... vmbständlich zugangen ... Beneben einer Danckpredigt vnd Lobpsalm, So auff folgenden Sontag ... gehalten worden. Durch Johann Jacob Heylman, Manßfeldischen Feldprediger, Prag 1618, Ndr. Amberg 1619. [Anonym] ( Johann Jakob Schmauss/Heinrich Christian von Senckenberg) (Hgg.), Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Bände 2 und 3, Ndr. der Ausgabe 1747, Osnabrück 1967. [Anonym] (Hg.), Notification An Gesambte Chur-Fürsten und Stände des Heyl. Röm. Reichs bey gegenwärtigem Reichs-Tag zu Regensburg, Vom Kayserl. ... CammerGericht und der Statt Speyer, wegen der mit denselben und der Cron Franckreich würcklich geschlossener Neutralität ..., Dictirt in der reichs dictatur den 3./13. Aug. 1674, o. O. o. J.

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[Anonym] (Hg.), Send-Schreiben Eines Lüttichschen Edelmans An Die Herren von Lüttich, Sampt Einer Antwort ..., o. O. 1672. [Pseudonym] (»Justus Asterius«, tatsächlich Johann Stella), Klagrede Vber den ... Anno 1635 ... auffgerichten Vertrag, vnd vermeinten Frieden ..., o. O. 1638. [Pseudonym] (»Sigismund Betulius«, tatsächlich Sigmund von Birken), Krieges- und Friedensbildung ..., Nürnberg 1649. [Pseudonym] (»Sixtigrillius Borris, Leib-Medicus der Interessirten«), Ein köstlich und trefflich Probat-Mittel für den Frantzösischen Schnuppen, Womit bey nahe gantz Teutschland angestecket ..., o. O. o. J. [Pseudonym] (»Franciscus Burgkardus«, tatsächlich Andreas Erstenberger), De Autonomia. Das ist: Von Frey­stellung mehrerley Religion und Glauben ..., 2. Aufl. München 1602. [Pseudonym?] (»Jobst Camalinus«), Deutsche Treuhertzige Warnung an alle und jede Deutsche, Hohe und niedre Kriegsoficierer ... dass sie endtlich in sich gehen, von Schwedischer Parthei abtreten ..., o. O. 1637. [Pseudonym] (»Hipilippanus Dinorus«), Der Evangelischen Reichsständen vnd Stätte Schildtwacht, Deren Losung ist: Wacht auff, wacht auff, rufft euch die Stimme ..., o. O. 1623. [Pseudonym] (»Hipilippanus Dinorus«), Der Evangelischen Chur- Fürsten, Stände vnd Reichsstätten Andere Schildtwacht ..., o. O. 1623. [Pseudonym] (»Randolphus Duysburgk«; = Rudolf von Dieskau?), Legation Oder Abschickung der Esell in Parnassum, Leipzig 1638. [Pseudonym] (»Waremundus de Erenberg«, tatsächlich Eberhard von Weyhe), Meditamenta pro foederibus, ex prvdentvm monvmentis discursim congesta ..., Hannover 1601. [Pseudonym] (»Herman Conrad Freyherr zu Friedenberg«), Wohlmeinende Erinnerung Von Behauptung des König und Fürsten Standts, auch Vrsachen der Kriege in Europa ..., o. O. 1619. [Pseudonym] (»Christoph Gangwolff«, tatsächlich Franz Paul von Lisola), Gerechte, Nutzliche, Und Zu Erhaltung Ihro Kayserlichen Mayestät Höchsten Gewalt, Zu Des Reichs Ruhe-Stand, Und Zu Beförderung des Friedens, Nohtwendige Gefangenschafft Des Printz Wilhelmen von Fürstenberg, o. O. 1674. [Pseudonym] (»Samuel Greifnson vom Hirschfeld«), Simplicianischer Zweyköpffiger Ratio Status ... , Nürnberg 1670. [Pseudonym], Astrologicum, oder Weissagende Antwort Peter Heydens eines Astrologi in Londen ... Ob England, im fall es nicht zu einem Neutral-Platze consentiret, auch dazu gezwungen werden solle?, Den Haag 1667. [Pseudonym] (»Jonas Hiebl von Dipperts«), Pfaffanalia, oder Bapst mit dem Degen ..., »Warpurg« 1620. [Pseudonym?], (»Siegfried Hoffman«), Denckmal An Die ingesambte Evangelische Stände, Auff Der Königlichen Mayt. zu Schweden allerglorwürdigsten tödtlichen Hintritt ..., o. O. 1633.

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[Pseudonym] (»Johannes Huß rediuiuus«), Hussiten Glock ..., o. O. 1618. [Pseudonym] (»Johann Huß redivivus«), Behmischer Ohrlöffel. Das ist: Glaubwürdiger Bericht, wie der berühmte Martyrer Johann Huß ... von den Todten aufferstanden, vnd zu Prag, vmb seine betrübte Landsleut zu trösten, ankommen ..., o. O. 1618. [Pseudonym] (»Johann Huß redivivus«), Decret der Jesuiten, Wider alle Evangelische Potentaten, zu Rom geschlossen ..., o. O. 1618. [Pseudonym] (»Johan Huß redivivus genandt Martyr«), Böhmische Fridensfahrt ..., o. O. 1619. [Pseudonym] (»Johan Huß, redivivus, genandt Martyr«), Böhmische Brüderschafft. Welche zwischen den Evangelischen Ständen in Böheimb, vnd deroselben FriedensBrüder ... auffgerichtet worden ..., o. O. 1619. [Pseudonym] (»Johann Huß, genandt Martyr«), Böhmische Nebelkap, Oder Der Böhmen falschen vnd geferbten, vnnd dann weder Kalten noch warmen, wie auch jerer gewissen vnnd standthafftigen Freunden Merckzeichen ..., o. O. 1619. [Pseudonym] (»Johan Huß redivivus, genandt Martyr«), Der, den Böhmen gelegter Fallstrick Ist allen Evangelischen Ständen, ein gestelte Fallbrück ..., o. O. 1619. [Pseudonym] (»Johann Huß redivivus«), Böhmischer Pest Artzney ..., o. O. 1619. [Pseudonym] (»Johann Huß redivivus, genant Martyrer«), Spanischer Krebsgang vnd Jesuiter Alarm ..., o. O. 1620. [Pseudonym] (»Johan Huss redivivus, Martyr Constantiensis Constantissimus«), Spanischer Gelttrutz, Vnd Castilianischer Hochmuth ..., angeblich Prag 1620. [Pseudonym], Wichtiger Sendbrieff Eines Böhemischen Landherrens Vladislaw Kobolentzki, an einem seinen guten Freund, der sich jetzo zu Nürnberg auffhelt, o. O. (»gedruckt zum Leutenmischel«) 1621. [Pseudonym] (»Johannes Meteranus von der Heßleiden«), Antiscioppius oder Symsons Backenzahn: mit welchem Der über-vnd durchteuffelte Gaspar Sciop zerschmettert wirdt. Das ist: Menschlich Examen, der Teuffelischen Raht-vnd Anschläg des ... Gaspars Scioppen, welche er ... an tag gegeben, in einem Lateinischen libello ..., o. O. 1619. [Pseudonym], Die Frantzösische Türckey, angerichtet durch Die grossen Staats-Männer Ariante und Polidor ..., entdeckt durch Alexander Christian de Metre, angeblich Rotterdam 1673. [Pseudonym] (»Alexander Christian de Metre«), Kurtze Erzehlung Der vornehmsten Thaten Des Königs in Franckreich, Und Was er ferner vor hat ..., »Roterdam« 1674. [Pseudonym], Leopoldum I. Romanorum Imperatorem Hollandis ... Jure et absque ulla Religionis nota opitulari, Demonstratur ab Augustino Neptunio, o. O. 1676. [Pseudonym] (»Eusebius Philadelphus«), Von der Jesuiter Blutdurstigen Practicken ..., o. O. 1583. [Pseudonym] (»Eusebius Philadelphus«), Ein sehr Nohtwendige, vnd Ernstliche Warnung, vnnd Vermanungsschrifft, an die Dreyzehen Ort der Loblichen Eydgenoschafft ... Betreffend, Die vielfaltige vnd grosse gefährlichkeiten etlicher außländischer Potentaten ..., o. O. 1586.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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[Pseudonym] («Christianus Pura«), Classicum paciferum Daniae ..., Lübeck o. J. [Pseudonym] (»Janus Rothger«, tatsächlich Johann Gerhard), Resolution Einer Frage, so bey jetztwehrenden unruhigen Zustandt in Böhmen, von vielen ventiliret wird ..., o. O. 1619. [Pseudonym] (»Regius Selinus«, tatsächlich Basilius Monner), Von der Defension vnd Gegenwehre, Ob man sich wider der Oberkeit Tyranney und vnrechte Gewalt wehren ... müge, o. O. 1546. [Pseudonym?] (»Josephus Philippus Seipsius«), Sächsischer Merckauff. Oder Churfürstlicher Sächsischer Getrewer Landman ..., o. O. 1625. [Pseudonym] (»Beatus Modestinus Seuberlich«), Examen Der Recepten vnd Medicamenten, so etliche Politische Medici vor die Böhmische Kranckheit oder Fieber geordnet ..., o. O. 1620. [Pseudonym] (»Sperander«, tatsächlich Friedrich Gladov), A la Mode-Sprach der Teutschen oder Compendieuses Hand-Lexicon in welchem die meisten aus fremden Sprachen entlehnte Wörter und gewöhnliche Redens-Arten ... klar und deutlich erkläret werden, Nürnberg 1728. [Pseudonym?] (»Iohan-Philippus Spindesius«), Teutscher Bruderfreundt, Welcher Allen Evangelischen die newe vber sie in der gantzen Welt angestelte Mordt-Practicken ... vor Augen gestellet ..., Frankfurt an der Oder 1621. [Pseudonym?] (»Johann-Philippus Spindesius«), Der Ander Teutsch-Bruder-Freund, Welcher Berichtet vnnd männiglichen zu Gemüth führet, daß ... die Benachbarte Fürsten vnd Stände, weniger nicht, als die ChurPfaltz selbsten in Gefahr stehen ..., o. O. 1622. [Pseudonym?] (»Johann-Philippus Spindesius«), Der Dritte Teutsch-Bruder-Freund, Welcher Vns inn einem newem Spiegel zeiget, wie der Spannische Wolff die arme Lutherische Hirten auß jhren Pfergen ... verjagt ..., o. O. 1622. [Pseudonym?] (»Christoph von Ungersdorff«), Ein sonderbare Missiv, oder Denckwürdiges Schreiben an Ihre Durchl. auß Bayern H. Maximilianum ..., o. O. 1620. [Pseudonym] (»François de Warendorp«, tatsächlich Franz Paul von Lisola), A Son Altesse Monseigneur le Prince d’Osnabrug, o. O. 1674. [Pseudonym], Frantz von Warendorps Hand-Brieff, An Ihr Durchl. dem Hertzogen zu Oßnabrugk ... zu Eröffnung der Augen, o. O. 1674 (aus der Feder des Freiherrn von Lisola). [Pseudonym] (»Paris von dem Werder«), Friedens-Rede ..., Hamburg 1640. [Pseudonym?] (»Johann David Wunderer«), Ohnvorgreiffliches Bedencken und Antwort Auff die Frage Ob das H. Evangelium ... mit dem Weltlichen Schwerdt zuverfechten seye? ..., Frankfurt 1619. [Pseudonymer Herausgeber: »Ernst Victor von Ehrnfels«], Politischer Rathschlag Wie die Röm. Catholischen in Teutschlandt, vnnd zugleich auch deß Spannischen Königs Macht im Niderlandt zuschwächen ..., angeblich »Franckenthal« 1621. [Pseudonymer Herausgeber: »Philemerus Irenicus Elisius«, eigentlich Martin Meyer), Diarium Europaeum insertis actis Electoriis oder kurtze Beschreibung denckwürdigster Sachen ..., Bände 25–32, Frankfurt 1672–1676.

