Die Vollstreckungsübernahme nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG: Die Ausnahmeverfahren der Vollstreckungsübernahme, ihre rechtsstaatlichen Grenzen und der Schutzanspruch des Verurteilten [1 ed.] 9783428558704, 9783428158706

Es wird die Frage untersucht, ob die Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 und § 54a IRG legit

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German Pages 306 Year 2020

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Die Vollstreckungsübernahme nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG: Die Ausnahmeverfahren der Vollstreckungsübernahme, ihre rechtsstaatlichen Grenzen und der Schutzanspruch des Verurteilten [1 ed.]
 9783428558704, 9783428158706

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Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Band / Volume 41

Die Vollstreckungsübernahme nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG Die Ausnahmeverfahren der Vollstreckungsübernahme, ihre rechtsstaatlichen Grenzen und der Schutzanspruch des Verurteilten

Von

Barbara Krüll

Duncker & Humblot · Berlin

BARBARA KRÜLL

Die Vollstreckungsübernahme nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG

Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Herausgegeben von / Edited by Prof. Dr. Dr. h.c. Kai Ambos, Richter am Kosovo Sondertribunal Berater (amicus curiae) Sondergerichtsbarkeit für den Frieden, Bogotá, Kolumbien

Band / Volume 41

Die Vollstreckungsübernahme nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG Die Ausnahmeverfahren der Vollstreckungsübernahme, ihre rechtsstaatlichen Grenzen und der Schutzanspruch des Verurteilten

Von

Barbara Krüll

Duncker & Humblot · Berlin

Unter Beteiligung des Göttinger Vereins zur Förderung der Strafrechtswissenschaft und Kriminologie sowie ihrer praktischen Anwendung e. V.

Die Juristische Fakultät der Universität Würzburg hat diese Arbeit im Jahr 2019 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 1867-5271 ISBN 978-3-428-15870-6 (Print) ISBN 978-3-428-55870-4 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

An all jene, die sich unter menschenunwürdigen Bedingungen in Haft befinden, in der Hoffnung, dass ihr tägliches Leiden gehört wird und sie aus den elenden Umständen befreit werden.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2019 von der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität als Dissertationsschrift angenommen. Besonderen Dank schulde ich meinem Doktorvater und Erstgutachter Prof. Dr. Frank Peter Schuster. Er stand mir nicht nur bei der Themenwahl, sondern auch mit seinem Rat stets zur Seite und konnte die Arbeit durch seine geduldige und konstruktive Art entscheidend fördern. Ebenso gilt mein Dank der Zweitgutachterin dieser Schrift, Prof. Dr. Stefanie Schmahl, welche sich aus völkerrechtlicher Sicht mit der Arbeit auseinandersetzte und durch ihr zügig erstelltes Gutachten noch sachdienliche Anregungen zur Arbeit beitragen konnte. Zudem danke ich Prof. Dr. Dr. h. c. Kai Ambos für die Aufnahme in die Beitragsreihe „Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht“. Unberücksichtigt lassen möchte ich ferner nicht all jene, die mich in den letzten drei Jahren begleiteten. Namentlich nennen möchte ich Herrn Dr. iur. George Andoor, der mir insbesondere den Einstieg in das Projekt „Promotion“ vereinfachte und auch später kleinere Abschnitte der Arbeit gegenlas. Frau Theresa Barufke, Herrn Alexander Liedl und Herrn Christopher Böhm danke ich nicht nur für ihre Zeit, in der sie mir des Öfteren beim Bericht über etwaige Errungenschaften zuhörten, sondern auch für das abschließende Lesen der gesamten Arbeit. Letzterem danke ich zudem für seine Geduld, die mir bei technischen Problemen zu Gute kam. Last but not least möchte ich meinen Eltern, Ulrich und Antonia Krüll, danken, die mich stets in meinem Leben unterstützen. Ihnen verdanke ich nicht nur die Möglichkeit des juristischen Studiums, sondern auch das Durchhaltevermögen, meine Träume zu erreichen. Würzburg, 11.11.2019

Barbara Krüll

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

1. Kapitel Die Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 28



A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I.

Internationale Zusammenarbeit und Grundprinzipien des internationalen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. Rechtshilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Wesentliche Grundprinzipien des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 a) Souveränitätsprinzip und Gleichheit der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 b) Nichteinmischungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 c) Vorbehalt des ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 d) Territorialitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 e) Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 f) Prinzip des „locus regit actum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

II. Rechtshilfe in Form der Vollstreckungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Vollstreckungshilfe in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Sinn und Zweck der Vollstreckungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Aus Perspektive des Urteilsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Aus Perspektive des Vollstreckungsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 c) Aus Perspektive des Verurteilten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3. Unterschiede zu weiteren Instrumenten der Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Auslieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 b) Durchlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 c) Sonstige Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 d) Rechtsinstitut der Übertragung und Übernahme der Strafverfolgung . . . 48 III. Wichtige völkerrechtliche Übereinkommen zum Menschenrechtsschutz . . . . . . 49 1. Einleitender Überblick zu völkerrechtlichen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte . . . . . . . . . . . . . 51 3. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4. Völkerrechtliche Verbote von Folter und unmenschlicher Behandlung . . . . 55

10

Inhaltsverzeichnis 5. Problematik zwischen Menschenrechtsschutz und internationaler Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 IV. Regelungen zur Vollstreckungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Im Bereich fehlender zwischenstaatlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Im Bereich multilateraler Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Überstellungsübereinkommen des Europarats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Unionsrechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Im Bereich bilateraler Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

B. Regelverfahren der Vollstreckungsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 I.

Förmliches Verfahren der Vollstreckungsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Ersuchen um Vollstreckungsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Ausführungsverfahren der Bundesrepublik Deutschland als Vollstreckungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Ausgestaltung des Exequaturverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Ausgestaltung des Bewilligungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Weiterleitung der Entscheidung und die Vollstreckung im Inland . . . . . . . . 69 a) Beendigung des Vollstreckungshilfeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Gegenstand der Vollstreckung des auswärtigen Urteils . . . . . . . . . . . . . . 70

II. Voraussetzungen der Vollstreckungsübernahme im vertraglosen Bereich . . . . . 74 1. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Vollstreckungsübernahme . . . . . . . . . . . 74 a) Zulässigkeitsvoraussetzungen in § 49 Abs. 1 Nr. 1 bis 5, Abs. 2 und 4 IRG 75 aa) Vollständiges, rechtskräftiges und vollstreckbares Erkenntnis . . . . . 75 bb) Vereinbarkeit des ausländischen Verfahrens mit der EMRK . . . . . . . 75 cc) Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 dd) Keine Entscheidung der in § 9 Nr. 1 IRG genannten Art . . . . . . . . . . 78 ee) Keine Vollstreckungsverjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 ff) Einverständnis der verurteilten Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 gg) Äquivalenz auswärtiger und deutscher Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Zulässigkeitsvoraussetzung des § 73 S. 1 IRG als Auffangtatbestand . . . 80 2. Umwandlung der Sanktion nach § 54 Abs. 1 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3. Regelungen zur Reststrafenaussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

Inhaltsverzeichnis

11

2. Kapitel Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG sowie die Legitimation der Vollstreckung 86



A. Grundstruktur der Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme . . . . . . . . . . 87 I.

Regelungsinhalt der Ausnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Regelungsinhalt des § 49 Abs. 3 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Regelungsinhalt des § 54a IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 a) Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Alternative Anwendung der § 54a Abs. 1 Nr. 1 und § 54 Abs. 1 Nr. 2 IRG 90 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

II. Regelungszweck der Ausnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 III. Verhältnis des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG zu § 73 S. 1 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Nach dem Wortlaut des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Nach der Historie des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3. Nach dem subjektiven Willen des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 B. Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I.

Antrag durch den Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Einleitender Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Antrag als Grundrechtsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Grundrechtsverzicht im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Dispositionsbefugnis über Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Voraussetzungen der wirksamen Antragsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Antragsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Antragsfähigkeit trotz körperlich beeinträchtigender Haftbedingungen 104 bb) Problem bei fehlender Antragsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (1) Stellung des formellen Antrags durch den gesetzlichen Betreuer 106 (2) Materielle Zustimmung zum Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG . . 107 (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Freiwilligkeit des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Unwiderruflichkeit des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Allgemeine Unwiderruflichkeit des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 (1) Unwiderruflichkeit von Prozesserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . 114 (2) Unwiderruflichkeit des Grundrechtsverzichts . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Unwiderruflichkeit bei schweren Willensmängeln . . . . . . . . . . . . . . 116 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

12

Inhaltsverzeichnis d) Belehrung des Verurteilten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 e) Protokoll im Antragsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Abwägung des Gerichts gem. § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1, 2 IRG . . . . . . . . . . 122 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

C. Legitimation der Vollstreckung eines eigenen Rechtsstandards widersprechenden Urteils 123 I.

Mögliche Vollstreckungszwecke und Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Schutz des rechtshilferechtlichen Verkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Anerkennung und Tilgung des fremden Strafbedürfnisses . . . . . . . . . . . . . . 126 3. Schutz des Betroffenen als übergeordneter Zweck der Vollstreckung . . . . . 127

II. Maßstab einer Rechtshilfe und besondere Achtung der Subjektqualität . . . . . . . 128 1. Ordre public als Rechtsmaßstab der Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Zustimmungserfordernis als vorbeugender Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG . . . 130 a) Zustimmungserfordernis im Regelverfahren gem. § 49 Abs. 1, 2 IRG . . 130 b) Zustimmungserfordernis in § 49 Abs. 3 Hs. 2 und § 54a Abs. 2 IRG . . . . 131 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 III. Mögliche Mängel bei der Wahrheitsfindung im Urteilsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Rechtskraft der auswärtigen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Vertiefende Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 aa) Materielle Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 bb) Fehlurteile in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Rechtskraft des auswärtigen Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 c) Grenze bei erheblichen Zweifeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Einverständnis des Betroffenen als eine Art Schuldeingeständnis . . . . . . . . 139 3. Schutz der Rechte des Verurteilten als Ausgleich zu verbleibenden Restzweifeln 140 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Legitime Vollstreckungszwecke der Ausnahmeverfahren . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Schlussfolgerung zur Art der Haft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

3. Kapitel Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG im Lichte verfassungsrechtlicher Vorgaben 145



A. Generalvorbehalt des ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 I.

Begriff des ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

II. Inhalt des ordre public im Vollstreckungsübernahmerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

Inhaltsverzeichnis

13

1. Typische Fallgruppen im Vollstreckungsübernahmerecht . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Verstöße im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Unvereinbarkeit der Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Abschließender Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 B. Anwendungsbereich des § 49 Abs. 3 IRG im Lichte der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . 153 I.

Kein Verzicht auf das Erfordernis des vollständigen, rechtskräftigen und vollstreckbaren Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

II. Verzicht auf die Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Rechtliche Unterscheidung der Garantien der EMRK und dem ordre public 156 2. Völkerrechtliche Pflicht zur Achtung der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Bevorstehender Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Bereits stattgefundener Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 III. Verzicht auf die Voraussetzung des § 49 Abs. 3 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Ursprung der Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . 164 2. Kritik der Literatur am Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit . . . . . . . . 165 3. Verzicht auf die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit . . . . . . . . . . 167 IV. Verzicht auf die Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Rechtlicher Hintergrund des § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Zwingende Ablehnung bei deutschem Freispruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3. Zwingende Ablehnung bei erfolgter Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 V. Verzicht auf die Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Rechtlicher Hintergrund des § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Verzicht auf die Voraussetzung der Vollstreckungsverjährung . . . . . . . . . . . 174 a) Rechtlicher Hintergrund der Vollstreckungsverjährung im innerstaatlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Bedingung der Vollstreckungsverjährung im Vollstreckungsübernahmeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 C. Anwendungsbereich des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG im Lichte der Verfassung . . 178 I.

Verzicht auf die Grenze des deutschen Höchstmaßes durch § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG 178 1. Rechtlicher Hintergrund des § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Verzicht auf die Voraussetzung des § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 IRG . . . . . . . . . . . 179 a) Höchstmaße als Schutz des ordre publics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Problem der Vollstreckung von zeitigen Freiheitsstrafen über 15 Jahren . . 181

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Inhaltsverzeichnis c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Modifikation des § 57 Abs. 2 IRG durch § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG . . . . . . . . . . . . . 184 1. Regelungen der Reststrafenaussetzung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . 185 2. Pflicht zur gesetzlichen Regelung der Reststrafenaussetzung . . . . . . . . . . . 186 a) Bei zeitiger Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 aa) Historischer und rechtspolitischer Hintergrund des § 57 StGB . . . . . 188 bb) Modifikation des § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57 StGB durch § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (1) Zustimmung des Urteilsstaates nach dem Zwei-Drittel-Zeitpunkt 191 (2) Gefahr der ausbleibenden Zustimmung des Urteilsstaats bei fehlendem auswärtigen Strafaussetzungssystem . . . . . . . . . . . . . . . 192 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Bei lebenslanger Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 aa) Verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Hintergrund der Rest­ strafenaussetzung bei lebenslanger Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . 194 bb) Modifikation des § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a StGB durch § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (1) Ausdrückliche Bedingung der vollen Verbüßung der lebenslangen Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (aa) Gnadenrecht als ausreichende Sicherung der Chance auf Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (bb) Einwilligung des Verurteilten als Zustimmung zur lebens­ langen Haft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (2) Gefahr der vollen Verbüßung der Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . 199 (aa) Gefahr der wiederholten Ablehnung der Reststrafenaussetzung 199 (bb) Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (α) Begründung der Ablehnung der Reststrafenaussetzung 201 (β) Zeitliche Grenze der Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 202 (γ) Missbilligung der zusätzlichen Bedingungen durch den Urteilsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

D. Schutz des zukünftigen Rechtshilfeverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 I.

Faktische Gefahr des Abbruchs der Strafvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Einleitende Gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Beweis der unwirksamen Antragsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Rechtsbehelf der Beschwerde durch Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand 209

Inhaltsverzeichnis

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4. Außerordentlicher Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . 210 a) Rechtswegerschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 b) Eingeschränkte Prüfungskompetenz des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 II. Rechtliche Möglichkeiten zum Schutz des Vertrauens des Urteilsstaates . . . . . . 213 1. Durchführung eines eigenen Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Vereinbarung der Rücküberführung in den Urteilsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

4. Kapitel

Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 219

A. Allgemeine Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 I. Allgemeine Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland aus dem innerstaatlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Herleitung aus den Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Ansicht der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 2. Umfang der Schutzpflicht und Kontrolldichte des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . 225 3. Subjektives Recht des Einzelnen auf Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 II. Allgemeine Schutzpflichten aus dem Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Aus der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Herleitung der Schutzpflichten aus der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 aa) Ansätze des EGMR sowie der EKMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 bb) Ansätze der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) Subjektives Recht auf Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Aus dem IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 3. Aus der UN-Antifolterkonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 B. Besondere Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland gegen Eingriffe auswärtiger Staaten (sog. extraterritorialer Auslandsschutz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 I.

Allgemein zum extraterritorialen Auslandsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

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Inhaltsverzeichnis II. Grundlage der Pflicht zum extraterritorialen Auslandsschutz . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Pflicht zum Auslandsschutz aus dem innerstaatlichen Recht . . . . . . . . . . . . 242 a) Herleitung aus der Verfassungstradition und der Staatsangehörigkeit . . . 243 b) Grundrechtliche Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Pflicht zum Auslandsschutz aus dem Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 a) Aus den Verpflichtungen der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Aus dem IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 c) UN-Antifolterkonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

C. Anspruch auf Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . 253 I.

Subjektives Recht des Einzelnen auf Auslandsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

II. Umfang und Grenze des Anspruchs auf Auslandsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 a) Entschließungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 b) Auswahlermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 2. Möglichkeit der Ermessensreduzierung auf Null . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 III. Anspruch auf Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme . . . . . . . . . . . 262 1. Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme als Maßnahme des Auslandsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Objektive Schutzpflicht für im Ausland inhaftierte Deutsche . . . . . . . . . 263 aa) Schutzpflicht aufgrund einer Verurteilung zur Freiheitsstrafe im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 bb) Sonderfall der menschenunwürdigen Haftbedingungen . . . . . . . . . . 265 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 b) Ausnahmevollstreckungsübernahme als Schutz- und Fürsorgemaßnahme im Auslandsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 2. Ermessensreduzierung auf Null auf Durchführung der Ausnahmevollstreckungs­ übernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht a. a. O. am angegebenen Ort am Ende a. E. a. F. alte Fassung Abs.  Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) ähnl. ähnlich Alt. Alternative Anmerkung der Verfasserin Anm. d. Verf. Europäische Konvention zur Verhütung von Folter und unAntifolter-Konvention menschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) AöR Österreichisches Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz ARHG Art. Artikel Aufl. Auflage AVR Archiv des Völkerrechts (Zeitschrift) Az. Aktenzeichen BAnz Bundesanzeiger BeckRS Beck online Rechtsprechung Bewährungshilfe (Zeitschrift) BewHi BfJ Bundesamt für Justiz BfJG Gesetz über die Errichtung des Bundesamts für Justiz BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt Bundesgerichtsentscheidungen (Schweiz) BGE BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz BMJV Bundesrat Drucksache BR-Drs. BRD Bundesrepublik Deutschland bspw. beispielsweise BT-Drs. Bundestag Drucksache Betreuungsrechtliche Praxis (Zeitschrift) BtPrax BVerfG Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE BVerfGG Bundesverfassungsgerichtsgesetz Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts BVerwGE BWVwVG Verwaltungsvollstreckungsgesetz für Baden-Württemberg bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise Commitee Against Torture (dt. UN-Ausschuss gegen Folter) CAT

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Human Rights Committee (dt. UN-Menschenrechtsausschuss Europe Council of Europe Treaty Series / Sammlung der Europäischen Verträge das heißt d. h. Deutsches Auslieferungsgesetz DAG Ders. derselbe Dies. dieselbe Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) DöV Deutscher Juristentag DJT Deutsche Richterzeitung DRiZ Deutsches Verwaltungsblatt DVBl. ebenda (derselbe Autor, dasselbe Werk, dieselbe Seite) ebd. Gesetz vom 7. Juli 1997 zu dem Übereinkommen vom 13. NoEG-VollstrÜbk vember 1991 zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft über die Vollstreckung auswärtiger strafrechtlicher Verurteilungen Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGMR Einl. Einleitung Europäische Kommission für Menschenrechte EKMR Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte EMRK und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 Entsch. Entscheidung Europäische Union EU Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezem­ EuAlÜbk ber 1957 Europäische Erbrechtsverordnung EuErbVO Europäischer Gerichtshof EuGH Europäische Grundrechte Zeitschrift EuGRZ Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die AnEUGVVO erkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen Europäischer Haftbefehl EuHB Europarecht (Zeitschrift) EuR EuÜbertrStrafverfolgungsÜbK Europäisches Übereinkommen über die Übertragung der Strafverfolgung vom 15. Mai 1972 Europäische Unterhaltsverordnung EuUnthVO Vertrag über die europäische Union EUV folgende / fortfolgende f. / ff. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht FamRZ FG Festgabe Forum Strafvollzug (Zeitschrift) FoStra Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie (ZeitFPPR schrift) Familie Partner Recht (Zeitschrift) FPR FS Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht GA gem. gemäß GG Grundgesetz CCPP CETS / SEV

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19

ggf. gegebenenfalls Charta der Grundrechte der europäischen Union GRCh GVG Gerichtsverfassungsgesetz Hervorhebung durch Verfasserin Hervorh. d. Verf. Human Rights Law Review (Zeitschrift) HRLR HRRS Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht (Zeitschrift) Hs. Halbsatz Handbuch des Staatsrechts HStR Handbuch des Strafrechts HStrfR im engeren Sinne i. e. S. in Höhe von i. H. v. im Sinne des / r i. S. d. in Verbindung mit i. V. m. im weiteren Sinne i. w. S. International Court of Justice (dt. Internationaler GerichtsICJ hof) Internationaler Gerichtshof IGH insb. insbesondere Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte IPbpR vom 19. Dezember 1966 Internationales Rechtshilfe Gesetz IRG Schweizerisches Bundesgesetz über internationale RechtsIRSG hilfe in Strafsachen Juristische Arbeitsblätter JA Juristische Blätter JBl. Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart JöR Juristische Rundschau JR Juristische Ausbildung JURA JurisPR Juris PraxisReport Juristische Schulung JuS JZ Juristenzeitung Gesetz über die freiwillige Kastration und andere BehandKastrG lungsmethoden vom 15. August 1969 Kammergericht Berlin KG Kritische Justiz KJ Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und BefugKonsG nisse lat. lateinisch mit weiteren Nachweisen m. w. N. MenschenRechtsMagazin (Zeitschrift) MRM Monatsschrift für Kriminalpsychologie und StrafrechtsreMschKrim form Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch MüKo-StGB Münchener Kommentar zum Strafprozessrecht MüKo-StPO Neue Justiz – Zeitschrift für Rechtsentwicklung und RechtNJ sprechung in den Neuen Ländern Neue Juristische Wochenschrift NJW

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Abkürzungsverzeichnis

Neue Juristische Wochenschrift – Spezial NJW-Spezial Neue Kriminalpolitik (Zeitschrift) NK Nr.  Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ NStZ-RR NStZ-Rechtsprechungsreport NVwZ Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht NZW oben genannte / r / s / n / m o. g. Österreichische Juristen-Zeitung ÖJZ Österreichisches Strafgesetzbuch öStGB Gesetz über Ordnungswidrigkeiten OWiG Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales PriRabelsZ vatrecht Rb  Rahmenbeschluss Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren RistBV Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtliRiVAST chen Angelegenheiten Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) RIW Rn. Randnummer Der deutsche Rechtspfleger Rpfleger Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich RStGB Recht und Politik (Zeitschrift) RuP Seite bzw. bei Normen Satz S. siehe auch s. a. Verwaltungsvollstreckungsgesetz für den Freistaat Sachsen SächsVwVG Übereinkommen vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des SDÜ Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemein­ samen Grenzen (Schengener Durchführungsübereinkommen) Gesetz zu dem Schengener Durchführungsübereinkommen SDÜG vom 19. Juni 1990 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen lat. sīc: „so“, „wirklich so“; zur Kenntnismachung der Übersic! nahme eines Zitates in ungewöhnlicher Schreibweise oder Sprachstil Schweizerische Juristen-Zeitung SJZ StGB Strafgesetzbuch Ständiger Internationaler Gerichtshof von 1922–1946 StIGH StPO Strafprozessordnung Strafverteidiger Forum (Zeitschrift) StraFo Strafverteidiger (Zeitschrift) StV StVK Strafvollstreckungskammer StVollstrO Strafvollstreckungsordnung StVollzG Bundesstrafvollzugsgesetz Thüringer Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz ThürVwZVG unter anderem u. a.

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21

Gesetz zur Ausführung des Übereinkommens vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen (Überstellungsausführungsgesetz) vom 26. September 1991 Übereinkommen vom 21. März 1983 über die ÜberstelÜberstÜbk lung verurteilter Personen (Überstellungsübereinkommen des Europarats) United Nations (dt. Vereinte Nationen) UN UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grauUN-Antifolterkonvention same, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Charta der Vereinten Nationen UN-Charta United Nations Convention against Torture (dt. UNUNCAT Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe) UN-Satzung (der Charta der Vereinten Nationen) UNS Umwelt- und Planungsrecht (Zeitschrift) UPR United States of America USA vom / von v.  vor allem v. a. Var. Variante Verwaltungsblätter für Baden-Würrtemberg VBlBW. VGH Verwaltungsgerichtshof vgl.  vergleiche Vertrag vom 26. Mai 1993 zwischen der BundesrepubVollstrHV D-Thailand lik Deutschland und dem Königreich Thailand über die Überstellung von Straftätern und über die Zusammenarbeit bei der Vollstreckung von Strafurteilen Vereinte Nationen VN VN-Antikorruptions-Übk / U NCAC Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 31. Oktober 2003 gegen Korruption Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 15. NoVN-OrgKrim-Übk / U NTOC vember 2000 gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. DeVN-Suchtstoff-Übk zember 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen VwGO Verwaltungsgerichtsordnung Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht wistra Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift) WiVerw Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen WÜD Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen WÜK Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und VölZaöRV kerrecht Zeitschrift für Anwaltspraxis ZAP Zeitschrift für europarechtliche Studien ZeuS Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe ZfStrVo Zeitschrift für Verwaltung ZfV ÜAG

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Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zu dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen ZPO Zivilprozessordnung ZÖR Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte ZRG Rechtshilfeordnung für Zivilsachen ZRHO Zeitschrift für Rechtspolitik ZRP Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht ZStR Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZStW ZG ZIS ZP-ÜberstÜbk

Einleitung Obwohl die Bedeutung von Menschenrechten in der Weltpolitik und der Rechtsordnung einzelner Länder durch völkerrechtliche Abkommen stetig wächst,1 werden immer wieder Fälle bekannt, in denen Strafgefangene unter menschenunwürdigen Umständen im auswärtigen Strafvollzug leiden.2 Dies gilt selbst für Staaten, die zur Bundesrepublik Deutschland normale bis freundschaftliche Beziehungen pflegen. So ist es etwa im thailändischen Strafvollzug keine Seltenheit, dass bis zu 60 Gefangene in beengten Räumen untergebracht sind, die weder über genügend Schlafplätze noch ausreichend sanitäre Anlagen verfügen.3 Hafträume, in denen sich über 40 Inhaftierte nur eine Toilette und eine Waschmöglichkeit teilen, sind dort die Regel. Die mangelnde Versorgung der Gefangenen führt auch zu hygienischen Problemen und der schnellen Verbreitung von Krankheiten wie Tuberkulose oder Parasitenbefall, die durch eine ungenügende medizinische Versorgung4 zu echten „Normalzuständen“ in auswärtiger Haft werden. Zu den Mangelzuständen in den Hafträumen kommen die Gefahren durch Mitinsassen, die sich in der engen Zelle einen geeigneten Schlafplatz oder allgemein eine gute Stellung in der Machthierarchie innerhalb der Gefangenenstruktur erkämpfen wollen.5 Thailand ist aber kein Einzelfall für menschenrechtswidrigen Strafvollzug. Ähnliche Bedingungen finden sich beispielsweise auch in Marokko,6 Kenia,7 Argentinien,8 Indien9 oder Russland10.11 Neben den gravierenden Haftbedingungen kommt es teilweise auch zu Folter einzelner Gefangener durch den auswärtigen Staat, wie es zuletzt erst für

1 Siehe Tomuschat, in: Breuer et al. (Hrsg.), Im Dienste des Menschen, S. 58 f. oder auch zur schnellen Entwicklung der Menschenrechte in Europa Nußberger, JZ 2018, 845, 845 f. 2 Allgemein zum Leiden im auswärtigen Strafvollzug auch kurz Hüttemann, StV 2016, 519, 527. 3 BGH, Urteil v. 5. November 2014, Az. 1 StR 299/14, Rn. 10 (= BeckRS 2014, 23680). 4 BGH, Urteil v. 5. November 2014, Az. 1 StR 299/14, Rn. 11 ff. (= BeckRS 2014, 23680); Patzak, in: Körner / Patzak, BtMG Vorb. §§ 29 ff., Rn. 190. 5 BGH, Urteil v. 5. November 2014, Az. 1 StR 299/14, Rn. 11 (= BeckRS 2014, 23680). 6 OLG Zweibrücken, Beschluss v. 27. Mai 1992, Az. 242/92, 1 Ws 241/92, 1 Ws 242/92, Rn. 5 (= BeckRS 1992, 09618); BGH, StV 1982, 468 (= Beschluss v. 26. März 1982, Az. 2 StR 700/81). 7 LG Zweibrücken, NStZ-RR 1997, 206. 8 EGMR, S. M. gegen Deutschland, Entsch. v. 16. Oktober, Az. 43346/05 (= BeckRS 2008, 06625). 9 BVerfG, JZ 2004, 141, 143 (= BVerfGE 108, 129). 10 EGMR, Ananyev u. a. gegen Russische Föderation, Entsch. v. 10. Januar 2012, Rn. 133, 145 (= BeckRS 2013, 02134). 11 Siehe Riegel / Speicher, StV 2016, 250, 255.

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Einleitung

den Strafvollzug in der Türkei vermutet werden musste.12 Selbst im europäischen Raum werden immer wieder mangelhafte Zustände im Strafvollzug festgestellt.13 In der Bundesrepublik Deutschland existiert in Form der sog. Vollstreckungsübernahme ein Rechtsinstitut, welches unter anderem dazu geeignet ist, im Ausland inhaftierte deutsche Staatsangehörige aus den schlimmen Haftbedingungen zu befreien. So ist es durch die Rechtshilfe der Vollstreckungsübernahme möglich, das Urteil eines anderen Staates (des sog. Urteilsstaats) auf eigenem Territorium im inländischen Strafvollzug als sog. Vollstreckungsstaat zu vollziehen. Auf diesem Wege kann der deutsche Staatsangehörige aus dem auswärtigen Strafvollzug befreit werden, ohne dass der Urteilsstaat seinen Strafanspruch aufgeben muss. Dennoch wurde in der Vergangenheit nur selten von dieser speziellen Form der Rechtshilfe Gebrauch gemacht. Die Gründe für die verhältnismäßig niedrige Anzahl erfolgreicher Vollstreckungsübernahmen sind vielfältig,14 doch können die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Vollstreckungsübernahmeverfahrens aus dem Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen15 (IRG) als ein möglicher Grund genannt werden. § 49 Abs. 1, 2 IRG und § 54 IRG stellen durch verschiedene Bedingungen sicher, dass nur solche ausländischen Erkenntnisse16 zur Vollstreckung übernommen werden, die weitgehend der eigenen Rechtsordnung und dem eigenen Rechtsverständnis entsprechen. Da die einzelnen Rechtsordnungen der Länder jedoch oftmals voneinander abweichen,17 war durch diese Einschränkung teilweise von vorneherein ausgeschlossen, deutsche Staatsangehörige nach Deutschland in einen menschenwürdigen Strafvollzug überführen zu können; das selbst dann, wenn der im Ausland Verurteilte ausdrücklich um seinen Schutz und eine Vollstreckung in deutschen Gefängnissen bat. Da die Regelungen der Vollstreckungsübernahme im Ursprung die Rechte des Betroffenen schützen sollten,18 hatte die Ablehnung einer Übernahme der fremden Strafvollstreckung wegen fehlender Übereinstimmung mit eigenen Strafgesetzen eine paradoxe Folge. So musste der im Ausland Verurteilte nicht nur eine Strafe erdulden, die dem deutschen Rechtsverständnis widerspricht, sondern hatte die Strafe zusätzlich unter unvergleichlich schweren Haftbedingungen im ausländischen Strafvollzug zu verbüßen. 12

OLG Bremen, Beschluss v. 28. September 2017, Az. 1 Ausl. A 13/17, Rn. 16 ff. (= BeckRS 2017, 126886). 13 Riegel / Speicher, StV 2016, 250, 256; etwa zu Rumänien BVerfG, Einstweilige Anordnung v. 16. Januar 2019, Az. 2 BvR 2627/18 (= BeckRS 2019, 477) oder auch zu Ungarn OLG Karls­ ruhe, Beschluss v. 31. Januar 2018, Az. 6 Ausl. A 46/17, Rn. 17 ff. (= BeckRS 2018, 17974). 14 Siehe zu der Anzahl erfolgreicher Vollstreckungsübernahmen in den letzten Jahren in den Auslieferungsstatistiken des BMJV, abzurufen unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Downloads/DE/Service/Statistiken/Download/Gesamt_Auslieferung.html; abgerufen am: 7.11.2019). 15 Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 23. Dezember 1982, BGBl. I 1982, S. 2071, BGBl. I 1994, S. 1537, zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. August 2017, BGBl. I 2017, S. 3295. 16 Ein anderer Begriff für Urteil. 17 Zum Bereich des Strafrechts kurz Weigend, in: HStrfR I, § 23 Rn. 16 f. 18 BT-Drs. 9/1338, S. 29 f.; Bartsch, NJW 1984, 513, 513; Schroeder, ZStW 1986, 457, 458.

Einleitung

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Diesen unzureichenden Schutz für deutsche Staatsangehörige in auswärtiger Haft hat der deutsche Gesetzgeber jedoch erkannt. Seit der Gesetzesänderung im Jahr 201519 besteht daher die Möglichkeit, mehr deutschen Staatsangehörigen, die unter unzumutbaren Haftbedingungen im Ausland leiden, abzuhelfen.20 Gemeint ist die Einführung der Ausnahmeregelungen des § 49 Abs. 3 IRG und § 54a IRG. Durch diese ist es erstmals im deutschen Recht möglich, auch solche freiheitsentziehenden Sanktionen eines anderen Staates zur Vollstreckung zu übernehmen, die teils weit von der eigenen Rechtsordnung abweichen.21 Die Vorschriften zeigen einen Perspektivenwechsel in der Rechtshilfe, der seit einiger Zeit zu beobachten ist. Wurden die Rechte und Interessen des Betroffenen22 in den Anfängen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit eher als Hindernis angesehen,23 haben diese in den letzten Jahrzehnten einen immer höheren Stellenwert gewonnen.24 Daher lockern auch die Ausnahmeregelungen die strengen Voraussetzungen aus § 49 Abs. 1, 2 IRG und § 54 Abs. 1 IRG auf. Während § 49 Abs. 3 IRG eine Vollstreckungsübernahme einer freiheitsentziehenden Sanktion auch ohne die gängigen Zulässigkeitsvoraussetzungen aus § 49 Abs. 1 IRG ermöglicht, öffnet § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG die Vollstreckungsübernahme für Urteile, die eine Freiheitsstrafe über das deutsche Höchstmaß hinaus vorsehen. § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG belässt dem Urteilsstaat nach Vollstreckungsübernahme durch Deutschland weiterhin ein Mitspracherecht, wann mit der Strafaussetzung begonnen werden kann. Wenngleich durch die Ausnahmeregelungen mehr Verurteilte aus der oftmals belastenden, auswärtigen Haft in den deutschen Strafvollzug überführt werden können, müssen die möglichen Vollstreckungsübernahmen auch kritisch betrachtet werden.25 Diese weichen von gängigen Rechtshilfevoraussetzungen ab und lassen die Vollstreckung von fremden Freiheitsstrafen zu, die so niemals in Deutschland einen gerechtfertigten Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ermöglicht hätten. Dabei ist nicht nur fraglich, ob bei einem fremden Urteil, welches aus einem auswärtigen Strafprozess stammt, auf eine rechtsstaatliche Wahrheitsfindung und eine sichere Feststellung der Schuld des Betroffenen vertraut werden kann, sondern auch, inwieweit die Subjektqualität des Verurteilten bei Vollstreckung der fremden 19

Gesetz zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungsmaßnahmen sowie zur Änderung des Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetzes und des Ruanda-Strafgerichtshof-Gesetzes vom 17. Juli 2015, BGBl. I 2015, S. 1349; BR-Drs. 24/15. 20 Ähnl. Hüttemann, StV 2016, 519, 527. 21 Hüttemann, StV 2016, 519, 527; Heydenreich, StV 2015, 8, 12. 22 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird vorliegend auf die weibliche Form verzichtet. Gemeint sind jedoch stets alle Formen des Geschlechts. 23 Werkusch, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 101; Plachta, in: Eser / Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 326. 24 Trechsel, in: Eser / Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 633 ff.; Werkusch, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 101 f.; Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 33; Bundesrechtsanwaltskammer, Stellungnahme Nr. 10/2015, S. 2. 25 So auch Heydenreich, StV 2015, 8, 12 ff.; Hüttemann, StV 2016, 519, 527.

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Freiheitsstrafe auf eigenem Hoheitsgebiet gewahrt ist. Unklar ist zudem, welchen verfassungsrechtlichen Grenzen die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG unterliegen. Die Frage der Legitimität der Ausnahmevollstreckungsübernahmeregelungen sowie deren rechtliche Grenzen ist vor allem deswegen von Bedeutung, da die Übernahme der Vollstreckung einer fremden Freiheitsstrafe eng mit der Beziehung zum auswärtigen Staat verknüpft ist. Ein Abbruch der versprochenen Strafvollstreckung wegen fehlender legitimer Rechtsgrundlage oder wegen der Missachtung eigener rechtlicher Regelungen hätte die Konsequenz, dass die Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Urteilsstaat vertragsbrüchig werden müsste. Dies birgt die Gefahr von erheblichen außenpolitischen Konflikten, die zukünftigen Vollstreckungsübernahmen und anderen Rechtshilfen entgegen­stehen könnten.26 Die Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme und die oben aufgeworfenen rechtlichen Fragen stellen den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung dar. Dabei sollen ausschließlich die vorgestellten Vollstreckungsübernahmevorschriften für freiheitsentziehende Sanktionen aus § 49 Abs. 3 IRG und § 54a Abs. 1 und Abs. 2 IRG betrachtet werden, die nur für den vertraglosen völkerrechtlichen Bereich gelten, also für jene, für die keine spezielleren Abkommen zur Vollstreckungsübernahme bestehen. Zwar existiert auf europäischer Ebene durch die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI (Rb-Freiheitsstrafe)27 durch das Gesetz vom 17. Juli 2015 ebenfalls ein Vollstreckungsübernahmeverfahren, welches rechtlich nicht unproblematisch ist; doch weist dieses im Vergleich zu § 49 Abs. 3 und § 54a IRG durch die Besonderheiten der EU und eine festgesetzte Pflicht zur Vollstreckungshilfe eine andere Problematik auf.28 Vorliegend soll daher der Fokus nur auf den vertraglosen Rechtshilfeverkehr gelegt werden und auf die Frage, ob die Ausnahmeregelungen § 49 Abs. 3 und § 54a IRG verfassungskonforme Rechtsgrundlagen für einen Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG darstellen. Zu diesem Zweck wird in einem allgemeinen Kapitel eine Einführung in die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen sowie die Vollstreckungsübernahme als spezielle Rechtshilfe gegeben (Kapitel 1). Daran anschließend erfolgt eine Auseinandersetzung mit den Ausnahmeregelungen des § 49 Abs. 3 IRG und § 54a IRG. Neben einer allgemeinen Betrachtung der Regelungen wird sich auch Grund­ problemen der Legitimität der Vollstreckung einer fremden Strafe zugewendet, die im deutschen Recht nicht hätte verhängt werden können (Kapitel 2). Daraufhin wird geprüft, welchen rechtlichen Grenzen die Ausnahmeregelungen unterliegen und wann selbst eine Ausnahmevollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 IRG und gem. § 54a IRG zwingend abzulehnen ist. Damit verbunden ist die Frage, 26

BT-Drs. 18/4347, S. 94. Rahmenbeschluss betreffend die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerken­ nung von Urteilen in Strafsachen, durch die Haftstrafen oder freiheitsentziehende Maßnahmen verhängt werden, zum Zweck der Vollstreckung in der Europäischen Union, 2008/909 JI. 28 Gleß, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, Rb-Freiheitsstrafe (III. C 2c), Rn. 6; Böhm, NStZ 2018, 197, 203 f.; Hüttemann, StV 2016, 519, 519 f. 27

Einleitung

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wie mit etwaigen rechtskraftdurchbrechenden Verfahrensfehlern zum Schutz des Rechtshilfeverkehrs umzugehen ist (Kapitel 3). In einem letzten Kapitel soll auf die grundrechtlichen Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsund Sozialstaat eingegangen werden. Es wird betrachtet, ob der Betroffene einen Anspruch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland haben kann, die ausländische Strafe in seinem Heimatland Deutschland verbüßen zu können (Kapitel 4).

1. Kapitel

Die Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit Obwohl die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen und das Rechtshilferecht zunehmend an Bedeutung gewinnen, sind diese Themengebiete für viele Juristen noch unbekannte, wenn nicht sogar gescheute Abschnitte des deutschen Rechts. Die komplexe Thematik der Zusammenarbeit der Staaten birgt vielseitige Probleme und Schwierigkeiten, die einem schnellen Verständnis dieses Rechtsgebiets entgegenstehen. Um das grenzüberschreitende Wirken der Staaten und die spezielle Rechtshilfe der Vollstreckungsübernahme zu verstehen, muss zunächst ein Überblick über die Grundzüge des internationalen Strafrechts und die darin zu beachtenden Prinzipien geschaffen werden. So verfolgt das vorliegende Kapitel das Ziel, dem Leser ein grundlegendes Verständnis für die internationale Zusammenarbeit und das Rechtshilferecht zu vermitteln. Anschließend wird das Rechtshilfemittel der Vollstreckungsübernahme im Regelverfahren vorgestellt.

A. Grundlagen I. Internationale Zusammenarbeit und Grundprinzipien des internationalen Strafrechts Internationale Vereinbarungen zwischen Staaten, die Tätigkeit internationaler Gerichtshöfe oder auch die europarechtliche Angleichung von Strafvorschriften zwingen schon lange dazu, auch im Strafrecht den Blick auf Fälle mit internationalem Bezug zu richten.1 Als Oberbegriff dieser grenzüberschreitenden staatlichen Zusammenarbeit, bei der ein auf Sanktionierung gerichtetes, gerichtsförmiges Verfahren des auswärtigen Staates unterstützt wird, dient im deutschen Recht die internationale2 Rechtshilfe, welche ein Teilgebiet des internationalen Strafrechts 1

Weigend, JuS 2000, 105, 105; Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 37. Rechtshilfe ist auch im nationalen Recht bekannt, siehe §§ 156 ff. GVG. Schwierig ist dabei die Abgrenzung zur Amtshilfe. Beide Hilfen sind innerstaatlich zwischen Gerichten oder Behörden geboten, wenn ein(e)  eigentlich nicht zuständige(s) Gericht / Behörde einzelne Handlungen eines „fremden“ Verfahrens durchführen soll. Wie die Abgrenzung erfolgen soll, ist umstritten. Eine Ansicht unterscheidet simpel zwischen international (Rechtshilfe) und national (Amtshilfe)  (so etwa Hackner / Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 1 ff.; Bischoff / Nogrady, in: Müller-Gugenberger / Bieneck, § 8 Rn. 2) eine an-

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A. Grundlagen

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darstellt.3 Das internationale Strafrecht umfasst nicht, wie man zunächst vermuten könnte, grenzüberschreitende Gesetze, die für mehrere Staaten gleichzeitig gelten; vielmehr fallen darunter all diejenigen Normen oder Kriminalitätssachverhalte des deutschen (!) Rechts, die nicht ausschließlich nationalen Bezug aufweisen. Neben dem Rechtshilferecht zählen das Strafanwendungsrecht, das Völkerstrafrecht und das europäische Strafrecht dazu.4 Da sich die vorliegende Untersuchung ausschließlich mit der Rechtshilfe der Vollstreckungshilfe in Form der Vollstreckungsübernahme befasst, soll im Folgenden auch nur auf den rechtshilferecht­ lichen Bereich des internationalen Strafrechts genauer eingegangen werden. 1. Rechtshilferecht Rechtshilfe als Teil des internationalen Strafrechts umfasst all diejenigen Regelungen, die der Rechtsdurchsetzung über die eigenen Grenzen hinweg dienen. In Bezug auf Strafsachen ist die Unterstützung bei grenzüberschreitenden Strafverfahren oder Strafverfolgungen gemeint, die auf „Ersuchen“5 auswärtiger Behörden, insbesondere Gerichte, gewährt werden kann.6 Das Rechtshilferecht im Strafrecht betrifft also Sachverhalte, in denen eine internationale Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung geboten ist, weil die Aufklärung, Aburteilung oder Sanktionierung einer Straftat nicht mehr innerhalb der eigenen Landesgrenzen möglich ist.7 Diese zwischenstaatliche Kooperation kann sich auf jeden Abschnitt der Strafverfolgung beziehen.8 Die Rechtshilfe umfasst unterschiedliche Mittel, die den einzelnen Bedürfnissen und Problemen der Zusammenarbeit angepasst sind. Dazu zählen die Auslieferung, die als Rechtshilfemittel noch am bekanntesten sein dürfte, und die Durchlieferung, aber auch die sog. kleine Rechtshilfe, welche die gegenseitige Unterstützung bei der Beweisbeschaffung und Sachverhaltsaufklärung beinhaltet,9

dere Ansicht differenziert nach den beteiligten Stellen (siehe Epping, in: Epping / Hillgruber, GG Art. 35 Rn. 5; Dederer, in: Maunz / Dürig, GG  Art.  35 Rn. 3). Wieder eine andere Ansicht grenzt nach der Art des Verfahrens ab (siehe Breitenmoser / Weyeneth, in: Breitenmoser / ​ Gless / ​​Lagodny (Hrsg.), Schengen und Dublin, S. 157 f.; Ambos  / ​​Poschadel, in: Ambos  / ​​König  / ​ Rackow, 1. HT, Rn. 12). 3 Satzger, Internationales Strafrecht und Europäisches Strafrecht, § 3 Rn. 1, 5; Ambos  / ​ ­Poschadel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 1.  HT, Rn.  4; Holterhus / ​Mittwoch / ​El-Ghazi, JuS 2018, 313, 322. 4 Safferling, Internationales Strafrecht, S. 3; Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 9. 5 Ersuchen ist die Bitte zur bzw. die Frage um die Durchführung einer speziellen Rechtshilfehandlung. 6 Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 1, insb. Fn. 2; Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, Kapitel 3.A., Rn.  696. 7 Weigend, JuS 2000, 105, 105; Wilkitzki, Entstehung des IRG, S. 8. 8 Weigend, JuS 2000, 105, 105. 9 Schomburg et al., in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, Einl., Rn.  13 ff.

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

sowie die Vollstreckungshilfe.10 Diese wurde lange Zeit als Unterfall der sonstigen Rechtshilfe angesehen, erfuhr jedoch mit zunehmender Bedeutung eine eigene Kategorisierung.11 2. Wesentliche Grundprinzipien des Völkerrechts Die Schwierigkeiten im Rahmen des Rechtshilferechts entstehen insbesondere aus der Vielzahl der Staaten und Rechtsordnungen auf der Welt, die auf divergierenden Rechtsempfinden und Traditionen basieren. Um ein friedliches Neben­ einander und eine Akzeptanz zwischen den Staaten und ihren zum Teil erheblich voneinander abweichenden Rechtsordnungen zu gewährleisten, regelt das Völkerrecht grundlegende Prinzipien. Da das Rechtshilferecht in Strafsachen ebenso zwischenstaatliche Beziehungen beinhaltet, hat es einen engen Bezug zum Völkerrecht, sodass völkerrechtliche Prinzipien, die bei Sachverhalten mit Auslandsbezug stets zu befolgen sind, auch im Rechtshilferecht Geltung beanspruchen. a) Souveränitätsprinzip und Gleichheit der Staaten Als grundlegende Prinzipien des Völkerrechts stehen das Souveränitätsprinzip und das eng damit verbundene Prinzip von der Gleichheit der Staaten im Vordergrund, welche auch in Art. 2 Nr. 1 der Charta der Vereinten Nationen (UN-Charta) als oberste Grundsätze der Organisation geregelt sind.12 Insbesondere das Souveränitätsprinzip stellt das einzige Strukturprinzip dar, welches fast alle Rechtssätze des Völkerrechts prägt und damit grundbedeutend für Fälle im internationalen Raum ist.13 Sowohl das Souveränitätsprinzip als auch das Prinzip der Staatengleichheit wahren die Unabhängigkeit eines Staates.14 Sie stellen einerseits sicher, dass jedem Staat, unabhängig von seiner Größe, Wirtschaftskraft oder Bevölkerung, dieselben Rechte und Pflichten in der internationalen Gemeinschaft zukommen sowie andererseits, dass die egalitäre Stellung und eigene Rechtspersönlichkeit eines jeden Staates durch die anderen Staaten respektiert werden (sog. äußere Souveränität). So kommt einem jedem Staat das Recht zu, seine politische, gesellschaftliche und

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Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 1. HT, Rn. 27. Wilkitzki, Entstehung des IRG, S. 38. 12 Geck, JZ 1980, 73, 73; Epping, in: Studienbuch zum Völkerrecht, § 9 Rn. 254; näher zur Entwicklung des Begriffs „Staat“ und der tragenden Eigenschaft der Souveränität eines solchen siehe: Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 32 ff.; Stolleis, in: Mußgnug (Hrsg.), Entstehen und Wandel, S. 63 ff. 13 Bleckmann, AVR 1985, 450, 464. 14 Siehe Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 UN-Charta; Epping, in: Studienbuch zum Völkerrecht, § 9 Rn. 254; Kokott, ZaöRV 2004, 517, 519. 11

A. Grundlagen

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kulturelle Ordnung frei zu wählen,15 ohne dass rechtliche oder auch nur sittliche Werturteile durch andere Staaten erfolgen (sog. innere Souveränität).16 Diese völkerrechtlichen Grundprinzipien gelten jedoch nicht in einem absoluten Umfang. Auf Grundlage der „stillen Revolution“17 ist vielmehr anerkannt, dass den Staaten die Pflicht zukommt, elementare Werte der Weltgemeinschaft zu schützen.18 Diese Verantwortung zum Schutz („Responsibility to Protect“) führt dazu, dass der Kreis der „inneren Souveränität“, in den sich fremde Staaten nicht einmischen dürfen, deutlich enger zu ziehen ist und vor allem, dass die Staaten diese „inneren Angelegenheiten“ nicht völlig uneingeschränkt regeln können.19 Diese Entwicklung bedingt zugleich, dass die äußere Souveränität ebenfalls nicht mehr unbegrenzt ist.20 Auch wenn die „stille Revolution“ aufgezeigt hat, dass Staaten in der Weltgemeinschaft nicht völlig frei agieren können, ist die Bedeutung des Souveränitätsprinzips auf der Ebene des Völkerrechts nicht zu vernachlässigen. So begrenzt es, wenn auch im kleineren Umfang, weiterhin das Handeln der Staaten auf der Welt. Für die Rechtshilfe sind das Souveränitätsprinzip und die Gleichheit der Staaten insofern bedeutend, dass sie grundsätzlich das Tätigwerden eines Staates auf fremdem Hoheitsgebiet verbieten21 und einer Pflicht entgegenstehen, fremde Hoheitsakte auf dem eigenen Staatsgebiet anerkennen zu müssen.22 Dies führt zu der paradoxen Folge, dass die Staaten aufgrund der Prinzipien der Staatensouveränität und Staatengleichheit zur effizienten Durchsetzung ihrer Ziele auf Rechtshilfe der anderen Staaten angewiesen sind, während ausgerechnet die Rechtshilfe wiederum eine gewisse Einschränkung der staatlichen Souveränität bedingt.23 Diese tragenden Prinzipien des Völkerrechts sind somit zum einen maßgeblich für die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen, zum anderen können sie gleichzeitig aber auch ein Hindernis bei der Vornahme der Maßnahmen sein, wenn ein Staat nicht bereit ist, zugunsten der Rechtshilfe die eigene Souveränität ein Stück weit einzuschränken.

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Epping, in: Studienbuch zum Völkerrecht, § 9 Rn. 259. Epping, in: Studienbuch zum Völkerrecht, § 9 Rn. 254 f. 17 Klein, Menschenrechte, S. 23 ff. 18 Gaus, Materiell-rechtliche Gewährleistungen und verfahrensrechtliche Durchsetzbarkeit völkerrechtlich garantierter Menschenrechte, S. 6 f.; Klein, Menschenrechte, S. 23 ff., 26. 19 Klein, Menschenrechte, S. 23 m. w. N.; siehe zur „Responsibility to protect“ und ihre Entwicklung Axworth, in: Gesner / ​Cotler (Hrsg.), The Responsibility to Protect, S. 3 ff. 20 Axworth, in: Gesner / ​Cotler (Hrsg.), The Responsibility to Protect, S. 5; Eser / ​Weißer, Schönke / ​Schröder, StGB Vorbem. §§ 3–9, Rn. 10. 21 Gleß, Internationales Strafrecht, Rn. 215; Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 35. 22 Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 1. HT, Rn. 2. 23 S.a. Geck, JZ 1980, 73, 73 f.; Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, Kapitel 3.A., Rn. 696. 16

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

b) Nichteinmischungsgrundsatz Eng verknüpft mit dem Souveränitätsprinzip und dem Prinzip der Staatengleichheit ist der sog. Nichteinmischungsgrundsatz.24 Entgegen der veralteten Ansicht Bindings, der den Umfang und Geltungsbereich staatlicher Strafgewalt noch in das Ermessen der Staaten legte,25 ist heute allgemein anerkannt, dass eine Anwen­dung der nationalen Strafgewalt über die eigenen Grenzen hinweg ohne einen statthaften Anknüpfungspunkt völkerrechtlich unzulässig ist.26 Der Nichteinmischungsgrundsatz stellt damit eine wichtige Einschränkung der staatlichen Gewalt im Völkerrecht dar, durch den das Souveränitätsprinzip und die Staatengleichheit durchgesetzt und geschützt werden. Der Grundsatz besagt, dass die Souveränität eines jeden Staates und die damit verbundene Ausübung der Strafgewalt innerhalb des eigenen Hoheitsgebietes von anderen Staaten zu akzeptieren ist. Er zieht daher eine Grenze für die Ausübung eigener exekutiver und judikativer Strafgewalt auf fremdem Territorium (jurisdiction to enforce / ​jurisdiction to adjudicate).27 Diese darf nicht auf einen ausländischen Sachverhalt erstreckt werden, wenn ein Inlandsbezug fehlt. Eine solche Erweiterung der Strafgewalt würde einen Verstoß gegen die Souveränität des anderen Staates und somit einen Eingriff in die fremde Strafhoheitsgewalt ohne legitimen Grund darstellen. Anders ist dies bei der Ausübung der legislativen Strafgewalt (jurisdiction to prescribe), bei der kein absolutes Verbot besteht, die Geltung des eigenen Strafrechts auf Auslands­sachverhalte zu erstrecken. Auch hier ist jedoch die Souveränität anderer Staaten zu respektieren, sodass die eigene Strafgewalt völkerrechtlich legitim nur dann auf Auslandssachverhalte erstreckt werden kann, wenn dafür ein berechtigtes Strafverfolgungsinteresse besteht.28 Der Nichteinmischungsgrundsatz gibt den Anlass für eine internationale Zusammenarbeit in Strafsachen, da Staaten in Fällen, in denen Ermittlung, Aburteilung und Sanktionierung von strafbaren Handlungen nicht innerhalb der eigenen Grenzen möglich sind,29 auf die zwischenstaatliche Unterstützung und Ausübung der fremden Strafgewalt auf dem fremden Hoheitsgebiet angewiesen sind.

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Ambos, Internationales Strafrecht, § 2 Rn. 2 ff. Binding, Systematisches Handbuch, S. 374. 26 Siehe Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 UNS; Ambos, Internationales Strafrecht, § 2 Rn. 2; Böse / ​Meyer, ZIS 2011, 336, 336 m. w. N.; Jescheck, in: Schroeder / ​Zipf (Hrsg.), FS Maurach, S. 580; O ­ ehler, in: Bassiouni / ​Nanda (Hrsg.), Jurisdiction and Cooperation, S. 264; Sieber, JZ 1997, 369, 370; erstmals so festgestellt bei StIGH, Lotus-Entscheidung, Frankreich vs. Türkei, Urteil v. 7. September 1927 (= StIGHE 5,71). 27 Ambos, Internationales Strafrecht, § 2 Rn. 2; Eser / ​Weißer, Schönke / ​Schröder, StGB Vorbem. §§ 3–9, Rn. 10 f. 28 Eser / ​Weißer, Schönke / ​Schröder, StGB Vorbem. §§ 3–9, Rn. 10 f. m. w. N. 29 Weigend, JuS 2000, 105, 105. 25

A. Grundlagen

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c) Vorbehalt des ordre public Der Vorbehalt des ordre public ist ein im Völker-, aber auch im Rechtshilferecht allgemein anerkanntes Verfahrenshindernis, welches ein Staat zum Schutz seiner eigenen Rechtsordnung im völkerrechtlichen Bereich geltend machen kann. Der Begriff des ordre public wird auf unterschiedlichen Ebenen verwendet, sodass zwischen dem völkerrechtlichen, dem regionalen und dem nationalen ordre public zu unterscheiden ist.30 Stets erfasst er jegliche anerkannte fundamentale Prinzipien, die auf der jeweiligen Ebene unabdingbar Geltung beanspruchen.31 Während der völkerrechtliche ordre public also solche völkerrechtlichen Mindeststandards enthält, die in allen Rechtsordnungen der einzelnen Staaten akzeptiert werden, beinhaltet der nationale ordre public die strengeren fundamentalen verfassungsrechtlichen Prinzipien eines Staates, wobei dazu zugleich die völkerrechtlichen Mindeststandards zählen können. Sobald zwischenstaatliche Handlungen vorgenommen werden sollen, die der eigenen Rechtsordnung massiv widersprechen, kann der ordre public ein Verfahrenshindernis darstellen, das nicht zu überwinden ist. Dabei bildet jedoch niemals das Recht eines Staates als Ganzes den maßgeblichen Beurteilungsspielraum für den ordre public. Dies hätte zur Folge, dass der auswärtige Staat bei Stellung des Ersuchens eine Prüfung seines Hoheitsaktes an einer fremden Rechtsordnung akzeptieren müsste; eine solche Prüfung ist mit der Souveränität des ersuchenden Staats aber kaum zu vereinbaren32 und würde zudem zu einer faktischen Unmöglichkeit des zwischenstaatlichen Verkehrs führen. Aus Achtung der fremden Hoheitsgewalt sind somit die dem Ersuchen zugrunde liegenden auswärtigen Entscheidungen grundsätzlich als wirksam zu behandeln,33 ohne eine Prüfung nach dem eigenen Rechtsverständnis durchzuführen. Daher greift der ordre public als Verfahrenshindernis nur ein, wenn die konkrete Rechtshilfe wesentlichen Grundsätzen der eigenen Rechtsordnung widerspricht. In der Bundesrepublik Deutschland zählen zum Inhalt des nationalen ordre ­public unabdingbare verfassungsrechtliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung (sog. innerer ordre public), aber auch völkerrechtliche Mindeststandards (sog. äußerer ordre public).34 Für den vertraglosen Rechtshilfeverkehr der Bundesrepublik Deutschland ist der Vorbehalt des ordre public ausdrücklich in § 73 S. 1 IRG normiert. Er erstreckt 30

Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 26, 40. Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 27, 33 f., 40 f.; Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​ Eckelmans, Kapitel 3.E., Rn. 802. 32 BVerfGE 75,1,17; Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, S. 56; Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 29. 33 Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, S. 56; Hackner  / ​ Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 29. 34 BVerfGE 75, 1; Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 29. 31

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

sich auf jegliche Formen der internationalen Rechtshilfe und ist sowohl von der Judikative als auch von der Exekutive im Rechtshilfeverfahren zu prüfen und zu wahren.35 Die konkrete Rechtshilfe muss daher von grundlegenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung gedeckt sein. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass die allgemeine Vorschrift des § 73 S. 1 IRG gem. § 1 Abs. 3 IRG gegenüber den völkerrechtlichen Vorschriften subsidiär ist und daher nicht ohne Weiteres in jeglichen völkerrechtlichen Verträgen zur Anwendung kommt.36 Möglich ist jedoch, dem nationalen ordre public durch eine Bezugnahme im konkreten zwischenstaatlichen Vertrag auch im Regelungsbereich dieses Vertrages absolute Geltung zu verschaffen – zwingend ist die Aufnahme eines solchen Vorbehalts des ordre public jedoch nicht.37 Letzteres bedeutet freilich nicht, dass ein Staat im zwischenstaatlichen Bereich ohne Weiteres gegen eigene, wesentliche Grundsätze verstoßen kann; insbesondere die direkte Anwendung der Grund- und Menschenrechte binden den Staat an gewisse Mindeststandards und zwingen ihn daher, selbst dort, wo ein Vorbehalt des eigenen ordre public fehlt, vertragswidrig zu handeln.38 Um einen solchen (vorsätzlichen) Vertragsbruch jedoch von vorneherein zu vermeiden, wird zumeist bei völkerrechtlichen Verträgen ohnehin von einem zumindest stillschweigenden Vorbehalt der Einhaltung der Mindeststandards ausgegangen.39 Mit dem ordre public sind wesentliche Fragen des gesamten Rechtshilferechts verbunden.40 d) Territorialitätsprinzip Angesichts des Nichteinmischungsgrundsatzes sind „Anknüpfungspunkte“ entwickelt worden, welche die Ausübung der eigenen Strafgewalt regeln.41 In diesem Zusammenhang ist insbesondere das sog. Territorialitätsprinzip zu nennen.42 Dieses stellt klar, dass sich Hoheitsakte eines Staates grundsätzlich auf das eigene Territorium beschränken müssen. Ein Staat kann somit nicht ohne Weiteres Ermittlungen über eigene Grenzen hinweg tätigen oder eine Festnahme auf ausländischem Staatsgebiet anordnen. Vielmehr ist er in solchen Fällen auf die Hilfe des anderen Staates oder zumindest die Erlaubnis zum Tätigwerden auf dem fremden

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Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn.  5. So bspw. geschehen in Art. 7 EuÜbk, Art. 2 lit.  b EuRhÜbk, Art. 18 Abs. 1 lit.  a,  b ­­EuGeldwÜbk. 37 Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 8. 38 BVerfG, NJW 2016, 1295 (= BVerfGE 141, 1); BVerfG, NJW 1987, 2427 (= BVerfGE 74, 358); Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 1.  HT, Rn.  64; Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 8; BVerfG, NJW 2004, 3407 (= BVerfGE 111, 307); Schmahl, JuS 2013, 961, 965. 39 Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 9; Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, Kapitel 3.E., Rn. 802. 40 Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn.  1; Böhm, in: Ahlbrecht / ​ Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, Kapitel 3.E., Rn. 802; siehe auch später S. 145 ff. 41 Satzger, Jura 2010, 108, 109 f. 42 A. a. O. 36

A. Grundlagen

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Hoheitsgebiet angewiesen.43 Das Territorialitätsprinzip setzt somit die Ursache für die internationale Rechtshilfe in Form der Strafverfolgung.44 e) Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege Der Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege ist Ausdruck der Solida­ rität der Staaten bei der Bekämpfung von Straftaten und dient der Ergänzung der Strafgewalt fremder Staaten, welche durch den Grundsatz der „jurisdiction to enforce“ auf fremdem Territorium eingeschränkt möglich ist.45 Er beschreibt die zwischenstaatliche Bereitschaft, stellvertretend für einen anderen Staat tätig zu werden, wenn dieser an der Strafverfolgung gehindert ist – etwa weil der Täter ins Ausland geflohen ist, dort aber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht ausgeliefert werden kann.46 In dem Fall soll auch ein Staat den ausländischen Sachverhalt nach seiner inländischen Rechtsordnung behandeln können, der nach dem Territorialitätsprinzip eigentlich nicht zuständig ist. In Deutschland ist diese grundsätzliche Bereitschaft zur stellvertretenden Strafrechtspflege und der rechtliche Anknüpfungspunkt der eigenen Strafgewalt für solche Taten in § 7 Abs. 2 StGB geregelt.47 Es ist jedoch zu beachten, dass die Ausübung der Strafgewalt nur stellvertretend erfolgt. Dies setzt denklogisch gewisse Parallelen hinsichtlich der Strafbarkeit des infrage stehenden Verhaltens in beiden betroffenen Rechtsordnungen voraus, da eine stellvertretende Strafverfolgung für eine im Ausland begangene Tat nur dann möglich ist, wenn sie mit den Prinzipien des eigenen Rechts vereinbar ist.48 Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege zeigt den Grundgedanken auf, der teils auch der Rechtshilfe der Vollstreckungshilfe zugrunde liegt: Eine effek­tive Strafrechtspflege gewährleisten zu können. Dies kann für solche Fälle bedeutend sein, in denen ein Urteil im Tatortstaat schon erging, dem Urteilsstaat die Vollstreckung des Urteils jedoch wegen Flucht des Täters nicht möglich ist. Allein die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Staaten kann in solchen Fällen die konsequente Durchsetzung des Rechts sichern.49

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Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise, S. 26. Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise, S. 25. 45 Esser, Europäisches und Internationales Strafrecht, § 16 Rn. 15; Satzger, Jura 2010, 108, 110; Eser / ​Weißer, Schönke / ​Schröder, StGB Vorbem. §§ 3–9, Rn. 11. 46 Jescheck / ​Weigend, Strafrecht AT, S. 174 f.; Satzger, Jura 2010, 108, 110. 47 Ambos, in: MüKo-StGB, § 7 Rn. 27 ff. 48 Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 117 f. 49 Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 133. 44

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

f) Prinzip des „locus regit actum“ Bei dem Prinzip des „locus regit actum“ („Der Ort bestimmt das Geschehen“) handelt es sich weniger um ein rein völkerrechtliches Prinzip, sondern vielmehr um eine klassische Regel der Rechtshilfe. Letztendlich ist es eine notwendige Folge des Souveränitätsprinzips. Es bestimmt, dass die Rechtshilfe traditionell nach dem Recht des Staates geleistet wird, der um Rechtshilfe ersucht wurde.50 Daraus folgt für die Vollstreckungshilfe, dass die Vollstreckung des auswärtigen Urteils nicht nach dem Recht des Staates erfolgt, in dem das Urteil ergangen ist (Urteilsstaat), sondern sich nach dem Recht des Staates richtet, der um die Vollstreckung ersucht wurde (Vollstreckungsstaat). Der Urteilsstaat muss dadurch jedoch die Konsequenz hinnehmen, dass der Verurteilte nach dem Recht des Vollstreckungsstaats früher aus der Haft entlassen werden oder eine Vollzugslockerung erfahren könnte, die dem Recht des Urteilsstaates fremd ist. Damit hat der Urteilsstaat, sobald die Vollstreckung vom Vollstreckungsstaat übernommen wurde, grundsätzlich wenige Möglichkeiten, den Vollzug der von ihm ausgesprochenen Strafe zu steuern.

