Die deutsche Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG – Zu den Grenzen und dem Bedürfnis nach einer spezialgesetzlichen Regelung [1 ed.] 9783428539512, 9783428139514

Dirk Schade untersucht die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des JStG 2007 auf ihre Vereinbarkeit mit Europa- und Vö

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German Pages 282 Year 2013

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Die deutsche Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG – Zu den Grenzen und dem Bedürfnis nach einer spezialgesetzlichen Regelung [1 ed.]
 9783428539512, 9783428139514

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Schriften zum Steuerrecht Band 108

Die deutsche Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG – Zu den Grenzen und dem Bedürfnis nach einer spezialgesetzlichen Regelung Von Dirk Schade

Duncker & Humblot · Berlin

DIRK SCHADE

Die deutsche Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG – Zu den Grenzen und dem Bedürfnis nach einer spezialgesetzlichen Regelung

S c h r i f t e n z u m St e u e r r e c ht Band 108

Die deutsche Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG – Zu den Grenzen und dem Bedürfnis nach einer spezialgesetzlichen Regelung

Von Dirk Schade

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Jahre 2012 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 703 Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0235 ISBN 978-3-428-13951-4 (Print) ISBN 978-3-428-53951-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-83951-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im September 2011 an der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation eingereicht. Das Promotionsverfahren wurde im März 2012 abgeschlossen. Für Zwecke der Veröffentlichung sind Neuauflagen und Ergänzungslieferungen der zitierten Literatur bis Juli 2012 berücksichtigt. Die nach Einreichung der Arbeit erfolgte Änderung des § 50d Abs. 3 EStG wird in dem für Zwecke der Veröffentlichung ergänzten Anhang dargestellt, welcher die bis Mai 2012 erschienene Literatur berücksichtigt. Mein herzlicher Dank gilt Herrn Professor Dr. Karl-Georg Loritz für die Betreuung dieser Arbeit sowie für wertvolle Hinweise. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Professor Dr. Markus Möstl für die Übernahme und die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Rechtsanwalt Dr. Gottfried E. Breuninger gilt mein Dank für die Gewährung zeitlicher Freiräume für die Erstellung dieser Arbeit neben der beruflichen Tätigkeit sowie für wertvolle Anregungen. Ein großer Dank gilt zudem meiner Lebensgefährtin Frau Dr. Claudia Giesswein, die mich während der Erstellung der Arbeit stets motiviert und etliche zeitliche Entbehrungen in Kauf genommen hat. Ganz besonders danken für die bestmögliche Förderung und Unterstützung während meiner Ausbildung möchte ich meinem Vater und meiner Mutter, die das Ende meiner Ausbildung leider nicht mehr erleben durfte. München, im August 2012

Dirk Schade

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Das in dieser Arbeit zu erörternde Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Mechanismus der Kapitalertragsteuererstattung an ausländische Anteilseigner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erhebung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Teilweise Erstattung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitalertragsteuerreduzierung aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalertragsteuerreduzierung aufgrund unilateraler Vorschriften . . . . . a) Kapitalertragsteuerreduzierung nach § 43b EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kapitalertragsteuerreduzierung nach § 44a Abs. 9 EStG . . . . . . . . . . . III. Gestaltungen zur Reduzierung der deutschen Quellensteuern . . . . . . . . . . . . 1. Steuerarbitrage durch unterschiedliche Quellensteuersätze . . . . . . . . . . . . 2. Steuerarbitrage durch Fremdfinanzierung der ausländischen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Überblick über die Maßnahmen zur Bekämpfung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen in Inbound-Fällen . I. Einseitige deutsche Anti-Treaty-Shopping-Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsentwicklung zum Treaty Shopping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung zu den sogenannten Quintett-Fällen . . . . . . . . . . . . . . b) Das Monaco-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Niederländische Brüder-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Einführung des § 50d Abs. 1a EStG durch das Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Auslegung von § 50d Abs. 1a EStG durch die „Krabbe-Schreiben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Anti-Monaco-Rechtsprechung des BFH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das „Niederländische Stiftungs“-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Anti-Monaco-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Das Steueränderungsgesetz vom 20.12.2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Die sog. „Hilversum I-Entscheidung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Die Rechtsprechung zu den Niederländischen Stiftungen . . . . . . . . . . j) Hilversum II-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Nichtanwendungserlass vom 30. Januar 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 21 22 22 23 23 24 25 25 27 29 29 30 30 32 34 35 37 37 37 38 39 40 42 42 44

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Inhaltsverzeichnis l) Änderung des § 50d Abs. 3 EStG durch das JStG 2007 . . . . . . . . . . . m) Die „SOPARFI“-Entscheidung des BFH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . n) Entsprechende Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG auf § 44a Abs. 9 EStG durch das JStG 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . o) Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Missbrauchsbekämpfungsmaßnahmen auf Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Substanzanforderungen aufgrund völkerrechtlicher Rechtsgrundsätze bzw. eines ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalts der Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Spezielle abkommensrechtliche Missbrauchsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . a) Konzept des Nutzungsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) LOB-Klausel des DBA-USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konzept der LOB-Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Börsenhandelstest („publicly-traded corporation test“ bzw. „international headquarter test“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Ausländische Gesellschaft selbst ist börsennotiert . . . . . . (b) Ausländische (Aktien-)Gesellschaft ist Tochtergesellschaft börsennotierter Gesellschaft(en) . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ownership- und Base Erosion-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Derivative benefit test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Aktivitätstest/Active business test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Bewertung DBA-USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Missbrauchsregelung des DBA-Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonstige abkommensrechtliche Missbrauchsregelungen . . . . . . . . . . .

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E. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der persönliche Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . a) Börsennotierte Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausländische Investmentvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der sachliche Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG . . . . . . . . . . . . . . 1. Entlastungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entlastungsberechtigung der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) An der ausländischen Gesellschaft beteiligte Personen . . . . . . . . . . . . b) Fiktive Prüfung der Entlastungsberechtigung der beteiligten Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sachliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eigene Wirtschaftstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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bb) 10 %-Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe . . dd) Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mittelbare Beteiligung börsennotierter Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnis von § 50d Abs. 3 EStG zu speziellen DBA-Regelungen und § 42 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verhältnis zu speziellen DBA-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhältnis zu § 42 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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F. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Grundfreiheiten des AEUV als Prüfungsmaßstab für § 50d Abs. 3 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundfreiheiten als Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote . . . . . . . . 1. Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Prüfung von Verstößen gegen die Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Betroffene Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formen der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Leitungserfordernis bei Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erwerbszweck der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kapitalverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konkurrenzverhältnis zwischen Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Prüfung von § 50d Abs. 3 EStG am Maßstab der Grundfreiheiten . . . . . . . . 1. Bestimmung der für die Prüfung des § 50d Abs. 3 EStG einschlägigen Grundfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verstoß gegen Grundfreiheiten der Zwischengesellschaft . . . . . . . . . . . . . a) Zulässiges Berufen auf Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschränkung der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Literaturansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtfertigung der Grundfreiheitsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines zur Rechtfertigung von Grundfreiheitsverstößen . . . . . . b) Der steuerliche Gestaltungsmissbrauch als Rechtfertigungsgrund für Grundfreiheitsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Rechtfertigungsgrund der Missbrauchsbekämpfung im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis bb) Analyse der Rechtsprechung des EuGH zum steuerlichen Missbrauchsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) „Rein künstliche Gestaltung“ als zentrales Merkmal des steuerlichen Missbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausfüllung des Begriffs der rein künstlichen Gestaltung im Rahmen des Urteils „Cadbury Schweppes“ . . . . . . . . . . . . . . . (3) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Weiterentwicklung der Rechtsprechung des EuGH zum steuerlichen Missbrauchsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Rechtfertigung typisierender Missbrauchsnormen . . . . . . . . . (6) Übertragbarkeit der Rspr. zu Cadbury, die sich auf Niederlassungsfreiheit bezog, auch auf Kapitalverkehrsfreiheit . . . . (7) Übertragbarkeit der zu Outbound-Sachverhalten ergangenen Cadbury-Rechtsprechung auf Inbound-Sachverhalte . . . . . . . (a) Meinungsstand zur Übertragbarkeit der Cadbury-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Stellungnahme zur Übertragung der Missbrauchsrechtsprechung des EuGH in Outbound-Fällen auf § 50d Abs. 3 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Verhältnis der Rechtsprechung in der Rs. Cadbury Schweppes zu der gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung, insbesondere Inspire Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (9) Zwischenergebnis zum anwendbaren Prüfungsmaßstab . . . . . c) Rechtfertigung von Eingriffen durch § 50d Abs. 3 EStG in die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geeignetheit der Regelung zur Missbrauchsbekämpfung . . . . . . . bb) Erforderlichkeit der Regelung und Verhältnismäßigkeit der einzelnen Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) 10 % der Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit . . . . (a) Die 10 %-Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Das Fehlen einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit . . . . (2) Für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Unzulässigkeit der Berücksichtigung von Konzernaspekten . cc) Rechtsfolge der Unverhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtfertigung von Eingriffen in die Kapitalverkehrsfreiheit von Drittstaatengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Wortlaut des Art. 63 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die unmittelbare Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit . . . cc) Die Grandfathering Clause des Art. 64 AEUV . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis dd) Einschränkung für Rechtfertigung der Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 65 Abs. 2 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Rechtfertigung von Eingriffen in die Kapitalverkehrsfreiheit in Drittstaatenfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Einschränkende Auslegung der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtfertigung einer einschränkenden Auslegung . . . . . . . . . . (2) Die Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verstoß gegen die Mutter-/Tochter-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Autonom europarechtliche Auslegung des Missbrauchsbegriffs . . . . . . . . 2. Auslegung des Missbrauchsvorbehalts der Mutter-/Tocher-Richtlinie am Maßstab der EuGH-Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten . . . . . . . 3. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit der Mutter-/Tochterrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. DBA als völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 50d Abs. 3 EStG als Treaty Overriding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff des Treaty Overriding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 50d Abs. 3 EStG als Treaty Override . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nachträgliches Abweichen von den Regelungen eines DBA . . . . . . . . b) Abweichen von den Regelungen eines DBA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das jeweilige Doppelbesteuerungsabkommen enthält eine eigenständige Missbrauchsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das jeweilige Doppelbesteuerungsabkommen verweist auf die Missbrauchsvorschriften des betreffenden Anwenderstaates . . . . cc) Das einschlägige Doppelbesteuerungsabkommen enthält keine Missbrauchsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen des Treaty Override . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkervertragliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungswidrigkeit einer dem Doppelbesteuerungsabkommen entgegenstehenden nationalen Rechtsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ranggleichheit von Völkervertragsrecht und einfachem Bundesrecht (kein Verstoß gegen § 2 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verstoß gegen Art. 59 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verstoß gegen Art. 25 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Neue Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Eigene Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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162 163 164 164 167 170 171 174 176 177 177 177 177 179 180 180 181 182 184 188 188 189 190 191 192 193 198

H. Handlungsoptionen im Hinblick auf die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG . . 201 I. Nichtstun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1. Beschränkung des Schutzumfangs bei Nichtanwendung von § 50d Abs. 3 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

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Inhaltsverzeichnis 2. Auswirkungen durch Änderung des § 42 AO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Unangemessenheit einer rechtlichen Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Erlangung eines gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils . . . . . . 210 c) Relevanz außersteuerlicher Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 d) Mögliche Konsequenzen der Neuregelung für Treaty ShoppingSachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 II. Europarechtskonforme Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Einführung eines Gegenbeweisrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2. Europarechtskonforme Ausgestaltung als spezielle Missbrauchsklausel . 221 a) Relevanz spezialgesetzlicher Missbrauchsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 aa) Spezialgesetzliche Konkretisierungen des allgemeinen Gestaltungsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 bb) Missbrauchsbegründende Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 cc) Schlussfolgerungen für die Rechtfertigung spezialgesetzlicher Missbrauchstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Weiteres Vorgehen und Analyse missbräuchlicher Treaty ShoppingFallgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 aa) Sachverhalte, in denen durch die jeweilige Struktur kein steuerlicher Vorteil erlangt wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (1) Anteilseigner der ausländischen Gesellschaft hätte bei direkter Beteiligung denselben Entlastungsanspruch . . . . . . . . . . . . 225 (2) Anteilseigner erlangt durch zwischengeschaltete ausländische Gesellschaft keinen steuerlichen Vorteil . . . . . . . . . . . . . 226 bb) Sachverhalte, in denen durch die jeweilige Struktur ein steuerlicher Vorteil erlangt wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (1) Operativ tätige ausländische Zwischengesellschaft . . . . . . . . . 227 (a) Missbräuchliche Zuordnung der Beteiligung zur Zwischengesellschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (b) Outsourcing von Tätigkeiten der operativ tätigen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (2) Ausländische Briefkastengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (3) Holdinggesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (a) Geschäftsleitende Holding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 (b) Vermögensholding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (4) Stimmrechtspooling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (5) Joint Ventures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (6) Familiy Offices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (7) Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Schlussfolgerung für das Bedürfnis nach einer europarechtskonform ausgestalteten, spezialgesetzlichen Anti-Treaty-Shopping-Regelung . . . . 250

Inhaltsverzeichnis

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I. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 J. Ergänzung: Änderung des § 50d Abs. 3 EStG durch das BeitrRLUmsG . . I. Überblick über die Neuregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die neu eingeführte Aufteilungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Vereinbarkeit der Neuregelung mit EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schlussfolgerungen für die oben gegebenen Handlungsempfehlungen . . . . .

254 254 256 259 262

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

A. Einleitung In Zeiten einer immer weiter voranschreitenden Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen nimmt auch die internationale gesellschaftsrechtliche Verflechtung von Unternehmen ständig zu. Im Zuge dieser internationalen Verflechtungen gehört mittlerweile auch die Steuergestaltung über die Grenze zu den alltäglichen Erscheinungsformen globalen Wirtschaftens.1 Dies betrifft keinesfalls nur internationale Großkonzerne, sondern auch mittelständische Unternehmen, welche die wirtschaftlichen Chancen der internationalen Märkte für ihre Geschäfte nutzen wollen. Der wirtschaftliche Erfolg der unternehmerischen Betätigung wird am Ertrag nach Steuern gemessen, so dass gerade in Hochsteuerländern ein Zwang zu steuereffizientem Verhalten besteht.2 Bei börsennotierten Unternehmen ist die sog. Konzernsteuerquote zu einer wichtigen Kennziffer am Kapitalmarkt geworden, der eine zunehmend größere Bedeutung beigemessen wird.3 Dies erfordert eine zunehmend komplexere betriebliche Steuerplanung, welche durch immer hektischere Gesetzgebungsmaßnahmen in den großen Industrienationen weiter erschwert wird.4 Die internationale Steuerplanung umfasst eine Reihe von Techniken zur Optimierung der Steuerlast bei grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen. Derartige Steuerplanung ist überhaupt nur deshalb möglich, weil die Steuerrechtsordnungen der verschiedenen Staaten sehr unterschiedlich ausgestaltet und nur in Teilbereichen (z. B. durch Doppelbesteuerungsabkommen) aufeinander abgestimmt sind. Das Ziel der internationalen Steuerplanung besteht darin, die verbliebenen Spielräume durch eine optimale Kombination der steuerrechtlichen Regelungen der verschiedenen Staaten zur Minimierung der Steuerlast zu nutzen. Die verschiedenen Planungstechniken umfassen u. a. die steueroptimale Rechtsformwahl, die grenzüberschreitende Finanzierung der Konzerngesellschaften, die Festlegung von Verrechnungspreisen, die Verlagerung von wirtschaftlichen Akti-

1

Vgl. Musil, RIW 2006, S. 287. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 911. 3 Vgl. hierzu Herzig/Dempfle, DB 2002, S. 1 ff.; Hannemann/Pfeffermann, BB 2003, S. 727 ff.; Endres, Konzernsteuerquote, S. 163 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 912. 4 Als geradezu beispiellos können die gesetzgeberischen Aktivitäten der Großen Koalition in der abgelaufenen Legislaturperiode gelten, in der 54 Steueränderungsgesetze verabschiedet wurden, die mehrere tausend Änderungen umfassten, vgl. Vorwort in Tipke/Lang, SteuerR, 20. Aufl. 2010. 2

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A. Einleitung

vitäten auf Gesellschaften in Staaten mit einem niedrigeren Steuerniveau sowie den Einsatz von Holdinggesellschaften.5 Im Zusammenhang mit der Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten auf ausländische Gesellschaften ist grundsätzlich zwischen zwei Konstellationen zu unterscheiden: In so genannten „Outbound“-Konstellationen gründet ein im Inland ansässiges Unternehmen eine ausländische Tochtergesellschaft in einem Staat mit niedrigem Steuerniveau, wobei im Anschluss gegebenenfalls bisher im Inland erzielte Einkunftsquellen – und damit Einkünfte – auf diese ausländische Tochtergesellschaft verlagert werden. In so genannten „Inbound“-Konstellationen dagegen halten im Ausland ansässige Anteileigner in Deutschland ansässiger Kapitalgesellschaften ihre Beteiligungen – vielfach aus steuerlichen Gründen – nicht direkt, sondern mittels einer (häufig in einem dritten Staat ansässigen) zwischengeschalteten Tochtergesellschaft. Der Einsatz ausländischer Rechtsträger ist in entsprechenden Sachverhaltskonstellationen deshalb vielfach von Vorteil, weil diese zum einen selbständige Rechtsträger sind, welche die von ihnen erzielten Einkünfte vor einer Ausschüttung von den Einkünften ihrer Anteilseigner abschirmen. Zum anderen aber sind selbständige Rechtsträger nach Maßgabe der Doppelbesteuerungsabkommen berechtigt, die in dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Abkommensvorteile in Anspruch zu nehmen, sofern sie in einem der Vertragsstaaten ansässig sind. In vielen Staaten6, darunter auch Deutschland, wird zunehmend versucht, die mit grenzüberschreitenden Gestaltungen vielfach verbundenen Steuerausfälle durch die Schaffung einer Vielzahl spezieller Missbrauchstatbestände zu verhindern oder zumindest abzumildern.7 Auch auf internationaler Ebene gibt es seitens der OECD seit mehreren Jahrzehnten Bemühungen, die missbräuchliche Zwischenschaltung ausländischer Rechtsträger zu beschränken.8 Auch die Europäische Kommission ist in jüngerer Zeit darum bemüht, die Ausbildung einheitlicher europäischer Maßstäbe für die Bekämpfung steuerlichen Missbrauchs voranzutreiben.9 5 Vgl. zu entsprechenden Steuerplanungstechniken Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 473; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 920 ff. 6 Siehe z. B. zu den französischen Anti-Missbrauchsregelungen Gouthière, ET 2006, S. 514 ff. 7 In Deutschland dienen diesem Zweck die Regelungen der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG, die Regelungen zur Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 3 S. 9 AStG, die Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG, die Regelung des § 50d Abs. 9 EStG zur Verhinderung weißer Einkünfte sowie im Grundsatz auch die Regelungen zur Gesellschafterfremdfinanzierung nach § 8a KStG a. F. und der Zinsschranke nach § 4h EStG, § 8a KStG. 8 Vgl. OECD, Issues in International Taxation, No. 1, International Tax Avoidance and Evasion – Four Related Studies, Paris 1987. 9 Mitteilung der EU-Kommission vom 10.12.2007, KOM(2007) 785 – Anwendung von Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung im Bereich der direkten Steuern (innerhalb der EU und im Hinblick auf Drittländer).

A. Einleitung

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Die besondere Schwierigkeit der Missbrauchsabwehr ergibt sich daraus, dass diese sich in einem Spannungsfeld zwischen legaler Steuerplanung durch den Steuerpflichtigen auf der einen Seite und seitens verschiedener Staaten als missbräuchlich erachteter steuerlicher Gestaltungen auf der anderen Seite bewegt. Dabei weicht das Verständnis von dem, was als missbräuchlich angesehen wird, zwischen den Staaten untereinander zum Teil deutlich ab. Steuergestaltung stellt aber im Ausgangspunkt für die Unternehmen zunächst einmal ein legitimes und grundsätzlich auch legales Mittel zur Kostenreduktion dar. Entsprechend haben sowohl das Bundesverfassungsgericht10 als auch der Bundesfinanzhof 11 wiederholt entschieden, dass es dem Steuerpflichtigen grundsätzlich freisteht, seine steuerlichen Verhältnisse möglichst günstig einzurichten. Wo aber die Grenze zwischen noch zulässiger Gestaltung und Gestaltungsmissbrauch verläuft, wird seit mehreren Jahrzehnten in verschiedensten Bereichen des internationalen Steuerrechts kontrovers diskutiert und ist nur sehr schwer zu bestimmen. Es hängt zudem in hohem Maße von der Anwendung und Auslegung der jeweiligen gesetzlichen Missbrauchsvorschriften ab, ob und inwieweit diese die Steuerplanung einschränken. Eine besondere Schwierigkeit bei der Schaffung spezieller gesetzlicher Missbrauchstatbestände besteht zudem darin, dass der deutsche Gesetzgeber nicht allein an die Vorgaben des deutschen Verfassungsrechts gebunden ist, sondern daneben sowohl EU-rechtliche als auch völkerrechtliche Verpflichtungen zu berücksichtigen hat.

10

Vgl. BVerfGE 9, S. 237 (249 f.). Z. B. BFH v. 20.5.1997, VIII B 108/96, DStRE 1997, S. 798 (802): „Kein Steuerpflichtiger ist verpflichtet, den Sachverhalt so zu gestalten, dass ein Steueranspruch entsteht. Vielmehr steht es ihm frei, die Steuer zu vermeiden und eine Gestaltung zu wählen, die eine geringere Steuerbelastung nach sich zieht.“ 11

B. Das in dieser Arbeit zu erörternde Problem Gegenstand dieser Untersuchung sollen Inbound-Gestaltungen sein, bei denen versucht wird, durch die Errichtung einer ausländischen Kapitalgesellschaft gezielt die Voraussetzungen für die Anwendung eines Doppelbesteuerungsabkommens oder einer begünstigenden EU-Richtlinie zu schaffen, um eine in diesem Doppelbesteuerungsabkommen oder der Richtlinie vorgesehene Steuerentlastung zu erlangen. Zu diesem Zweck hält ein ausländischer Gesellschafter einer in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaft (inländische Kapitalgesellschaft) die Anteile an der inländischen Kapitalgesellschaft vielfach nicht unmittelbar, sondern mittelbar über eine Kapitalgesellschaft, die in einem EU-Mitgliedstaat oder einem Staat domiziliert, mit welchem Deutschland ein günstiges Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hat (Zwischengesellschaft). Durch die Einschaltung der Zwischengesellschaft können dann grundsätzlich die in dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen oder der Richtlinie vorgesehenen Steuerentlastungen in Anspruch genommen werden, welche anderenfalls nicht gewährt würden. Diese Steuerentlastungen können insbesondere in einer Ermäßigung der nach deutschem Steuerrecht grds. erhobenen Quellensteuern auf Dividenden, Lizenzen und bestimmte Zinsen bestehen. Mittels solcher Gestaltungen können also auch Personen in den Genuss der Vorteile eines Doppelbesteuerungsabkommens kommen, die in keinem der Vertragsstaaten ansässig sind. Derartige Gestaltungen werden in der Literatur als „treaty shopping“ oder, sofern es sich um die Erlangung der Steuerentlastungen einer EU-Richtlinie handelt, als „directive Shopping“ bezeichnet.1 Infolge von Treaty Shopping-Gestaltungen erlangen Personen Abkommensvergünstigungen, denen sie nach der Intention der Vertragsparteien des Doppelbesteuerungsabkommens nicht zustehen sollen. Die OECD hat diese Situation schon 1987 in ihrer Studie „Double Taxation Conventions and the Use of Conduit Companies“ aus verschiedenen Gründen als unbefriedigend bezeichnet:2 So beruhe die Einräumung von Abkommensvorteilen für Ansässige der Vertragsstaaten auf dem gegenseitigen Verzicht auf Steueransprüche durch die Abkommensstaaten, was regelmäßig auf Basis einer Reziprozität geschehe. Durch die 1 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 357 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 16.127 ff. 2 Vgl. OECD, Issues in International Taxation, No. 1, International Tax Avoidance and Evasion – Four Related Studies, Paris 1987, S. 90.

B. Das in dieser Arbeit zu erörternde Problem

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faktische Gewährung von Abkommensvergünstigungen für in Drittstaaten Ansässige werde dieses Prinzip durchbrochen. Weiterhin beruhe der Besteuerungsverzicht eines Vertragsstaates häufig auf der Besteuerung durch einen anderen Vertragsstaat. Bleiben demgegenüber internationale Einkommenszuflüsse aufgrund geeigneter Konstruktionen gänzlich unbesteuert, laufe dies den Erwartungen der Vertragsstaaten zuwider. Schließlich vermindere sich für den Staat, in dem die fraglichen Einkunftsteile endgültig verbleiben, die Motivation zum Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen. Denn die Ansässigen eines solchen Staates erhielten Vorteile aus den Abkommen dritter Staaten, ohne dass es für den Sitzstaat der Gewährung reziproker Abkommensvergünstigungen bedürfe.3 Etwas anderes gilt hingegen dann, wenn die ausländische Gesellschaft in ihrem Ansässigkeitsstaat nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich „verankert“ ist. Die besondere Schwierigkeit, mit welcher sich das internationale Steuerrecht insoweit konfrontiert sieht, besteht darin, Kriterien zu definieren, anhand derer beurteilt werden kann, ob die ausländische Gesellschaft derart „verankert“ ist, dass ihr die Abkommensvorteile tatsächlich zustehen. Seit vielen Jahren gibt es sowohl auf Ebene der OECD als auch in vielen Staaten Bemühungen, durch die Schaffung entsprechender Missbrauchsregelungen das Treaty und Rule Shopping zu bekämpfen. Diese Missbrauchsbekämpfungsmaßnahmen sind zum Teil sehr unterschiedlich ausgestaltet. In Deutschland hat der Gesetzgeber zu diesem Zweck mit § 50d Abs. 3 EStG eine Spezialnorm geschaffen, die zuletzt im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2007 nachhaltig verschärft wurde. Zudem enthalten verschiedene deutsche Doppelbesteuerungsabkommen spezielle Missbrauchsklauseln, wobei aufgrund ihres besonderen Umfangs und ihrer Komplexität die neuartige sog. Limitation-on-benefits-Klausel des Doppelbesteuerungsabkommens mit den USA hervorzuheben ist. Im Rahmen dieser Arbeit soll untersucht werden, inwieweit die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG in Einklang mit übergeordnetem Recht, insbesondere Europarecht, Völkerrecht und Verfassungsrecht steht. Auf Grundlage des gefundenen Ergebnisses soll dann der Frage nachgegangen werden, ob die Beibehaltung einer speziellen Anti-Treaty-Shopping-Regelung zu empfehlen ist oder stattdessen die allgemeine Missbrauchsregelung des § 42 AO der Finanzverwaltung ausreichend Handlungsspielraum zur Verhinderung „echter“ Treaty Shopping-Gestaltungen bietet. Dazu soll nach einer kurzen Darstellung des Mechanismus der Kapitalertragsteuererstattung und einer exemplarischen Erörterung zweier in diesem Zusammenhang häufig auftretender Strukturen ein Überblick über die derzeit bestehenden deutschen Regelungen zur Bekämpfung des Treaty Shoppings mittels ausländischer Zwischengesellschaften gegeben werden. Im Anschluss daran 3 Vgl. OECD, Issues in International Taxation, No. 1, International Tax Avoidance and Evasion – Four Related Studies, Paris 1987, S. 90.

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B. Das in dieser Arbeit zu erörternde Problem

soll insbesondere auf das derzeitige Auslegungsverständnis der deutschen AntiTreaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG eingegangen werden. Im Hauptteil der Arbeit soll diese Regelung auf ihre Vereinbarkeit mit dem Europarecht und dem Völkerrecht untersucht werden. Daran anschließend soll dann auf Grundlage der gefundenen Ergebnisse ein Lösungsansatz entwickelt werden. Die Darstellung im Rahmen dieser Arbeit soll sich dabei auf Treaty Shopping-Sachverhalte zur Erlangung der Kapitalertragsteuererstattung auf Dividenden beschränken.

C. Mechanismus der Kapitalertragsteuererstattung an ausländische Anteilseigner I. Erhebung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden Schüttet eine Kapitalgesellschaft mit Sitz oder Ort der Geschäftsleitung in Deutschland Dividenden an im Ausland ansässige Anteilseigner aus, so erzielen die im Ausland ansässigen Anteilseigner inländische Einkünfte im Sinne von § 49 Abs. 1 Nr. 5a i.V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Die ausländischen Anteilseigner unterliegen mit diesen inländischen Einkünften in Deutschland der beschränkten Steuerpflicht gemäß §§ 2, 49 Abs. 1 Nr. 5a EStG bzw. §§ 2 KStG, 49 Abs. 1 Nr. 5a EStG. Die in Deutschland anfallende Steuer auf Dividendenausschüttungen wird gemäß § 50 Abs. 2 EStG i.V. m. § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG im Wege eines Abzugs an der Quelle erhoben. Schüttet eine in Deutschland ansässige Kapitalgesellschaft Dividenden aus, so unterliegt die ausgeschüttete Dividende zunächst einer Kapitalertragsteuer von 25 % zzgl. 5,5 % Solidaritätszuschlag1 darauf, so dass sich eine Gesamtbelastung von 26,375 % ergibt. Bemessungsgrundlage für die Kapitalertragsteuer ist die volle Bruttodividende ohne Berücksichtigung etwaiger mit der Beteiligung in Zusammenhang stehender Betriebsausgaben oder Werbungskosten.2 Schuldner der Kapitalertragsteuer ist der Gläubiger der Kapitalerträge, mithin also der Anteilseigner.3 Die Kapitalertragsteuer ist bei Auszahlung der Dividende an den Anteilseigner von der ausschüttenden Kapitalgesellschaft einzubehalten und an das für die Besteuerung der Kapitalgesellschaft zuständige Finanzamt abzuführen.4 Dem Anteilseigner hat die ausschüttende Kapitalgesellschaft eine entsprechende Bescheinigung zu erteilen.5 Ausnahmen von der Abführungspflicht bestehen u. a. dann, wenn der Anteilseigner gegenüber der Kapitalgesellschaft eine Freistellungsbescheinigung vorlegt, aus welcher hervorgeht, dass eine Kapitalertragsteuer für Ausschüttungen an diesen Steuerpflichtigen nicht einzubehalten und abzuführen ist.6 Keine der Kapital1 § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V. m. §§ 20 Abs. 1 Nr. 1, 43a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG, § 1 Abs. 2, Abs. 3, § 2 Nr. 3, § 3 Abs. 1 Nr. 5, § 4 SolZG. 2 Vgl. § 43a Abs. 2 S. 1 EStG. 3 § 44 Abs. 1 S. 1 i.V. m. § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. 4 § 44 Abs. 1 S. 3 i.V. m. § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. 5 § 45a Abs. 2 S. 1 i.V. m. § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. 6 § 50d Abs. 2 EStG.

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C. Kapitalertragsteuererstattung an ausländische Anteilseigner

ertragsteuer unterliegenden Einkünfte aus Kapitalvermögen sind ferner dann gegeben, wenn die Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto der Kapitalgesellschaft nach § 27 KStG erfolgen. Diese Ausschüttungen sind nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG ausdrücklich von den Einnahmen aus Kapitalvermögen ausgenommen, da es sich insoweit nicht um Erträge aus der Kapitalnutzung, sondern um die Rückzahlung von Eigenkapital handelt. Die im Zeitpunkt der Ausschüttung einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer hat für ausländische Anteilseigner grundsätzlich abgeltende Wirkung (§ 50 Abs. 5 EStG, § 32 Abs. 1 Nr. 2). Eine Veranlagung der ausländischen Anteilseigner ist auch auf Antrag nicht möglich, die Kapitalertragsteuer hat damit grundsätzlich die Wirkung einer endgültigen Belastung. Etwas anderes gilt hingegen dann, wenn die Anteile an der deutschen Kapitalgesellschaft in einer deutschen Betriebsstätte (§ 12 AO) der ausländischen Anteilseigner gehalten werden. In diesem Fall findet eine Veranlagung des ausländischen Anteilseigners statt. Es treten dann dieselben Steuerfolgen wie bei der Besteuerung einer Personengesellschaft ein. Im reinen Inlandsfall hingegen hat die Kapitalertragsteuer auf Dividendenausschüttungen keine abgeltende Wirkung. Zwar wird auch auf Ausschüttungen an inländische Anteilseigner Kapitalertragsteuer in Höhe von 26,375 % erhoben. Da aber in diesem Fall nach § 8b Abs. 1 i.V. m. Abs. 5 KStG im Ergebnis nur 5 % der Dividenden der Körperschaftsteuer i. H. v. 15 % unterliegen, erfolgt eine Anrechnung des die tatsächliche Körperschaftsteuerlast übersteigenden Teils der Kapitalertragsteuer auf die sonstige Steuerschuld der die Dividenden empfangenden Körperschaft bzw. eine entsprechende Erstattung der Kapitalertragsteuer.

II. Teilweise Erstattung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden 1. Kapitalertragsteuerreduzierung aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen Die Kapitalertragsteuer wird aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen vielfach reduziert. Sämtliche von Deutschland abgeschlossenen DBA sehen in Abs. 1 des jeweiligen Dividendenartikels vor, dass der Ansässigkeitsstaat des Dividendenempfängers die ausgeschüttete Dividende besteuern darf. Nach Abs. 2 der jeweiligen Dividendenartikel können die Dividenden aber auch in dem Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft als Quellenstaat besteuert werden, wobei das Besteuerungsrecht des Quellenstaates der Höhe nach begrenzt ist. Bei dem Besteuerungsrecht des Quellenstaates wird zwischen sog. Streubesitzdividenden (portfolio investment) und Schachteldividenden (direct investment) unterschieden. Schachteldividenden sind Dividenden, die aufgrund einer (der Höhe nach) qualifizierten Beteiligung gezahlt werden.

II. Teilweise Erstattung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden

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Für Streubesitzdividenden beträgt die maximal zulässige Steuer regelmäßig 15 % des Bruttobetrags der ausgeschütteten Dividende. Für Schachteldividenden sehen die deutschen DBA ermäßigte Quellensteuern vor. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Schachtelprivilegs sind regelmäßig gegeben, wenn – abhängig vom jeweiligen DBA – vom Dividendenempfänger zwischen 10 % und 25 % am Kapital der ausschüttenden Gesellschaft unmittelbar gehalten werden. Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung des Schachtelprivilegs vor, ermäßigt sich der Quellensteuersatz im Regelfall auf 5 %, nach einigen wenigen DBA (so auch nach dem neuen DBA-USA) auch auf 0 %. Eine Mindesthaltedauer sehen die DBA nicht vor. Nach Tz. 16 des OECD-MK zu Art. 10 OECD-MA ist nur der Zustand maßgebend, der in dem Zeitpunkt bestanden hat, der für das Entstehen der Kapitalertragsteuer-Schuld maßgebend ist. 2. Kapitalertragsteuerreduzierung aufgrund unilateraler Vorschriften a) Kapitalertragsteuerreduzierung nach § 43b EStG § 43b Abs. 1 EStG sieht vor, dass auf Antrag die Kapitalertragsteuer für Kapitalerträge nicht erhoben wird, die einer „Muttergesellschaft“, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland hat, oder einer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gelegenen Betriebsstätte dieser Muttergesellschaft aus Ausschüttungen einer Tochtergesellschaft zufließen. Muttergesellschaft ist nach § 43b Abs. 2 EStG jede Gesellschaft, welche die in Anlage 2 des EStG genannten Voraussetzungen erfüllt und im Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer nachweislich zu mindestens 10 % am Kapital der Tochtergesellschaft (Mindestbeteiligung) beteiligt ist. Tochtergesellschaft ist nach der Legaldefinition des § 43b Abs. 2 S. 2 EStG jede in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschaft, welche ebenfalls die in Anlage 2 des EStG genannten Voraussetzungen erfüllt. Neben der Mindestbeteiligung setzt § 43b Abs. 2 EStG voraus, dass die Beteiligung mindestens 12 Monate ununterbrochen besteht. Die Regelung des § 43b EStG stellt die deutsche Umsetzung der EG-rechtlichen Mutter-/Tochter-Richtlinie dar.7 Zweck dieser Richtlinie, ausgeschrieben „EG-Richtlinie über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten“ 8 ist es, die Mehrfachbesteuerung von Dividenden innerhalb eines europäischen Konzerns zu vermeiden. Dies geschieht dadurch, dass einerseits die Quellensteuer bei der ausschüttenden Tochtergesell7 8

Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 356. ABl. 1990 Nr. L 225, S. 6.

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C. Kapitalertragsteuererstattung an ausländische Anteilseigner

schaft reduziert und andererseits die Ausschüttungen bei der Muttergesellschaft von der Steuer freigestellt werden oder aber eine indirekte Anrechnung ermöglicht wird. Die Mutter-/Tochter-Richtlinie ist neben der Fusionsrichtlinie und Zinsrichtlinie eine von drei Richtlinien im Bereich der direkten Steuern. Das liegt daran, dass der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) anders als für die indirekten Steuern für die direkten Steuern keinen Harmonisierungsauftrag enthält. Die Mutter-/Tochter-Richtlinie stammt aus dem Jahr 1990, ist im Jahr 1992 in Kraft getreten und wurde zunächst durch § 44d EStG a. F. in das deutsche Steuerrecht umgesetzt. Mittlerweile sind die entsprechenden Regelungen in § 43b EStG enthalten. Liegen die Voraussetzungen von § 43b EStG vor, wird die deutsche Kapitalertragsteuer grundsätzlich auf Null reduziert. Wurde nicht schon vor der Dividendenausschüttung ein Antrag auf Befreiung von der deutschen Kapitalertragsteuer gestellt, so kann nach erfolgter Dividendenausschüttung eine Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer nach § 50d Abs. 1 EStG beantragt werden. Im Verhältnis zu Doppelbesteuerungsabkommen geht die Anwendung von § 43b EStG insoweit vor, als diese Regelung eine weitergehende Quellensteuerreduzierung gewährt als das jeweils anzuwendende Doppelbesteuerungsabkommen. b) Kapitalertragsteuerreduzierung nach § 44a Abs. 9 EStG Die Regelung des § 44a Abs. 9 EStG sieht vor, dass beschränkt steuerpflichtige Körperschaften, die Gläubiger von Kapitalerträgen im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 EStG sind, auf Antrag zwei Fünftel der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer erstattet verlangen können. Die durch das Jahressteuergesetz 2008 („JStG 2008“) eingeführte Regelung setzt nicht voraus, dass eine DBA-Begünstigung besteht. Vielmehr soll dadurch die endgültige Belastung ausländischer Körperschaften an den tariflichen Körperschaftsteuersatz angepasst werden9, welcher im Zuge der Unternehmensteuerreform 2008 von 25 % auf 15 % reduziert wurde. Die Erstattung der bereits abgeführten Kapitalertragsteuer erfolgt nach den Vorschriften des auch sonst in Auslandsfällen anzuwendenden Kapitalertragsteuererstattungsverfahrens. Die Begründung für die Einführung der Regelung erscheint aber nur vordergründig plausibel. Zwar ist es richtig, dass der Körperschaftsteuersatz durch das JStG 2008 auf 15 % reduziert worden ist. Allerdings betrifft dies Dividendeneinkünfte im rein nationalen Fall nur insoweit, wie diese überhaupt steuerpflichtig sind. Nach § 8b Abs. 1 i.V. m. Abs. 5 KStG sind Dividendeneinkünfte aber ohnehin zu 95 % steuerfrei, so dass nur 5 % dem Körperschaftsteuersatz von 15 % unterliegen. Im Fall der Dividendenausschüttung an 9

Intemann, in: H/H/R, EStG/KStG, § 44a EStG Rz. 21.

III. Gestaltungen zur Reduzierung der deutschen Quellensteuern

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eine beschränkt steuerpflichtige ausländische Kapitalgesellschaft hingegen unterliegt die gesamte Dividende der Quellensteuer und nicht nur 5 % wie im Inlandsfall. Wenn nun eine Erstattung der Kapitalertragsteuer in Höhe der Differenz zwischen der einbehaltenen Kapitalertragsteuer nebst Soli und 15 % erstattet wird, so wird zwar derselbe Steuersatz wie im Inlandsfall angewandt, aber auf eine andere Bemessungsgrundlage. Die Belastung von 15,825 % entspricht nur dann der inländischen Steuerbelastung, wenn man davon ausgeht, dass im Inlandsfall mangels Eingreifens des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs auf Dividendenausschüttungen Gewerbesteuer erhoben wird (§ 8 Nr. 5 GewStG i.V. m. § 9 Nr. 2a GewStG).

III. Gestaltungen zur Reduzierung der deutschen Quellensteuern Zur Erlangung einer Quellensteuerreduzierung werden in der steuerlichen Praxis verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten genutzt. Nachfolgend sollen zwei Gestaltungen beispielhaft dargestellt werden: 1. Steuerarbitrage durch unterschiedliche Quellensteuersätze Eine Reduzierung der Kapitalertragsteuer kann in dieser Sachverhaltskonstellation dadurch erzielt werden, dass zwischen einen ausländischen Gesellschafter einer deutschen Kapitalgesellschaft und die Kapitalgesellschaft selbst eine ausländische Kapitalgesellschaft zwischengeschaltet wird, welche eine günstigere abkommensrechtliche Behandlung genießt als ihr Gesellschafter bei direkter Beteiligung an der in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaft. Beispiel 1: Eine Kapitalgesellschaft mit Sitz auf den Niederländischen Antillen, deren alleiniger Anteilseigner eine ebenfalls auf den Niederländischen Antillen ansässige Person ist, beabsichtigt, sämtliche Geschäftsanteile an einer deutschen GmbH zu erwerben. In diesem Fall würden Dividendenausschüttungen der deutschen GmbH an ihre Muttergesellschaft der vollen Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 % zzgl. 5,5 % Solidaritätszuschlag darauf unterliegen. Die Kapitalertragsteuer hätte grds. abgeltende Wirkung, da Deutschland mit den Niederländischen Antillen kein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hat. Seit 1.1.2009 käme allenfalls eine Reduzierung der Kapitalertragsteuer in Höhe von 2/5 der einbehaltenen Kapitalertragsteuer in Betracht, sofern die Muttergesellschaft die Substanzanforderungen des § 50d Abs. 3 EStG erfüllt. Erwirbt die auf den Niederländischen Antillen ansässige Muttergesellschaft die Beteiligung hingegen nicht direkt, sondern mittels einer in den Niederlanden an-

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C. Kapitalertragsteuererstattung an ausländische Anteilseigner

sässigen 100 %-Tochter-Holdinggesellschaft, könnte eine weitergehende Reduzierung von Quellensteuern erreicht werden. In diesem Fall könnte die deutsche GmbH gemäß § 43b EStG ohne die Erhebung einer deutschen Quellensteuer Dividenden an die niederländische Holding ausschütten. Aufgrund des in den Niederlanden geltenden Schachtelprivilegs blieben die Dividenden auch auf Ebene der niederländischen Holding steuerfrei.10 Im Fall der Weiterausschüttung an die Muttergesellschaft auf den Niederländischen Antillen würde aufgrund des zwischen den Niederlanden und den Niederländischen Antillen bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens eine Quellensteuer von 8,3 % erhoben werden.11 Mittels dieser Gestaltung könnte somit eine Kapitalertragsteuerersparnis von ca. 7 % erzielt werden. Vor Geltung des § 44a Abs. 9 EStG mit Wirkung ab dem 1.1.2009 hätte diese Ersparnis sogar ca. 17 % betragen. Grafisch lässt sich dieses Beispiel wie folgt darstellen:

M

NLA

8,3 % QSt 100 %

T

NL

0 % QSt 100 %

E

D

Eine geringere Relevanz hat das Treaty Shopping bzw. Directive Shopping seit Einführung des § 44a EStG mit Wirkung ab 1.1.2009 in Fällen, in denen Beteiligungen in einen Umfang von weniger als 10 % des Grund- oder Stammkapitals gehalten werden. In diesen Fällen könnte grundsätzlich auch ohne Zwischen10 Zum niederländischen Schachtelprivileg siehe European Tax Handbook 2011, Netherlands, S. 620. 11 Vgl. European Tax Handbook 2011, Netherlands, S. 623, wo auch die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung der Quellensteuerreduzierung näher dargestellt sind.

III. Gestaltungen zur Reduzierung der deutschen Quellensteuern

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schaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft eine Quellensteuersatzreduzierung auf 3/5 der ursprünglichen Quellensteuer erzielt werden. Eine solche Erstattung führt unter Einbeziehung des Solidaritätszuschlags zu einer Gesamtbelastung mit Quellensteuer von 15,825 %. Die deutsche Quellensteuer liegt damit nur 0,825 % über dem nach DBA regelmäßig12 zulässigen Quellensteuersatz in nicht schachtelprivilegierten Fallkonstellationen. Zur Ausnutzung dieses Steuervorteils von 0,825 % dürfte das kostenintensive Aufsetzen einer Struktur zur Reduzierung der Quellensteuer vielfach nicht ausreichen. 2. Steuerarbitrage durch Fremdfinanzierung der ausländischen Gesellschaft Beispiel 2: Eine in einem Nicht-DBA-Staat ansässige Gesellschaft plant, mehr als 10 % der Anteile an einem deutschen Dax-Konzern zu erwerben. Der Erwerb soll nicht direkt, sondern über eine zwischengeschaltete Luxemburger13 Holding Gesellschaft erfolgen. In diesem Fall unterliegen die Gewinnausschüttungen der deutschen GmbH i. E. grds. nicht der deutschen Kapitalertragsteuer, da dieser Sachverhalt von der MTRL erfasst wird.14 Auch in Luxemburg erfolgt nach innerstaatlichem Steuerrecht auf Ebene der die Dividendenausschüttungen empfangenden Kapitalgesellschaft keine Besteuerung der ausgeschütteten Dividenden.15 Die Weiterausschüttung unterliegt in Luxemburg aber grds. einer Quellensteuer von 15 %, während hingegen Zinszahlungen quellensteuerfrei sind.16 Sofern also die Gesellschafterin der Luxemburger Holding diese anstelle von Eigenkapital mit Fremdkapital in Form von Darlehen ausstattet, kann eine Repatriierung der Gewinne ohne Quellensteuereinbehalt erfolgen. Besondere Regelungen zur Begrenzung der Gesellschafterfremdfinanzierung gibt es in Luxemburg nicht, allgemein akzeptiert die Finanzverwaltung dem Vernehmen nach ein Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital von 85 zu 15.17 Das bedeutet, dass allenfalls 15 % der von der Luxemburger Holding ausgeschütteten Gewinne ggfs. der Luxemburger Quellensteuer mit einem Steuersatz von 15 % unterliegen würden, was eine Gesamtbelastung von ca. 2,2 % bedeuten würde. Sofern die Muttergesellschaft der 12 Höhere Quellensteuersätze sind vorgesehen in den DBA mit folgenden Staaten: Griechenland, Iran, Israel, Thailand, Trinidad und Tobago, Türkei und Simbabwe; niedrigere Steuersätze sind vorgesehen in den DBA mit Bolivien, China, Georgien, Indien, Irland, Mongolei und der Ukraine. 13 Zu Luxemburger Holding-Strukturen vgl. Eilers, FS Wassermeyer, S. 323 ff.; Kessler/Eicke, PIStB 2006, S. 23 (26); Renger, Treaty Shopping, S. 5. 14 Vgl. § 43b EStG. 15 Vgl. European Tax Handbook 2011, Luxembourg, S. 533 zu den Voraussetzungen für die Anwendung des luxemburgischen Schachtelprivilegs. 16 Vgl. European Tax Handbook 2011, Luxembourg, S. 535. 17 Vgl. European Tax Handbook 2011, Luxembourg, S. 538 (Thin Capitalization).

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C. Kapitalertragsteuererstattung an ausländische Anteilseigner

Luxemburger Holding in ihrem Ansässigkeitsstaat keiner Besteuerung unterliegt, macht es für sie keinen Unterschied, ob sie Dividenden oder Zinszahlungen empfängt. Sofern hingegen Dividendenzahlungen für sie steuerlich günstiger sind, da Dividendeneinkünfte zumeist niedriger besteuert werden als Zinseinkünfte, kommt eine Finanzierung der Luxemburger Gesellschaft über sog. „Convertible Preferred Equity Certificates“ (CPECs) in Betracht. Dabei handelt es sich um hybride Finanzierungsinstrumente, die sich durch eine sehr lange Laufzeit auszeichnen und die nachrangig gegenüber dem übrigen Fremdkapital sind.18 Nach Luxemburger Recht werden Zahlungen auf solche CPECs als Zinsausgaben behandelt, welche in Luxemburg keiner Quellensteuer unterliegen. Nach dem Recht des Ansässigkeitsstaates des Empfängers der Zahlungen auf die CPECs werden diese Zahlungen ggfs. als Dividendenzahlungen qualifiziert. Diese Struktur kann grafisch wie folgt dargestellt werden:19

Private Equity Funds

Zinsen

Cayman L.P.

Cayman Islands

100 %

Holding S.à.r.l. Luxemburg

Luxemburg

Dividenden 100 %

GmbH

18 19

Deutschland

Vgl. dazu Renger, Treaty Shopping, S. 6. Vgl. Eilers, FS Wassermeyer, 323 (326); Renger, Treaty Shopping, 6.

D. Überblick über die Maßnahmen zur Bekämpfung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen in Inbound-Fällen Der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen in den sog. „Inbound-Fällen“ wird in Deutschland durch zwei unterschiedliche Arten von Regelungen entgegengewirkt: Zum einen durch bilaterale Regelungen in den von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen und zum anderen durch unilaterale Vorschriften des innerstaatlichen deutschen Steuerrechts. In der überwiegenden Mehrzahl enthalten die deutschen Doppelbesteuerungsabkommen keine speziell gegen das Treaty Shopping gerichteten Missbrauchsregelungen. Deshalb kommt gerade den innerstaatlichen Missbrauchsbekämpfungsvorschriften in der Besteuerungspraxis eine entscheidende Bedeutung zu. Nachfolgend sollen die in Deutschland geltenden Anti-TreatyShopping-Regelungen überblickartig dargestellt werden.

I. Einseitige deutsche Anti-Treaty-Shopping-Bestimmungen Die zentrale Norm zur Bekämpfung des Treaty Shoppings ist im deutschen Steuerrecht die spezialgesetzliche Missbrauchsbekämpfungsnorm des § 50d Abs. 3 EStG. § 50d Abs. 3 EStG lautet in der derzeitigen Fassung des JStG 2007: „Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder Absatz 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und 1. für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder 2. die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 Prozent ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder 3. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen Verkehr teilnimmt. Maßgebend sind ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft; organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen (§ 1 Abs. 2 Außensteuergesetz), bleiben außer Betracht. An einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlt es, soweit die auslän-

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D. Doppelbesteuerungsabkommen in Inbound-Fällen dische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn mit der Hauptgattung der Aktien der ausländischen Gesellschaft ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet oder für die ausländische Gesellschaft die Vorschriften des Investmentsteuergesetzes gelten.“

Inwieweit neben der Regelung des § 50d Abs. 3 EStG noch die allgemeine Missbrauchsregelung des § 42 AO zur Anwendung kommt, ist umstritten. Während die Rechtsprechung und die herrschende Ansicht in der Literatur dies zumindest für die Anwendung von § 42 AO a. F. verneint haben, ging die Finanzverwaltung weiterhin von einer subsidiären Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG für den Fall aus, dass § 50d Abs. 3 EStG tatbestandlich nicht einschlägig ist. Die Schaffung der speziellen Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG, das Verhältnis dieser Regelung zu § 42 AO sowie die Änderungen des § 50d Abs. 3 EStG durch das Jahressteuergesetz 2007, die zu einer deutlichen Absenkung der Missbrauchsschwelle geführt haben, sind nur vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BFH zur Einschaltung ausländischer Kapitalgesellschaften bei Inbound-Investitionen verständlich. Aus diesem Grund soll nachfolgend die Wechselwirkung zwischen der Entwicklung der Rechtsprechung zum Bereich des Treaty Shoppings im Rahmen der allgemeinen Missbrauchsregelung einerseits und der Einführung bzw. Verschärfung des § 50d Abs. 3 EStG andererseits dargestellt werden. 1. Die Rechtsentwicklung zum Treaty Shopping a) Rechtsprechung zu den sogenannten Quintett-Fällen Den Ausgangspunkt der Rechtsprechung zum Abkommensmissbrauch durch zwischengeschaltete ausländische Kapitalgesellschaften bilden die sogenannten Quintett-Fälle, mit denen sich der BFH erstmals im Jahr 1972 zu beschäftigen hatte.1 Die entsprechenden Gestaltungen zielten auf eine Ermäßigung der deutschen Quellensteuer ab und sind vor dem Hintergrund des früheren Körperschaftsteuersystems zu sehen.2 Die damals geltenden Doppelbesteuerungsabkommen enthielten Suspensionsklauseln, wonach die Ermäßigung der Quellensteuer auf Dividenden von 25 % auf 15 % versagt wurde, wenn eine ausländische Kapitalgesellschaft zu mindestens 25 % an einer deutschen Kapitalgesellschaft beteiligt 1 BFH v. 19.2.1975, I R 26/73, BStBl. II 1975, S. 584; v. 13.9.1972, I R 130/70, BStBl. II 1973, S. 57; BFH v. 10.11.1983, IV R 62/82, BStBl. II 1984, S. 605. 2 Zum Schrifttum zu den Quintett-Fällen siehe Kraft, IStR 1994, S. 370 (372) Fn. 20.

I. Einseitige deutsche Anti-Treaty-Shopping-Bestimmungen

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war.3 Um die negativen Folgen der Suspensionsklauseln zu vermeiden, splitteten ausländische Muttergesellschaften ihre Beteiligungen an in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaften auf mehrere – ebenfalls im Ausland ansässige – Tochtergesellschaften auf, so dass die einzelne Tochtergesellschaft weniger als 25 % der Anteile hielt.4 Durch die Aufsplittung einer 100 %-Beteiligung auf mindestens fünf Tochtergesellschaften, bildete sich für diese Gestaltungen der Begriff „Quintett-Gestaltung“ heraus.5 Der BFH prüfte in seinen Entscheidungen zu den Quintett-Fällen das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs nach § 6 StAnpG (die Vorgängerregelung des § 42 AO), ohne die Frage des Verhältnisses sonstiger innerstaatlicher Steuerrechtsnormen zu Normen der Doppelbesteuerungsabkommen weiter zu problematisieren.6 Er verneinte aber das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs mit der Begründung, „dass die Beteiligten ihre Verhältnisse, auch ihre Auslandsbeziehungen, so gestalten können, wie sie ihnen steuerrechtlich am günstigsten erscheinen.“ 7 Dies gelte auch dann, wenn die Aufsplittung der Beteiligung überwiegend steuerlich motiviert war. Auf das Fehlen wirtschaftlich vernünftiger Gründe für die Aufteilung, das der dem Verfahren beigetretene BMF geltend gemacht hatte, käme es daher nicht an. Damit hatte der BFH klargestellt, dass es einer ausländischen Kapitalgesellschaft freisteht, in welcher Weise sie ihr inländisches Engagement betreibt. Die Aufsplittung einer 100 %-Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft hat der BFH als nicht missbräuchlich angesehen. Mangels Relevanz hat der BFH aber nicht darüber entschieden, ob und inwieweit die Einschaltung einer substanzlosen ausländischen Gesellschaft gegebenenfalls als rechtsmissbräuchlich i. S. v. § 6 StAnpG (jetzt § 42 AO) angesehen werden kann, da die Klägerinnen im entschiedenen Fall unstreitig aktiv tätige Gesellschaften waren. In einer späteren Entscheidung hat das FG Köln8 eine Quintett-Gestaltung als rechtsmissbräuchlich angesehen, weil diese Gestaltung allein steuerlich motiviert war. Anders als in den ersten vom BFH entschiedenen Fällen ging es in den späteren Urteilen aber um reine Domizilgesellschaften ohne eigene wirtschaftliche Funktion. 3 Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, 64; Nr. 18 b) Schlussprotokoll zum DBA Deutschland-Niederlande 1959 i.V. m. Art. 13 Abs. 4 DBA Deutschland-Niederlande 1959. 4 Vgl. dazu Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, 64. 5 Vgl. dazu Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, 64. 6 BFH v. 19.2.1975, I R 26/73, BStBl. II 1975, S. 584 (586); v. 13.9.1972, I R 130/ 70, BStBl. II 1973, S. 57 (59). 7 BFH v. 19.2.1975, I R 26/73, BStBl. II 1975, S. 584 (586). 8 FG Köln v. 13.10.1995, 6 K 1459/89 (rkr.), EFG 1996, S. 324; auch der IV. Senat des BFH hat in seinem Urteil BFH v. 10.11.1983, IV R 62/82, BStBl. II 1984, S. 605 offen gelassen, ob er dem Urteil des I. Senats folgen würde, dazu Winkelmann, Steuerumgehung, S. 228.

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D. Doppelbesteuerungsabkommen in Inbound-Fällen

b) Das Monaco-Urteil Grundlegende Bedeutung für die Einführung und Ausgestaltung der deutschen Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG (vormals § 50d Abs. 1a EStG) hat das sog. Monaco-Urteil9 des I. Senats des BFH. Darin ging es erstmals um die Frage, ob die Zwischenschaltung einer substanzlosen ausländischen Kapitalgesellschaft durch einen in einem Drittstaat ansässigen Gesellschafter als Gestaltungsmissbrauch im Sinne des deutschen Rechts zu qualifizieren ist. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der BFH im Rahmen seiner sog. Basisgesellschaftenrechtsprechung10 nur über Sachverhalte zu entscheiden gehabt, in denen ein in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtiger in einem Niedrigsteuerland eine Kapitalgesellschaft gegründet und auf diese aus Gründen der Steuerersparnis Einkünfte verlagert hat. Solchen ausländischen Kapitalgesellschaften versagte der BFH nach dem damaligen Stand der Rechtsprechung die Erstattung deutscher Quellensteuern aus Missbrauchsgründen, wenn für die Errichtung der Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlten und die Gesellschaft keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltete.11 Dem Monaco-Urteil lag vereinfacht dargestellt folgender Sachverhalt zugrunde: Eine in Monaco ansässige natürliche Person hat in der Schweiz eine Kapitalgesellschaft gegründet, die zunächst sämtliche Anteile an einer in Deutschland ansässigen Aktiengesellschaft hielt, wobei dieser Anteil später auf 48 % reduziert wurde. Außer dem Halten der Aktien an der deutschen AG übte die schweizerische Kapitalgesellschaft keine weitere Tätigkeit aus. Die schweizerische Zwischengesellschaft beantragte eine im DBA-Schweiz vorgesehene Ermäßigung der deutschen Quellensteuer für ausgeschüttete Dividenden auf 15 %. Zwischen Deutschland und Monaco bestand kein Doppelbesteuerungsabkommen. Im Fall eines Direktbezugs durch die in Monaco ansässige Person hätten die Dividenden daher ohne Ermäßigung der vollen deutschen Quellensteuer unterlegen. Der BFH verneinte im Monaco-Fall das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs. Er äußerte „vom Grundsätzlichen her Bedenken“, ob die Basisgesellschaftenrechtsprechung auf beschränkt Steuerpflichtige übertragen werden kann. Die maßgebliche Urteilspassage, welche Grundlage für eine mehr als ein Jahrzehnt andauernde Diskussion war, lautete: „Bei einem unbeschränkt steuerpflichtigen Inländer liegt in diesem Falle ein Rechtsmißbrauch auf der Hand. Bei einer in einem dritten Land ansässigen Person kann die 9

BFH v. 29.10.1981, I R 89/80, BStBl. II 1982, S. 150. Vgl. z. B. BFH v. 29.7.1976, VIII R 142/73, BStBl. II 1977, S. 263; v. 29.1.1975, I R 135/70, BStBl. II 1975, S. 553; v. 17.7.1968, I R 121/64, BStBl. II 1968, S. 695; siehe dazu auch Bühler, Prinzipien des internationalen Steuerrechts, S. 109; Grossfeld, Basisgesellschaften im internationalen Steuerrecht, S. 3. 11 Vgl. z. B. BFH v. 29.7.1976, VIII R 142/73, BStBl. II 1977, S. 263; v. 29.1.1975, I R 135/70, BStBl. II 1975, S. 553; v. 17.7.1968, I R 121/64, BStBl. II 1968, S. 695. 10

I. Einseitige deutsche Anti-Treaty-Shopping-Bestimmungen

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von ihr bewerkstelligte Gründung einer Kapitalgesellschaft im Ausland nicht diesen Kriterien unterworfen werden. Bei diesem Vorgang fehlt jede Beziehung zum Inland und damit zu den inländischen Steuergesetzen, während bei gleicher Rechtsgestaltung durch einen unbeschränkt steuerpflichtigen Inländer die Beziehung zum Inland durch dessen Person gegeben ist. Die Gründung einer Kapitalgesellschaft im Ausland durch einen Ausländer ist ein das inländische Steuerrecht nicht berührender Vorgang und entzieht sich grundsätzlich der Beurteilung, ob ein Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts (§ 6 StAnpG) oder von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 AO 1977) vorliegt.“

Obwohl sich die vorstehende Urteilspassage dahingehend verstehen lässt, dass der BFH im Urteilsfall eine Anwendung von § 6 StAnpG bzw. § 42 AO 1977 generell ablehnt12, weist er in seiner weiteren Urteilsbegründung13 darauf hin, dass durch die Beteiligung der Klägerin an der in Deutschland ansässigen GmbH eine Inlandsbeziehung hergestellt wurde. Daraus folgert er: „Den Finanzbehörden muss die Prüfung zugestanden werden, ob dieses Engagement der Klägerin mit Rücksicht auf den hinter ihr stehenden Alleingesellschafter H die Merkmale eines Rechtsmissbrauchs im Sinne des § 6 StAnpG oder des § 42 AO 1977 aufweist.“

Die Beteiligung der Schweizer AG an der deutschen GmbH hat der BFH dann anhand der Grundsätze der Basisgesellschaftenrechtsprechung überprüft. Er verneint im Ergebnis aber das Vorliegen eines Missbrauchs, da er u. a. in der Bündelung von Vermögensinteressen in der Schweizer Kapitalgesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für deren Zwischenschaltung sah. Das Fehlen jedweder Substanz der Schweizer Gesellschaft war für den BFH in diesem Fall unbeachtlich. Die missverständlichen, wenn nicht gar widersprüchlichen14 Ausführungen des BFH waren Ausgangspunkt einer kontroversen Diskussion15 in der Literatur hinsichtlich der Frage, ob für beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtige generell unterschiedliche Missbrauchsmaßstäbe gelten. Teile der Literatur leiteten aus dem Urteil ebenso wie wohl die Finanzverwaltung16 die Schlussfolgerung ab, dass § 42 AO nach Ansicht des BFH auf beschränkt Steuerpflichtige generell nicht anwendbar ist.17 Entsprechend kamen Runge18 und Wolff 19 in ihren Berich12

So z. B. Becker, DStJG 8 (1985), S. 171 (188); Crezelius, DB 1984, S. 530 (533). Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, S. 65 sieht darin ein obiter dictum. 14 Vgl. dazu Zettler, Treaty Shopping, S. 98. 15 Füger/Rieger sprechen in diesem Zusammenhang vom „Mythos der Monaco-Entscheidung“, IStR 1998, S. 353. 16 Vgl. Grützner, IWB 1994, Gruppe 3, S. 1077 (1086). 17 Vgl. Becker, DStJG 8 (1985), S. 171 (188); Crezelius, DB 1984, S. 530 (533); dazu auch Strobl-Haarmann, FS Raupach, S. 613 (616); a. A. Wassermeyer, DStJG 1985, S. 71. 18 Runge, Landesbericht, CDFI 1987a, S. 172. 13

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D. Doppelbesteuerungsabkommen in Inbound-Fällen

ten zu den IFA-Kongressen 1987 und 1989 zu dem Ergebnis, dass Treaty Shopping in Deutschland kein Problem sei und seitens der Rechtsprechung nicht sanktioniert werde. Auch Becker20 vertrat die Ansicht, dass der BFH in der Ausnutzung der Abkommensberechtigung durch Zwischenpersonen keinen Missbrauch sieht und Treaty Shopping nach dieser Rechtsprechung zulässig ist. Crezelius21 sah in der Nichtanwendung von § 42 AO auf diese Sachverhalte einen Ausfluss des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips, wonach ein Auslandssachverhalt nur bei wirtschaftlicher Zugehörigkeit zum Inland beachtet werden darf. Sofern aber keine gesellschaftsrechtliche Beziehung zum Inland bestehe, sei die Anwendung der allgemeinen Missbrauchsklausel ausgeschlossen. Andere Stimmen in der Literatur sahen den Schwerpunkt der Urteilsbegründung hingegen in der Prüfung des Vorliegens eines Rechtsmissbrauchs.22 Sie verstanden das Urteil dahingehend, dass der BFH die Anwendung von § 42 AO auf beschränkt Steuerpflichtige nicht generell abgelehnt hat, sondern im konkreten Fall nur keinen Rechtsmissbrauch feststellen konnte. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass aufgrund des Monaco-Urteils eine erhebliche Unsicherheit über steuerrechtliche Gestaltungsgrenzen bei Beteiligung beschränkt Steuerpflichtiger bestand. c) Der Niederländische Brüder-Fall In dem „Niederländische-Brüder-Urteil“ 23 nahm der BFH erstmals bei einer von Steuerausländern eingeschalteten Basisgesellschaft einen Rechtsmissbrauch an.24 Während der I. Senat weder in den Quintett-Fällen noch im Monaco-Urteil in der Zwischenschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft durch im Ausland Ansässige einen Missbrauchsfall gesehen hatte, bejahte der IV. Senat im „Niederländische-Brüder-Urteil“ einen Rechtsmissbrauch. Im Urteilsfall waren zwei niederländische Brüder Gesellschafter einer inländischen OHG. Diese waren die einzigen Aktionäre einer Schweizer AG, die eine nach deutschem Steuerrecht typisch stille Beteiligung an der inländischen OHG hielt. Die AG war eine substanzlose ausländische Gesellschaft ohne eigene Wirtschaftstätigkeit und stellte die ihr zustehenden Gewinnanteile der OHG darlehensweise zur Verfügung. Art. 6 des im Streitfall einschlägigen DBA-Schweiz 1931/1959 berechtigte prinzipiell nur die Schweiz zur Besteuerung der Einkünfte 19 20 21 22 23 24

Wolff, Landesbericht, CDFI 1989a, S. 142. Becker, DStJG 8 (1985), S. 171 (192). Crezelius, DB 1984, S. 530 ff. Dazu Füger/Rieger, IStR 1998, S. 353 m.w. N. Vgl. BFH v. 10.11.1983, IV R 62/82, BStBl. II 1984, S. 605. Vgl. Höppner, IWB 1998, Fach 3a Gruppe 1, S. 653 (657).

I. Einseitige deutsche Anti-Treaty-Shopping-Bestimmungen

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aus der stillen Beteiligung.25 Hätten sich die beiden Niederländer dagegen direkt – also ohne Zwischenschaltung der schweizerischen AG – an der OHG still beteiligt, wären die daraus fließenden Gewinnanteile aufgrund der mitunternehmerischen Stellung der Beteiligten im Inland steuerpflichtige Sondervergütungen gewesen.26 Der BFH begründete das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs i. S. d. § 42 AO damit, dass die Einschaltung der AG unangemessen gewesen sei, da die AG keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet habe. Vernünftige außersteuerrechtliche Gründe für die Einschaltung hat der IV. Senat nicht gesehen. Gleichwohl taugt dieser Fall nicht als Referenzfall für eine etwaige Aufgabe der Monaco-Rechtsprechung des I. Senats. Zwar wertete der BFH die Einschaltung der Schweizer AG als missbräuchlich. Dieser Rechtsmissbrauch beruhte jedoch nicht auf einem Missbrauch des DBA-Schweiz, sondern auf einer missbräuchlichen Vermeidung des Zuflusses von Sondervergütungen durch Einschaltung einer Domizilgesellschaft.27 Der Basiseffekt, d. h. die Abschirmwirkung der Zinseinnahmen vor der Besteuerung im Rahmen der einheitlich und gesonderten Gewinnfeststellung, beruhte auf der Regelung des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG, wonach Sonderbetriebseinnahmen nicht vorliegen, wenn diese nicht vom Gesellschafter selbst erzielt werden. Gleichwohl wurden in der Literatur insoweit Parallelen gezogen, als es in beiden Fällen um die Zwischenschaltung einer juristischen Person im Ausland zwischen einen in einem Drittstaat Ansässigen und seine wirtschaftlichen Interessen im Inland ging.28 In allen Fällen seien im DBA-Ausland juristische Personen mit dem überwiegenden Ziel eingeschaltet, als abkommensberechtigte Personen Vorteile aus dem Doppelbesteuerungsabkommen zu ziehen, weshalb bemerkenswert sei, dass der IV. Senat im Gegensatz zum I. Senat mit der Begründung des Rechtsmissbrauchs nicht anerkennt.29 d) Die Einführung des § 50d Abs. 1a EStG durch das Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz Nachdem der BFH mehr als ein Jahrzehnt keine Gelegenheit hatte, die aufgrund der Monaco-Entscheidung entstandenen Unklarheiten zu beseitigen, hat der Gesetzgeber fast 13 Jahre nach Veröffentlichung des Monaco-Urteils auf die25

Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, 65. Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, 66. 27 Vgl. Winkelmann, Steuerumgehung, S. 230 ff.; Becker, DStJG 8 (1985), S. 171 (188); Lüdicke, Forum d. Int. Besteuerung, S. 102 (104). 28 Vgl. Höppner, IWB 1998, Fach 3a Gruppe 1, S. 653 (657); Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, S. 66; Winkelmann, Steuerumgehung, S. 232. 29 Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, S. 66. 26

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D. Doppelbesteuerungsabkommen in Inbound-Fällen

ses reagiert und im Rahmen des Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes mit Wirkung ab dem 1.1.1994 die Regelung des § 50d Abs. 1a EStG mit folgendem Wortlaut eingeführt:30 „Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf Steuerentlastung (Steuerbefreiung oder -ermäßigung nach § 44d oder nach einem DBA), soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Steuerentlastung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und sie keine eigene Wirtschaftstätigkeit ausübt.“

Ziel der gesetzlichen Regelung war es laut der Gesetzesbegründung, die Anwendung der zu § 42 AO ergangenen Basisgesellschaftenrechtsprechung auch auf solche Gesellschaften sicherzustellen, deren Gesellschafter Steuerausländer31 sind.32 Dadurch sollten Steuerausländern, die ihre aus Deutschland stammenden Einkünfte an eine missbräuchlich zwischengeschaltete ausländische Gesellschaft fließen lassen, die mit dieser Gestaltung angestrebten DBA- und EU-RichtlinienVorteile versagt werden. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst am Wortlaut der Basisgesellschaftenrechtsprechung des BFH orientiert.33 Die damit einhergehende Zementierung der bisherigen Basisgesellschaftenrechtsprechung wurde bereits frühzeitig kritisiert. Es wurde in der Literatur darauf hingewiesen, dass weniger wichtig als die Erzielung eventueller steuerlicher Mehreinnahmen die Wahrung des „Do ut des“-Prinzips war, welches nur noch auf dem Papier existieren würde, „wenn sich praktisch jedermann in der ganzen Welt mittels leicht zu gründender funktionsloser und inaktiver Holdinggesellschaften mit Sitz in einem DBA-Staat in den Genuss der deutschen Abkommenskonzession bringen kann.“ 34 Eine im Regierungsentwurf noch vorgesehene segmentierende Betrachtung, wonach eine Erstattung der Quellensteuer insoweit nicht erfolgt, wie die ausländische Gesellschaft in einem nicht unbeachtlichen Maß passive Einkünfte erzielt, wurde dagegen im weiteren Gesetzgebungsverfahren fallen gelassen. Anders als im Rahmen von § 42 AO wird die Beteiligung an der in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaft nicht den Anteilseignern der ausländischen 30 Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz v. 21.12.1993, BGBl. I 1993, S. 2310. 31 Unklar bleibt insoweit, welche Bedeutung der Zusatz in der Gesetzesbegründung hat, wonach auf die gesellschaftsrechtliche Beziehung zum Inland (also die Notwendigkeit einer Beteiligung eines im Inland ansässigen Gesellschafters) verzichtet werden soll, weil diese von der Steuerverwaltung häufig nicht bewiesen werden kann, wenn sie durch ein Treuhandverhältnis verdeckt wird. 32 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 27.9.1993, BT-Drs. 12/5630 und 12/ 5764, Begründung zu Art. 1 (Einkommensteuergesetz) Nr. 41 Buchst. a. 33 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 27.9.1993, BT-Drs. 12/5630 und 12/ 5764, Begründung zu Art. 1 (Einkommensteuergesetz) Nr. 41 Buchst. a; dazu auch Grützner, IWB, Gruppe 3, S. 1077 (1089); Höppner, IWB Fach 3 S. 1153 (1154 f.). 34 Vgl. Höppner, IWB Fach 3, S. 1153 (1154 f.).

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Kapitalgesellschaft zugerechnet, sondern es wird der ausländischen Kapitalgesellschaft lediglich der Entlastungsanspruch versagt bzw. eingeschränkt.35 § 50d Abs. 1a EStG a. F. war keine allgemeine Anti-Treaty-Shopping-Regelung, die sämtliche Steuerarten umfasst.36 Nach dem Gesetzeswortlaut war aber unklar, ob nur Missbrauchsgestaltungen erfasst werden, die darauf abzielen, eine Quellensteuererstattung durch Zwischenschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft zu bewirken oder auch andere Fälle wie z. B. die Erlangung der deutschen Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen. e) Die Auslegung von § 50d Abs. 1a EStG durch die „Krabbe-Schreiben“ Nach Einführung von § 50d Abs. 1a EStG waren zunächst zahlreiche Auslegungsfragen offen.37 Da die Finanzverwaltung nicht beabsichtigte, ein erläuterndes BMF-Schreiben herauszugeben, hat der damals zuständige Ministerialdirigent im Bundesfinanzministerium Krabbe zwei Beiträge in der Zeitschrift Internationales Steuerrecht („IStR“) veröffentlicht, in denen er zur Auslegung der Norm Stellung genommen hat.38 f) Die Anti-Monaco-Rechtsprechung des BFH Nachdem der BFH bis zur Einführung des § 50d Abs. 1a EStG mangels entsprechender Vorlagen keine Möglichkeit gehabt hatte, zu den Unklarheiten infolge des Monaco-Urteils Stellung zu nehmen, nutzte er in den Jahren 1994 und 1997 im Rahmen von zwei Entscheidungen die sich ihm bietende Chance, die Anwendbarkeit von § 42 AO auf beschränkt Steuerpflichtige endgültig klarzustellen. In der Literatur wurde entsprechend konstatiert, dass die Einführung von § 50d Abs. 1a EStG damit überflüssig geworden war.39 aa) Das „Niederländische Stiftungs“-Urteil In dem so genannten Niederländischen Stiftungsfall40 hatten zwei niederländische Kapitalgesellschaften, deren Alleingesellschafterin eine niederländische 35

Vgl. Höppner, IWB Fach 3, S. 1153 (1155). Lüdicke, Forum d. Int. Besteuerung, S. 102 (109). 37 Vgl. z. B. Höppner, IWB, Fach 3 S. 1153; Kraft, IStR 1994, 370; Laule, Festschrift für Ritter, 181 ff. 38 Krabbe, IStR 1995, 382 ff.; ders., IStR 1998, 76 f. 39 Vgl. Füger/Rieger, IStR 1998, 353 (356); Strobl-Haarmann, FS für Raupach, S. 613; sich die Frage nach dem Anwendungsbereich der Neuregelung nach der AntiMonaco-Entscheidung stellend auch Thömmes, JbFfStR 1998/1999, S. 94 (97). 40 BFH v. 27.8.1997, BStBl. II 1998, S. 163; BFH v. 21.12.1994, IStR 1995, S. 330 m. Anm. Wassermeyer. 36

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Stiftung war, ein Bürogrundstück in Deutschland erworben. Die Kosten für den Erwerb wurden durch ein Darlehen der Stiftung finanziert, wobei nach dem Urteilssachverhalt von Anfang an abzusehen war, dass die Kapitalgesellschaften die Darlehenszinsen nicht würden zahlen können. Die Kapitalgesellschaften erklärten in Deutschland daher Verluste bei den inländischen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Das zuständige Finanzamt erkannte die Verluste nicht an und ermittelte stattdessen positive Einkünfte, wogegen die Kapitalgesellschaften auf die Feststellung negativer Einkünfte klagten. Nach Ansicht des BFH waren die Einkünfte aus Vermietungstätigkeit steuerlich gemäß § 42 AO nicht den vermietenden niederländischen Kapitalgesellschaften, sondern der niederländischen Stiftung zuzurechnen. Der BFH entschied, dass § 42 AO 1977 unabhängig davon anzuwenden ist, ob ein Steuerinländer oder ein Steuerausländer eine ausländische Basisgesellschaft missbräuchlich einsetzt. Im Urteilsfall sah der BFH eine bloß formelle Verlagerung der Vermietungstätigkeit von der Stiftung auf die Kapitalgesellschaften, ausschließlich zu dem Zweck, das Entstehen positiver Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in der Person der Stiftung zu vermeiden. Der I. Senat betonte in diesem Zusammenhang, dass er frei sei, seine im Monaco-Urteil vertretene Auffassung aufzugeben und die Monaco-Entscheidung einer Anwendung von § 42 AO nicht entgegen stehe, weil es sich dabei anders als in dem Niederländische-Stiftung-Fall um einen Fall des „treaty shoppings“, d. h. des Einkaufens in ein Doppelbesteuerungsabkommen gehandelt habe.41 Wassermeyer als damaliger Vorsitzender des I. Senats wollte diese Ausführungen in seiner Urteilsanmerkung als Aufgabe der im Monaco-Urteil vertretenen Rechtsauffassung verstanden wissen.42 bb) Das Anti-Monaco-Urteil In einem weiteren Urteil aus dem Jahr 1997 lag dem BFH erstmals seit dem Monaco-Urteil ein Sachverhalt vor, bei dem es um die Frage der rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme eines Doppelbesteuerungsabkommens mittels der Zwischenschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft durch einen Steuerausländer zum Zweck der Reduzierung quellensteuerpflichtiger Einkünfte ging. In diesem Urteil43 stellte der BFH betreffend eine Sport-Vermarktungsgesellschaft nun ausdrücklich klar, dass § 42 AO auch auf Fälle des Missbrauchs von Doppelbesteuerungsabkommen durch beschränkt Steuerpflichtige anzuwenden ist. „Soweit Steuerpflicht im Inland besteht, ist auch Raum für Steuervermeidung.“

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Siehe dazu auch Füger/Rieger, IStR 1998, S. 353 (354). Wassermeyer, IStR 1998, S. 115 (Anmerkung zu I R 8/97). BFH v. 19.10.1997, I R 35/96, BStBl. II 1998, S. 235.

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Er betonte ausdrücklich, dass, soweit seinen Ausführungen im Monaco-Urteil Gegenteiliges zu entnehmen gewesen sein sollte, er daran nicht mehr festhält. Eine Differenzierung zwischen beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen sei weder durch den Wortlaut noch die Teleologie des § 42 AO geboten. Des Weiteren stellte er fest, dass ein Gestaltungsmissbrauch nicht notwendigerweise eine Beteiligung von Inländern voraussetze und seine im Monaco-Urteil geäußerten Bedenken insoweit keine abschließende Meinungsbildung dargestellt hätten. Als Konsequenz aus der Anwendbarkeit von § 42 AO prüfte der BFH im Weiteren in Anlehnung an die allgemeine Missbrauchsrechtsprechung, ob eine rechtliche Gestaltung gewählt wurde, die zur Erreichung des angestrebten wirtschaftlichen Ziels unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist. Eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit bzw. deren Fehlen sah der BFH dabei als ein gewichtiges Indiz für oder gegen eine ungewöhnliche Gestaltung44 bzw. für oder gegen wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Einschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft an. Ein Gestaltungsmissbrauch sei allerdings auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die zwischengeschaltete Kapitalgesellschaft eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe. Entscheidend sei, ob die ausländische Kapitalgesellschaft unternehmerisches Risiko trage. Dabei sei Voraussetzung, dass unternehmerische, insbesondere über bloße Verwaltungs- und Rechtshandlungen hinausgehende Aktivitäten entfaltet werden. g) Das Steueränderungsgesetz vom 20.12.2001 Durch das Steueränderungsgesetz vom 20.12.200145 wurde nur die ParagrafenReihenfolge des § 50d EStG geändert. Der bisherige § 50d Abs. 1a EStG wurde zu § 50d Abs. 3 EStG. Im Übrigen blieb die bisherige Regelung des § 50d Abs. 1a EStG unverändert. Die neue Stellung der Vorschrift sollte laut der Gesetzesbegründung46 deutlich machen, dass der Ausschluss der Kapitalertragsteuererstattung in den Fällen des bisherigen § 50d Abs. 1a EStG sowohl in den Fällen des § 50d Abs. 1 als auch in den Fällen des § 50d Abs. 2 EStG gilt.

44 Höppner, IWB 1998, S. 653 (658) kritisiert, dass nach dem BFH das Fehlen einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer „ungewöhnlichen Gestaltung“ ist. Er hält den Begriff der ungewöhnlichen Gestaltung für verwirrend und unnötig. Außerdem könne aus einer eigenen Wirtschaftstätigkeit nicht zwingend auf das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe geschlossen werden. 45 Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 20.12.2001, BStBl. I 2001, S. 3794. 46 Vgl. Bericht des Finanzausschusses vom 8.11.2001, BT-Drs. 14/7341.

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h) Die sog. „Hilversum I-Entscheidung“ Eine weitere wichtige47 Entscheidung im Rahmen der Treaty Shopping-Rechtsprechung stellt die sog. „Hilversum I-Entscheidung“ vom 20.3.2002 dar.48 Diese betraf erstmals einen Zeitraum, in dem die mit Wirkung ab 1.1.1994 neu geschaffene Regelung des § 50d Abs. 1a EStG galt. Nachdem durch Einführung des § 50d Abs. 1a EStG und die Rechtsprechung des BFH in der Anti-Monaco-Entscheidung endgültig feststand, dass die Basisgesellschaftenrechtsprechung des BFH auch auf die Einschaltung ausländischer Kapitalgesellschaften durch Steuerausländer anzuwenden ist, ging es in der Hilversum I-Entscheidung neben einzelnen Auslegungsfragen zu § 50d Abs. 1a EStG im Wesentlichen um die Frage, welche Substanzvoraussetzungen eine von Steuerausländern zwischengeschaltete ausländische Kapitalgesellschaft zu erfüllen hat. Klägerin war eine niederländische B.V., die einer deutschen GmbH vergleichbar ist. Die in Hilversum, einem Zentrum der Film- und Fernsehproduktion in den Niederlanden, ansässige Klägerin hielt sämtliche Geschäftsanteile an einer deutschen GmbH; weitere Tätigkeiten übte sie nicht aus, auch hielt sie keine weiteren Beteiligungen. Muttergesellschaft der Klägerin war eine auf den Bermudas ansässige Holdinggesellschaft (G-Ltd.), deren Gesellschafter zu 85 % auf den Bermudas und zu jeweils 7,5 % in den USA bzw. Australien ansässig waren. Die G-Ltd. hielt neben den Anteilen an der Klägerin weitere Beteiligungen an niederländischen Tochtergesellschaften, die eigene, aktive wirtschaftliche Tätigkeiten ausübten. Die Klägerin selbst verfügte weder über eigene Geschäftsräume noch einen eigenen Telefon- oder Faxanschluss, sondern nutzte die Geschäftsräume einer Schwestergesellschaft; sie wurde ebenso wie mehrere Schwestergesellschaften von einem in den Niederlanden ansässigen Mehrfachgeschäftsführer geleitet und verfügte über kein weiteres Personal. Innerhalb der G-Gruppe, die auf dem Unterhaltungssektor tätig war, fungierte die Klägerin ihrem Gesellschaftsvertrag nach u. a. auf dem Gebiet der Verwaltung, der Kapitalanlage und der Finanzierung einschließlich des Erwerbs, der Verwaltung und Veräußerung von beweglichem und unbeweglichem Vermögen sowohl auf eigene als auch auf fremde Rechnung. Der BFH lehnte die nach § 44d Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Abs. 2 EStG 1990 beantragte teilweise Kapitalertragsteuererstattung mit der Begründung ab, dass es sich bei der Klägerin um eine „letztlich funktionslose sog. Basisgesellschaft“ gehandelt habe.

47 Jacok/Klein, IStR 2002, S. 600 bezeichnen diese als „Schulfall des Treaty Shopping“ und als „Meilenstein“. 48 BFH v. 20.3.2002, I R 38/00, BStBl. II 2002, S. 819.

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Ohne sich abschließend zum umstrittenen Konkurrenzverhältnis zwischen § 42 AO und § 50d Abs. 1a EStG zu äußern, sah der BFH die tatbestandlichen Voraussetzungen beider Normen als erfüllt an. Entscheidend war aus Sicht des BFH, dass die Klägerin über keinerlei Substanz verfügte, also weder eigene Geschäftsräume noch eigenes Personal besaß. Allein dieser Umstand rechtfertige die Vermutung, dass die Zwischenschaltung der Klägerin lediglich formaler Natur war.49 Die von der Klägerin vorgebrachten Gründe wie z. B. Gründe der Koordination und der Organisation, des Aufbaus von Kundenbeziehungen, der Kosten, der örtlichen Präferenzen und der gesamtunternehmerischen Konzeption vermochten diese Vermutung nicht zu widerlegen oder zu entkräften. Sie waren nach Ansicht des BFH nicht geeignet, aussagekräftig zu erklären, warum die Einschaltung speziell der Klägerin als einer funktionslosen Briefkastengesellschaft aus wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründen geboten war. Zudem sah der BFH im bloßen Halten einer Beteiligung ohne Ausübung einer geschäftsleitenden Funktion gegenüber der Beteiligungsgesellschaft keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin. Damit bestätigte der BFH seine restriktive Rechtsprechung zu Holdinggesellschaften, wonach zur Bejahung eines wirtschaftlichen Grundes für deren Einschaltung neben dem Erwerb von Beteiligungen von einigem Gewicht auch die Wahrnehmung geschäftsleitender Funktionen erforderlich ist. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass der BFH anders als das FG Köln in der Vorinstanz dem Umstand keine Bedeutung beimaß, dass ebenfalls in den Niederlanden ansässige Schwestergesellschaften der Klägerin existierten, deren eigene wirtschaftliche Tätigkeit wohl ausgereicht hätte, wenn sie und nicht die Klägerin die Beteiligung an der deutschen GmbH gehalten hätten. Daraus wurde geschlussfolgert, dass der BFH isoliert die antragstellende Gesellschaft betrachtet und die Tätigkeit anderer Konzerngesellschaften nicht zugerechnet werden kann.50 Der BFH kam des Weiteren zu dem Ergebnis, dass im entschiedenen Fall die Rechtsfolgen gleich sind, unabhängig davon, ob § 50d Abs. 1a EStG oder § 42 AO angewendet wird. Während nach § 42 AO eine Zurechnung der ausgeschütteten Dividenden an die nicht-erstattungsberechigte G-Ltd. erfolgen zu erfolgen hätte, ergäbe sich aus dem Umstand, dass die Gesellschafter der Muttergesellschaft der Klägerin in den USA und Australien ansässig waren, auch im Rahmen von § 50d Abs. 1a EStG nichts anderes. Sofern feststehe, dass der unmittelbare Gesellschafter der ausländischen Zwischengesellschaft abstrakt nicht abkom49 Jacob/Klein weisen darauf hin, dass der BFH den Umfang des Geschäftsbetriebs nicht im Rahmen der eigenen Wirtschaftstätigkeit, sondern im Zusammenhang mit der Frage nach den wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründen untersucht hat, IStR 2002, S. 600 Anm. zu Hilversum I. 50 Vgl. Kaiser, IStR 2009, S. 121.

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mensberechtigt ist, komme ein Durchgriff auf tiefer gestaffelte Beteiligungsstrukturen nicht in Betracht.51 Des Weiteren betont der BFH, dass der Nachweis einer konkreten Missbrauchsabsicht weder im Rahmen von § 42 AO 1977 noch im Anwendungsbereich von § 50d Abs. 1a EStG erforderlich sei. i) Die Rechtsprechung zu den Niederländischen Stiftungen Im Jahr 2004 lag dem BFH erneut ein Fall52 vor, in dem eine niederländische Stiftung zwischen sich und deutschen Immobilienbesitz zwei niederländische BVs zwischengeschaltet hatte, die weder über eigenes Personal noch eigene Räumlichkeiten, ein Postfach oder ein Telefon verfügten und von einem Mehrfach-Geschäftsführer geleitet wurden. Die BVs hatten den Immobilienbesitz auch in diesem Fall wieder durch ein Darlehen der Stiftung finanziert und der Finanzierungsaufwand überstieg die Miteinkünfte, so dass die BVs die Feststellung negativer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Deutschland begehrten. Anders als noch in dem zuvor von ihm entschiedenen Stiftungsfall aus dem Jahr 1997 verneinte der BFH nun ebenso wie zuvor bereits das FG Münster das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs. Obwohl der BFH noch in der Hilversum I-Entscheidung eine Berücksichtigung von Aspekten der Konzernstruktur strikt abgelehnt hatte, war tragende Erwägung des neuen Stiftungsurteils, dass die zwischengeschalteten Kapitalgesellschaften innerhalb eines ansonsten aktiv tätigen Konzerns aus organisatorischen sowie haftungsrechtlichen Gründen als selbständige Projektgesellschaften ausgegliedert worden waren. Dieses Struktur- und Strategiekonzept war konzernintern durchgängig bezogen auf sämtliche Auslandsengagements im Immobilenbereich und nicht nur einzelfallbezogen verwirklicht worden. Zudem erfolgte die Auslagerung der Vermietungsaktivitäten dauerhaft und nicht einzelfallbezogen; auch erfolgte die Zwischenschaltung bereits in der Errichtungs- und nicht erst in der Vermietungsphase. Das Fehlen einer substantiellen Geschäftsausstattung trat dahinter zurück. Der BFH wies ferner darauf hin, dass die Struktur unter Beachtung der beschränkten Steuerpflicht eines Veräußerungsgewinns auch nachteilig sein kann. j) Hilversum II-Entscheidung Die sog. Hilversum II-Entscheidung aus dem Jahr 200553 betraf denselben Konzern wie die Hilversum I-Entscheidung. Ebenso wie in der Hilversum I-Ent51

Vgl. dazu Jacob/Klein, IStR 2002, S. 600 (601), Anm. zu Hilversum I. BFH v. 17.11.2004, I R 55/03, HFR 2005, S. 771; siehe dazu Ritzer/Stangl, FR 2005, S. 1063 (1066). 53 BFH v. 31.5.2005, I R 74, 88/04, BStBl. II 2006, S. 118 mit Nichtanwendungserlass. 52

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scheidung waren die Klägerinnen54 niederländische B.V.s, die sämtliche Geschäftsanteile an deutschen GmbHs hielten und eine Kapitalertragsteuererstattung begehrten. Alleinige Muttergesellschaft der Klägerinnen war eine BermudaGesellschaft, deren Anteilseigner in den USA und Australien ansässig waren. Wie in der Hilversum I-Entscheidung verfügten die Klägerinnen über keinerlei Substanz. Die einzige relevante Abweichung zu der Hilversum I-Entscheidung bestand darin, dass die Klägerinnen jeweils nicht nur die Anteile an einer deutschen GmbH hielten, sondern zudem Beteiligungen an mehreren, in anderen europäischen Staaten ansässigen Kapitalgesellschaften hielten. Dieser Entscheidung wurde eine überwältigende Aufmerksamkeit zuteil55, weil der BFH seine vielbeachtete Rechtsprechung aus dem Hilversum I-Urteil ausdrücklich aufgab. Entgegen seinen Ausführungen in dem Hilversum I-Urteil sah der BFH in der Zwischenschaltung der Klägerinnen keine bloß formale Zwischenschaltung mehr, während das Finanzgericht Köln in seiner erstinstanzlichen Entscheidung die Klage noch unter Hinweis auf die BFH-Rechtsprechung in der Hilversum I-Entscheidung abgewiesen hatte. Stattdessen spricht der BFH von „geläuterten Erkenntnissen“, die zu einer Anerkennung der Klägerinnen geführt hätten. In seiner weiteren Urteilsbegründung nimmt der BFH ausdrücklich Bezug auf das zuvor dargestellte neue Stiftungsurteil. Er sieht in dem Hilversum II-Sachverhalt eine vergleichbare Situation gegeben, da die passiven Beteiligungsaktivitäten konzernintern durchgängig in selbständige Kapitalgesellschaften ausgegliedert wurden. Er betont, dass diese konzernstrategische Ausgliederung langfristig und nicht nur zur Inanspruchnahme abkommensrechtlicher Vorteile erfolgte. Da weitere Konzerngesellschaften, die das aktive europäische Konzerngeschäft betrieben, ebenfalls in den Niederlanden und nicht in einem Drittstaat ansässig waren, ging der BFH davon aus, dass die Inanspruchnahme der Abkommensvorteile nicht die alleinige Motivation für die Einschaltung der Klägerinnen gewesen ist, da die entsprechende Entlastung auch über eine Angliederung an die aktiv tätigen Konzerngesellschaften hätte erreicht werden können. Angesichts dessen bejahte er das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe für die Einschaltung der Klägerinnen. Zum Teil wurde das Urteil dahingehend verstanden, dass der BFH zukünftig auch substanzlose ausländische Gesellschaften nicht mehr als missbräuchlich qualifizieren werde, sofern nur wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für

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Der BFH hat insoweit zwei Verfahren verbunden. Vgl. Breuninger/Schade, GmbHR 2005, S. 1375 ff.; Ritzer/Stangl, FR 2005, S. 1063 ff.; Jacob/Klein, IStR 2005, S. 711 ff.; Haarman, IStR 2005, S. 713 ff.; Schilder, BB 2005, S. 1997 f.; Lieber, IWB, F. 3a Rechtsprechung, Gr. 1, S. 1088 ff.; ders., jurisPR-SteuerR 40/2005 vom 4. Oktober 2005 Anm. 4; Kessler/Eicke, PIStB 2006, S. 23 ff. 55

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deren Zwischenschaltung vorliegen.56 Das Fehlen eines substanziellen Existenzminimums solle zwar zum Fehlen einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit, nicht aber zum Fehlen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe führen.57 Es wurde geltend gemacht, dass sich die Verwaltungspraxis des Bundeszentralamtes für Steuern bei der Ermittlung der Substanz zur Bestimmung der Abkommensberechtigung deutlich ändern müsse, wobei die Entscheidung sogar noch über die Dublin Docks-Rechtsprechung des BFH hinausgehe.58 Andere Autoren hingegen vertraten zu Recht die Auffassung, dass aus der Entscheidung nicht der Schluss gezogen werden könnte, dass künftig jede ausstattungslose ausländische Kapitalgesellschaft innerhalb eines ansonsten aktiv tätigen Konzerns vor dem Verdikt einer funktionslosen Briefkastengesellschaft gefeit ist.59 Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der BFH mit diesem Urteil nicht grundsätzlich substanzlose ausländische Gesellschaften anerkennen wollte, sondern die Anerkennung im Urteilsfall dem besonderen Umstand geschuldet war, dass aktiv tätige Konzerngesellschaften in demselben Land ansässig waren wie die streitgegenständliche ausländische Gesellschaft.60 Da solche Gesellschaften vorhanden waren, hätte die Einschaltung der Zwischenholding lediglich aus steuerlichen Gesichtspunkten, d. h. um die deutsche Kapitalertragsteuerentlastung zu erlangen, keinen Sinn gemacht.61 k) Nichtanwendungserlass vom 30. Januar 2006 Auf die Hilversum II-Entscheidung hat die Finanzverwaltung mittels eines Nichtanwendungserlasses vom 30.1.200662 reagiert, da sie entgegen dem BFH in dem Urteilsfall einen Fall des Treaty Shoppings sieht. Infolgedessen wurde dieses Urteil von der Finanzverwaltung über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht angewendet. Die Finanzverwaltung hat dieses Vorgehen damit begründet, dass § 50d Abs. 1a EStG 1990/1994 ebenso wie § 50d Abs. 3 EStG nur auf die Verhältnisse der zwischengeschalteten Gesellschaft abstellt. Die Übertragung von Merkmalen wie sie der BFH in der Hilversum II-Entscheidung vorgenommen habe, lasse sich weder aus dem Gesetzeswortlaut ableiten noch entspreche sie der in § 50d Abs. 3 EStG kodifizierten Rechtsprechung des BFH zu Basisgesellschaften.

56 Kessler/Eicke, PIStB 2006, S. 23; Schilder, BB 2005, S. 1997; siehe auch Haarman, IStR 2005, S. 720, der in der Entscheidung erhebliches Gestaltungspotential sah. 57 Vgl. Fischer in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO; § 42 AO Rz. 555. 58 Vgl. Schilder, BB 2005, S. 1997. 59 Vgl. Grotherr, IStR 2006, S. 361 (362); Jacob/Klein, IStR 2005, S. 713. 60 Vgl. Breuninger/Schade, GmbHR 2005, S. 1375 (1377); Jacob/Klein, IStR 2005, S. 710 (712); Forst/Radmer, EStB 2006, S. 384 (386). 61 Siehe dazu Anm. Gosch in BFH-PR 2005, S. 407. 62 Vgl. BMF v. 30.1.2006, IV B 1 – S 2411 – 4/06, BStBl. I 2006, S. 166.