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Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Aerssen, Franz von 258 Aguado, Francisco 154 Aitzema, Foppius van 819, 842 Alba, Fernando Álvarez de Toledo y Pimentel, Herzog von 686 Althusius, Johannes 263 Angelus Silesius 248 Anhalt-Bernburg, Christian I. (»Christian von Anhalt«) 241, 329, 330 Arnold, Gabriel 191, 680, 681, 711 Arumaeus, Dominicus 476 Asche von Marenholtz, Curt 235 Asch, Ronald 268 Assum, Johann Christoph 75, 76 Augustinus 31, 103, 106, 162, 173, 454, 810 Avaux, Claude de Mesmes, comte d’ 206, 642 Ayala, Balthasar de 114, 115, 119, 176, 475, 506, 798, 814 Bach, Rainer 174, 242 Baden-Durlach, Markgraf Friedrich 763, 764, 766 Baden-Durlach, Markgraf Georg Friedrich 46, 47, 241, 327, 608, 609, 612, 648, 764 Baumanns, Markus 96, 220 Bauslaugh, Robert A. 387, 729 Bayern, Herzog Albrecht V. 48, 556, 563, 564, 621, 623, 660, 661, 685, 739, 760, 835 Bayern, Herzog Wilhelm IV. 64, 559, 560, 561, 562, 619, 620, 646, 658, 683, 738, 833, 834 Bayern, Kurfürst Ferdinand Maria 584, 585, 633, 634, 654, 655, 672, 696, 697, 747, 748, 749, 750, 852

Bayern, Kurfürst Karl Albrecht 855 Bayern, Kurfürst Max Emanuel 108 Bayern, Kurfürst Maximilian 29, 46, 79, 115, 182, 183, 192, 203, 208, 241, 242, 287, 338, 340, 341, 342, 346, 392, 402, 571, 573, 577, 578, 590, 591, 593, 594, 595, 603, 611, 612, 619, 638, 645, 647, 663, 664, 666, 691, 742, 743, 756, 765, 768, 769, 771, 789, 790, 791, 816, 840, 841, 842, 853 Beech, William 785 Besold, Christoph 125, 368, 458, 459, 460, 487, 488, 526, 687, 735, 796 Bethlen von Iktár, Gabor 326, 666, 691 Beyerlinck, Laurentius 473 Bezold, Friedrich von 167, 458 Bidermann, Jakob 640 Biorenklou, Matthias 176 Bireley, Robert 202, 203 Birken, Sigmund von 79 Black, Jeremy 88, 180, 230, 237, 254, 274, 279, 281 Bluntschli, Johann Caspar 376 Böckler, Johann Heinrich von 468, 477, 478, 491, 492, 497, 499, 508, 509, 527, 732, 734, 735, 802, 806, 807, 808 Bodin, Jean 114, 115, 258, 263, 270, 274, 345, 411, 441, 442, 443, 444, 445, 446, 448, 452, 460, 461, 472, 487, 505, 526, 707, 721, 730, 731, 734, 798, 825, 826 Boineburg, Johann Christian von 176, 221, 427 Bonjour, Edgar 384, 394, 540, 542, 543, 678, 679, 825 Botero, Giovanni 345, 368, 386, 440, 441, 450, 454, 460, 701, 713, 796

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Bottié, F. 376, 377, 378, 602 Bouwinghausen von Wallmerode, Benjamin 38, 39, 160, 332, 570, 608, 610, 638, 639, 666, 667, 705, 755, 762, 763, 764, 766, 767, 771, 773 Bouwinghausen von Wallmerode, Daniel 39 Brandenburg, Erich 556, 616 Brandenburg, Kurfürst Friedrich Wilhelm I. (der »Große Kurfürst«) 44, 246, 274, 576, 598, 635, 636, 670, 693, 695, 696, 697, 699, 751, 758 Brandenburg, Kurfürst Georg Wilhelm 572, 576, 647, 670, 692, 777, 792 Brandenburg, Kurfürst Joachim II. 45, 754 Brandenburg, Kurfürst Johann »Cicero« 45 Braudlacht, Georg 489 Braun, Konrad 49, 62 Braunschweig-Wolfenbüttel, Herzog Heinrich d. J. 192, 346 Brederode, Peter de 111, 792 Breitschwert, Veit 136, 333, 345 Brendle, Franz 95, 192 Brézé, Urban de Maillé, Marquis de 591, 842 Brockmann, Thomas 762 Bullinger, Heinrich 722, 726, 786 Burkhardt, Johannes 86, 198, 230, 254, 267 Burton, Robert 248 Bush, George Jr. 171, 172, 288, 362, 363 Bush, George Sr. 170 Bussy, François 637, 680 Bynkershoek, Cornelis van 115, 123, 353, 357, 363, 479, 480, 481, 483, 484, 488, 494, 496, 502, 503, 504, 531, 606, 657, 807, 822 Callot, Jacques 77 Camerarius, Ludwig 304, 327, 328, 329, 332, 347

943

Canisius, Petrus 65 Carleton, Dudley 570, 744 Carpov, Jakob 484, 503, 511, 820 Charnacé, Hercule de 258, 590, 591, 842 Cheney, Richard 288 Cicero 28, 31, 50, 54, 162, 448, 454 Contzen, Adam 115, 202 Corvinus, Antonius 61 Covarrubias y Leyva, Diego de 110 Crivelli, Giambattista 792 Crockow, Lorenz Georg von 214, 672, 695 Cromwell, Oliver 183 Cues, Nikolaus von 37 Dänemark, König Christian III. 42 Dänemark, König Christian IV. 241, 632, 669 Dänemark, König Friedrich II. 42 David 37, 62, 142, 143, 145, 146, 402 Deák, Francis 371, 372, 385 Decker, Klaus Peter 670, 671, 747, 757 Delmuck, Franz Gotthard 585, 654, 655, 749, 829, 851 Dickmann, Fritz 121, 271 Dieterich, Konrad 77, 99, 146, 794 Dohna, Christoph von 311, 312, 318 Donnersberg, Joachim von 593, 841, 842 Drake, Francis 193 Droysen, Gustav 591, 592 Droysen, Johann Gustav 288 Duchhardt, Heinz 23, 24, 122, 217, 254, 279, 364 Eck, Leonhard von 175, 190, 559, 562, 738 Eder, Georg 35, 57, 404, 405 Efferen, Wilhelm Ferdinand von 59, 60, 65, 132 Eggenberg, Hans Ulrich von 593, 640, 770, 771 Egmond, Lamoraal Graf 303

944

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Elias, Norbert 251 Emich, Birgit 18 England, König Georg II. 680 England, Königin Elisabeth I. 193, 602 England, König Jakob I. 38, 40, 41, 94, 316, 317, 318, 320, 570, 744 England, König Karl II. 425 Erasmus von Rotterdam 28, 50, 53, 54, 55, 162 Erler, Adalbert 675 Erstenberger, Andreas 58, 59, 62, 111 Faber, Sebastian 93, 136, 331, 764, 768 Faulhaber, Michael von 167 Febvre, Lucien 179 Festenberg, Hans Kraft von 191, 558, 658, 680, 681, 787 Fisch, Jörg 81, 82 Forstner, Christoph 448, 525 Franck, Sebastian 53 Frankreich, König Franz I. 108, 602, 657 Frankreich, König Heinrich II. 211, 223, 241, 565, 644, 741, 761 Frankreich, König Heinrich III. 253 Frankreich, König Heinrich IV. 154, 197, 245, 253, 258, 293, 601 Frankreich, König Karl VIII. 553 Frankreich, König Ludwig XI. 392, 393 Frankreich, König Ludwig XIII. 211, 296, 297, 323, 590, 791 Frankreich, König Ludwig XIV. 108, 109, 212, 213, 215, 217, 218, 220, 232, 233, 234, 235, 248, 249, 254, 276, 432, 466, 536, 550, 582, 599, 605, 606, 636, 653, 654, 656, 670, 671, 673, 697, 700, 707, 748, 848 Frankreich, König Ludwig XV. 98 Frei, Daniel 638, 729, 769 Friedeburg, Robert von 400 Frijhoff, Willem 172 Fulbecke, William 164 Fürstenberg, Wilhelm von 430, 669, 804

Gaddis, John L. 288 Galiani, Fernando 485 Gallas, Matthias 144, 838 Galtung, Johan 37 Gantzel, Klaus Jürgen 86 Gattinara, Mercurino Arborio di 242, 243, 244, 257 Gentili, Alberico 111, 121, 122, 176, 345, 365, 490, 541, 798, 814 Gerhard, Hieronimus 49 Gerhardt, Paul 36 Gestrich, Andreas 95 Geyer, Johann Georg 583, 586, 601, 656, 673, 715, 752, 850 Gideon 144, 145, 146, 148 Glafey, Adam Friedrich 115, 116, 117, 124, 357, 479, 480, 481, 484, 488, 494, 501, 511, 520, 808, 809, 820, 821, 863 Grala, Hieronim 174 Granvelle, Antoine Perrenot de 618, 659, 719 Gratian 103 Gravel, Jules de 519, 671, 696, 826 Grewe, Wilhelm G. 122, 266, 271, 371, 386 Grotius, Hugo 105, 111, 116, 117, 118, 122, 123, 176, 355, 364, 374, 375, 380, 381, 382, 469, 475, 476, 480, 488, 493, 494, 497, 498, 499, 500, 506, 513, 514, 515, 517, 518, 520, 521, 529, 532, 533, 534, 535, 541, 802, 803, 806, 808, 810, 814 Grumbach, Wilhelm von 22, 239 Gruter, Janus 448, 526, 706, 708 Guevara, Antonio de 30, 32, 109 Guggisberg, Hans R. 538 Guicciardini, Francesco 246, 253, 440, 487 Haase, Joachim 380 Habermas, Jürgen 43, 89, 90, 289 Haller, Gottlieb Emanuel von 545

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Haller, Johannes 219, 722 Hallwil, Hartmann von 726, 786 Hanstein, Konrad von 741 Haran, Alexandre Y. 128, 212 Härtel, Reinhard 86 Hartmann, Anja V. 128 Hauber, Johann 316 Haug-Moritz, Gabriele 130, 400, 401 Heberle, Hans 351, 352, 562, 687, 688 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 39 Hehl, Ernst-Dieter 163 Heinig, Paul-Joachim 261 Helbig, Karl Gustav 614 Helmstatt, Pleikard von 608, 645, 770 Hessen-Darmstadt, Landgraf Georg II. 45, 572, 589, 596, 603, 615, 632, 642, 643, 744 Hessen-Darmstadt, Landgraf Ludwig V. 47, 84, 527, 569, 572, 632, 766, 767 Hessen-Kassel, Landgräfin Amalie Elisabeth 649, 669, 744 Hessen-Kassel, Landgraf Moritz 527, 840 Hessen, Landgraf Philipp »der Großmütige« 47, 64, 94, 175, 187, 191, 241, 348, 349, 557, 558, 561, 659, 683, 738, 776, 781, 787, 788 Hessen, Landgraf Wilhelm IV. 105, 240, 685, 776, 786 Hiob 777 Hirst, Derek 129 Hobbes, Thomas 32, 87, 464, 798, 868 Hoenonius, Philipp Heinrich 450, 487, 506, 525 Hoë von Hoënegg, Matthias 144, 310, 415 Holzem, Andreas 99, 161, 198 Hôpital, Michel de l´ 602 Horne, Philip de Montmorency, Graf 303 Hortleder, Friedrich 304, 798