II. Rechtshilfe in Form der Vollstreckungshilfe 1. Vollstreckungshilfe in Strafsachen Die Vollstreckungshilfe in Strafsachen ist Teil der internationalen Rechtshilfe im Rahmen zwischenstaatlicher Zusammenarbeit. Dieses Rechtsinstrument ist nicht bloß im Strafrecht, sondern auch in anderen Rechtsgebieten zu finden. So stellt die Vollstreckungshilfe etwa im Verwaltungsrecht ein nationales Instrument in den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen vieler Bundesländer dar, durch das selbst eine Behörde, die den Verwaltungsakt nicht erlassen hat, einen solchen vollstrecken kann.51 In der internationalen Rechtshilfe in Zivilsachen existiert ebenfalls eine Art der Vollstreckungshilfe, durch die etwa Hauptforderungen aus Zivilprozessen im Ausland vollstreckt,52 aber auch zivilrechtliche Prozesskosten oder Gerichtskosten durch einen auswärtigen Staat eingezogen werden können.53 Die Vollstreckungshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten umfasst dagegen die Vollstreckung rechtskräftiger, auswärtiger Sachentscheidungen, denen eine mit Strafe oder Geldbuße bedrohte Handlung zugrunde lag.54 Somit umfasst sie nicht nur die

50 BGH, NJW 1965, 1146, 1147 (= BGHSt 20, 198); KG, NJW 1972, 1018; OLG Nürnberg, NJW 1982, 533, 534; Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG  Vor § 1 Rn. 239; Schuster, Verwert­barkeit im Ausland gewonnener Beweise, S. 29; Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 362. 51 Vgl. bspw. § 4 BWVwVG, § 4 Abs. 1 Nr. 4 SächsVwVG, § 22 ThürVwZVG. 52 Vgl. bspw. innerhalb der Europäischen Union Art. 39 ff. EUGVVO. 53 § 5 Nr. 3 ZRHO, § 66 f. ZRHO. 54 BT-Drs. 9/1338, S. 68.

A. Grundlagen

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Vollstreckung ausländischer Strafurteile oder Strafbefehle, sondern auch die Vollstreckung auswärtiger Verwaltungssanktionen, wie etwa Bußgelder.55 Es gibt zahlreiche Versuche, den Begriff der Vollstreckungshilfe in Strafsachen zu definieren.56 Eine ausführliche Definition des Begriffes findet sich bei Weber. Dieser beschreibt die Vollstreckungshilfe in Strafsachen wie folgt: „Vollstreckungshilfe ist die vollständige oder teilweise Übertragung der Verwirklichung einer strafrechtlichen Sanktion auf einen anderen Staat als den verurteilenden Staat und zwar auf der Grundlage und in den Grenzen einer freiwilligen völkerrechtlichen Vereinbarung, die – generell oder für den Einzelfall – zum Zwecke der gegenseitigen Unterstützung der jeweiligen nationalen Strafrechtspflege einschließlich der Verfolgung gemeinsamer kriminalpolitischer Zwecke abgeschlossen worden ist.“57

Vereinfacht formuliert umfasst die Vollstreckungshilfe in Strafsachen zwei zu unterscheidende Fälle: Zum einen beinhaltet sie die Übertragung der Strafvoll­ streckung an einen anderen Staat (sog. Vollstreckungsübergabe) und zum anderen die Übernahme der Strafvollstreckung von einem anderen Staat (sog. Vollstreckungsübernahme).58 Sie betrifft somit Fälle, in denen ein Täter von einem Staat rechtskräftig verurteilt wurde, das Urteil jedoch in einem anderen Staat vollstreckt bzw. die Strafe in einem anderen Staat vollzogen werden soll.59 Gleichgültig ist die Art der Sanktion, sodass Geldsanktionen, aber auch Freiheitsstrafen Gegenstand der Vollstreckungshilfe sein können. Auch die Einziehung und die Überwachung von Bewährungsstrafen oder die Beaufsichtigung bedingt Entlassener kann im Rahmen der Vollstreckungshilfe durch einen anderen Staat erfolgen.60 Begrifflich ist zwischen dem Staat, in dem die Sanktion verhängt wurde, dem sog. Urteilsstaat, und dem Staat, in dem die festgesetzte Strafe letztendlich vollzogen werden soll, dem sog. Vollstreckungs- oder auch Übernahmestaat, zu unterscheiden. Der Betroffene, gegen den die Strafe vollstreckt werden soll, wird in den § 49 ff. IRG als verurteilte Person betitelt, in der Literatur ist jedoch auch der Begriff des „Verfolgten“ geläufig.61 Obwohl die Bereitschaft zur internationalen Zusammenarbeit zwischen den Staaten aufgrund der zunehmenden Mobilität und weltweiten Vernetzung stetig zu wachsen scheint,62 erwies sich die praktische Bedeutung der Vollstreckungs 55

BT-Drs. 9/1338, S. 68; Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 48 Rn.  14. Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 34. 57 Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 40. 58 Bubnoff benennt diese zwei Formen der Vollstreckungshilfe missverständlich „Vollstreckungshilfe“ und „Vollstreckungshilfeersuchen“ (siehe Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, S. 99). Als reines Rechtsinstrument sind die Bezeichnungen jedoch nicht eindeutig und vermischen den tatsächlichen Akt des Ersuchens mit dem Rechtsinstrument an sich. 59 Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 41; Wilkitzki, Entstehung des IRG, S. 12. 60 Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 1. HT, Rn. 26. 61 Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, S. 99. 62 Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 37. 56

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

hilfe lange Zeit als gering.63 Grund dafür waren vor allem die Unterschiede in den politischen, kulturellen, sozialen und rechtlichen Strukturen der verschiedenen Staaten64 sowie ein besonders ausgeprägtes Souveränitätsverständnis, das gerade im Bereich des Strafrechts schwierig abzulegen war.65 Während das starre Souve­ ränitätsverständnis dazu führte, dass eigene Urteile nicht zur Vollstreckung an einen anderen Staat übergeben wurden, verhinderte die Skepsis gegenüber fremden Rechtsordnungen die Übernahme der Vollstreckung von auswärtigen Entscheidungen. Auch fiskalische Gründe könnten ein Grund für das Misstrauen gegen die Vollstreckungsübernahme fremder Strafen gewesen sein.66 Erklären lassen sich diese Widerstände, wenn der staatliche Machtbereich, an welchen die Vollstreckungshilfe anknüpft, näher betrachtet wird. Jedem Staat kommt aus seiner inneren Souveränität das Monopol einer legitimen physischen Gewaltsamkeit zu.67 Gemeint ist die Strafgewalt, welche die stärkste Äußerung staatlicher Macht darstellt68 und dem Staat das Recht zuweist, bestimmte Handlungen in seinem Staatsgebiet unter Strafe zu stellen, sie zu verfolgen und gemäß seinen strafrechtlichen Regelungen zu sanktionieren.69 Maßgeblich für diese Kompetenz ist das Wesen und die Funktion des Staates.70 Ein Staat als territorial begrenzter, politischer Herrschaftsverband71 hat die Pflicht und das Recht nach seinem Rechtsempfinden über sein Hoheitsgebiet und die darin wohnenden Bürger zu wachen. Begeht eine Person auf dem Hoheitsgebiet eines Staates eine dort unter Strafe gestellte Handlung, so hat dieser Staat das Recht auf seinem Hoheitsgebiet die Einhaltung seiner Rechtsordnung sicherzustellen und ihre Missachtung nach seinem Verständnis und Rechtsempfinden zu verfolgen und zu ahnden. Strafrecht gehört also im weitesten Sinne zum Kernbereich staatlicher Souveränität72 und ist 63 Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, S. 100; Grützner, NJW 1969, 345, 346; Schomburg et al., in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, Einl., Rn.  18. 64 Vogler, ZStW 1984, 531, 534; Nehm, DRiZ 1996, 41, 41. 65 Bubnoff, ZEuS 2001, 165, 167; Grützner, NJW 1969, 345, 352; Jung / ​Schroth, GA 1983, 241, 253; Lagodny, in: Arnold / ​Burkhardt / ​Gropp et al. (Hrsg.), FS Eser, S. 779; Nehm, DRiZ 1996, 41, 41 f.; Oehler, in: Bassiouni / ​Nanda (Hrsg.), Jurisdiction and Cooperation, S. 266; Sieber, JZ 1997, 369, 370; Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, S. 214; Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise, S. 255. 66 Die Kosten eines Hafttages pro Häftling liegen in deutschen Gefängnissen im Durchschnitt bei ca. 130 €; siehe für NRW im Jahr 2017 etwa 135,65 € pro Gefangenem (abrufbar unter: https:// www.justiz.nrw.de/Gerichte_Behoerden/zahlen_fakten/statistiken/justizvollzug/kosten.pdf; abgerufen am: 7.11.2019); für Bayern 107,94 € im Jahr 2015 (bayrischer Landtag, 17/14884, S. 2); für Niedersachen ca. 150 € (niedersächsischer Landtag, Drucksache 18/1298, S. 1); für Hessen 128,27 € im Jahr 2016 (Übersicht Justizvollzug Hessen, S. 49, abrufbar unter: https://justizministerium.hessen.de/sites/default/files/media/hmdjie/justizvollzug_in_hessen. pdf; abgerufen am: 7.11.2019). 67 Oehler, ZStW 1984, 555, 574; Jung / ​Schroth, GA 1983, 241, 253. 68 Schultz, in: Oehler / ​Pötz (Hrsg.), FS Grützner, S. 144. 69 Jung / ​Schroth, GA 1983, 241, 253. 70 Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 54, insb. Fn. 32. 71 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, § 17 Rn. 1. 72 Jung / ​Schroth, GA 1983, 241, 253; Holterhus / ​Mittwoch / ​El-Ghazi, JuS 2018, 313, 322.

A. Grundlagen

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auf Grundlage des äußeren Souveränitätsprinzips von den anderen Staaten für das Staatsgebiet des jeweiligen Staates zu akzeptieren. Lange fürchteten die Urteilsstaaten, dass bei Übergabe der Vollstreckung aus der eigenen Hand ein Souveränitätsverlust hinsichtlich dieser wichtigen Hoheitsmacht eintreten könnte; nicht nur, weil sie dabei auf ihren Vollstreckungsanspruch verzichten mussten, sondern auch, weil sie damit zu rechnen hatten, dass der Vollstreckungsstaat die Sanktion anpassen würde, um eine nach seinem Recht rechtmäßige Vollstreckung sicherzustellen.73 Aber auch der potenzielle Vollstreckungsstaat sorgte sich bei Übernahme der Vollstreckung eines auswärtigen Urteils um seine eigene Souveränität, da er ebenfalls mit der Vollstreckungsübernahme gegebenenfalls auf einen eigenen Strafanspruch, zum Beispiel auf Grundlage des aktiven Personalitätsprinzips74, verzichten und zudem das auswärtige Erkenntnis übernehmen muss, ohne das ihm zugrunde liegende Verfahren umfassend überprüfen zu können.75 Die Übernahme der Vollstreckung eines auswärtigen Urteils muss jedoch nicht als Verletzung der eigenen Souveränität bewertet werden. Vielmehr kommt darin die Bereitschaft zum Ausdruck, zugunsten der Vollstreckungsübernahme auf den eigenen Strafanspruch verzichten zu wollen, um den Interessen der Staatengemeinschaft, aber auch denen des betroffenen Individuums zu dienen. Dieser bewusste Verzicht kann auch als ein Ausfluss staatlicher Souveränität begriffen werden.76 Es leuchtet jedoch ein, warum die Staaten mit einem früher noch sehr starken Souveränitätsdenken der Vollstreckungshilfe zunächst zögerlich gegenüberstanden. Ein weiterer Aspekt, der das frühere Misstrauen gegenüber der Vollstreckungshilfe erklärt, ist die Tatsache, dass die Festsetzung der strafbaren Handlung, die prozessrechtliche Verurteilung und die Vollstreckung des Urteils aufeinander abgestimmte Gesetzesregelungen im Staatsgebiet sind, die auf den gleichen Rechtsprinzipien und dem gleichen Rechtsverständnis des entsprechenden Staates basieren. Bei Gewährleistung der Vollstreckungshilfe besteht somit das Problem, die unterschiedlichen Strafsysteme und Rechtsverständnisse der beteiligten Staaten soweit in Einklang zu bringen, dass einerseits der Urteilsstaat bereit ist, auf seinen Vollstreckungsanspruch zu verzichten, und andererseits der Vollstreckungsstaat 73 Maag-Wydler, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 31; Werkusch, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 41; Hammerstein, Wirkung ausländischer Strafurteile, S. 52 ff. 74 Das aktive Personalitätsprinzip ist in Deutschland in § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB geregelt, und erlaubt die Anwendung deutschen (Straf-)Rechts, wenn der Täter bei Begehung der Tat Deutscher war, siehe dazu Ambos, in: MüKo-StGB, § 7 Rn. 19. 75 Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, S. 100; Oehler, in: Bassiouni / ​Nanda (Hrsg.), Jurisdiction and Cooperation, S. 275. 76 Krümpelmann, ZStW 1967, 390, 393; Geck, JZ 1980, 73, 73 f.; Fischer / ​Köck / ​Marboe, Allgemeines Völkerrecht, Rn. 285; Maag-Wydler, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 32; Oehler, in: Bassiouni / ​Nanda (Hrsg.), Jurisdiction and Cooperation, S. 275; ähnl. auch Grützner, NJW 1969, 345, 352.

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

der Übernahme der Vollstreckung des fremden Urteils zustimmt. Eine Einigung der Staaten kann daher nur schwer zu erzielen sein, wenn die Rechtsordnungen und -prinzipien der Staaten auf unterschiedlichen Rechtsauffassungen beruhen.77 So können etwa unterschiedliche Verständnisse von der Tatbestandsbestimmtheit, dem Schulderfordernis, den Verfahrensgarantien sowie der angemessenen Strafhöhe oder den Strafzwecken miteinander schwer zu vereinbaren sein.78 Dies führt nicht nur zum grundsätzlichen Misstrauen gegenüber fremden Straf- und Vollstreckungsregelungen,79 sondern auch dazu, dass die auswärtige Entscheidung unter Umständen nicht ohne Weiteres im Inland vollstreckt werden kann, sondern erst – soweit völkerrechtlich und innerstaatlich möglich – den besonderen inländischen Gegebenheiten angepasst werden muss.80 Die Vollstreckungshilfe als Rechtshilfe zwischen zwei Staaten setzt somit einen teilweisen Verzicht der Staaten auf einen eigenen Strafanspruch voraus,81 aber auch die Bereitschaft, hinzunehmen, dass die Verurteilung und Vollstreckung, die eigentlich rechtlich aufeinander abgestimmte Vorgänge sind,82 voneinander getrennt werden und die Vollstreckung gegebenenfalls an das Recht des Vollstreckungsstaates angepasst werden muss. Die aufgezeigten Schwierigkeiten der Vollstreckungshilfe haben sich im Laufe der Jahre zwar nicht endgültig gelöst, doch werden Staaten immer offener, gewisse Standards in ihren Strafordnungen anzupassen und sich auf größere Kompromisse in völkerrechtlichen Übereinkommen einzulassen. Grund dafür sind die Öffnung der staatlichen Grenzen, die eine wachsende Anzahl von Fällen mit Auslands­bezug bedingt und eine effektivere Zusammenarbeit im Bereich des Strafrechts nötig macht.83 Ein gänzlicher Abbau des Misstrauens gegenüber anderen Staaten wird wohl kaum zu erreichen sein,84 doch existieren mittlerweile völkerrechtliche Verträge, die zumindest vereinzelnd internationale Standards setzen und gemeinsame Prinzipien fördern.85 Auch wenn kein universelles Instrument existiert, welches 77

Swart, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 511. Jung / ​Schroth, GA 1983, 241, 249; zum Strafzweck: Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 47 m. w. N. 79 Lagodny, in: Arnold / ​Burkhardt / ​Gropp et al. (Hrsg.), FS Eser, S. 779; Oehler, in: ­Bassiouni  / ​ Nanda (Hrsg.), Jurisdiction and Cooperation, S. 266. 80 Jung / ​Schroth, GA 1983, 241, 243. 81 Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, S. 100. 82 Schroeder, ZStW 1986, 457, 482; Lemke, ZRP 2000, 173, 174. 83 Gardocki, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 322; Lagodny, in: Arnold / ​Burkhardt / ​Gropp et al. (Hrsg.), FS Eser, S. 780; Schomburg, NStZ 1992, 353, 353; Hecker, JA 2007, 561, 567; Werkusch, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 37; Bartsch, NJW 1984, 513, 513; Kokott, ZaöRV 2004, 517, 518 ff.; Doehring, Pflicht des Staates, S. 3 f. 84 Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, S. 126 f.; Wilkitzki, ZStW 1993, 821, 841 f.; Werkusch, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 43. 85 Gaus, Materiell-rechtliche Gewährleistungen und verfahrensrechtliche Durchsetzbarkeit völkerrechtlich garantierter Menschenrechte, S. 6; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 184 ff.; Nehm, DRiZ 1996, 41, 42, 46; Werkusch, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 43. 78

A. Grundlagen

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internationale Standards unmittelbar für alle Staaten prägt, kann mit der Förderung gemeinsamer Grundprinzipien auch eine wachsende Bereitschaft zur Gewährung der Vollstreckungshilfe beobachtet werden.86 2. Sinn und Zweck der Vollstreckungshilfe Maßgeblich beteiligt an der Rechtshilfe in Form der Vollstreckungshilfe sind der Urteilsstaat, der Vollstreckungsstaat und die verurteilte Person. Diese an der Vollstreckungshilfe Beteiligten verfolgen naturgemäß unterschiedliche Ziele. Auch führen die verschiedenen Rechtsgrundlagen der Vollstreckungshilfe, die im Urteils- und Vollstreckungsstaat zur Anwendung kommen, zu unterschiedlichen Schwerpunkten bei den zu verfolgenden Zwecken. Daher kann im vorliegenden Rahmen nur zusammenfassend aufgezeigt werden, welche Zwecke die Vollstreckungshilfe im Allgemeinen hat und wer grundsätzlich welche Interessen verfolgt. a) Aus Perspektive des Urteilsstaates Der Urteilsstaat wird bei oberflächlicher Betrachtung keinen Grund haben, der Übergabe der Vollstreckung durch einen anderen Staat zuzustimmen, da er grundsätzlich daran interessiert ist, seine rechtskräftig gewordenen Urteile selbst zu vollstrecken.87 Gleichwohl birgt die Vollstreckungshilfe, also in Form der Vollstreckungsübergabe, bei genauerer Betrachtung auch für den Urteilsstaat Vorteile. So kann der Urteilsstaat etwa seinen Strafanspruch in den Fällen, in denen ein ausländischer Verurteilter vor dem Beginn der Vollstreckung in seine Heimat zurückgekehrt ist, wenn überhaupt nur im Wege der Vollstreckungsübergabe durchsetzen – denn oftmals sehen die Rechtsordnungen (wie auch Deutschland in § 2 Abs. 1 IRG i. V. m. Art. 16 Abs. 2 GG) ein Verbot der Auslieferung eigener Staatsbürger vor. Durch die Vollstreckungshilfe zwischen den Staaten kann sich ein Verurteilter der Vollstreckung eines Urteils somit nicht mehr durch die bloße Flucht in die Heimat entziehen und der Strafanspruch des Urteilsstaat wird befriedigt.88 Die Vollstreckungsübergabe kann aber auch bei eigenen Staatsangehörigen von Interesse sein. In Zeiten der Durchlässigkeit von Grenzen und der Freizügigkeit, insbesondere auch innerhalb der EU, ist es keinesfalls selten, dass Personen ihren Lebensmittelpunkt außerhalb ihres Heimatstaates aufgebaut haben. Aus Erwägungen der positiven Spezialprävention kann es dabei sinnvoll sein, einen Verurteil 86

Hüttemann, StV 2016, 519, 519; Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 1 Rn. 17. Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 54. 88 Maag-Wydler, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 40 f.; Schroeder, ZStW 1986, 457, 457; Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 49 f., 54 f.; Wilkitzki, GA 1981, 361, 373. 87

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

ten seine Freiheitsstrafe nicht zwingend in seiner Heimat verbüßen zu lassen. Um eine erfolgreiche Integration und Resozialisierung der Person zu fördern, erscheint es besser, die Strafe auch in dem Land zu vollstrecken, indem sich der Lebens­ mittelpunkt der Person befindet.89 Die offenen Grenzen und das Recht auf Freizügigkeit vereinfachen es jedoch nicht nur, sich ein Leben in einem anderen Staat aufzubauen, sondern sind auch mit neuen Dimensionen der Kriminalität verbunden, die über die nationalen Grenzen hinausreichen.90 Infolge dessen ist schon seit Jahren ein hoher Anteil von Ausländern unter den Insassen von Strafvollzugsanstalten zu beobachten.91 Dies stellt die betroffenen Staaten vor besondere Herausforderungen im Strafvollzug; zu nennen sind etwa fehlende Sprachkenntnisse der Insassen, die Notwendigkeit, auf spezielle religiöse Regeln Rücksicht zu nehmen oder besondere Verpflegungsleistungen, die erforderlich werden.92 Die Rechtshilfe der Vollstreckungsübergabe an den Heimatstaat des Verurteilten erlaubt es dem Urteilsstaat, diese Schwierigkeiten zu umgehen.93 Auch der Faktor der Kostenersparnis kann einen Vorteil für den Urteilsstaat darstellen,94 da die Kosten der Strafvollstreckung in den meisten Vereinbarungen dem Vollstreckungsstaat auferlegt werden95 bzw. die speziellen Kosten, die mit der Unterbringung eines Ausländers verbunden sind, erst gar nicht entstehen. Die Vollstreckungsübergabe führt daher nicht bloß zu Kostenersparnissen, sondern entlastet potentiell auch den Straf- bzw. Maßregelungsvollzug.96 b) Aus Perspektive des Vollstreckungsstaates Der Vollstreckungsstaat kann durch die Übernahme der Vollstreckung eines fremden Urteils vor allem Rücksicht auf die Interessen seiner Staatsangehörigen nehmen. So diente die Regelung der Vollstreckungshilfe durch das IRG in der 89

BT-Drs. 9/1338, S. 29 f.; Grützner, NJW 1969, 345, 347; Maag-Wydler, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 41 f.; Wilkitzki, GA 1981, 361, 373; Ahlbrecht / ​Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, 3.H., Rn.  1296; Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, S. 214. 90 Hecker, Europäisches Strafrecht, S. 18 Rn. 32 f.; Hecker, JA 2007, 561, 561; Dannecker, Jura 2006, 95, 95; Bubnoff, ZEuS 2001, 165, 166; Oehler, in: Bassiouni / ​Nanda (Hrsg.), Jurisdiction and Cooperation, S. 264; Sieber, JZ 1997, 369, 370. 91 Lemke, ZRP 2000, 173, 173. 92 Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 56; Jung, in: Bundeshilfswerk für Straffälligenhilfe e. V. (Hrsg.), Bundeshilfswerk, S. 34; Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, S. 214. 93 Bartsch, NJW 1984, 513, 513; Morgenstern, ZIS 2008, 76, 78. 94 Hüttemann, StV 2016, 519, 519. 95 Siehe bspw. Art. 17 Abs. 5 ÜberstÜbk, Art. 24 Rb-Freiheitsstrafe, Art. 8 VollstrHV D-Thailand. 96 Schroeder, ZStW 1986, 457, 466; Hüttemann, StV 2016, 519, 519; Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 56 f.; Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 134; Ahlbrecht / ​Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, 3.H., Rn.  1296.

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Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1983 mitunter dazu, eine bessere Resozia­ lisierung des Täters zu ermöglichen.97 Spiegelbildlich zu den besonderen Schwierigkeiten, mit denen sich ein Staat bei der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe gegen einen Ausländer konfrontiert sehen kann, kann die Verbüßung eines Urteils in einem fremden Land auch für den Verurteilten eine Härte darstellen. So können neben den fehlenden Sprachkenntnissen eine unbekannte Kultur, unbekannte Essgewohnheiten oder eine besondere Isolation aufgrund der räumlichen Distanz zu Freunden und Familie, die sich weiterhin in dem Heimatstaat befinden, belastend sein.98 Gerade die Vereinsamung stellt eine häufige Folge des Strafvollzuges dar.99 Bei einer Strafvollstreckung im Heimatstaat besteht meist eine größere Chance einer erfolgreichen Resozialisierung und Reintegration im Sinne eines spezialpräventiven Ansatzes, da der Insasse sich in einem bekannten Umfeld mit gewohnten Bräuchen befindet und auf die Unterstützung seiner Bekannten zurückgreifen kann.100 Zu bedenken gilt auch, dass auswärtige Gefangene bei einer Vollstreckung der Strafe im Urteilsstaat seltener in den Genuss von Vollzugslockerungen und „Maßnahmen zur Förderung und Betreuung“ kommen.101 Eine effiziente Vorbereitung auf ein Leben nach dem Strafvollzug ist so nicht möglich, sodass die Wiedereingliederung in die Gesellschaft erschwerter sein kann als bei einem Vollzug der Strafe im Heimatstaat des Ausländers.102 Der Heimatstaat des Täters kann in diesen Fällen mit der Vollstreckungsübernahme die Wiedereingliederung der eigenen Staatsangehörigen oftmals leichter erreichen als der Urteilsstaat.103 Innerhalb der Europäischen Union ist dieser Rechtsgedanke im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit schon tragend. So ist der Vollzug einer Strafe im Heimatstaat bzw. auch im gewöhnlichen Aufenthaltsstaat im Bereich der EU die Regel, wie 97

BT-Drs. 9/1338, S. 29 f.; Bartsch, NJW 1984, 513, 513; Schroeder, ZStW 1986, 457, 458. Bartsch, NJW 1984, 513, 514; Wilkitzki, GA 1981, 361, 373; Morgenstern, ZIS 2008, 76, 78; Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 48; Plachta, ZStW 1987, 479, 481; Jung, in: Bundeshilfswerk für Straffälligenhilfe e. V. (Hrsg.), Bundeshilfswerk, S. 34; Jung / ​Schroth, GA 1983, 241, 252; Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, S. 214; Ahlbrecht  / ​ Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, 3.H., Rn. 1296; ausführlich zu Problemen eines auswärtigen Strafgefangenen siehe Nährich, ZfStrVo 1975, 145, 145 ff. 99 Jung / ​Schroth, GA 1983, 241, 252; Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 48; Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, S. 214. 100 Schroeder, ZStW 1986, 457, 468; Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 46 f.; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG Vor § 48 Rn.  4; Morgenstern, ZIS 2008, 76, 78; Hüttemann, StV 2016, 519, 519; Plachta, ZStW 1987, 479, 480 f. 101 Nährich, ZfStrVo 1975, 145, 146 ff. 102 Vgl. Bartsch, NJW 1984, 513, 513; Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 49; Lemke, ZRP 2000, 173, 173; durch die Schwierigkeit der Überwachung von Maßnahmen und Auflagen erfolgt eine Ungleichbehandlung nicht nur auf Ebene des Strafvollzugs, sondern schon auf der vorherigen Stufe der Verurteilung. So wird bei Ausländern anstatt einer bedingten Strafaussetzung einer Freiheitsstrafe öfter als bei eigenen Staatsangehörigen eine reine Freiheitsstrafe verhängt, aus Angst, der Verurteilte könnte sich durch Flucht in den Heimatstaat der Strafe leichter entziehen, siehe Grützner, NJW 1969, 345, 347 oder auch Lemke, ZRP 2000, 173, 173. 103 Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 133; Hüttemann, StV 2016, 519, 519. 98

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etwa anhand von Art. 3 Abs. 1, 2 Rb-Freiheitsstrafe, § 84a IRG oder auch Art. 5 Nr. 3 RB-EuHB, § 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 IRG zu erkennen ist.104 Neben diesen spezialpräventiven Erwägungen kann die Übernahme der Vollstreckung eines auswärtigen Urteils auch der Pflicht des Vollstreckungsstaates dienen, seine Staatsangehörigen vor einer ausländischen Strafvollstreckung unter unmenschlichen und unerträglichen Bedingungen zu schützen.105 So wurde die Vollstreckungsübernahme vor allem wegen solcher Fälle als zusätzliches Rechtshilfemittel in das deutsche Recht eingeführt, in denen deutsche Staatsbürger im Ausland zu einer unverhältnismäßig hohen Freiheitsstrafe verurteilt worden waren oder ihre Strafe unter strengen Haftbedingungen zu verbüßen hatten.106 Gleichwohl ist die Begründung des Schutzes eigener Staatsangehöriger für die Vollstreckungsübernahme mit Vorsicht zu betrachten, beinhaltet sie doch eine Kritik an dem Rechts- und Vollzugssystem des auswärtigen Staates. Im Verhältnis zu befreundeten Staaten wird es der Bundesrepublik Deutschland durchaus möglich sein, etwaige Defizite eines fremden Strafvollzuges bei der Wahrung von Grund- und Menschenrechten zu kommunizieren. Aber selbst bei Staaten, zu denen ein freundschaftsähnliches Verhältnis besteht, sollte dies nur behutsam unter Anerkennung der rechtskulturellen und ökonomischen Unterschiede und höchstmöglicher Achtung erfolgen. Zu Staaten, zu denen erkennbar ein schwieriges völkerrechtliches Verhältnis besteht, wird der Aspekt des Schutzes eigener Staatsangehöriger seltener bei einer amtlichen Begründung für ein Angebot der Vollstreckungsübergabe aufgeführt werden, um außenpolitische Verstimmungen zu vermeiden.107 Eine weitere Erwägung zugunsten der Vollstreckungsübernahme für den Übernahmestaat kann die Anerkennung der Gegenseitigkeit und die Förderung des Verhältnisses zu dem Urteilsstaat sein. Nur wenn ein Staat einem anderen Staat im Wege der Rechtshilfe abhilft, kann er für den umgekehrten Fall ebenso die Hilfe des Partnerstaates erwarten.108 Auf diese Weise kann Zusammenarbeit im internationalen Raum gestärkt werden. 104

Zu § 84a siehe Böse, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 84a Rn. 19 f.; zu § 80 IRG siehe Böse, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 80 Rn. 17, 39. 105 Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 51; Morgenstern, ZIS 2008, 76, 78; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG Vor § 48 Rn.  12; Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 48 Rn.  6; Hüttemann, StV 2016, 519, 519; in den Fällen, in denen der Betroffene unter schlimmen Haftbedingungen im Ausland in Haft saß, könnte an einen Härteausgleich gem. § 51 Abs. 3 StGB gedacht werden (BGH, Urt. v. 5. November 2014, Az. 1 StR 299/14 (= BeckRS 2014, 23680)). Eine solche Verkürzung der Strafe durch den deutschen Staat ist jedoch wegen der Souveränität des anderen Staates nicht möglich (so auch in Bezug auf rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung OLG Rostock, NStZ-RR 2010, 340 sowie allgemein auf Anrechnung der im Urteilsstaat erlittenen Haft KG, StV 2018, 573). Lediglich eine frühzeitige Vollzugslockerung wäre möglich; siehe im Allgemeinen zur Umwandlung der Strafe Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 54 Rn. 6. Später auch aufgegriffen auf S. 81 ff.; zur Grundlage der Fürsorgepflicht siehe S. 219 ff. 106 BT-Drs. 9/1338, S. 30; Wilkitzki, GA 1981, 361, 373. 107 Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 52 f. 108 Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 58.

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Schließlich wird auch die Effektivität der Strafrechtspflege im internationalen Raum gefördert, was insbesondere bei relativ geringfügigen Straftaten oder bloßen Ordnungswidrigkeiten von Vorteil ist, da insbesondere in diesem Bereich die Verfahren ansonsten häufig nicht zu Ende geführt werden könnten.109 c) Aus Perspektive des Verurteilten Viele Interessen des Verurteilten im Rahmen der Vollstreckungshilfe entsprechen den Zwecken, die auch von den Staaten verfolgt werden. Insbesondere die Verbüßung einer Freiheitsstrafe im eigenen Heimatstaat, statt in einem fremden Staat mit unbekannter Kultur oder unmenschlichen Haftbedingungen, dürfte ein wesentliches Interesse des Verurteilten sein. Aber auch das Interesse, nicht aus seinem gewohnten Umfeld herausgerissen zu werden, wenn der Lebensmittelpunkt und der Ort der Aburteilung nicht (mehr) übereinstimmen, kann ein mit der Vollstreckungsübernahme verfolgter Zweck des Betroffenen sein. Der Verurteilte kann zudem ein vollstreckungstaktisches Interesse verfolgen. Mit seiner Zustimmung zur Überstellung in einen anderen Vollstreckungsstaat kann der Verurteilte nicht nur seine Chance auf Haftlockerungen, sondern teils auch auf eine frühzeitige Haftentlassung erhöhen.110 Auch erfolgt im Vollstreckungsstaat oftmals eine großzügigere Handhabung der vorzeitigen Entlassung oder eine regelmäßigere Gewähr von Begnadigungen als im auswärtigen Urteilsstaat.111 3. Unterschiede zu weiteren Instrumenten der Rechtshilfe Neben der Vollstreckungshilfe gibt es freilich weitere Arten der Rechtshilfe, durch welche die Staaten sich gegenseitig in strafrechtlichen Verfahren unterstützen können. Andere Rechtshilfeinstrumente sind die Auslieferung, die Durchliefe­ rung, die sog. „kleine Rechtshilfe“ und die Rechtshilfe der Übertragung und Übernahme der Strafverfolgung, welche im Vergleich zur Vollstreckungshilfe jeweils entscheidende Unterschiede aufweisen.

109

Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 134. Oehler, ZStW 1984, 555, 198; Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 61; siehe dazu auch auf S. 83 f. 111 Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 61; dazu ähnl. Grützner, NJW 1969, 345, 347. 110

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a) Auslieferung Die Auslieferung als sog. „große Rechtshilfe“ bedeutet die zwangsweise Überstellung eines Verdächtigen zwecks Strafverfolgung oder -vollstreckung von der Strafgewalt eines Staates in die eines anderen.112 Durch diese kann sowohl ein auswärtiger Strafprozess, als auch die noch zu vollziehende Vollstreckung eines schon erfolgten auswärtigen Urteils möglich gemacht werden. Auf den ersten Blick erscheint die Auslieferung der Vollstreckungshilfe ähnlich, da bei dieser ebenfalls eine verurteilte Person zur Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion an einen anderen Staat übergeben werden kann. Dennoch sind diese beiden Rechtshilfemittel streng voneinander zu trennen, da sie einen entscheidenden Unterschied aufweisen. Während bei der Vollstreckungshilfe Urteils- und Vollstreckungsstaat unterschiedlich sind, handelt bei der Auslieferung im strafrechtlichen Verfahren ein- und derselbe Staat. Ausgeliefert wird also zum Zwecke der Aburteilung oder, falls eine Verurteilung schon erfolgte, zum Zwecke der endgültigen Vollstreckung in dem Staat, der auch das Urteil verhängte. Dagegen erfolgt die Vollstreckungsübernahme ausschließlich zur Vollstreckung eines fremden Urteils; der Staat, der das Urteil vollstreckt, ist also nicht zugleich der Urteilsstaat. Eine internationale Aufspaltung zwischen Verurteilung und Vollstreckung, welche die Vollstreckungshilfe mitunter so schwierig macht, findet bei der Auslieferung daher nicht statt.113 Dennoch kann es vorkommen, dass in Fällen, in denen ein Urteil im auswärtigen Staat schon erging, die Vollstreckungshilfe und die Auslieferung miteinander „konkurrieren“. So kann sich der ersuchte Staat, der vom Urteilsstaat zur Vornahme der Auslieferung für die endgültige Vollstreckung eines dort ergangenen Urteils ersucht wird, dazu bereit erklären, selbst die Vollstreckung im Wege der Vollstreckungsübernahme zu übernehmen, statt dem Auslieferungsersuchen zuzustimmen.114 Das Ausweichen auf die Rechtshilfe der Vollstreckungsübernahme kann bedeutend und notwendig sein, wenn der Auslieferung im ersuchten Staat Hindernisse entgegenstehen, wie etwa das Auslieferungshindernis der Staatsangehörigkeit im deutschen Recht gem. § 2 Abs. 1 IRG i. V. m. Art. 16 Abs. 2 GG. In einem solchen Fall ist die Vollstreckungsübernahme eines auswärtigen Urteils gegen einen deutschen Staatsangehörigen möglich.115

112

Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 1. HT, Rn. 25. Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 43 f. 114 Weber, Überstellung in den Heimatstaat, S. 43 f.; Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, S. 203; Schultz, in: Oehler / ​Pötz (Hrsg.), FS Grützner, S. 147. 115 Schultz, in: Oehler / ​Pötz (Hrsg.), FS Grützner, S. 142 f. 113

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b) Durchlieferung Die Durchlieferung ist zwar ein eigenständiges Instrument der Rechtshilfe, hängt aber notwendigerweise mit der Auslieferung oder der Vollstreckungshilfe zusammen.116 Sie wird erforderlich, wenn der ersuchende und der ersuchte Staat nicht aneinandergrenzen und der Verfolgte zur Ausführung der Rechtshilfe durch einen dritten Staat befördert werden muss.117 In diesem Fall gestattet und ermöglicht der dritte Staat die Beförderung der betreffenden Person durch sein Hoheitsgebiet, damit die Auslieferung oder die Vollstreckungshilfe vollzogen werden kann. Die Rechtshilfe der Durchlieferung wird also durch den dritten Staat geleistet. Freilich betrifft dies im Falle der Vollstreckungshilfe nur Sachverhalte, in denen der Betroffene sich noch im Urteilsstaat befindet. c) Sonstige Rechtshilfe Die sonstige Rechtshilfe, teilweise auch „kleine Rechtshilfe“ genannt,118 betrifft alle anderen Formen der Rechtshilfe.119 Der Begriff der sog. kleinen Rechtshilfe wird jedoch zunehmend kritisiert, da er diese Rechtshilfeart als vergleichsweise unbedeutend erscheinen lässt. Dies, obwohl die Maßnahmen im Rahmen der „kleinen Rechtshilfe“ diejenigen sind, die wohl am häufigsten zwischen den Staaten getätigt werden;120 der mittlerweile vorzugswürdige Begriff ist daher „sonstige Rechtshilfe“, der auch die große Bandbreite an möglichen Maßnahmen andeutet. So kann die sonstige Rechtshilfe alle möglichen Arten von Rechtshandlungen beinhalten. Insbesondere Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung, wie die Gewinnung von Personal- oder Sachbeweisen, sind für die Rechtshilfe in Form der sonstigen Rechtshilfe charakteristisch.121 Sie bezeichnet aber keine bestimmte Form der Rechtshilfe, sondern ist vielmehr eine allgemeine innerstaatliche Leistungsermächtigung, nach der bei fehlender konkreter Regelung Rechtshilfehandlungen vorgenommen werden können.122

116

Schomburg et al., in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, Einl., Rn.  14. Wilkitzki, Entstehung des IRG, S. 12. 118 Schomburg et al., in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, Einl., Rn.  16. 119 Wilkitzki, Entstehung des IRG, S. 12. 120 Jescheck, ZStW 1954, 518, 541. 121 Schomburg et al., in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, Einl., Rn.  16; Ahlbrecht, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, 3.I., Rn.  1304. 122 Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 59 Rn.  1. 117

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

d) Rechtsinstitut der Übertragung und Übernahme der Strafverfolgung Das Rechtsinstitut der Übertragung und Übernahme der Strafverfolgung ist eine Form der Rechtshilfe, bei der ein Staat einen anderen Staat darum ersucht, eine beschuldigte Person an seiner Stelle zu verfolgen.123 Der ersuchende Staat tritt dabei nicht seinen eigenen Anspruch auf Strafverfolgung an den ersuchten Staat ab, sondern regt vielmehr lediglich den ersuchten Staat dazu an, ein eigenes Ermittlungs- und Strafverfahren durchzuführen. Wird diese Anregung im ersuchten Staat aufgegriffen und ein eigenes Verfahren eingeleitet, erlischt damit nicht automatisch auch die Strafverfolgungskompetenz des ersuchenden Staats. Je nach völkerrechtlicher Vereinbarung kann jedoch mit der Übertragung oder der Übernahme der Strafverfolgung ein Verfahrenshindernis für den ersuchenden Staat entstehen, sodass faktisch sehr wohl ein eigenes Verfahren ausscheiden kann.124 Diese Form der Rechtshilfe gilt als eine Ausprägung des Kompetenzverteilungsprinzips und soll Zuständigkeitskonflikte zwischen Staaten mit ähnlichen Rechtssystemen vermeiden.125 Durch die Übertragung der Strafverfolgung kann von vorneherein eine Verurteilung im Ausland vermieden werden, indem der auswärtige Staat dem Heimatstaat des Verdächtigen die Strafverfolgung „überlässt“ und von einem eigenständigen Strafverfahren absieht. Eine spätere, schwierige Übertragung der Vollstreckung des Urteils an einen anderen Staat ist dann nicht mehr nötig.126 Im IRG ist eine solche Form der Rechtshilfe nicht geregelt, lediglich in den „Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten“ (RiVASt) finden sich innerstaatliche Regelungen dazu.127 Jedoch hat die Bundesrepublik Deutschland verschiedene völkerrechtliche Übereinkommen ratifiziert, in denen eine Möglichkeit der Übertragung der Strafverfolgung vorgesehen ist.128 Grund für die fehlende gesetzliche Regelung ist womöglich, dass diese Form der Rechthilfe eigentlich nur eine Förderung oder Erleichterung der internationalen Strafrechtspflege darstellt und ein Staat auch ohne eine gesetzliche Grundlage nicht daran gehindert ist, einen

123

Lagodny / ​Schomburg, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, EuÜbertrStrafverfolgungÜbk, Rn. 1 f.; Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, S. 31, 212 ff. 124 Jung, in: MAH Strafverteidigung, § 18 Rn. 118; Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, S. 213; Gardocki, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 318 f.; so bspw. für Deutschland im Auslieferungsrecht siehe Ahlbrecht / ​Böhm, in: Ahlbrecht / ​ Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, 3.H., Rn.  1303. 125 Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, S. 91. 126 Epp, ÖJZ, 119, 120. 127 Siehe dazu Ahlbrecht / ​Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, 3.H., Rn.  1301. 128 Art.  21 VN-OrgKrim-Übk / ​U NTOC sowie Art.  47 VN-Antikorruptions-Übk / ​U NCAC und Art. 18 VN-Suchtstoff-Übk der Vereinten Nationen. Das Europäische Übereinkommen vom 15. Mai 1972 über die Übertragung der Strafverfolgung (EuÜbertrStrafverfolgungsÜbK) hat Deutschland bemerkenswerterweise nicht ratifiziert, siehe Lagodny / ​Schomburg, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, EuÜbertrStrafverfolgungÜbk, Rn.  4.

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anderen Staat von strafbaren Handlungen in Kenntnis zu setzen.129 Allerdings kann ein Ersuchen um die Übernahme der Strafverfolgung durchaus vorteilhaft sein, da hierdurch die Möglichkeiten zur Strafverfolgung, aber auch die Reichweite der Gerichtsbarkeit des ersuchten Staates ausgedehnt werden.130

III. Wichtige völkerrechtliche Übereinkommen zum Menschenrechtsschutz Neben den innerstaatlichen Regelungen müssen auch die allgemeinen Menschenrechte beachtet werden, zu deren Schutz sich einzelne Staaten durch Unterzeichnung völkervertraglicher Übereinkommen verpflichtet haben. Die Gewährleistung individueller Rechte und Freiheiten, die aus den internationalen Verträgen folgen, erstreckt sich nicht nur auf den Bereich der nationalen Strafrechtspflege, sondern auch auf den der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen.131 Auch die Bundesrepublik Deutschland ist an wichtige völkerrechtliche Übereinkommen gebunden und hat daher bestimmte Garantien zu achten, aus denen letztendlich auch eine Fürsorgepflicht wachsen kann. Als wichtige Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte, zu deren Signataren auch die Bundesrepublik Deutschland gehört, sind insbesondere der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) und die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) zu nennen. Letzte ist jedoch lediglich ein regionales Instrument, welches nur europäische und nicht internationale Standards prägt. Daneben stehen im Bereich der Europäischen Union die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) und das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ)132, auf deren Darstellung jedoch verzichtet wird, da der Geltungsbereich der Europäischen Union nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist.

129

Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, S. 204. So bspw. durch Art. 2 EuÜbertrStrafverfolgungsÜbK, siehe Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, S. 204. 131 EGMR, Lynas vs. Switzerland, Entsch. v. 6. Oktober 1976, App. no. Nr. 7317/75; EGMR, Fall Memis, EuGRZ 1986, 324, 325; EGMR, Fall Soering, EUGRZ 1989, 314, 318. 132 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen aufbauend auf dem am 14. Juni 1985 in Schengen geschlossenen Übereinkommen über den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen am 19. Juni 1990; BGBl. II 1993, S. 1010, 1013; in Kraft getreten am 26. März 1995. 130

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

1. Einleitender Überblick zu völkerrechtlichen Verträgen Völkerrechtliche Verträge stellen in der heutigen globalisierten Welt einen Standard dar, der sämtliche rechtliche Bereiche durchdringt. Auch die einzelnen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte haben demzufolge das nationale Recht beeinflusst und beeinflussen es teilweise immer noch. In Deutschland wird von einem Dualismus des nationalen und internationalen Rechts ausgegangen, sodass der Inhalt eines völkerrechtlichen Vertrags durch die bloße Unterzeichnung noch keine innerstaatliche Rechtswirkung erlangt; vielmehr muss der Vertrag in das nationale Recht überführt werden.133 Dies erfolgt in einem gesetzgeberischen Verfahren, in dem die völkerrechtlich vereinbarten Vorschriften ins nationale Recht transformiert werden,134 wobei dies wegen Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG zwingend durch ein Bundesgesetz erfolgen muss.135 Dieses nationale Gesetz stellt sodann grundsätzlich auch die Vorschrift dar, über welche die im völkerrechtlichen Vertrag bestimmten Regelungen im Inland angewandt werden. Daneben können vertragliche Regelungen aber auch mittelbar in der Auslegung des nationalen Rechts berücksichtigt werden.136 Sofern ein Staat einer im völkerrechtlichen Vertrag vereinbarten Verpflichtung nicht nachkommt, führt dies aufgrund ihrer Überführung in die nationale Rechtsordnung zunächst innerstaatlich zur Rechtswidrigkeit der betreffenden Maßnahme. Aber auch im Außenverhältnis zu dem anderen Vertragsstaat kann eine solche Vertragsverletzung Rechtsfolgen haben, die in dem Vertrag selbst geregelt sein können.137 Zur Durchsetzung dieser Rechtsfolgen existieren unterschiedliche Mechanismen, die teilweise auch durch eigene Kontrollinstanzen des völkerrechtlichen Vertrags vollstreckt werden können. Ein Beispiel für eine solche Kontrollinstanz ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der die Gewährleistung durch die EMRK gewährten Rechte sicherstellt. Durchsetzungsmechanismen können die Festsetzung von Strafzahlungen oder die zwangsweise Durchsetzung der Pflicht auf Grundlage des Prinzips pacta sunt servanda138 sein.139 Eine nicht 133

BVerfG, Fall Görgulu, NJW 2004, 3407, 3408 (= BVerfGE 111, 307); Schmahl, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus 2005, S. 292; Nettesheim, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 59 Rn. 170; Geiger, Staatsrecht III, § 7 S. 16; Doehring, Völkerrecht, Rn. 701 f. 134 Ausführlich zum Verfahren des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge siehe Heintschel von Heinegg, in: Studienbuch zum Völkerrecht, § 13 Rn. 1 ff.; kurz bei Holterhus / ​Mittwoch / ​ El-Ghazi, JuS 2018, 313, 314 f. 135 Schmahl, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus 2005, S. 292; dies., JuS 2018, 737, 738; Nettesheim, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 59 Rn. 90. 136 Seibert-Fohr, ZaöRV 2002, 391, 394. 137 Seibert-Fohr, ZaöRV 2002, 391, 392. 138 Als Prinzip des Völkerrechts festgelegt in Art. 26 WVK; siehe dazu kurz bei Schmahl, JuS 2018, 737, 739. 139 So bspw. der UN-Menschenrechtsausschuss, der im Anwendungsbereich des IPbpR innerhalb des allgemeinen Berichtssystems Verletzungen der Rechte aus dem IPbpR überprüfen und

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zu unterschätzende Folge von Vertragsverletzungen kann auch die Schädigung der Beziehung zum Vertragsstaat sein, die unter Umständen sogar schwerer wiegt als die Folgen der Rechtsverletzung. Zudem wachen unterschiedliche internationale Gremien losgelöst von vertraglichen Verpflichtungen über Menschenrechtsverletzungen eines Staates im internationalen Raum, wie etwa die UN-Generalversammlung der Vereinten Nationen. Solche Entscheidungen lösen zwar keine Rechtsfolge aus, doch können daran politische und wirtschaftliche Sanktionen und in Extremfällen auch militärische Einsätze gegen einen Staat geknüpft werden.140 2. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Einer der wichtigsten völkerrechtlichen Verträge zur Gewährleistung von Menschenrechten ist der IPbpR, der neben einer umfassenden Verbürgung zahlreicher Rechte mit der Ratifikation durch 168 Staaten auch den weitesten Anwendungsbereich aufweist.141 Zusammen mit dem UN-Sozialpakt und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die bloß unverbindliche Empfehlungen enthält, stellt der IPbpR seit 1966 eines der grundlegenden Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen dar. Wichtige strafrechtliche Garantien, welche der Pakt enthält, sind zum einen das in Art. 6 IPbpR formulierte Recht auf Leben und das in Art. 7 IPbpR normierte Folterverbot. Zum anderen enthält Art. 9 IPbpR das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit, Art. 10 IPbpR das Recht auf Achtung der Menschenwürde sowie Art. 14 IPbpR grundlegende Kriterien eines effektiven Menschenrechtsschutzes in gerichtlichen Verfahren. Insbesondere in Art. 14 IPbpR finden sich wesentliche rechtsstaatliche Verfahrensstandards, wie die Unabhängigkeit der Gerichte, die Wahrung der Unschuldsvermutung und weitere Mindestkriterien an einem fairen Prozess. Zur Durchsetzung der Vertragsregelungen enthält Art. 40 IPbpR zudem eine Pflicht zur regelmäßigen Berichterstattung über Fortschritte und Schwierigkeiten auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes an den UN-Menschenrechtsausschuss (engl. Human Rights Committee (CCPP)), der über die innerstaatliche Durchsetzung des Pakts wacht.142 Daran anknüpfend kann jeder Vertragsstaat gem. Art. 41 IPbpR eine Beschwerde an den UN-Menschenrechtsausschuss richten, sorügen kann, siehe Art. 40 f. IPbpR. Durch die Anerkennung der Zuständigkeit des Ausschusses in Art. 41 IPbpR bindet der Staat sich im Wege der Vertragstreue an die Entscheidungen des UN-Menschenrechtsausschusses. Die Durchsetzung der Entscheidung mit Sanktionsmöglichkeiten kennt der IPbpR jedoch nicht. 140 Siehe zur UN-Generalversammlung Wolfrum / ​Philipp, Handbuch VN, S. 225 ff.; zu Sanktionen des Sicherheitsrats ausführlich bei Gornig, Zielgerichtete Sanktionen des Sicherheitsrates der VN. 141 Seibert-Fohr, ZaöRV 2002, 391, 392; Schmahl / ​Steiger, AVR 2005, 359, 360. 142 Seibert-Fohr, ZaöRV 2002, 391, 392 f.

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

fern er der Ansicht ist, dass ein anderer Staat die Vorschriften des IPbpR missachtet hat. Zudem können nach dem 1. Zusatzprotokoll, welches von Deutschland ebenfalls ratifiziert wurde, auch von natürlichen Personen sog. Individualbeschwerden an den Ausschuss gerichtet werden. Die Urteile des UN-Menschenrechtsausschusses haben aber keine unmittelbare völkerrechtliche Verbindlichkeit für die Vertragsstaaten.143 Durch die Ratifizierung des 1. Zusatzprotokolls hat die Bundesrepublik Deutschland jedoch die Zuständigkeit des Ausschusses anerkannt, sodass dieser rechtmäßig feststellen kann, ob eine Verletzung des Paktes vorliegt.144 Zu beachten ist aber, dass die Verfahren vor anderen internationalen Institutionen, insbesondere das vor dem EGMR, gem. Art. 5 Abs. 2 lit. a des 1. Zusatzprotokolls vorrangig sind. Für die Bundesrepublik Deutschland gilt zusätzlich der erklärte Vorbehalt, dass eine vorherige Prüfung durch eine andere Institution die Zuständigkeit des Ausschusses ausschließt.145 Insofern ist der IPbpR und die Individualbeschwerde für die Bundesrepublik Deutschland eher unbedeutend, wenngleich die dort verankerten Menschenrechte auch auf den Schutzbereich der Grundrechte einwirken und so teilweise zur Ermittlung des Inhalts herangezogen werden.146 3. Europäische Menschenrechtskonvention Fast gleichlaufende Rechte wie der IPbpR147 gewährleistet auch das europäische Übereinkommen der EMRK, welches durch den Europarat ausgearbeitet wurde und 1953 in Kraft trat. In dieser übernehmen die 47 Konventionsstaaten eine in persönlicher, räumlicher, sachlicher und zeitlicher Hinsicht beschränkte Schutzverantwortung für die ihrer Hoheitsgewalt unterliegenden Personen und verpflichten sich in Art. 1 EMRK, jegliche Hoheitsakte an den Rechten und Freiheiten zu messen, die durch die EMRK garantiert werden.148 Damit richtet sich die konventionsrechtliche Verpflichtung an alle Organe und Institutionen der Konventionsstaaten und gewährleistet ein gewisses Niveau des Menschenrechtsschutzes innerhalb der Mitgliedsstaaten des Europarats;149 die Konvention und ihre Zusatzprotokolle bilden eine Art europäischen ordre public.150 143 Schäfer, Individualbeschwerde nach dem FP zum Zivilpakt, S. 20; Nowak, Einführung in das Internationale Menschenrechtssystem, S. 115. 144 Schäfer, Individualbeschwerde nach dem FP zum Zivilpakt, S. 20. 145 Siehe Gollwitzer, MRK und IPbpR, IPbpR Art. 2 Rn. 7; Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise, S. 79, Fn. 285. 146 Schmahl, in: Bauschke / ​Becker / ​Brauser-Jung (Hrsg.), Pluralität des Rechts, S. 181; BVerfGE 75, 1 (21 f.); BVerfG, NJW 1991, 1043, 1044 (= BVerfGE 83, 119 (128)). 147 Siehe Seibert-Fohr, ZaöRV 2002, 391, S. 392, insb. Fn. 6. 148 Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​Raumer, EMRK Art. 1 Rn. 1; Satzger, in: SSW-StPO, EMRK Art. 1 Rn. 13; Fastenrath, in: IntKommEMRK, Art. 1 Rn. 2, 156. 149 Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​Raumer, EMRK Art.  1 Rn. 6; Wildhaber, EuGRZ 2002, 569, 571; Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 144. 150 Staebe, JA 1976, 75, 75; Golsong, Rechtsschutzsystem der EMRK, S. 108.

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Im Recht der Bundesrepublik Deutschland stellen die Regelungen der EMRK, wie jegliche völkerrechtliche Regelung, die ratifiziert und transformiert wurde, gem. Art. 59 Abs. 2 GG unmittelbar geltendes innerstaatliches Recht dar und stehen im Rang formell einem einfachen Bundesgesetz gleich.151 Der Anwendungsbereich der EMRK geht jedoch nach Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts weiter. So sind die in der EMRK vorgesehenen Garantien aufgrund der aus Art. 25 GG folgenden völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes bei der Auslegung und Anwendung der Grundrechte und des Rechtsstaatsprinzips vorrangig heranzuziehen.152 Zwar folgt daraus, dass eine Verletzung der in der EMRK vorgesehenen Rechte nicht unmittelbar im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gerügt werden kann. Doch ist es möglich, aufgrund der Pflicht zur völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes einen Verstoß gegen die Grundrechte i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip zu beanstanden.153 Lediglich dort, wo die Anwendung der EMRK den verfassungsrechtlich verankerten Grundsätzen widerspricht oder die Anwendung der EMRK zu einer Minderung des Grundrechtsschutzes führen würde, stößt diese Auslegung an ihre Grenzen, wie es auch in Art. 53 EMRK ausdrücklich festgehalten ist.154 Grund für diesen wesentlichen Unterschied in der Anwendung der EMRK liegt in ihrem tiefgreifenden Durchsetzungssystem. Mit einem eigenen Gericht, dem EGMR, sowie der in Art. 46 EMRK festgelegten Verpflichtung, Urteile des EGMR zu befolgen, stellt die EMRK ihre einheitliche Auslegung und Anwendung sicher.155 Innerhalb der deutschen Rechtsanwendung stellen Entscheidungen des EGMR zudem eine „faktische Orientierungs- und Leitfunktion“ dar und sind als solche nicht nur in gleichgelagerten Sachverhalten zu berücksichtigen.156 Der EGMR kann anders als der UN-Menschenrechtsausschuss im Rahmen der Individualbeschwerde auch rechtlich verbindliche 151

BVerfG, NJW 1990, 2741; BVerfG, NJW 2004, 3407, 3408 (= BVerfGE 111, 307); BVerfG, NJW 2018, 2695, 2699 (= BVerfGE 148, 296); Satzger, in: SSW-StPO, EMRK Art. 1 Rn. 25; Valerius, in: Graf, EMRK Art. 6 Rn. 1 f.; Schmahl, in: Bauschke / ​Becker / ​BrauserJung (Hrsg.), Pluralität des Rechts, S. 166; dies., in: Europäisches Zentrum für FöderalismusForschung (Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus 2005, S. 293; dies., in: HStrfR I, § 2 Rn. 7; Haug, NJW 2018, 2674, 2675. 152 BVerfG, NJW 2004, 3407 f. (= BVerfGE 111, 307); BVerfG, NJW 2018, 2695 (= BVerfGE 148, 296); Haug, NJW 2018, 2674, 2675; Valerius, in: Graf, EMRK Art. 6 Rn. 4; Schmahl, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus 2005, S. 293; dies., in: HStrfR I, § 2 Rn. 7. 153 Satzger, in: SSW-StPO, EMRK Art. 1 Rn. 26; Schmahl, in: Bauschke / ​Becker / ​BrauserJung (Hrsg.), Pluralität des Rechts, S. 181. 154 BVerfG, NJW 2004, 3407 f. (= BVerfGE 111, 307); BVerfG, NJW 1987, 2427(= BVerfGE 74, 358 (370)); BVerfG, NJW 2018, 2695, 2700 (= BVerfGE 148, 296); Haug, NJW 2018, 2674, 2676; Satzger, in: SSW-StPO, EMRK Art. 1 Rn. 25; Schmahl, in: Bauschke / ​Becker / ​BrauserJung (Hrsg.), Pluralität des Rechts, S. 183; dies., in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus 2005, S. 290. 155 Siehe Tomuschat, in: Breuer et al. (Hrsg.), Im Dienste des Menschen, S. 47, der die Einrichtung des EGMR sogar als „Wunder“ bezeichnet; sowie Schmahl, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus 2005, S. 294. 156 BVerfG, NJW 2018, 2695, 2699 (= BVerfGE 148, 296); Haug, NJW 2018, 2674, 2677.

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

Wiedergut­machungen zusprechen.157 Dies bedingt insgesamt eine größere rechtliche Bedeutung der EMRK im innerstaatlichen Recht.158 Selbst im allgemeinen Vollstreckungsübernahmeverfahren bilden die Garantien der EMRK eine Zulässigkeitsvoraussetzung gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG. Die im IPbpR gewährleisteten Rechte werden dagegen nicht ausdrücklich erwähnt. Als eine der wichtigsten Gewährleistungen der EMRK im Zusammenhang mit strafrechtlichen Verfahren gelten die prozessualen Garantien des Art. 6 EMRK,159 wobei auch das Folterverbot aus Art. 3 EMRK, das Recht auf Freiheit und Sicherheit aus Art. 5 EMRK, die Rechtsschutzgarantie aus Art. 13 EMRK und das in Art. 14 EMRK normierte Diskriminierungsverbot Einfluss auf strafrechtliche Verfahrensgänge haben.160 Zu den durch Art. 6 Abs. 1 EMRK gesicherten Verfahrensgarantien gehören neben dem Recht auf eine gerichtliche Entscheidung durch ein unabhängiges, unparteiisches Gericht auch das Verbot, den Betroffenen zum bloßen Objekt der Entscheidung herabzuwürdigen, und das damit zusammenhängende Gebot, ihm die Stellung eines mit eigenen Rechten ausgestatteten Subjekts im Strafverfahren zukommen zu lassen.161 Weitere Garantien, wie etwa die Unschuldsvermutung oder die Einhaltung von sonstigen grundlegenden Rechten des Betroffenen, wie das Recht auf ordentliche Verteidigung, sind in Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK festgelegt. Somit hat die Bundesrepublik Deutschland die in der EMRK geregelten Menschenrechte aus völkervertraglicher Sicht, aber auch aus verfassungsrechtlicher Sicht zu beachten. Daher können die Verstöße gegen die in der EMRK garantierten Rechte nicht nur vor dem EGMR im Wege der Staatenbeschwerde gem. Art. 33 EMRK oder der Individualbeschwerde gem. Art. 34 EMRK gerügt werden, sondern auch im Wege einer Verfassungsbeschwerde durch die völkerrechtsfreundliche Auslegung der Grundrechte im Lichte der EMRK. Die Missachtung dieser wesentlichen Menschenrechte im ausländischen Verfahren können teilweise auch einer Vollstreckungsübernahme entgegenstehen.162

157 Nowak, Einführung in das Internationale Menschenrechtssystem, S. 116; Schmahl, in: Bauschke / ​Becker / ​Brauser-Jung (Hrsg.), Pluralität des Rechts, S. 175 f. 158 Müller-Dietz, in: Ahlbrecht (Hrsg.), Kriminalität, Kriminalitätskontrolle, Strafvollzug, S. 46; Okresek, EuGRZ 2003, 168, 168 ff.; ausführlich zur Anwendung der EMRK im nationalen Recht siehe BVerfG, NJW 2004, 3407 ff. (= BVerfGE 111, 307). 159 Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 425 m. w. N.; Miehsler, in: IntKommEMRK, Art. 6, Vorbem. 160 Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 404, siehe auch Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 7. 161 Valerius, in: Graf, EMRK Art. 6 Rn. 5 ff., 9. 162 Siehe S. 75 ff. sowie auch auf S. 155 ff.