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Ferner vertrat die Finanzverwaltung in ihrem BMF-Schreiben die Auffassung, dass § 50d Abs. 3 EStG in jedem Fall eine substantielle Geschäftsausstattung erfordere, um eine Funktionslosigkeit der Gesellschaft auszuschließen. Des Weiteren hat die Finanzverwaltung ausgeführt, dass das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe nicht ausreiche, um die Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG auszuschließen. Stattdessen soll § 50d Abs. 3 EStG nur dann nicht zur Anwendung kommen, wenn kumulativ (i) wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft vorliegen und (ii) die ausländische Gesellschaft eine eigene Wirtschaftstätigkeit ausübt. Damit hat die Finanzverwaltung eine Auslegung von § 50d Abs. 3 EStG a. F. entgegen des insoweit eindeutigen Gesetzeswortlauts vorgenommen, wonach eine Versagung der Entlastungsberechtigung sowohl das Fehlen einer eigenen Wirtschaftstätigkeit als auch das Fehlen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe voraussetzte. Zu Recht ist der letztgenannte Gesichtspunkt daher in der Literatur auf scharfe Kritik gestoßen.63 l) Änderung des § 50d Abs. 3 EStG durch das JStG 2007 Trotz des zuvor dargestellten Nichtanwendungserlasses der Finanzverwaltung sah der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Hilversum II-Entscheidung eine Notwendigkeit gegeben, § 50d Abs. 3 EStG insgesamt zu verschärfen. Im Rahmen des Jahressteuergesetzes 200764 wurde § 50d Abs. 3 EStG entsprechend geändert. Nach dem neuen Gesetzeswortlaut findet § 50d Abs. 3 EStG, soweit Personen an der ausländischen Gesellschaft beteiligt sind, denen bei unmittelbarer Beteiligung eine entsprechende Entlastung nicht zustünde, nur dann keine Anwendung, wenn für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe bestehen und die Gesellschaft mehr als 10 % ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt und die ausländische Gesellschaft mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. Des Weiteren regelt die Neufassung nun ausdrücklich, dass ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft maßgeblich sind. Organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale von Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen im Sinne von § 1 Abs. 2 AStG, sind unbeachtlich. An einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlt es, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. Die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 63 Vgl. Hergeth/Ettinger, IStR 2006, S. 307; Herlinghaus, EFG 2006, S. 898; Kessler/Eicke, PIStB 2006, S. 167; Grotherr, IStR 2006, S. 361; Lieber, IWB 2006, F. 3 Gr. 3, S. 1433; Ritzer/Stangl, FR 2006, S. 757 (758); Wiese/Süß, GmbHR 2006, S. 972. 64 Jahressteuergesetz 2007 v. 13.12.2006, BGBl. I 2006, S. 2878, Art. 1 Nr. 38.

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EStG sollen aber dann nicht gelten, wenn mit der Hauptgattung der Aktien ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet oder für die ausländische Gesellschaft die Vorschriften des Investmentsteuergesetzes Anwendung finden. Laut der Gesetzesbegründung steht die Neufassung in direktem Zusammenhang mit der Hilversum II-Entscheidung des BFH.65 Die Änderung soll eine Klarstellung bezwecken, was Sinn und Zweck der Vorschrift ist.66 Dabei lehnt sich der Gesetzgeber an die Rechtsprechung des BFH vor der Hilversum II-Entscheidung an. Es wird ausdrücklich erwähnt, dass es sich bei § 50d Abs. 3 EStG um eine Missbrauchsregelung handelt, welche Steuerplanungstechniken begegnen soll, die durch die gezielte Zwischenschaltung spezifisch ausgestalteter ausländischer Gesellschaften die Besteuerung von Dividendenausschüttungen beim Endempfänger zu umgehen suchen.67 Die Gesetzesbegründung erwähnt in diesem Zusammenhang Gesellschaften, die meist nur auf dem Papier vorhanden sind und über keine, dem Geschäftszweck angemessene Geschäftsaustattung verfügen bzw. reine Briefkastengesellschaften sind, die nicht einmal auf dem Papier existieren. Bemerkenswert ist, dass bereits in der Gesetzesbegründung weitere Verschärfungen des § 50d Abs. 3 EStG in Aussicht gestellt wurden.68 m) Die „SOPARFI“-Entscheidung des BFH Kurze Zeit nach Änderung des § 50d Abs. 3 EStG durch das Jahressteuergesetz 2007 ist die sog. „SOPARFI“-Entscheidung des BFH69 ergangen, die im Schrifttum vereinzelt zu Unrecht auch als „Hilversum III“-Entscheidung70 bezeichnet wird. Anders als den zuvor dargestellten vorangegangenen HilversumEntscheidungen lag der SOPARFI-Entscheidung aber ein ganz anderer Sachverhalt zugrunde. Im Urteilsfall hatte eine luxemburgische Aktiengesellschaft in der Rechtsform einer SOPARFI (société de participations financières) einen Antrag auf teilweise bzw. in mehreren Streitjahren auch vollständige Erstattung der deutschen Kapi65 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/2712, Begründung Nr. 38. 66 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/2712, Begründung Nr. 38. 67 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/2712, Begründung Nr. 38. 68 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/2712, Begründung Nr. 38. 69 BFH v. 29.1.2008, I R 26/06, BStBl. II 2008, S. 978. 70 Siehe IStR 2006, S. 425 „Hilversum III – die Bermuda-Fortsetzung“.

zu Art. 1 zu Art. 1 zu Art. 1 zu Art. 1

I. Einseitige deutsche Anti-Treaty-Shopping-Bestimmungen

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talertragsteuer nach § 50d Abs. 1 EStG gestellt. Die SOPARFI war auf Veranlassung einer in der Schweiz ansässigen Person durch ein luxemburgisches Treuhandunternehmen gegründet worden. Hauptgesellschafterin war eine auf den British Virgin Islands ansässige Briefkasten-Ltd. (sog. „BVI-Gesellschaft“). Die BVI-Gesellschaft wurde durch einen der Gesellschafter des luxemburgischen Treuhandunternehmens vertreten, der die restlichen Anteile direkt hielt. Die SOPARFI verfügte in den Streitjahren weder über Büroräume noch über eigenes Personal. Ihren statutarischen Sitz hatte sie in den Räumlichkeiten der luxemburgischen Treuhandgesellschaft. Die SOPARFI hielt Anteile an operativ tätigen Kapitalgesellschaften in Deutschland, der Schweiz und der Dominikanischen Republik sowie in Rumänien und Ungarn. Das FG Köln71 hatte erstinstanzlich die Ablehnung des Erstattungsanspruchs durch das Bundeszentralamt für Steuern aufgehoben. Nach Überzeugung des Gerichts war die SOPARFI im Urteilsfall als eine geschäftsleitende Holding zu qualifizieren. Ausreichend sei insoweit die Wahrnehmung einzelner Funktionen einer geschäftsleitenden Holding, wie etwa die Finanzierung mehrerer Tochtergesellschaften. Im Urteilssachverhalt habe die SOPARFI zum einen in Absprache mit dem Hauptaktionär wesentliche Konzernentscheidungen getroffen und die Konzernstrategie für die Tochtergesellschaften verbindlich vorgegeben. Dass diese Vorgaben mündlich und nicht schriftlich erfolgten, sah das Gericht als unerheblich an. Zudem habe die SOPARFI in den Streitjahren der deutschen Beteiligungsgesellschaft, später auch anderen Konzerngesellschaften Darlehen gewährt. Aufgrund dieser Umstände sah das FG Köln es als nicht maßgebend an, dass die SOPARFI über keine nachweisbare Substanz in Luxemburg verfügte. Insbesondere widersprach das FG Köln unter Hinweis auf den „eindeutigen Gesetzeswortlaut“ ausdrücklich der Auffassung der Finanzverwaltung in ihrem Nichtanwendungserlass zu der Hilversum II-Entscheidung, wonach eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit und wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für einen Entlastungsanspruch kumulativ vorliegen müssen. Der BFH hob das Urteil des FG Köln in seiner Revisionsentscheidung auf und verwies die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das FG Köln zurück.72 Zwar pflichtete der BFH den Ausführungen des FG Köln zur geschäftsleitenden Holding grundsätzlich bei. Allerdings äußerte er Zweifel daran, ob die SOPARFI tatsächlich einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgegangen ist, weil keinerlei Substanz bei der SOPARFI festgestellt worden sei und die Kapitalertragsteuererstattung zu versagen sei, wenn es sich um eine „rein künstliche Gestaltung“ handelt. Der BFH knüpfte dabei ausdrücklich an die Rechtsprechung des EuGH in der Rs. „Cadbury Schweppes“ an, wonach von einer rein künstlichen Gestaltung auszugehen ist, wenn die ausländische Gesellschaft keinerlei greif71 72

FG Köln vom 16.3.2006, 2 K 1139/02, EFG 2006, S. 896 m. Anm. Herlinghaus. BFH v. 29.1.2008, I R 26/06, BStBl. II 2008, S. 978.

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D. Doppelbesteuerungsabkommen in Inbound-Fällen

bare Substanz aufweist, also weder über Büroräume oder Personal noch über Kommunikationsmittel verfügt, und es an objektiven, von dritter Seite nachprüfbaren Anhaltspunkten fehlt, die Rückschlüsse auf ein „greifbares Vorhandensein“ der ausländischen Gesellschaft und für eine „wirkliche“ eigenwirtschaftliche Tätigkeit zulassen. Im Einzelfall könne aber Abweichendes gelten, wie regelmäßig bei Kapitalanlage- und Finanzierungsgesellschaften. Zudem bestanden nach Auffassung des BFH Zweifel, ob die konzernstrategischen Entscheidungen, die von der SOPARFI an die Beteiligungsgesellschaften vermittelt worden sein sollen, nicht in Wahrheit über diejenigen Personen weitergegeben wurden, die hinter der BVI-Gesellschaft standen. Die Revisionsentscheidung des BFH machte deutlich, dass die vereinzelt in der Literatur vertretene Einschätzung, dass der BFH nach seinem Urteil vom 31.5.2005 der Substanz nur eine untergeordnete Bedeutung beimisst, so unzutreffend war. Die SOPARFI-Entscheidung verdeutlicht vielmehr, dass das Urteil vom 31.5.2005 den besonderen Umständen des Einzelfalles geschuldet war, in dem der BFH gerade aufgrund der aktiven wirtschaftlichen Betätigung anderer Konzernunternehmen gerade keinen Missbrauch für gegeben erachtete. Im Übrigen hingegen wohnt einer ausreichenden Substanz eine erhebliche Indizwirkung inne.73 Der BFH verweist in seinem SOPARFI-Urteil ausdrücklich auf das EuGH-Urteil in der Rechtssache Cadbury Schweppes, welches seiner Ansicht nach einen Maßstab für das Anforderungsprofil enthält. Der BFH wendet sich damit gegen Ansichten in der Literatur, welche aus der Entscheidung des FG Köln sowie aus der vorangegangenen Entscheidung des BFH vom 31.5.2005 geschlussfolgert haben, dass es isoliert betrachtet auf die Substanz nicht ankommt. Keine Erwähnung findet in der Revisionsentscheidung hingegen die europarechtliche Hilfsargumentation des FG Köln, wonach vor dem Hintergrund des FG Köln keine strengeren Anforderungen an die Substanz einer zwischengeschalteten ausländischen Gesellschaft als an die einer zwischengeschalteten inländischen Gesellschaft gestellt werden dürfen. Im II. Rechtszug hat das FG Köln trotz der Hinweise des BFH seine frühere erstinstanzliche Entscheidung bestätigt74, da der erkennende Senat auch im II. Rechtszug keine hinreichende Überzeugung davon erlangt hat, dass es an einer eigenen Wirtschaftstätigkeit der SOPARFI fehlt. In seiner Urteilsbegründung lehnt das FG Köln das Vorliegen einer rein künstlichen Gestaltung aber ab. Vielmehr ist das Gericht der Auffassung, dass die SOPARFI bzw. deren Verwaltungsratsvorsitzender die der SOPARFI zugewiesene Tätigkeit – das Halten von Beteiligungen und deren Führung im Rahmen einer übergeordneten Konzernstrategie sowie deren teilweise Finanzierung – selbst und eigenverantwortlich ausgeübt hat. Der Umstand, dass der Verwaltungsratsvorsitzende sich für bestimmte Ent73 74

Vgl. Kessler/Eicke, IStR 2008, S. 364 (367). FG Köln v. 28.4.2010, 2 K 1564/08, EFG 2010, S. 2004.

I. Einseitige deutsche Anti-Treaty-Shopping-Bestimmungen

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scheidungen das Einverständnis desjenigen eingeholt hatte, auf dessen Veranlassung hin die SOPARFI ursprünglich gegründet worden war, erachtet das FG Köln als unschädlich, da diese Beeinflussung nicht „wesentlich über das gewöhnliche Maß der Beeinflussung eines Alleingesellschafters auf ,seine‘ Gesellschaft“ hinausgegangen sei. Auch das Fehlen eigener Büroräume hat das FG Köln als nicht relevant erachtet, sondern es als ausreichend erachtet, dass für die Geschäfte der Klägerin die Büroräume des Verwaltungsratsvorsitzenden genutzt wurden, zumal die Tätigkeit der Gesellschaft keinen Publikumsverkehr erforderte. n) Entsprechende Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG auf § 44a Abs. 9 EStG durch das JStG 2009 Durch das Jahressteuergesetz 2009 wurde in § 44a Abs. 9 EStG ein neuer Satz 2 aufgenommen, wonach § 50d Abs. 3 EStG im Rahmen von § 44a Abs. 9 EStG entsprechend anzuwenden ist. Als Begründung für die Anwendung von § 44a Abs. 9 EStG wird in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass die Zurechnung der Kapitalerträge bei den hinter der ausländischen Körperschaft stehenden Steuerpflichtigen nicht genügend gewährleistet sei.75 Bei Dividenden inländischer Kapitalgesellschaften würden auch die Vorschriften über die Hinzurechnungsbesteuerung die Besteuerung unbeschränkt Steuerpflichtiger nicht in ausreichendem Maße sichern. o) Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz Eine weitere Verschärfung von § 50d Abs. 3 EStG erfolgte durch das Gesetz zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung (Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz) vom 29.7.2009.76 Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 lit. f) bb) EStG wird die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, dass ausländische Gesellschaften ungeachtet des § 50d Abs. 3 EStG nur dann einen Erstattungsanspruch nach § 50d Abs. 1 EStG haben, soweit diese ausländischen Gesellschaften nachweisen, in welchen Ländern diejenigen natürlichen Personen, deren Anteil unmittelbar oder mittelbar 10 % übersteigt, ansässig sind. Die Umsetzung dieser Ermächtigung ist durch Abschnitt 1 § 2 der Steuerhinterziehungsbekämpfungsverordnung (SteuerHBekV)77 erfolgt. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 lit. f) S. 2 EStG gelten die besonderen Nachweis- und Mitwirkungspflichten aber nicht, wenn die ausländischen Gesellschaften in einem Staat ansässig sind, mit dem ein Informationsaustausch entsprechend Art. 26 OECD-MA erfolgt oder der Staat Auskünfte in einem vergleichbaren Umfang erteilt oder die Bereitschaft zu 75 76 77

Vgl. BT-Drs. 16/10189, S. 58. BGBl. I 2009, S. 3302. BGBl. I 2009, S. 3046.

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einer entsprechenden Auskunftserteilung besteht. Das Bundesministerium der Finanzen hat durch Schreiben vom 5. Januar 201078 festgestellt, dass derzeit kein Staat die Voraussetzungen für eine Maßnahme nach der SteuerHBekV erfüllt. Daher bestehen derzeit für die Steuerpflichtigen keine zusätzlichen Nachweispflichten nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 lit. f) EStG, so dass die durch die Regelung geschaffenen Probleme zumindest derzeit keine Auswirkungen haben. Sofern eine ausländische Gesellschaft hingegen in einem ausländischen Staat ansässig wäre, welcher sich auf der Liste der nicht-kooperativen Staaten befinden würde, hätte dies zur Folge, dass sie zwingend einen Nachweis über ihre Anteilseignerstruktur vorlegen müsste. Gegen eine solche Regelung werden völker-, verfassungs- und europarechtliche Bedenken vorgebracht.79 So erscheint es als unbillig, dass durch die Regelung mittelbar auch solche Gesellschafter getroffen werden, für welche der Ansässigkeitsnachweis erbracht wird. Weil die ausländische Gesellschaft selbst den Erstattungsanspruch geltend macht, wirkt sich eine nur teilweise Erstattung infolge mangelnder Nachweisführung insgesamt auf ihre Ertragssituation aus, was dann auch wieder auf die einzelnen Gesellschafter durchschlägt. Des Weiteren ist auch nicht ersichtlich, wie z. B. börsennotierte Gesellschaften, für welche anders als nach § 50d Abs. 3 S. 3 EStG keine Ausnahmeregelung besteht, diesen Nachweis erbringen sollen.80 2. Resümee Die vorstehende Darstellung hat verdeutlicht, dass es sich von Beginn der Einführung des § 50d Abs. 1a EStG an bis zur derzeitigen Fassung des § 50d Abs. 3 EStG um eine dauernde Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des BFH gehandelt hat. Dabei scheint der Gesetzgeber allein getrieben von dem Gedanken, durch die als zu liberal empfundene Rechtsprechung des BFH vermeintliche Regelungslücken schließen zu müssen. Durch seine kurzfristigen Reaktionen hat der Gesetzgeber dem BFH erst gar keine Chance gegeben, eine Rechtsprechungslinie zu entwickeln. Geradezu entlarvend ist insoweit die in der Gesetzesbegründung zum JStG 2007 enthaltene Formulierung, wonach mit weiteren Verschärfungen zu rechnen sei. Insoweit bietet § 50d Abs. 3 EStG geradezu ein Musterbeispiel für ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Rechtsprechung und Gesetzgeber, ohne dass der BFH ein solches durch besonders provokante Rechtsprechungsgrundsätze herausgefordert hätte.

78

BStBl. I 2010, S. 19. Vgl. Sinz/Kubaile, IStR 2009, S. 401; Kleinert/Göres, NJW 2009, S. 2713 (2714 f.) Geurts, DStR 2009, S. 1883 (1885 f.); Wagner, BB 2009, S. 2293; Haarmann/ Suttorp, BB 2009, S. 1275. 80 Vgl. Eilers/Dann, BB 2009, S. 2399 (2403). 79

II. Missbrauchsbekämpfungsmaßnahmen

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II. Missbrauchsbekämpfungsmaßnahmen auf Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen 1. Substanzanforderungen aufgrund völkerrechtlicher Rechtsgrundsätze bzw. eines ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalts der Doppelbesteuerungsabkommen Seit Mitte der 80er Jahre wurde in Deutschland als Reaktion auf das sog. „Monaco-Urteil“ des BFH eine intensive Diskussion darüber geführt, ob DBA unter einem allgemeinen ungeschriebenen, aus einem völkerrechtlichen Missbrauchsvorbehalt herzuleitenden Umgehungsvorbehalt stehen.81 Das Bestehen eines allgemeinen Missbrauchsvorbehalts wird auf eine allgemeine Missbilligung des Missbrauchs durch die Staaten der Völkergemeinschaft zurückgeführt.82 Als Rechtsgrundlagen für eine solche ungeschriebene Missbrauchsregelung werden insoweit das Völkergewohnheitsrecht83, der in Art. 26 Wiener Vertragskonvention genannte Grundsatz von Treu und Glauben84 sowie die von den zivilisierten Nationen anerkannten, allgemeinen Rechtsgrundsätze gem. Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des Statuts des Internationalen Gerichtshofs85 genannt. Unterschiedliche Auffassungen bestanden insbesondere hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit nationale Missbrauchsbekämpfungsregeln, insbesondere § 42 AO, im Rahmen eines solchen völkerrechtlichen Missbrauchsvorbehalts angewendet werden können. Soweit eine Anwendung von § 42 AO als zulässig erachtet wird, wird zum Teil die Ansicht vertreten, dass die Grenzen für die Anwendbarkeit von § 42 AO anders als im reinen Inlandsfall zu ziehen und am Normzweck der Abkommensvorschriften zu orientieren seien. Nach einer anderen Ansicht hingegen ist ein Umgehungsvorbehalt nicht aus einem allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz herzuleiten, sondern as einem ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt der Doppelbesteuerungsabkommen. Danach sollen die nationalen Missbrauchsregeln der Vertragsstaaten insoweit Anwendung finden, wie in den beiden Vertragsstaaten ein gleiches Grundverständnis von missbräuchlichen Gestaltungen vorherrscht. 81 Vgl. Vogel, StuW 1985, S. 369 (375 f.); Piltz, BB 1987, Beilage 14, S. 4 ff.; Becker, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-Kommentar, Grundlagen Teil 1 Abschnitt 5, Rz. 41 ff.; Fischer-Zernin, RIW 1987, S. 362; Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, S. 19 f.; Mössner, RIW 1986, S. 208 ff.; Wassermeyer, DStJG 8 (1985), S. 49 (71 f.); Merthan, RIW 1992, S. 927; Crezelius, DB 1984, S. 530 ff.; Fischer, DB 1996, S. 644 (645). 82 Vgl. Becker, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-Kommentar, Grundlagen Teil 1 Abschn. 5, Rz. 44. 83 Vgl. Becker, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-Kommentar, Grundlagen Teil 1 Abschn. 5, Rz. 45. 84 Vgl. Becker, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-Kommentar, Grundlagen Teil 1 Abschn. 5 Rz. 46. 85 Vgl. Vogel, StuW 1985, S. 369 (375 f.).

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D. Doppelbesteuerungsabkommen in Inbound-Fällen

In den Nachfolgeurteilen zu der Monaco-Entscheidung hat der BFH die Anwendbarkeit von § 42 AO auf beschränkt Steuerpflichtige ausdrücklich bejaht. Der BFH vertritt in seinen Entscheidungen die Ansicht, dass es auf den oben genannten Meinungsstreit nicht ankommt. Entscheidend sei vielmehr, dass, obwohl DBA regelmäßig gegenüber den nationalen Rechtsordnungen in sich geschlossene Rechtskreise sind, nationale Regelungen weiterhin zur Anwendung kommen, soweit Abkommen entsprechende Fragen nicht regeln.86 Da § 42 AO die Frage der Zurechnung von Einkünften betrifft, diese Frage aber in DBA nicht geregelt wird, bleibt § 42 AO daher grundsätzlich anwendbar. Der Kommentar zum OECD-Musterabkommen legt dar, dass in dieser Frage zwischen den einzelnen OECD-Mitgliedstaaten unterschiedliche Auffassungen bestehen.87 In Deutschland spielt die Bekämpfung des Abkommensmissbrauchs mittels eines ungeschriebenen völkerrechtlichen Missbrauchsvorbehalts aber keine Rolle; der BFH geht davon aus, dass § 50d Abs. 3 EStG eine Ausformung des abkommensrechtlichen Missbrauchsvorbehalts darstellt.88 2. Spezielle abkommensrechtliche Missbrauchsvorbehalte Ein Teil der von Deutschland mit anderen Staaten abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen enthält Missbrauchsvorbehalte, welche verhindern sollen, dass Personen, die nicht berechtigt sind, bestimmte Abkommensbegünstigungen in Anspruch zu nehmen, diese Begünstigungen gewährt werden. a) Konzept des Nutzungsberechtigten Zu den auf der Ebene des Abkommensrechts getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung des Abkommensmissbrauchs zählt das Konzept des Nutzungsberechtigten („Beneficial-ownership-Prinzip“).89 Das OECD-Musterabkommen sieht je86

Vgl. Füger/Rieger, IStR 1998, S. 353 (355). Vgl. Tz. 9.2 f. zu Art. 1 des Kommentar zum OECD-MA 2010; der Kommentar betreffend diese Frage wurde im Rahmen der Revision 2003 geändert: während die vorherige Fassung die Aufnahme spezieller Missbrauchregelungen in das DBA empfohlen hat, hält die Neufassung des Kommentars sowohl eine Anwendung nationaler Missbrauchsbekämpfungsvorschriften für zulässig, soweit diese Missbrauchsvorschriften Teil der grundlegenden innerstaatlichen Vorschriften zur Feststellung des Sachverhalts sind; alternativ hält der Kommentar eine Auslegung des DBA, wonach missbräuchliche Transaktionen außer Betracht zu lassen sind, auch ohne spezielle Regelung für zulässig; vgl. zum Verständnis des Kommentars Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rz. 116a ff. 88 Vgl. BFH v. 19.12.2007, I R 21/07, IStR 2008, S. 407 (408). 89 Vgl. Art. 1 Nr. 10 des OECD-Musterkommentars; das Konzept wurde durch das OECD-MA 1977 eingeführt. In der Teilrevision des Musterabkommens von 1995 wurde die Formulierung betreffend den Nutzungsberechtigten geändert, vgl. dazu Zettler, Treaty Shopping, S. 81. 87

II. Missbrauchsbekämpfungsmaßnahmen

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weils im Dividenden-, Zins-, und Lizenzgebühren-Artikel vor, dass die Abkommensvergünstigungen für Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren nur von solchen Personen in Anspruch genommen werden können, die als „Nutzungsberechtigter“ qualifizieren.90 Diese Aussage bedeutet, dass der Nutzungsberechtigte nicht zwangsläufig mit dem Empfänger der Zahlungen übereinstimmen muss. Keine Anwendung findet das Konzept des Nutzungsberechtigten hingegen im Hinblick auf Veräußerungsgewinne, für welche das Besteuerungsrecht nach dem OECD-Musterabkommen dem Ansässigkeitsstaat des Veräußerers zusteht. Rechtsdogmatisch stellt das Konzept des Nutzungsberechtigten eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass die Frage der Zurechnung von Einkünften als Grundlage der Prüfung einer Abkommensberechtigung grundsätzlich nicht im Abkommen, sondern durch die Vertragsstaaten geregelt wird.91 Für die hier zu erörternde Frage der Substanzanforderungen an ausländische Zwischengesellschaften ist insoweit die Frage von Interesse, ob mangels einer fehlenden Substanz der ausländischen Gesellschaft diese ggfs. nicht als Nutzungsberechtigter zu qualifizieren ist und ihr daher die begehrten Abkommensvorteile zu versagen sind. Eine Definition des Nutzungsberechtigten ist weder im OECD-Musterabkommen noch in dem 2003 auch in diesem Punkt erweiterten Kommentar zum Musterabkommen enthalten. Ist ein Abkommensbegriff im Abkommen selbst nicht definiert, ist dieser Begriff nach Art. 3 Abs. 2 OECD-MA grundsätzlich nach dem Recht, vorrangig dem Steuerrecht, des Anwenderstaates zu bestimmen, sofern der Abkommenszusammenhang nichts anderes erfordert. Hinsichtlich des Begriffs des Nutzungsberechtigten wird zum Teil die Ansicht vertreten, dass dieser abkommensautonom zu bestimmen ist, da der Begriff des Nutzungsberechtigten dem deutschen Steuerrecht fremd ist.92 Dieser Begriff sei gerade deshalb für die amtliche deutsche Fassung des OECD-Musterabkommens gewählt worden, um Kollisionen mit dem Begriff des wirtschaftlichen Eigentümers im deutschen Steuerrecht zu vermeiden.93 Es sei daher davon auszugehen, dass der Abkommenszusammenhang eine abkommensautonome Auslegung erfordert. Nach anderer Ansicht hingegen kann der Begriff des Nutzungsberechtigten entsprechend dem innerstaatlichen Begriff des Anteilseigners im Sinne des § 20 Abs. 2a EStG ausgelegt werden.94 Dieser stelle ebenfalls nicht darauf ab, wem die Dividende zivilrechtlich oder tatsächlich zufließt, sondern wem die mitgliedschaftlichen 90 Art. 10 Abs. 2 OECD-MA 2010; Art. 11 Abs. 2 OECD-MA 2010; Art. 12 Abs. 1 OECD-MA 2010. 91 Vgl. Wassermeyer, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 10 OECD-MA Rz. 62b. 92 Vgl. Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Vor Art. 10–12 Rz. 15; Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, S. 21; Zettler, Treaty Shopping, S. 81. 93 Vgl. Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, S. 21. 94 Wassermeyer, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 10 MA Rz. 62.

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D. Doppelbesteuerungsabkommen in Inbound-Fällen

Rechte an der ausschüttenden Gesellschaft im Zeitpunkt der Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses zustehen. Das OECD-Musterabkommen selbst ist lediglich eine Grundlage für den Abschluss entsprechender Doppelbesteuerungsabkommen durch die OECD-Mitgliedstaaten. Es entfaltet nur insoweit Wirkung, als bezüglich solcher bilateraler Abkommen, die von OECD-Mitgliedstaaten untereinander abgeschlossen werden, der Kommentar zum Musterabkommen zur Lösung von Auslegungsfragen insoweit herangezogen werden kann, sofern die bilateral vereinbarte Regelung derjenigen des OECD-Musterabkommens entspricht. Die überwiegende Mehrzahl der von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen hat das Konzept des Nutzungsberechtigten übernommen. Zumeist enthalten diese Doppelbesteuerungsabkommen aber keine näheren Ausführungen zur Bestimmung der Person des Nutzungsberechtigten. Soweit einzelne Abkommen weitergehende Ausführungen zur Bestimmung der Person des Nutzungsberechtigten enthalten, liegt diesen Regelungen kein einheitliches Konzept zugrunde.95 Vielmehr weichen diese Regelungen deutlich voneinander ab. So ist nach bestimmten deutschen Doppelbesteuerungsabkommen „Nutzungsberechtigter“ die Person, der nach dem Recht des Quellenstaates die Einkünfte steuerlich zuzurechnen sind. Soweit Deutschland der Quellenstaat ist, kommen damit die Grundsätze zum wirtschaftlichen Eigentum zur Anwendung. Nach einigen anderen Abkommen wiederum ist eine Nutzungsberechtigung nur gegeben, wenn dem Empfänger der Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren die Einkünfte nach dem Steuerrecht beider Vertragsstaaten zuzurechnen sind. Die deutsche Rechtspraxis neigt dazu, für die Auslegung des Begriffs den Nutzungsberechtigten sich an den Begriff des wirtschaftlichen Eigentums anzulehnen, sofern nicht im Einzelfall eine Bindung an die ausländische Rechtsauffassung besteht. Der Kommentar zum Musterabkommen versteht den Begriff des Nutzungsberechtigten in einem weiten Sinne. Danach soll der Begriff „aus dem Zusammenhang und im Licht von Sinn und Zwecks des Abkommens einschließlich der Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Verhütung der Steuerhinterziehung und -umgehung“ zu verstehen sein.96 Aus den im Kommentar angeführten Beispielen ergibt sich, dass ein Empfänger bestimmter Zahlungen, der lediglich eine formale Position inne hat, nicht aber zugleich auch Inhaber der tatsächlichen wirtschaftlichen Verfügungsmacht ist, nicht als Nutzungsberechtigter gelten soll.97 Genannt werden in diesem Zusammenhang beispielhaft bloße Vertreter oder Beauftragte, die Zahlungen entgegen nehmen. Von der Quellensteuerbegrenzung soll nur der95

Vgl. Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, vor Art. 10–12, Rz. 15 b. Vgl. Kommentar zum OECD-Musterabkommen Art. 10 Nr. 12 ff.; Art. 11 Nr. 8 ff.; Art. 12 Nr. 4 ff.). 97 Vgl. Krabbe, OECD-Musterabkommen 2003, IStR 2003, S. 253 (257). 96

II. Missbrauchsbekämpfungsmaßnahmen

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jenige profitieren, der „in Wirklichkeit in den Genuss der fraglichen Einkünfte kommt“. Aus diesem Grund sollen auch „Durchlaufgesellschaften“ nicht als Nutzungsberechtigte anzusehen sein, wenn sie praktisch sehr enge Befugnisse haben, die sie in Bezug auf die fraglichen Einkünfte nur zu einem für Rechnung der interessierten Parteien handelnden Treuhänder oder Verwalter machen. Allerdings soll der Umstand, dass eine Gesellschaft im Wesentlichen Vermögensgegenstände hält, allein kein ausreichender Indikator sein. Aus deutscher Sicht entsprechen diese Ausführungen nicht in vollem Umfang der deutschen Rechtslage.98 So hat der BFH klargestellt, dass eine Kapitalgesellschaft bei Verwirklichung ihres Gesellschaftszwecks nicht als Treuhänder ihrer Gesellschafter anzusehen ist.99 Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass die Anwendung des Konzeptes des Nutzungsberechtigten in der Praxis auf erhebliche Schwierigkeiten trifft. Gerade in denjenigen Fällen, in denen die die Quellensteuerermäßigung begehrende ausländische Gesellschaft eine 100 %-Tochtergesellschaft einer in einem dritten Staat ansässigen ausländischen Gesellschaft ist, wird es aus Sicht des Quellenstaates häufig nicht möglich sein, die fehlenden Befugnisse der die Erstattung begehrenden Gesellschaft nachzuweisen. Weder die gesellschaftsrechtliche Beherrschung noch die Ausschüttung aller Gewinne an ihre Gesellschafter können allein ausreichend sein, um die die Zahlungen empfangende ausländische Gesellschaft nicht als Nutzungsberechtigte anzusehen. Vogel führt aber aus, dass im konkreten Fall einer Gesellschaft, die faktisch voll an die Entscheidung eines beherrschenden Gesellschafters über die Nutzung bestimmter Wirtschaftsgüter und über die Verwendung der Erträge gebunden ist, die Nutzungsberechtigung fehlen könne.100 Es müssten dann aber – über den 100 %-Anteilsbesitz hinaus – Indizien hinzukommen, dass die Geschäftsführung nur nach dem Willen des beherrschenden Gesellschafters entscheiden kann. Worin solche Indizien bestehen könnten, lässt Vogel offen. In der Praxis wird die Finanzverwaltung aber nur in ganz besonders gelagerten Fällen auf solche Indizien zurückgreifen könne. Im Regelfall hingegen werden ihr schon die entsprechenden Informationen fehlen. Zu Recht vertritt Fischer101 die Ansicht, dass diese Aussagen von Vogel weder rechtlich zwingend noch praktikabel seien. Er spricht sich dafür aus, dass danach zu unterscheiden ist, ob ein für die Treuhand typischer rechtlicher Anspruch auf (Rück-)Übertragung von Erträgen und Vermögen unabhängig von den Regularien der handelsrechtlichen Gewinnausschüttung besteht. In der Praxis wird sich dies 98

Vgl. Krabbe, OECD-Musterabkommen 2003, IStR 2003, S. 253 (257). BFH, DB 1975, S. 1056 (entgegen BFH, BStBl. II 1971, S. 721), wo er ausführte: „Der erkennende Senat hätte Bedenken, einen Gesellschaftsvertrag deshalb als Treuhandvertrag zu behandeln, weil die Gesellschafter in Ausübung ihres beherrschenden Einflusses auf die Geschäftsführung der Gesellschafter einwirken. [. . .].“ 100 Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Vor Art. 10–12 Rz. 19. 101 Vgl. Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 39 AO Rz. 204. 99

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D. Doppelbesteuerungsabkommen in Inbound-Fällen

häufig nicht nachweisen lassen. Diese Schwäche des Konzeptes des Nutzungsberechtigten wurde auch auf Seiten der OECD bereits früh erkannt. Der Bericht „Double taxation conventions and the use of conduit companies“ führt dazu aus:102 „This examination will in any case be highly burdensome for the country of source and not even the country of residence of the conduit company may have the necessary information regarding the shareholders of the conduit company, the company’s relationships to the shareholders or other interested parties or the decision-making process of the conduit company.“

Es kann daher festgestellt werden, dass zwar in Einzelfällen eine Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren empfangende Gesellschaft mglw. nicht als Nutzungsberechtigter anzusehen sein kann. Allerdings wird sich dies im Einzelfall seitens der Finanzverwaltung nur sehr schwer nachweisen lassen. Insoweit stellt das Konzept des Nutzungsberechtigten nur eine Ergänzung weiterer Konzepte dar, ohne dieses Problemfeld abschließend zu regeln. b) LOB-Klausel des DBA-USA aa) Vorbemerkung Das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten abgeschlossene Doppelbesteuerungsabkommen enthält in Art. 28103 umfassende Vorschriften gegen den Missbrauch des Abkommens. Die für im Wege des Quellenabzugs erhobene Steuern seit 1.1.2007 geltende Regelung wurde im Rahmen einer umfangreichen Revision des aus dem Jahr 1989 stammenden Doppelbesteuerungsabkommens durch das am 1. Juni 2006 abgeschlossene Änderungsprotokoll104 eingeführt. Der enorme Umfang und die aus der Komplexität dieser so genannten Limitation on benefits-Klausel folgenden Schwierigkeiten der praktischen Handhabbarkeit werden in der Literatur vielfach beklagt.105 Eine derart umfassende Abkommensklausel stellt ein Novum und auch eine Einmaligkeit in der bisherigen Abkommenspraxis der Bundesrepublik Deutschland dar. Die erweiterte Missbrauchsklausel steht in Zusammenhang mit der Einführung eines Null-Quellensteuersatzes auf Dividenden, der unmittelbarer Anlass der Abkommensrevision war.106 Insbesondere aufgrund des Umstandes, dass der Quellensteuersatz von 0 % von den USA (noch) nicht gegenüber allen Staaten, mit denen 102 OECD, Issues in International Taxation, No. 1, International Tax Avoidance and Evasion – Four Related Studies, Paris 1987, S. 93. 103 In der Fassung der Neubekanntmachung vom 4. Juni 2008, BGBl. II 2008, S. 611, berichtigt BGBl. II 2008, S. 851; BStBl. I 2008, S. 783. 104 Änderungsprotokoll vom 1. Juni 2006, BStBl. I 2008, S. 766. 105 Vgl. z. B. Wolff/Eimermann, IStR 2006, S. 837 ff. 106 Vgl. Kreienbaum/Nürnberger, IStR 2006, S. 806.

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ein DBA besteht, durchgesetzt wurde107, werden besondere Maßnahmen zur Verhinderung eines Abkommensmissbrauchs getroffen.108 Die Vereinbarung derartiger Schranken für die Gewährung von Abkommensvergünstigungen entspricht der gängigen US-Abkommenspraxis.109 Die Aufnahme derartiger Bestimmungen in die DBA gilt in den USA als nicht verhandelbar.110 Ähnliche Klauseln sind in allen Abkommen und Revisionsprotokollen enthalten, welche die USA in den letzten Jahren abgeschlossen haben.111 Das überarbeitete US-MA vom 15.11.2006 enthält – wie auch schon dessen Vorgänger – in seinem Art. 22 umfangreiche Regelungen zu den Limitation on Benefits, die immer weiter verfeinert wurden.112 Mit diesen Klauseln wollen die USA verhindern, dass in Drittstaaten ansässige Personen Vergünstigungen erlangen, die ihnen aus eigenem Recht nicht zustehen.113 Im Vergleich zu dem Abkommentext von 1989 ist Art. 28 in der Fassung des Änderungsprotokolls wesentlich überarbeitet und erweitert worden.114 bb) Konzept der LOB-Klausel Gesetzessystematisch stellt Art. 28 DBA-USA die Gewährung sämtlicher Vergünstigungen (d. h. z. B. auch von Veräußerungsgewinnen, welche von § 50d Abs. 3 EStG nicht erfasst werden, siehe dazu unten) des Abkommens unter den Vorbehalt, dass eine in einem der Vertragsstaaten ansässige Person, welche von dem Abkommen gewährte Begünstigungen in Anspruch nehmen möchte, eine „berechtigte Person“ im Sinne von Art. 28 Abs. 2 DBA-USA ist. Ist eine in ei107 Die Einführung des Null-Steuersatzes liegt insbesondere im Interesse der USA. Durch die Einführung des Null-Steuersatzes werden wirtschaftliche Investitionen deutscher Unternehmen in den USA steuerlich begünstigt. Ohne den Null-Steuersatz würde die US-Quellensteuer für deutsche Kapitalgesellschaften aufgrund der Steuerfreistellung der Dividenden nach § 8b Abs. 1 KStG eine Defintivbelastung darstellen. Für USUnternehmen führt der Nullsteuersatz im Hinblick auf ihre deutschen Tochtergesellschaften zu keiner steuerlichen Entlastung, da in den USA das Anrechnungsverfahren gilt, die deutsche Quellensteuer also auf die Steuerschuld des amerikanischen Unternehmens in den USA angerechnet wird. Sofern kein Fall eines Anrechnungsüberhangs gegeben ist, wird durch den Null-Steuersatz allein die in den USA anzurechnende Steuer vermindert, vgl. dazu Kessler/Eicke, IStR 2007, 159 (161); Kreienbaum/Nürnberger, IStR 2006, S. 806. 108 Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, S. 1439 (1440); Endres/Wolff, IStR 2006, S. 721 (722). 109 Vgl. Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, DBA-USA, Art. 28 Rz. 1. 110 Vgl. Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, DBA-USA, Art. 28 Rz. 1; Jacob, IStR 2011, S. 45 (46). 111 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 2; zum US-Musterabkommen vgl. Kessler/Eicke, IStR 2007, S. 159. 112 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 2. 113 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 2. 114 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 4.

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nem der Vertragsstaaten ansässige Gesellschaft keine „berechtigte Person“, so kann sie dennoch Abkommensvorteile in Anspruch nehmen, wenn sie diese von ihren Gesellschaftern ableiten kann. Darüber hinaus kann eine Gesellschaft die Abkommensvorteile auch dann in Anspruch nehmen, wenn sie selbst eine gewerbliche Tätigkeit ausübt. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Abkommensvorteile sind als „safe harbors“ für solche Gestaltungen geregelt, die nicht im Verdacht des „treaty shopping“ stehen und daher vom Abkommen profitieren sollen.115 Erfüllt eine in einem der Vertragsstaaten ansässige Gesellschaft keinen der vorgenannten Tests, kann ihr die Abkommensberechtigung durch eine Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde im Einzelfall zugesprochen werden. (1) Der Börsenhandelstest („publicly-traded corporation test“ bzw. „international headquarter test“) (a) Ausländische Gesellschaft selbst ist börsennotiert Nach Art. 28 Abs. 2 lit. c) aa) DBA-USA qualifiziert eine Gesellschaft als berechtigte Person, wenn ihre Hauptaktiengattung (und alle Vorzugsaktiengattungen) regelmäßig an einer oder mehreren anerkannten Börsen gehandelt wird und entweder ihre Hauptaktiengattung an einer in ihrem Ansässigkeitsstaat gelegenen Börse gehandelt wird oder der hauptsächliche Ort der Geschäftsführung und Überwachung der Gesellschaft sich in ihrem Ansässigkeitsstaat befindet. Der hauptsächliche Ort der Geschäftsführung und Überwachung ist nach Art. 28 Abs. 8 d) DBA-USA dort, wo für die Mehrzahl (relativ) der strategie-, finanzund geschäftspolitischen Entscheidungen durch die leitenden Angestellten und Mitarbeiter der Geschäftsführung die „laufende Verantwortung“ getragen wird. Maßgeblich soll sein, dass daneben auch die zur Vorbereitung und Herbeiführung dieser Entscheidungen erforderlichen laufenden Tätigkeiten in dem jeweiligen Staat ausgeübt werden müssen.116 Der Begriff der laufenden Verantwortung zeigt, dass es nicht um den Ort geht, an dem Meetings abgehalten werden, sondern um den Ort, an dem der relevante Personenkreis überwiegend handelt.117 Dieses Erfordernis zielt wohl darauf ab, zu verhindern, dass eine substanzlose Gesellschaft deshalb anzuerkennen wäre, weil die Mitglieder der Geschäftsführung zwar ihre Meetings im Ansässigkeitsstaat durchführen, im Übrigen aber im Ausland leben und nur zu diesen Meetings anreisen.118 115 Vgl. Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rz. 4; Kärgel, Steuerrechtliche Anti-Missbrauchs-Regeln in Konflikt mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 190. 116 Vgl. Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1971). 117 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 43. 118 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 43.

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(b) Ausländische (Aktien-)Gesellschaft ist Tochtergesellschaft börsennotierter Gesellschaft(en) Abweichend von der Fassung des Abkommens aus dem Jahr 1989 können nach Art. 28 Abs. 2 lit. c) bb) DBA-USA auch Tochtergesellschaften börsennotierter Gesellschaften „berechtigte Personen“ im Sinne des Abkommens sein. Das setzt voraus, dass Aktien dieser Tochtergesellschaften, die mindestens 50 % der gesamten Stimmrechte darstellen, unmittelbar oder mittelbar von maximal fünf Gesellschaften gehalten werden, die selbst börsennotierte Gesellschaften im vorgenannten Sinne sind. Von wem die übrigen Anteile gehalten werden, ist irrelevant, sofern die vorstehende Bedingung erfüllt wird.119 In welchem der Vertragsstaaten die börsennotierten Muttergesellschaften anwesend sind, ist unbeachtlich. Begünstigt sind damit auch sog. Sandwichstrukturen, bei denen z. B. eine in Deutschland ansässige Gesellschaft Anteile an einer ebenfalls in Deutschland ansässigen Gesellschaft z. B. im Rahmen eines Joint Ventures über eine in den USA ansässige Kapitalgesellschaft hält.120 Zwar sagt der Abkommenstext nichts über die Frage der Ansässigkeit der börsennotierten Muttergesellschaft aus. Das vorstehende Ergebnis lässt sich aber aus der Regelung zu mittelbaren Beteiligungen ableiten.121 Danach sind mittelbare Beteiligungen börsennotierter Muttergesellschaften nur zu berücksichtigen, wenn die die Beteiligungen vermittelnden Gesellschaften ebenfalls in einem der Vertragsstaaten ansässig sind. Es würde dann aber keinen Sinn machen, an die Muttergesellschaft höhere Anforderungen zu stellen.122 Werden die Aktien an der die Begünstigung begehrenden Gesellschaft nur mittelbar von einer börsennotierten Gesellschaft gehalten, so muss jede zwischengeschaltete Gesellschaft in einem der beiden Vertragsstaaten ansässig sein.123 Das vorstehend dargestellte Konzept geht davon aus, dass die nach dem Abkommen angenommene Substanz bestimmter börsennotierter Gesellschaften auf die die Abkommenbegünstigung anstrebende Gesellschaft „abfärbt“. Zumindest dann, wenn die börsennotierten Gesellschaften zusammen mindestens 50 % der Stimmrechte innehaben, bejaht die Regelung eine solche Abschirmwirkung. Die Zahl von fünf börsennotierten Gesellschaften scheint dabei frei gewählt zu sein. Zwar sieht auch das „einfache“ Schachtelprivileg eine Beteiligung von mindestens 10 % vor und auch die vorstehende Regelung bedeutet, dass die börsennotierten Gesellschaften im Schnitt zu mind. 10 % an der antragstellenden Gesellschaft beteiligt sind. Allerdings sagt dies noch nichts über die Beteiligungshöhe 119 120 121 122 123

Vgl. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 52. Vgl. Beispiel Nr. 5 bei Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, S. 1970 (1972). Vgl. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 52. Vgl. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 52. Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, S. 1970 (1972).

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der antragstellenden Gesellschaft an der deutschen Gesellschaft aus. Letztlich lässt aber diese Regelung das Poolen von Anteilen in substanzlosen Gesellschaften zu und erachtet dieses als unschädlich. Abweichend vom ausdrücklichen Wortlaut des deutschen Abkommenstextes wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass unter Aktien im Sinne dieser Abkommensvorschrift auch GmbH-Anteile zu verstehen seien, da der englische Begriff „shares“ nicht auf Aktien begrenzt sei, sondern ganz allgemein „Anteile“ meine.124 (2) Ownership- und Base Erosion-Test Ebenso wie der Börsenhandelstest setzt auch dieser Test bei der Person des Anteileigners der ausländischen Gesellschaft an. Neben der Person des Anteilsinhabers der ausländischen Gesellschaft stellt die Regelung des Weiteren aber auf die Verwendung des Gewinns durch die ausländische Gesellschaft ab. Die Vorschrift soll verhindern, dass eine Gesellschaft Abkommensvorteile geltend macht, die entweder von in Drittstaaten ansässigen Gesellschaftern beherrscht wird oder bei der der Gewinn durch Zahlungen an in Drittstaaten Ansässige übermäßig gemindert wird.125 Der Test setzt voraus, dass an mindestens der Hälfte der Tage des Steuerjahres mindestens 50 % jeder Aktiengattung oder des sonstigen wirtschaftlichen Eigentums an der die Dividenden empfangenden Person unmittelbar oder mittelbar von Personen gehalten werden, die selbst die Voraussetzungen von Art. 28 Abs. 2 a) (natürliche Person), b) (Gebietskörperschaft), c) aa) (Börsenhandelstest), d) (gemeinnütziger Rechtsträger) oder e) (Pensionsgesellschaft) erfüllen. Dabei ist hervorzuheben, dass die vorgenannten Personen im Rahmen dieses Tests in demselben Staat wie die die Dividenden empfangende Gesellschaft ansässig sein müssen. Gleiches gilt für den Fall, dass Beteiligungen mittelbar über eine andere Gesellschaft gehalten werden. Auch diese müssen im Vertragsstaat der die Dividenden empfangenden Gesellschaft ansässig sein. Daneben darf die die Dividenden empfangende Gesellschaft nicht mehr als 50 % ihres Rohgewinns steuerlich durch solche unmittelbaren oder mittelbaren Zahlungen mindern, die an Personen geleistet werden, „die in keinem der Vertragsstaaten ansässig sind und keinen Anspruch auf Vergünstigungen nach dem Abkommen gemäß“ Art. 28 Abs. 2 a) (natürliche Person), b) (Gebietskörperschaft), c) aa) (Börsenhandelstest), d) (gemeinnütziger Rechtsträger) oder e) (Pensionsgesellschaft) haben. Zu Recht wird in der Literatur126 geltend gemacht, 124 Vgl. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 49; Wolff/Eimermann, IStR 2006, S. 840; Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, S. 1970 (1972). 125 Dörfler/Birker, GmbHR 2006, S. 867 (868). 126 Vgl. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 92.

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dass das die beiden vorgenannten Voraussetzungen verklammernde „und“ keinen Sinn ergibt, da eine in keinem der Vertragsstaaten ansässige Person ohnehin keinen Anspruch auf Abkommensvergünstigungen hat. Es ist stattdessen davon auszugehen, dass das Wort „und“ als „oder“ zu verstehen ist, was auch der englische Wortlaut des Abkommenstextes nahe legt. Die Vorschrift erfasst sowohl Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen und Gesellschaftern wie auch gegenüber fremden Dritten.127 Die Art der schädlichen Verbindlichkeiten ist nicht eingeschränkt, die Nennung von Zinsen und Lizenzen im Abkommen hat lediglich Beispielscharakter.128 Betroffen sind alle Zahlungsempfänger außerhalb der beiden Vertragsstaaten, so dass auch Zahlungen an Empfänger in anderen EU-/EWR-Staaten als schädlich zu qualifizieren sind.129 Der Begriff des Rohgewinns ist im Abkommen nicht definiert. In der Literatur wird zur Auslegung auf § 276 HGB zurückgegriffen.130 Danach wird als Rohergebnis die Gesamtleistung eines Unternehmens abzüglich des Materialaufwands bezeichnet. (3) Derivative benefit test Nach dem derivative benefit test kann eine Gesellschaft nicht nur dann Abkommensvergünstigungen in Anspruch nehmen, wenn sie selbst als „berechtigte Person“ im vorgenannten Sinn qualifiziert, sondern auch dann, wenn ihr Gesellschafter ein „gleichberechtigt Begünstigter“ ist. Zudem muss die Gesellschaft ebenfalls die Anforderungen des base erosion-Tests erfüllen. Mit Einführung des derivative benefit-Tests haben die Vertragsstaaten auf die nach dem alten DBA USA 1989 geltende, vielfach kritisierte Rechtslage reagiert, wonach z. B. eine deutsche Gesellschaft auch dann als Durchlaufgesellschaft zu qualifizieren war (und damit nicht die Abkommensvergünstigungen in Anspruch nehmen konnte), wenn die an ihr beteiligten Gesellschafter zwar nicht in Deutschland, sondern in einem anderen Staat ansässig waren, der ein DBA mit den USA abgeschlossen hatte, das zumindest gleiche oder sogar bessere Abkommensvergünstigungen gewährte. Allerdings werden die Abkommensvorteile nach dem derivative benefit-Test nur unter strengen Voraussetzungen gewährt. Der Test ist nur erfüllt, wenn mindestens 95 % der Anteile der die Dividenden empfangenden Gesellschaft von maximal sieben gleichberechtigten Begünstigten unmittelbar oder mittelbar gehalten werden. Gleichberechtigt Begünstigte sind Anteilseigner, die in einem EU-/EWR-Mitgliedstaat oder in einem Vertragsstaat des Nordamerikanischen 127

Vgl. Dörfler/Birker, GmbHR 2006, S. 867 (868). Vgl. Dörfler/Birker, GmbHR 2006, S. 867 (869). 129 Vgl. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 94. 130 Vgl. Dörfler/Birker, GmbHR 2006, S. 867 (869); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rz. 100; Becker, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-Kommentar, Art. 28 DBA-USA Rz. 76. 128

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Freihandelsabkommens (NAFTA) ansässig sind und die im Hinblick auf die konkrete Einkunftsart, für welche die ausländische Gesellschaft Vergünstigungen beansprucht, eine vergleichbare Begünstigung beanspruchen könnten. Von besonderer Bedeutung ist, dass für Zwecke der Feststellung, ob ein Anteilseigner als „gleichberechtigt Begünstigter“ qualifiziert, diesem die von der die Dividenden empfangenden Gesellschaft an der ausschüttenden Gesellschaft gehaltenen Stimmrechte in vollem Umfang – und nicht nur quotal – zuzurechnen sind.131 Ist ein gleichberechtigt Begünstigter nur mittelbar an der ausländischen Gesellschaft beteiligt, so erfordert der derivative benefit test nicht, dass die zwischengeschalteten Beteiligten in demselben Vertragsstaat ansässig sind. Stattdessen können gleichberechtigt Begünstigte auch Beteiligungen an der die Dividenden ausschüttenden Gesellschaft mittelbar über Drittstaatengesellschaften halten. (4) Aktivitätstest/Active business test Die Abkommensvorteile werden auch den Gesellschaften gewährt, die in ihrem Ansässigkeitsstaat eine aktive gewerbliche Tätigkeit ausüben (Art. 28 Abs. 4 DBA-USA). Während die zuvor dargestellten Tests im Wesentlichen darauf abstellen, wer Anteilseigner der die Abkommensvorteile suchenden Gesellschaft ist, muss im Rahmen des Aktivitätstests die die Abkommensvorteile suchende Gesellschaft selbst bestimmte Anforderungen erfüllen. Der Aktivitätstest erfordert, dass die Gesellschaft in ihrem Ansässigkeitsstaat aktiv gewerblich tätig ist, die aus dem anderen Vertragsstaat bezogenen Einkünfte im Zusammenhang mit dieser gewerblichen Tätigkeit bezogen werden oder aus Anlass dieser Tätigkeit anfallen und die ansässige Person alle anderen Voraussetzungen für den Erhalt dieser Vergünstigungen erfüllt. Ausdrücklich ausgenommen von der aktiven gewerblichen Tätigkeit sind die Platzierung oder Verwaltung von Kapitalanlagen für eigene Rechnung, es sei denn, es handelt sich bei dieser Tätigkeit um Bank- oder Versicherungstätigkeiten oder Wertpapierhandel einer Bank oder Versicherungsgesellschaft oder eines zugelassenen Wertpapierhändlers. Was unter einer gewerblichen Tätigkeit zu verstehen ist, wird im Abkommen über die zuvor erwähnte Negativausnahme für Tätigkeiten mit Kapitalanlagecharakter selbst nicht definiert. In Übereinstimmung mit Art. 3 Abs. 2 DBA-USA ist daher auf die jeweilige Definition im nationalen Recht abzustellen.132 Für die Bestimmung des Begriffs der gewerblichen Tätigkeit wird zum Teil auf einen Notenwechsel vom 29.8.1989133 zurückgegriffen, welcher die Auslegung des Be131

Vgl. Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, S. 1970 (1975). Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 157. 133 Vereinbarungen über den Anwendungsbereich des Artikels über die Schranken für die Abkommensvergünstigungen in dem DBA vom 29. August 1989 zwischen der 132

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griffs der gewerblichen Tätigkeit im DBA-USA 1989 zum Gegenstand hat.134 Ziel dieses Notenwechsels war es, die Absicht der Verhandlungsführer bezüglich der Auslegung dieser Klausel anhand von Beispielen zu verdeutlichen. Allerdings setzen die dort genannten Beispiele in der Regel eine aktive gewerbliche Tätigkeit voraus und konzentrieren sich mehr auf die Frage, wann ein Zusammenhang zwischen dieser aktiven gewerblichen Tätigkeit und dem Bezug von Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren besteht. Zum Teil wird auch auf den Katalog des § 8 Abs. 1 AStG verwiesen.135 Ein genereller Rückgriff auf den Katalog des § 8 Abs. 1 AStG wird in der Literatur aber zu Recht abgelehnt; dieser Katalog kann allenfalls Indizcharakter haben.136 Zum Teil wird auch für das Vorliegen einer gewerblichen Tätigkeit auf § 15 Abs. 2 EStG abgestellt.137 In der Literatur wird als entscheidend angesehen, dass die Tätigkeit von der Person selbst mit eigener Organisation und eigenem Personal ausgeübt wird und dass dazu sowohl geschäftsleitende als auch operative Tätigkeiten entfaltet werden.138 Aufgrund der im Abkommenstext erfolgten ausdrücklichen Herausnahme der Verwaltung von Kapitalanlagen aus der gewerblichen Tätigkeit kann eine in einem Vertragsstaat ansässige rein vermögensverwaltende Holding die Abkommensvorteile nicht in Anspruch nehmen. Die Tätigkeit einer geschäftsleitenden Holding hingegen geht nach deutschem Verständnis über das reine Halten und Verwalten von Kapitalanlagen hinaus, so dass eine solche Gesellschaft aus deutscher Sicht die Abkommensvorteile in Anspruch nehmen könnte.139 Aus USSicht hingegen könnte auch die Tätigkeit einer geschäftsleitenden Holding als bloßes Platzieren oder Verwalten von Kapitalanlagen anzusehen sein.140 Dies bestätigen auch die Technical Explanations zum US-MA.141 Was genau eine gewerbliche Tätigkeit ausmacht, kann nur durch eine Analyse des Einzelfalls entschieden werden und ist einer abstrakten Betrachtung nicht zugänglich. Große Bedeutung kommt neben der Frage des Vorliegens einer aktiven gewerblichen Tätigkeit der Frage zu, wann die aus dem anderen Vertragsstaat bezoBundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten, BStBl. I 1991, S. 113; mittlerweile durch Art. XVII Abs. 6 des Änderungsprotokolls 2006 (BGBl. II 2006, S. 1184 ff.) aufgeboben. 134 Vgl. Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, S. 1970 (1973). 135 Arthur Andersen GmbH & Co. KG, DBA-USA, Art. 28 Rn. 39. 136 Vgl. Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, S. 1970 (1973); einen Rückgriff auf § 8 Abs. 1 AStG generell ablehnend: Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 159. 137 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 160. 138 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rz. 135. 139 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 162. 140 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rz. 136; Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 162. 141 Technical Explanations zum Änderungsprotokoll vom 18.7.2007 abrufbar unter: http://www.treas.gov/press/releases/reports/tegermany07.pdf.

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genen Einkünfte im Zusammenhang mit einer gewerblichen Tätigkeit bzw. aus Anlass einer solchen Tätigkeit bezogen werden. Das Abkommen selbst erläutert nicht, wann ein solcher Zusammenhang besteht. Auch aus deutscher Sicht gibt es keine Regelungen, wann ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Tätigkeiten besteht. Auslegungshilfe können insoweit aber die Erläuterungen in dem oben genannten Notenwechsel sein. Zwar wurde dieser Notenwechsel nicht in das Protokoll übernommen, es wird aber davon ausgegangen, dass keine andere Auslegung der neugefassten LOB-Klausel beabsichtigt war.142 In Beispiel I des Notenwechsels wird ein Zusammenhang zwischen der gewerblichen Tätigkeit einer deutschen Muttergesellschaft und den Zins- und Dividendenzahlungen ihrer 100 %-US-Tochtergesellschaft an diese Muttergesellschaft bejaht, wenn die deutsche Muttergesellschaft aktiv in der Fertigung tätig ist und die mit Eigen- und Fremdkapital ausgestattete Tochtergesellschaft die Erzeugnisse ihrer Muttergesellschaft verkauft. Ein entsprechender Zusammenhang wird auch für den Fall bejaht, dass eine US-Tochter und eine deutsche Tochter Erzeugnisse herstellen, die zum Sortiment der Gruppe gehören, und die deutsche Muttergesellschaft Forschung und Entwicklung betreibt, die beiden Gesellschaften zugute kommt, und die Gruppe leitet. Auch insoweit ergeben sich weitere Beispiele aus den Technical Explanations zum DBA-USA, welche diese Frage ausführlich erörtern. Darüber hinaus ist für den Fall, dass eine in einem der Vertragsstaaten ansässige Person oder eines ihrer verbundenen Unternehmen im anderen Vertragsstaat eine gewerbliche Tätigkeit ausübt, durch die Einkünfte erzielt werden, für diese Einkünfte eine Inanspruchnahme der Abkommensvorteile nur dann möglich, wenn die gewerbliche Tätigkeit im erstgenannten Vertragsstaat gegenüber der gewerblichen Tätigkeit im anderen Vertragsstaat erheblich ist. Diese Regelung zielt darauf ab, Gestaltungen zu vermeiden, in denen im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft diese eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung vornimmt. Als Beispiel nennen die Technical Explanations den Fall, dass eine in Deutschland ansässige Gesellschaft die Anteile an einer großen US-Fertigungsgesellschaft hält, während sie in Deutschland lediglich einen kleinen Einzelhandelsbetrieb betreibt, der Erzeugnisse der US-Tochtergesellschaft verkauft. Was genau unter „erheblich“ zu verstehen ist, wird im Abkommen nicht definiert. Als mögliche Kriterien werden in den Technical Explanations die Größe des Geschäftsbetriebes in jedem der Vertragsstaaten, die Art der Tätigkeiten, die in jedem Vertragsstaat ausgeübt werden, sowie die anteiligen Beiträge zu den jeweiligen Geschäftsbetrieben in den Staaten genannt. Des Weiteren soll bei diesen Erwägungen die relative Größe der deutschen und der US-amerikanischen Volkswirtschaft berücksichtigt werden. Bei der Prüfung, ob eine Gesellschaft in einem Vertragsstaat aktiv gewerblich tätig ist, gelten Tätigkeiten von mit dieser Gesellschaft verbundenen Personen als 142

Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 169.

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Tätigkeiten dieser Gesellschaft. Als miteinander verbunden gelten dabei Gesellschaften, wenn einer Gesellschaft Anteile gehören, die mindestens 50 % der gesamten Stimmrechte und des Werts der Gesellschaft oder des wirtschaftlichen Eigentums an der Gesellschaft darstellen. Des Weiteren gelten zwei Gesellschaften als miteinander verbunden, wenn eine dritte Gesellschaft an beiden Gesellschaften Anteile hält, die jeweils mindestens 50 % der Stimmrechte und des Werts oder des wirtschaftlichen Eigentums darstellen. Zudem gelten Unternehmen auch dann als miteinander verbunden, wenn die eine Gesellschaft die andere Gesellschaft beherrscht bzw. wenn zwei Gesellschaften von derselben Gesellschaft beherrscht werden. Allerdings sind nach allgemeiner Ansicht nur die gewerblichen Tätigkeiten solcher verbundenen Gesellschaften zuzurechen, die im Ansässigkeitsstaat der um die Abkommenvergünstigung ersuchenden Gesellschaft ausgeübt werden.143 (5) Bewertung DBA-USA Die LOB-Klausel des DBA-USA zeichnet sich in besonderem Maße durch ihre hohe Komplexität aus, welche weit über diejenige anderer LOB-Klauseln hinausgeht. Im Einzelnen ergeben sich Wertungsunterschiede zu der Regelung des § 50d Abs. 3 EStG. Zwar sieht die LOB-Klausel anders als § 50d Abs. 3 EStG auch Durchlaufgesellschaften als rechtsmissbräuchlich an. Allerdings besteht beim sog. „Durchlauftest“ wiederum die Möglichkeit, dass gleichberechtigt Begünstigte eine Beteiligung an einer ausländischer Gesellschaft mittelbar über eine Drittstaatengesellschaft halten, was bei § 50d Abs. 3 EStG grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Auch sind nach der LOB-Klausel Joint Ventures mit Drittstaatengesellschaften grundsätzlich berechtigt, die vollen Abkommensvorteile in Anspruch zu nehmen, wenn in Drittstaaten ansässige Gesellschafter nicht mehr als 50 % der Anteile halten. Nach der Regelung des § 50d Abs. 3 EStG käme insoweit hingegen nur eine anteilige Reduktion der Quellensteuer in Betracht. c) Missbrauchsregelung des DBA-Schweiz Die bis zum 31.12.2003 geltende Fassung des DBA-Schweiz enthielt eine detaillierte Missbrauchsklausel.144 In der Vergangenheit wurde das Abkommen nicht zuletzt deshalb als eines der längsten und kompliziertesten Abkommen der Welt bezeichnet.145 143

Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rz. 183. Art. 23 DBA-Schweiz 1971. 145 Vgl. Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, S. 29; Flick/Wassermeyer, DStR 1973, S. 292; der besondere Stellenwert des Abkommens sowie dessen Besonderheiten werden auch daran deutlich, dass es seit mehreren Jahrzehnten einen eigenständigen, mehrbändigen Kommentar allein zum DBA-Schweiz gibt. 144

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D. Doppelbesteuerungsabkommen in Inbound-Fällen

Die Missbrauchsklausel richtete sich ihrer Intention nach gegen „Basisgesellschaften“, die wesensmäßig keiner aktiven Geschäftstätigkeit nachgehen.146 Dadurch sollte Gesellschaften die Abkommensvergünstigung versagt werden, wenn mit diesen Gesellschaften solchen Personen Abkommensvorteile vermittelt werden sollten, denen sie nicht zugedacht waren. Die Missbrauchsklausel sah vor, dass die im Abkommen vereinbarten Quellensteuervergünstigungen für Dividenden, Lizenzen und Zinsen einer im anderen Vertragsstaat ansässigen Gesellschaft, die überwiegend von Personen beherrscht wird, die nicht im Ansässigkeitsstaat der die Vergünstigung begehrenden Gesellschaft ansässig ist, nur dann zustand, wenn diese Gesellschaft kumulativ fünf enumerativ aufgezählte Voraussetzungen erfüllte. Die kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen bezogen sich auf das Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital der Gesellschaft sowie auf die Einkünfteverwendung und das Ausschüttungsverhalten der Gesellschaft. U. a. wurde an dieser Regelung kritisiert, dass ihre umfangreiche Kasuistik die praktische Handhabung sehr erschwert hat.147 Zudem wurde geltend gemacht, dass die Regelung in vielen Fällen über das Ziel hinausgeschossen ist und auch solche Fälle erfasst hat, in denen unzweifelhaft keine missbräuchliche Gestaltung vorlag, weil die Gesellschaft eine im Geschäftsverkehr gewöhnliche Tätigkeit ausgeführt hat.148 Insoweit ist hervorzuheben, dass allein eine Ausschüttung von weniger als einem Viertel der relevanten Einkünfte zu einem Ausschluss von den Abkommensbegünstigungen geführt hat. Es wurde aber auch darauf hingewiesen, dass zumindest im Bereich der sogenannten Durchlaufgesellschaften die Regelung das Treaty Shopping-Problem gelöst hat.149 Durch das Revisionsprotokoll zum DBA-Schweiz vom 12. März 2002 wurde die detaillierte Missbrauchsregelung in Art. 23 DBA-Schweiz abgeschafft150 und durch den ausdrücklichen Hinweis ersetzt, dass die Vertragsstaaten nicht an der Anwendung innerstaatlicher Vorschriften zur Verhinderung der Steuerumgehung oder Steuerhinterziehung gehindert sind. In dem Protokoll zum Abkommen heißt es ausdrücklich, dass zwischen den Vertragsparteien Einvernehmen darüber besteht, dass die deutschen Vorschriften zur Verhinderung der Steuerumgehung die Bestimmungen des § 42 AO und des § 50d Abs. 3 EStG umfassen. In einer Botschaft des Bundesrates der Schweiz vom 8. Mai 2002 an die Bundesversammlung zum Revisionsprotokoll151 wird dargelegt, dass die bis dahin gültigen Kriterien als zu starr angesehen wurden, da auch solche Sachverhalte unter die Regelung 146

Vgl. Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, S. 29. Vgl. Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, S. 35. 148 Vgl. Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, S. 35. 149 Vgl. Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, S. 35. 150 Gesetz v. 8.2.2003 zum Revisionsprotokoll vom 12.3.2002 zum DBA v. 11.8. 1971, BStBl. I 2003, S. 165. 151 Als Auszug abgedruckt in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland–Schweiz, Art. 23 unter „Materialien“. 147

II. Missbrauchsbekämpfungsmaßnahmen

67

gefallen sind, die klarerweise keine Missbrauchsmerkmale aufgewiesen hätten. U. a. werden beispielhaft das Ausschüttungserfordernis wie auch die Weiterleitungsbeschränkung genannt, die dazu geführt hätten, dass kein Recht zur Inanspruchnahme der Abkommenvergünstigungen bestand, obwohl aufgrund der Beteiligungsverhältnisse und der Tätigkeit der Gesellschaft ein Missbrauch ausgeschlossen werden konnte. d) Sonstige abkommensrechtliche Missbrauchsregelungen Die Mehrzahl der von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen enthält keine spezielle Missbrauchsregelung.152 Ein Teil der Doppelbesteuerungsabkommen enthält gar keine Bestimmungen hinsichtlich eines etwaigen Abkommensmissbrauchs. Ein anderer Teil der Doppelbesteuerungsabkommen bestimmt ganz allgemein, dass die Vertragsstaaten ihre innerstaatlichen Missbrauchsvorschriften auch auf die Abkommensvorschriften anwenden dürfen.153 Einzelne von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossene Doppelbesteuerungsabkommen enthalten aber auch spezielle Missbrauchsklauseln.154 Insbesondere aufgrund der geringeren Bedeutung der deutschen Handelsbeziehungen zu diesen Ländern, kommt diesen speziellen Missbrauchsvorbehalten aber eine geringere Bedeutung zu als denjenigen in Art. 28 DBA-USA und Art. 23 DBASchweiz a. F. Die in diesen speziellen Missbrauchsvorschriften enthaltenen Regelungen stellen zumeist auf die Intention für die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft ab. Entscheidend ist danach für die Geltendmachung des jeweiligen Abkommensvorteils, dass es der Hauptzweck einer der beteiligten Personen war, die Abkommensvorteile zu nutzen, ohne dass für den betreffenden Geschäftsvorgang ein angemessener wirtschaftlicher Grund bestand.155 Sie versagen zumeist nicht generell die Inanspruchnahme sämtlicher Abkommensvorteile, sondern schließen im Einzelfall entweder die Anwendung einzelner oder mehrerer Quellensteuerbegrenzungen für Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren aus.156 152

Vgl. Aufzählung bei Prokisch, in: Vogel, DBA, Anhang zu Art. 1 Rz. 135. Vgl. Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Anhang zu Art. 1 Rz. 135, dort auch zu den speziellen Vorbehalten in den Doppelbesteuerungsabkommen mit Korea und Österreich; dazu auch Menhorn, IStR 2005, S. 325 (326) mit Hinweis auf Belgien, Dänemark, Schweden und Schweiz (dazu siehe zuvor). 154 Vgl. DBA Ghana, Art. 29 Abs. 2; DBA Kasachstan, Art. 28 Abs. 2; DBA Korea, Art. 27 Abs. 2; Usbekistan, Art. 28 Abs. 2; DBA Kanada, Art. 29 Abs. 3; DBA Malta, Art. 27 Abs. 2; DBA Kuwait, Art. 23; DBA Vereinigte Arabische Emirate a. F., Art. 23 (derzeit abkommensloser Zustand). 155 Vgl. Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Anhang zu Art. 1 Rz. 145. 156 Ghana: Zinsen und Lizenzgebühren; Kasachstan: Dividenden und Zinsen; Korea: Dividenden, Lizenzen, Zinsen und sonstige Einkünfte; Usbekistan: Lizenzgebühren. 153

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D. Doppelbesteuerungsabkommen in Inbound-Fällen

Eine besondere Regelung enthält Art. 29 Abs. 3 DBA-Kanada für in einem der Vertragsstaaten ansässige Gesellschaften, die aufgrund ihrer Ausländerbeherrschung einem besonders vorteilhaften Steuerregime unterliegen. Danach gilt das Abkommen nicht für in einem der Vertragsstaaten ansässige Gesellschaften, die (i) unmittelbar oder mittelbar im Eigentum einer oder mehrerer nicht in diesem Vertragsstaat ansässiger Personen stehen oder von solchen Personen beherrscht werden und (ii) einer erheblich niedrigeren Besteuerung unterliegen als wenn ihre Anteile von natürlichen Personen gehalten werden, die im Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft ansässig sind. Besonders restriktive Regelungen enthält das Doppelbesteuerungsabkommen mit Kuwait in Art. 23, welches die Abkommensvorteile auf solche in Kuwait ansässigen Gesellschaften beschränkt, die unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 51 % vom kuwaitischen Staat, dessen öffentlichen Einrichtungen oder in Kuwait ansässigen natürlichen Personen beherrscht werden. Ähnliche Regelungen enthielt das Doppelbesteuerungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, welches zum 31.12.2008 ausgelaufen ist.

E. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG Nachfolgend soll ein Überblick über die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG und den Stand der Auslegung der Regelung durch die Rechtsprechung, Finanzverwaltung und Literatur gegeben werden.

I. Der persönliche Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG 1. Allgemeines Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG gilt nur für ausländische Gesellschaften. Das ist konsequent, da wie oben dargestellt nur ausländischen Gesellschaften ein Anspruch auf Entlastung von der Kapitalertragsteuer nach § 50d Abs. 1 EStG zustehen kann. Bei im Inland ansässigen Gesellschaften wird die erhobene Kapitalertragsteuer hingegen im Rahmen der Veranlagung berücksichtigt.1 Welche Gesellschaften als „ausländische Gesellschaft“ im Sinne der Vorschrift qualifizieren, bestimmt sich nach dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen2 oder der jeweiligen EG-Richtlinie bzw. der entsprechenden deutschen Umsetzungsnorm3, welche die begehrten Vorteile gewährt. 1 Anrechnung nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V. m. § 31 Abs. 1 KStG; bei Fehlen eines entsprechenden Einkommens Erstattung nach § 37 Abs. 2 AO, siehe dazu Gosch, in: Gosch, KStG, § 8b Rz. 61. 2 Ergibt sich der begehrte Abkommensvorteil aus einem Doppelbesteuerungsabkommen, so ist für die Auslegung des Begriffs der Gesellschaft auf das jeweilige Doppelbesteuerungsabkommen abzustellen. Nach Art. 3 Abs. 1b OECD-MA sind Gesellschaften „juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden“. Die meisten deutschen DBA folgen dieser Definition. Fällt die Einordnung einer Gesellschaft durch die Vertragsstaaten unterschiedlich aus, ist nach Ansicht der deutschen Finanzverwaltung eine Einordnung nach deutschem Recht mittels einer Anwendung des Typenvergleichs vorzunehmen (BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 3 S. 3). Sofern aber die Einkünfte nach dem Recht des ausländischen Staates dort als Einkünfte einer ansässigen Person steuerpflichtig sind, ist nach Ansicht der deutschen Finanzverwaltung auch in diesen Fällen eine Entlastung zu gewähren (BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 3 S. 4). Daher sind auch ausländische Personengesellschaften, die nach ausländischem Recht als Kapitalgesellschaften behandelt werden, Gesellschaften im Sinne von § 50d Abs. 3 EStG. Ausführlich dazu Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 51. 3 Ist Grundlage für die Erstattung § 43b EStG, so ist darauf abzustellen, ob die Gesellschaft eine der in Anlage 2 zu § 43b EStG aufgeführten Rechtsformen aufweist und im Übrigen die jeweiligen weiteren Tatbestandsvoraussetzungen aufweist.

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E. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG

„Ausländisch“ sind Gesellschaften, die weder Sitz noch Geschäftsleitung im Inland haben. In Fällen der Doppelansässigkeit ist auf die Kollisionsregeln des jeweiligen DBA abzustellen.4 2. Die Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs Die Neufassung von § 50d Abs. 3 EStG enthält zwei Ausnahmetatbestände, in denen die Regelung keine Anwendung findet. a) Börsennotierte Gesellschaften Nach § 50d Abs. 3 S. 4 EStG findet die Regelung keine Anwendung, wenn mit der Hauptgattung der Aktien der ausländischen Gesellschaft ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet. Anders als nach dem neuen DBA-USA muss es sich dabei nicht zwingend um eine Börse im Ansässigkeitsstaat der ausländischen Gesellschaft handeln.5 b) Ausländische Investmentvermögen Die Regelung findet auch dann keine Anwendung, wenn für die ausländische Gesellschaft die Vorschriften des Investmentsteuergesetzes gelten.6 Die Finanzverwaltung begrenzt diese Ausnahme auf Konstruktionen, die mit einer Investmentaktiengesellschaft i. S. v. § 2 Abs. 5 InvG vergleichbar sind.7

II. Der sachliche Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG Nach § 50d Abs. 3 EStG wird einer ausländischen Gesellschaft die teilweise oder vollständige Kapitalertragsteuerentlastung nach § 50d Abs. 1 oder Abs. 2 EStG versagt, soweit Personen an der Gesellschaft beteiligt sind, denen bei unmittelbarer Erzielung der Einkünfte die Erstattung oder Freistellung nicht zustünde, und mindestens eines von drei Negativkriterien („wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen“, „nicht mehr als 10 % der Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit“, „kein angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb“) erfüllt ist. 4

BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 3. Die Finanzverwaltung verweist in ihrem BMF-Schreiben v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, in Tz. 10.1 darauf, dass unter einer „anerkannten Börse“ ein organisierter Markt i. S. v. § 2 Abs. 5 WpHG und vergleichbare Märkte mit Sitz außerhalb der EU und des EWR zu verstehen sind. 6 Zu dieser Ausnahme Rengier/Häussermann, IStR 2008, S. 679 ff. 7 BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Rz. 10.2. 5

II. Der sachliche Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG

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1. Entlastungsgegenstand Durch den ausdrücklichen Verweis auf § 50d Abs. 1 und Abs. 2 EStG versagt § 50d Abs. 3 EStG ausschließlich die teilweise oder vollständige Erstattung in Deutschland einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer oder der Abzugssteuer nach § 50a EStG.8 Die in Bezug genommenen Erstattungsansprüche basieren auf einer Begrenzung der Quellensteuersätze in einem Doppelbesteuerungsabkommen oder auf der in den §§ 43b, 50g EStG (in Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinien) vorgesehenen Quellensteuerfreiheit. Entscheidend ist daher, ob die jeweiligen Einkünfte der deutschen Kapitalertragsteuer unterlegen haben. Nach der in § 44a Abs. 5 S. 4 EStG a. F. angeordneten Abstandnahme vom Kapitalertragsteuerabzug in den Veräußerungsfällen des § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 bis 12 EStG wurden entsprechende Veräußerungsgewinne nicht von § 50d Abs. 3 EStG erfasst.9 Auch die Finanzverwaltung hat in ihrem vor der Unternehmensteuerreform 2008 ergangenen Anwendungsschreiben zu § 50d Abs. 3 EStG erklärt, dass sonstige Entlastungsansprüche, die sich aus der Zuweisung des Besteuerungsrechts nach einem DBA für andere Einkünfte wie z. B. Gewinne aus der Veräußerung von Beteiligungen ergeben, nicht in den Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG fallen.10 Die zu § 50d Abs. 1a bzw. Abs. 3 EStG a. F. geführte Diskussion, ob mangels eines ausdrücklichen Verweises auf die Quellensteuerentlastungsansprüche jegliche Abkommensvorteile von § 50d Abs. 3 EStG erfasst werden11, ist damit grundsätzlich12 obsolet geworden. § 50d Abs. 3 EStG erfasst daher insbesondere Ansprüche auf die Entlastung von Kapitalertragsteuer, die auf Dividenden, Lizenzen und Zinsen erhoben wurde. 2. Entlastungsberechtigung der Gesellschafter Die teilweise oder vollständige Versagung der Steuerentlastung erfolgt nur, wenn an der ausländischen Gesellschaft Personen beteiligt sind, denen die Ent-

8

BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 2. Vgl. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 63. 10 Vgl. BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 2 S. 3. 11 Vgl. Krabbe, IStR 1995, 382 ff. 12 In Einzelfällen kann aber nach der Änderung von § 44a Abs. 5 EStG und der damit verbundenen Neuregelung des § 43 Abs. 2 EStG durch das Jahressteuergesetz 2009 (v. 19.12.2008, BGBl. I 2008, S. 2794) hinsichtlich des Kapitalertragsteuereinbehalts etwas anderes gelten, wenn Aktien in einem inländischen Depot gehalten werden (vgl. Storg, in: Frotscher, EStG, § 43 Rz. 101; Ramackers, in: Littmann/Bitz/Pust, EStR, § 43 Rz. 170 ff.; siehe dazu auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/10189, S. 57). 9

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E. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG

lastung nicht zustünde, wenn die Einkünfte13 ihnen unmittelbar zuzurechnen wären. Diese Regelung ist von dem Gedanken getragen, dass es für die Zwischenschaltung einer ausländischen Gesellschaft andere Gründe als die Erlangung der Vorteile eines DBA oder einer EU-Richtlinie geben muss, wenn den an der ausländischen Gesellschaft beteiligten Personen auch ohne die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft ein Entlastungsanspruch in derselben Höhe zustünde. Es ist daher stets zu prüfen, ob eine fiktive Entlastungsberechtigung der an der ausländischen Gesellschaft beteiligten Person(en) besteht. Rechtstechnisch handelt es sich bei dieser Prüfung um einen Durchgriff durch die ausländische Gesellschaft auf die hinter dieser Gesellschaft stehenden Personen (look through). a) An der ausländischen Gesellschaft beteiligte Personen „Personen“ in vorgenanntem Sinne können zunächst alle Personen sein, denen ein Doppelbesteuerungsabkommen oder eine in Umsetzung einer EU-Richtlinie erlassene Norm des deutschen Steuerrechts eine Reduzierung der erhobenen deutschen Quellensteuer gewährt. Abhängig von dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen kommen als berechtigte Personen natürliche Personen, juristische Personen und selbständig abkommensberechtigte Personengesellschaften in Betracht. Sofern es um die Prüfung der fiktiven Entlastungsberechtigung in Umsetzung der Mutter-/Tochter-Richtlinie oder der Zins- und Lizenzrichtlinie geht, muss es sich bei den Personen zudem um solche Gesellschaften handeln, die in den Anlagen zu den jeweiligen Richtlinien abschließend aufgezählt sind. Darüber hinaus sollten zu diesen „Personen“ auch solche zählen, denen ein Erstattungsanspruch nach § 44a Abs. 9 EStG zusteht.14 Der Begriff der Beteiligung setzt nach herrschender Literaturansicht eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft voraus.15 Andere Rechtsbeziehungen, die keine Beteiligung darstellen (z. B. partiarische Darlehen, typisch stille Gesellschaft, Genussrechte), genügen hingegen nicht.16 Ob eine gesellschaftsrechtliche Beherrschungsmöglichkeit ohne gesellschaftsrechtliche Beteiligung genügt, ist umstritten.17

13 Zu Recht weist Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 83 darauf hin, dass es richtigerweise Zurechnung der „Einnahmen“ heißen müsste, da dem Steuerabzug die Einnahmen und nicht die Einkünfte unterliegen. 14 Vgl. Günkel/Lieber, Ubg. 2008, 383 (389). 15 Vgl. Hahn-Joecks, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rz. E 20; Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 75. 16 Vgl. Lüdicke, Treaty Shopping, S. 202 (107); Höppner, IWB F. 3 Gr. 3, S. 1153 (1158); Hahn-Joecks, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rz. E 20; Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 76. 17 Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 76.

II. Der sachliche Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG

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b) Fiktive Prüfung der Entlastungsberechtigung der beteiligten Personen Im Rahmen der Prüfung der fiktiven Entlastungsberechtigung ist für jeden Gesellschafter der antragstellenden ausländischen Gesellschaft separat zu prüfen, ob dieser bei direkter Beteiligung einen Entlastunganspruch nach § 50d Abs. 1 oder Abs. 2 EStG hätte. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Anspruch auf derselben Rechtsgrundlage wie der Anspruch der ausländischen Gesellschaft basiert, sondern nur darauf, ob irgendein Entlastungsanspruch bestünde. Kein fiktiver Entlastungsanspruch steht nach Auffassung der Finanzverwaltung18 in Deutschland ansässigen Gesellschaftern der antragstellenden ausländischen Gesellschaft zu (sog. Mäander-Strukturen), da der fiktive Entlastungsanspruch ein solcher nach § 50d Abs. 1 oder 2 EStG sein müsse.19 Einen solchen Anspruch haben im Inland ansässige Personen aber nicht, da bei ihnen die Berücksichtigung der Kapitalertragsteuer im Rahmen der Steuerveranlagung und nicht durch eine Erstattung nach § 50d EStG erfolgt. In der Literatur wird zum Teil eine teleologische Reduktion der Regelung gefordert, da der inländische Gesellschafter über § 8b KStG entlastungsberechtigt sein könne.20 In Zusammenhang mit der fiktiven Entlastungsberechtigung stellt sich die Frage, ob in mehrstöckigen Beteiligungsstrukturen, bei denen die an der antragstellenden ausländischen Gesellschaft beteiligte Person ebenfalls eine Gesellschaft ist, für die Prüfung der fiktiven Entlastungsberechtigung auch die fiktive Entlastungsberechtigung der Gesellschafter dieser Gesellschaft zu prüfen ist. Anders ausgedrückt geht es um die Frage, ob nur die Entlastungsberechtigung der unmittelbaren Gesellschafter der ausländischen Gesellschaft zu prüfen ist oder auch diejenige der mittelbaren Gesellschafter. Diese Frage hat erhebliche praktische Bedeutung, da z. B. in dem Fall, in dem Gesellschafter der ausländischen Gesellschaft eine in einem Nicht-DBA-Staat ansässige Gesellschaft ist, deren Gesellschafter selbst aber in einem Abkommensstaat ansässig sind, eine fiktive Entlastungsberechtigung der mittelbaren Gesellschafter gegeben wäre, nicht aber eine solche der unmittelbaren Gesellschafter. Die Finanzverwaltung21 lehnt ebenso wie der BFH22 entgegen vielfacher Kritik in der Literatur den Durchgriff auf mittelbare Gesellschafter zur Prüfung der

18

BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 4. Vgl. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 92. 20 Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 79; Kempf/Meyer, DStZ 2007, S. 584 (586); Günkel/Lieber, Ubg. 2008, S. 383 (384). 21 BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 4; BMF v. 10.7.2007, IV B 1 – S 2411/07/0002, IStR 2007, S. 555. 22 BFH v. 20.3.2002, I R 38/00, BStBl. II 2000, S. 819. 19

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E. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG

fiktiven Entlastungsberechtigung ab.23 Die Verwaltung beruft sich insoweit auf das Urteil des BFH vom 20.3.200224, in dessen Urteilssachverhalt die Anteile an einer deutschen GmbH von einer niederländischen BV gehalten wurden. Die Anteile an der niederländischen BV wurden von einer auf den Bermudas ansässigen Gesellschaft gehalten, an welcher zu 100 % eine aktiv tätige (und damit fiktiv entlastungsberechtigte) Schweizer AG beteiligt war. Der BFH verneinte einen Entlastungsanspruch der niederländischen BV, weil der Bermuda-Ltd. bei unmittelbarer Beteiligung kein Anspruch nach § 50d Abs. 1 oder Abs. 2 EStG zustehen würde und die niederländische BV die übrigen sachlichen Voraussetzungen von § 50d Abs. 3 EStG nicht erfüllte. Schönfeld25 geht ohne weitere Erläuterungen davon aus, dass dieses Ergebnis aus dem Wortlaut von § 50d Abs. 3 EStG folgt. Er äußert Verständnis dafür, dass der Gesetzgeber aus praktischen Gründen heraus nicht unbegrenzt bis zum Ultimate Shareholder durchschauen wollte. Soweit hingegen eine unmittelbar an der ausländischen Gesellschaft beteiligte Gesellschaft dem Grunde nach abkommensberechtigt ist, sind tiefergestaffelte Beteiligungsstrukturen auch nach Ansicht der Finanzverwaltung zu berücksichtigen.26 Das wird aus dem Prüfungsaufbau des § 50d Abs. 3 EStG hergeleitet: Im Rahmen der Prüfung, ob die an der ausländischen Gesellschaft unmittelbar beteiligte Person fiktiv entlastungsberechtigt wäre, ist für diese Person eine inzidente Prüfung der persönlichen und sachlichen Voraussetzungen von § 50d Abs. 3 EStG vorzunehmen.27 Sobald aber eine Gesellschaft in der Beteiligungskette weder in einem EU-Staat noch in einem DBA-Staat ansässig ist, wird ein Durchgriff durch diese Gesellschaft auf dahinter stehende Gesellschafter zur Ableitung einer Entlastungsberechtigung vom BFH28 wie auch der Finanzverwaltung29 für unzulässig gehalten. Maßgeblich ist dann allein, ob eine der Gesellschaften, die sich in der Beteiligungskette zwischen der in Deutschland ansässigen Gesellschaft und der in dem Nicht-DBA-Staat ansässigen Gesellschaft befindet, die sachlichen 23 Siehe dazu auch Günkel/Lieber, Ubg 2008, S. 383 f.; Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 93; Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 140 ff.; Hahn-Joecks, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rz. E 21; Wagner, in: Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 50d EStG Rz. 68. 24 BFH v. 20.3.2002, I R 38/00, BStBl. II 2000, S. 819. 25 Vgl. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 93. 26 Vgl. BMF v. 10.7.2007, IV B 1 – S 2411/07/0002, IStR 2007, S. 555; siehe dazu auch Anm. Lüdicke, IStR 2007, S. 555; Günkel/Lieber, Ubg 2008, S. 383; Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 140 ff.; Hahn-Joeck, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rz. E 21a. 27 Vgl. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 93. 28 BFH v. 20.3.2002, I R 38/00, BStBl. II 2000, S. 819. 29 Vgl. BMF v. 10.7.2007, IV B 1 – S 2411/07/0002, IStR 2007, S. 555.

II. Der sachliche Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG

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Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG erfüllt. Nur wenn dies der Fall ist, kommt eine Entlastungsberechtigung der unmittelbar an der deutschen Gesellschaft beteiligten ausländischen Gesellschaft in Betracht. Bislang noch ungeklärt ist die Frage, wie sich die Einführung von § 44a Abs. 9 EStG auf die zuvor dargestellte Prüfung auswirkt. Nach § 44a Abs. 9 EStG haben beschränkt körperschaftsteuerpflichtige Kapitalgesellschaften, wie oben dargestellt, einen Anspruch auf Erstattung von 2/5 der einbehaltenen Kapitalertragsteuer. Auf diesen Erstattungsanspruch ist § 50d Abs. 3 EStG entsprechend anzuwenden. Konsequenz einer entsprechenden Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG wäre im zuvor dargestellten Beispielsfall, dass für den Fall, dass eine in einem DBA-Staat ansässige Gesellschaft die Substanzanforderungen nicht erfüllt, zunächst auf die Ebene der in dem Nicht-DBA-Staat ansässigen Gesellschaft abzustellen wäre. Könnte auch diese die Substanzanforderungen nicht erfüllen, wäre nunmehr entgegen der Verwaltungsauffassung im BMF-Schreiben vom 3.4.2007 auf den Entlastungsanpruch der an der im Nicht-DBA-Staat ansässigen Gesellschaft beteiligten natürlichen Person abzustellen, da infolge der Einführung des § 44a EStG die Bermuda-Gesellschaft ebenfalls als abstrakt entlastungsberechtigt gilt und damit auch ein Gesellschafter der Bermuda-Gesellschaft, die weder nach einem DBA noch § 43b EStG entlastungsberechtigt ist, der niederländischen Gesellschaft einen Entlastungsanspruch vermitteln kann.30 Verlautbarungen der Finanzverwaltung zu dieser Frage gibt es aber noch keine. c) Sachliche Voraussetzungen Die Quellensteuerentlastung ist nach § 50d Abs. 3 EStG ausgeschlossen, wenn neben der fehlenden Entlastungsberechtigung des/der Gesellschafter(s) der ausländischen Gesellschaft (i) für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen, oder (ii) die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder (iii) sie nicht über eine für ihre Tätigkeit angemessene Geschäftsausstattung verfügt. Maßgeblich sollen dabei nach § 50d Abs. 3 S. 2 EStG ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft sein. Organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen, sollen insoweit außer Betracht bleiben. Seit der Änderung von § 50d Abs. 3 EStG durch das JStG 2007 reicht es für eine Versagung der Entlastungsberechtigung aus, wenn nur eines der drei gesetzlich kodifizierten Negativmerkmale erfüllt ist. Die von Grotherr vertretene Ansicht, wonach es sich bei der „oder-Verknüpfung“ in § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und

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Vgl. Günkel/Lieber, Ubg 2008, S. 383 (389).

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E. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG

2 EStG um einen redaktionellen Fehler des Gesetzgebers handelt, findet weder im Gesetzestext noch in den Gesetzesmaterialien eine ausreichende Stütze.31 Positiv formuliert bedeutet das, dass nach dem Wortlaut § 50d Abs. 3 EStG n. F. eine Entlastungsberechtigung der ausländischen Gesellschaft nur besteht, wenn die die Entlastung begehrende ausländische Gesellschaft die drei genannten sachlichen Voraussetzungen kumulativ erfüllt. Nach der bisherigen Fassung des § 50d Abs. 3 EStG a. F. genügte hingegen bereits das alternative Vorliegen einer eigener wirtschaftlichen Tätigkeit oder das Vorhandensein wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe für die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft. Die wohl überwiegende Literaturmeinung ist der Auffassung, dass sich die Einschränkung in § 50d Abs. 3 S. 2 EStG aufgrund ihrer systematischen Stellung auf alle drei Tatbestandsmerkmale bezieht.32 aa) Eigene Wirtschaftstätigkeit Ein Entlastungsanspruch der ausländischen Gesellschaft besteht nur, wenn diese mehr als 10 % ihrer Bruttoerträge aus einer eigenen Wirtschaftstätigkeit erzielt. Der Gesetzgeber zielt mit diesem Erfordernis darauf ab, solchen Gesellschaften eine Entlastung zu versagen, die entweder gar keine oder nur in einem minimalen Umfang Einkünfte aus einer aktiven Wirtschaftstätigkeit erzielen.33 Damit soll sichergestellt werden, dass nur eine ins Gewicht fallende aktive Wirtschaftstätigkeit für die Kapitalertragsteuererstattung ausreichend ist.34 Nach § 50d Abs. 3 S. 3 EStG fehlt es an einer eigenen Wirtschaftstätigkeit, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. Ob daraus der Umkehrschluss gezogen werden kann, dass alle anderen Tätigkeiten, die keine Verwaltung von Wirtschaftsgütern darstellen, als eigene Wirtschaftstätigkeit zu qualifizieren sind35, ist offen.36 31 Grotherr, IWB Fach 3 Gr. 3 S. 1445 (1455); siehe auch Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 Rz. 131. 32 Vgl. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rz. 29e; Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Tz. 173; Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 128; Hahn-Joecks, in: K/S/M Rz. E 63). A. A. Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, S. 579 (580); einschränkend auch Piltz, IStR 2007, S. 793 (796). 33 Vgl. Micker, FR 2009, S. 409 (412). 34 Vgl. Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, S. 579 (581). 35 So Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 66, 91, der argumentiert, dass es gerade nicht heißt, dass „insbesondere“ die in Abs. 3 S. 3 aufgeführten Tätigkeiten keine eigene Wirtschaftstätigkeit darstellen, woraus der Schluss gezogen werden könne, dass diese Aufzählung abschließend ist. 36 Ablehnend Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 106, der meint, dass es dem Gesetzeszweck eher entspricht, von einer nicht abschließenden Aufzählung auszugehen,

II. Der sachliche Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG

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Nach Ansicht der Finanzverwaltung setzt eine eigene Wirtschaftstätigkeit eine über den Rahmen der Vermögensverwaltung hinausgehende Teilnahme am allgemeinen Verkehr voraus.37 Obwohl das Merkmal der Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr nur in § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EStG ausdrücklich erwähnt ist, fordert die Finanzverwaltung die Erfüllung dieses Kriteriums auch für das Vorliegen einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit. Die Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr erfordert danach zum einen, dass die ausländische Gesellschaft mit Gewinnerzielungsabsicht nachhaltig an einem Güter- oder Leistungsaustausch teilnimmt.38 Des Weiteren soll eine Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft erforderlich sein, die nach außen hin in Erscheinung tritt und sich an die – wenn auch begrenzte – Allgemeinheit wendet.39 Eine eigene Wirtschaftstätigkeit sind z. B. der Kauf und Verkauf von Waren sowie die Ausübung von Dienstleistungen. Zudem ist es nach Auffassung der Finanzverwaltung erforderlich, dass die ausländische Gesellschaft in ihrem Ansässigkeitsstaat im Rahmen ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit aktiv, ständig und nachhaltig am dortigen Marktgeschehen teilnimmt.40 Als ausreichend wird insoweit aber erachtet, dass Dienstleistungen ausschließlich für andere Konzerngesellschaften gegen ein gesondertes, einem Fremdvergleich standhaltendes Entgelt erbracht werden. Nach Ansicht von Frotscher liegt eine vermögensverwaltende Tätigkeit vor, wenn die Einkünfte aus der Tätigkeit isoliert betrachtet als Einkünfte aus Kapitalvermögen oder Vermietung und Verpachtung einzuordnen sind.41 Von besonderer praktischer Relevanz ist die Frage, inwieweit die Tätigkeit von Holdinggesellschaften als eine eigene Wirtschaftstätigkeit und nicht als bloße Vermögensverwaltung zu qualifizieren ist. Die Finanzverwaltung geht in Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung davon aus, dass das bloße Halten und Verwalten von Anteilen an Gesellschaften unabhängig von der Anzahl der Gesellschaften eine reine Vermögensverwaltung und keine eigene Wirtschaftstätigkeit ist.42 Der BFH hatte in seinem Urteil vom 31.5.200543 in Bezug auf § 50d Abs. 1a EStG a. F. noch offen gelassen, ob bereits das bloße Halten von nur einer wobei er aber darauf verweist, dass es sich allenfalls um Sonderfälle handelt, die nicht unter Abs. 3 S. 3, zugleich aber auch nicht als eigene Wirtschaftstätigkeit qualifizieren. 37 BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 6.1 unter Bezugnahme auf das infolge der Entscheidung in der Rs. Cadbury Schweppes ergangene BMF-Schreiben zur Anwendung des AStG in Bezug auf Gesellschaften mit Sitz oder Ort der Geschäftsleitung in der EU oder des EWR. 38 Vgl. Nieland, in: Lademann, EStG, § 50d Rz. 267. 39 Vgl. Nieland, in: Lademann, EStG, § 50d Rz. 268. 40 BMF, Schr. v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 6.1. 41 Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 107. 42 Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 25.9.2006, BT-Drs. 16/2712, Artikel 1 Nr. 38d. 43 BFH v. 31.5.2005, I R 74, 88/04, BStBl. II 2006, S. 118.