945

Howard, Michael 238 Hruschka, Constantin 174, 242 Hübner, Martin 357, 483, 484, 530, 733 Hug, Peter 385, 523, 524, 540, 676 Hundt, Wiguleus 622, 760 Hus, Jan 69, 70, 142, 144, 336, 343 Janssen, Dieter 96, 129 Janssen, Wilhelm 31, 32, 266, 267 Jeannin, Pierre 323, 324, 791 Jesaja 32 Jessup, Philip C. 371, 372, 385 Jocher, Wilhelm 337, 578, 593, 790, 842 Jordan, Charles Etienne 250 Joseph, Père 211, 589, 756 Josua 142, 143, 144, 145, 146, 150 Kaiser Ferdinand II. 95, 175, 182, 245, 304, 314, 319, 323, 326, 331, 341, 344, 350, 351, 402, 640, 666, 762, 769, 770, 780, 819, 837, 862 Kaiser Ferdinand III. 75, 95, 175, 837, 840, 862 Kaiser Karl der Große 657 Kaiser Karl V. 45, 63, 100, 108, 130, 131, 134, 186, 189, 190, 223, 235, 240, 247, 253, 257, 261, 264, 267, 275, 304, 346, 347, 348, 400, 402, 555, 559, 560, 563, 564, 597, 624, 644, 657, 658, 661, 682, 741, 760, 776, 832, 834, 835, 873 Kaiser/König Ferdinand I. 185, 240, 400, 559, 564, 621, 638, 640, 659, 740 Kaiser Leopold I. 93, 109, 221, 233, 584, 633, 634, 748, 849, 850, 852, 853, 854 Kaiser Matthias 95, 311, 318, 338, 569 Kaiser Maximilian I. 553 Kaiser Maximilian I. 183 Kampmann, Christoph 42, 279, 399, 583, 584 Kant, Immanuel 25, 39, 90, 870 Kaufmann, Thomas 131 Kaunitz, Wenzel Anton Graf 680

946

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Kechler von Schwandorf, Hans Melchior 664 Kerth, Sonja 52, 80, 91, 128, 130, 174, 280 Khlesl, Melchior 72, 134, 301, 569 Kießling, Friedrich 874 Kintzinger, Martin 261 Klaj, Johannes 36 Kleen, Richard 372, 373, 374, 375 Kleinehagenbrock, Frank 198, 199 Knight, William Stanley Macbean 392, 393 Kohler, Alfred 190, 279 Kolb von Wartenberg, Johann Casimir 609 Köln, Kurfürst Ernst 97, 98, 598, 604, 848 Köln, Kurfürst Ferdinand 338, 628, 718, 720, 743, 778, 840 Köln, Kurfürst Gebhard 97, 138 Köpfer, Josef 371, 386 Koppe, Karlheinz 283 Koselleck, Reinhart 90, 119 Koseritz, Johann Georg 460, 461, 464, 487, 490, 701, 708, 732 Krause, Ingmar 52, 265, 818 Krentz, Natalie 18 Krippendorff, Ekkehart 85, 238, 239 Kromerstadt, Georg 754 Kurze, Dietrich 173, 264 Kurz von Senftenau, Ferdinand 838 Kütner von Küniz, Johann 577, 742, 842 Laimingen, Christoph von 769 Lamormaini, Wilhelm 202, 209 Lando, Girolamo 317, 318, 321 Langenberg, Nikolaus von 566, 567, 568, 706, 724, 726 La Rochefoucauld, François VI. duc de 248 Lauterbeck, Georg 50, 54, 55, 79, 153 Lee Jr., Maurice 320

Lehmann, Christoph 76, 77, 78, 79, 80, 247, 472, 706, 710, 725 Leibniz, Gottfried Wilhelm 429 Leighton, Alexander 129, 136 Lemblin von Reinhardshofen, Ludwig Andreas 294, 608, 611, 612, 648, 694, 762, 764, 765, 768 Lemkuhl, Ursula 291 Lesaffer, Randall 82, 176, 177, 277 Limnaeus, Johannes 438, 476, 847 Lipsius, Justus 40, 441, 446, 458, 487, 525, 718, 784, 798 Lisola, Franz Paul von 93, 220, 248, 519, 637, 669, 726 Livius 53, 54, 161, 162, 179, 441, 443, 447, 448, 454, 457, 458, 472, 488, 526, 535, 546, 704, 706, 707, 708, 714 Locke, John 88 Loën, Johann Michael von 88, 99, 113, 124, 125, 251, 276 Löffler, Jakob 575, 603, 641, 651, 762 Londorp, Michael Kaspar 71, 597 Lorimer, James 376 Lothringen, Herzog Karl IV. 770 Luh, Jürgen 250, 251 Luhmann, Niklas 251, 254, 277 Luther, Martin 33, 36, 57, 105, 240, 301, 316, 343, 344, 373, 400, 404, 798 Lutz, Heinrich 173, 174, 279 Machiavelli, Niccolò 39, 52, 67, 71, 72, 113, 125, 179, 202, 204, 214, 236, 368, 388, 439, 440, 441, 442, 454, 455, 487, 493, 495, 704, 784, 785, 796, 797, 798, 837 Mackau, Louis-Eléonor, Baron von 843 Mager von Schönberg, Martin 459, 472, 701, 713, 735 Mainz, Kurfürst Johann Philipp 176, 235, 428, 746, 758, 826

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Mainz, Kurfürst Johann Schweikhard 72, 160, 338, 341, 708 Maior, Georg 399, 400, 403, 404, 788 Malmborg, Mikael af 362, 386 Mansfeld, Ernst von 141, 611, 612, 630, 631, 647, 755, 766 Marescot, Guillaume 643 Martens, Georg Friedrich von 485 Martinitz, Jaroslav von 297, 299 Mayer, Gottfried Ulrich 467, 468, 477, 487, 848 Mayer, Johannes Ehrenfried 467, 468, 477, 487, 848 Mazarin, Jules 206, 642 Metternich, Clemens Fürst von 869 Molina, Ludwig de 105, 175, 176 Molinet, Jean 393, 657 Monner, Basilius 188, 189 Montecuccoli, Raimund Graf 601, 678, 698, 850 Moraw, Peter 173, 238, 261 Mortaigne, Levin von 663 Moser, Johann Jakob 118, 374, 485, 494, 503, 512, 520, 522, 523, 534, 734 Moses 137, 143, 414, 530 Mühlemann, Ernst 538 Müller, Edgar 175 Müller, Klaus 583 Münkler, Herfried 204 Myconius, Oswald 617, 726 Napoleon 357, 485, 727 Naves de Messancy, Jean 618, 832, 833 Neff, Stephen C. 378, 379, 380, 386 Neuhaus, Helmut 18 Neumayr von Ramsla, Johann Wilhelm 257, 371, 380, 393, 451, 452, 453, 454, 455, 456, 457, 458, 459, 461, 468, 472, 474, 487, 488, 489, 490, 491, 497, 498, 505, 506, 519, 526, 529, 701, 716, 719, 721, 731, 734, 751, 785, 796, 797, 798, 799

947

Nitschke, Peter 204 Oeter, Stefan 356, 367, 386, 825 Oldenbarnevelt, Johan van 325 Oñate, Don Iñigo Vélez de Guevara, Graf von 819, 843 Opitz, Martin 152, 154, 205, 416, 417, 781 Oranien, Moritz von 570, 781 Ortenburg, Johann Philipp von 609 Oschmann, Antje 460, 515, 516 Österreich, Erzherzog Leopold 630, 640, 663, 838 Österreich, Erzherzog Maximilian 72, 332 Oxenstierna, Axel, »Ochsenstirn« 41, 42, 44, 75, 144, 176, 226, 259, 409, 571, 574, 596, 603, 616, 627, 642, 643, 652, 653, 668, 689 Papst Bonifaz VIII. 262, 267 Papst Clemens IX. 223, 707 Papst Clemens VII. 618 Paulick, Helmut 386 Pawell, Karl 609, 763 Peringer, Johannes 743, 778, 790, 791, 841 Pfalz, Kurfürst Friedrich II. 556, 557, 558, 559, 617, 618, 619, 641, 658, 659, 681, 682, 737, 738, 741, 754, 755, 776 Pfalz, Kurfürst Friedrich V., »Winterkönig« 143, 144, 300, 306, 316, 317, 318, 319, 329, 330, 332, 333, 334, 335, 336, 345, 609, 610, 612, 664, 666, 767, 771 Pfalz, Kurfürst Karl Ludwig 600, 606, 633, 656, 673, 699, 749, 752, 816, 849, 850, 853 Pfalz-Neuburg, Pfalzgraf Ottheinrich 191, 223, 558, 618, 737, 776, 787 Pfalz-Neuburg, Pfalzgraf Philipp Wilhelm 229, 648, 656, 697, 698, 746, 758, 801

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Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Pfalz-Neuburg, Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm 573, 574, 575, 576, 612, 626, 627, 628, 629, 642, 643, 647, 648, 649, 650, 651, 652, 653, 662, 667, 688, 689, 690, 718, 720, 744, 745, 753, 754 Pflug, Centurion 313 Piccolomini, Enea Silvio 403, 404, 472 Piirimäe, Pärtel 112 Pistorius, Jeremias 610, 638, 705, 771 Plutarch 488 Polen, König August II. »der Starke« 108 Politis, Nicolas 369, 370 Poljanow, Nikolai 168 Preußen, König Friedrich II. 36, 230, 250, 288 Preußen, König Friedrich Wilhelm I. (der »Soldatenkönig«) 45, 108 Pruckmann, Friedrich 777 Pufendorf, Samuel von 87, 88, 381, 475, 480, 497, 513, 519, 810 Putin, Vladimir 270 Raitenau, Hans Werner 630, 838 Ranke, Leopold von 16, 278, 288 Rantzau, Heinrich 42 Rasche, Christoph Ludwig 418, 716, 719, 720, 778 Reinhardt, Wolfgang 180 Repgen, Konrad 84, 91, 94, 95, 254, 259, 281, 730 Reyger, Arnoldus de 457, 473, 823 Ribadeneira, Pedro de 154 Rice, Condoleezza 288 Richelieu, Armand Jean du Plessis 182, 211, 258, 322, 323, 589, 593, 594, 603, 643, 756 Richter, Gregor 472, 525 Richter, Susan 48 Rist, Johann 579 Robertson, William 253

Rochlitz, Elisabeth von 787 Rohrschneider, Michael 128 Rollenhagen, Georg 55 Rotteck, Karl von 361, 823, 865 Royen, Willem Paul Johannes Adriaen van 374, 375 Rüde, Magnus 92 Rumsfeld, Donald 288 Saavedra Fajardo, Don Diego de 29, 256, 446, 826 Sachsen, Kurfürst August 49 Sachsen, Kurfürst Christian II. 133, 569, 704, 844 Sachsen, Kurfürst Friedrich August II. 36 Sachsen, Kurfürst Johann Friedrich I. 47, 64, 187, 349, 562, 619 Sachsen, Kurfürst Johann Georg 145, 310, 311, 312, 313, 316, 346, 347, 408, 409, 411, 525, 570, 571 Sachsen, Kurfürst Moritz 130, 185, 240, 241, 301, 349, 556, 557, 564, 616, 622, 641, 659, 682, 754, 776, 781, 787, 833, 836 Sachs, Hans 104 Sailer, Gereon 64, 94, 175, 190, 557, 562, 620, 712, 738, 775, 787 Sallust 79 Sapieha, Leo 694 Sattler, Michael 53 Scattola, Merio 400 Schad, Hans 631 Schaffalitzki, Bernhard 638 Schellerer, Andreas 633, 757, 801, 849 Schemel, Heinrich 126, 274, 463, 464, 468, 487, 501, 507, 508, 527, 701, 731, 732, 785 Schertlin von Burtenbach, Sebastian 560, 561, 562, 619, 682, 683, 738 Schiller, Friedrich 193, 381, 425 Schilling, Heinz 180, 181, 182, 184, 266, 281