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4. Völkerrechtliche Verbote von Folter und unmenschlicher Behandlung Ergänzend zu den Folterverboten aus Art. 7 IPbpR besteht das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (UN-Antifolterkonvention; engl. United Nations Convention against Torture (UNCAT))163. Die Bedeutung der UN-Antifolterkonvention ist im Zusammenhang der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen und somit auch im Rahmen der Rechtshilfe nicht zu unterschätzen, da diesem mit 139 Vertragsparteien mittlerweile eine fast weltweite Bindungswirkung zukommt.164 Diese enthält dabei nicht nur ein Verbot der Folter, wie es eben auch in Art. 7 IPbpR besteht, sondern legt in Art. 4 ff. UN-Antifolterkonvention auch Einzelregelungen fest, wie etwa die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Folter einzuleiten und festgestellte Folter zu bestrafen. Auch normiert sie ausdrücklich in Art. 3 UN-Antifolterkonvention das Verbot, eine Person in einen Staat auszuweisen, wenn stichhaltige Gründe vorliegen, dass dieser Person im anderen Staat die Gefahr der Folter droht.165 In Art. 17 ff. UN-Antifolterkonvention werden Durchsetzungsmechanismen geschaffen, wie etwa die Einsetzung eines Ausschusses gegen Folter oder auch die Möglichkeit, unangemeldet Haftanstalten durch internationale Beobachter kontrollieren zu lassen.166 Ähnlich dazu besteht die regionale Europäische Konvention zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Anti­ folter-​Konvention)167, die ergänzend zu Art. 3 EMRK im Jahr 1987 vom Europarat verabschiedet wurde. Wie auch die UN-Antifolterkonvention dient diese dazu, einen gewissen Standard zu setzen und den erforderlichen Schutz vor Folter und erniedrigenden Behandlungen auszuweiten. Zu diesem Zweck wurde ebenfalls ein Europäischer Ausschuss168 errichtet, der gem. Art. 1 Antifolter-Konvention regelmäßig die Behandlung von Strafgefangenen durch Besuche prüft. Die Konventionsstaaten haben sich gem. Art. 2 Antifolter-Konvention dazu verpflichtet, diese Besuche zuzulassen. Die regelmäßige Kontrolle von Haftanstalten, aber auch von anderen Institutionen, in denen Menschen in ihrem Freiheitsrecht eingeschränkt werden, hilft, auf etwaige Verstöße reagieren zu können169 und diese notfalls vor dem EGMR zu rügen.170 163

Siehe BGBl. II 1990, S. 246. Siehe Schmahl / ​Steiger, AVR 2005, 359, 360 m. w. N. 165 Schmahl / ​Steiger, AVR 2005, 359, 360. 166 Siehe dazu etwa Bank, Internationale Bekämpfung von Folter und unmenschlicher Behandlungen, S. 43 ff. sowie S. 59 ff. 167 BGBl. II 1989, S. 946. 168 Sog. Europäischer Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. 169 Frowein, in: Frowein / ​Peukert, EMRK Art. 3 Rn. 1; Gaede, in: MüKO-StPO, EMRK Art. 3 Rn. 13. 170 Gaede, in: MüKO-StPO, EMRK  Art. 3 Rn. 13; siehe etwa auch gegen Deutschland EGMR, Hellig vs. Deutschland, Urteil v. 7. Juli 2011, no. 20 999/05 (dazu siehe vertiefend Pohlreich, JZ 2011, 1058, 1058 ff.). 164

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

5. Problematik zwischen Menschenrechtsschutz und internationaler Zusammenarbeit Der IPbpR und die EMRK verpflichten die Bundesrepublik Deutschland den Menschenrechtsschutz bei jeglichem staatlichen Handeln zu beachten. Dabei bergen die darin enthaltenen Pflichten und der Wunsch, Menschenrechte auch im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen zu achten, für die Konventionsstaaten ein mehrschichtiges Dilemma. Denn neben dem Interesse einer effektiven internationalen Zusammenarbeit müssen auch die Rechte und Interessen des Betroffenen beachtet werden.171 Zudem besteht ein allgemeines Bedürfnis, den Schutz der Menschenrechte auch auf internationaler Ebene zu fördern, indem der deutsche Staat deutlich macht, dass eine internationale Kooperation nur auf Grundlage von menschenrechtsfreundlichem Handeln stattfinden kann.172 Durch ein solches Beharren auf die Menschenrechte kann auf Nicht-Konventionsstaaten, die vermehrt international mit Konventionsstaaten tätig werden wollen, Druck ausgeübt werden, ihre Rechtsordnung in Einklang mit den Bestimmungen allgemein anerkannter Menschenrechte zu bringen.173 Damit verbunden ist jedoch zugleich die Gefahr, aktuelle und massive Menschenrechtsverletzungen im Ausland hinnehmen zu müssen, ohne dem Betroffenen im Wege der Rechtshilfe zur Hilfe eilen und den Eingriffen in seine Rechte entgegenwirken zu können.174 Auch das Interesse der effektiven Kriminalitätsbekämpfung kann so unter Umständen nicht befriedigt werden. Dieses Dilemma zwischen dem Schutz der Menschenrechte und dem Interesse an einer effektiven internationalen Zusammenarbeit gegenüber der Absicht, dem Betroffenen im Ausland Abhilfe zu verschaffen, wird zumeist auf Kosten der allgemeinen Menschenrechte des Betroffenen gelöst.175 Dies wird oftmals mit „dem übergeordneten Wohl und der Förderung der Menschenrechte“ verteidigt und so die Nichtvornahme einer Rechtshilfe gerechtfertigt.176 Dem Betroffenen, der selbst akuten Menschenrechtsverletzungen unterliegt, kommt dieses höhere Wohl freilich nicht zu Gute.

171 Plachta, Transfer of Prisoners, S. 162; Lagodny, in: Arnold / ​Burkhardt / ​Gropp et  al. (Hrsg.), FS Eser, S. 780 f.; Wilkitzki, GA 1981, 361, 361. 172 Vogler, Die Friedenswarte 1986, 287, 293; Wilkitzki, GA 1981, 361, 361. 173 Angedeutet bei Linke, ÖJZ 1980, 365, 366; Raschka, ÖJZ 1993, 699, 700; Wyngaert, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 489; Werkusch, Vollstreckung auslän­ discher Straferkenntnisse, S. 104. 174 Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, S. 217; Plachta, Transfer of Prisoners, S. 340 f.; Swart, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 511; ­Werkusch, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 101. 175 Swart, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 519. 176 Swart, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 508.

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IV. Regelungen zur Vollstreckungshilfe Ein Großteil der Regelungen zur Vollstreckungshilfe findet sich in völkerrechtlichen Abkommen, die, je nach Anzahl der beteiligten Staaten, multi- oder bilateral geschlossen wurden. Vor Umsetzung des Rb-Freiheitsstrafe177 der Europäischen Union, welcher durch das Gesetz vom 17. Juli  2015178 ratifiziert wurde, wurde die Vollstreckungshilfe für die Bundesrepublik Deutschland vor allem durch das Überstellungsübereinkommen des Europarats von 1983 (ÜberstÜbk)179 geregelt.180 Besonders erwähnenswert ist auch der Deutsch-thailändische Vollstreckungshilfevertrag (VollstrHV D-Thailand)181, welcher der einzige völkerrechtliche Vertrag Deutschlands über eine Vollstreckungsübernahme von Freiheitsstrafen im bilateralen, also Zwei-Staaten-Verhältnis, ist. Soweit keine besonderen zwischenstaatlichen Regelungen existieren, ist für die Rechtshilfe das IRG, also das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, entscheidend.182 1. Im Bereich fehlender zwischenstaatlicher Verträge Maßgeblich für die Rechtshilfe in Form der Vollstreckungsübernahme von Freiheitsstrafen ist der vierte Teil des IRG (§§ 48–58 IRG). Zudem wird das IRG durch die RiVASt konkretisiert, die als Verwaltungsvorschriften einen wichtigen Leitfaden für die Praxis darstellen.183 Diese Richtlinien sind seit dem 1. Oktober 1984 aufgrund einer Bund-Länder-Vereinbarung bundeseinheitlich wirksam und regeln somit ein einheitliches Verfahren in ihrem Anwendungsbereich.184 Weil gem. § 1 Abs. 3 IRG Regelungen zur Rechtshilfe in völkerrechtlichen Vereinbarun­ gen denen des IRGs vorgehen, gelangt das IRG nur dann zur Anwendung, wenn sonst keine abschließenden Regelungen zur Rechtshilfe zwischen den beteiligten 177 Rahmenbeschluss betreffend der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Urteilen in Strafsachen, durch die Haftstrafen oder freiheitsentziehende Maßnahmen verhängt werden, zum Zweck der Vollstreckung in der Europäischen Union, Rb 2008/909/JI. 178 Gesetz zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungsmaßnahmen sowie zur Änderung des Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetzes und des Ruanda-Strafgerichtshof-Gesetzes vom 17. Juli 2015, BGBl. I S. 1349; BR-Drs. 24/15. 179 BGBl. II 1991, S. 1006, 1007; 1992, S. 98; in Deutschland in Kraft getreten am 1. Februar 1992. 180 Hüttemann, StV 2016, 519, 519; Bock, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 3.  HT, Rn.  443; Ahlbrecht / ​Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, 3.H., Rn.  1222 f. 181 Vertrag vom 26. Mai 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Thailand über die Überstellung von Straftätern und über die Zusammenarbeit bei der Vollstreckung von Strafurteilen, BGBl. II 1995, S. 1011; 1996, S. 1220, in Kraft getreten am 19. Juni 1996. 182 Vgl. insoweit § 1 Abs. 1 und 3 IRG. 183 Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 8. 184 Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 8.

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

Staaten existieren. Jedoch ist das IRG nicht nur im vertraglosen Rechtshilfeverkehr anwendbar; es ist vielmehr auch dann ergänzend heranzuziehen, wenn vertragliche Regelungen bestehen, diese jedoch lückenhaft sind. Ebenso ist das IRG anzuwenden, wenn es eine günstigere Regelung für den Verurteilten enthält als der vereinbarte Vertrag; freilich nur dann, wenn der vertragliche Zweck dem nicht entgegensteht.185 2. Im Bereich multilateraler Abkommen Ein Vorteil von multilateralen Abkommen ist, dass zahlreiche unterschiedliche Nationen in einer gemeinsamen Übereinkunft verbindliche Regelungen treffen. Allerdings ist damit oftmals zugleich der Nachteil verbunden, dass das Finden eines gemeinsamen Kompromisses deutlich erschwert sein kann. Ein besonders erwähnenswertes multilaterales Abkommen zur Regelung der Vollstreckungsübernahme ist das ÜberstÜbk des Europarats. Auch der Rb-Freiheitsstrafe der Europäischen Union stellt ein multilaterales Instrument der Vollstreckungsübernahme dar. a) Überstellungsübereinkommen des Europarats Das ÜberstÜbk vom 21. März  1983186 ist im Grunde die „Mutterkonvention“ eines Vollstreckungshilferechts, welches über Europa hinausgeht.187 Es wurde von 65 Staaten ratifiziert,188 darunter auch von den USA, Kanada und Japan. Durch den weiten Anwendungsbereich handelte es sich bei dem ÜberstÜbk lange Zeit um die führende Rechtsgrundlage der Vollstreckungshilfe. Mit der Umsetzung des Rb-Freiheitsstrafe hat das ÜberstÜbk für den Vollstreckungshilfeverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten der EU keine Bedeutung mehr; in Bezug auf die restlichen 38 Nicht-EU-Staaten dient es aber weiterhin als Rechtsgrundlage.189 185

Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 19; Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, Kapitel 3.B., Rn. 701; zur historischen Entstehung des IRG siehe ausführlich Wilkitzki, Entstehung des IRG, S. 1 ff. 186 BGBl. II 1991, S. 1006; 1992, S. 98. 187 Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, ÜberstÜbk – Kurzübersicht, Rn. 1. 188 Auflistung siehe: Mitglieder der ÜberstÜbk, abrufbar unter: https://www.coe.int/de/web/ conventions/full-list/-/conventions/treaty/112/signatures?p_auth=kJLwUDTY; abgerufen am: 7.11.2019. 189 Ahlbrecht / ​Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, 3.H., Rn.  1225; das ÜberstÜbk ist noch für folgende Staaten bedeutsam: Albanien, Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Australien, Bahamas, Bolivien, Bosnien und Herzegowina, Chile, Costa Rica, Ecuador, Georgien, Honduras, Indien, Island, Israel, Japan, Kanada, Korea, Kosovo, Liechtenstein, Mauritius, Mazedonien, Mexiko, Moldau, Monaco, Mongolei, Montenegro, Panama, Philippinen, Russland, San Marino, Schweiz, Serbien, Trinidad und Tobago, Tonga, Türkei, Ukraine, Venezuela, Vereinigtes Königreich (mit EU-Austritt) und die Vereinigten Staaten von Amerika.

A. Grundlagen

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Das Übereinkommen verpflichtet die beteiligten Staaten nicht zur Vollstreckungs­ hilfe, sondern hält lediglich die grundsätzliche Bereitschaft zur gegenseitigen Hilfe fest.190 Wenn sich die Staaten auf Vornahme einer Vollstreckungshilfe geeinigt haben, regelt es zudem ein einheitliches, einfaches und schnelles Verfahren.191 Ergänzt wird es durch ein Zusatzprotokoll (ZP-ÜberstÜbk192)193 und durch Teile des SDÜG194.195 Weitere Regelungen enthält auch das Überstellungsausführungsgesetz (ÜAG).196 b) Unionsrechtliche Regelungen Die Rechtshilfe in Form der Vollstreckungshilfe bei Freiheitsstrafen im Bereich der Europäischen Union ist durch den Rb  2008/909/JI geregelt, welcher durch das Gesetz vom 17. Juli 2015 auch in der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt und als erster Abschnitt des neunten Teils des IRG in §§ 84–84n im für die Europäische Union geltenden Unterabschnitt 1 des IRG normiert wurde. Dies ist ein weiterer Schritt zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, der mittlerweile den Grundpfeiler der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen innerhalb der europäischen Union bildet.197 Der Zweck des Rb 2008/909 JI ist ebenfalls die Weiterentwicklung der bereits bestehenden völkerrechtlichen Übereinkommen mit anderen Mitgliedsstaaten der EU zur Überstellung verurteilter Personen und die Förderung der Resozialisierung straffällig gewordener Bürger.198 Durch diesen besteht die grundsätzliche Pflicht des Urteilsstaates, einen Verurteilten an einen ersuchenden Mitgliedsstaat zu überstellen, wenn die 190 Das frühere Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen wurde etwa von vielen Staaten, darunter auch von Deutschland, nicht ratifiziert, siehe Schomburg  / ​ Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, ÜberstÜbk – Kurzübersicht, Rn.  5 f. 191 Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, ÜberstÜbk – Allgemeines, Rn. 4 f. 192 Das Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zu dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen; CETS / ​SEV No. 167; BGBl. II 2002, S. 2866; 2008, S. 45. 193 Durch das Gesetz zum Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 10. Dezember 2002 in deutsches Recht transformiert; BGBl. II 2002, S. 2866; 2008, S. 45. 194 Das Gesetz zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen; BGBl. II 1993, S. 1010; I 1997, S. 1606; I 2001, S. 3306; I 2004, S. 1950; I 2009, S. 1226 f. 195 Gleß, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, SDÜ Einführung, Rn.  36. 196 Gesetz vom 26. September 1991 zur Ausführung des Übereinkommens vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen, das Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 und das Schengener Durchführungsübereinkommen; siehe Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, ÜAG Vor § 1 Rn.  2 f.; Ahlbrecht / ​Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​ Esser / ​Eckelmans, 3.H., Rn. 1222; zu den Vorteilen des SDÜ siehe Nehm, DRiZ 1996, 41, 45. 197 Gleß, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, Rechtsakte der EU (III.), Rn. 53 f.; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 48 Rn. 10; Nalewajko, Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, S. 70 f.; mit Bezug zum Europäischen Haftbefehl siehe auch Schmahl, DVBl. 2007, 1463, 1463. 198 Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, RB-Freiheitsstrafen, Rn.  3.

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

wenigen Voraussetzungen des Rahmenbeschlusses vorliegen.199 Das Besondere ist, dass in Art. 9b Rb-Freiheitsstrafe bzw. § 84b IRG nur einzelne Gründe normiert wurden, die eine Ablehnung der Rechtshilfe erlauben. Eine unveränderte Übernahme auswärtiger Sanktionen, also ohne eine Anpassung an das nationale Recht des Vollstreckungsstaates, ist insofern bedenklich,200 als die Strafzumessungspraxis und die Strafmaße innerhalb der Europäischen Union noch immer Unterschiede aufweisen.201 Durch diese festgelegte Pflicht bieten die europäischen Vorschriften entgegengesetzte Probleme zu den Ausnahmevorschriften im vertraglosen Bereich.202 3. Im Bereich bilateraler Abkommen Den bilateralen Abkommen kommt im Vollstreckungshilferecht eher eine untergeordnete Rolle zu. Zumeist werden in diesen Übereinkünften nur Mindestvoraussetzungen festgelegt, damit der andere Staat überhaupt eine Grundlage zur Rechtshilfe in Beziehung zu Deutschland hat.203 Die Notwendigkeit zur Schließung eines bilateralen Vertrags besteht, da vielen Staaten eine allgemeine Rechtsgrundlage für die Leistung von Rechtshilfe im vertraglosen Raum fehlt.204 Durch die verhältnismäßig wenigen Regeln innerhalb der bilateralen Verträge gelten für Deutschland überwiegend weiterhin die Bestimmungen und Voraussetzungen des IRG, die ergänzend herangezogen werden.205 Zwar bestehen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und vielen anderen Staaten bilaterale Verträge zur Leistung von Rechtshilfe und auch von Vollstreckungshilfe, doch der einzige bilaterale Vertrag, der auch die Vollstreckungshilfe

199

Morgenstern, ZIS 2008, 76, 79; Hüttemann, StV 2016, 519, 524; Rochner, Strafvollstreckung und Strafvollzug im internationalen Strafrecht, S. 19; Bock, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 3. HT, Rn. 256, 264; Ahlbrecht / ​Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, 3.H., Rn.  1263 f. 200 Zweifelnd auch Heydenreich, StV 2015, 8, 11. 201 Kritisch dazu auch Heydenreich, StV 2015, 8, 11; zu den unterschiedlichen Regelungen innerhalb der EU in Bezug der Unterschiede zur Strafbarkeit von Euthanasie siehe etwa Schüne­mann, GA 2004, 193, 205; zu den divergierenden Strafzumessungssystemen innerhalb der Mitgliedsstaaten des Europarats, aber auch zu einzelnen Mitgliedsstaaten der EU, Ashworth, NK 2000, 21, 22 f.; daneben traten in der Vergangenheit teils auch Bedenken hinsichtlich der Wahrung der EMRK und rechtsstaatlicher Verfahren in europäischen Ländern auf, siehe dazu Nußberger, JZ 2018, 845, 848 ff. 202 Kurz mit der Pflicht befassend Heydenreich, StV 2015, 8, 11 ff.; eine ausführliche und anschauliche Auseinandersetzung mit den Problemen im Rahmen der Vollstreckungshilfe innerhalb der EU findet sich bei Schumann, Anerkennung und ordre public. 203 Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 1 Rn.  17 f.; Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, Einführung IRG, Rn.  80; BT-Drs. 9/1338, S.  34. 204 Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, Einführung IRG, Rn.  80. 205 Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 1 Rn. 17; BT-Drs. 9/1338, S. 34; BGH, NJW 1965, 1145; OLG Karlsruhe, MDR 1983, 691.

A. Grundlagen

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von freiheitsentziehenden Sanktionen beinhaltet, ist der VollstrHV D-Thailand.206 Dieser normiert in Art. 3 lit. b VollstrHV D-Thailand lediglich die grundsätzliche Bereitschaft zur Leistung von Vollstreckungshilfe bei Freiheitsstrafen und regelt insbesondere ihre zwingenden Voraussetzungen, siehe Art. 3 VollstrHV D-Thailand, sowie das zu beachtende Verfahren, siehe Art. 4 VollstrHV D-Thailand. Ansonsten gelten auch hier für weitere Voraussetzungen, die durch Deutschland zu beachten sind, die Regelungen des IRG.207 Das Vollstreckungshilfe-Verhältnis zwischen Deutschland und Thailand ist geradezu mustergültig für die Problematik, welche aus den unterschiedlichen Rechtsordnungen souveräner Staaten und der Dilemma-Situation Deutschlands zwischen der Fürsorgepflicht gegenüber seinen Bürgern und den Standards eines Rechtsstaates entsteht. Denn die Notwendigkeit zum Abschluss des VollstrHV D-Thailand 1991 wurde vom Gesetzgeber in der relativ hohen Anzahl von deutschen Staatsbürgern in thailändischen Gefängnissen gesehen, in denen für deutsche Verhältnisse strenge Haftbedingungen208 herrschten.209 Durch die Häufung der Fälle von deutschen Staatsangehörigen im thailändischen Strafvollzug, welche meist aufgrund von Betäubungsmitteldelikten zu einer aus deutscher Perspektive unverhältnismäßig hohen Freiheitsstrafe verurteilt wurden,210 sah sich die Bundes 206 Bilaterale Verträge zur Vollstreckungshilfe von Geldforderungen und -sanktionen beste­ hen noch zu Österreich und der Schweiz, siehe deutsch-österreichischer Vertrag vom 31. Mai 1988 über die Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen, BGBl. II 1990, S. 358, in Kraft getreten am 1. Oktober 1990; näher dazu siehe bei Bock, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 3.  HT, Rn. 220. 207 Bock, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 3. HT, Rn. 223. 208 Angedeutet in BT-Drs. 11/6416, S. 1, Nr. 4; zum damaligen Zeitpunkt saßen ca. 21 deutsche Staatsangehörige im thailändischen Strafvollzug. Die Haftbedingungen waren wohl insbesondere wegen folgender Punkte nahezu menschenunwürdig: In 40 m² Schlafräumen wurden zwanzig Gefangene inhaftiert, wobei sanitäre Einrichtungen nicht gegeben waren; ein Trog im Freien soll etwa als Dusche gedient haben. Einen Sozialdienst wie in Deutschland gab es nicht und auch die hygienischen Verhältnisse waren so dramatisch, dass sich Krankheiten und Seuchen schnell verbreiten konnten, siehe Kreuzer, Seuchen, Korruption, Gewalt, DIE ZEIT, S. 1; die Haftbedingungen in Thailand haben sich bis heute nicht verbessert, siehe BGH, Urteil v. 5. November 2014, Az. 1 StR 299/14, Rn. 10 (= BeckRS 2014, 23680). 209 BT-Drs. 13/666, S. 11. 210 Vor dem Inkrafttreten neuer Strafmaße in Thailand im Jahr 2017 zeigten die Strafen eine außergewöhnliche Härte; Drogenmissbrauch und -handel in jeglicher Form wurde zumeist mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder Todesstrafe geahndet (siehe Akbar, Thailand Drug Reform, Idpc v. 15. Februar 2017, https://idpc.net; abgerufen am: 7.11.2019). In Deutschland droht für den Besitz, Handel oder die Herstellung von Betäubungsmitteln jeglicher Art lediglich eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, § 29 Abs. 1 BtMG. Nur in besonders schweren Fällen gem. § 29 Abs. 3 BtMG i. V. m. § 38 Abs. 2 StGB und auch bei nicht geringen Mengen oder einem qualifizierten Handeln gem. §§ 29a ff. BtMG beträgt die Freiheitsstrafe bis zu 15 Jahren, wobei die Strafrahmen typischerweise nicht ausgeschöpft werden (vgl. zu Strafzumessungsregeln Schäfer / ​Sander / ​van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rn. 882 ff.). Das Strafmaß richtet sich generell nach Art und Menge der gefundenen Substanz. Handelt es sich bei der gefundenen Menge um weiche Drogen (Cannabis, Amphetamin), so ist oftmals lediglich eine Geldstrafe, bei größeren Mengen eine Bewährungsstrafe zu erwar-

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

regierung 1991 dazu gezwungen, mit Thailand einen Vollstreckungshilfevertrag zu schließen. Zuvor hatte sie sich stets der Unterzeichnung eines anderen seit 1983 bestehenden Vollstreckungshilfe-Abkommens wegen zu großer Unterschiede in den Rechtsordnungen der beiden Staaten verweigert.211 Die starke Verhandlungsposition Thailands in den Vertragsverhandlungen 1991, die durch das hohe Interesse der Bundesrepublik Deutschland bestand, erklärt die strengen Voraussetzungen des VollstrHV D-Thailand.212

B. Regelverfahren der Vollstreckungsübernahme Das Verfahren der Rechtshilfe und dementsprechend auch das der Vollstreckungsübernahme ist ein komplexes System und weist viele Besonderheiten auf, die aus dem rein nationalen Rechtsverfahren nicht unmittelbar bekannt sein dürften. In einem Rechtsgebiet, wie dem Rechtshilferecht, das zwischen zwei (oder mehr) souveränen Staaten und ihren jeweiligen rechtlichen Regelungen (materieller, aber auch formeller Art) existiert, muss sowohl das eigene Recht, aber auch das des anderen Staates im Verfahren hinreichend gewahrt werden. Dabei müssen gegebenenfalls, soweit dies möglich und von dem Willen beider Staaten gedeckt ist, im Wege einer entsprechenden Anpassung des Urteils die Rechtsverständnisse miteinander in Einklang gebracht werden.213 Das Verfahren der Rechtshilfe ist dreistufig aufgebaut: Die erste Stufe stellt der Eingang des Ersuchens auf Rechtshilfe dar, das vorab von dem ersuchenden Staat in einem eigenen innerstaatlichen Verfahren auf Zulässigkeit nach seinem Recht geprüft wurde. Das Ersuchen kann grundsätzlich sowohl vom Urteils- als auch vom Vollstreckungsstaat gestellt werden. Auf der zweiten Stufe erfolgt das innerstaatliche Verfahren im ersuchten Staat, durch das geprüft wird, ob die Möglichten (Oğlakcıoğlu, in: MüKo-StGB, BtMG § 29 Rn. 217a). Selbst bei Herstellung und Besitz von großen Mengen „harter“ Drogen wurden seltenst Gesamtfreiheitsstrafen von über neun Jahren ausgesprochen (Oğlakcıoğlu, in: MüKo-StGB, BtMG § 29 Rn. 637). In Thailand wird der Besitz von Drogen der Kategorie I, wie Heroin, je nach Menge seit 2017 mit einer Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder eine Geldstrafe bis zu 200.000 Baht (ca. 5.166 €) geahndet (siehe Art. 67 Narcotic Control Act B. E. 2519 (1976)). Bei der Herstellung solcher Drogen ist je nach Menge mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe und eine Geldstrafe bis zu fünf Millionen Baht oder auch noch die Todesstrafe zu erwarten (siehe Art. 65 Narcotic Control Act B. E. 2519 (1976)). Auch nach der Reform des Narcotic Control Act B. E. 2519 (1976) bestehen also weiterhin Divergenzen im Strafmaß. (Narcotic Control Act B. E. 2519 (1976) abrufbar unter: https://forum.awd.ru/files/30/10/3215_3ba952d6997dea64e40c07bbc4b18cbc.pdf; abgerufen am: 7.11.2019). 211 BT-Drs. 11/7354, S. 4. 212 Mix, Die Vollstreckungsübernahme, S. 56; eine erfolgreiche Vollstreckungshilfe zwischen den beiden Ländern war jedoch nur selten (siehe dazu Bekanntmachung im Bundesanzeiger 2014, BAnz AT 8. April 2016 B8, V. 4, S. 40 und Bundesanzeiger 2013, BAnz AT 25. Februar 2015 B4, V. 4, S. 73). 213 Oehler, in: Bassiouni / ​Nanda (Hrsg.), Jurisdiction and Cooperation, S. 279.

B. Regelverfahren der Vollstreckungsübernahme 

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keit der Durchführung der Rechtshilfe besteht. Auf der dritten Stufe wird eine Mitteilung der Entscheidung des innerstaatlichen Verfahrens im ersuchten Staat an den ersuchenden Staat geleitet und gegebenenfalls mit der Durchführung der Rechtshilfe begonnen.214

I. Förmliches Verfahren der Vollstreckungsübernahme 1. Ersuchen um Vollstreckungsübernahme Das Ersuchen, also die Anfrage zur Rechtshilfe, ist der Beginn des Vollstreckungs­ übernahmeverfahrens. Durch die Neufassung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG und der Systematik der Vollstreckungsübernahme wird deutlich, dass sowohl der Urteilsstaat als auch der Vollstreckungsstaat das Ersuchen zur Vollstreckungsübernahme stellen können. Vor der Änderung des IRG im Jahr 2015 musste der Urteilsstaat gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG a. F. ausdrücklich um die Vollstreckungsübernahme ersuchen; die Bundesrepublik Deutschland konnte lediglich informell, etwa durch eine entsprechende Bitte oder ein ähnlich unverbindliches Nachsuchen, ggf. auf eine entsprechende Initiative des Verurteilten, auf den Urteilsstaat einwirken und ein entsprechendes Ersuchen des auswärtigen Staates anregen.215 Grund für dieses einseitige Initiativrecht war die damals vorherrschende Ansicht, dass die Stellung eines unmittelbaren formellen Ersuchens an den auswärtigen Urteilsstaat eine unzulässige Einmischung in die Strafhoheit und den Strafanspruch des auswärtigen Staates sei.216 Zudem wurde die Gefahr gesehen, dass der Urteilsstaat die Vollstreckung durch die Bundesrepublik Deutschland nachträglich nicht anerkennen würde, wenn das formelle Ersuchen von der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen war.217 In § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG n. F. wurde die Bedingung des Ersuchens durch eine ausländische Stelle jedoch gestrichen, sodass es ausreicht, wenn ein vollständiges rechtskräftiges und vollstreckbares Erkenntnis vorliegt. Dadurch wird deutlich, dass auch die Bundesrepublik Deutschland nunmehr um eine Vollstreckungsübernahme offiziell ersuchen kann.218 Die Änderung des 214

In der Altaufl. noch Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 1 Rn. 102, mittlerweile noch weiter in fünf Abschnitte differenzierend dies., in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 1 Rn. 238. (1. Innerstaatliche Verfahren des ersuchenden Staates bei ausgehenden Ersuchen, 2. Das zwischenstaatliche Verfahren bei der Übermittlung der Ersuchen, 3. Das innerstaatliche Verfahren des ersuchten Staates bei der Erledigung eingehender Ersuchen, 4. Das zwischenstaatliche Verfahren bei Übermittlung und Empfang der geleisteten Rechtshilfe, 5. Das innerstaatliche Verfahren des ersuchenden Staates bei Verwendung und Verwertung der übermittelten Rechtshilfeleistung); dreistufig auch für die Schweiz: Popp, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe, Rn. 480. 215 Vgl. BT-Drs. 9/1338, S. 69; Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, S. 100 f.; Hüttemann, StV 2016, 519, 520; Wilkitzki, JR 1983, 227, 228. 216 BT-Drs. 9/1338, S.69; BT-Drs. 18/4347, S. 89; Hüttemann, StV 2016, 519, 520. 217 BT-Drs. 9/1338, S.69; BT-Drs. 18/4347, S. 89. 218 BT-Drs. 18/4347, S. 88 f.

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

§ 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG erklärt sich damit, dass dieses Initiativmonopol des Urteilsstaates mittlerweile vom Gesetzgeber nicht mehr für tragbar und sachgerecht gehalten wird. Insbesondere im Hinblick auf die verfassungsrechtlich verankerte Fürsorgepflicht des deutschen Staates gegenüber seinen Staatsangehörigen soll auch die Bundesrepublik Deutschland den Anstoß für eine Vollstreckungsübernahme geben können.219 Auch wird durch die Regelungen des Überstellungsübereinkommens des Europarats deutlich, dass ein Ersuchen durch den Vollstreckungsstaat zumindest von den meisten Staaten nicht als eine Einmischung in die eigene Strafhoheit angesehen wird. Denn diese räumen beiden Staaten ein Initiativrecht in Art. 2 Abs. 3 ÜberstÜbk ein.220 Sollte das Ersuchen von der Bundesrepublik Deutschland an den auswärtigen Urteilsstaat gestellt werden, so ist zu beachten, dass diese zuvor die Pflicht hat, die Zulässigkeit einer (hypothetischen) Vollstreckung auf deutschem Staatsgebiet im innerstaatlichen Verfahren zu prüfen. Die Stellung eines zuvor nicht geprüften Ersuchens würde Art. 104 Abs. 2 GG umgehen oder hätte zur Konsequenz, ein Ersuchen nur unter Vorbehalt einer innerstaatlichen gerichtlichen Vollstreck­ barkeitserklärung stellen zu können, sodass das Ersuchen bei negativer Entscheidung zurückzunehmen wäre.221 Aufgrund dieses Aufwandes wird ein Ersuchen daher meist nur von der Bundesrepublik Deutschland als Vollstreckungsstaat ausgehen, wenn ein erhöhtes Interesse an der Übernahme der Vollstreckung der auswärtigen Entscheidung besteht. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn ein deutscher Staatsangehöriger unter strengen Haftbedingungen die Strafe im auswärtigen Staat verbüßen muss. Da Rechtshilfe in Strafsachen Teil der Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten nach Art. 32 GG und damit eine Sache des Bundes ist,222 ist dieser auch zunächst für die Entgegennahme eines auswärtigen Ersuchens bzw. nunmehr auch für die Stellung eines inländischen Ersuchens zuständig, § 74 Abs. 1 IRG. Gem. Nr. 5 RiVASt wird in der Rechtshilfe zwischen vier möglichen Geschäftswegen unterschieden: Dem diplomatischen Geschäftsweg, dem ministeriellen Geschäftsweg, dem konsularischen Geschäftsweg und dem unmittelbaren Geschäftsweg. Der diplomatische Weg ist gem. Nr. 5 Abs. 2 RiVASt immer dann einzuhalten, wenn keine besonderen Regelungen zum Geschäftsweg bestehen. Daher ist dieser auch der „klassische“ Geschäftsweg, bei dem das Rechtshilfeersuchen von der diplomatischen Vertretung eines Staates ausgeht und an die Regierung des anderen Staates übermittelt wird.223 Da besondere Vorschriften zum Geschäftsweg für den vertraglosen Vollstreckungsübernahmebereich fehlen, gilt auch in diesem

219

BT-Drs. 18/4347, S. 89. BT-Drs. 18/4347, S. 90; Hüttemann, StV 2016, 519, 520. 221 BT-Drs. 18/4347, S. 90; Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 1 Rn. 91; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 71 Rn. 31. 222 Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 32. 223 Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 1 Rn. 278. 220

B. Regelverfahren der Vollstreckungsübernahme 

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Bereich der diplomatische Geschäftsweg. Das Ersuchen des auswärtigen Staates zur Rechtshilfe gelangt somit gem. Nr. 5 Abs. 2, 1a RiVASt auf diplomatischem Weg über die Bundesregierung zum Bundesministerium der Justiz,224 welches wiederum gem. § 2 Abs. 2 Nr. 3 lit. b des Gesetzes über die Errichtung des Bundesamts für Justiz (BfJG)225 von dem BfJ im Bereich der internationalen Vollstreckungshilfe unterstützt wird. Das Bundesministerium der Justiz wird somit ein eingehendes Ersuchen im vertraglosen Vollstreckungshilfebereich an das BfJ als zuständige Stelle i. S. d. § 74 Abs. 1 S. 4 IRG übermitteln.226 Auf Grundlage der jeweiligen Gesetze wird das Ersuchen sodann an die speziell zuständige Stelle weitergeleitet.227 Auch für ausgehende Ersuche der Bundesrepublik Deutschland ist zunächst das BfJ als unterstützende Stelle tätig, das jedoch ein Ersuchen ebenfalls nur auf dem diplomatischen Weg, also über die Bundesregierung und das zuständige Justizministerium, an den Urteilsstaat stellen kann. Bei eingehenden Ersuchen kann die sog. Bewilligungsbehörde schon im vertraglosen Bereich auf dieser ersten Stufe eine Vollstreckungsübernahme, etwa aus humanitären oder außenpolitischen Erwägungen, abbrechen. In diesem Fall findet kein förmliches Rechtshilfeverfahren mehr statt, sondern dem Ersuchen des Urteilsstaates wird unmittelbar eine Ablehnung erteilt.228 Besteht jedoch eine grundsätzliche Bereitschaft zur Vollstreckungsübernahme, leitet das BfJ die zweite Stufe, nämlich das förmliche Vollstreckungsübernahmeverfahren als die sog. „Ausführung des Ersuchens“, ein.229 2. Ausführungsverfahren der Bundesrepublik Deutschland als Vollstreckungsstaat Das deutsche Ausführungsverfahren als innerstaatliches Rechtshilfeverfahren weist die Besonderheit des sog. „zweistufigen Modells des Offizialverfahrens“ auf; damit ist die diesbezügliche Kompetenzverteilung auf zwei unterschied­liche Behörden gemeint.230 Diese Zweiteilung des innerstaatlichen Verfahrens ist international weit verbreitet und wird auch in anderen Staaten ähnlich vorgenommen.231 Die erste Stufe stellt ein (teil-) gerichtliches Zulässigkeitsverfahren (das sog. 224

So auch im Rahmen der Auslieferung Gillmeister, NJW 1991, 2245, 2245. Gesetz über die Errichtung des Bundesamts für Justiz vom 17. Dezember 2006, BGBl. I 2006, S. 3171, 1474. 226 Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, Einführung IRG, Rn.  43. 227 BT-Drs. 18/4347, S. 51. 228 BT-Drs. 18/4347, S. 51; Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 56 Rn. 109; zwar in Bezug auf die Auslieferung, aber auf die Vollstreckungsübernahme übertragbar, Gillmeister, NJW 1991, 2245, 2245. 229 Weigend, JuS 2000, 105, 110. 230 Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 1 Rn. 243 ff.; Weigend, JuS 2000, 105, 110. 231 Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 1 Rn. 243; Schomburg et al., in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, Einl., Rn.  155. 225

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

Exequaturverfahren durch die Strafvollstreckungskammer am Landgericht gem. § 50 IRG, §§ 78a Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 78b Abs. 1 Nr. 2 GVG dar, wobei gem. §§ 78a Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 78b Abs. 1 Nr. 2 GVG funktionell die kleine Strafvollstreckungskammer, besetzt mit nur einem Richter, mit dem Verfahren betraut ist. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich gem. § 51 Abs. 1 IRG nach dem Wohnsitz des Betroffenen. Hat dieser keinen Wohnsitz im Inland, so bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit nach § 51 Abs. 2 S. 1 IRG. Das konkrete Verfahren wiederum ist in den §§ 49 ff. IRG geregelt. An dieses Zulässigkeitsverfahren knüpft das gouvernementale Bewilligungsverfahren (sog. Bewilligungsverfahren) an, in dem nach nochmaliger Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen und Hinzuziehen außenpolitischer Erwägungen endgültig über die Vollstreckungsübernahme zu entscheiden ist.232 Gem. § 74 Abs. 1 S. 4 IRG i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. c BfJG ist hierbei das BfJ im vertraglosen Bereich als Bewilligungsbehörde stellvertretend für das Bundesjustizministerium tätig. Eine Besonderheit im Rahmen der Vollstreckungshilfe und auch der Auslieferung ist, dass das Exequaturverfahren als ein „präventives Offizialverfahren“ ausgestaltet ist; dies bedeutet, dass diese Formen der Rechtshilfe nur dann durch die Bewilligungsbehörde gewährt werden können, wenn das Gericht diese auch für zulässig erklärt hat, § 55 IRG.233 a) Ausgestaltung des Exequaturverfahrens Im Exequaturverfahren erfolgt eine Zulässigkeitsprüfung der Vollstreckungsübernahme. Dieses ist ähnlich dem Strafprozess aufgebaut, sodass viele der strafprozessualen Garantien, wie etwa die Anhörung des Betroffenen oder das Schweigerecht, gelten, §§ 52 Abs. 3, 53 Abs. 1 IRG.234 Da gem. Art. 104 Abs. 2 GG nur ein Richter über die Freiheitsentziehung einer Person entscheiden kann,235 ist ein solches gerichtliches Zulässigkeitsverfahren im Vollstreckungsübernahmeverfahren zwingend.236 Dieses Verfahren unterteilt sich in die Vorbereitung der gerichtlichen Entscheidung durch die Staatsanwaltschaft, die gem. § 50 S. 2 IRG, Nr. 67 f.

232

Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 56 Rn.  109; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 56 Rn. 1; für die Auslieferung ebenso siehe Schaefer, NJW-Spezial 2008, 536, 536; Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG  Vor § 1 Rn. 272 ff.; Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, Kapitel 3.B., Rn.  703, 724. 233 Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 1 Rn. 243; Schomburg et al., in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, Einl., Rn.  168 f., 173. 234 Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 1 Rn. 237. 235 BVerfG, NJW 2002, 3161 (= BVerfGE 105, 239); Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG Art. 104 Rn. 2. 236 BT-Drs. 9/1338, S. 69; Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, S. 110 f.; Jescheck, in: Schroeder / ​Zipf (Hrsg.), FS Maurach, S. 336 f.; Hüttemann, StV 2016, 519, 522; Wilkitzki, Entstehung des IRG, S. 12.

B. Regelverfahren der Vollstreckungsübernahme 

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RiVASt auch etwaige Anordnungen von Haft zur Sicherung der Vollstreckung einschließt,237 und die anschließende gerichtliche Entscheidung.238 Das Gericht prüft im Exequaturverfahren, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen des innerstaatlichen Rechts gegeben sind und ob nach dem innerstaatlichen Recht etwaige Rechtshilfehindernisse für eine Vollstreckungsübernahme vorliegen.239 Als wichtiger Bestandteil des Zulässigkeitsverfahrens wird im Fall eines positiven Ausgangs der Prüfung das auswärtige Urteil für vollstreckbar erklärt und die im Ausland verhängte Strafe nach Maßgabe des § 54 IRG an das innerstaatliche Recht angepasst. Vereinfacht bedeutet dies, dass das Landgericht im konkreten Fall zunächst das rechtliche „Ob“ einer Vollstreckungsübernahme prüft. Anschließend, bei Vorliegen aller erforderlichen Voraussetzungen, legt es zudem das „Wie“ der Umwandlung der auswärtigen Sanktion in das nationale Sanktionssystem fest.240 Dabei ist zu beachten, dass die Höhe der auswärtigen Sanktion grundsätzlich für die nach deutschem Recht festzusetzende Sanktion verbindlich ist, jedoch das Höchstmaß der Strafe, welche für die entsprechende Tat im deutschen Recht vorgesehen ist, grundsätzlich nicht überschritten werden darf, § 54 Abs. 1 S. 3 IRG. Es erfolgt allerdings keine Überprüfung der auswärtigen Erkenntnisse hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen oder der Strafzumessung.241 Bemerkenswert ist, dass für das Exequaturverfahren gem. § 50 IRG ein Landgericht sachlich zuständig ist. Die Zuständigkeit des Landgerichts ist insofern besonders, dass in allen anderen Rechtshilfesachen ein Oberlandesgericht zuständig ist.242 Diese Zuweisung des Exequaturverfahrens an das Landgericht und die Strafvollstreckungskammer wird auch in der Literatur kritisch betrachtet, jedoch meist damit begründet, dass es sich bei der Rechtshilfe in Form der Vollstreckungsübernahme im weitesten Sinne um Aufgaben der Strafvollstreckung handelt, für die auch ansonsten die Strafvollstreckungskammern zuständig sind.243 Zuzustimmen ist jedoch vielmehr dem Argument, dass erst durch die Zuweisung an das Land­ gericht die Möglichkeit des Rechtsmittels der sofortigen Beschwerde gem. § 55 Abs. 2 S. 1 IRG entsteht, bei dem wiederum das Oberlandesgericht als nächste Ins 237 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 50 Rn. 9 ff.; die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft ist in Art. 64–68 RiVASt geregelt. 238 BT-Drs. 18/4347, S. 51; die dort genannte dritte Stufe der Durchführung der bewilligten Vollstreckungshilfe ist weniger ein Teil des Exequaturverfahrens als vielmehr der letzte Schritt im dreistufigen Rechtshilfeverfahren. Insofern wird vorliegend das Verfahren etwas genauer unterteilt. 239 Oehler, in: Bassiouni / ​Nanda (Hrsg.), Jurisdiction and Cooperation, S. 279; Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 1 Rn. 265. 240 BT-Drs. 18/4347, S. 52. 241 BT-Drs. 18/4347, S. 52. 242 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 50 Rn. 6; Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 50 Rn. 45. 243 BT-Drs. 9/1338, S. 98; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 50 Rn. 5 f.; Jakubetz, in: Ambos / ​ König / ​Rackow, IRG § 50 Rn. 45; a. A. Bundesrechtsanwaltskammer, Stellungnahme Nr. 10/​ 2015, S. 7.

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

tanz zuständig ist. Die möglichen einschneidenden Folgen der Vollstreckungsübernahme lassen einen zweistufigen Rechtsweg als sinnvoll erscheinen und bestätigen sowohl die gesetzliche Systematik als auch die Zuständigkeit des Land­gerichts.244 Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts könnte nämlich dagegen, wie § 304 Abs. 4 StPO und § 42 IRG zeigen, nur in engen Voraussetzungen angefochten werden. Offen bleibt jedoch die Frage, wieso der Gesetzgeber eine solche Systematik nicht auch bei der Auslieferung gewählt hat, da diese mindestens ebenso einschneidende Folgen für den Betroffenen haben kann. Auch leuchtet nicht ein, wieso die gängige Zuweisung an die Oberlandesgerichte mit der komplexen Materie des Rechtshilferechts begründet wird, diese im Rahmen der Vollstreckungsübernahme jedoch anscheinend nicht als ausschlaggebend für die Zuständigkeit empfunden wurde, wenngleich die Regelungen zur Vollstreckungsübernahme nicht minder komplex sind. Bei der Vollstreckungsübergabe an einen anderen Staat hat der Gesetzgeber diese Notwendigkeit der Zuweisung zum Oberlandesgericht gem. § 71 Abs. 4 IRG durchaus erkannt.245 Bei der Feststellung der grundsätzlichen Zulässigkeit der Vollstreckungs­ übernahme folgt eine Vollstreckbarkeitserklärung durch Beschluss und die Umwandlung der auswärtigen Sanktion durch das Landgericht in eine inländische Sanktion, § 55 IRG. Wird dagegen die Unzulässigkeit der Vollstreckungsübernahme festgestellt, ist das Verfahren schon an diesem Punkt beendet. Die Bewilligungsbehörde hat dann keine Entscheidungsfreiheit mehr und ist an die Ablehnung durch das Gericht gebunden, § 56 Abs. 1 IRG. b) Ausgestaltung des Bewilligungsverfahrens Nach Rechtskraft des im Exequaturverfahren ergangenen Beschlusses entscheidet die Bewilligungsbehörde im Bewilligungsverfahren endgültig über die Gewährung der Vollstreckungsübernahme, § 56 IRG.246 Im vertraglosen Rechtshilfebereich ist der Bund zuständig;247 im völkerrechtlichen, also vertraglich geregelten Bereich hat der Bund dagegen in weitem Umfang von der Zuweisungskompetenz in § 74 Abs. 2 IRG Gebrauch gemacht und die Ausübung der Befugnisse den Ländern übertragen.248

244

Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 50 Rn. 45. Hackner / ​Schomburg, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 71 Rn.  9. 246 BT-Drs. 18/4347, S. 52. 247 Gem. § 74 Abs. 1 S. 4 IRG i. V. m. § 2 Abs. 1, Nr. 3 lit. c BfJG ist das BfJ die hierfür zuständige Stelle; Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, Kapitel 3.C., Rn.  725. 248 In einzelnen Bundesländern ist dies für die Vollstreckungsübernahme auf die Staats­ anwaltschaften übertragen worden, teilweise jedoch auch bei den Justizministerien verblieben, siehe GVBl. Bayern 2015 S. 184; JMBl. 2017 S. 16 ff.; GVBl. Thüringen 2013, 62; GVBl. Hessen 2014, S. 296 ff., 2015, S. 434; Justizblatt RPfl. 2004 S. 205 sowie 2011, S. 2; Nds. MBl. 2005, 858; MBl. SA Nr.41/2004 vom 27. September 2004; JMBl. Brandenburg S. 42; SchlHA 245

B. Regelverfahren der Vollstreckungsübernahme 

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Die Entscheidung des Landgerichts hat in dem Offizialverfahren gem. § 56 Abs. 1 IRG nur dann eine tragende Bedeutung für das Bewilligungsverfahren, wenn sie die Vollstreckungsübernahme ablehnt. Erklärt das Landgericht die Vollstreckungsübernahme für zulässig und somit für vollstreckbar, hat dies lediglich gutachterlichen Charakter;249 die letztendliche Entscheidung verbleibt dennoch bei der Bewilligungsbehörde. Diese hat anschließend die Pflicht, eine eigene Zulässigkeitsprüfung durchzuführen und bei Zweifel an der Zulässigkeit der Rechtshilfe aufgrund des Art. 19 Abs. 4 GG sowie des § 33 IRG analog eine erneute Entscheidung des Landgerichts zu beantragen.250 Neben dieser eigenen Zulässigkeitsprüfung prüft das BfJ auch, ob etwaige völkerrechtliche Übereinkommen eine Bewilligung der Vollstreckungsübernahme zwingend notwendig machen. Stellt es jedoch fest, dass ein entsprechender völkerrechtlicher Vertrag nicht greift, so entscheidet es nach reinem Ermessen. Dabei bezieht es außen- und kriminalpolitische Zweckmäßigkeitserwägungen, aber auch humanitäre Belange in seine Entscheidung ein.251 Stellt das BfJ auf der Bewilligungsstufe ebenfalls die Zulässigkeit der Rechtshilfe fest und sprechen außenpolitische und zweckmäßige Erwägungen für eine Vollstreckungsübernahme, so erteilt das BfJ die Bewilligung zur Durchführung der Rechtshilfe. 3. Weiterleitung der Entscheidung und die Vollstreckung im Inland a) Beendigung des Vollstreckungshilfeverfahrens Als dritte und letzte Stufe des Rechtshilfeverfahrens folgt die Weiterleitung der Entscheidung der Bewilligungsbehörde an den auswärtigen Staat; die Durchführung der Vollstreckung wird dann durch die zuständige Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde gem. § 50 S. 2 IRG eingeleitet, sofern der auswärtige Staat sein Einverständnis mit der Vollstreckungsentscheidung des Landgerichts gegeben hat, § 57 Abs. 1 S. 1 Hs.  2 IRG. Mit Vornahme der Vollstreckung des auswärtigen Urteils durch den ersuchten Staat ist das Vollstreckungsübernahmeverfahren beendet. Auch wenn sich die Vollstreckung selbst gem. § 57 Abs. 4 IRG nach nationalem Recht richtet, darf der rechtshilferechtliche Bezug der Vollstreckung nicht gänz2005, S. 14; siehe dazu auch Böhm, in: Ahlbrecht / ​Böhm / ​Esser / ​Eckelmans, Kapitel 3.C., Rn. 725 m. w. N. 249 Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 1 Rn. 256. 250 Zwar in Bezug auf die Auslieferung, aber auf die Vollstreckungsübernahme übertragbar Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 12 Rn.  10; Schomburg et al., in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, Einl., Rn.  165; a. A. Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 1 Rn. 272. 251 Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 1 Rn. 272 ff.; Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​ Rackow, IRG § 56 Rn. 109; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 56 Rn. 1.

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

lich übersehen werden. Aus diesem ergibt sich, dass der Urteilsstaat weiterhin „Herrscher über die Vollstreckung“ bleibt, da er durch die mittelbar veranlassenden Entscheidungen Träger der Vollstreckung ist.252 Er kann selbst nach Übernahme der Vollstreckung durch einen anderen Staat noch Einfluss auf die Vollstreckung nehmen.253 So bestimmt § 57 Abs. 6 IRG, dass die Vollstreckung zu beenden ist, sofern eine zuständige Stelle des ersuchenden Staates mitteilt, dass die nötigen Voraussetzungen einer Vollstreckung nicht mehr vorliegen. Zudem bestehen die Möglichkeiten der Begnadigung und der Amnestie sowohl nach dem Recht des Urteilsstaates als auch nach dem des Vollstreckungsstaates.254 Insofern ist jedoch Vogler und Grotz zuzustimmen, welche das Gnadenrecht255 des ersuchten Staates kritisch betrachten.256 Eine solche Gnadenentscheidung sollte aufgrund der Auswirkungen auf die Hoheitsgewalt des Urteilsstaates nur unter enger Beteiligung der Bewilligungsbehörde und des Urteilsstaates ergehen.257 Der Strafvollzug richtet sich im Übrigen selbsterklärend nach nationalem Recht, sodass entweder das StVollzG oder die spezielleren Landesjustizvollzugsgesetze Anwendung finden.258 b) Gegenstand der Vollstreckung des auswärtigen Urteils Da sich die Vollstreckung gem. § 57 Abs. 4 IRG nach innerstaatlichem Recht richtet, sind die wesentlichen Vorschriften für die Vollstreckung in §§ 449 ff. StPO und der StVollstrO geregelt. Im Bereich der rechtshilferechtlichen Vollstreckungsübernahme stellt sich jedoch unweigerlich die Frage, was Gegenstand der Vollstreckung einer Strafe ist, die im Regelverfahren der Vollstreckungsübernahme übernommen wurde. In der Rechtsprechung und in der Literatur herrscht Einigkeit darüber, dass einzig die Exequaturentscheidung Gegenstand der Vollstreckung auf deutschem Rechtsgebiet sein kann.259 Dies wird auch durch die Begründung des IRGs bestätigt, in der die Exequaturentscheidung, wenn auch etwas missverständ 252

So auch Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 57 Rn.  17. BT-Drs. 9/1338, S. 32, 78; Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 48 Rn. 3; BVerfG, StV 2017, 241, 244. 254 Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 57 Rn.  20; Hamann, Rpfleger 1985, 13, 14. 255 Nicht ganz unproblematisch ist, wem das Gnadenrecht bei der Vollstreckung eines auswärtigen Urteils aufgrund der Exequaturentscheidung zusteht, siehe dazu kurz Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 57 Rn. 7; nach überwiegender Ansicht soll es außerhalb der Gerichtsbarkeit des Bundes wohl in den Zuständigkeitsbereich des Gnadenträgers des Landes fallen, in dem auch die Exequaturentscheidung erging (§ 452 StPO i. V. m. § 77 IRG), siehe Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 57 Rn.  20 ff.; BT-Drs. 9/1338, S.  78. 256 Gemäßigter Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 57 Rn. 7 ff.; schärfer noch Vogler, Grützner  / ​ Pötz, 2. Aufl., § 57 Rn. 7 ff. 257 So auch Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 57 Rn.  21. 258 Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 57 Rn.  15. 259 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 57 Rn. 2; Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 57 Rn. 3; Rochner, Strafvollstreckung und Strafvollzug im internationalen Strafrecht, S. 13; OLG Koblenz, Beschluss v. 20. August 2009, Az. 2 Ws 386/09. 253

B. Regelverfahren der Vollstreckungsübernahme 

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lich, als Vollstreckungsgegenstand eingestuft wird.260 Grund für diese Einordnung ist der rechtsstaatliche Grundsatz in Art. 104 Abs. 2 GG, wonach freiheitsentziehende Entscheidungen in Deutschland immer von einem deutschen Richter er­gehen müssen.261 Umstritten ist jedoch, in welcher Form die Exequaturentscheidung den tragenden Vollstreckungsgegenstand bilden soll und wie die Vollstreckung des auswärtigen Urteils zu bewerten ist. Die unterschiedlichen Ansichten haben eine differenzierte Sichtweise auf den Akt der allgemeinen Vollstreckungsübernahme als ein Rechtshilfemittel, das zwischen dem jeweiligen nationalen Recht der beteiligten Staaten und dem internationalen Rechtshilferecht steht. Je nach Betrachtung sind daher rein rechtshilferechtliche Grundsätze oder zusätzlich auch innerstaatliches Recht zu berücksichtigen. Der Streit setzt schon viel früher bei der Frage an, welche Rechtsnatur das Rechtsinstitut der Vollstreckungsübernahme innehat. Davon abhängig ist auch die Einordnung der Vollstreckung der Exequaturentscheidung – ist die Vollstreckungs­ übernahme ein Akt rein internationaler Natur, so wird auch die Exequaturentscheidung als eben solcher vollstreckt; ist sie jedoch zugleich auch innerstaatlicher Rechtsnatur, so wäre die Vollstreckung der Exequaturentscheidung ein innerstaatlicher Akt mit rechtshilferechtlichem Charakter. Wird der Akt der Vollstreckungsübernahme derart zweigeteilt gesehen, so stellt die Vollstreckung des auswärtigen Urteils aus einer internationalen Perspektive weiterhin einen Akt der Rechtshilfe für den auswärtigen Staat dar; aus innerstaatlicher Sicht dagegen handelt es sich primär um die Vollstreckung des auswärtigen Urteils in der Form, die es gerade durch die deutsche Exequaturentscheidung erhalten hat.262 Das bedeutet, dass die Vollstreckungsübernahme eine zwischenstaatliche Rechtshilfe in Strafsachen und zugleich (mit kleinen Besonderheiten des IRG) eine innerstaatliche Strafvollstreckung ist, wie sie auch sonst im deutschen Recht vollzogen wird.263 An die Vollstreckung der Exequaturentscheidung sind demnach die nationalen, rechtlichen Maßstäbe anzulegen. Die eigentliche Rechtshilfehandlung ist damit die Entscheidung des Exequaturgerichts; die konkrete Vollstreckung des auswärtigen Urteils ist dagegen ein innerstaatlicher Akt mit rechtshilferechtlichen Bezügen. Die rein rechtshilferechtliche Betrachtung sieht die Vollstreckungsübernahme nach § 49 Abs. 1, 2 IRG und § 54 IRG zwar der Form nach als Strafvollstreckung, ihrem Wesen nach jedoch als Rechtshilfe.264 Konsequenz daraus ist, dass auch 260

Siehe dazu Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 57 Rn. 2, Fn.1; BT-Drs. 9/1338, S. 30. BT-Drs. 9/1338, S. 30; Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 57 Rn.  3; Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG Art. 104 Rn. 2; dies., in: HStrfR I, § 2 Rn. 78. 262 Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 57 Rn.  3. 263 Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG Vor § 48 Rn.  8. 264 OLG Karlsruhe, Beschluss v. 24. Februar 1988, Az. 1 AK 7/88; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 48 Rn. 23. 261

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

nach dieser Ansicht die Exequaturentscheidung den Vollstreckungsgegenstand bildet, die Strafvollstreckung jedoch die konkrete Rechtshilfe weiterführt, welche letztlich durch eine „strafvollzugsförmige Freiheitsentziehung“ geleistet wird. Diesen rechtshilferechtlichen Charakter zeige die rein formelle Prüfung des auswärtigen Urteils im Exequaturverfahren, obwohl der verfassungsrechtlich verankerte Schuldgrundsatz eigentlich zwingend eine materielle Prüfung der Schuld des Täters voraussetze.265 Ein weiteres Argument dieser Ansicht ist, dass nur so kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG vorliege.266 Die Vollstreckung der Exequaturentscheidung ist nach dieser Betrachtung also kein Akt deutscher Strafgewalt. Vollzogen werde danach keine deutsche Strafe im Sinne eines sozialethischen Unwerturteils, sondern eine der auswärtigen Strafe im deutschen Recht entsprechende Sanktion, die – ohne Ausfluss der deutschen Strafgerichtsbarkeit zu sein – nur wie eine Strafe vollzogen werde und im Ergebnis bloß einen Akt der internationalen Rechtshilfe darstelle.267 Dies würde bedeuten, dass an die Vollstreckung der auswärtigen Sanktion lediglich rechtshilferechtliche Grundsätze unter Berücksichtigung und Achtung der fremden Rechtsordnung angelegt werden dürften. Die Vollstreckung der auswärtigen Strafe bliebe damit eine Form der Rechtshilfe, die jedoch auf eigenem Staatsgebiet nach eigenem Recht ausgeführt wird.268 Die rein rechtshilferechtliche Betrachtung269 schlägt jedoch insofern fehl, dass zwischen deutscher Strafhaft und Rechtshilfehaft unterschieden werden müsste. Das Gesetz kennt eine solche Differenzierung aber nicht; vielmehr wird die Vollstreckung auswärtiger Urteile genauso wie die Vollstreckung inländischer Entscheidungen vollzogen.270 Dies bedeutet auch, dass der Strafvollzug bei einer Freiheitsstrafe, die von einem auswärtigen Staat im Rahmen der allgemeinen Verfahren aus § 49 Abs. 1, 2 IRG und § 54 IRG zur Vollstreckung übernommen wurde, grundsätzlich denselben Zweck verfolgt, wie bei inländisch Verurteilten. Wenn die übernommene Strafe dagegen aus deutscher Sicht kein Unwerturteil enthielte, so bedürfte es weder einer Resozialisierung noch einer besonderen Sicherung der Gesellschaft, welche die obersten Vollzugsziele des deutschen Strafvollzugs sind.271 Dies hätte die Konsequenz, dass sich die übernommene Strafvollstreckung 265

Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 48 Rn. 22 f.; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 180 ff. 266 Schumann, Anerkennung und ordre public, S. 337 ff. 267 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 48 Rn. 24; ders., in: Grützner / ​Pötz, IRG § 57 Rn. 2; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 181 f.; Schumann, Anerkennung und ordre public, S. 337 f. 268 So wohl auch der Gesetzgeber in BT-Drs. 18/4347, S. 97. 269 OLG Karlsruhe, Beschluss v. 24. Februar 1988, Az. 1 AK 7/88; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 48 Rn. 23. 270 Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 57 Rn.  4; zustimmend Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 57 Rn.  140; Rochner, Strafvollstreckung und Strafvollzug im internationalen Strafrecht, S. 13. 271 Gerhold, in: BeckOK StVollzG, Einl. StVollzG, Rn. 1 f.; ders, in: BeckOK StVollzG, § 2 Rn. 1 f.

B. Regelverfahren der Vollstreckungsübernahme 

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nicht nach den deutschen Strafvollzugsgesetzen richten dürfte; es bräuchte dann vielmehr spezifische Regelungen, die eine „Rechtshilfehaft“ gesetzlich ausgestalten.272 Auch der Wortlaut des § 57 Abs. 4 IRG zeigt durch die Wendung „Vollstreckung der umgewandelten Sanktion“, dass es sich bei der Vollstreckung einer auswärtigen Strafe über die allgemeinen Regelungen nicht mehr um reine Rechtshilfe, sondern vielmehr um die tatsächliche Vollstreckung einer im Inland umgewandelten Sanktion handelt.273 Das Argument der im Rechtshilferecht vorherrschenden, reinen formellen Prüfung kann ebenfalls nicht überzeugen, da die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes gem. Art. 25 GG und die Anerkennung der Souveränität des auswärtigen Staates der Bundesrepublik Deutschland es generell verbieten, die Entscheidung eines auswärtigen Gerichts an den eigenen Rechtsmaßstäben zu überprüfen.274 Im Rechtshilferecht muss ein schmaler Grat zwischen dem eigenen Rechtsverständnis und der Anerkennung fremder Rechtsordnungen beschritten werden, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Anlegung von Maßstäben des eigenen Rechts in den meisten Fällen eine Rechtshilfe unmöglich machen würde. Deshalb ist der Prüfungsumfang im rechtshilferechtlichen Bereich begrenzt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es an einer materiellen Prüfung fehlt; vielmehr wird aufgrund des Souveränitätsprinzips und der nahe am deutschen Recht gelegenen Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 IRG von einer materiellen Prüfung im Ausland sowie der dort – nach den dortigen Maßstäben – festgestellten Schuld des Täters ausgegangen.275 Ebenso kann auch die Befürchtung eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG entkräftet werden. So muss, auch wenn die Vollstreckung der Sanktion eine Strafvollstreckung darstellt, stets der rechtshilferechtliche Bezug beachtet werden. Dieser gebietet es, dass nicht die deutsche, sondern die auswärtige Rechtsordnung Maßstab des Erkenntnisverfahrens bildet. Art. 103 Abs. 2 GG muss dann als grundlegendes Prinzip der deutschen Verfassung auf das auswärtige Verfahren übertragen werden. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG läge daher erst dann vor, wenn das auswärtige Urteil eine Tat ahndet, die im ausländischen Recht nicht ausdrücklich unter Strafe gestellt wurde. Auch die Anwendung des eigenen Strafaussetzungsrechtes nach § 57 Abs. 2 und  3 IRG zeugt im Übrigen davon, dass die deutsche Exequaturentscheidung Ausprägung der deutschen Strafgerichtsbarkeit ist, wenngleich sie an viele Feststellungen des auswärtigen Urteils gebunden ist. Sähe man die Vollstreckung der Strafe als einen reinen rechtshilferechtlichen Akt an, so wäre eine Aussetzung der übernommenen auswärtigen Strafe, die sich nur nach deutschem Recht richtete, 272

Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 57 Rn.  4; Jakubetz, in: Ambos / ​ König / ​Rackow, IRG § 57 Rn.  140. 273 Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 57 Rn.  3; Jakubetz, in: Ambos / ​ König / ​Rackow, IRG § 57 Rn.  140. 274 BVerfG, Urteil v. 26. Januar 1982, Az. 2 BvR 856/81 (= BVerfGE 59, 280). 275 BGH, NJW 1952, 232, 233; OLG Karlsruhe, NJW 1988, 1476; siehe zu dem Problem später auf S. 132 ff.