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E. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG

Beteiligung als eine eigene Wirtschaftstätigkeit qualifiziert werden kann. Die Tätigkeit einer geschäftsleitenden Holding ist hingegen nach allgemeiner Auffassung als eine eigene Wirtschaftstätigkeit zu qualifizieren.44 Allerdings bestehen zwischen der Literatur und der Finanzverwaltung zum Teil erhebliche Differenzen hinsichtlich der Frage, welche Funktionen eine Holding ausüben muss, um als geschäftsleitende Holding zu qualifizieren.45 Nach Verwaltungsansicht übt eine Holdinggesellschaft nur dann eine eigene Wirtschaftätigkeit aus, wenn die ausländische Gesellschaft Anteile an inländischen Gesellschaften von einigem Gewicht hält, um diesen gegenüber geschäftsleitende Funktionen wahrzunehmen.46 Das bloße Ausüben der Gesellschafterrechte wird ebenso als passive Beteiligungsverwaltung qualifiziert wie die Wahrnehmung geschäftsleitender Funktionen nur gegenüber einer in einem EU-Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft.47 Offen ist aufgrund dieser Formulierung des BMFSchreibens zum einen, ob die Finanzverwaltung zwingend fordert, dass Beteiligungen an mindestes zwei inländischen Gesellschaften gehalten werden48 und zum anderen, ob es ausreicht, dass geschäftsleitende Funktionen nur gegenüber mindestens zwei (EU-/EWR-)ausländischen Gesellschaften und nicht auch gegenüber inländischen Gesellschaften ausgeübt werden.49 Für die Frage, ob es sich um eine Beteiligung von einigem Gewicht handelt, soll nicht auf die Höhe der kapitalmäßigen Beteiligung abgestellt werden, sondern darauf, ob auf das Geschäft tatsächlich Einfluss genommen werden kann. Gosch sieht in diesem Zusammenhang eine Beteiligung von mehr als 25 % als ein entsprechendes Indiz an.50 Bislang ungeklärt ist des Weiteren, wann überhaupt eine geschäftsleitende Tätigkeit vorliegt. Nach Verwaltungsauffassung übt eine Gesellschaft geschäftsleitende Funktionen durch Führungsentscheidungen aus.51 Diese sollen sich durch ihre langfristige Natur, Grundsätzlichkeit und Bedeutung auszeichnen, die sie für den Bestand der Beteiligungsgesellschaft haben.52 Davon abgegrenzt werden sol44 Vgl. z. B. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 187; Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 109; Hahn-Joecks, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rz. E 65; Nieland, in: Lademann, EStG, § 50d Rz. 258. 45 Zu den Anforderungen an eine geschäftsleitende Holding vgl. Günkel/Lieber, Ubg 2008, S. 383 (386 f.); Mihm, steueranwaltsmagazin 2007, S. 82 (84); Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 187. 46 BMF, Schr. v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 6.2. 47 BMF, Schr. v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 6.2. 48 Vgl. dazu Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 110; Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 187. 49 Vgl. dazu Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 110. 50 Vgl. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rz. 28d. 51 BMF, Schr. v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 6.3. 52 BMF, Schr. v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 6.3.

II. Der sachliche Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG

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len kurzfristige und ausführungsbezogene Entscheidungen. Die Durchführung bloß einzelner Geschäftsfunktionen wie die Lizenzverwertung und/oder die Übernahme einer Finanzierungsfunktion sollen für eine aktive Beteiligungsverwaltung nicht ausreichen. bb) 10 %-Grenze Ein Entlastungsanspruch der ausländischen Gesellschaft setzt voraus, dass diese mehr als 10 % ihrer Bruttoerträge aus einer eigenen Wirtschaftstätigkeit erzielt. Die 10 %-Grenze, welche durch das Jahressteuergesetz 2007 eingefügt wurde, soll vermeiden, dass bereits eine minimale eigene Tätigkeit ausreicht, damit der ausländischen Gesellschaft ein Entlastungsanspruch zusteht.53 Laut der Gesetzesbegründung lehnt sich die 10 %-Grenze an § 9 AStG an. Nach § 9 AStG unterliegen passive Einkünfte einer im Ausland ansässigen Gesellschaft, die mit diesen Einkünften im Ausland einer niedrigen Besteuerung unterliegt, dann nicht der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung, wenn diese passiven Einkünfte maximal 10 % der gesamten Bruttoerträge der ausländischen Gesellschaft betragen. Der Gesetzgeber sieht darin offenbar eine verallgemeinerungsfähige Unbeachtlichkeitsgrenze. Übersteigen bestimmte Einkünfte oder Erträge diese Größe nicht, sollen sie als unbeachtlich gelten. Während das Unterschreiten der 10 %-Grenze aus Sicht des Steuerpflichtigen im Rahmen von § 9 AStG positive Auswirkungen, nämlich das Entfallen der Hinzurechnungsbesteuerung, hat, wirkt sich die Unbeachtlichkeitsgrenze in § 50d Abs. 3 EStG zu seinem Nachteil aus, indem ihm die Quellensteuerentlastung versagt wird. Mit der Einfügung der Unbeachtlichkeitsgrenze hat der Gesetzgeber auf Stimmen in der Literatur reagiert, die auch bei einer nur geringfügigen eigenen wirtschaftlichen Betätigung die Anwendbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG ausschließen wollten.54 Andere Autoren55 vertraten auch vor Einfügung der 10 %-Grenze bereits die Ansicht, dass eine bloße Minimal- oder Alibitätigkeit nicht ausreicht, Frotscher56 sah die maßgebliche Grenze bei 10 % der Gesamttätigkeit.57 Auch die erste Entwurfsfassung von § 50d Abs. 1a EStG a. F. sah bereits eine solche Unbeachtlichkeitsgrenze vor, wurde aber aus Praktikabilitätsgründen im Gesetzgebungsverfahren gestrichen.58 53 Vgl. Gesetzesbegründung zu § 50d Abs. 3 EStG i. F. d. JStG 2007, Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 25.9.2006, BT-Drs. 16/2712; BMF, Schr. v. 3.4.2007, a. a. O., Tz. 7. 54 Vgl. Nachweise bei Nieland, in: Lademann, EStG, § 50d Rz. 256. 55 Vgl. Werning, in: Bordewin/Brandt, EStG, § 50d Rn. 130. 56 Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 31 (Stand September 2000). 57 Siehe zur Frage des Verhältnisses „eigene Wirtschaftstätigkeit“/„Verwaltungstätigkeit“ auch FG Köln v. 16.3.2006, 2 K 2916/02 (rkr.), EFG 2006, S. 980. 58 Vgl. BT-Drs. 12/6087, 125; siehe dazu auch Grotherr, RIW 2006, S. 898 (907).

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E. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG

Die Anknüpfung an die Bruttoerträge ermöglicht es, auf die Auslegung zu § 9 AStG zurückzugreifen, importiert aber gleichzeitig die damit verbundenen Probleme.59 In Ermangelung einer absoluten Grenze lässt der Wortlaut des § 50d Abs. 3 EStG es zu, dass eine Gesellschaft, die Millionenbeträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt, nicht zur Entlastung von Kapitalertragsteuer berechtigt ist, wenn sie sehr hohe Dividendeneinnahmen hat.60 Mit Treaty Shopping hat das nichts mehr zu tun.61 Für die Auslegung des Begriffs „Bruttoerträge“ verweist die Finanzverwaltung ebenso wie die Gesetzesbegründung auf § 9 AStG.62 Maßgebend sind danach die Solleinnahmen ohne durchlaufende Posten und ohne eine eventuell gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer.63 Der Begriff der Solleinnahmen ist nicht definiert. Damit sind aber wohl sämtliche Betriebsvermögensmehrungen gemeint.64 Im Einzelnen bestehen aber hinsichtlich des Begriffs der Bruttoerträge zahlreiche bislang ungeklärte Fragen, die damit in § 50d Abs. 3 EStG n. F. importiert werden.65 Für die Frage, ob die 10 %-Grenze gewahrt wurde, ist das Wirtschaftsjahr der ausländischen Gesellschaft relevant. Das kann zu Zufallsergebnissen mit von Jahr zu Jahr wechselnder Missbräuchlichkeit führen.66 Der Erlass zu § 50d Abs. 3 EStG n. F. enthält eine Billigkeitsregelung, welche dieses Problem ein wenig abmildert. Danach ist für die Ermittlung der 10 %-Grenze ein Drei-Jahres-Zeitraum heranzuziehen. In Bezug auf geschäftsleitende Holdings ist von entscheidender Bedeutung, ob die Dividendenerträge aus den Tochtergesellschaften stets zu den „schlechten“ Bruttoerträgen aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern gehören sollen. Das würde zu dem paradoxen Effekt führen, dass eine Holding nur so viele Beteiligungen halten dürfte wie sie schädliche Dividendenausschüttungen verkraften kann.67 Die Finanzverwaltung vertritt in dem Anwendungsschreiben zu § 50d Abs. 3 EStG zu Recht die Ansicht, dass die von einer geschäftsleitenden Holding empfangenen Dividenden zu den Erträgen aus eigener Wirtschaftstätigkeit der

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Vgl. Ritzer/Stangl, FR 2006, S. 757 (764). Vgl. Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, S. 579 (581). 61 Vgl. Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, S. 579 (581). 62 BMF, Schr. v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 7; zustimmend Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 79. 63 Vgl. BMF v. 14.5.2005, IV B 4 – S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, S. 3 – Tz. 9.0.1. 64 Vgl. Wiese/Süß, GmbHR 2006, S. 972 (974). 65 Vgl. Ritzer/Stangl, FR 2006, S. 757 (764). 66 Vgl. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d EStG Rz. 29d; Günkel/Lieber, DB 2006, S. 2197 (2198): „Missbrauch auf jährlicher Basis? Wohl kaum!“ 67 Vgl. Günkel/Lieber, DB 2006, S. 2197 (2198). 60

II. Der sachliche Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG

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ausländischen Gesellschaft zählen.68 Ungeklärt ist insoweit aber noch, ob nur solche Dividenden als aktiv zu qualifizieren sind, die aus Beteiligungsgesellschaften im Inland bzw. der EU und des EWR stammen.69 Zahlreiche Zweifelsfragen stellen sich auch im Hinblick auf die Berechnung der 10 %-Quote.70 Es kommt nach Ansicht der Finanzverwaltung nicht darauf an, ob die einzelnen Geschäftstätigkeiten, aus denen die Bruttoerträge fließen, in sachlichem Zusammenhang miteinander oder der Tätigkeit, für die die Steuerentlastung beansprucht wird, stehen.71 cc) Das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe § 50d Abs. 3 EStG versagt die Quellensteuerentlastung, wenn keine wirtschaftlichen oder72 sonst beachtlichen Gründe für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft bestehen. Mit dem Begriff der „Einschaltung“ ist nicht die Errichtung der ausländischen Gesellschaft gemeint, sondern die Einbeziehung dieser Gesellschaft in den Bezug der Einkünfte von einer deutschen Gesellschaft.73 Unklar ist, auf wessen Gründe für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft abzustellen ist. Nach § 50d Abs. 3 S. 2 EStG sind ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft maßgebend. Organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen, bleiben außer Betracht. Laut der Gesetzesbegründung ist daher allein auf die Gesellschaft abzustellen.74 Auch die Finanzverwaltung vertritt die Ansicht, dass für die Ermittlung der relevanten Gründe auf die antragstellende ausländische Gesellschaft abzustellen ist und Konzernverhältnisse außer Betracht zu lassen sind.75 Entsprechend wird in der Literatur zum Teil die Ansicht vertreten, dass Gründe der Gesellschafter der ausländischen Ge68

BMF, Schr. v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 7. Vgl. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 187. 70 Vgl. Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, S. 579 (582). 71 BMF, Schr. v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 7. 72 Zur Frage, inwieweit es sich bei der „oder“-Verknüpfung um Redaktionsversehen handelt, da auch die Finanzverwaltung davon ausgeht, dass für das Fehlen eines Missbrauchs nicht beide Voraussetzungen vorliegen müssen, sondern es reicht, wenn entweder wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe vorliegen siehe Grotherr, RIW 2007, S. 898 (906); Luckey, in: Ernst & Young, KStG, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 125. 73 Vgl. Piltz, IStR 2007, 793 (796); Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG, Rz. 122. 74 Vgl. BT-Drs. 16/2712, S. 60. 75 Vgl. BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 5. 69

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E. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG

sellschaft unbeachtlich sind.76 Nach Frotscher ergeben sich die Gründe für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft regelmäßig aus deren Funktion.77 Dem wird in der Literatur mit dem Argument entgegengetreten, dass die ausländische Gesellschaft selbst für ihre Einschaltung gar keine Gründe haben könne, sondern diese nur ihre Gesellschafter haben können.78 Würde man hingegen auf die Gründe der Gesellschaft selbst abstellen, liefe die Regelung leer. Es ist daher davon auszugehen, dass die Formulierung in § 50d Abs. 3 S. 2 EStG so zu verstehen ist, dass sich der Gesellschafter nicht auf Gründe berufen kann, die sich nur unter Einbeziehung anderer Konzerngesellschaften ergeben.79 Diese Tatbestandsvoraussetzung geht auf die oben dargestellte Basisgesellschaftenrechtsprechung des BFH zurück. Vor diesem Hintergrund entspricht es allgemeiner Ansicht in der Literatur80 sowie auch der Finanzverwaltung, dass die Rechtsprechung des BFH zum Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe für die Auslegung von § 50d Abs. 3 EStG herangezogen werden kann. Das BMF-Schreiben zu § 50d Abs. 3 EStG verweist auf das Urteil des BFH vom 24.2.197681, wonach ein wirtschaftlicher Grund insbesondere dann fehlt, wenn die ausländische Gesellschaft überwiegend der Sicherung von Inlandsvermögen in Krisenzeiten dient, für eine künftige Erbregelung oder für den Aufbau der Alterssicherung eingesetzt werden soll.82 Des Weiteren nennt das BMF-Schreiben – wie auch die Gesetzesbegründung83 – als sonst beachtliche Gründe rechtliche, politische oder religiöse Gründe. Es ist offensichtlich, dass politische, insbesondere aber religiöse Gründe, im Regelfall bei der Zwischenschaltung einer ausländischen Gesellschaft keine Rolle spielen. Keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe sollen ferner solche Umstände sein, die sich aus dem Konzernverbund ergeben wie z. B. Gründe der Koordination, der Organisation, des Aufbaus von Kundenbeziehungen, der Kosten, der örtlichen Präferenzen oder der gesamtunternehmerischen Konzeption. Im Zuge seiner Basisgesellschaftenrechtsprechung hat der BFH wirtschaftliche Gründe für die Errichtung einer Auslandsholding anerkannt, wenn die Kapitalgesellschaft die Spitze eines weltweit aufzubauenden Konzerns darstellt, sie dem 76

Vgl. Loschelder, in: Schmidt, EStG, § 50d Rz. 47. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 99, 128. 78 Dazu Piltz, IStR 2007, S. 793 (796); Luckey, in: Ernst & Young, KStG, § 50d EStG Rz. 130; Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, S. 579 (580); Nieland, in: Lademann, EStG, § 50d EStG Rz. 244. 79 Vgl. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 125. 80 Luckey, in: Ernst & Young, KStG, § 50d EStG Rz. 124; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rz. 28c. 81 BFH v. 24.2.1976, VIII R 155/71, BStBl. II 1977, S. 265. 82 Vgl. BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 5. 83 Wohl zurückgehend auf Höppner, IWB Fach 3 Gruppe 3 S. 1153 (1160). 77

II. Der sachliche Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG

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Erwerb von Beteiligungen von einigem Gewicht im Basisland oder Drittländern dient oder die Funktion hat, mehrere Tochtergesellschaften finanziell auszustatten. Das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe hat der BFH hingegen abgelehnt, wenn die Errichtung der Auslandsholding allein der Steuerersparnis dient oder den Zweck hat, inländisches Vermögen für Krisenzeiten zu sichern, im Hinblick auf eine künftige Erbregelung errichtet wurde, nur eine inländische Kapitalgesellschaft mit geschäftsleitender Funktion erworben wurde und durch Darlehen finanziert wird oder der bloßen Vermögenshaltung, der Wahrnehmung von Gesellschaftsrechten bei Tochtergesellschaften ohne geschäftsleitende Funktion dient.84 Nicht zu den wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründen zählen nach allgemeinem Verständnis (inländische85) steuerliche Gründe, weil die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG gerade bezweckt, steuermindernde Gestaltungen zu verhindern.86 Wären Gründe der Steuerersparnis anzuerkennen, liefe die Regelung weitgehend leer. Aus der Missbrauchsrechtsprechung des BFH ist kein Fall bekannt, in dem für die Einschaltung einer Zwischengesellschaft „sonst beachtliche Gründe“ bestanden.87 Piltz vertritt die Ansicht, dass auch über die in der Rechtsprechung anerkannten Gründe weitere Gründe beachtlich sind.88 So soll eine als „Vermögenssammelstelle“ errichtete ausländische Kapitalgesellschaft dann anzuerkennen sein, wenn diese im Hinblick auf den Wohnsitzwechsel eines Steuerinländers errichtet wurde und dieser Umzug auch tatsächlich erfolgt. Gleiches soll gelten, wenn die ausländische Gesellschaft als zentrale Vermögenshaltungs- und Verwaltungsstelle für ein breit gestreutes Vermögen dient. Als weitere beachtliche Gründe nennt Piltz den Wunsch von Steuerausländern nach Anonymität, den Umstand, dass eine Finanzierung für eine deutsche Gesellschaft ggfs. nur mittels einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft aufgenommen werden kann sowie steuerliche Gründe, die den Ansässigkeitsstaat der ausländischen Holding betreffen (z. B. Verlustverrechnung im Konzern). Rechtliche, politische oder auch religiöse Gründe sieht Piltz darin, dass es bestimmte Staaten ihren Staatsangehörigen verbieten, in bestimmten anderen Ländern Gesellschaften zu erwerben, nichts aber 84

Vgl. dazu ausführlich Piltz, IStR 2007, S. 793 (794). Vgl. dazu Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d EStG Rz. 123, der die Auffassung vertritt, dass die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG ausschließlich deutsches Steuersubstrat schützt und nicht die angemessene Besteuerung nach ausländischem Recht sicherstellen will. 86 Vgl. dazu Piltz, IStR 2007, S. 793 (796). 87 Vgl. Hundt, Missbrauchsverständnis, S. 154 (156); Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 125; Flick, IStR 1994, S. 223 (224); Luckey, in: Ernst & Young, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 141. 88 Vgl. dazu ausführlich Piltz, IStR 2007, S. 793 (794). 85

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E. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG

gegen Investitionen über Drittstaaten haben. Außerdem könne es aus deutscher Sicht unerwünscht sein, dass Investoren aus bestimmten Staaten Beteiligungen an deutschen Gesellschaften erwerben, was im legalen Rahmen im Ergebnis aber ggfs. über die Einschaltung einer Gesellschaft in einem Drittstaat erreicht werden kann. Auch religiöse Gründe können ggfs. einen Investor an einer direkten Investition in eine deutsche Gesellschaft hindern (Islamic Finance), während mglw. die Durchführung der Investition über eine Drittstaatengesellschaft zulässig sein kann. Nach herrschender Ansicht in der Literatur müssen wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe nur für die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft als solche, nicht aber dafür vorliegen, dass die ausländische Gesellschaft gerade in diesem Staat ansässig ist.89 Der Gesetzeswortlaut enthält keine diesbezüglichen Einschränkungen. Die Wahl des Sitzstaates ist daher frei und kann nicht rechtsmissbräuchlich sein. Der Einwand einer „fiktiv-alternativen“ Sachverhaltsverwirklichung wird als unzulässig angesehen.90 dd) Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb Ein Entlastungsanspruch setzt nach § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EStG ferner voraus, dass die ausländische Gesellschaft mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr91 teilnimmt. Nach Ansicht der Finanzverwaltung erfordert das Vorliegen eines angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs ein „greifbares Vorhandensein“ des Geschäftsbetriebs in Form qualifizierten Personals, von Geschäftsräumen und technischen Kommunikationsmitteln. 92 Ein solch „greifbares Vorhandensein“ soll sich nach dem Geschäftszweck der antragstellenden ausländischen Gesellschaft richten.93 Zugleich fordert das BMF-Schreiben aber das Vorliegen eines „substanziellen Geschäftsbetriebs“.94 Dies erscheint als widersprüchlich, da man von einer ausländischen Gesellschaft nur diejenige personelle und sachliche 89

Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 103. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rz. 28c; Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/ Baumhoff, AStR, § 50d EStG Rz. 123. 91 Umstritten ist in der Literatur, ob die Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr in jedem Fall erforderlich ist oder ob diese Tatbestandsvoraussetzung nur regelt, dass im Fall einer Teilnahme am allgemeinen Verkehr ein angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb unterhalten werden muss. Letztere Ansicht vertritt Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 152; Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 123 widerspricht diesem. 92 Vgl. BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 8. 93 Vgl. BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 8. 94 Vgl. BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 8. 90

II. Der sachliche Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG

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Ausstattung wird verlangen können, welche die Gesellschaft auch tatsächlich zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt.95 Handelt es sich dabei um eine Geschäftstätigkeit, welche nur wenige sachliche und personelle Mittel erfordert, ist diesem Umstand entsprechend Rechnung zu tragen. Fischer schreibt insoweit, dass die ausländische Gesellschaft mit den ihr zur Verfügung stehenden Bordmitteln in der Lage sein muss, die vorgegebene wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihren Gesellschaftern und sonstigen nahe stehenden Personen auszuüben.96 Verfolgt die ausländische Gesellschaft mehrere Geschäftszwecke (z. B. einen nach § 50d Abs. 3 EStG begünstigten und einen nicht begünstigten), so soll bei derartigen gemischten Tätigkeiten die Ausstattung nur für einen der beiden Geschäftszwecke erforderlich sein, d. h. die Ausstattung für den nicht begünstigten Geschäftszweck würde ausreichen, da der Gesetzeswortlaut keine anderweitige Zuordnung enthält.97 Für den Begriff des allgemeinen wirtschaftlichen Verkehrs wird in der Literatur allgemein auf § 15 Abs. 3 EStG (Definition des Gewerbebetriebs) verwiesen.98 Auch an verschiedenen Stellen des AStG findet sich dieser Begriff wieder. Nach Tz. 8.1.4.2.2 des AStG-Anwendungserlasses liegt eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr vor, wenn sich die Gesellschaft in ihrem Geschäftsbetrieb bei den in Betracht stehenden (. . .) Geschäften in nicht nur unerheblichem Umfang an eine unbestimmte Anzahl von Personen wendet.“ Die Finanzverwaltung99 geht ebenso wie die Gesetzesbegründung100 davon aus, dass eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr im Erlass betreffend § 50d Abs. 3 EStG bereits dann vorliegt, wenn Dienstleistungen gegenüber einer oder mehreren Konzerngesellschaften erbracht werden und wie gegenüber fremden Dritten abgerechnet werden. Anders als im Bereich des AStG reichen daher für Zwecke des § 50d Abs. 3 EStG innerkonzernliche Dienstleistungen zur Verneinung eines Missbrauchs aus. Der anders lautenden Rechtsprechung des BFH zum AStG101 dürfte insoweit die Stütze entzogen sein.102 Dem Gesetzeswortlaut nach muss die Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr sich nicht auf den wirtschaftlichen Verkehr des Sitzlandes beziehen. Vielmehr sollte die Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr eines anderen Staates durch die 95 Vgl. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG, Rz. 153. 96 Vgl. Fischer, FS Raupach, S. 339 (356). 97 Vgl. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rz. 32. 98 Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Abs. 3 Rz. 124; Schönfeld, in: Flick/ Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 156. 99 Vgl. BMF, Schr. v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 6.1. 100 BT-Drs. 16/2712, S. 60. 101 Vgl. BFH v. 29.8.1984, I R 68/81, BStBl. II 1985, S. 120. 102 So Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG, Rz. 156.

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E. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG

ausländische Gesellschaft ausreichen. Sofern man aber mit der Finanzverwaltung das Erfordernis einer Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr im Sitzstaat in die Regelung des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG hineinliest, sollte dieses Merkmal im Rahmen von § 50d Abs. 3 EStG keine eigenständige Bedeutung mehr haben. 3. Sonstiges a) Mittelbare Beteiligung börsennotierter Gesellschaften Mit BMF-Schreiben vom 21.6.2010 hat die Finanzverwaltung entschieden, dass die Ausnahmeregelung für börsennotierte Gesellschaften auch dann Anwendung findet, wenn die börsennotierte Gesellschaft nicht direkt, sondern über eine oder mehrere zwar abstrakt abkommensberechtigte, aber funktionslose Gesellschaften beteiligt ist.103 b) Rechtsfolgen In der Literatur wurde die Frage aufgeworfen, ob bei Erfüllung der Negativkriterien insgesamt keine Reduzierung der Kapitalertragsteuer erfolgt oder ob eine Ermäßigung erfolgt, diese aber auf den reduzierten Abkommensteuersatz des Anteilseigners beschränkt ist.104 Zu Recht bestätigt die Finanzverwaltung in ihrem Anwendungsschreiben zu § 50d Abs. 3 EStG105 aber die ganz herrschende Literaturauffassung, wonach eine Ermäßigung auf den für den Anteilseigner geltenden Quellensteuersatz erfolgt.106 Dies ergibt sich zum einen aus dem Gesetzeswortlaut, wonach die Erstattung versagt wird, „soweit“ dem Anteilseigner bei unmittelbarer Beteiligung kein Erstattungsanspruch zustünde. Zum anderen entspricht dies der klaren Intention des Gesetzgebers, solche Missbrauchsgestaltungen zu bekämpfen, welche darauf abzielen, durch Zwischenschaltung einer ausländischen Gesellschaft eine höhere Quellensteuererstattung als bei unmittelbarer Beteiligung zu erlangen. Für den Missbrauchstatbestand besteht aber insoweit kein Bedürfnis, wie dem Anteilseigner selbst ein solcher Erstattungsanspruch zugestanden hätte.107 Des Weiteren wird in der Literatur davon ausgegangen, dass innerhalb von § 50d Abs. 3 EStG keine segmentierende Betrachtung dergestalt erfolgt, dass die 103 BMF v. 21.6.2010, IStR 2010, S. 539 m. Anm. Lüdicke; zu dieser Frage auch zuvor Günkel/Lieber, Ubg 2008, S. 383 (385). 104 Vgl. Weiske, IStR 2007, S. 314 (315). 105 BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Rz. 13. 106 Hahn-Joecks, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Abs. 3 EStG Rz. G 24 f.; Weiske, IStR 2007, S. 314; Kraft, IStR 1994, S. 370 (376); Lüdicke, Treaty Shopping, S. 102 (112 f.); Krabbe, IStR 1995, S. 382 (383); ders., IStR 1998, S. 76; Höppner, IWB F. 3 Gr. 3 S. 1153 (1163); Luckey, in: Ernst & Young, KStG, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 223. 107 Vgl. Luckey, in: Ernst & Young, KStG, § 50d Abs. 3 EStG, Rz. 223.

II. Der sachliche Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG

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Kapitalertragsteuererstattung anteilig versagt wird, nämlich „soweit“ z. B. die zugrunde liegenden Einkünfte nicht aus einer aktiven Wirtschaftstätigkeit stammen.108 Das Wort „soweit“ bezieht sich nicht auf die Tätigkeit der Gesellschaft, sondern nur auf die personalen Tatbestandselemente. Eine Aufspaltung der Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft in einen missbräuchlichen und einen nicht missbräuchlichen Teil findet nicht statt. Indizwirkung gegen eine segmentierende Betrachtung hat insbesondere die 10 %-Bruttoertragsgrenze, welche bereits typisierend eine Segmentierung vornimmt. c) Verhältnis von § 50d Abs. 3 EStG zu speziellen DBA-Regelungen und § 42 AO aa) Verhältnis zu speziellen DBA-Regelungen In Doppelbesteuerungsabkommen bilateral vereinbarte Anti-Treaty-ShoppingRegelungen, welche enger sind als § 50d Abs. 3 EStG, gehen § 50d Abs. 3 EStG als speziellere Regelungen nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich vor, sofern die Abkommensregelung nicht ausdrücklich die Anwendung darüber hinausgehender nationaler Missbrauchsbekämpfungsvorschriften zulässt oder sich Entsprechendes aus dem Abkommenskontext ergibt.109 Der BFH hat in seinem Urteil vom 19.12.2007110 betreffend Art. 23 DBA-Schweiz 1971 entschieden, dass es sich bei der darin enthaltenen Anti-Treaty-Shopping-Regelung um eine abschließende Regelung gehandelt hat, neben der § 50d Abs. 3 EStG 1997 keine Anwendung gefunden hat. Auch die Finanzverwaltung erkennt einen Vorrang abkommensrechtlicher Missbrauchsregelungen an, sofern diese abschließend sind.111 Nachdem die abkommensrechtliche Missbrauchsregelung des DBASchweiz, zu welcher der BFH entschieden hatte, weggefallen ist, dürfte als abschließende abkommenrechtliche Missbrauchsregelung im Hinblick auf die Kapitalertragsteuererstattung auf Dividenden insbesondere die LOB-Klausel des DBA-USA anzusehen sein.112 bb) Verhältnis zu § 42 AO Im Hinblick auf die bis zum 31.12.2007 geltende Fassung von § 42 AO hat der BFH entschieden, dass § 50d Abs. 3 EStG eine abschließende Sonderregelung 108 Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 95; Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 76, 131. 109 Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 65; Hahn-Joecks, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 50d Rz. E 5. 110 BFH v. 19.12.2007, I R 21/07, BStBl. II 2008, S. 619. 111 BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Rz. 7. 112 Linn, IStR 2010, S. 542 (543); Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 65.

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E. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG

darstellt, die der allgemeinen abgabenrechtlichen Vorschrift des § 42 AO a. F. vorgeht.113 Unter Hinweis auf seine Dublin Docks-Rechtsprechung, welche das Verhältnis von § 42 AO zu §§ 7 ff. AStG betraf 114, führte der BFH aus, dass die tatbestandlich enger gefasste Spezialnorm auf die allgemeine Missbrauchsregelung durchschlagen müsse, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Für eine Anwendung von § 42 AO bleibt daher auch dann kein Raum, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen von § 50d Abs. 3 EStG nicht erfüllt sind.115 Auch § 42 Abs. 2 AO a. F., wonach § 42 AO immer dann zur Anwendung kommen sollte, wenn die Anwendung gesetzlich nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, stand dem nicht entgegen116, da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 42 AO a. F. quasi durch den Wertungsmaßstab des § 50d Abs. 3 EStG ersetzt wurden und § 42 AO a. F. demnach tatbestandlich gar nicht einschlägig war.117 Die Finanzverwaltung vertritt gleichwohl die Auffassung, dass § 42 AO dann noch zur Anwendung kommen kann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 50d Abs. 3 EStG nicht gegeben sind.118 Vereinzelt wird im Schrifttum die Ansicht vertreten, dass sich das Verhältnis von § 42 AO zu § 50d Abs. 3 EStG infolge der Neufassung des § 42 AO durch das Jahressteuergesetz 2008 geändert habe.119 Nach § 42 Abs. 1 S. 2 und 3 AO n. F. findet § 42 AO immer dann Anwendung, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen einer speziellen Missbrauchsnorm nicht gegeben sind. Der Gesetzgeber hat damit auf die zuvor genannte Rechtsprechung des BFH, die letztlich zu einem Leerlaufen der Norm geführt hat, reagiert. Die wohl überwiegende Ansicht im Schrifttum ist aber zu Recht der Auffassung, dass der Gesetzgeber dieses Ziel durch die Gesetzesänderung nicht erreicht hat, da auch für den Fall, dass die spezialgesetzliche Missbrauchsregelung tatbestandlich nicht einschlägig ist und damit § 42 AO grundsätzlich Anwendung findet, der durch die spezielle Missbrauchsregelung vorgegebene Wertungsmaßstab auf die Generalklausel des § 42 AO durchschlägt und diese damit faktisch sperrt.120 Andernfalls würde es ebenfalls zu den vom BFH in seinem Urteil zum Verhältnis von § 50d Abs. 3 EStG zu § 42 AO a. F. aufgezeigten Wertungswidersprüchen kommen.

113 BFH v. 31.5.2005, I R 74, 88/04, BStBl. II 2006, S. 118; BFH v. 29.1.2008, I R 26/06, BStBl. II 2008, S. 978. 114 Vgl. BFH v. 20.3.2002, I R 63/99, BStBl. II 2003, S. 50. 115 Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Rz. 41 m.w. N. 116 Vgl. BFH v. 29.1.2008, I R 26/06, BStBl. II 2008, S. 978. 117 Vgl. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rz. 30; Luckey, in: Ernst & Young, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 20 ff. 118 BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 12. 119 Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 67. 120 Vgl. Drüen, in: Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Tz. 13a; Luckey, in: Ernst & Young, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 29; Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 42 AO Rz. 292; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rz. 30.

F. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Europarecht Der deutsche Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung steuerrechtlicher Vorschriften höherrangiges Recht zu beachten. Neben den Vorgaben des deutschen Verfassungsrechts ist er insbesondere an das Recht der Europäischen Union1 („Unionsrecht“) gebunden. Das Unionsrecht hat in den vergangenen Jahren einen kaum zu überschätzendem Einfluss gewonnen und in bislang ungekannter Weise die Steuerrechtsordnungen der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten beeinflusst.2 Zahlreiche steuerrechtliche Änderungen sind auf die Rechtsprechung des EuGH und die Initiative der EU-Kommission beim Abbau von Beschränkungen der Grundfreiheiten zurückzuführen.3 Die Vorgaben der Grundfreiheiten des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union („AEUV“) sind nicht nur bei der Ausgestaltung der einzelnen Steuertatbestände der Mitgliedstaaten zu beachten, sondern gelten in gleicher Weise auch für nationale Anti-Missbrauchsvorschriften, welche darauf abzielen, die Umgehung mitgliedstaatlicher Steuertatbestände zu bekämpfen und damit einer Verminderung der innerstaatlichen Steuerbasis entgegen zu wirken. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG findet ihrem klaren Wortlaut nach nur auf ausländische Gesellschaften Anwendung. Indem § 50d Abs. 3 EStG für die Erstattung der Kapitalertragsteuer an im Ausland ansässige Gesellschaften besondere Substanzforderungen aufstellt, stellt sich die Frage, inwieweit die Erfüllung dieser Substanzanforderungen mit Unionsrecht in Einklang steht. Ein etwaiger Konflikt von § 50d Abs. 3 EStG mit Unionsrecht ist dabei in zweierlei Hinsicht zu untersuchen: Soweit aufgrund von § 50d Abs. 3 EStG die Erstattung deutscher Kapitalertragsteuer an eine im EU-Ausland ansässige Gesellschaft versagt wird, die unmittelbar mindestens 10 %4 der Anteile an einer 1 Die Europäische Union ist an die Stelle der Europäischen Gemeinschaft getreten, deren Rechtsnachfolgerin sie ist (Art. 1 Abs. 3 S. 3 EUV). Rechtsgrundlagen der Europäischen Union sind der EU-Vertrag sowie der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. 2 Beispielhaft erwähnt seien insofern nur die (noch immer nicht abschließend geklärte) Frage der grenzüberschreitenden Verlustnutzung sowie die Problematik der Gesellschafterfremdfinanzierung. 3 Die bedeutendste Änderung im deutschen Steuerrecht infolge der EuGH-Rechtsprechung dürfte wohl die Einführung von Regelungen zur Gesellschafterfremdfinanzierung in § 8a KStG a. F. auch in Inlandsfällen infolge des EuGH-Urteils in der Rs. Lankhorst–Hohorst sein. 4 Die erforderliche Mindestbeteiligung in Höhe von 10 % gilt seit dem 1.1.2009, zuvor war die Mindestbeteiligungshöhe in mehreren Stufen auf zuletzt 15 % gesenkt worden.

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F. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Europarecht

deutschen Kapitalgesellschaft hält, könnte darin ein Verstoß gegen europäisches Sekundärrecht in Form der Mutter-/Tochter-Richtlinie liegen. Insoweit bedarf die Frage einer näheren Untersuchung, ob sich die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG innerhalb des von Art. 1 Abs. 2 der Mutter-/Tochter-Richtlinie vorgegebenen Rahmens für eine nationale Missbrauchsregelung hält oder ob der deutsche Gesetzgeber den für eine Missbrauchsregelung zulässigen Rahmen überschritten hat. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Mutter-/Tochter-Richtlinie kommt ein Verstoß gegen das primäre Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit in Betracht. Nachfolgend soll zunächst ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten geprüft werden. Die erst im Anschluss erfolgende Prüfung eines Verstoßes gegen die Mutter-/Tochter-Richtlinie rechtfertigt sich dadurch, dass die Richtlinien der Verwirklichung der Zielsetzungen des AEUV dienen. Als sog. sekundäres Gemeinschaftsrecht5 müssen sie daher ebenfalls in Einklang mit den Grundfreiheiten als primärem Gemeinschaftsrecht stehen.6 Dies hat der EuGH im Hinblick auf die Mutter-/Tochterrichtlinie in der Bosal-Entscheidung7 noch einmal deutlich gemacht. Danach darf ein Mitgliedstaat von der in Art. 4 Abs. 2 der Mutter-/ Tochterrichtlinie vorgesehenen Möglichkeit, die Kosten der Beteiligung an der Tochtergesellschaft und Aufwand, der durch Teilwertabschreibungen von diesen Beteiligungsgesellschaften entsteht, von der steuerlichen Abzugsfähigkeit auszuschließen, nur unter Beachtung der grundlegenden Bestimmungen des AEUV Gebrauch machen.

I. Die Grundfreiheiten des AEUV als Prüfungsmaßstab für § 50d Abs. 3 EStG Die Grundfreiheiten des AEUV sind als Teil des europäischen Primärrechts8 nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sowie des BVerfG aufgrund eines Anwendungsvorrangs9 in Deutschland unmittelbar anwendbares Recht. Zwar ist allgemein anerkannt, dass die Kompetenzzuordnung des AEUV die fiskalische Sou5 Als sekundäres Europarecht wird das von den Organen der Europäischen Gemeinschaften nach Maßgabe der Gründungsverträge erlassene Recht bezeichnet. Zum Bereich des sekundären Gemeinschaftsrechts zählen insbesondere Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen. 6 Vgl. Eilers, FS Wassermeyer, S. 323 (330 f.); Strobl-Haarmann, FS Raupach, S. 613 (623); Hey, Forum d. Int. Besteuerung, S. 137 (162). 7 EuGH v. 18.9.2003, C-168/01 (Bosal), Slg. 2003, I-9409. 8 Zum primären Gemeinschaftsrecht gehören die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften einschließlich Anlagen, Anhängen und Protokollen, wobei für das Steuerrecht insbesondere der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 1.1.1995 von Bedeutung ist, der die Neufassung des EGW-Vertrags enthält. Daneben werden allgemeine Rechtsgrundsätze sowie Gewohnheitsrecht zum primären Gemeinschaftsrecht gezählt. 9 Vgl. Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV Rz. 17.

I. Die Grundfreiheiten des AEUV als Prüfungsmaßstab

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veränität im Bereich der direkten Steuern10 weiterhin den Mitgliedstaaten zuweist11, jedoch müssen die Mitgliedstaaten die ihnen verbliebenen Befugnisse unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts ausüben.12 Der AEUV sieht keine Bereichsausnahme für den Steuerbereich vor.13 Es steht den Mitgliedstaaten daher zwar frei, ob und welche Steuern sie erheben, wie sie die Bemessungsgrundlage und den Steuersatz festlegen und das Besteuerungsverfahren ordnen.14 Zugleich hat aber die Europäische Union die Kompetenz, die Ziele des AEUV umzusetzen. Eine besondere Bedeutung hat dabei die Errichtung eines Binnenmarkts (Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV). Die Schaffung eines Binnenmarktes ist Teil der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes, durch den Wohlstand und Lebensbedingungen in der EU verbessert werden sollen. Zum Gemeinsamen Markt gehört neben der nach außen gerichteten Gemeinsame Handelspolitik der nach innen gerichtete Binnenmarkt. Der Binnenmarkt ist gemäß Art. 26 AEUV durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr gekennzeichnet. Diesen freien Wirtschaftsverkehr sollen die Grundfreiheiten ermöglichen. Genau hier setzt der EuGH auch seinen Schutz des Binnenmarktes im Bereich der direkten Steuern an, indem er nationale Bestimmungen zu direkten Steuern dahingehend prüft, ob es sich um Diskriminierungen oder Beschränkungen handelt, die den Grundfreiheiten entgegenstehen.15 Ist dies der Fall, ist die betroffene Vorschrift unionsrechtswidrig. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind mitgliedstaatliche Regelungen, die gegen Unionsrecht verstoßen, nicht nichtig, sondern können für Sachverhalte außerhalb des Unionsrechts weiter angewendet werden. Dies ergibt sich daraus, dass nach Ansicht des EuGH nur ein Anwendungs-, nicht aber ein Geltungsvorrang des Unionsrechts besteht.16 Hat der EuGH zu einer ausländischen Rechtslage entschieden, so stellt sich die Frage, ob sich daraus Schlüsse für die natio10 Einen direkten Harmonisierungsauftrag enthält Art. 113 AEUV nur für die indirekten Steuern. Die direkten Steuern sind von den Bestimmungen des EG-Vertrages nicht ausdrücklich erwähnt. Eine Harmonisierung könnte allenfalls auf die allgemeine Harmonisierungsvorschrift des Art. 115 AEUV gestützt werden, was neben der politischen Barriere der Einstimmigkeit eine „unmittelbare Auswirkung auf die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts“ voraussetzt. 11 Schön, IStR 2004, S. 289. 12 Vgl. z. B. EuGH v. 14.12.1995, Rs. C-279/93 (Schumacker), Slg. 1995, I-225 Rn. 21; EuGH v. 14.12.2006, Rs. C-170/05 (Denkavit), Slg. 2006, I-11949 Rn. 19 m.w. N. 13 Aus den allgemeinen Zielen des Art. 3 AEUV wird abgeleitet, dass die nationale Steuersouveränität sich den Anforderungen des europäischen Binnenmarktes zu unterwerfen hat. 14 Schön, IStR 2004, S. 289. 15 Vgl. Wimpissinger, Steuerliche Verlustverrechnung, S. 4. 16 Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV Rz. 18; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 92.

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F. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Europarecht

nale Rechtsordnung ziehen lassen. Wenn die inländische Norm in ihrer Substanz hinreichend ähnlich ist und vergleichbare Sachverhalte zugrunde liegen, wird man ohne weiteres auf die Unionsrechtswidrigkeit der vergleichbaren inländischen Regelung schließen können.17 Ein Beispiel ist insoweit die deutsche Rs. Meilicke.18

II. Grundfreiheiten als Diskriminierungsund Beschränkungsverbote 1. Diskriminierungsverbote Die Grundfreiheiten sind als Diskriminierungsverbote ausgestaltet19, welche spezielle Ausprägungen des allgemeinen Diskriminierungsverbotes des Art. 18 AEUV sind.20 Ursprünglich verstand der EuGH die Grundfreiheiten ausschließlich als spezielle Diskriminierungsverbote.21 Eine Diskriminierung liegt vor, wenn ein Mitgliedsstaat Angehörige eines anderen Mitgliedsstaates, die sich in einer objektiv vergleichbaren Situationen wie die eigenen Staatsangehörigen befinden, ohne sachlichen Grund ungünstiger behandelt als die eigenen Staatsangehörigen.22 Dies kann dadurch geschehen, dass der Mitgliedsstaat unterschiedliche Regelungen auf vergleichbare Sachverhalte anwendet.23 Knüpft die jeweilige rechtliche Behandlung an die Staatsangehörigkeit an, so wird von offener Diskriminierung gesprochen.24 Der EuGH hat dieses Verständnis schon sehr früh auch auf sog. „verdeckte Diskriminierungen“ erweitert.25 Verdeckte Diskriminierungen liegen danach vor, wenn das Differenzierungskriterium, auf dem die Ungleichbehandlung beruht, formalrechtlich nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an Merkmale anknüpft, die in gleicher Weise wirken. Dabei wird eine Unterscheidung nach dem Wohnsitz der Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit gleichgesetzt.26 Für Körperschaften und Personengesellschaften tritt für die Frage der Diskriminierung der Sitz an die Stelle der Staatsangehörigkeit.27 17

Sedemund/Sterner, DStZ 2006, S. 29 (33). Sedemund/Sterner, DStZ 2006, S. 29 (33). 19 Vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 793 ff.; Haase, Internationales Steuerrecht, Rz. 818. 20 Vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Rz. 107 f. 21 Sedemund, IStR 2001, S. 190. 22 Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rz. 19. 23 Ständige Rechtsprechung seit EuGH Rs. C-279/93 (Schumacker), Slg. 1995, I-225 Rn. 30. 24 Vgl. Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 64. 25 Vgl. EuGH, Rs. 62 u. 63/81 (Seco), Slg. 1982, S. 223 Rn. 8. 26 Vgl. Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 64. 27 EuGH v. 16.7.1998, C-264/96 (ICI), Slg. 1998, I-4695 Rn. 20; EuGH v. 28.1. 1986, C-270/83 (Kommission/Frankreich), Slg. 1986, S. 273 Rn. 18; EuGH v. 13.7. 1993, C-330/91, Slg. 1993, I-4017 Rn. 13. 18

II. Grundfreiheiten als Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote

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Auf reine Inlandssachverhalte finden die Grundfreiheiten hingegen keine Anwendung.28 Auch ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot, wonach Inländer nicht schlechter als Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten behandelt werden dürfen, besteht nicht („Inländerdiskriminierung“).29 Eine Regelung, die darauf abzielt, die steuerliche Belastung einer grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehung auf das gleiche Besteuerungsniveau zu heben wie bei einer inländischen Wirtschaftstätigkeit oder eine grenzüberschreitende Wirtschaftsbeziehung denselben steuerlichen Kriterien wie eine inländische Wirtschaftsbeziehung unterwirft, ist keine gegen die Grundfreiheiten verstoßende Diskriminierung.30 Die praktisch größte Schwierigkeit bei der Anwendung des Diskriminierungsverbotes besteht in der Bildung des zutreffenden Vergleichspaares.31 Die zu vergleichenden Steuerpflichtigen müssen sich in objektiv vergleichbaren Situationen befinden, damit die Diskriminierungsverbote angewandt werden können.32 Dabei bestehen zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen, welche dagegen sprechen, dass diese Steuerpflichtigen sich in objektiv vergleichbaren Situationen befinden.33 Gebietsansässige und Gebietsfremde befinden sich jedoch dann in einer objektiv vergleichbaren Lage, wenn ein Steuerpflichtiger in dem Aufnahmestaat einer von den Grundfreiheiten geschützten Tätigkeit nachgeht.34 2. Beschränkungsverbote Zwar sind die Grundfreiheiten grundsätzlich als Diskriminierungsverbote konzipiert, jedoch wirken die Grundfreiheiten nach heute ständiger Rechtsprechung des EUGH nicht nur als Diskriminierungs-, sondern auch als Beschränkungsverbote.35 Dies gilt nach h. M. auch im Steuerrecht.36 Soweit es zur Sicherung des freien Zugangs der Marktteilnehmer erforderlich ist, darf ein Mitgliedstaat die Ausübung der Grundfreiheiten nicht unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen oder den Zugang zu einem anderen nationalen Markt erschweren.37

28 Ausnahme: Reine Inlandssachverhalte, bei denen die nationale Regelung, um deren Auslegung es geht, auf einer EU-Richtlinie beruhen. 29 Vgl. EuGH v. 26.1.1993, C-112/91, Slg. 1993, I-429. 30 Vgl. EuGH v. 23.2.2006, C-513/03 (van Hilten), Slg. 2006, I-1957; EuGH v. 6.12.2007, C-298/05 (Columbus Container Services), Slg. 2007, I-10451. 31 Haase, Internationales Steuerrecht, Rz. 821. 32 Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 76. 33 Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 76. 34 Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 76. 35 Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 76. 36 Vgl. Schön, DStJG Bd. 23 (2000), S. 189 ff. (208); Frenz, Europarecht Bd. 1, Rz. 428; Haase, Internationales Steuerrecht, Rz. 825. 37 EuGH v. 12.12.2002, C-324/00 (Lankhorst-Hohorst), Slg. 2002, I-11802.

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F. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Europarecht

Eine bestimmte Intensität wird nicht gefordert38, so dass jede Beschränkung des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs untersagt ist, und zwar auch geringfügige und unbedeutende Beschränkungen. Nach der Rechtsprechung des EuGH erfordert auch eine Beschränkung eine Ungleichbehandlung.39 Mittlerweile spricht der EuGH fast nur noch von Beschränkung und differenziert nicht mehr zwischen Diskriminierung und Beschränkung.40

III. Die Prüfung von Verstößen gegen die Grundfreiheiten Die Prüfung von Verstößen gegen die Grundfreiheiten folgt einem einheitlichen Prüfungsschema. Bei der Prüfung geht der EuGH dreistufig vor: Stellt der EuGH fest, dass im konkreten Fall der Anwendungsbereich einer Grundfreiheit eröffnet ist, prüft er nachfolgend die Fragen des Eingriffs sowie einer möglichen Rechtfertigung.41 In einigen Fällen hat der EuGH auch eine vierstufige Prüfung dergestalt durchgeführt, dass er nach der Feststellung der Einschlägigkeit einer Grundfreiheit geprüft hat, ob das Berufen auf diese Grundfreiheit per se einen Missbrauch darstellt.42 Er hat einen solchen Missbrauch aber in allen Fällen abgelehnt und im Rahmen der Rechtfertigung der jeweiligen Missbrauchsnorm eine etwaige Missbrauchsverhinderung als potentiellen Rechtfertigungsgrund geprüft. Die Anwendung einer Grundfreiheit erfordert, dass sowohl der persönliche als auch der sachliche Anwendungsbereich eröffnet sind.43 Die Grundfreiheiten schützen die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten. Personen- und Kapitalgesellschaften werden von einer Grundfreiheit erfasst, wenn der AEUV dies ausdrücklich bestimmt. Daneben können aber auch Staatsangehörige und Unternehmen anderer Staaten erfasst sein, wenn ein sog. Assoziierungsabkommen oder assoziierungsähnliche Verhältnisse dies bestimmen.44 Nur auf die Kapitalverkehrsfreiheit können sich gemäß Art. 63 AEUV ausdrücklich auch Angehörige von Drittstaaten berufen. Der sachliche Anwendungsbereich umfasst neben der generellen Eröffnung des Anwendungsbereichs der jeweiligen Grundfreiheit das Vorliegen einer wirtschaftlichen Betätigung, weil der Binnenmarkt nur wirtschaftliche Betätigungen unter den Schutz des Gemeinschaftsrechts stellt.45 Wohl mehrheitlich wird aber 38

EuGH v. 13.3.1984, 16/83 (Rs. Prantl), Slg. 1984, S. 1299. EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 46. 40 Vgl. Cloer, EWS 2006, S. 318 (319). 41 Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 76. 42 Z. B. EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 35 f. 43 Vgl. Haase, Internationales Steuerrecht, Rz. 790 ff. 44 Vgl. Haase, Internationales Steuerrecht, Rz. 790 ff. 45 Vgl. Haase, Internationales Steuerrecht; Cordewener, S. 975. 39

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mittlerweile vertreten, dass künftig auch nicht wirtschaftliche Tätigkeiten vom Schutzbereich der Grundfreiheiten erfasst werden.46 Neben einer Betätigung im Anwendungsbereich einer Grundfreiheit ist ein grenzüberschreitender Bezug erforderlich. Sobald nach dem Gesetz derselbe Sachverhalt für den Fall des Vorliegens einer Auslandsberührung rechtlich auch nur entfernt anders gewürdigt wird als ohne das Vorliegen der Auslandsberührung, ist von einer zumindest potenziell gemeinschaftsrechtwidrigen Norm auszugehen.47 Für die Prüfung der einzelnen Grundfreiheiten setzt der EuGH im Steuerrecht jeweils den gleichen Prüfungsmaßstab an, da die Steuervorschriften die Grundfreiheiten alle gleichermaßen behindern können. Welche Grundfreiheit durch eine Maßnahme genau betroffen ist, spielt bei der Prüfung des EuGH im Bereich der direkten Steuern meist nur eine untergeordnete Rolle.48

IV. Betroffene Grundfreiheiten Der AEUV garantiert insgesamt vier Grundfreiheiten, die durch den Abbau von Barrieren für grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeiten der Errichtung eines europäischen Binnenmarktes dienen sollen. Neben der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit sind dies die Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie die Warenverkehrsfreiheit. Im Bereich der direkten Steuern kommt aber der Niederlassungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit in der Rechtsprechung des EuGH eine überragende Bedeutung zu. Im Weiteren sollen zunächst der Anwendungsbereich der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit dargestellt werden. Danach soll auf die Abgrenzung zwischen diesen beiden Grundfreiheiten eingegangen werden. Bedeutung kommt der Frage nach der einschlägigen Grundfreiheit in mehrerlei Hinsicht zu. Zum einen hängt die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Gemeinschaftsrechts davon ab, dass eine der Grundfreiheiten einschlägig ist. Eine Verhaltensweise kann dabei unter verschiedenen Aspekten schützenswert sein und insoweit mehreren Grundfreiheiten gleichzeitig unterfallen.49 Überschneidungen ergeben sich dabei insbesondere im Anwendungsbereich der Niederlassungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit. Zwar prüft der EuGH die Verletzung der Grundfreiheiten nach einem einheitlichen Schema, so dass man bei Einschlägigkeit mehrerer Grundfreiheiten davon ausgehen könnte, dass es keiner weiteren 46 Vgl. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 182 m.w. N. 47 Vgl. Haase, Internationales Steuerrecht, Rz. 790 ff. 48 Everett, DStZ 2006, S. 357 (360). 49 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Alber v. 14.10.1999, Rs. C-251/98 (Baars), Slg. 2000, I-2787 ff. Rz. 14.

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Differenzierung bedarf. Allerdings ist die Kapitalverkehrsfreiheit anders als die Niederlassungsfreiheit nicht nur gegenüber EU-/EWR-Staaten garantiert, sondern auch gegenüber Drittstaaten. Zudem unterliegt die Kapitalverkehrsfreiheit der sog. Stand-Still-Klausel, wonach zum 31.12.1993 bereits in Kraft getretene gesetzliche Regelungen von der Kapitalverkehrsfreiheit unberührt bleiben. 1. Die Niederlassungsfreiheit Der AEUV enthält keine Definition der Niederlassungsfreiheit. Allerdings lassen sich dem Vertragstext Anhaltspunkte für den von der Niederlassungsfreiheit gewährten Schutzumfang entnehmen. Nach Art. 49 Abs. 2 AEUV umfasst die Niederlassungsfreiheit „die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeit sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Art. 54 Abs. 2 AEUV“. Gemäß Art. 54 AEUV können sich auch Gesellschaften auf die Niederlassungsfreiheit berufen, wenn sie nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet worden sind und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben. Gesellschaften sind nach Art. 54 Abs. 2 AEUV „die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen“. Der EuGH definiert die Niederlassung als die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit.50 a) Formen der Niederlassungsfreiheit Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) ermöglicht es jedem Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet jedes Staates der Union zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit niederzulassen und Unternehmen zu gründen und zu leiten (sog. primäre Niederlassungsfreiheit).51 Das schließt auch das Recht ein, innerhalb der Union eine Tätigkeit durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder eine Agentur auszuüben bzw. seine geschäftlichen Aktivitäten hierüber zu leiten (sog. sekundäre Niederlassungsfreiheit).52 Die Niederlassungsfrei50

EuGH v. 25.7.1991, Rs. C-221/89 (Factortame I), Slg. 1991, I-3905 Rn. 20. Vgl. EuGH v. 18.6.2009, C-303/07 (Aberdeen Property Fininvest Alpha Oy), IStR 2009, S. 499 Rn. 37; v. 14.12.2006, C-170/05, (Denkavit), Slg. 2006, I-11949 Rn. 20; v. 23.2.2006, C-471/04 (Keller Holding), Slg. 2006, I-2107 Rn. 29; Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rn. 70. 52 Vgl. EuGH v. 18.6.2009, C-303/07 (Aberdeen Property Fininvest Alpha Oy), IStR 2009, S. 499 Rn. 37; v. 14.12.2006, C-170/05 (Denkavit), Slg. 2006, I-11949; v. 23.2. 2006, C-471/04 (Keller Holding), Slg. 2006, I-2107; Haslehner, IStR 2008, S. 565 (567). 51

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heit setzt eine gewisse dauernde Präsenz durch eine aktive Tätigkeit sowie eine feste Einrichtung in dem anderen Staat voraus.53 Die Belegenheit von Vermögen allein genügt nicht, um den Schutzbereich zu eröffnen.54 Art. 49 AEUV unterscheidet zwischen zwei Formen der Niederlassung: Die primäre Niederlassung erfasst Fälle, in denen die eingerichtete Niederlassung den Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Niederlassungswilligen bildet, sie also den Hauptsitz seiner Wirtschaftstätigkeit repräsentiert (Art. 49 Abs. 1 S. 1 AEUV).55 Die sekundäre Niederlassung betrifft die Begründung von Agenturen, Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften (Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV), wobei der Betriebsschwerpunkt im Herkunftsstaat aufrechterhalten wird. Eine Unterscheidung danach, ob es sich um eine Ausübung der primären oder der sekundären Niederlassungsfreiheit handelt, ist deshalb erforderlich, weil Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV für die Wahrnehmung der sekundären Niederlassungsfreiheit voraussetzt, dass diejenige Person, welche sich auf die Ausübung ihrer sekundären Niederlassungsfreiheit beruft, tatsächlich innerhalb des Gemeinschaftsgebietes ansässig ist. Das Erfordernis der Ansässigkeit gilt auch für Gesellschaften.56 Durch das Ansässigkeitserfordernis soll solchen Gesellschaften das Berufen auf die Niederlassungsfreiheit verwehrt werden, die nur oder vornehmlich in Volkswirtschaften außerhalb der Europäischen Union integriert sind.57 Ein solcher Fall ist eine in der Europäischen Union nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründete Gesellschaft, welche ausschließlich ihren Satzungssitz innerhalb der EU hat, aber ihre gesamte Wirtschaftstätigkeit aus einem Staat außerhalb der EU ausübt. In den gesellschaftsrechtlichen Rechtssachen „Segers“ 58, „Centros“ 59 und „Inspire Art“ 60, in denen es um die Frage ging, ob einer von in der EU ansässigen Personen gegründeten EU-Kapitalgesellschaft deshalb die Anerkennung versagt werden darf, weil sie ausschließlich mit dem Ziel gegründet wurden, günstigere Rechtsvorschriften eines anderen EU-Staates in Anspruch zu nehmen, hat 53

Vgl. Haslehner, IStR 2008, S. 565 (567). EuGH v. 14.9.2006, C-386/04 (Stauffer), Slg. 2006, I-8203; v. 11.10.2007, C-451/ 05 (Elisa), Slg. 2007, I-8251 Rn. 64. 55 Vgl. Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 43 EGV Rz. 19. 56 Vgl. Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 48 EGV Rz. 17; Müller-Graf, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 43 Rz. 32; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rz. 2043; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 49 AEUV Rz. 56; Das Ansässigkeitserfordernis wird durch Abschnitt I Unterabsatz 4 des Allgemeinen Programms zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit bestätigt, vgl. ABl. 1962 Nr. 2, S. 36, übernommen durch ABl. 1994 L 1 S. 401. 57 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 49 AEUV Rz. 57. 58 EuGH v. 10.6.1986, 79/85 (Segers), Slg. 1986, 2375. 59 EuGH v. 9.3.1999, C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459. 60 EuGH v. 30.9.2003, C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155. 54

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der EuGH die Frage der Ansässigkeit dennoch nicht angesprochen. Der EuGH scheint in diesen Entscheidungen stillschweigend davon ausgegangen zu sein, dass eine Ansässigkeit der Gesellschaften innerhalb der EU mangels jeglichen Drittstaatenbezugs der zugrunde liegenden Sachverhalte erfüllt war.61 Generalanwalt La Pergola hat aber in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Centros darauf hingewiesen, dass die Niederlassungsfreiheit dann nicht anwendbar wäre, wenn die Lage der betroffenen Gesellschaft keinerlei Verknüpfung mit den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts aufwiese.62 Zumindest im Ergebnis erscheint die Rechtsprechung des EuGH überzeugend. Da das Kriterium der Ansässigkeit den Zweck verfolgt, solche Gesellschaften vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit auszunehmen, die überwiegend in EU-fremde Volkswirtschaften integriert sind, erscheint es konsequent, wenn der EuGH dieser Frage in einem Sachverhalt ohne Drittstaatenbezug keine Bedeutung beigemessen hat. Insbesondere die zitierten Schlussanträge von GA La Pergola zeigen aber, dass der EuGH sich mit dieser Frage zumindest im Rahmen der Beratungen beschäftigt hat. Rückschlüsse für die Frage, welche Voraussetzungen an die Ansässigkeit im Fall eines Drittstaatenbezugs gegeben sein müssen, lassen sich den Urteilen allerdings nicht entnehmen. Offen ist, wie die Verknüpfung mit dem Gemeinschaftsgebiet in Drittstaatensachverhalten beschaffen sein muss. Unerheblich ist insoweit aber, wer Anteilseigner derjenigen Gesellschaft ist, die sich auf die Ausübung ihrer sekundären Niederlassungsfreiheit beruft. Dies ergibt sich aus der Ablehnung der sog. „Kontrolltheorie„. Danach definiert sich eine Gesellschaft nicht nach ihrem Sitz oder Gründungsstatut, sondern nach der Nationalität ihrer Kapitaleigner.63 Die Ablehnung der Kontrolltheorie lässt sich indirekt Art. 54 AEUV entnehmen: Da Art. 54 AEUV, der die Anwendung der Niederlassungsfreiheit auf Gesellschaften regelt, weder auf die Nationalität noch auf die Ansässigkeit der Gesellschafter der die Niederlassungsfreiheit ausübenden Gesellschaft Bezug nimmt, sind diese unbeachtlich.64 Ausdrücklich angesprochen wird die Ablehnung der Kontrolltheorie in den Allgemeinen Programmen.65 Dort ist für Drittländerfirmen, die nur ihren satzungsmäßigen Sitz, nicht aber ihre Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der EU haben, zusätzlich zu den Kriterien des Art. 54 AEUV ein Kriterium der Ansässigkeit aufgestellt. Bei dessen Prüfung darf aber nach

61

Siehe dazu auch Kieninger, ZGR 1999, S. 724 (735 ff.). Vgl. Generalanwalt La Pergola, Schlussanträge in der Rechtssache Centros vom 16.7.1998, Slg. 1999, I-1459 Tz. 20. 63 Vgl. Troberg/Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, 6. Aufl. 2003, Art. 48 Rz. 38. 64 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 49 AEUV Rz. 59. 65 Vgl. Troberg/Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, 6. Aufl. 2003, Art. 48 Rz. 38. 62

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den Allgemeinen Programmen die Feststellung der Ansässigkeit nicht von der Staatsangehörigkeit der Gesellschafter, der Mitglieder der Leitungs- oder Überwachungsorgane oder der Inhaber des Gesellschaftskapitals abhängig gemacht werden. Hat eine Gesellschaft ihre Hauptverwaltung oder ihren Hauptsitz in einem EUMitgliedstaat, ist das Ansässigkeitserfordernis erfüllt. Inwieweit bereits eine Zweigniederlassung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes ausreicht, um eine hinreichend enge Verbindung zum Gemeinschaftsgebiet herzustellen, ist umstritten.66 Voraussetzung ist, dass eine tatsächliche und dauerhafte Verbindung mit der Wirtschaft eines Mitgliedsstaates besteht.67 Zumindest dann, wenn innerhalb der Gemeinschaft nur ein Satzungssitz begründet wurde, ist das Ansässigkeitserfordernis nicht erfüllt. Sofern eine ausländische Gesellschaft aber aus einem EUMitgliedstaat heraus geleitet wird und sich auch der Sitz ihrer Hauptverwaltung innerhalb der EU befindet, ist davon auszugehen, dass diese Gesellschaft in der EU ansässig ist. Keine Ansässigkeit wäre demnach aber in den Fällen gegeben, in denen es sich bei der EU-Gesellschaft um eine bloß formale EU-Gesellschaft handelt, die nur eine leere Hülle darstellt und aus dem Ausland geleitet wird. b) Leitungserfordernis bei Gesellschaften Der Anteilseigner einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft kann sich bezüglich seiner Beteiligung an dieser Gesellschaft nur dann auf die Ausübung seiner Niederlassungsfreiheit berufen, wenn er diese Gesellschaft leitet und diese Gesellschaft einer Erwerbstätigkeit nachgeht.68 Die Leitung einer Gesellschaft erfordert nach der Rechtsprechung des EuGH, dass die Beteiligung dem Anteilseigner einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft verschafft und ihm ermöglicht, die Tätigkeiten der Gesellschaft zu bestimmen.69 In der Rechtssache Baars70 hat der EuGH eine Beteiligung von einem Drittel als nicht ausreichend angesehen. In der Rechtssache Bosal71 hat der EuGH eine Beteiligung von genau 50 % genügen lassen. Eine

66 Vgl. Eyles, Niederlassungsfreiheit, S. 101 ff.; Troberg/Tiedje, in: von der Groeben/ Schwarze, EGV/EUV, 6. Aufl. 2003, Art. 48 Rz. 12; siehe dazu auch Frenz, Europarecht, Rz. 2044. 67 Vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 48 Rz. 32. 68 Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 118. 69 EuGH v. 13.4.2000, C-251/98 (Baars), Slg. 2000, I-2787 Rn. 22; v. 12.9.2006, C196/04 (Cadburry Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 31; EuGH v. 21.11.2002, C436/00 (X und Y), Slg. 2002, I-10829; EuGH v. 5.11.2002, C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919. 70 EuGH v. 13.4.2000, C-251/98 (Baars), Slg. 2000, I-2787 Rn. 20; v. 18.9.2003, C168/01 (Bosal), Slg. 2003, I-9409 Rn. 26. 71 EuGH v. 18.9.2003, C-168/01 (Bosal), Slg.2003, I-9409 Rn. 26.

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Beteiligung von 10 % begründet nach dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Test Claimants in the FII Group Litigation72 regelmäßig keine ausreichenden Einflussmöglichkeiten. Allerdings können mehrere derartige Minderbeteiligungen zusammengerechnet werden, wenn sie zusammen ausgeübt werden.73 Generalanwalt Albers hat in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache „Baars“ vorgeschlagen, weniger auf einen festen Prozentsatz abzustellen, sondern darauf, ob durch die Beteiligung eine unternehmerische Kontrolle ausgeübt wird oder ob es sich bloß um ein passives Investment handelt.74 Die Literaturansichten zu dieser Frage divergieren. Zum Teil wird unter Rückgriff auf die vierte gesellschaftsrechtliche Richtlinie75 eine Mindestbeteiligungsquote von nur 20 % gefordert.76 Vorgenannte Richtlinie unterstellt ein unternehmerisches Engagement ab einer Mindestbeteiligung von 20 %.77 Nach anderer Ansicht hingegen kann eine statische Mindestbeteiligungsquote nicht die konkreten Einflussmöglichkeiten im Einzelfall abbilden, da die gesellschaftsrechtlichen Anforderungen für eine sichere Einflussmöglichkeit auf die Entscheidungen der Gesellschaft in den einzelnen Mitgliedstaaten voneinander abweichen.78 Letztgenannter Ansicht ist zuzustimmen. Entscheidend ist, dass der Anteilseigner tatsächlich unternehmerischen Einfluss und Kontrolle ausüben kann. Dabei sind die konkreten gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse umfassend zu würdigen. Prozentsätzen der Beteiligung bzw. der Stimmrechte kann dabei aber eine wichtige Indizfunktion zukommen.79 c) Erwerbszweck der Gesellschaft Neben der Leitung der ausländischen Gesellschaft ist erforderlich, dass diese einen eigenen Erwerbszweck verfolgt (Art. 54 S. 2 AEUV). Der EuGH hat bislang weder zum Begriff der „Erwerbstätigkeit“ im Sinne von Art. 49 Satz 3 72 EuGH v. 12.2.2007, C-446/04 (Test Claimants in the FII Group Litigation), Slg. 2006, I-11753 Rn. 58. 73 EuGH v. 6.12.2007, C-298/05 (Columbus Container), IStR 2008, S. 63 Rn. 14 und 31 f. 74 Schlussanträge des Generalanwalts Alber in der Rs. C-251/98 (Baars), Slg. 2000, I-2787 Rn. 33. 75 Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates v. 25.7.2978 aufgrund von Art. 54 Abs. 4 lit. g des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABl. 1978 L 222 S. 11 ff. 76 Vgl. Sedlaczek, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 56 Rz. 12. 77 Art. 17 der vierten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie lautet: Beteiligungen im Sinne dieser Richtlinie sind Anteile an anderen Unternehmen, die dazu bestimmt sind, dem eigenen Geschäftsbetrieb durch Herstellung einer dauernden Verbindung zu jenen Unternehmen zu dienen, . . . Es wird eine Beteiligung an einer anderen Gesellschaft vermutet, wenn der Anteil an ihrem Kapital über einem Vomhundertsatz liegt, der von den Mitgliedstaaten auf höchstens 20 % festgesetzt werden darf. 78 Vgl. Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 119. 79 Vgl. Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 119; Ohler, Europäische Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, Berlin, 2002, Art. 56 EG Rz. 121.

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AEUV noch zum Begriff des „Erwerbszwecks“ (Art. 54 Satz 2 AEUV) ausdrücklich Stellung genommen. Zum Teil wird auch bezweifelt, ob es bei Kapitalgesellschaften überhaupt auf einen Erwerbszweck ankommt, da Art. 54 Satz 2 AEUV auch so gelesen werden könnte, dass ein Erwerbszweck nur für die sonstigen juristischen Personen erforderlich ist.80 In der Rechtssache ICI hat der EuGH – ohne diese Frage ausdrücklich anzusprechen – entschieden, dass die Gründung einer „reinen“ Holdinggesellschaft von Anwendungsbereich des Art. 49 AEUV umfasst wird. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass auch die rein vermögensverwaltende Tätigkeit vom Begriff des Erwerbszwecks umfasst ist81, weil sich aus einer Zusammenschau mit Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 lit. c EG82 ergäbe, dass vom „Erwerbszweck“ sämtliche Tätigkeiten umfasst werden, die überhaupt zum Wirtschaftsleben zu rechnen sind.83 Eine Tätigkeit ist demnach wirtschaftliche Tätigkeit, wenn sie dem wirtschaftlichen Fortkommen gilt.84 Etwas anderes gilt nur bei unentgeltlichen, karitativen, politischen oder kulturellen Tätigkeiten. Der Begriff ist nach dem Urteil in der Rs. ICI weit auszulegen. Nur für den Fall, dass es sich bei der ausländischen Kapitalgesellschaft um eine reine Briefkastengesellschaft handelt, soll es am Erwerbszweck fehlen.85 Im Übrigen greift aber, sofern die Niederlassungsfreiheit sachlich nicht einschlägig ist, für eine Holdingtätigkeit die Kapitalverkehrsfreiheit ein. 2. Die Kapitalverkehrsfreiheit Der AEUV definiert nicht, was Kapitalverkehrsfreiheit ist. Wertvolle Hinweise enthält aber zum einen Art. 64 Abs. 1 AEUV sowie das Sekundärrecht mit verschiedenen Richtlinien.86 Aus Art. 64 AEUV ergibt sich, dass die Kapitalverkehrsfreiheit Kapitalbewegungen in Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen und der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten umfasst. Die Rechtsprechung des EuGH greift auf die Nomenklatur der Kapitalverkehrsrichtlinie87 zurück.88 Deren Anhang I und die Nomenklatur zum An80

Vgl. Rätting/Protzen, IStR 2003, S. 195 (197). Vgl. Rödder/Schönfeld, IStR 2006, S. 49 zu reinen Holdingtätigkeiten. 82 Durch Änderung der Verträge durch den Vertrag von Lissabon aufgehoben, aber im Wesentlichen durch Art. 3 EUV und Art. 3 bis 6 AEUV ersetzt worden. 83 Vgl. Rätting/Protzen, IStR 2003, S. 195 (197). 84 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 49 AEUV Rz. 21. 85 Vgl. Hey, Forum der Int. Besteuerung, S. 137 (165 f.). 86 Vgl. Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 122. 87 Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24.6.1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages ABl. L 178 v. 8.7.1988. 88 Vgl. EuGH v. 24.5.2007, Rs. C-157/05 (Holböck), Slg. 2007, I-4051 Rn. 34 ff.; zahlreiche Nachweise bei Kofler, DBA und EG-Recht, S. 942 Fn. 331. 81

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hang I enthalten „eine nicht erschöpfende Aufzählung der Vorgänge, die zum Kapitalverkehr gehören.“ 89 Allgemein lässt sich sagen, dass die Freiheit des Kapitalverkehrs auf eine einseitige, langfristige Wertübertragung von einem Mitgliedstaat in einen anderen abzielt, die meist in einer Vermögensanlage besteht.90 Dazu zählt auch die Beteiligung an ausländischen Gesellschaften unabhängig von der Beteiligungshöhe und unabhängig von der Tätigkeit, welche die ausländische Gesellschaft ausübt. Geschützt wird der Erwerb der Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft, das Halten der Beteiligung sowie die Ausübung aller aus der Beteiligung folgenden Rechte einschließlich des Dividendenbezugs.91 Nach h. M. umfasst die Kapitalverkehrsfreiheit die einseitige, grenzüberschreitende Verbringung von Geld- und Sachkapital jeglicher Art, u. a. den Erwerb von Aktien, den Dividendenbezug92, die Veräußerung von Wertgegenständen sowie die Aufnahme und Vergabe von Darlehen.93 Das grenzüberschreitende Element des Tatbestandes haftet hier, anders als bei den Personenverkehrsfreiheiten, dem Kapital an. Die Kapitalverkehrsfreiheit erstreckt sich auch auf den Verkehr mit Drittstaaten, so dass bei einem Vorgang zwischen einem Mitgliedstaat und einem solchen Drittstaat das Erfordernis eines grenzüberschreitenden Sachverhalts erfüllt ist.94 Nicht geklärt ist, ob und in welchem Sinne in Drittstaatenfällen Art. 63 AEUV anders auszulegen ist als in Fällen zwischen Mitgliedstaaten.95 Die Kapitalverkehrsfreiheit steht unter dem ausdrücklichen Vorbehalt des Art. 65 Abs. 1 lit. a AEUV, wonach die zum 31.12. 1993 bereits in Kraft befindlichen nationalen Vorschriften des Steuerrechts hiervon nicht berührt werden. 3. Konkurrenzverhältnis zwischen Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit Die Niederlassungs- und die Kapitalverkehrsfreiheit schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern haben einen sich überschneidenden Anwendungsbereich.96 Ein- und derselbe Vorgang kann sich daher zugleich als Ausübung der Niederlassungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit darstellen.97 Das betrifft insbesondere den Erwerb von Kapitalanteilen an einem in einem anderen (Mitglied-)Staat 89

EuGH v. 6.6.2000, C-35/98, (Verkooijen), Slg. 2000, I-4071 Rn. 27. Vgl. Hahn, DStZ 2005, S. 479. 91 Vgl. Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 123. 92 EuGH v. 6.6.2000, C-35/98, (Verkooijen), Slg. 2000, I-4071; vgl. Kofler, DBA und EG-Recht, S. 942. 93 Vgl. Haase, Internationales Steuerrecht, Rz. 808. 94 Vgl. Hahn, DStZ 2005, S. 472 (479). 95 Vgl. Hahn, DStZ 2005, S. 472 (480). 96 Vgl. Haslehner, IStR 2008, S. 565 (567). 97 Vgl. Tippelhofer/Lohmann, IStR 2008, S. 857. 90

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ansässigen Unternehmen, der zugleich zu einem Kontrollerwerb über dieses Unternehmen führt. Eine solche Direktinvestition fällt grundsätzlich sowohl in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit als auch in den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit.98 Trotz einer umfangreichen Rechtsprechung des EuGH im Bereich der direkten Steuern ist das Konkurrenzverhältnis zwischen der Niederlassungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit bislang nicht abschließend geklärt.99 Die dabei interessierende Frage geht dahin, ob die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit eine Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit ausschließt. Die Frage des Konkurrenzverhältnisses ist dabei nicht nur von theoretischem Interesse, sondern von erheblicher praktischer Bedeutung, weil der persönliche Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit über den der Niederlassungsfreiheit hinausgeht. Nach Art. 63 AEUV sind nicht nur Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten. Der persönliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit hingegen ist auf EU-100Staatangehörige bzw. nach dem Recht eines EU-Staates gegründete und in der EU ansässige Gesellschaften beschränkt. Letztlich geht es bei dieser Frage um den Umfang der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten. Geht man von einer Exklusivität der Niederlassungsfreiheit aus, so hat dies zur Folge, dass der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit in Drittstaatensachverhalten erheblich eingeschränkt wird. Ist die Kapitalverkehrsfreiheit dagegen neben der Niederlassungsfreiheit anwendbar, hätten Staatsangehörige von Drittstaaten bzw. in Drittstaaten ansässige Unternehmen ebenfalls einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung. Bezogen auf das Treaty Shopping hätte eine Exklusivität der Niederlassungsfreiheit zur Folge, dass sich eine Nicht-EUGesellschaft, deren Beteiligung an einer deutschen Gesellschaft sachlich dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit unterfällt, nicht als Auffangtatbestand auf die Kapitalverkehrsfreiheit berufen könnte. Die „ältere“ Rechtsprechung des EuGH101 deutete darauf hin, dass der EuGH grundsätzlich von einer parallelen Anwendung der Grundfreiheiten ausging.102 98

Vgl. Haslehner, IStR 2008, S. 565 (567). A. A. BFH v. 26.11.2008, I R 7/08, IStR 2009, S. 244, der von einer gefestigten Rechtsprechung des EuGH ausgeht. 100 Neben dem AEUV enthält auch das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Regelungen, die den Grundfreiheiten entsprechen (vgl. dazu Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 85). 101 Vgl. EuGH v. 28.1.1992, C-204/90 (Bachmann), Slg. 1992, I-249 Rn. 28 und 32; EuGH v. 18.11.1999, C-200/98 (X AB und Y AB), Slg. 1999, I-8216 Rn. 30; EuGH v. 11.12.2003, C-364/01 (Barbier), IStR 2004, S. 18 Rn. 75; EuGH v. 1.6.1999, C-302/97 (Konle), Slg. 1999, I-3099 Rn. 22; EuGH v. 13.4.2000, C-251/98 (Baars), Slg. 2000, 99

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Klare Aussagen zum Konkurrenzverhältnis der Grundfreiheiten haben diese Urteile aber nicht enthalten. Die Ausführungen des EuGH beschränkten sich im Wesentlichen auf die Aussage, dass nach der Feststellung eines Verstoßes gegen eine der Grundfreiheiten die Überprüfung der verfahrensgegenständlichen nationalen Regelung auf ihre Vereinbarkeit mit einer weiteren Grundfreiheit nicht erforderlich sei. Zur Begründung einer Parallelität der Grundfreiheiten wird in der Literatur angeführt, dass die Verwirklichung der Grundfreiheiten auf diese Weise größtmögliche Reichweite erlangt und damit dem „Effet utile“-Gedanken in der Auslegung des EG-Vertrages entsprochen wird.103 Auch in der Rs. Keller Holding104 v. 23.2.2006 prüfte der EuGH nicht mehr die Vereinbarkeit mit der Kapitalverkehrsfreiheit, weil er bereits einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit festgestellt hatte. Eine neue Entwicklung wurde durch das Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes eingeleitet 105, in dem der EuGH entschieden hat, dass allein die Niederlassungsfreiheit die einschlägige Grundfreiheit ist, wenn die zu überprüfende Norm speziell auf Beherrschungssituationen gerichtet ist. Im streitgegenständlichen Fall fand die britische Hinzurechnungsbesteuerung nur Anwendung auf Sachverhalte, in denen eine inländische Gesellschaft die Kontrolle über beherrschte ausländische Tochtergesellschaften besitzt. Etwaige nachteilige Auswirkungen auch auf die Kapitalverkehrsfreiheit sah der EuGH lediglich als unvermeidliche Konsequenz einer Niederlassungsbeschränkung an, die keine eigenständige Anwendung der Art. 49 und 56 Abs. 1 EG rechtfertigten.106 Die Rs. Cadbury Schweppes betraf allerdings einen rein innergemeinschaftlichen Sachverhalt, so dass das vom EuGH angenommene Exklusivitätsverhältnis keine Auswirkungen hatte. In dem kapitalmarktrechtlichen Fall in der Rs. „Fidium Finanz AG“ 107 hatte der EuGH diese Argumentation allerdings auch in Bezug auf einen DrittstaatenSachverhalt angewandt.108 In der Rs. Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation109 hat der EuGH seine Rechtsprechungslinie aus Cadbury Schweppes in I-2787 Rn. 42; EuGH v. 6.6.2000, C-35/98 (Verkooijen), Slg. 2000, I-4071 Rn. 63; EuGH v. 8.3.2001, C-397/98 (Metallgesellschaft und Hoechst), Slg. 2001, I-1727 Rn. 75. 102 Vgl. u. a. Tippelhofer/Lohmann, IStR 2008, S. 857 (858); Schön, Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, 1997, S. 748 ff.; Schön, FS Wassermeyer, S. 497 (499) m.w. N.; Haferkamp, Die Kapitalverkehrsfreiheit im System der Grundfreiheiten des EG-Vertrags, S. 178; Kessler/Eicker/Obser, IStR 2004, S. 325 (326). 103 Vgl. Schön, FS Wassermeyer, S. 497 (499) m.w. N. 104 EuGH v. 23.2.2006, C-471/04 (Keller Holding), Slg. 2006, I-2107 Rn. 51. 105 Vgl. Haslehner, IStR 2008, S. 565 (571). 106 EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 33. 107 EuGH v. 3.10.2006, C-452/94 (Fidium Finanz), Slg. 2006, I-9521. 108 Vgl. dazu Thömmes/Nakhai, IWB Fach 11a, S. 1103. 109 EuGH v. 13.3.2007, C-524/04 (Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation), Slg. 2007, I-2107 Rn. 34 und 101.

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einem Drittstaatenfall fortgesetzt. Gegenstand des Urteils waren die britischen Thin-Cap-Regelungen, wonach Zinszahlungen in England ansässiger Gesellschaften an ausländische darlehensgebende Gesellschaften nicht abgezogen werden konnten, wenn die Darlehensgeberin aufgrund einer mindestens 75 %-igen Beteiligung einen beherrschenden Einfluss auf die Darlehensnehmerin ausüben konnte. Der EuGH führte aus, dass die streitgegenständlichen Normen ausschließlich im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit zu prüfen seien, da sie nur die Beziehungen innerhalb einer Unternehmensgruppe regeln, weshalb etwaige Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit nur eine unvermeidliche Konsequenz seien. Auch in den ebenfalls Drittstaatensachverhalte betreffenden steuerrechtlichen Entscheidungen in den Rs. „Lasertec“ 110, „A und B“ 111 und „Stahlwerk Ergste Westig“ 112 hat der EuGH die geltend gemachte Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit verneint, da die verfahrensgegenständlichen Normen Beherrschungssituationen voraussetzten und der EuGH deshalb allein die Niederlassungsfreiheit als einschlägig ansah.113 Die Niederlassungsfreiheit war in den Urteilssachverhalten aber nicht anwendbar, da es sich um Drittstaatensachverhalte handelte. Der EuGH sah die Rechtslage insoweit scheinbar als geklärt an, da er unter Verweis auf die zuvor zitierten Urteile mit Beschluss entschieden hat.114 Nicht abschließend geklärt ist bislang allerdings die Frage, ob die Niederlassungsfreiheit eine Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit nur dann ausschließt, wenn die auf ihre Europarechtskonformität zu überprüfende Norm eine Kontrollbeteiligung voraussetzt (normbezogene Betrachtungsweise) oder ob die Vorrangigkeit der Niederlassungsfreiheit auch dann gilt, wenn die zu überprüfende Norm auch Sachverhalte ohne Kontrollbeteiligungen erfasst, im konkreten Fall aber eine Kontrollbeteiligung gegeben ist (sachverhaltsbezogene Betrachtungsweise). Die bislang ergangenen Urteile des EuGH zeigen insoweit ein uneinheitliches Bild. Ob die Entscheidung in der Rs. „Test Claimants in the FII Group Litigation“ 115 ein Beleg für die normbezogene Betrachtungsweise oder für die sachverhaltsbezogene Betrachtungsweise ist, ist in der Literatur umstritten.116 In seinem Urteil hat der EuGH die britischen Regelungen über die Besteuerung ausländischer Dividenden sowohl unter dem Aspekt der Niederlassungsfreiheit als auch 110

Vgl. EuGH v. 10.5.2007, C-492/04 (Lasertec), IStR 2007, S. 439. EuGH v. 10.5.2007, C-102/05 (A+B), Slg. 2007, I-3871. 112 Vgl. EuGH v. 6.11.2007, C-415/06 (Stahlwerk Ergste), IStR 2008, S. 107. 113 Siehe zu diesen Entscheidungen Wunderlich/Blaschke, IStR 2008, S. 754 (757 f.). 114 Vgl. Hohenwarter/Plansky, SWI 2007, S. 346 (356). 115 EuGH v. 12.12.2006, C-446/04 (Test Claimants in the FII Group Litigation), Slg. 2006, I-11753. 116 Vgl. Zorn, IStR 2010, S. 190; Haslehner, IStR 2008, S. 565 (573); Köhler/Tippelhofer, IStR 2007, S. 645 (647 f.); Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 948; Cordewener/Kofler/Schindler, ET 2007, S. 107 (113). 111

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unter dem Aspekt der Kapitalverkehrsfreiheit geprüft. Während für eine normbezogene Betrachtungsweise angeführt wird, dass der EuGH eine parallele Anwendung damit begründet habe, dass die in Rede stehenden „Rechtsvorschriften für Dividendenausschüttungen an Aktiengesellschaften unabhängig vom Umfang der Beteiligungen der Gesellschaften gelten“ 117, wird von den Vertretern einer sachverhaltsbezogenen Betrachtungsweise angeführt, dass die parallele Prüfung der Grundfreiheiten durch den EuGH darauf zurückzuführen ist, dass die Vorlagefrage Beteiligungen jeder Art (auch solche ohne Kontrollbeteiligung) betraf.118 Für eine normbezogene Betrachtungsweise spricht das Urteil in der Rs. Holböck.119 Darin hat der EuGH ausdrücklich eine parallele Anwendung dieser Grundfreiheiten bejaht.120 Dort ging es um einen österreichischen 2/3-Gesellschafter einer Schweizer Kapitalgesellschaft. Die verfahrensgegenständlichen österreichischen Regelungen sahen auf Dividenden aus ausländischen Beteiligungen höhere Steuersätze vor als auf Dividenden aus innerstaatlichen Beteiligungen. Da die österreichische Norm zur Dividendenbesteuerung nicht nur auf Beteiligungen anwendbar war, die einen sicheren Einfluss vermitteln, schloss der EuGH eine exklusive Anwendung von Art. 43 EG aus und bejahte eine parallele Prüfung der Grundfreiheiten. Dabei bezog er sich ausdrücklich auf die Entscheidung in der Rs. „Test Claimants in the FII Group Litigation“. In der Rs. „A“, in der es um die Besteuerung von Dividendenausschüttungen einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft bei einem schwedischen Anteilseigner ging, beschränkte sich der EuGH auf eine Prüfung der Art. 56 ff. EG, ohne auf die Höhe der Beteiligung einzugehen.121 Mit dem EuGH-Urteil in der Rs. „Burda“ sind Zweifel an der normbezogenen Betrachtungsweise des EuGH aufgekommen.122 In dieser Rechtssache war die streitgegenständliche Regelung nicht auf Beherrschungsfälle zugeschnitten, allerdings lag im Ausgangssachverhalt tatsächlich eine Beherrschungssituation vor. Der EuGH hat in diesem rein innergemeinschaftlichen Fall zunächst hinsichtlich 117

Vgl. Haslehner, IStR 2008, S. 565 (573). Vgl. Zorn, IStR 2010, S. 190 (192). 119 EuGH v. 24.5.2007, C-157/05, Holböck, IStR 2007, S. 441; einer normbezogenen Betrachtung zustimmend Haslehner, IStR 2008, S. 565 (573); ablehnend Zorn, IStR 2010, S. 190 (193). 120 Vgl. Köhler/Tippelhofer, IStR 2007, S. 645 (647 f.). 121 Tippelhofer/Lohmann, IStR 2008, S. 857 (861) mutmaßen, dass der EuGH in der Rs. „A“ deshalb nicht auf die Beteiligungshöhe eingegangen sein könnte, weil selbst im Fall einer Mehrheitsbeteiligung noch immer eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit der schweizerischen Gesellschaft hätte in Betracht gezogen werden müssen. So habe der EuGH in der Rs. Holböck nicht nur die Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit des Herrn Holböck, sondern auch die Verletzung der gebietsfremden Schweizer Gesellschaft geprüft. Deshalb hätte der EuGH in der Rs. Holböck selbst bei Vorliegen einer Mehrheitsbeteiligung eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs geprüft. 122 Vgl. dazu Tippelhofer/Lohmann, IStR 2008, S. 857 (860 ff.); Cordewener, IWB Fach 11 Gr. 2 S. 995 (999); Meiisel/Bokeloh, DB 2008, S. 2160 (2162 f.). 118

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der anwendbaren Grundfreiheit eine parallele Anwendung von Niederlassungsund Kapitalverkehrsfreiheit in Erwägung gezogen, sich dann aber ohne ersichtliche Notwendigkeit für eine exklusive Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit entschieden. Unklar ist, ob für den EuGH insoweit allein die bestehende Kontrollbeteiligung ausschlaggebend war oder ob die Exklusivität der Niederlassungsfreiheit auf die eingangs der Prüfung der Grundfreiheiten vom EuGH gemachte Aussage zurückzuführen ist, dass „Rechtsvorschriften, die nur die Beziehungen innerhalb einer Unternehmensgruppe regeln, vorwiegend die Niederlassungsfreiheit betreffen“.123 In dem sog. „Südafrika-Fall“ 124 hatte der BFH bereits unter Verzicht auf Vorlage an den EuGH entschieden, dass im Fall einer 50,01 %igen Beteiligung an einer Drittstaatengesellschaft die Niederlassungsfreiheit gegenüber der Kapitalverkehrsfreiheit nicht exklusiv ist.125 Die Finanzverwaltung hat darauf mit einem Nichtanwendungserlass reagiert.126 Nach Ansicht des BMF sind bei faktischen Mehrheitsbeteiligungen ausschließlich die Art. 49 AEUV ff. anzuwenden, so dass bei Drittstaatenfällen die Schutzwirkung der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV entfällt. Für die Auffassung des BMF wird in der Literatur angeführt, dass es sich dabei um eine konsequente Entscheidung der „Herren der Verträge“ handele, Aktivitäten, die Art. 49, 54 AEUV zuzuordnen sind, räumlich nicht über das Gebiet der EU hinaus zu schützen.127 In einem weiteren Urteil vom 26.11.2008128 hat der BFH seine Auffassung im Lichte der neueren Rechtsprechung bestätigt.129 Er hat festgestellt, dass nach „mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des EuGH“ auf den Gegenstand der betreffenden nationalen Regelung abzustellen ist. Nur wenn die entsprechende Norm zu ihrer Anwendung eine Kontrollbeteiligung voraussetzt, fällt die entsprechende nationale Regelung primär in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit und rechtfertigt keine eigene (parallele) Prüfung von Art. 63 AEUV. In der Entscheidung Burda sieht der BFH kein Abrücken des EUGH von seiner bisherigen gefestigten Rechtsprechung. Burda erweitere die Prüfung lediglich um eine qualitative Komponente. Danach kann sich ein Anwendungsvorrang auch ergeben bei nationalen Vorschriften, die unabhängig von einer bestimmten Beteiligungshöhe Anwen123

Vgl. Tippelhofer/Lohmann, IStR 2008, S. 857 (862). BFH v. 9.8.2006, I R 95/05, DStR 2006, S. 2079. 125 Das unterlegene Finanzamt hat hiergegen mittlerweile Verfassungsbeschwerde zum BVerfG eingelegt, siehe Länderbericht IStR 13/2009, Az des BVerfG: 2 BvR 862/ 09. 126 Vgl. BMF v. 21.3.2007, IV B 7 – G1421/0, IStR 2007, S. 340; vgl. dazu Rehm/ Nagler, IStR 2007, S. 700. 127 Vgl. Wunderlich/Blaschke, IStR 2008, S. 754 (759). 128 Vgl. BFH v. 26.11.2008, I R 7/08, IStR 2009, S. 244. 129 In seinem Urteil v. 22.4.2009, I R 53/07, hat der BFH die Frage des Konkurrenzverhältnisses unter Hinweis auf BFH I R 7/08 offen gelassen, einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit aber verneint. 124

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dung finden, aber die „Beziehungen innerhalb einer Gruppe“ regeln. In dem Urteil I R 53/07 hat der BFH zu dem Konkurrenzverhältnis mangels Entscheidungserheblichkeit nicht ausdrücklich Stellung genommen, sondern auf seine Entscheidung I R 7/08 verwiesen. Unklar ist, ob der EuGH in zwei Beschlüssen vom 4.6.2009 in den Rs. C-439/ 07 und C-499/07130 betreffend die Schlechterbehandlung von Dividenden, die von einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft ausgeschüttet werden, eine sachverhaltsbezogene Betrachtungsweise vertreten hat. Der EuGH hat in diesen Beschlüssen festgestellt, dass das vorlegende Gericht eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit zu prüfen habe. Der EuGH hat dem vorlegenden belgischen Gericht den Hinweis gegeben, dass dann, wenn sowohl die Schutzbereiche der Niederlassungsfreiheit als auch der Kapitalverkehrsfreiheit betroffen sind, zur Lösung des Konkurrenzverhältnisses auch der konkrete Sachverhalt des Streitfalles berücksichtigt werden müsse, wobei im Einzelfall, wenn eine Beteiligungshöhe bestehe, die Einfluss und Kontrolle ermögliche, die Bestimmungen des Vertrages über die Niederlassungsfreiheit Anwendung fänden.131 In der rein innergemeinschaftlichen Rs. „Aberdeen Property Fininvest Alpha Oy“ 132 hat der EuGH zwar zunächst festgestellt, dass die nationale Regelung nur Beteiligungen größer 20 % betraf, die Anwendung der Niederlassungsfreiheit dann aber damit begründet, dass der Anteilseigner einen Anteil von 100 % hielt, woraus in der Literatur geschlussfolgert wird, dass der EuGH in seinem Urteil insbesondere auf die tatsächliche Höhe des gehaltenen Anteils abgestellt hat.133 Benecke sieht in diesen Beschlüssen einen offenkundigen Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH in den oben zitierten Entscheidungen.134 Danach sei für die Beantwortung der Frage, ob eine nationale Regelung Art. 56 oder Art. 43 EG (jetzt Art. 63 bzw. 49 AEUV) unterfällt, maßgebend auf den Gegenstand der Norm abzustellen. Für den Fall, dass die Anwendung der Norm nicht von einem bestimmten Beteiligungsumfang abhängt und damit sowohl Art. 43 EG als auch Art. 56 EG Anwendung finden können, sei der konkrete Sachverhalt für die Beurteilung der anwendbaren Grundfreiheit mit einzubeziehen. Benecke verweist darauf, dass die Rechtsprechung der oberinstanzlichen Gerichte in den Mitgliedstaaten voneinander abweicht.135 Während neben dem BFH auch der englische 130 EuGH v. 4.6.2009, verb. Rs. C-439/07 (Belgische Staat/KBC Bank NV) und Rs. C-499/07 (Beleggen, Risicokapitaal, Beheer NV/Belgische Staat), IStR 2009, S. 494. 131 EuGH v. 4.6.2009, verb. Rs. C-439/07 (Belgische Staat/KBC Bank NV) und Rs. C-499/07 (Beleggen, Risicokapitaal, Beheer NV/Belgische Staat), IStR 2009, S. 494 Rn. 64 ff., insbes. Rn. 70. 132 EuGH v. 18.6.2009, C-303/07 (Aberdeen Property Fininvest Alpha Oy), IStR 2009, S. 499. 133 Vgl. Zorn, IStR 2010, S. 190 (194). 134 Vgl. Benecke in IStR-Länderbericht, IStR Heft 13/2009. 135 Vgl. Benecke in IStR-Länderbericht, IStR Heft 13/2009.