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Schindler, Dietrich 386 Schleicher, Hieronimus 345, 346, 445 Schlichte, Klaus 84, 283 Schlieben, Eustachius von 616 Schmid, Caspar von 655, 697, 748, 750 Schmidt, Alexander 112, 207 Schmidt, Georg 401 Schmitt, Carl 106, 120, 271, 359 Schmitt, Peer 75 Schnurr, Eva-Maria 92, 95, 97, 98, 139 Schönberg, Kaspar von 310, 311, 312, 347, 571, 715, 773, 778 Schönborn, Friedrich Karl von 530 Schopfer, Sidney 373 Schoppe, Kaspar 136, 137, 157, 158, 159 Schröder, Georg 40, 461, 462, 463, 468, 490, 507, 518, 527, 724, 732, 735, 752, 847, 848 Schrötering, Adolph 468, 469, 470, 488, 492, 493, 497, 514, 515, 702, 711, 717, 732, 802, 803, 820, 848 Schubert, Ernst 89 Schulze, Winfried 181, 268 Schumpeter, Joseph 238 Schütz, Wilhelm Ignaz 395, 837 Schwarzenberg, Graf Adam 777 Schweden, Königin Christine 144, 581, 587, 599, 800 Schweden, König Karl X. Gustav 580, 599, 600, 674, 800, 831 Schweden, König Karl XI. 214 Schweitzer, Michael 386 Schweizer, Paul 378, 379, 381, 382, 383, 384, 385, 391, 392, 537, 538, 539, 540, 542, 543, 544, 545, 657 Schwerin, Otto von 670, 695, 714 Seckendorff, Veit Ludwig von 36, 859 Seneca 448 Senghaas, Dieter 201 Sickingen, Franz von 22, 239 Slavata, Wilhelm von 299

949

Solon 425, 448, 506, 735 Spanien, König Philipp II. 45, 46, 194, 257, 261, 275, 597, 642 Spieß, Johann Philipp 418, 721 Spinoza, Baruch de 248 Steiger, Heinhard 271, 373, 458, 536 St. Etienne, Jean de Beaumont, baron de 41, 595 Stockhammer, Georg 562, 564, 621, 622, 646, 741, 760 Stolleis, Michael 181, 204, 450, 460 Stratman, Theodor Heinrich Altet von 92, 229, 230, 248, 670, 697, 746, 758, 783 Straub, Eberhard 181, 325 Sully, Maximilien de Béthune, Herzog von 258, 321 Sultan, Hamed 375, 385 Suter, Andreas 384, 540 Tacitus 448, 454, 457, 525, 535, 546, 708, 798 Textor, Johann Wolfgang 113, 114, 115, 116, 237, 478, 488, 494, 497, 508, 510, 516, 807, 860 Thier, Andreas 18 Thomas von Aquin 32, 104, 128, 129, 173 Thukydides 454 Thumm, Theodor 638, 639, 640, 641 Tilly, Johann Tserclaes von 144, 147, 150, 246, 525, 578, 611, 640, 645, 663, 664, 665, 690, 824, 840 Tischer, Anuschka 128 Trautmannsdorff, Maximilian von 690 Treitschke, Heinrich von 288 Troeltsch, Ernst 179 Truyol y Serra, Antonio 386, 441, 443 Tschernembl, Georg Erasmus von 609 Tschopp, Silvia Verena 93, 149 Tuchman, Barbara 293 Tuck, Richard 53, 109, 113, 121, 480

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Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Turenne, Henri de La Tour d´Auvergne, vicomte de 215, 606, 636 Turner Johnson, James 128, 129, 134, 154 Valckenier, Peter 804, 805 Varnbüler, Konstantin 631 Vattel, Emer de 115, 118, 123, 124, 271, 353, 357, 363, 374, 381, 481, 482, 483, 484, 488, 494, 496, 502, 503, 511, 512, 520, 521, 523, 530, 531, 534, 535, 677, 809, 810, 821, 822 Vischer, Friedrich Theodor 167 Vitoria, Francisco de 105, 109, 110, 111, 176, 369, 490 Vitriarius, Philipp Reinhard 479, 493, 510, 512, 732, 733 Voltaire 253 Voßenhölen, Albert 88, 126, 465, 466, 467, 487, 491, 499, 509, 518, 524, 527, 528, 694, 733, 802, 820, 848 Wagener, Herrmann 361 Wallenstein, Albrecht Wenzeslaus Eusebius von 168, 415, 418, 420, 421, 640, 645, 691, 762, 824 Wallerstein, Immanuel 378 Wall, Heinrich de 18 Wang, Andreas 148 Weber, Hermann 592 Weber, Max 179, 286, 812 Weber, Wolfgang E. J. 204, 441 Wefers, Sabine 261 Welcker, Karl Theodor 361, 823, 865 Wetenhall, Edward 425 Wettstein, Rudolf 722 Weyhe, Eberhard von 345, 450, 487, 506, 706 Whorf, Benjamin Lee 388 Wild, Simon 158, 417, 444, 445, 720, 731 Winterkönig  s. v. Pfalz, Kurfürst Friedrich V.

Wolff, Christian 115, 118, 480, 481, 502, 503, 504, 511, 519, 520, 521, 800, 810, 822 Wolfrum, Edgar 81, 269 Wotton, Henry 332 Wright, Quincy 84, 355 Württemberg, Herzog Christoph 556, 564, 566, 622, 623, 624, 660, 661, 662, 684, 740, 741, 776 Württemberg, Herzog Johann Friedrich 38, 241, 330, 346, 573, 576, 608, 610, 611, 612, 630, 631, 638, 639, 640, 643, 646, 664, 665, 763, 764, 766, 768, 769, 770, 771, 772, 788 Württemberg, Herzog Julius Friedrich 615 Württemberg, Herzog Ulrich 192, 659 Yrsch, Johann Ferdinand von 633, 634, 656, 678, 696, 697, 698, 748, 852 Zasius, Johann Ulrich 49, 345, 662, 684, 740 Zeiller, Martin 474 Ziebura, Gilbert 291 Ziska, Johann 301, 343 Zwierlein, Cornel 368, 369 Absolutismus, höfischer A., Barock 36, 83, 87, 96, 108, 119, 168, 219, 235, 236, 238, 239, 247, 248, 250, 251, 262, 275, 276, 285, 301, 342, 426, 543, 693, 694, 775 Abstinenz, Abstinenzprinzip 356, 360, 361, 363, 476, 479, 482, 500, 502, 503, 504, 505, 533, 554, 606, 651, 657, 658, 661, 662, 667, 759, 760 Achtzigjähriger Krieg 72, 114, 172, 193, 194, 303, 475, 506, 685, 686, 687, 846 Adel 53, 87, 155, 174, 194, 197, 220, 236, 238, 239, 241, 244, 261, 282, 319, 343, 558, 621, 728, 775, 784, 813 »Aktionspartei« 97, 189, 205, 756, 766

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Altes Testament 31, 32, 37, 142, 145, 147, 151, 159, 162, 214, 314, 336, 463, 473, 856 American Way of Life 172, 362 Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg 356; s. auch Kolonialkrieg, Dekolonisation Amicitia  s.v. Freundschaft Anarchischer Charakter der internationalen Beziehungen  s. v. Staatenanarchie Anthropologie, anthropologisch 60, 61, 63, 65, 74, 81, 87, 178, 237, 282, 286, 348, 350, 377, 464 Antichrist 103, 129, 130, 187, 191, 233, 303, 349, 403, 410, 423, 424, 486, 639, 640, 703, 727, 793 Antike, antik 50, 53, 113, 161, 165, 236, 245, 373, 387, 425, 446, 447, 448, 449, 450, 454, 458, 459, 466, 473, 475, 477, 480, 488, 491, 501, 513, 527, 535, 539, 687, 706, 707, 708, 709, 714, 728 Apokalypse, apokalyptisch, Endkampf, eschatologische Entscheidungsschlacht 99, 130, 131, 135, 143, 151, 156, 161, 203, 317, 319, 327, 404, 418, 437, 463, 724, 725, 787, 872 Arrondierung 264, 277 Asymmetrische Konflikte, asymmetrische Kriege 117, 362 Auctoritas principis 104, 107, 129, 160, 171, 401 aufgeklärter Absolutismus 194 Aufklärung 119, 126, 127, 178, 713, 727, 867 Augsburger Interim 61, 131, 149, 150, 185, 225, 314, 347, 348, 349, 401, 469 Ausdifferenzierung, funktionale Ausdifferenzierung 20, 33, 52, 128, 181, 195, 499, 812, 871, 872 Bartholomäusnacht 69 Bauernkrieg 180, 344, 351, 640

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Beichtväter 22, 166, 202, 252, 792 Bellizismus, Bellizist 39, 781 Bellum iustum 15, 17, 19, 22, 23, 35, 42, 54, 56, 77, 81, 96, 105, 106, 109, 111, 114, 115, 117, 118, 120, 122, 123, 124, 139, 156, 159, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 170, 172, 174, 228, 312, 314, 359, 362, 364, 365, 369, 370, 375, 389, 402, 467, 571, 727, 785, 792, 793, 796, 797, 806, 822 Bellum iustum ex utraque parte 109, 110, 111, 114, 128, 798 Bellum necessarium, Notwendiger Krieg, »necessaria arma« 35, 56, 63, 81, 105, 137, 139, 148, 152, 154, 156, 159, 160, 410, 416, 727, 785, 793, 802, 806, 836 Bibel, Heilige Schrift 28, 63, 158, 180, 209, 210, 413, 459, 725, 777, 795, 861; s. auch Altes Testament und Neues Testament Bourbonen 196, 248, 547 Briand-Kellogg-Pakt 107, 112, 272, 359, 360, 480, 806 Buchdruck 90, 174 Bürgerkrieg 28, 50, 90, 125, 129, 168, 228, 271, 419, 425, 439, 448, 451, 455, 468, 735, 797, 798, 799, 830, 860 Calvinismus, calvinistisch 39, 69, 71, 79, 97, 154, 155, 182, 193, 195, 205, 218, 220, 322, 338, 756, 766 Christianitas 16, 20, 33, 36, 110, 128, 162, 179, 211, 259, 261, 262, 264, 269, 275, 277, 281, 319, 495, 496, 523, 820, 823, 827, 868, 870, 873 Classical realism  s. v. Realismus Composite monarchies 506, 513, 547 Consolat del mar 374 Devolutionskrieg 212, 232, 234, 432, 550 Diplomaten, Berufsdiplomaten 39, 40, 56, 83, 93, 103, 111, 228, 235, 258, 261, 263, 318, 332, 345, 357, 409, 446,

952

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

570, 571, 582, 633, 646, 649, 660, 706, 719, 720, 726, 750, 786, 828, 829; s. auch Politici Diplomatiegeschichte 16, 289, 376 Diskriminierender Kriegsbegriff 117, 120, 160, 161, 390, 480, 481, 799, 806, 807, 809, 813, 819 Dissimulieren 59, 60, 328, 403 Dulce bellum inexpertis 47, 50, 51, 54, 78 Ehre, Ehrsucht, »Ehrensucht« 20, 29, 30, 42, 78, 83, 88, 92, 94, 131, 140, 148, 160, 177, 186, 220, 222, 225, 232, 233, 235, 236, 237, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 252, 282, 287, 291, 316, 323, 397, 416, 431, 443, 453, 487, 493, 622, 641, 715, 724, 732, 751, 775, 776, 777, 779, 781, 782, 783, 784, 786, 787, 793, 813, 864, 870 Eide, »Eydspflicht« 132, 203, 215, 276, 301 Einblattdrucke 24, 299, 300 Erinnerungskultur  s. v. Geschichte Erwartungsverläßlichkeit 16, 17, 21, 63, 65, 272, 273, 276, 397, 492, 496, 588, 614, 775, 813, 815, 871 Ethik, Entethisierung 23, 103, 112, 115, 116, 119, 125, 126, 162, 165, 166, 167, 248, 315, 396, 398, 415, 465, 526, 637, 745, 803, 820, 867, 868 »Faulkeit«, faul 37, 40, 41, 46, 49, 57, 65, 149, 240, 245, 251, 416, 417, 419, 424, 427, 432, 625, 718, 719, 733, 737, 776, 781, 793, 802, 805, 814 Fehde 22, 23, 52, 80, 85, 104, 130, 239, 262, 387, 388, 389 Feindbild 133, 201, 203, 232, 233, 234, 257, 265, 284, 307, 402 Flugschriften 24, 25, 26, 27, 28, 29, 32, 67, 69, 71, 73, 75, 88, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 101, 105, 138, 139, 140,