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

ein nicht zu vernachlässigender Eingriff in das durch den auswärtigen Staat festgesetzte Strafmaß.276 Im allgemeinen Vollstreckungsübernahmeverfahren ist die Rechtsnatur der Vollstreckung daher aus zwei Perspektiven zu betrachten: Zwischenstaatlich ist es eine Form der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, innerstaatlich dagegen ist sie eine Art Strafvollstreckung, durch die ein auswärtiger Staat unterstützt wird. Daraus ergibt sich zugleich, dass die Exequaturentscheidung und damit das auswärtige Urteil in der Form der Entscheidung eines deutschen Gerichts den Vollstreckungsgegenstand bildet.277 Ob diese Bewertung auch auf die Ausnahmeverfahren gem. § 49 Abs. 3 und § 54a IRG übertragen werden kann, muss im Rahmen dieser Arbeit geklärt werden.278

II. Voraussetzungen der Vollstreckungsübernahme im vertraglosen Bereich Im gerichtlichen Exequaturverfahren wird überprüft, ob die materiellen Voraussetzungen vorliegen, die erfüllt sein müssen, damit eine Vollstreckungsübernahme stattfinden kann. Dabei unterteilt sich dieses gerichtliche Vollstreckungsübernahmeverfahren in die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 49 Abs. 1 IRG durch das Gericht und die anschließende Umwandlung der auswärtigen Sanktion nach § 54 IRG. Während § 49 IRG somit die grundsätzliche Übernahme der Vollstreckung regelt, folglich ob das auswärtige Urteil im Inland vollstreckt werden kann, befasst sich § 54 IRG mit der Frage, wie das auswärtige Urteil auf dem eigenen Staatsgebiet übernommen wird. 1. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Vollstreckungsübernahme Bei den Zulässigkeitsvoraussetzungen, die das Gericht im Exequaturverfahren überprüfen muss, kommt es entscheidend auf die Vorschrift des § 49 IRG an, welche die formellen und materiellen Mindestvoraussetzungen einer Vollstreckungsübernahme regelt.279 Aber auch die allgemeine negative Zulässigkeitsvoraussetzung des § 73 S. 1 IRG ist eine Voraussetzung der Vollstreckungsübernahme.280 276

Dies erkennt auch Grotz, der dennoch bei einer rein rechtshilferechtlichen Betrachtung verbleibt: Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 57 Rn. 5; anders jedoch OLG Karlsruhe, welches keinen Widerspruch in der rein rechtshilferechtlichen Betrachtung sowie der Anwendung des günstigeren inländischen Strafaussetzungsrechtes erblickt, vgl. Beschluss v. 24. Februar 1988, Az. 1 Ak 7/88. 277 Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 57 Rn.  3 f. 278 Siehe 123 ff. 279 Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  1. 280 Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 5, 12 ff.

B. Regelverfahren der Vollstreckungsübernahme 

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a) Zulässigkeitsvoraussetzungen in § 49 Abs. 1 Nr. 1 bis 5, Abs. 2 und 4 IRG aa) Vollständiges, rechtskräftiges und vollstreckbares Erkenntnis Als erste Zulässigkeitsvoraussetzung fordert § 49 Abs. 1 in Nr. 1 IRG das Vorlie­ gen des vollständigen, rechtskräftigen und vollstreckbaren Erkenntnisses des anderen Staates. Dieses muss die gesamte auswärtige Entscheidung enthalten, die Urteilsformel allein genügt für § 49 Abs. 1 Nr. 1 nicht.281 Sind die übersandten Unterlagen des auswärtigen Staates lückenhaft, so hat das Gericht gem. § 52 Abs. 1 IRG dem anderen Staat die Gelegenheit zu geben, die fehlenden Unterlagen nachzureichen. Teilweise kann es sogar selbst gem. § 52 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 30 Abs. 2 S. 2 IRG ergänzend Beweis erheben. Wichtig ist zudem, dass das auswärtige Urteil nach dem Recht des Urteilsstaates rechtskräftig und vollstreckbar sein muss.282 bb) Vereinbarkeit des ausländischen Verfahrens mit der EMRK Liegt ein vollständiges, rechtskräftiges und vollstreckbares Urteil vor, so prüft das Gericht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG, ob das Erkenntnis und das Verfahren, in dem es ergangen ist, den Standards der EMRK und ihren Zusatzprotokollen genügt. Ähnlich wie die Republik Österreich in § 19 Nr. 1 und 2 ARHG oder die schweizerische Eidesgenossenschaft in Art. 2 lit. a IRSG, hat die Bundesrepublik Deutschland seit 2015 ebenfalls die Grundsätze der EMRK ausdrücklich als Maßstab für eine Vollstreckungsübernahme festgelegt.283 Mit § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG schützt die Bundesrepublik Deutschland auch zugleich die Rechtsstandards des IPbpR, die nahezu inhaltsgleich mit denen der EMRK sind.284 Grund für die Gesetzesänderung war, dass der ursprüngliche Charakter der Norm präziser hervorgehoben werden sollte. Nach dem Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG a. F. schien es, dass das auswärtige Verfahren lediglich den drei zentralen Garantien des deutschen Strafprozesses, namentlich den Garantien des rechtlichen Gehörs, einer angemessenen Verteidigung und der Unabhängigkeit des Gerichts,285 281 Bei der Voraussetzung der Vollständigkeit ist bewusst darauf verzichtet worden, zu definieren, was mindestens in der Entscheidung enthalten sein muss. So soll insbesondere auf die teilweise stark variierenden Darlegungen in einem Erkenntnis der Staaten flexibel reagiert werden können und auch bei Härtefällen keine unnötige Sperre entstehen, siehe dazu Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  3a. 282 Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  5; Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 48 Rn.  19. 283 Wie schon früh gefordert, siehe etwa Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 184 f. 284 Siehe Gollwitzer, MRK und IPbpR, der die Artikel der EMRK und IPbpR aufgrund der hohen Deckung zusammen kommentiert. 285 BT-Drs. 9/1338, S. 69 f.; Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 48 Rn.  19; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn.  7 f.

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

entsprechen musste und eine Ablehnung der Vollstreckungsübernahme nur dann erteilt werden sollte, wenn das ausländische Verfahren diesen verfahrensrecht­ lichen Garantien widersprach.286 Die Auflistung der Mindestgarantien in Verbindung mit dem aus der Auslieferung übernommenen Prüfungsmaßstab in der Rechtsprechung287 bei der Vollstreckungsübernahme führte dazu, dass die Gerichte ein sehr enges Verständnis von § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG a. F. aufzeigten.288 Konsequenz war, dass § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG a. F. im Verhältnis zu § 73 S. 1 IRG keine eigenständige Bedeutung mehr zukam,289 da die ausdrücklich genannten Garantien des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG a. F. ohnehin wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung i. S. d. § 73 S. 1 IRG darstellen.290 Der eigentliche Wille des historischen Gesetzgebers von 1982 war es jedoch, einen strengeren Maßstab an das auswärtige Verfahren für eine Vollstreckungsübernahme zu setzen; er wollte die ordre-­publicKlausel für die Vollstreckungsübernahme „erweitern“, und zwar in dem Sinne, dass diese in stärkerem Maße Geltung beansprucht, als dies bei der Auslieferung der Fall ist und war.291 Der Begriff der „Erweiterung“ ist freilich ein unglücklich gewählter Begriff.292 Wie auch schon aus der Begründung bei der Änderung des IRG im Rahmen des Ausführungsgesetzes zum Suchtstoffübereinkommen von 1988 hervorgeht, sah der historische Gesetzgeber damals durch die Formulierung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG a. F. die Erfüllung der Grundsätze der EMRK schon als eine zu prüfende Voraussetzung für eine Vollstreckungsübernahme an.293 Mit der Konkretisierung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG in Bezug auf die Grundfreiheiten der EMRK und ihren Zusatzprotokollen erhofft sich der Gesetzgeber den ursprünglichen Charakter der Norm wieder deutlicher hervorzuheben.294 Gleichzeitig beabsichtigt er damit nochmals herauszustellen, dass eine Prüfung des Verfahrens anhand des rein nationalen Rechts nicht angebracht ist.295 Die Überprüfung des ausländischen Urteils an dem Maßstab der Grundsätze der EMRK, gerade auch im Vollstreckungsübernahmeverfahren, wird zwar oftmals als eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten und als ein Ausdruck von mangelndem Vertrauen in die Urteilsstaaten verstanden.296 Doch muss dem entgegengehalten werden, dass die Konventionsstaaten ein besonderes Inte 286

BT-Drs. 9/1338, S. 30, 69, 70; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 8. BVerfG, NJW 1982, 1214; dazu auch noch später auf S. 148 ff. 288 BT-Drs. 18/4347, S. 90 f. 289 BT-Drs. 18/4347, S. 90 f.; so auch Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 8. 290 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 8. 291 BT-Drs. 9/1338, S. 30; BT-Drs. 18/4347, S. 91; zum Maßstab bei der Auslieferung siehe BVerfG, NJW 1987, 2155, 2157. 292 Zur Ungenauigkeit und Bedeutung des Begriffs „Erweiterung“ siehe auch Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn.  7 ff. 293 BT-Drs. 12/3533, S. 19; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 9. 294 BT-Drs. 18/4347, S. 91. 295 BT-Drs. 9/1338, S. 30; BT-Drs. 18/4347, S. 91. 296 Werkusch, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 103; vgl. Vorbringen der Regierung des Vereinigten Königreichs im Fall Soering, EuGZ 1989, 314, 318. 287

B. Regelverfahren der Vollstreckungsübernahme 

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resse an der Wahrung und Fortentwicklung der Grundsätze der EMRK haben.297 Zudem stellt die Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG in gewissem Rahmen sicher, dass auf die Rechtsstaatlichkeit und die sichere Wahrheitsfindung im auswärtigen Verfahren vertraut werden kann. Umso widersprüchlicher scheint es, dass durch die Ausnahmeregelung des § 49 Abs. 3 IRG in Einzelfällen wiederum von der Einhaltung der EMRK im auswärtigen Verfahren für eine Vollstreckungsübernahme abgesehen werden können soll.298 cc) Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG fordert für die Vollstreckungsübernahme den Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, der in ähnlicher Form gem. § 3 Abs. 1 IRG bei der Auslieferung zu berücksichtigen ist. § 49 Abs. 1 Nr. 3 lit. a IRG beinhaltet, dass die Tat, die vom Urteilsstaat abgeurteilt wurde, auch nach deutschem Recht hätte geahndet werden können.299 Dies bedeutet freilich nicht, dass das Delikt auch eine gleiche Bezeichnung haben muss oder die Sanktionen ähnlich geregelt sind; vielmehr reicht eine grundsätzliche Ahndungsmöglichkeit der konkreten Handlung im ersuchten Staat aus. Anders als bei der Auslieferung ist der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit gem. § 49 Abs. 1 Nr. 3 lit. a IRG weiter gefasst, denn für eine Vollstreckungsübernahme ist es ausreichend, wenn die der Verurteilung zugrunde liegende Tat und der ermittelte Sachverhalt nach dem deutschen Recht als eine Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße hätte geahndet werden können.300 Auch die Ahndungsmöglichkeit nach reinem Landesrecht soll zur Wahrung des Grundsatzes ausreichen.301 In der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit ist zudem zu ermitteln, ob etwaige Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- und Schuldausschließungsgründe, aber auch etwaige persönliche Strafausschließungsgründe des deutschen Rechts vorliegen, selbst wenn diese im Recht des Urteilsstaats nicht existieren.302 § 49 Abs. 1 Nr. 3 lit. b IRG stellt neben § 49 Abs. 1 Nr. 3 lit. a IRG zudem klar, dass auch die Anordnung der Einziehung für einen anderen Staat vollstreckt werden kann, wenn eine solche Anordnung nach deutschem Recht ebenfalls hätte getroffen werden können. Die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit verhindert die Vollstreckung einer Entscheidung, die nach deutschem Recht nicht hätte ergehen können. So könnte etwa ein ausländisches Urteil, welches eine Strafe für den Konsum von 297

Werkusch, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 104 m. w. N. Siehe dazu vertiefend später S. 155 ff. 299 Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 25. 300 Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG  § 49 Rn.  8; zuletzt erst als verfassungskonform betätigt durch OLG Stuttgart, NJW 2018, 2213 ff. 301 Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  9. 302 BT-Drs. 9/1338, S. 70; Wilkitzki, JR 1983, 227, 229; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​ Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  10. 298

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

Betäubungsmittel vorsieht, wie es etwa in Thailand für den Konsum von Drogen der Kategorie I oder II, wie Heroin, Morphin oder Kokain (siehe Art. 7 Narcotic ­Control Act B. E. 2519 (1976) gem. Art. 91 Narcotic Control Act B. E. 2519 (1976)) unter Strafe steht,303 wegen fehlender beiderseitiger Strafbarkeit nicht zur Vollstreckung übernommen werden, da der Konsum von Drogen in Deutschland straflos ist.304 Dagegen liegt die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit bei der Ahndung der Tötung eines Menschen in aller Regel vor.305 So wird diese wie in Deutschland gem. § 211 f. StGB auch in der Schweiz unter Art. 111 f. schweizerisches StGB, in Russland unter Art. 105 StGB der Russischen Föderation306 oder in der Volksrepublik China unter Art. 232 chinesisches StGB307 strafrechtlich geahndet. Selbst in diesem Bereich kann es aber Grenzfälle geben, in denen die beiderseitige Strafbarkeit nicht vorliegt, wie etwa die Ahndung von Sterbehilfe in den Rechtsordnungen einzelner Länder zeigt. Während mittlerweile etwa in den Niederlanden gem. Art. 293 Abs. 2 des niederländischen StGB oder auch in Belgien gem. Art. 394 Code pénal die (ärztliche) aktive Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen legal ist,308 steht diese in Deutschland gem. § 216 StGB stets unter Strafe. Trotz fehlender Ahndung auf dem deutschen Territorium soll eine solche Strafe aber nun gem. § 49 Abs. 3 lit. a IRG in Deutschland vollstreckt werden können. dd) Keine Entscheidung der in § 9 Nr. 1 IRG genannten Art Nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG, der dem früheren § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG a. F. entspricht, darf darüber hinaus keine qualifizierte verfahrensabschließende Entscheidung i. S. d. § 9 Nr. 1 IRG nach dem deutschen Recht für die Tat, die von dem ausländischen Erkenntnis umfasst wird, ergangen sein. Dies können Urteile, aber auch andere Entscheidungen mit einer entsprechenden Rechtswirkung (etwa ein Strafbefehl), die Ablehnung der Eröffnung eines Hauptverfahrens gem. § 204 StPO oder die Verwerfung eines Antrags auf die Erhebung der öffentlichen Klage gem. § 174 StPO wegen derselben Tat sein. Auf eine etwaige Verjährung der Tat nach dem deutschen Recht kommt es zu diesem Zeitpunkt der Prüfung allerdings noch nicht an; vielmehr ist es ausreichend, dass über die Tat des Betroffenen nicht schon einmal durch ein deutsches Gericht abschließend entschieden wurde.309 Eine Ausnahme von dieser Voraussetzung bietet seit 2015 § 49 Abs. 3 IRG, der die Vollstre 303

Narcotic Control Act B. E. 2519 (1976) (abrufbar unter: https://forum.awd.ru/files/30/10/​ 3215_3ba952d6997dea64e40c07bbc4b18cbc.pdf; abgerufen am: 7.11.2019). 304 Patzak, in: Körner / ​Patzak, BtMG § 29 Teil 13, Rn. 32 f. 305 Ebenso wie etwa die Strafbarkeit des Diebstahls sowie der sexuellen Nötigung, siehe Weigend, in: HStrfR I, § 23 Rn. 16. 306 Siehe deutsche Übersetzung bei Schroeder, StGB der Russischen Föderation, S. 99 f. 307 Siehe englische Übersetzung bei Chen, Criminal Law and Criminal Procedure Law in the People’s Republic of China, S. 184 f. 308 Siehe dazu Khorrami, Medizinrecht 2003, 19, 20 ff. 309 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 29.

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ckungsübernahme einer im Ausland geahndeten Tat zulässt, für die in Deutschland schon eine Entscheidung erging. ee) Keine Vollstreckungsverjährung In § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG bzw. § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG a. F. wird als Negativ-Voraus­ setzung einer Vollstreckungsübernahme zudem normiert, dass nach deutschem Recht keine Vollstreckungsverjährung eingetreten sein darf bzw. bei Anlegung des deutschen Rechts eingetreten wäre. Die Vollstreckungsverjährung richtet sich somit nach §§ 79 ff. StGB, wobei der Beginn der Verjährungsfrist von dem Zeitpunkt der Rechtskraft des auswärtigen Erkenntnisses abhängt.310 Nach aktueller Gesetzeslage kann aber auch auf die Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG verzichtet werden. ff) Einverständnis der verurteilten Person Befindet sich die verurteilte Person, deren Strafe in Deutschland vollstreckt werden soll, noch im Urteilsstaat, so verlangt § 49 Abs. 2 IRG des Weiteren, dass der Betroffene sich entweder zu Protokoll eines Richters des auswärtigen Staates oder eines zur Beurkundung von Willenserklärungen ermächtigten deutschen Berufskonsularbeamten mit der Übernahme der Vollstreckung einverstanden erklären muss, nachdem er entsprechend belehrt wurde. Zu beachten ist, dass eine solche Einverständniserklärung mit dem Eintritt der Rechtskraft der Exequaturentscheidung endgültig unwiderruflich ist, § 49 Abs. 2 S. 2 IRG. Bei einem sich in Deutschland befindenden Verurteilten hat der Gesetzgeber jedoch von einem derart ausdrücklichen Einverständnis als Voraussetzung abgesehen, weil er den Aufenthalt in Deutschland einem solchen gleichsetzte.311 gg) Äquivalenz auswärtiger und deutscher Sanktion § 49 Abs. 4 IRG, wie schon § 49 Abs. 3 IRG a. F., schließt die Vollstreckung eines auswärtigen Urteils zudem aus, wenn eine dem deutschen Recht unbekannte Sanktionsart vollstreckt werden soll. Die Bundesrepublik Deutschland kann somit keine Rechtsfolgen übernehmen, die dem deutschen Recht fremd sind.312 Der Grund für diese Bedingung ist selbsterklärend: Deutschland kann nur solche Sanktionen vollstrecken, für die auch im nationalen Recht die entsprechenden Rechtsgrundlagen und die erforderlichen Vorrichtungen existieren. Hinzu kommt, dass die meisten 310

Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG  § 48 Rn.  32; Bosch, in: Schönke / ​Schröder, StGB § 79 Rn. 3. 311 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 37. 312 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 37 f.

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

Sanktionen, die aufgrund des § 49 Abs. 4 IRG unzulässig sind, schon hinsichtlich § 73 S. 1 IRG nicht vollstreckt werden dürften. Dies ist etwa bei der Todesstrafe der Fall,313 die noch in 56 Staaten regelmäßig als Strafe verhängt wird,314 darunter in vielen Staaten der USA315 oder auch in der Volksrepublik China (Art. 33 chinesisches StGB)316. Ebenso ist es bei etwaigen Körperstrafen, die etwa im Iran noch in Form des Auspeitschens gem. Art. 16 iranisches StGB317 oder auch in Singapur in Form von Stockschlägen mit dem Rattan gem. Art. 53 lit. e Penal Code318 als Strafe anerkannt sind.319 b) Zulässigkeitsvoraussetzung des § 73 S. 1 IRG als Auffangtatbestand Als allgemeine negative Zulässigkeitsvoraussetzung ist im Bereich der Rechtshilfe der § 73 S. 1 IRG zu beachten, der die Wahrung des nationalen ordre public fordert. Mit Blick auf § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG und § 49 Abs. 3 IRG ist fraglich, ob die allgemeine Regelung des § 73 S. 1 IRG im Vollstreckungsübernahmeverfahren als Auffangtatbestand anwendbar bleibt.320 Der historische Gesetzgeber zielte jedoch schon mit dem Inkrafttreten der Regelung des § 73 S. 1 IRG darauf ab, der Vielfalt, der in Betracht kommenden Konstellationen im internationalen Bereich, Rechnung tragen zu können.321 § 73 S. 1 IRG ist daher ein klassischer Auffangtatbestand, der dann greifen soll, wenn die wesentlichen, fundamentalen Prinzipien der deutschen Rechtsordnung im Einzelfall nicht genügend geschützt sind. Auch in späteren Gesetzesbegründungen stellt sich der Gesetzgeber ausdrücklich gegen die Ansicht, § 73 S. 1 IRG könne durch „speziellere“ Vorschriften gesperrt 313 Siehe zum verfassungsrechtlichen Verbot der Todesstrafe Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG Art. 102 Rn. 1; zum Verbot der Todesstrafe aus der EMRK siehe Lagodny, in: IntKommEMRK, Anhang zu Art. 2, EMRK / ​Prot. 6 Rn. 1 ff. 314 Darunter regelmäßig etwa Volksrepublik China, Vietnam, Nordkorea, Jemen, Belarus, Bahrain, Südsudan, Japan, Malaysia, Afghanistan, Palästina, Bangladesch, Kuwait, Singapur, Jordanien, einzelne Bundesstaaten der USA (siehe dazu Fn. 344), Somalia, Ägypten, Pakistan, Irak, Saudi-Arabien, Iran; siehe dazu ausführlich Amnesty International, „Wenn der Staat tötet“, Zahlen und Fakten über die Todesstrafe, Stand: 4.12.2018 (abrufbar unter: http://www. amnesty-todesstrafe.de/files/reader_wenn-der-staat-toetet.pdf; abgerufen am: 7.11.2019). 315 Siehe zur Todesstrafe in den einzelnen Bundesstaaten der USA Amnesty International, „Wenn der Staat tötet“, Todesstrafe in den USA, Stand: 11.12.2018 (abrufbar unter: http://www. amnesty-todesstrafe.de/files/reader_todesstrafe-in-den-usa.pdf; abgerufen am: 7.11.2019). 316 Siehe die englische Übersetzung bei Chen, Criminal Law and Criminal Procedure Law in the People’s Republic of China, S. 113. 317 Für die deutsche Übersetzung siehe Tellenbach, StGB der islamistischen Republik Iran, S. 30. 318 Abrufbar unter http://www.vertic.org/media/National%20Legislation/Singapore/SG_​ Penal_Code.pdf; abgerufen am: 7.11.2019). 319 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 38. 320 Ähnlich schon bei § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG a. F. Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 12; Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 1. HT, Rn. 67. 321 BT-Drs. 9/1338, S. 93.

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werden.322 § 73 S. 1 IRG ist daher grundsätzlich als Auffangvoraussetzung zu werten,323 sodass das auswärtige Urteil dem nationalen ordre public genügen muss.324 2. Umwandlung der Sanktion nach § 54 Abs. 1 IRG Sofern die oben beschriebenen Voraussetzungen des § 49 IRG und des § 73 S. 1 IRG vorliegen, wird das auswärtige Erkenntnis für vollstreckbar erklärt; zugleich wandelt das Gericht gem. § 54 Abs. 1 S. 1, 2 IRG die zu vollstreckende, auswärtige Sanktion in eine Sanktion des deutschen Rechts um und beschließt die Leistung der Vollstreckungsübernahme. Ein Ermessen steht dem Richter diesbezüglich nicht zu.325 Die Umwandlung erfolgt, indem die auswärtige Sanktion in die ihr im deutschen Recht am meisten entsprechende Sanktion abgeändert wird. So etwa werden auswärtige Zuchthaus-, Kerker-, Gefängnis-, Einschließungs- oder Haftstrafen in eine Freiheitsstrafe nach dem deutschen Recht umgewandelt – denn alle beschriebenen Sanktionsarten zielen auf die Freiheitsentziehung des Verurteilten und entsprechen sich demnach in ihrer Art.326 Es ist grundsätzlich unerheblich, welche Strafandrohung oder welchen Strafrahmen das deutsche Recht für die jeweilige Tat vorsieht; maßgeblich für die Höhe der Strafe bleibt allein das auswärtige Erkenntnis, § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 IRG. Dies entspricht zum einen der rechtshilferechtlichen Natur der Vollstreckungsübernahme,327 zum anderen aber auch der Tatsache, dass eine eigene ordnungsgemäße Strafzumessung mit umfassender Würdigung der Tat und des Täters durch das deutsche Gericht im Exequaturverfahren gar nicht möglich wäre.328 Auch eine Gesamtstrafenbildung mit einer in Deutschland verhängten Strafe ist nicht möglich, da dies als ein Eingriff in die Rechtskraft und die Vollstreckbarkeit der auswärtigen Entscheidung zu werten wäre.329 Begrenzt wird die Höhe der Strafe jedoch gem. § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 IRG auf das im deutschen Recht für die Tat330 angedrohte Höchstmaß der Sanktion331 oder in 322

BT-Drs. 18/4347, S. 91; Sperrung des § 73 S. 1 IRG durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG a. F. vertreten von Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 8. 323 So auch zur a. F. und allgemein Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 12. 324 BT-Drs. 9/1338, S.93; Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 28; zur Auslieferung bspw. BVerfG, Beschluss v. 27. Juli 2016, Az. 2 BvR 1468/16 (= BeckRS 2016, 49757). 325 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 54 Rn. 6. 326 BT-Drs. 9/1338, S. 74; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 54 Rn. 6. 327 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 54 Rn. 7 f.; Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 54 Rn. 84. 328 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 54 Rn. 8; Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 54 Rn. 84; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 54 Rn.  4. 329 Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 54 Rn. 76 f.; OLG Celle, BeckRS 2007, 17783; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 54 Rn.  8 f.; kritisch dazu Groß, JurisPR (1) 2007, Anm. 5. 330 Also für denjenigen deutschen Tatbestand, der bei sinngemäßer Umstellung des Sach­ verhalts verwirklicht wäre, siehe Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 54 Rn. 10. 331 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 54 Rn. 10.

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

Fällen des § 54 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 und 2 IRG auf das dort festgelegte Höchstmaß von zwei Jahren. In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Rechtsordnungen der einzelnen Staaten insbesondere hinsichtlich der Strafmaße teilweise noch erheblich unterscheiden, kann gerade diese Voraussetzung die Vollstreckungsübernahme begrenzen. So zeigt sich etwa, dass das Höchstmaß einer zeitigen Freiheitsstrafe selbst im Vergleich zu Ländern, deren Strafgesetzbücher dem deutschen StGB ähneln, unterschiedliche Höhen aufweist. Während in Deutschland die zeitige Freiheitsstrafe gem. § 38 Abs. 1 StGB im Höchstmaß fünfzehn Jahre beträgt, liegt die Grenze der zeitigen Freiheitsstrafe in der Schweiz gem. Art. 40 Abs. 2 schweizerisches StGB sowie in Österreich gem. § 18 öStGB, aber auch in Russland gem. Art. 56 Abs. 2 StGB der russischen Föderation332 bei 20 Jahren. Unterschiedliche Höchstmaße einer strafrechtlich relevanten Handlung zeigen sich auch bei der Ahndung von Drogendelikten. So sieht § 29 Abs. 1 BtMG für den Besitz, Handel oder die Herstellung von Betäubungsmitteln jeglicher Art eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor; nur in besonders schweren Fällen gem. § 29 Abs. 3 BtMG i. V. m. § 38 Abs. 2 StGB und auch bei nicht geringen Mengen oder einem qualifizierten Handeln gem. §§ 29a ff. BtMG beträgt die Freiheitsstrafe bis zu fünfzehn Jahre. Dagegen wird etwa in Thailand der Besitz oder der Handel von harten Drogen wie Heroin (Kategorie I, siehe Art. 7 Narcotic Control Act B. E. 2519 [1976]) je nach Menge gem. Art. 65 ff. Narcotic Control Act B. E. 2519 (1976) im Höchstmaß mit der lebenslangen Freiheitsstrafe (teilweise auch noch mit der Todesstrafe) geahndet.333 Auch in Singapur ist die Ahndung von Drogendelikten mit einer zeitigen Freiheitsstrafe bis zu 30 Jahren oder der lebenslangen Freiheitsstrafe möglich;334 die lebenslange Freiheitsstrafe kann ebenso in der Volksrepublik China für den Handel mit Drogen verhängt werden, wie Art. 347 chinesisches StGB festlegt.335 Auch wenn die Staaten oftmals das Höchstmaß ihrer Strafen nicht veranschlagen, zeigen die wenigen Beispiele, dass § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 IRG wegen der Divergenzen im Strafmaß einer Vollstreckungsübernahme teilweise den Weg versperren kann.336 Dies soll § 54a Abs. 1 und Abs. 2 IRG in Einzelfällen auflösen können.

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Siehe deutsche Übersetzung Schroeder, StGB der Russischen Föderation, S. 71. Die Gesetzesreform des Narcotic Control Act B. E. 2519 (1976) trat 2017 in Kraft (siehe dazu unter Akbar, Thailand Drug Reform, Idpc v. 15. Februar 2017, www.idpc.net; abgerufen am: 7.11.2019). 334 Siehe Art. 2, 33, 33 B Misuse of Drugs Act (Singapore) (abrufbar unter: https://sso.agc. gov.sg/Act/MDA1973; abgerufen am: 7.11.2019). 335 Siehe für eine englische Übersetzung Chen, Criminal Law and Criminal Procedure Law in the People’s Republic of China, S. 222 f. 336 Gerade im Bereich der Drogendelikte sind nach deutschem Verständnis unverhältnis­ mäßige Strafen oft der Grund für die Unzulässigkeit von Auslieferungen oder Vollstreckungshilfen, siehe Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn.  60. 333

B. Regelverfahren der Vollstreckungsübernahme 

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3. Regelungen zur Reststrafenaussetzung Die Aussetzung des Restes einer freiheitsentziehenden Sanktion bestimmt sich gem. § 57 Abs. 2 IRG nach den Vorschriften des deutschen Strafgesetzbuches. Nach Hackner sollen aber auch die auswärtigen Regelungen zur Aussetzung der Freiheitsstrafe Anwendung finden. Insbesondere aus dem Zusammenwirken des § 57 Abs. 2 und 3 IRG mit § 57 Abs. 6 IRG ergebe sich eine Art Meistbegünstigungsklausel, durch die dem Verurteilten das jeweils günstigere Strafaussetzungs- bzw. Strafbeendigungsrecht zugutekommen soll.337 Grotz allerdings tritt dem entgegen. Denn eine Aussetzung des Strafrestes sei unstreitig Gegenstand der Vollstreckung, auf die der Urteilsstaat nach der Übergabe der Vollstreckung an einen anderen Staat keinen Einfluss mehr haben soll.338 Die Frage, ob die Reststrafenaussetzungsregelungen nur des Vollstreckungsstaates oder auch des Urteilsstaates Anwendung finden können, ist für die Mindestverbüßungszeit des Betroffenen nicht unbedeutend. Durch die Unterschiede, die in den Rechtsordnungen der einzelnen Länder zu den Reststrafenaussetzungsregelungen bestehen, kann ihm die Anwendung des Rechts des Urteilsstaates zu einer kürzeren Dauer in Haft verhelfen. Während die deutschen Regelungen gem. § 57 Abs. 1 StGB, mit Ausnahme des § 57 Abs. 2 StGB, eine Zweidrittelgrenze vorsehen, sieht Russland etwa lediglich eine Halbstrafenaussetzung vor.339 Grotz ist insofern zuzustimmen, als er darlegt, dass das maßgebliche Vollstreckungsrecht ein solches des Vollstreckungsstaates ist. Nichtsdestoweniger zeigt gerade § 57 Abs. 6 IRG, dass der Urteilsstaat noch entscheidenden Einfluss auf die Vollstreckung haben soll. Danach ist von der Vollstreckung abzusehen, „wenn eine zuständige Stelle des auswärtigen Staates mitteilt, dass die Voraussetzungen der Vollstreckung entfallen sind“. Ob unter der Wendung „Voraussetzungen für die Vollstreckung“ nur solche der grundsätzlichen Vollstreckbarkeit der Entscheidung zu verstehen sind oder auch die auswärtigen Regelungen zur Reststrafenaussetzung, geht aus der offenen Formulierung der Vorschrift nicht eindeutig hervor. Bei einer Auslegung des § 57 Abs. 6 IRG ergibt sich jedoch, dass auch das Strafaussetzungsrecht des Urteilsstaates auf die Vollstreckung anwendbar ist. Dies wird auch durch die Erwägung bestätigt, dass der Vollstreckungsstaat kaum einen Grund hat, die Strafe vollständig zu vollstrecken, wenn schon der Urteilsstaat in Anwendung seines Strafaussetzungsrechts keine Notwendigkeit hierfür sieht. Auch der Zweck der Vollstreckungsübernahme deutet darauf hin, dass gerade eine Verschlechterung der Situation des Betroffenen nicht gewünscht ist. Es gilt zu bedenken, dass bei einer Vollstreckung der Strafe im Urteilsstaat dem Betroffenen die 337 BT-Drs. 9/1338, S. 32; KG, JR 1993, 257; Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 57 Rn. 7; Hamann, Rpfleger 1985, 13, 15; Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 48 Rn. 3; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 24. Februar 1988, Az. 1 AK 7/88. 338 Siehe Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 57 Rn. 5. 339 Vgl. Art. 79 StGB der Russischen Föderation; Übersetzung bei Schroeder, StGB der Russischen Föderation, S. 83 f.

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Kap. 1: Vollstreckungsübernahme im Rahmen internationaler Zusammenarbeit 

milderen Strafaussetzungsregelungen ohne Weiteres zu Gute gekommen wären. Auch die Vollstreckungshilferegelungen innerhalb der Europäischen Union zeigen, dass die sture Anwendung der Regelungen des Vollstreckungsstaates nicht mehr gewünscht ist. So schreibt auch § 84k Abs. 1 S. 3 IRG ausdrücklich die Anwendung einer Meistbegünstigungsklausel bei einer Vollstreckungsübernahme zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vor,340 obwohl in diesem Rechtsraum die deutschen Regelungen vergleichsweise streng sind.341 Es ist daher nicht ersichtlich, wieso die Anwendung günstigerer Reststrafenaussetzungsregelungen des Urteilsstaates nicht auch für den vertraglosen Raum gelten soll. Mit Blick auf die Ausnahmeregelung des § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG kann auch argumentiert werden, dass diese Vorschrift eine Möglichkeit der frühzeitigen Einflussnahme des Urteilsstaates auf die Aussetzung des Restes der Freiheitsstrafe verdeutlicht. Wenn der Urteilsstaat schon die Möglichkeit hat, aufgrund seiner strengeren Regelungen die Reststrafenaussetzung über die deutschen Regelungen hinauszuzögern, dann muss erst recht die Möglichkeit bestehen, die Reststrafe auch frühzeitig entsprechend der milderen gesetzlichen Regelungen des Urteilsstaates auszusetzen. Demnach kann neben dem deutschen Strafaussetzungsrecht, das über § 57 Abs. 2 IRG Anwendung findet, über § 57 Abs. 6 IRG auch das des Urteilsstaats auf die Vollstreckung angewandt werden. Insofern ist Hackner zuzustimmen, wenn dieser ausführt, dass zugunsten des Betroffenen das jeweils günstigere Strafaussetzungsrecht zu wählen ist.342

III. Zusammenfassung Ohne das förmliche Verfahren der Vollstreckungsübernahme zusammenzufassen, kann festgehalten werden, dass die Regelungen des § 49 Abs. 1, 2 IRG und § 54 IRG festlegen, dass nur solche auswärtigen Entscheidungen übernommen werden können, die so oder so ähnlich auch nach deutschem Recht hätten ergehen können. So sichern die Zulässigkeitsvoraussetzungen in § 49 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 5 IRG, dass das auswärtige Verfahren weitgehend den deutschen Prozessstandards entspricht und nur solche Entscheidungen zur Vollstreckung übernommen werden, die Taten ahnden, die auch in einem innerstaatlichen Strafprozess zu einer Verurteilung geführt hätten. Auch § 73 S. 1 IRG gilt weiterhin als Auffangtatbestand. Neben § 49 Abs. 1, 2, 4 IRG regelt § 54 Abs. 1 IRG den Gleichlauf der übernommenen 340

Böse, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 84k, Rn. 10 f. Schuster, Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen, S. 311, insb. auch Fn. 52; vgl. vor allem auch Tabelle bei Dünkel, in: NK-StGB, § 57 Rn. 90 ff.; Belgien sieht etwa gem. Art. 25 § 1 de la Loi relative au statut juridique externe des personnes condamnées á une peine privative de liberté et aux droits reconnus á la victime dans le cadre des modalités d’exécution de la peine v. 17. Mai 2006 eine Strafaussetzung nach Verbüßung eines Drittels der Strafe vor. 342 Kritisch OLG Köln, NStZ 2008, 641, 642. 341

B. Regelverfahren der Vollstreckungsübernahme 

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Strafe mit den deutschen Strafen. So möchte die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der allgemeinen Vollstreckungsübernahme auch nur solche Strafen übernehmen, die sich in den festgelegten Strafrahmen des deutschen Rechts einer Tat befinden. Dadurch ist gewährleistet, dass, wenn die Tat in Deutschland begangen worden wäre, eine rechtmäßige und rechtskräftige Entscheidung durch ein deutsches Strafgericht in ähnlicher Form hätte ergehen können. Durch das Exequaturverfahren wird weiterhin dem Richtervorbehalt gem. Art. 104 Abs. 1,  2 GG für einen Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG genüge getan. Einzig § 57 Abs. 2 IRG bietet einen kleinen Unterschied in der Vollstreckung von Strafen, die über §§ 49 Abs. 1, 54 Abs. 1 IRG zur Vollstreckung übernommen wurden, da dem deutschen Staatsangehörigen über § 57 Abs. 2 i. V. m. § 57 Abs. 6 IRG die Strafaussetzungsregelungen des Staates zu Gute kommen, die für ihn günstiger sind. In den Ausnahmeregelungen gem. § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 und Abs. 2 IRG wird von einem solchen Gleichlauf mit den deutschen rechtlichen Standards für eine Vollstreckungsübernahme jedoch in Einzelfällen abgesehen.

2. Kapitel

Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG sowie die Legitimation der Vollstreckung Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe1 fanden neue Regelungen in das IRG Eingang, welche die Zulässigkeitsverfahren der Vollstreckungsübernahme in Einzelfällen modifizieren. Gemeint sind die „Ausnahmeverfahren“ der Vollstreckungsübernahme, welche in § 49 Abs. 3 und § 54a IRG geregelt sind. Um mehr Vollstreckungsübernahmen durchführen zu können, ermöglicht § 49 Abs. 3 IRG die Übernahme von auswärtigen freiheitsentziehenden Sanktionen, die nicht den Zulässigkeitsvoraussetzungen des Regelverfahrens gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 IRG genügen. Dadurch erfolgt eine Abkehr von gängigen Rechtshilfevoraussetzungen, durch die nun solche Freiheitsstrafen zur Vollstreckung übernommen werden können, die nach deutschem Recht nicht hätten ergehen können.2 Die andere neuartige Ausnahmeregelung des § 54a IRG kann zum einen gem. § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG die Regelung des § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 IRG aussetzen und schafft so die eingriffsintensive Möglichkeit, freiheitsentziehende Sanktionen zu vollstrecken, die das deutsche Höchstmaß übersteigen. Zum anderen bietet § 54a IRG in § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG die gesetzliche Grundlage dafür, die Aussetzung des Restes einer freiheitsentziehenden Sanktion nach innerstaatlichem Recht von der Zustimmung des Urteilsstaates abhängig zu machen. Das vorliegende Kapitel soll die Regelungen des § 49 Abs. 3 und des § 54a IRG näher beleuchten. Es werden die Grundstruktur und der Umfang der Ausnahmeregelungen nach den Vorstellungen des Gesetzgebers dargestellt. Anschließend wird der Fokus auf die Voraussetzungen der Ausnahmeverfahren im Vollstreckungsübernahmebereich gelegt, um danach auf Grundprobleme der Legitimation der zu übernehmenden Strafvollstreckung einzugehen.

1 Gesetz zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei Überwachung von Bewährungsmaßnahmen sowie zur Änderung des Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetzes und des Ruanda-Strafgerichtshofgesetzes vom 17. Juli 2015; BGBl. I 2015, S. 1349. 2 Hüttemann, StV 2016, 519, 520.

A. Grundstruktur der Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme 

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A. Grundstruktur der Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme Die Ausnahmeverfahren nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG ermöglichen erstmals von den seit 1983 fast unveränderten Bedingungen der § 49 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 und § 54 Abs. 2 S. 3 Hs. 2 IRG im vertraglosen Vollstreckungsübernahmebereich abzuweichen. Durch die strengen Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 IRG und die Einschränkung auf das deutsche Höchstmaß der zu übernehmenden Strafe gem. § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 4 IRG wurden Vollstreckungsübernahmen in der Vergangenheit mehrfach für unzulässig erklärt, obwohl die Vollstreckung im Heimatstaat für den Betroffenen aufgrund der grundrechtsachtenden Haft die weitaus schonendere Alternative gewesen wäre. Der Gesetzgeber von 2015 wollte mit § 49 Abs. 3 und § 54a IRG Verfahren schaffen, in denen mehr auf die Interessen und Rechte des Verurteilten geachtet und eine zufriedenstellende Lösung für den Einzelfall gefunden werden kann.3 Der Regelungsinhalt und Regelungszweck dieser Ausnahmeregelungen sollen im Folgenden näher beleuchtet werden.

I. Regelungsinhalt der Ausnahmeregelungen Im Gegensatz zu der vorherigen Rechtslage erlauben die erweiterten Vollstreckungsübernahmeregelungen die Übernahme einer auswärtigen Freiheitsstrafe, die allgemein anerkannten Voraussetzungen der Rechtshilfe aus § 49 Abs. 1 und § 54 IRG nicht entspricht. § 49 Abs. 3 IRG erweitert den möglichen Entscheidungsspielraum des Gerichts im Zulässigkeitsverfahren bei der Frage, ob die Vollstreckungsübernahme durchgeführt werden kann. Dagegen enthält die Ausnahmeregelung des § 54a Abs. 1 und Abs. 2 IRG die Rechtsgrundlage, die Grenzen des § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 und des 57 Abs. 2 sowie Abs. 6 IRG überschreiten zu können. Damit beinhaltet § 54a IRG zwei mögliche Modifikationen vom allgemeinen Verfahren. Einerseits können gem. § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG Freiheitsstrafen zur Vollstreckung übernommen werden, die das deutsche Höchstmaß übersteigen, andererseits kann durch § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG die Aussetzung des Restes einer freiheitsentziehenden Sanktion nach innerstaatlichem Recht von der Zustimmung des Urteilsstaates abhängig gemacht werden. Im Gegensatz zu § 49 Abs. 3 IRG setzt § 54a IRG nicht an der Frage des „Ob“ an, sondern vielmehr daran, wie vollstreckt werden soll. Er erweitert somit die Entscheidungsspanne des Gerichts bei der Umwandlung der auswärtigen Sanktion und erlaubt größere Flexibilität bei der Vollstreckung der ursprünglich fremden Strafe.

3

BR-Drs. 24/15, S. 114; BT-Drs. 18/4347, S. 98.

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

1. Regelungsinhalt des § 49 Abs. 3 IRG Der Gesetzgeber wollte 2015 mit der Einführung des § 49 Abs. 3 IRG einem Problem gerecht werden, das auch schon der historische Gesetzgeber 1983 bei der Regelung der Vollstreckungsübernahme als neue Rechtshilfeform erkannt und mitbedacht hatte.4 Vor allem humanitäre und fürsorgliche Gesichtspunkte in Bezug auf Fälle, in denen deutsche Staatsangehörige unter unmenschlichen Haftbedingungen im Ausland eine Freiheitsstrafe verbüßen müssen, veranlassten ihn, die Ausnahmeregelung des § 49 Abs. 3 IRG einzuführen.5 Bemerkenswert ist, dass der historische Gesetzgeber sich in Bezug auf die Problematik der sog. Härtefälle im Bereich der Vollstreckungsübernahme bewusst gegen eine solche Ausnahmeregelung entschieden hatte.6 Er sah sich sogar unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten dazu gezwungen, die Übernahme von fremden Urteilen abzulehnen, welche den Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 IRG und somit der eigenen Rechtsordnung nicht entsprachen. Eine Abkehr von den Prinzipien der eigenen Rechtsordnung sah er als verfassungsrechtlich nicht möglich an, selbst wenn dadurch deutsche Staatsangehörige weiterhin im Ausland unter schweren Haftbe­dingungen inhaftiert blieben.7 So befürchtete der historische Gesetzgeber, dass eine Vollstreckungsentscheidung, die nach deutschem Recht nicht hätte ergehen können, auch keinen gerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG auf deutschem Territorium zulassen würde. Dies ist an seiner Besorgnis zu erkennen, dass der Verurteilte nach Übernahme der Vollstreckung eines Urteils, welches der eigenen Rechtsordnung widerspricht, die Vollstreckung in Deutschland vor dem Bundesverfassungsgericht angreifen und so eine solche letztendlich verhindern könnte.8 Ein nachträglicher Abbruch der übernommenen Vollstreckung hätte die schwere Folge, dass das Vertrauen des Urteilsstaates für zukünftige Fälle der Rechtshilfe zerstört wäre.9 Der Bruch mit einem anderen Staat im Zusammenhang der internationalen Rechtshilfe sah der historische Gesetz­geber als ein zu großes Risiko bei der Vollstreckungsübernahme einer auswärtigen Strafe an, die nach deutschem Recht nicht hätte ergehen können. Diese Einschätzung wurde nun vom Gesetzgeber 2015 in dieser strengen Form nicht mehr geteilt. Vielmehr sieht er insbesondere die Pflicht zur Fürsorge gegenüber seinen Staatsbürgern als so gewichtig an, dass er die Vollstreckungsübernahme nicht bloß aufgrund von fehlenden Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 IRG verweigern will.10 Im Rahmen der Neuregelung zeigt sich daher, dass der Gesetzgeber zum Wohle des Verurteilten durchaus die Unvereinbarkeit mit der eigenen 4

BT-Drs. 9/1338, S. 30, 70; BR-Drs. 24/15, S. 108; BT-Drs. 18/4347, S. 88. BT-Drs. 18/4347, S. 31, 40, 88, 94 ff. 6 BT-Drs. 9/1338, S. 30, 70; BT-Drs. 9/2137, S. 24. 7 BT-Drs. 9/1338, S. 30; BT-Drs. 9/2137, S. 24. 8 BT-Drs. 9/2137, S. 24. 9 BT-Drs. 9/2137, S. 24. 10 BT-Drs. 18/4347, S. 88. 5

A. Grundstruktur der Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme 

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Rechtsordnung für hinnehmbar hält.11 Er wollte mit Blick auf die Interessen und Rechte des Betroffenen ein Verfahren schaffen, von dem alle verfassungsrechtlich möglichen und unter dem Gedanken der Fürsorgepflicht nötigen Fälle miterfasst werden können. Hierbei soll insbesondere eine Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse und dem humanitären Interesse des Verurteilten stattfinden. Diese soll ein geeignetes Mittel darstellen, um den schmalen Grat zwischen dem staatlichen Wunsch, innerhalb der eigenen Rechtsstandards handeln zu wollen,12 und den Belangen des Verurteilten gehen zu können.13 Auch der durch die Gesetzesänderung eingeführte neue Maßstab des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG, der die Wahrung der Grundsätze der EMRK im auswärtigen Verfahren als Voraussetzung der Vollstreckungsübernahme bestimmt, veranlasste den Gesetzgeber dazu, die Ausnahmeregelungen ins Gesetz einzufügen. § 49 Abs. 3 IRG sollte zugleich aber auch ausgleichen, dass die Anzahl der unzulässigen Vollstreckungsübernahmen wegen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG weiter steigt.14 2. Regelungsinhalt des § 54a IRG a) Regelungsinhalt § 54a IRG modifiziert die Regelungen der allgemeinen Vollstreckungsübernahme, welche das Exequaturgericht bei der Umwandlung der Strafe anwendet. Die Vorschrift ist vor allem für solche Fälle relevant, in denen der Urteilsstaat eine gewisse Vorstellung von der Mindestdauer der Vollstreckung hat, die rechtlichen Grenzen des § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 IRG und des § 57 Abs. 2 IRG einer solchen jedoch entgegenstehen. § 54a IRG knüpft daher an den Entscheidungsumfang des Gerichts zur Frage des „Wie“ der Vollstreckungsübernahme an. So ist gem. § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 IRG die Höhe der zu übernehmenden auswärtigen Sanktion grundsätzlich auf das in Deutschland für diese Tat angesetzte Höchstmaß begrenzt. Ein Urteilsstaat, welcher jedoch nicht von der eigenen festgesetzten Sanktionshöhe abweichen möchte, wird sich daher höchstwahrscheinlich einer Vollstreckungsübergabe verweigern, die gem. § 54 Abs. 1 S. 3 IRG nur zum Teil die auswärtige Strafhöhe vollstreckt.15 § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG schafft daher die Möglichkeit, solchen Urteilsstaaten entgegenzukommen, welche die Bedingung gestellt haben, dass die eigene Strafe vollständig zur Vollstreckung übernommen werden muss. Die Übernahmegrenze des deutschen Höchstmaßes besteht also im Falle des § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG nicht länger.

11

BT-Drs. 18/4347, S. 88 f., 92 f. BT-Drs. 18/4347, S. 94 f. 13 BT-Drs. 18/4347, S. 88 f., 92 f. 14 BT-Drs. 18/4347, S. 92 f.; BR-Drs. 24/15, S. 114. 15 BT-Drs. 18/4347, S. 98; Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 777. 12

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

Daneben kann durch § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG die Dauer der Vollstreckung vermehrt nach den Vorstellungen des Urteilsstaates gestaltet werden. Grundsätzlich regelt § 57 Abs. 2 IRG, dass nach Übernahme der Vollstreckung die Aussetzung des Restes einer freiheitsentziehenden Sanktion ohne die Beteiligung des Urteilsstaates nach innerstaatlichem Recht vorzunehmen ist. Dies führte aber in der Vergangenheit zu Fällen, in denen der Urteilsstaat aufgrund der Sorge, die Vollstreckung der Sanktion würde zu früh ausgesetzt, die Durchführung der Vollstreckungsübernahme verweigert hatte.16 Gem. § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG ist es entsprechend der Gesetzesänderung von 2015 möglich, die Aussetzung des Restes der freiheitsentziehenden Sanktion von der Bedingung der Zustimmung des Urteilsstaates abhängig zu machen. Dem Urteilsstaat wird so gewährt, über einen längeren Zeitraum auf die Dauer der Vollstreckung einzuwirken. Im Gegensatz zu § 49 Abs. 3 IRG sollen die Ausnahmeregelungen des § 54a IRG jedoch nur zur Anwendung kommen, wenn sich der deutsche Staatsangehörige noch im Urteilsstaat („ab Überstellung“) befindet.17 § 54a Abs. 3 IRG eröffnet zudem für Altfälle die Möglichkeit, trotz erfolglosem Vollstreckungsübernahmeverfahren erneut eine Entscheidung auf Grundlage des § 54a IRG treffen zu können, um so letztlich doch eine Vollstreckungsübernahme durchzuführen.18 b) Alternative Anwendung der § 54a Abs. 1 Nr. 1 und § 54 Abs. 1 Nr. 2 IRG Fraglich ist, ob die Reststrafenaussetzung gem. § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG nur dann von der Zustimmung des Urteilsstaates abhängig gemacht werden kann, wenn zugleich auch die Höhe der fremden Sanktion über § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG übernommen wird  – also ob die entsprechenden Regelungen des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG kumulativ oder alternativ eine Abkehr von den gängigen Vollstreckungsübernahmeregelungen ermöglichen. Wortlaut („und“) und Systematik der Norm lassen vermuten, dass eine isolierte Entscheidung gem. § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG nicht möglich sein soll.19 Der Sinn und Zweck dieser Ausnahmeregelungen lässt jedoch auch eine andere Auslegung zu: Ebenso wie § 49 Abs. 3 IRG beruht § 54a IRG auf humanitären Erwägungen und der Fürsorgepflicht des Staates. Eine Vollstreckungsübernahme soll gerade in solchen Fällen ermöglicht werden, in denen dem Verurteilten bessere Haftbedingungen, günstigere Resozialisierungsmöglichkeiten und eine mögliche Vollzugslockerung in Deutschland gewährleistet werden können.20 Durch eine kumulative Anwendung des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG entstünde der Widerspruch, dass eine Strafe, die innerhalb des deutschen Strafmaßes liegt, nicht 16

BT-Drs. 18/4347, S. 98. Ausführlich dazu Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 781. 18 Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 782. 19 So Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 779. 20 BT-Drs. 18/4347, S. 98. 17

A. Grundstruktur der Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme 

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übernommen werden könnte, wenn der auswärtige Staat bei dem Zeitpunkt der Reststrafenaussetzung beteiligt werden möchte. Dagegen wäre eine Vollstreckungsübernahme einer Strafe, die das deutsche Höchstmaß überschreitet, und bei welcher der Urteilsstaat das Recht hat, eine Reststrafenaussetzung zu verweigern, ohne Weiteres möglich, obwohl dies als der härtere Eingriff eingestuft werden muss. Zwar kämen dem Verurteilten die Strafaussetzungsregelungen des deutschen Rechts nicht ohne Weiteres zu Gute, wenn die fremde Strafe nur über § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG übernommen wird; doch können ihm durchaus die anderen Vorteile im deutschen Strafvollzug gewährt werden.21 Der Sinn und Zweck der Norm, der eindeutig aus der Gesetzesbegründung des Gesetzgebers hervorgeht, wäre in diesem Fall zumindest zum größten Teil erfüllt. Eine kumulative Anwendung des § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG mit § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG ist ebenso wenig in der Gesetzesbegründung zu erkennen. Schließlich stellt eine isolierte Anwendung des § 54 Abs. 1 Nr. 2 IRG sogar ein Weniger dar, als eine umgewandelte Strafe, die sowohl auf § 54 Abs. 1 Nr. 1 IRG als auch auf § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG basiert. Der Wortlaut „und“ muss also vielmehr als ein redaktioneller Fehler des Gesetzgebers verstanden werden. Die Varianten des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG sind auch unabhängig voneinander als Ausnahme im Rechtsfolgeverfahren der Vollstreckungsübernahme anwendbar. c) Zusammenfassung Auch die Ausnahmeregelung des § 54a IRG basiert auf humanitären Gesichtspunkten und soll vermehrt die Interessen des Verurteilten berücksichtigen.22 Als Ausnahmeverfahren sollen Vollstreckungsübernahmen nach § 54a IRG „­Ultima-​ ratio-Entscheidung“ bleiben.23 Das Gericht soll eine auswärtige Sanktion daher nur dann über § 54a IRG übernehmen, wenn sämtliche Möglichkeiten der Vollstreckungsübernahme des regulären Verfahrens ausgeschöpft sind.24 Die zwei Regelungen in § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG und § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG sind nicht nur kumulativ, sondern auch alternativ anwendbar.

II. Regelungszweck der Ausnahmeregelungen Die Ausnahmeregelungen verfolgen den Zweck, mehr Vollstreckungsübernahmen erfolgreich durchführen zu können. Es sollen insbesondere die Interessen solcher Verurteilten besser berücksichtigt werden können, die sich schon länger eine Vollstreckung im Heimatland Deutschland wünschen, eine Vollstreckungs 21

Siehe zu den Vorteilen der Vollstreckungsübernahme für den Betroffenen auf S. 45. BT-Drs. 18/4347, S. 98. 23 BT-Drs. 18/4347, S. 99. 24 BT-Drs. 18/4347, S. 99 f., 101. 22

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

übernahme aber wegen § 49 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 IRG, § 54 IRG oder der Bedingung des § 57 Abs. 2 IRG unzulässig ist. Dies ist deswegen bedeutsam, da viele im Ausland Inhaftierte unter den dortigen Haftbedingungen, aber auch unter der Distanz zur Heimat leiden.25 Die Ausnahmeverfahren werden auch im vertraglichen Rechtshilfeverkehr an Bedeutung gewinnen. Denn auch für Fälle, in denen die vertraglichen Voraussetzungen eines völkerrechtlichen Abkommens fehlen, können Regelungen des IRG über die Subsidiaritätsregelung des § 1 Abs. 3 IRG auffangend zur Anwendung kommen. Dies gilt gem. § 84 Abs. 2 IRG auch für die Vollstreckungshilfe zwischen den Mitgliedsstaaten der EU.26 Vor dem Hintergrund, dass sich die Rechtsordnungen der einzelnen Staaten teilweise erheblich unterscheiden und auch die einzelnen Abkommen bestimmte Ablehnungsgründe beinhalten,27 können somit im grundsätzlich vertraglichen Rechtshilfebereich bis dato abgelehnte Vollstreckungsübernahmen durch die Ausnahmevorschriften durchgeführt werden. Auf völkerrechtlicher Ebene ist aber die Gefahr zu bedenken, dass andere Staaten mit Blick auf die geschaffenen Ausnahmeregelungen stärker auf die eigene Rechtsordnung pochen und Deutschland dazu drängen könnten, öfter als vorgesehen auf die Ausnahmeverfahren zurückzugreifen.28 Zum Schutz der eigenen Rechtsordnung und des eigenen Werteverständnisses darf daher nicht aus den Augen verloren werden, dass es sich bei den Verfahren des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG nicht um solche Verfahren handelt, die sich der Gesetzgeber im Idealfall vorstellt; es handelt sich nur um Ausnahmeverfahren, die in Einzelfällen einen besseren Schutz der eigenen Staatsangehörigen ermöglichen sollen.

III. Verhältnis des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG zu § 73 S. 1 IRG Die Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme bieten somit für Einzelfälle die Möglichkeit, von den allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 IRG und den Begrenzungen des § 54 IRG sowie des § 57 Abs. 2 IRG abzuweichen. Unklar bleibt jedoch, wo der Gesetzgeber die gesetz­ liche Grenze der Ausnahmevollstreckungsübernahmen ziehen wollte. Maßgeblich dafür ist vor allem die Frage, in welchem Verhältnis § 49 Abs. 3 und § 54a IRG zu dem allgemeinen Rechtshilfehindernis des § 73 S. 1 IRG stehen. Es gilt daher zu erörtern, ob der Gesetzgeber in den Ausnahmeverfahren auch von der Voraussetzung des § 73 S. 1 IRG abweichen wollte oder der ordre public weiterhin jegliche Vollstreckungsübernahmen begrenzen soll. 25

Hüttemann, StV 2016, 519, 527. Böse, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 84 Rn. 4, 7. 27 Siehe etwa sogar im Bereich der EU § 84a Abs. 1 Nr. 2 StGB sowie im Übereinkommen des Europarats Art. 3 Abs. 1 lit. e ÜberstÜbk (Vss. der beidseitigen Strafbarkeit). 28 S.a. kritische Prognose dazu Heydenreich, StV 2015, 8, 12; BRAK 10/2015, S. 6. 26

A. Grundstruktur der Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme 

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1. Nach dem Wortlaut des Gesetzes Erster Anhaltspunkt für die Weite der neuen Zulässigkeitsverfahren ist der Wortlaut des Gesetzes. Im Wortlaut des § 49 Abs. 3 IRG heißt es lediglich „Die Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion […] kann abweichend von Abs. 1 Nummer 2 bis 5 unter Beachtung der Interessen der verurteilten Person ausnahmsweise für zulässig erklärt werden […].“ [Herv. d. Verf.]

Es kann damit zwar ausdrücklich von den durch § 49 Abs. 1 IRG normierten Voraussetzungen der Nummern zwei bis fünf, nicht aber zusätzlich von § 73 S. 1 IRG abgewichen werden, der jede Rechtshilfemaßnahme durch den ordre public begrenzt.29 Auch in § 54a IRG fehlt eine solche Regelung zur möglichen Abweichung von § 73 S. 1 IRG. § 73 S. 1 IRG ist jedoch schon seinem Ursprung nach ein klassischer Auffangtatbestand.30 Daher ist zu vermuten, dass, wenn der Gesetzgeber auf die Grenze des ordre public hätte verzichten wollen, dies in den Ausnahmeregelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG ausdrücklich eingefügt hätte. Der Wortlaut des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG könnte somit darauf hindeuten, dass § 73 S. 1 IRG auch für die Zulässigkeit der Ausnahmevollstreckungsübernahmen die rechtliche Grenze bilden soll. Für diese Auslegung des Wortlauts muss jedoch auch § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG beachtet werden, der ausdrücklich von einer möglichen Abkehr im Rahmen des § 49 Abs. 3 IRG umfasst ist. § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG fordert die Einhaltung der Menschenrechte und Grundfreiheiten der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle im strafrechtlichen Verfahren des Urteilsstaates. Da die EMRK nach allgemeinem Verständnis in Art. 6 EMRK zumindest auch „Mindestgarantien“ eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens sichert, die auch weitgehend Bestandteil der wesentlichen Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung sind,31 fragt sich, inwieweit sich die Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG inhaltlich überhaupt von dem deutschen ordre public und somit von dem Rechtshilfehindernis des § 73 S. 1 IRG für eine Vollstreckungsübernahme unterscheidet. Wenn § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG und § 73 S. 1 IRG im gleichen Umfang wesentliche, verfahrensrechtliche Garantien eines Rechtsstaats schützen, so sind diese Regelungen inhaltlich kongruent. Wären sie tatsächlich kongruent, wäre im Wortlaut des Gesetzes durch § 49 Abs. 3 IRG sehr wohl eine ausdrück­ liche Abweichung von § 73 S. 1 IRG durch den Gesetzgeber verankert worden. Aus dem Wortlaut ist somit der Wille des Gesetzgebers hinsichtlich der Weite der Ausnahmevollstreckungsübernahmen nicht eindeutig erkennbar.

29

Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 2. Siehe dazu schon auf S. 80 f. 31 Valerius, in: Graf, EMRK Art. 6 Rn. 1 f. 30

94

Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

2. Nach der Historie des Gesetzes Maßgeblich für die Frage, wie weit im Rahmen von § 49 Abs. 3 IRG von den allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen abgewichen werden können soll, ist vor allem, ob ein Unterschied zwischen dem Inhalt des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG und dem Inhalt des § 73 S. 1 IRG besteht. Unabhängig von der Frage, ob sich § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG und § 73 S. 1 IRG inhaltlich tatsächlich entsprechen,32 zeigt die Historie und der Regelungszweck des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG, dass ein Unterschied im rechtlichen Inhalt des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG und dem allgemeinen Rechtshilfehindernis des § 73 S. 1 IRG bestehen soll. So wurde schon an anderer Stelle kurz erwähnt, dass der Gesetzgeber durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG einen engeren gerichtlichen Maßstab an die Rechtshilfe in Form der Vollstreckungsübernahme knüpfen wollte, als dies noch nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG a. F. der Fall war.33 § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG a. F. wurde damals von den Gerichten durch die drei ausdrücklich genannten Mindestgarantien und mit dem aus der Auslieferung übernommenen Prüfungsmaßstab in der Rechtsprechung so eng verstanden, dass dieser sich letztendlich inhaltlich nicht mehr vom § 73 S. 1 IRG unterschied.34 Daher soll § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG n. F. eine „Erweiterung“ der ­ordre-public-Klausel des § 73 S. 1 IRG in dem Sinne sein, dass mehr prozessuale Bedingungen im auswärtigen Verfahren für eine zulässige Vollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 1, 2 IRG eingehalten worden sein müssen. § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG soll somit eine engere Voraussetzung als § 73 S. 1 IRG darstellen. Wenn der Wortlaut des § 49 Abs. 3 IRG ausdrücklich eine Abweichung von § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG zulässt, ist damit daher nicht zugleich auch eine Abkehr von § 73 S. 1 IRG gemeint. 3. Nach dem subjektiven Willen des Gesetzgebers Die Gesetzesbegründungen zu § 49 Abs. 3 und § 54a IRG sind unpräzise in Bezug auf die Frage, wo der Gesetzgeber den äußeren rechtlichen Rahmen der Zulässigkeit der Ausnahmenvollstreckungsübernahmen zieht.35 So scheint teilweise in der Gesetzesbegründung zur Regelung des § 49 Abs. 3 IRG angedeutet zu sein, dass im Einzelfall sogar auf wesentliche, fundamentale Grundsätze der deutschen Rechtsordnung, also den ordre public, verzichtet werden könnte. „Erforderlich ist […] eine einzelfallbezogene Abwägung des verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs deutscher Staatsangehöriger auf Schutz und Fürsorge durch den Staat mit dem Interesse des Staates, keine freiheitsentziehende Sanktion zu vollstrecken, die

32

Siehe dazu vertiefend auf S. 156 ff. Siehe S. 75 ff. 34 BT-Drs. 18/4347, S. 90 f.; so auch Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 8. 35 So auch kritisch Bundesrechtsanwaltskammer, Stellungnahme Nr. 10/2015, S. 3. 33

A. Grundstruktur der Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme 

95

unter Missachtung von grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien, die zum unverzichtbaren Bestand der deutschen öffentlichen Ordnung gehören, zustande gekommen ist.“36 [Herv. d. Verf.]