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High Court136 in Anlehnung an Holböck maßgebend auf den Gegenstand der betreffenden Regelung abstellt, beziehen der österreichische VwGH137 und der niederländische Hoge Raad138 in Anlehnung an „Test Claimants in the FII Group Litigation“ und Burda auch den konkreten Sachverhalt für die Beurteilung der anzuwendenden Grundfreiheit ein. Dem wird entgegen gehalten, dass die letztgenannten Beschlüsse des EuGH in keinem Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH stehen.139 Der EuGH habe in seinen Beschlüssen allgemein die in allen Abgrenzungsfällen anzuwendenden Regelungen dargestellt.140 Eine Vorrangigkeit der Niederlassungsfreiheit komme nach diesen Regelungen nur in Betracht, wenn der Anwendungsbereich beider Freiheiten eröffnet sei. Das entspreche dem bisherigen Verständnis des BFH. Anders als in den letztgenannten Entscheidungen folgt der EuGH in seiner Entscheidung in der Rs. Glaxo Wellcome v. 17.9.2009141 einer normbezogenen Betrachtungsweise. In den Urteilsgründen – welche allerdings keinen Drittlandsfall betrafen – hielt der EuGH die Kapitalverkehrsfreiheit auch bei Kontrollbeteiligungen für anwendbar und verwies insoweit auf das Urteil in der Rs. Holböck. In der einen rein innergemeinschaftlichen Sachverhalt betreffenden Rs. „SGI“ hat der EuGH hingegen eine sachverhaltsbezogene Betrachtungsweise angewandt.142 Gegenstand des Verfahrens war die Europarechtskonformität belgischer Verrechnungspreisvorschriften. Der EuGH bejahte eine alleinige Anwendung der Niederlassungsfreiheit, obwohl er feststellte, dass die in Rede stehenden Regelungen nicht allein auf solche Fälle Anwendung finden, in denen eine Gesellschaft auf eine andere Gesellschaft einen „sicheren Einfluss“ im Sinne der EuGH-Rechtsprechung nehmen kann. Für maßgeblich erachtete der EuGH in seinen Entscheidungsgründen vielmehr den Umstand, dass die eine Gesellschaft 65 % am Kapital der anderen Gesellschaft hielt und damit einen „sicheren Einfluss“ auf die andere Gesellschaft ausüben konnte. Bislang ist keine Entscheidung des EuGH ergangen, in welcher die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit auf eine Norm abgelehnt worden wäre, welche unabhängig von der konkreten Beteiligungshöhe Anwendung findet, wenn aber im konkreten Fall ein sicherer Einfluss gegeben war. Insoweit besteht noch immer Unklarheit. Entgegen der Ansicht des BFH zeigen die zuvor dargestellten jüngeren Urteile des EuGH, dass die Entwicklung der Rechtsprechung zum Konkurrenzverhältnis 136 137 138 139 140 141 142

Englischer High Court v. 27.11.2008, no. HC03C02223. Österreichischer VwGH v. 17.4.2008, 2008/15/0064. Niederländischer Hoge Raad v. 26.9.2008, no. 43339. Vgl. Völler, IStR 2009, S. 705. Vgl. Völler, IStR 2009, S. 705 (708). Vgl. EuGH v. 17.9.2009, C-182/08 (Glaxo Wellcome), IStR 2009, S. 691 Rn. 49. EuGH v. 21.1.2010, C-311/08 (SGI), IStR 2010, S. 144 Rn. 23 ff.

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der Grundfreiheiten in Drittstaatenfällen noch nicht abgeschlossen ist, sondern insoweit noch erhebliche Unklarheiten bestehen. M. E. kann die Niederlassungsfreiheit eine Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit nur in den Fällen ausschließen, in denen die nationale Regelung überwiegend zu einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit führt. Dabei sollte nicht darauf abgestellt werden, ob die jeweilige Norm eine bestimmte Mindestbeteiligungsgrenze enthält, sondern auf deren tatsächliche Wirkung. Gegen eine Exklusivität der Niederlassungsfreiheit gegenüber der Kapitalverkehrsfreiheit im Fall von Kontrollbeteiligungen, die insbesondere in Drittstaatensachverhalten Wirkung entfaltet, spricht m. E. die Regelung des Art. 64 Abs. 1 AEUV.143 Danach ist die Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten auf beschränkende Normen der Mitgliedstaaten, die zum 31.12.1993 bestanden haben und mit bestimmten Niederlassungsvorgängen, u. a. Direktinvestitionen zusammenhängen, nicht anwendbar. Eine Direktinvestition liegt nach dem EuGH-Urteil in der Rs. Holböck vor, wenn die Anteile dem Anteilseigner „die Möglichkeit geben, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft oder an deren Kontrolle zu beteiligen.“ 144 Zwar scheint der Begriff der Direktinvestition nach der Rechtsprechung des EuGH nicht zwingend einen sicheren oder bestimmenden Einfluss auf die Beteiligungsgesellschaft zu erfordern. Dieser Schutz von Direktinvestitionen würde aber weitestgehend leer laufen, wenn Direktinvestitionen insoweit vom Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit auszunehmen wären, wie es sich um Direktinvestitionen handelt, welche einen sicheren oder bestimmenden Einfluss auf die Beteiligungsgesellschaft ermöglichen.145 Darüber hinaus würde es zu Wertungswidersprüchen führen, wenn derjenige, der eine geringe Beteiligung hält, einen höheren Schutz durch die Grundfreiheiten genießen würde als derjenige, der eine Mehrheitsbeteiligung hält.146 Es käme dadurch quasi zu einem umgekehrt proportionalen Schutz des Investors zur Höhe seines Investments.147 Dem kann m. E. nicht entgegen gehalten werden, dass auch im Rahmen einer normbezogenen Betrachtungsweise Mehrheitsbeteiligungen in Drittstaatenfällen schlechter behandelt würden.148 In solchen Fällen macht der Gesetzgeber durch die Aufnahme einer Mindestbeteiligungsschwelle deutlich, dass er nur solche Fälle beschränken möchte, welche einen Niederlassungsvorgang zum Gegenstand haben. Verzichtet der Gesetzgeber auf eine solche Mindestbeteili143 So auch Rehm/Nagler, IStR 2009, S. 247; Cordewener, IWB, Fach 11 Gruppe 2 S. 995 (999); Rehm/Nagler, GmbHR 2009, S. 553 (554). 144 EuGH v. 24.5.2007, C-157/05 (Holböck), Slg. 2007, I-4051. 145 So aber Wunderlich/Blaschke, IStR 2008, S. 754 (760). 146 Vgl. Völker, IStR 2009, S. 705 (707); Wellens, DStR 2007, S. 1852 (1855); Rehm/ Nagler, IStR 2007, S. 320 (321); FG Münster, 9 K 2912/04 K, G, IStR 2008, S. 151 m. Anm. Rehm/Nagler. 147 Vgl. Cordewener, IWB, Gruppe 2 Fach 11 S. 999. 148 So aber Wunderlich/Blaschke, IStR 2008, S. 754 (759).

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gungsschwelle, macht er deutlich, dass es ihm gerade nicht vorrangig auf den Vorgang des Niederlassens ankommt, sondern er grundsätzlich jede Form der Beteiligung als regelungsbedürftig erachtet. Ist dieser aber der Ausgangspunkt des gesetzgeberischen Handelns, so ist es m. E. widersprüchlich, den Beteiligungsvorgang später in Abhängigkeit von der konkreten Beteiligungshöhe allein am Maßstab der Niederlassungsfreiheit und nicht (auch) am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen.

V. Prüfung von § 50d Abs. 3 EStG am Maßstab der Grundfreiheiten 1. Bestimmung der für die Prüfung des § 50d Abs. 3 EStG einschlägigen Grundfreiheit Aufgrund der vorstehenden Darstellung ist § 50d Abs. 3 EStG grundsätzlich sowohl auf eine Vereinbarkeit mit der Niederlassungs- als auch mit der Kapitalverkehrsfreiheit hin zu prüfen. Sofern die Beteiligung an der deutschen Gesellschaft der ausländischen Gesellschaft einen beherrschenden Einfluss vermittelt, ist der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit in Form der sekundären Niederlassung eröffnet, wenn die ausländische Gesellschaft innerhalb der EU ansässig ist. Die Ansässigkeit setzt – wie oben dargestellt – voraus, dass die ausländische Gesellschaft nicht nur rein formal innerhalb der EU präsent ist, sondern einen gewissen Bezug zum Gebiet der EU hat. Diese Voraussetzung ist, wie dargestellt, immer dann erfüllt, wenn die ausländische Gesellschaft ihre Hauptniederlassung im EU-Gebiet hat und eine Erwerbstätigkeit ausübt. Parallel zur Anwendung der Niederlassungsfreiheit ist in diesen Fällen auch der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit eröffnet, da auch Mehrheitsbeteiligungen von dem Begriff der Direktinvestition des Art. 64 AEUV erfasst werden. In diesen Fällen kommt der Kapitalverkehrsfreiheit aber regelmäßig kein über die Niederlassungsfreiheit hinausgehender Anwendungsbereich zu. Ist die ausländische Gesellschaft hingegen außerhalb der EU ansässig, so ist § 50d Abs. 3 EStG allein auf die Übereinstimmung mit der Kapitalverkehrsfreiheit zu prüfen. Eine Exklusivität der Niederlassungsfreiheit besteht nach der vorhergehenden Darstellung zum Konkurrenzverhältnis nicht, da § 50d Abs. 3 EStG nicht speziell Fälle beherrschender Beteiligungen umfasst, so dass nicht von einer Vorrangigkeit der Niederlassungsfreiheit ausgegangen werden kann. Auch die EU-Kommission geht davon aus, dass die derzeitige Fassung des § 50d Abs. 3 EStG zumindest in den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fällt.149 149 So Schmieszek, in: Beermann/Gosch, AO/FGO, § 42 AO Rz. 156 Fn. 7: Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat in einem Schreiben vom 18.9.2008 die

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2. Verstoß gegen Grundfreiheiten der Zwischengesellschaft Vorliegend stellt sich des Weiteren die Frage, gegen wessen Grundfreiheiten die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG verstoßen könnte. Zum einen kommen insoweit die Grundfreiheiten der ausländischen Gesellschaft in Betracht, welche die Anteile an der deutschen Kapitalgesellschaft hält. Zum anderen wird in der Literatur aber auch ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten der Gesellschafter der ausländischen Zwischengesellschaft diskutiert. a) Zulässiges Berufen auf Grundfreiheiten Ein potentieller Grundfreiheitsverstoß setzt voraus, dass sich die ausländische Gesellschaft überhaupt auf die betreffende Grundfreiheit berufen kann. Der EuGH hat in mehreren Urteilen150, in denen es um den Missbrauch der Grundfreiheiten durch die Errichtung einer ausländischen Gesellschaft ging, bereits bei der Prüfung der Eröffnung des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit geprüft, ob bereits die Ausübung der Niederlassungsfreiheit als missbräuchlich zu qualifizieren ist.151 Dabei hat der EuGH eine missbräuchliche Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit verneint, wenn eine Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat mit dem Ziel gegründet worden war, in den Genuss vorteilhafterer Rechtsvorschriften dieses anderen Mitgliedstaates zu kommen. In der steuerrechtlichen Entscheidung in der Rechtssache „Cadbury Schweppes“ hat der EuGH anfangs unter Hinweis auf die vorgenannten Entscheidungen nur kurz festgestellt, dass der Umstand, dass eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat mit dem Ziel gegründet worden ist, in den Genuss vorteilhafterer Rechtsvorschriften zu kommen, für sich allein nicht ausreicht, um auf eine missbräuchliche Ausnutzung dieser Freiheit zu schließen. Nachfolgend hat er aber im Rahmen der Prüfung etwaiger Rechtfertigungsgründe ausführlich die Frage erörtert, ob die festgestellten Grundfreiheitsbeschränkungen durch die Regelungen der britischen Hinzurechnungsbesteuerung aus Gründen der Missbrauchsvermeidung gerechtfertigt sind. In der Literatur wird zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Prüfungsaufbau durch den EuGH als widersprüchlich erscheint.152 Warum der EuGH diesen Weg gewählt hat, bleibt unklar. M. E. erscheint es im Ergebnis aber als vorzugswürdig, die Frage des Missbrauchs im Rahmen der Rechtfertigungsgründe zu prüfen, da nur im Rahmen der Auffassung vertreten, dass § 50d Abs. 3 EStG gegen Art. 56 EG verstößt und die Bundesregierung nach Art. 226 EG um Stellungnahme gebeten (dazu auch Kippenberg, IStR-Länderbericht 2008, S. 53 und 61). 150 EuGH v. 9.3.1999 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 24 ff.; EuGH v. 30.9.2003, C167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 96. 151 Siehe dazu Englisch, StuW 2009, S. 3 (16); Thiele, IStR 2011, S. 452 (453). 152 Vgl. Böing, EWS 2007, S. 55 (59); Stewen, Niederlassungsfreiheit, S. 259 f.; Lang/Heidenbauer, FS Vanistendael, S. 597 (607 f.).

V. Prüfung von § 50d Abs. 3 EStG am Maßstab der Grundfreiheiten

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Verhältnismäßigkeitsprüfung eine umfassende Interessenabwägung stattfinden kann. Im Übrigen erschiene es nach den gesellschaftsrechtlichen Urteilen, in denen der EuGH entschieden hat, dass selbst dann kein missbräuchliches Berufen auf die Grundfreiheiten vorliegt, wenn die ausländische Gesellschaft allein zur Nutzung günstigerer Rechtsvorschriften gegründet wurde, auch als widersprüchlich, diesen Gesellschaften das Berufen auf die Grundfreiheiten dann zu versagen, wenn sie geltend machen, durch steuerrechtliche Regelungen in ihren Grundfreiheiten verletzt zu sein.153 Es ist vielmehr sachgerecht, diesen Gesellschaften ein Berufen auf die Grundfreiheiten im Grundsatz zu gestatten, wobei im Rahmen der Rechtfertigung umfassend geprüft werden kann, ob die mitgliedstaatlichen Interessen bezüglich der durch die ausländische Gesellschaft angegriffenen mitgliedstaatlichen Regelungen gegenüber den Interessen der die Grundfreiheiten ausübenden Gesellschaft vorgehen.154 Insoweit kann im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein interessengerechter Ausgleich gefunden werden.155 b) Beschränkung der Grundfreiheiten aa) Literaturansichten Ein Verstoß von § 50d Abs. 3 EStG gegen die EU-Grundfreiheiten setzt einen Eingriff in den Schutzbereich der zu prüfenden Grundfreiheit voraus. Wie oben dargestellt kann es sich bei diesem Eingriff um eine Diskriminierung eines Grundfreiheitsberechtigten oder eine Beschränkung der Grundfreiheiten eines Grundfreiheitsberechtigten handeln. Vorliegend kommt zunächst eine Diskriminierung ausländischer Gesellschaften, die Anteile an einer deutschen Kapitalgesellschaft halten, gegenüber in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaften, welche entsprechende Beteiligungen halten, in Betracht. § 50d Abs. 3 EStG stellt seinem Wortlaut nach ausdrücklich auf ausländische Gesellschaften ab und findet auf in Deutschland ansässige Gesellschaften demnach keine Anwendung. Entsprechend wird in der Literatur ein Eingriff in die Grundfreiheiten der ausländischen Gesellschaft mit der Begründung bejaht, dass an die Zwischenschaltung in Deutschland ansässiger Gesellschaften keine Substanzanforderungen gestellt werden und der BFH noch niemals einer auf Dauer zwischengeschalteten inländischen Gesellschaft die steuerliche Anerkennung versagt habe. Kessler/Eicke halten zwei Vergleichspaare für 153

Vgl. Lang/Heidenbauer, FS Vanistendael, 2008, S. 597 (607 f.). Vgl. Böing, EWS 2007, S. 55 (59). 155 Vgl. Lang/Heidenbauer, FS Vanistendael, 2008, S. 597 (607 f.); Stewen, Niederlassungsfreiheit, S. 260; Böing, EWS 2007, S. 55 (59); a. A. Hey, Forum d. Int. Besteuerung, S. 137 (166), die auf die Gefahr hinweist, dass der Steuerpflichtige im Rahmen der Rechtfertigung vorbringen könne, dass er in den Genuss günstigerer außersteuerlicher Regelungen des Gesellschaftsrechts zu kommen trachtete und damit ein die Gestaltung rechtfertigender außersteuerlicher Grund vorliegt. 154

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F. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Europarecht

denkbar:156 Zum einen könne eine inländische geschäftsleitende Holding mit einer geschäftsleitenden Holding in einem EU-Mitgliedstaat verglichen werden. Zum anderen könne eine reine Holdinggesellschaft im Inland mit einer reinen Holdinggesellschaft im Ausland verglichen werden. Im ersten Vergleichspaar ergebe sich eine Ungleichbehandlung daraus, dass inländische geschäftsleitende Holdinggesellschaften anerkannt werden, da nach inländischem Konzernsteuerrecht das Halten von mindestens zwei Beteiligungen verbunden mit einer konzernleitenden Tätigkeit als eigengewerbliche Tätigkeit aufgefasst werde. Eine solche Anerkennung werde aber bei einer geschäftsleitenden Holding im EUAusland trotz gleicher Voraussetzungen verwehrt, wenn nicht alle drei Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Beim zweiten Vergleichspaar sei eine Ungleichbehandlung noch offensichtlicher, da es keine gesetzliche Regelung gibt, die das Treaty Shopping durch inländische Gesellschaften verhindert und die Rechtsprechung noch nie eine auf Dauer angelegte Zwischengesellschaft als Rechtsmissbrauch qualifiziert habe.157 Nach anderer Ansicht hingegen bewirkt § 50d Abs. 3 EStG keine Diskriminierung von im Ausland ansässigen Gesellschaften. Es wird argumentiert, dass § 50d Abs. 3 EStG lediglich einen Vorteil beschränke, der ohnehin nur ausländischen Anteilseignern zusteht.158 Diese Argumentation zielt auf die oben dargestellte grundsätzlich verschiedene Behandlung der Quellensteuerentlastung bei in- und ausländischen Gesellschaftern ab. Während bei im Inland ansässigen Anteilseignern die Berücksichtigung der erhobenen und abgeführten Kapitalertragsteuer im Veranlagungsverfahren erfolgt, findet das Kapitalertragsteuererstattungsverfahren lediglich bei im Ausland ansässigen Gesellschaften statt. Wenn aber ein Anspruch beschränkt wird, der nur ausländischen Anteilseignern zusteht, so könne darin keine Diskriminierung dieser ausländischen Anteilseigner gegenüber im Inland ansässigen Anteilseignern gesehen werden. Dem wird entgegengehalten, dass zwar die Beschränkung eines Anspruchs, der nur ausländischen Anteilseignern zusteht, keine unmittelbare Diskriminierung der ausländischen Anteilseigner darstellt. Allerdings erfolge im Kapitalertragsteuererhebungsverfahren bzw. im Kapitalertragsteuerentlastungsverfahren eine Diskriminierung ausländischer Anteilseigner dadurch, dass die Kapitalertragsteuer bei inländischen Kapitalgesellschaften als Anteilseignern wirtschaftlich betrachtet zu keiner Belastung führt, da entweder bereits im Steuerabzugsverfahren, spätestens aber im Veranlagungsverfahren eine Neutralisierung erfolgt.159 Bei ausländischen 156

Vgl. Kessler/Eicke, IStR 2006, S. 577 (580 f.). Vgl. Kessler/Eicke, IStR 2006, S. 577 (581); so auch Böing, RIW 2007, S. 161 (167); so wohl auch Wiese/Süß, GmbHR 2006, S. 972 (975); ähnlich Herlinghaus, EFG 2006, S. 898 (899). 158 Vgl. Renger, Treaty Shopping, S. 30 f.; dazu auch Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 21. 159 Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 150 ff. 157

V. Prüfung von § 50d Abs. 3 EStG am Maßstab der Grundfreiheiten

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Anteilseignern hingegen entfaltet die Kapitalertragsteuer grundsätzlich eine abgeltende Wirkung. Daher liege eine Diskriminierung vor, welche auf § 50d Abs. 3 EStG durchschlage. Andere Autoren stellen hingegen nicht auf die Grundfreiheiten der ausländischen Zwischengesellschaft selbst, sondern auf die Grundfreiheiten der Gesellschafter der ausländischen Zwischengesellschaft ab.160 Musil begründet dies damit, dass die ausländische Zwischengesellschaft selbst nicht Berechtigte der Niederlassungsfreiheit sein könne. Die Vorschrift richte sich entsprechend ihrer Regelungsintention nämlich gegen die hinter der gegründeten Auslandsgesellschaft stehenden Anteilseigner.161 Sie seien es, die von der Errichtung ausländischer Treaty Shopping-Gesellschaften abgehalten werden sollen. Daher kämen nur die Anteilseigner der ausländischen Gesellschaft als Berechtigte der Niederlassungsfreiheit in Betracht. Nach Renger ist deshalb eine in einem EU-Mitgliedstaat A ansässige und im Sinne von § 50d Abs. 3 EStG funktionsschwache Gesellschaft, deren Gesellschafter selbst nicht funktionsschwach und ebenfalls im Staat A ansässig ist, mit einer funktionsschwachen Gesellschaft zu vergleichen, die ebenfalls im Staat A ansässig ist, deren nicht funktionsschwacher Gesellschafter aber in einem Drittstaat ansässig ist und nicht dieselbe abstrakte Entlastungsberechtigung wie seine im Staat A ansässige Tochtergesellschaft hat. bb) Stellungnahme M. E. ist vorliegend durch § 50d Abs. 3 EStG eine Diskriminierung ausländischer Gesellschaften gegenüber inländischen Kapitalgesellschaften gegeben. Das entsprechende Vergleichspaar besteht insoweit aus einer funktionsschwachen ausländischen Kapitalgesellschaft auf der einen und einer funktionsschwachen in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaft auf der anderen Seite, die jeweils eine Beteiligung an einer in Deutschland ansässigen, Dividenden ausschüttenden Kapitalgesellschaft halten. Dem kann m. E. nicht entgegen gehalten werden, dass § 50d Abs. 3 EStG lediglich einen Anspruch beschränkt, der ohnehin nur beschränkt Steuerpflichtigen zusteht.162 Eine solche Argumentation wird den tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht gerecht. Es handelt sich sowohl bei der Erstattung von Kapitalertragsteuer an ausländische Kapitalgesellschaften als auch bei der Verrechnung bzw. Erstattung von Kapitalertragsteuer an in Deutschland ansässige Kapitalgesellschaften im Rahmen des Veranlagungsverfahrens um Methoden zur Kapitalertragsteuerentlastung. Während bei im Inland ansässigen Kapitalgesellschaften Dividendeneinkünfte unabhängig von einer bestimmten Beteiligungshöhe nach § 8b Abs. 1 KStG steuerfrei sind, hat die Ka160 161 162

Vgl. Renger, Treaty Shopping, S. 35 ff.; Musil, Treaty Overriding, S. 206. Vgl. Renger, Treaty Shopping, S. 35 ff.; Musil, Treaty Overriding, S. 206. So aber Renger, Treaty Shopping, S. 30 f.

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F. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Europarecht

pitalertragsteuer für im Ausland ansässige Gesellschaften grundsätzlich abgeltende Wirkung (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG).163 Eine Erstattung der Kapitalertragsteuer erfolgt nur insoweit, wie ein Entlastungsanspruch nach § 50d Abs. 1 EStG besteht. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Mutter-/Tochter-Richtlinie erfolgt in der Regel keine vollständige Erstattung der Kapitalertragsteuer, sondern wie oben dargestellt eine Ermäßigung der Kapitalertragsteuer von derzeit 26,375 % (einschl. Solidaritätszuschlag) auf 15 %. In diesen unterschiedlichen Regelungen ist m. E. eine Diskriminierung ausländischer Gesellschaften zu sehen. Da § 50d Abs. 3 EStG Teil des für ausländische Gesellschaften anzuwendenden Kapitalertragsteuererstattungsverfahrens ist, schlägt die Diskriminierung ausländischer Gesellschaften im Rahmen dieses Erstattungsverfahrens auf § 50d Abs. 3 EStG durch. Die Annahme einer Diskriminierung setzt, wie oben dargestellt, nach der Rechtsprechung des EuGH des Weiteren voraus, dass sich die Gesellschaften, die ungleich behandelt werden, in einer objektiv vergleichbaren Lage befinden. Der BFH ist in einem neueren Urteil164 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Situation eines im Ausland ansässigen Dividenden beziehenden Anteilseigners sich nicht mit der eines Dividenden beziehenden Anteilseigners vergleichen lasse, der in Deutschland ansässig ist. Gegenstand dieses Verfahrens war die Frage der Europarechtskonformität der Abgeltungswirkung der Kapitalertragsteuer nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG. Gestützt hat der BFH seine Entscheidung insbesondere auf das EuGH-Urteil in der Rechtssache ACT Group Litigation165. Aus diesem ergäbe sich, dass vom Quellenstaat grundsätzlich nicht verlangt werden könne, dass er Abhilfe in Bezug auf die Vermeidung oder Abschwächung der mehrfachen Belastung der Dividenden und der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung schaffe. Vielmehr geht der BFH davon aus, dass aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung in dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen dem Ansässigkeitsstaat der ausländischen Gesellschaft und Deutschland der ausländische Staat in erster Linie zur Entlastung berufen sei. Dem Urteil ist in der Literatur nahezu einhellig widersprochen worden.166 Zu Recht wirft Schön dem BFH in seiner Urteilsanmerkung vor, die Rechtsprechungslinien des EuGH zur Körperschaftsteuer und zur Kapitalertragsteuer/Quellensteuer verwechselt zu haben.167 Für die Körperschaftsteuer der ausschüttenden Gesellschaft formuliert der EuGH in ständi-

163 Instruktiv zum Zusammenspiel von Kapitalerhebung, Veranlagungsverfahren und Abgeltungswirkung BFH v. 22.4.2009, I R 53/07, IStR 2009, S. 551. 164 Vgl. BFH v. 22.4.2009, I R 53/07, IStR 2009, S. 551. 165 EuGH v. 12.12.2006, C-374/04 (Test Claimants in the ACT Group Litigation), Slg. 2006, I-11673. 166 Vgl. Schön, IStR 2009, S. 555; Rehm/Nagler, GmbHR 2009, S. 944 ff.; Behrens/ Schmitt, BB 2009, S. 2353; von Brocke/Hackemann, IWB Fach 3A Gruppe 1 S. 1127 ff. 167 Vgl. Schön, IStR 2009, S. 555.

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ger Rechtsprechung, dass der Sitzstaat des Dividendenempfängers in erster Linie berufen sei, eine Entlastung nach Maßgabe seines innerstaatlichen Rechts zu gewähren.168 Der Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft darf hingegen die Vergütung oder Anrechnung eines Körperschaftsteuerguthabens auf inländische Empfänger beschränken.169 Auf diese Weise wird gesichert, dass der Ansässigkeitsstaat der Körperschaft, die einen geschäftlichen Gewinn erwirtschaftet hat, insoweit das substanzielle Besteuerungsrecht genießt. Zur Gemeinschaftsrechtskonformität der Kapitalertragsteuer hat der EuGH hingegen entschieden, dass der Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft eine Quellensteuer zu Lasten ausländischer Kapitalgesellschaften als Dividendenempfänger nicht erheben darf, wenn vergleichbare inländische Dividendenempfänger nicht entsprechend belastet werden.170 Für Zwecke der Kapitalertragsteuer besteht daher eine grundsätzliche Vergleichbarkeit beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtiger. Auf eine Diskriminierung der Gesellschafter der ausländischen Gesellschaft kann m. E. nicht abgestellt werden. Soweit nämlich auf den Gesichtspunkt hingewiesen wird, dass die Regelung ja eigentlich verhindern wolle, dass jemand Drittes durch eine von ihm gegründete Gesellschaft am Wirtschaftsleben teilnimmt171, ist dieser Gedanke Ausfluss der Kontrolltheorie, die aber im Europarecht gerade keine Anwendung findet.172 Dieses Ergebnis folgt m. E. auch aus der Entscheidung des EuGH in der Rs. Elisa.173 In dem zugrunde liegenden Fall machte eine luxemburgische Kapitalgesellschaft eine Verletzung ihrer Kapitalverkehrsfreiheit durch eine Vorschrift der französischen Vermögensteuer geltend, welche vorsah, dass ausländische grundstückshaltende juristische Personen nur dann ebenso wie in Frankreich ansässige juristische Personen von der französischen Vermögensteuer befreit sind, wenn die Behörden des Ansässigkeitsstaates der ausländischen Gesellschaft im Rahmen eines Amtshilfeabkommens Informationen über die Gesellschafter der ausländischen Gesellschaft erteilen. In diesem Fall prüfte der EuGH keine Verletzung der Grundfreiheiten der Gesellschafter der ausländischen Gesellschaft, sondern diejenigen der ausländischen Gesellschaft selbst. Die Grundkonstellation der Treaty Shopping-Fälle entspricht der Ausgangssituation in der Rs. Elisa, da es ebenfalls darum geht, dass an eine ausländische Kapitalgesellschaft infolge ihrer Ansässigkeit zur Erlangung steuerlicher Vergünstigungen (hier: Kapitalertragsteuerentlastung) höhere Anforderungen gestellt werden als an eine im Inland ansässige Kapitalgesellschaft.

168

Vgl. Schön, IStR 2009, S. 555. Vgl. Schön, IStR 2009, S. 555. 170 Vgl. Schön, IStR 2009, S. 555. 171 Vgl. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 23. 172 Siehe dazu oben bei der Bestimmung des Inhalts der Niederlassungsfreiheit. 173 EuGH v. 28.10.2010, C-72/09 (Rimbaud), EuZW 2011, S. 30. 169

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3. Rechtfertigung der Grundfreiheitsbeschränkung Die Ungleichbehandlung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts gegenüber einem reinen Inlandsfall stellt nur dann eine Grundfreiheitsverletzung dar, wenn die Beschränkung nicht gerechtfertigt werden kann. Auf der Rechtfertigungsprüfung liegt regelmäßig der Schwerpunkt der Grundfreiheitsprüfung. Im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung prüft der EuGH zunächst, ob die jeweilige mitgliedstaatliche Maßnahme oder Regelung abstrakt durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt werden kann. Auf einer zweiten Stufe erfolgt dann eine Prüfung, ob die jeweilige Maßnahme oder Regelung verhältnismäßig ist.174 a) Allgemeines zur Rechtfertigung von Grundfreiheitsverstößen Als Rechtfertigungsgründe kommen zunächst die geschriebenen Rechtfertigungsgründe des AEUV in Betracht. Der AEUV nennt z. B. in Art. 52 AEUV als mögliche Rechtfertigungsgründe Gründe der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit. Für das Steuerrecht haben diese geschriebenen Rechtfertigungsgründe aber bislang keine wesentliche Bedeutung erlangt.175 Neben den geschriebenen Rechtfertigungsgründen können Beschränkungen der Grundfreiheiten nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH auch durch „zwingende Gründe des Allgemeinwohls“ gerechtfertigt sein.176 Danach müssen Hemmnisse, die sich aus den Unterschieden der nationalen Rechtsordnungen ergeben, hingenommen werden, „soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um dringenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes zu genügen.“ 177 Sofern in der Literatur vereinzelt die Ansicht vertreten wird, dass offene oder verdeckte Diskriminierungen (anders als Beschränkungen) nicht durch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt werden können, ist dies abzulehnen.178 Der EuGH überprüft in ständiger Rechtsprechung auch verdeckte Diskriminierungen anhand der im Vertrag nicht ausdrücklich aufgeführten Rechtfertigungsgründe. Beispielhaft dafür steht u. a. das Urteil in der Rechtssache 174 Vgl. EuGH v. 13.3.2007, C-524/04, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, IStR 2007, S. 249 Tz. 64; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 322 ff. 175 Frotscher, Internationales Steuerrecht, S. 44. 176 Ständige Rechtsprechung des EuGH seit der Cassis de Dijon-Entscheidung, vgl. u. a. EuGH v. 20.2.1979, Rs. 120/78 (Rewe Zentral AG („Cassis des Dijon“)), Slg. 1979, 649, Rn. 8; v. 15.5.1997, Rs. C-250/95 (Futura/Singer), Slg. 1997, I-2471; v. 3.10.2002, Rs. C-136/00 (Danner), Slg. 2002, I-8147. 177 EuGH v. 20.2.1979, Rs. 120/78 (Rewe Zentral AG („Cassis des Dijon“)), Slg. 1979, S. 649. 178 Vgl. dazu Schnitger, Grenzen der Einwirkung der Grundfreiheiten, S. 310 mit zahlreichen weiteren Nachweisen.

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Lankhorst-Hohorst179, in dem die streitgegenständliche Regelung nur auf im Ausland ansässige Gesellschaften Anwendung fand. Es ist daher davon auszugehen, dass die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe zumindest auch auf verdeckte Diskriminierungen Anwendung finden.180 Die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe stellen kein in sich geschlossenes System dar, sondern unterliegen einer Fortentwicklung durch die Rechtsprechung des EuGH und die EU-Mitgliedstaaten. In Zuge seiner Rechtsprechung hat der EuGH verschiedene Rechtsfertigungsgründe entwickelt, welche als Ausprägung der zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses im steuerlichen Bereich herangezogen werden können. Dabei ist in der Rechtsprechung des EuGH die Tendenz zu erkennen, nur die rechtlichen Aspekte zu berücksichtigen, die von den Mitgliedstaaten vorgetragen werden.181 Der EuGH zieht die Grenzen für die Anerkennung zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses jedoch sehr eng.182 Nicht anerkannt als potentielle Rechtfertigungsgründe wurden daher Verweise auf eine fehlende Harmonisierung im Bereich der direkten Steuern, auf allgemeine wirtschafts- und haushaltspolitische Gesichtspunkte wie drohende Steuerausfälle183 sowie auf gesetzes- und verwaltungstechnische Schwierigkeiten. In mehreren Fällen hat der EuGH hingegen den Rechtfertigungsgrund der Kohärenz anerkannt.184 Als legitime Ziele hat der EuGH weiter die Überprüfung und Sicherstellung einer dem nationalen Steuerrecht entsprechenden Regelung, die Verhinderung des mehrfachen Abzugs steuermindernder Faktoren einschließlich von Verlusten, die Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehungen und Missbräuchen einschließlich der willkürlichen Verlagerung von Besteuerungssubstrat sowie die Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen zwei Staaten anerkannt.185 Wo genau das Missbrauchsverbot dogmatisch zu verorten ist, ist bislang nicht anschließend geklärt.186 Die bisherige Rechtsprechung des EuGH zu dieser Frage ist – wie oben dargestellt – inkonsistent. Aufgrund der Möglichkeit, sämtliche Umstände umfassend zu würdigen, ist aber eine Prüfung im Rahmen der Rechtfertigungsgründe vorzugswürdig. 179

EuGH v. 12.12.2002, C-324/00 (Lankhorst-Hohorst), Slg. 2002, I-11779. Vgl. Nowak/Schnitzler, EuZW 2000, S. 627 (629); Hahn, DStZ 2005, S. 507 (508); Haase, Internationales Steuerrecht, Rz. 834. 181 Vgl. Sedemund/Sterner, DStZ 2006, S. 29 (34). 182 Vgl. Kellersmann/Treisch, Europäische Unternehmensbesteuerung, S. 163 ff. 183 Vgl. EuGH v. 21.11.2002, Rs. 436/00 (X und Y), Slg. 2000, I-10829 Rn. 50; EuGH v. 6.6.2000, Rs. C-35/98 (Verkooijen), Slg. 2000, I-4071 Rn. 48. 184 EuGH v. 28.1.1992, Rs. 240/90 (Bachmann), Slg. 1992, I-249; EuGH v. 28.1. 1992, C-300/90 (Kommission/Belgien), Slg. 1992, I-305; EuGH v. 7.9.2004, Rs. 319/02 (Manninen), Slg. 2004, I-7477. 185 Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 77. 186 Vgl. Böing, EWS 2008, S. 55 (58). 180

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Keine legitimen Ziele sind nach der Rechtsprechung des EuGH hingegen die Vermeidung von Einnahmeausfällen, der Erosion der Steuerbasis eines Staates einschl. der Verhinderung der legalen Steuerplanung, die Berücksichtigung des Umstandes, dass eine ausländische Kapitalgesellschaft im Inland keine Steuern zahlt, die fehlende Harmonisierung, die Verhinderung von steuerlichen Vorteilen für den Steuerpflichtigen aufgrund eines niedrigeren Steuerniveaus in dem anderen Staat, die Förderung der Wirtschaft eines Staates sowie verwaltungstechnische Erschwerungen.187 Mögliche Rechtfertigungsgründe können für Eingriffe in die Niederlassungsals auch die Kapitalverkehrsfreiheit einheitlich geprüft werden. Aus Art. 65 Abs. 3 AEUV folgt, dass mitgliedstaatliche Maßnahmen, die als Eingriffe in die Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt sind, auch Eingriffe in die Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigen. b) Der steuerliche Gestaltungsmissbrauch als Rechtfertigungsgrund für Grundfreiheitsbeschränkungen Vorliegend kommt eine Rechtfertigung der zuvor dargestellten Eingriffe in die Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung steuerlichen Missbrauchs in Betracht. Sowohl die Gesetzesbegründung zur Vorgängerfassung § 50d Abs. 1a EStG a. F. als auch die Gesetzesbegründung zu § 50d Abs. 3 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 stellen ausdrücklich klar, dass es sich bei dieser Regelung nach Auffassung des Gesetzgebers um eine Regelung zur Missbrauchsvermeidung handelt. So heißt es in der Gesetzesbegründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu § 50d Abs. 1a a. F. EStG aus dem Jahr 1993, dass die Regelung den Grundsatz konkretisiert, „dass bilaterale Abkommen unter einem Umgehungsvorbehalt stehen“.188 Des Weiteren wird die Regelung mehrfach als „Missbrauchsregelung“ bezeichnet und von einer „missbräuchlichen Ausnutzung eines DBA oder einer Regelung der EG“ gesprochen.189 In der Begründung des Regierungsentwurfs zur Änderung des § 50d Abs. 3 EStG durch das Jahressteuergesetz 2007 heißt es zudem: „Die Änderung des § 50d Abs. 3 EStG dient der Festigung und Konkretisierung dieser Vorschrift als Missbrauchsregelung“.190 Aufgrund dieser Rege187

Vgl. mit Rspr.-Nachweisen Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 82. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 27.9.1993 zu einem „Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz – StMBG), BT-Drs. 12/5630 und 12/5764. 189 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 27.9.1993 zu einem „Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz – StMBG), BT-Drs. 12/5630 und 12/5764. 190 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25.9.2006 zum Jahressteuergesetz 2007 (JStG 2007), BT-Drs. 16/2712. 188

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lungsintention des deutschen Gesetzgebers ist zu prüfen, ob das Gemeinschaftsrecht eine Rechtfertigung unter Missbrauchsgesichtspunkten zulässt. aa) Der Rechtfertigungsgrund der Missbrauchsbekämpfung im Gemeinschaftsrecht Das primäre Gemeinschaftsrecht enthält keinen ausdrücklichen Missbrauchsvorbehalt. Es entspricht aber der allgemeinen Auffassung in der Literatur sowie der ständigen Rechtsprechung des EuGH, dass das Gemeinschaftsrecht eine missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht schützt.191 Bereits in seinem Urteil in der Rechtssache „van Binsbergen“ aus dem Jahr 1974, welches allerdings nicht das Steuerrecht betraf, hat der EuGH festgestellt, dass „einem Mitgliedstaat nicht das Recht zum Erlass von Vorschriften abgesprochen werden [kann], die verhindern sollen, dass der Erbringer einer Leistung [. . .] sich die durch Artikel 59 [jetzt Art. 56 AEUV] garantierte Freiheit zunutze macht, um sich den Berufsregeln zu entziehen, die auf ihn Anwendung fänden, wenn er im Gebiet dieses Staates ansässig wäre“.192 Im Bereich des Steuerrechts ist die Bekämpfung steuerlichen Missbrauchs fester Bestandteil des Kanons der anerkannten Rechtfertigungsgründe.193 Danach können mitgliedstaatliche Beschränkungen der Grundfreiheiten nach der Rechtsprechung des EuGH gerechtfertigt sein, wenn sie darauf gerichtet sind, Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Steuerflucht194 zu verhindern. Auch wenn die vom EuGH verwendete Terminologie insoweit uneinheitlich ist, stellt die Bekämpfung missbräuchlicher Steuerpraktiken ein mittlerweile anerkanntes Ziel auch des Europarechts dar.195 Zwar judiziert der EuGH196 ebenso wie der BFH197, dass jedermann seine steuerlichen Verhältnisse so einrichten darf, dass er seine Steuerschuld in Grenzen hält. Gleichwohl sieht er es aber grundsätzlich als ein 191

Vgl. die zahlreichen Nachweise bei Englisch, StuW 2009, S. 3 (4) Fn. 7. EuGH v. 3.12.1974, Rs. 33/74 (van Binsbergen), Slg. 1974, S. 1299 Rn. 13. 193 Vgl. Hey, Forum d. Int. Besteuerung, S. 137 (163). 194 Der EuGH verwendet in seiner Rechtsprechung eine Vielzahl unterschiedlicher Termini; „Steuerumgehung“ in Rs. „Lankhorst-Hohorst“ Tz. 37; Steuerumgehung auch in Rs. „ICI“ Tz. 26; „Steuerflucht“ in Rs. „Lasteryie du Saillant“ und der Rs. „Cadbury“ vgl. dazu Hahn, IStR 2007, S. 323; Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/ FGO, § 42 AO Rn. 156; zur verwirrenden Begriffsvielfalt siehe auch Lohse, FS Reiss, Köln 2008, S. 645 ff. 195 Vgl. Drüen, StuW 2008, S. 154 (161). 196 Vgl. EuGH v. 26.10.1999, Rs. C-294/97 (Eurowings), Slg. 1999, I-7447; EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 36 f.; EuGH v. 29.4.2004, Rs. 487/01 und Rs. C-7/02 (Gemeente Keusden und Holin Groep), Slg. 2004, I-5337 Rn. 79. 197 Vgl. z. B. BFH v. 20.5.1997, VIII B 108/96, DStRE 1997, S. 798. 192

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legitimes, mit den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts vereinbares Ziel an, wenn die Mitgliedstaaten einzelstaatliche Maßnahmen ergreifen, um Steuerumgehungen zu vermeiden. Die anfängliche Rechtsprechung des EuGH in dem Urteil in der Rs. „avoir fiscal“,198 in welchem er noch ausgeführt hatte, dass Art. 52 EGV (jetzt Art. 49 AEUV) im Hinblick auf „die Gefahr der Steuerflucht . . . keine Ausnahme vom Grundprinzip der Niederlassungsfreiheit“ erlaube, ist damit überholt. Dass es sich bei der Unterbindung von Steuerumgehung und Steuerhinterziehung um gemeinschaftsrechtlich beachtliche Regelungsinteressen der Mitgliedstaaten handelt, zeigt sich auch daran, dass der Rat bereits im Jahr 1975 eine „Entschließung über Maßnahmen der Gemeinschaft zur Bekämpfung der internationalen Steuerflucht und Steuerumgehung199 angenommen und damit das Risiko gesehen hat, dass es durch entsprechende Gestaltungsmaßnahmen von Steuerpflichtigen im grenzüberschreitenden Kontext zu erheblichen Haushaltseinbußen einzelner Mitgliedstaaten kommen kann.200 Die legitimierende Wirkung des nationalen Interesses an der Missbrauchsabwehr kommt auch im steuerrechtlichen Sekundärrecht zum Ausdruck, das die nationalen Gesetzgeber zur Normierung von Tatbeständen ermächtigt, die die Versagung der Richtlinienvorteile gegenüber rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme ermöglichen.201 Entsprechende Vorbehalte zugunsten nationaler Missbrauchsregelungen enthalten sowohl die Mutter-/Tochter-Richtlinie als auch die Fusionsrichtlinie und die Zins- und Lizenzrichtlinie. Auch die Präambel der Amtshilferichtlinie 202 stellt fest, dass Praktiken der Steuerhinterziehung und Steuerflucht über die Grenzen der einzelnen Mitgliedstaaten hinaus zu Haushaltseinbußen führen und Verzerrungen des Kapitalverkehrs und der Wettbewerbsbedingungen führen können und damit das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes beeinträchtigen. Auch die EU-Kommission hat sich diesem Thema zuletzt verstärkt gewidmet. Mit der Anerkennung der Vermeidung steuerlichen Missbrauchs als Rechtfertigungsgrund für Grundfreiheitsbeschränkungen macht der EuGH deutlich, dass er die Befürchtung der Mitgliedstaaten, dass es durch missbräuchliche Praktiken zu einer Erosion der Besteuerungsbasis kommen könnte, ernst nimmt.203 Damit erkennt der EuGH die aus der Kompetenzordnung des EGV/EUV folgende primär-

198

EuGH v. 28.1.1986, C-27/83, Slg. 1986, I-285 ff. Rn. 25. Entschließung des Rates vom 14.2.1975 über Maßnahmen der Gemeinschaft zur Bekämpfung der internationalen Steuerflucht und Steuerumgehung, ABl. EG 1975 Nr. C 35/1. 200 Vgl. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 951. 201 Vgl. Hey, StuW 08, S. 167 (178 f.). 202 Vgl. den ersten Erwäggrund der Richtlinie 77/799/EWG vom 19.12.1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern, ABl. EG 1977 Nr. L 336/15. 203 Vgl. Böing, EWS 2007, S. 55 (58); Thömmes, FS Wassermeyer, S. 207 (215). 199

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rechtliche „Ertragshoheit der Staaten als Funktionsbedingung ihrer Steuer- und Sozialstaatlichkeit“ an.204 Die Frage, wann eine nationale Norm aus Gründen der Bekämpfung steuerlichen Rechtsmissbrauchs gerechtfertigt ist, entscheidet der EuGH gemeinschaftsrechtsautonom. Dabei geht der EuGH in ständiger Rechtsprechung von einem zweistufigen Konzept aus, wonach er auf einer ersten Stufe den Mitgliedstaaten die Anwendung ihrer nationalen Missbrauchsnormen gestattet, er diese aber unter den Vorbehalt des gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stellt.205 Kommt ein mitgliedstaatliches Gericht zu der Erkenntnis, dass ein Gestaltungsmissbrauch aufgrund der Normen des jeweils anwendbaren nationalen Rechts anwendbar ist, prüft der EuGH anhand der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, ob der auf der ersten Stufe konkretisierte Missbrauchsvorwurf auch mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Damit gibt der EuGH den konzeptionellen Rahmen vor, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten entsprechende Missbrauchsvorschriften schaffen und anwenden können. Einer gemeinschaftsrechtsautonomen Auslegung des Missbrauchsbegriffs ist m. E. zuzustimmen, da anderenfalls die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts gefährdet wäre, wenn es den nationalen Rechtsordnungen überlassen bliebe, über die Reichweite von Normen zu entscheiden, die im Zusammenhang mit der Rechtfertigung nationaler Maßnahmen relevant werden.206 Dem steht nicht entgegen, dass die Gemeinschaft grundsätzlich keine Kompetenz auf dem Gebiet der direkten Steuern hat, da die Gemeinschaft keine Missbrauchsnorm erlässt, sondern lediglich nationale Missbrauchsnormen anhand gemeinschaftsrechtlicher Maßstäbe überprüft. Wie bereits oben dargestellt verwendet der EuGH in ständiger Rechtsprechung die Formel, dass die Mitgliedstaaten unabhängig von einem Harmonisierungsauftrag der EU im Bereich der direkten Steuern ihre innerstaatlichen steuerrechtlichen Norm gemeinschaftsrechtskonform auszugestalten haben. Dabei handelt es sich um einen allgemeingültigen Grundsatz, der auch für nationale Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerflucht, Steuerhinterziehung und Missbrauch gilt.207 Zudem erlässt die Gemeinschaft keine Missbrauchsnormen, sondern bewertet letztlich Normen nationalen Ursprungs anhand gemeinschaftsrechtlicher Maßstäbe.208 204

Vgl. Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 174. Zum doppelten Prüfungsmaßstab in Missbrauchsfällen siehe Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 270 f.; ders., EWS 2007, S. 55 (62); Fischer, in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, AO/FGO; § 42 AO Rz. 186; EuGH v. 23.3.2000, Rs. C-373/97 (Diamantis), Slg. 2000, I-01705 Rn. 34 f. 206 Vgl. Hahn, IStR 1999, S. 609 ff. (613); Musil, RIW 2006, S. 287 (292); Lang, IStR 2002, S. 217 ff. (219); Schön, IStR 1996, Beihefter zu Heft 2, S. 1 ff., 4 ff. 207 Vgl. EuGH v. 21.11.2002, Rs. C-436/00 (X und Y), Slg. 2002, I-10829 ff. Rn. 42; Schlussanträge GA Léger v. 2.5.2006, Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), RIW 2006, S. 785 (788); Böing, EWS 2007, S. 55 (58). 208 Vgl. Musil, RIW 2006, S. 287 (292). 205

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Auch die EU-Kommission erkennt in ihrer am 10. Dezember 2007 veröffentlichten Mitteilung betreffend die „Anwendung von Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung im Bereich der direkten Steuern (innerhalb der EU und im Hinblick auf Drittländer)“ 209 an, dass der Erlass von Vorschriften zur Missbrauchsbekämpfung in den Zuständigkeitsbereich der einzelnen Mitgliedstaaten fällt.

bb) Analyse der Rechtsprechung des EuGH zum steuerlichen Missbrauchsbegriff (1) „Rein künstliche Gestaltung“ als zentrales Merkmal des steuerlichen Missbrauchs Der EuGH hat sich mittlerweile in einigen das Recht der direkten und indirekten Steuern betreffenden Entscheidungen mit dem Rechtfertigungsgrund der Missbrauchsbekämpfung auseinandergesetzt.210 Insbesondere in der jüngeren Vergangenheit hat der EuGH in verschiedenen Entscheidungen geprüft, ob die verfahrensgegenständlichen mitgliedstaatlichen Regelungen aus Gründen der Missbrauchsbekämpfung gerechtfertigt waren. Die Reichweite dieses Rechtfertigungsgrundes ist bislang nicht abschließend geklärt.211 Gleichwohl lassen sich mittlerweile Konturen eines europäischen Missbrauchsbegriffs erkennen.212 Insbesondere in der jüngeren Vergangenheit hat der EuGH den Missbrauchsbegriff maßgeblich weiterentwickelt.213 Zentrales Begriffselement der Rechtsprechung des EuGH zum Rechtfertigungsgrund der Missbrauchsvermeidung ist das Begriffspaar der „rein künstlichen Gestaltung“.214 Seit seiner Entscheidung in der Rs. „ICI“ 215 hat der EuGH in mittlerweile ständiger Rechtsprechung entschieden, dass nur solche mitgliedstaatlichen Rechtsnormen aus Gründen der Missbrauchsbekämpfung gerechtfertigt sein können, die sich gegen „rein künstliche, jeder Realität bare Konstruktionen richten, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats zu entgehen.“ Entscheidend für eine Rechtferti-

209

KOM (2007) 785 endgültig. Z. B. EuGH v. 16.7.1998, Rs. C-264/96 (ICI), Slg. 1998, I-4695; v. 12.12.2002, Rs. C-324/00 (Lankhorst-Hohorst), Slg. 2002, I-11779; v. 11.3.2004, Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant), Slg. 2004, I-2409; v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995; v. 17.9.2009, C-182/08 (Glaxo Wellcome), Slg. 2009, I-8591 v. 21.1.2010, C-311/08 (SGI), IStR 2010, S. 144. 211 Hey, Forum d. Int. Best., S. 137 (163). 212 Vgl. dazu u. a. Schön, FS Reiss, Köln 2008, S. 571 ff.; Böing, EWS 2007, S. 55 ff.; Hey, Forum d. Int. Best., S. 137 (163); Englisch, StuW 2009, S. 3 ff. 213 Vgl. Musil/Fähling, IStR 2010, S. 1501 (1503 ff.); Schön, IStR 2009, S. 882 (886). 214 Vgl. Hahn, IStR 2006, S. 667 (668). 215 EuGH v. 16.7.1998, C-264/96 (ICI), Slg. 1998, I-4695 Rn. 26. 210

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gung der mitgliedstaatlichen Norm ist aus Sicht des EuGH, dass die jeweilige Norm die Feststellung einer rein künstlichen Konstruktion im Einzelfall ermöglicht. In der Rs. „ICI“ als auch in mehreren Folgeurteilen (z. B. in Lankhorst-Hohorst216, Hughes de Lasteyrie du Saillant217) bestand für den EuGH zunächst keine Notwendigkeit, den Begriff der „rein künstlichen Konstruktion“ näher zu definieren. In diesen Urteilen lehnte der EuGH eine europarechtliche Rechtfertigung der jeweils verfahrensgegenständlichen mitgliedstaatlichen Norm bereits deshalb ab, weil er es aufgrund des weiten Anwendungsbereichs der jeweils verfahrensgegenständlichen Norm für offenkundig hielt, dass diese den strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen218 der EuGH-Rechtsprechung an Missbrauchsgründe nicht genügten. So war in der Rs. „ICI“ Anknüpfungspunkt der verfahrensgegenständlichen britischen Regelung pauschal jede Situation, in der die Mehrzahl der Tochtergesellschaften eines Konzerns – aus welchen Gründen auch immer – ihren Sitz im Ausland hatte. Dieser Umstand allein war nach Ansicht des EuGH nicht geeignet, speziell rein künstliche Konstruktionen, die auf eine Umgehung des Steuerrechts des Vereinigten Königreichs gerichtet sind, von einem Steuervorteil auszuschließen.219 In der Rs. „Lankhorst-Hohorst“, welche die Europarechtskonformität der früheren deutschen Regelungen der Gesellschafterfremdfinanzierung gemäß § 8a KStG a. F. betraf, stellte der bloße Umstand, dass ein Gesellschafterdarlehen eines nicht in Deutschland ansässigen Gesellschafters eine bestimmte Relation zum anteiligen Eigenkapital dieses Gesellschafters überschritt, nach Ansicht des EuGH ebenfalls keine ausreichende Grundlage für die Annahme einer rein künstlichen Konstruktion dar.220 Das bloße Anknüpfen an den grenzüberschreitenden Sachverhalt und die damit verbundene Schlechterstellung in anderen EU-Staaten Ansässiger gegenüber im Inland Ansässigen führte nach Ansicht des EuGH zur Europarechtswidrigkeit. Im Übrigen konnte nach Ansicht des EuGH in diesen Sachverhalten nicht von „Steuerumgehung“ gesprochen werden, da die ausländischen Gesellschaften zwar nicht dem Recht des betreffenden Staates, aber ersatzweise dem Steuerrecht ihres eigenen Sitzstaates unterlagen.221

216

EuGH v. 12.12.2002, Rs. C-324/00 (Lankhorst-Hohorst), Slg. 2002, I-11779. EuGH v. 11.3.2004, Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant), Slg. 2004, I-2409. 218 Als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sahen diese Entscheidungen u. a. auch Saß, FR 1998, S. 1 (6) und Lang/Heidenbauer, FS Vanistendael, S. 597 an; a. A. Hahn, IStR 1999, S. 609 (613), der darin das Ergebnis einer gemeinschaftsrechtsfreundlichen Auslegung sieht. 219 EuGH v. 16.7.1998, C-264/96 (ICI), Slg. 1998, I-4695 Rn. 26. 220 EuGH v. 12.12.2002, C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, Slg. 2002, I-1179 Rn. 37. 221 Vgl. Stoschek/Peter, IStR 2002, S. 656 (662); Schön, IStR 2009, S. 882 (886); Musil/Fähling, IStR 2010, S. 1501 (1503). 217

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In seiner neueren Rechtsprechung geht der EuGH jetzt aber davon aus, dass auch die Verlagerung von Einkünften in ein niedrig besteuerndes Land dem Missbrauchsvorwurf ausgesetzt sein kann.222 Der EuGH bezieht dabei in seine Missbrauchsprüfung zunehmend das Recht der Mitgliedstaaten ein, ihre Steuerzuständigkeit in Bezug auf die in ihrem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten wahrzunehmen.223 (2) Ausfüllung des Begriffs der rein künstlichen Gestaltung im Rahmen des Urteils „Cadbury Schweppes“ Erste Leitlinien zur Auslegung des Begriffs der rein künstlichen Gestaltung bei Verlagerung von Einkünften auf eine ausländische Gesellschaft hat der EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache Cadbury Schweppes224 entwickelt. Damit ist der EuGH der Aufforderung der Mitgliedstaaten gefolgt, seine Rechtsprechung zur Frage der rein künstlichen Konstruktion zu konkretisieren.225 Gegenstand des Verfahrens in der Rs. Cadbury Schweppes war die Gemeinschaftsrechtskonformität der Regelungen der britischen Hinzurechnungsbesteuerung. Voraussetzung für eine Hinzurechnungsbesteuerung nach englischem Recht war, dass eine im Vereinigten Königreich ansässige Person eine im Ausland ansässige, niedrig besteuerte Gesellschaft durch eine Kapitalbeteiligung von über 50 % beherrschte.226 Eine niedrige Besteuerung im Ausland lag vor, wenn die Steuerbelastung im Ansässigkeitsstaat der ausländischen Tochtergesellschaft weniger als 75 % der Steuerbelastung betrug, der die von der ausländischen Tochter erzielten Einkünfte unterlegen hätten, wenn sie in England erzielt worden wären. Selbst wenn diese Voraussetzungen vorlagen, war die englische Hinzurechnungsbesteuerung ausgeschlossen, wenn die Zwischengesellschaft den Großteil ihrer Gewinne ausschüttete, eine eigene aktive Tätigkeit ausübte, börsennotiert war oder Einkünfte nur bis zu einer Freigrenze erzielte. Die Hinzurechnungsbesteuerung war zudem auch dann ausgeschlossen, wenn die ausländische Gesellschaft einen Motivtest erfüllen konnte. Das war der Fall, wenn der Steuerpflichtige nachweisen konnte, dass eine Steuerminderung in England weder das Hauptziel der durch die Zwischengesellschaft ausgeführten Tätigkeit noch der Errichtung der Gesellschaft war.

222

Vgl. Schön, IStR 2009, S. 882 (886); Musil/Fähling, IStR 2010, S. 1501 (1503). Vgl. Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 42 AO Rz. 208; Schön, IStR 2009, S. 882 (886). 224 EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995. 225 Zu dieser Forderung siehe Rödder/Schönfeld, IStR 2006, S. 49 (50 f.). 226 Zur nachfolgenden Sachverhaltsdarstellung vgl. Reiche, in: Haase, AStG/DBA, § 8 AStG Rz. 128. 223

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Der EuGH bestätigt in seinem Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes erneut, dass rein künstliche Gestaltungen einen steuerlichen Missbrauch darstellen können, wenn sie dazu bestimmt sind, der normalerweise geschuldeten nationalen Steuer zu entgehen.227 Dabei muss ein Steuervorteil angestrebt werden, der über die Freiheit jedes Steuerpflichtigen hinausgeht, eine für ihn auch steuerlich vorteilhafte Gestaltung zu wählen.228 Zur Beantwortung der Frage, ob eine rein künstliche Gestaltung vorliegt, muss untersucht werden, ob die Gesellschaft in den Markt des Mitgliedstaats integriert ist.229 Dies ist nach dem Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes der Fall, wenn die ausländische Gesellschaft eine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.230 Dieses Erfordernis leitet der EuGH aus dem Zweck der im Entscheidungsfall einschlägigen Niederlassungsfreiheit her231, welcher in einer stabilen und kontinuierlichen Teilnahme am Wirtschaftsleben eines anderen Staates bestehe. Entsprechend erfordere die Niederlassungsfreiheit die Ausübung einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung im Aufnahmestaat auf unbestimmte Zeit. Die Anwendung eines Missbrauchsregimes ist dementsprechend dann nicht zulässig, wenn die Gründung einer Gesellschaft ungeachtet des Vorhandenseins von Motiven steuerlicher Art mit einer wirtschaftlichen Realität zusammenhängt.232 Eine bloß fiktive Ansiedlung reicht nach Ansicht des EuGH gerade nicht aus. Beispielhaft verweist der EuGH für eine rein künstliche Konstruktion auf eine „Briefkastenfirma“ oder eine „Strohfirma“. Er nimmt insoweit Bezug auf sein Urteil vom 2.5.2006 in der Rechtssache „Eurofood“ 233. Danach liegt eine Briefkasten- oder Strohfirma jedenfalls dann nicht vor, wenn die Gesellschaft einer Tätigkeit im Gebiet ihres Ansässigkeitsstaates nachgeht, selbst wenn sie dabei von der Muttergesellschaft kontrolliert wird. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass nach Ansicht des EuGH eine Briefkastengesellschaft nicht eine Gesellschaft ist, die über keine Räumlichkeiten und/oder kein oder nur wenig Personal verfügt, sondern eine solche Gesellschaft, die keine Aktivität ausübt.234 227

EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 51. Vgl. EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 64; zum Steuervorteil vgl. Gosch, in: FS Reiss, S. 571 (597 (607). 229 Vgl. Schön, in: FS Reiss, S. 571 (587 f.); Bergmann, StuW 2010, S. 246 (257). 230 EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 66. 231 Zu Zweifeln an dieser Vorgehensweise Englisch, StuW 2009, S. 3 (18), nach dessen Ansicht die Notwendigkeit und Angemessenheit einer Bekämpfung der Umgehung nationaler Steueransprüche nicht aus dem Zweck der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit hergeleitet werden kann, da sich das Freizügigkeitsrecht ja gerade gegenläufig zu dem mitgliedstaatlichen Anliegen verhalte, auch Vorgänge des realen grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs einer Missbrauchskontrolle zu unterziehen. 232 EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 65. 233 Vgl. EuGH v. 2.5.2006, C-341/04 (Eurofood), Slg. 2006, I-3813. 234 de Broe, EC Tax Review 2008, S. 142 (144). 228

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Das Fehlen einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit muss nach Ansicht des EuGH auf objektiven, von dritter Seite nachprüfbaren Anhaltspunkten beruhen, die sich u. a. auf das Ausmaß des greifbaren Vorhandenseins der beherrschten ausländischen Gesellschaft in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen bezieht. Damit knüpft der EuGH an seine Rechtsprechung in der Rechtssache Halifax an, wo er festgestellt hat, dass die missbräuchliche Praxis anhand objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein müsse.235 Offen bleibt aber die Frage, welche Anforderungen an den Umfang des Vorhandenseins der vorgenanten Merkmale zu stellen sind.236 Unabhängig von der Frage des erforderlichen Umfangs geht der EuGH aber wohl davon aus, dass die Annahme einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit eine Frage der Ausstattung der Zwischengesellschaft mit Personal, Kapital und Funktionen ist.237 Generalanwalt Léger hatte in seinen Schlussanträgen über die in den Urteilsgründen enthaltenen Ausführungen des EUGH hinaus weitere Kriterien für die Feststellung einer materiellen Präsenz der Gesellschaft genannt.238 Danach sollen sich der Umfang der Räumlichkeiten, des Personals und der Ausrüstung danach bestimmen, was zur Erbringung der Leistungen der Tochtergesellschaft erforderlich ist.239 Des Weiteren müssen die von der Tochtergesellschaft erbrachten Leistungen echt sein. In diesem Zusammenhang sei die Kompetenz des Personals der Tochtergesellschaft für die zu erbringenden Leistungen zu untersuchen und zu prüfen, ob die bei der Erbringung dieser Leistungen zu treffenden Entscheidungen auch tatsächlich auf Ebene der Tochtergesellschaft erbracht werden und diese nicht ein bloßes Vollzugsorgan ist.240 Des Weiteren könne von einer rein künstlichen Konstruktion ausgegangen werden, wenn die Leistungen der Tochtergesellschaft für die Tätigkeit der Muttergesellschaft ganz ohne wirtschaftliches Interesse sind.241 Der EuGH hat diese weitergehenden Überlegungen des Generalanwalts nicht in seine Urteilsgründe aufgenommen, sie aber zumindest auch nicht verworfen.242 Des Weiteren wird in der Literatur ausgeführt, dass aus dem Umstand, dass die ausländische Gesellschaft keine Räumlichkeiten, Personal oder sonstige Ge235

Vgl. Kraft/Bron, IStR 2006, S. 614 (618). Vgl. Axer, IStR 2007, S. 164; Hahn, IStR 2006, S. 667 (670); Rödder/Schönfeld, IStR 2006, S. 49 (51); Wassermeyer, DB 2006, S. 2050. 237 Vgl. Wassermeyer, DB 2006, S. 2050. 238 Schlussanträge v. 2.5.2006, Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I7995, Rn. 105 ff.; dazu auch Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 209. 239 Vgl. Kraft/Bron, IStR 2006, S. 614 (617). 240 Vgl. Kraft/Bron, IStR 2006, S. 614 (617). 241 Schlussanträge des GA Léger v. 2.5.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995, Rz. 110 ff. 242 Vgl. Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 209. 236

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schäftsausstattung hat, nicht generell geschlossen werden kann, dass solche Gesellschaften nicht anzuerkennen sind. Zum einen würde die Größe der Geschäftsräume sowie die Anzahl der Angestellten von der konkreten Geschäftstätigkeit abhängen. So würden z. B. eine Zwischenholding oder eine reine Finanzierungsgesellschaft keiner großen Räumlichkeiten oder größeren Anzahl von Vollzeitkräften bedürfen. In einem rein nationalen Kontext bestünden insoweit keine Zweifel, dass Gesellschaften ohne Geschäftsräume oder Personal nicht negiert werden. Deshalb könne nicht angenommen werden, dass solche Gesellschaften allgemein als rein künstliche Gestaltungen zu qualifizieren sind. Unklar ist auch, wie diese vom EuGH aufgestellten Kriterien auf Holding- und Finanzierungstätigkeiten anzuwenden sind, für deren Ausübung nur eine beschränkte Präsenz im Ansässigkeitsstaat erforderlich ist.243 Schön weist darauf hin, dass die vom EuGH geforderte Integration in das Wirtschaftsleben des anderen Mitgliedstaates auf zwei Weisen verwirklicht werden kann:244 Zum einen könne dies dadurch geschehen, dass das Unternehmen Güter, Dienstleistungen oder Kapital in den Markt seines Ansässigkeitsstaates liefert. Zum anderen könne dies aber auch dadurch geschehen, dass die Gesellschaft als Kunde auf dem Markt ihres Ansässigkeitsstaates auftritt, indem das Unternehmen z. B. Geschäftsräume anmietet und den Arbeitsmarkt in Anspruch nimmt, indem es einheimische Angestellte für sich gewinnt. (3) Subjektiver Tatbestand Neben dem Fehlen einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit erfordert das Vorliegen einer rein künstlichen Gestaltung nach den Ausführungen des EuGH in der Rs. Cadbury Schweppes auch ein subjektives Element, das in dem Streben nach einem Steuervorteil besteht.245 Auch in den Entscheidungen „Emsland Stärke“ 246 und „Halifax“ hat der EuGH ein subjektives Element als erforderlich angesehen. Das Missbrauchsverbot ist daher nicht relevant, wenn die fraglichen Umsätze eine andere Erklärung haben (können) als die Erlangung von Steuervorteilen. Da die Absicht des Steuerpflichtigen nur schwer zu ermitteln sein wird, wenn er nicht wie in der Rechtssache Cadbury ausdrücklich erklärt, einen Steuer-

243 Vgl. Mitteilung der Kommission vom 10.12.2007, KOM(2007) 785 endgültig – Anwendung von Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung im Bereich der direkten Steuern (innerhalb der EU und im Hinblick auf Drittländer). 244 Vgl. Schön, FS Reiss, Köln 2008, S. 571 (588). 245 EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 – Cadbury Schweppes, IStR 2006, S. 670 Rn. 64; zur Absicht des Steuerpflichtigen als konstitutives Element des Missbrauchsbegriffs Böing, EWS 2007, S. 55 (61). 246 EuGH v. 14.12.2000, Rs. C-110/99 (Emsland-Stärke), Slg. 2000, I-11569; EuGH v. 21.2.2006, C-255/02 (Halifax u. a.), Slg. 2006, I-1609.

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vorteil angestrebt zu haben, ist anerkannt, dass die Missbrauchsabsicht zur Beweiserleichterung anhand objektiver Anhaltspunkte ermittelt werden kann. In der Literatur bestehen unterschiedliche Ansichten über die praktische Relevanz dieses Motivtests. Während Fischer davon ausgeht, dass der EuGH in seinen Urteilsgründen eine „Dogmatik der unternehmerisch-wirtschaftlichen Substanz“ erarbeitet hat, neben der außersteuerliche Motive des Steuerpflichtigen keine Bedeutung haben247 und andere Autoren einen subjektiven Tatbestand im Rahmen der Prüfung des Primärrechts ablehnen248, sehen andere Autoren249 darin ein Korrektiv zum objektiven Missbrauchstatbestand. Eine besondere Bedeutung wird der subjektive Tatbestand aber wohl nur in ganz bestimmten Situationen haben.250 Im Regelfall wird die subjektive Seite erfüllt, sofern die objektiven Merkmale genügenden Anlass zur Feststellung eines Missbrauchs bieten.251 M. E. hat die Frage nach einem subjektiven Element aber insoweit Relevanz, als der Steuerpflichtige trotz des Vorliegens objektiver Anhaltspunkte für das Bestehen einer rein künstlichen Konstruktion die Möglichkeit hat, nachzuweisen, dass die gewählte Gestaltung nicht den Zweck verfolgt, derjenigen Steuer zu entgehen, die normalerweise für die jeweilige Tätigkeit im Inland geschuldet wäre. (4) Weiterentwicklung der Rechtsprechung des EuGH zum steuerlichen Missbrauchsbegriff In seinem Urteil in der Rs. Thin Cap Group Litigation252 hat der EuGH den Raum künstlicher Gestaltungen unter dem Einfluss von Generalanwalt Geelhoed noch deutlich weiter gefasst.253 Danach kommt es für die Frage der Künstlichkeit einer Gestaltung darauf an, ob der gewählte Vertragsinhalt dem entspricht, was unabhängige Parteien „at arm’s length“ vereinbart hätten. Diese Entscheidung erging zur Europarechtskonformität der Regelungen der britischen Gesellschafterfremdfinanzierungsregeln, wobei sich dieses Urteil deutlich von der früheren Rechtsprechung des EuGH zur Gesellschafterfremdfinanzierung in der deutschen Rs. Lankhorst-Hohorst unterscheidet. Noch einen Schritt weiter ging der EuGH in der Rechtssache SIG254, in welcher eine grundlegende Neujustierung der Rechtsprechungslinie zum steuer247

Vgl. Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 42 AO Rz. 191 ff., 209. Lang/Heidenbauer, FS Vanistendael, S. 597 (608 ff.). 249 Böing, EWS 2007, S. 55 (61). 250 Vgl. Schön, FS Reiss, S. 571 (590 f.). 251 Vgl. Thiele, IStR 2011, S. 452 (455 f.); Böing, EWS 2007, S. 55 (61). 252 EuGH v. 13.3.2007, C-524/04 (Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation), Slg. 2007, I-2107. 253 Schön, IStR 2009, S. 882 (886). 254 EuGH v. 21.1.2010, C-311/08 (SIG), DStRE 2010, S. 729. 248

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lichen Missbrauch gesehen wird.255 Danach können steuerliche Missbrauchsnormen in einem weitergehenden Umfang als bisher gerechtfertigt sein, wenn und soweit sie im Zusammenhang mit der Aufteilung der Besteuerungshoheit stehen und sich gegen eine Verlagerung von Steuersubstrat durch wirtschaftlich nicht sinnvolle Gestaltungen richten. In diesen Fällen sollen auch über bloße künstliche Konstruktionen hinausgehende Normierungen anerkannt werden können, sofern sie dem Steuerpflichtigen im Einzelfall einen Entlastungsbeweis ermöglichen. (5) Rechtfertigung typisierender Missbrauchsnormen Nachdem der EuGH in seiner früheren Rechtsprechung pauschalierende und typisierende Missbrauchsbekämpfungsvorschriften generell als europarechtswidrig angesehen hat, zeigt sich in der jüngeren Rechtsprechung die Tendenz, zunehmend auch pauschalierende Missbrauchsbekämpfungsvorschriften anzuerkennen, sofern diese verhältnismäßig ausgestaltet sind. In der Rs. Leur-Bloem256 hatte der EuGH niederländische Regelungen zur Umsetzung der Fusionsrichtlinie als mit Europarecht nicht vereinbar angesehen, weil diese typisierend Missbrauchstatbestände umschrieben haben. Der EuGH sah diese Missbrauchstatbestände als unverhältnismäßig an, da sie den Steuerpflichtigen unabhängig davon von einem Steuervorteil ausschlossen, ob tatsächlich eine Steuerhinterziehung oder -umgehung vorlag.257 Stattdessen hat der EuGH klargestellt, dass das gemeinschaftsrechtliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, sich nicht auf die Vorgabe allgemeiner Kriterien für die Annahme einer Steuerhinterziehung oder -umgehung zu beschränken, sondern die Mitgliedstaaten vielmehr verpflichtet, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob tatsächlich ein solches Verhalten des Steuerpflichtigen gegeben ist.258 Auch in seinen Urteilen in den Rs. ICI259 und Lankhorst-Hohorst260 knüpfte der EuGH an die Kernaussage in dem Urteil Leur-Bloem an, wonach typisierende Missbrauchsvorschriften nicht gemeinschaftsrechtskonform sind.261 Zu Recht wurde diese rigide Rechtsprechung des EuGH bereits frühzeitig kritisiert. Sieht man wie der EuGH in seiner damaligen Rechtsprechung typisierende mitgliedstaatliche Missbrauchsnormen unabhängig von ihrer konkreten 255

Musil/Fähling, DStR 2010, S. 1501 (1504). EuGH v. 17.7.1997, Rs. C-28/95 (Leur-Bloem), Slg. 1997, I-4161. 257 Vgl. Strobl-Haarmann, FS Raupach, S. 613 (623 f.). 258 EuGH v. 17.7.1997, Rs. C-28/95 (Leur-Bloem), Slg. 1997, I-4161 ff. Rn. 38–44. 259 EuGH v. 16.7.1998, C-264/96 (ICI), Slg. 1998, I-4695 Rn. 26. 260 EuGH v. 12.12.2002, Rs. C-324/00 (Lankhorst-Hohorst), Slg. 2002, I-11779. 261 So auch Hahn, IStR 1999, S. 609 (613); de Werth/Rainer, IStR 1998, S. 471 (Anm. zu ICI); vgl. auch Kube, IStR 2003, S. 325 (329). 256

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Ausgestaltung als gemeinschaftsrechtswidrig an, so bedeutet dies, dass letztlich nur allgemeine Missbrauchsnormen wie im deutschen Recht § 42 AO gemeinschaftsrechtskonform sein könnten. Es liegt auf der Hand, dass dies für den Steuerpflichtigen zu einer erheblichen Planungs- und Rechtsunsicherheit führen würde, welche erst durch eine letztinstanzliche Gerichtsentscheidung (nach Durchlaufen der Instanz des EuGH) beendet würde. Insoweit sind aus Sicht des Steuerpflichtigen typisierende Missbrauchstatbestände grundsätzlich besser als der Rückgriff auf (ggfs. kodifizierte) übergeordnete Rechtsgedanken.262 Zum Teil wurde bereits in dem EuGH-Urteil in der Rs. Marks & Spencer ein Abrücken des EuGH von der generellen Ablehnung der Rechtfertigung typisierender Tatbestände gesehen, da die streitgegenständlichen Regelungen der britischen Gruppenbesteuerung auch solche Fälle erfassten, die fern jeder missbräuchlichen Gestaltung liegen.263 Nach anderer Ansicht hingegen konnte dieser Schluss nicht gezogen werden, da der EuGH eine Rechtfertigung nur in der Gesamtschau von drei Rechtfertigungsgründen in Betracht zog, wovon einer die Steuerfluchtgefahr war.264 Zumindest aber seit dem Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes sieht der EuGH typisierende Missbrauchsbestimmungen nicht mehr per se als unverhältnismäßig an.265 In der Rs. Oy AA hat der EuGH eine typisierende mitgliedstaatliche Regelung, die nicht speziell bezweckte, rein künstliche Gestaltung zu bekämpfen, als verhältnismäßig angesehen.266 In der Rs. Glaxo Wellcome ging der EuGH davon aus, dass § 50c EStG zum Ziel hatte, Gestaltungen zu begegnen, die allein auf Erlangung eines Steuervorteils gerichtet waren. In Thin Cap Group Litigation hat der EuGH entschieden, dass der Gesetzgeber auch typisierende Tatbestände für die Fälle einführen darf, in denen die Gefahr der Steuerumgehung am wahrscheinlichsten ist.267 Der EuGH sieht danach mitgliedstaatliche Regelungen als verhältnismäßig an, wenn die Norm es dem nationalen Gericht ermöglicht, eine Einzelfallprüfung durchzuführen und sich dabei für die Berücksichtigung von missbräuchlichem oder betrügerischem Verhalten der betroffenen Person auf objektive Elemente zu stützen. Danach kann eine Missbrauchsvermutung zulässig sein, wenn sie auf-

262

Siehe dazu Rödder/Schönfeld, IStR 2006, S. 49 (51). Vgl. Balmes/Brück/Ribbrock, BB 2006, S. 186 (188). 264 Vgl. Meister, NZG 2006, S. 212 (214); Eicker/Röhrbein, Stbg 2006, S. 117 (119). 265 Vgl. Kraft/Bron, IStR 2006, S. 614 (618); Rödder/Schönfeld, IStR 2006, S. 49 (50 f.); Kessler/Saavedra-Olarte, DB 2006, S. 2364 (2376), sehen in Cadbury Tendenz, typisierende Missbrauchsvorschriften zu akzeptieren, wobei auch klar werde, dass der betroffene Steuerpflichtige zumindest die Möglichkeit haben muss, diese Vermutung zu entkräften. 266 EuGH v. 18.7.2007, C-231/05 (Oy AA), Slg. 2007, I-631, Rz. 63. 267 Plewka/Renger, GmbHR 2007, S. 1029. 263

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grund präzise festgelegter Voraussetzungen nur unter genau bestimmten Umständen anwendbar ist, die auf Fälle zugeschnitten sind, in denen die Gefahr einer Steuerflucht am wahrscheinlichsten ist.268 In diesem Fall muss aber der Steuerpflichtige im Rahmen eines Motivtests die Möglichkeit haben, Beweise dafür vorzulegen, dass er tatsächlich eine Tätigkeit ausübt, aufgrund deren er die Grundfreiheiten in Anspruch nehmen kann. Generalanwalt Geelhoed hat dies in seinen Schlussanträgen in der Rs. Thin Cap Group Litigation so formuliert, dass „bestimmte sachgerechte Kriterien“ gefunden werden müssen, um der Finanzverwaltung und dem Steuerpflichtigen eine sinnvolle Einschätzung zu gestatten.269 Im Nachgang zur Rechtsprechung in der Rs. Cadbury Schweppes hat der EuGH zwischenzeitlich in mehreren Entscheidungen mitgliedstaatliche Missbrauchsbekämpfungsvorschriften auch dann nicht als europarechtswidrig angesehen, wenn diese keinen Motivtest enthielten. Vielmehr gab er den vorlegenden Gerichten auf, zu überprüfen, ob diese Regelungen so eng ausgelegt werden können, dass ebenfalls nur rein künstliche Gestaltungen erfasst werden. Pauschale Missbrauchsvermutungen zu Lasten des Steuerpflichtigen sind europarechtlich hingegen weiterhin unzulässig. Keine Bedenken hat der EuGH nach Ansicht verschiedener Stimmen in der Literatur interessanterweise hinsichtlich einer Beweislastumkehr zu Lasten des Stpfl. geäußert, soweit die widerlegbare gesetzliche Vermutung spezifisch auf Missbrauchsfälle zugeschnitten ist.270 (6) Übertragbarkeit der Rspr. zu Cadbury, die sich auf Niederlassungsfreiheit bezog, auch auf Kapitalverkehrsfreiheit Wie oben dargestellt, hat der EuGH in der Rs. Cadbury Schweppes die Substanzanforderungen an die ausländische Gesellschaft aus dem Sinn und Zweck der Niederlassungsfreiheit abgeleitet, die gegenseitige wirtschaftliche und soziale Durchdringung auf dem Gebiet der selbständigen Tätigkeit innerhalb der Gemeinschaft durch die Gründung einer (Zweig)Niederlassung zu fördern. Die Errichtung einer (Zweig)Niederlassung zur Ausübung der Grundfreiheiten stellt allerdings ein Spezifikum der Niederlassungsfreiheit dar. Zwar hat auch die Kapitalverkehrsfreiheit eine vergleichbare Zielsetzung, indem auch durch die Gewährung der Kapitalverkehrsfreiheit eine wirtschaftliche und soziale Durchdrin268 Vgl. Generalanwalt Mazák, Schlussanträge vom 26.4.2007, Rs. C-451/05 (Elisa), Slg. 2007, I-8251 Rz. 102; siehe auch Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/ FGO, § 42 AO Rz. 172. 269 Generalanwalt Geeelhoed, Schlussanträge vom 29.6.2006, C-524/04 (Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation), Slg. 2007, I-2107 Rn. 66. 270 Hey, StuW 08, S. 176 (178); zu dieser Einschränkung auch Lang in SWI 06, S. 273 (280).

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gung erfolgen soll.271 Allerdings ist dafür zum einen, anders als für die Niederlassungsfreiheit, keine stabile und dauerhafte Teilhabe am Wirtschaftsleben des anderen Staates erforderlich, zum anderen ist diese soziale und wirtschaftliche Durchdringung dem Grundsatz nach nicht auf die EU-Mitgliedstaaten beschränkt, sondern gilt grundsätzlich weltweit. Unklar ist daher, ob dieselben Anforderungen an eine Rechtfertigung eines Eingriffs durch den Rechtfertigungsgrund der Missbrauchsvermeidung auch dann gelten, wenn nicht wie im Fall Cadbury Schweppes die Niederlassungs-, sondern die Kapitalverkehrsfreiheit betroffen ist. Bislang hat der EuGH den Begriff der rein künstlichen Gestaltung insbesondere in Sachverhaltskonstellationen verwendet, in denen es um die Rechtfertigung von Verstößen gegen die Niederlassungsfreiheit ging. Zwar ist es unstreitig, dass auch Eingriffe in die Kapitalverkehrsfreiheit mit dem Argument der Missbrauchsverhinderung gerechtfertigt werden können. Allerdings stellt sich dann die Frage, welche Anforderungen in diesem Fall an die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft zu stellen sind. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass es im Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit anderer Rechtfertigungsmaßstäbe bedarf, da der EuGH gerade aus dieser Integration in den Aufnahmestaat das Erfordernis einer festen Einrichtung und die physische Präsenz im Aufnahmestaat abgeleitet hat.272 Insoweit müssten andere objektive Kriterien gefunden werden, anhand derer auf einen Missbrauch geschlossen werden kann. Weder aus der Rechtsprechung noch aus Veröffentlichungen der Verwaltung ist derzeit ersichtlich, welche Kriterien dies sein könnten. Ob der EuGH somit eine Hinzurechnungsbesteuerung selbst dann nicht für gerechtfertigt hält, wenn es sich bei der ausländischen Gesellschaft um eine bloße Briefkastengesellschaft handelt, bleibt abzuwarten. M. E. sollte auch in diesen Fällen eine Rechtfertigung mit dem Argument des Vorliegens einer rein künstlichen Konstruktion möglich sein. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob diese Frage in Inbound-Fällen wie denen des Treaty Shoppings überhaupt relevant ist. In der Rechtssache Elisa hat Generalanwalt Mazák eine solche Übertragbarkeit auf die Kapitalverkehrsfreiheit bejaht. Nach seinen Ausführungen hat die Schlussfolgerung aus einer Übertragung dieser Rechtsprechungsgrundsätze auf den in der Rechtssache Elisa relevanten Sachverhalt dahingehend zu lauten, dass eine beschränkende Maßnahme nicht über die wirksame Besteuerung des Grundeigentums derjenigen juristischen Personen hinausgehen darf, die formal in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind, deren Niederlassung dort aber der wirtschaftlichen Realität ent271 272

Vgl. Lang/Heidenbauer, FS Vanistendael, S. 597 (606). Vgl. Reiche, in: Haase, AStG/DBA, § 7 AStG Rz. 25 und § 8 AStG Rz. 144.

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behrt.273 Allerdings zeigen sich die Schwierigkeiten bei der Übertragung der Cadbury-Rechtsprechung auf Inbound-Fälle sehr deutlich an der Argumentation des Generalanwalts. Zu Recht stellt dieser nämlich nicht auf die Qualität der Verbindung der ausländischen Gesellschaft zu der inländischen Gesellschaft ab. Vielmehr kommt es nach seinen Ausführungen auf die physische Präsenz in dem Ansässigkeitsstaat der ausländischen Gesellschaft an. Es geht dabei letztlich um die Frage, welche Anforderungen an die Präsenz der ausländischen Gesellschaft zu stellen sind, damit sich diese Gesellschaft tatsächlich für ihre Rechtbeziehung zu der inländischen Gesellschaft auf die Ausübung ihrer Grundfreiheiten berufen kann. (7) Übertragbarkeit der zu Outbound-Sachverhalten ergangenen Cadbury-Rechtsprechung auf Inbound-Sachverhalte Die Frage, ob § 50d Abs. 3 EStG zur Missbrauchsbekämpfung bzw. Steuerumgehung geeignet ist, hängt vom gemeinschaftsrechtlichen Verständnis des Missbrauchs bzw. der Steuerumgehung ab. Wie oben dargestellt, verwendet der EuGH in mittlerweile ständiger Rechtsprechung die Formel, dass nationale Maßnahmen, die den Kapitalverkehr oder die Niederlassungsfreiheit beschränken, gerechtfertigt sein können, wenn sie speziell auf die Bekämpfung rein künstlicher, jeder wirtschaftlichen Realität barer Gestaltungen abzielen, welche zu dem Zweck errichtet wurden, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland erzielte Gewinne geschuldet wird. Nach dem Urteil des EuGH in der Rs. Cadbury Schweppes274 besteht eine solche rein künstliche Gestaltung, wenn die Gründung einer ausländischen Gesellschaft nicht mit einer tatsächlichen Ansiedlung zusammenhängt, deren Zweck in der Ausübung wirklicher wirtschaftlicher Tätigkeiten im Aufnahmemitgliedstaat besteht. Es stellt sich zunächst die Frage, ob diese vom EuGH genannten Substanzkriterien geeignet sind, einen Prüfungsmaßstab auch für die Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität von § 50d Abs. 3 EStG zu bilden. Die Frage nach der Übertragbarkeit des Cadbury Schweppes-Urteils stellt sich wegen der grundlegenden Unterschiede zwischen Outbound- und Inbound-Gestaltungen. In dem Sachverhalt der Cadbury Schweppes-Entscheidung ging es um einen Outbound-Fall, bei dem sich die Frage gestellt hat, über wie viel Substanz eine ausländische Tochtergesellschaft verfügen muss, damit diese Beteiligung als eine Niederlassung der Muttergesellschaft mittels ihrer Tochtergesellschaft im Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft im Sinne von Art. 43 EG 273 Schlussanträge des GA Mazák v. 26.4.2007, C-451/05 (Elisa), Slg. 2007, I-08251 Rz. 101. 274 EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995.

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qualifiziert werden kann. Unstreitig war zwischen den Verfahrensbeteiligten hingegen, dass die ihre Niederlassungsfreiheit ausübende Muttergesellschaft grundsätzlich Berechtigte der Niederlassungsfreiheit war. In den dem § 50d Abs. 3 EStG zugrunde liegenden Inbound-Konstellationen geht es hingegen um die Substanz der die Niederlassungsfreiheit ausübenden Gesellschaft selbst und nicht um die Ausübung der Niederlassungsfreiheit im Aufnahmemitgliedstaat. 275 (a) Meinungsstand zur Übertragbarkeit der Cadbury-Rechtsprechung In der Literatur ist die Frage nach einer Übertragbarkeit bislang nur selten aufgeworfen worden.276 Die herrschende Meinung in der Literatur277 geht aber – zumeist ohne nähere Begründung – davon aus, dass die vom EuGH in der Rs. Cadburry Schweppes aus der Niederlassungsfreiheit abgeleiteten Substanzanforderungen in gleicher Weise auf die Prüfung übertragen werden können, ob § 50d Abs. 3 EStG aus Gründen der Bekämpfung steuerlichen Missbrauchs gerechtfertigt ist. Der EuGH unterscheide insoweit nicht, ob aus dem nationalen Blickwinkel eine Outbound- oder Inbound-Gestaltung vorliegt.278 Auch der BFH scheint von einer solchen Übertragbarkeit der Grundsätze aus der Cadbury Schweppes-Entscheidung auf § 50d Abs. 3 EStG auszugehen. In der sog. SOPARFI-Entscheidung vom 29.1.2008279 hat der BFH bezüglich der Frage, ob eine in Luxemburg ansässige Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer SOPARFI eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, auf die Grundsätze in dem Cadbury Schweppes-Urteil verwiesen, wonach ein „greifbares Vorhandensein“ der ausländischen Gesellschaft einen Anhaltspunkt für eine „wirkliche“ eigenwirtschaftliche Tätigkeit darstelle. Zu kritisieren ist insoweit, dass der BFH weder darauf eingeht, weshalb Europarecht bei der Auslegung von § 50d Abs. 3 EStG eine Rolle spielt, noch ob die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Cadbury Schweppes, die in einem Outbound-Fall ergangen ist, in einem Inbound-Fall entsprechende Anwendung findet. Auch die vorhergehende BFHRechtsprechung zu § 50d Abs. 3 EStG deutete aber bereits darauf hin, dass der BFH die Rechtsprechung zur missbräuchlichen Zwischenschaltung von ausländischen Kapitalgesellschaften für den Inbound- und den Outbound-Fall im Gleich-

275 So zu Recht Lieber, FR 2006, S. 993 (995); auch Gosch, FS Reiss, S. 597 (618) weist auf diesen Unterschied hin („Dieser Unterschied sollte eine wesentliche Rolle spielen“); ders., in: Kirchhof, EStG, § 50d Rz. 27. 276 Vgl. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 23; Lieber, FR 2006, S. 993 (995); Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rz. 27. 277 Vgl. Böing, RIW 2007, S. 161 (164); Kaiser, IStR 2009, S. 121 (128); von Brocke, steueranwaltsmagazin 2009, S. 218 (219). 278 Vgl. Böing, RIW 2007, S. 161 (164). 279 BFH v. 29.1.2008, I R 26/06, IStR 2008, S. 364.

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klang fortentwickeln will. Sowohl in den Entscheidungen „Niederländische Stiftung II“ als auch „Hilversum II“ 280 hat der erkennende Senat in der Urteilsbegründung die „Dublin Docks“-Entscheidungen281 zitiert, was er wohl nicht gemacht hätte, wenn er die in den Outbound-Entscheidungen angestellten Rechtsüberlegungen für die steuerrechtliche Anerkennung einer zwischengeschalteten ausländischen Kapitalgesellschaft nicht auch auf Inbound-Gestaltungen hätte übertragen wollen.282 (b) Stellungnahme zur Übertragung der Missbrauchsrechtsprechung des EuGH in Outbound-Fällen auf § 50d Abs. 3 EStG M. E. ist davon auszugehen, dass die vom EuGH in dem Cadbury SchweppesUrteil genannten Substanzanforderungen grundsätzlich auch im Rahmen der Angemessenheitsprüfung des § 50d Abs. 3 EStG einen geeigneten Prüfungsmaßstab für die Frage bilden können, ob die Einschaltung einer ausländischen Gesellschaft durch Steuerausländer als Missbrauch zu qualifizieren ist. Auf den ersten Blick erscheint eine Übertragung der Missbrauchsgrundsätze aus der Entscheidung in der Rs. Cadbury Schweppes aber als nicht zwingend: In den Treaty Shopping-Sachverhalten geht es um die Frage, welche Substanzanforderungen eine ausländische Gesellschaft erfüllen muss, damit ihre Grundfreiheitsausübung unter Missbrauchsgesichtspunkten nicht beschränkt werden darf, d. h., ob die ausländische Gesellschaft selbst eine rein künstliche Gestaltung darstellt.283 In der Rs. Cadbury Schweppes ging es dagegen nicht um die Frage der Substanz der Gesellschaft, die ihre Grundfreiheit ausübt, sondern darum, ob die Form der Ausübung (d. h. die Gründung einer ausländischen Tochtergesellschaft) für steuerliche Zwecke als eine rein künstliche Gestaltung zu qualifizieren ist. Zwar lässt sich die Frage des Vorliegens einer rein künstlichen Gestaltung in beiden Sachverhaltskonstellationen abstrakt auf die Frage nach den Substanzanforderungen an ausländische Gesellschaften reduzieren. Allerdings sagt dies nichts darüber aus, ob die Substanzanforderungen im In- und Outbound-Fall deshalb zwingend identisch sein müssen. Dies gilt umso mehr, als der EuGH in dem Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes die Substanzerfordernisse aus dem im Tatbe-

280

BFH v. 31.5.2005, I R 74, 88/04, FR 2005, S. 1094. BFH v. 19.1.2000, I R 94/97, BStBl. II 2001, S. 222; BFH v. 19.1.2000, I R 117/ 97, BFH/NV 2000, S. 824; BFH v. 25.2.2004, I R 42/02, BStBl. II 2005, S. 14. 282 Vgl. Grotherr, IStR 2006, S. 361 (367); Bünning/Mühle, BB 2006, S. 2159 (2161); Ritzer/Stangl, FR 2005, S. 1063 (1067); Böing, RIW 2007, S. 161 (164), Hölzemann, IStR 2006, S. 830 (832). 283 Vgl. Lieber, FR 2006, S. 993 (995); Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d EStG Rz. 23. 281

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F. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Europarecht

stand der Niederlassungsfreiheit enthaltenen Merkmal der „Niederlassung“ abgeleitet hat, während es – wenn eine ausländische Kapitalgesellschaft die Beteiligung an einer in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaft erwirbt – nicht um die Frage geht, ob diese Beteiligung eine „Niederlassung“ darstellt, sondern darum, ob die ausländische Kapitalgesellschaft in ihrem Gründungs- bzw. Sitzstaat auch tatsächlich „ansässig“ ist. Zudem ist zu vergegenwärtigen, dass zwischen Inbound- und Outbound-Gestaltungen ein weiterer Unterschied besteht: Im Fall von Outbound-Sachverhalten ist derjenige, der eine ausländische Tochtergesellschaft gründet, in dem Staat, welcher die grundfreiheitsbeschränkende Maßnahme anwendet, unbeschränkt steuerpflichtig. Er unterliegt dem Welteinkommensprinzip, weshalb möglicherweise besondere Maßnahmen gerechtfertigt sein können, um den Verlust von Steuersubstrat zu verhindern. In Inbound-Sachverhalten hingegen wird ein Inlandsbezug des Steuerausländers überhaupt erst dadurch hergestellt, dass eine ausländische Gesellschaft zwischengeschaltet wird, die eine deutsche Beteiligung erwirbt. In letzterem Fall stellt sich dann aber die Frage, ob man von dem ausländischen Gesellschafter verlangen kann, dass er seine Investition in Deutschland so gestaltet, dass möglichst hohe Steuern anfallen. Dafür, dass die Substanzanforderungen an eine ausländische Zwischengesellschaft in Inbound-Fällen nicht höher als die in Cadbury Schweppes aufgestellten Substanzanforderungen sein dürfen, spricht m. E. aber, dass es zu erheblichen Wertungswidersprüchen führen würde, wenn eine Gesellschaft entsprechend den Cadbury-Grundsätzen errichtet wurde, sie aber bei Beteiligung an einer deutschen Kapitalgesellschaft mangels ausreichender Substanz als rein künstliche Gestaltung qualifiziert würde.284 Das sei an folgendem Beispiel verdeutlicht: Ausgangssachverhalt ist eine im EU-Ausland ansässige Gesellschaft (A), welche 50 %ige Gesellschafterin einer in einem anderen, niedrig besteuernden EU-Mitgliedstaat ansässigen Kapitalgesellschaft (B) ist. Weiterer 50 %-Gesellschafter der B ist eine in einem Nicht-DBA-Staat ansässige Kapitalgesellschaft (C). Erwirbt B nun sämtliche Geschäftsanteile an einer in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaft (D), so wäre, wenn nach erfolgter Dividendenausschüttung B in Deutschland unter Berufung auf die Mutter-/Tochter-Richtlinie eine vollständige Kapitalerstragsteuererstattung beantragt, zu prüfen, ob die Erstattung nach § 50d Abs. 3 EStG ausgeschlossen ist. Im Hinblick auf die Beteiligung der C an der B wäre damit entscheidend, ob B die Substanzanforderungen nach § 50d Abs. 3 EStG erfüllt. Geht man davon aus, dass die Beteiligung der A an der B (das ist die Fallkonstellation aus Cadbury Schweppes) keine rein künstliche Gestaltung darstellt, wäre es widersprüchlich, wenn B für Zwecke des § 50d Abs. 3 EStG gleichwohl als missbräuchlich qualifiziert werden könnte.

284

Vgl. Grotherr, IWB, Gruppe 2 Fach 3 Deutschland S. 1281 (1324).