141, 142, 144, 146, 150, 151, 154, 155, 156, 157, 158, 172, 188, 189, 191, 202, 203, 206, 208, 209, 215, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 224, 225, 226, 227, 230, 232, 245, 246, 249, 275, 299, 302, 304, 305, 306, 307, 308, 309, 343, 344, 347, 349, 398, 399, 400, 401, 403, 406, 407, 408, 409, 410, 411, 412, 413, 416, 417, 422, 423, 424, 426, 427, 428, 429, 430, 431, 432, 434, 437, 444, 448, 457, 541, 709, 712, 779, 781, 782, 784, 793, 794, 795 Föderalistisch 34, 194, 762, 828 Frankfurter Anstand 33 Freundschaft, Amicitia 261, 277, 320, 389, 390, 466, 590, 606, 672, 730, 812, 813, 868 Frieden, »äusserer« oder »äußerer«  35, 50, 57, 62, 131, 134, 316 Frieden, »innerer«  35, 57, 134, 316 Frieden, interkonfessioneller 35, 56, 60, 62, 175 Frieden, politischer, politisches Friedenskonzept 33, 35, 56, 58, 59, 60, 62, 63, 74, 441, 459, 460, 472, 487, 491, 495, 496, 871, 872 Friedensschlüsse 17, 23, 30, 64, 70, 279, 291, 818 Friedens- und Konfliktforschung, Konfliktforscher 15, 52, 173, 201, 203, 273, 280, 283, 284, 286, 729 Friedensutopien 24, 481 Froschmeuseler 55 Fundamentalistisch 127, 792 Gehorsam, »gehorsamb«, Ungehorsam s. v. Rebellion Gemeiner Mann, »gemeiner man« 69, 75, 91, 92, 93, 94, 145, 198, 737 Gerechter Krieg  s. v. Bellum iustum Gerechtigkeit  s. v. Iustitia

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Germanistik, germanistisch 52, 271; s. auch Philologie Gesandtschaftswesen, (ständige) Gesandtschaften 263, 268, 626, 760 Geschäftsfähigkeit (des Andersgläubigen) 61, 72, 74, 297 Geschichte, Lehren aus der Geschichte, Memoria, Erinnerungskultur 51, 63, 219, 279, 293, 309, 343, 347, 348, 350, 400, 401, 441, 872, 874 Gewaltmonopol der öffentlichen Hand 22, 262 Gewissen 15, 33, 38, 39, 60, 71, 118, 123, 153, 175, 187, 199, 206, 207, 226, 240, 262, 296, 301, 305, 316, 321, 334, 341, 398, 409, 413, 415, 420, 436, 456, 499, 516, 558, 615,640, 695, 721, 737, 780, 781, 788,789, 792, 793, 794, 797, 831, 844, 845, 856, 857 Glaubenskriege  s. v. Konfessionskriege Gleichgewicht 17, 101, 126, 178, 184, 252, 254, 255, 256, 257, 259, 263, 265, 268, 271, 275, 277, 323, 444, 805, 824, 825, 826, 869 Globalisierung 171, 868; s. auch universalhistorisch Gloire, Ruhm, Nachruhm 20, 29, 30, 83, 94, 235, 236, 237, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 282, 323, 653, 732, 751, 758, 775, 777, 778, 781, 782, 784, 785, 873 Gravamina 68, 118, 200, 295, 329, 341, 686, 808 Grenzsaum, (Verdichtung zur) Grenzlinie 264, 310, 323, 477, 513, 549, 551, 648, 827 Guisen 196 Haager Konferenzen, Zweite Haager Friedenskonferenz 112, 358 Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung 86

953

Hegemonie, »Monarchia universalis« 53, 86, 97, 109, 178, 224, 253, 255, 258, 263, 264, 265, 270, 290, 327, 374, 466, 634, 805, 824, 825, 826 Heidelberger Verein 565, 566, 835 Heiden, »Heyden« 33, 39, 74, 158, 162, 469 Heilbronner Bund 590, 603, 607, 616, 628, 648, 649 Heiratsprojekte 238, 261 Hexen, Hexenverfolgungen 234, 273, 442 Hierarchie, hierarchisch 16, 20, 110, 259, 260, 262, 266, 268, 269, 275, 277, 281, 358, 359, 813, 818, 819, 820, 824, 826, 867, 868, 870, 873 Historiographie, -geschichte 16, 21, 93, 156, 180, 196, 198, 208, 250, 252, 254, 257, 276, 278, 280, 281, 284, 376, 699, 866 Hofburg  s. v. Kaiser(liches Amt), Kaisertum Holy War 35, 56, 60, 81, 136, 154, 203, 727 Homo oeconomicus 235, 240, 282, 290; s. auch Rational-Choice-Ansatz Horizontale Staatenordnung 118, 267, 357, 820, 827 Hugenotten, Hugenottenkriege 154, 195, 196, 197, 322, 324, 566 Humanismus, humanistisch 52, 53, 54, 55, 56, 80, 152, 162, 174, 178, 245 Hussitenkriege  s. v. Hus, Jan Ideengeschichte 286, 289 Imperium Romanum  s. v. römische Antike Institutionen, Institutionalisten, Institutionenbegriff 21, 240, 260, 261, 273, 287, 291, 292, 822 Intentio recta 104, 106, 121, 160, 171, 176

954

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Intervention, humanitäre Intervention 120, 141, 142, 165, 166, 170, 171, 210, 456 Irenik 38, 59, 94 Islam, islamisch, muslimisch 36, 67, 113, 170, 178, 179, 264 Ius ad bellum 19, 107, 112, 120, 122, 128, 160, 161, 177, 260, 272, 358, 359, 395, 480, 495, 526, 814, 819, 820, 868, 869 Ius in bello 112, 117, 122, 123, 128, 153, 160, 177, 495, 526 Iusta causa 104, 105, 106, 109, 113, 114, 115, 116, 117, 120, 121, 128, 159, 160, 171, 176, 218, 260, 363, 401, 807, 809, 814, 823; s. auch Iustitia und Bellum iustum Iustitia, »Justitia« 22, 26, 29, 31, 32, 33, 35, 36, 37, 45, 49, 54, 55, 58, 59, 63, 75, 76, 77, 79, 88, 99, 100, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 116, 117, 119, 120, 121, 123, 124, 126, 128, 150, 160, 162, 166, 173, 174, 176, 213, 214, 216, 217, 237, 242, 243, 246, 252, 257, 282, 289, 305, 312, 314, 316, 389, 402, 414, 428, 439, 465, 466, 467, 476, 495, 497, 499, 511, 514, 515, 516, 532, 533, 571, 633, 731, 737, 746, 766, 796, 797, 798, 799, 801, 802, 803, 806, 807, 808, 809, 810, 811, 813, 814, 820, 821, 822, 856, 868, 869, 870 Jahwe, Jahwe-Krieg (des Alten Testaments) 26, 31, 140, 151, 159, 162, 163, 336, 727 Jesuiten, »Jesuiter«, »Jesuwider« 46, 61, 67, 68, 69, 72, 73, 74, 132, 133, 153, 155, 156, 158, 159, 202, 207, 294, 295, 297, 299, 300, 301, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 321, 326, 327, 329, 331, 335, 337, 349, 402, 507, 640, 846, 847 Juristen, juristisch 54, 58, 61, 75, 76, 83, 88, 97, 114, 122, 136, 173, 188, 201,

212, 213, 242, 267, 271, 285, 304, 316, 328, 354, 356, 357, 360, 361, 367, 368, 374, 375, 376, 380, 397, 400, 401, 438, 443, 447, 449, 453, 454, 458, 460, 469, 470, 471, 477, 481, 484, 489, 490, 492, 495, 496, 497, 501, 505, 508, 509, 515, 518, 519, 523, 525, 526, 529, 545, 556, 567, 637, 723, 727, 730, 733, 753, 785, 792, 798, 810, 822, 826, 827, 839, 859, 860, 862, 871; s. auch Recht(sordnung) Kabinettskriege 102, 252 Kaiser(liches Amt), Kaisertum 96, 133, 137, 138, 175, 186, 187, 189, 190, 191, 192, 198, 207, 210, 229, 262, 298, 307, 308, 333, 341, 347, 351, 400, 401, 415, 421, 422, 456, 573, 634, 645, 654, 655, 656, 686, 717, 783, 830 Kalkül, Kräftekalkül, kalkulieren, wägen (vs. bewerten) 23, 30, 40, 115, 121, 125, 126, 156, 172, 184, 185, 204, 205, 217, 238, 242, 252, 256, 257, 258, 274, 283, 323, 324, 333, 348, 368, 394, 402, 434, 438, 442, 444, 445, 450, 455, 457, 462, 470, 474, 490, 496, 507, 509, 522, 589, 637, 654, 655, 694, 709, 729, 731, 733, 756, 767, 770, 771, 774, 779, 797, 800, 803, 808, 840, 870, 874 Kalter Krieg 170, 201, 288, 360 Kanonistik 65, 112, 129, 162, 163, 209 Kappelerkriege 185, 192 Kirchengeschichte, Kirchenhistoriker 18, 99, 166, 391 Koalitionskriege 120, 294, 477 Kognitive Ideen, kognitive Filter 287, 289, 290, 291 Kölner Krieg 92, 95, 97, 183, 192, 686 Kolonialkriege, Kolonialgebiete, Dekolonisation 19, 110, 480, 483

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Komposition, »composition«, »amicabilis compositio« 66, 293, 329, 340, 341, 342 Konfessionelles Zeitalter, Konfessionalisierung 15, 25, 28, 32, 35, 38, 63, 67, 73, 75, 78, 81, 89, 119, 128, 130, 156, 161, 163, 180, 181, 182, 184, 185, 193, 199, 200, 204, 207, 214, 224, 225, 226, 232, 253, 293, 333, 346, 353, 391, 404, 407, 425, 426, 427, 429, 437, 441, 459, 495, 531, 535, 540, 703, 719, 723, 727, 731, 792, 806, 817, 838, 845, 854, 858 Konfessionskrieg, Glaubenskampf, »religion krieg« 32, 81, 102, 106, 119, 130, 136, 179, 185, 186, 188, 189, 190, 191, 192, 195, 197, 198, 199, 200, 201, 204, 207, 208, 210, 211, 217, 218, 219, 225, 226, 227, 229, 230, 234, 252, 295, 302, 304, 307, 309, 310, 316, 317, 318, 325, 326, 327, 345, 346, 347, 348, 349, 350, 351, 352, 405, 406, 408, 409, 423, 425, 586, 589, 590, 756, 786, 792, 799, 858, 869 Kontingenzbewältigung 20, 127, 163 Konvenienzpolitik 255, 826, 869, 870 Konzil von Konstanz 69 Konzil von Trient, Tridentinum 331 Kreuzzüge 113, 162, 163, 233, 264 Krieg gegen den »internationalen Terrorismus«  s. v. Terrorismus Kriegsdienstverweigerer 856 Kriegslegitimation, legitimatorische Defizite 88, 96, 138, 171, 172, 186, 190, 191, 192, 198, 207, 286, 291, 311, 348 Kriegsmanifeste 17, 25, 82, 88, 94, 95, 98, 113 Kriegsursachenforschung, quantitative K. 56, 84, 86, 93, 200, 237, 280, 281, 282, 283, 284 Kurfürstentag 337, 338, 421, 684, 770, 815, 819, 842

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Kurie  s. v. Papst Landfrieden, Ewiger Landfrieden 22, 345, 389, 686 Landschaft, Landstände, Landtage 44, 45, 95, 178, 188, 307, 328, 401, 553, 564, 571, 621, 622, 629, 763, 833 Legitimität durch Verfahren 101 Lehnrecht, Lehnswesen, Lehnsherr, Lehnsmann 97, 187, 188, 330, 389, 390, 401, 408, 497, 512, 567, 587, 600, 717, 778, 799, 807, 813, 830, 832, 833, 836, 837, 843, 847, 848, 858, 859, 860, 862, 863, 864, 866; s. auch Treue Leichenpredigt 145, 146 Lemberger Gelübde 228 Leyenda negra, Schwarze Legende 73, 96 Liga, katholische 46, 47, 133, 138, 145, 196, 211, 266, 292, 294, 324, 338, 372, 406, 418, 568, 569, 573, 577, 589, 590, 591, 592, 594, 595, 596, 597, 603, 610, 611, 614, 626, 630, 647, 665, 666, 687, 689, 704, 708, 742, 743, 792, 828, 841, 858 Ligue 154, 196 Lutheraner 57, 62, 65, 67, 68, 70, 71, 77, 95, 133, 138, 144, 187, 299, 313, 315, 345, 404, 406, 407, 445, 486, 569, 645, 688, 756, 763, 766, 772 Majestätsbrief 70, 297, 298, 299, 301, 302, 307, 311, 313, 327, 328, 329, 341, 412, 456, 798 Makkabäerkrieg, »Maccabeer Krieg« 135, 146, 203, 314, 348 Malteserorden 552 »Mannheit«, »Männlichkeit«, »Mankait« 301, 449, 716 Markgrafenkrieg 613, 684, 739, 835; s. auch Brandenburg-Kulmbach Märtyrer 301 Marxismus 168 Medici 197, 253