Durch diese einzelfallbezogene Abwägung scheint es zunächst, dass § 73 S. 1 IRG keine zwingende Bedingung des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG darstellt. Auch betont der Gesetzgeber, dass dem Interesse und dem Schutz des Betroffenen höhere Gewichtung zukommen muss als dem Interesse des Staates selbst. „Diesem Interesse [dem Interesse des Betroffenen; Anm. d. Verf.] muss […] zwangsläufig ein größeres Gewicht zukommen als dem Interesse des Staates an der Unversehrtheit seiner Rechtsordnung.“37

Der Sinn und Zweck der Vorschriften lässt ebenso vermuten, dass in extremen Einzelfällen alles möglich gemacht werden soll, um den jeweiligen Betroffenen aus der auswärtigen Haft zu befreien. Dies könnte auch bedeuten, dass selbst Urteile, die gegen den ordre public verstoßen, teilweise übernommen werden können sollen. So betont der Gesetzgeber auch die Rolle des Gerichts im Verfahren nach § 49 Abs. 3 IRG, dem nun eine „behutsame […] Fortbildung des Rechts“ möglich sein soll.38 Eine andere Interpretation lässt jedoch der weitere Verlauf der Gesetzesbegründung zu, in dem der Gesetzgeber immer wieder Fälle darstellt, die gerade deswegen nicht übernommen werden können, weil sie den ordre public verletzen. „Hat der auswärtige Staat jedoch ein Verhalten bestraft, das in der Bundesrepublik Deutschland nicht bestraft werden könnte, weil es z. B. als Ausübung eines Grundrechts verfassungsrechtlichen Schutz genießt, ist der grundsätzlichen völkerrechtlichen Grundhaltung eine Grenze gesetzt. […] In diesem Fall widerspricht […] die auswärtige Strafvorschrift wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung.“39

Ebenso stellt der Gesetzgeber dies auch zum fundamentalen verfassungsrechtlichen Prinzip des Verbots der Mehrfachbestrafung fest. „[Ein Verbot zur Übernahme der Vollstreckung aus dem Verbot der Mehrfachbestrafung; Anm. d. Verf.] besteht im Falle der Verurteilung […] nur dann, wenn die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann.“40

Auch bei der Umwandlung der auswärtigen Sanktion nach § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG zieht der Gesetzgeber die Grenze bei den verfassungsrechtlich fundamentalen Prinzipien des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Schuldprinzips.

36

BT-Drs. 18/4347, S. 94. BT-Drs. 18/4347, S. 95. 38 BT-Drs. 18/4347, S. 93. 39 BT-Drs. 18/4347, S. 96. 40 BT-Drs. 18/4347, S. 97. 37

96

Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG  „Darüber hinaus ist bei der Vollstreckung der zeitigen Freiheitsstrafe, die über das hierzulande geltende Maß hinausgeht, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Dazu gehört, dass die verhängte Strafe zu der Schwere der Tat und dem Verschulden des Täters in einem gerechten Verhältnis stehen muss. Eine Verurteilung darf nach Art und Maß dem strafbaren Verhalten nicht schlechthin unangemessen sein.“41

Die mehrdeutige Gesetzesbegründung lässt daher zwei Interpretationen zu: Zum einen, dass in den Ausnahmeverfahren sogar der ordre public zum Schutz des Verurteilten überschritten werden darf. Zum anderen, dass zwar die Vollstreckungsübernahme für solche Urteile, die gegen die eigene Rechtsordnung und Wertvorstellung verstoßen, möglich sein soll, dabei jedoch die letzte Grenze des § 73 S. 1 IRG weiterhin zu achten ist. Da er vor allem Fälle aufzeigt, die zum Schutz des ordre public nicht zur Vollstreckung übernommen werden können, erscheint letztere Interpretation vorzugswürdiger. Auch die Auslegung des subjektiven Willens des Gesetzgebers deutet somit daraufhin, dass das Rechtshilfehindernis des § 73 S. 1 IRG auch in den Ausnahmevollstreckungsübernahmen weiterhin bestehen soll. 4. Zusammenfassung Aus dem Wortlaut und Historie des Gesetzes ergibt sich, dass in den Ausnahmeverfahren der Vollstreckungsübernahme nicht auf das allgemeine Rechtshilfehindernis des § 73 S. 1 IRG verzichtet werden soll. Dies ist vor allem am Regelungszweck des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG zu erkennen. Diese Auslegung läuft dem subjektiven Willen des Gesetzgebers nicht entgegen. Dieser äußert sich in der Gesetzesbegründung zwar ungenau; doch zeigt die Auflistung von Fällen, die gerade zum Schutz von fundamentalen, wesentlichen Prinzipien nicht zur Vollstreckung übernommen werden können, dass dieser nicht von der allgemeinen Grenze der Rechtshilfe aus § 73 S. 1 IRG abweichen wollte. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber zum Schutz der Interessen der verurteilten Person im Einzelfall auf die Unversehrbarkeit seiner Rechtsordnung,42 nicht aber auf die wesentlichen fundamentalen Prinzipien verzichten will (vgl. Abb. 1).

41 42

BT-Drs. 18/4347, S. 100. BT-Drs. 18/4347, S. 94.

97

B. Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen Auswärtiges Strafverfahren und Urteil hält ein: Auswärtiges Strafverfahren und Urteil hält nicht ein: Gesetzeslage vor 2015 Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 IRG und § 54 IRG

Allgemeine Rechtsstandards des deutschen Rechts

fundamentale, wesentliche Prinzipien (ordre public)

Gesetzeslage seit 2015 Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 IRG und § 54 IRG

Allgemeine Rechtsstandards des deutschen Rechts

fundamentale, wesentliche Prinzipien (ordre public)

Allgemeine Rechtsstandards des deutschen Rechts

fundamentale, wesentliche Prinzipien (ordre public)

Vollstreckungsübernahme nach § 49 Abs. 1 und § 54 IRG möglich

Vollstreckungsübernahme nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG möglich

Weiterbestehende Härtefälle Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 IRG und § 54 IRG

Keine Vollstreckungsübernahme möglich

Abbildung 1: Rechtliche Grenze der Vollstreckungsübernahme

B. Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen Die Voraussetzungen der Ausnahmevorschriften müssen nach den Vorstellungen des Gesetzgebers vor allem Flexibilität für den Einzelfall gewährleisten. Dabei besteht die Schwierigkeit, sowohl die Interessen des Staates als auch die Interessen des Verurteilten ausreichend zu berücksichtigen. Während der Staat grundsätzlich nicht von der eigenen Rechtsordnung abweichen möchte, wünscht sich der Verurteilte den strengen Haftbedingungen in auswärtiger Haft zu entkommen. Das Verfahren muss bei der Frage, ob eine Vollstreckungsübernahme erfolgen soll, beide Seiten genügend würdigen und beachten können. Die fundamentalen, wesentlichen Prinzipien bilden gem. § 73 S. 1 IRG dabei die rechtliche Grenze. Um die empfindliche Beziehung zwischen den Staaten nicht zu schädigen, müssen die Voraussetzungen der Vollstreckungsübernahme zudem ausreichend sicherstellen, dass die Vollstreckung nach Übergabe des Betroffenen auch tatsächlich stattfindet. Ein nachträglicher Abbruch der Vollstreckung im Inland würde grundsätzlich43 dazu führen, dass sich der Betroffene der auswärtigen Strafe wegen des Auslieferungsverbots aus Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG und der strengen Haftbedingungen im Ausland entziehen könnte. Dies würde im konkreten Fall nicht nur das Strafbedürfnis des Urteilsstaates enttäuschen, sondern wäre auch für das allgemeine Vertrauen 43

Für mögliche Ausnahmen siehe später auf S. 207 ff.

98

Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

und die zukünftigen Rechtshilfeleistungen zwischen den beiden Staaten fatal.44 In den Zulässigkeitsverfahren nach § 49 Abs. 3 IRG sowie § 54a Abs. 1 und Abs. 2 IRG sollen diese verschiedenen Aspekte durch zwei Voraussetzungen sichergestellt sein: Nötig ist ein Antrag des Betroffenen, der ein unwiderrufliches, freiwilliges Einverständnis zur Vollstreckungsübernahme enthalten soll,45 und eine kritische Abwägung des Gerichts,46 in der auch die Grenze des § 73 S. 1 IRG zu achten ist.

I. Antrag durch den Betroffenen 1. Einleitender Überblick Grundlegende Voraussetzung der Ausnahmeregelungen nach § 49 Abs. 3 IRG und § 54a Abs. 1 sowie Abs. 2 IRG ist, dass der Verurteilte einen Antrag zu Beginn der Vollstreckungsübernahme stellt.47 Daher kommt eine Vollstreckungsübernahme trotz fehlender Bedingungen aus § 49 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 5 IRG nur dann in Betracht, wenn der deutsche Staatsangehörige gem. § 49 Abs. 3 S. 1 IRG einen Antrag stellt, der darauf gerichtet sein muss, eine Vollstreckungsübernahme entgegen § 49 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 IRG durchzuführen. Ähnlich gestaltet sich der Antrag im Rahmen des Verfahrens nach § 54a Abs. 1, 2 IRG. Ausschlaggebend für eine Rechtsfolge nach § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG ist die vom auswärtigen Staat gestellte Bedingung, dass die Strafe in der festgelegten Höhe des Urteils unabhängig von deutschen Regelungen vollstreckt werden soll. Der Verurteilte muss dann gem. § 54a Abs. 2 S. 1 IRG ausdrücklich beantragen, dass er die Umwandlung der Strafe über das deutsche Höchstmaß hinaus wünscht bzw. im Falle des § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG eine Reststrafenaussetzung über nationale Regelungen hinaus von der Zustimmung des Urteilsstaats abhängig machen möchte.48 Als grundlegendes Element der Ausnahmevollstreckung gem. § 49 Abs. 3 IRG und § 54a Abs. 1 und Abs. 2 IRG muss sichergestellt sein, dass das Einverständnis wirksam und frei von Willensmängeln abgegeben wird. Nur so kann die Bundesrepublik Deutschland das Vertrauen des Urteilsstaates und den völkerrechtlichen Rechtsgedanken des „venire contra factum proprium“49 (lat. für „Zuwiderhandlung gegen das eigene frühere Verhalten“, vereinfacht „widersprüchliches Verhalten“) ausreichend schützen. Miterklärter Gegenstand des Antrags ist demgemäß auch die Unwiderruflichkeit des Antrags,50 wie § 49 Abs. 3 S. 3 IRG und § 54a Abs. 2 S. 3 IRG ausdrücklich klarstellen. Dies bedeutet, dass dem Betroffenen nach Rechts 44

BT-Drs. 9/2137, S. 24; BT-Drs. 18/4347, S. 94. BT-Drs. 18/4347, S. 93, 98. 46 BT-Drs. 19/4347, S. 88, 94 f. 47 BT-Drs. 18/4347, S. 93, 101; BR-Drs. 24/15, S. 115. 48 BT-Drs. 18/4347, S. 98. 49 Dörr, in: Studienbuch zum Völkerrecht, § 20 Rn. 6. 50 BT-Drs. 18/4347, S. 93, 98, 101. 45

B. Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen

99

kraft der Vollstreckungserklärung die Rücknahme des Antrags nicht mehr möglich sein soll. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll der Antrag selbst dann Bestand haben, wenn er auf schweren Willensmängeln beruht.51 Der Antrag muss gem. § 49 Abs. 3 S. 2 IRG bzw. § 54a Abs. 2 S. 2 IRG zu Protokoll eines Richters oder zu Protokoll eines zur Beurkundung von Willenserklärungen ermächtigten Berufskonsularbeamten gestellt werden. Gem. § 49 Abs. 3 S. 4 IRG und § 54a Abs. 2 S. 4 IRG haben diese qualifizierten Personen den Betroffenen vor Abgabe des Antrags umfassend über die Rechtsfolgen und insbesondere über die Unwiderruflichkeit zu belehren.52 Dieses Formerfordernis dient als Warnfunktion für den Betroffenen, dem die Tragweite der Entscheidung bewusst gemacht werden soll, aber vor allem auch der Beweiskraft und der Rechtssicherheit.53 Im Protokoll soll die umfassende Belehrung des Betroffenen sowie die Tatsache, dass der Betroffene das Einverständnis antragsfähig, freiwillig und frei von Willensmängel abgab, ausdrücklich vermerkt werden. Da es sich bei solchen Ausnahmevollstreckungsübernahmen meist um schwierige Rechtslagen handelt, wird dem Betroffenen stets ein Beistand nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 IRG zu bestellen sein,54 der eine ähnliche Stellung einnimmt wie ein Pflichtverteidiger im Strafprozess.55 2. Antrag als Grundrechtsverzicht Der Antrag des Verurteilten ist sowohl eine formelle als auch eine materielle Bedingung der Zulässigkeitsverfahren gem. § 49 Abs. 3 IRG und § 54a Abs. 1, 2 IRG.56 Als formelle Voraussetzung wird durch diesen zunächst das Vollstreckungsübernahmeverfahren in Form des Exequaturverfahrens eingeleitet. Zugleich enthält er ein materielles Element, da der Betroffene mit dem Antrag der Vollstreckung der auswärtigen Strafe durch Deutschland zustimmt. Dieses Einverständnis ist zum einen ein wesentlicher Punkt, der in der Abwägung des Gerichts zu berücksichtigen ist. Zum anderen soll er jedoch zugleich eine Art Grundrechtsverzicht hinsichtlich des Rechts aus Art. 2 Abs. 2 GG darstellen.57 Der Verurteilte soll nach dem Prinzip „volenti non fit iniuria“ (lat. für „dem Einwilligenden geschieht kein Unrecht“) auf seine erhöhte Rechtsposition, die ihm die deutsche Rechtsordnung und das Grundgesetz zuschreiben, verzichten.58

51

BT-Drs. 18/4347, S. 93, 101. BT-Drs. 18/4347, S. 93, 101; BR-Drs. 24/15, S. 115, 122. 53 BT-Drs. 18/4347, S. 93, 101; BR-Drs. 24/15, S. 115. 54 So auch Bundesrechtsanwaltskammer, Stellungnahme Nr. 10/2015, S. 7. 55 BR-Drs. 24/15, S. 115; BT-Drs. 18/4347, S. 101; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 53 Rn. 7 ff. 56 Ähnlich auch wie die Voraussetzung der Einwilligung in die Reststrafenaussetzung nach § 54a StGB, Kett-Straub, in: Jahn / ​Arzt / ​Stöckel (Hrsg.), FS Stöckel, S. 386. 57 So auch Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 785 ff. 58 So auch ähnl. für § 49 Abs. 2 IRG Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​ Hackner, IRG § 49 Rn. 20. 52

100

Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

a) Grundrechtsverzicht im Allgemeinen Der Grundrechtsverzicht ist eine nicht unumstrittene Thematik. Gründe dafür sind zum einen die Begrifflichkeit selbst und zum anderen die unterschiedlichen Rechtsfolgen, die an den Begriff des Grundrechtsverzichts angeknüpft werden können.59 Einig ist man sich zumindest darin, dass der Grundrechtsverzicht eine Willensäußerung des Bürgers darstellt, die seine grundrechtlich abgesicherte Position gegenüber den staatlichen Organen schmälert.60 Der Begriff des Verzichts ist aber unglücklich gewählt, da darunter die vollständige Aufgabe eines Rechts für die Zukunft verstanden wird.61 Dies kann jedoch im Rahmen von Grundrechten nicht möglich sein.62 Bevorzugt wird daher der Begriff der Einwilligung, mit welcher der Grundrechtsträger kundtut, eine Beeinträchtigung seines Rechtsguts durch einen anderen hinzunehmen.63 So kann die Figur des Grundrechtsverzichts besser als „eine Einwilligung eines Grundrechtsträgers in konkrete Eingriffe in und Beeinträchtigungen von Grundrechten“ definiert werden.64 Es war lange Zeit strittig, ob und wieweit das Individuum überhaupt über seine Grundrechte verfügungsbefugt ist,65 folglich, ob der Einzelne im konkreten Fall gegenüber dem Staat den Schutz durch die gewährten Grundrechte tatsächlich aufgeben darf. Mittlerweile ist die grundsätzliche Dispositionsbefugnis des Individuums über seine Grundrechte jedoch anerkannt; gestützt wird diese Einschätzung auf das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.66 Die notwendigen Voraussetzungen eines Grundrechtsverzichts sind neben der Verfügungsbefugnis über das konkrete Grundrecht,67 die Urteilsfähigkeit des Betroffenen und seine Grundrechtsberechtigung.68 Zudem muss eine freiwillige Verzichtserklärung, die auf keinem (wesentlichen) Irrtum beruht, aus 59

Merten, in: Horn (Hrsg.), FS Schmitt Glaeser, S. 53; Schmahl, MRM 2002, 127, 128. Pietzcker, Der Staat 1978, 527, 531; Stern, Staatsrecht III/2, S. 906; Schmahl, MRM 2002, 127, 133. 61 Pietzcker, Der Staat 1978, 527, 531; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 97; Seifert, Jura 2007, 99, 100 f. 62 Dazu siehe Stern, in: Stern / ​Becker, Einl., Rn. 156. 63 Amelung, Einwilligung, S. 13, 19 ff. m. w. N.; Stern, Staatsrecht III/2, S. 905; Pietzcker, Der Staat 1978, 527, 530; Fischinger, JuS 2007, 808, 808; Seifert, Jura 2007, 99, 100; andeutend Bleckmann, JZ 1988, 57, 58; vorliegend werden beide Begriffe aus Gründen der Lesbarkeit verwendet. 64 Fischinger, JuS 2007, 808, 808; Malacrida, Grundrechtsverzicht, S. 13; Amelung, Einwilligung, S. 13; ähnl. auch Stern, in: Stern / ​Becker, Einl., Rn. 155. 65 Stern, Staatsrecht III/2, S. 887 f., 906; Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 1; Pietzcker, Der Staat 1978, 527, 531, 542, 551; Amelung, Einwilligung, S. 26; Schmahl, MRM 2002, 127, 128. 66 BVerwGE 14, 21 ff.; Bleckmann, JZ 1988, 57, 58; Merten, in: Horn (Hrsg.), FS Schmitt Glaeser, S. 58 f.; Pietzcker, Der Staat 1978, 527, 540; Malacrida, Grundrechtsverzicht, S. 105; Stern, Staatsrecht III/2, S. 907 f. m. w. N. 67 Stern, Staatsrecht III/2, S. 913; Malacrida, Grundrechtsverzicht, S. 27 ff.; Schmahl, MRM 2002, 127, 128 f. 68 Malacrida, Grundrechtsverzicht, S. 29 f. 60

B. Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen

101

drücklich oder konkludent abgegeben werden,69 die vor der grundrechtsrelevanten Maßnahme erteilt worden sein muss.70 Welche Rechtsfolgen an einen wirksamen Grundrechtsverzicht knüpfen ist unklar. Während teilweise die Verzichtserklärung als Rechtfertigung für den Eingriff in Grundrechte angesehen wird,71 verneinen einige schon den Eingriffscharakter bei Vorliegen eines Verzichts.72 Wieder andere differenzieren je nach Art des Grundrechts.73 Letztendlich ist die konkrete Form der Rechtsfolge des Grundrechts­ verzichts jedoch für die hier zu erörternde Thematik irrelevant. Maßgeblich ist lediglich, dass eine Maßnahme nicht rechtswidrig erfolgt,74 wenn der Betroffene einen Grundrechtsverzicht äußert. b) Dispositionsbefugnis über Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG Ohne schon auf die einzelnen Voraussetzungen und darin bestehende Probleme eines Grundrechtsverzichts genauer eingehen zu wollen, soll vorliegend lediglich geklärt werden, ob der Verurteilte grundsätzlich über sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG dispositionsbefugt ist. Nur wenn es möglich ist, in einen Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG einzuwilligen, kann der Antrag des Verurteilten zugleich auch einen Grundrechtsverzicht beinhalten. Weitestgehend anerkannt ist die Dispositionsbefugnis und die Möglichkeit des Verzichts auf Individualgrundrechte, die ausschließlich Grundrechte der Person darstellen.75 So kann der Grundrechtsträger etwa grundsätzlich auf die körperliche Unverletzlichkeit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verzichten.76 Der Verzicht auf bestimmte Einspruchsrechte und Klagemöglichkeiten in Hinblick auf Art. 19

69

Stern, Staatsrecht III/2, S. 914 f.; Fischinger, JuS 2007, 808, 809; Malacrida, Grundrechtsverzicht, S. 30 ff.; Schmahl, MRM 2002, 127, 129. 70 Fischinger, JuS 2007, 808, 809; wohl auch Stern, Staatsrecht III/2, S. 914 f.; Schmahl, MRM 2002, 127, 128; a. A. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 98 f. 71 Eppelt, Grundrechtsverzicht und Humangenetik, S. 22 ff.; Hufen, Staatsrecht II, § 6 Rn. 42; OVG NRW, Urteil v. 18. August 2010, Az. 19 A 1211/09, Rn. 51 ff.; VGH Mannheim, NVwZ 2004, 498 ff.; Stern, Staatsrecht III/2, S. 926 f.; widersprüchlich Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 93, 127. 72 Kingreen / ​Poscher, Grundrechte, Rn. 203; Fischinger, JuS 2007, 808, 813; Wolter, Recht der Arbeit 2002, 218, 222; BVerfGE, NJW 1973, 1895, 1896; Stern, in: Stern / ​Becker, Einl., Rn. 157; so auch Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 198, dort m. w. N. auf S. 193 Fn. 671. 73 Bleckmann, JZ 1988, 57, 57 f.; Merten, in: Horn (Hrsg.), FS Schmitt Glaeser, S. 60; Stern, Staatsrecht III/2, S. 927. 74 Offenhaltend auch Sachs, in: Sachs / ​Battis, GG Vorbemerk. Abschn. I, Rn. 52 ff.; andeutend Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 139 ff. 75 Amelung, Einwilligung, S. 33. 76 Malacrida, Grundrechtsverzicht, S. 106 f.; Pietzcker, Der Staat 1978, 527, 550; Amelung, Einwilligung, S. 33.

102

Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

Abs. 4 GG ist vom Gesetzgeber ausdrücklich anerkannt.77 Dagegen kann nicht auf Grundrechte verzichtet werden, die dem öffentlichen Interesse dienen,78 sodass rechtsstaatliche Garantien nach herrschender Ansicht unverzichtbar sind.79 Schwierig ist es bei Grundrechten, die sowohl das Individuum als auch das öffentliche Interesse schützen. Diesbezüglich muss stets abgewogen werden, ob ein Grundrechtsverzicht für das jeweilige Grundrecht möglich ist.80 Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG gehört zum Bereich der persönlichen Selbstbestimmung eines Menschen.81 Als Ausdruck des Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG kann ein Grundrechtsträger somit grundsätzlich wirksam auf Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG verzichten. Willigt also der Verurteilte in die Vollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 und § 54a IRG ein, so kann darin auch ein Grundrechtsverzicht auf sein Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG gesehen werden, mit dem er der Bundesrepublik Deutschland nicht nur erlaubt, das ausländische Urteil zu vollstrecken, sondern zusätzlich den Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG durch die deutsche Staatsgewalt gestattet. Der Antrag des Verurteilten kann jedoch nicht nur als Erlaubnis zur Vollstreckungsübernahme und zu einem Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG gesehen werden, sondern auch als Bitte oder Ersuchen, ihn aus der auswärtigen Haft zu befreien und in den menschenwürdigen deutschen Strafvollzug zu verbringen.82 Insbesondere sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, aber auch seine Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG können durch auswärtige Haftbedingungen teilweise stark gefährdet oder sogar schon verletzt sein. Der Betroffene verzichtet daher mit seinem Antrag nicht primär auf sein Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, sondern ersucht vielmehr um die effektive Schutzmaßnahme in Form der „Haftunterbringung“ in der Bundesrepublik Deutschland. Vergleichbar ist die vorliegende Konstellation mit der Verbringung in einen „Schutzgewahrsam“, bei welcher der Betroffene der Verbringung ebenfalls zustimmt.83 Da in diesem Fall die Einschränkung des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG auf Grund der Zustimmung des

77

Pietzcker, Der Staat 1978, 527, 549. Stern, Staatsrecht III/2, S. 906; Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 140; Bleckmann, JZ 1988, 57, 60 f.; Merten, in: Horn (Hrsg.), FS Schmitt Glaeser, S. 65; Amelung, Einwilligung, S. 31. 79 Bleckmann, JZ 1988, 57, 60. 80 Seifert, Jura 2007, 99, 104; Fischinger, JuS 2007, 808, 810; Stern, Staatsrecht III/2, S. 923; a. A. Schmahl, MRM 2002, 127, 129 m. w. N. 81 Malacrida, Grundrechtsverzicht, S. 104 ff. m. w. N.; insb. in Bezug auf die „Schutzhaft“/ Schutzgewahrsam bestätigt bei Amelung, Einwilligung, S. 76; Hantel, Begriff der Freiheitsentziehung, S. 67 f. 82 Dass die Schutzfunktion sowie die Fürsorgepflicht immer im Rahmen der Vollstreckungsübernahme mitberücksichtigt werden müssen, s. a. bei Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​ Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG Vor § 48 Rn.  4a. 83 Siehe bei Hoffmann, DVBl. 1970, 473, 473; etwa geregelt in § 28 PolG BW, Art. 17 PAG Bayern, § 32 HSOG, § 35 PolG NRW oder § 55 Abs. 1 Nr. 1 SOG M-V. 78

B. Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen

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Betroffenen zum Schutz anderer Rechte anerkannt ist,84 kann die Verfügungs­ befugnis des Betroffenen über Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG auch auf den vorliegenden Fall übertragen werden – nicht als Legitimation der Strafvollstreckung, sondern als Legitimation der Schutzmaßnahme durch die Bundesrepublik Deutschland. Der Grundrechtsverzicht ist im Falle der Vollstreckungsübernahmen nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG somit nicht bloß als Einwilligung zu dem Eingriff zu werten, sondern vielmehr als Ersuchen des Verurteilten um Schutz. c) Zusammenfassung Der Antrag des Verurteilten ist nicht nur der bloße Anstoß des Vollstreckungsübernahmeverfahrens gem. § 49 Abs. 3 IRG und § 54a Abs. 1, 2 IRG, sondern enthält zugleich ein materielles Einverständnis des Verurteilten, mit dem dieser der Vollstreckungsübernahme und dem Eingriff in sein Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG zustimmt. Diese Einwilligung ist zum einen ein Grundrechtsverzicht, zum anderen aber auch eine Bitte um Schutz, mit welcher der Verurteilte die Bundesrepublik Deutschland um die Vornahme der Vollstreckungsübernahme ersucht. 3. Voraussetzungen der wirksamen Antragsstellung Als eine wesentliche Voraussetzung gem. § 49 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 IRG und § 54a Abs. 2 IRG muss die Wirksamkeit und der Bestand des Antrags des Betroffenen sichergestellt sein. Damit ein Einverständnis des Betroffenen zur Vollstreckungsübernahme und der Antrag gem. § 49 Abs. 3 S. 2 IRG bzw. § 54a Abs. 1 und Abs. 2 IRG wirksam gestellt wird, muss der Verurteilte bei Antragsstellung auch urteils-, also erklärungsfähig85 sein sowie ausdrücklich und freiwillig die Einwilligung zu dem Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG äußern; er darf vor allem keiner Täuschung und keinem Irrtum unterliegen.86 Die einzelnen Voraussetzungen des wirksamen Antrags des Betroffenen zur Vollstreckungsübernahme werfen jedoch Probleme auf. So muss hinterfragt werden, ob ein Verurteilter überhaupt antrags- und einwilligungsfähig sein kann, wenn er durch die teils menschenwidrigen Haftbedingungen physische und psychische körperliche Beeinträchtigungen aufweist. Auch die Bedingung der Freiwilligkeit ist problematisch. Es erscheint kritisch, ob eine freiwillige Zustimmung zu den Ausnahmeverfahren überhaupt abgegeben werden kann, wenn der Verurteilte sich bei Antragsstellung noch in einer auswärtigen Haft befindet, die strenge Haftbedingungen aufweist. Seine schwierige, ausweglose Lage und der psychische 84

Malacrida, Grundrechtsverzicht, S. 107; Hantel, Begriff der Freiheitsentziehung, S. 67 f.; zur Einweisung in eine Anstalt siehe ders., Begriff der Freiheitsentziehung, S. 196 ff. 85 Malacrida, Grundrechtsverzicht, S. 29 f. 86 Malacrida, Grundrechtsverzicht, S. 30 ff.

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

Druck innerhalb der auswärtigen Haft könnten von vorneherein die Freiwilligkeit der Entscheidung ausschließen. Daneben muss auch die Bedingung der Unwiderruflichkeit des Antrags kritisch betrachtet werden. Diese ist vor allem deswegen bedenklich, weil der Gesetzgeber den Antrag selbst dann für unwiderruflich hält, wenn dieser unter schweren Willensmängeln vom Verurteilten abgegeben wurde. Vollständigkeitshalber soll aber auch kurz auf die Belehrung des Betroffenen und das darüber geführte Protokoll eingegangen werden. a) Antragsfähigkeit Problematisch ist, wie erwähnt, dass der Betroffene in den Fällen der § 49 Abs. 3 IRG sowie § 54a IRG häufig unter strengen Haftbedingungen untergebracht sein wird, die seine Gesundheit oder sogar sein Leben gefährden oder sogar schon beeinträchtigen. Deshalb wird oftmals ein Verurteilter den Antrag zur Vollstreckungsübernahme stellen, der schon psychisch und auch physisch beeinträchtigt ist. Es fragt sich, ob die teils körperlichen Belastungen in auswärtiger Haft nicht von vorneherein die Antragsfähigkeit einzelner Verurteilter ausschließen und die Vollstreckungsübernahme als rettende Maßnahme daher gar nicht mehr möglich ist. aa) Antragsfähigkeit trotz körperlich beeinträchtigender Haftbedingungen Wenn ein Verurteilter im Ausland unter den menschenwidrigen Bedingungen im auswärtigen Strafvollzug physisch und psychisch leidet, ist dies nicht gleich­ zusetzen mit der fehlenden Antragsfähigkeit. Vielmehr kommt es für die Frage der Antragsfähigkeit darauf an, ob der Betroffene nach seiner natürlichen Einsichtsund Urteilsfähigkeit weiterhin in der Lage ist, die Tragweite seiner Entscheidung zu erfassen, und ob er den Antrag eigenverantwortlich stellen kann. Dies gilt nicht nur für die formelle Antragsstellung,87 sondern auch für den darin enthaltenden Grundrechtsverzicht.88 Wie auch bei einer rechtfertigenden Einwilligung ist für die Einwilligungs­ fähigkeit des Betroffenen entscheidend, ob dieser die Sachlage und Tragweite des Eingriffs, zu dem er einwilligt, erfassen kann.89 Starke Schmerzen oder schlimme körperliche Beeinträchtigungen schließen jedoch nicht von vorneherein die Einwilligungsfähigkeit aus.90 Alles andere würde zu der Konsequenz führen, dass jeder schmerzleidende Patient rechtlich gar nicht in der Lage wäre, eine Erklärung und 87 So etwa auch ausreichend für Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten im Strafprozess, OLG Stuttgart, NStZ-RR 2006, 313; BGH, NJW 1995, 1973 (= BGHSt 41, 16). 88 Siehe etwa für die Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff durch einen schmerzleidenden Patienten Kraatz, NStZ-RR 2016, 233, 234. 89 Kraatz, NStZ-RR 2016, 233, 234. 90 OLG Koblenz, NJW 2015, 79, Rn. 16 f.; Kraatz, NStZ-RR 2016, 233, 234.

B. Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen

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Einwilligung zu einem ärztlichen Eingriff abzugeben. Medizinische Versorgung oder auch der Abbruch einer laufenden lebenserhaltenden Maßnahme könnten durch eine kranke Person nie erwirkt werden.91 Insofern schließen die körperlich belastende Lage und etwaige Erkrankungen des Verurteilten nicht von vorneherein seine Antragsfähigkeit aus. bb) Problem bei fehlender Antragsfähigkeit Ausgeschlossen ist die Antragsfähigkeit des Betroffenen jedoch in solchen Fällen, in denen die Haftbedingungen den Gesundheitszustand des Betroffenen schon so sehr beeinträchtigt haben, dass dieser gerade nicht mehr in der Lage ist, die Bedeutung des Antrags und seiner Erklärung einzusehen. Zunächst muss diesbezüglich klargestellt werden, dass die Vollstreckungsübernahme je nach Grad dieser Erkrankung von vorneherein als Maßnahme ungeeignet sein könnte. Ist die Krankheit des Betroffenen so schwerwiegend, dass er dauerhaft geisteskrank ist oder sogar schon sein Tod absehbar ist, so ist eine Straf­ vollstreckung wegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG durch Deutschland nicht möglich.92 Um mit dem Urteilsstaat in keine völkerrechtlichen Konflikte zu geraten, sollte die Bundesrepublik Deutschland bei solchen Erkrankungen auf völkerrechtlicher Ebene auf andere Weise versuchen, den Verurteilten aus der ausländischen Haft zu befreien. Allgemein wird diese Problematik nur sehr selten bis nie vorkommen. Zumeist reagieren die Staaten auf schlechte Gesundheitszustände von Inhaftierten, die einer anderen Staatsangehörigkeit angehören, um nicht in völkerrechtliche Konflikte zu geraten. Teilweise kann es jedoch passieren, dass diese nicht oder zu spät reagieren, wie es etwa im Fall des US-Amerikaners Otto Warmbier in nordkoreanischer Haft der Fall war.93 In solchen extremen Ausnahmefällen könnte die schnelle Rettung des Verurteilten trotz fehlender vorübergehender Antragsfähigkeit über die Vollstreckungsübernahme durchaus angebracht sein. Ist die Krankheit absehbar heilbar und vor allem gerade durch die auswärtigen Haftbedingungen ausgelöst, so könnte die Vollstreckungsübernahme eine geeignete Maßnahme darstellen, um den Verurteilten aus den strengen Haftbedingungen zu befreien. Da das Vollstreckungsübernahmeverfahren der Art nach gem. § 77 IRG der StPO zugeordnet ist, muss für den Fall der Antrags- und Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen wegen einer schweren Erkrankung, etwa Bewusstlosigkeit oder vorübergehende Geisteskrankheit, zunächst betrachtet werden, welche Kon 91

BGH, NStZ 2004, 442; Joecks / ​Hardtung, in: MüKo-StGB, § 223 Rn. 79 ff.; BGH, NJW 2010, 2963 ff. (= BGHSt 55, 191). 92 BVerfG, NJW 1986, 2241 (= BVerfGE 72, 116); BVerfG, Beschluss v. 9. März 2010, Az. 2 BvR 3012/09 (= BVerfGK 17, 133); OLG Hamburg, NStZ-RR 2006, 285; Coen, in: Graf, StPO § 455 Rn. 8. 93 Siehe Böhling, Fall Warmbier, auf www.tagesschau.de; Seibert / ​Voigt, Otto Warmbier, auf www.tagesspiegel.de

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

sequenz diese fehlende „Erklärungsfähigkeit“ im deutschen Strafprozess hätte. So würde es einem Beschuldigten, wenn er schwere psychische oder physische Störungen aufweist, schon an der Verhandlungsfähigkeit fehlen; ein Strafprozess wäre gegen ihn nicht durchführbar.94 Diese Übertragung der Verhandlungsunfähigkeit auf das Vollstreckungsübernahmeverfahren erscheint jedoch vorliegend nicht sinnvoll, da die Vollstreckungsübernahme die Lage des Betroffenen anders als ein Strafprozess nicht objektiv verschlechtert, sondern verbessert. Auch ist zu berücksichtigen, dass das Exequaturgericht zwar eine auswärtige Strafe übernimmt und insofern auch „verhängt“,95 doch diese nicht mit einer rein innerstaatlichen Strafe gleichzusetzen ist. Zu dem Zeitpunkt der Vollstreckungsübernahme steht nämlich unvermeidbar fest, dass der Verurteilte eine Strafe zu verbüßen hat. Im deutschen Strafprozess besteht dagegen eine realistische Chance des Angeklagten, dass er straffrei davonkommt, weil der Strafprozess durch die Unschuldsvermutung ergebnisoffen beginnt. Zudem wäre die Vollstreckungsübernahme dort ausgeschlossen, wo die Antragsunfähigkeit des Betroffenen auf seiner Situation im Ausland beruht. In solchen Fällen könnte der Wechsel in den deutschen, menschenwürdigen Strafvollzug bei der Genesung helfen. Die Übernahme könnte durchaus als Ausübung der staatlichen Schutzpflicht bewertet werden.96 (1) Stellung des formellen Antrags durch den gesetzlichen Betreuer Sinnvoller erscheint in den oben genannten Fällen daher, den Antrag durch einen gesetzlichen Vertreter stellen zu lassen. Dieser ist der StPO vor allem aus § 298 StPO bekannt, der die Rechtsmitteleinlegung durch den gesetzlichen Vertreter gegen eine den Vertretenen verurteilende Entscheidung zulässt. Da im Vollstreckungsübernahmeverfahren ein rechtskräftiges Urteil durch den Urteilsstaat schon gefallen ist, kann diese Vorschrift zwar nicht über § 77 IRG auf das Vollstreckungsübernahmeverfahren sinngemäß angewendet werden. Doch kann zumindest der Grundgedanke übertragen werden, dass der Vertreter dann für den Verurteilten rechtserhebliche Handlungen durchführen kann, wenn diese für den Betroffenen günstig sind. Da der Verurteilte durch die Vollstreckungsübernahme in einen menschenwürdigen Strafvollzug und somit objektiv in eine günstigere Lage gebracht wird, erscheint die formelle Antragsstellung durch den gesetzlichen Vertreter, der wie bei § 298 StPO entsprechend den Regelungen des Bürgerlichen

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Zur Verhandlungsunfähigkeit im Strafprozess siehe BVerfG, NJW 1995, 1951, 1951 f.; BGH, StV 1989, 239, 240; BGH, NStZ 1996, 242; Schneider, in: KK-StPO, § 205 Rn. 9 ff. m. w. N. 95 Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG Vor § 48 Rn. 8; siehe dazu schon S. 70 ff. 96 Ähnlich zur staatlichen Schutzpflicht und Gewährleistung von angemessenen Unterstützungshandlungen im innerstaatlichen Recht bei nicht einwilligungsfähigen Menschen siehe Schmahl, BtPrax 2016, 43, 54.

B. Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen

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Gesetzbuches zu bestimmen ist,97 sinnvoll. Eine solche Zustimmung durch den gesetzlichen Vertreter ist auch dem Vollstreckungsübernahmerecht nicht unbekannt. So sieht etwa Art. 3 Abs. 1 lit. d ÜberstÜbk ebenfalls die Zustimmung des gesetz­ lichen Ver­treters als ausreichend an, wenn der Verurteilte wegen seines körper­ lichen Zustands zu einer wirksamen Erklärung nicht in der Lage ist. (2) Materielle Zustimmung zum Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG Problematisch ist jedoch wiederum der Grundrechtsverzicht, mit dem der Verurteilte auch dem Eingriff in sein Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG zustimmt. Der gesetzliche Vertreter muss somit auch wirksam in den Eingriff in das Freiheitsrecht des Verurteilten einwilligen können. Wie auch bei Art. 3 Abs. 1 lit. d ÜberstÜbk könnten diesbezüglich die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches herangezogen werden.98 Dabei sind nicht nur die Regelungen zur gesetzlichen Vertretung bedeutend, sondern auch das zivilrechtliche Betreuungsrecht. So kann der gesetzliche Betreuer gem. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB sogar eine Unterbringung und die Freiheitsbeschränkung eines Betreuten gegen dessen Willen veranlassen, um ihn vor drohenden Gesundheitsschäden zu schützen und eine medizinische Versorgung zu ermöglichen.99 Dass ein Betreuer teilweise auch einem Eingriff in das Recht des Betreuten aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG wirksam zustimmen kann, ist dem innerstaatlichen Recht daher nicht unbekannt. Die Möglichkeit, dass anstelle des kranken Verurteilten der Betreuer im Rahmen der Ausnahmeverfahren nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG dem Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG zustimmt, erscheint wegen Ähnlichkeiten zu § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB durchaus möglich. In beiden Fällen bezweckt der Betreuer den Schutz des kranken Betreuten und eine bessere medizinische Versorgung. Der Zweck der medizinischen Versorgung ergibt sich vor allem daraus, dass der kranke Verurteilte nach Überführung in die Bundesrepublik Deutschland zunächst einer ärztlichen Heilbehandlung unterzogen werden müsste, um seinen gesundheitlichen Zustand wiederherzustellen. Dies wäre deshalb notwendig, da eine Strafvollstreckung, wie auch ein Strafverfahren, gem. § 455 Abs. 1, 4 StPO nicht gegen eine psychisch oder physisch kranke Person möglich ist.100 Je nach Grad der Erkrankung und Behandlungsform kann dann die Vollstreckung innerhalb der Krankenstation einer deutschen Strafanstalt oder eines nahe gelegenen Krankenhauses weitergeführt werden;101 ansonsten würde vor tatsäch­

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Allgayer, in: MüKO-StPO, § 298 Rn. 3 f. Siehe zu Art. 3 Abs. 1 lit. e ÜberstÜbk Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​ Gleß / ​Hackner, ÜberstÜbk Art. 3 Rn. 13. 99 Zu den Voraussetzungen des Unterbringungstatbestands siehe Schwab, in: MüKo-BGB, § 1906 Rn. 35; zur menschenrechtlichen Sicht auf die Zwangsbehandlung von Erwachsenen siehe auch Schmahl, BtPrax 2016, 43, 43 ff. 100 Coen, in: Graf, StPO § 449 Rn. 1, 8; Appl, in: KK-StPO, § 455 Rn. 1, 10 f. 101 Siehe § 65 Abs. 2 StrVollzG; Appl, in: KK-StPO, § 455 Rn. 10; Coen, in: Graf, StPO § 455 Rn. 7. 98

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

licher (weitergeführter) Vollstreckung durch Deutschland die Vollstreckung unterbrochen, § 77 Abs. 1 IRG i. V. m. § 455 Abs. 4 StPO.

Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Zustimmung des Betreuers im Rahmen von § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nur dann materiell-rechtlich gerechtfertigt ist, wenn gem. § 1906 Abs. 2 S. 3 BGB ein Betreuungsgericht die Freiheitsbeschränkung genehmigt.102 Ist der Betroffene somit auch im Falle einer potenziellen Vollstreckungsübernahme verhandlungs- und einwilligungsunfähig, könnte für die Zustimmung in den Grundrechtseingriff ebenso die Genehmigung des Betreuungsgerichts analog § 1906 Abs. 2 S. 3 BGB eingeholt werden. Das Betreuungsgericht würde dann als weitere Kontrollinstanz die Vollstreckungsübernahme und den daran anschließenden Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG absichern. Ob dies jedoch im Fall der Verfahren nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG notwendig ist, ist zweifelhaft. Das Exequaturgericht wird in erforderlicher Sorgfalt über die Vollstreckungsübernahme und den zu übernehmenden Eingriff in das Recht des Verurteilten aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG entscheiden. Dabei wird es auch zu berücksichtigen haben, ob die Zustimmung des gesetzlichen Betreuers dem mutmaßlichen Willen des kranken Verurteilten entspricht, der in jedem Fall zwingend zu beachten sein wird.103 Eine weitere Entscheidungsgewalt, die vor allem auch die Wahrung des Art. 104 Abs. 2 GG sicherstellen soll,104 bedarf es somit eigentlich nicht. Als eine Form der zusätzlichen Kontrolle könnte aber die Beteiligung des Betreuungsgerichts durchaus angedacht werden. Der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters steht auch nicht die Regelung des § 1906 Abs. 2 S. 3 BGB entgegen. Da die Freiheitsbeschränkung des Betreuten bei der Vollstreckungsübernahme nicht nur auf dem krankhaften Zustand basiert, sondern vor allem auch dem rechtskräftigen Urteil, ist es unschädlich, dass die Vollstreckung weiter vollzogen wird, wenn die medizinische Versorgung abgeschlossen ist.105 Um die Zustimmung nur im Notfall dem gesetzlichen Vertreter oder Betreuer zu überlassen, sollte die Bundesrepublik Deutschland jedoch zuvor auf den Urteilsstaat einwirken, dem Verurteilten die erforderliche medizinische Versorgung zu gewährleisten. Dies hätte den Vorteil, dass schon im Ausland auf die Einwilligungsfähigkeit und Antragsfähigkeit des Betroffenen hingewirkt werden kann.106 Bleibt er jedoch in dem erkrankten Zustand, so ist die Zustimmung des Betreuers zur Vollstreckungsübernahme und in den Grundrechtseingriff eine mögliche Lösung zum Schutz des kranken Verurteilten.

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Müller-Engels, in: Bamberger / ​Roth, BGB § 1906 Rn. 19 ff.; siehe zu den konkreten Voraussetzungen der gerichtlichen Genehmigung Schwab, in: MüKo-BGB, § 1906 Rn. 17. 103 Schmahl, BtPrax 2016, 43, 50. 104 Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG Art. 104 Rn. 33 m. w. N. 105 Siehe zu § 1906 Abs. 2 S. 3 BGB Müller-Engels, in: Bamberger / ​Roth, BGB § 1906 Rn. 23; Schwab, in: MüKo-BGB, § 1906 Rn. 89. 106 Wie auch vor Anwendung des § 1906 BGB, siehe Schmahl, BtPrax 2016, 43, 50.

B. Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen

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(3) Zusammenfassung Der Betreuer kann in den Fällen, in denen der Betroffene aus psychischen oder physischen Gründen vorübergehend antrags- und einwilligungsunfähig ist, für den schwer erkrankten Verurteilten formell den Antrag zur Vornahme der Vollstreckungsübernahme stellen, wie es der StPO auch gem. § 298 StPO bekannt ist. Auch dem Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG kann der gesetzliche Vertre­ ter zustimmen. Dies ergibt sich aus dem innerstaatlichen Betreuungsrecht gem. § 1906 Abs. 2 S. 1 BGB. Um den mutmaßlichen Willen des kranken Verurteilten zusätzlich zu sichern, könnte wie auch gem. § 1906 Abs. 2 BGB eine Genehmigung des zivilrechtlichen Betreuungsgerichts eingeholt werden. Dieses prüft vorab, ob eine Unterbringung und ein Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG des Betroffenen hinsichtlich seines Zustands gerechtfertigt erscheinen. Erst auf Grundlage der Genehmigung des Betreuungsgerichts könnte der Antrag zur Vollstreckungsübernahme dann vom Exequaturgericht angenommen werden und eine Übernahme der Vollstreckung des auswärtigen Staates geprüft werden. Ob diese zusätzliche Genehmigung durch das Betreuungsgericht jedoch zwingend ist, ist zweifelhaft. Bevor eine Zustimmung durch den Betreuer erfolgt, sollte jedoch die Bundesrepublik Deutschland in jedem Fall zuvor auf den Urteilsstaat einwirken, um so die Antragsfähigkeit des Betroffenen wiederherzustellen. Erst wenn dies nicht möglich ist, ist der Rückgriff auf den Betreuer und eine Genehmigung durch das Betreuungsgerichts verhältnismäßig.107 b) Freiwilligkeit des Antrags Wie schon die strafrechtliche Einwilligung und die zivilrechtliche Verzichtserklärung muss auch eine Willenserklärung im öffentlichen Recht freiwillig erfolgen. Dabei ist die Freiwilligkeit als eine Art „Kehrseite des Eingriffsbegriffs“ zu verstehen.108 Dahingehend gilt eine Einwilligung dann als freiwillig, wenn sie frei von Zwängen, also frei von „staatlichen Eingriffen“ erfolgt.109 Freiwillig ist eine Entscheidung somit, wenn sie ohne vorangegangene Drohung, Gewalt oder Täuschung getätigt wird.110 Dass sich der Betroffene in Haft befindet, schließt die Freiwilligkeit nicht per se aus.111 So stellt auch Stern klar, dass eine freiwillige Erklärung nicht schon dann unmöglich ist, wenn der Betroffene sich in einer unfreien Situation aufhält.112 In den Fällen der Vollstreckungsübernahme ist die Frei-

107 So auch für innerstaatliche Behandlung bei Einwilligungsunfähigen Schmahl, BtPrax 2016, 43, 53. 108 Amelung, Einwilligung, S. 83. 109 Amelung, Einwilligung, S. 83. 110 So auch BT-Drs. 18/4347, S. 93. 111 So auch BT-Drs. 18/4347, S. 93. 112 Stern, Staatsrecht III/2, S. 914.

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

willigkeit des Antrags jedoch insofern problematisch, als sich der Betroffene unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen in auswärtiger Haft befindet. Zweifelhaft ist, ob der Betroffene in einer solchen schwierigen Lage überhaupt freiwillig eine Entscheidung treffen kann.113 Da die Zustimmung zur Vollstreckungsübernahme die einzig wirkliche Chance des Betroffenen zu sein scheint, den schwierigen Umständen zu entkommen, könnte gar keine echte Handlungsalternative, also keine „echte Wahl“, gegeben sein.114 Meyer und Hüttemann vergleichen die Lage des Inhaftierten im Rahmen der Vollstreckungsübernahme nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG mit der eines in Deutschland Beschuldigten, dem die Wahl eines „freiwilligen“ Einsatzes eines Lügen­ detektors gegeben wird.115 Dieser Vergleich ist jedoch unzutreffend. Bietet man dem Beschuldigten im Prozess den Einsatz eines Lügendetektors an, birgt das nur für den tatsächlich materiell Unschuldigen einen Vorteil.116 Dieser kann durch den „Beweis des Lügendetektors“ die Länge des Prozesses verkürzen und schneller einen Freispruch erwirken. Im Falle eines materiell Schuldigen besteht bei Ablehnung des Einsatzes eines Lügendetektors dagegen die Gefahr, dass der Verdacht seiner Schuld nur verstärkt wird. Ihm wird nur scheinbar eine günstige Gelegenheit geboten, seine Unschuld zu beweisen, die er bei vorhandener Schuld weder annehmen noch ohne Druck ablehnen kann.117 In dem Sinne kann die Einwilligung in den Einsatz des Lügendetektors nie freiwillig sein, weil der Beschuldigte sich dazu gedrängt fühlen muss, zuzustimmen.118 Dabei ist es auch unerheblich, dass der Richter wegen des Nemo-tenetur-Grundsatzes nicht berücksichtigen dürfte, dass der Beschuldigte bzw. Angeklagte den Einsatz des Lügendetektors verwei-

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Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 786. Allgemein dazu Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 165. 115 Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 786; zur Unfreiwilligkeit in diesen Fällen siehe Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 168 ff. 116 Dies auch die Argumentation des OLG Dresden, welche jedoch zur Zulassung des Polygraphentest führte, siehe OLG Dresden, Beschluss v. 14. Mai 2013, Az. 21 UF 787/12; siehe dazu auch Drohsel, StV 2018, 827, 828 f. 117 BGH, NJW 1954, 649 (= BGHSt 5, 332); BVerfG, NJW 1982, 375; Peters, ZStW 1975, 664, 676; Drohsel, StV 2018, 827, 829; ähnlich auch Wagner, Polygraphie im Strafverfahren, S. 108 f.; a. A. AG Bautzen, Urteil v. 26. März 2013, Az. 40 Ls 330 Js 6351/12, in dem ein Polygraphentest als Beweismittel zugelassen wurde; Jaworski, NStZ 2008, 195, 195 ff.; Putzke et al., ZStW 2009, 607, 616 f. 118 BVerfG, NJW 1982, 375; so auch Drohsel, StV 2018, 827, 829; Aschenbach, NStZ 1984, 350, 351; Peters, ZStW 1975, 663, 676 f.; die Ablehnung der Freiwilligkeit im Falle des Einsatzes eines Polygraphentests hat der BGH in späteren Entscheidungen teilweise revidiert, siehe BGH, NJW 1999, 657, 658 (= BGHSt 44, 308); auch das BVerfG widersprach sich zur Einschätzung der Freiwilligkeit im Bereich des Reihenbluttests, BVerfG, NStZ 1996, 345, 346; bestätigend etwa Putzke et al., ZStW 2009, 607, 629 f.; dagegen allgemein kritisch Drohsel, StV 2018, 827, 827 ff.; Klimke, NStZ 1981, 433, 433 f.; Malacrida, Grundrechtsverzicht, S. 169 f.; Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 170 f. m. w. N.; siehe zum Verlauf der Rechtsprechung zum Beweismittel des Polygraphentests Schüssler, JR 2003, 188, 188 f.; Drohsel, StV 2018, 827, 827 ff. 114

B. Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen

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gerte.119 Denn ein nicht juristisch versierter Angeklagter wird das Angebot des Beweismittels des Lügendetektors immer als erhöhte Zwangssituation empfinden. Im Falle der Vollstreckungsübernahmen nach § 49 Abs. 3 IRG sowie § 54a IRG ist die Lage jedoch eine andere. Der Prozess ist schon beendet und ein Strafurteil gegen den Betroffenen schon rechtskräftig gefällt. Die Vollstreckung der Strafe muss der Verurteilte somit in jedem Fall hinnehmen. Er hat lediglich die Wahl, welcher Staat die unumgängliche Strafe vollstreckt: Entweder der Urteilsstaat oder sein Heimatstaat Deutschland als Vollstreckungsstaat. Diese Wahl ist, anders als im Falle des Einsatzes eines Lügendetektors, nicht nur eine scheinbare, sondern eine tatsächliche. Tatsächlich können auch andere Beispiele, wie die Zustimmung eines schmerzleidenden Patienten in einen ärztlichen Eingriff oder die Zustimmung eines Inhaftierten in eine Kastration nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 KastrG, aufzeigen, dass die Freiwilligkeit nicht schon dann ausgeschlossen ist, wenn die Entscheidungsfreiheit des Betroffenen durch äußere Begebenheiten eingeschränkt ist. So kann die Freiwilligkeit der Entscheidung eines schmerzleidenden Patienten nicht dadurch ausgeschlossen sein, dass der „rettende“ ärztliche Eingriff objektiv die einzige Chance zur Besserung seines Gesundheitszustandes und seiner Schmerzen ist.120 Hatte der Patient etwa einen schlimmen Verkehrsunfall, bei dem sein Bein irre­parabel verletzt wurde, kann er auch trotz der Tatsache, dass die Amputation objektiv seine einzige Chance ist, um weiterhin am Leben teilzunehmen, dem ärztlichen Eingriff freiwillig zustimmen. Er hat faktisch nur die Wahl, den Eingriff zu verweigern und sich den tödlichen Nebenfolgen seiner Verletzungen hinzugeben.121 Ähnlich ist auch die Möglichkeit der freiwilligen Entscheidung des Verurteilten in auswärtiger Haft zu bewerten. Der Verurteilte hat in dieser Lage die echte Wahl, die auswärtige Strafe im Urteilsstaat oder in seinem Heimatstaat Deutschland zu verbringen. Dass die Entscheidung für die Haft im Urteilsstaat aufgrund der schwierigen Haftbedingungen objektiv keine gute sein mag, schließt die Freiwilligkeit der Entscheidung ebenso wenig aus, wie dies bei der Entscheidung zur Amputation des Beines der Fall wäre. Zudem ist auch Folgendes zu bedenken: Bei der Freiwilligkeit einer Entscheidung muss auch stets berücksichtigt werden, wessen Interessen verfolgt werden. Dient eine Einwilligung nur dem eigenen Interesse des Einwilligenden, so müssen niedrigere Anforderungen an die Freiwilligkeit gestellt werden, als wenn sie nur

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Drohsel, StV 2018, 827, 829; Würtenberger, JZ 1951, 772, 773 f.; ähnlich auch BGH, NJW 1954, 649 f. (= BGHSt 5, 332); zum Grundsatz im Zusammenhang mit einem Polygraphentest siehe vertiefend Wagner, Polygraphie im Strafverfahren, S. 64 ff.; dagegen für Zulässigkeit des Polygraphentests etwa Schüssler, JR 2003, 188, 191 m. w. N.; Putzke et al., ZStW 2009, 607, 607 ff.; Putzke / ​Scheinfeld, StraFo 2010, 58, 62 f. 120 So auch allgemein Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 35. 121 Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 35.

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

oder auch fremden Interessen dient.122 Die Ausnahmeverfahren der Vollstreckungsübernahme bezwecken den Schutz des im Ausland Verurteilten. Dieser soll durch die Anwendung des § 49 Abs. 3 IRG und des § 54a IRG nicht nur in einen menschenwürdigen Strafvollzug überführt, sondern auch wieder näher an seine sozialen Kontakte verbracht werden.123 Dagegen sind die Interessen der Bundesrepublik Deutschland an einer Vollstreckungsübernahme über § 49 Abs. 3 S. 1 IRG oder § 54a IRG gering. Denn die Bundesrepublik Deutschland möchte grundsätzlich nur Urteile zur Vollstreckung übernehmen, die auch im eigenen Strafverfahren hätten ergehen können, wie am allgemeinen Verfahren erkennbar ist. Die Ausnahmevollstreckungsübernahmen dienen somit vor allem dem Interesse des Betroffenen. Dieser verschlechtert seine Lage durch die Stellung des Antrags zur Vollstreckungsüberahme nicht, sondern kann diese vielmehr objektiv verbessern.124 Die Anforderungen an die notwendige Voraussetzung der Freiwilligkeit sollten daher nicht unnötig streng sein. Sieht man das Beispiel eines (freien) schmerzleidenden Patienten und die freiwillige Entscheidung zu einem Eingriff, der endgültige Folgen nach sich zieht, mit der Situation eines inhaftierten Betroffenen als nicht vergleichbar an, so kann vorliegend zusätzlich das Beispiel eines sich in Haft befindenden Sexualverbrechers herangezogen werden. Bei der Einwilligung zur Kastration gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 3 KastrG kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Inhaftierte der Kastration nur zustimmt, weil er darin seine einzige Chance auf eine frühere Haftentlassung erblickt.125 Die scheinbar einzige Möglichkeit, durch die Zustimmung zur Kastration aus der Haft entlassen zu werden, könnte somit dazu veranlassen, auch hier die Freiwilligkeit der Entscheidung des Inhaftierten anzuzweifeln. Dennoch wird die Freiwilligkeit der Zustimmung zur Kastration nur dann verneint, wenn die aktuelle Lage sowie die Aussicht auf Haftentlassung das einzige Motiv des Betroffenen für die Zustimmung darstellen und die krankhaften Folgen sowie die Beseitigung der krankhaften Störung für keinen Moment ausschlaggebend für die Einwilligung sind.126 Der Inhaftierte hat daher im Falle der Kastration nur die Wahl zwischen zwei Übeln, dem der rechtsstaatlichen Unterbringung und dem des krankhaften

122 Amelung, Einwilligung, S. 91 f.; Pietzcker, in: der Staat, S. 550; Krause, MschKrim 1967, 240, 250; so auch berücksichtigt bei der Normierung des KastrG bei krankhaften triebhaften Störungen, siehe BT-Drs. V/3702, S. 18. 123 BT-Drs. 18/4347, S. 88, 92, 97; siehe auch schon S. 91 f. 124 Ähnl. in Fällen der Sicherungsverwahrten Krause, MschKrim 1967, 240, 250; „Im Übrigen wird ihm [dem Betroffenen; Anm. d. Verf. ] als ‚Gegenleistung‘ für seinen Entschluss ja auch wesentlich mehr in Aussicht stehen als eine ‚mildere Bestrafung‘; das Risiko ist also unter allen Umständen lohnender.“ 125 Siehe dazu Langelüddeke, Entmannung, S. 123; Krause, MschKrim 1967, 240, 240 f. 126 Golbs, in: Golbs, KastrG § 3 Rn. 12; BGH, NJW 1964, 1190, 1192 (= BGHSt 19, 201); Krause, MschKrim 1967, 240, 242; zur Entmannung und körperlichen Auswirkungen siehe Langelüddeke, Entmannung, S. 47 ff.

B. Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen

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Triebes.127 Auch im Falle des im Ausland unter schwierigen Bedingungen Inhaftierten bleibt in ähnlicher Weise die Wahl zwischen zwei Übeln: Die auswärtige Strafe weiterhin im Urteilsstaat zu verbüßen oder die Übernahme der auswärtigen Strafe durch die Bundesrepublik Deutschland zu bestätigen und dafür in den Heimatstaat verbracht zu werden. Dabei wird aber für den Verurteilten nicht nur die Überführung in bessere Haftbedingungen ausschlaggebend sein, sondern auch, dass dieser wieder im gewohnten Umfeld und in der Nähe seiner sozialen Kontakte ist. Ähnlich wie die Zustimmung zur Kastration nach § 2 Abs. 1 Nr. 3, § 3 KastrG ist in einem solchen Fall auch die freiwillige Entscheidung nicht wegen der eingeschränkten Entscheidungsmöglichkeit eines im Ausland Inhaftierten von vornherein ausgeschlossen. Dies bestätigt sich nochmals, wenn berücksichtigt wird, dass die Einwilligung eines Inhaftierten zu einer Kastration gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 KastrG sogar endgültig ist. Der Antrag zur Vollstreckungsübernahme dagegen hat nicht solch dauerhafte Folgen. Kann jedoch ein Inhaftierter einer endgültigen Kastration trotz einer eingeschränkten Entscheidungslage freiwillig zustimmen, um (zumindest auch) Haftmilderungen oder eine frühere Haftentlassung zu erreichen, so muss erst recht ein Verurteilter in auswärtiger Haft, auch unter strengen Haftbedingungen, eine freiwillige Entscheidung zur Vollstreckungsübernahme treffen können, um in einen für ihn günstigeren Strafvollzug zu gelangen.128 Die Entscheidung hat objektiv nur positive Konsequenzen für den Verurteilten, schützt insbesondere seine Interessen und birgt nicht lebenslange Einschränkungen wie eine Kastration. Es zeigt sich, dass die schwierigen Bedingungen der auswärtigen Haft und die eingeschränkte Entscheidungslage des Betroffenen zwar den Willen des Betroffenen beeinflussen können, jedoch die Möglichkeit einer freiwilligen Erklärung und Antragsstellung nicht ausschließen.129 Es liegt in der Natur der Sache, dass äußere Bedingungen wie eine Haftsituation oder andere feststehende Faktoren eine Entscheidung beeinflussen. Jeder Entschluss beruht auf mitwirkenden Umständen und verfolgt dabei einen bestimmten Zweck.130 Insofern stehen die erschwerten Haftbedingungen in der Lage des Betroffenen nicht von vorneherein einer freiwilligen Antragsstellung entgegen.

127 BT-Drs. V/3702, 17; BGH, NJW 1964, 1190, 1192 (= BGHSt 19, 201); Krause, MschKrim 1967, 240, 241; zur Auswirkung der Entmannung auf den krankhaften Trieb siehe Lange­ lüddeke, Entmannung, S. 124. 128 Ähnliche Argumentation zur Zulässigkeit des Polygraphentests bei Putzke et al., ZStW 2009, 607, 632. 129 BGH, NJW 1964, 1990, 1992 (= BGHSt 19, 201); BT-Drs. V/3702, S. 18; so auch BTDrs. 18/4347, S. 93 130 A. a. O.

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

c) Unwiderruflichkeit des Antrags Mit der Unwiderruflichkeit des Antrags ist nicht nur das allgemeine Verbot der Rücknahme des Antrags nach Rechtskraft der Entscheidung des Exequaturgerichts gemeint, sondern auch, dass der Betroffene nach Rechtskraft der Entscheidung selbst schwere Willensmängel, die bei Stellung des Antrags vorlagen, nicht mehr geltend machen können soll.131 Es soll vorliegend zunächst allgemein die Unwiderruflichkeit des Antrags hinterfragt werden, um sich dann dem absoluten Ausschluss des Widerrufs des Antrags nach den Vorstellungen des Gesetzgebers in den Verfahren nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG zuzuwenden. aa) Allgemeine Unwiderruflichkeit des Antrags (1) Unwiderruflichkeit von Prozesserklärungen Die Unwiderruflichkeit einer Erklärung ist bei sog. Prozesserklärungen bekannt. So gehört es zu den grundlegenden Prozessregeln, dass Erklärungen innerhalb eines Prozesses, insbesondere solche, die sich auf die Beendigung eines Prozesses richten, unwiderruflich und unanfechtbar sind.132 Die Unanfechtbarkeit von Prozesserklärungen beruht darauf, dass sich an diese unmittelbare Rechtsfolgen öffentlich-rechtlicher Art anschließen, die selbst nicht rückgängig gemacht werden können.133 Durch Prozesserklärungen werden demnach rechtliche Situationen geschaffen, die endgültig Bestand finden müssen, wie etwa der Rechtsmittel­verzicht im Strafprozess.134 Auch der Antrag des Betroffenen im Rahmen der Vollstreckungsübernahme stellt eine solche Prozesshandlung öffentlich-rechtlicher Natur dar.135 Im Falle der Vollstreckungsübernahme ist die unmittelbare Rechtsfolge der Erklärung des Betroffenen die Entscheidung des Exequaturgerichts, die letztendlich auch als Vollstreckungsgegenstand Bedeutung erlangt.136 Hierauf aufbauend wird zusätzlich im Anschluss an die positive Entscheidung der Bewilligungsbehörde nach § 56 Abs. 1 IRG die grenzüberschreitende Rechtshilfe mit dem Urteilsstaat vereinbart. Ab Rechtskraft der positiven Entscheidung des Gerichts muss die Bundesrepublik Deutschland somit auf den Bestand der Vollstreckungsübernahmeentscheidung 131

BT-Drs. 18/4347, S. 93 f.; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 36 mit Verweis auf § 41 Rn. 39 f. 132 Schmitt, in: Meyer-Goßner / ​Schmitt, Einl., Rn. 101 f.; BGH, NJW 1962, 598 (= BGHSt 17, 14, 18); BGH, NJW 1997, 2691 (= BGH, Beschluss vom 20. Juni 1997, Az. 2 StR 275/97); BVerwG, NJW 1997, 2897; BGH, NJW-RR 1986, 1327; VGH Mannheim, VBlBW 1983, 369. 133 BGH, NJW 1962, 598 (= BGHSt 17, 14, 18). 134 BGH, Beschluss v. 10. November 2015, Az. 1 StR 520/15; BGH, NStZ 2001, 220; BGH, NStZ-RR 2017, 92. 135 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 36 mit Verweis auf § 41 Rn. 39. 136 Siehe dazu S. 70 ff.