V. Prüfung von § 50d Abs. 3 EStG am Maßstab der Grundfreiheiten

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Die vorstehende Argumentation gilt zunächst aber nur für Fallkonstellationen, in denen eine Gesellschaft selbst in Ausübung der Niederlassungsfreiheit errichtet wurde. Es stellt sich des Weiteren aber die Frage, ob dieselben Substanzanforderungen auch dann gelten, wenn die Beteiligung an der ausländischen Zwischengesellschaft keine Ausübung der Niederlassungsfreiheit, sondern eine Ausübung der Kapitalverkehrsfreiheit darstellt. Dafür, dass auch in diesem Fall dieselben Substanzanforderungen gelten, spricht m. E. aber der Gesichtspunkt, dass es für die Frage, ob eine Gesellschaft eine rein künstliche Gestaltung darstellt, keinen Unterschied machen kann, welche Grundfreiheit die Gesellschaft ausübt. Etwas Abweichendes kann allenfalls in denjenigen Fällen gelten, in denen es sich bei der ausländischen Zwischengesellschaft um eine Gesellschaft handelt, die in einem Staat ansässig ist, der kein EU-Mitgliedstaat ist. Sofern man für die Rechtfertigung von Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit von Personen, die in solchen Staaten ansässig sind, den Mitgliedstaaten einen größeren Ermessensspielraum einräumt (der EuGH hat in mehreren Urteilen angedeutet, dass er das nicht für ausgeschlossen hält), können ggfs. auch an in solchen Staaten ansässige Gesellschaften höhere Substanzanforderungen gestellt werden. Sofern die ausländische Zwischengesellschaft aber in einem EU-Staat ansässig ist, ist kein Argument dafür ersichtlich, dass unterschiedliche Substanzanforderungen an die Gesellschaft zu stellen sind, je nachdem, welche Grundfreiheit sie ausübt. Letztlich gilt es, sich vor Augen zu führen, dass sich die Frage der Substanz im Rahmen der Prüfung stellt, ob Beschränkungen der Grundfreiheiten einer ausländischen Gesellschaft deshalb gerechtfertigt sind, weil es sich bei der Gesellschaft um eine rein künstliche Gestaltung handelt. Es wäre nicht zu begründen, dass eine Gesellschaft im Hinblick auf bestimmte steuerrechtliche Normen als eine rein künstliche Gestaltung anzusehen ist und im Hinblick auf andere steuerrechtliche Normen nicht. Etwas anderes sollte auch insoweit nicht gelten, wie an der ausländischen Kapitalgesellschaft in Drittstaaten ansässige Personen beteiligt sind. Zwar stellt sich die Frage, ob nicht dann über die Cadbury-Grundsätze hinausgegangen werden darf und strengere Anforderungen gestellt werden dürfen, wenn die ausländische Zwischengesellschaft gerade nicht in Ausübung der Niederlassungsfreiheit errichtet wurde, was ohnehin diejenigen Fälle sind, auf welche § 50d Abs. 3 EStG abzielt. Problematisch ist an dieser Argumentation aber, dass sich die Substanzanforderungen immer nach dem jeweiligen Gesellschafter richten würden. Es gäbe damit immer eine Ungleichbehandlung zwischen Gesellschaften mit Gesellschaftern, die innerhalb der EU ansässig sind und solchen mit außerhalb der EU ansässigen Gesellschaftern. Das liefe dann letztlich auf eine Anwendung der Kontrolltheorie hinaus. Nach dieser bestimmt sich die Zugehörigkeit einer Gesellschaft zu einer Rechtsordnung danach, in welchem Staat die Gesellschafter dieser Gesellschaft ansässig sind, welche die Kontrolle über diese Gesellschaft ausüben. Es entspricht aber der absolut h. M., dass die Kontrolltheorie innerhalb

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der EU nicht gilt. Wenn aber die Kontrolltheorie nicht gilt, dann muss es unabhängig von der Zusammensetzung des Gesellschafterkreises eine Mindestsubstanz geben, die auf alle Gesellschaften anwendbar ist. (8) Verhältnis der Rechtsprechung in der Rs. Cadbury Schweppes zu der gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung, insbesondere Inspire Art Vor dem Hintergrund der gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung des EuGH in den Rs. Centros285, Überseering286 und Inspire Art287 stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis diese gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung zur Anerkennung ausländischer Gesellschaften zu der steuerrechtlichen Entscheidung in der Rs. Cadbury Schweppes steht. Teile der Literatur vertreten die Ansicht, dass die Wertentscheidungen des EuGH in den vorgenannten gesellschaftsrechtlichen Entscheidungen nicht nur im Gesellschafts-, sondern auch im Steuerrecht zu akzeptieren sind.288 Konsequenz dessen wäre, dass auch bloße Briefkastengesellschaften in anderen EU-Staaten steuerlich anzuerkennen wären, wenn auch im reinen Inlandsfall derartige substanzlose Gesellschaften steuerrechtlich anerkannt würden. Mit seinem Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes hat der EuGH aber verdeutlicht, dass bloße Briefkastenfirmen nicht ausreichen, um eine Verlagerung steuerpflichtiger Tätigkeiten zu begründen.289 Es ist zu untersuchen, in welchem Verhältnis die Entscheidung in der Rs. „Cadbury Schweppes“ zu den gesellschaftsrechtlichen Entscheidungen des EuGH in den Rs. „Centros“ 290 und „Inspire Art“ 291 steht. Während es nach dem EuGHUrteil in der steuerrechtlichen Rs. „Cadbury Schweppes“ im Einzelfall gerechtfertigt sein kann, aus dem Fehlen einer bestimmten Mindestsubstanz einer ausländischen Tochtergesellschaft darauf zu schließen, dass es sich um eine rein 285

EuGH v. 9.3.1999, C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459. EuGH v. 5.11.2002, C-208/00 (Überseering), Slg. 1999, I-1459. 287 EuGH v. 30.9.2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155. 288 Vgl. Hey, BB 2002, S. 915 (916): die Wertentscheidung des EuGH ist nicht nur im Gesellschafts-, sondern natürlich auch im SteuerR zu akzeptieren; Kessler/Eicke, IStR 2006, S. 577; Grotherr, RIW 2006, S. 898 (908); Gosch, StBp 2003, S. 338 (339); ders., StBp 04, S. 241; Forst/Radmer, EStB 2006, S. 384 (387): EU-Widrigkeit von 50d Abs. 3 EStG fraglich, da Hilversum II und SOPARFI wohl vor Hintergrund von Inspire Art. 289 Vgl. Kokott, FR 2008, S. 1041 (1042); Hey, Forum d. Int. Besteuerung, S. 165 f.; Lang/Heidenbauer, FS Vanistendael, S. 597 (608); Gosch, FS Reiss, S. 597 (605); Hahn-Joecks in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rz. A 35 b; Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 211. 290 EuGH v. 9.3.1999, C-212/97 (Centros), EuGHE 1999, I-1459. 291 EuGH v. 30.9.2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155. 286

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künstliche und damit missbräuchliche Gestaltung handelt, sind nach den gesellschaftsrechtlichen Entscheidungen auch Briefkasten- bzw. Scheinauslandsgesellschaften grundsätzlich anzuerkennen, sofern sie nur formal wirksam errichtet wurden. In der Rs. „Inspire Art“ 292 sah der EuGH eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit dadurch gegeben, dass ein Mitgliedstaat der Europäischen Union die Errichtung einer Zweigniederlassung durch eine EU-ausländische Kapitalgesellschaft von bestimmten nationalen Voraussetzungen wie u. a. Mindestkapitalanforderungen abhängig macht. Konkret ging es darum, dass ein Niederländer eine Kapitalgesellschaft britischen Rechts mit Satzungssitz in Großbritannien in der Absicht gegründet hatte, das vorteilhaftere britische Gesellschaftsrecht zu nutzen und dadurch die Vorschriften des niederländischen Gesellschaftsrechts zu umgehen. Die Kapitalgesellschaft übte ihre Tätigkeit aber (nahezu) vollständig in den Niederlanden aus und hatte daneben keinerlei tatsächliche Bindung an Großbritannien. Seitens der niederländischen Regierung wurden die nationalen Voraussetzungen an die britische Gesellschaft mit Gründen der Missbrauchsbekämpfung gerechtfertigt. Der EuGH urteilte, dass der Umstand, dass eine Kapitalgesellschaft in einem Mitgliedstaat nur gegründet wurde, um in den Genuss vorteilhafter Rechtsvorschriften zu gelangen, für sich genommen keinen Missbrauch darstellt. Die formale Existenz der Gesellschaft sei hinzunehmen. Mit dem Urteil in der Rs. „Inspire Art“ hat der EuGH ausdrücklich seine früheren gesellschaftsrechtlichen Entscheidungen in den Rs. „Segers“ 293 und „Centros“ 294 bestätigt. Danach sind in anderen EU-Mitgliedstaaten gegründete Gesellschaften auch dann anzuerkennen, wenn es sich um bloße Briefkasten- bzw. Scheinauslandsgesellschaften handelt, die ausschließlich über Zweigniederlassungen außerhalb ihres Gründungsstaates operativ tätig werden. Die EU-Mitgliedstaaten sind gemeinschaftsrechtlich verpflichtet, diese in einem anderen Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaften vorbehaltlos und uneingeschränkt anzuerkennen, selbst wenn sie nur zum Zweck der Gesetzesumgehung gegründet worden sind. Die Gründung von Briefkasten- und Scheinauslandsgesellschaften in der Absicht, vorteilhafte Rechtsvorschriften des Gründungsstaates in Anspruch zu nehmen, ist nach der Rechtsprechung des EuGH als solche aber gerade kein Missbrauch, sondern Ausfluss der Niederlassungsfreiheit. Es stellt sich die Frage, ob aus dieser gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung des EuGH tatsächlich eine „carte blanche“ für das Steuerrecht folgt295, mit der Konsequenz, dass eine im EU-Ausland formal wirksam errichtete Gesellschaft, 292 293 294 295

EuGH v. 30.9.2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155. EuGH v. 10.7.1986, C-79/85 (Segers), Slg. 1986, S. 2375. EuGH v. 9.3.1999, C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459. Vgl. dazu Gosch, FS Reiss, S. 597 (605).

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die aber über ihre Ansässigkeit hinaus über keine weitere Substanz verfügt, auch dann für deutsche steuerliche Zwecke anzuerkennen ist, wenn die Gründung dieser Gesellschaft die Umgehung deutscher steuerrechtlicher Normen bezweckt. Bei der Frage der Übertragung der Inspire Art-Rechtsprechung ist zu berücksichtigen, dass es steuerrechtlich nicht um die Anerkennung bloßer Briefkastengesellschaften geht. Anders als das Steuerrecht knüpft das Gesellschaftsrecht nicht an den Ort der Gesellschaftsgründung, sondern an den Ort der Geschäftsleitung an. Die bloße Gründung einer Briefkastengesellschaft, welche sich gerade dadurch auszeichnet, dass sich ihre Geschäftsleitung gerade nicht am Ort des Briefkastens befindet, hat steuerlich keine Bedeutung und macht daher ohnehin nicht die Anwendung eines Missbrauchskonzeptes erforderlich.296 Übertragen auf das Steuerrecht geht es bei der Übertragung der Inspire Art-Rechtsprechung vielmehr um die Frage, ob aus der Inspire Art-Rechtsprechung abgeleitet werden kann, dass eine im Ausland wirksam errichtete und im steuerlichen Sinne ansässige Kapitalgesellschaft auch dann in gleicher Weise wie eine inländische Kapitalgesellschaft anzuerkennen ist, wenn sie im anderen EU-Staat keine Tätigkeit entfaltet.297 Der BFH hat sich des Argumentationsansatzes des EuGH in der Rs. „Inspire Art“ bislang in zwei Entscheidungen bedient:298 Zum einen bezüglich des Betriebsausgabenabzugs bei nur unzulänglich benannten Hintermännern des Zahlungsempfängers299 (§ 160 AO) und zum anderen in der sog. Dublin Docks IIEntscheidung300. In dem zunächst genannten Fall versagte das Finanzamt einem deutschen Bauunternehmen den Abzug von Betriebsausgaben, die das Unternehmen an eine englische Ltd. überwiesen hatte, die als Subunternehmerin auf deutschen Baustellen tätig war, da es sich bei der Ltd. um ein typisches „Büroservice“-Domizil bzw. eine „Korrespondenzadresse“ gehandelt habe. Der BFH hingegen sah unter Hinweis auf die Inspire Art-Rechtsprechung des EuGH weder in dem Umstand, dass die ausländische Gesellschaft in Großbritannien ansässig war noch in dem Umstand, dass der Vertragsabschluss über einen Fax-Anschluss in den Niederlanden erfolgte, Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Zwischenschaltung der Gesellschaft. In der Dublin Docks II-Entscheidung, in der es um die Frage ging, ob eine von einer deutschen Gesellschaft in einem EU-Mitgliedstaat gegründete Tochtergesellschaft ohne eigenes Büro, Personal etc. einen Fall des Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO darstellte, lehnte der BFH eine Anwendung von § 42 AO unter Hinweis auf Inspire Art ab, weil die Nichtanerken296

Vgl. Schön, FS Reiss, S. 571 (589 Fn. 76). Vgl. Grotherr, IStR 2006, S. 361 (364). 298 Vgl. dazu Gosch, FS Reiss, S. 597 (605 f.). 299 BFH v. 17.10.2001, I R 19/01, IStR 2002, S. 274. 300 BFH v. 25.2.2004, I R 42/02, BStBl. II 2005, S. 14; siehe dazu auch Bewertung von Ritzer/Stangl, FR 2005, S. 1063. 297

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nung der formal wirksam errichteten ausländischen Tochtergesellschaft gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen könnte. Unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 23.10.1996301 stellt der BFH fest, dass er noch nie302 eine auf Dauer angelegte Zwischenschaltung inländischer Kapitalgesellschaften als Rechtsmissbrauch eingestuft hat, „wenn ein Steuerpflichtiger zwischen sich und die Einkunftsquelle eine inländische Kapitalgesellschaft schaltet und alle sich daraus ergebenden Konsequenzen zieht“. Aus diesem Grund hielt der BFH es für schwerlich zu rechtfertigen, die entsprechende Zwischenschaltung einer EU-Kapitalgesellschaft als missbräuchlich zu behandeln.303 Die in seiner früheren Rechtsprechung im Rahmen von § 42 AO ausgebildete Fallgruppe der ausländischen Basisgesellschaften sieht der BFH – ohne dass er dies ausdrücklich erwähnt – als verdrängt an, da er sich aufgrund der EuGH-Rechtsprechung verpflichtet sieht, die ausländische Gesellschaft vorbehaltlos anzuerkennen und sie damit wie eine rein inländische Gesellschaft zu behandeln. Auch das FG Köln hat in seiner Entscheidung vom 16. März 2006304 unter Bezug auf das Urteil in der Rs. „Inspire Art“ ausgeführt, dass im Urteilsfall die Anerkennung der Klägerin europarechtlich geboten gewesen sei, da die Gründe, aus denen eine ausländische Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat errichtet wurde, sowie der Umstand, dass sie ihre Tätigkeit ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Staat der Niederlassung ausübt, ihr nicht das Recht nähme, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen, wenn nicht im konkreten Fall ein Missbrauch nachgewiesen werde. Gerade wenn aber – wie bei inländischen geschäftsleitenden Holdinggesellschaften – in einem vergleichbaren Inlandsfall kein Missbrauch anzunehmen ist, dürfe für den grenzüberschreitenden Fall nichts anderes gelten. Auch in der Literatur wird zum Teil die Ansicht vertreten, dass eine Gesellschaft, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat zu dem Zweck gegründet wurde, in den Genuss vorteilhafter steuerrechtlicher Vorschriften zu kommen, in Deutschland auch dann anzuerkennen ist, wenn es sich um eine Briefkasten305oder Scheinauslandsgesellschaft handelt. Andere Vertreter in der Literatur ziehen aus den gesellschaftsrechtlichen Urteilen ebenso wie der BFH in der Dublin Docks-Entscheidung den Schluss, dass die in der Rs. Inspire Art vom EuGH festgestellte Pflicht zur Anerkennung im EU-Ausland gegründeter Gesellschaften zur Folge hat, dass ausländische Zwischengesellschaften ebenso zu behandeln sind 301

BFH v. 23.10.1996, I R 55/95, BStBl. II 1998, S. 90. Allerdings bestehen insoweit ungeklärte Widersprüche zur Rspr. des III. Senats. 303 Vgl. Ritzer/Stangl, FR 2005, S. 1063 (1064); Hölzemann, IStR 2006, S. 830 (833); dies hatten auch schon Stoschek/Peter, IStR 2002, S. 656 (661) in ihrer Analyse der Dublin Docks I und II-Urteile gefordert. 304 Vgl. FG Köln v. 16.3.2006, 2 K 1139/02, EFG 2006, 896 m. Anm. Herlinghaus. 305 Vgl. Kessler/Eicke, IStR 2006, S. 577 (580). 302

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wie inländische Zwischengesellschaften.306 Da der BFH in seiner Rechtsprechung im reinen Inlandsfall noch nie eine auf Dauer zwischengeschaltete Gesellschaft als missbräuchlich qualifiziert hat, seien auch ausländische Zwischengesellschaften anhand dieses Maßstabes anzuerkennen.307 Eine weitere Ansicht308 differenziert zwischen der Anerkennung der Gesellschaft als solcher einerseits und der Anerkennung bestimmter von der Gesellschaft ausgeübter Tätigkeiten andererseits. Begründet wird dies damit, dass die Entscheidungen Centros und Inspire Art gesellschaftsrechtliche Regelungen betrafen, die für die Errichtung einer Gesellschaft vorgesehen sind. Es bestehe aber kein Widerspruch darin, die Gründung einer Gesellschaft zu akzeptieren, sie zugleich aber für bestimmte Zwecke aufgrund der von ihr ausgeübten spezifischen Tätigkeiten als rein künstliche Gestaltung anzusehen. Es stellt eine viel einschneidernde Maßnahme dar, einer Gesellschaft generell den Zugang zu einem internen Markt zu verwehren als wenn die spezifische Tätigkeit der Gesellschaft beurteilt wird. Insoweit könne auch die rechtliche Bewertung ein- und derselben Gestaltung je nach Rechtsbereich unterschiedlich ausfallen.309 Gosch allerdings scheint davon auszugehen, dass dem „Inspire Art“-Urteil hinsichtlich der gemeinschaftsrechtlichen Beurteilung der verschärften Substanzanforderungen des § 50d Abs. 3 EStG Bedeutung zukommt.310 Er betont, dass es in der Rs. Cadbury Schweppes um eine Outbound-Konstellation ging, während es bei § 50d Abs. 3 EStG um einen InboundFall geht, also um die Beurteilung einer die EU-Grundfreiheiten ausübenden und beanspruchenden Auslandsgesellschaft im Inland.311 Eine solche Inbound-Konstellation habe auch dem EuGH-Urteil „Inspire Art“ zugrunde gelegen, weshalb er diesem Urteil eine wesentliche Bedeutung beimisst. M. E. folgt aus der Inspire Art-Rechtsprechung nur, dass einer ausländischen Gesellschaft Steuervergünstigungen grundsätzlich nicht schon mit dem Argument verweigert werden können, dass ihre Errichtung missbräuchlich war. Das steht in Einklang mit der steuerrechtlichen Rechtsprechung des EuGH, wonach die bloße Errichtung einer ausländischen Gesellschaft zur Erlangung steuerlicher Vorteile keinen Missbrauch darstellt. Vielmehr sind auch bloß formal wirksam errichtete ausländische Gesellschaften als Berechtigte der Niederlassungsfreiheit anzusehen. Allerdings können Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit aus306 Vgl. Stoschek/Peter, IStR 2002, S. 656 (661); Herlinghaus, EFG 2006, S. 898 (899); Gosch, StBp. 2003, S. 338 (339); ders., in: Kirchhof, EStG, § 50d Rz. 26. 307 Vgl. Gosch, FS Reiss, S. 597 (611); Bünning/Mühle, BB 2006, S. 2159 (2161); Lieber, IWB Fach 3a Gr. 1 S. 1088 (1090); Korts, IStR 2007, S. 663 (664). 308 Vgl. Lang/Heidenbauer, FS Vanistendael, S. 597 (608). 309 Vgl. Lang/Heidenbauer, FS Vanistendael, S. 597 (608). 310 Vgl. Gosch, FS Reiss, S. 597 (618); siehe aber auch ders., in: Kirchhof, EStG, § 50d Rz. 26, wonach einiges dafür spreche, dass für das Steuerrecht abweichende Grundsätze gelten. 311 Vgl. Gosch, FS Reiss, S. 597 (618).

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ländischer Gesellschaften durch steuerliche Regelungen der Mitgliedstaaten aus Gründen der Missbrauchsvermeidung in einem größeren Umfang gerechtfertigt sein, als dies bei Beschränkungen durch gesellschaftsrechtliche Normen möglich wäre.312 Wäre die Inspire Art-Rechtsprechung so zu verstehen, dass jede gesellschaftsrechtlich zulässige Gestaltung anzuerkennen ist, weil sie von den Grundfreiheiten gestattet ist, hätte dies zur Folge, dass nationale Missbrauchsbekämpfungsvorschriften mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der Gemeinschaft nicht mehr denkbar wären.313 Der EuGH hat zwar in seiner gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung grundsätzlich die freie Wahl des auf die Gesellschaft anwendbaren Gesellschaftsrechts anerkannt.314 Das bedeutet, dass bei der Gründung einer Gesellschaft grundsätzlich ein Wahlrecht besteht, dem Gesellschaftsstatut welches EU-Staates eine Gesellschaft unterliegen soll, selbst wenn die Gesellschaft ihre gesamte Geschäftstätigkeit in einem anderen EU-Staat ausübt.315 Allerdings kann es kein freies Wahlrecht bezüglich der anwendbaren Steuerrechtsordnung geben.316 Zwar hat der EuGH in mehreren Entscheidungen deutlich gemacht, dass eine Gestaltung nicht allein deshalb missbräuchlich ist, weil sie zu einer Steuerersparnis führt. Ferner ist es ständige Rechtsprechung des EuGH, dass das bloße Ausnutzen des Steuergefälles in den Steuerrechtsordnungen zwischen den Mitgliedstaaten ebenfalls für sich genommen keinen Missbrauch darstellt. Zugleich hat der EuGH aber in seinem Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes317 deutlich gemacht, dass für die Anerkennung ausländischer Gesellschaften im Steuerrecht strengere Maßstäbe als im Gesellschaftsrecht gelten. Wie oben eingehend dargestellt, sind danach rein künstliche Gestaltungen, die bar jeder wirtschaftlichen Realität sind, als missbräuchlich zu qualifizieren und dürfen durch die Mitgliedstaaten mit verhältnismäßigen Mitteln bekämpft werden. Insoweit hat der EuGH es in der Rs. Cadbury Schweppes als grundsätzlich zulässig erachtet, dass die Einkünfte einer Tochtergesellschaft dann im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft der Besteuerung unterworfen werden, wenn es sich bei der Beteiligung an der Tochtergesellschaft um eine rein künstliche Konstruktion handelt, wobei der EuGH als objektive Kriterien zur Überprüfung gewisse Subs-

312

Vgl. Stewen, Niederlassungsfreiheit, S. 95 ff., 270 ff. Vgl. Musil, RIW 2006, S. 287(293). 314 Vgl. Schön, FS Reiss, S. 571 (581). 315 Klassisches Beispiel sind die infolge der Inspire Art-Rspr. in Deutschland zahlreich tätigen britischen Limiteds, die ihre Geschäftstätigkeit ausschließlich in Deutschland ausüben. 316 Vgl. Schön, FS Reiss, S. 571 (580 f.); so auch Fischer, in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 211; gegen eine Anwendung der gesellschaftsrechtlichen Urteile im Steuerrecht auch Hahn-Joecks, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 50d Rz. A 35. 317 EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995. 313

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tanzerfordernisse wie Geschäftsräume etc. aufgezählt hat. Auch wenn es sich bei dem Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes um einen Outbound-Fall gehandelt hat, während es in Inspire Art um einen Inbound-Fall ging, folgt m. E. daraus nicht, dass in einem steuerlichen Inbound-Fall ebenfalls die ausländische Gesellschaft vorbehaltlos anzuerkennen ist. Das würde nämlich in letzter Konsequenz bedeuten, dass nationale Missbrauchsbekämpfungsvorschriften mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der Gemeinschaft nicht mehr denkbar wären. Ein solches Verständnis würde sich nachhaltig auf die Finanzsituation der Haushalte der Mitgliedstaaten auswirken, was wiederum zur Folge hätte, dass die mitgliedstaatliche Finanzautonomie gefährdet wäre. Im Steuerrecht steht für die Mitgliedstaaten insoweit mehr auf dem Spiel als im Gesellschaftsrecht.318 Auch der Missbrauchsvorbehalt der Mutter-/Tochter-Richtlinie zeigt, dass die Mitgliedstaaten berechtigt sind, über die formale Gründung der Gesellschaft sowie die für die Anwendung der Mutter-/Tochter-Richtlinie erforderliche abkommensrechtliche Ansässigkeit hinaus, Maßnahmen ergreifen können, um einen Missbrauch zu bekämpfen. In den Entscheidungen in den Rs. Cadbury Schweppes und Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation319 hat der EuGH zum Ausdruck gebracht, dass eine freie Zuordnung von Steuersubstrat unzulässig ist. Dieser Gedanke lässt sich auch auf die Fälle des § 50d Abs. 3 EStG übertragen. In den Treaty ShoppingFällen könnte ein in einem Drittstaat Ansässiger immer eine EU-Gesellschaft zwischen sich und die deutsche Beteiligungsgesellschaft zwischenschalten und sich auf die formal wirksame Errichtung dieser Gesellschaft berufen, um auf diese Weise die zwischen Deutschland und dem Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft bestehenden Abkommensvergünstigungen zu nutzen. Einzige Voraussetzung wäre in diesem Fall die abkommensrechtliche Ansässigkeit. Die bloße abkommensrechtliche Ansässigkeit wird aber seitens vieler OECD-Mitgliedstaaten gerade als nicht ausreichend erachtet, um einen Abkommensmissbrauch auszuschließen. Aus diesem Grund enthält auch der Kommentar zum OECD-MA bestimmte Vorschläge für Regelungen, die einen Abkommensmissbrauch in Form des Treaty Shoppings vermeiden sollen.320 Eine in der Literatur321 immer wieder betonte Pflicht zur Gleichbehandlung ausländischer Zwischengesellschaften mit inländischen Zwischengesellschaften besteht aus europarechtlicher Sicht hingegen nicht. Gerade das Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes verdeutlicht, dass ausländische Kapitalgsellschaften einer abweichenden steuerrechtlichen Behandlung unterliegen können, sofern es sich 318

Kokott, FR 2008, S. 1041 (1042). EuGH v. 13.3.2007, C-524/04 (Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation), Slg. 2007, I-2107. 320 Vgl. Tz. 13 ff. des Kommentars zum OECD-MA. 321 Vgl. z. B. Gosch, FS Reiss, S. 597 (611). 319

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bei diesen um rein künstliche Gestaltungen handelt. Zu Recht weist Schönfeld daraufhin, dass ein entsprechendes Gleichbehandlungsgebot allenfalls aus dem deutschen Verfassungsrecht, nicht aber aus dem Europarecht folgen kann.322 (9) Zwischenergebnis zum anwendbaren Prüfungsmaßstab Bislang existiert keine Rechtsprechung zur Frage, wann in Inbound-Fällen eine ausländische Gesellschaft bzw. deren Tätigkeit als missbräuchlich zu qualifizieren ist. Aus den vorgenannten Gründen ist aber davon auszugehen, dass die vom EuGH in der Rs. Cadbury Schweppes aufgestellten Substanzanforderungen in gleicher Weise in Inbound-Fällen hinsichtlich der Substanz der ausländischen Gesellschaft Anwendung finden sollten. Auf keinen Fall muss aber infolge der Rechtsprechung in der Rs. Inspire Art jede formal wirksam errichtete Gesellschaft für deutsche steuerrechtliche Zwecke anerkannt werden. Vielmehr ist grundsätzlich auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten anzuerkennen, dass die nationalen Gesetzgeber spezialgesetzliche Missbrauchsnormen schaffen können, welche – wie oben dargestellt – in gewissem Umfang auch typisieren können. c) Rechtfertigung von Eingriffen durch § 50d Abs. 3 EStG in die Niederlassungsfreiheit Nachfolgend ist zu untersuchen, inwieweit der durch § 50d Abs. 3 EStG erfolgende Eingriff in die Grundfreiheiten einer im EU-Ausland ansässigen Gesellschaft anhand des zuvor dargestellten Prüfungsmaßstabs gerechtfertigt werden kann. aa) Geeignetheit der Regelung zur Missbrauchsbekämpfung § 50d Abs. 3 EStG ist zur Missbrauchsbekämpfung geeignet. Indem die Vorschrift ausländischen Gesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen die vollständige oder teilweise Kapitalertragsteuererstattung untersagt, ist sie geeignet, eine missbräuchliche Erstattung der Kapitalertragsteuer durch Errichtung rein künstlicher Gestaltungen, die bar jeder wirtschaftlichen Realität sind, zu verhindern. Die Zwischenschaltung ausländischer Gesellschaften in Form bloßer „leerer Hüllen“, die nur deshalb zwischen einen ausländischen Investor und dessen in Deutschland ansässiges Investitionsobjekt zwischengeschaltet werden, um auf diesem Weg eine (höhere) Quellensteuererstattung zu erlangen als im Fall einer direkten Beteiligung des ausländischen Investors am inländischen Investitionsobjekt, wird durch die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG unterbunden. 322 Vgl. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 153.

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bb) Erforderlichkeit der Regelung und Verhältnismäßigkeit der einzelnen Tatbestandsmerkmale § 50d Abs. 3 EStG muss zudem auch zur Missbrauchsbekämpfung erforderlich sein. Die Regelung darf deshalb nicht über das zur Missbrauchsbekämpfung erforderliche Maß hinausgehen. Nach dem oben näher dargestellten Prüfungsmaßstab ist die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG, welche anders als die Rs. Cadbury Schweppes nicht Outbound-Fälle, sondern Inbound-Fälle betrifft, nur dann erforderlich, wenn sie ausschließlich rein künstliche Gestaltungen erfasst, die bar jeder wirtschaftlichen Realität sind. Diesen Anforderungen genügt die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG in ihrer derzeitigen Fassung aus mehreren Gründen nicht. Wie oben dargestellt, wird nach der Änderung von § 50d Abs. 3 EStG durch das JStG 2007 die Kapitalertragsteuerentlastung versagt, wenn nur eines der drei Tatbestandsmerkmale „keine eigene Wirtschaftstätigkeit“, „keine angemessene Geschäftsausstattung“ oder „fehlende wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe“ erfüllt ist. Ein „Gegenbeweisrecht“ des Steuerpflichtigen, welches nach der oben dargestellten Rechtsprechung in der Rs. Cadbury Schweppes gegebenenfalls die Europarechtskonformität einer mitgliedstaatlichen Vorschrift bedingen kann, sieht die Regelung nicht vor. Entscheidend für die Europarechtskonformität von § 50d Abs. 3 EStG ist daher, ob die Regelung so eng formuliert ist, dass ausschließlich rein künstliche Gestaltungen erfasst werden. (1) 10 % der Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit Ein Missbrauch wird nach § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG unwiderleglich vermutet, wenn die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt. (a) Die 10 %-Grenze Unabhängig von der Frage, ob das Erfordernis einer eigenen Wirtschaftstätigkeit ein verhältnismäßiges Anknüpfungskriterium im Sinne der EuGH-Rechtsprechung darstellt, ist die pauschale 10 %-Grenze als europarechtswidrig anzusehen, da sie mangels eines Gegenbeweisrechts nicht die Feststellung einer rein künstlichen Gestaltung im Einzelfall zulässt.323 Die 10 %-Grenze erscheint willkürlich 323 Vgl. Gosch, FS Reiss, S. 597 (618); Kessler/Eicke, DStR 2007, S. 781; Kaiser, IStR 2009, S. 121 (128); Böing, RIW 2007, S. 161; Bünning/Mühle, BB 2006, S. 2159; Schönfeld, FR 2007, S. 507; Hahn-Joecks, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rdnr. A 37a; Bron, DB 2007, S. 1273 (1275); Wiese/Süß, GmbHR 2006, S. 972 (976); Renger, Treaty Shopping, S. 42; Kaiser, IStR 2009, S. 21 (128); Frotscher, in: Frotscher,

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gewählt.324 Der Gesetzgeber hat nichts dafür dargetan, dass Erfahrungswerte dahingehend bestünden, dass bei Unterschreitung der 10 %-Grenze regelmäßig Missbrauchskonstellationen vorliegen würden. Weder die Mutter-/Tochter-Richtlinie noch die Grundfreiheiten kennen eine solche 10 %-Grenze.325 Auch der in der Gesetzesbegründung enthaltene Hinweis des Gesetzgebers auf § 9 AStG vermag dieser Grenze keinen Sinn beizumessen. Im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung hat die 10 %-Grenze die Funktion, passive Einkünfte der Hinzurechnungsbesteuerung zu unterwerfen, wenn sie mehr als 10 % der gesamten Bruttoerträge der ausländischen Beteiligungsgesellschaft betragen. Im Rahmen des § 50d Abs. 3 EStG hat die 10 %-Grenze dagegen die Funktion, die Vermutung eines Missbrauchs auszuschließen. Anders als im Rahmen der Hinzurechungsbesteuerung hat das Überschreiten der 10 %-Grenze also einen positiven Effekt. Übt die Gesellschaft zumindest zum Teil eine Wirtschaftstätigkeit aus, ist ihre Existenz nicht mehr rein künstlich und nicht ohne jede wirtschaftliche Realität.326 Trotz der seitens der Finanzverwaltung im BMF-Anwendungsschreiben zu § 50d Abs. 3 EStG gewährten Erleichterungen, ist die 10 %-Grenze aber als ungeeignet zur Bestimmung einer typischen Missbrauchskonstellation anzusehen. Dadurch werden weder lange Investitions- und Anlaufphasen berücksichtigt, noch vermag diese Toleranz z. B. die Folgen der Finanzkrise abzufedern, wenn die Gesellschaft über einen längeren Zeitraum keine Gewinne erzielt. Zudem wird das Über- oder Unterschreiten dieser Grenze vielfach vom Zufall abhängen.327 Durch die pauschale 10 %-Grenze wird auch solchen Gesellschaften, die über eine gewisse Substanz verfügen und eine eigene Funktion erfüllen, die steuerliche Anerkennung versagt.328 Es geht im Fall der 10 %-Grenze nicht mehr darum, festzustellen, ob überhaupt eine grenzüberschreitende Grundfreiheitsausübung vorliegt, sondern um eine Angemessenheitsprüfung. Eine solche kann aber auch nicht aus der sonstigen Rechtsprechung des EuGH herausgelesen werden. Letztlich erscheint die 10 %-Grenze auch deshalb als willkürlich gewählt, weil kein Bezug der 10 %-Einkünfte aus aktiver Tätigkeit zum Halten der Anteile an der deutschen Gesellschaft besteht. Das 10 %-Erfordernis soll allein ein Indiz dafür sein, dass die Gesellschaft über eine gewisse physische Präsenz in ihrem Ansässigkeitsstaat verfügt. Zudem handelt es sich bei der 10 %-Grenze lediglich um eine relative Größe, welche über den tatsächlichen Umfang der Tätigkeit der GeEStG, § 50d Rz. 154; Lieber, FR 2006, S. 993 (995); Ritzer/Stangl, FR 2006, S. 757 (765); a. A. wohl Micker, FR 2009, S. 409 (412): dieser scheint von Europarechtskonformität auszugehen, da das BMF in seinem Anwendungserlass eine Drei-Jahres-Durchschnittsbetrachtung anwendet. 324 Vgl. Bron, DB 2007, S. 1273 (1275). 325 Vgl. Bron, DB 2007, S. 1273 (1275). 326 Vgl. Renger, Treaty Shopping, S. 42. 327 Vgl. Wiese/Süß, GmbHR 2006, S. 972 (976); Renger, Treaty Shopping, S. 42. 328 Vgl. Kaiser, IStR 2009, S. 121 (128).

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sellschaft in ihrem Ansässigkeitsstaat nichts aussagt: Selbst wenn eine Gesellschaft unzweifelhaft eine signifikante eigene Tätigkeit ausübt, kann dieser gegebenenfalls die Kapitalertragsteuerentlastung versagt werden, wenn sie zugleich sehr hohe Dividendeneinnahmen hat, während einer Gesellschaft mit deutlich geringerer Präsenz die Kapitalertragsteuerentlastung infolge geringerer Dividendeneinnahmen gewährt wird.329 Auch insoweit ist die Regelung unverhältnismäßig. Frotscher argumentiert, dass sich das 10 %-Erfordernis noch im Rahmen des europarechtlich Zulässigen hält.330 Wenn nur geringfügige Erträge erzielt würden, sei es kaum denkbar, dass es sich noch um eine „tatsächliche und echte Geschäftstätigkeit“ handelt. Zugleich schränkt Frotscher seine Aussage aber insoweit ein, als er eine Gegenbeweismöglichkeit für den Fall fordert, dass die Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit erheblich sind, wegen hoher Dividendeneinnahmen aber trotzdem nicht die 10 %-Grenze übersteigen.331 Die Ansicht von Frotscher hingegen, der das 10 %-Erfordernis noch als unionsrechtskonform ansieht, ist vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung abzulehnen. Auch die EU-Kommission hat erhebliche europarechtliche Bedenken gegen die pauschale 10 %-Grenze und aus diesem Grund ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde Deutschland mittlerweile durch die EU-Kommission zur Änderung der Regelung aufgefordert.332 (b) Das Fehlen einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit Anders als die pauschale 10 %-Grenze ist das Fehlen einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit grundsätzlich als Anknüpfungspunkt für eine Missbrauchsvermutung geeignet.333 Der EuGH hat wie oben dargestellt in seinem Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes festgestellt, dass die Gründung einer ausländischen Gesellschaft dann missbräuchlich sein kann, wenn die Gründung nicht mit einer tatsächlichen Ansiedlung zusammenhängt, deren Zweck darin besteht, einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat nachzugehen. Das setzt allerdings voraus, dass der Begriff der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH so eng ausgelegt wird, dass nur rein künstliche Gestaltungen erfasst werden. 329

Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, S. 579 (581). Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 154. 331 Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 154; Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, S. 579; Wiese/Süß, GmbHR 2006, S. 972. 332 Aufforderung der EU-Kommission vom 18.2.2010 (IP10/298). 333 A. A. Gosch, FS Reiss, S. 597 (618): „Allerdings sind die Tatbestandsmerkmale für sich genommen kaum geeignet, um Missbrauch annehmen zu können.“ Ebenso Grotherr, RIW 06, S. 898 (909) Eicke, Repatriierungsstrategien, S. 305. 330

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Nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut des durch das JStG 2007 ergänzten § 50d Abs. 3 S. 3 EStG fehlt es an einer eigenen Wirtschaftstätigkeit, soweit die ausländische Gesellschaft Erträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentliche Geschäftstätigkeit auf Dritte auslagert. Die Verwaltung von Wirtschaftsgütern erfasst das bloße passive Halten von Anteilen an Kapitalgesellschaften ebenso wie die aktive Verwaltung von Wirtschaftsgütern durch Vermietungs- und Leasinggesellschaften. Auch geschäftsleitende Holdinggesellschaften werden grundsätzlich vom Begriff der Vermögensverwaltung erfasst. Der generelle Ausschluss vermögensverwaltender Tätigkeiten – und damit auch von beteiligungsverwaltenden Gesellschaften, unabhängig von der Anzahl der gehaltenen Beteiligungen und deren wirtschaftlichem Gewicht (Wert der Beteiligung, Höhe der Beteiligung, tatsächliche Einflussmöglichkeiten etc.) – geht m. E. aber über das zur Bekämpfung missbräuchlicher Maßnahmen erforderliche Maß hinaus und ist daher europarechtswidrig.334 Auch rein vermögensverwaltende Tätigkeiten stellen nicht zwingend rein künstliche Gestaltungen im Sinne der EuGH-Rechtsprechung dar. Der EuGH hat in mehreren Entscheidungen auch vermögensverwaltende Tätigkeiten als von den Grundfreiheiten geschützt angesehen.335 Vom Schutz der Niederlassungsfreiheit ist nach der Rechtsprechung des EuGH auch die Tätigkeit reiner Holdinggesellschaften erfasst336, was im Urteil in der Rs. ICI zum Ausdruck kommt.337 Ohne sich näher mit der Grundfreiheitsberechtigung der klagenden Gesellschaft auseinanderzusetzen, hat der EuGH in dieser Entscheidung den Anwendungsbereich von Art. 49 AEUV als eröffnet angesehen. Auch das europäische Sekundärrecht fördert die Bildung von Holdinggesellschaften, indem es sich dabei um eine für die Praxis sehr wichtige Gründungsalternative für eine SE handelt.338 Gleichwohl wird man aus der Rechtsprechung des EuGH – anders als es manche Stimmen in der Literatur tun – nicht jede Holdinggesellschaft aus europarechtlichen Gründen zwingend anerkennen müssen. Es ist insoweit darauf hinzuweisen, dass der EuGH in den zuvor zitierten Entscheidungen nicht darüber zu entscheiden hatte, ob die Holding334 Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 156: Ausschluss der Verwaltung von WGs ist nicht mit Europarecht vereinbar. Dies ist eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zumindest durch Kapitalverkehrsfreiheit geschützt ist. 335 Vgl. EuGH v. 12.9.2006, Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I7995; EuGH v. 16.7.1998, Rs. C-264/96 (ICI), Slg. 1998, I-4695 Rn. 18 ff.; v. 18.9. 2003, Rs. C-168/01 (Bosal Holding), Slg. 2003, I-9430 Rn. 22 ff.; EuGH v. 13.4.2000, Rs. C-251/98 (Baars), Slg. 2000, I-2787; EuGH v. 14.9.2006, C-386/04 (Stauffer), IStR 2006, S. 675; Schön, DB 2001, S. 940 (941); Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 182. 336 Vgl. Bron, DB 2007, S. 1273 (1275); Plewka/Renger, GmbHR 2007, S. 1027 (1029); Becker/Thömmes, DB 1991, S. 566; Schön, IStR 1996, Beilage 2, S. 13; Lieber, IWB, Fach 3a Gruppe 1 S. 1088 (1090); Rödder/Schönfeld, IStR 2006, S. 49 (50); Hahn, IStR 99, S. 609 (617); Thömmes, in: JbFSt 98/99, S. 73 (100 ff.). 337 Vgl. dazu Hahn, IFSt-Schrift Nr. 378, 147 ff. 338 Nieland, in: Lademann, EStG, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 258.

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gesellschaften missbräuchlich zwischengeschaltet wurden. Vielmehr ging es in diesen Entscheidungen darum, ob die Muttergesellschaft der Holding mittels der Einschaltung der Holding ihre Niederlassungsfreiheit ausgeübt hat. Vorliegend geht es jedoch um eine andere Fallkonstellation. Das bedeutet nicht, dass eine reine Holdinggesellschaft im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Sachverhaltsaspekte nicht als rein künstliche Gestaltung angesehen werden könnte. Wie oben dargestellt besteht gerade keine freie Wahlmöglichkeit der Steuerrechtsordnung. Wäre aber jede eine Beteiligung haltende Gesellschaft automatisch anzuerkennen, so liefe dies aber auf eine solche freie Wahlmöglichkeit der Steuerrechtsordnung hinaus. Eine Indizwirkung ergibt sich m. E. auch aus dem allgemeinen Missbrauchsvorbehalt in Art. 1 Abs. 2 Mutter-/ Tochter-Richtlinie. Auch wenn es sich bei der Mutter-/Tochter-Richtlinie um Sekundärrecht handelt, welches selber am europäischen Primärrecht zu messen ist, kann diesem Vorbehalt zumindest eine Indikation dafür entnommen werden, dass gerade nicht jede eine Beteiligung haltende Gesellschaft automatisch als nicht missbräuchlich anzuerkennen ist. Als europarechtswidrig ist es zudem anzusehen, dass nur die Ausübung einer eigenen Wirtschaftstätigkeit durch die ausländische Gesellschaft für einen Erstattungsanspruch nicht ausreicht, sondern darüber hinaus kumulativ noch wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft vorliegen müssen und es ferner einer angemessenen Geschäftseinrichtung bedarf. Da der Gesetzgeber offenkundig davon ausgegangen ist, dass das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen neben der eigenen Wirtschaftstätigkeit nicht in jedem Fall quasi „automatisch“ gegeben ist, ist das kumulative Vorliegen dieser weiteren Tatbestandsmerkmale als europarechtswidrig zu qualifizieren. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung in der Rs. Cadbury Schweppes ausdrücklich festgestellt, dass eine eigene Wirtschaftstätigkeit der ausländischen Gesellschaft zur Verneinung eines Missbrauchs ausreicht. Dies gilt selbst dann, wenn der Steuerpflichtige damit die Erlangung eines Steuervorteils bezweckt hat. Geht mit einer solchen Absicht der Erzielung eines Steuervorteils aber ein realer Verlagerungsvorgang einher, so hat diese Absicht gerade keine Relevanz. Es ist daher davon auszugehen, dass das Erfordernis eines kumulativen Vorliegens der Tatbestandsmerkmale unverhältnismäßig und damit europarechtswidrig ist.339 (2) Für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb Neu durch das JStG 2007 in § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EStG aufgenommen wurde das zwingende Erfordernis, wonach die ausländische Gesellschaft einen 339 So im Ergebnis auch Kessler/Eicke, DStR 2007, S. 781 (783); Grotherr, RIW 2006, S. 898 (909); a. A. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 158.

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für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb haben und mit diesem am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen muss. Dieses Erfordernis ist m. E. ebenfalls als europarechtswidrig zu qualifizieren. Zwar hat der EuGH entschieden, dass die einen Missbrauch ausschließende eigene Wirtschaftstätigkeit anhand objektiver Tatbestandsmerkmale wie Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen festzustellen ist. Gleichwohl bedeutet dies m. E. nicht, dass diese Merkmale in jedem Fall vorliegen müssen. Die von Fischer vertretene Ansicht, wonach der EuGH in seinem Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes eine „Dogmatik der unternehmerisch-wirtschaftlichen Substanz“ erarbeitet habe340 und sonstige Gründe des Steuerpflichtigen unbeachtlich sind341, ist m. E. abzulehnen. Der EuGH hat das von ihm formulierte Substanzgebot unter den Vorbehalt des Motivtests gestellt und Gesellschaften mit einschlägigen „genuin substanzgeminderten“ Geschäftszwecken nicht von vorneherein ausgeklammert oder als missbräuchlich angesehen.342 Dass Fälle denkbar sind, in denen bei einer Gesellschaft ohne infrastrukturelle Substanz ein Missbrauch ausgeschlossen werden kann, zeigt gerade die oben dargestellte Hilversum II-Entscheidung des BFH.343 Es muss daher auch einer Gesellschaft ohne infrastrukturelle Substanz in der Inbound-Fallkonstellation offen stehen, anhand der konkreten Sachverhaltsumstände nachzuweisen, dass eine Absicht zur missbräuchlichen Inanspruchnahme der Grundfreiheiten nicht vorliegt.344 (3) Das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe Ebenso wie das Erfordernis einer eigenen Wirtschaftstätigkeit ist das Erfordernis des Vorliegens wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe nach der EuGH-Rechtsprechung in der Rs. Cadbury Schweppes isoliert betrachtet grundsätzlich geeignet, einen verhältnismäßigen Anknüpfungspunkt für das Vorliegen eines Missbrauchs zu bilden. Allerdings würde dies die Möglichkeit des Steuerpflichtigen voraussetzen, nachzuweisen, dass er tatsächlich einer Wirtschaftstätigkeit in seinem Ansässigkeitsstaat nachgeht. Eine solche Möglichkeit sieht § 50d Abs. 3 EStG aber gerade nicht vor. Stattdessen schließt das Fehlen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe einen Erstattungsanspruch immer aus. Aus diesem Grund ist auch dieses Merkmal als unverhältnismäßig und damit europarechtswidrig zu qualifizieren.345 340 341 342 343 344 345

Vgl. Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 209. Vgl. Fischer, FS Reiss, S. 621 (643). Gosch, FS Reiss, S. 597 (617); Micker, FR 2009, S. 409 (413). So auch Lieber in IWB 2006, Gruppe 3 Fach 3 S. 1433 (1436). So auch Günkel/Lieber, DB 2006, S. 2197 (2199). Vgl. Gosch, FS Reiss, S. 597 (618).

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(4) Unzulässigkeit der Berücksichtigung von Konzernaspekten Nach § 50d Abs. 3 EStG sind zudem Konzernaspekte bei der Prüfung der vorgenannten Tatbestandsmerkmale völlig außer Acht zu lassen sind. Allerdings können solche Aspekte, wie der Sachverhalt der Hilversum II-Entscheidung des BFH zeigt, durchaus geeignet sein, das Vorliegen einer Missbrauchsabsicht zu widerlegen. Der generelle gesetzliche Ausschluss der Berücksichtigung solcher Merkmale ist m. E. ebenfalls als unverhältnismäßig und damit europarechtswidrig zu qualifizieren.346 cc) Rechtsfolge der Unverhältnismäßigkeit Es stellt sich die Frage, welche Rechtsfolge sich aus dem nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit von EUGesellschaften ergibt. Unzweifelhaft ist, dass eine als europarechtswidrig qualifizierte nationale Regelung aufgrund des gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorrangs im gemeinschaftsrechtlichen Kontext nicht mehr unverändert angewendet kann. Allerdings hat der BFH mittlerweile in mehreren Entscheidungen, in denen der Regelungszweck der deutschen Regelung als solcher zwar nicht gemeinschaftsrechtswidrig war, hingegen aber die konkrete Ausgestaltung durch den deutschen Gesetzgeber gegen die Grundfreiheiten verstieß347, die entsprechenden Regelungen gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt. Dabei hat er dem Steuerpflichtigen im Wege einer geltungserhaltenden Reduktion die Möglichkeit gegeben, sich vom Missbrauchsvorwurf dadurch zu entlasten, dass dieser objektive, nachprüfbare Anhaltspunkte gegen das Vorliegen einer rein künstlichen Konstruktion vorbringen konnte.348 Der BFH sah sich zu dieser Vorgehensweise berechtigt, da andernfalls eine Regelungslücke entstünde, „ein Zustand absoluter Nichtbesteuerung“.349 Vereinzelt wird in der Literatur die Ansicht vertreten, dass ein solcher Motivtest auch in § 50d Abs. 3 EStG hineinzulesen sei.350 Zwar regele der Wortlaut der Norm nicht ausdrücklich, dass die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft missbräuchlich sein muss.351 Diese Einschränkung könne aber aus dem Zweck der Norm und ihrer Entstehungsgeschichte sowie im Wege gemeinschaftskonformer Auslegung in die Regelung hineingelesen werden.352 Nach Sinn und 346

Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 155. Vgl. Gosch, DStR 2007, S. 1553 (1554). 348 BFH v. 21.10.2009, I R 114/08, IStR 2010, S. 149; BFH v. 25.8.2009, I R 88, 89/ 07, BFH/NV 2009, S. 2047, BFH v. 10.1.2007, I R 87/03, BStBl. II 2008, S. 22; BFH v. 9.8.2006, I R 31/01, BStBl. II 2007, S. 838. 349 Vgl. Gosch, DStR 2007, S. 1553 (1554). 350 Micker, FR 2009, S. 409 (414). 351 Micker, FR 2009, S. 409 (414). 352 Micker, FR 2009, S. 409 (414). 347

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Zweck liege die Möglichkeit eines Motivtests nicht fern, da durch diesen sichergestellt werden könne, dass nur Missbrauchsfälle erfasst werden.353 Dem soll auch nicht der Gedanke entgegen gehalten werden können, dass der Gesetzgeber durch die Neuregelung eine Verschärfung des § 50d Abs. 3 EStG beabsichtigt habe, da der Gesetzgeber im Zweifel auch eine Gemeinschaftsrechtskonformität der Regelung beabsichtigt habe.354 Eine solche geltungserhaltende Reduktion ist m. E. aber höchst zweifelhaft und ist insbesondere im Hinblick auf die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG nicht zu rechtfertigen. Zwar hat sich der EuGH mit der Frage der Zulässigkeit einer geltungserhaltenden Reduktion bislang nicht ausdrücklich befasst. Deren europarechtliche Unzulässigkeit ergibt sich m. E. aber aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Wie oben bereits näher dargestellt, sind typisierende Missbrauchsnormen europarechtlich nur dann zulässig, wenn sie auf spezifische Missbrauchssituationen zugeschnitten sind. Diese Anforderungen werden aber gerade dann nicht erfüllt, wenn die Europarechtskonformität einer entsprechenden Regelung schon immer dadurch hergestellt werden könnte, dass ein Motivtest in die jeweilige Norm hineingelesen werden könnte. Im Übrigen lässt der EuGH, wie oben dargestellt, eine Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen nur dann zu, wenn der Missbrauchstatbestand als solcher verhältnismäßig abgefasst ist. Könnte aber im Wege einer europarechtskonformen Auslegung in jede mitgliedstaatliche Regelung ein entsprechender Motivtest mit der Folge einer Beweislastumkehr hineingelesen werden, so würde dadurch der effektive Rechtsschutz des Steuerpflichtigen erheblich beeinträchtigt, da letztlich immer der Steuerpflichtige die Beweislast tragen würde. Dies würde dann zudem den Gesetzgeber von seiner Verpflichtung zur Schaffung verhältnismäßiger typisierender Tatbestände entbinden. Eine solche Vorgehensweise kann auch aus rechtsstaatlicher Sicht nicht zufrieden stellen, da die effektive Wahrnehmung subjektiver Rechte nicht durch unvollständige und irreführende Regelungen eingeschränkt werden darf.355 Zudem kann vorliegend nicht als Argument angeführt werden, dass im Fall einer Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 50d Abs. 3 EStG ein regelungsloser Zustand bestünde und die geltunsgerhaltende Reduktion dazu dient, zu verhindern, dass infolge der angenommenen Europarechtswidrigkeit einer Norm ein Regelungsvakuum entsteht. Bei einer Nichtanwendung von § 50d Abs. 3 EStG bestünde diese Gefahr nicht, da dann die allgemeine Missbrauchsregelung des § 42 AO Anwendung finden würde. Die BFH-Rechtsprechung ist insoweit inkonsistent. Während z. B. in dem Endurteil des BFH zu der EuGH-Entscheidung in der Rs. Glaxo-Wellcome356 ohne die vom BFH vorgenommene geltungserhal353 354 355 356

Micker, FR 2009, S. 409 (414). Micker, FR 2009, S. 409 (414). Vgl. Jochum, IStR 2006, S. 621 (623). BFH v. 3.2.2010, I R 21/06, DStRE 2010, S. 660.

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tende Reduktion wohl tatsächlich ein regelungsloser Zustand entstanden wäre, da das Eingreifen von § 42 AO insoweit ausgesprochen fraglich gewesen wäre, ist unverständlich, warum der BFH im Rahmen seines Schlussurteils zum EuGHVerfahren in der Rs. Columbus Container357 ebenfalls eine geltungserhaltende Reduktion bejaht hat. In letzterem Fall, in dem es um die Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität der Hinzurechnungsbesteuerung der mittels ausländischer Freistellungsbetriebsstätten erzielten Einkünfte ging, hätte ebenso wie im vorliegenden Fall des § 50d Abs. 3 EStG die allgemeine Missbrauchsregelung des § 42 AO als eine Art „Auffangtatbestand“ zu Verfügung gestanden, so dass die Annahme einer geltungserhaltenden Reduktion durch den BFH aus den vorgenannten Gründen abzulehnen ist. Darüber hinaus ist m. E. hinsichtlich der Frage einer geltungserhaltenden Reduktion des § 50d Abs. 3 EStG von besonderer Bedeutung, dass der Gesetzgeber trotz Kenntnis der restriktiven Rechtsprechung des EuGH die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG durch das JStG 2007 nachhaltig verschärft und damit quasi sehenden Auges die Europarechtswidrigkeit der Regelung herbeigeführt hat. Wenn der Gesetzgeber aber angesichts einer offenkundigen Europarechtswidrigkeit nichts unternimmt bzw. wie im Fall des § 50d Abs. 3 EStG eine solche unter Kenntnis der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zumindest in Kauf nimmt, sollte der Weg zu einer geltungserhaltenden Auslegung versperrt sein.358 Im vorliegenden Fall kommt eine geltungserhaltende Reduktion des § 50d Abs. 3 EStG daher nicht in Betracht. dd) Ergebnis Die vorstehende Darstellung hat gezeigt, dass die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG in nicht zu rechtfertigender Weise die Niederlassungs- und/oder – abhängig von der konkreten Beteiligungshöhe – die Kapitalverkehrsfreiheit von in der EU ansässigen Gesellschaften beschränkt, welche Beteiligungen an in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaften halten. Die unverhältnismäßige Beschränkung der Grundfreiheiten resultiert daraus, dass keines der in § 50d Abs. 3 EStG genannten Tatbestandsmerkmale isoliert betrachtet ausschließlich rein künstliche Gestaltungen erfasst. Vielmehr werden auch Sachverhalte erfasst, welche gerade keine künstlichen Gestaltungen darstellen. Eine Europarechtskonformität käme allenfalls dann in Betracht, wenn die unwiderlegliche Missbrauchsvermutung an das kumulative Vorliegen der Tatbestandsmerkmale anknüpfen würde, d. h. es sowohl an einer eigenen Wirtschaftstätigkeit als auch an wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründen für die Einschaltung der Gesellschaft ebenso wie an einer Mindestsubstanz fehlen würde.359 357

BFH v. 21.10.2009, I R 114/08, IStR 2010, S. 142. So auch Schönfeld, IStR 2011, S. 219 (221) zur Frage einer geltungserhaltenden Auslegung von § 1 AStG. 358

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Auch eine vom BFH in der Vergangenheit mehrfach vorgenommene geltungserhaltende Reduktion kann vorliegend keine Anwendung finden, da im Fall der Nichtanwendung von § 50d Abs. 3 EStG zum einen kein regelungsloser Zustand droht und zum anderen der Gesetzgeber die Gefahr der Europarechtswidrigkeit bei Verschärfung des § 50d Abs. 3 EStG sehenden Auges in Kauf genommen hat. d) Rechtfertigung von Eingriffen in die Kapitalverkehrsfreiheit von Drittstaatengesellschaften Es stellt sich die Frage, ob sich auch solche Gesellschaften auf die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Regelung des § 50d Abs. 3 EStG berufen können, die ihren Sitz außerhalb der EU haben. Anders als innerhalb der EU ansässige Gesellschaften können sich außerhalb der EU ansässige Gesellschaften nicht auf die Niederlassungsfreiheit, sondern nur auf die Kapitalverkehrsfreiheit berufen. Die Kapitalverkehrsfreiheit findet nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 63 AEUV sowohl zwischen den Mitgliedstaaten wie auch zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern (sog. „Erga-Omnes“-Wirkung) Anwendung. Der Kapitalverkehrsfreiheit kommt damit eine Sonderrolle innerhalb der wirtschaftlichen Grundfreiheiten des AEUV zu. Insbesondere in der jüngeren Zeit wird verstärkt die Frage diskutiert, ob der weite Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit eine vollständige Öffnung des Binnenmarktes gegenüber Drittstaaten zur Folge hat oder ob diese weitreichende Wirkung aufgrund der spezifischen Umstände des Drittstaatenverkehrs Einschränkungen unterliegt. aa) Der Wortlaut des Art. 63 AEUV Nach dem Wortlaut des am 1.1.1994 in Kraft getretenen Art. 63 AEUV360 „sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.“ Eine Unterscheidung zwischen Kapitaltransfers innerhalb der Union und solchen zwischen Mitgliedstaaten und dritten Ländern erfolgt nicht. Entsprechend hat auch der EuGH festgestellt, dass auch wenn mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs mit Drittländern gewiss andere Ziele verfolgt werden können als die Verwirklichung des Binnenmarktes, wie insbesondere die Ziele, die Glaubwürdigkeit der einheitlichen Gemeinschaftswährung auf den Weltfinanzmärkten und die Aufrechterhaltung der Finanzzentren von weltweiter Bedeutung in den Mitgliedstaaten sicherzustellen, die Mitgliedstaaten sich gleichwohl dafür entschieden haben, diesen Grundsatz in demselben Artikel mit den gleichen Worten für den 359 360

Vgl. Bron, DB 2007, S. 1273 (1275). Früher Art. 56 EG.

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Kapitalverkehr innerhalb der Gemeinschaft wie auch für den Kapitalverkehr mit Drittländern festzulegen.361 bb) Die unmittelbare Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit Vereinzelt wird in der Literatur geltend gemacht, dass die Kapitalverkehrsfreiheit im Zusammenhang mit Direktinvestitionen noch nicht unmittelbar anwendbar sei.362 Auch die Bundesregierung hat diese Auffassung in ihrer Stellungnahme in dem Verfahren in der Rs. „A“ vor dem EuGH vertreten.363 Das Fehlen der unmittelbaren Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit wird damit begründet, dass Art. 57 Abs. 2 EG364 die Liberalisierung des Kapitalverkehrs in dem dort näher umschriebenen Teilbereich des Kapitalverkehrs in das politische Ermessen des EG-Rates stellt, welchem eine besondere Rechtsetzungsbefugnis eingeräumt werde. Diese Zielsetzung mache aber nur Sinn, wenn die Kapitalverkehrsfreiheit in dem von Art. 57 EG erfassten Teilbereich nicht unmittelbar wirksam ist. Der EuGH hat diese Ansicht aber in seiner Entscheidung in der Rs. „A“ zu Recht abgelehnt.365 Die Argumentation, welche sich gegen eine unmittelbare Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit richtet, beachtet die Systematik des Art. 64 AEUV nicht ausreichend. Die in Art. 64 Abs. 2 AEUV erwähnten „weiteren Liberalisierungsmaßnahmen“ beziehen sich aufgrund des systematischen Zusammenhangs mit Art. 64 Abs. 1 AEUV nicht generell auf die Liberalisierung des Kapitalverkehrs, sondern verfolgen primär den Zweck, die aufgrund der Stillstandklausel des Art. 64 Abs. 1 AEUV noch zulässigen Beschränkungen abzubauen.366 cc) Die Grandfathering Clause des Art. 64 AEUV367 Sonderregelungen sieht der AEUV in Bezug auf die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten insoweit vor, als Art. 64 Abs. 1 AEUV eine sog. „Grandfathering Clause“ enthält, welche einen Bestandsschutz für mitgliedstaatliche Vorschriften vorsieht, die am 31.12.1993 aufgrund einzelstaatlicher oder gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften für den Kapitalverkehr mit 361 EuGH v. 18.12.2007, C-101/05 („A“), Slg. 2007, I-11531 Rn. 31; EuGH v. 20.5. 2008, C-194/06 („Orange European Smallcap Fund NV“), Slg. 2008, I-3747 Rn. 87. 362 Siehe Mohamed, European Community Law on the Free Movement of Capital and the EU, Den Haag 1999, zitiert bei Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 177. 363 Vgl. Stellungnahme im Namen der Bundesrepublik Deutschland im Vorabentscheidungsersuchen vor dem EuGH, C-105/05 („A“) v. 7.6.2005, abgedruckt in IStR 2008, S. 71. 364 Jetzt Art. 64 Abs. 2 AEUV. 365 EuGH v. 18.12.2007, C-101/05 („A“), Slg. 2007, I-11531 Rn. 21 ff.; siehe auch BFH v. 15.12.2010, II R 63/09, IStR 2011, S. 153 (155). 366 Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 177 f. 367 Früher Art. 57 EG.

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dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestanden. Mangels einer ausdrücklichen Definition des Begriffs „Kapitalverkehr“ (dazu bereits oben bei der Frage zum Verhältnis der Niederlassungs- zur Kapitalverkehrsfreiheit) zieht der EuGH zur Auslegung die mittlerweile aufgehobene Kapitalverkehrsrichtlinie368 heran.369 Kapitalbewegungen i. S. v. Art. 64 Abs. 1 AEUV sind danach insbesondere Direktinvestitionen. Der EuGH führt aus, dass sich aus der Richtliniennomenklatur und den dazugehörigen Begriffsbestimmungen ergäbe, dass Direktinvestitionen Investitionen jeder Art zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter und direkter Beziehungen zwischen denjenigen sind, die Mittel bereitstellen, und den Unternehmen, für die die Mittel zum Zweck einer wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sind.370 Das Ziel der Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter Wirtschaftsbeziehungen setze voraus, dass die Anteile ihrem Inhaber entweder nach den nationalen Vorschriften oder aus anderen Gründen die Möglichkeit verschaffen, sich effektiv an der Verwaltung oder Kontrolle der Gesellschaft zu beteiligen.371 Ab welcher prozentualen Beteiligung eine Beteiligung einen entsprechenden Einfluss vermittelt, ist weiterhin offen. In der Rechtssache Holböck372, in welcher der EuGH die Anwendung der Stillstandklausel bejaht hat, bestand eine Beteiligung in Höhe von 2/3. Es erscheint aber sinnvoll, diese Schwelle niedriger als diejenige für eine Kontrollbeteiligung anzusetzen, da es anders als bei der Niederlassungsfreiheit nicht auf einen sicheren und beherrschenden Einfluss ankommt, sondern nur auf die Möglichkeit zur Beteiligung an Verwaltung und Kontrolle der Gesellschaft.373 Als überholt ist aber auf jeden Fall das Urteil des EuGH in der Rs. „Sanz de Lera“ 374 anzusehen, wonach eine mitgliedstaatliche Beschränkung nur dann von Art. 64 AEUV gedeckt wäre, wenn sie nicht allgemein auf alle Kapitalbewegungen Anwendung findet, sondern sich spezifisch gegen Kapitalbewegungen richtet, mit denen eine 368 Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24.6.1988 zur Durchführung von Art. 67 des Vertrags, ABlEG Nr. L 178 v. 8.7.1988, S. 5. 369 Vgl. z. B. EuGH v. 20.5.2008, C-194/06 (Orange European Smallcap Fund NV), Slg. 2008, I-3747 Rn. 100. 370 EuGH v. 20.5.2008, C-194/06 (Orange European Smallcap Fund NV), Slg. 2008, I-3747 Rn. 100; EuGH v. 24.5.2007, C-157/05 (Holböck), Slg. 2007, I-4051 Rn. 34; EuGH v. 12.12.2006, C-446/04, Slg. 2006 I-11753 Rn. 180 f. 371 EuGH v. 24.5.2007, C-157/05 (Holböck), Slg. 2007, I-4051 Rn. 34; EuGH v. 20.5.2008, C-194/06 (Orange European Smallcap Fund NV), Slg. 2008, I-3747 Rn. 100 f. – In dem Urteil hat der EuGH entschieden, dass Anteilspaket, das keine Kontrolle ermöglicht, nicht Direktinvestition ist. 372 EuGH v. 24.5.2007, C-157/05 (Holböck), Slg. 2007, I-4051. 373 Vgl. Wunderlich/Blaschke, IStR 2008, S. 754 (760); zur Tendenz einer engen Auslegung des Art. 57 Bron, EuZW 2008, S. 429 (432). 374 Vgl. EuGH v. 14.12.1995, Rs. C-163/94, C-165/94 und C-250/94 (Sanz de Lera), Slg. 1995, I-4821 ff. Rn. 35 f.

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Direktinvestition begründet, gefördert oder aufrecht erhalten werden soll. Trotz aller Unklarheiten bei dem Verhältnis der Niederlassungsfreiheit zur Kapitalverkehrsfreiheit besteht insoweit Klarheit, dass eine Norm, die spezifisch Niederlassungsvorgänge betrifft, allein am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu messen ist, so dass Art. 64 AEUV bei einer solchen Auslegung leer laufen würde (siehe dazu oben). Gleiches würde gelten, wenn für die Anwendung von Art. 64 AEUV stets eine Kontrollbeteiligung erforderlich wäre. Nicht erfasst von Art. 64 AEUV werden hingegen Portfoliobeteiligungen, d. h. Beteiligungen, die so gering sind, dass sie weder einen Einfluss auf die Verwaltung noch die Kontrolle der Gesellschaft ermöglichen. Eine Diskriminierung von Portfoliobeteiligungen kann daher nicht durch die Stillstandsklausel gerechtfertigt werden.375 Für die Frage des Vorliegens einer Direktinvestition ist grundsätzlich die tatsächliche Beteiligungshöhe maßgeblich376, so dass Art. 64 AEUV zumindest insoweit die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG im Verhältnis zu Drittstaaten rechtfertigen könnte, als ein ausländischer Gesellschafter eine Mehrheitsbeteiligung an einer in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaft hält.377 „Bestehen“ am 31.12.1993: Die Anwendung der Stillstandklausel setzt voraus, dass die jeweilige Bestimmung am 31.12.1993 bereits bestanden hat. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine Bestimmung auch dann als am 31.12.1993 „bestehend“ einzustufen, wenn sie trotz späterer Änderungen im Wesentlichen mit der früheren Regelung übereinstimmt.378 Der EuGH versteht den Begriff des „Bestehens“ weit.379 In dem Urteil in der Rs. Holböck hat der EuGH unter Bezugnahme auf das Urteil in der Rs. Konle380 ausgeführt, dass eine Vorschrift am 31.12.1993 bestanden hat, wenn sie „im Wesentlichen mit der früheren Regelung übereinstimmt“.381 Etwas anderes soll aber dann gelten, wenn sie auf einem anderen Grundgedanken als das frühere Recht beruht oder neue Verfahren einführt.382 Es stellt sich die Frage, ob § 50d Abs. 3 EStG gemessen an diesen Kriterien zum 31.12.1993 bestanden hat. Die mittlerweile mehrfach geänderte Regelung des § 50d Abs. 3 EStG wurde in ihrer ursprünglichen Fassung als § 50d Abs. 1a 375

Vgl. Marschner/Stefaner, SWI 2009, S. 372 (376). Vgl. EuGH v. 24.5.2007, C-157/07 (Holböck), Slg. 2007, I-4051; BFH v. 25.8. 2009, I R 88, 89/07, IStR 2009, S. 895 (901). 377 Vgl. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 25. 378 EuGH v. 24.5.2007, C-157/05 (Holböck), Slg. 2007, I-4051 Rn. 41 unter Hinweis auf EuGH v. 1.6.1999, C-302/97 (Konle), Slg. 1999, I-3099. 379 Wunderlich/Blaschke, IStR 2008, S. 754 (759). 380 EuGH v. 1.6.1999, C-302/97 (Konle), Slg. 1999, I-3099. 381 EuGH v. 24.5.2007, C-157/05 (Holböck), Slg. 2007, I-4051 Rn. 41. 382 EuGH v. 24.5.2007, C-157/05 (Holböck), Slg. 2007, I-4051 Rn. 41. 376

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EStG mit dem „Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts“ vom 21.12.1993 geschaffen, das am 30.12.1993 in Kraft getreten ist. Allerdings hat der damalige § 50d Abs. 1a EStG erst ab dem Veranlagungszeitraum 1994 rechtliche Wirkung entfaltet. Es wird daher die Ansicht vertreten, dass solche Regelungen nicht unter die Stillstandsklausel fallen, die erst ab dem 1.1.1994 zu tatsächlichen Beschränkungen geführt haben, da für solche Regelungen ein die Außerkraftsetzung der Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigender Bestandsschutz teleologisch nicht besteht.383 Entscheidend ist somit, ob es für das Bestehen einer Vorschrift genügt, wenn diese im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde oder ob es auf die erstmalige Anwendung vor dem 31.12.1993 ankommt.384 Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Lasertec hat insoweit keine Klarheit gebracht.385 M. E. ist für die Frage der Anwendbarkeit des Art. 64 AEUV auf eine mitgliedstaatliche Norm grundsätzlich darauf abzustellen, ob diese Norm zum 31.12.1993 bereits eine Rechtswirkung entfaltet hat. In dem Urteil in der Rs. „A“ hat der EuGH ausgeführt, dass der Gerichtshof solche Normen als nicht am 31.12.1993 bestehend ansieht, „durch die aber ein Hindernis für den freien Kapitalverkehr wieder eingeführt worden ist, das nach der Aufhebung der früheren Regelung nicht mehr bestand.“ Indem der EuGH in der vorgenannten Entscheidung darauf abstellt, ob ein „Hindernis“ für den freien Kapitalverkehr wieder eingeführt wurde386, kommt es m. E. darauf an, ob die entsprechende Regelung zum 31.12.1993 tatsächlich eine Belastungswirkung entfaltet hat. Dies war aber im Fall der Vorgängerregelung des § 50d Abs. 3 EStG nicht der Fall, da sie eine rechtliche Wirkung erst ab dem 1.1.1994 entfaltet hat. Eine Anwendung der Grandfathering Klausel scheidet m. E. auch deshalb aus, weil die Stichtagsregelung wie oben dargestellt nur dann den Fortbestand einer Vorschrift schützt, wenn diese Vorschrift auch nach dem 31.12.1993 in ihren wesentlichen Zügen beibehalten wurde oder Neuregelungen nur Beschränkungen der Grundfreiheiten abmildern oder beseitigen. Beruht eine Regelung allerdings auf einem anderen Grundgedanken, so kann nicht mehr von einem Bestehen i. S. d. Art. 64 Abs. 1 AEUV ausgegangen werden. Das 1993 bereits erreichte Schutzniveau in Bezug auf die Kapitalverkehrsfreiheit mit Drittstaaten darf durch die Neuregelungen nicht verringert werden.387 Eine Verschärfung der Vorschrift wird daher von der Stichtagsregelung nicht mehr gedeckt.388 383

Vgl. Schnitger, IStR 2004, S. 635 (636). Vgl. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Anm. 25; für den Zeitpunkt, ab dem der zeitliche Anwendungsbereich der Norm eröffnet ist, sprechen sich Kessler/Eicker/Obser, IStR 2004, S. 325 (328) aus. 385 Vgl. Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Anm. 25. 386 Vgl. EuGH v. 15.10.2004, C-101/05 („A“), IStR 2008, S. 66 (70) Rn. 49. 387 Vgl. Schönfeld, FR 2007, S. 200 f. (201); Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 180 m.w. N. 388 Vgl. Rust, Hinzurechnungsbesteuerung., S. 180 m.w. N. 384

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§ 50d Abs. 3 EStG ist, wie oben dargestellt, vor allem durch die umfangreichen Änderungen im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2007 nachhaltig verschärft worden, so dass die Frage ist, ob die Regelung in ihren wesentlichen Zügen im Sinne der EuGH-Rechtsprechung beibehalten wurde. Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass der Gesetzgeber lediglich das klargestellt hat, was schon bisher galt. Sollte die Gesetzesbegründung389 tatsächlich in diesem Sinne zu verstehen sein390, ist dies mit Nachdruck abzulehnen. Während man hinsichtlich der Regelung in den Sätzen 3 ff. bezüglich des Outsourcing tatsächlich so argumentieren könnte, sprechen zwei weitere Punkte eindeutig gegen eine solche Argumentation: Zum einen versagt § 50d Abs. 3 EStG i. d. F. d. JStG 2007 die Kapitalertragsteuererstattung bereits dann, wenn eine der Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt ist, zum anderen wurde die 10 %-Grenze neu geschaffen und war in dieser Form in der vorherigen Fassung der Norm nicht angelegt. Konsequenz dessen ist, dass die Stillstandsklausel des Art. 64 AEUV zumindest infolge der erfolgten Verschärfungen nicht mehr angewandt werden kann, so dass letztlich die Frage, ob es sich bei der Norm überhaupt um eine Regelung handelt, die zum 31.12.1993 bestanden hat, dahinstehen kann.391 dd) Einschränkung für Rechtfertigung der Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 65 Abs. 2 AEUV Gemäß Art. 65 Abs. 2 AEUV sind solche Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit zulässig, die auch mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind. Diese Regelung könnte dahingehend verstanden werden, dass in Drittstaatensachverhalten jegliche Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit zulässig ist, wenn die für die Niederlassungsfreiheit maßgebliche Beteiligungsschwelle erreicht wird.392 Konsequenz dessen wäre, dass in Drittstaatenfällen, in welchen sich ein Investor mangels Vorliegens eines innergemeinschaftlichen Sachverhalts schon gar nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann, bei einem Überschreiten der für die Niederlassungsfreiheit erforderlichen Mindestbeteiligungsgrenze niemals ein Berufen auf die Kapitalverkehrsfreiheit möglich wäre.393 Man käme daher auf der Rechtfertigungsebene zu demselben Ergebnis wie über die Annahme einer Exklusivität der Niederlassungsfreiheit gegenüber der Kapitalverkehrsfreiheit auf Konkurrenzebene. Deshalb ist eine solche Auslegung – auch hier wieder vor dem Hintergrund von Art. 65 Abs. 1 AEUV – abzulehnen, da Art. 65 AEUV sonst allenfalls eine minimale Bedeutung hätte, nämlich in den 389

BT-Drs. 16/2712. So Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Anm. 25. 391 So auch Plewka/Renger, GmbHR 2007, S. 1027 (1031). 392 Vgl. Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 179. 393 Vgl. Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 179. 390

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Fällen, in denen die Beteiligungsschwelle der Niederlassungsfreiheit noch nicht erreicht ist, die niedrigere Schwelle für eine Direktinvestition hingegen schon.394 Stattdessen stellt Art. 65 Abs. 2 AEUV klar, dass Regelungen des Niederlassungsrechts, die mit den nichtkapitalverkehrsrechtlichen Bestimmungen des Vertrages in Einklang stehen, gleichwohl aber indirekte Beschränkungen des Kapitalverkehrs darstellen, vom Beschränkungsverbot des Art. 65 AEUV ausgenommen werden.395 ee) Rechtfertigung von Eingriffen in die Kapitalverkehrsfreiheit in Drittstaatenfällen Es stellt sich die Frage, ob für die Kapitalverkehrsfreiheit im Vergleich zu anderen Grundfreiheiten bereits nach dem Wortlaut des AEUV abweichende Rechtfertigungsgründe gelten. Art. 65 AEUV enthält einen ausdrücklichen Steuervorbehalt. Nach Art. 65 Abs. 1 lit. a AEUV berührt Art. 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten, „die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln.“ Nach Art. 65 Abs. 1 lit. b AEUV haben die Mitgliedstaaten das Recht zur Vornahme derjenigen unerlässlichen Maßnahmen, die erforderlich sind, um „Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts“ zu verhindern. Diese Regelungen stellen allerdings keinen Freibrief für Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit durch steuerrechtliche Normen dar, sondern der EuGH hat zutreffend festgestellt, dass die Vorschrift des Art. 65 Abs. 3 AEUV zu beachten ist, wonach Maßnahmen und Verfahren im Sinne von Art. 65 Abs. 1 AEUV weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Art. 63 AEUV darstellen dürfen.396 Entsprechend müssen nach der Rechtsprechung des EuGH397 sowie der h. M. in der Literatur398 Differenzierungen nach Anlage- und Wohnort gem. Art. 65 Abs. 1 lit. a AEUV ein gemeinschaftsrechtlich akzeptiertes Allgemeininteresse in geeigneter, erforderlicher und verhältnismäßiger Weise verwirklichen. Auch für Maßnahmen der Steueraufsicht im Sinne von lit b wird vom EuGH eine „Unerlässlichkeit“ gefordert, die vom EuGH an394

Vgl. Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 179. Glaesner, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 58 EGV Rz. 8. 396 Z. B. EuGH v. 10.2.2011, C-436, 437/08 (Haribo), BeckRs 2011, 80119 Rn. 58. 397 Vgl. EuGH v. 10.2.2011, C-436, 437/08, (Haribo), BeckRs 2011, 80119 Rn. 58; EuGH v. 6. Juni 2000, C-35/98 (Verkooijen), Slg. 2000, I-4071 Rn. 43; EuGH v. 7. Sept. 2004, C-319/02 (Manninen), Slg. 2004, I-7477 Rn. 29; EuGH vom 19. Nov. 2009, C-540/07 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-10983 Rn. 49. 398 Siehe dazu Schön, FS Wassermeyer, S. 489 (514). 395

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hand strenger Maßstäbe überprüft wird. Damit gelten letztlich für die Rechtfertigung von Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit im Grundsatz die gleichen Regelungen wie für die Beschränkung anderer Grundfreiheiten.399 Gleichwohl stellt sich die Frage, ob für Drittstaatenfälle strengere Rechtfertigungsanforderungen gelten. ff) Einschränkende Auslegung der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten (1) Rechtfertigung einer einschränkenden Auslegung Obwohl die Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten identisch formuliert ist wie die Kapitalverkehrsfreiheit zwischen Mitgliedstaaten, gehen starke Stimmen in der Literatur davon aus, dass die Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten einschränkend auszulegen ist.400 Gegen eine identische Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit gegenüber Drittstaaten wird vorgebracht, dass diese eine einseitige Begünstigung der Drittstaaten zur Folge hätte, da den Begünstigungen keine Verpflichtungen der Drittstaaten gegenüber stünden. Das völkerrechtliche Prinzip der „Reziprozität“, welches auf einem wechselseitigen „Geben und Nehmen“ beruht, würde damit außer Kraft gesetzt.401 Stattdessen würde die Union einseitig in Vorleistung treten, was ihre Verhandlungsposition gegenüber Drittstaaten deutlich schwächen würde. Des Weiteren wird geltend gemacht, dass die Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittländern einem anderen Zweck als gegenüber Mitgliedstaaten dient. Während der Zweck gegenüber Mitgliedstaaten in der Errichtung eines innergemeinschaftlichen Binnenmarktes besteht, fehle eine entsprechende Zweckbestimmung im Verhältnis zu Drittstaaten.402 Belege dafür, dass durch die Ausweitung der Kapitalverkehrsfreiheit auf Drittländer tatsächlich ein „globalisierter Binnenmarkt“ geschaffen werden sollte, gebe es nicht. Zudem wird auf die Vertragspraxis der Gemeinschaft verwiesen. So hat die Union in mehreren Abkommen Regelungen zum Umfang der Gewährleistung der Kapitalverkehrsfreiheit aufgenommen, die widersprüchlich und überflüssig wären, wenn durch den AEUV die Kapitalverkehrsfreiheit gegenüber Drittländern ohnehin in dem größtmöglichen Umfang garantiert wäre. Ferner findet gegenüber Drittstaaten die Amtshilferichtlinie keine Anwendung, so dass in Drittstaatensachverhalten vielfach keine Auskünfte über die Höhe der ausländischen Einkünfte erlangt werden und die angefallenen Steuern im Aus399

Schön, FS Wassermeyer, S. 489 (514). Vgl. Schön, FS Wassermeyer, S. 489 ff.; Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 183 ff. 401 Vgl. Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 184. 402 Vgl. Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 183 ff. 400

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land nicht beigetrieben werden können.403 Aufgrund dieser Umstände wird in der Literatur in der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittländern eine bloße unterstützende Funktion für die Schaffung eines innergemeinschaftlichen Binnenmarktes gesehen.404 Der Grund für die Ausweitung der Kapitalverkehrsfreiheit auf Drittstaaten wird darin gesehen, dass einzelstaatliche Regelungen über den Zugang oder Zufluss von Kapital leicht umgangen werden könnten, indem Kapital zunächst in einen Mitgliedstaat mit liberalen Regeln verbracht wird und dann in den endgültigen Anlagestaat umgeleitet werde.405 Die Funktion der „Erga-Omnes“-Wirkung bestehe daher nicht in einer Globalisierung des Binnenmarktes, sondern in der Schaffung einheitlicher, gemeinschaftsrechtlich geprägter Außengrenzen der Gemeinschaft als gedankliches Gegenstück zu einer vollständigen Liberalisierung im Inneren des europäischen Kapitalmarkts.406 Daraus wird der Schluss gezogen, dass für den Kapitalverkehr mit Drittländern nur der ungehinderte technische Zugang oder Abfluss von Kapital gesichert werden muss, nicht aber die völlige Gleichbehandlung von Auslandskapital mit allen übrigen rechtlichen Bedingungen.407 Außerdem könne schädigenden Besteuerungsregimen nicht durch die Organe der Gemeinschaft – etwa durch Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen eines Verstoßes gegen das Beihilferecht – entgegen gewirkt werden.408 Eine Gegenmeinung sieht in der fehlenden Reziprozität sowie der geringeren Harmonisierung gegenüber Drittstaaten hingegen keine Rechtfertigung für einen unterschiedlichen Schutzumfang der Kapitalverkehrsfreiheit.409 Auch eine einseitige Liberalisierung des Kapitalverkehrs mit Drittstatten schaffe positive wirtschaftliche Effekte für den Binnenmarkt, die wiederum zum Erreichen einer Vielzahl von Vertragszielen beitrügen.410 Zudem fehle es der EU nicht an Möglichkeiten, zur Sicherung legitimer unionaler und mitgliedstaatlicher Interessen gegen missbräuchliche Praktiken von Drittstaaten vorzugehen.411 Der EuGH hat mittlerweile – neben der noch ungeklärten Frage nach dem Verhältnis des Schutzbereichs der Kapitalverkehrsfreiheit zur Niederlassungsfreiheit – in verschiedenen Urteilen zum Ausdruck gebracht, dass bei Drittstaatensachverhalten eine Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu rein innerstaatlichen Sachverhalten geboten sein kann. So hat er in mittlerweile

403 404 405 406 407 408 409 410 411

Vgl. Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 184. Vgl. Schön, FS Wassermeyer, S. 489 (506). Vgl. Schön, FS Wassermeyer, S. 489 (506). Vgl. Schön, FS Wassermeyer, S. 489 (506). Vgl. Schön, FS Wassermeyer, S. 489 (506). Hohenwarter/Plansky, SWI 07, S. 357. Hindelang, IStR 2010, S. 443 (446). Hindelang, IStR 2010, S. 443 (446). Hindelang, IStR 2010, S. 443 (446).

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mehreren Urteilen ausgeführt, dass aufgrund des Grades der unter den Mitgliedstaaten der Union bestehenden rechtlichen Integration Maßnahmen in einem größerem Umfang gemeinschaftsrechtskonform sein können, als dies im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten der Fall wäre.412 Der EuGH berücksichtigt die wesentlichen Unterschiede zwischen den Rechtsbeziehungen zwischen Mitgliedstaaten untereinander auf der einen und Rechtsbeziehungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern auf der anderen Seite grundsätzlich auf Ebene der Vergleichbarkeit der Situation der Steuerpflichtigen sowie auf Rechtfertigungsebene. M. E. ist die einschränkende Rechtsprechung des EuGH im Grundsatz zu begrüßen. Gegen eine vollständige Einbeziehung von Drittstaaten in die Kapitalverkehrsfreiheit im steuerrechtlichen Bereich spricht, dass verschiedene Formulierungen des AEUV Hinweise darauf enthalten, dass die Mitgliedstaaten die Kapitalverkehrsfreiheit insoweit nicht in vollem Umfang auch für Drittstaaten gewährleisten wollten. Das betrifft zum einen die Stand-Still-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV sowie zum anderen die Regelungen in Art. 64 Abs. 2 und 3 AEUV und in Art. 65 Abs. 4 AEUV, wonach unter gewissen Voraussetzungen gezielte Maßnahmen zur Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit zulässig sind. Darüber hinaus enthält Art. 65 Abs. 1 AEUV ausdrückliche Steuervorbehalte. Sofern Stimmen in der Literatur gleichwohl eine vollständig inhaltsgleiche Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit auf innergemeinschaftliche Sachverhalte wie Drittstaatensachverhalte fordern, ist dies m. E. abzulehnen. Insbesondere das Argument, dass eine einseitige weltweite Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit gesamtwirtschaftlich positive Effekte hätte413, verkennt, dass sich dadurch erhebliche Folgen für das Steueraufkommen der Mitgliedstaaten ergeben können. Diese Sorge kommt auch in dem Steuervorbehalt des Art. 65 Abs. 1 AEUV zum Ausdruck und ist bei der Auslegung der Regelungen zur Kapitalverkehrsfreiheit zu berücksichtigen.414 Da diese Regelung aber innergemeinschaftlich nach der Rechtsprechung des EuGH keine Auswirkungen hat, wäre sie bedeutungslos, wenn sie gegenüber Drittstaaten keine Wirkung entfalten würde.415 Zwar ist auch insoweit Art. 65 Abs. 3 AEUV zu beachten, wonach willkürliche Diskriminierungen verboten sind. Gleichwohl schließt dieses Verbot eine Differenzierung zwischen innergemeinschaftlichen Sachverhalten und Drittstaatensachverhalten nicht aus. Zudem zeigt sich in den steuerrechtlichen Vorbehalten, dass die Mitgliedstaaten gerade unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten bei der Gewährung der Kapitalverkehrsfreiheit besondere Bedenken hatten, denen durch den Steuervorbehalt Rechnung getragen wurde. Im Übrigen erscheint es unüblich, dass die 412 Vgl. u. a. EuGH v. 12.12.2006, C-446/04 (Test Claimants in the FII Group Litigation), Slg. 2006, I-11753 Rn. 37 f.; EuGH v. 18.12.2007, C-101/05 (A), Slg. 2007, I-11531 Rn. 60; EuGH v. 19.11.2009 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-10983 Rn. 69. 413 Hindelang, IStR 2010, S. 443 (446). 414 Schwenke, IStR 2006, S. 748. 415 Vgl. Hohenwarter/Plansky, SWI 2007, S. 346 (357).

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EU gegenüber Drittstaaten eine Verhandlungsposition zum Abbau von Handelsbeschränkungen ohne jede Gegenleistung einseitig aufgibt. Für die Rechtsprechung des EuGH, die Frage der Rechtmäßigkeit entsprechender Einschränkungen im Rahmen der Rechtfertigung zu prüfen, spricht, dass insoweit eine umfassende Abwägung unter Berücksichtigung aller Einzelaspekte stattfinden kann, die eine Gewährung der Kapitalverkehrsfreiheit nicht pauschal, sondern nur in den Fällen ausschließt, in denen der jeweilige Mitgliedstaat gegenüber dem Drittstaat in der konkreten Situation in einer schlechteren Rechtsposition ist als gegenüber einem anderen Mitgliedstaat, sei es z. B. wegen des Nichtbestehens der Amtshilferichtlinie oder aus sonstigen Gründen. Des Weiteren liegt es auf der Hand, dass im Verhältnis zu Drittstaaten nur eingeschränkt oder gar nicht bestehende Möglichkeiten der Amtshilfe das Risiko steuerlichen Missbrauchs fördern und eine effektive Bekämpfung erschwert wird, wenn nur auf europäischer Ebene Maßnahmen nach dem Einstimmigkeitsprinzip beschlossen werden können. (2) Die Rechtsprechung des EuGH Wie zuvor bereits dargelegt, hat der EuGH mittlerweile in verschiedenen Urteilen zum Ausdruck gebracht, dass bei Drittstaatensachverhalten eine Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu rein innergemeinschaftlichen Sachverhalten geboten sein kann. In seinen bisherigen Entscheidungen hat der EuGH die Frage der Vergleichbarkeit zwar regelmäßig angesprochen, in allen Urteilen aber eine Vergleichbarkeit bejaht.416 Die vom EuGH entschiedenen Fälle betrafen insbesondere die Behandlung aus Drittstaaten stammender Dividenden in einem Mitgliedstaat sowie die Erhebung von Vermögensteuer in Frankreich auf in Frankreich belegene Grundstücke, die im Eigentum nicht in Frankreich ansässiger Gesellschaften stehen. Allerdings stellt sich die Frage, welche Gründe eine Vergleichbarkeit ausschließen könnten. Zu Recht führt Schön aus, dass das deutsche Steuerrecht nicht zwischen Rechtsbeziehungen zu Gesellschaften in EU-Mitgliedstaaten und solchen in Drittstaaten unterscheidet.417 Allerdings kann sich im Hinblick auf Drittstaaten eine fehlende Vergleichbarkeit möglicherweise daraus ergeben, dass der Drittstaat z. B. Steuervergünstigungen nur für Unternehmen gewährt, die von gebietsfremden Gesellschaftern beherrscht werden.418 Entsprechendes könnte möglicherweise für Fälle gelten, in denen eine Anlage von Vermögen in Steueroasen erfolgt. In diesen Fällen hat der EuGH in rein innergemeinschaftlichen Fällen eine unterschiedliche Besteuerung des Auslandsfalls nur wegen des niedrige416 Vgl. u. a. EuGH v. 12.12.2006, C-446/04 (Test Claimants in the FII Group Litigation), Slg. 2006, I-11753 Rn. 37 f.; EuGH v. 18.12.2007, C-101/05 (A), Slg. 2007, I-11531 Rn. 60. 417 Schön, FS Wassermeyer, S. 489 (512). 418 Vgl. Hohenwarter/Plansky, SWI 2007, S. 346 (357).

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ren Steuerniveaus als europarechtswidrig abgelehnt. Im Hinblick auf Drittstaatenfälle kann dieser Argumentation aber mglw. Bedeutung beigemessen werden, zumal die auf europäischer Ebene erarbeiteten Grundsätze zur Verhinderung schädlicher Besteuerungsregime im Verhältnis zu Drittstaaten keine Bedeutung entfalten. Auf der Rechtfertigungsebene hingegen hat der EuGH mittlerweile in mehreren Urteilen deutlich gemacht, dass seine strenge Rechtsprechung zur Beschränkung der Ausübung der Grundfreiheiten innerhalb der Gemeinschaft nicht in vollem Umfang auf den Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und dritten Ländern übertragen werden kann, da sich der Kapitalverkehr mit Drittstaaten in einen anderen rechtlichen Rahmen einfügt als der innergemeinschaftliche Kapitalverkehr.419 In der Rs. „Test Claimants in the FII Group Litigation“ 420 hat der EuGH zunächst nur ausgeführt, dass es nicht ausgeschlossen werden könne, dass eine Beschränkung des Kapitalverkehrs mit Drittstaaten aus Gründen gerechtfertigt ist, die als Rechtfertigung für eine Beschränkung des innergemeinschaftlichen Kapitalverkehrs nicht anzuerkennen sind. Im Ergebnis hatten die diesbezüglichen Ausführungen des EuGH aber keine Bedeutung für die Entscheidung, da die britische Regierung nach Ansicht des EuGH nicht hinreichend substantiiert zu einer Rechtfertigung aus Gründen der Steuerkontrolle vorgetragen hatte. In der Rs. „A“ 421 hingegen stellte der EuGH fest, dass in der Nichtanwendbarkeit der Amtshilferichtlinie im Verhältnis zur Schweiz eine hinreichende Rechtfertigung für die streitgegenständliche schwedische Regelung liegen könne. Die schwedische Regelung sah vor, dass eine Befreiung von Einkommensteuer auf Dividenden einer in einem EWR- oder Drittstaat ansässigen Gesellschaft, die in Form von Aktien einer Tochtergesellschaft ausgeschüttet wurden, nur dann gewährt wird, wenn Schweden mit dem Ansässigkeitsstaat der ausschüttenden Gesellschaft ein Steuerabkommen mit Regelungen über den Austausch von Informationen abgeschlossen hat. Allein die Nichtanwendbarkeit der Amtshilferichtlinie konnte die schwedische Regelung nach Ansicht des EuGH nicht rechtfertigen. Allerdings stellte er im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung fest, dass die strengen Anforderungen an eine Rechtfertigung aus Gründen einer wirksamen Steueraufsicht im Verhältnis zu Drittstaaten nicht ebenso Bestand haben müssen wie im innergemeinschaftlichen Zusammenhang, wenn die gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierungsmaßnahmen, die in den Mitgliedstaaten auf 419 EuGH v. 12.12.2006, C-446/04 (Test Claimants in the FII Group Litigation), Slg. 2006, I-11753 Rn. 37, EuGH v. 18.12.2007, C-101/05 (A), Slg. 2007, I-11531 Rn. 171; EuGH v. 4.6.2009, verb. Rs. C-439/07 (Belgische Staat/KBC Bank NV) und Rs. C-499/ 07 (Beleggen, Risicokapitaal, Beheer NV/Belgische Staat), IStR 2009, S. 494 Rn. 73; EuGH v. 20.5.2008, C-194/06 (Orange European Smallcap Fund NV), Slg. 2008, I3747 Rn. 88 ff. 420 EuGH v. 12.12.2006, C-446/04 (Test Claimants in the FII Group Litigation), Slg. 2006, I-11753. 421 EuGH v. 18.12.2007, Rs. C-101/05 (A), Slg. 2007, I-11531.

V. Prüfung von § 50d Abs. 3 EStG am Maßstab der Grundfreiheiten

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dem Gebiet der Buchführung der Gesellschaften gelten und verlässliche und nachprüfbare Angaben über die Struktur oder die Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft vorzulegen ermöglichen, nicht ebenso gelten. Entscheidend ist aber, dass die die jeweilige Prüfung vornehmende Behörde auch auf die zwischenstaatliche Hilfe angewiesen ist.422 In dem Urteil in der Rs. „Kommission./.Italien“ 423 hat der EUGH festgestellt, dass die italienischen Regelungen zur Quellensteuer bei der Ausschüttung von Dividenden an in EWR-Staaten ansässige Gesellschafter aus Gründen der Bekämpfung der Steuerhinterziehung gerechtfertigt sind. Danach unterliegen Gewinnausschüttungen italienischer Kapitalgesellschaften an in EWR-Staaten ansässige Gesellschafter einer Quellensteuer, während derartige Ausschüttungen an in Italien ansässige Kapitalgesellschaften zu 95 % steuerfrei sind. Der EuGH sah die dadurch gegebene Beschränkung des Art. 40 EWR-Abkommens jedoch durch den zwingenden Grund des Allgemeininteresses, die Steuerhinterziehung zu bekämpfen, als gerechtfertigt an, da zwischen Italien und den betroffenen Drittstaaten keine Regelungen über eine gegenseitige Auskunftserteilung bestehen. In dem Urteil in der Rs. Établissements Rimbaud424 setzt sich der EuGH in Zusammenhang mit Regelungen der französischen Vermögensteuer näher mit der Frage auseinander, ob allein die Nichtanwendbarkeit der Amtshilferichtlinie Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu EWR-Staaten rechtfertigen kann oder ob dies nur dann der Fall ist, wenn der in einem EWR-Staat ansässige Steuerpflichtige die entsprechenden Nachweise nicht selbst erbringen kann. Der EuGH kommt dabei zu dem Ergebnis, dass es nicht ausreicht, wenn die Belege vom Steuerpflichtigen erlangt werden können. In der Rs. Elisa425 hingegen, in der es um einen innergemeinschaftlichen Sachverhalt ging, bei dem zwar grundsätzlich, nicht aber im konkreten Fall die Amtshilferichtlinie anwendbar war, sah der EuGH hingegen die kategorische Verweigerung eines Steuervorteils als nicht gerechtfertigt an, sondern verwies auf die Möglichkeit, vom Steuerpflichtigen entsprechende Nachweise zu verlangen. Diese Rechtsprechung ist nach Ansicht des EuGH aber nicht auf das Verhältnis zu EWR-Staaten übertragbar. Diese Argumentation des EuGH ist plausibel, da das maßgebliche Kriterium für die Anerkennung vom Steuerpflichtigen vorgebrachter Belege deren Überprüfbarkeit ist. Besteht kein entsprechendes Amtshilfeabkommen, kann diese Überprüfung nicht erfolgen. Unverständlich ist insoweit die Rechtsprechung in dem Urteil in der Rs. Elisa, wo zwar ebenfalls die Amtshilfemöglichkeit im konkreten Sachverhalt nicht zur Verfügung stand, der EuGH aber im Rahmen der 422 423 424 425

Marschner/Stefaner, SWI 2009, S. 372 (377). EuGH v. 19.11.2009, C-540/07 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-10983. EuGH v. 28.10.2010, C-72/09 (Rimbaud), IStR 2010, S. 842 Rn. 45 ff. EuGH v. 11.10.2007, C-451/05 (Elisa), Slg. 2007, I-8251.