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Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Menschenrechte, Menschenrechtskonzept 165, 272; s. auch Interventionen, humanitäre Mentalitätsgeschichte 21, 23, 199, 205, 207, 280, 290, 291 Mittelalter 19, 20, 21, 31, 32, 33, 37, 52, 56, 80, 81, 85, 86, 89, 103, 109, 110, 121, 128, 129, 130, 162, 173, 178, 179, 238, 255, 259, 260, 261, 262, 263, 265, 266, 267, 275, 276, 369, 370, 378, 379, 380, 386, 387, 388, 389, 390, 391, 811, 812, 813, 814, 817, 818, 827, 867, 868, 873, 874 Moderne/postmoderne Kriege (VietnamKrieg, Jugoslawien-Krieg, Golfkrieg usw.) 165, 169, 170, 231; s. auch asymmetrische Konflikte Modernität, Modernisierungstheorie 23, 57, 106, 107, 110, 119, 163, 165, 169, 179, 190, 194, 196, 215, 232, 234, 235, 236, 238, 262, 263, 268, 269, 272, 827 Modern realists  s. v. Realismus Monarchia universalis  s. v. Hegemonie Monarchomachen 798 Moraltheologie, moraltheologisch 107, 122, 494, 577, 585, 709, 776, 786, 790, 791, 794, 813, 840, 868 Motivation (vs. Legitimation)  s. v. Kriegslegitimation Nation, national, Nationalbewußtsein 67, 70, 107, 112, 118, 153, 154, 180, 188, 189, 190, 198, 205, 207, 219, 228, 232, 245, 250, 261, 266, 269, 272, 283, 291, 302, 325, 343, 360, 362, 381, 401, 433, 435, 436, 443, 480, 505, 520, 521, 537, 540, 541, 557, 564, 619, 739, 745, 769, 783, 822, 829, 834, 835, 867 Natur, Naturrecht, Jus Naturae, Droit de nature 26, 29, 41, 62, 63, 74, 80, 87, 88, 115, 132, 158, 229, 292, 314, 342,

402, 413, 438, 454, 463, 464, 465, 468, 469, 485, 491, 493, 494, 496, 505, 509, 510, 520, 522, 530, 533, 535, 588, 622, 678, 734, 820, 861, 867, 869, 870 »Nazi« 120, 359, 360 Neues Testament 147, 161, 798 Neutralité armée 354, 356, 357, 363, 374, 386, 524, 554 Nichtkriegführung 358, 360, 366, 475, 476, 488, 497, 499, 500, 509, 524, 588, 611, 616, 667, 807 Nordische Kriege, Erster Nordischer Krieg 55, 73, 185, 228, 275, 579, 580, 582, 597, 599, 604, 674, 714, 746, 782, 799, 802, 831, 839 Normen 21, 98, 126, 179, 180, 184, 187, 215, 223, 224, 243, 274, 279, 280, 283, 285, 287, 288, 289, 290, 291, 384, 385, 397, 401, 441, 475, 482, 495, 496, 523, 531, 535, 587, 751, 798, 799, 815, 817, 871, 874 Notrecht, Notrechtsargumentation, »(inevitabilis) necessitas«, necessità, 60, 65, 132, 215, 462, 494, 513, 520, 521, 533, 796, 798; s. auch Raison de guerre Öffentlichkeit, »repräsentative Öffentlichkeit« 44, 47, 89, 90, 91, 94, 95, 96, 97, 98, 109, 130, 156, 291, 316, 330, 398, 399, 400, 402 Ökonomie, ökonomisch 25, 194, 195, 204, 228, 238, 257, 279, 282, 287, 362, 377, 378, 432, 812, 873, 874 Ordo, Ordnung 19, 20, 21, 26, 32, 34, 35, 63, 64, 75, 81, 98, 100, 101, 102, 104, 119, 170, 205, 206, 221, 252, 255, 259, 260, 268, 269, 277, 312, 346, 495, 496, 777, 813, 814, 820, 821, 824, 826, 827, 866, 867, 868, 869, 870, 871, 872, 873, 874, 875 Organisationstheoretisch 283

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Osmanisches Reich, Pforte, »der Türke«, »Türcken« 36, 132, 153, 156, 158, 179, 211, 233, 264, 342, 400, 737, 800; s. auch Feindbild Ostfriesisch 572 Papst, Kurie, Kirchenstaat 19, 57, 61, 62, 67, 97, 110, 137, 149, 153, 157, 178, 190, 191, 223, 260, 262, 264, 269, 281, 305, 306, 315, 317, 348, 417, 432, 444, 543, 584, 585, 618, 635, 639, 640, 707, 791, 792, 820, 829, 851, 866, 873 Pariser Seerechtsdeklaration 358 Paritätsprinzip 356, 360, 361 Passauer Vertrag 63, 130 Patristik 32 Pax iniqua 32, 46, 65 Pax Romana  s. v. römische Antike Pazifismus, pazifistisch 26, 28, 49, 53, 54, 77, 112, 158, 780, 813 Personenverband 277, 552 Pfälzischer Erbfolgekrieg 119, 232, 839 Philologie, philologisch 52, 80, 93, 128, 130, 136, 280, 394, 420, 526, 706 Philosophie, philosophisch, Philosophen 25, 87, 178, 251, 254, 257, 279, 280, 285, 400, 441, 866 Politik, Politiker, »Politici« 21, 22, 23, 29, 33, 34, 35, 39, 43, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 74, 75, 84, 101, 112, 117, 119, 125, 126, 142, 151, 155, 156, 168, 169, 172, 174, 176, 177, 180, 181, 184, 185, 203, 204, 205, 206, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 257, 268, 269, 272, 273, 274, 276, 277, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 287, 288, 289, 290, 291, 437, 438, 439, 440, 450, 451, 452, 467, 867, 868, 869, 870, 871, 872, 873, 874, 875 Politikwissenschaften, Politologen 17, 84, 171, 201, 205, 257, 269, 283, 287, 288,

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354, 368, 438, 446, 449, 450, 451, 457, 461, 638, 723, 729, 769, 774, 784, 818 Politiques 197, 411 Politische Ordnungsstiftung  s. v. Frieden, politischer Politische Testamente 44, 47, 108, 223, 274, 693, 751 Polnisch-schwedischer Krieg 578, 580, 589, 613, 693, 714, 744, 779, 831 Präfiguration, präfigurieren 143, 314, 335, 336, 337, 344 Prager Fenstersturz 25, 28, 241, 291, 294, 295, 417 Prager Frieden 37, 207, 208, 209, 352, 573, 753, 828, 839 Primat der Außenpolitik 204 Primat der Politik 169, 239, 694, 872 Privatsphäre, privat, privatisieren 20, 102, 119, 127, 163, 190, 205, 298, 299, 328, 346, 389, 633, 654, 667, 804 Propaganda 95, 122, 129, 180, 189, 191, 195, 342, 350, 351, 411, 510, 635, 737, 781, 787; s. auch Kriegslegitimation Psalm 32, 35, 845 Puritaner 129, 309 Raison de guerre, raison de la guerre 215, 528, 693, 694; s. auch Notrecht und Ratio belli Ratio belli 478, 491, 528, 627, 650, 651, 653, 668, 690, 843; s. auch Raison de guerre Rational-Choice-Ansatz 20, 235, 240, 288; s. auch Homo oeconomicus Rationalisierung 20, 29, 106, 232, 234, 235, 397, 870 Ratio status  s. v. Staatsräson Realismus, Realisten, Neorealisten, Real-politik, »realist thought« 116, 171, 176, 177, 240, 282, 287, 288, 438

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Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Rebellion, Rebellen 53, 58, 72, 95, 96, 114, 115, 138, 150, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 194, 197, 198, 205, 215, 229, 240, 245, 295, 297, 298, 303, 305, 308, 310, 311, 313, 314, 315, 316, 317, 319, 321, 325, 326, 344, 348, 349, 350, 351, 402, 403, 414, 456, 510, 563, 617, 618, 623, 624, 625, 644, 647, 655, 659, 668, 686, 717, 748, 760, 762, 764, 776, 778, 786, 788, 798, 799, 819, 828, 829, 830, 832, 833, 834, 835, 836, 837, 838, 839, 840, 844, 845, 846, 849, 852, 855, 857, 858, 859, 860, 863, 864 Recht, Rechtsordnung 22, 31, 32, 33, 36, 58, 59, 64, 74, 75, 97, 98, 104, 111, 112, 117, 127, 160, 170, 180, 181, 187, 260, 272, 273, 274, 277, 338, 353, 354, 356, 357, 358, 359, 360, 361, 362, 363, 364, 475, 476, 477, 478, 479, 480, 481, 482, 483, 484, 485, 488, 489, 491, 492, 493, 494, 774, 812, 813, 814, 852, 860, 861, 871, 873 Rechtsgeschichte 18, 280, 285 Reconquista 178, 179 Reformation 53, 90, 155, 179, 181, 192, 538, 558 Reichshofrat 57, 66, 97, 340, 404, 418, 838, 849 Reichstag, Reichsabschied 22, 29, 33, 34, 49, 58, 59, 66, 100, 175, 200, 202, 223, 230, 275, 292, 299, 307, 340, 345, 418, 421, 430, 431, 466, 491, 516, 518, 557, 583, 584, 585, 600, 601, 617, 636, 659, 686, 744, 762, 800, 831, 839, 840, 843, 850, 851, 853, 854, 855, 858, 859, 860, 861, 863, 864, 865, 871, 872 Religionsfrieden, Augsburger Religionsfrieden 34, 49, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 65, 66, 67, 70, 82, 98, 131, 134, 135, 138, 155, 175, 185, 186, 187, 198, 200, 207, 208, 225, 236, 297, 299, 301,

302, 303, 307, 328, 329, 338, 340, 402, 412, 426, 645, 684, 708, 756, 772, 867, 871 Renversement des alliances 98, 343 Resakralisierung (des Kriegsbegriffs) 159, 160, 168, 206, 727, 802 Restitutionsedikt 115, 145, 175, 181, 182, 208, 210, 225, 573, 637, 639, 641, 642, 645, 666, 691, 768 Rolle 34, 243, 261, 270, 277, 437, 526, 813, 830, 833, 861, 869, 872, 874 Rollenausdifferenzierung 34, 251 Römische Antike 31, 32, 53, 54, 113, 147, 535, 539; s. auch Antike Ruhe und Ordnung 32, 35, 74, 81, 101, 106, 119, 194, 206, 221, 312, 346, 868, 869 Ruhm  s. v. Gloire Sachzwang 20, 39, 56, 125, 151, 168, 187, 204, 437 Säkularisierung 20, 35, 36, 57, 103, 104, 106, 107, 108, 110, 115, 120, 121, 122, 126, 127, 165, 168, 172, 178, 179, 180, 181, 206, 207, 208, 210, 212, 213, 221, 223, 232, 235, 252, 255, 257, 308, 438, 499, 533, 580, 799, 801, 805, 809, 810, 813, 823, 847, 870, 875 Schisma 190, 262, 353, 391, 393, 817 Scholastik, Spätscholastik 105, 162, 390, 490, 813 Seekrieg, maritime Kriegführung, maritim 228, 355, 357, 366, 371, 373, 374, 380, 483, 523, 602, 676 Sicherheitsdilemma 273, 815; s. auch Erwartungsverläßlichkeit Siebenjähriger Krieg 637, 804, 839, 843, 844, 862 Soft Law 213, 271, 496, 815 Söldner 85, 96, 105, 142, 152, 168, 169, 178, 188, 199, 203, 239, 492, 494, 631, 657, 676, 677, 693, 753, 766, 782, 805