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vertrauen können. Wäre ein nachträglicher Widerruf des Antrags möglich, wäre die Rechtshilfevereinbarung gegenüber dem Urteilsstaat gefährdet. Die Erklärung des Verurteilten muss also unbedingt Bestand haben, sodass die Vollstreckungsübernahme gegenüber dem Urteilsstaat vertrauensvoll erklärt werden kann. So wird die Unwiderruflichkeit des Antrags auch durch den Gesetzgeber damit begründet, dass die Durchführung der Vollstreckungsübernahme und somit auch der zukünftige Rechtshilfeverkehr sowie die völkerrechtliche Beziehung zum Urteilsstaat geschützt werden soll.137 Eine nachträgliche Aufhebung der Vollstreckung wegen Widerrufs des Antrags durch den Betroffenen würde das Vertrauen des Urteilsstaates zum Vollstreckungsstaat schädigen und dazu führen, dass in anderen potenziellen Vollstreckungsübernahmefällen der vergleichbare Weg versperrt wäre.138 Der Schutz der Rechtssicherheit und des Bestands der Vollstreckungsübernahme muss sichergestellt sein.139 Bis zur Rechtskraft der Entscheidung des Exequaturgerichts kann der Betroffene jedoch den Antrag widerrufen und etwaige Irrtümer mit der sofortigen Beschwerde gem. § 55 Abs. 2 IRG i. V. m. § 311 ff. StPO geltend machen.140 Dies bedeutet letztendlich, dass der Verurteilte ab Rechtskraft der Exequaturentscheidung seine Meinung nicht mehr ändern kann, weil an den Antrag die Eingehung einer völkerrechtlichen Verbindlichkeit knüpft, die nicht ohne Weiteres rückgängig gemacht werden kann. (2) Unwiderruflichkeit des Grundrechtsverzichts Problematisch ist jedoch, dass der Antrag des Betroffenen im Rahmen von § 49 Abs. 3 und § 54a IRG nicht nur eine reine Prozesserklärung darstellt, sondern zugleich auch eine Einwilligung in den Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Dies hat zur Folge, dass der Antrag als Prozesshandlung zwar unwiderruflich ist, die materielle Zustimmung zum Eingriff jedoch wegen Willensmängel in der Interessensäußerung angreifbar bleibt.141 Auch insofern stellt die Unwiderruflichkeit jedoch keine Besonderheit dar, bedenkt man, dass Einwilligungen in eine staatliche Maßnahme immer nur solange widerrufen werden können, wie auch die Maßnahme noch nicht begonnen bzw. noch nicht (rechtskräftig) beendet wurde.142 Bei der Vollstreckungsübernahme ist die konkrete Rechtshilfe nach der zweigeteilten Rechtshilfesicht143 die Exequaturentscheidung des Gerichts. Erwächst die Übernahmeentscheidung des Exequaturgerichts somit in Rechtskraft, ist auch 137

BT-Drs. 18/4347, S. 94, 101. BT-Drs. 9/2137, S. 24; BT-Drs. 18/4347, S. 94; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​ ­Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  6. 139 BT-Drs. 18/4347, S. 93. 140 BT-Drs. 18/4347, S. 93 f. 141 Leichte Parallelen können ggf. beim sog. Prozessvergleich gesehen werden, siehe zum Prozessvergleich Ortloff, in: Schoch / ​Schneider / ​Bier, VwGO § 106 Rn. 27, 57. 142 Malorny, JA 1974, 475, 479 f. 143 Siehe S. 70 ff. 138

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

die „Maßnahme“, zu der zugestimmt wurde, grundsätzlich als beendet anzusehen. Da auf Grundlage der Exequaturentscheidung jedoch ein fortlaufender Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG stattfindet, kommt ein weiterer Zeitpunkt in Betracht, an dem spätestens die Maßnahme beendet ist. So ist in der Zustimmung des Verurteilten auch das Ersuchen um Vornahme der Vollstreckungshilfe enthalten.144 Mit diesem Ersuchen ist notwendigerweise verbunden, dass die Bundesrepublik Deutschland mit dem Urteilsstaat eine völkerrechtliche Verbindlichkeit eingeht. Dieser Vertrag findet zwar durch den Dualismus des nationalen und internationalen Rechts in Deutschland keine unmittelbare Anwendung als Rechtsgrundlage;145 doch bedingt dieser, dass das Ende der Maßnahme, zu welcher der Verurteilte zustimmt, auch an dem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag der Vollstreckungsübernahme festgemacht werden muss. Neben der Maßnahme der Exequaturentscheidung ist also für den Zeitpunkt der letzten Widerrufsmöglichkeit auch der Zeitpunkt zu beachten, in dem der völkerrechtliche Vertrag nicht mehr ohne schwerwiegende Konsequenzen rückgängig gemacht werden kann. Dies ist spätes­ tens der Zeitpunkt des Vollzugsbeginns, also die Überführung des Betroffenen in den deutschen Strafvollzug. Dies bedeutet, dass die Unwiderruflichkeit der materiellen Zustimmung zur Vollstreckungsübernahme durch den Betroffenen zunächst ab Rechtskraft der Exequaturentscheidung, spätestens aber mit Vollzugsbeginn der Vollstreckung der Exequaturentscheidung eintritt. Die grundsätzliche Unwiderruflichkeit des Antrags stellt somit auch für den Grundrechtsverzicht keine Besonderheit dar. bb) Unwiderruflichkeit bei schweren Willensmängeln Die Besonderheit an der Unwiderruflichkeit des Antrags im Rahmen von § 49 Abs. 3 IRG und § 54a Abs. 1 und Abs. 2 IRG liegt darin, dass der Gesetzgeber diese selbst dann annimmt, wenn der Antrag auf schweren Willensmängeln beruht.146 Der Gesetzgeber betitelt dies als eine Art „Sonderopfer“147 des Verurteilten, weil er trotz fehlerhaften Verfahrens einen Eingriff in sein Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG weiter hinnehmen muss. Der Fall eines unter schweren Willensmängeln gestellten Antrags ist etwa denkbar, wenn der Urteilsstaat seinen Strafvollzug entlasten möchte und den Verurteilten deshalb mit Gewalt zur Antragsstellung zwingt. Auch andere Mitinsassen könnten den Betroffenen als Feind betrachten und aus ihrem „Revier“ drängen wollen, indem sie ihn durch Todesdrohungen zur Antragsstellung bewegen.

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Siehe S. 99 ff. Nettesheim, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 59 Rn. 170; Geiger, Staatsrecht III, § 7 S. 15 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 701 f. 146 BT-Drs. 18/4347, S. 94, 101. 147 BT-Drs. 18/4347, S. 94. 145

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Die Ansicht des Gesetzgebers, dass der Antrag gem. § 49 Abs. 3 S. 1 IRG bzw. § 54a Abs. 2 IRG ungeachtet jeglicher Willensmängel unwiderruflich sein soll, ist jedoch fraglich. Zwar sind Prozesserklärungen grundsätzlich unwiderruflich, doch bedeutet dies nicht, dass Willensmängel in der Antragsstellung stets unbeachtlich sein müssen.148 So stellte der BGH bereits fest, dass die grundsätzliche Unanfechtbarkeit wegen Irrtums nicht auch beinhaltet, dass auch Täuschung, Zwang und Drohung unbeachtlich sind.149 Die Rechtsstaatlichkeit und das Gebot der Gerechtigkeit gebieten es vielmehr, dass es Ausnahmen von der Unbeachtlichkeit von Willensmängel bei Prozesserklärungen geben muss. Inwieweit ein Willensmangel jedoch beachtlich ist, muss von der Art und der Entstehung des Willensmangels im Einzelfall abhängig gemacht werden. Es soll somit im Einzelfall betrachtet werden, ob „Gründe der Gerechtigkeit den Vorrang vor dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit“ gebieten. Vor allem Erklärungen, die unter Todesdrohungen erzwungen wurden, können nicht als stets bindend betrachtet werden.150 Bei der Prozesserklärung des Rechtsmittelverzichts ist es sogar anerkannt, dass diese von vorneherein unwirksam sind, wenn nachträglich bewiesen ist, dass der Betroffene bei der Erklärung wegen Drohung und Gewalt schweren Willensmängel unterlag.151 Auch für den Antrag zur Vollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 IRG und § 54a Abs. 1, 2 IRG muss dieser Grundsatz gelten. Zwar ist er wegen Irrtums unwiderruflich, doch kann dies nicht bedeuten, dass sogar schwere Willens­mängel, die auf Drohung und Gewalt beruhen, stets unbeachtlich für den Bestand des Antrags sein können. Vielmehr muss, wie auch bei der Erklärung eines Rechts­m ittelverzichts, betrachtet werden, worauf der Willensmangel beruht und wie schwer dieser wiegt. Eine absolute Unwiderruflichkeit und Unanfechtbarkeit des Antrags kann somit nicht bestehen. Dennoch muss dem Gesetzgeber teils zugestimmt werden. Im Falle der Ausnahmevollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 und § 54a IRG wird der Verurteilte meist in bessere Haftbedingungen überführt, in denen auch seine Rechte grundlegend beachtet und geschützt werden. Dass ein Willensmangel in der Antragsstellung so schwer wiegt, dass Gründe der Gerechtigkeit die Rechtssicherheit überwiegen, wird aufgrund der Verbesserung der Lage des Verurteilten daher nur selten anzunehmen sein. Selbst bei den oben genannten Beispielen kann vorgebracht werden, dass der Zwang und die Gewalt auf der Situation des Verurteilten in auswärtiger Haft beruht, von der er durch die Vollstreckungsübernahme erst befreit werden müsste. Zumeist wird der Antrag daher durch den letztendlichen Schutz des Verurteilten auch bei schweren Willensmängeln unwiderruflich sein. Möglich erscheint jedoch die Anfechtung schwerer Willensmängel etwa in dem Fall, in dem der Berufskonsular dem Verurteilten mit Kontaktsperre zum Heimat 148 BGH, NJW 1962, 598 (= BGHSt 17, 14); Schmitt, in: Meyer-Goßner / ​Schmitt, Einl., Rn. 103 f. 149 BGH, NJW 1962, 598 (= BGHSt 17, 14). 150 BGH, NJW 1962, 598 (= BGHSt 17, 14). 151 Allgayer, in: MüKO-StPO, § 302 Rn. 33 f.; BGH, NJW 2004, 1885; BGH, NStZ 2005, 279.

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

staat und anderen empfindlichen Zwängen droht, um eine Antragsstellung zu erwirken und so eine vom Urteilsstaat versprochene Geldleistung zu erhalten. Ein solcher Willensmangel könnte aus Gründen der Gerechtigkeit beachtlich sein und somit angefochten werden. Jedoch wird ein solcher Willensmangels im Falle der Vollstreckungsübernahme selten sein. Der Ansicht des Gesetzgebers, dass der Verurteilte eine Art „Sonderopfer“152 bei der Vollstreckungsübernahme wegen der Unwiderruflichkeit des Antrags erbringt, ist somit aus zwei Gründen entgegenzutreten. So sind Prozesserklärungen auch im rein innerstaatlichen Recht bei Willensmängeln grundsätzlich unanfechtbar. Eine besondere „Duldungspflicht“ des Betroffenen wegen der Unwiderruflichkeit des Antrags im Vollstreckungsübernahmeverfahren besteht daher im Vergleich zum innerstaatlichen Recht nicht. Des Weiteren kann ein Grundsatz, dass Willensmängel im Antrag zur Vollstreckungsübernahme stets unbeachtlich wären, nicht absolut gelten. Vielmehr muss im Einzelfall betrachtet werden, ob Gründe der Gerechtigkeit den Widerruf und die Anfechtbarkeit des Antrags bedingen. Gerade bei schweren Willensmängeln, die etwa auf Zwang oder Gewalt beruhen, muss im Einzelfall bewertet werden, ob diese nachträglich beachtlich sein können. Dass ein Antrag jedoch an solch schweren Willensmängeln leidet, ist im Falle der Vollstreckungsübernahmen nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG unwahrscheinlich. cc) Zusammenfassung Die grundsätzliche Unwiderruflichkeit des Antrags stellt zunächst keine Besonderheit dar. Als Prozesserklärung ist der Antrag, wie auch im rein innerstaatlichen Prozess, grundsätzlich unwiderruflich. Auch die fehlende Widerrufsmöglichkeit hinsichtlich der Zustimmung zum Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG als Grundrechtsverzicht ist unerheblich, weil die Zustimmung nur solange zurückgenommen werden kann, wie die Maßnahme, in die eingewilligt wurde, noch nicht beendet ist. Mit der völkerrechtlichen Verbindlichkeit der Vereinbarung mit dem Urteilsstaat und Überführung des Betroffenen auf deutsches Territorium ist die Maßnahme jedoch spätestens beendet. Entgegen der Ansicht des Gesetzgebers ist der Antrag nicht stets unwiderruflich. Aus Gründen der Gerechtigkeit muss vielmehr im Einzelfall betrachtet werden, wie schwer der Willensmangel wiegt. Das vom Gesetzgeber betitelte „Sonderopfer“ des Betroffenen im Vollstreckungsübernahmeverfahren besteht nicht, da die Unwiderruflichkeit des Antrags nicht absolut gilt.

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BT-Drs. 18/4347, S. 94.

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d) Belehrung des Verurteilten Nicht nur im Strafprozess gehören Belehrungs- und Hinweispflichten notwendigerweise zu einem fairen Verfahren.153 Als Ausfluss der Vorsorge- und Fürsorgepflicht des Rechtsstaates aus Art. 20 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 28 Abs. 1 GG stellen diese vielmehr in jeglichen Verfahren die vollständige Kenntnis des Betroffenen über seine Rechte und daraus erwachsenden Möglichkeiten sicher.154 Dies schützt nicht nur die Subjektstellung des Verurteilten,155 sondern auch sein Recht auf rechtliches Gehör.156 Durch die Belehrung können zudem Irrtümer und Fragen vor der Abgabe einer rechtlichen Erklärung auf- bzw. geklärt werden.157 Auch die Belehrung im Rahmen von § 49 Abs. 3 S. 4 IRG und § 54a Abs. 2 S. 4 IRG durch einen ermächtigten Berufskonsularbeamten dient den elementaren Zwecken, die Subjektstellung des Betroffenen,158 und seinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG zu schützen.159 Insbesondere die gesetzlich angeordnete Unwiderruflichkeit des Antrags begründet die Fürsorgepflicht des Rechtsstaats, den Betroffenen auf die Tragweite der Entscheidung und die Endgültigkeit der Zustimmung nach Fristablauf aufmerksam zu machen.160 So muss für eine wirksame Einwilligung des Betroffenen in die Vollstreckungsübernahme gewährleistet sein, dass er jegliche damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen kennt. Ihm muss das Institut der Vollstreckungsübernahme erklärt, deren Tragweite sowie die Unwiderruflichkeit des Antrages eindeutig bewusst gemacht werden.161 Daneben muss dem Betroffenen auch die rechtliche Besonderheit seiner Situation aufgezeigt werden. Mit dem Antrag stimmt der Betroffene der Vollstreckung einer Strafe in Deutschland zu, die nach deutschem Recht ohne einen völkerrechtlichen Bezug nicht hätte vollstreckt werden können. Dem Betroffenen muss somit mehr als deutlich gemacht werden, dass in seinem konkreten Fall nicht die vollständige Wertvorstellung des deutschen Rechts, sondern vielmehr zum Schutz seiner Rechtsgüter ein vermindertes Rechts-, dafür aber ein erhöhtes Schutzmaß angelegt wird. Durch die ausführliche Belehrung wird ihm eine hinreichende Entscheidungsbasis gegeben, auf deren Grundlage er eine geeignete Abwägung in Bezug auf seine Rechte und Möglichkeiten vornehmen und eine informierte Entscheidung treffen kann. 153

Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 110. Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 110 f. 155 Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 110. 156 Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 113. 157 Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 116. 158 Wie auch schon im Rahmen von § 49 Abs. 2, siehe dazu Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 33; BT-Drs. 12/3533, S. 20. 159 LG Ravensburg, Beschluss v. 22. März 1985, Az. 1 StVK 174/84, zitiert nach Eser  / ​ ­L agodny  / ​Wilkitzki, Rechtsprechungssammlung, S. 411; siehe zum Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG Art. 103 Rn. 2; dies., in: HStrfR I, § 2 Rn. 43. 160 OLG Karlsruhe, Beschluss v. 24. Februar 1988, Az. 1 AK 7/88. 161 So auch zu § 49 Abs. 2 IRG OLG Karlsruhe, Beschluss v. 24. Februar 1988, Az. 1 AK 7/88. 154

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

Wird der Betroffene nicht oder nur lückenhaft belehrt, so ist der Antrag des Betroffenen von Beginn an unwirksam.162 Nicht nur, weil ihn eine fehlende oder lückenhafte Belehrung in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt,163 sondern vor allem auch, da er ohne umfassende Entscheidungsgrundlage gar nicht fähig ist, einen rechtlich wirksamen Willen zur Abgabe des Einverständnisses zur Vollstreckungsübernahme zu bilden. Es ist also entscheidend, dass die belehrenden Stellen die Ordnungsmäßigkeit der Belehrung und die Entscheidungsfähigkeit bei Stellung des Antrags sicherstellen und so potenzielle Fehler von vorneherein vermeiden. Dass die Belehrung durch einen deutschen Berufskonsularbeamten und nicht wie in § 49 Abs. 2 IRG durch einen ausländischen Richter durchgeführt wird, zeigt die erhöhte Bedeutung der ordnungsgemäßen Aufklärung des Betroffenen im Rahmen des Verfahrens nach § 49 Abs. 3 IRG und § 54a IRG. Von einem ausländischen Richter kann nicht erwartet werden, dass er den Betroffenen auf mögliche Defizite des auswärtigen Strafverfahrens nach deutschem Rechtsverständnis und daraus resultierende Konsequenzen für die Vollstreckungsübernahme durch Deutschland hinweist.164 Eine umfassende Belehrung über das deutsche Recht wäre so nicht gewährleistet. Ohne diese ist jedoch eine wirksame Entscheidung des Betroffenen nicht möglich. e) Protokoll im Antragsverfahren Als entscheidendes Element der wirksamen Willensbildung des Betroffenen muss sichergestellt sein, dass das Antragsverfahren und die darin getätigte Belehrung des Betroffenen ordnungsgemäß und vollständig durchgeführt wurden. Als Beweis dient ein Protokoll, das der Berufskonsularbeamte bei Stellung des Antrags des Betroffenen gem. § 49 Abs. 3 S. 2 IRG bzw. § 54a Abs. 2 S. 2 IRG führen muss. Es muss alle wesentlichen Elemente, welche die Wirksamkeit des Antrags betreffen, beinhalten, sodass neben der generellen Antragsfähigkeit des Betroffenen auch der Vermerk einer vollständigen Belehrung nicht fehlen darf.165 Im Exequaturverfahren hat das Exequaturgericht die Pflicht, die Wirksamkeit des Antrags anhand des Protokolls zu überprüfen. Bestehen anhand des Protokolls Zweifel an einem ordnungsgemäßen Antragsverfahren, müssen diese vor der gerichtlichen Entscheidung beseitigt werden. Stellt sich im Verfahren etwa die Fehlerhaftigkeit der Belehrung heraus, muss der Verurteilte erneut belehrt werden und einen neuen Antrag auf Grundlage der geschaffenen umfassenden Entscheidungsbasis 162 So auch BT-Drs. 18/4347, S. 93; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​ Hackner, IRG § 49 Rn. 22. 163 LG Ravensburg, Beschluss v. 22. Mai 1985, Az. 1 StVK 174/84, zitiert nach Eser  / ​ ­L agodny  / ​Wilkitzki, Rechtsprechungssammlung, S. 411. 164 BT-Drs. 18/4347, S. 93. 165 BT-Drs. 18/4347, S. 93, 101.

B. Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen

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stellen. Erst mit einer protokollierten wirksamen Belehrung kann das Exequaturgericht die Wirksamkeit des Antrags des Betroffenen annehmen und ihn in der Abwägung berücksichtigen.166 4. Zusammenfassung Der Antrag und das Interesse des Betroffenen bilden einen wesentlichen Faktor in den Ausnahmeverfahren einer Vollstreckungsübernahme, sodass sichergestellt werden muss, dass der Antrag wirksam abgegeben wird. Die Freiwilligkeit der Entscheidung eines Betroffenen, der sich in gesundheitsgefährdender Haft befindet, ist trotz der unfreien und entscheidungsbeeinflussenden Situation nicht per se ausgeschlossen. Eine andere Einschätzung würde zu dem Ergebnis führen, dass gerade in den Härtefällen eine freiwillige Entscheidung des Betroffenen gar nicht möglich wäre. Zum Schutz des Bestands des Antrags ist dieser grundsätzlich unwiderruflich. Dies stellt jedoch insoweit keine Besonderheit dar, als es sich bei dem Antrag des Betroffenen um eine allgemeine Prozesserklärung handelt, die zum Schutz der damit verbundenen Rechtsfolgen grundsätzlich nicht zurückgenommen werden darf und auch die Zustimmung zu einer staatlichen Maßnahme nur solange zurückgenommen werden kann, wie auch die Maßnahme noch nicht beendet ist. Mit Rechtskraft der Exequaturentscheidung, spätestens jedoch mit Eingehung der völkerrechtlichen Verbindlichkeit, ist die Maßnahme beendet. Bei schweren Willensmängeln, wie Gewalt und Drohung, kann im Einzelfall der Widerruf des Antrags jedoch möglich sein. Notwendig für die Wirksamkeit des Antrags ist die allgemeine Antragsfähigkeit und eine ordnungsgemäße Belehrung des Betroffenen. Beide Voraussetzungen werden gem. § 49 Abs. 3 S. 4 IRG und § 54a Abs. 2 S. 4 IRG durch den durchführenden Berufskonsularbeamten protokolliert. Nur auf Grund eines schlüssigen Protokolls darf das Exequaturgericht einen Übernahmebeschluss treffen. Ist der Verurteilte aufgrund einer absehbar heilbaren Erkrankung vorübergehend antragsunfähig und kann diese im Ausland nicht kurzfristig geheilt werden, so kann der gesetzliche Vertreter bzw. sein Betreuer den Antrag für den Betroffenen im Vollstreckungsübernahmeverfahren stellen.

166

BT-Drs. 18/4347, S. 93, 101.

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

II. Abwägung des Gerichts gem. § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1, 2 IRG Hat der Betroffene nach ergangener Belehrung einen entsprechenden Antrag auf ein Ausnahmeverfahren nach § 49 Abs. 3 IRG oder § 54a Abs. 1, Abs. 2 IRG gestellt, so hat das Gericht unter Beachtung der Interessen des Betroffenen und der Interessen der Bundesrepublik Deutschland eine umfassende Abwägung vorzunehmen. Das gerichtliche Verfahren hat die schwierige Aufgabe, die teils wider­ sprechenden Interessen ins Verhältnis zu setzen und letztendlich zu gewichten.167 Diese Abwägung des Exequaturgerichts hat prägenden Charakter für die Ausnahmevollstreckung. In der Abwägung prüft das Gericht bis zur Grenze des § 73 S. 1 IRG, inwieweit eine Ausnahmevollstreckungsübernahme zu Lasten der eigenen Rechtsordnung und des eigenen Rechtsverständnisses für den konkreten Einzelfall sinnvoll und notwendig ist. Dafür stellt es mehrere Aspekte gegenüber. Es hat auf der einen Seite den Willen des Verurteilten und die Fürsorgepflicht, die ihm gegenüber besteht, und auf der anderen Seite zu bewerten, wie schwer die Verstöße des auswärtigen Urteils gegen eigene Rechtsstandards wiegen und wie weit vom Interesse des Staates, die eigene Rechtsordnung und Wertvorstellung zu wahren, abgewichen werden kann. Das Gericht betrachtet unter anderem, wie groß das Resozialisierungsinteresse der verurteilten Person an einer Vollstreckung in der Bundesrepublik Deutschland ist, wobei klassische Aspekte wie familiäre und soziale Bindungen, aber auch die Sprachkenntnis der Person eine Rolle spielen. Zugleich prüft es, wie sich die auswärtige Vollstreckungspraxis auf den Betroffenen im konkreten Fall auswirkt und ob sich daraus erhöhte Fürsorgepflichten für den Rechtsstaat ergeben.168 Auf staatlicher Seite hat es das Interesse des Staates zu berücksichtigen, nur im Rahmen des eigenen Rechtsverständnisses zu handeln und einen auswärtigen Staat nicht in Verfahren zu unterstützen, die rechtsstaatlich kritisch zu bewerten sind.169 Auch hat es zu betrachten, inwieweit der Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG auf Grundlage der auswärtigen Entscheidung überhaupt gerechtfertigt werden könnte; diesbezüglich muss es auch die Einwilligung des Betroffenen in den Eingriff durch Deutschland und sein Ersuchen um Vollstreckungsübernahme beachten. Dabei ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass der Gesetzgeber für die meisten Fälle eine höhere Gewichtung der Interessen des Betroffenen und der Fürsorgepflicht des Rechtsstaats erblickt als für die Unversehrtheit der eigenen Rechtsordnung.170 Die Vollstreckungsübernahme soll als Schutzmaßnahme für den im Ausland Inhaftierten fungieren, mit welcher der deutsche Staat eine bessere, grundrechtsschützende Strafvollstreckung gewährleisten kann. Zudem muss das Urteil des BVerfG Berücksichtigung finden, in dem es feststellte, dass es zu einem freiheitlichen demokratischen Gemeinwesen gehört, 167

BR-Drs. 24/15, S. 115, 123; BT-Drs. 18/4347, S. 94, 99 f., 101. BT-Drs. 18/4347, S. 94, 101. 169 BT-Drs. 18/4347, S. 95. 170 BT-Drs. 18/4347, S. 95, 101. 168

C. Legitimation der Vollstreckung 

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einen Bürger von diesem grundsätzlich nicht auszuschließen.171 Gerade durch die Abwägung wird der Charakter der Ausnahmevollstreckungsübernahme deutlich: Es soll, wenn es rechtlich und tatsächlich möglich, aber auch nur wenn es nötig ist, die Vollstreckung eines auswärtigen Urteils, das der eigenen Rechtsordnung widerspricht, übernommen werden. Die zu erfolgende Abwägung bietet im Ausnahmeverfahren genügend Raum, die individuellen Gründe des Betroffenen mit in die Entscheidung einfließen zu lassen und Verurteilte aus strengen Haftbedingungen im Ausland zu befreien.

III. Zwischenergebnis Die Ausnahmeverfahren haben lediglich die Voraussetzungen des wirksamen Antrags des Verurteilten, die Abwägung des Gerichts und die Wahrung des ordre publics im auswärtigen Verfahren gem. § 73 S. 1 IRG. Der Antrag des Verurteilten ist nicht nur eine Prozesserklärung, wie es etwa ein Rechtsmittelverzicht darstellt, sondern enthält zugleich einen Grundrechtsverzicht, mit dem er dem Eingriff in sein Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG zustimmt, und zugleich um Schutz ersucht. Dieser kann vom Betroffenen wirksam und freiwillig gestellt werden, obwohl er sich unter schweren Haftbedingungen im Ausland befindet. Ist er jedoch aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen antragsunfähig, so kann über den Grundgedanken des § 298 StPO und des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB der gesetzliche Vertreter bzw. sogar Betreuer einer Vollstreckungsübernahme zustimmen. Eine Genehmigungspflicht gem. § 1906 Abs. 2 S. 3 BGB durch das Betreuungsgericht erscheint denkbar, jedoch nicht zwingend. Der Betroffene wird vor Antragsstellung ausführlich belehrt. Ein Widerruf ist grundsätzlich nicht möglich. Im Ausnahmefall können schwere Willensmängel jedoch aus Gründen der Gerechtigkeit beachtlich sein. Zudem wird für die Rechtssicherheit ein Protokoll geführt, welches vom Exequaturgericht vor Übernahmebeschluss zwingend zu prüfen ist. In der Exequaturentscheidung muss das Exequaturgericht zwischen den Interessen des Verurteilten und denen des Staates abwägen. Zumeist besteht jedoch die Vermutung, dass die Interessen des Verurteilten höher zu gewichten sind als das bloße Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Unversehrtheit seiner Rechtsordnung.

C. Legitimation der Vollstreckung eines eigenen Rechtsstandards widersprechenden Urteils Besondere Schwierigkeiten im Rahmen der Vollstreckungsübernahmen nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG birgt die Frage der Legitimation der Vollstreckung. Anders als die Rechtshilfe der Auslieferung wird durch die Vollstreckungsüber 171

BVerfG, NJW 2005, 2289 (= BVerfGE, 113, 273); BT-Drs. 18/4347, S. 95.

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

nahme auf deutschem Territorium unmittelbar durch die deutsche Staatsgewalt in eines der elementaren Grundrechte eines Menschen, nämlich die Freiheit der Person,172 eingegriffen. Das Ausmaß dieses Eingriffs verstärkt sich innerhalb von § 49 Abs. 3 und § 54a IRG: Durch diese wird ein Verhalten durch die Bundesrepublik Deutschland geahndet, welches aus deutscher Sicht gar nicht oder nicht dermaßen strafwürdig ist, wie es das ausländische Urteil vorsieht. Der klassische Vollstreckungszweck der Tilgung des Strafbedürfnisses, wie es im Regelverfahren angenommen wird,173 kann daher nicht ohne Weiteres auf das Ausnahmeverfahren übertragen werden. Wenn die Vollstreckung der übernommenen Strafe jedoch nicht dem Zweck der Tilgung eines Strafbedürfnisses dient, so fragt sich, aus welchem Grund der Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen auf deutschem Territorium überhaupt fortgeführt wird. Wird der Betroffene allein aus staatlichen Interessen in deutscher Haft gehalten, so wäre er nicht mehr als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt.174 Nach der bekannten „Objektformel“ des BVerfG widerspricht es jedoch der Würde eines Menschen, wenn er zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht wird.175 So kommt jedem Menschen ein von der staatlichen Gewalt unbedingt zu achtender Wert zu,176 der seine Stellung als selbstständige Person sichert. Er darf mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 GG niemals zu einer bloßen, verfügbaren Sache staatlichen Handelns „verkümmern.“177 Zwar ist die Objektformel in ihrer Anwendbarkeit begrenzt,178 doch ist diese jedenfalls dann dazu geeignet, eine Menschenwürdeverletzung zu identifizieren, wenn die Subjektqualität des Menschen und der daraus folgende Achtungsanspruch grundsätzlich in Frage stehen.179 In Bezug auf den Vollstreckungszweck stellen sich daher vor allem Probleme hinsichtlich des Schuldgrundsatzes, einer schuldangemessenen Strafe und der Achtung der Subjektqualität des Betroffenen.

I. Mögliche Vollstreckungszwecke und Problemaufriss Für die Vollstreckung der über § 49 Abs. 3 und § 54a IRG übernommenen Strafe kommen mehrere Vollstreckungszwecke in Betracht. Zunächst könnte das Interesse der Bundesrepublik Deutschland bedeutend sein, den rechtshilferechtlichen Verkehr zu schützen und die eingegangene Verbindlichkeit gegenüber dem Urteils 172

Siehe Di Fabio, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 2 II S. 2 Rn. 1. Siehe dazu S. 70 ff. 174 BVerfG, NJW 1977, 1525, 1526 (= BVerfGE 45, 187 (228)). 175 Hillgruber, in: Epping / ​Hillgruber, GG Art. 1 Rn. 13; BVerfG, NJW 1977, 1525, 1526 (= BVerfGE 45, 187 (228)); BVerfG, NJW 2006, 751, 757 (= BVerfGE 115, 118 (153)); BVerfG, NJW 2015, 1083; BVerfG NJW 2017, 611. 176 BVerfG, NJW 2004, 999, 1002 (= BVerfGE 109, 279 (312 f.)). 177 BVerfG, NJW 2013, 1058, 1059 (= BVerfGE 133, 168 (197)); BVerfG, NJW 1977, 1525 (= BVerfGE 45, 187 (227)). 178 vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1001 f. (= BVerfGE 109, 279 (312)). 179 Hillgruber, in: Epping / ​Hillgruber, GG Art. 1 Rn. 13. 173

C. Legitimation der Vollstreckung 

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staat zu erfüllen. Aber auch der klassische Vollstreckungszweck der Tilgung des fremden Strafbedürfnisses und die Resozialisierung des Betroffenen könnten mit der Vollstreckung verfolgt werden. Daneben könnte auch der ursprüngliche Schutzgedanke der Regelungen entscheidend sein. 1. Schutz des rechtshilferechtlichen Verkehrs Für die Bundesrepublik Deutschland ist die tatsächliche Vollstreckung der fremden Strafe zum Schutz des Rechtshilfeverkehrs geboten. Der Gesetzgeber von 2015 führt in der Gesetzesbegründung zu den Vorschriften des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG aus, dass die Vollstreckung nach Übernahme und Überführung des Betroffenen zwingend fortgeführt werden muss, um das Vertrauen des Urteilsstaates in die Zuverlässigkeit der Bundesrepublik im Rechtshilfeverkehr zu schützen und dem völkerrechtlichen Prinzip des „pacta sunt servanda“ gerecht zu werden.180 Der Abbruch der Strafvollstreckung würde schließlich dazu führen, dass Deutschland gegenüber dem Urteilsstaat vertragsbrüchig würde. Nicht nur der auftretende rechtshilferechtliche Konflikt, sondern auch das unbefriedigte Strafbedürfnis des Urteilsstaates könnten zu schwierigen außenpolitischen Situationen führen. Selbst eine Rückführung in den Urteilsstaat wäre wegen Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG, jedenfalls aber wegen der inhumanen Haftbedingung in aller Regel nicht möglich.181 Daneben nimmt auch das allgemeine völkerrechtliche Bild von der Bundesrepublik Deutschland als zuverlässiger Rechtshilfepartner Schaden, wenn die Vollstreckung nach Überführung des Verurteilten auf eigenes Territorium ab­ gebrochen wird.182 Die völkerrechtliche Vereinbarung der Vollstreckung sollte ebenfalls wegen etwaiger Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland gegenüber anderen deutschen Staatsangehörigen, die sich in auswärtiger Haft befinden, eingehalten werden.183 Könnte die Bundesrepublik Deutschland die Vollstreckungs­übernahme faktisch nur ein einziges Mal durchführen, weil nach Übernahme das Vertrauen des Urteilsstaates zerstört wurde, könnten im Extremfall künftig gar keine Schutzmaßnahmen für Staatsangehörige in auswärtiger Haft mehr möglich sein. Problematisch ist jedoch, dass die Vollstreckung einer fremden Strafe, die allein dem Schutz des rechtshilferechtlichen Verkehrs dient, den Betroffenen zum

180

BT-Drs. 18/4347, S. 94. Zum Auslieferungshindernis wegen unzulässiger Haftbedingungen im auszuliefernden Staat OLG Köln, Beschluss v. 1. Februar 2017, Az. 6 AuslA 70/16; OLG München, Beschluss v. 14. Dezember 2015, Az. 1 AR 392/15; OLG Hamm, Beschluss v. 30. Dezember 2017, Az. 2 Ausl. 81/17; zur Ausnahme bei einer Rücküberstellung siehe später S. 214 ff. 182 BT-Drs. 18/4347, S. 94. 183 Zu Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland gegenüber eigenen Staatsangehörigen siehe auf S. 219 ff. sowie auf S. 237 ff. 181

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

bloßen Objekt außenpolitischer Interessen degradiert und somit den durch Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruch des Einzelnen verletzt. Eine staatliche Maßnahme, die Art. 1 Abs. 1 GG verletzt, kann niemals legitim sein.184 Der Schutz des Rechtshilfeverkehrs kann somit nicht als alleiniger Vollstreckungszweck aufgeführt werden.185 2. Anerkennung und Tilgung des fremden Strafbedürfnisses Als weiterer Vollstreckungszweck kommt jedoch die Tilgung des fremden Strafbedürfnisses und die Resozialisierung des Betroffenen in Betracht, welche auch im Regelverfahren die primären Zwecke der Vollstreckung sind.186 Durch die im Ausland begangene Tat ist ein Strafbedürfnis entstanden, welches der ausländische Staat durch die Verurteilung des Betroffenen nach seiner Rechtsordnung rechtskräftig festgestellt hat. Dieses Strafbedürfnis könnte durch die Exequaturentscheidung in den Verfahren nach § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG von der Bundesrepublik Deutschland anerkannt und für die eigene Vollstreckung als Zweck des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG angeeignet werden. Dies gilt auch für den möglichen Zweck der Vollstreckung einer Strafe, die wegen § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG nicht im Zwei-Drittel-Zeitpunkt auf eine Reststrafenaussetzung überprüft wird. Zwar setzt § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG an der Art der Vollstreckung der Strafe an und somit in einem Bereich, in dem grundsätzlich die Achtung fremder Souveränität keine Abkehr von eigenen Regelungen bedingt; doch soll das eingeräumte Mitspracherecht in § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG dem Urteilsstaat weiterhin die Sicherheit bieten, dass das Auseinanderfallen von Erkenntnisverfahren und Vollstreckungsregelungen nicht zu einer für ihn unangemessenen Milderung der Strafe führt.187 § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG soll somit ebenfalls der Tilgung des fremden Strafbedürfnisses dienen. Dieser Vollstreckungszweck ist aber insofern problematisch, dass durch § 49 Abs. 3 IRG unter anderem auch eine Strafe für ein Verhalten übernommen werden kann, welches nach eigener Rechtsordnung überhaupt nicht strafwürdig ist. Wenn das eigene Recht ein Verhalten jedoch noch nicht mal unter Strafe stellt, fragt sich, ob ein fremdes Strafbedürfnis überhaupt legitim anerkannt werden kann.188 Zudem ist zu bedenken, dass die Schuld des Verurteilten für eine Strafvoll­ streckung an sich ohne Zweifel feststehen muss.189 Durch den möglichen Verzicht

184

Herdegen, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 1 I, Rn. 1 ff. Siehe im Anschluss auf S. 127 ff. 186 Siehe S. 70 ff. 187 Siehe im allgemeinen BT-Drs. 18/4347, S. 98 f. 188 Siehe dazu vertiefend S. 128 ff. 189 Adam / ​Schmidt / ​Schumacher, NStZ 2017, 7, 8 ff.; BVerfG, NJW 1957, 865, 868 (= BVerfGE 6, 389); BVerfG, NJW 1977, 1525, 1526 (= BVerfGE 45, 187). 185

C. Legitimation der Vollstreckung 

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auf die Voraussetzungen des Regelverfahrens aus § 49 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 IRG und auch § 54 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 IRG können im Ausnahmevollstreckungsübernahmeverfahren Restzweifel an der Schuld des Täters verbleiben. Nicht nur, weil es fehlende Kontrollmechanismen und die Achtung vor der fremden Staatsgewalt unmöglich machen, das auswärtige Verfahren ausreichend zu überprüfen, sondern auch, weil durch § 49 Abs. 3 IRG auch von § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG abgewichen werden kann. Bei einem Verfahren, welches noch nicht mal den in der EMRK festgelegten Garantien genügt, erscheint es durchaus fraglich, ob die Wahrheitsfindung insgesamt noch Qualitätsanforderungen entspricht, die mit Blick auf das verfassungsrechtlich garantierte Schuldprinzip als gerade noch vertretbar angesehen werden kann. Wenn durch die fehlende Kontrolle des auswärtigen Urteils und der Divergenz zum eigenen Rechtsverständnis begründete Restzweifel an der Schuld des Betroffenen für das abgeurteilte Verhalten verbleiben, kann die Vollstreckung schwerlich die Tilgung eines Straf bedürfnisses bezwecken. Es wird sich also die Frage stellen, ob die Qualitätsmängel des Ausgangsverfahren in irgendeiner Form kompensiert werden, so dass man am Ende doch mit genügender Sicherheit von einer schuldhaften Rechtsverletzung durch den Betroffenen ausgehen kann.190 3. Schutz des Betroffenen als übergeordneter Zweck der Vollstreckung Übergeordnetes Ziel der Ausnahmeregelungen ist der Schutz des Betroffenen. Sie sollen insbesondere solchen deutschen Staatsangehörigen zugutekommen, die im Ausland rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden und dort nicht nur unter der Trennung von ihren sozialen Kontakten, sondern vor allem unter den teils strengen Haftbedingungen leiden.191 Daher soll die Ausnahmevollstreckungsübernahme die gefährdeten oder sogar schon verletzten Rechte des Verurteilten im auswärtigen Staat vor weiteren Schäden schützen. Dieser Schutzgedanke könnte auch der tatsächlichen Vollstreckung als Zweck anhaften. Es muss jedoch beachtet werden, dass ein konkreter Schutz der Grundrechte des Betroffenen nicht mehr notwendig ist, sobald der Betroffene auf deutsches Territorium überführt wurde. Der auswärtige Staat kann anschließend nicht mehr auf diesen zugreifen.192 Dem Betroffenen wird man also schwer vermitteln können, dass die Aufrechterhaltung seiner Inhaftierung seinem Schutz diene, auch wenn er dieser vorab zugestimmt hat.193 Zwar musste die Bundesrepublik Deutschland

190

Siehe vertiefend auf S. 132 ff. Siehe S. 91 f. 192 OLG Köln, Beschluss v. 1. Februar 2017, Az. 6 AuslA 70/16; OLG München, Beschluss v. 14. Dezember 2015, Az. 1 AR 392/15; OLG Hamm, Beschluss v. 30. Dezember 2017, Az. 2 Ausl. 81/17; zur Ausnahme siehe S. 214 ff. 193 Zur Zustimmung siehe S. 99 ff. 191

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

einen völkerrechtlichen Vertrag eingehen, damit die Rechte des Betroffenen überhaupt geschützt werden können, doch kann der Schutz der Rechte nicht ohne Weiteres als Zweck der tatsächlichen Vollstreckung vorgebracht werden und für sich gesehen den Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG rechtfertigen.

II. Maßstab einer Rechtshilfe und besondere Achtung der Subjektqualität Zwar kommen sowohl der Schutz des Rechtshilfeverkehrs als auch die Tilgung des fremden, anerkannten Strafbedürfnisses und der Schutz der Rechte des Verurteilten vor den auswärtigen Haftbedingungen als Vollstreckungszwecke in Betracht, doch bestehen jeweils rechtliche Bedenken, die weitergehend geklärt werden müssen. Sowohl bei dem Vollstreckungszweck des Schutzes der außenpolitischen Beziehung als auch bei dem der Tilgung des fremden Strafbedürfnisses besteht die erhöhte Gefahr, die Subjektqualität des Verurteilten zu missachten und ihn so in seiner Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG zu verletzen. Auch der ursprünglich verfolgte Zweck des Schutzes des Betroffenen vor den auswärtigen Haftbedingungen kann mit Überführung auf deutsches Territorium nur bedingt als verfolgter Zweck angeführt werden. Problematisch an der Vollstreckung eines fremden Urteils, welches nicht den Anforderungen der eigenen Rechtsordnung entspricht, ist somit insbesondere die Gefahr, den Betroffenen zum Objekt staatlicher Belange zu degradieren.194 Bedeutung hat vor allem die Frage, wieso ein fremdes Urteil auf deutschem Staatsgebiet vollstreckt werden kann, obwohl dieses weder dem eigenen Recht entspricht, noch der Schutz des Betroffenen vor auswärtigen Haftbedingungen weiterhin geboten ist. Entscheidend für die Auflösung dieser Fragen ist zum einen die Rechtsgrenze einer rechtshilferechtlichen Handlung und zum anderen das wesentliche Element der Zustimmung des Betroffenen. 1. Ordre public als Rechtsmaßstab der Rechtshilfe Die deutsche Strafgewalt ist gem. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 1 Abs. 3 GG an die deutschen Gesetze und Grundrechte gebunden.195 Damit hängt auch zusammen, dass nur solche Handlungen geahndet werden, die ausdrücklich durch deutsche Strafgesetze unter Strafe gestellt sind. Im Rechtshilferecht muss jedoch wegen des Bezugs zu fremden Rechtsordnungen und der Achtung der Souveränität fremder Staaten ein modifizierter Maßstab gelten. So wurde die legitime Grenze einer 194

So auch angedeutet bei BT-Drs. 9/2137, S. 24; BT-Drs. 12/3533, S. 20; Grotz, in: Grützner / ​ Pötz, IRG § 49 Rn. 31. 195 Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 29.

C. Legitimation der Vollstreckung 

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rechtshilferechtlichen Maßnahme vor allem im Rahmen des Auslieferungsverkehrs immer wieder in der Rechtsprechung des BVerfG hervorgehoben: Eine Rechtshilfehandlung ist danach als zulässig zu betrachten, wenn „[…] die Rechtshilfe und die ihr zugrunde liegenden Akte mit dem nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards sowie mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind.“196

Die Rechtsprechung des BVerfG zeigt, dass wesentlicher Maßstab einer Rechtshilfehandlung lediglich die elementaren verfassungsrechtlichen, aber auch völkerrechtlichen Mindeststandards des Grund- und Menschenrechtsschutzes sind.197 Die Grenze des ordre public ist somit eine Art oberstes Rechtshilfehindernis,198 welche in Beziehung zu anderen Staaten die letztmögliche, legitime Grenze einer zulässigen rechtshilferechtlichen Handlung darstellt. Auf die eigene Rechtsordnung kommt es somit gerade nicht an. Auch wenn sich die Entscheidungen des BVerfG zumeist auf die Rechtshilfe der Auslieferung beziehen, kann diese Zulässigkeitsgrenze auf die Rechtshilfe der Vollstreckungsübernahme übertragen werden.199 Dies bedeutet, dass das auswärtige Strafurteil für eine legitime Vollstreckungsübernahme lediglich dem deutschen ordre public entsprechen muss. Maßgeblich für die zu übernehmende Strafe sind die Strafgesetze und das Urteil des Urteilsstaates,200 vorausgesetzt, die konkreten Regelungen entsprechen dem ordre public der Bundesrepublik Deutschland. Ob die deutschen Gesetze somit ebenfalls die in Frage stehende Tat in ähnlicher Form wie der Urteilsstaat ahnden und die Bundesrepublik Deutschland dadurch ein ähnliches Strafbedürfnis aufweist, ist zunächst unerheblich. Solange das zur Vollstreckung zu übernehmende Urteil dem ordre public entspricht, kann es durch die Bundesrepublik Deutschland zulässig übernommen und das fremde Strafbedürfnis anerkannt werden. Dies ist insbesondere möglich, weil die Vollstreckung der übernommenen Strafe nie den rechtshilferechtlichen Bezug verliert.201 Die Abkehr von der eigenen Rechtsordnung im Rechtshilfeverkehr ist 196

BVerfG, NJW 1983, 1726 (= BVerfGE 62, 332 (337 f.)); BVerfGE 75, 1, 19; BVerfG, NJW 2005, 3483, 3483 f. (= BVerfGE 113,154 (162)); diese Grenze gilt allgemein für das Verhältnis von völkervertraglichen Vereinbarungen und dem Grundgesetz siehe bei Schmahl, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus 2005, S. 290, 298; BVerfG, NJW 2004, 3407 f. (= BVerfGE 111, 307). 197 BT-Drs. 9/1338, S. 93; Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 28; zur Auslieferung bspw. BVerfG, Beschluss v. 28. Juli 2016, Az. 2 BvR 1468/16 (= BeckRS 2016, 49757). 198 Vogler, ZStW 1993, 3, 15. 199 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 10; Schumann, Anerkennung und ordre public, S. 345 ff. 200 Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG Vor § 48 Rn.  11; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  6, 15a; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 48 Rn. 22, der dem auch kritisch gegenübersteht. 201 A. a. O.

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

daher durchaus möglich. Was der ordre public im Einzelnen umfasst, wird später noch weitergehend vertieft.202 2. Zustimmungserfordernis als vorbeugender Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG Auch wenn das fremde Strafbedürfnis bis zur Grenze des § 73 S. 1 IRG für die Vollstreckung anerkannt werden kann, bleibt weiterhin offen, wieso die Bundesrepublik Deutschland die übernommene, fremde Strafe vollstreckt, obwohl ohne den völkerrechtlichen Bezug kein eigenes Strafinteresse bestanden hätte und auch der Schutz des Betroffenen nach Überführung auf deutsches Territorium nicht mehr geboten ist. Dabei könnte die Beteiligung des Betroffenen entscheidend für die Legitimität der Vollstreckung sein. Diese spricht schon dafür, dass der Verurteilte vom Gesetz als „geistig-sittliche[s] Wesen […], das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten“,203 anerkannt wird. a) Zustimmungserfordernis im Regelverfahren gem. § 49 Abs. 1, 2 IRG Obwohl fremde Urteile und Strafen im Rahmen der Rechtshilfe der Vollstreckungshilfe verfassungsrechtlich bis zur Grenze des ordre public anerkannt werden können, befürchtete schon der Gesetzgeber von 1992, den Betroffenen bei den Verfahren nach § 49 Abs. 1, 2 und § 54 IRG zum Objekt zu degradieren.204 Ent­ scheidendes Element zum Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG war für ihn aber die Beteiligung und Zustimmung des Betroffenen.205 Dieser strengen Einschätzung kann für die Regelverfahren nicht mehr vollends gefolgt werden.206 Mit dem anerkannten erweiterten Rechtsmaßstab im Rahmen der Rechtshilfe steht fest, dass die eigene Rechtsordnung nicht Maßstab einer rechtshilferechtlichen Handlung ist.207 Zudem stellen die allgemeinen Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 und § 54 IRG sicher, dass das fremde Urteil zumindest weitgehend dem eigenen Recht und Rechtsempfinden entspricht.208 Die Zustimmung des Betroffe 202

Siehe S. 145 ff. Vgl. BVerfG, NJW 2013, 1058, 1059 (= BVerfGE 133, 168 (197)); BVerfG, NJW 1977, 1525 (= BVerfGE 45, 187 (227)); BVerfG, NJW 2009, 2267 (= BVerfGE 123, 267 (413)). 204 BT-Drs. 12/3533, S. 20; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 33. 205 Vor allem zur Vollstreckungsübernahme für im deutschen Recht normierte Ordnungswidrigkeiten, siehe BT-Drs. 9/2137, S. 24; Protokoll der zweiten Berichterstatterrunde zum IRG vom 9. November 1982, B 141/101155, S. 3; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 31 f.; Wilkitzki, Entstehung des IRG, S. 190. 206 Andeutend Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  20. 207 BVerfG, NJW 1983, 1726 (= BVerfGE 62, 332 (337 f.)); BVerfGE 75, 1, 19; BVerfG, NJW 2005, 3483, 3483 f. (= BVerfGE 113, 154 (162)); BVerfG, JZ 2004, 141. 208 Siehe dazu schon S. 74 ff. 203

C. Legitimation der Vollstreckung 

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nen ist aber insofern sinnvoll, dass die Vollstreckungsübernahme ihrem Ursprung nach vor allem einer besseren Resozialisierung des Verurteilten dienen soll209 und eine solche nur mit dem Willen des Betroffenen möglich ist.210 Zudem wird dadurch zumindest die Subjektqualität gestärkt,211 auch wenn der Resozialisierungsgedanke neben den mittlerweile anerkannten Zwecken der Bekämpfung der Überpopulation in Strafanstalten oder der grenzüberschreitenden Kriminalität nur ein Teilaspekt der Vollstreckungsübernahme im Regelverfahren darstellt.212 Für diese ist das Zustimmungserfordernis zum Schutz der Subjektqualität des Betroffenen somit nicht zwingend. b) Zustimmungserfordernis in § 49 Abs. 3 Hs. 2 und § 54a Abs. 2 IRG Anders ist die Bedeutung der Zustimmung des Betroffenen in den Vollstreckungs­ übernahmeverfahren nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG zu bewerten. Auch der Gesetzgeber von 2015 sieht in der Zustimmung des Betroffenen ein „grundlegendes Element der Ausnahmeregelung“,213 welches für die legitime Vollstreckung eines auswärtigen Urteils, welches eigenen Rechtsstandards widerspricht, entscheidend ist.214 Wie dargestellt, ist im Antrag des Betroffenen nicht nur ein Grundrechtsverzicht, sondern auch ein Ersuchen um Schutz enthalten.215 Zudem ist für die Bedeutung der Zustimmung entscheidend, dass die Ausnahmeverfahren der Vollstreckungsübernahme, anders als das Regelverfahren, ausschließlich dem Schutz des Verurteilten dienen.216 In den Fällen der Ausnahmeregelungen hat die Bundesrepublik Deutschland wegen der Divergenzen zwischen den Rechtsordnungen kein eigenes staatliches Interesse an der Übernahme der fremden Strafe. Im Vordergrund steht vielmehr, dem Verurteilten eine mildere Strafvollstreckung der fremden Strafe zu ermöglichen.217 Würde dieser Schutz ohne den Willen des Betroffenen erfolgen, wäre die Vollstreckungsübernahme als eine aufgezwungene Maßnahme zu qualifizieren. Eine solche läuft jedoch dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zuwider.218 Ein Einverständnis des Betroffenen zur Übernahme einer fremden Strafe, welche der eigenen Rechtsordnung weitgehend widerspricht, muss daher schon zur Siche-

209

BT-Drs. 9/1338, S. 29 f.; Bartsch, NJW 1984, 513, 513; Schroeder, ZStW 1986, 457, 458. Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  20 f. 211 Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  20. 212 Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  20a; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 34; BT-Drs. 12/3533, S. 20. 213 BT-Drs. 18/4347, S. 93. 214 BT-Drs. 18/4347, S. 94. 215 Siehe S. 99 ff. 216 Siehe S. 91 f. 217 BT-Drs. 18/4347, S. 95. 218 Ähnlich wie bei Zwangsbehandlungen, siehe dazu Di Fabio, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 2 I, Rn. 204 ff.; zum Selbstbestimmungsrecht ders., in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 2 I, Rn. 147 ff. 210

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

rung des Selbstbestimmungsrechts und seiner damit verknüpften Subjektqualität eingeholt werden. Daneben tritt folgender Gedanke: Wenn der Betroffene der Vollstreckungsübernahme nicht nur zustimmt, sondern sogar um diese freiwillig ersucht,219 so drängt die Bundesrepublik Deutschland keine staatliche Hilfe auf. Vielmehr achtet sie erst seine Subjektqualität des Betroffenen, in dem sie seiner Bitte nachkommt und die Vollstreckung übernimmt. Eine Verletzung des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 1 Abs. 1 GG kann dann nur schwerlich angenommen werden.220 Die Zustimmung des Verurteilten in den Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme ist daher entscheidende Bedingung, durch welche die Subjektqualität des Verurteilten geachtet und zugleich der Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG im gewissen Maße gerechtfertigt wird. 3. Zusammenfassung Ganz grundsätzliche Bedenken gegen die Vollstreckungsübernahme, dass der Betroffene mit der Vollstreckung generell zum Objekt staatlicher Belange degradiert wird, bestehen also nicht. Entscheidend ist, dass eine legitime Rechtshilfe, und somit auch die Vollstreckungsübernahme, bis zur Grenze des ordre publics möglich ist. Dies bedingt, dass das Strafbedürfnis anderer Staaten bis zu einer Verletzung des ordre public anerkannt werden kann. Dennoch ist das Zustimmungserfordernis zwingendes Element der Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG. Da diese den ausschließlichen Zweck verfolgen, den Betroffenen zu schützen, muss sein Wille zwingend beachtet werden. Ansonsten bestünde die begründete Gefahr, den Betroffenen mit Vollstreckung zum Objekt rechtshilferechtlicher Interessen zu machen. Im Regelverfahren der Vollstreckungsübernahme ist die Beteiligung des Betroffenen dagegen nicht zwingend; dennoch ist dieses als Voraussetzung zu befürworten, weil die Subjektqualität im Verfahren gestärkt wird.

III. Mögliche Mängel bei der Wahrheitsfindung im Urteilsstaat Mit der Abkehr von der eigenen Rechtsordnung durch § 49 Abs. 3 und § 54a IRG wird zugleich ein gewisses Risiko hingenommen, auswärtige Strafen zu übernehmen, die der Schuld des Betroffenen nicht entsprechen. Dieses Risiko basiert darauf, dass mit der möglichen Modifikation des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG bewusst auf eine gewisse Sicherung der rechtsstaatlichen Wahrheitsfindung im auswärtigen Strafverfahren verzichtet wurde. So soll nunmehr auch eine Vollstreckungsüber 219 220

Siehe S. 98 ff. Di Fabio, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 2 II S. 2 Rn. 18 f.

C. Legitimation der Vollstreckung 

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nahme möglich sein, wenn dem Angeklagten etwa im auswärtigen Verfahren entgegen Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK und Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK keine ausreichende Verteidigung221 oder Konfrontation von Zeugen222 gewährt wurde.223 Wenn der Betroffene jedoch nicht ausreichend verteidigt wurde oder Aussagen von Zeugen nicht hinterfragen durfte, so können erhebliche Zweifel an der Fairness des Verfahrens und somit auch an den getroffenen Feststellungen in der Wahrheitsfindung im auswärtigen Verfahren bestehen. Auch andere Kontrollmechanismen, die es dem Exequaturgericht erlauben würden, sich von der Rechtsstaatlichkeit des auswärtigen Verfahrens und der Schuld des Betroffenen nachträglich zweifelsfrei zu überzeugen, sind nach wie vor nicht ausreichend gegeben und völkerrechtlich schwierig zu realisieren. Diese möglichen Restzweifel an der auswärtigen Wahrheitsfindung und der Schuld des Verurteilten könnten aber von vorneherein der Legitimität der Ausnahmevollstreckungsübernahme entgegenstehen. 1. Rechtskraft der auswärtigen Entscheidung a) Vertiefende Problemdarstellung Das deutsche Strafsystem, und vor allem der Strafprozess, sind so konzipiert, dass bei Zweifeln über die Schuld des Angeklagten nicht verurteilt werden soll, auch wenn der Freispruch materiell rechtlich unrichtig sein könnte und eine Verurteilung sachgemäß wäre. Unbewusste Fehlverurteilungen, die der Schuld des Angeklagten nicht entsprechen, sollen daher größtmöglich vermieden werden.224 Durch die Abkehr von den allgemeinen Regelungen scheint jedoch im Vollstreckungsübernahmerecht eine vermeintlich gegensätzliche Tendenz zum deutschen Strafprozess deutlich zu werden: Restzweifel an der Rechtsstaatlichkeit der Wahrheitsfindung im auswärtigen Strafprozess und der Schuld des Täters für mehr erfolgreiche Vollstreckungsübernahmen zu akzeptieren und hinzunehmen.225 Die im deutschen Strafprozess wichtige Grundregel „im Zweifel keine Strafe“ wandelt sich scheinbar zum Grundsatz „im Zweifel für die Strafe“.226 221

EGMR, Murray vs. UK, EuGRZ 1996, 587, 587 ff.; EGMR, Öcalan vs. Turkey, EuGRZ 2003, 472 Rn. 153 ff.; EGMR, Kolu vs. Turkey, Entsch. v. 2. August 2005, App. No. 35811/97, Rn. 51; EGMR, S. vs. Switzerland, Entsch. v. 28. November 1991, App. No. 12629/87, Rn. 58. 222 EGMR, Makhfi vs. France, Entsch. v. 19. Oktober 2004, App. No. 59335/00; EGMR, Bönisch vs. Austria, Entsch. v. 6. Mai 1985, App. No. 8658/79; EGMR, van Mechelen u. a. vs. Netherlands, Entsch. v. 23. April 1997, App. No. 21363/93, Rn. 49; EGMR, P. S. vs. Germany, Entsch. v. 20. Dezember 2001, App. No. 33900/96, Rn. 21 ff. 223 Siehe zu der Problematik der Überprüfbarkeit etwa auch EGMR, Schatschaschwili vs. Germany, Urt. v. 15.12.2015, App. No. 9154/10. 224 Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, S. 333. 225 Siehe zum ähnlichen Problem im Regelverfahren schon Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 48 Rn. 22 f.; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49, S. 16 ff.; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 180 ff. 226 Ähnlich Müller, JR 1997, 124, 127.