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F. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Europarecht

Verhältnismäßigkeitsprüfung die Vorlage von Belegen durch den Steuerpflichtigen als milderes Mittel ansieht. Warum im innergemeinschaftlichen Fall das Fehlen einer Überprüfungsmöglichkeit unschädlich sein soll, bleibt offen. In einem weiteren Urteil hat der EuGH in der Rs. Haribo426 erneut bestätigt, dass das Fehlen einer gegenseitigen Verpflichtung zur Amtshilfe eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigen kann. Dabei hat er unter Bezug auf die vorgenannte Entscheidung in der Rs. Elisa aber erneut betont, dass die Beschränkung nicht über das erforderliche Maß hinausgehen darf. Im konkreten Fall sah der EuGH allerdings eine Unverhältnismäßigkeit dadurch als gegeben an, dass die streitgegenständliche österreichische Regelung die Gleichbehandlung aus Drittstaaten stammender Portfoliodividenden mit Dividenden gebietsansässiger Gesellschaften davon abhängig machte, dass mit dem Drittstaat ein Amtshilfe- und Vollstreckungsabkommen bestand. Das Bestehen eines Vollstreckungsabkommens sah der EuGH als nicht erforderlich an. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung stellt sich die Frage, ob die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG im Hinblick auf Drittstaaten ebenfalls in denjenigen Fällen als europarechtlich gerechtfertigt angesehen werden kann, in denen mit Drittstaaten keine entsprechende Verpflichtung zum Informationsaustausch besteht. Auf Grundlage der Entscheidung in der Rs. Haribo wäre dies wohl unabhängig davon der Fall, ob vom Steuerpflichtigen entsprechende Informationen erlangt werden können, da diese Informationen nicht im Wege des Informationsaustauschs mit dem jeweiligen Ansässigkeitsstaat überprüft werden könnten. Die Zielsetzung des § 50d Abs. 3 EStG besteht darin, Fälle des Treaty Shoppings zu verhindern. Maßgeblich ist für die Frage des Vorliegens einer Treaty ShoppingKonstellation die Substanz der ausländischen Gesellschaft. Für die Frage, ob eine entsprechende Substanz vorliegt, bedarf es bestimmter Sachverhaltsfeststellungen betreffend die ausländische Gesellschaft. Für die Überprüfung entsprechender Sachverhalte wäre die Nutzung der Amtshilfe eine wichtige Möglichkeit. Ohne eine entsprechende Amtshilfemöglichkeit bestünde ein erhebliches Risiko eines Steuermissbrauchs, welchen zu bekämpfen ein vom EuGH anerkanntes mitgliedstaatliches Ziel darstellt. Nur in den Fällen, in denen – aus welchem denkbaren Grund auch immer – der Steuerpflichtige in nachprüfbarer Weise die erforderlichen Informationen vorlegen kann, könnte die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG eine europarechtswidrige Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit darstellen.

VI. Verstoß gegen die Mutter-/Tochter-Richtlinie Neben einem Verstoß gegen die Grundfreiheiten der ausländischen Zwischengesellschaft könnte durch § 50d Abs. 3 EStG auch ein Verstoß gegen die 1990 426

EuGH v. 10.2.2011, C-436, 437/08 (Haribo), BeckRs 2011, 80119.

VI. Verstoß gegen die Mutter-/Tochter-Richtlinie

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eingeführte und seitdem mehrfach modifizierte Mutter-/Tochter-Richtlinie gegeben sein. Wie oben einleitend dargestellt, sieht die Mutter-/Tochterrichtlinie vor, dass unter bestimmten Voraussetzungen der Quellenstaat kein Besteuerungsrecht für grenzüberschreitende Gewinnausschüttungen hat. Gleichwohl versagt § 50d Abs. 3 EStG – sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind – aus Gründen der Missbrauchsbekämpfung die Kapitalertragsteuererstattung. Darin könnte ein Verstoß gegen die Mutter-/Tochterrichtlinie zu sehen sein. Die Rechtfertigung einer entsprechenden mitgliedstaatlichen Missbrauchsnorm ist grundsätzlich nur insoweit zulässig, wie nicht bereits durch sekundärrechtliche Maßnahmen eine Harmonisierung mitgliedstaatlicher Vorschriften vollzogen wurde. Das folgt daraus, dass sich ein Mitgliedstaat auf die bedingungslose Anerkennung von Rechtsnormen eingelassen hat, so dass ihm bei deren Nutzung durch die Unionsbürger nicht mehr das Recht zusteht, eine Umgehungsabsicht anzunehmen. Im Falle einer sekundärrechtlichen Harmonisierung wie der Mutter-/Tochterrichtlinie ist die Annahme eines Missbrauchs nur zulässig, soweit das Gemeinschaftsrecht einen entsprechenden Missbrauchsvorbehalt enthält.427 Ein solcher Missbrauchsvorbehalt ist in Art. 1 Abs. 2 MTRL enthalten. Dieser lautet: „Die vorliegende Richtlinie steht der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und Missbräuchen nicht entgegen.“

Dem Wortlaut nach überlässt es die Richtlinie ausdrücklich dem einzelnen Mitgliedstaat, Regelungen zur Vermeidung von Missbräuchen zu schaffen und auf deren Grundlage eine Gewährung der steuerlichen Vergünstigungen der MTRL zu versagen. Es handelt sich um eine klarstellende Kompetenzzuweisungsnorm, die es grundsätzlich dem nationalen bzw. dem DBA-Recht überlässt, Richtlinienvorteile im Missbrauchsfall zu versagen.428 Die Richtlinie gewährt den Mitgliedstaaten nur ein Recht zur Missbrauchsbekämpfung, erlegt ihnen aber keine Pflicht auf. Schafft ein Mitgliedstaat keine nationalen Missbrauchsvorschriften, stellt die Richtlinie selbst keine ausreichende Rechtsgrundlage für eine Missbrauchsbekämpfung dar. 1. Autonom europarechtliche Auslegung des Missbrauchsbegriffs Dies wirft aber die Frage auf, ob es den Mitgliedstaaten freigestellt ist, den Missbrauch in beliebigem Umfang nach freiem Ermessen zu definieren oder ob sie dabei an Vorgaben des Gemeinschaftsrechts gebunden sind. 427 428

Vgl. Schnitger, Grenzen der Einwirkung der Grundfreiheiten, S. 383 f. Vgl. Böing, RIW 2006, S. 161 (163).

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F. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Europarecht

In der Literatur wird zum Teil die Ansicht vertreten, dass die Mitgliedstaaten die Definitionskompetenz für den steuerlichen Gestaltungsmissbrauch haben.429 Gosch430 ist der Ansicht, dass der Einwand, dass der Missbrauchvorbehalt der MTRL einem autonomen unionsrechtlichen Verständnis unterliege, deshalb nicht verfängt, weil es sich bei § 50d Abs. 3 EStG um eine Regelung der (bloßen) Einkünftezurechnung und Einkünfteerzielung handele, die sich im Grundsatz allein nach nationalem Recht beantwortet. Solange die direkten Steuern nicht harmonisiert seien, sei der nationale Gesetzgeber prinzipiell darin frei, die Einkünftezurechnung und die Frage der Umgehung dieser Zurechnung einseitig zu bestimmen. Diese Ansicht ist aber abzulehnen, weil es bei § 50d Abs. 3 EStG – anders als bei § 42 AO – gerade nicht um die Zurechnung der Einkünfte zu einem anderen Steuerrechtssubjekt geht. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen von § 50d Abs. 3 EStG erfüllt, erfolgt keine Zurechnung der Einkünfte zu einer anderen Person, sondern die Rechtsfolge besteht darin, dass dem Antragsteller die beantragte Erstattung versagt wird. Daran wird deutlich, dass es sich gerade nicht um eine Frage der Einkünftezurechnung handelt, mit der Folge, dass der Gesetzgeber gerade nicht mehr darin frei ist, die Versagung der Erstattung beliebig auszugestalten. Der BFH hat diese Frage bislang nicht entschieden. In seinem Urteil I R 38/00 vom 20.3.2002 ließ er diese Frage offen, weil in dem entschiedenen Fall „ein Missbrauch offensichtlich und nach jedem denkbaren Missbrauchsverständnis gegeben“ gewesen sei. Die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur geht hingegen davon aus, dass der Begriff des „Missbrauchs“ durch die Aufnahme in den Wortlaut des Art. 1 Abs. 2 MTRL zu einem Rechtsbegriff des Unionsrechts geworden ist, der allein anhand gemeinschaftsrechtlicher Maßstäbe auszulegen ist.431 Einen wichtigen Hinweis geben insoweit die englische und die französi429 Ramackers, in: Littmann/Bitz/Pust, Einkommensteuerrecht, § 50d Rz. 127 (stammt aus 2003): Art. 1 Abs. 2 MTRL verweist auf nat. Recht und nimmt mglw. unterschiedliche Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten in Kauf. Es ist daher kein speziell gemeinschaftsrechtlicher Missbrauchsbegriff zu entwickeln, zumal bisher die Harmonisierung des Rechts der direkten Steuern noch in den Kinderschuhen steckt. 430 Vgl. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rz. 26, allerdings unklar im Hinblick auf die weiteren Ausführungen; siehe dazu auch Hahn-Joecks, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rz. A 35a. 431 Vgl. Böing, RIW 2006, S. 161 (163); Schön, IStR 1996, Beihefter 2, S. 1 (6) m.w. N.; Knobbe-Keuk, EuZW 1992, S. 336 (340); Bron, DB 2007, S. 1273 (1273 f.); Stoschek/Peter, IStR 2002, S. 656 (662); Thömmes, JbFfSt 1998/1999, S. 94 (100 f.); Kempf/Meyer, DStZ 2007, S. 584 (589); vgl. dazu bei Bron, DB 2007, S. 1273 in Fn. 6 den Hinweis auf Höppner, in: FS Rädler, S. 305 (334); Wiese/Süß, GmbHR 2006, S. 975; Rödder/Schönfeld, IStR 2006, S. 49 (51 f.); Meerpohl, Die Mutter-/TochterRichtlinie der Europäischen Gemeinschaft und ihre Umsetzung in das Recht der Mitgliedstaaten, S. 51 f.; Bullinger, IStR 2004, S. 406 (410): „Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie ist kein Freibrief für die EU-Staaten, wie sie Missbrauch definieren. Der Sinn und Zweck der Richtlinie und der EG-Vertrag sind zu beachten, so dass letztlich der EuGH den Rahmen für die Missbrauchsregelungen der einzelnen Staaten definieren muss. Im

VI. Verstoß gegen die Mutter-/Tochter-Richtlinie

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sche Fassung der Richtlinie. Danach können die Mitgliedstaaten nur solche Vorschriften erlassen, die „required“ bzw. „necessaire“ zur Missbrauchsbekämpfung sind.432 Der Umstand aber, dass die Missbrauchsbekämpfungsmaßnahmen erforderlich sein müssen, zeigt, dass den Mitgliedsstaaten gerade kein unbegrenztes Ermessen bei der Ausgestaltung dieser Regelungen zustehen soll.433 Darüber hinaus würde eine autonome Auslegung durch den jeweiligen Mitgliedstaat das Konzept der MTRL aus den Angeln heben. Wie erste rechtsvergleichende Untersuchungen zum Verständnis des steuerlichen Missbrauchs in den einzelnen Mitgliedstaaten gezeigt haben, weicht das Missbrauchsverständnis trotz wesentlicher Gemeinsamkeiten in vielen Einzelfragen voneinander ab.434 Je nach Ausprägung des Missbrauchsverständnisses in den einzelnen Mitgliedstaaten käme es zu einer unterschiedlich weiten Anwendung der Regelungen der Mutter-/Tochter-Richtlinie. Das würde aber dem Zweck der MTRL435 widersprechen.436 Bei dieser wie auch den übrigen Richtlinien auf dem Gebiet der direkten und indirekten Steuern handelt es sich um zielgerichtete Maßnahmen zur Schaffung eines Binnenmarktes, innerhalb dessen die Grundfreiheiten des AEUV verwirklicht und steuerliche Grenzen und Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten abgebaut werden sollen.437 Stünde es den Mitgliedstaaten frei, beliebig Missbrauchstatbestände zu schaffen, wäre eine einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts gefährdet. Jede Ausweitung der Missbrauchsbekämpfung über den Rahmen der Richtlinie hinaus bedeutet eine Einschränkung der Grundfreiheiten des AEUV, die mit der Richtlinie gestärkt werden sollen.438 Auch aus dem EuGH-Urteil in der Rs. Bosal folgt, dass die Schaffung eines Missbrauchstatbestandes nicht in das Belieben der Mitgliedstaaten gestellt ist.439 Darin hat der EuGH festgestellt, dass auch die in einer Richtlinie vorgesehene Ermächtigung der Vertragsstaaten zum Erlass von innerstaatlichen Rechtsvorschriften am Maßstab der EU-Grundfreiheiten überprüft werden müsse. Es ist daher davon auszugehen, dass der Missbrauchsbegriff Übrigen erhebt Deutschland auch nach den Abkommen mit Norwegen und der Schweiz keine Quellensteuer mehr.“ 432 Schön, IStR 1996, Beihefter 2, S. 1 (6). 433 Schön, IStR 1996, Beihefter 2, S. 1 (6). 434 Vgl. Aufsätze in der Spezialnummer von Intertax 1991, S. 54 ff.; Böing, Gestaltungsmissbrauch; Schön, IStR 1996, Beihefter 2, S. 1 (2). 435 Nach der dritten Begründungserwägung der MTRL bezweckt diese, die Benachteiligung zu beseitigen, die sich daraus ergeben, dass die für die Beziehungen verschiedener Mitgliedstaaten geltenden Steuervorschriften im allgemeinen ungünstiger sind als diejenigen, die für die Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften ein und desselben Mitgliedstaates gelten, und damit den Zusammenschluss von Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene zu erleichtern. 436 Vgl. Knobbe-Keuk, EuZW 1992, S. 336. 437 Vgl. Knobbe-Keuk, EuZW 1992, S. 336; Schön, IStR 1996, Beihefter 2/96, S. 1 (7). 438 Vgl. Schön, IStR 1996, Beihefter 2/96, S. 1 (7). 439 Vgl. Eilers, FS Wassermeyer, 323 (331); Strobl, FS Raupach, S. 613 (623).

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F. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Europarecht

des Art. 1 Abs. 2 Mutter-/Tochterrichtlinie gemeinschaftsrechtsautonom auszulegen ist. 2. Auslegung des Missbrauchsvorbehalts der Mutter-/Tocher-Richtlinie am Maßstab der EuGH-Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten Des Weiteren stellt sich die Frage, ob zur Auslegung des Missbrauchsbegriffs der Mutter-/Tochterrichtlinie die Rechtsprechung des EuGH zum grundfreiheitlichen Missbrauchsbegriff herangezogen werden kann. Der EuGH hat sich zu dieser Frage noch nicht ausdrücklich geäußert. Soweit ersichtlich hat er sich bislang nur in der Entscheidung in der Rs. Denkavit vom 17.10.1996 mit dem Missbrauchsverständnis der Mutter-/Tochterrichtlinie auseinandergesetzt. In diesem Urteil kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass die allgemeine Missbrauchsregelung des Art. 1 Abs. 2 Mutter-/Tochter-Richtlinie hinter die speziellere Missbrauchsregelung des Art. 3 Abs. 2 Mutter-/Tochterrichtlinie (Mindesthaltedauer) zurücktritt. In der Literatur wird wohl überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten zur Auslegung des Art. 1 Abs. 2 Mutter-/Tochter-Richtlinie herangezogen werden kann.440 So lässt sich der Denkavit-Entscheidung441 des EuGH entnehmen, dass dieser bei der Auslegung der MTRL das gleiche freiheitliche Verständnis zugrunde legt wie im Rahmen der Auslegung der Grundfreiheiten.442 Auch in der Entscheidung Leur Bloem443 zur Frage der Auslegung des Missbrauchsvorbehalts der Fusionsrichtlinie ging der EuGH ersichtlich davon aus, dass eine Abwägung zwischen dem Ziel der Richtlinie und der als Ausnahmevorschrift konzipierten Missbrauchsregelung der Richtlinie vorzunehmen ist. Dafür spricht auch die Bosal-Entscheidung444, in welcher der EuGH festgestellt hat, dass mitgliedstaatliche Gesetze zur Umsetzung von Richtlinien nicht nur anhand des Wortlauts der Richtlinie, sondern auch am AEUV als europäischem Primärrecht zu messen sind. Ein solches Verständnis ist m. E. überzeugend, da der Erlass von Richtlinien seitens der EU nur aufgrund derjenigen Gesetzgebungskompetenz erfolgt, welche der EU aufgrund der Regelungen des europäischen Primärrechts verliehen wurde. Dementsprechend kann die Ermächtigung aufgrund des Primärrechts aber nicht über die der EU im Primärrecht gewährten Kompetenzen hinausgehen. Zudem ist der 440 Vgl. Bron, DB 2007, 1273 (1274); Hey, in: Lüdicke (Hrsg.), Forum d. Int. Besteuerung, 137 (162); Bergmann, StuW 2010, S. 246 (257). 441 EuGH v. 17.10.1996, verbundene Rechtssachen C-283/94, C-291/94, C-292/94 (Denkavit), Slg. 1996, I-5063. 442 Vgl. Thömmes, FS Wassermeyer, S. 207 (226); Bron, DB 2007, S. 2173 (2174). 443 EuGH v. 17.7.1997, Rs. C-28/95, Leur-Bloem, Slg. 1997, I-4161. 444 EuGH v. 18.9.2003, C-168/01 (Bosal), Slg. 2003, I-9409.

VI. Verstoß gegen die Mutter-/Tochter-Richtlinie

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allgemeine Missbrauchsvorbehalt des Art. 1 Abs. 2 Mutter-/Tochter-Richtlinie derart weit und unbestimmt gefasst, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein spezifisches Missbrauchsverständnis zu erkennen sind.445 Des Weiteren verfolgen die EU-Unternehmensrichtlinien das Ziel, innerhalb der Gemeinschaft binnenmarktähnliche Verhältnisse herzustellen. Auch die MTRL will zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes beitragen. Aus dieser Zielsetzung kann m. E. abgeleitet werden, dass die vom EuGH im Rahmen seiner Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Rechtfertigung von Eingriffen in die Grundfreiheiten unter Missbrauchsgesichtspunkten auf die Auslegung des Missbrauchsvorbehalts der Mutter-/Tochter-Richtlinie übertragen werden können. Bedenklich erscheint jedoch, dass der EuGH dem Richtliniengeber scheinbar größere Spielräume bei der Typisierung von Missbrauchstatbeständen einräumen will als den einzelnen Mitgliedstaaten.446 So sieht die MTRL z. B. eine zu wahrende Mindesthaltefrist von 2 Jahren für die Inanspruchnahme der Quellensteuerentlastung vor, die der EuGH in seinem oben erwähnten Denkavit-Urteil aus dem Jahr 1996 nicht beanstandet hat, obwohl eine entsprechende Mindesthaltefrist in einer mitgliedstaatlichen Norm sowohl nach der früheren als auch der neueren Missbrauchsrechtsprechung des EuGH als unverhältnismäßig und damit europarechtswidrig zu qualifizieren wäre. Gleichwohl kann aus dieser Rechtsprechung m. E. nicht geschlossen werden, dass die Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich der Mutter-/Tochter-Richtlinie die Möglichkeit haben, weitergehende Missbrauchstatbestände zu schaffen. Zum einen stellt sich insoweit die Frage, ob die Regelung in Art. 3 Abs. 2 Mutter-/Tochter-Richtlinie womöglich selbst europarechtswidrig ist, weil sie ggfs. nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zu typisierenden Missbrauchstatbeständen steht. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Wirksamkeit des Unionsrechts in besonderer Weise durch unterschiedliche mitgliedstaatliche Missbrauchsnormen gefährdet ist447, so dass aus der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 Abs. 2 Mutter-/Tochter-Richtlinie nicht geschlossen werden kann, dass insoweit ein größerer Spielraum der Mitgliedstaaten zur Schaffung von Missbrauchsnormen besteht. Auf jeden Fall deutlich zu weit gehen m. E. aber die Überlegungen von Kofler448, der aus der Rechtsprechung des EuGH in der Rs. Denkavit zum Anwendungsvorrang des abschließenden speziellen Richtlinien-Missbrauchstatbestandes des Art. 3 Abs. 2 MTRL den Gedanken ableitet, dass die Mutter-/Tochter-Richtlinie Treaty Shopping weitgehend akzeptieren könnte. Diese Überlegungen basieren darauf, dass nach Art. 2 Abs. 1 lit. b Mutter-/Tochter-Richtlinie doppelt ansässige Kapitalgesell445 446 447

Vgl. Hey, Forum der Int. Besteuerung, S. 137 (162). So auch Schön, FS Reiss, S. 571 (578); Englisch, StuW 2009, S. 3 (8 f.). Siehe dazu Schön, FS Wiedemann, S. 1271 (1285); Englisch, StuW 2009, S. 3

(9). 448

Vgl. Kofler, DStJG 33 (2009), S. 213 (224).

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F. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Europarecht

schaften vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sind, wenn sie aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens in einem Drittstaat als ansässig gelten. Vor dem Hintergrund der oben erwähnten Rechtsprechung des EuGH zum abschließenden Charakter spezieller Missbrauchsnormen könnte nach Ansicht von Kofler argumentiert werden, dass die Richtlinie Drittstaatengesellschaften nur in den vorgenannten schädlichen Doppelansässigkeitsfällen nicht anerkennt, im Übrigen aber Treaty Shopping durch solche Gesellschaften akzeptiert. Ein solches Verständnis ginge m. E. aber weit über die Intention der Mutter-/ Tochter-Richtlinie hinaus; es ist nicht ersichtlich, dass dem Richtliniengeber ein derart weitgehender Anwendungsbereich der Richtlinie vorgeschwebt hätte. Stattdessen ist m. E. aufgrund der oben stehenden Gründe von einer Anwendung des grundfreiheitlichen Missbrauchsverständnisses auch im Rahmen von Art. 1 Abs. 2 Mutter-/Tochter-Richtlinie auszugehen. 3. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit der Mutter-/Tochterrichtlinie Da § 50d Abs. 3 EStG in seiner derzeitigen Fassung nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zum grundfreiheitlichen Missbrauchsbegriff steht, verstößt die Regelung auch gegen den Missbrauchsvorbehalt der Mutter-/Tochter-Richtlinie, da dieser wie vorstehend dargestellt in Übereinstimmung mit dem grundfreiheitlichen Missbrauchsverständnis des EuGH auszulegen ist.

G. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Völkerrecht Neben der Frage der Europarechtswidrigkeit ist zu untersuchen, ob die Versagung der in den Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Quellensteuerreduzierung durch § 50d Abs. 3 EStG gegen das Völkerrecht verstößt. In Betracht kommt ein Völkerrechtsverstoß in der Form eines sog. Treaty Overrides, bei dem Deutschland als Vertragsstaat eines Doppelbesteuerungsabkommens ohne eine förmliche Änderung des betroffenen Doppelbesteuerungsabkommens oder ohne das Abkommen wirksam zu kündigen einseitig Regelungen erlässt, die zu bestehenden Abkommen in Widerspruch stehen. Des Weiteren ist zu untersuchen, welche Rechtsfolgen sich aus einem derartigen Treaty Override ergeben würden.

I. DBA als völkerrechtliche Verträge Doppelbesteuerungsabkommen sind völkerrechtliche Verträge.1 Diese gelten im deutschen Steuerrecht nicht unmittelbar, sondern müssen, wie Art. 59 Abs. 2 GG regelt, durch ein vom deutschen Gesetzgeber zu erlassendes Zustimmungsgesetz in nationales Recht überführt werden.2 Durch dieses Zustimmungsgesetz wird den Doppelbesteuerungsabkommen ein Rechtsanwendungsbefehl erteilt, der den Rechtsgrund für die Anwendung der Bestimmungen eines DBA im innerstaatlichen Recht und damit für die Berechtigung und Verpflichtung des Staatsbürgers aus den DBA darstellt.3 Doppelbesteuerungsabkommen haben aufgrund ihres Rechtsanwendungsbefehls durch ein einfaches nationales Gesetz ebenfalls den Rang einfachen nationalen Rechts.

II. § 50d Abs. 3 EStG als Treaty Overriding 1. Der Begriff des Treaty Overriding Als Treaty Override werden vom nationalen Gesetzgeber erlassene Rechtsvorschriften bezeichnet, mit denen nachträglich von den Bestimmungen eines Doppelbesteuerungsabkommens abgewichen wird.4 Treaty Overriding stellt einen 1

Vgl. Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 43. Vgl. Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 47. 3 Vgl. Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 47. 4 Vgl. Hey, Forum der Int. Besteuerung, S. 137 (148); Frotscher, Internationales Steuerrecht, Tz. 49; Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rz. B 434; 2

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G. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Völkerrecht

Verstoß gegen den völkerrechtlichen Grundsatz „pacta sunt servanda“ dar und ist deshalb nach allgemeiner Ansicht völkerrechtswidrig.5 Der nationale Gesetzgeber setzt sich damit nachträglich zu innerstaatlich anwendbaren Normen der Doppelbesteuerungsabkommen in Widerspruch.6 Treaty Overriding setzt eine Normenkollision voraus.7 Zu einer solchen kommt es nur, wenn auf einen Sachverhalt an für sich eine Bestimmung eines oder mehrerer Doppelbesteuerungsabkommen anwendbar wäre, eine später erlassene nationale Vorschrift aber das Gegenteil von der eigentlich anwendbaren abkommensrechtlichen Regelung besagt.8 Nicht vom Begriff des Treaty Override erfasst sind hingegen solche Normen, die bereits im Vorfeld der Anwendbarkeit von Doppelbesteuerungsabkommen eingreifen und so verhindern, dass es zu einer Anwendung bestimmter Abkommensvorschriften kommt.9 Dazu zählen etwa nationale Vorschriften, die bereits bei der Einkünftezurechnung ansetzen und damit den Doppelbesteuerungsabkommen logisch vorgelagert sind.10 Nach überwiegender Ansicht liegt ein Treaty Override nicht nur dann vor, wenn im Gesetzestext ausdrücklich die regelmäßig anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen mit einer Formulierung wie „. . . ungeachtet der Bestimmungen eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung“ verdrängt werden11, sondern auch dann, wenn der vom Gesetzgeber beabsichtigte Vorrang der nationalen Regelung hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt.12 Auch international ist ein entsprechendes Vorgehen nicht unbekannt. Die USA haben beispielsweise bereits Anfang der 80er Jahre mit dem Foreign Investment in Real Property Tax Act beschlossen, dass bestimmtes innerstaatliches Recht nach Ablauf einer fünfjährigen Übergangsfrist ungeachtet eines Widerspruchs zu bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen zur Anwendung kommen soll.13 Wassermeyer/Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 20 AStG Rz. 22; Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA; Einl. Rz. 194; Frotscher weist in IStR 2009, S. 593 (597) darauf hin, dass ein Treaty Override auch dann vorliegt, wenn ein Gesetz von einem allgemein anerkannten Auslegungsergebnis abweicht. 5 Vgl. Musil, RIW 2006, S. 287 (288); Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rz. B 434. 6 Vgl. Seer, IStR 1997, S. 481 (482). 7 Vgl. Musil, RIW 2006, S. 287 (288). 8 Vgl. Musil, RIW 2006, S. 287 (288). 9 Vgl. Musil, RIW 2006, S. 287 (288); so auch Hey, Forum der Int. Besteuerung, S. 137 (149 f.). 10 Vgl. Musil, RIW 2006, S. 287 (288). 11 Laut Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 50 ist eine solche Formulierung notwendig. 12 Wassermeyer, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 1 Rz. 12 MA; Gosch, in: Kirchhof, § 50d Rz. 25; a. A. Frotscher, FS Schaumburg, S. 687 (689); zurückhaltender in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 239 f. in Bezug auf die Regelung des § 50d Abs. 10 EStG; siehe auch ders., IStR 2009, S. 593 (597). 13 Vgl. Bron, IStR 2007,S. 431 m.w. N.; Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rz. 195; Musil, RIW 2006, S. 287 (288).

II. § 50d Abs. 3 EStG als Treaty Overriding

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2. § 50d Abs. 3 EStG als Treaty Override Es stellt sich die Frage, ob § 50d Abs. 3 EStG als ein Treaty Override im zuvor dargestellten Sinne zu qualifizieren ist. § 50d Abs. 3 EStG versagt aus Gründen der Missbrauchsbekämpfung die Erstattung einbehaltener deutscher Quellensteuer. Da die Regelung des § 50d Abs. 1 EStG durch das dort geregelte Quellensteuer-Erstattungsverfahren die Begrenzung der in den jeweiligen Abkommen vereinbarten, maximal abzuführenden Quellensteuer umsetzt, hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG zur Folge, dass die abkommensrechtlich vorgesehene Quellensteuerentlastung versagt wird. Vereinzelt wird in der Literatur angenommen, dass § 50d Abs. 3 EStG deshalb keinen Treaty Override darstelle, weil die Norm auf der Ebene der Einkünftezurechnung ansetze.14 Die subjektive Zurechnung von Einkünften sei aber eine dem nationalen Steuerrecht vorbehaltene Regelungsmaterie, die nicht Gegenstand von DBA sei.15 Diese Ansicht ist m. E. abzulehnen. Zum einen ist die Aussage, dass Doppelbesteuerungsabkommen die Einkünftezurechnung nicht regeln, in dieser Allgemeinheit nicht richtig.16 Insbesondere der oben bereits näher dargestellte Begriff des „Nutzungsberechtigten“ stellt eine Einkünftezurechnung dar, welche etwaigen nationalen Einkünftezurechnungsgrundsätzen im Einzelfall vorgeht.17 Zum anderen hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zu § 50d Abs. 3 EStG ausgeführt, dass diese Regelung der sondergesetzlichen Konkretisierung des Grundsatzes diene, dass bilaterale Abkommen unter einem Umgehungsvorbehalt stehen18, d. h., dass auch der Gesetzgeber davon ausging, dass es sich nicht um eine bloß dem nationalen Steuerrecht vorbehaltene Regelung handelt. Der BFH19 hat sich diese Deutung des Gesetzgebers als Ausformung eines abkommensrechtlichen Missbrauchsvorbehalts zu eigen gemacht.20 Außerdem setzt § 50d Abs. 3 EStG anders als § 42 AO rechtsmethodisch nicht bei der Einkünftezurechnung an. Vielmehr schließt § 50d Abs. 3 EStG den Anspruch einer ausländischen Gesellschaft auf teilweise oder vollständige Entlastung nach Abs. 1 14

Vgl. Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 573. Vgl. Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 573; siehe auch die Ausführungen in Tz. 9.2 des Kommentars zu Art. 1 des OECD-MA, wonach viele Staaten davon ausgehen, dass die Anwendung von innerstaatlichen Missbrauchsvorschriften Teil der innerstaatlichen Vorschriften zur Ermittlung des Sachverhalts sind und in den DBA gar nicht angesprochen werden; siehe dazu auch Luckey, in: Ernst & Young, KStG, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 45. 16 Vgl. Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rz. 105. 17 A. A. Kinzl, IStR 2007, S. 561 (562), nach dessen Ansicht das Kriterium des Nutzungsberechtigten lediglich die Zurechnungslage herbeiführt, die aus deutscher Sicht ohnehin gelten würde. 18 BT-Drs. 12/5630 und 12/5764 zu Artikel 1 zu Nummer 41. 19 BFH v. 20.3.2002, I R 38/00, BStBl. II 2002, S. 819; v. 19.12.2007, I R 21/07, IStR 2008, S. 407. 20 Rust/Reimers, IStR 2005, S. 843 ff. 15

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oder Abs. 2 aus. Rechtsfolge des § 42 AO ist, dass die ausländische Gesellschaft für deutsche steuerliche Zwecke als nicht existent angesehen wird und ihre Einkünfte den hinter der ausländischen Gesellschaft stehenden Gesellschaftern zugerechnet werden. § 50d Abs. 3 EStG erkennt zwar die ausländische Gesellschaft für deutsche steuerliche Zwecke an, verwehrt ihr aber unter bestimmten Voraussetzungen die ihr grundsätzlich zustehenden Abkommensvergünstigungen. Dies ist aber keine Frage der Einkünftezurechnung, deren Regelung allgemein dem innerstaatlichen Recht vorbehalten ist, sondern negiert einseitig die abkommensrechtlichen Ansprüche einer im anderen Vertragsstaat ansässigen Gesellschaft.21 Zutreffend hat auch der BFH in seinem Urteil I R 21/0722 vom 19.12.2007 entschieden, dass der Einwand nicht verfängt, dass die Norm lediglich Fragen der steuerlichen Zurechnung regelt, die aber von vornherein nicht Gegenstand von Doppelbesteuerungsabkommen sind und damit auch abkommensrechtlichen Missbrauchsvermeidungsvorschriften entzogen seien. Vielmehr hat der BFH ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber sich mit § 50d Abs. 1a EStG a. F. nicht der Technik einer steuerlichen Zurechnung bedient hat, sondern die steuerliche Zurechnung der Dividenden zu der ausländischen Zwischengesellschaft zunächst hinnimmt und jener Gesellschaft bei Vorliegen der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen lediglich die in Rede stehenden Steuerentlastungen in der Sache versagt. a) Nachträgliches Abweichen von den Regelungen eines DBA § 50d Abs. 3 EStG wurde in seiner früheren Fassung des § 50d Abs. 1a EStG mit Wirkung zum 1.1.1994 – und damit erst nach Inkrafttreten vieler deutscher Doppelbesteuerungsabkommen – eingeführt. Zumindest aber ist die deutliche Verschärfung der Regelung durch das Jahressteuergesetz 2007 mit Wirkung seit dem 1.1.2007 erst nach dem Inkrafttreten der meisten von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen erfolgt, so dass zumindest im Hinblick auf die vor dem 1.1.2007 in Kraft getretenen Doppelbesteuerungsabkommen ein nachträgliches Abweichen gegeben ist. b) Abweichen von den Regelungen eines DBA Hinsichtlich der Frage, ob in der Nichtgewährung der im jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Entlastung ein Abweichen von einem DBA im Sinne eines Treaty Override vorliegt, muss danach unterschieden werden, ob das jeweilige Doppelbesteuerungsabkommen überhaupt Missbrauchsvorschriften enthält und wie diese im Einzelnen ausgestaltet sind. 21 22

Vgl. Menhorn, IStR 2005, S. 325 (328). BFH v. 19.12.2007, I R 21/07, IStR 2008, S. 407.

II. § 50d Abs. 3 EStG als Treaty Overriding

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aa) Das jeweilige Doppelbesteuerungsabkommen enthält eine eigenständige Missbrauchsklausel Enthält ein Doppelbesteuerungsabkommen spezielle Regelungen zur Vermeidung des Abkommensmissbrauchs im Allgemeinen oder zur Bekämpfung des Treaty Shoppings im Speziellen, hängt die Frage, ob es sich bei § 50d Abs. 3 EStG um ein Treaty Overriding handelt, davon ab, ob § 50d Abs. 3 EStG neben der jeweiligen Abkommensregelung noch zur Anwendung kommt. Diese Frage stellt sich immer dann, wenn der tatbestandliche Anwendungsbereich der abkommensrechtlichen Regelung enger ist als der Anwendungsbereich von § 50d Abs. 3 EStG. Nach Auffassung der Finanzverwaltung geht eine abkommensrechtliche Missbrauchsregelung der Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG vor, wenn darin eine „abschließende“ Regelung zu sehen ist.23 Auch die h. M. in der Literatur hält umfassende abkommensrechtliche Missbrauchsvorschriften für spezieller und bejaht deren Vorrang gegenüber § 50d Abs. 3 EStG.24 Wann eine Abkommensregelung „abschließend“ ist, bleibt aber unklar. Der BFH hat in einem Urteil vom 19.12.200725 entschieden, dass die betreffende Missbrauchsregelung des DBASchweiz 1971, die allerdings mittlerweile zugunsten einer Zulässigkeit der Anwendung der innerstaatlichen Missbrauchsbekämpfungsnormen abgeschafft wurde26, abschließend war und § 50d Abs. 3 EStG damit verdrängt hat. In seiner Entscheidung hat der BFH den abschließenden Charakter der abkommensrechtlichen Missbrauchsregelung überzeugend mit systematischen wie auch regelungstechnischen Erwägungen begründet. Eine insoweit abschließende Regelung wird auch in der LOB-Klausel des DBA-USA 2006 gesehen.27 M. E. ist davon auszugehen, dass eine in einem Doppelbesteuerungsabkommen vereinbarte Missbrauchsregelung grundsätzlich als abschließend anzusehen ist, es sei denn, dass die Vertragsparteien ausdrücklich oder konkludent einen Vorbehalt zugunsten der Anwendung nationaler Missbrauchsregelungen gemacht haben.28 Dieses Rangverhältnis folgt daraus, dass andernfalls die Aufnahme spezieller abkommensrechtlicher Missbrauchsregelungen keinen Sinn ergeben würde, wenn 23

BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, 446, Tz. 11. Hahn-Joecks, in: Kirchhof/Söhn/Melinghoff, EStG, § 50d EStG Rz. E 6; Luckey, in: Ernst & Young, KStG, § 50d Abs. 3 EStG, Rz. 51 ff. 25 BFH v. 19.12.2007, I R 21/07, BStBl. II 2008, S. 619. 26 Art. 23 Abs. 1 DBA-Schweiz 2002 verweist jetzt auf die Anwendung der nationalen Missbrauchsvorschriften. 27 Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 65; Hahn-Joecks, in: Kirchhof/Söhn/ Melinghoff, EStG, § 50d EStG Rz. E 6; Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 32. 28 Insoweit wäre daran zu denken, dass die Vertragsparteien in der abkommensrechtlichen Regelung einen gewissen Mindeststandard sehen, der im Fall einer Abschaffung der nationalen Missbrauchsregelungen eingreifen würde. 24

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G. Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit Völkerrecht

ohnehin weitergehende nationale Missbrauchsregelungen die Abkommensregelung verdrängen. Es ist davon auszugehen, dass die Vertragsparteien nur solche Regelungen in das Abkommen aufgenommen haben, die einen eigenständigen Anwendungsbereich haben. Der Vorrang abkommensrechtlicher Missbrauchsklauseln sollte m. E. auch insoweit gelten, als eine Verschärfung des § 50d Abs. 3 EStG erst nach Inkrafttreten des jeweiligen DBA erfolgt ist, welches eine eigenständige Missbrauchsregelung enthält. Allein der Umstand, dass die nationale Missbrauchsregelung verschärft wird, ändert nichts daran, dass die Vertragsparteien bei Abschluss des Doppelbesteuerungsabkommens darin eine abschließende Regelung gesehen haben. Auch der Umstand, dass die Verschärfung des § 50d Abs. 3 EStG zeitlich später erfolgt ist als der Abschluss des einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommens ändert nichts am grundsätzlichen Vorrang der abkommensrechtlichen Regelung. Unabhängig davon, ob man den Gedanken, dass spätere allgemeine steuergesetzliche Regelungen der früheren spezielleren Abkommensnorm nicht vorgehen (lex generalis posterior non derogat legi speciali priori), aus der Regelung des § 2 AO29 oder der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (Art. 25 GG)30 herleitet, sollte die Verschärfung von § 50d Abs. 3 EStG keinen Einfluss auf den Vorrang der abkommensrechtlichen Missbrauchsregelung haben. Etwas anderes käme allenfalls in Betracht, wenn § 50d Abs. 3 EStG ausdrücklich den gesetzgeberischen Willen zum Ausdruck bringen würde, abschließende abkommensrechtliche Regelungen verdrängen zu wollen.31 Geht man, wie zuvor dargelegt, davon aus, dass die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG speziellen abkommensrechtlichen Regelungen nur insoweit vorgeht, wie sich aus der Auslegung der abkommensrechtlichen Regelungen selbst ergibt, dass diese nicht abschließend sind, stellt § 50d Abs. 3 EStG insoweit keinen Treaty Override dar. bb) Das jeweilige Doppelbesteuerungsabkommen verweist auf die Missbrauchsvorschriften des betreffenden Anwenderstaates Sofern in einigen von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen ausdrücklich die Zulässigkeit der Anwendung nationaler Missbrauchsvorschriften vereinbart wurde, stehen völkerrechtliche Erwägungen der Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG grundsätzlich nicht entgegen, so dass insoweit auch kein Treaty Override vorliegt.32

29 30 31 32

Vgl. Birk, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 2 AO Rz. 172 ff. Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 3.25. Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 3.25. Vgl. Menhorn, IStR 2005, S. 325 (328).

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In diesem Zusammenhang stellt sich aber die Frage, ob der abkommensrechtlich vereinbarte Vorbehalt zugunsten nationaler Missbrauchsvorschriften nur für die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommens bestehenden Missbrauchsregelungen in ihrer zu diesem Zeitpunkt gültigen Fassung oder auch zugunsten neuer bzw. nach Inkrafttreten des DBA’s geänderter Missbrauchsregelungen gilt. Letzteres wäre der Fall, wenn es sich bei diesem Vorbehalt zugunsten nationaler Missbrauchsvorschriften um dynamische Verweisungen handeln würde. Während im erstgenannten Fall nur die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Doppelbesteuerungsabkommens bestehenden Missbrauchsvorschriften von dem Vorbehalt erfasst wären, wären in letzterem Fall auch spätere Änderungen sowie auch erstmalig eingeführte Missbrauchsvorschriften umfasst. Dynamische Verweisungen sind dem Abkommensrecht nicht unbekannt. So enthalten etwa Art. 3 Abs. 2 OECD-MA und Art. 6 Abs. 2 OECD-MA für die Auslegung bestimmter im DBA nicht näher bestimmter Begriffe einen Verweis auf das Recht des jeweiligen Anwender- bzw. Belegenheitsstaates. Verweisungen auf das nationale Recht finden sich zum Teil auch in den Methodenartikeln der DBA. Ein unterschiedliches nationales Begriffsverständnis durch den jeweiligen Anwenderstaat kann in diesen Fällen die synallagmatische Balance eines DBA aber nachträglich beeinträchtigen.33 Zum Teil enthalten die Methodenartikel deutscher Doppelbesteuerungsabkommen Aktivitätsklauseln, welche auf § 8 AStG verweisen, ohne dass sie eine konkrete Aussage darüber enthalten, ob sie § 8 AStG in der Fassung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens oder im jeweiligen Anwendungszeitpunkt meinen. Der OECD-Musterkommentar legt in Tz. 11 zu Art. 3 OECD-MA dar, dass im Rahmen von Art. 3 OECD-MA der OECD-Steuerausschuss sich dafür entschieden hat, auf das im Zeitpunkt der Anwendung des DBA geltende nationale Recht und nicht auf dasjenige Recht zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des DBA abzustellen. Gegen ein Abstellen auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des DBA wird angeführt, dass es im Einzelfall schwierig sein könnte, festzustellen, wie die Terminologie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu verstehen war; zudem wird angeführt, dass bestimmte DBA-Regelungen nur bei einer nicht-statischen Interpretation Sinn ergeben würden.34 Die deutsche Finanzverwaltung versteht die Verweisungen auf die Tatbestände des § 8 AStG hingegen als statische Verweisungen.35 M. E. ist eine Verweisung auf nationale Missbrauchsvorschriften des jeweils anderen Vertragsstaates als eine statische Verweisung zu verstehen. Andernfalls bestünde für den Vertragspartner das Risiko, dass die nationalen Vorschriften nachhaltig in einer für den Vertragspartner nicht zu akzeptierenden Weise ver33 Vgl. Reimer, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 6 Rz. 69; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 16.60. 34 Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rz. 186. 35 Vgl. Vfg. OFD-Münster v. 28. Juli 2008, S 1301 – 18 –St 45 – 32 Anm. 2.

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schärft würden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Vertragspartner dieses Risiko beim Abschluss des Doppelbesteuerungsabkommens bewusst in Kauf genommen hat. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass er diesen Vorbehalt nur in Angesicht der bestehenden Missbrauchsvorschriften akzeptiert hat. Allenfalls solche Änderungen werden im Rahmen von Treu und Glauben zu akzeptieren sein, die den Charakter und die Wirkungsweise der jeweiligen nationalen Missbrauchsvorschrift nicht nachhaltig verändern. Im Hinblick auf die Verschärfung von § 50d Abs. 3 EStG durch das JStG 2007 ist diese Änderung als nicht mehr von einem etwaigen abkommensrechtlichen Missbrauchsvorbehalt umfasst anzusehen, da durch diese Verschärfung nachhaltig in den Regelungsgehalt der Norm eingegriffen wurde. Die zuvor dargestellten Bedenken hinsichtlich der Feststellung der „alten“ Rechtslage greifen m. E. insoweit nicht durch, zumal gerade Missbrauchsregelungen als Ausnahmen vom Regelungssystem eng auszulegen sind. Zudem bestehen im Hinblick auf die Altfassung des § 50d Abs. 3 EStG die zuvor dargestellten Auslegungsprobleme nicht. cc) Das einschlägige Doppelbesteuerungsabkommen enthält keine Missbrauchsregelung Sofern aber in einem DBA weder ausdrücklich auf die Anwendung der nationalen Missbrauchsbekämpfungsvorschriften Bezug genommen wird noch im DBA Spezialbestimmungen enthalten sind oder die Auslegung der vorhandenen Spezialbestimmungen im Einzelfall ergeben sollte, dass die abkommensrechtlichen Regelungen nicht abschließend sind, stellt sich die Frage, ob es einen Treaty Override darstellt, wenn die Vertragsstaaten ihre nationalen Anti-Missbrauchsvorschriften anwenden. Dabei ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen den Fällen, in denen bei Abschluss des Doppelbesteuerungsabkommens bereits die nationale Missbrauchsregelung bestand und solchen Fällen, in denen die nationale Missbrauchsregelung erst nach Inkrafttreten des Doppelbesteuerungsabkommens geschaffen wurde. Kein Treaty Override wäre im Fall einer nach dem Inkrafttreten des Abkommens geschaffenen Missbrauchsregelung anzunehmen, wenn die Doppelbesteuerungsabkommen generell unter einem ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt stünden. Sofern ein solcher Missbrauchsvorbehalt bestünde, stellt sich die Frage, ob sich die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG im Rahmen dieses Missbrauchsvorbehalts bewegt. Nur soweit die innerstaatlichen Missbrauchsvorschriften über diesen ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt hinausgingen, wäre ein Treaty Override gegeben, da ein Treaty Override eine Normenkollision voraussetzt. Eine solche Normkollision würde aber ausscheiden, wenn § 50d Abs. 3 EStG mit diesem Missbrauchsvorbehalt zu vereinbaren wäre.36 36

Vgl. Musil, RIW 2006, 287 (288).

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Eine starke Ansicht in der Literatur geht davon aus, dass Doppelbesteuerungsabkommen unter einem Missbrauchsvorbehalt stehen. Der Gesetzgeber hat in seiner Gesetzesbegründung zu § 50d Abs. 3 EStG ausgeführt, dass darin die sondergesetzliche Konkretisierung eines abkommensrechtlichen Missbrauchsvorbehaltes zu sehen sei.37 Auch der BFH hat in mehreren Urteilen die Ansicht vertreten, dass § 50d Abs. 3 EStG eine Ausprägung eines abkommensrechtlichen Missbrauchsvorbehaltes sei.38 Die Kernfrage ist in diesem Zusammenhang jedoch, welchen Inhalt ein entsprechender abkommensrechtlicher Missbrauchsvorbehalt hat. Eine Meinung in der Literatur vertritt die Ansicht, dass Doppelbesteuerungsabkommen als völkerrechtlichen Verträgen ein völkerrechtliches Missbrauchsverbot immanent ist.39 Diese Auffassung geht insbesondere auf Vogel zurück.40 Ausgangspunkt der Überlegungen von Vogel ist, dass die meisten Länder missbräuchliche Steuergestaltungen nicht anerkennen. Nach Art. 38 Abs. 1 lit. c des Statuts des Internationalen Gerichtshofs sind neben dem Gewohnheitsrecht und dem Vertragsrecht die allgemeinen Rechtsgrundsätze als Rechtsgrundlage heranzuziehen.41 Vogel vertritt die Ansicht, dass es sich bei dem Missbrauchsverbot um einen solchen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Völkerrechts handelt, der auch im Verhältnis der Vertragsstaaten eines Doppelbesteuerungsabkommens zueinander gilt. Nach dem Konzept von Vogel soll der Missbrauchsvorbehalt nicht die Anwendung nationaler Steuervorschriften legitimieren, sondern aus sich heraus zum Zweck der Missbrauchsbekämpfung anwendbar sein. Die Rechtsfolge wäre, dass die Standards, die anzuwenden sind, international die gleichen wären, unabhängig davon, zwischen welchen Staaten ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht.42 Diesem Ansatz ist zwar insoweit grundsätzlich zuzustimmen, als davon auszugehen ist, dass zwischen den Vertragspartnern eines Doppelbesteuerungsabkommens eine stillschweigende Übereinkunft darüber besteht, dass das Abkommen nicht missbräuchlich ausgenutzt werden soll. Gleichwohl ist diesem Ansatz insbesondere entgegenzuhalten, dass die Annahme eines völkerrechtlichen Missbrauchsverbots inhaltlich zu unbestimmt ist.43 Zwar wenden die meisten Staaten 37

BT-Drs. 12/5630 und 12/5764 zu Artikel 1 zu Nummer 41. BFH v. 20.3.2002, I R 38/00, BStBl. II 2002, S. 819; v. 19.12.2007, I R 21/07, IStR 2008, S. 407. 39 Vgl. Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rz. 117; Vogel, StuW 1985, S. 369; ders., Steuerumgehung bei Doppelbesteuerungsabkommen, in: Haarmann (Hrsg.), Grenzen der Gestaltung im Internationalen Steuerrecht, S. 79; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, Rz. R 135. 40 Vgl. Vogel, StuW 1985, S. 369; ders., Forum d. Int. Besteuerung, S. 79 ff. 41 Vgl. Vogel, Forum d. Int. Besteuerung, S. 79 (93 f.). 42 Vgl. Vogel, Forum d. Int. Besteuerung, S. 79 (94). 43 Vgl. Menhorn, IStR 2005, S. 325 (327); Wassermeyer, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 1 MA Rz. 57; Musil, Treaty Overriding, S. 39; Zettler, Treaty Shopping, 38

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in irgendeiner Form Missbrauchsgrundsätze an, allerdings – wie auch Vogel zugestanden hat – in sehr unterschiedlichem Umfang, so dass i. E. international keine Übereinstimmung hinsichtlich der Auslegung des Missbrauchsbegriffs besteht.44 Das Fehlen eines einheitlichen Missbrauchsverständnisses wird auch an den zahlreichen verschiedenen Vorschlägen im Kommentar zum OECD-Musterabkommen deutlich.45 Fehlt es aber an einem solch einheitlichen Missbrauchsverständnis, kann kaum von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz i. S. d. Art. 38 IGH oder auch einem gewohnheitsrechtlich geltenden allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts i. S. des Art. 25 GG gesprochen werden.46 Unklar ist zudem, auf welche Weise die völkerrechtlichen Rechtsgrundsätze im deutschen Recht gelten könnten.47 Zum einen ist fraglich, ob innerstaatliche Grundsätze aus dem Verhältnis zwischen Steuerschuldner und Staat überhaupt auf das Verhältnis zweier Staaten übertragen werden können. Zum anderen ist fraglich, ob etwaige völkerrechtliche Grundsätze im Sinne einer Re-Rezeption wieder auf das innerstaatliche Recht übertragen werden können. Darüber hinaus ist fraglich, ob allgemeine völkerrechtliche Grundsätze den verfassungsrechtlichen Grundsätzen, insbesondere dem Bestimmtheitsgrundsatz, genügen, die für einen Eingriff im Sinne eines Gesetzesvorbehalts erforderlich sind.48 Eine andere Ansicht geht ebenfalls davon aus, dass Doppelbesteuerungsabkommen ungeschriebene, inhärente Missbrauchsklauseln enthalten49, allerdings soll sich deren Inhalt nach dem bestimmen, was beide Vertragsstaaten übereinstimmend als missbräuchlich ansehen. Ausgangspunkt der diesbezüglichen Überlegungen ist, dass davon auszugehen sei, dass zwei Vertragsstaaten, welche in ihren nationalen Rechtsordnungen beide das Rechtsinstitut des Rechtsmissbrauchs kennen, im Rahmen des von ihnen abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens auf die Anwendung dieses Rechtsinstituts nicht verzichten wollten. Als ein Missbrauch soll nach dieser Ansicht das zu verstehen sein, was die Vertragsstaaten nach ihrem innerstaatlichen Steuerrecht übereinstimmend als Missbrauch ansehen. Auch die Ermittlung eines solch übereinstimmenden Missbrauchsverständnisses, welches sich zudem nur auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses beziehen kann, ist mit erheblichen Unsicherheiten verbunden und kann S. 71; Fischer-Zernin, RIW 1987, S. 362 (364); Piltz, Beilage 14 zu BB 1987, S. 1 (6); Merthan, RIW 1992, S. 927 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 16.146; Kraft, Missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, S. 19 f. 44 Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rz. 100 ff.; Schön, IStR 1996 (Beihefter 2/96), S. 2; Hey, Forum der Int. Besteuerung, S. 137 (149); Musil, RIW 2006, S. 287 (288). 45 Vgl. Tz. 12 ff. des Kommentars zum OECD-MA. 46 Vgl. Stein, IStR 2006, S. 505 (507). 47 Vgl. Fischer-Zernin, RIW 1987, S. 362 (364). 48 Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 16.146. 49 Vgl. Mössner, RIW 1986, S. 208 (211 f.); so wohl auch Becker, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-Kommentar, Teil 1 Abschn. 5 Rz. 41 ff.

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überhaupt nur in enger Zusammenarbeit mit der jeweiligen ausländischen Finanzverwaltung ermittelt werden. Zudem erscheint es als unwahrscheinlich, dass, wenn beide Vertragsstaaten das Institut des Rechtsmissbrauchs kennen und ihnen die Gefahr des Abkommensmissbrauchs bewusst war, sie es dennoch sehenden Auges unterlassen haben, Regelungen zur Bekämpfung dieser Gefahr zu vereinbaren. Auch ein Abstellen auf das nationale Missbrauchsverständnis des jeweiligen Anwenderstaates stellt ein ungeeignetes Mittel zur Bestimmung des Inhalts eines ungeschriebenen Missbrauchsvorbehaltes dar. Es ist offenkundig, dass dies zu Auslegungs- und Qualifikationskonflikten führen würde. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass zwei Abkommenstaaten übereinstimmende nationale Missbrauchsnormen erlassen haben.50 Ein solch ungeschriebener Missbrauchsvorbehalt würde von Abkommen zu Abkommen einen unterschiedlichen Umfang haben.51 Wenn beide Vertragsstaaten mit der Annahme von Missbräuchen relativ großzügig wären, würde dies zur Annahme einer breiten Missbrauchsklausel führen, im entgegensetzten Fall zu einer ggfs. sehr engen Missbrauchsklausel. Konsequenz eines unterschiedlichen Missbrauchsverständnisses wäre, dass die nachträglich erlassenen Regelungen als ein Treaty Override einzustufen wären. Weiterhin wäre stets zu prüfen, inwieweit die innerstaatlichen Missbrauchsvorschriften der Vertragsstaaten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Übereinstimmungen aufgewiesen haben, da letztlich nur auf den Willen der Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abgestellt werden kann. Piltz hat dem entgegen gehalten, man müsse Abkommen streng auslegen. Gegen einen DBA-Missbrauchsvorbehalt bzw. für dessen enge Auslegung wird zudem vorgebracht, dass der in einigen DBA enthaltene Vorbehalt zugunsten innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften zeigt, dass das DBA entweder gar keinen oder nur einen sehr eng auszulegenden Missbrauchsvorbehalt enthält, weil davon auszugehen sei, dass Deutschland in seinen bilateralen DBA nichts regelt, was bereits nach allgemeinem OECD-Verständnis geregelt ist.52 Wird das Doppelbesteuerungsabkommen hingegen zu einem Zeitpunkt abgeschlossen, zu dem die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG bereits bestand, stellt sich die Frage, ob das Abkommen nur im Rahmen der Regelung des § 50d Abs. 3 EStG abgeschlossen werden sollte. Frotscher vertritt die Ansicht, dass davon auszugehen sei, dass der Gesetzgeber das die DBA verdrängende Gesetz bei Abschluss des DBA kannte und das DBA nur im Rahmen der insoweit geltenden Gesetze abschließen wollte.53 Andernfalls käme es zu einer ungleichmäßigen Behandlung der Steuerpflichtigen, die allein von dem Abschlussdatum des jeweili50 51 52 53

Vgl. Hey, Forum der Int. Besteuerung, S. 137 (149). Vgl. Vogel, Forum d. Int. Besteuerung, S. 79 (92 f.). Vgl. Menhorn, IStR 2005, S. 325 (327). Frotscher, FS Schaumburg, 2009, S. 687 (702).

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gen DBA abhängen würde.54 Die Ansicht von Frotscher ist abzulehnen. Man kann zwar argumentieren, dass § 50d Abs. 3 EStG im Hinblick auf später abgeschlossene DBA ohne Missbrauchsregelung oder Vorbehalt zugunsten nationaler Regelungen die speziellere und damit vorrangig anzuwendende Regelung ist.55 Es erscheint aber sehr fraglich, ob dies dem Willen beider Vertragsparteien des Abkommens entspricht. Es kann nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass dem jeweiligen Vertragspartner entsprechende nationale Missbrauchsregelungen bekannt und bewusst sind. Selbst wenn der andere Vertragsstaat aber die nationale Missbrauchsregelung kennt, begründet dies noch keinen Vorrang gegenüber dem DBA.56 Möchte Deutschland diese aber auch im Verhältnis zu dem Abkommensstaat anwenden, so ist dies im DBA zu regeln.57 Auch wäre ansonsten nicht zu erklären, weshalb in einigen Doppelbesteuerungsabkommen ausdrücklich Vorbehalte zugunsten nationaler Missbrauchsvorschriften enthalten sind, in anderen hingegen nicht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Deutschland einen entsprechenden Vorbehalt zu Gunsten nationaler Missbrauchsbekämpfungsvorschriften in das Doppelbesteuerungsabkommen aufnehmen müsste, um einen Treaty Override zu vermeiden. Bestehen solche Missbrauchsvorbehalte hingegen nicht, stellt die gleichwohl erfolgende Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG einen Treaty Override dar. Im Ergebnis ist m. E. daher davon auszugehen, dass § 50d Abs. 3 EStG in beiden vorgenannten Fallkonstellationen einen Treaty Override darstellt, wenn das Abkommen selbst keinen Missbrauchsvorbehalt enthält. 3. Rechtsfolgen des Treaty Override a) Völkervertragliche Ebene Das DBA als völkerrechtlicher Vertrag bindet die beteiligten Staaten als Vertragspartner untereinander. In Art. 26 WVK ist der völkerrechtliche Grundsatz des „pacta sunt servanda“ kodifiziert.58 Danach sind Verträge von den Vertragsparteien einzuhalten und nach Treu und Glauben zu erfüllen.59 Ein Treaty Override stellt einen Verstoß gegen diese völkerrechtliche Verpflichtung dar.60 Die Verletzung des Völkerrechts führt aber nicht zwangsläufig 54

Frotscher, FS Schaumburg, 2009, S. 687 (702). Vgl. Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, S. 38. 56 Rust/Reimers, IStR 2005, S. 843 (846); Lang, IStR 2002, S. 717 (718). 57 Rust/Reimers, IStR 2005, S. 843 (846). 58 Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 104 ff. 59 Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 104 ff. 60 Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rz. 199; Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rz. 51. 55

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zur Ungültigkeit des gegen ein Abkommen verstoßenden innerstaatlichen Gesetzes.61 Da die Doppelbesteuerungsabkommen als völkerrechtliche Verträge nur im Verhältnis der Vertragsstaaten zueinander gelten, ergeben sich aus einem Treaty Override keine direkten Rechtsfolgen für die Steuerpflichtigen eines der Vertragsstaaten. Dies ist vielmehr eine Frage des einschlägigen staatlichen Verfassungsrechts.62 Als Reaktion auf den Völkerrechtsverstoß des anderen Vertragsstaates können betroffene Vertragsstaaten die nach Völkerrecht vorgesehenen Maßnahmen ergreifen. In Betracht kommen insoweit eine Kündigung oder Suspendierung des DBA nach Art. 60 WVK oder inhaltsgleichem Völkergewohnheitsrecht.63 Der einzelne Steuerpflichtige hingegen hat keine Möglichkeit, gegen den Völkerrechtsverstoß als solchen vorzugehen. b) Verfassungswidrigkeit einer dem Doppelbesteuerungsabkommen entgegenstehenden nationalen Rechtsnorm Wie zuvor dargestellt ist ein Treaty Override-Gesetz, das einer durch Zustimmungsgesetz in das innerstaatliche Recht übernommenen Regelung eines völkerrechtlichen Vertrages widerspricht, völkerrechtswidrig. Darüber hinaus stellt sich aber die Frage, ob ein solches Treaty Override-Gesetz trotz seiner Völkerrechtswidrigkeit als verfassungskonform anzusehen ist. Dabei geht es um die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber nicht nur im Außenverhältnis gegenüber dem ausländischen Vertragspartner-Staat zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen verpflichtet ist, sondern ob die völkervertraglichen Verpflichtungen auch hinsichtlich des Erlasses von Treaty Override-Gesetzen eine vom deutschen Gesetzgeber zu beachtende Bindungswirkung entfalten. Lange Zeit vertraten die herrschende Meinung in der Literatur64 sowie die finanzgerichtliche Rechtsprechung65 einvernehmlich die Auffassung, dass ein Treaty Override durch den deutschen Gesetzgeber verfassungsrechtlich zulässig ist, obwohl sich der Gesetzgeber damit völkerrechtswidrig verhält. Begründet wurde dies damit, dass das Völkervertragsrecht nach dem Grundgesetz denselben Rang wie einfaches nationales Recht hat. Verfassungsrechtlich sei es daher zuläs61

Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rz. 200. Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rz. 200. 63 Vgl. Stein, IStR 2006, S. 505 (506); Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rz. 199; Rust/Reimers, IStR 2005, S. 843 (844). 64 Vgl. Musil, RIW 2006, S. 287 (288 f.); ders., Treaty Overriding, S. 63 (67); Bron, IStR 2007, S. 431 (434); Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl. 1998, Rz. 3.26 ff.; Wassermeyer, DStJG 19, S. 151 (152 ff.); Neyer, BB 2004, S. 519 (520); Kluge, Das Internationale Steuerrecht, Rz. R 7 ff. 65 Vgl. BFH v. 13.7.1994, I R 120/93, BStBl. II 1995, S. 129; v. 21.5.1997, I R 79/ 96, BStBl. II 1998, S. 113. 62

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sig, dass der Gesetzgeber durch ein nachfolgendes einfaches Gesetz das Völkervertragsrecht überschreibt. In jüngerer Zeit wird diese Ansicht – basierend auf einer neueren Entscheidung des BVerfG – jedoch zunehmend in Frage gestellt.66 Es wird insbesondere kritisiert, dass die bislang h. M. die im Grundgesetz zum Ausdruck kommende Völkerrechtsfreundlichkeit und das Rechtsstaatsprinzip nicht hinreichend berücksichtige. Die finanzgerichtliche Rechtsprechung hat sich zu den neuen Literaturansichten bislang noch nicht abschließend geäußert. aa) Ranggleichheit von Völkervertragsrecht und einfachem Bundesrecht (kein Verstoß gegen § 2 AO) Nach dem Grundgesetz sind Völkervertragsrecht und einfaches nationales Recht grundsätzlich ranggleich.67 Diese Ranggleichheit ergibt sich daraus, dass völkerrechtliche Verträge erst durch ein nach Art. 59 Abs. 2 GG vom parlamentarischen Gesetzgeber zu erlassendes förmliches Zustimmungsgesetz zu innerstaatlich geltendem Recht werden. Das Grundgesetz folgt damit dem sog. „dualistischen Prinzip“, wonach Völkervertragsrecht innerstaatlich nicht unmittelbar anwendbar ist.68 Erst durch das entsprechende Zustimmungsgesetz wird ein völkerrechtlicher Vertrag in das deutsche Recht transformiert und diesem ein entsprechender Rechtsanwendungsbefehl erteilt. Ein Doppelbesteuerungsabkommen entfaltet damit für den Steuerpflichtigen erst dann Rechtswirkung, wenn das Zustimmungsgesetz in Kraft getreten ist.69 Das Zustimmungsgesetz ist ein einfaches Bundesgesetz und befindet sich daher auf der gleichen Normebene wie nachfolgende Steuergesetze.70 Auch aus § 2 AO ergibt sich keine abweichende Rangfolge dergestalt, dass ein Doppelbesteuerungsabkommen einem Treaty OverrideGesetz vorgehen würde. § 2 AO ordnet zwar an, dass Verträge mit anderen Staaten i. S. des Art. 59 GG über die Besteuerung anderen Steuergesetzen vorgehen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind. Da es sich bei § 2 AO aber selber um ein einfaches Bundesgesetz handelt, steht es dem Gesetzgeber frei, den durch § 2 AO konstituierten Anwendungsvorrang durch ein anderes gleichrangiges Gesetz zu durchbrechen. § 2 AO kann völkerrechtlichen 66 Vgl. Vogel, IStR 2005, S. 29; Stein, IStR 2006, S. 505; Gosch, IStR 2008,S. 413 (418 f.); Weigell, IStR 2009, S. 636 (640); Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1381; Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, S. 38 f. 67 BVerfG v. 14.10.2004, 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407 (3408). 68 Vgl. Gosch, IStR 2008, S. 413 (414); Kluge, Das Internationale Steuerrecht, R 5 ff.; abweichend Frotscher, FS Schaumburg, 2009, S. 687 (692 f.), der meint, dass sich das GG nicht ausdrücklich für eine der beiden Positionen entschieden habe, diese Frage aber i. E. dahinstehen könne, weil sowohl nach dem gemäßigten Monismus als auch der dualistischen Theorie die Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrages nur Kraft der Verankerung im nationalen Recht gelten. 69 Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 3.24. 70 Vgl. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 2 AO Rz. 5.

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Verträgen daher keinen höheren Rang als den Gesetzen verschaffen.71 Ein Kollisionsproblem ist damit grundsätzlich nach den Grundsätzen der zeitlichen Reihenfolge und der Spezialität zu lösen.72 Aus dem Umstand, dass der Rechtsanwendungsbefehl völkerrechtlichen Verträgen mittels eines einfachen Bundesgesetzes erteilt wird und sich auch aus § 2 AO kein Vorrang völkerrechtlicher Verträge ergibt, wird geschlossen, dass der Gesetzgeber das Recht hat, sein Zustimmungsgesetz durch gleichrangiges oder höheres Recht wieder aufzuheben oder zu ändern.73 Voraussetzung ist nur, dass der Gesetzgeber die von ihm beabsichtigte Abweichung vom völkerrechtlichen Vertrag hinreichend deutlich zum Ausdruck bringt.74 Schon frühzeitig wurde geltend gemacht, dass es das Rechtsempfinden verletze, wenn ein Gesetzgeber durch einseitigen Akt einem völkerrechtlichen Vertrag, dem er zuvor ausdrücklich zugestimmt hat, die Gefolgschaft verweigern kann. Im Grundgesetz komme zum Ausdruck, dass Deutschland ein „offener Rechtsstaat“ sei.75 Ein solcher müsse das zwischen den Staaten geltende Recht respektieren. bb) Verstoß gegen Art. 59 GG Vereinzelt wurde in der Vergangenheit versucht, eine Verfassungswidrigkeit des Treaty Override aus Art. 59 Abs. 2 GG herzuleiten.76 Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist, dass der Gesetzgeber durch ein Zustimmungsgesetz ein Doppelbesteuerungsabkommen nur „en bloc“ annehmen könne. Ein „Ja“ nur zu einem Teil eines Doppelbesteuerungsabkommens sei immer ein „Nein“ zum Doppelbesteuerungsabkommen im Ganzen.77 Aus diesen Überlegungen folge, dass im Fall einer späteren teilweisen Änderung des Zustimmungsgsetzes durch ein Treaty Override-Gesetz die Zustimmung im Ganzen entfalle.78 Die Änderung sei insoweit actus contrarius zum Erlass des Zustimmungsgesetzes. Ebenso wie die Zustimmung aber unteilbar sei, sei auch die Aufhebung unteilbar und stünde nicht zur Disposition des Gesetzgebers. Konsequenz wäre, dass infolge der Unteilbarkeit der Zustimmung des parlamentarischen Gesetzgebers mit der Modifi71 Vgl. Wassermeyer, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 9 ff.; Gosch, IStR 2008, S. 413 (418); Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 2 AO Rz. 5; Frotscher, FS Schaumburg, S. 687 (700); Birk, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 2 AO Rz. 3 ff. 72 Nähere Ausführungen dazu bei Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rz. 203. 73 Vgl. Gosch, IStR 2008, S. 413 (414). 74 Vgl. Kluge, Das Internationale Steuerrecht, Rz. R 7 f. 75 Vgl. Vogel, JZ 1997, S. 161 (165). 76 Vgl. Wohlschlegel, FR 1993, S. 48; Daragan, IStR 1998, S. 225; zur Darstellung dieser Ansicht vgl. Bron, IStR 2007, S. 431 (432). 77 Daragan, IStR 1998, S. 225. 78 Daragan, IStR 1998, S. 225 (226).

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kation nachträglich die Zustimmung zum gesamten Doppelbesteuerungsabkommen entfiele und alle vom Treaty Override betroffenen DBA unanwendbar wären.79 Diese Konsequenz wiederum sei nicht gewollt, da das Treaty Override ja gerade eine partielle Änderung des Rechtszustandes bezwecke. Zustimmungsgesetz und Treaty Override-Gesetz sollten demnach nebeneinander ihre Wirkung entfalten. Dies würde zu einem Normwiderspruch führen, welcher nicht mit allgemeinen Kollisionsregeln lösbar sei. Deshalb sei das Treaty Override-Gesetz damit unwirksam, da es auf eine unmögliche Rechtsfolge gerichtet sei.80 Diese Ansicht ist abzulehnen. Diese Argumentation vermengt unzulässigerweise die völkerrechtliche und die innerstaatliche Ebene.81 Der völkerrechtliche Vertrag wird durch das (vorbehaltlose) Zustimmungsgesetz beschlossen.82 Eine Änderung des Zustimmungsgesetzes hat jedoch keine Auswirkungen auf den Bestand des völkerrechtlichen Vertrages.83 Das Zustimmungsgesetz befindet sich als einfaches Bundesgesetz auf der gleichen Normebene wie nachfolgende Steuergesetze, so dass ein Kollisionsproblem damit nach den Grundsätzen der zeitlichen Reihenfolge (lex posterior derogat legi priori) sowie der Spezialität (lex specialis derogat legi generali) zu lösen ist.84 Art. 59 Abs. 2 GG zielt nicht darauf ab, den Bundesgesetzgeber in einer Normsetzungsgewalt einzuschränken, sondern möchte ihn vor der Aushöhlung des innerstaatlichen Gesetzesvorbehalts durch zwischenstaatliche Vereinbarungen schützen.85 Insbesondere kann Art. 59 Abs. 2 GG nicht entnommen werden, dass er den Gesetzgeber nach erteilter Zustimmung für die Zukunft binden und dem Zustimmungsgesetz eine Sperrwirkung beimessen möchte, es gilt kein Alles-oder-nichts-Prinzip.86 cc) Verstoß gegen Art. 25 GG Weiterhin wurde versucht, einen Vorrang des Völkervertragsrechts aus der in Art. 25 GG zum Ausdruck kommenden Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes herzuleiten.87 Nach Art. 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts und gehen den innerstaatlichen Gesetzen vor. Es besteht aber allgemein Einvernehmen darüber, dass unter den allgemeinen Regeln des Völkerrechts nur das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen

79 80 81 82 83 84 85 86 87

Daragan, IStR 1998, S. 225 (226). Daragan, IStR 1998, S. 225 (226). Vgl. Bron, IStR 2007, S. 431 (432); Gosch, IStR 08, S. 413 (418). Bron, IStR 2007, S. 431 (432). Bron, IStR 2007, S. 431 (432). Bron, IStR 2007, 431 (432). Vgl. Brombach-Krüger, Ubg 2008, S. 324 (329). Vgl. Brombach-Krüger, Ubg 2008, S. 324 (329). Vgl. Eckert, RIW 1992, S. 386 (387).

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Rechtsgrundsätze des Völkerrechts zu verstehen sind.88 Doppelbesteuerungsabkommen hingegen gelten gerade nicht allgemein, sondern werden bilateral zwischen den Vertragsparteien abgeschlossen. Sie sind daher nicht Bestandteil der allgemeinen Regeln des Völkerrechts.89 Anders als völkerrechtliche Verträge als solche gehört aber der Grundsatz „pacta sunt servanda“ zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts.90 Allerdings lässt sich aus Art. 25 GG nach allgemeiner Ansicht kein Vorrang des einzelnen völkerrechtlichen Vertrages ableiten.91 Ein späteres, gegen ein Doppelbesteuerungsabkommen verstoßendes Gesetz verletzt zwar im Außenverhältnis gegenüber dem anderen Vertragsstaat den Grundsatz des „pacta sunt servanda“, kann aber keine Vorrangstellung nach innen begründen.92 Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 26. März 1957 ausgeführt, dass das Grundgesetz in seiner Völkerrechtsfreundlichkeit nicht so weit geht, die Einhaltung bestehender völkerrechtlicher Verträge durch eine Bindung des Gesetzgebers an das ihnen entsprechende Recht zu sichern.93 Vielmehr überlässt das Grundgesetz die Erfüllung der bestehenden völkerrechtlichen Vertragspflichten der Verantwortung des zuständigen Gesetzgebers. Ein anderes Ergebnis würde auch im Widerspruch zu Art. 59 Abs. 2 GG stehen, wonach völkerrechtliche Verträge der Zustimmung der Legislative bedürfen. Würde hingegen bereits nach dem Grundsatz des „pacta sunt servanda“ eine entsprechende Bindung bestehen, wäre der Parlamentsvorbehalt des Art. 59 Abs. 2 GG wirkungslos.94 dd) Neue Entwicklungen Die früher herrschende Ansicht zur Verfassungskonformität eines Treaty Override wird unter verschiedenen Gesichtspunkten angegriffen. Zum einen wird von mehreren Autoren mittels einer formaljuristischen Argumentation die von der herrschenden Ansicht aus Art. 59 Abs. 2 GG hergeleitete Ranggleichheit von Völkervertragsrecht und einfachem Bundesrecht in Frage gestellt.95 Diese Argumentation fußt auf dem Gesetzeswortlaut des Art. 59 88

Vgl. Brombach-Krüger, Ubg 2008, S. 324 (329). Vgl. Brombach-Krüger, Ubg 2008, S. 324 (329); Bron, IStR 2007, S. 431 (433). 90 Vgl. BVerfG v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, S. 145 Tz. 105. 91 Vgl. Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rz. 202; Mössner, Forum der Int. Besteuerung, Bd. 3, S. 113; Frotscher, FS Schaumburg, 2009, S. 687; Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 107; Gosch, IStR 2008, S. 413 (418); Brombach-Krüger, Ubg 2008, S. 324 (329); a. A. noch Eckert, RIW 1992, S. 386. 92 Vgl. Birk, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 2 AO Rz. 161; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, Rz. R 7, Seer, IStR 1997, S. 483; Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 2 AO Rz. 5; Frotscher, FS Schaumburg, S. 687 (696). 93 BVerfG, Beschluss v. 26.3.1957, BVerfGE 6, S. 309 (363). 94 Siehe dazu Frotscher, FS Schaumburg, S. 687 (697 f.). 95 Vgl. Becker, NVwZ 2005, S. 289 (291). 89

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Abs. 2 GG, wonach völkerrechtliche Verträge der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaft in der Form eines Bundesgesetzes bedürfen. Es wird argumentiert, dass die Formulierung „in der Form eines Bundesgesetzes“ spätestens seit der Abkehr von der Transformationslehre zugunsten der Vollzugstheorie nicht zwingend bedeute, dass der völkerrechtlichen Verpflichtung innerstaatlich der Rang eines Bundesgesetzes zukomme.96 Der Transformationslehre liege der Gedanke zugrunde, dass durch den innerstaatlichen Zustimmungsakt ein zusätzliches eigenes, innerstaatliches Gesetz mit dem Inhalt des völkerrechtlichen Vertrages geschaffen wird, weshalb es als gleichsam zwingend angesehen wird, dass es sich bei diesem innerstaatlichen Gesetz um ein einfaches Bundesgesetz handelt.97 Der Vollzugstheorie hingegen liege der Gedanke zugrunde, dass durch den Zustimmungsakt dem völkerrechtlichen Vertrag der Rechtsanwendungsbefehl erteilt wird. Welchen Rang das für anwendbar erklärte Völkerrecht hat, werde durch die Form des Zustimmungsaktes nicht entschieden.98 Eine andere Ansicht versucht erneut den Grundsatz des „pacta sunt servanda“ im Rahmen von Art. 25 GG fruchtbar zu machen. Stein99 vertritt die Ansicht, dass der Grundsatz „pacta sunt servanda“ als eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG zu verstehen sei. Bezug nehmend auf die frühere Rechtsprechung des BVerfG100, welche die weitgehende Bindung des deutschen Gesetzgebers an völkerrechtliche Verträge noch abgelehnt hat, macht Stein geltend, dass durch die gewandelte Anschauung ausländischer Verfassungen101, welche völkerrechtlichen Verträgen gegenüber dem innerstaatlichen Recht grundsätzlich einen Vorrang einräumen, dem Grundsatz des „pacta sunt servanda“ eine gesteigerte Bedeutung zukomme, die dem BVerfG damals mangels entsprechender Reziprozität noch nicht opportun erschienen sei. Auch Drüen sucht die Frage der Verfassungskonformität des Treaty Override über Art. 25 GG zu lösen.102 Er geht davon aus, dass die WÜRV mit ihren Regeln über die Anpassung, den Rücktritt und die Beendigung völkerrechtlicher Verträge und der Satz „pacta sunt servanda“ als Völkergewohnheitsrecht zwar nicht den konkreten Vertragsinhalt in den Rang des Art. 25 GG erheben, Deutschland aber über Art. 25 GG mit innerstaatlicher Wirkung auf die völkerrechtlich anerkannten Wege zur Lösung vom geschlossenen Vertrag festlegen. 96

Vgl. Becker, NVwZ 2005, S. 289 (291). Vgl. Becker, NVwZ 2005, S. 289 (291). 98 Vgl. Becker, NVwZ 2005, S. 289 (291). 99 Stein, IStR 2006, S. 505 (508). 100 BVerfG, Beschluss v. 26.3.1957, BVerfGE 6, S. 309 (363). 101 Zur Anschauung ausländischer Verfassungen siehe Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rz. 204. 102 Vgl. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 2 AO Rz. 5a. 97

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Danach soll nicht jeder Treaty Override als verfassungswidrig zu qualifizieren sein, sondern vielmehr seien die völkerrechtlichen Möglichkeiten der Vertragsänderung in Rechnung zu stellen und im Einzelfall das demokratisch legitimierte Änderungsinteresse gegen die ebenfalls parlamentarisch verantwortete und rechtsstaatlich fundierte Selbstbindung an den Vertrag abzuwägen. Diese Ausführungen von Drüen bedeuten i. E. aber, dass dieser – anders als es Art. 25 GG gerade für die allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze vorsieht – keine Bindung an WÜRV und pacta sunt servanda befürwortet, sondern die Anwendung von Art. 25 GG im Wege einer Abwägungsentscheidung prüfen will. Offen bleibt aber, anhand welches normativen Maßstabs Drüen das Änderungsinteresse und die Selbstbindung abwägen will. Letztlich kann Maßstab nur das verfassungsrechtlich Erlaubte sein. Damit läge aber ein Zirkelschluss vor, da Drüen ja gerade prüft, ob verfassungsrechtlich eine entsprechende Bindung besteht. Eine weitere Ansicht macht geltend, dass ein Treaty Override einen Verstoß gegen das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip darstelle und grundsätzlich verfassungswidrig sei.103 Bereits früh haben Vogel104 und Daragan105 diese Ansicht in unterschiedlichen Ausprägungen vertreten. Ein Rechtsstaat werde dadurch charakterisiert, dass er sich als durch das Recht geschaffen verstehe und das Recht respektiere.106 Der Rechtsstaatsbegriff des Grundgesetzes sei dabei besonders im Lichte der Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit zu sehen. Entsprechend habe der „offene Rechtsstaat“ auch das zwischen den Staaten geltende Recht zu respektieren. Daragan sah insbesondere die Gefahr, dass ein so verstandener Rechtsstaatsbegriff mit der Regelung des Art. 25 GG in Konflikt geraten könnte. Um ein Leerlaufen von Art. 25 GG zu verhindern, sollten seiner Ansicht nach daher nur Rechtsverstöße von besonderem Gewicht als verfassungsrechtlich relevant angesehen werden.107 Entscheidend sei, ob es für ein Treaty Override-Gesetz sachbezogene und vertretbare Gründe gibt. Keine sachbezogenen Gründe seien aber die Missbrauchsbekämpfung und die schwierige Finanzlage des Staates. Vogel dagegen sah das Rechtsstaatsprinzip im Hinblick auf ein Treaty Override-Gesetz vor allem im Konflikt mit dem Demokratieprinzip. Folgerungen, die sich auf das Rechtsstaatsprinzip stützen, müssten auch das Demokratieprinzip und damit den Rechtssetzungsvorrang des demokratisch legitimierten Parlaments beachten. Im Hinblick auf Dop103 Vgl. Vogel, in: Vogel/Lehner, Einl. Rz. 205; ders., IStR 2005, S. 29; ders., JZ 1997, S. 161 (165 f.); Becker, NVwZ 2005, S. 289; Rust/Reimers, IStR 2005, S. 843; Elicker, IFSt Nr. 38, S. 9 ff.; Rust, Hinzurechnungsbesteuerung, S. 107 ff.; Weigel, IStR 2009, S. 636 (638 ff.); Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 (1381); Daragan, IStR 1998, S. 225. 104 Vgl. Vogel, JZ 1997, S. 161 (165). 105 Vgl. Daragan, IStR 1998, S. 225. 106 Vgl. Vogel, JZ 1997, S. 161 (165). 107 Daragan, IStR 1998, S. 225 (226).

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pelbesteuerungsabkommen sah er in einer Bindung des Gesetzgebers an den Inhalt der abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen keine Verletzung des Demokratieprinzips, da Deutschland als Vertragsstaat der Doppelbesteuerungsabkommen diese innerhalb eines überschaubaren Zeitraums ändern oder ggfs. auch kündigen könne. In seinen jüngsten Äußerungen misst Vogel dem Demokratieprinzip insoweit keine Bedeutung mehr bei, sondern verweist darauf, dass die Mehrheit der zweifellos demokratischen Verfassungen Europas heute einen Vorrang der völkerrechtlichen Verträge bejaht.108 Vogel sieht seine Auffassung von einer Verletzung des Rechtsstaatsprinzips durch den Treaty Override durch das Urteil des BVerfG aus dem Jahr 2004 bestätigt.109 Das BVerfG hat in dieser Entscheidung110 erneut die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes bekräftigt, die ihre Wirkung „nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes“ entfalte. Das BVerfG hat in diesem Urteil weiter ausgeführt, dass es nicht dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit widerspreche, wenn der Gesetzgeber ausnahmsweise Völkervertragsrecht nicht beachte, „sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist.“ Daraus folgt nach Ansicht von Vogel im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber von Verfassung wegen gehalten ist, Völkervertragsrecht zu beachten, wenn nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen vorliegen, von denen das BVerfG die Zulässigkeit einer Abweichung vom Völkervertragsrecht abhängig macht.111 Da ein Verstoß gegen tragende Verfassungsgrundsätze durch ein DBA nur schwer vorstellbar sei, folge aus der Bindung auch des Gesetzgebers an die Rechtsordnung, deren Teil aufgrund der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes auch die völkerrechtlichen Verträge sind, ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip. Basierend auf dem Ansatz von Vogel vertreten auch Rust/Reimer die Auffassung, dass aus dem Rechtsstaatsprinzip im Grundsatz eine Bindung des Gesetzgebers an völkerrechtliche Verträge folgt.112 Das Rechtsstaatsprinzip binde alle öffentliche Gewalt an die Rechtsordnung. Teil der Rechtsordnung sollen im Lichte der Verfassungsentscheidung des GG für eine internationale Zusammenarbeit auch die völkerrechtlichen Verträge sein.113 Stärker als Vogel betonen sie jedoch die Bedeutung des Demokratieprinzips, welches für den Bereich der Gesetzgebung „prinzipiell auch eine aktuelle Revidierbarkeit und Revozierbarkeit alter Rechtsetzungsakte“ verlange.114 Der Grundsatz der zeitlich beschränkten 108

Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rz. 205. Vogel, IStR 2005, S. 29 f. 110 BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, IStR 2005, 31 („Görgülü“). 111 Vogel, IStR 2005, S. 29 (30). 112 Vgl. Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 (847). 113 Vgl. Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 (847). 114 Vgl. Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 (847). 109

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Herrschaft schließe eine Bindung des zukünftigen Gesetzgebers aus. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass der gegenwärtige Gesetzgeber zukünftige Gesetzgeber binden könnte. Für die Beantwortung der Frage, ob im konkreten Fall dem Rechtsstaats- oder dem Demokratieprinzip der Vorzug gebührt, seien beide Prinzipien im Wege der praktischen Konkordanz zu einem schonenden Ausgleich zu bringen.115 Einen solchen Ausgleich habe das BVerfG in der Görgülü-Entscheidung vorgenommen. Rust/Reimers messen der Frage, wie schnell sich die Bundesrepublik Deutschland in völkerrechtskonformer Weise von ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen lösen kann, eine große Bedeutung bei. Da die meisten deutschen Doppelbesteuerungsabkommen nach einer anfänglichen Stillhaltezeit ohne Weiteres kündbar sind, komme dem Demokratieprinzip mangels längerfristiger Bindung zumeist nur ein geringes Gewicht zu, was in der Regel zur Verfassungswidrigkeit des Treaty Override führt. Ein Treaty Override soll allenfalls zur Verhinderung eines Abkommensmissbrauchs zulässig sein, sofern die Gefahr hoher Steuerausfälle besteht, die nur durch schnelle Gegenmaßnahmen vermieden werden können. Eine weitere Literaturansicht geht zwar davon aus, dass weder aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes noch aus dem Rechtsstaatsprinzip direkt eine Verfassungswidrigkeit eines Treaty Override abgeleitet werden kann.116 Allerdings soll ein Treaty Override-Gesetz einen Grundrechtseingriff darstellen können, wobei bei Prüfung der Frage, ob der Grundrechtseingriff gerechtfertigt ist, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes Beachtung finden soll. Auch der BFH hat in einem AdV-Beschluss vom 19.5.2010117 die Frage gestellt, ob nicht die Durchbrechung einer völkerrechtlich verbindlich getroffenen Vereinbarung nur dann abkommens- und verfassungsrechtlich zulässig ist, wenn durchschlagende Gründe dafür gegeben sind. Im Rahmen des AdV-Verfahrens hat der BFH diese Frage aber zunächst offen gelassen. Das FG Düsseldorf118 und das FG Bremen119 hingegen haben in zwei erstinstanzlichen Entscheidungen den festgestellten Treaty Override durch § 50d Abs. 9 EStG bzw. § 50d Abs. 10 EStG als verfassungskonform angesehen. Die Finanzgerichte haben in den streitgegenständlichen Treaty Overrides weder einen Verstoß gegen Rechtsstaatsprinzip noch einen Verstoß gegen den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit gesehen. Auch verletze der festgestellte Treaty Override nicht sonstige Normen der Verfassung oder individuelle Grundrechte der betroffenen Personen. Soweit die 115

Vgl. Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 (848). Frotscher, FS Schaumburg, S. 687 (705 ff.); im Anschluss daran auch Jansen/ Weidmann, IStR 2010, S. 596 (599 ff.). 117 BFH v. 19.5.2010, I B 191/09, IStR 2010, S. 530. 118 FG Düsseldorf v. 7.12.2010, 13 K 1214/06 E, EFG 2011, S. 878. 119 FG Bremen v. 10.2.2011, 1 K 20/10 (3), DStRE 2011, S. 679. 116

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Finanzgerichte in den streitgegenständlichen Regeln einen Grundrechtseingriff geprüft haben, sahen sie diesen als verhältnismäßig und damit gerechtfertigt an. ee) Eigene Meinung M. E. sind diejenigen Ansichten abzulehnen, welche einen Treaty Override stets als verfassungskonform ansehen. Diese Ansichten verkennen, dass es für einen Rechtsstaat keinen Freibrief geben kann, sich über mit anderen Staaten geschlossene völkerrechtliche Verträge sanktionslos hinwegzusetzen.120 Zwar ist diesen Ansichten darin zuzustimmen, dass das nationale DBA-Umsetzungsgesetz grundsätzlich denselben Rang wie sonstige rein innerstaatliche Gesetze hat und auch die Regelung des § 2 AO dem DBA-Zustimmungsgesetz keinen höheren Rang einräumt. Allerdings unterscheiden sich DBA-Zustimmungsgesetze und sonstige innerstaatliche Gesetze in einem maßgeblichen Punkt: Während die Änderung sonstiger innerstaatlicher Gesetze unabhängig von Rechtspositionen Dritter erfolgt, verletzt ein Treaty Override-Gesetz die völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands gegenüber einem DBA-Vertragspartnerstaat. Zwar führt eine solche Verletzung völkervertraglicher Verpflichtungen m. E. nicht dazu, dass jeder Treaty Override als verfassungswidrig anzusehen wäre, da sich Deutschland durch den Abschluss eines DBA’s sonst (zeitweilig) eines Teils seiner staatlichen Souveränität begeben würde. Selbst im EU-Recht gilt nach den „Solange“-Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts121 die Prämisse, dass elementare Verfassungsgrundsätze nicht ausgehebelt werden können.122 Allerdings muss berücksichtigt werden, dass Deutschland grundsätzlich die Möglichkeit hat, bestehende Doppelbesteuerungsabkommen nachzuverhandeln oder zu kündigen. Zwar ist dieser Weg mit einem entsprechenden Aufwand verbunden, gleichwohl kann dadurch dasselbe Ziel erreicht werden, welches auch durch einen Treaty Override angestrebt wird. Insbesondere in jüngerer Zeit hat sich gezeigt, dass die Ergänzung bestehender DBA’s nicht nur theoretisch möglich ist. Eine grundsätzliche Bindung an abgeschlossene DBA ergibt sich m. E. aus einer Zusammenschau des Rechtsstaatsprinzips und des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes. Zwar gilt die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende umfassende Bindung aller staatlicher Gewalt an Verfassung und Gesetz zunächst nur im Innenverhältnis (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG), gleichwohl kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Grundgesetz ausdrücklich vorsieht, dass Deutschland als Staat völkerrechtliche Verträge abschließt. Das Rechtsstaatsprinip und der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit können m. E. aber nicht isoliert gese120

Vgl. Vogel, JZ 1997, S. 161 (165). Vgl. „Solange II“-Beschluss des BVerfG, BVerfGE 73, S. 339. 122 Zu den Schranken der Integrationsermächtigung siehe Streinz, Europarecht, Rz. 23 ff. 121

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hen werden, sondern es besteht eine Interdependenz zwischen dem Rechtsstaatsprinzip und der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes dergestalt, dass die Bindung Deutschlands im Rahmen völkerrechtlicher Verträge grundsätzlich anzuerkennen ist. Daraus folgt m. E., dass Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen nur dann in verfassungskonformer Weise aufgehoben oder geändert werden können, wenn dies zum Zweck der Wahrung vorrangiger innerstaatlicher deutscher Interessen in einer verhältnismäßigen Art und Weise geschieht. Rechtsstaatlichkeit kann sich nicht allein im Innenverhältnis erschöpfen, sondern fundamentale rechtsstaatliche Grundsätze müssen auch in den Vertragsbeziehungen mit ausländischen Staaten gelten. Durch den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages vertraut der Vertragspartnerstaat darauf, dass Deutschland seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommen wird, wie auch der ausländische Staat sich in seinem Handeln nach seinen entsprechenden Verpflichtungen richtet oder sich in dem dafür vorgesehen Verfahren, d. h. durch Kündigung oder Nachverhandlung, von seinen vertraglichen Verpflichtungen löst. Ein Zweck, welcher grundsätzlich geeignet erscheint, innerstaatliche Interessen durch ein Treaty Override zu wahren, ist grundsätzlich das Risiko erheblicher Steuerausfälle aufgrund der Ausnützung von Lücken eines Doppelbesteuerungsabkommens. Zu weitgehend ist m. E. aber die Auffassung, dass ein Treaty Override nur dann in Betracht kommt, wenn elementare Interessen Deutschlands gefährdet sind, was im Bereich des Steuerrechts wohl grundsätzlich nicht der Fall sein wird. Dient ein Treaty Override-Gesetz der Bekämpfung eines allgemein anerkannten steuerlichen Missbrauchs, so muss dieses allerdings verhältnismäßig ausgestaltet sein. Insoweit können die Elemente der Rechtfertigungsprüfung von Grundrechtseingriffen herangezogen werden. Danach ist ein entsprechender Eingriff gerechtfertigt, wenn er erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinn ist. An einer Erforderlichkeit eines Treaty Override-Gesetzes wird es aber immer dann fehlen, wenn auf anderem Weg als durch den Erlass des Treaty Override-Gesetzes, nämlich durch Kündigung oder Neuverhandlung des DBA’s das Ziel ebenso erreicht werden kann. Darüber hinaus darf dem deutschen Gesetzgeber die entsprechende Regelungslücke bei Abschluss des DBA nicht bekannt gewesen sein. M. E. sollte zumindest in denjenigen Fällen, in denen ein neues DBA zu einem Zeitpunkt abgeschlossen wurde, als die Missbrauchsproblematik in welcher Form auch immer bekannt war, ein entsprechender Treaty Override unzulässig sein, da es Deutschland als Vertragspartner möglich gewesen wäre, einen entsprechenden Missbrauchsvorbehalt im DBA zu vereinbaren bzw. zu vereinbaren, dass entsprechende nationale Missbrauchsregeln Anwendung finden. Sofern ein entsprechender Vorbehalt aus welchen Gründen auch immer nicht aufgenommen wurde, sollte ein Treaty Override unzulässig sein. Auch das BVerfG hat in der oben zitierten Entscheidung einen entsprechenden Ausgleich zwischen widerstreitenden Verfassungsgrundsätzen vorgenommen. Dem Argument von Hey, wonach es sich bei der streitgegenständlichen EMRK

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um einen besonderen Vertrag gehandelt habe123, ist zu entgegnen, dass es grundsätzlich keine unterschiedliche Qualität völkerrechtlicher Verträge gibt, so dass aus der – aus der geregelten Materie folgenden – besonderen Bedeutung sich keine besondere Rechtsqualität der EMRK ergibt. Die Ansicht, wonach eine Berücksichtigung der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und des Rechtsstaatsprinzips nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung möglich ist, ist m. E. abzulehnen. Handelt es sich bei dem betroffenen Steuerpflichtigen, wie in den Fällen des § 50d Abs. 3 EStG regelmäßig gegeben, um eine ausländische juristische Person, so ist diese infolge der Regelung von Art. 19 Abs. 3 GG grundsätzlich nicht grundrechtsberechtigt. Eine Grundrechtsberechtigung besteht insoweit allenfalls im Hinblick auf Verfahrensrechte, so dass ein unzulässiger Treaty Override nur unzureichend sanktioniert würde. Aus dem Vorgesagten folgt für § 50d Abs. 3 EStG, dass die Regelung einen Treaty Override darstellt, der grundsätzlich als verfassungswidrig anzusehen ist. Die Verschärfung durch das JStG 2007 beruht allein auf der Befürchtung des Gesetzgebers, dass aufgrund einer vermeintlich geänderten Rechtsprechung des BFH eine Anerkennung ausländischer Gesellschaften für steuerliche Zwecke unter erleichterten Voraussetzungen erfolgen könnte. Diese Befürchtung, die bereits deshalb unzutreffend war, weil der BFH deutlich gemacht hat, dass sein Urteil dem besonderen Sachverhalt geschuldet war und keine generelle Lockerung seiner Basisgesellschaftenrechtsprechung darstellte, kann m. E. für sich genommen keinen Treaty Override rechtfertigen. Stattdessen hätte in erster Linie versucht werden müssen, entsprechende Ergänzungen der bestehenden DBA mit denjenigen Ländern zu erreichen, die nach Ansicht der Finanzverwaltung als Ansässigkeitsort für Zwischengesellschaften als besonders anfällig erscheinen. Sofern mit diesen Staaten keine Einigung erzielt worden wäre, wäre vorrangig eine Kündigung der bestehenden DBA in Betracht gekommen. Nur sofern aus sonstigen übergeordneten Gründen dieser Weg nicht gangbar gewesen wäre, hätte die Möglichkeit eines Treaty Override in Betracht gezogen werden können. Da dies alles aber nicht erfolgt ist, ist § 50d Abs. 3 EStG m. E. als verfassungswidrig zu qualifizieren.

123

Hey, Forum der Int. Besteuerung, S. 137 (152).

H. Handlungsoptionen im Hinblick auf die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG Wie zuvor dargestellt, verstößt die derzeitige Fassung von § 50d Abs. 3 EStG in weiten Teilen sowohl gegen Europarecht als auch gegen deutsches Verfassungsrecht. Im nachfolgenden Abschnitt soll untersucht werden, wie der Gesetzgeber auf diesen Befund reagieren sollte. Dazu sollen nachfolgend verschiedene Handlungsoptionen näher beleuchtet werden.

I. Nichtstun Wie oben dargestellt, führt die Nichtanwendung von § 50d Abs. 3 EStG nicht zu einem regelungslosen Zustand. Stattdessen kommt die allgemeine Missbrauchsregelung des § 42 AO zur Anwendung, wobei aber die spezifischen Ausnahmeregelungen von § 50d Abs. 3 EStG zugunsten der ausländischen Anteilseigner weiter zu beachten sind. Davon ausgehend stellt sich die Frage, inwieweit durch ein „Zurückfallen“ auf die Anwendung von § 42 AO Fälle missbräuchlichen Treaty Shoppings weniger wirksam bekämpft werden können. Dazu soll anhand der bislang ergangenen Rechtsprechung des BFH untersucht werden, inwieweit es durch eine Anwendung von § 42 AO zu einer Einschränkung des Schutzumfangs in Bezug auf Treaty Shopping-Sachverhalte käme. 1. Beschränkung des Schutzumfangs bei Nichtanwendung von § 50d Abs. 3 EStG Der BFH hat in seiner Rechtsprechung vor Verschärfung des § 50d Abs. 3 EStG erkennen lassen, dass er grundsätzlich von einem Gleichlauf mit § 42 AO ausgeht. In der Hilversum I-Entscheidung1 hat der BFH ausdrücklich die Frage nach dem Verhältnis zwischen § 50d Abs. 3 EStG und § 42 AO offen gelassen. Nach Auffassung des BFH erforderte der Streitfall keine abschließende Klärung dieser Frage, da die Voraussetzungen beider Vorschriften erfüllt waren. Da die ausländische Gesellschaft nach den Feststellungen des Urteilsfalls über keine Substanz in Form von Geschäftsräumen, Personal etc. verfügte, eine über das bloße Halten der Beteiligung an einer deutschen Kapitalgesellschaft hinausge1

BFH v. 20.3.2002, I R 38/00, BStBl. II 2002, S. 819 – siehe dazu oben D. I. 1. h).