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Souveränität 19, 20, 32, 104, 106, 107, 111, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 128, 161, 165, 204, 210, 255, 259, 260, 261, 263, 270, 272, 285, 353, 358, 359, 363, 390, 479, 495, 505, 508, 509, 510, 511, 514, 517, 520, 522, 533, 552, 696, 699, 803, 808, 809, 810, 819, 820, 821, 822, 823, 824, 826, 827, 828, 857, 860, 863, 865, 868, 873, 874 Sozialpsychologisch 283 Sozialwissenschaften 21, 240 Soziologie, soziologisch 139, 254, 281, 535, 872 Spiritualisten 53 Staatenanarchie, anarchischer Charakter der internationalen Beziehungen 21, 88, 273, 275, 277, 282, 438 Staatensystem 16, 17, 19, 252, 260, 261, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 277, 283, 358, 397, 476, 552, 735, 774, 817, 819, 826, 827, 866, 872 Staatsbildungskrieg 86, 198, 207, 267 Staatskirchenrecht 59 Staatsräson, Ratio status 21, 55, 56, 111, 112, 117, 124, 126, 151, 181, 183, 184, 197, 202, 204, 205, 206, 207, 210, 211, 214, 215, 216, 255, 263, 286, 302, 323, 357, 390, 395, 413, 414, 437, 438, 456, 458, 478, 487, 488, 495, 496, 533, 578, 579, 581, 769, 797, 801, 803, 808, 810, 820, 824, 837, 838, 840, 852, 860, 868, 870, 874 Städtebundkrieg 675 Statistik, statistisch 83, 84, 205, 231, 237, 280, 563, 576 Staufer 32, 267 Strafrecht, Strafprozeß, Verbrechensbekämpfung 23, 117, 170, 362, 822 Strukturelle Gewalt 37, 869 Stuart 196

959

Summenkonstanzen, Nullsummenspiel 21, 273 Sünde, sündig 35, 38, 58, 60, 78, 80, 81, 129, 142, 148, 163, 186, 214, 240, 246, 315, 399, 402, 407, 409, 411, 415, 416, 417, 419, 422, 423, 424, 431, 432, 433, 436, 444, 472, 486, 496, 530, 702, 703, 712, 718, 723, 724, 737, 751, 776, 777, 780, 782, 785, 786, 793, 794, 795, 800, 801, 802, 809, 824, 844, 858, 868, 872 System, Systembegriff 19, 20, 34, 56, 66, 97, 101, 187, 203, 251, 254, 259, 260, 261, 266, 267, 268, 269, 274, 282, 285, 286, 287, 812, 817, 818, 819, 826, 829, 852, 859, 864, 869, 872, 873 Tacitismus, Tacitisten 113, 448, 798 Tagsatzung (der Eidgenossen) 228, 498, 543, 544, 545, 549, 615, 657, 667, 677, 678, 679, 680, 719, 805, 828 Täufer 53, 143 Terrorismus 117, 170, 362, 363 Testament 44, 45, 47, 48, 108, 223, 274, 346, 693, 751; s. auch Politische Testamente Teufel, »Teuffel« 78, 103, 113, 140, 149, 152, 153, 156, 157, 158, 159, 160, 168, 188, 217, 219, 228, 233, 299, 300, 304, 327, 335, 399, 402, 404, 405, 408, 410, 423, 424, 426, 429, 430, 437, 459, 463, 486, 614, 619, 703, 726, 727, 728, 788, 791, 793, 800, 805, 812, 833, 847 Teutsche libertät 130, 183, 185, 187, 189, 211, 219, 223, 228, 264, 307, 401, 556, 577, 590, 622, 697, 756, 762 Theologie, theologisch, Theologen 20, 22, 23, 25, 27, 29, 31, 32, 33, 35, 37, 39, 56, 58, 61, 71, 75, 76, 81, 83, 97, 103, 105, 112, 121, 124, 125, 128, 131, 133, 159, 161, 164, 166, 168, 172, 175, 184, 190, 198, 201, 206, 207, 213, 214, 215, 221,

960

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

244, 257, 299, 303, 314, 315, 316, 317, 327, 334, 366, 367, 378, 397, 400, 401, 404, 414, 415, 421, 422, 425, 436, 438, 441, 447, 457, 458, 461, 463, 467, 470, 486, 487, 491, 493, 586, 614, 617, 639, 641, 718, 723, 724, 725, 726, 731, 744, 782, 786, 788, 791, 798, 799, 800, 803, 807, 811, 841, 845, 856, 857, 871, 872; s. auch Moraltheologie Transgressionen 677, 805 Transit 64, 330, 360, 361, 478, 492, 514, 515, 516, 519, 521, 554, 684, 811 Transitus innoxius 483, 515, 519, 520, 521, 811 Treue, »trew« (im Sinne von Vertragstreue) 64, 65, 67, 68, 69, 70, 71, 73, 74, 138, 152, 229, 275, 348, 503, 596 Treue, »trew« (vasallitische)  188, 198, 389, 390, 563, 618, 644, 717, 776, 799, 812, 813, 830, 831, 834, 835, 844, 845, 846, 847, 849, 850, 852, 855, 859, 868 Truppendurchmärsche  s. v. Transit Truppenwerbungen 223, 360, 502, 503, 523, 554, 568, 571, 608, 629, 638, 661, 676, 677, 682, 685, 748, 753, 762, 764, 809, 823 Typologisch 142, 143, 145, 146, 314 UN-Charta, UNO 17, 107, 165, 171, 260, 360, 362, 480, 806, 822 Union von Auhausen 13, 324, 326, 340, 394, 569, 607, 752, 755, 761 Universalhistorisch 63, 65, 127, 161, 165, 225, 806, 811; s. auch Globalisierung Unkraut im Weizen (Gleichnis) 132, 155 Untertanen, »unterthonen« 29, 101, 102, 242, 243, 261, 291, 298, 304, 311, 314, 316, 318, 321, 327, 342, 400, 544, 578, 624, 631, 652, 655, 660, 682, 753, 788, 819, 860 Valois 196, 548

Vaterland 154, 167, 187, 188, 189, 207, 232, 245, 314, 345, 346, 425, 430, 439, 530, 680, 737, 769, 778, 783, 787, 788, 797, 798, 862 Verrechtlichung 20, 59, 186, 255, 370, 523 Völkerrecht 20, 32, 64, 106, 107, 109, 113, 114, 115, 116, 118, 121, 122, 123, 124, 164, 165, 166, 167, 175, 176, 180, 213, 237, 259, 262, 263, 269, 270, 271, 272, 273, 275, 277, 280, 285, 291, 353, 354, 355, 357, 366, 367, 474, 475, 476, 479, 480, 481, 482, 484, 485, 729, 749, 751, 768, 772, 774, 775, 799, 801, 806, 807, 808, 809, 810, 811, 812, 813, 814, 815, 816, 817, 818, 819, 820, 821, 824, 827, 828, 829, 843, 850, 857, 859, 860, 866, 868, 869, 870, 871, 874, 875 Völkerrechtssubjekt 260, 402 Wahlkapitulation 421, 491, 518, 830 Wahrheit, Wahrheitsmonopol 35, 43, 47, 56, 63, 76, 98, 121, 130, 134, 179, 180, 186, 211, 240, 291, 349, 391, 403, 411, 412, 495, 496, 542, 557, 561, 748, 798, 827, 854, 858, 859, 867, 868, 871, 872 »Weibisch« 53, 76, 409, 715, 717, 722, 777, 780, 782, 783, 801 Weltkrieg 112, 120, 161, 169, 170, 267, 271, 359, 360, 364, 369, 372, 378, 729, 806 Werbungen s. v. Truppenwerbungen Werte, bewerten 17, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 27, 28, 29, 35, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 65, 76, 77, 80, 81, 82, 126, 171, 174, 177, 178, 184, 186, 202, 205, 207, 210, 215, 220, 223, 236, 237, 239, 240, 241, 242, 243, 248, 251, 252, 257, 279, 282, 283, 284, 285, 286, 287, 288, 289, 290, 291, 308, 312, 398, 426, 427, 428, 429, 430, 437, 438, 442, 450, 452, 461, 467, 468, 470, 471, 476, 544, 702, 722, 724, 728,

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

736, 737, 746, 774, 775, 776, 777, 779, 783, 796, 801, 812, 813, 822, 852, 855, 868, 870, 874 Westfälischer Frieden, »Mythos 1648« 20, 84, 122, 254, 267, 268, 269, 270, 281, 827, 828, 829, 830 Westfälischer Frieden (ereignisgeschichtlich) 36, 42, 44, 48, 55, 56, 66, 73, 75, 76, 77, 79, 81, 108, 109, 175, 200, 209, 248, 289, 408, 425, 491, 523, 582, 654, 669, 679, 722, 744, 746, 756, 859, 861 Widerstand, Widerstandsdiskurs 26, 89, 131, 149, 150, 153, 185, 189, 190, 194, 197, 200, 220, 233, 254, 301, 307, 314, 316, 399, 400, 401, 402, 403, 528, 611, 685, 710, 798, 841 Wissenssoziologie 286 Zedler 531, 534, 727, 803, 860 Zeitungen, Journale, Gazetten 13, 24, 37, 65, 66, 85, 91, 95, 139, 141, 149, 216, 218, 219, 231, 270, 294, 336, 406, 418, 486, 699 Zwei-Reiche-Lehre, Lehre von den zwei Regimenten 57, 105, 316 Zweite Haager Friedenskonferenz  s. v. Haager Konferenzen Afghanistan 169, 170, 171, 279 Afrika 45, 84 Amiens 358 Apenninhalbinsel 178, 253, 256, 264, 265, 266, 394, 444, 446, 496, 513, 817, 826, 827, 873 Augsburg 33, 34, 49, 57, 59, 60, 61, 62, 64, 65, 70, 94, 98, 131, 135, 136, 155, 175, 185, 186, 187, 198, 200, 208, 236, 297, 301, 302, 303, 328, 352, 426, 557, 562, 619, 620, 640, 683, 684, 708, 712, 722, 775, 787, 867, 871, 872 Avignon 262

961

Belgien (modernes) 358, 541 Bentheim 652 Böhmen, böhmisch 21, 26, 27, 28, 70, 94, 135, 136, 137, 139, 140, 143, 144, 159, 191, 198, 200, 205, 206, 207, 241, 245, 291, 292, 294, 295, 296, 298, 299, 300, 301, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 308, 309, 310, 311, 312, 313, 314, 315, 317, 319, 320, 321, 322, 323, 324, 325, 326, 327, 328, 329, 330, 331, 332, 333, 334, 335, 336, 337, 338, 339, 340, 341, 342, 343, 344, 347, 348, 349, 350, 351, 407, 408, 409, 412, 413, 414, 451, 454, 455, 456, 570, 571, 612, 613, 617, 637, 640, 645, 706, 707, 712, 723, 754, 791, 799, 844, 863 Brandenburg-Ansbach 329, 330, 570, 611, 643, 752 Brandenburg-Kulmbach 22, 50, 326, 328, 565, 573, 576, 613, 617, 623, 643, 646, 755, 835 Brandenburg-Küstrin 49 Braunschweig-Lüneburg 589, 598, 605, 656 Breda 647, 669 Breitenfeld 147, 590 Bremen (Erzstift) 589, 840, 847, 851 Brüssel 194, 206, 568, 575, 626, 633, 648, 667, 686, 689, 744, 745, 753 Burgund 441, 528, 547, 548, 549, 550, 552, 597, 657 Cambrai 392, 393, 394, 602 Chambord 211, 241 Dänemark 182, 183, 241, 356, 524, 582, 598, 632, 647, 768 Danzig 579 Dôle 549, 597 Donauwörth 46, 93, 192, 658 Dresden  s. v. Kursachsen