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

Diese Schlussfolgerung ist jedoch aus rechtlichen Gründen inkorrekt und basiert von vorneherein auf einer falschen Fragestellung: Es gilt nicht zu fragen, wie sicher festgestellt werden kann, ob das auswärtige Urteil auf einer rechtsstaat­lichen Wahrheitsfindung beruht und somit die Schuld des Täters ohne Zweifel feststeht. Vielmehr muss geklärt werden, wie es rechtlich möglich ist, dass trotz mög­ licher Restzweifel an der Schuld des Betroffenen eine Vollstreckungsübernahme zulässig und legitim durchgeführt werden kann. Denn wäre eine über jeden abstrakten Restzweifel erhabene Gewissheit über die Schuld des Betroffenen Voraussetzung der Vollstreckung einer fremden Strafe, so würde ein strengerer Maßstab gelten als bei einer rein innerstaatlichen Strafvollstreckung, wie im Folgenden gezeigt wird. aa) Materielle Rechtskraft Die Lösung der aufgeworfenen Frage findet sich in einer der grundlegendsten Eigenschaften einer gerichtlichen Entscheidung227, nämlich der materiellen Rechtskraft. Diese bestimmt den Zeitpunkt, ab wann eine Entscheidung nicht mehr oder nur noch unter erschwerten Bedingungen geändert werden kann.228 Auch im deutschen Strafprozess ist mit Eintritt der Rechtskraft zunächst die Endgültigkeit eines Urteils festgelegt. Selbst wenn die Grundlage, auf welcher das Gericht entschieden hat, von vorneherein unrichtig war oder nachträglich weggefallen ist, bleibt dieses bestehen. Zwar existieren im deutschen Recht teilweise Möglichkeiten, die Rechtskraft zu durchbrechen, doch sind diese nur in wenigen Ausnahmefällen zulässig. So regeln unter anderem §§ 359, 362 StPO und auch § 79 Abs. 1 BVerfGG, wann ein rechtskräftiges Strafurteil ausnahmsweise nachträglich aufgehoben werden kann und die Entscheidung einer erneuten Überprüfung zugänglich ist.229 Die Hürden für eine Durchbrechung der Rechtskraft sind sehr hoch, sodass zumeist davon ausgegangen werden kann, dass eine in Rechtskraft erwachsene Entscheidung unabänderlich ist,230 auch sofern diese materiell rechtlich unrichtig ist. Dies gilt selbst dann, wenn die Strafbarkeit der abgeurteilten Tat nachträglich geändert wird, denn § 2 Abs. 3 StGB gilt nur bis zur Rechtskraft der Aburteilung.231 Die Gründe für die Rechtskraft einer Entscheidung sind vielfältig und werden in der Literatur unterschiedlich gewichtet. Als führender Grund wird zumeist die 227

Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, S. 329 m. w. N. Schanze, ZStW 1884, 437, 458; Geppert, GA 1972, 165, 171; Peters, Strafprozeß, § 54 I, S. 496; Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, S. 329 m. w. N. 229 Singelnstein, in: Graf, StPO § 359 Rn. 1; vom Sonderfall der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand abgesehen. 230 Zum Erfolg der Wiederaufnahme siehe kurz Eschelbach, ZAP 2015, 503, 503 f.; Neuhaus, StV 2015, 185, 185 f.; Paeffgen, GA 2013, 253, 265; Dunkel / ​Kemme, Neue Kriminalpolitik 2016, 138, 143; Jehle, FPPK 2013, 220, 227 f. 231 Schmitz, in: MüKo-StGB, § 2 Rn. 27; Schuster, Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen, S. 219. 228

C. Legitimation der Vollstreckung 

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Rechtssicherheit232 und die Wahrung des Rechtsfriedens233 genannt.234 Die materielle Gerechtigkeit muss irgendwann der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden weichen, um auf die Endgültigkeit der Entscheidung vertrauen zu können. Ein anderer Ansatz sieht die Rechtskraft sogar als Gebot der Gerechtigkeit selbst, da die Durchbrechung der Rechtskraft nicht zwangsläufig auch eine gerechtere Entscheidung hervorbringe.235 bb) Fehlurteile in Deutschland Die Rechtskraft eines Strafurteils kann auch in Deutschland zu Strafvollstreckungen führen, bei denen der Tatvorwurf nicht der materiellen Wahrheit entspricht und dennoch zugunsten der Rechtssicherheit und einer effektiven Strafverfolgung Bestand haben.236 Dass Fehlurteile in Deutschland möglich sind, ist der Tatsache geschuldet, dass Gerichte und Justizbehörden keine fehlerfreien Institutionen darstellen.237 Der Ursprung solcher Fehlurteile kann in vielen verschiedenen Verfahrensstadien gelegt worden sein, der nachträglich nicht immer überprüft werden kann.238 So können die Weichen eines späteren Fehlurteils schon zu Beginn eines Strafverfahrens gelegt werden, in dem die Polizei etwa im Ermittlungsverfahren unbewusst auf die Aussagen von Zeugen einwirkt oder in anderer Weise bei der Beweiserhebung Fehler unterlaufen.239 Auch verfahrensabschließende Entscheidungen im Vorverfahren können den Angeklagten teilweise dazu bewegen, unrich 232

Beling, Deutsches Reichsstrafprozeßrecht, S. 268 f.; Niese, Doppelfunktionelle Prozesshandlungen, S. 111; Schmidt, JZ 1966, 89, 90; Schmidt, Ein Kolleg, Rn. 339; Schmidt, JZ 1968, 681, 681; Ziemann, in: Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie (Hrsg.), Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts, S. 662; letztendlich ablehnend Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, S. 344 ff. 233 Schmidhäuser, in: Bockelmann (Hrsg.), FS Schmidt, S. 518 ff.; Volk, Prozessvoraussetzungen, S. 222; Dickersbach, Berechtigen prozessuale Tatsachen zur Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO?, S. 1. 234 Siehe dazu ausführlich Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, S. 344 ff. 235 Remeis, Wiederaufnahme im Strafverfahren, S. 74 f.; von Schwarze, der Gerichtssaal (25) 1873, 395, 410; Heinze, GA 1876, 265, 284; Peters, in: Lüttgers (Hrsg.), Probleme der Strafprozeßreform, S. 110 f.; Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, S. 360 ff. m. w. N. 236 Konflikt zwischen materieller Gerechtigkeit und effektiver Strafverfolgung, Dunkel  / ​ Kemme, Neue Kriminalpolitik 2016, 138, 141; Wasserburg, Die Wiederaufnahme, S. 5. 237 Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 1; Dunkel / ​Kemme, Neue Kriminalpolitik 2016, 138, 139; Jehle, FPPK 2013, 220, 228. 238 Ausführliche Darstellung möglicher Fehlerquellen bei Peters, Fehlerquellen im Straf­ prozeß, S. 5 ff.; Eschelbach, in: Graf, § 261 Rn. 9.1 ff.; Püschel, StraFo 2017, 269, 271 ff.; Schwenn, FPPK 2013, 258, 258 ff.; Fenyvesi, Kriminalistik 2018, 67, 68 f. 239 Jehle, FPPK 2013, 220, 224; Karl Peters, der bis dato das wichtigste empirische Werk zu Fehlerquellen im Strafverfahren erarbeitet hat, gelangt sogar zum Ergebnis, dass im Ermittlungsverfahren die Weichen für Fehlurteile gelegt werden, Peters, Fehlerquellen im Straf­prozeß, S. 210 ff.; siehe auch Püschel, StraFo 2017, 269, 269; Eschelbach, in: Graf, § 261 Rn. 15.2; Neuhaus, StV 2015, 185, 186 ff.

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

tige Aussagen zu tätigen. Insofern ist besonders der § 153a StPO ein Einfallstor für etwaige falsche Geständnisse.240 Teilweise wird im deutschen Recht sogar bewusst für die Prozessökonomie ein höheres Risiko eines materiell unrichtigen Urteils in Kauf genommen. So kann etwa eine Freiheitsstrafe ohne eine mündliche Hauptverhandlung und ohne die zentrale Garantie der Unmittelbarkeit verhängt werden, wenn das Strafbefehlsverfahren für die in Frage stehende Tat zulässig ist.241 Die Verurteilung auf Basis der verkürzten Wahrheitsfindung ist in Deutschland auch kein Ausnahmefall. Vielmehr stellt die Aburteilung im Strafbefehlsverfahren mittlerweile sogar eine Art „Massenphänomen“ im deutschen Strafsystem dar.242 Für die konkrete Häufigkeit von Fehlurteilen in Deutschland fehlen empirische Untersuchungen.243 Dass solche jedoch auch im deutschen Strafverfahren auftreten und wahrscheinlich auch keine Seltenheit sind,244 zeigen immer wieder auftretende Justizskandale wie etwa der Fall Gustl Mollaths245 oder auch der Fall ­Rudolf Rupp246.247 Auch wenn gewisse Kontrollmöglichkeiten durch Rechtsmittel und außer­ ordentliche Rechtsbehelfe bestehen, können sie niemals Fehlverurteilungsrisiken komplett kompensieren.248 Schon die Rechtsmittel können nur bedingt den Eintritt der Rechtskraft von Fehlurteilen verhindern. So beschränkt sich die Kontrolle landgerichtlicher Urteile im Wege der Revision gem. § 337 StPO auf Rechtsfehler. Nur in einem sehr eingeschränkten Umfang findet eine Plausibilitätskontrolle der Beweiswürdigung statt (sog. „erweiterte Revision“).249 Auch das Wiederaufnahmeverfahren kann nur bedingt dazu beitragen, dass Fehlurteile aufgehoben werden. Statistiken zeigen etwa, dass erfolgreiche Wiederaufnahmeverfahren, 240

Zu der Fehlerquelle des falschen Geständnisses im Allgemeinen siehe auch Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 5 ff.; Eschelbach, in: Graf, § 261 Rn. 15.1 ff.; Püschel, StraFo 2017, 269, 273 f. 241 Jehle, FPPK 2013, 220, 224; kritisch auch Deckers / ​Kuschnik, StraFo 2008, 418, 420; Meyer-Lohkamp, StraFo 2012, 170, 170 f.; Meurer, JuS 1987, 882, 882. 242 Temming, in: Graf, § 407 Rn. 3; Meyer-Lohkamp, StraFo 2012, 170, 170; Meurer, JuS 1987, 882, 882; Nr. 175 Abs. 3 RistBV sieht das Strafbefehlsverfahren sogar als Regel vor. 243 Siehe dazu Dunkel / ​Kemme, Neue Kriminalpolitik 2016, 138, 138 ff.; Püschel, StraFo 2017, 269, 269 f. 244 Dunkel / ​Kemme, Neue Kriminalpolitik 2016, 138, 138 ff.; Püschel, StraFo 2017, 269, 269; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 1; Ralf Eschelbach, Richter am Bundesgerichtshof, schätzt jedoch, dass die Dunkelziffer an Fehlurteilen erheblich hoch sein muss, siehe Eschelbach, in: Graf, § 261 Rn. 9.3 f. 245 BVerfG, NJW 2013, 3228; siehe zum Fall allgemein Hauer, ZRP 2013, 209, 209 ff. 246 Zum Fall Rupp siehe Nestler, ZIS 2014, 594, 594 ff. 247 Daher nun auch teilweise Forderungen zur technischen Dokumentation der Haupt­ verhandlung siehe Bartel, StV 2018, 678, 678 ff. 248 Dunkel / ​Kemme, Neue Kriminalpolitik 2016, 138, 141; Eschelbach, in: Graf, § 261 Rn. 7.2; zur Kritik am Wideraufnahmeverfahren siehe aber auch Bock et al., GA 2013, 328, 332 ff.; Eschelbach, ZAP 2015, 503, 503 f. 249 Jehle, FPPK 2013, 220, 225; siehe zu den Defiziten der Revision auch Eschelbach, in: Graf, § 261, S. 63; ders., ZAP 2015, 503, 503 f.; Schwenn, FPPK 2013, 258, 259.

C. Legitimation der Vollstreckung 

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also solche, die zu einem Freispruch oder zu einer milderen Strafe führen, nur selten vorkommen.250 Dies jedoch nicht, weil keine rechtskräftigen Fehlurteile existieren, sondern vielmehr, weil Wiederaufnahmeverfahren nur bei bestimmten Voraussetzungen zulässig sind,251 und zudem „ein systematisches Abblocken von Wiederaufnahmevorbringen“ in der Praxis erfolgt.252 Durch die Rechtskraft von Urteilen werden somit auch in Deutschland Strafurteile vollstreckt, die nicht der materiellen Wahrheit und der Schuld des Täters entsprechen. Der zunächst kurios wirkende Wandel des strafprozessrechtlichen Grundsatzes „im Zweifel keine Strafe“ hin zum Grundsatz „im Zweifel für die Strafe“ ist somit selbst dem rein innerstaatlichen Recht bekannt und wird durch die Rechtskraft einer Entscheidung besiegelt. Sogar die Vollstreckung einer Strafe, die nur auf unsicherer Wahrheitsfindung verhängt wurde, ist im deutschen Recht durch das Strafbefehlsverfahren möglich. b) Rechtskraft des auswärtigen Urteils Im Rahmen der Fälle, in denen eine Vollstreckungsübernahme nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG in Betracht kommt, ist die Rechtskraft der auswärtigen Entscheidung gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG stets zwingende Voraussetzung. Dies bedeutet, dass die Schuld des Betroffenen nach dem Recht des Urteilsstaates feststeht und auch keine ordentlichen Rechtsbehelfe mehr zur Verfügung stehen, mit denen die Vollstreckung noch angegriffen werden könnte. Dass der Betroffene die im Ausland ausgesprochene Strafe verbüßen muss, ist somit unumgänglich, unabhängig davon, ob der Heimatstaat Deutschland ebenso eine solche Strafe für das Verhalten ausgesprochen hätte. Ob die rechtskräftige Entscheidung und die festgesetzte Strafe der materiellen Wahrheit und der tatsächlichen Schuld des Täters entspricht oder nicht, ist zunächst unerheblich. Die Strafe bleibt.253 So ist es letztendlich nicht relevant, dass die Bundesrepublik Deutschland keine Möglichkeit hat, etwaige Restzweifel an der auswärtigen Entscheidung auszuräumen. Wie auch bei rechtskräftigen Fehlurteilen im deutschen Recht kann die Strafe vollstreckt werden, obwohl sie (unerkannt) materiell unrichtig sein könnte. Für das Vollstreckungsübernahmeverfahren muss neben der Tatsache, dass rechtskräftige Fehlurteile auch im innerstaatlichen Recht nicht zu vermeiden sind, zusätzlich vor Augen geführt werden, dass § 49 Abs. 3 und § 54a IRG keine rechtlichen Möglichkeiten bieten sollen, nachträglich die Rechtskraft des auswärtigen

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Eschelbach, ZAP 2015, 503, 503 f.; Neuhaus, StV 2015, 185, 185 f.; Paeffgen, GA 2013, 253, 265; Dunkel / ​Kemme, Neue Kriminalpolitik 2016, 138, 143; Jehle, FPPK 2013, 220, 227 f. 251 Kurz dazu Schwenn, FPPK 2013, 258, 259. 252 Bock et al., GA 2013, 328, 329 f.; angedeutet bei Eschelbach, ZAP 2015, 503, 503. 253 Ähnl. auch Bundesrechtsanwaltskammer, Stellungnahme Nr. 10/2015, S. 3 sowie BT-Dr. 18/4347, S. 95.

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Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

Urteils zu umgehen. So kann es auch per se nicht entscheidend sein, dass nach deutschem Recht gegebenenfalls keine Strafe für das Verhalten ausgesprochen worden wäre.254 Die Ausnahmeregelungen bieten dem Betroffenen lediglich die Wahl, wo er die ausgesprochene Strafe verbüßt. Dass die Bundesrepublik Deutschland die rechtsstaatliche Wahrheitsfindung durch den auswärtigen Staat und die Feststellung zur Schuld des Täters nicht selbst mit zweifelloser Sicherheit kontrollieren kann, muss daher hingenommen werden. Es liegt in der Natur der Rechtshilfe, dass bis zu einem gewissen Grad auf das ordnungsgemäße Verfahren des Urteilsstaates vertraut werden muss. Die Rechtskraft des auswärtigen Urteils bietet dabei die essentielle Grundlage, die Schuld des Täters als gegeben hinzunehmen, ohne eine solche erneut zweifellos feststellen zu müssen. c) Grenze bei erheblichen Zweifeln Die Rechtskraft der auswärtigen Entscheidung darf freilich nicht dazu führen, dass die Grenze des ordre public überschritten und die Schuld des Betroffenen stets ohne Weiteres angenommen wird. Bestehen bestimmte Tatsachen, die den Verdacht begründen, dass der Betroffene nicht der Täter sein kann, die Verurteilung vielleicht sogar auf politischer Verfolgung (§ 6 Abs. 2 IRG) oder einer irrationalen Beweisfindung beruht, so muss die Vollstreckungsübernahme abgelehnt werden. Exequaturgericht und Bewilligungsbehörde haben daher die Pflicht, solche Tatsachen oder etwaige Hinweise, die den Verdacht der Unschuld des Betroffenen begründen, zu untersuchen. Bleiben bei der Prüfung des auswärtigen Verfahrens anhand des § 73 S. 1 IRG jedoch keine begründeten Bedenken, so ist das Urteil aufgrund der Achtung vor der Souveränität des Urteilsstaats und der endgültigen Rechtskraft als vollstreckbar hinzunehmen.255 Die Gefahr, eine Strafe zur Vollstreckung zu übernehmen, die der tatsächlichen Schuld des Verurteilten nicht entspricht, kann nie völlig ausgeräumt werden. Mögliche Restzweifel, die aufgrund der Divergenzen der Rechtsordnungen und fehlender Kontrollmechanismen bestehen, sperren nicht per se die Vornahme einer legitimen Vollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 und § 54a IRG.256 Dies vor allem auch, da ein weiterer Aspekt zu berücksichtigen ist, wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird.

254

Siehe dazu noch vertiefend S. 164 ff. So auch schon im alten Verfahren nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG a. F. Grotz, in: Grützner / ​ Pötz, IRG § 49 Rn. 11 f. 256 Ähnlich wie im Auslieferungsverkehr würde die vollständige Prüfung des Tatverdachts den Auslieferungsverkehr lahmlegen, siehe BGH, NJW 1952, 232, 233. 255

C. Legitimation der Vollstreckung 

139

2. Einverständnis des Betroffenen als eine Art Schuldeingeständnis Im Zusammenhang mit den Restzweifeln an der rechtsstaatlichen Wahrheitsfindung und der Schuld des Betroffenen ist neben der Rechtskraft der auswärtigen Entscheidung wiederum die Beteiligung des Verurteilten am Vollstreckungsübernahmeverfahren zu beachten. So kann in dem freiwilligen Antrag des Verurteilten auch eine Art Schuldeingeständnis gesehen werden, sodass es auf eine Kontrolle der sicheren Wahrheitsfindung im auswärtigen Verfahren nicht mehr entscheidend ankommen muss. Zwar zeigt § 257c Abs. 1 S. 2 StPO, dass es im deutschen Strafverfahren kein formales Strafanerkenntnis gibt, wie es etwa im anglo-amerikanischen Strafprozess existiert (bekannt als guilty plea);257 völlig fremd ist ein solches Rechts­ institut der deutschen Rechtsordnung aber nicht.258 So werden Geständnisse, die im Rahmen einer Verständigung abgelegt wurden, in der inländischen Praxis auch nicht wirklich überprüft, sondern allenfalls mit der Aktenlage abgeglichen, wie eine Untersuchung von Altenhain zeigt.259 Auch hier erfolgt daher letztendlich faktisch eine Entscheidung allein auf der freiwilligen Selbstunterwerfung des Angeklagten. Ferner kann das Strafbefehlsverfahren genannt werden, in dem der Betroffene durch Nichteinlegung des Einspruchs eine verhängte Strafe akzeptieren kann.260 Die Vollstreckung der Strafe beruht bei einem Strafbefehl allein auf einem (hinreichenden) Tatverdacht und der Zustimmung durch Unterlassen, also in Form des fehlenden Einspruchs.261 Durch diese Nichteinlegung verdichtet sich der zunächst bestehende Verdacht zur Gewissheit, und die Strafe kann vollstreckt werden. Obwohl die Strafvollstreckung allein auf dem fehlenden Einspruch beruht, steht ein rechtskräftiger Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gem. § 410 Abs. 3 StPO gleich. Mit dem Antrag zur Vollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 und § 54a Abs. 2 IRG zeigt der Betroffene ebenfalls, ähnlich wie im Strafbefehls­ verfahren, dass er die Feststellung der Schuld im auswärtigen Verfahren als ordnungsmäßig akzeptiert.262 Würde er das Urteil für nicht ordnungsgemäß halten, so könnte er dies spätestens im Vollstreckungsübernahmeverfahren äußern und um

257

Siehe etwa zum „guilty plea“ in den USA Brodowski, ZStW 2012, 733, 737 ff. Altenhain / ​Hagemeier / ​Haimerl, NStZ 2007, 71, 76. 259 Siehe Altenhain / ​Hagemeier / ​Haimerl, NStZ 2007, 71, 76. 260 Temming, in: Graf, § 407 Rn. 1. 261 Temming, in: Graf, § 407 Rn. 3; ders., in: Graf, § 408 Rn. 4; Schmitt, in: Meyer-Goßner / ​ Schmitt, § 408 Rn. 7; Meyer-Lohkamp, StraFo 2012, 170, 170; Deckers / ​Kuschnik, StraFo 2008, 418, 420; einschränkender Meurer, JuS 1987, 882, 885; Rieß, JR 1988, 133, 133 f.; Maur, in: KK-StPO, § 408 Rn. 15 m. w. N. 262 Ähnl. könnte dazu die „Akzeptanz“ eines Straftäters bei Begehung einer Tat sein, auf Grund dieser Tat ggf. eine Freiheitsstrafe in Haft verbüßen zu müssen, siehe dazu Di Fabio, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 2 II S. 2 Rn. 19. 258

140

Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

andere Maßnahmen, wie etwa solche des diplomatischen Schutzes,263 ersuchen. Die Zustimmung des Betroffenen im Rahmen von § 49 Abs. 3 und § 54a IRG, die, wie oben gezeigt, trotz aller Widrigkeiten im Regelfall freiwillig erfolgen kann,264 ist daher etwaigen Restzweifeln an der sicheren Wahrheitsfindung im auswärtigen Verfahren entgegenzuhalten. 3. Schutz der Rechte des Verurteilten als Ausgleich zu verbleibenden Restzweifeln Neben der Rechtskraft des auswärtigen Urteils und der Zustimmung als Art Schuldeingeständnis durch den Betroffenen muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass der Verurteilte durch die Vollstreckungsübernahme in eine bessere Lage gebracht wird.265 Sie stellt daher nicht bloß einen reinen Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, sondern vielmehr auch eine Schutzmaßnahme dar, durch welche die Grundrechte des Verurteilten und insbesondere Art. 1 Abs. 1 GG besser gewährleistet werden können.266 Aufgrund des zusätzlichen Schutzgedankens der Regelungen dürfen Restzweifel an der Schuld des Verurteilten einer Vollstreckungsübernahme nicht von vorneherein entgegenstehen. Vielmehr muss im Rahmen der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG beachtet werden, dass dem Betroffenen geholfen wird. Auch darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Verurteilte die im Ausland rechtskräftig verhängte Strafe in jedem Fall verbüßen muss. Im rein innerstaatlichen Verfahren, in dem das Schuldprinzip einer der höchsten Grundsätze im Strafprozess darstellt,267 wäre die Alternative die Straflosigkeit. Eine solche ist in den Fällen der Vollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 und § 54a IRG jedoch nicht mehr zu erreichen.268 Wird die Vollstreckungsübernahme somit wegen verbleibender Restzweifel abgelehnt, hätte dies bloß die Konsequenz, dass der Verurteilte nicht nur die Strafe an sich, sondern diese auch unter schlechteren Haftbedingungen zu verbüßen hätte. Dies kann nicht als gerecht empfunden werden. Die Vollstreckung der fremden Strafe im Heimatstaat bietet neben der vollständigen Achtung der Grundrechte auch weitere Vorteile. So muss berücksichtigt werden, dass im deutschen Strafvollzug Vollzugslockerungen möglich sind.269 Der Verurteilte wäre somit in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG teilweise freier, als er es im Urteilsstaat wäre. 263

Siehe zum diplomatischen Schutz S. 237 ff. Siehe S. 109 ff. 265 BT-Drs. 18/4347, S. 95. 266 BT-Drs. 18/4347, S. 95. 267 Siehe etwa Adam / ​Schmidt / ​Schumacher, NStZ 2017, 7, 8 ff. 268 So auch BT-Drs. 18/4347, S. 95. 269 So auch BT-Drs. 18/4347, S. 95, 98; zu denken ist etwa an § 11 StVollzG, siehe dazu S­ etton, in: BeckOK StVollzG, § 11 Rn. 1 ff. 264

C. Legitimation der Vollstreckung 

141

Auch der Grundrechtsverzicht des Betroffenen, mit dem der Verurteilte dem Eingriff in sein Freiheitsrecht durch die Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich zustimmt, muss berücksichtigt werden.270 Unabhängig davon, ob bei einem Grundrechtsverzicht schon kein Eingriff vorliegt oder dieser gerechtfertigt ist,271 muss das Ersuchen des Betroffenen die Legitimität des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG im Rahmen der Vollstreckungsübernahme begründen können, auch wenn Restzweifel an der Schuld verbleiben.272

IV. Zwischenergebnis 1. Legitime Vollstreckungszwecke der Ausnahmeverfahren Durch § 49 Abs. 3 und § 54a IRG können auch solche Strafen zur Vollstreckung übernommen werden, für welche die Schuld des Betroffenen nicht mit der im Inland als notwendig erachteten Gewissheit festgestellt werden konnte und die ein Verhalten sanktionieren, welches nach eigenem Recht nicht in der Form strafwürdig gewesen wäre. Durch den völkerrechtlichen Bezug kann die eigene Rechtsordnung nicht Maßstab einer auswärtigen Entscheidung sein. Lediglich die Grenze des § 73 S. 1 IRG ist zwingend zu wahren, damit das auswärtige Strafbedürfnis anerkannt werden kann. Das zwingende Zustimmungserfordernis in den Ausnahme­regelungen trägt dazu bei, dass die Subjektqualität des Betroffenen genügend geachtet wird und Art. 1 Abs. 1 GG nicht verletzt wird. Auch etwaige Restzweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses der auswärtigen Wahrheitsfindung stehen einer Vollstreckungsübernahme der auswärtigen Strafe und vor allem einer tatsächlichen Strafvollstreckung nicht entgegen. Entscheidend ist, dass das ausländische Urteil gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG zur Übernahme der fremden Sanktion stets in Rechtskraft erwachsen sein muss. Zudem stellt die Zustimmung des Betroffenen, wie oben gezeigt, eine Art Schuldeingeständnis für die im Ausland begangene Tat dar. Das Gesamtkonzept der Ausnahmeregelungen bestätigt, dass etwaige Restzweifel nicht per se einer Vollstreckungsübernahme von Urteilen, die der eigenen Rechtsordnung widersprechen, entgegenstehen. Bei begründeten Zweifeln oder sogar Beweisen einer grob rechtsstaatswidrigen Wahrheitsfindung muss die Vollstreckungsübernahme jedoch zwingend abgelehnt werden. 270

Siehe zum Grundrechtsverzicht schon S. 99 ff. Rechtfertigung des Eingriffs Eppelt, Grundrechtsverzicht und Humangenetik, S. 22 ff.; Hufen, Staatsrecht II, § 6 Rn. 42; OVG NRW, Urteil v. 18. August 2010, Az. 19 A 1211/09, Rn. 51 ff.; VGH Mannheim, NVwZ 2004, 498 ff.; Schwabe, Probleme der Grundrechts­ dogmatik, S. 93, sich selbst jedoch leicht widersprechend ders., Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 127; Stern, Staatsrecht III/2, S. 926 f.; schon fehlender Eingriff Kingreen / ​Poscher, Grundrechte, Rn. 203; Fischinger, JuS 2007, 808, 813; Wolter, Recht der Arbeit 2002, 218, 222; BVerfGE, NJW 1973, 1895, 1896; Stern, in: Stern / ​Becker, Einl., Rn. 157; so auch Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 198, dort m. w. N. auf S. 193 Fn. 671. 272 Angedeutet schon auf S. 131. 271

142

Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

Die Vollstreckung einer Strafe, die auf Grundlage von § 49 Abs. 3 und § 54a IRG übernommen wurden, dient daher, wie auch im Regelverfahren, der Tilgung des fremden, anerkannten Strafbedürfnisses. Durch diese wird zugleich auch die völkerrechtliche Verbindlichkeit der Bundesrepublik Deutschland eingehalten und der zukünftige Rechtshilfeverkehr geschützt. Der Verurteilte wird nicht zum Objekt staatlicher Interessen degradiert, da die Rechtshilfe erst auf sein Ersuchen erfolgt. Darüber hinaus ist auch der Schutzzweck der Ausnahmeregelungen entscheidend. § 49 Abs. 3 und § 54a IRG sind daher legitime Rechtsgrundlagen, durch welche Urteile vollstreckt werden können, die nach eigenem Recht einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nicht gerechtfertigt hätten. 2. Schlussfolgerung zur Art der Haft Anknüpfend an den mit der Vollstreckung verfolgten Zwecken ist auch die Art der Haft zu qualifizieren, in welcher der Betroffene letztendlich den Eingriff in sein Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG durch die deutsche Staatsgewalt zu dulden hat. Bei der Vollstreckung eines auswärtigen Strafurteils handelt es sich immer noch um eine Strafvollstreckung, wie sie auch im rein innerstaatlichen Verfahren an eine gerichtliche Verurteilung anknüpft. Dies bedeutet, dass die Haft des Betroffenen in der Bundesrepublik Deutschland eine normale Strafhaft darstellt,273 die allgemeinen Vollzugszielen dient. Dies ist vor allem deswegen möglich, weil die Bundesrepublik Deutschland durch die Exequaturentscheidung das fremde Urteil und somit das Strafbedürfnis anerkennt. Wenn dagegen positiv feststeht, dass der Betroffene unschuldig ist, kann die Haft nicht mehr als Strafhaft eingestuft werden. In dem Fall kann das Strafbedürfnis des Urteilsstaates nicht übernommen werden, und die Vollstreckung nicht der Tilgung einer Schuld dienen. Da die anderen beiden Zwecke mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 GG nicht ausreichen, um die Inhaftierung des Betroffenen zu rechtfertigen, muss die Haft in dem Fall abgebrochen werden. Bestehen an der Schuld des Betroffen jedoch keine unüberwindbaren Zweifel, müssen bei der Vollstreckungsübernahme nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG neben der Strafhaft noch andere Aspekte berücksichtigt werden. So ist die Haft in Deutschland auch eine Art rechtshilferechtliche (Verfahrens-)Sicherungshaft, durch welche der allgemeine rechtshilferechtliche Verkehr gesichert wird. Siche­ rungshaft kennt die deutsche Rechtsordnung etwa bei der Untersuchungshaft, durch welche die Durchführung eines strafrechtlichen Prozesses garantiert wird.274 Die Untersuchungshaft kann zwar nicht vollends mit der Haft, in welcher der Betroffene die auswärtige Strafe durch die Exequaturentscheidung in Deutschland verbüßt, verglichen werden. Doch zeigt diese, dass es durchaus Haftarten gibt, die überwiegend dem Schutz eines Verfahrens und den Interessen der Allgemeinheit 273

Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG Vor § 48 Rn. 8; siehe dazu auch S. 70 ff.; a. A. Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG Vor § 48 Rn. 23. 274 Böhm / ​Werner, in: MüKO-StPO, StPO § 112 Rn. 1; Krauß, in: Graf, StPO § 112 Rn. 4.

D. Ergebnis

143

dienen.275 Im Vollstreckungsübernahmeverfahren schützt diese Sicherungshaft die Vollstreckung der auswärtigen Strafe, zu der sich die Bundesrepublik Deutschland im Außenverhältnis verpflichtete. Zum Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG kann dies jedoch nicht die ausschließliche Haftart sein. Für die Bewertung der Art der Haft muss zusätzlich der ursprüngliche Schutzzweck der Ausnahmevollstreckungsübernahme beachtet werden. Durch diesen tritt neben der Straftilgung und der Sicherung des Rechtshilfeverkehrs zusätzlich eine Art „Schutzgewahrsam“ des Betroffenen.276 Diese Haft ähnelt in ihren Grund­ zügen dem polizeilichen Schutzgewahrsam, durch den der Betroffene ebenso zum Schutz vor weiteren Verletzungen in Gewahrsam genommen werden kann.277 Diese soll den Inhaftierten zwar typischerweise vor Gefahren durch sich selbst schützen, doch ist auch der Fall anerkannt, in dem ein Nichtstörer zum Schutz vor Gefahren durch Dritte (wie hier durch den auswärtigen Staat) in Gewahrsam genommen wird.278 Wie auch beim Vollstreckungszweck ist die Gefahr der Verletzung der Grundrechte nach Überführung des Verurteilten jedoch nicht mehr konkret gegeben. Der Schutzaspekt besteht in deutscher Haft dennoch in einer Art „fortgesetztem Schutz“ weiter.

D. Ergebnis Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG stellen legitime Rechtsgrund­lagen für einen Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG dar. Sie be­zwecken den Schutz des Verurteilten und sind vorrangig als Ausdruck der Fürsorge der Bundesrepublik Deutschland zu werten. Wesentliche Voraussetzungen dieser Ausnahmeverfahren im Vollstreckungsübernahmebereich sind der Antrag des Betroffenen, der nach ausführlicher Belehrung zu erfolgen hat, und eine Abwägung des Exequaturgerichts zwischen dem Interesse des Staates an der Unversehrtheit seiner Rechtsordnung und den Interessen des Verurteilten. Daneben ist § 73 S. 1 IRG auch weiterhin als oberstes Rechtshilfehindernis zu achten. Der Antrag des Verurteilten ist sowohl eine Prozesserklärung als auch ein Grundrechtsverzicht, durch den er dem Eingriff in sein Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG zustimmt. Zusätzlich ist darin ein Schutzersuchen enthalten, durch wel 275

Zur Untersuchungshaft siehe BVerfG, NJW 1966, 243 f. (= BVerfGE 19, 342); BVerfG, NJW 1966, 1259 (= BVerfGE 20, 45); Krauß, in: Graf, StPO § 112 Rn. 4. 276 So auch ergebnisähnlich BT-Drs. 18/4347, S. 95, 100. 277 Der polizeiliche Schutzgewahrsam ist in allen Polizeigesetzen vorgesehen, Rachor / ​Graulich, in: Bäcker / ​Denniger / ​Graulich, E. Das Polizeihandeln, Rn. 495; siehe etwa bei Hauser, in: BeckOK PolG BaWü, § 28 Rn. 27 ff.; Grünewald, in: BeckOK PAG / ​POG Bayern, PAG Art. 17 Rn. 16 ff.; ebenso wie etwa für Hessen gem. § 32 HSOG, NRW gem. 35 PolG NRW oder MeckPom gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SOG M-V. 278 Rachor / ​Graulich, in: Bäcker / ​Denniger / ​Graulich, E. Das Polizeihandeln, Rn. 495; Kingreen / ​Poscher, Polizei- u. Ordnungsrecht, § 16 Rn. 23.

144

Kap. 2: Die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG 

ches der Verurteilte die Bundesrepublik Deutschland darum nachsucht, ihn in den deutschen Strafvollzug zu überführen. Der Antrag und die darin enthaltene Zustimmung zur Vollstreckungsübernahme kann auch dann wirksam gestellt werden, wenn sich der Verurteilte unter strengen Haftbedingungen in auswärtiger Haft befindet. Ist dieser jedoch antragsunfähig, weil er die Tragweite seiner Entscheidung nicht mehr erkennt, kann sein gesetzlicher Vertreter bzw. Betreuer für ihn gem. § 77 Abs. 1 IRG i. V. m. § 298 StPO und analog § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB den Antrag stellen. Zu beachten ist, dass der Antrag zwar grundsätzlich unwiderruflich ist, doch dies nicht bedeutet, dass jegliche Willensmängel unbeachtlich sind. Entgegen der Ansicht des Gesetzgebers müssen aus Gründen der Gerechtigkeit vor allem schwere Willensmängel, die auf Drohung oder Gewalt beruhen, im Einzelfall beachtlich sein können. Bei der Frage, ob ein konkreter Willensmangel die Unwirksamkeit des Antrags begründen könnte, muss jedoch stets berücksichtigt werden, dass der Verurteilte durch die Vollstreckungsübernahme in eine bessere Lage überführt wird. Dass schwere Willensmängel daher teils angefochten werden können, wird nur selten anzunehmen sein. Dass die übernommene Strafe nach deutschem Recht nicht hätte ergehen können, ist unerheblich. Im Rechtshilfebereich muss aus Gründen der Völkerrechtsfreundlichkeit und der Achtung fremder Staaten ein anderer Maßstab gelten als im rein innerstaatlichen Raum. Letztmögliche Grenze ist lediglich der ordre public. Insofern bestätigt sich die Ansicht, dass § 73 S. 1 IRG auch im Rahmen der Ausnahmevollstreckungsübernahmen oberstes Rechtshilfehindernis bleibt. Zudem ist das Zustimmungserfordernis bedeutend. Dieses ist in den Verfahren gem. § 49 Abs. 3 S. 1 und § 54a Abs. 2 S. 1 IRG zwingende Bedingung für die legitime Vollstreckung eines Urteils, durch welche die Subjektqualität des Einzelnen geachtet wird. Dass Restzweifel an der rechtsstaatlichen Wahrheitsfindung im Urteilsstaat und der Schuld des Betroffenen durch die Abkehr von der eigenen Rechtsordnung und fehlende Kontrollmechanismen aufgrund des völkerrechtlichen Bezugs verbleiben können, ist für die Legitimität der Vollstreckung der fremden Strafe und den Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG unschädlich. Da das auswärtige Urteil in Rechtskraft erwachsen sein wird, muss, wie im innerstaatlichen Raum, aus Gründen der Rechtssicherheit weitgehend auf ihre Richtigkeit vertraut werden. Zudem ist die Beteiligung und Zustimmung des Verurteilten entscheidend. Da­ neben muss berücksichtigt werden, dass die Vollstreckungsübernahme die weitaus mildere Alternative für den Verurteilten darstellt. Der Zweck der Vollstreckung der fremden, übernommenen Freiheitsstrafe durch die Bundesrepublik ist die Tilgung des übernommenen Strafbedürfnisses, die Sicherung des zukünftigen Rechtshilfeverkehrs und der Schutz des Verurteilten. Gleichlaufend dazu ist die Art der Haft eine Strafhaft und eine rechtshilferechtliche Verfahrenssicherungshaft. Außerdem ist sie als eine Art fortgesetzter Schutzgewahrsam einzustufen.

3. Kapitel

Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG im Lichte verfassungsrechtlicher Vorgaben Für eine umfassende Würdigung der Ausnahmeregelungen muss auch untersucht werden, welchen verfassungsrechtlichen Grenzen die Ausnahmevollstreckungsübernahmen unterliegen. Es blieb bis dato weitgehend unberücksichtigt, was konkret unter „wesentlichen, fundamentalen Prinzipien“ der deutschen Rechtsordnung zu verstehen ist und somit, wie weit die Ausnahmeregelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG eine Abkehr vom eigenen Recht konkret zulassen. Um die Tragweite der möglichen Vollstreckungsübernahmen erörtern zu können, soll eine allgemeine Darstellung des Inhalts des ordre publics im Rahmen der Rechtshilfe der Vollstreckungsübernahme erfolgen. Daran anknüpfend kann untersucht werden, welchen verfassungsrechtlichen Vorgaben die Vollstreckungsübernahme unterliegt und inwieweit von den allgemeinen Bedingungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 und § 54 Abs. 1 sowie § 57 IRG verfassungskonform abgewichen werden kann. Zuletzt soll betrachtet werden, inwieweit das Vertrauen des Urteilsstaates zum Schutz des Rechtshilfeverkehrs in die Vollstreckung durch die Bundesrepublik geschützt werden kann.

A. Generalvorbehalt des ordre public I. Begriff des ordre public Der Begriff des ordre public ist viel diskutiert und dennoch nicht klar umrissen.1 Nach dem Willen des Gesetzgebers soll dieser einen eng gezogenen Umfang haben und nur „wenige unverzichtbare“ Garantien beinhalten.2 Der BGH führt in seiner ständigen Rechtsprechung dazu aus: „Eine Anwendung der Vorbehaltsklausel kommt nur in Betracht, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Vertragsstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates stünde. […] es [muss] sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Voll-

1 2

Ähnlich kritisierend auch Schumann, Anerkennung und ordre public, S. 161. BT-Drs. 9/1338, S. 93; Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 28.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

streckungsstaates als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln.“3 [Herv. d. Verf.]

Danach soll das Rechtshilfehindernis des ordre public einer Vollstreckungshilfe nur entgegenstehen, „[…], wenn die Entscheidung des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das sich von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße entfernt, dass nach der deutschen Rechtsordnung das Urteil nicht als in einem ge­ ordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann.“4

Maßgeblich für den Inhalt des ordre public sind vor allem die Gewährleistungen aus Art. 103 GG. Diese sind als Ausfluss der Rechtsstaatlichkeit zu verstehen und stellen daher fundamentale, wesentliche Prinzipien dar.5 Daneben ist Art. 103 Abs. 1 GG auch Ausprägung des Menschenrechtsschutzes und als solches schon unverzichtbar.6 Dem Betroffenen muss im Verfahren somit Gelegenheit zur Äuße­ rung gegeben werden und er muss die Möglichkeit haben, auf das Verfahren Einfluss nehmen zu können. Er darf in keiner Weise bloßes Objekt des Prozesses sein, sondern muss stets in seiner Subjektqualität anerkannt werden und in der Lage sein, seine Rechte ordnungsgemäß zu verteidigen.7 Alle damit untrennbar verknüpften Gewährleistungen des Einzelnen zählen unzweifelhaft zu fundamentalen, wesentlichen Prinzipien der deutschen Rechtsordnung. Zu beachten ist aber der enge Umfang des ordre publics. Nur schwerwiegende Verstöße im auswärtigen Verfahren, die unter keinen Umständen von der eigenen Verfassung getragen werden können, sollen auch zu einer Verletzung des ordre public führen.8 Dies bedeutet, dass nicht jede Verletzung eines wichtigen Prinzips im Verfahren einem Verstoß gegen den ordre public gleichgesetzt werden kann. Entscheidend ist eine Einzelfallbetrachtung, inwieweit das konkret in Frage stehende Urteil noch im Lichte der deutschen Verfassung tragbar ist. Auch abstrakt-generelle Missstände genügen als solche nicht, um eine Verletzung anzuneh-

3

So ausdrücklich BGH, EuZW 2017, 624; aber inhaltlich auch BVerfG, NJW 1983, 1726, 1727 (= BVerfGE 62, 332 (337 f.)); BVerfG, NJW 1987, 2155 (= BVerfGE 75, 1 (19)); BVerfG, NJW 2005, 3483, 3483 f. (= BVerfGE 113,154 (162)); BVerfG, JZ 2004, 141. 4 A. a. O. 5 Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG Art. 103 Rn. 2; BVerfG, NJW 1959, 427 (= BVerfGE 9, 89); BVerfG, NJW 1957, 1228 (= BVerfGE 7, 275 (279)); BVerfG, NJW 1993, 2229 (= BVerfGE 89, 28 (35)); BVerfG, NJW 2003, 1924, 1926 (= BVErfGE 107, 395 (408)); BVerfG, NJW 2011, 49 (= BVerfGK 18, 58). 6 BVerfG, NJW 1983, 1726 f. (= BVerfGE 63, 332); BVerfG, NJW 1957, 1228 (= BVerfGE 7, 57 f.); BVerfG, NJW 1958, 665 (= BVerfGE 7, 275); BVerfG, NJW 1959, 427 (= BVerfGE 9, 89); BVerfG, NJW 1975, 1013 (= BVerfGE 39, 156); BVerfG, NJW 1978, 151 (= BVerfGE 46, 202); BVerfG, NJW 1980, 2698 (= BVerfGE 55, 1); Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG Art. 103 Rn. 2 m. w. N. 7 BVerfG, NJW 1959, 427 (= BVerfGE 9, 89); Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​ Henneke, GG Art. 103 Rn. 2 m. w. N. 8 BT-Drs. 9/1338, S. 93; Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 4.

A. Generalvorbehalt des ordre public

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men.9 Diese notwendige Einzelfallbetrachtung macht es auch schwer, den Inhalt des ordre publics klar zu umfassen. Wichtig ist aber, dass die fundamentalen verfassungsrechtlichen Prinzipien nur solche sind, die sich als unverzichtbar für ein rechtsstaatliches Handeln erweisen. Als Anhaltspunkte gelten die Grundgewährleistungen des Art. 103 GG.10 Zum innerstaatlichen ordre public zählen auch die verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards.11 Ebenso wie die fundamentalen, wesentlichen Prinzipien der eigenen Rechtsordnung sind auch die „völkerrechtlichen Mindeststandards“ nicht leicht zu erfassen.12 Insbesondere die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, also die universelle(n) Rechtsüberzeugungen und -praxis des Völkergewohnheitsrechts, der sog. ius cogens, und allgemeine Rechtsgrundsätze des Völkerrechts sollen dazu zählen.13 Gemeint sind Maßstäbe, die auch ohne vertragliche Regelungen von den Staaten beachtet werden und übereinstimmend in den Rechtsordnungen der Staaten zu finden sind. Dieser allgemeine Konsens macht es möglich, die geachteten Maßstäbe auch auf den völkerrechtlichen Verkehr zu übertragen.14 Zu den eindeutigen Fällen des universellen ius cogens zählen das Verbot der Folter und der Anwendung anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafungen oder Behandlungen,15 sowie das Verbot der willkürlichen Tötung und der Versklavung von Verfolgten.16 Auch das Verbot der diskriminierenden Verfolgung ist anerkanntes Völkergewohnheitsrecht. Daneben werden teilweise auch das Gesetzlichkeitsprinzip, das Rückwirkungsverbot und das Recht auf rechtliches Gehör zum ius cogens gezählt.17

9 OLG Stuttgart, NStZ-RR 2007, 273, 274; BVerfG, JZ 2004, 141, 141 ff. (= BVerfGE 108, 129); Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 29; Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 781; BT-Drs. 18/4347, S. 101. 10 BVerfG, NJW 1983, 1726 f. (= BVerfGE 63, 332); BVerfG, NJW 1959, 427 (= BVerfGE 9, 89); BVerfG, NJW 1975, 1013 (= BVerfGE 39, 156); BVerfG, NJW 1980, 2698 (= BVerfGE 55, 1). 11 BVerfG, NJW 1983, 1726 (= BVerfGE 62, 332 (337 f.)); BVerfGE 75, 1, 19; BVerfG, NJW 2005, 3483, 3483 f. (= BVerfGE 113, 154 (162)); BVerfG, JZ 2004, 141; BVerfG, NJW 2004, 3407 f. (= BVerfGE 111, 307). 12 Siehe dazu Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 36. 13 Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 36, 54; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 273. 14 Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 34, 54. 15 Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 35 mit dem Nachweis des schweizerischen Bundesgerichts, welches das Verbot der Folter und der erniedrigenden Behandlung als zwingende Regeln des Völkerrechts eingestuft hat, siehe BGE 106 Ib 304 f.; siehe auch Schmahl / ​Steiger, AVR 2005, 359, 360 ff. m. w. N. 16 Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 35. 17 Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 35; Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn. 65 f.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

II. Inhalt des ordre public im Vollstreckungsübernahmerecht Von der Rechtsprechung und der Literatur wurden typische Fallgruppen für den Inhalt des ordre public entwickelt, die vor allem im Auslieferungsrecht klassische Auslieferungshindernisse begründen.18 Viele dieser Fallgruppen können auch auf die Rechtshilfe der Vollstreckungsübernahme übertragen werden,19 wobei die unterschiedlichen Richtungen der Rechtshilfen immer berücksichtigt werden müssen. Während die Auslieferung lediglich die Hilfe zur Vornahme des auswärtigen Strafverfahrens darstellt, ist die Vollstreckungsübernahme durch die inländische Vollstreckung eine echte Teilnahme am auswärtigen Strafverfahren. Da der maßgebliche Anknüpfungspunkt der Vollstreckung das auswärtige Urteil ist, muss die Achtung vor fremden Rechtsordnungen niedriger liegen als bei der Rechtshilfe der Auslieferung. Mit anderen Worten bedingt die Teilnahme am Strafverfahren und der nicht nur unerhebliche Eingriff in das Freiheitsrecht des Betroffenen durch die Vollstreckung der auswärtigen Strafe einen höheren Einklang des Urteils mit eigenen fundamentalen Prinzipien als bei der Auslieferung. Denn durch die Auslieferung wird lediglich ein Verfahren einheitlich nach der auswärtigen Rechts­ ordnung ermöglicht. Ein Verstoß gegen den ordre public kann unter Umständen also im Bereich der Vollstreckungsübernahme früher anzunehmen sein.20 1. Typische Fallgruppen im Vollstreckungsübernahmerecht Die Fallgruppen von typischen Rechtshilfehindernissen, die auf einem Widerspruch zum ordre public beruhen, lassen sich im Vollstreckungsübernahmeverfahren in zwei Gruppen aufteilen: Rechtshilfehindernisse, die auf Verstöße gegen fundamentale Prinzipien im Strafverfahren beruhen und solche, die an die im Urteilsstaat verhängte Sanktion knüpfen. Im Auslieferungsrecht gibt es zusätzlich noch eine dritte Gruppe von Rechtshilfehindernissen. Diese knüpft an Merkmale an, die in der Person des Verfolgten liegen, und verhindert aus humanitären Gründen die Auslieferung.21 Die Fälle dieser dritten Gruppe stellen im Bereich der Vollstreckungsübernahme aber keine Rechtshindernisse dar. Vielmehr können diese Merkmale, die in der Person des Verfolgten liegen, die Entscheidung zur Übernahme der Vollstreckung eines auswärtigen Urteils positiv beeinflussen. So kann etwa die Verletzung etwaiger Rechte des Verurteilten im auswärtigen Strafvollzug dazu drängen, den Betroffenen aus dem Urteilsstaat zu befreien. Die humanitären Erwägungen führen im Vollstreckungsübernahmeverfahren auch zu dem bekannten Dilemma, dass der Schutz der Rechte des Einzelnen zwar teilweise 18

Hackner / ​Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 29; Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 1.  HT, Rn.  97. 19 Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 1. HT, Rn. 97. 20 BT-Drs. 9/1338, S. 94; Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 16; Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn.  5. 21 Bezogen auf die Auslieferung Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 1.  HT, Rn.  79.

A. Generalvorbehalt des ordre public

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geboten wäre, die verfassungsrechtliche Grenze des ordre public jedoch einer Vollstreckungsübernahme entgegen steht.22 a) Verstöße im Strafverfahren Zum innerstaatlichen ordre public – im Zusammenhang mit einem Strafverfahren – gehören die Grundrechte und die grundrechtsgleichen Garantien, sofern diese unbeschränkbar sind bzw. ihr unbeschränkbarer Kern- und Wesensgehalt berührt wird.23 Insbesondere die unantastbare Würde des Angeklagten aus Art. 1 Abs. 1 GG muss im Strafverfahren gewährleistet sein.24 Daraus ergibt sich nicht nur das Verbot der Folter in der Strafverfolgung, welches zusätzlich noch durch Art. 3 EMRK geschützt wird,25 sondern auch die Sicherstellung, dass dieser nicht zum bloßen Objekt des Verfahrens degradiert werden darf und für ihn die Möglichkeit bestehen muss, auf das Verfahren einzuwirken.26 Ihm sind gem. Art. 20 Abs. 3 GG und gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EMRK die wesentlichen Garantien eines fairen Verfahrens zu gewährleisten.27 Dies beinhaltet unter anderem, dass das Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK und die tatsächliche Teilnahme am Verfahren gewährt worden sein muss,28 aber auch, dass bei Bedarf im Verfahren ein Dolmetscher hinzugezogen wird, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK.29 Auch die Selbstbelastungsfreiheit zählt im Grundsatz zu einem fairen Verfahren.30 Das 22 Bekannt als sog. Härtefälle, Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG Vor § 48 Rn. 4 f.; Wilkitzki, GA 1981, 361, 373; siehe dazu kurz auch Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 785 ff. 23 Popp, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe, Rn. 395; Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 31; Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 13. 24 Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 31. 25 Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 189; Kau, in: IntKommEMRK, Art. 3 Rn. 1 f. 26 BVerfG, NJW 1969, 1423, 1424 (= BVerfGE 26, 66); BVerfG, NJW 1959, 427 (= BVerfGE 9, 89); BVerfG, NJW 1975, 103, 104 (= BVerfGE 38, 105); Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​ Hofmann / ​Henneke, GG Art. 103 Rn. 2. 27 BVerfG, NJW 1976, 413 f. (= BVerGE 41, 246 (249)); BVerfG, NJW 1978, 151 f. (= BVerfGE, 46, 202 (210)); BVerfG, NJW 1980, 2698 (= BVerfGE, 55, 1 (5 f.)); BVerfG, Urteil v. 26. Januar 1982, Rs. 2 BvR 856/81 (= BVerfGE 59, 280); Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 186; Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn. 50; Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 83 f. 28 Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG  § 73 Rn.  39, 67; Vogler, ZStW 1993, 3, 15; Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG Art. 103 Rn. 2. 29 BVerfG, NJW 1988, 1462; Meyer-Ladewig / ​Harrendorf / ​König, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​Raumer, EMRK Art. 6 Rn.  246 ff.; Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn. 68; Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 1. HT, Rn. 90. 30 EGMR, Funke vs. France, ÖJZ 1993, 532, 533; EGMR, Murray vs. UK, EuGRZ 1996, 587, 590 Rn. 45; EGMR, Sanders vs. UK, ÖJZ 1998, 32, 33 ff.; EGMR, Allan vs. UK, StV 2003, 257, 259 Rn. 44; Gaede, HRRS 2006, 241, 241 ff.; ders., in: MüKO-StPO, EMRK Art. 6 Rn. 318.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

Recht auf einen unabhängigen und gesetzlichen Richter aus Art. 97 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK und das Verbot von Ausnahmegerichten aus Art. 101 Abs. 1 S. 1 GG müssen ebenfalls eingeräumt werden.31 Zusätzlich sollte die Hauptverhandlung nach den Maßgaben der Grundsätze der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit abgehandelt worden sein32 sowie im auswärtigen Verfahrensrecht eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen die gerichtliche Entscheidung bestehen.33 Eine zweifelsfreie Verletzung der Unschuldsvermutung i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG und Art 6 Abs. 2 EMRK ist als Verstoß sowohl gegen unabdingbare verfassungsrechtliche als auch gegen völkerrechtliche Mindeststandards zu bewerten und ist somit ein typisches Rechtshilfehindernis im Vollstreckungsübernahmeverkehr.34 Daneben muss auch der Rechtsgedanke des § 6 Abs. 2 IRG, welcher im Auslieferungsrecht ein klassisches Auslieferungshindernis beinhaltet,35 beachtet werden. Zum Schutz des verfassungsrechtlichen Asylrechts aus Art. 16a Abs. 1 GG verbietet sich daher auch die Übernahme eines Urteils, welches in erster Linie der politischen Verfolgung des Betroffenen dient. Daneben zählen auch das Bestimmtheitsgebot und das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG sowie Art. 7 Abs. 1 EMRK zum ordre public der Bundes­ republik Deutschland,36 welche im auswärtigen Strafrecht geachtet sein müssen.37 Auch der in Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG verankerte Schuldgrundsatz gehört zum wesentlichen Kern des nationalen ordre public,38 sodass sich jedenfalls eine Übernahme der Vollstreckung von Urteilen gegenüber Kindern39 aus Art. 1 i. V. m. Art. 2 31

Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn.  37; Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 1.  HT, Rn.  89; Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 73; BVerfG, NStZ-RR 2004, 179; Vogler, ZStW 1993, 3, 15; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 188; Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 38 ff. 32 Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 77; Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 1. HT, Rn. 90. 33 BT-Drs. 9/1338, S. 69. 34 Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 189; EuGH, EuGRZ 1983, S. 475 ff., 478 ff.; Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 13. 35 Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 6 Rn. 122 f. 36 Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG Art. 103 Rn. 3; dies., in: HStrfR I, § 2 Rn. 48; BVerfG, NJW 1957, 1395 (= BVerfGE 7, 89); BVerfG, NJW 1997, 929 (= BVerfGE 95, 96); BVerfG, NJW 2010, 3209, 3210 ff. (= BVerfGE 126, 170 (195)). 37 Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn.  64 f.; Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 1.  HT, Rn.  89; Vogler, ZStW 1993, 3, 15; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 189. 38 BVerfG, NJW 1981, 1719; BVerfG, NJW 1990, 563 (= BVerfGE 80, 367); BVerfG, NJW 1994, 1577 (= BVerfGE 90, 145); BVerfG, NJW 2009, 2267, 2289; Radtke, in: MüKo-StGB, Vor § 38 Rn. 14; Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 32; Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​ König / ​Rackow, 1. HT, Rn. 84; Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 89. 39 Über die Grenze der Strafmündigkeit eines Kindes kann freilich diskutiert werden. So kann auch fraglich sein, ab welchem Alter Verurteilungen von Kindern gegen den ordre public verstoßen. So beginnt das strafmündige Alter bspw. in England mit Vollendung des 10. Lebensjahres. In Deutschland ist dagegen die Vollendung des 14. Lebensjahres maßgeblich (siehe zur Diskussion der Herabsetzung des Strafmündigkeitsalter etwa Hinz, ZRP 2000, 107 ff.; Paul, ZRP 2003, 204 ff. m.w.N). Im Rechtshilfebereich wurde etwa die Vernehmung eines Elf­

A. Generalvorbehalt des ordre public

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Abs. 1, 2 GG verbietet.40 Es können jedoch nicht jegliche Fälle der Schuldunfähigkeit einer Person zwingend dem ordre public zugeordnet werden.41 Vielmehr ist im Einzelfall zu bewerten, wie schwer die Schuld des Betroffenen wiegt. Eine zweifelsfreie Feststellung, dass die Tat dem Betroffenen nicht persönlich vorwerfbar ist, ist jedoch stets als Verstoß gegen das Schuldprinzip und somit gegen den ordre public zu werten. Es lassen sich daher folgende regelmäßige Fallgruppen von Rechtshilfehindernissen durch den ordre public im Vollstreckungsübernahmeverfahren, die sich aus Verstößen des auswärtigen Strafverfahrens ergeben, zusammenfassen: – Urteil auf Basis eines Geständnisses, welches durch Folter erzwungen wurde, und vergleichbar gravierende Verstöße gegen die Selbstbelastungsfreiheit42 – Verstoß gegen den fair-trial Grundsatz, insbesondere fehlende Gewährleistung eines unabhängigen und gesetzlichen Richters, des Rechts auf rechtliches Gehör, eine ordnungsgemäße Verteidigung sowie von Rechtsschutzmöglichkeiten – Urteile unter Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und / ​oder das Rückwirkungsverbot – Verstöße gegen das Schuldprinzip, insbesondere Urteile gegen Strafunmündige b) Unvereinbarkeit der Sanktion In der zweiten Kategorie der Fallgruppen der Rechtshindernisse des innerstaatlichen ordre public finden sich Verstöße gegen unabdingbare verfassungsrecht­ liche Prinzipien und völkerrechtliche Mindeststandards aufgrund der im Ausland verhängten Sanktion. Allen voran sind solche Sanktionen zu nennen, die nach nationalem Verständnis eine unerträgliche Härte aufweisen. Solche Strafen verstoßen nicht nur gegen Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 2 GG und das Schuldprinzip aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG43, sondern auch gegen den allgemeijährigen als Beschuldigter als mit dem ordre public vereinbar angesehen (OLG Schleswig, NStZ 1989, 537 f.). Im Rahmen der Rechtshilfe der Vollstreckungsübernahme wird eine Übernahme der Strafvollstreckung gegenüber einem Elfjährigen schwieriger zu beurteilen sein. Im Einzelfall wird aber wohl maßgeblich sein, wie weit das Kind in der Entwicklung ist und ob die Strafvollstreckung mit dem Willen des Urteilsstaates an deutsches Jugendstrafrecht angepasst werden könnte. Zum ordre public gehören aber jedenfalls Verurteilungen gegenüber schuldunfähigen Kleinkindern bis Vollendung des 7. Lebensjahres. 40 Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn.  61; Vogel, in: Grützner / ​ Pötz, IRG § 73 Rn. 64; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 23. März1984, Az. 1 AK 1/84. 41 OLG Hamm, Beschluss v. 8. Juni 2009, Az. 4 Ausl. A 47/08 (= BeckRS 2010, 10547); Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 63. 42 Vgl. zu einem sonstigen gravierenden Verstoß etwa BVerfG, Beschl. v. 06. Mai 2016, Az. 2 BvR 890/16 (= BeckRS 2016, 46112). 43 Radtke, in: MüKo-StGB, Vor § 38 Rn. 14.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

nen verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eines Rechtsstaats.44 Ein klarer Verstoß gegen den ordre public ist auch gegeben, wenn eine Sanktion vollstreckt wird, die dem deutschen Recht unbekannt ist. Aufgrund fehlender nationaler gesetzlicher Regelungen verbietet der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts gem. Art. 20 Abs. 3 GG ein Handeln der staatlichen Organe.45 Die Übernahme der Vollstreckung einer Prügelstrafe oder der Auspeitschung, wie sie etwa im Iran existiert,46 ist damit selbstverständlich ausgeschlossen. Problematisch hinsichtlich Art. 1 Abs. 3 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip sind auch Urteile, die eine faktisch lebenslange Sanktion oder eine zeitige Freiheitsstrafe über 25 Jahre, ohne die Möglichkeit einer Freilassung, festlegen.47 Typische Fallgruppen des ordre public am Anknüpfungspunkt der auswärtigen Sanktion sind somit: – Unerträglich harte, unverhältnismäßige Sanktionen wie etwa die Todesstrafe – Der nationalen Rechtsordnung unbekannte Sanktionen, wie etwa die Prügelstrafe im Iran – Sanktion der faktisch lebenslangen Freiheitsstrafe 2. Abschließender Überblick Wie für alle nationalen Gesetze steht auch im nationalen rechtshilferecht­ lichen Bereich als oberster Prüfungsmaßstab die Verfassung. Anders als im rein nationalen Recht besteht jedoch im völkerrechtlichen Bereich und somit auch im inter­nationalen Rechtshilferecht die Besonderheit, dass die Souveränität des auswärtigen Staates und dessen Rechtsordnung soweit wie möglich zu respektieren sind. Die Konsequenz ist, dass die eigene Rechtsordnung nicht als Maßstab fremder Hoheitsakte herangezogen werden kann. Die Grenze dieses Respekts ist jedoch der nationale ordre public der Bundesrepublik Deutschland.48 Der ordre

44

BVerfG, NJW 1987, 2155, 2156 f. m.  w.  N; OLG Zweibrücken, StV 1996, 105; OLG Hamm, NStZ-RR 2001, 315; BVerfG, JZ 2004, 141, 141 (= BVerfGE 108, 129); Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn.  60 m. w. N.; Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​ König / ​Rackow, 1. HT, Rn. 83. 45 Dazu ausführlich Grzeszick, in: Maunz / ​Dürig, GG VI. zu Art. 20 Rn. 75, 91 ff. 46 Siehe in Art. 16 Iran-StGB als mögliche Strafe festgelegt, Tellenbach, StGB der islamistischen Republik Iran, S. 30; eine Auspeitschung kann nach iranischem Recht etwa gem. Art. 176 für das Konsumieren berauschender Mittel in Betracht kommen. 47 BVerfG, NJW 1977, 1525 (= BVerfGE 45, 187); BVerfG, NJW 1994, 2884; Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn.  60a; Ambos / ​Poschadel, in: Ambos / ​König / ​ Rackow, 1. HT, Rn. 87. 48 BVerfG, NJW 1983, 1726 (= BVerfGE 62, 332 (337 f.)); BVerfGE 75, 1, 19; BVerfG, NJW 2005, 3483, 3483 f. (= BVerfGE 113,154 (162)); BVerfG, JZ 2004, 141; diese Grenze gilt allgemein für das Verhältnis von völkervertraglichen Vereinbarungen und dem Grundgesetz siehe

B. Anwendungsbereich des § 49 Abs. 3 IRG im Lichte der Verfassung  

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public ist die Gesamtheit aller Rechtssätze der deutschen Rechtsordnung, die für ein rechtsstaatliches Handeln wesentlich sind und welche die unverzichtbare Basis der eigenen Wert- und Rechtsvorstellung bilden.49 Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen nur wenige Garantien zum ordre public zählen. Er beinhaltet daher nur solche Prinzipien, die für ein rechtsstaatliches Handeln zwingend sind.50 Besondere Bedeutung kommt vor allem den Grundsätzen zu, die in Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet sind. Im Bereich der strafrechtlichen Rechtshilfe ist freilich auch das Schuldprinzip als fundamental zu bewerten. Im Rahmen der Vollstreckungsübernahme zählen insbesondere auch die Fallgruppen des Verstoßes gegen den fair-trial Grundsatz im auswärtigen Verfahren und unerträglich harte Sanktionen dazu. Auch Verurteilungen, die auf einem durch Folter erzwungenem Geständnis beruhen, führen zu einem Verbot der Übernahme der Vollstreckung. Auch der Wesensgehalt und der Kern der einzelnen Grund- und Menschenrechte sind vom ordre public umfasst. 

B. Anwendungsbereich des § 49 Abs. 3 IRG im Lichte der Verfassung Durch § 49 Abs. 3 IRG besteht seit 2015 die Möglichkeit, eine Vollstreckungsübernahme auch ohne die Bedingungen aus § 49 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 IRG zu leisten. Unklar ist jedoch, inwieweit von den allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Vollstreckungsübernahme überhaupt abgewichen werden kann. So könnten verfassungsrechtliche Vorgaben bestehen, welche die Voraussetzungen des Regelverfahrens des § 49 Abs. 1 IRG zum Schutz des ordre public zwingend machen. Daher soll untersucht werden, wie weit nach § 49 Abs. 3 IRG ein Verzicht auf die einzelnen Zulässigkeitsbedingungen verfassungsrechtlich möglich ist.