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hende Tätigkeit nicht festgestellt wurde und auch die vorgebrachten Gründe für die Zwischenschaltung nach Auffassung des BFH keine ausreichenden wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe im Sinne der Missbrauchsrechtsprechung darstellten, hat der BFH das Vorliegen eines Missbrauchs sowohl nach § 42 AO als auch nach § 50d Abs. 3 EStG bejaht. In diesem Fall hat die oben dargestellte Änderung in der Rechtsprechung des BFH zur Frage, ob eine eigene Wirtschaftstätigkeit per se geeignet ist, einen Missbrauch auszuschließen oder ob die eigene Wirtschaftstätigkeit nur eine Indizwirkung hat, schon deshalb keine Rolle gespielt, weil die ausländische Gesellschaft eine solche Tätigkeit unzweifelhaft nicht ausgeübt hat. § 50d Abs. 3 EStG kam damit keine über § 42 AO hinausgehende Bedeutung zu. Auch ohne § 50d Abs. 3 EStG hätte der BFH daher dieselbe Entscheidung getroffen. In der Hilversum II-Entscheidung2 bejahte der BFH zwar anders als in der Hilversum I-Entscheidung das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft trotz fehlender Substanz der ausländischen Gesellschaft. Allerdings war dafür keine inhaltliche Abweichung zwischen § 50d Abs. 3 EStG und § 42 AO maßgeblich. Ohne dass dies für die Entscheidung erheblich gewesen wäre, hat der BFH in dem Hilversum II-Urteil Stellung genommen zu der Frage nach dem Verhältnis von § 50d Abs. 3 EStG zu § 42 AO. Der BFH sah § 50d Abs. 3 EStG als tatbestandlich enger gefasste Spezialvorschrift an, deren Wertungen auf die allgemeinere Missbrauchsvorschrift des § 42 AO durchschlagen. Gleichwohl hat der BFH in seiner Urteilsbegründung m. E. erkennen lassen, dass er grundsätzlich eine identische Prüfung dieser Missbrauchsvorschriften vornimmt. Analog zu der Rechtsprechung zu § 42 AO, wo das Vorliegen oder Fehlen einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit Indizfunktion für das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe hat, hat der BFH auch in dem Hilversum II-Urteil aus dem Vorliegen einer eigenwirtschaftlichen Funktion auf das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe geschlossen. In dem Urteil heißt es insoweit: „Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass die ausgegliederten Kapitalgesellschaften ihre jeweiligen Unternehmenszwecke – das Halten der Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften – auf eigene Rechnung und funktional eigenwirtschaftlich erfüllten. Für die Einschaltung der niederländischen Zwischengesellschaften bestanden also wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe i. S. von § 50d Abs. 1a EStG 1990/1994.“

Auch wenn der BFH sich in diesem Urteil ausdrücklich für die vorrangige Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG ausgesprochen hat, ist m. E. davon auszugehen, dass der BFH auf Grundlage seiner Rechtsprechung zu § 42 AO zu demselben Urteil gekommen wäre. Dafür spricht zum einen, dass der Begriff der wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe aufgrund der Gesetzgebungshistorie des 2

BFH v. 31.5.2005, I R 74/88/04, BStBl. II 2006, S. 118 – siehe dazu oben D. I. 1. j).

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§ 50d Abs. 3 EStG grundsätzlich mit dem vom BFH in ständiger Rechtsprechung zu den Basisgesellschaften verwendeten Begriff identisch ist. Auch insoweit ist ein Gleichlauf der Rechtsprechung zu § 42 AO und § 50d Abs. 3 EStG festzustellen. Bereits in dem sog. Niederländischen Stiftungsurteil hat der BFH eine substanzlose Gesellschaft aus Gründen der Konzernstruktur als nicht rechtsmissbräuchlich angesehen.3 Zwar fehlt der Argumentation des BFH häufig eine verallgemeinerungsfähige Linie, gleichwohl ist in diesen Entscheidungen aber zu erkennen, dass der BFH eine einheitliche Rechtsprechung in Bezug auf § 42 AO und § 50d Abs. 3 EStG verfolgt. Auch in der oben bereits dargestellten SOPARFI-Entscheidung4 hat der BFH zwar ebenfalls auf Grundlage von § 50d Abs. 3 EStG a. F. entschieden. Er hat allerdings auch in diesem Urteil einleitend darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber mit der Anwendung von § 42 AO auf beschränkt Steuerpflichtige und § 50d Abs. 1a EStG vergleichbare Zielsetzungen verfolgt und die Normen in diesen Fällen unter vergleichbaren Voraussetzungen Anwendung finden. In der Sache ist davon auszugehen, dass der BFH bei Anwendung von § 42 AO zu keinem anderen Ergebnis gekommen wäre als bei der Anwendung des von ihm als speziellere Norm angesehenen § 50d Abs. 3 EStG. Entscheidungserheblich war insoweit die Frage, inwieweit in dem Halten von Beteiligungen durch eine geschäftsleitende Holding eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit gesehen werden kann. Während das FG Köln eine solche erstinstanzlich bejaht hatte, hatte der BFH aufgrund des festgestellten Sachverhalts Zweifel an der Subsumtion des Finanzgerichts und hat die Sache zur Nachholung notwendiger tatsächlicher Feststellungen an das FG zurückverwiesen. Auch bei Anwendung von § 42 AO wäre der Frage nach dem Vorliegen einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit eine entscheidende Bedeutung zugekommen. Es ist davon auszugehen, dass bei einem nachweislichen Vorliegen einer solchen eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit weder die vom BFH zu § 42 AO entwickelten Kriterien eines Gestaltungsmissbrauchs erfüllt wären noch diejenigen des § 50d Abs. 3 EStG. Auch wenn der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit nach der fortentwickelten Basisgesellschaftenrechtsprechung nur eine Indizfunktion zukommt, ist kein Fall ersichtlich, in welchem der BFH bei nachgewiesener Ausübung einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit dennoch das Vorliegen einer Basisgesellschaft bejaht hätte. Der vorstehende Vergleich der Rechtsprechung des BFH zu § 42 AO und § 50d Abs. 3 EStG in Inbound-Fällen hat gezeigt, dass der BFH zumindest in den bislang zu § 50d Abs. 3 EStG entschiedenen Fällen über die Anwendung von § 42 AO zu demselben Ergebnis gekommen wäre. Zwar hat sich die Rechtsprechung des BFH zu Basisgesellschaften in Einzelfragen im Lauf der Jahre in Nuancen verändert, gleichwohl hätte dies auf die entschiedenen Fälle wohl kei3 4

BFH v. 17.11.2004, I R 55/03, HFR 2005, S. 771 – siehe dazu oben D. I. 1. f) aa). BFH v. 29.1.2008, I R 26/06, BStBl. II 2008, S. 978.

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nen Einfluss gehabt, da es sich insoweit zumeist um eindeutige Sachverhaltskonstellationen gehandelt hat. Konsequenz dessen wäre, dass eine Nichtanwendung von § 50d Abs. 3 EStG infolge Europarechtswidrigkeit im Ergebnis bedeuten würde, dass der Rechtszustand vor Verschärfung des § 50d Abs. 3 EStG durch das JStG 2007 im Wesentlichen wieder hergestellt würde, wobei durch die unterschiedliche Bedeutung der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der BFH sogar zu einem weiteren Missbrauchsverständnis gelangen könnte. Im Hinblick auf die durch § 50d Abs. 3 EStG neu geschaffenen Tatbestandsmerkmale würde eine Nichtanwendung folgende Konsequenzen haben: 10 % Einkünfte aus eigener Wirtschaftstätigkeit: Das strikte 10 %-Erfordernis, welches Hauptanknüpfungspunkt der Europarechtswidrigkeit der Regelung ist, würde im Fall der Nichtanwendung von § 50d Abs. 3 EStG keine Rolle mehr spielen. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass der BFH in einem hypothetischen Sachverhalt, in welchem eine Gesellschaft nur eine Alibitätigkeit ausübt, welche gegenüber dem Halten der Beteiligung von völlig untergeordneter Bedeutung ist und allein dem Zweck gilt, Substanzanforderungen für die Quellensteuererstattung zu schaffen, einen Missbrauch gleichwohl bejahen würde. Anders als bei der pauschalen 10 %-Grenze würde dies aber eine Einzelfallprüfung erfordern, welche gezielt auf die Feststellung eines missbräuchlichen Verhaltens ausgerichtet ist. Mindestsubstanz: Auch aus dem Wegfall des Erfordernisses eines angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs kann nicht geschlussfolgert werden, dass diesem generell keine Bedeutung zukommt. Insbesondere kann aus der Hilversum IIEntscheidung des BFH keinesfalls geschlussfolgert werden, dass der Umfang der vorhandenen Substanz keine Rolle mehr spielt. Zwar hat der BFH in der SOPARFI-Entscheidung deutlich gemacht, dass im Hinblick auf Kapitalanlageund Finanzierungsfunktionen keine besondere sächliche, räumliche und personelle Ausstattung erforderlich ist und entsprechend kein besonderer Apparat benötigt wird. Gleichwohl wird je nach ausgeübter Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft dem Erfordernis einer Mindestsubstanz auch weiterhin eine wichtige Bedeutung zukommen. Im Übrigen geht auch die Finanzverwaltung im Erlass zu § 50d Abs. 3 EStG davon aus, dass der Umfang der Mindestsubstanz anhand des Geschäftszwecks der ausländischen Gesellschaft zu bestimmen ist. Je geringer die von der ausländischen Gesellschaft ausgeübten Geschäftstätigkeiten sind, desto weniger Substanz ist erforderlich. Kumulatives Vorliegen einer eigenen Wirtschaftstätigkeit und wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe: Das kumulative Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe und einer eigenen Wirtschaftstätigkeit war nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung nicht erforderlich. Vielmehr hat der BFH in seiner ursprünglichen Rechtsprechung ausdrücklich das alternative Vorliegen ausreichen lassen, um einen Missbrauch abzulehnen. Indem der BFH aber in seiner

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weiteren Rechtsprechung in der Ausübung einer eigenen Wirtschaftstätigkeit nur noch ein Indiz für das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe gesehen hat, ist er regelmäßig ebenfalls von einem kumulativen Vorliegen entsprechender Gründe sowie einer eigenen Wirtschaftstätigkeit ausgegangen. Um eine zwingende Tatbestandsvoraussetzung hat es sich dabei aber nach der vom BFH verwendeten Formel nicht gehandelt. Zurechnung der Tätigkeiten und der Substanz Dritter: In seinem Urteil vom 31.5.2005 hat der BFH, wie oben bereits dargestellt, anders als von der Finanzverwaltung verstanden, gerade keine Übertragung der Tätigkeiten und der Substanz Dritter auf die ausländische Gesellschaft vorgenommen, sondern ist aufgrund der aktiven Schwestergesellschaften der ausländischen Gesellschaft davon ausgegangen, dass kein Missbrauch vorgelegen hat, sondern andere Gründe für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft entscheidend waren, mithin also sonst beachtliche Gründe vorgelegen haben müssen. Im Fall der Nichtanwendung könnte in der dem Urteil vom 31.5.2005 zugrunde liegenden Sachverhaltskonstellation anders als nach dem derzeitigen § 50d Abs. 3 EStG die Annahme eines Missbrauchs ausgeschlossen sein. Auf Grundlage der vorstehenden Ausführungen ist davon auszugehen, dass durch eine Nichtanwendung von § 50d Abs. 3 EStG im Wesentlichen die Voraussetzungen vor Verschärfung des § 50d Abs. 3 EStG wiederhergestellt werden, da insoweit ein Gleichlauf zwischen § 50d Abs. 3 EStG und § 42 AO bestand. Hinsichtlich der durch das Jahressteuergesetz verschärften Anforderungen ist vor allem zu konstatieren, dass die pauschale 10 %-Grenze keine Anwendung mehr findet. Die vom Gesetzgeber im Rahmen der Schaffung des § 50d Abs. 3 EStG bekämpfte Substanzlosigkeit ausländischer Gesellschaften sowie die Zurechnung der Aktivitäten anderer Konzerngesellschaften hat der BFH nach meinem Verständnis der Rechtsprechung in dieser Form nie propagiert. Es ist aber davon auszugehen, dass der BFH solche substanzlosen Gesellschaften nur dann anerkennen wird, wenn nach seinem Verständnis der Zwischenschaltung des ausländischen Gesellschaft eine andere Absicht als diejenige einer möglichst weitgehenden Quellensteuererstattung zugrunde lag. Anders als nach § 50d Abs. 3 EStG wird im Fall von § 42 AO der als missbräuchlich qualifizierten ausländischen Gesellschaft aber nicht die Kapitalertragsteuererstattung versagt, sondern die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft werden ihren Gesellschaftern zugerechnet.5 Auf die Höhe der Quellensteuererstattung wirkt sich dieser Unterschied aber nicht aus, sondern nur dahingehend aus, dass die Erstattung der Quellensteuer an unterschiedliche Personen erfolgt. Letztlich ist auch im Rahmen von § 42 AO gewährleistet, dass eine Erstattung 5 Zu den unterschiedlichen Rechtsfolgen siehe auch Thömmes, JbFfStR 1998/99, S. 94 (98); Höppner, IWB 1996, Fach 3 Gr. 3, S. 1153 (1155); Menhorn, IStR 2005, S. 325 (328).

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insoweit erfolgt, wie sie der Gesellschafter der ausländischen Gesellschaft bei unmittelbarer Beteiligung erhielte. Unterschiede bestehen aber ggfs. bei der Anrechnung der deutschen Quellensteuer im Ausland. Werden nach § 42 AO die Einkünfte nicht der ausländischen Gesellschaft, sondern ihrem Gesellschafter zugerechnet, erhält die ausländische Gesellschaft auch keinen Nachweis über die einbehaltene Kapitalertragsteuer, die sie in ihrem Ansässigkeitsstaat zur Anrechnung der deutschen Kapitalertragsteuer vorlegen könnte. 2. Auswirkungen durch Änderung des § 42 AO? Es stellt sich insoweit aber die Frage, ob sich durch die zwischenzeitlich erfolgte Änderung von § 42 AO durch das JStG 2008 an diesem Ergebnis etwas ändern würde. Durch das Jahressteuergesetz 2008 ist die allgemeine Missbrauchsnorm des § 42 AO mit Wirkung ab dem 1.1.20086 in weiten Teilen neu gefasst worden. Die Intention des Gesetzgebers war laut den Gesetzesmaterialien, den Missbrauchstatbestand präziser zu fassen und eine effektivere Anwendung von § 42 AO zu erreichen.7 Hintergrund dessen war die seitens der Finanzverwaltung als zu restriktiv empfundene Anwendung von § 42 AO durch die finanzgerichtliche Rechtsprechung8, im Besonderen durch den I. Senat des Bundesfinanzhofs.9 Im Vorfeld der Gesetzesänderung wurden verschiedene Änderungsvorschläge für § 42 AO diskutiert.10 Der zunächst veröffentlichte Referentenentwurf sah vor, § 42 AO vollständig vom Missbrauchsbegriff zu entkoppeln. Voraussetzung für das Eingreifen der Rechtsfolgen des § 42 AO sollte danach sein, dass eine zu einem Steuervorteil führende rechtliche Gestaltung gewählt wird, für die vom Steuerpflichtigen keine beachtlichen außersteuerlichen Gründe nachgewiesen werden. Diese Entwurfsfassung wurde in der Literatur11 heftig kritisiert. Gegen die beabsichtigte Umkehr der Beweislast und die damit einhergehenden großen 6 Unklar ist, woran die zeitliche Anwendung der Neuregelung anknüpft: In Betracht kommen z. B. die Durchführung der Steuergestaltung, die Durchführung oder die steuerliche Wirkung, vgl. dazu Mack/Wollweber, DStR 2008, S. 182 (186); Schmieszek, in: Beermann/Gosch, AO/FGO, § 42 AO Rz. 22. 7 Vgl. BT-Drs. 16/6290, S. 81. 8 Vgl. Hey, BB 2009, S. 1044 (1045); Mack/Wollweber, DStR 2008, S. 182 (183); Heintzen, FR 2009, S. 599; die parlamentarische Staatssekretärin in BMF hatte insoweit unverhohlen Kritik an der (Nicht-)Anwendung von § 42 AO durch die Rechtsprechung des BFH geübt. 9 Vgl. Crezelius, DB 2007, S. 1428. 10 Zu einem Überblick über die Vorschläge siehe Wienbracke, DB 2008, S. 664 (666 ff.). 11 Vgl. Crezelius, DB 2007, S. 1428; Deutscher Steuerberaterverband e. V., Presseerklärung 15/07; Brockmeyer, DStR 2007, S. 1325 (1326 ff.).

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Beweisschwierigkeiten für den Steuerpflichtigen wurden in der Literatur gewichtige rechtsstaatliche Bedenken vorgebracht.12 Der nachfolgende Regierungsentwurf knüpfte dagegen wie die Altregelung an den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten an. Allerdings sollte ein Missbrauch immer dann vorliegen, wenn eine „ungewöhnliche Gestaltung“ vorlag, die zu einem Steuervorteil führte und für die keine beachtlichen außersteuerlichen Gründe durch den Steuerpflichtigen nachgewiesen wurden. Auch dieser Entwurf wurde überwiegend kritisiert.13 Durch das Anknüpfen an das Vorliegen einer „ungewöhnlichen Gestaltung“ wurde insbesondere befürchtet, dass jede Gestaltung, die nicht dem Marktstandard entspricht, dem Missbrauchsverdikt unterliegen würde. Damit wäre eine Weiterentwicklung von Gestaltungen – insbesondere im internationalen Umfeld – übermäßig beschränkt worden. Zu Recht hat der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages daher den Begriff der Ungewöhnlichkeit durch den Begriff der Unangemessenheit mit der Begründung ersetzt, dass der Begriff der Ungewöhnlichkeit im allgemeinen Sprachgebrauch als ein empirischer Begriff verstanden wird, während der Begriff der Unangemessenheit ein wertender Begriff sei.14 Die endgültig verabschiedete Fassung von § 42 AO in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2008 lautet: „(1) Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehung dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift. Anderenfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne des Absatzes 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. (2) Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.“

Ausgangspunkt des § 42 AO n. F. ist unverändert die Kernaussage, dass durch den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden kann.15 Die wesentliche Neuerung der mit Wirkung zum

12 Vgl. Crezelius, DB 2007, S. 1428; Brockmeyer, DStR 2007, S. 1325 (1328); zur Kritik an dem Referentenentwurf siehe auch Mack/Wollweber, DStR 2008, S. 182 (183). 13 Vgl. Fischer, FR 2007, S. 857; Loritz, ZSteu 2007, S. 415; Köhler/Tippelhofer, IStR 2007, S. 681; Lichtinghagen/Verpoorten, StuB 2007, S. 734; Schnitger, IStR 2007, S. 729; Centrale für GmbH Dr. Otto Schmidt, GmbHR 2007, S. 924 (927); positiv: Gerling/Gorbauch, DStR 2007, S. 1703; Lenz/Gerhard, BB 2007, S. 2429. 14 Vgl. BT-Drs. 16/7036, S. 24. 15 Vgl. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, vor § 42 AO Rz. 9.

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1.1.2008 in Kraft getretenen Neufassung des § 42 AO besteht insbesondere darin, dass in Abs. 2 der Begriff des Missbrauchs erstmals legal definiert wird. Hinsichtlich der einzelnen Tatbestandsmerkmale der Missbrauchsdefinition lehnt sich der Gesetzgeber an die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs an.16 Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung formuliert, dass ein Gestaltungsmissbrauch gegeben ist, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nicht steuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist.17 a) Unangemessenheit einer rechtlichen Gestaltung18 Die Beantwortung der Frage, ob eine rechtliche Gestaltung als unangemessen zu qualifizieren ist, erfordert eine Wertung durch den Rechtsanwender. Eine solche Wertung bedarf zum einen einer Bezugsgröße und zum anderen eines normativen Maßstabs.19 Bezugsgröße für die Frage, ob eine Gestaltung unangemessen ist, ist der wirtschaftliche Vorgang, der durch die Gestaltung verwirklicht wird. Das ergibt sich aus der in § 42 Abs. 1 S. 3 AO geregelten Rechtsfolge, wonach im Fall eines Missbrauchs der Steueranspruch so entsteht, wie er bei einer „den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung“ entstanden wäre.20 Das Gesetz selbst gibt keinen normativen Maßstab für die Unangemessenheit vor. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich auf eine Definition des Begriffs der Unangemessenheit verzichtet, um der Gefahr einer „Versteinerung des Missbrauchstatbestandes“ Rechnung zu tragen „und eine Weiterentwicklung der Rechtsordnung auch in diesem Bereich“ zu ermöglichen.21 Durch die Verwendung des Begriffs „unangemessen“ knüpft der Gesetzgeber aber an die diesbezügliche Rechtsprechung des BFH an, auf welche auch in dem Bericht des Bundestags-Finanzaus16 So auch ausdrücklich die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drs. 16/6290, S. 81 und BT-Drs. 16/7036, S. 24. 17 Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rz. 45 m.w. N. 18 Die in dem Bericht des Finanzausschusses des Bundestages vorgegebene Prüfungsreihenfolge (BT-Drs. 16/7036 S. 24) ist abzulehnen. Danach ist zunächst durch eine Gegenüberstellung der gewählten Gestaltung und einer angemessenen Gestaltung das Vorliegen eines Steuervorteils zu ermitteln. Ist der ermittelte Steuervorteil gesetzlich nicht vorgesehen, ist zu prüfen, ob die Gestaltung unangemessen ist. Diese Prüfungsreihenfolge ist abzulehnen, da sie voraussetzt, dass von vorneherein klar ist, ob die Gestaltung angemessen ist. Dann erübrigt sich aber die weitere Angemessenheitsprüfung. Vgl. Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rz. 46. 19 Vgl. Drüen, Ubg 2008, S. 31 (35). 20 Vgl. Raschow, in: Klein, AO, § 42 Rz. 49; Drüen, Ubg 2008, S. 31 (35). 21 Vgl. BT-Drs. 16/7036, S. 24.

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schusses ausdrücklich Bezug genommen wird.22 Es besteht grundsätzlich Einvernehmen in Literatur23, Finanzverwaltung und Rechtsprechung, dass der Maßstab für eine Unangemessenheit den Wertungen des Gesetzgebers zu entnehmen ist, die den möglicherweise umgangenen Normen zugrunde liegen. Der BFH hat entschieden, dass eine Gestaltung unangemessen ist, wenn der Steuerpflichtige eine vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen bestimmter wirtschaftlicher Ziele nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, „auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel, Steuern zu sparen, nicht erreichbar sein soll.“ 24 Im Einzelfall erweist sich diese Prüfung aber vielfach als sehr schwierig, da die Motive und Wertungen des Gesetzgebers auch im Gesetzgebungsverfahren nicht immer deutlich konturiert nach außen treten. Die Rechtsprechung hat sich bereits in der Vergangenheit mit einem ganzen Bündel von Kriterien beholfen, welches dazu diente, sich der Unangemessenheit einer Gestaltung mittels Umschreibungen zu nähern. Die Finanzverwaltung greift diese Kriterien in dem Anwendungserlass auf. Stellt sich eine Gestaltung als unwirtschaftlich, umständlich, kompliziert, schwerfällig, gekünstelt, überflüssig, ineffektiv oder widersinnig heraus, soll dies ein Anlass für die nähere Prüfung sein, ob eine unangemessene Gestaltung vorliegt.25 Die Ungewöhnlichkeit hingegen kann für sich allein keine Unangemessenheit der Gestaltung bewirken.26 Die BFH-Rechtsprechung, welche diese Gleichsetzung in mehreren Urteilen vorgenommen hat, kann insoweit nicht herangezogen werden, da der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens den zunächst vorgesehenen Begriff der Ungewöhnlichkeit bewusst durch den Begriff der Unangemessenheit ersetzt hat.27 Als Indiz für die Unangemessenheit einer Gestaltung soll zudem die rein steuerlich motivierte Verlagerung oder Übertragung von Einkünften oder Wirtschaftsgütern auf andere Rechtsträger gelten.28 Bei grenzüberschreitenden Gestaltungen soll eine Unangemessenheit insbesondere dann zu bejahen sein, wenn die gewählte Gestaltung rein künstlich ist und nur dazu dient, die Steuerentstehung im Inland zu umgehen.29 Die Rechtsprechung des BFH war bereits in der Vergangenheit viel Kritik ausgesetzt. Nach Isensee haben die „Bemühungen, allgemeine, inhaltliche Maßstäbe

22

Vgl. BT-Drs. 16/7036, S. 24. Vgl. Carlé, DStZ 2008, S. 653 (654); Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 42 AO Rz. 18. 24 Vgl. z. B. BFH v. 27.10.2005, IX R 76/03, BStBl. II 2006, S. 359; v. 14.1.2003, IX R 5/00, BStBl. II 2003, S. 509; v. 17.12.2003, IX R 8/98, BFH/NV 2004, S. 939. 25 Vgl. AEAO Tz. 2.2 zu § 42 AO. 26 Vgl. AEAO Tz. 2.2 zu § 42 AO. 27 Vgl. Hey, BB 2009, S. 1044 (1046). 28 Vgl. AEAO Tz. 2.2 zu § 42 AO. 29 Vgl. AEAO Tz. 2.2 zu § 42 AO. 23

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für das „Angemessene“ zu finden“, etwas „rührend Hilfloses“.30 Fischer verweist zu Recht darauf, dass die vom BFH verwendeten Umschreibungen als Quasi-Tatbestandsmerkmale kein Fall schulmäßiger Subsumtion seien.31 Vielmehr dienten sie zur Begründung des jeweils gewünschten Ergebnisses, wobei häufig das umgangene Steuergesetz keine Rolle spielt. b) Erlangung eines gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils Nach der Missbrauchsdefinition muss die gewählte unangemessene Gestaltung im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führen. Es ist unklar, inwieweit dem Tatbestandsmerkmal des „gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils“ eine eigenständige Bedeutung zukommt. Es besteht allgemein Einvernehmen darüber, dass der Begriff des Steuervorteils nicht im Sinne von § 370 AO zu verstehen, sondern stattdessen normspezifisch weit auszulegen ist.32 Steuervorteil in diesem Sinne kann jede günstige Steuerfolge für den Steuerpflichtigen sein. Dazu zählen eine niedrigere oder spätere Steuerbelastung, ein höherer Steuervergütungsanspruch oder etwa auch die Verlängerung einer Frist zur Ausübung eines Wahlrechts.33 Der Steuervorteil darf „gesetzlich nicht vorgesehen“ sein. Die Gesetzesbegründung erläutert dieses Tatbestandsmerkmal nur anhand zweier Beispiele:34 Ein Steuervorteil kann danach gesetzlich vorgesehen sein bei einer Ausübung gesetzlicher Wahlrechte oder bei einer Nutzung steuergesetzlicher Lenkungs- und Fördernormen. Ob die jeweilige Norm einen Vorteil gesetzlich vorsieht, bestimmt sich danach, ob ihre Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Abhängig von der konkreten Gestaltung kann der Anwendungsbereich der begünstigenden Norm ggfs. teleologisch reduziert werden, so dass es der Anwendung des § 42 AO insoweit nicht bedarf. Die Frage der Anwendung des § 42 AO stellt sich in Bezug auf begünstigende Normen vielmehr dann, wenn es darum geht, ob durch eine Gestaltung gerade die Voraussetzungen der begünstigenden Norm geschaffen wurden. Relevanz erlangt die Frage, ob ein Steuervorteil gesetzlich vorgesehen ist, vor allem in den Fällen, in denen sich der Steuerpflichtige einer Gestaltung bedient, durch welche Systembrüche und Unabgestimmtheiten des materiellen Steuerrechts für Steuergestaltungen genutzt werden. In diesen Fällen ist im Wege einer 30 31 32 33 34

Zitiert bei Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 95. Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 96. Vgl. Drüen, Ubg 2008, S. 31 (36); Hey, BB 2009, S. 1044 (1046). Vgl. Wendt, DStJG 33 (2010), S. 117 (130); dazu auch Nr. 2.4 AEAO zu § 42. BT-Drs. 16/7036, S. 24.

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historisch-teleologischen Auslegung der umgangenen Norm zu ermitteln, ob sich Anhaltspunkte dafür finden, dass der Gesetzgeber den durch die gewählte Gestaltung erlangten Steuervorteil gerade unterbinden wollte.35 Dies setzt selbstredend voraus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der begünstigenden Norm erfüllt sind. Aus der Erläuterung in der Gesetzesbegründung kann nach allgemeiner Ansicht nicht geschlossen werden, dass allein die Nutzung von Lenkungs- und Fördernormen einen gesetzlich vorgesehenen Vorteil darstellt, während alle anderen Vorteile gesetzlich nicht vorgesehen sind. Zumindest soweit sich der Steuerpflichtige einer angemessenen Gestaltung bedient, ist aber davon auszugehen, dass der Steuervorteil ebenfalls gesetzlich vorgesehen ist.36 Daraus wird in der Literatur zum Teil der Schluss gezogen, dass dem Tatbestandsmerkmal des „gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils“ keine eigenständige Bedeutung zukommt.37 Eine andere Ansicht38 entnimmt dem Merkmal hingegen sehr wohl eine eigenständige Bedeutung. Wendt vertritt die Ansicht, dass es sich beim Vorliegen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils um das zentrale Tatbestandsmerkmal39 der Missbrauchsdefinition handelt, da eine Gestaltung, die auf einen gesetzlich vorgesehenen Steuervorteil gerichtet ist, nicht unangemessen sein könne.40 Versucht eine Gestaltung hingegen einen gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil zu erreichen, könne die Gestaltung nicht angemessen sein. Wendt geht davon aus, dass der gesetzlich nicht vorgesehene Steuervorteil das objektivierende Merkmal für die Beurteilung einer Gestaltung als angemessen oder unangemessen ist:41 „Während bislang allgemein nach dem Zweck der ihrem Wortlaut nach verwirklichten Steuernorm gefragt wurde, hat der Gesetzgeber dies nun mit dem Tatbestandsmerkmal des gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils konkretisiert und damit das Wertungskriterium für die Angemessenheitsprüfung ausdrücklich im Gesetz geregelt.“

Bei den Vertretern, die einerseits der Unangemessenheit eine Bedeutung beimessen, zugleich aber auch den gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil als 35

Drüen, Ubg 2008, S. 31 (36); Wendt, DStJG 33 (2010), S. 117 (129). Vgl. Hey, BB 2009, S. 1044 (1046). 37 Vgl. Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rz. 68; Hey, BB 2009, S. 1044 (1046); Hahn, DStZ 2008, S. 483 (486). 38 Vgl. Wendt, DStJG 33 (2010), S. 117 (128 ff.); Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 20 ff.; Mack/Wollweber, DStR 2008, S. 182 (185). 39 Insoweit widersprüchlich Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rz. 68, der in der Frage, ob der Steuervorteil gesetzlich vorgesehen ist, den Dreh- und Angelpunkt der Prüfung sieht, zugleich aber davon ausgeht, dass diese Frage keine eigenständige Bedeutung erlangt; ähnlich auch Hahn, DStZ 2008, S. 483 (485 f.). 40 Vgl. Wendt, DStJG 33 (2010), S. 117 (128 ff.). 41 Vgl. Wendt, DStJG 33 (2010), S. 117 (128 ff.). 36

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relevant ansehen, bleibt die Frage ungeklärt, wie es sein kann, dass eine unangemessene Gestaltung zu einem gesetzlich vorgesehenen Steuervorteil bzw. eine angemessene Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil berechtigen kann. Es stellt sich die Frage, wie festgestellt werden kann, ob ein Steuervorteil gesetzlich vorgesehen ist. Das ist unzweifelhaft der Fall, wenn das Gesetz die zu überprüfende Gestaltung ausdrücklich als diejenige beschreibt, die zu der begehrten Begünstigung führt. Das wird aber nur in seltenen Fällen gegeben sein. Sofern dies nicht der Fall ist, soll das Gesetz entsprechend historisch-teleologisch ausgelegt werden, um festzustellen, ob der Steuervorteil für diese Gestaltung vorgesehen ist.42 Sofern der Steuervorteil aber nicht in einer Begünstigung besteht, sondern darin, dass eine Besteuerungslücke oder eine systematische Unstimmigkeit ausgenutzt wird, wird sich der konkrete Steuervorteil zumeist nicht aus irgendwelchen Gesetzesmaterialien ergeben.43 Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, dass eine bestimmte Gestaltung grundsätzlich von einer belastenden Steuernorm erfasst sein soll, sich dafür aber kein Anhaltspunkt im Gesetzeswortlaut findet, so dass in diesem Fall der verwirklichte Sachverhalt steuerfrei bleibt, weil der (angedeutete) Gesetzeswortlaut die Grenze der Auslegung bildet.44 Entscheidend ist, ob sich entsprechende Anhaltspunkte für den gesetzgeberischen Willen finden. Ist dies nicht der Fall, so ist die Konsequenz dessen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 42 AO nicht erfüllt sind, weil nicht festgestellt werden kann, dass der vom Steuerpflichtigen erlangte Steuervorteil „nicht gesetzlich vorgesehen ist“. M. E. ist die von Wendt vertretene Auslegung des § 42 AO n. F. abzulehnen. Zwar ermöglicht ein derartiges Verständnis eine klare Abgrenzung, ob ein Missbrauchsfall vorliegt. Insbesondere ist der Gesetzgeber gezwungen, sich explizit mit den unerwünschten Gestaltungen auseinanderzusetzen und diese konkret zu benennen. Allerdings wäre die Konsequenz aus diesem Verständnis, dass das Tatbestandsmerkmal der unangemessenen Gestaltung keine eigenständige Bedeutung mehr hätte. Zudem würde § 42 AO in großem Umfang seiner Wirkung als Generalklausel beraubt wird, wenn sich aus einem Gesetz ergeben muss, dass der Steuervorteil nicht vorgesehen ist. Es werden dann nur solche Steuervorteile erfasst, über deren Nichtgewährung in bestimmten Fallkonstellationen sich der Gesetzgeber explizit Gedanken gemacht hat. Kurzfristig würde die Ansicht von Wendt zur Folge haben, dass § 42 AO weitestgehend keine Wirkung entfalten kann, da sich aus dem Gesetz vielfach noch nicht das Fehlen eines Steuervorteils ergibt. Der Gesetzgeber müsste erst – wie von Wendt vorgeschlagen – eine entsprechende Liste mit Regelbeispielen anlegen, bei deren Vorliegen die Gewäh42 43 44

Wendt, DStJG 33 (2010), S. 117 (130). Wendt, DStJG 33 (2010), S. 117 (130). Wendt, DStJG 33 (2010), S. 117 (130).

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rung eines Steuervorteils gesetzlich nicht vorgesehen ist. Der Nachteil einer solchen Liste ist, dass diese ständig vom Gesetzgeber überarbeitet werden würde/ müsste und mit zunehmender Zeit einen riesigen Umfang annehmen würde. Der Gesetzgeber würde sich damit weiter von einer generell-abstrakten Gesetzesnorm hin zu einer nahezu rein kasuistisch geprägten Gesetzesnorm bewegen. Ein weiterer Nachteil dieses Verständnisses besteht darin, dass der Gesetzgeber auf neue Entwicklungen immer nur reagieren könnte. Eine generell-abstrakte Umschreibung eines Missbrauchs, wie sie durch § 42 AO eigentlich beabsichtigt ist, wäre dadurch aber gerade nicht mehr gegeben. Eine Liste mit Regelbeispielen hätte den Vorteil, dass sich die Rechtsprechung daran orientieren könnte. Es wäre dann jeweils festzustellen, ob die jeweilige Sachverhaltskonstellation derjenigen des Regelbeispiels vergleichbar ist. Es besteht dann allerdings wieder die Schwierigkeit, diese Vergleichbarkeit herzustellen, da unklar ist, nach welchen Kriterien es sich richtet, ob der zu beurteilende Sachverhalt dem Regelbeispiel vergleichbar ist. Diese Schwierigkeit einer Bestimmung vergleichbarer Sachverhalte zeigt sich bereits bei § 8c KStG. c) Relevanz außersteuerlicher Gründe Nach § 42 Abs. 2 S. 2 AO n. F. liegt kein Missbrauch vor, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind. Mit dem Tatbestandsmerkmal der außersteuerlichen Gründe hat der Gesetzgeber ein weiteres Tatbestandsmerkmal der vom BFH im Laufe seiner Rechtsprechung entwickelten Missbrauchsdefinition in die gesetzliche Neufassung des § 42 AO übernommen. Vereinzelt wurde bereits in der Vergangenheit in der Literatur die Frage gestellt, inwieweit außersteuerliche Gründe eine vom Missbrauchverdikt salvierende Funktion haben können. Fischer kritisiert, dass es durch die Berücksichtigung außersteuerlicher Gründe wesentlich vom Ideenreichtum des Steuerpflichtigen abhänge, ob er sich durch außersteuerliche Gründe vom Vorwurf des Missbrauchs salvieren kann.45 Auch Drüen hat in der Vergangenheit die Frage aufgeworfen, ob farbenreiche Organigramme oder Powerpoint-Präsentationen zum Vergleich des Prä- und Postakquisitionszustandes, die erstrebte Effizienzgewinne und Synergieeffekte zu illustrieren suchen, erforderlich oder ausreichend sind.46 Hinsichtlich der Bedeutung dieser Gesetzesformulierung bestehen im Schrifttum allerdings unterschiedliche Ansichten. Eine Ansicht sieht in den außersteuerlichen Gründen ein negatives Tatbestandsmerkmal, welches die Unangemessenheit einer Gestaltung entfallen lässt.

45 46

Vgl. Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 278. Vgl. Drüen, DStZ 2006, S. 539 (543 ff.).

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Andere Stimmen in der Literatur sehen darin eine bloße Regelung zur Verteilung der objektiven Beweislast. Wendt versteht § 42 Abs. 2 S. 2 AO als ein negatives subjektives Tatbestandsmerkmal. Durch die Erlangung eines gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils werde eine Missbrauchsabsicht des Steuerpflichtigen vermutet.47 Diese Vermutung könne der Steuerpflichtige widerlegen, indem er nachweist, dass für die Gestaltung beachtliche außersteuerliche Gründe maßgeblich waren, er also nicht mit Missbrauchsabsicht gehandelt hat. Die herrschende Ansicht dagegen versteht § 42 Abs. 2 S. 2 AO als eine Beweislastregel.48 Danach kann der Steuerpflichtige, nachdem die Finanzverwaltung auf einer ersten Stufe das Vorliegen einer unangemessenen Gestaltung festgestellt hat, auf einer zweiten Stufe durch den Nachweis außersteuerlicher Gründe den Missbrauchsvorwurf entkräften. Die Gesetzesbegründung rechtfertigt diese „partielle Beweislastumkehr“ damit, dass die Gründe für die Gestaltung aus der Sphäre des Steuerpflichtigen stammen und damit von der Finanzverwaltung schwierig zu ermitteln sind.49 Diese gesetzliche Beweislastumkehr gilt allerdings nur für die Frage, ob außersteuerliche Gründe vorliegen, nicht aber hinsichtlich der Frage, ob diese Gründe auch beachtlich sind, da es sich bei letzterer Frage um eine Wertung handelt, die von der Finanzverwaltung ohne Mitwirkung des Steuerpflichtigen vorgenommen werden kann.50 Es besteht in der Literatur grundsätzlich Einvernehmen darüber, dass trotz dieser Beweislastregel die Finanzverwaltung im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht solche außersteuerlichen Gründe zu berücksichtigen hat, die ihr erkennbar sind. Unklar ist aber, ob der Steuerpflichtige das Vorliegen außersteuerlicher Gründe positiv nachweisen muss oder ob es insoweit ausreicht, dass der Steuerpflichtige Indizien vorträgt, die zumindest den Glauben an das Fehlen außersteuerlicher Gründe erschüttern.51 Ein positiver Nachweis in Form eines Beweises des Gegenteils wäre dann erforderlich, wenn § 42 Abs. 2 AO eine gesetzliche Vermutung für das Fehlen außersteuerlicher Gründe enthalten würde.52

47

Vgl. Wendt, DStJG 33 (2010), S. 117 (131 f.). Vgl. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 27 ff.; ders., Ubg 2008, S. 31 (37); Hey, BB 2009, S. 1044 (1047); Mack/Wollweber, DStR 2008, S. 182 (185 f.); Heintzen, FR 2009, S. 599 (604 f.); Hahn, DStZ 2008, S. 483 (490); Dörr/Fehling, NWB 2008, Fach 2, S. 9671 (9680 ff.); Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rz. 82. 49 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/6290, S. 81. 50 Vgl. Dörr/Fehling, NWB 2008, Fach 2, S. 9671 (9680 ff.). 51 Vgl. Heintzen, FR 2009, S. 599 (604 f.). 52 Vgl. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 32; Ratschow, in: Klein, AO, 10. Aufl. 2009, § 42 Rz. 82; Heintzen, FR 2009, S. 599 (604 f.); Mack/Wollweber, DStR 2008, S. 182 (185 f.). 48

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Gegen eine Qualifikation von § 42 Abs. 2 AO als gesetzliche Vermutung spricht aber, dass es sich bei einer solchen Vermutung um einen Fremdkörper im Besteuerungsverfahren handeln würde.53 Es gilt nach § 88 AO grundsätzlich der Untersuchungsgrundsatz, wonach die Finanzbehörde von Amts wegen den der Besteuerung zugrunde liegenden Sachverhalt unter Verwendung der ihr zur Verfügung stehenden Beweismittel zu ermitteln hat. Die bestehenden Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen wie z. B. die Buchführungspflicht oder die Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO schränken diesen Grundsatz zwar ein, setzen den Amtsermittlungsgrundsatz aber nicht außer Kraft. Auch durch § 42 Abs. 2 S. 2 AO wird der Amtsermittlungsgrundsatz nicht außer Kraft gesetzt.54 Gegen eine gesetzliche Vermutung spricht zudem, dass die Regelung laut der Gesetzesbegründung dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eröffnen soll, „die Annahme eines Missbrauchs durch Nachweis außersteuerlicher Gründe zu entkräften.“ 55 Diese Umschreibung entspricht dem Gegenbeweis (d. h. nicht dem Beweis des Gegenteils). Zudem wird in der Gesetzesbegründung eine Parallele zur Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO gezogen.56 Rechtsfolge einer Verletzung dieser Mitwirkungspflicht ist nur im Fall der Nichtaufklärbarkeit eine Beweislastumkehr. Auch aus Gründen der Beweisparität wäre ein Beweis des Gegenteils unangemessen, da für den Nachweis des Missbrauchs durch die Finanzbehörde nach § 42 Abs. 2 S. 1 AO weiterhin Indizien und tatsächliche Vermutungen greifen.57 Daher muss auf Seiten des Steuerpflichtigen der Gegenbeweis zur Entkräftung nach § 42 Abs. 2 S. 2 AO ausreichen. d) Mögliche Konsequenzen der Neuregelung für Treaty Shopping-Sachverhalte Schärfere Rechtsfolgen ergäben sich, wenn man mit Fischer das Tatbestandsmerkmal der außersteuerlichen Gründe dahingehend verstehen würde, dass damit vor allem Fälle eines Gesamtplan-Verdachts erfasst werden. Allerdings ist dieses Verständnis von Fischer Ausdruck der von ihm vertretenen Innentheorie. Der Gesetzgeber hat sich durch die Anerkennung der Motive des Steuerpflichtigen im 53 Vgl. Heintzen, FR 2009, S. 599 (604 f.); als gesetzliche Vermutung qualifizieren die Regelung Mack/Wollweber, DStR 2008, S. 182 (185 f.): Der Steuerpflichtige trägt nicht die alleinige Beweislast für das Vorliegen entsprechender Gründe trägt. D.h., dass auch die Finanzverwaltung im Rahmen der Amtsermittlungspflicht das Vorliegen entsprechender Gründe zu ermitteln hat. Soweit sie keine Gründe findet, geht dies zu Lasten des Stpfl. Der Stpfl. kann ebenfalls Grde. vortragen, muss aber positiv beweisen, dass keine außersteuerlichen Gründe vorliegen. 54 Vgl. Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rz. 82; Heintzen, FR 2009, S. 599 (604 f.). 55 Vgl. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, vor § 42 AO Rz. 32. 56 Vgl. Heintzen, FR 2009, S. 599 (604 f.). 57 Vgl. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, vor § 42 AO Rz. 32.

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Rahmen der Neufassung von § 42 AO durch das JStG 2008 der Außentheorie zugewandt.58 Auf Grundlage des oben dargelegten Verständnisses der Neuregelung des § 42 AO ergeben sich m. E. aus der Neufassung des § 42 AO keine Konsequenzen für die Anwendung der Norm auf Treaty Shopping-Sachverhalte. Die Neuregelung stellt m. E. keine Verschärfung des bisherigen allgemeinen Missbrauchstatbestands dar, da sich die neu aufgenommene Missbrauchsdefinition weitestgehend an der vom BFH im Laufe seiner Rechtsprechung entwickelten Missbrauchsdefinition orientiert.59 Auch die in § 42 Abs. 2 S. 2 AO vorgesehene Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen sollte keine praktischen Auswirkungen haben. Bereits bislang gab es nach Rspr. bei häufig wiederkehrenden typischen Gestaltungen eine Vermutung zu Lasten des Steuerpflichtigen. Konnte der Steuerpflichtige keine Gründe nennen, durfte die Finanzverwaltung zu Lasten des Steuerpflichtigen von deren Fehlen ausgehen. Nur soweit bislang eine solche Vermutung nicht bestand, kann von einer Verschärfung gesprochen werden.

II. Europarechtskonforme Ausgestaltung 1. Einführung eines Gegenbeweisrechts In Zusammenhang mit der Europarechtswidrigkeit des § 50d Abs. 3 EStG wird vielfach argumentiert, dass § 50d Abs. 3 EStG deshalb nicht europarechtskonform sei, weil die Regelung dem betroffenen Steuerpflichtigen, d. h. dem Antrag stellenden ausländischen Unternehmen kein Gegenbeweisrecht einräumt.60 58

Vgl. Hey, BB 2009, S. 1044 (1047). So auch Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 42 Rz. 36 f.; Heintzen, FR 2009, S. 599 (604); a. A. Mack/Wollweber, Erhebliche Verschärfung zu Lasten des Stpfl., da dieser Gegenteil beweisen muss. 60 Vgl. Kessler/Eicke, IStR 2006, S. 577 (582): Im Gesetz muss Recht zum Gegenbeweis verankert sein unter Verweis auf ICI und Saint Gobain; Kempf/Meyer, DStZ 2007, S. 584 (589): Derart stark typisierende Regelung nach Gemeinschaftsrecht nur zulässig, wenn Gegenbeweismöglichkeit; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rz. 26: EuGH verlangt in Cadbury die durchgängige – und primärrechtlich fundierte – Möglichkeit, einen Gegenbeweis (sog. Motivtest) im Einzelfall erbringen zu können. Im Rahmen dieses Motivtests muss dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit gegeben werden, die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft zu rechtfertigen, wenn dieser gewöhnlich abzuverlangende Substanzerfordernisse fehlen. Denn solche Erfordernisse hängen immer (auch) von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab, wozu gerade die besondere Funktion der KapGes gehören kann. Der Motivtest erfordert eine echte Einzelfallprüfung, nicht aber die bloße (und ohnehin selbstverständliche) Subsumtion unter Tatbestandsmerkmale, gleichviel, ob diese durch Gesetz konstituiert oder durch die Rspr. geprägt und geschaffen wurden; Günkel/Lieber, DB 2006, S. 2197 (2199): Zwar steht Art. 1 Abs. 2 MTRL der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Missbrauch nicht entgegen. Aber bekanntlich betrachtet der EuGH typisierende Missbrauchsvorschriften sehr restriktiv. [. . .] Auch wenn in den Urteilen in den Rs. Marks & Spencer und Cadbury Schweppes die Aufweichung dieser 59

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Es wird geltend gemacht, dass der Steuerpflichtige auch dann, wenn er z. B. weniger als 10 % der Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt, zumindest berechtigt sein müsse nachzuweisen, dass es sich bei der ausländischen Gesellschaft um keine rein künstliche Gestaltung im Sinne der EuGH-Rechtsprechung handelt.61 In Betracht käme daher die Ergänzung von § 50d Abs. 3 EStG durch einen Zusatz, der innerhalb der EU ansässigen, ausländischen Gesellschaft das Recht einräumt, trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG den Nachweis einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit zu erbringen. Ein Gegenbeweisrecht könnte in Anlehnung an die Regelung des durch das Jahressteuergesetz 200862 neu eingeführten § 8 Abs. 2 S. 1 AStG ausgestaltet sein. Mit der Einführung von § 8 Abs. 2 S. 1 AStG hat der deutsche Gesetzgeber auf das Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes reagiert, um eine europarechtskonforme Ausgestaltung der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung zu schaffen. Angelehnt an das in § 8 Abs. 2 AStG verankerte Gegenbeweisrecht könnte eine entsprechende Ergänzung von § 50d Abs. 3 EStG in einem neuen Satz 4 wie folgt lauten: „Ungeachtet der Sätze 1 bis 3 hat eine Gesellschaft, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat, einen Anspruch auf Entlastung nach Absatz 1 oder Absatz 2, wenn die Gesellschaft nachweisen kann, dass sie einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht.“

Für eine enge Anlehnung an die Formulierung des § 8 Abs. 2 AStG würde insbesondere sprechen, dass für Inbound- und Outbound-Sachverhalte ein einheitlicher Wertmaßstab gelten würde. Bezüglich der Einführung eines Gegenbeweisrechts stellt sich allerdings zum einen die generelle Frage, ob eine offenkundig europarechtswidrige Regelung allein durch die bloße Einräumung des Gegenbeweisrechts europarechtskonform Kriterien zu erkennen sein könnte, so bleibt es dabei, dass eine Typisierung nur Bestand haben kann, wenn mind. eine Widerlegung im Einzelfall möglich ist. Auch nach Cadbury-Urteil ist nur eine Typisierung erlaubt, die im Sinne einer widerlegbaren Vermutung wirkt und dem Stpfl. den Gegenbeweis eröffnet, dass er im konkreten Fall nicht missbräuchlich gehandelt hat; Hahn-Joecks, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rz. A 37a: Gesetzgeber hat den vom EUGH für erforderlich gehaltenen Motivtest nicht berücksichtigt. Zwar sei dem Gesetzgeber zuzugestehen, dass jedes der drei Tatbestandsmerkmale einen Missbrauch indiziert. Allerdings unterstellt das Gesetz Missbrauch ohne Gegenbeweismöglichkeit. Insbesondere die 10 %-Grenze wird kritisch gesehen. Entlastungsversagung ohne Einzelfallprüfung dürfte unzulässig sein; Nieland, in: Lademann, EStG, § 50d Rz. 284: Widerlegung der Missbrauchsvermutung kraft gesetzlicher Fiktion muss im Einzelfall möglich sein; Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 158: Aus europarechtlichen Gründen ist es zwingend erforderlich, einen Gegenbeweis zuzulassen. 61 Vgl. Kaiser, IStR 2009, S. 121 (124); Micker, IStR 2009, S. 409 (413); HahnJoecks, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rz. A 37a. 62 Jahressteuergesetz 2008 v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, S. 3150.

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ausgestaltet werden kann. Zum anderen stellt sich die Frage, ob ein Gegenbeweisrecht analog zu § 8 Abs. 2 AStG im Rahmen von § 50d Abs. 3 EStG aufgrund der unterschiedlichen Struktur der Vorschriften überhaupt einen Sinn ergeben würde. Einführung eines Gegenbeweisrechts als „Heilung“ der Europarechtswidrigkeit? Grundlage der Diskussion über die Heilung der Europarechtswidrigkeit durch die Einräumung eines Gegenbeweisrechts ist das EuGH-Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes.63 Wie bereits dargestellt, sahen die Regelungen der britischen Hinzurechnungsbesteuerung insgesamt fünf Ausnahmen vor, bei deren Vorliegen die Hinzurechnungsbesteuerung keine Anwendung fand. Sofern keine der anderen vier Ausnahmen eingriff, konnte die Hinzurechnungsbesteuerung durch einen sog. Motivtest vermieden werden, durch welchen der Steuerpflichtige nachweisen konnte, dass die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft nicht überwiegend der Minderung der in Großbritannien anfallenden Steuer oder der Verlagerung von Gewinnen aus Großbritannien in das Ausland gedient hat. Wie ebenfalls bereits dargestellt, ist der EuGH in seinem Urteil zu dem Ergebnis gekommen, dass die Regelungen der britischen Hinzurechnungsbesteuerung dann nicht europarechtswidrig sind, wenn der in den britischen Regelungen vorgesehene Motivtest so ausgelegt werden kann, dass er es ermöglicht, die Anwendung der von diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Besteuerung auf rein künstliche Gestaltungen zu beschränken. Aus diesen Ausführungen des EuGH wird in der Literatur allgemein der Schluss gezogen, dass entgegen der früheren Rechtsprechung des EuGH auch typisierende nationale Missbrauchsnormen grundsätzlich mit Europarecht vereinbar sind, vorausgesetzt, dass sie dem Steuerpflichtigen den Nachweis ermöglichen, dass keine rein künstliche Gestaltung vorliegt.64 Auch der deutsche Gesetzgeber hat das EuGH-Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes dahingehend verstanden und das oben dargestellte Gegenbeweisrecht des Steuerpflichtigen in § 8 Abs. 2 AStG verankert. In der Gesetzesbegründung zu § 8 Abs. 2 AStG65 heißt es insoweit: „In der Rs. Cadbuy Schweppes stellte der EuGH fest, dass den Steuerpflichtigen die Beweislast für eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft auferlegt werden kann, wenn Indizien für eine künstliche Gestaltung gegeben sind. Ein solches Indiz kann die niedrige Besteuerung sein. Die Niedrigsteuergrenze des § 8 Abs. 3 AStG und der Katalog passiver Einkünfte im Sinne des § 8 Abs. 1 AStG sind damit Merkmale, die für die typisierende Vermutung einer künstlichen Gestaltung herangezogen werden können.“ 63

EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, S. 7995. Siehe u. a. Goebel/Palm, IStR 2007, S. 720 (722); Wassermeyer/Schönfeld, GmbHR 2007, S. 1065 (1072); Kempf/Meyer, DStZ 2007, S. 584 (589); Kraft/Bron, IStR 2006, S. 614 (618). 65 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 4.9.2007, BT-Drs. 16/6290. 64

II. Europarechtskonforme Ausgestaltung

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Es stellt sich daher die Frage, ob eine nationale Missbrauchsbekämpfungsnorm immer schon dann als europarechtskonform anzusehen ist, wenn dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eines Gegenbeweises eingeräumt wird. Seit dem Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes besteht Klarheit darüber, dass typisierende nationale Missbrauchsbekämpfungsvorschriften nicht generell als europarechtswidrig zu qualifizieren sind. Noch nicht abschließend geklärt ist in diesem Zusammenhang aber die Frage, inwieweit eine nationale Missbrauchsbekämpfungsvorschrift, die das Vorliegen eines Missbrauchs anhand typisierender Tatbestandsmerkmale vermutet, die Beweislast für das Nichtvorliegen einer rein künstlichen Gestaltung über die gesteigerte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten (§ 90 Abs. 2 AO) hinaus vollständig auf den Steuerpflichtigen überwälzen kann. Von einer solchen Möglichkeit der vollständigen Überwälzung der Beweislast auf den Steuerpflichtigen geht aber der Gesetzgeber im Rahmen von § 8 Abs. 2 AStG für den Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung aus. Danach trägt der Steuerpflichtige die alleinige Beweislast für die Ausübung einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit durch die ausländische Gesellschaft. Auch Teile der Literatur vertreten die Ansicht, dass der nationale Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen die volle Beweislast aufbürden darf.66 Des Weiteren scheint sich auch der BFH diesem Verständnis durch eine einschränkende Auslegung nationaler Regelungen im Wege der geltungserhaltenden Reduktion anzuschließen. Für die Möglichkeit einer Überwälzung der Beweislast spricht zwar die Formulierung des Generalanwalts Leger in seinen Schlussanträgen in der Rs. Cadbury Schweppes, wonach der Steuerpflichtige die Möglichkeit haben muss, die mit der streitigen Regelung eingeführte Vermutung zu widerlegen.67 Das hieße, dass im Falle des Vorliegens der typisierenden Tatbestandsmerkmale grundsätzlich der Steuerpflichtige das Risiko tragen würde, nicht anhand objektiver Umstände nachweisen zu können, dass es sich bei der ausländischen Gesellschaft nicht um eine rein künstliche Gestaltung handelt, während die Finanzverwaltung im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht nur die Voraussetzungen des Vorliegens der typisierenden Tatbestandsmerkmale zu prüfen hätte. Der EuGH hat die Aussage des Generalanwalts in dieser Deutlichkeit nicht übernommen. Stattdessen spricht der EuGH nur davon, dass „der ansässigen Gesellschaft, die hierzu am ehesten in der Lage ist, die Gelegenheit zu geben ist, Beweise für die tatsächliche Ansiedlung der beherrschten ausländischen Gesellschaft und deren tatsächliche Betätigung vorzulegen“.68 Zu66 Vgl. Drüen, StuW 2008, S. 154 (164); Böing, RIW 2007, S. 161 (168); Hahn, IStR 2006, S. 667 (669). 67 Schlussanträge des GA Léger in der Rs. Cadbury Schweppes v. 2. Mai 2006, C196/04, Slg 2006, I-7995 Rz. 144. 68 EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, 7995, Rn. 70; dazu auch Sedemund, BB 2008, S. 696 (699).

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dem ist die vorgenannte Aussage des Generalanwalts hinsichtlich der Erbringung des Gegenbeweises durch den Steuerpflichtigen vor dem Hintergrund seiner weiteren Ausführungen zu sehen. In seinen Schlussanträgen hat er ausdrücklich hervorgehoben, dass die britischen Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung „nur unter genau bestimmten Umständen anwendbar“ sind, „die auf den Fall zugeschnitten sind, dass die Gefahr einer Steuerflucht am Wahrscheinlichsten ist“.69 Auch der EuGH hat in seinem Urteil festgestellt, dass nach den britischen Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung von vorneherein Fälle ausgenommen wurden, in denen gerade keine Missbrauchsgefahr besteht.70 M. E. kann aus der vorgenannten Rechtsprechung des EuGH nicht abgeleitet werden, dass durch die bloße Einräumung eines Gegenbeweisrechts immer eine Europarechtskonformität typisierender nationaler Missbrauchsregelungen herbeigeführt werden kann.71 Von einer Gelegenheit zur Vorlage von Beweisen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH kann nicht mehr gesprochen werden, wenn den Steuerpflichtigen die alleinige Darlegungs- und Beweislast trifft.72 Es ist stattdessen davon auszugehen, dass die Einräumung eines Gegenbeweisrechts nur dann eine europarechtskonforme Ausgestaltung einer nationalen Missbrauchsbekämpfungsnorm bewirken kann, wenn die typisierenden Tatbestandsmerkmale spezifisch darauf ausgerichtet sind, typische Missbrauchsfälle zu erfassen.73 Hätten die Mitgliedstaaten hingegen die Möglichkeit, sehr weit gefasste Missbrauchsvermutungen zu definieren und könnten sie sich dann darauf zurückziehen, dem Steuerpflichtigen ein Gegenbeweisrecht eingeräumt zu haben, weshalb dieser die Beweislast für das Nichtvorliegen eines Missbrauchs trägt, würde es zu einer nicht zu rechtfertigenden Aushöhlung des Grundfreiheitenschutzes der Steuerpflichtigen kommen. Pauschale Escape-Klauseln sind daher mit den Grundfreiheiten nicht vereinbar. Auch die EU-Kommission teilt in ihrer Mitteilung vom 10. Dezember 2007 die Auffassung, dass die Beweislast nicht ausschließlich beim Steuerpflichtigen liegt.74 Das bedeutet, dass der Gesetzgeber, sofern er typisierende Tatbestände zu schaffen beabsichtigt, dabei an ganz spezifische Missbauchssachverhalte anknüpfen muss. Nur dann, wenn die Vermutungsbasis an spezifische Missbrauchsfälle anknüpft, können typisierende natio69 Schlussanträge des GA Léger in der Rs. Cadbury Schweppes v. 2. Mai 2006, C196/04, Slg 2006, I-7995 Rn. 137. 70 EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, 7995 Rn. 61. 71 So u. a. auch Englisch, StuW 2009, S. 3 (8); Köhler/Haun, Ubg 2008, S. 73 (84); Hey, Forum der Int. Besteuerung, S. 137 (167 f.). 72 Reiche, in: Haase, AStG/DBA, § 8 AStG Rz. 131; Sedemund, BB 2008, S. 696 (699); Hammerschmitt/Rehfeld, IWB, Fach 3 Deutschland Gruppe 1, S. 2293 (2300). 73 Der veraltete Passivkatalogs des § 8 Abs. 1 AStG verbunden mit einer generellen Beweislastumkehr sollte insoweit nicht ausreichend sein zur Definition eines spezifischen Missbrauchstatbestandes, vgl. Köhler/Eicker, DStR 2007, S. 331 (334); Kraft, in: Kraft, AStG/DBA, § 8 AStG Rz. 800. 74 Mitteilung der Kommission vom 10.12.2007, KOM(2007) 785, S. 6.

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nale Missbrauchsregelungen durch die Einräumung eines Gegenbeweisrechts europarechtskonform ausgestaltet werden. Wird auf Grundlage solcher typisierter Tatbestände dann ein Missbrauch vermutet, muss der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit einräumen, trotz der Indizien für eine rein künstliche Gestaltung nachzuweisen, dass keine rein künstliche Gestaltung vorliegt. Auf Grundlage der vorstehenden Ergebnisse kann m. E. durch die Einführung eines Gegenbeweisrechts nicht die Europarechtskonformität der Regelung des § 50d Abs. 3 EStG hergestellt werden. Die Aufnahme eines Gegenbeweisrechts würde für eine europarechtskonforme Ausgestaltung zumindest eine spezifische Ausrichtung des § 50d Abs. 3 EStG auf typische Missbrauchsfälle erfordern. Durch die statische 10 %-Grenze sowie das Erfordernis des kumulativen Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzung des § 50d Abs. 3 EStG fehlt es m. E. bereits an einer derart spezifischen Ausgestaltung des § 50d Abs. 3 EStG, so dass schon aufgrund dieses Umstandes die Einführung eines Gegenbeweisrechts nicht zu einer europarechtskonformen Ausgestaltung führen könnte. Im Übrigen wäre ein solches Gegenbeweisrecht zumindest in der hier diskutierten Form deshalb nicht zielführend, weil die tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit, auf welche § 8 Abs. 2 AStG abstellt, nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 50d Abs. 3 EStG gerade nicht ausreicht, um einen Missbrauch zu verneinen. Selbst wenn eine Gesellschaft eine solche Tätigkeit ausübt, ist nach § 50d Abs. 3 EStG gleichwohl dann ein Missbrauchsfall gegeben, wenn nicht gleichzeitig auch die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen der Norm vorliegen. Die Einführung eines Gegenbeweisrechts käme nur in Kombination mit einer Neufassung des Tatbestandes des § 50d Abs. 3 EStG in Betracht, welche darauf abzielt, den Tatbestand so eng zu fassen, dass bestimmte Indizien aufgestellt werden, die typische Missbrauchsfälle charakterisieren. 2. Europarechtskonforme Ausgestaltung als spezielle Missbrauchsklausel Es stellt sich die Frage, ob alternativ zu einer gänzlichen Abschaffung von § 50d Abs. 3 EStG und der daraus folgenden Anwendung der allgemeinen Missbrauchsregelung des § 42 AO eine europarechtskonforme Ausgestaltung von § 50d Abs. 3 EStG als europarechtskonforme, spezielle Missbrauchsregelung vorzugswürdig wäre. Dies setzt voraus, dass überhaupt ein Bedürfnis nach einer spezialgesetzlichen Regelung besteht. Wie bereits in der einleitenden Darstellung zu Beginn der Arbeit gezeigt wurde, ist der ursprüngliche Grund für die Regelung weggefallen, weil der BFH die Anwendung von § 42 AO entgegen dem Monaco-Urteil in seinen nachfolgenden Entscheidungen auch auf beschränkt Steuerpflichtige angewandt hat. Es ist daher zu untersuchen, ob und inwieweit § 50d Abs. 3 EStG als

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spezialgesetzliche Missbrauchsnorm überhaupt (noch) einen eigenständigen Regelungsbereich bzw. eine anderweitige Bedeutung hat, die das Bestehen einer Sonderregelung zu rechtfertigen vermag. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass dem Thema „Steuervereinfachung“ sowohl in der politischen Debatte als auch innerhalb der Wissenschaft ein hoher Stellenwert eingeräumt wird.75 a) Relevanz spezialgesetzlicher Missbrauchsnormen Die Untersuchung der Frage, inwieweit die Existenz einer spezialgesetzlichen Missbrauchsnorm überhaupt gerechtfertigt werden kann, muss bei der Analyse des Zwecks ansetzen, der mittels solcher sondergesetzlichen Regelungen verfolgt wird. Die Schaffung spezialgesetzlicher Missbrauchsnormen76 ist ein Phänomen, welches in den vergangenen Jahren immer mehr in den Mittelpunkt der deutschen Steuergesetzgebung gerückt ist.77 So wurde ein nicht unerheblicher Teil der Maßnahmen zur Gegenfinanzierung der Unternehmensteuerreform 2008 damit begründet, dass durch die Neuregelungen Steuerumgehungen und die Verlagerung deutschen Steuersubstrats in das Ausland vermieden werden sollen.78 Dabei kann grundsätzlich zwischen zwei Arten spezialgesetzlicher Missbrauchsnormen unterschieden werden: Zum einen solchen Regelungen, deren Zweck in einer tatbestandlichen Konkretisierung von § 42 AO besteht und zum anderen solchen Regelungen, die einen neuen, eigenständigen Missbrauchstatbestand schaffen. aa) Spezialgesetzliche Konkretisierungen des allgemeinen Gestaltungsmissbrauchs Spezialgesetzliche Konkretisierungen des allgemeinen Gestaltungsmissbrauchs haben zum Ziel, den sehr unbestimmten Tatbestand des § 42 AO dahingehend zu konkretisieren, dass bestimmte Sachverhaltskonstellationen typisierend dem Missbrauchsverdikt unterworfen werden. Dies geschieht dadurch, dass sie den Missbrauch in sachlicher, zeitlicher oder persönlicher Hinsicht konkretisieren.79 Sie wollen in Anbetracht der Schwierigkeiten der Anwendung des generalklauselartigen § 42 AO lediglich den Zugriff in bestimmten typischen Fällen erleich75 Vgl. z. B. 22. Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft, Tagungsband, hrsg. von P. Fischer, DStJG 21 (1998). 76 Aus der wenigen Literatur zur Systematisierung spezialgesetzlicher Missbrauchsvorschriften vgl. Hey, StuW 2008, S. 167 ff.; dies., DStJG 33 (2010), S. 139 ff.; Crezelius, StuW 1995, S. 313; Roser, FR 2005, S. 178. 77 Vgl. Hey, StuW 2008, S. 167. 78 Vgl. Hey, StuW 2008, 167; BT-Drs. 16/4841, S. 1 (29 ff.). 79 Vgl. Drüen, in: Tikpe/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 20.

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tern und einfacher machen.80 Die spezielle Missbrauchsregelung hat insoweit exemplifizierenden Charakter. Diese Regelungen wirken dadurch vereinfachend, dass sie durch möglichst konkret gefasste Tatbestandsmerkmale, insbesondere durch die Verwendung sog. „save havens“ in Form von Freibeträgen, Freigrenzen und Fristen81 das Risiko des Missbrauchsvorwurfs reduzieren, sofern sich der Steuerpflichtige innerhalb dieser „save havens“ bewegt.82 Der Steuerpflichtige erhält dadurch eine gewisse Rechtssicherheit, sofern man davon ausgeht, dass diese speziellen Missbrauchsregelungen die allgemeine Regelung des § 42 AO sperren. Auch die EU-Kommission betont im Hinblick auf typisierende Missbrauchsvorschriften, dass die Aufstellung bestimmter sachgerechter Kriterien zu einer ausgeglichenen Anwendung der nationalen Missbrauchsbekämpfungsvorschriften führt, da sie für die Steuerpflichtigen im Interesse der Rechtssicherheit und für die Steuerverwaltung im Interesse der Praktikabilität liegt.83 Allerdings wird auch darauf hingewiesen, dass es sich bei der Vorstellung, dass spezialgesetzliche Missbrauchstatbestände in der Rechtspraxis Rechtssicherheit erzeugen können, um eine Illusion handelt.84 In der Praxis erweisen sich diese Spezialregelungen gerade als besonders streitanfällig, da sie aufgrund der Schwierigkeit, den Missbrauchstatbestand konkret zu fassen, häufig sehr komplex sind und zudem eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe enthalten. Beispielhaft kann insoweit auf die riesige Menge an Literatur zur Änderung von § 50d Abs. 3 EStG verwiesen werden, welche sich zu einem Großteil Auslegungsfragen der Regelung widmet. Auch das zu dieser Regelung ergangene BMF-Schreiben bleibt zumeist im Ungewissen und enthält keine für die Praxis weiterführenden Hinweise z. B. bezüglich der Frage, was wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe sein können. Dem Vereinfachungsinteresse der Finanzverwaltung wird hingegen schon dadurch Rechnung getragen, dass spezialgesetzliche Missbrauchsregelungen regelmäßig als unwiderlegliche Typisierungen ausgestaltet sind.85 Bedeutung hat die spezielle Missbrauchsgesetzgebung insbesondere auch als Lenkungsmaßnahme. Spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschriften erzeugen Gestaltungswirkungen, indem sie eine abschreckende Wirkung entfalten.86 So wird infolge der Verschärfung des § 50d Abs. 3 EStG und der insoweit vertretenen Europarechtswidrigkeit gleichwohl empfohlen, zumindest geschäftsleitende Holdings zu errichten, um nicht in den Anwendungsbereich von § 50d Abs. 3 EStG zu gelangen. Für den Steuerpflichtigen stellt es zumeist keine Alternative 80

Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 1993, S. 1346 f. Vgl. dazu die systematische Zusammenstellung bei Roser, FR 2005, S. 178 (178 f.). 82 Vgl. Hey, StuW 2008, S. 167 (172). 83 Mitteilung der Kommission vom 10.12.2007, KOM(2007) 785, S. 5. 84 Vgl. Hey, BB 2009, S. 1044 (1045). 85 Hey, StuW 2008, S. 167 (172). 86 Hey, StuW 2008, S. 167 (172). 81

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dar, in einem mehrjährigen Rechtsstreit die Europarechts- oder Verfassungsrechtswidrigkeit einer Norm durchzufechten. Im Gegensatz zu typisierenden Missbrauchsregelungen haben Generalklauseln den Vorteil der Entwicklungsoffenheit, zudem ist ihre Anwendung durch die Rechtsprechung nicht einseitig von fiskalischen Interessen geleitet und bietet damit eine größere Gewähr dogmatischer Konsistenz als dies bei einer gesetzgeberischen Regelung zu erwarten ist.87 bb) Missbrauchsbegründende Tatbestände Andererseits besteht der Zweck spezieller Missbrauchsvermeidungsnormen vielfach darin, gesetzlich eröffnete Handlungsoptionen des Steuerpflichtigen in Situationen einzuschränken, in denen der BFH die Anwendung von § 42 AO abgelehnt hat.88 Zu letzteren Normen zählen u. a. die frühere Mantelkaufregelung des § 8 Abs. 4 KStG a. F. sowie die Regelungen zur Gesellschafterfremdfinanzierung. Letztere Regelungen dienen insbesondere der Einnahmeerzielung. cc) Schlussfolgerungen für die Rechtfertigung spezialgesetzlicher Missbrauchstatbestände Spezialgesetzliche Regelungen haben m. E. nur dann eine Berechtigung, wenn sie den vorgenannten Zwecken gerecht werden, d. h. wenn sie – in mit übergeordnetem Recht vereinbarer Weise – entweder tatsächlich einen Sachverhalt als Missbrauch qualifizieren, der bislang vom BFH als nicht missbräuchlich angesehen wurde oder wenn sie eine Konkretisierung des allgemeinen Missbrauchstatbestandes des § 42 AO für bestimmte Gestaltungen darstellen und damit eine größere Rechtssicherheit für den Steuerpflichtigen zur Folge haben. Sofern hingegen keiner dieser Zwecke erfüllt wird, können derartige Spezialregelungen m. E. steuersystematisch nicht gerechtfertigt werden und sollten mangels Zweckerreichung ersatzlos gestrichen werden. Es bedarf keiner Steuernormen um ihrer selbst Willen. Von einer fehlenden Zweckerreichung in diesem Sinn ist auch dann auszugehen, wenn die spezialgesetzliche Regelung als offenkundig europarechtswidrig anzusehen ist und es absehbar ist, dass der Regelungsgehalt im Fall einer europarechtskonformen Ausgestaltung über denjenigen der finanzgerichtlichen Rechtsprechung nicht hinausgeht, weil in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung bereits eine ausreichende Konkretisierung der jeweiligen Fallkonstellation durch die Bildung entsprechender Fallgruppen erfolgt ist. Grundlegende Voraussetzung für eine spezialgesetzliche Missbrauchsregelung ist daher, dass zunächst diejenigen Sachverhalte identifiziert werden, in denen spezielle Kons87 88

Hey, BB 09, S. 1044 (1045). Vgl. Roser, FR 2005, S. 178; Hey, BB 2009, S. 1044 (1045).

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tellationen einen Missbrauch erlauben.89 Nachfolgend sollen solche Sachverhalte im Hinblick auf ein missbräuchliches Treaty Shopping näher untersucht werden. b) Weiteres Vorgehen und Analyse missbräuchlicher Treaty Shopping-Fallgestaltungen Ausgehend von dem Ziel, Treaty Shopping-Gestaltungen durch zwischengeschaltete Gesellschaften zu vermeiden, gilt es zunächst solche Sachverhalte zu identifizieren, die allein dem Zweck der Reduzierung deutscher Quellensteuer dienen. Um diese Sachverhalte näher einzugrenzen, soll zunächst durch Bildung von Fallgruppen versucht werden, missbräuchliche sowie vom Missbrauchsverdikt auszunehmende Sachverhaltsgestaltungen zu identifizieren. aa) Sachverhalte, in denen durch die jeweilige Struktur kein steuerlicher Vorteil erlangt wird Von einer missbräuchlichen Gestaltung sollte nur dann ausgegangen werden können, wenn der Steuerpflichtige durch die von ihm gewählte Gestaltung tatsächlich einen steuerlichen Vorteil erlangt. (1) Anteilseigner der ausländischen Gesellschaft hätte bei direkter Beteiligung denselben Entlastungsanspruch An einer Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft allein mit dem Ziel des Treaty Shoppings fehlt es, wenn der hinter der ausländischen Gesellschaft stehende Steuerpflichtige bei direkter Beteiligung an der deutschen Gesellschaft in derselben Höhe eine Erstattung der deutschen Kapitalertragsteuer verlangen könnte wie die ausländische Gesellschaft. Zu Recht nimmt daher auch die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG solche Fälle aus.90 Auch international herrscht im Grundsatz Einvernehmen, dass in diesen Fällen die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft kein missbräuchliches Verhalten darstellt. Im Kommentar zum OECD-Musterabkommen werden verschiedene Missbrauchskonzepte dargestellt, deren Aufnahme den Mitgliedstaaten 89

Vgl. Hahn, DStZ 2008, S. 483 (494). Diese Ausnahme enthielt bereits die ursprüngliche Fassung des § 50d Abs. 1a EStG; umstritten war insoweit lange Zeit jedoch, ob diese Ausnahme auch dann gilt, wenn der an der ausländischen Gesellschaft beteiligte Anteilseigner selbst zwar ebenfalls nicht abkommensberechtigt war, aber eine an diesem Anteilseigner unmittelbar oder mittelbar beteiligte Person abkommensberechtigt war; mittlerweile erkennt die Finanzverwaltung, wie oben bereits näher dargestellt, solche Beteiligungsketten an, sofern auf jeder Beteiligungsebene eine abstrakte Abkommensberechtigung besteht; im Übrigen hat diese Frage infolge der Einführung von § 44a Abs. 9 EStG an Bedeutung verloren. 90

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in ihre Doppelbesteuerungsabkommen freigestellt wird.91 Das in diesem Zusammenhang erörterte Durchgriffskonzept92 setzt zwar für die Frage, ob die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft missbräuchlich erfolgt ist, nicht bei der Gesellschaft selbst, sondern bei ihren Gesellschaftern an. Danach soll die Abkommensberechtigung einer ausländischen Gesellschaft nur insoweit bestehen, wie die Anteile an der ausländischen Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar von natürlichen Personen gehalten werden, die ebenfalls im Ansässigkeitsstaat der ausländischen Gesellschaft ansässig sind.93 Allerdings sieht dieses Konzept als Ergänzung den sog. „derivative benefit test“ vor, wonach sich eine Berechtigung zur Inanspruchnahme entsprechender Abkommensvorteile auch daraus ergeben kann, dass den Gesellschaftern der ausländischen Gesellschaften bei direkter Beteiligung an der ausschüttenden Gesellschaft ein Erstattungsanspruch in derselben Höhe zugestanden hätte. Auch die LOB-Klausel des DBA-USA enthält einen entsprechenden „derivative benefit test“, der allerdings nur unter deutlich strengeren Voraussetzungen und mit erheblichen Einschränkungen eine Entlastungsberechtigung gewährt.94 Diese Anforderungen gehen deutlich über das hinaus, was zur Missbrauchsabwehr erforderlich ist, da nicht ersichtlich ist, inwieweit eine ausländische Gesellschaft allein der Erlangung eines Abkommensvorteils dienen kann, wenn der Gesellschafter selbst ohnehin einen Anspruch in entsprechender Höhe hat. (2) Anteilseigner erlangt durch zwischengeschaltete ausländische Gesellschaft keinen steuerlichen Vorteil Des Weiteren stellt sich die Frage, ob vom Treaty Shopping von vornherein diejenigen Fälle auszunehmen sind, in denen die Gesellschafter der ausländischen Gesellschaft zwar nicht in derselben Höhe einen Erstattungsanspruch haben, die ausgeschüttete Dividende aber bei Weiterausschüttung an den Gesellschafter einer höheren oder gleich hohen Besteuerung unterliegt wie wenn der Gesellschafter der ausländischen Zwischengesellschaft direkt an der deutschen Gesellschaft beteiligt gewesen wäre. Das bedeutet, dass zwar in Deutschland eine teilweise oder vollständige Erstattung der Kapitalertragsteuer erfolgt, durch die Steuerbelastung auf Ebene der zwischengeschalteten Gesellschaft oder auf Ebene ihres Anteilseigners aber im Ergebnis kein steuerlicher Vorteil erlangt wird. Als Beispiel kann insoweit der Fall angeführt werden, dass zwar in Deutschland eine vollständige Erstattung der Kapitalertragsteuer erfolgt, aber die Ausschüttung der zwischengeschalteten Gesellschaft im Ansässigkeitsstaat der Zwi91 92 93 94

Vgl. Kommentar zu Art. 1 des OECD-Musterabkommens Tz. 13. Vgl. Kommentar zu Art. 1 des OECD-Musterabkommens Tz. 13. Vgl. Kommentar zu Art. 1 des OECD-Musterabkommens Tz. 13. Siehe dazu oben D. II. 2. b) bb) (3).

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schengesellschaft oder ihres Anteilseigners einer steuerlichen Belastung unterliegt, die genauso hoch oder höher als die deutsche Kapitalertragsteuer ist. In diesem Fall würde sich durch die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft allenfalls ein Steuerstundungseffekt ergeben, dessen Erlangung aber nicht als missbräuchlich qualifiziert werden kann, da es der Gesellschaft freisteht, ob sie Ausschüttungen vornimmt oder die Gewinne zunächst thesauriert. Die Nichterlangung eines steuerlichen Vorteils wird von der derzeitigen Fassung des § 50d Abs. 3 EStG nicht ausgenommen. Auch auf internationaler Ebene sehen die Missbrauchsklauseln keinen ausdrücklichen Ausnahmefall vom allgemeinen Missbrauchsverdikt vor. In einem Sachverhalt betreffend das DBA-Österreich ist die deutsche Finanzverwaltung vom Vorliegen einer missbräuchlichen Gestaltung ausgegangen, obwohl klar war, dass der Steuerpflichtige durch diese Gestaltung keinen steuerlichen Vorteil erlangt hat.95 M. E. besteht in diesem Sachverhalt keine Rechtfertigung für die Anwendung einer Missbrauchsregelung. Zwar wäre der deutsche Fiskus in diesen Fällen zu einer Kapitalertragsteuererstattung verpflichtet, allerdings macht der fehlende Steuervorteil deutlich, dass die Absicht des Treatyoder Directive-Shoppings nicht das maßgebliche Motiv für die Einschaltung der Zwischengesellschaft gewesen sein kann, da auf Ebene des Anteilseigners im Fall der Weiterausschüttung des Gewinns der Zwischengesellschaft insgesamt betrachtet kein Steuervorteil entsteht.96 bb) Sachverhalte, in denen durch die jeweilige Struktur ein steuerlicher Vorteil erlangt wird Sofern anders als in den zuvor unter aa) dargestellten Sachverhaltskonstellationen durch die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft tatsächlich ein Steuervorteil erzielt wird, stellt sich die Frage, in welchen Sachverhaltskonstellationen davon ausgegangen werden kann, dass die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft allein dem Ziel der Erlangung eines Steuervorteils diente, was die Annahme eines Missbrauchs rechtfertigen würde. (1) Operativ tätige ausländische Zwischengesellschaft Ausgangspunkt der Analyse verschiedener Fallgruppen soll eine Sachverhaltskonstellation sein, in welcher nach allgemeiner Ansicht unzweifelhaft kein Missbrauchssachverhalt vorliegt. Ein solcher Sachverhalt ist gegeben, wenn es sich bei der ausländischen Zwischengesellschaft selbst um eine operativ tätige Gesellschaft des produzierenden 95 96

Vgl. Bendlinger, ÖStZ 2007, S. 593 (595 f.). So auch Wagner/Fischer, FR 2008, S. 674 (676).

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Gewerbes handelt, welche sämtliche Geschäftsanteile an ihrer in Deutschland ansässigen Tochter-Vertriebsgesellschaft hält. Dabei soll davon ausgegangen werden, dass diese ausländische Gesellschaft die von ihr hergestellten Produkte sowohl auf dem Markt ihres Ansässigkeitsstaates als auch auf ausländischen Märkten vertreibt. Bei dieser Sachverhaltskonstellation handelt es sich geradezu um den prototypischen Fall, welcher auch die gedankliche Ausgangsbasis der abkommensrechtlichen Schachtelprivilegien und der Mutter-/Tochter-Richtlinie bildet, welche gerade darauf abzielen, eine Mehrfachbesteuerung innerhalb von Unternehmensgruppen zu reduzieren bzw. ganz zu vermeiden. In diesem Beispielsfall ist die Frage einer missbräuchlichen Zwischenschaltung der ausländischen Zwischengesellschaft unzweifelhaft zu verneinen, da diese durch die Ausübung einer produzierenden Tätigkeit in ihrem Ansässigkeitsstaat und den Verkauf ihrer Produkte sowohl den Beschaffungs- als auch den Absatzmarkt in Anspruch nimmt und damit eine hinreichende Integration in das Wirtschaftsleben des Ansässigkeitsstaates der ausländischen Gesellschaft gegeben ist. Das Halten der Anteile an ihrer deutschen Tochtergesellschaft dient der Absatztätigkeit der ausländischen Gesellschaft auf dem deutschen Markt und stellt eine vollkommen übliche Vertriebsstruktur dar, welche nicht missbräuchlich ist. Obwohl im vorliegenden Fall die Mutter-/Tochter-Richtlinie grundsätzlich einschlägig wäre, wird die dadurch mögliche Kapitalertragsteuerentlastung nicht missbräuchlich in Anspruch genommen, sondern gerade in Übereinstimmung mit dem Ziel der Entlastungsvorschriften. Die Anerkennung ausländischer Gesellschaften ist jedoch keinesfalls auf den Bereich des produzierenden Gewerbes zu beschränken, sondern umfasst genauso den Dienstleistungsbereich. Je geringer aber der Umfang der von der ausländischen Gesellschaft ausgeübten Tätigkeiten ist, desto eher stellt sich die Frage, ob die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft gegebenenfalls mangels eines ausreichenden Mindestumfangs der eigenen Wirtschaftstätigkeit als missbräuchlich zu qualifizieren sein könnte. In letzter Instanz betrifft das die weiter unten näher untersuchte Frage, inwieweit rein vermögensverwaltend tätige ausländische Gesellschaften eine Kapitalertragsteuerentlastung beanspruchen können. Zu Recht wird geltend gemacht, dass allein das Abstellen auf das Vorhandensein der Gesellschaft zur Verfügung stehender Räumlichkeiten, Geschäftsausstattung und Personal keine befriedigende Lösung darstellt, zumal die Gesellschaft vorwiegend „mobile“ Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich anbietet, welche anders als Fabrikgebäude und Maschinen schnell und einfach verlagert werden können.97 Ein Proportionalitätstest, wie ihn die aktuelle Fassung des § 50d Abs. 3 EStG enthält und wie er auch in der Literatur als Problemlösung vorgeschlagen wird98,

97 98

Vgl. Kofler, DStG 33, S. 213 (223). Leclerq, IBFD 2007, S. 235 (243).

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kann m. E. aber keine adäquate Lösung bieten. Wie oben bereits ausführlich dargestellt, ist die Versagung der Kapitalertragsteuererstattung allein aufgrund des Nichterreichens bestimmter Relationen von Einkünften aus eigener wirtschaftlicher Tätigkeit zu „schädlichen“ Dividendeneinkünften europarechtlich als unverhältnismäßig zu qualifizieren. Insbesondere sagt dieses Verhältnis nichts über den tatsächlichen Umfang der im Ansässigkeitsstaat der ausländischen Gesellschaft ausgeübten Tätigkeit aus. Es kann stattdessen nur anhand des Einzelfalles unter Würdigung sämtlicher Sachverhaltsumstände beurteilt werden, ob die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft gegebenenfalls als missbräuchlich zu qualifizieren ist. Auf die insoweit bestehenden Grenzen wird im Folgenden bei der Untersuchung von Holdinggesellschaften näher eingegangen. (a) Missbräuchliche Zuordnung der Beteiligung zur Zwischengesellschaft? Im Einzelfall kann sich aber die Frage stellen, inwieweit eine Zuordnung zu dieser Gesellschaft als missbräuchlich zu qualifizieren ist. Diese Problematik kann z. B. dann entstehen, wenn die in Deutschland ansässige Beteiligungsgesellschaft innerhalb der Konzernstruktur organisatorisch eigentlich bei einer anderen Gesellschaft angegliedert ist, sie aber aus Gründen der Kapitalertragsteuererstattung durch eine operativ tätige Zwischengesellschaft in einem DBA-Staat gehalten wird. Des Weiteren stellt sich diese Frage in solchen Fällen, in denen die Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft als eine bloße Alibitätigkeit zu qualifizieren ist, die zum einen ertragsmäßig von völlig untergeordneter Bedeutung in Relation zu den Einkünften aus der deutschen Beteiligungsgesellschaft ist und zum anderen auch keinen inhaltlichen Bezug zur Tätigkeit der deutschen Beteiligungsgesellschaft aufweist. Die Argumentation des BFH in seiner Hilversum IIEntscheidung deutet darauf hin, dass dieser allein aufgrund der aktiven Wirtschaftstätigkeit von Schwestergesellschaften in dem Ansässigkeitsstaat der Zwischengesellschaft von einer ausreichenden Verankerung ausgegangen ist. Die Frage nach einem etwaigen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der operativ tätigen Schwestergesellschaft und der Zwischengesellschaft hat der BFH in seinem Urteil nicht näher erörtert, was nahe legte, dass er diese Frage als nicht maßgeblich erachtet. Bereits in einer früheren Entscheidung hatte der BFH geurteilt, dass eine gemischte Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft einheitlich zu beurteilen sei. Das solle auch dann gelten, wenn zwischen aktiven und passiven Einkunftsteilen kein objektiver Zusammenhang bestehe. Sofern allerdings diese Zuordnung nicht den tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten innerhalb der Unternehmensgruppe entspricht, ist m. E. davon auszugehen, dass eine solche Zuordnung in derselben Weise missbräuchlich sein kann wie dies bei einer nicht operativ tätigen Zwischengesellschaft der Fall sein kann. Auch in der Literatur wurde zu § 50d Abs. 3 EStG a. F. von Teilen der

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Literatur die Ansicht vertreten, dass aus dem verwendeten Wort „soweit“ folgte, dass die Steuerentlastung quotal auf die Einkünfte aus wirtschaftlicher Tätigkeit zu beschränken war.99 Die Finanzverwaltung hat sich im aktuellen Anwendungsschreiben zu § 50d Abs. 3 EStG zur Frage der gemischten Tätigkeit nicht geäußert. Im Hinblick auf die alte Fassung der Vorschrift hingegen hat Krabbe aber die damalige Position der Finanzverwaltung wiedergegeben, wonach § 50d Abs. 1a EStG dann anzuwenden war, wenn der Gesellschaft lediglich eine Alibitätigkeit zugewiesen wurde oder jeder Zusammenhang zwischen der Verwaltungstätigkeit und der operativen Tätigkeit fehlte.100 Auch die LOB-Klausel des DBA-USA als auch der Vorschlag für eine umfassende abkommensrechtliche Missbrauchsklausel im Kommentar zum OECD-Musterabkommen sehen vor, dass eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit die Annahme eines Missbrauchs nur dann ausschließt, wenn die von der ausländischen Zwischengesellschaft bezogenen Einkünfte im Zusammenhang mit der aktiven gewerblichen Tätigkeit bezogen werden oder aus Anlass dieser Tätigkeit anfallen.101 M. E. ist davon auszugehen, dass in den Fällen gemischter Tätigkeiten, bei denen die von der deutschen Gesellschaft erhaltene Dividendenausschüttung in keinem Zusammenhang mit der aktiv gewerblichen Tätigkeit der ausländischen Zwischengesellschaft steht, eine Kapitalertragsteuererstattung nur dann als nicht missbräuchlich zu qualifizieren ist, wenn das Halten der Beteiligung isoliert betrachtet nicht als missbräuchlich zu qualifizieren ist (siehe dazu unten). Einem solchen Verständnis stehen m. E. auch keine europarechtlichen Bedenken entgegen. Ein vergleichbares Problem stellt sich im Rahmen von § 8 Abs. 2 AStG n. F. in Bezug auf die Anwendung der Hinzurechnungstatbestände des Außensteuergesetzes, wo der Steuerpflichtige zur Erbringung des Gegenbeweises nachweisen muss, dass die Gesellschaft „insoweit“ einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. In der Literatur wird diese Segmentierung zum Teil als europarechtswidrig angesehen.102 Das ist m. E. abzulehnen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der EuGH einer segmentierenden Betrachtung nicht generell ablehnend gegenüber steht. Schönfeld schließt dies daraus, dass der EuGH neben einer tatsächlichen Ansiedlung kumulativ die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit gefordert hat, weshalb bei Ausübung einer künstlichen Tätigkeit neben einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit die Voraussetzungen von Art. 43 EG „insoweit“ nicht gegeben seien.103 Für die Anerkennung einer seg99

Vgl. Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rz. E 40 m.w. N. Krabbe, IStR 1995, S. 382 (384). 101 Art. 28 Abs. 4 lit. a) DBA-USA bzw. Nr. 20 Abs. 3 a) OECD-MK. 102 Grotherr, IWB Gruppe 1, Fach 3, S. 2259 (2263); Köhler/Haun, Ubg 2008, S. 78 (80 f.). 103 Schönfeld, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 8 AStG Rz. 502. 100

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mentierenden Betrachtung104 spricht m. E. auch, dass der EuGH in der Rs. Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation105 sowie in der jüngst entschiedenen Rechtssache SGI106 auch einzelne Rechtsbeziehungen zwischen zwei miteinander verbundenen Unternehmen auf ihren Charakter als rein künstliche Gestaltungen überprüft hat. Zwar hat der EuGH in diesen Entscheidungen jeweils das Vorliegen eines Missbrauchs abgelehnt, gleichwohl verdeutlicht dies m. E., dass es mit der EuGH-Rechtsprechung vereinbar ist, auch einzelne Rechtsbeziehungen zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern als missbräuchlich zu qualifizieren. Um eine solche Rechtsbeziehung handelt es sich auch dann, wenn die Gesellschaftsanteile von einer Gesellschaft gehalten werden, deren Tätigkeit in keinem Zusammenhang mit der Tätigkeit ihrer Tochtergesellschaft steht. (b) Outsourcing von Tätigkeiten der operativ tätigen Gesellschaft Sofern die ausländische Zwischengesellschaft hingegen weite Teile oder gar ihre gesamte Tätigkeit auf andere Gesellschaften oder ggfs. auch auf in anderen Staaten ansässige Betriebsstätten ausgliedert, kann sich die Frage stellen, ob die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft insoweit als missbräuchlich zu qualifizieren ist, weil die ihr zugewiesene Funktion entweder nicht in ihrem Ansässigkeitsstaat ausgeübt wird oder gar nicht von ihr selbst ausgeübt wird. Die derzeitige Fassung des § 50d Abs. 3 S. 3 EStG enthält wie oben dargestellt eine ausdrückliche Regelung, wonach es an einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlt, soweit die ausländische Gesellschaft ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Outsourcing von Tätigkeiten der ausländischen Gesellschaft dazu führen kann, dass die ausländische Gesellschaft als missbräuchlich zu qualifizieren ist. Daran wäre z. B. dann zu denken, wenn sämtliche Tätigkeiten der ausländischen Gesellschaft auf andere Gesellschaften outgesourct würden und damit letztlich nur eine leere Hülle zurückbliebe. Die maßgebliche Frage ist daher, ab welchem Maß die Schwelle eines unschädlichen Outsourcings hin zu einem schädlichen Outsourcing überschritten wird. M. E. erscheint es als überzeugend, insoweit auf die wesentliche Geschäftstätigkeit abzustellen, wobei jedoch nur im Einzelfall festgestellt werden kann, ob die outgesourcte Tätigkeit eine wesentliche Geschäftstätigkeit darstellt. Dabei gilt, dass je geringer der Umfang der von der ausländischen Gesellschaft ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit ist, die Wahrscheinlichkeit umso größer ist, dass ein Outsourcing schädlich ist. Verwaltungsbezogene Neben104 Auch Reiche, in: Haase, AStG/DBA, § 8 AStG Rz. 161 ff. scheint insoweit keine europarechtlichen Bedenken zu haben. 105 EuGH v. 13.3.2007, C-524/04 (Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation), Slg. 2007, I-2107. 106 EuGH v. 21.1.2010, C-311/08 (SGI), IStR 2010, S. 144.

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funktionen wie z. B. Buchhaltung, wirtschaftliche Beratung, Rechts- und Steuerberatung können grundsätzlich unschädlich ausgegliedert werden.107 Wenn aber z. B. die von der Gesellschaft erbrachte eigene Dienstleistungstätigkeit gerade in der Buchführung besteht, wäre ein entsprechendes Outsourcing grundsätzlich als schädlich anzusehen.108 Auch ein Outsourcing vom Stammhaus der ausländischen Gesellschaft auf in weiteren ausländischen Staaten belegene Betriebsstätten kann m. E. dazu führen, dass die ausländische Gesellschaft als missbräuchlich zu qualifizieren ist. Zu denken wäre insoweit z. B. an den Fall, dass eine Gesellschaft in Luxemburg ansässig ist, ihre gesamte operative Tätigkeit (z. B. Erbringung von Dienstleistungen) aus einer Betriebsstätte in einem Staat außerhalb der EU ausübt. In diesem Fall hätte zwar die ausländische Gesellschaft insgesamt, nicht aber das Stammhaus eine eigenständige Funktion. Da aber für die begehrte Kapitalertragsteuerentlastung dem Grunde und der Höhe nach der Ansässigkeitsstaat der ausländischen Gesellschaft den Anknüpfungspunkt bildet, muss die Funktion, welche die Anerkennung der Gesellschaft für steuerrechtliche Zwecke rechtfertigt, grundsätzlich auch im Ansässigkeitsstaat der ausländischen Gesellschaft ausgeübt werden. Etwas anderes gilt m. E. nur in solchen Fällen, in denen die ausländische Gesellschaft bei Ansässigkeit in dem Betriebsstättenstaat dem Grunde und der Höhe nach dieselbe Kapitalertragsteuerentlastung hätte beanspruchen können. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Betriebsstätte innerhalb der EU belegen ist. Die Präferenz für einen anderen Staat als den Belegenheitsstaat der Betriebsstätte ist in diesem Fall zumindest nicht als ausschließlich zum Zweck der Reduzierung der deutschen Kapitalertragsteuer anzusehen. Die vorstehenden Ausführungen haben verdeutlicht, dass letztlich nur im Einzelfall unter Würdigung sämtlicher Sachverhaltsumstände bewertet werden kann, ob ein Outsourcing zu akzeptieren ist oder ggfs. zu einer Missbräuchlichkeit der Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft führen kann. (2) Ausländische Briefkastengesellschaft Als missbräuchlich zu qualifizieren sind hingegen ausländische Briefkastengesellschaften. Darunter sollen hier Gesellschaften zu verstehen sein, welche zwar in einem ausländischen Staat registriert und als deren formaler Geschäftsführer eine ebenfalls in diesem Staat ansässige Person fungiert, die aber faktisch nicht von diesem Geschäftsführer, sondern von ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Gesellschafter, der außerhalb des Ansässigkeitsstaates der ausländischen Zwi-

107 108

Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 114. Vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 114.