962

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Eichstätt (Hochstift) 623, 646 England 38, 40, 41, 90, 92, 94, 96, 128, 129, 134, 136, 154, 182, 185, 193, 218, 219, 228, 229, 237, 243, 250, 251, 253, 266, 297, 316, 317, 318, 320, 321, 325, 326, 332, 336, 425, 433, 483, 570, 602, 669, 680, 699, 716, 725, 744, 768, 782, 783, 786 Europa, europäisch 16, 17, 19, 20, 21, 22, 24, 26, 36, 86, 102, 198, 212, 252, 253, 254, 255, 258, 260, 261, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 276, 277, 278, 736, 774, 814, 820, 822, 824, 827, 866 Finnland (modernes) 362 Florenz, Florentiner 39, 173, 441, 704, 792 Frankenthal 27, 143 Generalstaaten  s. v. Holland Gießen 315 Griechenland 387 Halberstadt (Hochstift) 617, 754 Halle an der Saale 415 Hamburg 86, 219, 572, 632, 662 Hannover 450, 584, 637, 671, 672, 680, 749, 758 Hansestädte 191, 420, 524, 662 Hohenlohe 75, 100, 101, 199, 663 Holland, Generalstaaten, Niederlande 40, 46, 75, 80, 92, 136, 172, 182, 194, 195, 196, 201, 219, 229, 234, 268, 303, 326, 392, 394, 423, 486, 517, 523, 541, 553, 554, 573, 574, 582, 585, 607, 629, 634, 637, 647, 651, 669, 677, 678, 679, 682, 686, 719, 744, 745, 753, 792, 819, 842, 846, 854 Holstein 42, 580, 597, 598, 847 Irland 185 Italien  s. v. Apenninhalbinsel Jülich 38, 349, 566, 567, 572, 633, 647, 649, 652, 689, 698, 724, 739, 836

Kleve 38, 566, 567, 572, 724, 865 Königsberg 579, 589 Kurbrandenburg 524, 567, 576, 580, 583, 662, 671, 692, 836, 853; s. auch Brandenburg Kurland 73, 579, 580, 587, 591, 599, 600, 604, 613, 674, 693, 779, 782, 800, 831, 832 Kurpfalz, kurpfälzisch 27, 50, 92, 210, 317, 329, 332, 558, 574, 583, 586, 601, 625, 651, 656, 673, 680, 699, 737, 738, 739, 749, 776, 786, 815, 850; s. auch Pfalz Kursachsen, Dresdner Hof 97, 135, 138, 144, 147, 183, 206, 209, 309, 310, 311, 312, 313, 327, 344, 345, 346, 347, 351, 407, 408, 411, 413, 569, 570, 583, 614, 616, 617, 643, 755, 757, 766, 778, 789, 844, 858, 862; s. auch Sachsen Küstrin 49, 617, 692, 781 Livland 581 Lombardei 22 Lüttich (Hochstift) 392, 429, 430, 528, 552, 699 Luxemburg (modernes) 358, 383 Magdeburg (Erzstift) 55, 131, 149, 150, 310, 314, 401, 402, 525, 617, 754 Mähren 144, 640 Mailand, mailändisch 393, 657 Mainz (Erzstift) 23, 72, 160, 176, 235, 341, 394, 427, 476, 477, 572, 583, 591, 626, 634, 671, 675, 708, 761, 826 Malta 358, 552 Marignano 373, 537, 538, 539 Mecklenburg 42, 617, 680, 692 Mitau 73, 580, 581, 613, 831 Mühlhausen 572, 687, 770 Münster (Hochstift) 44, 75, 108, 429, 582, 598, 668, 669, 673, 865 Neapel 524

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Nijmwegen 669 Nördlingen 574, 603, 626, 627, 647, 649, 652, 653 Nürnberg 18, 25, 36, 82, 145, 216, 285, 308, 309, 331, 332, 403, 527, 557, 568, 640, 687, 707, 846 Oettingen 328, 801, 861 Oldenburg 847 Oliva 581 Österreich (modernes) 294, 328, 360, 383, 538, 593 Osteuropa 15, 382, 554 Passau (Hochstift) 33, 240, 563, 564, 621, 624, 654, 661, 684, 738, 739, 740, 741, 755, 760, 834 Pfalz-Neuburg 567, 583, 584, 612, 634, 671, 758 Pilsen 141, 142 Polen-Litauen, Königreich, polnisch 108, 155, 156, 174, 228, 282, 294, 325, 578, 580, 589, 599, 600, 613, 617, 663, 693, 694, 714, 744, 759, 779, 782, 797, 831, 855, 857, 870 Pommern 80, 598, 617, 747, 778 Regensburg 29, 144, 234, 292, 345, 421, 559, 585, 610, 654, 658, 659, 661, 668, 749, 829, 840, 843, 851, 855 Rußland 79, 270, 356, 383, 524, 581, 831 Sachsen-Gotha 36 Sachsen-Koburg 310, 569 Sachsen-Weimar 315, 456, 608 Savoyen 46, 326, 446 Schlesien 144, 250, 288, 663 Schleswig 42, 598 Schottland 185 Schwäbisch Hall 326, 328 Schweden (modernes) 362 Schweiz (moderne) 354, 358, 381, 382, 383, 384, 441, 537, 538, 539, 540, 541, 542, 543, 545, 678

963

Schweiz (vormoderne), Eidgenossenschaft 185, 228, 366, 394, 418, 419, 433, 482, 483, 492, 537, 538, 539, 540, 541, 542, 543, 544, 545, 546, 550, 580, 615, 617, 636, 657, 667, 671, 676, 677, 678, 679, 680, 707, 720, 721, 722, 733, 734, 736, 752, 753, 777, 778, 781, 782, 786, 793, 804, 805, 809, 811, 817, 825, 828 Siebenbürgen, siebenbürgisch 326, 352 Skandinavien 15 Spanien 26, 29, 30, 40, 46, 72, 73, 80, 94, 96, 97, 105, 109, 110, 114, 130, 149, 153, 154, 158, 176, 181, 182, 183, 193, 194, 195, 196, 205, 206, 210, 223, 224, 228, 245, 250, 253, 255, 256, 257, 258, 294, 296, 302, 305, 306, 307, 310, 317, 319, 320, 321, 325, 326, 327, 332, 343, 350, 402, 405, 408, 415, 417, 418, 423, 433, 442, 446, 473, 483, 490, 523, 541, 547, 549, 551, 567, 568, 570, 573, 574, 575, 582, 584, 585, 591, 601, 610, 612, 617, 634, 647, 648, 666, 679, 680, 686, 687, 688, 689, 698, 705, 718, 731, 753, 779, 780, 783, 799, 819, 824, 826, 833, 835, 836, 843, 846, 854, 860 Speyer (Hochstift) 241, 294, 664 Speyer (Reichsstadt) 326, 600, 601, 606, 635, 636, 653, 654, 699, 851, 853, 854, 860 Stockholm 41, 326, 581, 587, 743, 831 Stralsund 420, 780 Straßburg 33, 61, 420, 436, 437, 477, 637, 640, 671, 672, 849, 853, 860 Trier (Erzstift) 76, 221, 429, 603, 625, 684, 685, 761 Udenheim 293, 294, 295, 337 Ulm 77, 146, 308, 309, 324, 331, 345, 346, 351, 352, 566, 570, 573, 687, 710, 752 USA 120, 127, 171, 283, 358, 359, 362 Venedig, Venezien 22, 257, 266, 366, 441, 524, 546, 547, 582, 679, 737, 860

964 Vervins 155, 245 Vorderösterreich 72 Wimpfen 47, 241, 648, 765, 766 Wittenberg 315, 450, 460

Verzeichnis der Personen und wichtiger Sachbetreffe

Würzburg (Hochstift) 280, 484, 529, 602, 739, 843 Xanten 293

CHRISTOPH KAMPMANN, KATHARINA KRAUSE, EVA-BETTINA KREMS, ANUSCHKA TISCHER (HG.)

NEUE MODELLE IM ALTEN EUROPA TRADITIONSBRUCH UND INNOVATION ALS HERAUSFORDERUNG IN DER FRÜHEN NEUZEIT

Die Frühe Neuzeit war eine traditionsorientierte Epoche. Bis in die Frühaufklärung hinein waren Neuerungen auf allen Feldern menschlichen Handelns nur dann akzeptabel, wenn sie dem Maß von Herkommen und Weltklugheit entsprachen. Legitimierung erfolgte in der Regel über das historische Exempel, die Vergangenheit war die übliche Norm. Folglich bedurften neue po-litische und künstlerische Konzepte besonderer Legitimierungsstrategien. Dennoch gab es in der Frühen Neuzeit radikale Neuerungen und Brüche mit dem Bisherigen. In diesem Band werden Fallbeispiele solcher Neuerungen und ihrer Begründungen aus historischer und kunsthistorischer Sicht untersucht. Dabei wird eine geographische Spannweite von Russland über das Reichsgebiet bis Spanien abgedeckt. 2012. 284 S. MIT 48 S/W-ABB. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-412-20614-7

böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

CHRISTOPH KAMPMANN, ULRICH NIGGEMANN (HG.)

SICHERHEIT IN DER FRÜHEN NEUZEIT NORM – PRAXIS – REPRÄSENTATION (FRÜHNEUZEIT-IMPULSE, BAND 2)

Der Band versammelt über fünfzig Beiträge aus verschiedenen Teilbereichen der Frühneuzeitforschung, die von der Geschichte der internationalen Politik, über die Versicherungsgeschichte und die Sozialgeschichte bis hin zur Umweltgeschichte reichen und so einer umfassenden wissenschaftlichen Bestandsaufnahme frühneuzeitbezogener Sicherheitsforschung dienen. Zugleich erlaubt die Beschäftigung mit der Sicherheit, gemeinsame Frageperspektiven zu entwickeln und zu verfolgen, von der auch für die Forschungsdiskussion wichtige Anregungen ausgehen können. Überdies eröffnen sich neue Perspektiven auf jüngst wieder verstärkt diskutierte Problemfelder wie die Universalität oder Partikularität von Leitvorstellungen und dem Umgang mit der Zukunft. 812 S. 64 S/W-ABB. GB. 155 X 230 MM. ISBN 978-3-412-22129-4

böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

Forschungen zur kirchlichen rechts­ geschichte und zum kirchenrecht Herausgegeben von andreas THier und HeinricH de Wall eine ausWaHl

bd. 29 | cHrisTina deuTscH ehegerichtsbArkeit im

bd. 24 | Wolfgang P. Müller

bistum regensburg (1480–1538)

die Abtreibung

2005. Xi, 801 s. 5 s/W-karTen. br.

Anfänge der KriminAlisierung

isbn 978-3-412-18105-5

1140–1650 2000. viii, 355 s. br.

bd. 30 | elMar krüger

isbn 978-3-412-08599-5

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bd. 26 | frank THeisen

eine spätmittelAlterliche

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eine untersuchung zur urKunden­

2007. XX, 488 s. br.

überlieferung des Klosters fuldA

isbn 978-3-412-20037-4

im 12. JAhrhundert 2002. vii, 491 s. 3 s/W-abb. br.

bd. 31 | PaTrick HersPerger

isbn 978-3-412-09901-5

kirche, mAgie und „AberglAube“ „superstitio“ in der KAnonistiK des

bd. 27 | elisabeTH

12. und 13. JAhrhunderts

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2010. 533 s. br.

ein liber septimus Für dAs corpus

isbn 978-3-412-20397-9

iuris cAnonici der Versuch einer nAch­

bd. 32 | aXel goTTHard

tridentinischen KompilAtion

der liebe vnd werthe Fried

2002. 391 s. br.

KriegsKonzepte und neutrAlitäts­

isbn 978-3-412-12301-7

Vorstellungen in der frühen neuzeit

bd. 28 | THoMas WeTzsTein

2014. 964 s. gb. | isbn 978-3-412-22142-3

heilige vor gericht dAs KAnonisAtionsVerfAhren im europäischen spätmittelAlter 2004. viii, 632 s. br.

RB073

isbn 978-3-412-15003-7

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