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schengesellschaft ansässig ist, gesteuert werden.109 In diesen Fällen fehlt es über die rein formale Registrierung der ausländischen Gesellschaft und die Ansässigkeit ihres formalen Geschäftsführers hinaus an jeder Beziehung zum Ansässigkeitsstaat der ausländischen Gesellschaft. Besteht aber eine solche Beziehung nicht, so würde es dem Gedanken des zwischen Deutschland und dem Ansässigkeitsstaat abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen bzw. der Mutter-/ Tochter-Richtlinie widersprechen, wenn die ausländische Gesellschaft entsprechende Abkommensvergünstigungen beanspruchen könnte. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass es sich insoweit schon um keinen Anwendungsfall einer Anti-Treaty-Shopping-Regelung handelt, da der Ort der Geschäftsleitung in einem anderen Staat als dem Ansässigkeitsstaat zu sehen sein wird.110 Auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten sind Briefkastengesellschaften nach dem Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes nicht anzuerkennen.111 (3) Holdinggesellschaften Wie zuvor unter (1) dargestellt, ist davon auszugehen, dass die Geltendmachung der Kapitalertragsteuererstattung durch eine ausländische Gesellschaft zumindest dann nicht als missbräuchlich zu qualifizieren ist, wenn die ausländische Gesellschaft in ihrem Ansässigkeitsstaat eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und zu diesem Zweck in ihrem Ansässigkeitsstaat über eine angemessene Substanz verfügt. Ob die ausländische Gesellschaft als missbräuchlich zu qualifizieren ist, ist umso schwieriger zu beurteilen, je geringer die von der ausländischen Gesellschaft ausgeübte Tätigkeit ist, insbesondere wenn diese nur eine geringe Geschäftsausstattung und wenig Personal erfordert. Diese Problematik betrifft insbesondere geschäftsleitende Holdinggesellschaften, welche im Regelfall kein operatives Geschäft haben112 und weder Güter herstellen noch Dienstleistungen am Markt anbieten.113 Dabei kann jedoch nicht pauschal vom Begriff der ausländischen Holding gesprochen werden, vielmehr ist insbesondere im Hinblick auf die von der einzelnen Holdinggesellschaft wahrgenommene Funktion zwischen verschiedenen Typen von Holdinggesellschaften zu unterscheiden, wobei im Rahmen des Treaty 109 Zum Begriff der Briefkastenfirma siehe auch Renner, FS Loukota, S. 399 (402 f.). 110 Vgl. Schön, FS Reiss, S. 571 (587); Hey, Forum der Int. Besteuerung, S. 137 (165). 111 Kokott, FR 2008, S. 1041; Schön, FS Reiss, 2008, 571 (587); Hey, Forum der Int. Besteuerung, S. 137 (165). 112 Lutter, in: Lutter, Holding-Handbuch, § 1 Rz. 16. 113 Lutter, in: Lutter, Holding-Handbuch, § 1 Rz. 16.

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Shoppings wie oben dargestellt vor allem sog. Zwischenholdings114 eine bedeutende Rolle spielen, d. h. solche Holdinggesellschaften, welche nicht die Konzernspitze bilden, sondern einer anderen Konzerngesellschaft nachgeschaltet sind. Holdinggesellschaften können nach verschiedenen Kriterien unterschieden werden. Vorliegend soll, da es um die Beurteilung Tätigkeitsumfangs der ausländischen Gesellschaft geht, eine funktionale Differenzierung vorgenommen werden. Dabei sollen für die nachfolgende Darstellung grundsätzlich zwei verschiedene Typen von Holdinggesellschaften näher untersucht werden. Dabei handelt es sich zum einen um die sog. geschäftsleitende Holding (auch als Führungsholding oder Management-Holding bezeichnet) und zum anderen um die Vermögensholding (auch als Finanzholding bezeichnet).115 (a) Geschäftsleitende Holding Zentrales Merkmal einer geschäftsleitenden Holding ist, dass diese sich nicht auf die Wahrnehmung ihrer Gesellschafterrechte in Haupt- oder Gesellschafterversammlungen beschränkt, sondern darüber hinaus – ggfs. neben der Erbringung zentraler Dienstleistungs- und Servicefunktionen – die unternehmerische Führung der ihr nachgeordneten Gesellschaften übernimmt.116 Zur strategischen Führung im Rahmen einer Konzernleitung zählen typischerweise die Festlegung einer langfristigen Unternehmenspolitik für alle Unternehmen der Gruppe, die diese als eine wirtschaftliche Einheit erscheinen lässt, eine dieser Einheit entsprechende Organisation und Zuständigkeitsregelungen, eine einheitliche Leitungs- und Weisungsausübung, eine Tätigkeitsabstimmung und Zielkontrolle, ein einheitliches Berichtssystem auf dem Hintergrund einheitlicher Regeln zur Rechnungslegung als Basis eines weltweiten Controllings und vor allem die zentrale Finanzhoheit zur Steuerung der Kapitalflüsse durch die Obergesellschaft.117 Die Möglichkeit zur Wahrnehmung entsprechender Funktionen setzt voraus, dass die ausländische Muttergesellschaft Beteiligungen in einer Höhe hält, welche ihr überhaupt eine entsprechende Einflussnahme erlauben. Die Ausübung geschäftsleitender Funktionen durch eine ausländische Gesellschaft gegenüber ihrer in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaft erfordert naturgemäß neben einer entsprechenden Geschäftsausstattung auch Personal. 114 Zur Zwischenholding als Strukturelement internationaler Konzerne siehe Hintzen, DStR 1998, S. 1319. 115 Zur Abgrenzung verschiedener Typen von Holdinggesellschaften vgl. Lutter, in: Lutter, Holding-Handbuch, § 1 Rz. 13 ff. 116 Vgl. Hintzen, DStR 1998, S. 1319 (1320 ff.); Lutter, in: Lutter, Holding-Handbuch, § 1 Rz. 17. 117 Vgl. Lutter, in: Lutter, Holding-Handbuch, § 1 Rz. 17.

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Verfügt eine ausländische Holdinggesellschaft über entsprechend ausgestattete Räumlichkeiten sowie das für ihre Tätigkeit erforderliche Personal und nimmt sie die geschäftsleitenden Aufgaben durch ihr Personal tatsächlich eigenverantwortlich wahr, so ist darin ebenso eine eigene Wirtschaftstätigkeit zu sehen wie dies im Fall einer produzierenden Tätigkeit der Fall wäre. Zutreffend hat auch der BFH118 entschieden, dass eine geschäftsleitende Holding eine eigene Wirtschaftstätigkeit ausübt. Allerdings muss die Holding nach der Rechtsprechung des BFH tatsächlich Führungsentscheidungen treffen. Bloße Routinemaßnahmen sollen für die Qualifikation als geschäftsleitende Holding ebenso wenig ausreichen wie das reine Halten von Stammkapital. Bereits die vorstehende Tätigkeitsbeschreibung zeigt, dass geschäftsleitende Holdings nicht als rein künstliche Gestaltungen im Sinne der EuGH-Rechtsprechung qualifiziert werden können, da die beschriebenen Tätigkeiten eine tatsächliche Präsenz erfordern, welche sich in Form sowohl einer sächlichen als auch einer personellen Ausstattung der ausländischen Holdinggesellschaft widerspiegelt. Im Grundsatz wird diese Auffassung auch von der deutschen Finanzverwaltung geteilt, die davon ausgeht, dass eine geschäftsleitende Holding über eine für Zwecke des § 50d Abs. 3 EStG ausreichende Substanz verfügt. Allerdings stellt sie sehr hohe Anforderungen an das Vorliegen einer geschäftsleitenden Holding. In ihrem BMF-Schreiben zu § 50d Abs. 3 EStG vertritt sie die Ansicht, dass eine geschäftsleitende Holding nur dann eine eigene Wirtschaftstätigkeit ausübt, wenn sie mindestens zwei Beteiligungen von einigem Gewicht hält.119 Des Weiteren müsse die geschäftsleitende Holding „strategische Führungsentscheidungen“ treffen, die sich durch ihre „langfristige Natur, Grundsätzlichkeit und Bedeutung, die sie für den Bestand der Beteiligungsgesellschaft haben“, auszeichnen.120 Die Durchführung nur einzelner Geschäftsfunktionen wie z. B. Lizenzverwertung und/oder Kreditgewährung soll dagegen nicht ausreichen.121 Die letztgenannten Anforderungen der Finanzverwaltung gehen m. E. über die bloße Bekämpfung missbräuchlicher Treaty-Shopping-Gestaltungen deutlich hinaus. Nimmt eine Holdinggesellschaft einzelne Geschäftsführungsmaßnahmen tatsächlich mittels eigenen Personals in ihrem Ansässigkeitsstaat wahr, so stellt die Gesellschaft gerade keine rein künstliche Gestaltung dar122, da sie eine eigen118 BFH v. 9.12.1980, VIII R 11/77, BStBl. II 1981, S. 339; BFH v. 29.1.2008, I R 26/06, BStBl. II 2008, S. 978. 119 Vgl. BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Rz. 6.2. 120 Vgl. BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Rz. 6.3. 121 Vgl. BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Rz. 6.3. 122 Eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft auch bei Wahrnehmung nur einzelner Holdingfunktionen bejahen u. a. auch Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 109 in Bezug auf die Finanzierungsfunktion; Eilers für das Halten von Beteiligungen bei gleichzeitiger Ausübung einer Finanzierungsfunktion, FS Wassermeyer, S. 323 (327 f.).

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ständige Funktion hat. Zwar nimmt die ausländische Zwischengesellschaft in diesem Fall nicht den Absatzmarkt des ausländischen Staates, wohl aber dessen Personalmarkt in Anspruch, wodurch eine entsprechende Verknüpfung mit dem Ansässigkeitsstaat hergestellt wird, die gerade gegen das Vorliegen einer missbräuchlichen Gestaltung spricht. Die Anforderungen der Finanzverwaltung an eine geschäftsleitende Holding sind dagegen so hoch, dass die ausländische Gesellschaft quasi ein faktischer Geschäftsführer der deutschen Beteiligungsgesellschaft sein muss.123 Damit werden aber in vielen Fällen Sachverhaltsgestaltungen erfasst, die gerade nicht von dem Gedanken der missbräuchlichen Inanspruchnahme eines DBA erfasst werden. Maßgeblich ist m. E. insoweit, dass die ausländische Zwischengesellschaft Tätigkeiten ausübt, die – würde die ausländische Gesellschaft diese nicht ausüben – anderenfalls die Muttergesellschaft der ausländischen Zwischengesellschaft ausüben müsste. Sofern diese Tätigkeiten aber durch die ausländische Zwischengesellschaft ausgeübt werden, ist diese gerade nicht als funktionslos und damit missbräuchlich zu qualifizieren. Vielmehr dient sie dem Zweck der Ausübung der ihr zugewiesenen Tätigkeiten und nicht allein dem Zweck der Erlangung der Erstattung der deutschen Kapitalertragsteuer. Ungeachtet dessen, dass diese Gesellschaften keine rein künstliche Gestaltung im Sinne der EuGH-Rechtsprechung darstellen, ist m. E. das entscheidende Argument gegen das Vorliegen eines Missbrauchs, dass diesen Gesellschaften eine eigenständige Funktion zukommt, die über das bloße Halten der Anteile weit hinausgeht, und sie damit innerhalb des Konzerns einen eigenen Wertschöpfungsbeitrag leisten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Zwischenschaltung ausländischer Gesellschaften vielfach gerade nicht steuerlichen Überlegungen folgt, sondern aus Gründen der Konzernorganisation erfolgt. Insbesondere im Zuge der Divisionalisierung, Diversifizierung und Internationalisierung von Konzernen sind in der Vergangenheit häufig Holding-Strukturen gebildet worden, um auf diesem Wege eine bessere Steuerbarkeit großer Konzerne zu ermöglichen.124 Vielfach wird der Beteiligungsbesitz an in Europa ansässigen Tochtergesellschaften auch in sog. EU-Holdings gebündelt, um auf diesem Weg eine Umsetzung einheitlicher konzerninterner Standards zu ermöglichen. Zu diesem Zweck kann es sinnvoll sein, durch innerhalb von Europa ansässige Manager entsprechende Funktionen wahrzunehmen. Auch der Umstand, dass die geschäftsleitenden Funktionen von einer Zwischenholding wahrgenommen werden, indiziert keine missbräuchliche Gestaltung. Vielmehr sind zahlreiche Gründe denkbar, warum nicht die Konzernoberge123

Vgl. Korts, IStR 2007, S. 663 (664). Hintzen, DStR 1998, S. 1319 (1323); Schaumburg, Steuerliche Gestaltungsziele bei Holdinggesellschaften, S. 5 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1017 ff. 124

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sellschaft, sondern eine Zwischenholding die geschäftsleitenden Funktionen ausübt. So kann es z. B. sein, dass eine deutsche Gesellschaft erworben wird und der erwerbende ausländische Konzern Einfluss auf die geschäftlichen Aktivitäten des Targets nehmen will. Soll dies zwar einerseits durch einen sachkundigen Manager vor Ort geschehen, soll zugleich aber die Führungsstruktur des Targets unangetastet bleiben, so kann die Gründung einer Zwischenholding das geeignete Mittel zur Erreichung dieses Ziels sein. Dies erfordert aber, dass die Zwischenholding nachweisen kann, dass sie tatsächlich selbst entsprechende Tätigkeiten ausübt. Geschieht dies aber, ist m. E. kein Grund ersichtlich, dieser Gesellschaft die steuerliche Anerkennung für Zwecke des § 50d Abs. 3 EStG zu versagen. Allerdings ist bei der Qualifizierung der Tätigkeit geschäftsleitender Holdinggesellschaften als eigene Wirtschaftstätigkeit zu berücksichtigen, dass weder die bloße Behauptung der Ausübung geschäftsleitender Funktionen noch die Ausübung von Alibitätigkeiten die Annahme eines Missbrauchs ausschließen. So erfordert z. B. die Ausübung einer Finanzierungsfunktion gegenüber der inländischen Tochtergesellschaft, dass die ausländische Tochtergesellschaft die gesamte Kapitalversorgung der Tochtergesellschaft sicherstellt und nicht nur ein einzelnes Darlehen gewährt, während die Tochtergesellschaft darüber hinaus eigenständig Fremdkapital bei Kreditinstituten oder am Kapitalmarkt aufnimmt. Gleiches würde gelten, wenn die ausländische Zwischengesellschaft der inländischen Tochtergesellschaft nur zuvor als Dividende ausgeschüttete Beträge in Form eines Darlehens „zurückgewähren“ würde oder die ausländische Gesellschaft nur die von anderen Konzerngesellschaften erhaltenen Finanzierungsmittel an die in Deutschland ansässige Beteiligungsgesellschaft „durchleiten“ würde.125 Darüber hinaus setzt die Wahrnehmung von Geschäftsleitungsfunktionen selbstredend eine entsprechende Beteiligungsquote an der im Inland ansässigen Beteiligungsgesellschaft voraus, ohne die eine entsprechende Durchsetzung der Geschäftsleitung nicht erfolgen könnte. Braucht geschäftsleitende Holding mehrere Beteiligungsgesellschaften? Es stellt sich des Weiteren die Frage, ob bereits die Beteiligung an einer einzigen deutschen Gesellschaft, der gegenüber Führungsaufgaben wahrgenommen werden, eine ausländische Gesellschaft als Geschäftsleitungsholding qualifiziert und damit eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit darstellt. Während die Finanzverwaltung in ihrem BMF-Schreiben geschäftsleitende Holdinggesellschaften nur anerkennt, wenn diese Beteiligungen an mindestens zwei EU-Gesellschaften halten126, hat der BFH diese Frage im Rahmen seiner Rechtsprechung zu § 50d Abs. 3 EStG bislang offen gelassen.127 Zu Recht wird die Verwaltungsauffassung 125 Zur Durchleitung von Finanzierungen vgl. Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 109. 126 Vgl. BMF v. 3.4.2007 Rz. 6.2. 127 So z. B. BFH v. 31.5.2005, I R 74, 88/04, IStR 2005, S. 710.

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von der herrschenden Literaturansicht abgelehnt.128 Es ist nicht ersichtlich, warum eine geschäftsleitende Tätigkeit für eine Tochtergesellschaft keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit darstellen soll, während dieselbe Tätigkeit dann eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen soll, wenn sie gegenüber zwei oder mehr Gesellschaften ausgeübt wird. Der BFH hatte dieses Erfordernis u. a. im Zusammenhang mit der Anerkennung einer Holdinggesellschaft als Organträgerin im Rahmen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft aufgestellt.129 Dabei ging es um den Begriff der wirtschaftlichen Eingliederung.130 Zu Recht wird in der jüngeren Literatur davon ausgegangen, dass zumindest nach Wegfall des Erfordernisses einer wirtschaftlichen Eingliederung eine Holding als gewerbliches Unternehmen auch dann anzuerkennen ist, wenn diese nur eine einzige Beteiligung hält.131 Für den Fall nämlich, dass die Untergesellschaft selbst originär gewerblich tätig ist, sei es durchaus vorstellbar, dass sich auch die Obergesellschaft allein vermittels ihrer Leitungsfunktion mit Hilfe und Einbeziehung von nur einer Untergesellschaft am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr beteiligen kann. In dem Fall, dass nur eine Tochtergesellschaft geleitet wird, vollzieht sich die wirtschaftliche Tätigkeit der Führungsholding über die Tätigkeit der Tochtergesellschaft. Das erfordert aber, dass die ausländische Gesellschaft diese Führungsaufgaben tatsächlich selbst wahrnimmt und ihre Tätigkeit sich nicht allein darauf beschränkt, mittels einer ihr angestellten Person Weisungen übergeordneter Konzerngesellschaften an die deutsche Gesellschaft weiterzugeben. Gleichwohl schließt dies nicht Beratungen mit ihren Gesellschaftern in einem üblichen Rahmen aus, welche nicht über das gewöhnliche Maß an Einfluss eines Alleingesellschafters oder herrschenden Gesellschafters hinausgehen. Maßgeblich ist dabei, dass der Zwischengesellschaft im Hinblick auf ihre Beteiligungsgesellschaft ein eigener Entscheidungsspielraum verbleibt, den sie auch tatsächlich ausnutzt. Die bloße Ausübung von Gesellschafterrechten reicht dabei nicht aus. (b) Vermögensholding Die Vermögensholding ist dadurch gekennzeichnet, dass sie ebenfalls keine Tätigkeiten am Markt anbietet, anders als die geschäftsleitende Holding aber gerade keine geschäftsleitenden Funktionen ausübt, sondern sich ausschließlich auf das Halten und die Verwaltung ihrer Beteiligungen beschränkt.132 Die Verwal128 Vgl. z. B. Micker, FR 2009, S. 409 (413); Frotscher, in: Frotscher, EStG, § 50d Rz. 110. 129 BFH v. 15.4.1970, I R 122/66, BStBl. II 1970, S. 554. 130 Neumann, in: Gosch, KStG, § 14 Rz. 1170. 131 Siehe dazu Walter, in: Ernst & Young, KStG, § 14 KStG Rz. 225 ff. 132 Lutter, in: Lutter, Holding-Handbuch, § 1 Rz. 22.

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tung umfasst zum einen die Wahrnehmung der Gesellschafterrechte in der Hauptoder Gesellschafterversammlung und zum anderen die Überwachung der Geschäftsführung der Tochtergesellschaft, ggfs. über Aufsichtsrats- oder Beiratsmitglieder.133 Insbesondere im Rahmen dieser Fallkonstellation entzündet sich Streit an der Frage, ob im Falle einer vermögensverwaltenden Tätigkeit stets von einer missbräuchlichen Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft auszugehen ist. Die Finanzverwaltung sieht eine ausschließlich im Bereich der Vermögensverwaltung tätige ausländische Zwischengesellschaft stets als rechtsmissbräuchlich an.134 Auch die LOB-Klausel des DBA-USA135 wie auch die im OECD-Musterkommentar dargelegten Vorschläge für eine umfassende Anti-Treaty-ShoppingBestimmung136 sehen vor, bloß vermögensverwaltende Tätigkeiten von den anzuerkennenden wirtschaftlichen Tätigkeiten auszunehmen, weshalb in diesen Fällen der Missbrauchstatbestand einschlägig wäre. Worauf das Anknüpfen des steuerlichen Missbrauchs an die bloß vermögensverwaltende Tätigkeit zurückgeht, ist unklar. Letztlich liegt dem Abstellen auf eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft wohl der Gedanke zugrunde, dass damit automatisch eine entsprechende physische Präsenz im Ansässigkeitsstaat verbunden ist, welche einen nachprüfbaren Anknüpfungspunkt darstellt. Dies wird auch daran deutlich, dass eine Kapitalertragsteuererstattung stets erfolgt, wenn es sich bei der ausländischen Gesellschaft selbst um eine börsennotierte Gesellschaft handelt: In diesen Fällen wird offensichtlich davon ausgegangen, dass börsennotierte Gesellschaften – allein wegen der Erfüllung ihrer börsen- und aufsichtsrechtlichen Verpflichtungen – über eine ausreichende Substanz in ihrem Ansässigkeitsstaat verfügen, selbst wenn sie ebenfalls nur Anteile an Beteiligungsgesellschaften verwalten. Als Beispiel seien in diesem Zusammenhang börsennotierte Beteiligungsgesellschaften genannt, deren Tätigkeit sich auf das Halten sowie den Zuerwerb von Beteiligungen beschränken, ohne dabei in das operative Geschäft der Beteiligungsgesellschaften einzugreifen.137 Gemessen an der Auffassung der Finanzverwaltung würde solchen Gesellschaften ohne die Börsennotierung eine Qualifikation als missbräuchlich drohen. M. E. stellt die Differenzierung zwischen über die bloße Vermögensverwaltung hinausgehenden Tätigkeiten und rein vermögensverwaltenden Tätigkeit kein geeignetes Abgrenzungskriterium dar, um Fälle eines missbräuchlichen Treaty Shoppings zu ermitteln. Wie oben dargestellt, besteht der Zweck der Anti-Treaty133

Lutter, in: Lutter, Holding-Handbuch, § 1 Rz. 22. BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446 Tz. 6.1. 135 Art. 28 Abs. 4 lit a) DBA-USA. 136 Vgl. Tz. 19 des Kommentars zu Art. 1 OECD-MA. 137 Beispielhaft erwähnt sei insoweit das Unternehmen Berkshire Hathaway Inc., eine US-amerikanische, börsennotierte Aktiengesellschaft, deren Chairman der amerikanische Investor und Multimilliardär Warren Buffet ist. 134

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Shopping-Regelungen darin, diejenigen Sachverhalte zu identifizieren, in denen die Motivation der Einschaltung der ausländischen Gesellschaft allein oder überwiegend der Erlangung von Abkommens- oder Richtlinienvorteilen dient und diese ausländische Gesellschaft keinen darüber hinausgehenden, anzuerkennenden wirtschaftlichen Zweck hat. Gleichwohl sind zahlreiche Fälle denkbar, in denen die ausländische Gesellschaft zwar nicht am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt und damit keine wirtschaftliche Tätigkeit im vorstehend dargestellten Sinn ausübt, gleichwohl aber die Motivation zur Einschaltung der ausländischen Gesellschaft nicht (vorrangig) von steuerrechtlichen Überlegungen getrieben ist. Auch der BFH ging in seiner Rechtsprechung zu ausländischen Zwischengesellschaften zur Rechtslage vor Einführung des § 50d Abs. 3 EStG offensichtlich davon aus, dass es Sachverhalte gibt, welche trotz Fehlens einer eigenen Wirtschaftstätigkeit als nicht missbräuchlich zu qualifizieren sind. Entsprechend hatte er in seiner Rechtsprechung formuliert, dass eine Zwischengesellschaft dann anzuerkennen ist, wenn sie eine eigene Wirtschaftstätigkeit ausübt oder wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft vorliegen. Nach dieser Rechtsprechung war also das Vorliegen einer eigenen Wirtschaftstätigkeit gerade nicht erforderlich, sondern wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe reichten für die Rechtfertigung der Einschaltung der Gesellschaft aus. Diese Formulierung wurde auch in den Wortlaut des § 50d Abs. 3 EStG a. F. übernommen. Der von der Finanzverwaltung trotz des eindeutig entgegenstehenden Gesetzeswortlauts vertretenen Ansicht, wonach die eigene wirtschaftliche Tätigkeiten und wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe kumulativ vorliegen müssen, hat die Rechtsprechung zu Recht eine klare Absage erteilt. Auch der Gesetzeswortlaut des neu formulierten § 42 Abs. 2 AO bestätigt allgemein – also nicht nur für Fälle des Treaty Shoppings –, dass außersteuerliche Gründe eine vom Steuerpflichtigen gewählte Gestaltung rechtfertigen können. M. E. ist die Differenzierung zwischen eigener wirtschaftlicher Tätigkeit im vorgenannten Sinne und vermögensverwaltender Tätigkeit als Abgrenzungskriterium aus den soeben dargestellten Gründen ungeeignet. Das bedeutet aber nicht, dass – wie von Teilen der Literatur vertreten – jede bloß vermögensverwaltende Tätigkeit als eigene Wirtschaftstätigkeit anzuerkennen ist. Dies würde eine effektive Missbrauchsbekämpfung verhindern und zur Folge haben, dass die deutschen Regelungen zur Kapitalertragsteuer im Verhältnis zu EU-ausländischen Kapitalgesellschaften nahezu vollständig leer liefen. Auch der Vorbehalt für nationale Missbrauchsklauseln in Art. 1 Abs. 2 MTRL hätte dann keinen Anwendungsbereich. Anstatt auf die Frage einer eigenen Wirtschaftstätigkeit der ausländischen Gesellschaften abzustellen, sollte m. E. darauf abgestellt werden, ob die ausländische Gesellschaft eine eigenständige, anzuerkennde Funktion hat, welche nicht in der Erzielung eines Steuervorteils in Deutschland besteht, und diese Funktion

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von der ausländischen Gesellschaft auch tatsächlich selbst wahrgenommen wird.138 Der Umfang der Geschäftsausstattung der ausländischen Gesellschaft ist dabei nicht abstrakt zu bestimmen, sondern anhand der von dieser Gesellschaft tatsächlich ausgeübten Funktion. Ist dies der Fall, so ist die ausländische Gesellschaft m. E. auch dann anzuerkennen, wenn sie eine bloße vermögensverwaltende Tätigkeit ausübt. Nachfolgend soll dies anhand verschiedener Fallgruppen näher untersucht werden. Aktive Ausübung einer Kontrollfunktion bezüglich der Beteiligungsgesellschaft: M. E. ist zwischen einer passiven und einer aktiven Beteiligungsverwaltung zu unterscheiden. Unter einer passiven Beteiligungsverwaltung soll dabei die Beschränkung auf die bloße Ausübung der Gesellschafterrechte wie z. B. die Stimmrechtsausübung in der Haupt- oder Gesellschafterversammlung verstanden werden, ohne dass darüber hinausgehende Tätigkeiten bezüglich der inländischen Beteiligungsgesellschaft vorgenommen werden. Davon qualitativ zu unterscheiden sind m. E. aber die Fälle einer aktiven Beteiligungsverwaltung. Darunter sollen solche Sachverhalte zu verstehen sein, in denen der ausländische Gesellschafter der deutschen Beteiligungsgesellschaft sein Investment aktiv kontrolliert, ohne dabei wie im Fall der geschäftsleitenden Holding direkt in die unternehmerische Führung der Beteiligungsgesellschaft einzugreifen. Diese Unterscheidung beruht auf der Überlegung, dass sich das Halten einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft qualitativ sehr unterschiedlich darstellen kann. Es macht m. E. einen bedeutsamen Unterschied, ob die Zwischengesellschaft eine 10 %-Beteiligung an einer deutschen Beteiligungsgesellschaft mit einem Eigenkapital von 25.000 A oder ein 10 %-Aktienpaket an einem DAX-Unternehmen hält. In letzterem Fall eröffnet die Beteiligung faktisch erhebliche Einflussnahmemöglichkeiten auf das jeweilige Unternehmen, zumal dann, wenn die ausländische Zwischengesellschaft mit ihrem Anteil Hauptaktionär oder Ankeraktionär der deutschen Beteiligungsgesellschaft ist. In der Vergangenheit hat sich bereits mehrfach gezeigt, dass ausländische Investoren ihren Einfluss auf die Gesellschaft dahingehend geltend gemacht haben, dass aufgrund ihrer Einflussnahme der Vorstandsvorsitzende eines börsennotierten Unternehmens vom Aufsichtsrat abberufen wurde. Des Weiteren besteht vielfach ein Bestreben von Kapitalgesellschaften, Ankeraktionäre zu gewinnen, welche ein langfristiges Engagement in der jeweiligen Gesellschaft anstreben. Aufgrund der Bedeutung ihrer Beteiligung für die jeweilige Gesellschaft haben solche Ankeraktionäre die faktische Möglichkeit, entsprechenden Einfluss auf die Geschäftsführung auszuüben, da die Gesellschaft andernfalls damit rechnen muss, im Fall erheblicher Dissonanzen ihren Ankeraktionär zu verlieren. Zudem ist mit einem Aktienpaket oder einer Beteiligung in einer bestimmten Höhe faktisch auch ein Sitz im Auf138 Zu einer funktionsorientierten Betrachtungsweise auch Eilers, in: FS Wassermeyer, S. 323 (327 f.); Fischer, in: H/HSp, AO/FGO, § 42 AO Rz. 557.

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sichtsrat oder einem sonstigen Aufsichtsgremium der deutschen Beteiligungsgesellschaft verbunden. Als ein Beispiel kann insoweit der Einstieg des Staatsfonds von Katar bei Volkswagen dienen, der 2 von 10 Vertretern der Kapitalseite im Aufsichtsrat der VW AG stellt.139 Die Bedeutung größerer Beteiligungen wird auch an den Meldeschwellen des Wertpapierhandelsgesetzes deutlich, wonach Aktionäre in Deutschland ansässiger, börsennotierter Kapitalgesellschaften bei Erwerb von 3 %, 5 %, 10 %, 15 %, 20 %, 25 %, 30 %, 50 % und 75 % der Stimmrechte verpflichtet sind, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFIN) und dem Emittenten das Überschreiten dieser Schwellen anzuzeigen.140 Diese Anzeigenpflichten dienen dem Zweck, das Unternehmen selbst und die Öffentlichkeit im Sinne einer möglichst reibungslosen Funktionalität des Kapitalmarktes darüber zu informieren, wer entsprechende Einflussnahmemöglichkeiten auf das jeweilige Unternehmen hat.141 Darüber hinaus wird unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten angeführt, dass der Aktionär die Letztverantwortung für das Unternehmen habe, welche mit zunehmendem Umfang der Beteiligung wachse.142 Abhängig vom Wert und Umfang der Beteiligung als auch den aufgrund der Beteiligungshöhe bestehenden faktischen Einflussnahmemöglichkeiten können die Art und Weise sowie der Umfang der Beteiligungsverwaltung bei der ausländischen Gesellschaft sehr unterschiedlich ausfallen und ausgestaltet sein. So werden strategische Investoren regelmäßig bei Investitionen im Bereich vieler Millionen Euro bzw. gegebenenfalls sogar im Milliardenbereich ein erhebliches Interesse daran haben, ihr Investment umfassend zu kontrollieren. Die damit verbundenen Tätigkeiten können von der Gewinnung von Informationen hinsichtlich der Ertragslage z. B. durch die Auswertung öffentlich verfügbarer Informationen wie z. B. Presseinformationen, Veröffentlichung von Quartals- und Jahresabschlüssen und der Wahrnehmung der Investor Relations-Beziehungen bis hin zur Vorbereitung von Aufsichtsratssitzungen desjenigen Aufsichtsratsmitglieds reichen, welches aufgrund der von der ausländischen Gesellschaft gehaltenen Beteiligung in den Aufsichtsrat der deutschen Beteiligungsgesellschaft gewählt wurde. In diesem Zusammenhang vorbereitende Aktivitäten können u. a. die Unterstützung des Aufsichtsratsmitglieds bei der Sichtung und Auswertung von Dokumenten sein. Fungiert die ausländische Holding hingegen als Zwischenholding innerhalb eines Konzerns, kann sie als Bindeglied zwischen ihrer Muttergesellschaft und der deutschen Beteiligungsgesellschaft dienen und in dieser Funktion die Beteiligungsgesellschaft entsprechend kontrollieren und überwachen und im Rahmen 139 140 141 142

Siehe zur Besetzung des Aufsichtsrats die Homepage der Volkswagen AG. § 21 WpHG (Wertpapierhandelsgesetz). Vgl. Schneider, in: Assmann/Schneider, WpHG, Vor § 21 WpHG Rz. 19. Schneider, in: Assmann/Schneider, WpHG, Vor § 21 WpHG Rz. 26.

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dieser Tätigkeit für die Obergesellschaft relevante Informationen aufbereiten sowie Konzerngrundsätze an die Beteiligungsgesellschaft vermitteln. Bereits die Vielzahl möglicher Sachverhaltskonstellationen verdeutlicht, dass letztlich immer nur im konkreten Einzelfall unter Würdigung sämtlicher Umstände des einzelnen Sachverhaltes entschieden werden kann, ob hinreichende Voraussetzungen für eine aktive Beteiligungsverwaltung vorliegen. Eine bloße Alibitätigkeit hingegen kann niemals ausreichend sein. Bei der Analyse der tatsächlich von der ausländischen Gesellschaft wahrgenommenen Tätigkeiten kann m. E. die nachfolgend wiedergegebene Aufzählung von Aufgaben herangezogen werden, welche exemplarisch verdeutlicht, welch umfangreicher Aufgabenkatalog mit einer aktive Beteiligungsverwaltung verbunden sein kann. Danach kann die Beteiligungsverwaltung u. a. folgende Aufgaben umfassen:143 – Einholung periodisch wiederkehrender Meldungen zum Geschäftsverlauf der verschiedenen Untergesellschaften; – Zusammenstellung der gemeldeten Zahlen, Auswertung und Weitergabe an interessierte Stellen und Personen der Obergesellschaft; – kritische Prüfung des Geschäftsverlaufs der Beteiligungen, ggfs. müssen Folgerungen gezogen werden; – Weitergabe von Erkenntnissen, die sich aus der Auswertung des Zahlenmaterials der Untergesellschaften oder die sich aus Zahlen der Obergesellschaft ergeben, an die betroffenen Gesellschaften; – fallweise Einholung von Informationen und Zusammenstellung von Daten zur Weitergabe an die Personen, die die Obergesellschaft in den Organen (z. B. Aufsichtsrat) der Untergesellschaft vertreten, jeweils zu den Sitzungen der Organe; – Weitergabe der Grundsätze an die Untergesellschaften, die für die Erstellung der Wirtschaftspläne zu beachten sind, Einholung der Planzahlen und kritische Prüfung; – Aufbereitung der Planzahlen der Untergesellschaften im Hinblick auf die Planung der Obergesellschaft; – Festlegung der Grundsätze für die Erstellung der Zwischen- und Jahresabschlüsse der zu konsolidierenden Beteiligungen entsprechend den Regelungen der Konzernbilanzierung; – Einforderungen der Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen der zu konsolidierenden Beteiligungen, Prüfung und Weitergabe an die Zentralbuchhaltung der Obergesellschaft; 143

Vgl. Selling, RIW 1991, S. 235 ff.

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– Weitergabe von sonstigen Anweisungen für das externe (und auch das interne) Rechnungswesen an die Untergesellschaften; – Überwachung der Einhaltung gesetzlicher oder satzungsmäßiger Vorschriften durch die Untergesellschaften (z. B. Termine zur Abschlusserstellung, Beachtung von Vorschriften der Gesellschafter hinsichtlich bestimmter Maßnahmen usw.); – Durchführung von Revisionen bei den Untergesellschaften; – Prüfung der Investitionsvorhaben der Untergesellschaften; – Mitwirkung bei der Entscheidungsfindung hinsichtlich der Bemessung der Gewinnausschüttung der Untergesellschaften und spätere Überwachung des Geldeingangs; – Mitwirkung bei der Regelung der Beziehungen zwischen Obergesellschaft und Beteiligung (Leistungsverkehr, Finanzierungsbeziehungen, Durchsetzung des Leitungswillens); – Aufbereitung der Unterlagen für sonstige Entscheidungen im Beteiligungsbereich; – Mitwirkung beim Abschluss von Unternehmensverträgen zwischen Ober- und Untergesellschaft sowie zwischen Untergesellschaften; – Wahrnehmung der Funktion einer „Schaltstelle“ für alle Fragen, die sich zwischen Untergesellschaften und Abteilungen der Obergesellschaft ergeben; – Bearbeitung des die Beteiligungen betreffenden Teils im Geschäftsbericht der Obergesellschaft; – Archivierung aller mit der Beteiligung zusammenhängenden Akten und sonstigen Unterlagen; – Mitwirkung beim Kauf oder Verkauf von Beteiligungen, bei Maßnahmen wie Fusion, Ausgründung, Eingliederung usw. bei Sanierungen, Kapitalerhöhungen (oder -herabsetzungen) und bei den damit zusammenhängenden Bewertungsarbeiten; – Erstellung der Beteiligungserfolgsrechnung, mit deren Hilfe der Beitrag des Beteiligungsbereichs zum Gesamterfolg ermittelt wird. Sofern sämtliche oder auch nur mehrere dieser Tätigkeiten durch eine ausländische vermögensverwaltende Holding ausgeübt werden, kann eine solche Gesellschaft m. E. nicht als missbräuchlich qualifiziert werden. Entscheidend ist allerdings, dass die ausländische Gesellschaft diese Tätigkeiten tatsächlich selbst ausübt. Dies setzt gerade voraus, dass es sich bei der ausländischen Gesellschaft gerade nicht um eine leere Hülle handelt, sondern diese über entsprechende personelle wie auch sachliche Mittel verfügt, um derartige Tätigkeiten tatsächlich

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wahrzunehmen. Übt die ausländische Gesellschaft diese Tätigkeiten aber tatsächlich aus, so kommt ihr eine eigenständige Funktion gegenüber ihrem Gesellschafter zu, welche sie m. E. deutlich von substanzlosen Gesellschaften unterscheidet, die nur formal zwischengeschaltet werden, um einen Steuervorteil zu erlangen. Solche Gesellschaften können m. E. auch nicht als rein künstliche Gestaltungen im Sinne der EuGH-Rechtsprechung qualifiziert werden und sind daher anzuerkennen, auch wenn sie sich letztlich auf die Beteiligungsverwaltung beschränken. Da aber naturgemäß mit abnehmendem Umfang der Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft die Nachweisschwierigkeiten zunehmen, ist zwingend erforderlich, dass die ausländische Gesellschaft nachweisen kann, dass die behauptete Tätigkeit von ihr auch tatsächlich ausgeübt wird. Insoweit wird es erforderlich sein, dass diese eine entsprechende Dokumentation vorhält. Dies kann insbesondere dadurch erfolgen, dass beispielsweise entsprechende Protokolle über Sitzungen der Geschäftsleitung sowie Tätigkeitsbereichte und Einschätzungen gegenüber der Muttergesellschaft und die Kommunikation mit der Beteiligungsgesellschaft vorgelegt werden. Kann aber ein entsprechender Nachweis seitens des ausländischen Steuerpflichtigen im Rahmen seiner gesteigerten verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten erbracht werden, kann m. E. auch eine ausländische vermögensverwaltend tätige Gesellschaft anzuerkennen ein. (4) Stimmrechtspooling Eine im Einzelfall anzuerkennende Funktion einer ausländischen vermögensverwaltenden Zwischengesellschaft kann m. E. auch darin bestehen, dass mittels dieser Gesellschaft die Anteile mehrerer miteinander nicht verbundener Gesellschafter dergestalt gepoolt werden, dass diese ihre Stimmrechte mittels der ausländischen Zwischengesellschaft einheitlich ausüben und damit ihre Einflussnahmemöglichkeit auf die Beteiligungsgesellschaft erhöhen.144 Auch in diesem Fall kann die ausländische Zwischengesellschaft eine anzuerkennende, eigenständige Funktion erfüllen. Zwar ist diese Funktion nicht auf eine Teilnahme am allgemeinen Geschäftsverkehr gerichtet, gleichwohl kann eine derartige Poolung für die Beteiligten wirtschaftlich sinnvoll sein. Ebenso wie die Anerkennung beteiligungsverwaltender ausländischer Gesellschaften setzt aber auch die Stimmrechtspoolingfunktion voraus, dass sich der Ort der Geschäftsleitung tatsächlich in ihrem Ansässigkeitsstaat befindet, d. h. die Entscheidungen über die Stimmrechtsausübung sowie die Verwaltung und Kontrolle der entsprechenden Beteiligungsgesellschaft auch tatsächlich in diesem Ansässigkeitsstaat getroffen werden und dies entsprechend dokumentiert wird, z. B. über Sitzungsprotokolle, das Vorhalten von Reiseunterlagen etc.

144

Vgl. auch Ludwig/Bur, PIStB 2007, S. 270 (273).

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Dem kann m. E. nicht entgegengehalten werden, dass die Gesellschafter zum Zwecke einheitlicher Stimmrechtsausübung auch eine Stimmrechts-GbR hätten gründen können. Bei der Auswahl der Rechtsform sowie der Wahl des Ansässigkeitsstaates des zu gründenden Rechtsträgers sind die Gesellschafter grundsätzlich frei. Dies gilt m. E. auch in sog. Mäander-Fällen145, in denen zwei in Deutschland ansässige Gesellschafter ihre Anteile in einer in einem EU-Staat ansässigen Gesellschaft poolen. Auch insoweit stellt sich die Finanzverwaltung auf den Standpunkt, dass Gesellschafter mit Sitz, Wohnsitz oder Geschäftsleitung im Inland nicht entlastungsberechtigt sind.146 Die Missbrauchsregelung soll nur die Fälle des Treaty Shoppings treffen, bei denen das vorrangige Ziel der Gründung der ausländischen Gesellschaft in der Erlangung der Kapitalertragsteuererstattung besteht. Sofern aber Gesellschafter ihre Anteile in einer Kapitalgesellschaft poolen zum Zweck gemeinsamer Stimmrechtsausübung, ist davon auszugehen, dass es sich dabei um eine anzuerkennende Funktion handelt, die selbst dann nicht missbräuchlich ist, wenn daneben auch der Zweck der Kapitalertragsteuererstattung verfolgt werden sollte. Im Hinblick auf Mäander-Strukturen ist insoweit zu berücksichtigen, dass zwar der deutsche Fiskus zunächst die einbehaltene Kapitalertragsteuer in voller Höhe erstatten muss, er im Fall der Ausschüttung aus der ausländichen Kapitalgesellschaft aber nicht schlechter steht als im Fall einer direkten Beteiligung der Gesellschafter der Zwischengesellschaft an der inländischen Beteiligungsgesellschaft. Für die Anerkennung entsprechender ausländischer Zwischengesellschaften wird man aber fordern müssen, dass durch die Zusammenlegung der Stimmrechte eine signifikante Steigerung der Einflussnahmemöglichkeiten auf die inländische Beteiligungsgesellschaft entsteht. Dies könnte z. B. dann der Fall sein, wenn infolge der Zusammenlegung der Stimmrechte eine relevante Beteiligungsschwelle überschritten wird, z. B. bei Erlangung der absoluten oder relativen Mehrheit der Stimmrechte oder bei Erlangung einer Sperrminorität, welche es ermöglicht, in der Gesellschafterversammlung ein Veto gegen die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einzulegen. Nur wenn eine entsprechende Schwelle infolge der Zusammenlegung überschritten wird, ist dieser Grund anzuerkennen. (5) Joint Ventures Auch im Fall von Joint Ventures, bei denen sich zwei Firmen dergestalt zusammenschließen, dass sie Teilbereiche ihres Unternehmens oder auch ihr gesamtes Unternehmen in ein selbst nicht operativ tätiges Gemeinschaftsunternehmen einbringen, kommt es zur Bildung einer Zwischenholding. Selbst wenn diese Zwischenholding an einem steuerlich vorteilhaften Standort ansässig ist, kann in die145 146

Vgl. zu Mäander-Strukturen auch Günkel/Lieber, Ubg 2008, S. 383 (384). BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, S. 446, Tz. 4.

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sem Fall keinesfalls pauschal vom Vorliegen eines steuerlichen Missbrauchs ausgegangen werden. Vielmehr ist die zwischen den Unternehmen beabsichtigte Zusammenarbeit mittels der errichteten Holdingstruktur gerade ein Ausdruck dessen, dass diese Struktur nicht primär der Erlangung der deutschen Kapitalertragsteuererstattung dient. Im Regelfall wird die Zwischenholding zudem als geschäftsleitende Holding zu qualifizieren sein, indem sie einheitlich die von ihren Gesellschaftern eingebrachten Geschäftsbereiche leiten wird. Das gilt m. E. auch in den Fällen, in denen einer der Joint Venture-Partner eine in Deutschland ansässige Gesellschaft ist. Sofern die Leitung des Joint Ventures tatsächlich durch die ausländische Joint Venture-Gesellschaft ausgeübt wird, ist diese m. E. auch dann nicht als eine missbräuchliche Gestaltung zu qualifizieren, wenn an der Joint Venture-Gesellschaft in Deutschland ansässige Gesellschaften beteiligt sind.147 (6) Familiy Offices Auch in Fällen sog. „Family Offices“ ist m. E. keine missbräuchliche Gestaltung gegeben. Ein solcher Sachverhalt liegt vor, wenn die ausländische Gesellschaft als zentrale Vermögenshaltungs- und Vermögensverwaltungsstelle für ein breit gestreutes Vermögen dient. Die Aufgabe eines solche Familiy Offices besteht darin, das Vermögen einer Familie bzw. eines Familienstammes einheitlich zu verwalten und entsprechend zu erhalten und zu vermehren. Für die Verwaltung des Vermögens in Form einer Kapitalgesellschaft spricht dabei insbesondere die Vermeidung der Zersplitterung des Vermögens auf einzelne Familienmitglieder und damit die einheitliche Wahrnehmung wirtschaftlicher Interessen in Bezug auf bestimmte Unternehmensbeteiligungen. Die Gründung eines entsprechenden Family Offices kann nach einem eingetretenen Erbfall erfolgen, aber auch durch den zukünftigen Erblasser selbst, der durch die Gründung einer entsprechenden Gesellschaft und die damit zusammenhängende Gestaltung des Gesellschaftsvertrages über seinen Tod hinaus den Zusammenhalt seines Vermögens sichern möchte. Ferner wird es oftmals Ziel der Errichtung eines Family Offices sein, durch die Einsetzung eines Managements auf Ebene der ausländischen Gesellschaft eine Professionalisierung der Verwaltung erreicht. Kann nachgewiesen werden, dass die ausländische Gesellschaft einem der zuvor genannten Zwecke dient, so ist m. E. kein Raum mehr dafür, eine missbräuchliche Gestaltung anzunehmen. Vielmehr liegen nicht-steuerliche Gründe für die Errichtung einer entsprechenden Gesellschaft vor, welche als sonst beachtliche Gründe anzuerkennen sind, auch wenn die Einflussnahme auf die entsprechende Beteiligungsgesell-

147 Vgl. dazu auch Endres, PIStB 2007, S. 279 (284 f.) und Kempf/Meyer, DStZ 2007, S. 587.

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schaft selbst unterhalb derjenigen Schwelle bleibt, ab welcher von einer aktiven Beteiligungsverwaltung im zuvor dargestellten Sinne auszugehen wäre.148 Die gegenteilige Ansicht der deutschen Finanzverwaltung, die in solchen Fällen wohl grundsätzlich von einer missbräuchlichen Gestaltung ausgeht, ist hingegen abzulehnen. So hat Deutschland einer österreichischen Familienholding, welche von in Österreich ansässigen Gesellschaftern zwischen sich und ihre in Deutschland ansässige Holding geschaltet wurde, die Kapitalertragsteuererstattung infolge Funktionslosigkeit verweigert.149 Den für die Errichtung vorgebrachten Grund, wonach die Errichtung der österreichischen Holding der Vermeidung der Zersplitterung des in den Händen mehrerer Familienmitglieder befindlichen Aktienbesitzes diente, hat die deutsche Finanzverwaltung nicht als wirtschaftlich beachtlichen Gründungsgrund anerkannt. Zu Recht ist diese steuerrechtliche Behandlung in Österreich auf Ablehnung gestoßen.150 Die für die Errichtung der österreichischen Familienholding angeführten Gründe gingen weit über die bloße Erlangung eines Steuervorteils hinaus und boten nach dem zuvor dargelegten Maßstab keinen Anlass dafür, von einer rein künstlichen, zur bloßen Erlangung eines Steuervorteils errichteten Gestaltung auszugehen. Zudem hat das österreichische Bundesfinanzministerium darauf hingewiesen, dass die Zurechnung der Dividenden der deutschen Beteiligungsgesellschaft zur in Österreich ansässigen antragstellenden Kapitalgesellschaft deren österreichischen Gesellschaftern keine Steuerersparnis bringt, da nicht isoliert auf die Steuerersparnis in einem EU-Mitgliedstaat abgestellt werden könne.151 In diesem Fall ist aber – wie oben bereits ebenfalls schon ausgeführt – davon auszugehen, dass die Erlangung eines Steuervorteils gerade nicht die vorrangige Motivation für die Errichtung der ausländischen Gesellschaft war. Zutreffend hat daher im spiegelbildlichen Fall einer zwischengeschalteten deutschen Holdinggesellschaft der österreichische Unabhängige Finanzsenat im Wege einer grundfreiheitskonformen Auslegung des österreichischen Missbrauchstatbestandes des § 22 BAO entschieden, dass kein Missbrauch vorliegt, wenn ein innerhalb einer Familie verstreuter Anteilsbesitz zur einheitlichen Einflussnahme auf die Zielgesellschaft gebündelt wird.152 Dem hat sich inzwischen auch die österreichische Finanzverwaltung angeschlossen.153 148 Vgl. Piltz, IStR 2007, S. 793 (798), der in der Einschaltung einer ausländischen Gesellschaft zwecks Erbregelung ebenfalls einen beachtlichen wirtschaftlichen Grund sieht. 149 Siehe dazu Bendlinger, ÖStZ 2007, S. 593 (595 f.); Kofler, in: DStJG 33, S. 213 (231). 150 Vgl. EAS 2505 = SWI 2004, S. 537; siehe dazu auch Bendlinger, ÖStZ 2007, S. 593 (595 f.); Kofler, in: DStJG 33, S. 213 (231); vgl. Diskussionsbeitrag Jirousek, zitiert in Günther/Simander/Tüchler, IStR 2009, S. 490. 151 So Bendlinger, ÖStZ 2007, S. 593 (595 f.). 152 UFS Salzburg, GZ RV/0323-S/06 v. 11.4.2007. 153 EAS 3100 = SWI 2009, S. 571.

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(7) Haftungsbeschränkung Das Argument, wonach die Funktion der ausländischen Holdinggesellschaft darin besteht, eine Haftungsbegrenzung ihrer Gesellschafter zu bezwecken, ist m. E. hingegen grundsätzlich abzulehnen. Der Gesellschafter einer in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaft haftet prinzipiell nur mit seiner erbrachten Einlage für Verbindlichkeiten der deutschen Gesellschaft, nicht aber persönlich. Eine darüber hinausgehende persönliche Haftung kommt allenfalls in der Phase bis zur wirksamen Errichtung der Kapitalgesellschaft oder in den Fällen des existenzvernichtenden Eingriffs in Betracht. Letztere Fälle liegen vor, wenn der Gesellschafter die Eigenständigkeit der Kapitalgesellschaft nicht akzeptiert und auch in Fällen außerhalb des Anwendungsbereichs eines Beherrschungsvertrages für die Gesellschaft nachteilige Eingriffe in deren Gesellschaftsvermögen vornimmt. Sofern der im Ausland ansässige Gesellschafter aber gerade vor einer Haftung in letztgenannten Fällen Schutz durch eine Haftungsabschirmung begehrt, ist darin gerade kein anzuerkennender Grund für die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft zu sehen. Zwar dient die Gesellschaft in diesen Fällen ebenfalls nicht vorrangig der Erzielung eines Steuervorteils, doch kann dieser die Nichtdurchsetzbarkeit der deutschen Haftungsregeln bezweckende Grund nicht als relevanter Grund für die Errichtung der Gesellschaft anerkannt werden. Gleichwohl gilt auch hier, dass im Einzelfall etwas anderes gelten kann. Zu denken ist insoweit z. B. an den fremdfinanzierten Erwerb der deutschen Beteiligungsgesellschaft. Insoweit kann ein Interesse des Anteilserwerbers bestehen, die Beteiligung nicht direkt, sondern mittels einer die Haftung gegenüber dem Kreditgeber abschirmenden Zwischengesellschaft zu erwerben. Auch in diesem Fall erfüllt die Zwischengesellschaft eine wirtschaftliche Funktion154 und kann m. E. nicht mittels einer Anti-Treaty-Shopping-Regelung für missbräuchlich erklärt werden. Allenfalls dann, wenn der Kreditgeber aufgrund von Kreditsicherheiten auf die Gesellschafterebene der Zwischengesellschaft zugreifen kann, ist dem Argument der Haftungsabschirmung keine Bedeutung beizumessen. Gleichwohl kann in diesen Fällen aber die Zwischenschaltung einer Gesellschaft dann sinnvoll sein, wenn die finanzierenden Banken die Zwischenschaltung einer entsprechenden Gesellschaft aus vollstreckungsrechtlichen Gründen fordern, um einen vorrangigen Zugriff auf die von ihnen finanzierte Beteiligung an der deutschen Beteiligungsgesellschaft zu erhalten. Diese Beispiele zeigen, dass auch in diesen Fällen eine pauschale Anwendung dieses Missbrauchsverdikts vielfach Fälle erfassen wird, denen sinnvolle wirtschaftliche Überlegungen der beteiligten Parteien zugrunde liegen, welche über die bloße Absicht der Erzielung einer Ermäßigung der Kapitalertragsteuerbelastung hinausgehen.

154

Vgl. Diskussionsbeitrag Rödler, abgedruckt in SWI, 2008, S. 256 (257).

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3. Schlussfolgerung für das Bedürfnis nach einer europarechtskonform ausgestalteten, spezialgesetzlichen Anti-Treaty-Shopping-Regelung Die vorstehenden Ausführungen haben anhand mehrerer Fallgruppen verdeutlicht, in welchen Fällen eine Kapitalertragsteuerentlastung infolge einer missbräuchlichen Gestaltung zu versagen ist und in welchen Fällen ausländischen Gesellschaften eine Entlastung von der deutschen Kapitalertragsteuer zu gewähren ist. Dabei ist deutlich geworden, dass nur in wenigen Fällen eine pauschale Aussage zur Frage der Missbräuchlichkeit möglich ist. Je geringer der Umfang der von der ausländischen Gesellschaft ausgeübten Tätigkeit ist, desto genauer muss diese Tätigkeit analysiert werden. Die pauschale Nichtanerkennung vermögensverwaltender ausländischer Gesellschaften ist abzulehnen. Stattdessen ist anhand sämtlicher Umstände des Einzelfalles zu untersuchen, inwieweit die ausländische Gesellschaft eine eigenständige Funktion erfüllt. Wird eine eigenständige Funktion der ausländischen Gesellschaft nachgewiesen, so ist diese anzuerkennen, auch wenn es sich bei der Gesellschaft um eine bloß vermögensverwaltende Gesellschaft handelt. Für die Frage nach dem Bedürfnis für einen spezialgesetzlichen Missbrauchstatbestand ergibt sich daraus das Folgende: Wie oben eingangs dargestellt, ist die Schaffung eines spezialgesetzlichen Missbrauchstatbestands m. E. nur dann gerechtfertigt, wenn dadurch entweder von der Rechtsprechung als nicht missbräuchlich qualifizierte Sachverhalte nach Auffassung des Gesetzgebers (erstmals) als missbräuchlich qualifiziert werden oder durch die spezialgesetzliche Ausformulierung des Missbrauchstatbestandes ein Mehr an Rechts- und Planungssicherheit für den Steuerpflichtigen geschaffen wird. Beides ist im Hinblick auf eine spezialgesetzliche Anti-Treaty-Shopping-Regelung nicht der Fall. Zum einen hat der BFH Treaty Shopping-Fälle spätestens seit seinem Anti-Monaco-Urteil in langjähriger Rechtsprechung als grundsätzlich missbräuchlich qualifiziert, wenn auch insoweit im Hinblick auf die Qualifikation des Hilversum IISachverhaltes die BFH-Rechtsprechung durch die Finanzverwaltung kritisiert und mit einem Nichtanwendungserlass belegt wurde. Allein diese Entscheidung, die nach absolut herrschender Literaturauffassung vor dem Hintergrund des zugrunde liegenden Sachverhaltes als zutreffend angesehen wurde, vermag eine spezialgesetzliche Missbrauchsregelung nicht zu rechtfertigen. Zum anderen hat die vorstehende Untersuchung verschiedener Fallgruppen verdeutlicht, dass die Formulierung eines abstrakten Missbrauchstatbestandes, der mehr Rechtssicherheit als § 42 AO bietet, zugleich aber mit Europarecht und Völkerrecht in Einklang steht, schlicht nicht möglich ist. Dies liegt daran, dass nur die genaue Analyse sämtlicher Umstände des Einzelfalles eine Einschätzung hinsichtlich einer missbräuchlichen Gestaltung erlaubt. Insoweit aber hat der BFH durch seine Rechtsprechung einen Prüfungsmaßstab entwickelt, welcher eine ausreichende Prüfung bezüglich des Vorliegens einer eigenen Funktion der ausländischen Ge-

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sellschaft erlaubt. Allenfalls könnte darüber nachgedacht werden, § 50d Abs. 3 EStG abweichend vom bisherigen Regelungskonzept als einen Safe Haven auszugestalten, wonach die im Einzelnen näher aufzuführenden Sachverhaltskonstellationen gerade keinen Missbrauch darstellen, während bei Nichtvorliegen dieser entsprechenden Sachverhaltskonstellationen nur im Fall einer rein künstlichen Gestaltung die Anerkennung der ausländischen Gesellschaft zu versagen wäre. Eine derartige Ausgestaltung wäre europarechtlich wohl grundsätzlich zulässig155, würde m. E. für Treaty Shopping-Fälle aber keinen erkennbaren Vorteil bringen. Während in den Fällen eines Safe Haven im Rahmen einer Fremdfinanzierungsklausel die Nennung eines Eigenkapital-/Fremdkapitalverhältnisses eine für den Steuerpflichtigen hilfreiche und die Rechts- und Planungssicherheit fördernde Wirkung hätte, wäre dies im Fall des Treaty Shoppings aufgrund der Regelungsmaterie nicht der Fall. Allenfalls könnten insoweit Formulierungen aufgenommen werden wie das Erfordernis einer aktiven wirtschaftlichen Tätigkeit der Gesellschaft. Allerdings bestünde dann auch weiterhin die erhebliche Schwierigkeit, dass der Aussagegehalt dieser Formulierung im Wege der Auslegung näher zu bestimmen wäre. Der Rechtssicherheit wäre damit nicht mehr gedient als bei Anwendung der bisherigen Rechtsprechung des BFH zu § 42 AO. Da aufgrund dieser erheblichen Schwierigkeiten eine spezialgesetzliche Missbrauchsregelung, welche spezifisch auf Treaty Shopping-Fälle ausgelegt ist, weder von der Rechtsprechung bislang nicht als missbräuchlich anerkannte Sachverhalte als missbräuchlich erfassen würde noch durch eine deutliche Umschreibung der missbräuchlichen Sachverhalte ein Mehr an Rechtssicherheit geschaffen würde, sollte die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG ersatzlos gestrichen werden. Dies würde durch den Wegfall einer überflüssigen Rechtsnorm der Rechtsvereinfachung dienen.

155

Vgl. Schön, IStR 2009, S. 882 (887 f.).

I. Ergebnis 1. Ausschüttungen in Deutschland ansässiger Kapitalgesellschaften unterliegen grundsätzlich einer Kapitalertragsteuerbelastung von derzeit 26,375 %. Diese Kapitalertragsteuer wird im Anwendungsbereich der europarechtlichen Mutter-/Tochterrichtlinie oder eines Doppelbesteuerungsabkommens mit dem Ansässigkeitsstaat des ausländischen Dividendenempfängers reduziert, was eine (teilweise) Freistellung oder Erstattung der Kapitalertragsteuer an den Dividendenempfänger zur Folge hat. 2. Indem ein im Ausland ansässiger Dividendenempfänger die Beteiligung an der in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaft nicht direkt, sondern mittels einer zwischengeschalteten ausländischen Kapitalgesellschaft hält, welche in einem EU-Staat oder einem Abkommensstaat ansässig ist, kann dieser eine Kapitalertragsteuererstattung erlangen, welche er bei direkter Beteiligung nicht oder nicht in dieser Höhe hätte erlangen können. 3. Um zu vermeiden, dass ausländische Gesellschaften allein zum Zweck der Erlangung der Kapitalertragsteuererstattung zwischengeschaltet werden, bestehen sowohl im nationalen deutschen Steuerrecht wie auch in einzelnen von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen spezielle Missbrauchsregelungen, welche eine missbräuchliche Inanspruchnahme der entsprechenden Begünstigungen ausschließen sollen. Die größte Bedeutung kommt dabei der Regelung des § 50d Abs. 3 EStG zu, deren konkreter Regelungsgehalt eine Antwort des Gesetzgebers auf die als zu liberal empfundene Missbrauchsrechtsprechung des BFH darstellt. 4. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG ist sehr restriktiv und gewährt nur dann einen Entlastungsanspruch, wenn die ausländische Zwischengesellschaft eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, für die Zwischenschaltung dieser Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe bestehen und zudem Mindestsubstanzanforderungen gewahrt werden. 5. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG stellt abhängig von der konkreten Beteiligungshöhe einen Eingriff in die Niederlassungs- bzw. die Kapitalverkehrsfreiheit von im EU-Ausland ansässigen Zwischengesellschaften dar. Da § 50d Abs. 3 EStG nicht ausschließlich auf beherrschende Beteiligungen Anwendung findet, sondern unabhängig von der konkreten Beteiligungshöhe gilt, wird die Kapitalverkehrsfreiheit nicht generell von der Niederlassungsfreiheit verdrängt.

I. Ergebnis

253

6. Der Eingriff in die Niederlassung- bzw. Kapitalverkehrsfreiheit von EU-Zwischengesellschaften kann nicht mit Gründen der Missbrauchsbekämpfung gerechtfertigt werden, da die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG sich nicht gezielt gegen rein künstliche Gestaltungen im Sinne der BFH-Rechtsprechung richtet, sondern auch solche Sachverhalte umfasst, bei denen keine rein künstliche Gestaltung vorliegt. 7. Im Hinblick auf in Drittstaaten ansässige Zwischengesellschaften stellt § 50d Abs. 3 EStG eine Beschränkung der weltweit geltenden Kapitalverkehrsfreiheit dar. Die Anforderungen an eine Rechtfertigung der Grundfreiheitsbeschränkung sind in diesen Fällen niedriger. Auf Grundlage des derzeitigen Stands der Rechtsprechung des EuGH können die Beschränkungen durch § 50d Abs. 3 EStG gerechtfertigt werden, wenn gegenüber dem jeweiligen Drittstaat kein mit der EU-Amtshilferichtlinie vergleichbares Amtshilfeabkommen besteht. 8. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG verstößt auch gegen die Mutter-/Tochter-Richtlinie, da der dort vorgesehene Missbrauchsvorbehalt entsprechend dem Missbrauchsbegriff im primären Gemeinschaftsrecht auszulegen ist. 9. Infolge der Europarechtswidrigkeit darf § 50d Abs. 3 EStG grundsätzlich nicht mehr angewendet werden. Eine geltunsgerhaltende Reduktion kommt nicht in Betracht, da durch die Nichtanwendung von § 50d Abs. 3 EStG kein regelungsloser Zustand eintritt, sondern die allgemeine Missbrauchsregelung des § 42 AO Anwendung findet. 10. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG stellt einen Treaty Override dar, welcher gegen das Grundgesetz verstößt. 11. Als Handlungsoptionen kommen insbesondere die europarechtskonforme Ausgestaltung des § 50d Abs. 3 EStG als spezialgesetzliche Missbrauchsregelung oder das Zurückfallen auf den allgemeinen Missbrauchstatbestand des § 42 AO in Betracht. Dabei ist die Beibehaltung eines speziellen Missbrauchstatbestandes nur zu rechtfertigen, wenn durch diesen ein höheres Maß an Rechts- und Planungssicherheit für den Steuerpflichtigen erreicht wird. Die Analyse potentieller Missbrauchssachverhalte hat zu dem Ergebnis geführt, dass aufgrund der Vielzahl potentieller Sachverhaltskonstellationen eine zielgenaue Erfassung von Missbrauchsfällen ohne die Gefahr einer deutlich überschießenden Tendenz der Regelung nicht möglich ist. Aus diesem Grund wird für eine Abschaffung des § 50d Abs. 3 EStG plädiert. Stattdessen sollte allein die allgemeine Missbrauchsregelung des § 42 AO auf diese Sachverhaltskonstellationen Anwendung finden, welche auch in ihrer Neufassung eine umfassende Würdigung aller Umstände ermöglicht.

J. Ergänzung: Änderung des § 50d Abs. 3 EStG durch das BeitrRLUmsG1 Zwischen Abschluss und Veröffentlichung der vorliegenden Arbeit wurde die untersuchte Regelung des § 50d Abs. 3 EStG mit Wirkung zum 1.1.20122 erneut geändert. Nachstehend sollen die sich daraus ergebenden Änderungen kurz dargestellt und im Hinblick auf die zuvor herausgearbeiteten Thesen überprüft werden.

I. Überblick über die Neuregelung Die seit 1.1.2012 geltende Fassung von § 50d Abs. 3 EStG hat folgenden Wortlaut: „Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder Absatz 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, sowie 1. in Bezug auf diese Erträge für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder 2. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftsbetrieb angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. [. . .].“

Laut der Gesetzesbegründung im Bericht des Finanzausschusses stellt die erneute Änderung des § 50d Abs. 3 EStG eine Reaktion des deutschen Gesetzgebers auf das oben dargestellte, seitens der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren dar.3 Die EU-Kommission sah wie oben bereits dargestellt eine Vertragsverletzung darin, dass die in der bislang geltenden Fassung des § 50d Abs. 3 EStG enthaltene Regelung, wonach mehr als 10 % der Bruttoerträge aus 1 Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 7.12.2011, BGBl. I 2012, S. 2592 ff. 2 Sofern die Neufassung für noch offene Veranlagungszeiträume für die Steuerpflichtigen zu günstigeren Ergebnissen als die Altfassung führt, lässt die Finanzverwaltung im Billigkeitswege eine Anwendung der Neuregelung auch auf diese noch offenen Veranlagungszeiträume zu, vgl. BMF v. 24.1.2012, BStBl. I 2012, S. 171. 3 Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags vom 26.10.2011, BT-Drs. 17/7524, S. 17.

I. Überblick über die Neuregelung

255

eigener Wirtschaftstätigkeit stammen müssen, unverhältnismäßig und damit europarechtswidrig ist.4 Kernpunkt der Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG ist, dass die europarechtswidrige5 10 %-Bruttoertragsgrenze vollständig weggefallen ist. Laut der Gesetzesbegründung6 soll die bisherige „Umqualifikationsklausel“ durch eine neue „Aufteilungsklausel“ ersetzt werden. Es entspricht der allgemeinen Literaturansicht wie auch der bereits veröffentlichen Verwaltungsauffassung7, dass eine ausländische Zwischengesellschaft nach der neuen Aufteilungsklausel einen Anspruch auf eine (anteilige) Kapitalertragsteuererstattung hat, „soweit“ die von dieser Zwischengesellschaft erzielten Bruttoerträge aus einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit stammen.8 Soweit die von der ausländischen Zwischengesellschaft erzielten Bruttoerträge hingegen nicht aus einer eigenen Wirtschaftstätigkeit stammen, kommt eine (anteilige) Kapitalertragsteuererstattung in Betracht, soweit kumulativ wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe vorliegen und die ausländische Gesellschaft mit einem für ihren Geschäftszweck angemessenen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. Die Feststellungslast für das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe sowie für das Vorliegen eines entsprechenden Geschäftsbetriebs liegt nach § 50d Abs. 3 S. 4 EStG n. F. bei der ausländischen Gesellschaft. Damit hat der Gesetzgeber einen versteckten9 Vorbehalt einer Gegenbeweismöglichkeit im Sinne des vom EuGH geforderten Motivtests10 aufgenommen.11 Die Regelungen zur persönlichen Entlastungsberechtigung der Gesellschaft bei fiktiver Entlastungsberechtigung ihrer Gesellschafter12 sowie die Ausnahmen für börsennotierte Gesellschaften13 und Investmentvermögen14 wurden unverändert beibehalten. Die Finanzverwaltung hat bereits im Januar 2012 – und damit nur wenige Tage nach Inkrafttreten der Neuregelung – ein Anwendungsschreiben veröffentlicht15, 4

Siehe dazu oben F. V. 3. c) aa) (1) (a). Zur Europarechtswidrigkeit der 10 %-Grenze siehe die Ausführungen oben unter F. V. 3. c) aa) (1) (a). 6 Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags vom 26.10.2011, BT-Drs. 17/7524, S. 17. 7 Vgl. BMF v. 24.1.2012, BStBl. I 2012, S. 171, Rz. 1, 2, 12. 8 Vgl. Dorfmüller/Fischer, IStR 2011, S. 857 (860); Behrens, AG 2011, Steuerjournal, S. 863 (866); Maerz/Guter, IWB 2011, S. 923 (927 f.); Lüdicke, IStR 2012, S. 81 (83); Gosch, in: Kirchhof, EStG, 11. Aufl. 2012, § 50d Rz. 29g; Wiese, GmbHR 2012, S. 376 (379 f.). 9 Gosch, in: Kirchhof, EStG, 11. Aufl. 2012, § 50d Rz. 29g. 10 Siehe dazu oben F. V. 3. b) bb) (5). 11 Vgl. Musil, FR 2012, S. 149 (152). 12 Siehe dazu oben E. II. 2. 13 Siehe dazu oben E. I. 2. a), E. II. 3. a). 14 Siehe dazu oben E. I. 2. b). 15 BMF v. 24.1.2012, BStBl. I 2012, S. 171. 5

256

J. Ergänzung: Änderung des § 50d Abs. 3 EStG durch das BeitrRLUmsG

welches die früheren BMF-Schreiben vom 3.4.2007 und vom 21.6.2010 ersetzt. Dabei ist insbesondere das von der Finanzverwaltung dargelegte Verständnis der Aufteilungsklausel von großer praktischer Relevanz. Die diesbezüglichen Ausführungen sind jedoch, wie im Folgenden aufzuzeigen sein wird, europarechtlich ausgesprochen problematisch.

II. Die neu eingeführte Aufteilungsklausel Wie im vorstehenden Gliederungspunkt bereits dargelegt, entspricht es zunächst allgemeinem Verständnis, dass eine ausländische Gesellschaft nach der neu eingeführten Aufteilungsklausel eine nach DBA, § 43b EStG oder § 44a Abs. 9 EStG mögliche Kapitalertragsteuerentlastung verlangen kann, soweit die von dieser Zwischengesellschaft erzielten Bruttoerträge aus einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit stammen. Während sich in der Altfassung das Wort „soweit“ nur auf die persönliche Entlastungsberechtigung bezog, also auf die Gesellschafterebene der die Entlastung begehrenden Gesellschaft, und nicht auf die kumulativ erforderlichen sachlichen Entlastungsberechtigungen, weil eine Verknüpfung der 10 %-Bruttoertragsgrenze mit dem Wort „soweit“ keinen Sinn ergeben hätte, ist die Neufassung dahingehend zu verstehen, dass sich das Wort „soweit“ auch auf die sachliche Entlastungsberechtigung bezieht.16 Das bedeutet, dass eine sachliche Entlastungsberechtigung besteht, soweit die ausländische Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder soweit in Bezug auf die nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammenden Bruttoerträge für die Zwischenschaltung dieser Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe bestehen und diese Gesellschaft einen entsprechenden Geschäftsbetrieb unterhält.17 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Begriff „Bruttoerträge“ nur die der deutschen Kapitalertragsteuer unterliegenden Einkünfte erfasst oder sich „Bruttoerträge“ auf sämtliche weltweiten Bruttoerträge der ausländischen Gesellschaft bezieht. Die bislang herrschende Literauffassung versteht die Neuregelung dahingehend, dass „Bruttoerträge“ nur diejenigen Einkünfte meint, die der deutschen Abzugsteuer unterlegen haben.18 Zum Teil wird dieses Verständnis 16 Zu diesem Verständnis sowie zur grammatikalischen Herleitung siehe Lüdicke, IStR 2012, 81 (82). 17 Vgl. Lüdicke, IStR 2012, S. 81 (82); a. A. Behrens, Ag 2011, S. 863 (867), der die Ansicht vertritt, dass sich das Wort „soweit“ nicht auf die Nr. 1 und Nr. 2 bezieht. 18 Vgl. dazu Dorfmüller/Fischer, IStR 2011, S. 857 (860 f.); Behrens, AG 2011, S. 863 (866); Maerz/Guter, IWB 2011, S. 923 (927 f.); Engers/Dyckmans, Ubg 2011, S. 929 (932): „Es ist insoweit irrelevant, ob die ausländische Gesellschaft neben den betroffenen Erträgen noch andere Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder nicht. Darin liegt eine entscheidende Änderung im Vergleich zur bisherigen Regelung, die voraussetzt, dass mindestens 10 % der Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstä-

II. Die neu eingeführte Aufteilungsklausel

257

aus der Bezeichnung der Neuregelung als „Aufteilungsklausel“ in der Gesetzesbegründung abgeleitet.19 Andere Autoren haben zwar darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich naheliegend wäre, unter dem Begriff der Bruttoerträge – wie bereits nach der bisherigen Regelung – sämtliche Bruttoerträge der ausländischen Gesellschaft zu verstehen.20 Für eine Auslegung, wonach unter Bruttoerträge nur die der deutschen Abzugsteuer unterliegenden Einkünfte erfasst werden, führen sie aber an, dass eine andere Auslegung zu schwer in den Griff zu bekommenden praktischen Folgen führen würde, da die Zusammensetzung der Bruttoerträge sehr volatil wäre und die Freistellungsquote nur schwierig zu berechnen sei.21 Des Weiteren wird insoweit auch auf das in der Gesetzesbegründung gebildete Beispiel verwiesen, in dem eine ausländische Gesellschaft mit deutscher Quellensteuer belastete Erlöse aus der Verwertung gewerblicher Schutzrechte erzielt.22 Danach hat die ausländische Gesellschaft beim kumulativen Fehlen einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit, beachtlicher Gründe für die Einschaltung der Gesellschaft sowie eines angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs keinen Entlastungsanspruch, wobei es „unerheblich ist [. . .], ob und in welchem Umfang die ausländische Tochter im Übrigen Bruttoerträge aus unschädlicher Tätigkeit erzielt.“ 23 Aus dem letzten Satzteil wird der Schluss gezogen, dass allein darauf abzustellen ist, ob die der deutschen Quellensteuer unterliegenden Einkünfte aus einer eigenen Wirtschaftstätigkeit stammen, während es unerheblich ist, welche sonstigen, nicht der deutschen Abzugsteuer unterliegenden Einkünfte die ausländische Gesellschaft erzielt.24 Während das in der Gesetzesbegründung gegebene Beispiel tatsächlich den Schluss zulässt, dass auf die konkret abzugsteuerpflichtigen Erträge abzustellen ist, hat ein solches Verständnis aber im Gesetzeswortlaut keinen Ausdruck gefunden.25 Zudem weist Lüdicke zutreffend darauf hin, dass bei einem alleinigen Abstellen auf die abzugsteuerpflichtigen Erträge das Tatbestandsmerkmal „im betreffenden Wirtschaftsjahr“ „nicht nur funktionslos, sondern gar unsinnig“ wäre. Die Finanzverwaltung vertritt in dem BMF-Schreiben vom 24.1.2012 die Ansicht, dass unter dem Begriff der Bruttoerträge sämtliche von der ausländischen Gesellschaft erzielte Bruttoerträge – und damit nicht nur die der Abzugsteuer tigkeit stammten (§ 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG): Nach der Altregelung ist hingegen unerheblich, ob sich gerade diejenigen Bruttoerträge, für die die Begünstigung beansprucht werden soll, als Ergebnis eigener Wirtschaftstätigkeit darstellen.“ 19 Vgl. dazu Dorfmüller/Fischer, IStR 2011, S. 857 (860 f.). 20 Vgl. Maerz/Guter, IWB 2011, S. 923 (927 f.). 21 Vgl. Maerz/Guter, IWB 2011, S. 923 (927 f.). 22 Vgl. Maerz/Guter, IWB 2011, S. 923 (927 f.). 23 Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags vom 26.10.2011, BTDrs. 17/7524, S. 17. 24 Vgl. Maerz/Guter, IWB 2011, S. 923 (927 f.). 25 So zutreffend Lüdicke, IStR 2012, S. 81 (84).

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J. Ergänzung: Änderung des § 50d Abs. 3 EStG durch das BeitrRLUmsG

unterliegenden Bruttoerträge – zu verstehen sind.26 Danach ist zunächst zu prüfen27, inwieweit sämtliche Bruttoerträge der ausländischen Gesellschaft aus einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit stammen. Soweit dies nicht der Fall ist, ist zu untersuchen, ob im Hinblick auf die nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammenden Erträge wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Einschaltung der Gesellschaft vorliegen und eine Beteiligung der Gesellschaft am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr erfolgt. Soweit auch die letztgenannten Voraussetzungen nicht gegeben sind, liegen schädliche Erträge vor. Im Verhältnis der schädlichen Erträge zu sämtlichen Bruttoerträgen der Gesellschaft wird dann keine Entlastung gewährt, selbst wenn die aus Deutschland stammenden Erträge, für welche Entlastung von der Kapitalertragsteuer begeht wird, ausschließlich zu den „guten“ Erträgen aus eigener Wirtschaftstätigkeit zählen. Die sich aus diesem Verständnis der Aufteilungsklausel ergebende hohe Komplexität28 und Schwierigkeit bei der Ermittlung der tatsächlichen Entlastungsquote wird an dem in Rn. 12 des BMF-Schreibens gebildeten Beispiel deutlich: In einer ersten Fassung enthielt dieses BMF-Schreiben noch einen Rechenfehler, welcher erst durch ein die erste Fassung ersetzendes BMF-Schreiben29 korrigiert wurde. Die Neuregelung wirkt sich im Vergleich zur bisher geltenden Fassung insoweit vorteilhaft aus, als auch in solchen Fällen, in denen nicht mehr als 10 % der Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt werden, eine Erstattung der Kapitalertragsteuer nicht mehr kategorisch ausgeschlossen ist, sondern zum einen eine – auch nach Verwaltungsansicht zumindest anteilige – Erstattung auf Grundlage der eigenen Wirtschaftstätigkeit erfolgt und der Steuerpflichtige zum anderen die Möglichkeit hat, nachzuweisen, dass auch für die Erzielung der nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammenden Erträge beachtliche Gründe vorhanden sind, die bei gleichzeitigem Vorliegen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs eine Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft (insoweit) als nicht missbräuchlich qualifizieren. Allerdings wird sich die Neuregelung in vielen Fällen zumindest dann nachteilig gegenüber der bisherigen Fassung auswirken, wenn diese Norm, wie insbesondere von der Finanzverwaltung angenommen, dahingehend verstanden wird, dass unter dem Begriff der Bruttoerträge sämtliche Bruttoerträge der ausländischen Gesellschaft zu verstehen sind. Erzielt die ausländische Gesellschaft mehr als 10 % ihrer Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit, so hatte die Gesellschaft bislang einen Entlastunganspruch, wenn zudem für die Zwischenschaltung der Gesellschaft an sich wirtschaftliche oder sonst beacht-

26 27

BMF v. 24.1.2012, BStBl. I 2012, S. 171, Rz. 2, 12. Zur Vorgehensweise bei der Prüfung vgl. das Beispiel in Rz. 12 des BMF-Schrei-

bens. 28 Fischer/Dorfmüller, Ubg 2012, S. 162 (166): „gipfelnd in einem an Komplexität kaum zu überbietenden Beispiel“. 29 IStR 2012, S. 234 f.

III. Die Vereinbarkeit der Neuregelung mit EU-Recht

259

liche Gründe vorlagen und ein entsprechender Geschäftsbetrieb gegeben war.30 Rechtspraktisch hatte das Überschreiten der 10 %-Grenze zumindest indizielle Wirkung dahingehend, dass auch wirtschaftliche Gründe für die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft bestanden, so dass eine vollständige Kapitalertragsteuerentlastung erfolgt ist. In der Neuregelung hingegen müssen die entsprechenden Gründe „in Bezug auf diese Erträge“, d. h. in Bezug auf die nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammenden Erträge vorliegen. Während es nach der Altregelung also darauf ankam, ob für die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft insgesamt wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe bestanden und es danach unbeachtlich war, wenn solche Gründe für einzelne Erträge nicht gegeben waren, ist nach der Neuregelung für die einzelnen Bruttoerträge, die nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, das Vorliegen wirtschaftlicher oder beachtlicher Gründe für eine Entlastung nachzuweisen, Dies stellt eine Verschärfung gegenüber der bisherigen Rechtslage dar.31 Soweit die ausländische Gesellschaft entsprechende Gründe im Hinblick auf sämtliche von ihr weltweit erzielten Bruttoerträge nicht nachweisen kann, erfolgt nach der Verwaltungsansicht nur eine quotale Entlastung von der deutschen Kapitalertragsteuer, selbst wenn sämtliche aus Deutschland stammenden Bruttoerträge der ausländischen Gesellschaft solche aus eigener Wirtschaftstätigkeit sind.

III. Die Vereinbarkeit der Neuregelung mit EU-Recht Auch die neue Fassung des § 50d Abs. 3 EStG ist ebenso wie die vorherige Fassung an den Grundfreiheiten des AEUV zu messen. Da der Adressatenkreis der Norm unverändert geblieben ist, stellt auch die geänderte Fassung weiterhin einen Eingriff in die Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit ausländischer Gesellschaften dar. Es stellt sich daher insoweit auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Regelung. Wie oben näher dargestellt32, haben insbesondere die nach der Altfassung erforderliche 10 %-Bruttoertragsgrenze, das Erfordernis des kumulativen Vorliegens einer eigenen Wirtschaftstätigkeit, wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe und der Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr mittels eines angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs sowie die Unzulässigkeit der Berücksichtigung von Konzernaspekten zu einer Unverhältnismäßigkeit und damit zu einer Europarechtswidrigkeit der Norm geführt. In der Neuregelung sind die 10 %-Bruttoertragsgrenze und das Erfordernis des kumulativen Vorliegens der vorgenannten drei Voraussetzungen entfallen. Gleichwohl ist 30

Vgl. Engers/Dyckmans, Ubg 2011, S. 929 (933). Vgl. Engers/Dyckmans, Ubg 2011, S. 929 (933); a. A. wohl Gosch, in: Kirchhof, EStG, 11. Aufl. 2012, § 50d Rz. 29h, der eine Erleichterung darin sieht, dass Erfordernis wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe nicht mehr im Hinblick auf solche Bruttoerträge erforderlich ist, die aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen. 32 Siehe dazu oben F. V. 3. c). 31

260

J. Ergänzung: Änderung des § 50d Abs. 3 EStG durch das BeitrRLUmsG

auch die Neufassung der Regelung m. E. weiterhin als unverhältnismäßig und damit europarechtswidrig zu qualifizieren. Dies gilt insbesondere für die neu eingeführte Aufteilungsklausel in der von der Finanzverwaltung vorgenommenen Auslegung. Zwar soll dem Vernehmen nach im Vorfeld der Gesetzesänderung der nunmehr geltende Wortlaut der Regelung mit der EU-Kommission abgestimmt worden sein.33 Zu Recht wird aber in der Literatur die Frage aufgeworfen, was die Kommission bewogen haben mag, sich mit der Neuregelung zufrieden zu geben.34 Soweit die aus Deutschland stammenden Erträge als solche aus einer eigenen Wirtschaftstätigkeit der ausländischen Gesellschaft zu qualifizieren sind, weil z. B. die ausländische Gesellschaft gegenüber der deutschen Gesellschaft die Aufgaben einer geschäftsleitenden Holding wahrnimmt35, so ist für die auf Dividendenausschüttungen einbehaltene deutsche Kapitalertragsteuer der volle nach einem DBA oder nach § 43b EStG vorgesehene Entlastungsanspruch zu gewähren. Eine nur quotale Entlastung, weil die ausländische Gesellschaft in einem anderen Staat schädliche Erträge erzielt, ist unverhältnismäßig und geht über eine Missbrauchsbekämpfung deutlich hinaus.36 Stammen die aus Deutschland erzielten Erträge aus einer eigenen Wirtschaftstätigkeit, so liegt insoweit gerade keine rein künstliche Gestaltung im Sinne der EuGH-Rechtsprechung vor, die bar jeder wirtschaftlichen Realität wäre. Vielmehr begründet die Ausübung der eigenen Wirtschaftstätigkeit eine wirtschaftliche Realität, die anzuerkennen ist. Ob die Gesellschaft in anderen Staaten passive Einkünfte erzielt, muss insoweit unbeachtlich sein.37 Sofern in der Literatur hingegen die Ansicht vertreten wird, dass sich der Gesetzgeber mit der Neuregelung nun sicher auf europarechtskonformen Terrain bewegt38, ist dies abzulehnen. Europarechtskonform wäre die Aufteilungsklausel allenfalls dann, wenn man sie – wie von der h. M. in der Literatur vertreten – dahingehend verstehen würde, dass unter dem Begriff „Bruttoerträge“ tatsächlich nur die der deutschen Abzugsteuer unterliegenden Erträge zu verstehen wären. Soweit diese Erträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen sollten, verbliebe dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, nachzuweisen, dass wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft vorliegen. Eine derartige Auslegung sollte grundsätzlich in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH stehen, welche die Möglichkeit eines Gegenbeweises im Grundsatz zumindest in den Fällen zulässt, in denen

33

Lüdicke, IStR 2012, S. 81 (84). Lüdicke, IStR 2012, S. 81 (84); Fischer/Dorfmüller, Ubg 2012, S. 162 (167). 35 In der Tätigkeit einer geschäftsleitenden Holding sieht auch die Finanzverwaltung, wie oben dargestellt, eine eigene Wirtschaftstätigkeit. 36 Lüdicke, IStR 2012, S. 81 (84). 37 So auch Lüdicke, IStR 2012, S. 81 (84). 38 So Musil, FR 2012, S. 149 (152). 34

III. Die Vereinbarkeit der Neuregelung mit EU-Recht

261

das Gesetz sachgerechte Kriterien für Sachverhalte definiert, in denen die Annahme eines Missbrauchs als wahrscheinlich erscheint. Basierend auf der EuGHRechtsprechung in der Rs. Cadbury-Schweppes kann das Fehlen einer eigenen Wirtschaftstätigkeit ein sachgerechtes Kriterium darstellen. Gleichwohl wird man davon auszugehen haben, dass die Annahme eines Missbrauchs seitens der Finanzverwaltung auch in den Fällen unverhältnismäßig ist, in welchen sie ungeachtet des Fehlens einer eigenen Wirtschaftstätigkeit Kenntnis über solche Umstände hat, die wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe darstellen, vom Steuerpflichtigen aber nicht explizit vorgetragen werden. Als verhältnismäßig sollte es insoweit auch anzusehen sein, dass der Steuerpflichtige für nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammende Bruttoerträge im Hinblick auf diese konkreten Erträge das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe nachweisen muss und – anders als nach der bisherigen Fassung – nicht mehr nur für die Zwischenschaltung der Gesellschaft als solche. Dies würde auf eine Untersuchung der Frage hinauslaufen, ob die Zuordnung der jeweiligen Einkunftsquelle missbräuchlich ist, was m. E., wie oben dargestellt, unionsrechtlich grundsätzlich zulässig ist.39 Im Hinblick auf das vorherrschende Verständnis in der Literatur stellt sich aber das Problem, dass das Tatbestandsmerkmal „im betreffenden Wirtschaftsjahr“ keine Bedeutung mehr hätte und eine solche „europarechtskonforme Auslegung“ 40 der Regelung m. E. die Grenzen der zulässigen Auslegung überschreiten und letztlich auf eine geltungserhaltende Reduktion der Norm hinauslaufen würde. Wie bereits oben näher dargestellt, ist eine geltungserhaltende Reduktion des § 50d Abs. 3 EStG aber abzulehnen. Dies gilt für die Neuregelung in gleicher Weise wie für die Altregelung. Gegen eine geltungserhaltende Reduktion spricht insbesondere, dass auch bei Annahme der Europarechtswidrigkeit kein regelungsloser Zustand bestünde, sondern stattdessen weiterhin die allgemeine Missbrauchsregelung des § 42 AO zur Verfügung stünde, welche im Übrigen vergleichbare Tatbestandsmerkmale wie eine „reduzierte“ Fassung von § 50d Abs. 3 EStG hätte. Zudem konnte der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der im Schrifttum zur alten Rechtslage bereits erörterten Frage der Europarechtskonformität der Regelung nicht davon ausgehen, dass eine quotale Versagung des Entlastungsanspruchs infolge der Einbeziehung ausländischer Bruttoerträge europarechtskonform sein würde. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass auch das in der zweiten Entlastungsvariante erforderliche kumulative Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe sowie einer Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr mittels eines angemessenen eingerichteten Geschäftsbetriebs wie bereits bislang als un39 40

Siehe dazu oben H. II. 2. b) bb) (1) (a). Vgl. z. B. Wiese, GmbHR 2012, S. 376 (381).

262

J. Ergänzung: Änderung des § 50d Abs. 3 EStG durch das BeitrRLUmsG

verhältnismäßig und damit unionsrechtswidrig zu qualifizieren ist.41 Sofern eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist, sollte die Annahme einer rein künstlichen Gestaltung im Sinne der EuGH-Rechtsprechung ausscheiden. Auch der Umstand, dass weiterhin Konzernaspekte unberücksichtigt bleiben, ist wie oben dargestellt als europarechtswidrig zu qualifizieren.42

IV. Schlussfolgerungen für die oben gegebenen Handlungsempfehlungen Im oben stehenden Hauptteil der Arbeit wurde dargelegt, dass für die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG als spezialgesetzliche Missbrauchsregelung kein Bedürfnis besteht und die zahlreichen gesetzgeberischen Versuche, von der Rechtsprechung vermeintlich akzeptierte Missbrauchsgestaltungen zu bekämpfen, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Sachverhaltsvarianten zu keinem rechtssicheren und praktikablen Gesetzestatbestand geführt haben. Soweit die Tatbestandsmerkmale der früheren Fassung des § 50d Abs. 3 EStG hingegen europarechtskonform waren, gingen sie nicht über die von der Rechtsprechung konkretisierten Merkmale hinaus und haben daher die oben dargestellten Anforderungen an eine spezialgesetzliche Missbrauchsnorm nicht erfüllt. Das Ergebnis der vorliegenden Arbeit wird nach hier vertretener Ansicht durch die erneute Änderung des § 50d Abs. 3 EStG bestätigt. Würde man tatsächlich eine – m. E. unzulässige – geltungserhaltende Reduktion der Regelung vornehmen, so wäre im Ergebnis eine Kapitalertragsteuerentlastung insbesondere dann zu gewähren, soweit die aus Deutschland stammenden, der Quellensteuer unterliegenden Einkünfte entweder aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen oder soweit die ausländische Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Erzielung dieser Einkünfte anführen kann. Damit würde der Tatbestand aber im Wesentlichen den Tatbestandsmerkmalen des § 42 AO entsprechen, zumal das Kriterium der eigenen Wirtschaftstätigkeit wie oben dargestellt nach ständiger Rechtsprechung des BFH ein Indiz für das Vorliegen beachtlicher Gründe und damit gegen einen Missbrauch darstellt. Für diesen Fall aber bietet § 42 AO bereits ausreichende Mittel zur Missbrauchsbekämpfung, so dass es eines spezialgesetzlichen Missbrauchstatbestandes nicht bedarf. Ich plädiere daher auch nach der jüngsten Änderung des § 50d Abs. 3 EStG weiterhin für die Abschaffung dieser Regelung.43 Dies würde der Rechtsvereinfachung dienen, ohne dass dadurch einem Missbrauch Vorschub geleistet würde.

41

Vgl. Behrens, AG 2011, S. 863 (868). Vgl. auch Kraft/Gebhardt, DB 2012, S. 81 (83). 43 Für eine Abschaffung des § 50d Abs. 3 EStG zugunsten der Anwendung von § 42 AO auch Lüdicke, IStR 2012, S. 81 (87). 42

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Sachverzeichnis Abgeltungswirkung 116 Anti-Monaco-Rechtsprechung 37, 38, 40, 250 Aufteilungsklausel 255, 256 ff., 260 außersteuerliche Gründe 207, 213 f., 240

Entlastungsberechtigung mittelbarer Gesellschafter 73 EU-Amtshilferichtlinie 253 EU-Kommission 16, 89, 111, 122, 124, 150, 220, 223, 254, 260

Beitreibungsrichtlinienumsetzungsgesetz 254 Beteiligungsverwaltung 79, 241 ff., 245, 248 börsennotierte Gesellschaften, Ausnahme für 86, 239 Bosal-Urteil 90, 99, 151, 173, 174 Briefkastenfirma 127, 233

Family Offices 247 Freistellungsbescheinigung 21

Cadbury Schweppes-Urteil 47 f., 77, 94, 104, 112, 121, 123, 126 ff., 132 ff., 140, 144 ff., 150 ff., 216 ff., 233, 263 Centros-Urteil 97 f., 112, 140 f., 144 CPECs 28 Demokratieprinzip 195, 197 Dienstleistungen 77, 85, 129, 232 f. Directive Shopping, Begriff 18 Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz 32, 34 f., 65 ff., 87, 181 Doppelbesteuerungsabkommen USA 23, 56 ff., 67, 70, 87, 181, 226, 230, 239, 271 – Aktivitätstest 62 – Börsenhandelstest 58, 60 – Derivative benefit test 61 – Ownership- und Base Erosion-Test 60 Eigene Wirtschaftstätigkeit 76 Einlagekonto 22

Gegenbeweisrecht 148, 216 ff., 220, 221 geltungserhaltende Reduktion 154 ff., 261, 262 Geschäftsbetrieb, angemessen eingerichteter 70, 84, 152 gesetzliche Vermutung 133, 214 f. Grundfreiheiten, Konkurrenzverhältnis 103 Haftungsbeschränkung 249 Hilversum I-Urteil 40, 42 f., 201 Hilversum II-Urteil 42 ff., 46 f., 137, 140, 153, 202, 229, 250 Holding – geschäftsleitende Holding 47, 78, 114, 203, 234 ff., 237 f., 247 – vermögensverwaltende Holding 63, 244 Inbound-Sachverhalte 16, 18, 29, 134 ff., 144, 146 ff., 153, 203, 217 Inspire Art-Urteil 97, 112, 140 ff. Investmentvermögen, Ausnahme für 70, 255 Jahressteuergesetz 2007 30, 46, 79, 120, 180 Jahressteuergesetz 2008 24, 206, 217

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Sachverzeichnis

Jahressteuergesetz 2009 49 Joint Venture 247 Kapitalverkehrsfreiheit 90, 94 f., 101 ff., 117, 120, 133 f., 139, 151, 154, 156 ff., 161 ff., 169 f., 252 f., 259 Kontrollfunktion 241 Konzernaspekte 154, 262 Krabbe-Schreiben 37 Limitation-on-benefits-Klausel 56 f., 64 f., 87, 181, 226, 230, 239 Luxemburg 27 f. Mäander-Strukturen 73 Mindestsubstanz 140, 156, 204 missbräuchliche Zuordnung von Beteiligungen 229 Missbrauchsvorbehalt 51, 121, 146, 152, 171, 175 f., 184 f., 187 f., 199, 253 Monaco-Urteil 32, 34, 38 f., 51, 221, 250 Motivtest 130, 133, 153, 155, 216, 255 Mutter-/Tochter-Richtlinie 23 f., 72, 90, 116, 122, 138, 146, 149, 152, 170 ff., 228, 233, 253 Nichtanwendungserlass 42, 44, 47, 107, 250 Niederländischer Brüder-Fall 34 Niederländisches Stiftungs-Urteil 37 Niederlassungsfreiheit 96 ff., 101 ff., 107 ff., 115, 117, 120, 122, 127, 133 ff., 138 f., 141, 143 ff., 147, 151, 157, 159, 162, 165, 252 – Erwerbszweck 96, 100 f. – Kontrolltheorie 98, 117, 139 f. – Leitungserfordernis 99 Nutzungsberechtigter 53 f., 56 OECD 16, 18, 19, 23, 49, 52 ff., 69, 146, 179, 183, 186, 187, 191, 225 f., 230, 239

Outbound-Sachverhalte 16, 135 ff., 144, 146, 148 Outsourcing 162, 231, 232 pacta sunt servanda, Grundsatz 178, 188, 193 ff. passive Beteiligungsverwaltung 78 Quintett-Fälle 30 f., 34 Rechtsstaatsprinzip 190, 195 ff. Rechtsvereinfachung 251, 262 rein künstliche Gestaltung 47 f., 124 ff., 217 ff., 235, 253, 260 Segers-Urteil 97, 141 segmentierende Betrachtung 36, 86 f. SOPARFI-Urteil 46 ff., 136, 140, 203 f. spezialgesetzliche Missbrauchsnorm 222, 262 Steuerarbitrage 25, 27 Steuerhinterziehungs- und Missbrauchsbekämpfungsgesetz 49 Steuerplanungstechniken 15, 46 Steuervorteil 125, 127, 129, 131, 206 ff., 210 ff., 227, 245 Stimmrechtspooling 245 Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr 77, 84 ff., 259, 261 Treaty Override 177 ff., 182, 184, 187 ff., 188, 189, 190 f., 193 ff., 197 f., 200, 253 Treaty Shopping, Begriff 18 Typisierung 175, 217 Umqualifikationsklausel 255 unangemessene rechtliche Gestaltung 207 ungewöhnliche Gestaltung 39, 207 Unternehmensteuerreform 2008 222

Sachverzeichnis Vermögensholding 234, 238 Vermögensverwaltung 77, 151, 239 wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit 127 wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe 29, 32 f., 36, 39, 43, 45, 47,

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70, 75, 81, 84, 148, 152, 202, 223, 240, 252, 254 ff., 258 ff. Zustimmungsgesetz 177, 189 ff., 198