I. Kein Verzicht auf das Erfordernis des vollständigen, rechtskräftigen und vollstreckbaren Urteils § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG ist als einzige Voraussetzung des allgemeinen Zulässigkeitsverfahrens von § 49 Abs. 3 IRG ausgenommen. Von dieser Bedingung kann somit selbst im Ausnahmeverfahren nicht abgesehen werden. Dies bedeutet, dass ein vollständiges, rechtskräftiges und vollstreckbares Urteil zwingend vorzuliegen

bei Schmahl, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus 2005, S. 290, 298; BVerfG, NJW 2004, 3407 f. (= BVerfGE 111, 307). 49 BGH, EuZW 2017, 624; BVerfG, NJW 1983, 1726, 1727 (= BVerfGE 62, 332 (337 f.)); BVerfG, NJW 1987, 2155 (= BVerfGE 75, 1 (19)); BVerfG, NJW 2005, 3483, 3483 f. (= BVerfGE 113,154 (162)); BVerfG, JZ 2004, 141. 50 BGH, EuZW 2017, 624; BT-Drs. 9/1338, S. 93; Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 28.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

hat.51 Diese zwingende Bedingung ergibt sich nicht nur aus dem Gesetz, sondern schon aus praktischen und vor allem verfassungsrechtlichen Vorgaben. Das deutsche Exequaturgericht kann nur auf Grundlage eines vollständigen Urteils eine potenzielle Übernahme der Vollstreckung prüfen. Die Notwendigkeit der bestehenden Rechtskraft ergibt sich schon aus der praktischen Erwägung, dass das Urteil nach Entscheidung des Exequaturgerichts, spätestens jedoch nach Vornahme der Vollstreckungsübernahme, nicht mehr rückwirkend verändert werden soll. Die deutsche Exequaturentscheidung kann auch nur dann in Rechtskraft erwachsen, wenn das ihr zugrunde liegende, auswärtige Urteil endgültig rechtskräftig ist. Würde das ausländische Urteil nachträglich durch eine nächste Instanz geändert, so wäre für eine (weiterhin) rechtmäßige Vollstreckung im Vollstreckungsstaat auch eine erneute Exequaturentscheidung notwendig. Der erhöhte behördliche und gerichtliche Aufwand, der mit einer solchen nachträglichen Änderung oder gar Aufhebung des Urteils verbunden wäre, soll vermieden werden. Aber auch aus verfassungsrechtlicher Sicht wäre die Vollstreckung eines noch nicht rechtskräftigen Urteils mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 S. 2, Art. 1 Abs. 1 GG und auf das Rechtsstaatsprinzip bedenklich. Erst mit der Rechtskraft des Urteils wird die Schuld des Täters festgestellt.52 Bis zu diesem Zeitpunkt gilt die rechtsstaatlich gesicherte Unschuldsvermutung, wie sie in Deutschland durch Art. 20 Abs. 3 GG53 und international durch Art. 6 Abs. 2 EMRK sowie durch Art. 14 Abs. 2 IPbpR garantiert ist. Diese verbietet es, die Strafe vor endgültiger Feststellung der Schuld, demnach vor Rechtskraft der Entscheidung, zu vollstrecken. Die vorläufige Vollstreckung einer Freiheitsstrafe auf Grundlage eines noch nicht rechtskräftigen, auswärtigen Urteils wäre daher ein rechtswidriger Eingriff in den Kernbereich des Rechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip. Zum Schutz des ordre public54 muss somit zwingend ein vollständiges und rechtskräftiges Urteil für eine verfassungskonforme Vollstreckungsübernahme vorliegen. Neben der Vollständigkeit und der Rechtskraft fordert § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG auch die Vollstreckbarkeit des Urteils. Bei Vollstreckungsübernahmen dürfen daher keine Vollstreckungshindernisse wie die Verbüßung, eine Gnadenentscheidung 51

BR-Drs. 24/15, S. 114 f.; BT-Drs. 18/4347, S. 93. Valerius, in: Graf, EMRK Art. 6 Rn. 32, 34; BVerfG, sog. „Lebach-Entscheidung“, NJW 1973, 1226, 1230 (= BVerfGE 35, 202); BVerfG, NJW 1987, 2427 f. (= BVerfGE 74, 358). 53 So bedingt die Unschuldsvermutung auch, dass das Rechtsinstitut der Untersuchungshaft aus § 119 StPO als mögliches Institut einer faktisch vorzeitigen „Inhaftierung“ zwingend von der tatsächlichen Vollstreckung einer Strafe zu unterscheiden ist. Eine vorläufige Vollstreckung ist, selbst bei dringendem Verdacht der Schuld, verfassungsrechtlich nicht möglich; zur Untersuchungshaft siehe BVerfG, NJW 1967, 2151, 2153 (= BVerfGE 22, 254, 256); Valerius, in: Graf, EMRK Art. 6 Rn. 31; Krauß, in: Graf, StPO § 119 Rn. 48; OLG Karlsruhe, StV 2010, 198. 54 BVerfG, NJW 1967, 2151, 2153; BVerfG, NJW 1990, 2741. 52

B. Anwendungsbereich des § 49 Abs. 3 IRG im Lichte der Verfassung  

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oder eine Amnestie vorliegen.55 Grund für die Bedingung eines vollstreckbaren Urteils ist, dass die Rechtskraft nicht mit der endgültigen Vollstreckbarkeit einer Entscheidung gleichgesetzt werden kann.56 Sie sichert daher zusätzlich, dass die Bundesrepublik Deutschland nur solche Urteile zur Vollstreckung übernimmt, die auch im Urteilsstaat noch einer Vollstreckung zugänglich sind. Liegt schon im Urteilsstaat ein Vollstreckungshindernis vor, so kann durch die deutsche Staats­ gewalt nicht legitim in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG eingegriffen werden. Es würde an einer rechtsstaatlich wirksamen Vollstreckungsgrundlage fehlen. Zudem ist auch zu bedenken, dass, wenn schon im Urteilsstaat ein Interesse an der Vollstreckung fehlt, die Bundesrepublik Deutschland als potenzieller Vollstreckungsstaat erst Recht kein Bedürfnis hat, die auswärtige Strafe im eigenen Land zu vollziehen. Ein vollständiges, rechtskräftiges und vollstreckbares Urteil ist somit zum Schutz des ordre public eine nicht disponible Voraussetzung.

II. Verzicht auf die Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG Für eine erfolgreiche Vollstreckungsübernahme muss gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG das auswärtige Verfahren und das daraus ergangene Urteil mit den in der EMRK und deren Zusatzprotokollen geschützten Garantien in Einklang stehen. Durch § 49 Abs. 3 IRG soll von dieser Voraussetzung abgesehen werden können. Diesbezüglich bestehen jedoch zwei nicht zu unterschätzende Probleme: Zum einen ist fraglich, ob ein Verzicht auf die Rechtsgarantien der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle überhaupt möglich ist. Da insbesondere die Garantien aus Art. 6 EMRK für ein Strafverfahren bedeutend sind und die darin geregelten Prinzipien oftmals als „Mindeststandards“ bezeichnet werden,57 drängt sich die Frage auf, ob überhaupt ein Unterschied zwischen den Grundsätzen der EMRK sowie dem ordre public im Strafprozess besteht. Besteht kein Unterschied, so ist ein Verzicht auf die Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG nicht möglich, ohne dass zugleich der ordre public verletzt wird. Zum anderen müssen auch die völkerrechtlichen Verbindlichkeiten der Bundesrepublik Deutschland beachtet werden. Als Mitglied der Konvention könnte diese völkerrechtlich dazu verpflichtet sein, die Garantien der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle im Rechtshilfeverkehr mit Nichtkonventionsstaaten als Voraussetzung zu fordern.

55

Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  5. Vgl. Art. 3 Abs. 1 EuIntGeltungStrafurteilÜbk, an dem sich der Gesetzgeber bei dieser Voraussetzung orientierte, siehe BT-Drs. 9/1338, S. 69. 57 Siehe etwa Frei, Mitwirkungsrechte im Strafprozess, S. 10; Donatsch, ZStrR 1994, 317, 331 f.; Beulke, in: Hanack / ​Hilger / ​Mehle et al. (Hrsg.), FS Rieß, S. 17 f.; Frister, StV 1998, 159, 162; Sieber, JZ 1997, 369, 376; Schomburg, NJW 2001, 801, 804; Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise, S. 125. 56

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

1. Rechtliche Unterscheidung der Garantien der EMRK und dem ordre public Maßgeblich für die Frage, ob von der Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG im Ausnahmeverfahren abgesehen werden kann, ist, ob die Garantien der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle kongruent mit den fundamentalen, wesentlichen Prinzipien der deutschen Rechtsordnung sind. Die Garantien der EMRK können jedoch teils über solche des Grundgesetzes hinausgehen,58 sodass eine solche Kongruenz abzulehnen ist. Die Annahme, dass jegliche Grundsätze der EMRK mit dem ordre public der Bundesrepublik Deutschland inhaltsgleich seien, entsteht daraus, dass die Garantien der EMRK und insbesondere solche in Art. 6 EMRK oftmals als Mindeststandards bezeichnet werden, die ein faires und menschengerechtes Verfahren sicherstellen sollen.59 Dieser Eindruck trügt jedoch und verallgemeinert die Garantien der EMRK. Nicht alle geregelten Grundsätze der Konvention sind dem Bereich des ordre public zuzuordnen.60 Dass die Prinzipien des ordre publics und die der EMRK nicht kongruent sind, ist auch daran erkennbar, dass die Garantien der EMRK durch die Rechtsprechung des EGMR immer weiter konkretisiert und ausgestaltet werden.61 Würde der nationale ordre public die Grundsätze der EMRK vollkommen in sich aufnehmen, so wäre der Umfang der fundamentalen, wesentlichen Prinzipien von der Rechtsprechung und der Auslegung des EGMR abhängig.62 Dies kann jedoch mit Blick darauf, dass die EMRK ein völkerrechtlicher Vertrag ist, nicht gewollt sein.63 Auch der EGMR versteht die Garantien aus Art. 6 EMRK nicht als reine Mindeststandards.64 Vor allem die Ausgestaltung etwaiger Rechte geht über 58 Braasch, JuS 2013, 602, 603; für einen Vergleich der Rechte aus der EMRK und des Grundgesetzes siehe bei Dörr / ​Grote / ​Marauhn, in: Dörr / ​Grote / ​Marauhn, Einleitung, S.  1 ff. und der dort folgenden Kapitel. 59 Siehe etwa bei Frei, Mitwirkungsrechte im Strafprozess, S. 10; Donatsch, ZStrR 1994, 317, 331 f.; Beulke, in: Hanack / ​Hilger / ​Mehle et al. (Hrsg.), FS Rieß, S. 17 f.; Frister, StV 1998, 159, 162; Sieber, JZ 1997, 369, 376; Schomburg, NJW 2001, 801, 804; Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise, S. 125; kritisch zu dem Begriff der „Mindestgarantien“ auch Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 97, 134 ff. m. w. N. 60 So auch allgemein Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 135 ff.; Gollwitzer, MRK und IPbpR, MRK Einf. Rn. 52 f.; Scheuner, in: Münch (Hrsg.), FS Schlochauer, S. 921 f.; Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbeistand, S. 51 f.; Stavros, The Guarantees for accused Person, S. 348 ff.; a. A. Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise, S. 123 f. 61 Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 134; ähnlich Scheuner, in: Münch (Hrsg.), FS Schlochauer, S. 922. 62 Siehe zur Rechtsprechung des EGMR als Auslegungshilfe BVerfG, NJW 1987, 2327 (= BVerfGE 74, 358 (370)); Meyer-Ladewig / ​Petzold, NJW 2005, 15, 19. 63 Zu erkennen auch an der Rechtsprechung des BVerfG zur Solange-Entscheidung, BVerfG, NJW 1974, 1697 (= BVerfGE 37, 271); aber auch bei BVerfG, NJW 2004, 3407, 3411 (= BVerfGE 111, 307), siehe dazu auch Meyer-Ladewig / ​Petzold, NJW 2005, 15, 16 ff. 64 Gaede, in: MüKO-StPO, EMRK Art. 6 Rn. 7; ders., Fairness als Teilhabe, S. 97, 130 ff.; Grabenwarter, in: Cremer (Hrsg.), FS Steinberger, S. 1141; zur Tendenz zu konkreteren Umsetzungsvorgaben Meyer-Ladewig / ​Petzold, NJW 2005, 15, 16 ff.

B. Anwendungsbereich des § 49 Abs. 3 IRG im Lichte der Verfassung  

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wesent­liche Grundprinzipien und Mindeststandards hinaus.65 Zudem ist die Tatsache zu beachten, dass, wenn die Garantien der EMRK lediglich reine Mindeststandards wären, der Zweck der Konvention verfehlt werden würde. Diese soll insbesondere dazu dienen, „das allgemeine Niveau des Menschenrechtsschutzes anzuheben“.66 Wenn sie aber lediglich Mindeststandards umfasst, kann eine Erweiterung der Menschenrechte nicht möglich sein. Wie auch in der rein nationalen Rechtsordnung muss innerhalb der Garantien der EMRK zwischen elementaren Garantien, weiterreichenden Garantien und vor allem der Ausgestaltung einzelner Rechte unterschieden werden. Nur elementare Garantien der EMRK sind unmittelbar von dem ordre public der Bundesrepublik Deutschland umfasst. Einen Anhaltspunkt, welche Garantien der EMRK als elementar anzusehen sind, bietet der historische Gesetzeswortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG, der nunmehr durch die neue Voraussetzung der Garantien der EMRK erweitert wurde.67 In § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG a. F. sind die fundamentalen Garantien des rechtlichen Gehörs, einer angemessenen Verteidigung und die Unabhängigkeit des Gerichts festgelegt. Nur Garantien der EMRK, die eng mit diesen Rechtsstaatsprinzipien verbunden sind, sollen daher zugleich von § 73 S. 1 IRG geschützt werden. Die Rechtsweggarantie, die Garantie des gesetzlichen Richters sowie das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 6 EMRK, welche ebenfalls durch Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 101 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG geschützt sind, zählen somit zu den elementaren Prinzipien.68 Ebenso sind aber auch Verstöße gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK unter keinen Umständen hinnehmbar. Andere Garantien der EMRK, als die genannten, müssen in Ausnahmefällen als verzichtbar gelten. Die Ausgestaltungen des Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 6 EMRK, welches auch im rein nationalen Recht der Bundesrepublik Deutschland durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip geschützt sind,69 können daher nicht umfassend als elementare Garantien eingestuft werden. Natürlich fällt es schwer, einzelne Garantien des Art. 6 EMRK nicht als elementar zu bezeichnen, stellen sie doch gerade einen europäischen Standard in strafprozessualen Verfahren sicher. Daher ist durchaus die Frage berechtigt, ob ein Verfahren noch rechtsstaatlichen Mindeststandards entsprechen kann, wenn etwa das Recht auf Akteneinsicht, das Recht auf ein öffentliches Verfahren, das Recht auf die Begründung der Entscheidung oder auch das Recht auf einen Wahlverteidiger nicht gewährt wurden. Auf europäischer Ebene müsste diese Frage deutlich 65

Siehe Gaede, in: MüKO-StPO, EMRK Art. 6 Rn. 7; ders., Fairness als Teilhabe, S. 131. So der ehemalige Präsident des EGMR, Wildhaber, EuGRZ 2002, 569, 571; ähnlich auch Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 144; Stavros, The Guarantees for accused Person, S. 349. 67 Siehe S. 75 ff. 68 Valerius, in: Graf, EMRK Art. 6 Rn. 1.1; Grabenwarter / ​Pabel, in: Dörr / ​Grote / ​Marauhn, Kap. 4: Art. 6 EMRK, Einl. 69 BVerfG, NJW 1981, 1722 (= BVerfGE 57, 250); BVerfG, NJW 2004, 2887 (= BVerfGE 110, 339); Meyer-Ladewig / ​Harrendorf / ​König, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​Raumer, EMRK Art. 6 Rn. 89. 66

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

negiert werden. Auf internationaler Ebene, insbesondere im Zusammenhang mit der Vollstreckungsübernahme, ist eine Beantwortung dieser Frage jedoch nicht mehr eindeutig möglich. Sähe man all diese Rechte als vom ordre public umfasst an, so müsste der Wille des Gesetzgebers ignoriert werden, im Verfahren nach § 49 Abs. 3 IRG von § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG absehen zu können. Zudem wäre die Ausnahmevollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 IRG nahezu bedeutungslos, denn auswärtige Strafverfahren von Nichtkonventionsstaaten unterliegen nicht den Pflichten der EMRK und weichen daher naturgemäß von den Ausgestaltungen der Garantien ab. Mit Blick auf den Sinn und Zweck der Ausnahmeverfahren kann ein solcher Leerlauf des § 49 Abs. 3 IRG aber nicht gewünscht sein. So würde der Betroffene durch den falsch verstandenen „Schutz“ der Garantien der EMRK faktisch zweimal bestraft: Zum einen durch ein auswärtiges Strafverfahren, welches aus europäischer Sicht seine Rechte missachtete, und zum anderen mit der Ablehnung seiner Bitte um Vollstreckungsübernahme, mit der er die auswärtige Strafe zumindest in menschenwürdigen Bedingungen hätte verbüßen können. Bis auf die Rechtsweggarantie, die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, das Gesetzlichkeitsprinzip aus Art. 7 Abs. 1 EMRK sowie den Grundsatz des rechtlichen Gehörs und die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK muss daher im Rahmen der Ausnahmevollstreckungsübernahme auf weiterreichende Ausgestaltungen der Auffanggarantie des Rechts auf ein faires Verfahren verzichtet werden können. Wenn ein Verfahren etwa gegen das Beschleunigungsgebot aus Art. 6 EMRK verstößt, weil sich das Strafverfahren über Jahre hinzog,70 kann dies nicht mit dem Fall gleichgesetzt werden, in welchem dem Betroffenen sein Recht auf rechtliches Gehör verwehrt wurde. Nur in letzterem Fall ist ein Verstoß gegen eine elementare Garantie der EMRK und somit gegen den ordre public anzunehmen. Die Differenzierung innerhalb der Garantien der EMRK für den ordre public in elementar und nicht elementar ist notwendig, um das höhere Ziel erreichen zu können: Einen (letztendlich) besseren Schutz der Rechte des Betroffenen. Dass der ordre public nur elementare Garantien der EMRK beinhaltet, schließt aber nicht aus, dass sich Verstöße gegen andere Garantien der EMRK nicht zu einem Verstoß gegen den ordre public verdichten können. Denn, je schwerer und häufiger Verstöße gegen das Recht auf ein faires Verfahren im auswärtigen Verfahren aufgetreten sind, desto eher können diese Verletzungen zu Restzweifeln führen, die den Verdacht ergründen, dass der Betroffene im auswärtigen Verfahren unschuldig verurteilt wurde. Insofern sind nicht nur die elementaren Rechte der EMRK, die bei Verletzung unmittelbar zu einem Rechtshilfehindernis des § 73 S. 1 IRG führen, entscheidend für den ordre public, sondern auch die Gesamtheit der Garantien, wenn sich die einzelnen Verletzungen derart häufen, dass von einem rechtsstaatlichen Verfahren im Urteilsstaat nicht mehr ausgegangen werden kann.

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Zum Beschleunigungsgebot siehe etwa Lohse / ​Jakobs, KK-StPO, EMRK Art. 6 Rn. 26 ff.

B. Anwendungsbereich des § 49 Abs. 3 IRG im Lichte der Verfassung  

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2. Völkerrechtliche Pflicht zur Achtung der EMRK Zwar gehören die Garantien der EMRK in ihrer Gesamtheit nicht zum ordre public der Bundesrepublik Deutschland, doch könnte auf völkerrechtlicher Ebene zu den Konventionsstaaten die Pflicht bestehen, nur Urteile auf eigenem Territorium zu vollstrecken, die der EMRK genügen. Die Bundesrepublik Deutschland könnte daher konventionswidrig handeln, wenn sie entgegen § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG eine Vollstreckungsübernahme durchführt. Ob eine Pflicht besteht, die Vollstreckung eines Urteils von der EMRK abhängig zu machen, hängt maßgeblich damit zusammen, ob sich die Bundesrepublik Deutschland den Eingriff im Nichtkonventionsstaat durch die Rechtshilfehandlung unmittelbar oder mittelbar zurechnen lassen muss. Müsste ein gegen Konventionsgrundsätze verstoßender, auswärtiger Akt der Bundesrepublik Deutschland zugerechnet werden, so wäre die Leistung der Rechtshilfe nicht nur völkerrechtlich konventionswidrig, sondern würde durch den Rang der EMRK als förmliches Bundesgesetz gem. Art. 20 Abs. 3 GG auch gegen eigenes Recht verstoßen.71 Die Zurechnung von Menschenrechtsverletzungen ist eine allgemeine Grundproblematik des internationalen Rechtshilfeverkehrs.72 Dabei muss die Frage, ob eine rechtshilferechtliche Handlung, die selbst zwar keine unmittelbare Beeinträchtigung herbeiführt, jedoch einer Verletzung der Rechte der EMRK durch einen Drittstaat förderlich ist, konventionswidrig ist, in zwei Fälle unterschieden werden: Der Eingriff steht im Drittstaat noch bevor (etwa im Falle einer Auslieferung) und der Eingriff in die Rechte der EMRK fand im Drittstaat bereits statt oder dauert sogar noch an (etwa im Falle der Vollstreckungsübernahme).73 a) Bevorstehender Eingriff Das sog. Soering-Urteil des EGMR ist maßgebende Entscheidung für die Frage, ob die Rechtshilfe der Auslieferung durch einen Konventionsstaat einen Eingriff darstellt, wenn im Ausland ein noch bevorstehender Eingriff in die Rechte des Betroffenen aus der EMRK droht.74 In dieser grundlegenden Entscheidung stellte der EGMR wiederholt klar, dass die Bestimmungen der EMRK als Schutzgarantien praktisch wirksam und effektiv gestaltet, verstanden und auch angewandt werden müssen. Als solche muss die Kon-

71

Ludwigs / ​Sikora, JuS 2017, 385, 386. Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 442. 73 Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 438 ff. 74 EGMR, Soering, EUGRZ 1989, 314 ff.; Lagodny, NJW 1990, 2183, 2189; Trechsel, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 633 f.; Fastenrath, in: IntKommEMRK, Art. 1 Rn. 138. 72

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

vention auch vor vorhersehbaren, noch bevorstehenden Verletzungen schützen.75 Das Besondere am Soering-Urteil ist, dass der EGMR in diesem erstmals eindeutig klarstellte, dass sich der Schutz der Konvention auch auf extraterritoriale Hoheitsakte erstreckt. Eingriffe in das Recht aus Art. 3 EMRK, aber auch in das Recht aus Art. 6 EMRK, die erst im auswärtigen Verfahren erfolgen, müssen daher einem ausliefernden Konventionsstaat mittelbar zugerechnet werden.76 Wenngleich Art. 1 EMRK den räumlichen Anwendungsbereich der Konvention auf die Grenze des territorialen Herrschaftsbereichs der Vertragsstaaten begrenzt,77 gebietet es der Schutz der Rechte der EMRK, insbesondere aus Art. 3 EMRK, dass der Konventionsstaat einen Eingriff in die Rechte der betroffenen Person im Ausland verhindert, wenn eine menschenrechtsverletzende Behandlung durch den anderen Staat vorhersehbar ist.78 Damit festigte der EGMR den sog. Grundsatz der „Folgenorientiertheit“, wonach Verletzungen durch einen Drittstaat dem ausliefernden Konventionsstaat zugerechnet werden, wenn er die menschenrechtsverletzende Behandlung im Ausland vorhersehen konnte.79 Dabei ist nicht der auswärtige Akt, der nicht an der Konvention bewertet werden kann, sondern vielmehr allein die Rechtshilfehandlung des Konventionsstaates konventionswidrig. Der Konventionsstaat greift mit der Auslieferung eigens in das Recht aus Art. 3 EMRK oder auch aus Art. 6 EMRK ein, indem er diese Rechte des Betroffenen in eine erhöhte Gefahr bringt.80 Nach diesem Urteil steht daher ausdrücklich fest, dass eine Auslieferung durch den Konventionsstaat trotz bevorstehender Verletzungen im auswärtigen Staat stets als mittelbare „Teilnahme“ des ausliefernden Konventionsstaates an den im Ausland stattfindenden Eingriffen bewertet werden muss.81 Der Schutz der EMRK erstreckt sich somit nicht nur auf konventionsterritoriale, sondern auch auf vorhersehbare, bevorstehende, extraterritoriale Hoheitsakte. Eine ähnliche Bewertung wird bei einer Vollstreckungsübergabe nötig sein, bei der ebenso Verletzungen des Rechts aus Art. 3 EMRK, aber auch aus Art. 5 EMRK sowie aus Art. 14 EMRK im auswärtigen Staat drohen können.82 75

EGMR, Soering, EuGRZ 1989, 314, 319; so auch in ständiger Rechtsprechung EGMR, Memis, EuGRZ 1986, 324, 325; Frowein, in: Frowein / ​Peukert, EMRK Art. 3 Rn. 20; Trechsel, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 654 f.; Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 439 f. 76 Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 34, 429, 444; EGMR, Soering, EuGRZ 1989, 314 ff. 77 EGMR, Soering, EUGRZ 1989, 314, 318; zum territorialen Bezug der EMRK siehe Fastenrath, in: IntKommEMRK, Art. 1 Rn. 77 ff. 78 EGMR, Soering, EUGRZ 1989, 314, 318 f.; Fastenrath, in: IntKommEMRK, Art. 1 Rn. 138 ff.; Kau, in: IntKommEMRK, Art. 3 Rn. 5. 79 Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 445; EGMR, Soering, EUGRZ 1989, 314, 318 f. 80 EGMR, Soering, EUGRZ 1989, 314, 319. 81 EGMR, Soering, EUGRZ 1989, 314, 323; Trechsel, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 654 f. 82 Ähnl. Verpflichtungen finden sich in Entscheidungen des UN-Menschenrechtsausschusses zum IPbpR siehe Fall Chitat Ng vs. Canada, 7. Januar 1994, Nr. 469/1991, Rn. 16.4;

B. Anwendungsbereich des § 49 Abs. 3 IRG im Lichte der Verfassung  

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b) Bereits stattgefundener Eingriff Anders als bei der Auslieferung, bei der durch das rechtliche Handeln des Konventionsstaates ein Eingriff durch den auswärtigen Staat erst möglich gemacht wird, fand oder findet der Eingriff in die Rechte des Betroffenen ohne eine etwaige Mitwirkung des Konventionsstaates durch den auswärtigen Staat bereits statt oder dauert dort noch an; in Betracht kommen vor allem Verletzungen der Rechte aus Art. 3 EMRK, Art. 5 EMRK, Art. 6 EMRK sowie Art. 14 EMRK. Eine unmittelbare Bedingung für den Eintritt der Menschenrechtsverletzung setzt der Vollstreckungsstaat in einem solchen Fall somit gerade nicht.83 Teile der Literatur bewerten die Übernahme der Vollstreckung eines konventionswidrigen Urteils missverständlich als Mittäterschaft an den dort begangenen Menschenrechtsverletzungen.84 Damit kann jedoch im Zusammenhang mit der Vollstreckungsübernahme keine Mittäterschaft im Sinne einer kausalen Teilnahme an der Menschenrechtsverletzung gemeint sein. Es stellt vielmehr eine Aufrechterhaltung des völkerrechtswidrigen Handelns des Urteilsstaats dar.85 Zudem wird die auswärtige Entscheidung im Exequaturverfahren gem. § 57 Abs. 4 IRG einem deutschen Erkenntnis gleichgestellt, was denklogisch die Anerkennung des auswärtigen Urteils sowie des Verfahrens umfasst.86 Diese Aufrechterhaltung und Anerkennung des konventionswidrigen Verfahrens könnte den eigenen sowie den vertraglich begründeten Prinzipien des Konventionsstaats widersprechen, sodass auch die Leistung der Rechtshilfe konventionswidrig wäre. Es ist daher keine Mittäterschaft, sondern vielmehr als ein eigener Eingriff zu werten. Im Zusammenhang mit der Frage, inwieweit eine Übernahme eines solchen „konventionswidrigen“ Urteils gegen die EMRK verstoßen würde, hat der EGMR die Schwierigkeiten betont, die mit einer solchen Pflicht zur Überprüfung der drittstaatlichen gerichtlichen Entscheidung anhand der EMRK verbunden wären.87 Insbesondere besteht Einigkeit darin, dass ein Drittstaat als Nichtkonventionsstaat grundsätzlich nur an seinen innerstaatlichen Standards gemessen werden kann und in Hinblick auf die Achtung der Souveränität und der Rechtsordnung des fremden Fall Kindler vs. Canada, 11. November 1993, Nr. 470/1991, Rn. 15.2; Fall Judge vs. ­Canada, 20. Oktober 2003, Nr. 829/1998, Rn. 10.1 ff.; Fall GT vs. Australia, 4. November 1997, Nr. 706/1996, Rn. 8.1 f. 83 So auch Werkusch, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 116. 84 Vogler, Die Friedenswarte 1986, 287, 292 f.; Swart, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 511; so auch verstanden in Werkusch, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 116. 85 Ähnl. Schroeder, ZStW 1986, 457, 461; Werkusch, Vollstreckung ausländischer Straf­ erkenntnisse, S. 116. 86 So auch Werkusch, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 116; siehe auch schon S. 141 ff. 87 EGMR, Drozd / ​Janousek vs. France / ​Spain, Entsch. v. 26.  Juni 1992, Serie A n°240 (= EuGRZ 1992, 129, 132); Trechsel, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 658; Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 439.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

Staates die Grundsätze der EMRK nicht als Maßstab für das Verhalten eines Drittstaates gelten dürfen.88 Vergleichbar ist dies mit der Anwendung der Grundrechte auf Sachverhalte im Ausland. Auch diese können schon „normlogisch“ nicht als Maßstab an eine auswärtige Hoheitsgewalt angelegt werden, da diese ihre Bindungswirkung nur gegenüber der Bundesrepublik Deutschland entfalten.89 Zudem hätte eine Verpflichtung zur Untätigkeit aus der EMRK bei schon stattgefundenen Eingriffen im Ausland die Konsequenz, dass der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen in vielen Bereichen der Weg versperrt wäre.90 Auch würde eine solche Pflicht in manchen Fällen zu weiterlaufenden Eingriffen des auswärtigen Staates in die Rechte des Betroffenen aus der EMRK führen.91 Ein Unterlassen der Vollstreckungsübernahme durch den Konventionsstaat wäre hinsichtlich Art. 1 EMRK dann sogar kontraproduktiv. Im Fall Drozd / ​Janousek gegen Frankreich / ​Spanien befand der EGMR nichtsdestotrotz, dass eine Haft, die auf einem Urteil eines Nichtkonventionsstaates beruht, welches die Rechte aus der EMRK nicht nur unerheblich beeinträchtigt, nicht als „rechtmäßig“ i. S. d. Art. 5 Abs. 1 lit. a EMRK betrachtet werden könne.92 Urteile, die auf schweren Verstößen gegen die Verfahrensgerechtigkeit beruhen, begründen daher stets eine Pflicht, die Vollstreckungsübernahme zum Schutze der Grundsätze der EMRK abzulehnen.93 Um jedoch unbillige Härtefälle zu vermeiden, sollte diese Entscheidung nicht insofern ausgeweitet werden, dass jeglicher Verstoß gegen die EMRK im auswärtigen Verfahren zu einem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 lit. a EMRK durch einen Konventionsstaat bei Vollstreckung der fremden Strafe führt. Vielmehr erscheint es sachgerecht, einen Konventionsverstoß mit Übernahme eines auswärtigen Urteils von den Umständen des jeweiligen Einzel-

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EGMR, Drozd / ​Janousek vs. France / ​Spain, Entsch. v. 26. Juni 1992, Serie A n°240 (=  EuGRZ 1992, 129, 130); EGMR, EuGRZ 1979, 74, 79; Bleckmann, in: Krautzberger / ​ Bernhardt (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 314 f.; Trechsel, ÖJZ 1986, 621, 622; in Bezug auf die Auslieferung aber übertragbar vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 10. September 2013, Az. III-2 Ausl. 95/11. 89 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 49 Rn. 14; Herdegen, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 1 III, Rn. 79 ff.; Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 166 f.; Vogler, NJW 1994, 1433, 1434 f. 90 EGMR, Drozd / ​Janousek vs. France / ​Spain, Entsch. v. 26  Juni 1992, Serie A n°240 (= EuGRZ 1992, 129, 132); andeutend Swart, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 508 f. 91 Trechsel, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 637; so auch allgemein Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, S. 217; Plachta, Transfer of Prisoners, S. 340 f.; Swart, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 511; Werkusch, Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse, S. 100 f. 92 EGMR, Drozd / ​Janousek vs. France / ​Spain, Entsch. v. 26  Juni 1992, Serie A n°240 (= EuGRZ 1992, 129, 132). 93 EGMR, Drozd / ​Janousek vs. France / ​Spain, Entsch. v. 26  Juni 1992, Serie A n°240 (= EuGRZ 1992, 129, 132); insofern bestätigend Trechsel, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 662; Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 439; Röben, in: Dörr / ​ Grote / ​Marauhn, Kap.  5 Rn.  122; Renzikowski, in: IntKommEMRK, Art. 5 Rn. 144.

B. Anwendungsbereich des § 49 Abs. 3 IRG im Lichte der Verfassung  

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falls abhängig zu machen.94 Insbesondere die Verbesserung der Lage des Betroffenen mit Übernahme der auswärtigen Vollstreckung und der Schutz seiner Rechte im Strafvollzug des Konventionsstaates sollten maßgeblich sein, keine grundsätzliche Ablehnungspflicht der Konventionsstaaten für die Übernahme von auswärtigen Urteilen, die der EMRK widersprechen, anzunehmen. Zudem muss auch auf dieser Ebene die Zustimmung des Betroffenen beachtet werden, die ebenfalls entscheidenden Einfluss auf die Frage eines Konventionsverstoßes haben sollte. Wie auch im innerstaatlichen Recht muss die Übernahme der Vollstreckung eines Urteils, welches gegen Rechte des Betroffenen aus der EMRK verstößt, durch die Bitte des Betroffenen auch als Schutzmaßnahme bewertet werden.95 Einem Konventionsstaat diese Schutzmaßnahme gegenüber seinen Bürgern per se zu verbieten, kann nicht Zweck der EMRK sein, die den Schutz des Individuums in den Fokus zu stellen gesucht.96 Dass der EGMR im Fall Drozd / ​Janousek gegen Frankreich / ​Spanien eine Vollstreckungsübernahme daher als konventionswidrig einstufte, sollte nicht verallgemeinert werden. Aufgrund einer übergeordneten Gesamtschau ist vielmehr davon auszugehen, dass die Vollstreckungsübernahme eines Urteils, welches nicht umfassend der Konvention entspricht, nicht mit einem Verstoß gegen die Konvention verbunden ist. 3. Zusammenfassung Ein Verzicht auf die Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG ist grundsätzlich sowohl innerstaatlich als auch auf völkerrechtlicher Ebene möglich. Die Gesamtheit der Garantien der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle sind nicht zu dem Bereich des ordre public zu zählen. Nur die elementaren Garantien der EMRK, insbesondere die der Rechtsweggarantie, die Garantie des gesetzlichen Richters sowie das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 6 EMRK, gehören zu den fundamentalen Prinzipien und sind daher im Vollstreckungsübernahmebereich unverzichtbar. Auch die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK und zumindest der Rechtsgedanke des Art. 6 EMRK sind dem ordre public zuzuordnen. Weitergehende Rechte, die durch die EMRK konkretisiert werden, oder gar vertiefende Ausgestaltungen der einzelnen Garantien durch den EGMR können jedoch nicht das Rechtshilfehindernis des § 73 S. 1 IRG auslösen. Auf völkerrechtlicher Ebene zu den Konventionsstaaten ist davon auszugehen, dass eine Pflicht zur Ablehnung einer Vollstreckungsübernahme von Urteilen, die konventionswidrig ergingen, grundsätzlich nicht besteht. Vielmehr muss im Rahmen einer übergeordneten Gesamtschau der Schutz des Einzelnen überwiegen. 94 So auch im Zusammenhang mit der Auslieferung ausdrücklich empfohlen von dem Ministerkomitee des Europarats siehe Wyngaert, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 503. 95 Siehe 99 ff. 96 Valerius, in: Graf, EMRK Art. 6 Rn. 1.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

Die Übernahme eines Urteils, welches konventionswidrig erging, kann daher ohne Verstoß gegen die EMRK vollstreckt werden, wenn das auswärtige Urteil keine elementaren Garantien der EMRK verletzt und der Schutz des Betroffenen vor auswärtigen Haftbedingungen geboten ist.

III. Verzicht auf die Voraussetzung des § 49 Abs. 3 IRG 1. Ursprung der Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit Die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit ist eine klassische Bedingung, an die Rechtshilfehandlungen geknüpft werden. Seinen Ursprung hat dieser Grundsatz in der Souveränität eines Staates. Im Rahmen der Vollstreckungsübernahme sollte er insbesondere sicherstellen, dass ein Staat keine Handlung bestraft, welche für ihn in einem vergleichbaren Fall kein Urteil und auch keinen Vollstreckungsanspruch begründen würde.97 Nach Ansicht einiger Autoren sollte dadurch ein rechtmäßiges und zulässiges Handeln des ersuchten Staates gesichert werden, was nur der Fall sein soll, wenn sein Recht ebenso eine Strafbarkeit für das Verhalten vorsieht.98 Die Bundesrepublik Deutschland würde bei fehlender beiderseitiger Strafbarkeit an einer Verbrechensverfolgung teilnehmen, die einen (für Deutschland) unschuldigen Bürger treffen würde.99 Dieser Ansicht verwehrte sich jedoch schon der historische Gesetzgeber von 1982. Dieser wies ausdrücklich darauf hin, dass Straftatbestände auswärtiger Staaten, die der deutschen Rechtsordnung unbekannt sind, durchaus berechtigt sein können und die Übernahme der Vollstreckung eines Urteils, das auf der Verletzung eines fremden Straftatbestands beruht, nicht zwingend verfassungswidrig ist.100 Nichtsdestoweniger wurde der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit als Voraussetzung einer Rechtshilfe beibehalten.101 Auch wenn der Gesetzgeber von 1992 diese rechtlich nicht als zwingend ansah, konnte er auch keine gewichtigen Gründe für eine Abkehr von der beiderseitigen Strafbarkeit erkennen, die bis dato auch fester Bestandteil in vertraglichen Übereinkommen und im Rechtshilferecht anderer Länder geworden war. Zudem befürchtete er praktische Probleme, die durch den Wegfall in der Rechtsanwendung der Rechtshilfe entstehen würden.102 Dass der Gesetzgeber am Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit festhielt, lag vor 97 Conrad, Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, S. 45, 294 f.; Grützner, ZStW 1956, 501, 506 f.; Kubiciel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 2. HT, § 3 IRG, Rn. 23; Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 3 Rn.  2; Weigend, JuS 2000, 105, 107. 98 So etwa Grützner, ZStW 1956, 501, 512; Lammasch, Auslieferungspflicht und Asylrecht, S. 44. 99 Grützner, ZStW 1956, 501, 512; Schünemann, GA 2004, 193, 203. 100 BT-Drs. 9/1338, S. 36 f.; ausführlicher dazu auch Vogler, in: Seebode (Hrsg.), FS Spendel, S. 872, Fn. 9; so auch BT-Drs. 15/1718, S. 17. 101 BT-Drs. 9/1338, S. 36 f. 102 BT-Drs. 9/1338, S. 37.

B. Anwendungsbereich des § 49 Abs. 3 IRG im Lichte der Verfassung  

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allem auch an dem Wunsch, eine rechtshilferechtliche Kongruenz zwischen den Staaten herzustellen.103 Der Grundsatz soll demnach eine gleichlaufende Denkweise der an der Rechtshilfe beteiligten Staaten sicherstellen.104 Dies dient zugleich auch dem völkerrechtlichen Prinzip der Gegenseitigkeit. Denn eine gegenseitige Rechtshilfe ist für die Bundesrepublik Deutschland nur von Interesse, wenn die eigenen Gesetze weitgehend ähnlich sind.105 Diese Erwägungen sind jedoch rein politische; verfassungsrechtliche Gründe für die Voraussetzung bestehen dagegen nicht.106 2. Kritik der Literatur am Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit Schon früh wurde das Erfordernis des Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit im Rechtshilferecht kritisiert und immer mehr als überflüssig empfunden.107 Es wird vor allem kritisiert, dass die Staaten zu sehr an eigenen Rechtstraditionen festhalten, obwohl im Bereich der internationalen Rechtshilfe völkerrechtliche Absprachen und nicht das nationale Recht und Rechtsverständnis entscheidend sein sollten.108 Zudem wird vorgebracht, dass der Vorbehalt des ordre public die grundlegenden Prinzipien ausreichend sichert, sodass das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit zum Schutz des eigenen Rechts nicht notwendig sei.109 Grützner erkennt sogar schädliche Auswirkungen auf die Rechte des Individuums, die dadurch entstehen, dass am Grundsatz zum Schutz eigener „staatlicher Würde“ stur festgehalten würde.110 Der Grundsatz vereine lediglich rein staatspolitische Erwägungen, wohingegen kriminalpolitische Faktoren wenig von Bedeutung seien.111 Auch andere Autoren fordern die Abkehr von dieser Bedingung. Humanitäre 103

Kubiciel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 2. HT, § 3 IRG, Rn. 23. Kubiciel, in: Ambos / ​König / ​Rackow, 2. HT, § 3 IRG, Rn. 23; Jescheck, ZStW 1954, 518, 531; Grützner, ZStW 1956, 501, 509. 105 Lagodny, Rechtstellung des Auszuliefernden, S. 107; Weigend, JuS 2000, 105, 107; Böse, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 81 Rn. 21. 106 Siehe zur Auslieferung aber übertragbar Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 3 Rn. 2; Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 3 Rn. 18; Böse, in: Grützner / ​ Pötz, IRG § 81 Rn. 21; Vogel, ZStW 2004, 400, 410 f. 107 Jescheck, ZStW 1954, 518, 531 f.; Grützner, ZStW 1956, 501, 507 ff.; Lagodny, ZStW 1989, 987, 996 ff.; ders., in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 3 Rn.  2; ders., ZRP 2000, 175, 177; ders., in: Arnold / ​Burkhardt / ​Gropp et al. (Hrsg.), FS Eser, S. 783 ff.; Weigend, JuS 2000, 105, 107 f.; Plachta, Transfer of Prisoners, S. 321 f.; Schomburg, StV 1998, 153, 157; Schroeder, ZStW 1986, 457, 476; a. A. dagegen Swart, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 524; für eine ausführliche Darstellung des Grundsatzes der beidseitigen Strafbarkeit siehe Conrad, Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, S. 31 ff., 67 ff., 207 ff. 108 Jescheck, ZStW 1954, 518, 531 f.; Grützner, ZStW 1956, 501, 509; Vogel, ZStW 2004, 400, 409. 109 Jescheck, ZStW 1954, 518, 532; Plachta, Transfer of Prisoners, S. 323 f.; Vogler, ZStW 1969, 163, 170; Vogel, ZStW 2004, 400, 410. 110 Grützner, ZStW 1956, 501, 508, 509. 111 Grützner, ZStW 1956, 501, 509 f.; so auch Lagodny, ZStW 1989, 987, 999. 104

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

Gründe würden sogar die Fürsorgepflicht des Staates begründen, vom Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit abzukehren.112 Durch die Abschaffung der Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit könnte nicht nur dem Interesse des Individuums besser gerecht werden, sondern auch eine wirksamere Verbrechensverfolgung erreicht werden.113 Auch das sture Souveränitätsdenken und das weiter bestehende Misstrauen gegenüber anderen Staaten, welche die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit verdeutlicht, seien kontraproduktiv.114 Es wird vorgebracht, dass der Staat mit dem Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit das eigene Recht über das des anderen Staates stelle und dabei übersehen wird, dass geografische, soziokulturelle oder auch klimatische Besonderheiten eines Landes besondere Strafbarkeiten nötig machen.115 Gerade im völkerrechtlichen Bereich ist die Akzeptanz anderer Rechtsordnungen ein tragendes Prinzip.116 Auch das Argument, die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit schütze ein rechtmäßiges Handeln, läuft nach Ansicht der Kritiker ins Leere. Die Grenze der eigenen Strafgewalt liegt im Grundgesetz; von den Rechten des Individuums würde jedoch bei der Auslieferung und auch bei der Vollstreckungsübernahme nur in das Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG und Abs. 2 S. 2 GG eingegriffen. Dem Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG wäre aber laut Lagodny durch die „völkerrechtsfreundliche Auslegung des Grundgesetzes“ durch die Regelungen des auswärtigen Strafgesetzes ausreichend genüge getan. Auch diese könnten durch die völkerrechtsfreundliche Auslegung als Eingriffsgrundlage i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ausreichen. Die Grenze läge erst dort, wo der auswärtige Staat ein Verhalten bestrafen möchte, was die Bundesrepublik Deutschland aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht bestrafen dürfte.117 Dies jedoch nicht wegen mangelnder beiderseitiger Strafbarkeit, sondern da die auswärtige Strafvorschrift in ihrem Kern dem ordre public widerspricht.118 In Bezug auf die Vollstreckungsübernahme traf besonders die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit in § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG a. F., nun § 49 Abs. 1 Nr. 3 lit. a IRG n. F., auf Unverständnis. So wurde kritisiert, dass der vom Gesetzgeber vorgesehene Sinn und Zweck der Vollstreckungsübernahme, eigene Staatsangehörige aus auswärtigen Haftbedingung zu befreien, durch das Erfordernis der beidersei 112

Schroeder, ZStW 1986, 457, 476; Plachta, Transfer of Prisoners, S. 320; jetzt auch der heutige Gesetzgeber siehe BR-Drs. 24/15, S.118. 113 Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 3 Rn.  2. 114 Plachta, Transfer of Prisoners, S. 320; Vogel, ZStW 2004, 400, 410. Lagodny, ZStW 1989, 987, 998 f. 115 Schroeder, ZStW 1986, 457, 476; Jescheck, ZStW 1954, 518, 531; so auch BT-Drs. 15/1718, S. 17; Weigend, in: HStrfR I, § 23 Rn. 35. 116 Schomburg, StV 1998, 153, 157. 117 In Bezug auf die Auslieferung, aber auf die Vollstreckungsübernahme übertragbar, ­L agodny, ZStW 1989, 987, 996 f. sowie ders., in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 3 Rn. 2. 118 Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 3 Rn.  2; ders., ZStW 1989, 987, S. 987, 996 f.; zustimmend Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG  § 3 Rn. 12; Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn.  61.

B. Anwendungsbereich des § 49 Abs. 3 IRG im Lichte der Verfassung  

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tigen Strafbarkeit vereitelt würde.119 Dem Gesetzgeber wurde vorgehalten, dass er die beiderseitige Strafbarkeit auch bei einem auswärtigen Strafgesetz, welches im deutschen Recht lediglich einer Ordnungswidrigkeit entspricht, im Zulässigkeitsverfahren der Vollstreckungsübernahme für gegeben ansieht.120 Denn dies bringe einen größeren Wertungswiderspruch zum eigenen Recht mit sich als eine vollständige Abkehr von der Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit.121 3. Verzicht auf die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit Trotz der erörterten harschen Kritik am Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit hat sich auch der Gesetzgeber von 2015 nicht dazu entschieden, das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit gänzlich abzuschaffen. Vielmehr hält er grundsätzlich durch § 49 Abs. 1 Nr. 3 lit. a IRG weiterhin daran fest. Selbst im Bereich der Europäischen Union machte er von der Möglichkeit des Art. 7 Abs. 4, Art. 9 Abs. 1 lit.  d Rb-Freiheitsstrafe Gebrauch und erklärte, dass eine Vollstreckung einer fremden Freiheitsstrafe, die in einem EU-Mitgliedsstaat erging, nur dann übernommen wird, wenn auch die beiderseitige Strafbarkeit vorliegt.122 Eine Abkehr davon ist zumindest gem. § 84b Abs. 2 IRG mit Zustimmung des Betroffenen möglich. Dass der Gesetzgeber grundsätzlich an der beiderseitigen Strafbarkeit im Bereich der Vollstreckungshilfe zu Mitgliedern der Europäischen Union festhält, ist insofern überraschend, dass diese Bedingung im Zusammenhang mit dem Europäischen Haftbefehl gem. § 81 Nr. 4 IRG sowie § 84a Abs. 3 IRG nicht mehr zwingend vorliegen muss.123 Es wird dadurch deutlich, dass der Gesetzgeber für die Leistung einer Vollstreckungsübernahme im Grundsatz eine rechtshilferechtliche Kongruenz zwischen den Staaten wünscht. Daneben zweifelt er auch an einer notwendigen Resozialisierung des Verurteilten, wenn die Tat nach deutschem Recht kein Unrecht darstellt.124 Durch die Einfügung des § 49 Abs. 3 IRG und § 84b Abs. 2 IRG ist aber zumindest eine geringe Abkehr von den Bedenken des Gesetzgebers zu erkennen.125 Der Kritik der Literatur zustimmend ist der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit nicht zum ordre public der Bundesrepublik Deutschland zu zählen.126 Dies 119

Schroeder, ZStW 1986, 457, 476. Vom Gesetzgeber zur Vermeidung unbilligender Härten miteinbezogen, BT-Drs. 9/2137, S. 24; zuletzt erst als verfassungskonform eingestuft bei OLG Stuttgart, NJW 2018, 2213 ff. 121 Schroeder, ZStW 1986, 457, 476. 122 BT-Drs. 18/4347, S. 109; EU-Rats-Dok. 15305/15 vom 14. Januar 2016, S. 2; siehe dazu Böse, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 84a Rn. 6. 123 Siehe auch Böse, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 84a Rn. 6. 124 BT-Drs. 18/4347, S. 109; Böse, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 84a Rn. 6. 125 BR-Drs. 25/15, S. 118 f. 126 Siehe etwa auch Böse, in: Grützner / ​Pötz, IRG  § 84a Rn. 6; Böse, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 81 Rn. 9; Conrad, Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, S. 143; siehe dazu ausführlich auch Schumann, Anerkennung und ordre public, S. 332 ff. 120

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

ist letztendlich auch daran erkennbar, dass bei der Rechtshilfe innerhalb der Europäischen Union im Bereich des Europäischen Haftbefehls auf die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit verzichtet wird, ohne dass der Beteiligte der Auslieferung zustimmt.127 Die Besorgnis des Gesetzgebers, dass kein Strafbedürfnis für die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vorläge, wenn die Tat nicht auch nach deutschem Recht unter Strafe steht,128 ist wenig überzeugend. Schon lange werden andere Rechtsordnungen mit Blick auf das Souveränitätsprinzip und unterschiedliche territoriale Begebenheiten mehr akzeptiert und anerkannt.129 Dass der eigene Staat eine konkrete Handlung nicht unter Strafe stellt, bedeutet nicht, dass das Verhalten, welches der auswärtige Staat nach seiner Rechtsordnung ahndet, völlig unbedeutend und harmlos war. Gebote und Verbote eines Staates sind oftmals an historische, kulturelle, aber auch geografische Unterschiede in den Staaten geknüpft.130 Verschließt sich ein Staat einem fremden Strafbedürfnis, so zeigt er sich nicht nur intolerant gegenüber der fremden Rechtsordnung, sondern auch gegenüber der souveränen, fremden Strafgewalt. Zudem ist zu bedenken, dass für die Vollstreckung der fremden Freiheitsstrafe durchaus ein Strafbedürfnis vorliegt. Durch das rechtskräftige, auswärtige Urteil wurde ausdrücklich festgestellt, dass ein Bedürfnis zur Ahndung der Tat besteht.131 Denn begibt sich eine Person in einen auswärtigen Staat, so ist sie grundsätzlich auch daran gehalten, die dortigen Gesetze zu wahren.132 Die Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit im Rahmen der Rechtshilfe zeugt nicht nur von Misstrauen gegenüber der Rechtsordnung des anderen Staates, sondern erhöht die eigene auch als die „bessere“. Losgelöst von der Gesamtheit des Rechtssystems und von der Geschichte des Staates ist eine solche scharfe Einschätzung jedoch unangebracht und wertlos. Man denke nur an die in Deutschland unter Strafe gestellte Holocaust-Leugnung aus § 130 Abs. 3 StGB. Ähnlich wie diese sind in Rechtsordnungen anderer Länder vergleichbare Strafvorschriften vorstellbar, die aufgrund von historischen Ereignissen des jeweiligen Staates erlassen wurden und daher keine Entsprechung im deutschen Recht finden. Dies bedeutet zugleich, dass die Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit auch einer Übernahme der Vollstreckung einer auswärtigen Freiheitsstrafe den Weg versperren kann, die eine Handlung ahndet, die theoretisch auch nach deutschem Verfassungsrecht unter Strafe gestellt werden könnte. Ein Beispiel bietet etwa das Fotografieren von Toten, welches bis jetzt noch nicht in Deutschland unter Strafe gestellt ist.133 In der 127 So etwa beim Europäischen Haftbefehl gem. Art. 2 Abs. 2 Rb 2002/584/J; siehe auch Schmahl, DVBl. 2007, 1463, 1463 f.; Böse, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 81 Rn. 9. 128 BT-Drs. 18/4347, S. 109; EU-Rats-Dok. 15305/15 vom 14. Januar 2016, S. 2. 129 Teilweise orientieren sich Staaten sogar bei der Umgestaltung einer Rechtsordnung an ausländischen Rechtsordnungen, siehe dazu kurz Weigend, in: HStrfR I, § 23 Rn. 14. 130 Schroeder, ZStW 1986, 457, 476; Jescheck, ZStW 1954, 518, 531; BT-Drs. 15/1718, S. 17. 131 So auch BT-Drs. 18/4347, S. 95; andeutend BT-Drs. 15/1718, S. 17. 132 Andeutend BT-Drs. 15/1718, S. 17; Böse, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 81 Rn. 20. 133 Ein Gesetzesentwurf ist jedoch vom Bundesrat eingereicht worden; siehe ausführlich dazu Preuß, ZIS 2018, 212, 212 ff.

B. Anwendungsbereich des § 49 Abs. 3 IRG im Lichte der Verfassung  

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Schweiz kann diese Handlung jedoch gem. Art. 179 schweizerisches StGB geahndet werden und zu einem Strafurteil führen.134 Dass zur Zeit der Bundesregierung ein Gesetzesentwurf des Bundesrates zur Änderung des § 201a StGB vorliegt, der zukünftig ebenso das Fotografieren von Toten unter Strafe stellen soll,135 zeigt nur umso mehr, dass die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit nicht vollumfassend den ordre public im Rahmen der Vollstreckungsübernahme sichert.136 Es wird deutlich, dass ein Strafbedürfnis bestehen kann, selbst wenn deutsche Gesetze ein solches (noch) nicht aufzeigen.137 Nur in einzelnen Fällen verhindert die Bedingung der beiderseitigen Straf­ barkeit eine Verletzung der eigenen fundamentalen Prinzipien. Als Beispiel kann etwa die Bestrafung einer uneingeschränkt gerechtfertigten Handlung genannt werden. Auch die Übernahme von Strafen, die eine Handlung ahnden, die grundrechtlich gewährleistet ist, wird durch die beiderseitige Strafbarkeit geschützt.138 Zu denken ist etwa an Strafen, die Verstöße gegen die Sittlichkeit ahnden. Solche sind überwiegend in muslimischen oder asiatischen Ländern bekannt und bilden gute Beispiele für Fälle, in denen die Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit zugleich den ordre public schützt. So wird etwa in Afghanistan der außereheliche Geschlechtsverkehr sowohl im afghanischen Strafgesetz von 1976 in Art. 426 bis 429 als auch durch die Scharia unter Strafe gestellt und mit bis zu sieben Jahren, in schweren Fällen auch bis zu zehn Jahren, Freiheitsstrafe geahndet.139 Auch im Iran wird ein solcher in Art. 63 ff. des Strafgesetzbuches der islamistischen Republik Iran (StGB-Iran) bestraft.140 Eine solche Verhaltensweise war in Deutschland zwar auch bis 1969 gem. § 172 StGB a. F. strafbar; mittlerweile würde man eine solche Ahndung jedoch mit Blick auf die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als verfassungswidrig ansehen.141 Ebenso verhält es sich mit Straftatbeständen, die homosexuelle Handlungen ahnden. Im Iran wird gem. Art. 109 und Art. 110 StGB-Iran homosexueller Verkehr (Wortlaut der Norm) zwischen Männern mit der Todesstrafe bestraft. Homosexueller Verkehr zwischen Frauen wird gem. Art. 129 StGB-Iran bei den ersten drei Verurteilungen 134

So die Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts siehe NJW 1994, 504, 505 f.; Trechsel / ​Lieber, in: Trechsel / ​Pieth, schweizerisches StGB Art. 179 Rn. 5. 135 BR-Drs. 41/18; Preuß, ZIS 2018, 212, 212 ff. 136 So letztendlich auch Swart, in: Eser / ​Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures, S. 525. 137 So auch BT-Drs. 15/1718, S. 17; in Bezug auf unterschiedliche Strafhöhen angedeutet bei Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, S. 68. 138 Lagodny, ZStW 1989, 987, 996 f.; ders., in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 3 Rn. 2; Schumann, Anerkennung und ordre public, S. 346; veranschaulicht in Bezug auf die Auslieferung Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 3 Rn. 12. 139 VG Augsburg, Urteil v. 21. Januar 2013, Az. Au 6K 12.30291, Rn. 33; s. a. Geiser, Zina, S. 2 f. m. w. N. 140 Siehe deutsche Übersetzung bei Tellenbach, StGB der islamistischen Republik Iran, S. 46. 141 Allgemein zur allgemeinen Handlungsfreiheit sowie zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit siehe Di Fabio, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 2 I, Rn. 11 ff., 147 ff.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

mit hundert Peitschenhieben, bei der vierten Verurteilung gem. Art. 131 StGB-Iran mit der Todesstrafe bestraft.142 Die Vollstreckung einer Strafe wegen homosexueller Handlungen würde in Deutschland den Kernbereich der Grundrechte des Diskriminierungsverbots aus Art. 3 Abs. 1 GG und der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzen.143 Eine Übernahme der auswärtigen Entscheidung, die dieses Verhalten ahndet, würde immer auch eine tiefgreifende Verletzung der Grundrechte des Betroffenen bedeuten. Insofern zeigt sich, dass die Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit zwar von vornherein die Übernahme von Straftatbeständen ausschließt, die gegen fundamentale verfassungsrechtliche Prinzipien verstoßen würden; doch werden auch solche abgeurteilten Taten im Ausland für eine Vollstreckungsübernahme verschlossen, die keinen Verstoß gegen den ordre public beinhalten und bei ähnlichen Verhältnissen auch in Deutschland verfassungsrechtlich unter Strafe gestellt werden könnten.144 Eine Abkehr von § 49 Abs. 1 Nr. 3 lit. a IRG ist verfassungsrechtlich somit möglich. Im Einzelfall muss aber bewertet werden, inwieweit grundrechtlich geschützte Interessen durch die Aburteilung der Handlung im Ausland berührt werden.145

IV. Verzicht auf die Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG 1. Rechtlicher Hintergrund des § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG stellt die Bedingung, dass noch keine deutsche Entscheidung der in § 9 Nr. 1 IRG genannten Art zur konkret in Frage stehenden Tat getroffen worden sein darf. Grund für diese Voraussetzung ist der Gedanke, dass mit der abschließenden deutschen Entscheidung die Sache auch beendet sein soll.146 Es soll dem Grundgedanken des in Deutschland geltenden Doppelbestrafungsverbots „ne bis in idem“ aus Art. 103 Abs. 3 GG Rechnung getragen, aber auch für den 142

Siehe deutsche Übersetzung bei Tellenbach, StGB der islamistischen Republik Iran, S. 55; daneben gibt es noch eine Reihe anderer Länder, die eine Strafbarkeit für Homosexualität vorsehen, wie bspw. Art. 319 des StGB von Senegal, siehe bei VG München, Urteil v. 10. August 2017, Az. M 11 K 16.30600, Rn. 12, 27 (= BeckRS 2017, 131086), oder auch Art. 45 des StGB Ugandas von 1950 (Penal Code Act 1950), siehe VG Augsburg, Urteil v. 20. September 2017, Az. Au 4 K 17.32803, Rn. 30 f. (= BeckRS 2017, 130115), sowie Art. 61 des Gesetzes von 1861 über Straftaten gegen die Person aus Sierra Leone (Offence against the Person Act 1861), siehe bei EuGH, NVwZ 2014, 132. 143 Lediglich zur Diskriminierung der eingetragenen Lebenspartnerschaft zur Ehe, jedoch auf ein Verbot der Strafbarkeit homosexueller Handlungen übertragbar, siehe BVerfG, NJW 2010, 1439, 1440, Rn. 86 ff. (=BVerfGE 124, 199). 144 So auch Schumann, Anerkennung und ordre public, S. 347. 145 Schumann, Anerkennung und ordre public, S. 347; Oehler lehnt den Verzicht auf die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit aus Schwierigkeiten einer solchen Beurteilung gerade ab, siehe Oehler, ZStW 1984, 555, 557. 146 BT-Drs. 9/1338, S. 71, 43.

B. Anwendungsbereich des § 49 Abs. 3 IRG im Lichte der Verfassung  

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Verfolgten eine gewisse Rechtssicherheit geschaffen werden.147 Zusätzlich soll allgemein die wechselseitige Anerkennung verfahrensabschließender Entscheidungen gefördert werden, mit der zugleich auch die Akzeptanz der Souveränität des jeweiligen Staates verbessert wird.148 Schon der historische Gesetzgeber von 1982 sah diese Bedingung für die Vollstreckungsübernahme grundsätzlich nicht als verfassungsrechtlich zwingend an. Insbesondere auch die in Deutschland geschaffenen Möglichkeiten von Wiederaufnahmeverfahren wie § 211 StPO oder § 174 Abs. 2 StPO zeigen, dass eine Übernahme der Vollstreckung des auswärtigen Urteils trotz schon in Deutschland ergangener Entscheidung nicht gegen wesentliche Prinzipien der deutschen Rechtsordnung verstößt.149 Auch eine etwaige bessere Beweissituation im Ausland kann dafür sprechen, das auswärtige Urteil dem eigenen vorzuziehen.150 Problema­ tisch sind jedoch Fälle, in denen zuvor schon durch ein deutsches Gericht ein Freispruch wegen derselben Tat erging151 oder eine Vollstreckung der abgeurteilten Tat im Bundesgebiet erfolgte. 2. Zwingende Ablehnung bei deutschem Freispruch Schon der historische Gesetzgeber von 1982 sah eine Ablehnung einer Vollstreckungsübernahme in den Fällen als zwingend an, in denen in der Bundesrepublik Deutschland für dieselbe Tat ein Freispruch ergangen ist.152 Der Grund für die zwingende Ablehnung liegt dabei beim Grundsatz des Verbots der Doppelbestrafung, welches zugleich vor jeder weiteren Strafverfolgung schützt.153 Diesbezüglich ist zunächst festzuhalten, dass Art. 103 Abs. 3 GG lediglich die Einmaligkeit der deutschen Strafverfolgung betrifft. Es verbietet demnach nur eine mehrmalige Bestrafung aufgrund der deutschen Strafvorschriften.154 Auswärtige Urteile sind nicht von Art. 103 Abs. 3 GG miterfasst und können somit von Deutschland, 147

Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG  § 9 Rn. 25 f.; zu Art. 103 Abs. 3 GG siehe Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG Art. 103 Rn. 4. 148 Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 9 Rn. 25. 149 BT-Drs. 18/4347, S. 96. 150 Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  17. 151 BT-Drs. 9/1338, S. 71. 152 BT-Drs. 9/1338, S. 71. 153 Nolte / ​Aust, in: Mangoldt / ​Klein / ​Starck, GG 103 Rn. 174; Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 71. 154 Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG  Art. 103 Rn. 89; dies., in: HStrfR I, § 2 Rn. 72; Remmert, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 103 III, Rn. 76; BT-Drs. 18/4347, S. 97; BVerfGE 75, 1, 23 f.; in Bezug auf die Auslieferung, aber übertragbar siehe BVerfG, NJW 2012, 1202 (= BVerfGE 19, 265); OLG Karlsruhe, NJW 1988, 1476; OLG München, StV 2013, 313; Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 9 Rn. 23 ff.; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 189 f.; kritisch dazu Lagodny, in: Arnold / ​Burkhardt / ​ Gropp et al. (Hrsg.), FS Eser, S. 779 sowie zu einem transnationalen ne-bis-in-idem ders., in: Donatsch / ​Forster / ​Schwarzenegger (Hrsg.), FS Trechsel, S.  256 ff.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

obwohl eine deutsche Entscheidung schon ergangen ist, rechtmäßig übernommen werden.155 Auch die von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten Bestimmungen des Art. 4 des 7. ZP-EMRK und Art. 14 Abs. 7 IPbpR umfassen nur das Verbot der Doppelbestrafung innerhalb eines Landes. Somit kann die Bundesrepublik Deutschland bei einer schon im Ausland erfolgten Verurteilung erneut wegen derselben Tat verurteilen, ohne Art. 103 Abs. 3 GG zu verletzen.156 Bei einem in Deutschland ergangenen Freispruch muss jedoch berücksichtigt werden, dass ein deutsches Gericht die Unschuld einer Person in Bezug auf dieselbe Tat rechtskräftig festgestellt hat und damit die erstmalige Strafverfolgung wegen dieser Tat für die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen ist.157 Das deutsche Gericht hat rechtskräftig festgestellt, dass wegen dieser angeklagten Tat keine Strafe zu verhängen und ein Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG daher ausgeschlossen ist. Art. 103 Abs. 3 GG schützt die betroffene Person bei Vorliegen eines in Deutschland ergangenen Freispruchs daher auch dann vor einer Vollstreckung durch die Bundesrepublik Deutschland, wenn nachträglich ein ausländisches Gericht eine Strafe wegen derselben Tat verhängt. Würde Deutschland den eigenen Freispruch ignorieren und eine auswärtige Strafe wegen derselben Tat vollstrecken, wäre dies ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG. Der Freigesprochene muss auf die Rechtskraft des Freispruchs zur Tat vertrauen können.158 3. Zwingende Ablehnung bei erfolgter Vollstreckung Ein weiterer problematischer Fall, in dem eine Vollstreckungsübernahme im Zusammenhang mit § 49 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 9 Nr. 1 IRG zwingend zu unterlassen ist, betrifft ebenfalls das Doppelbestrafungsverbot aus Art. 103 Abs. 3 GG. Hat die Bundesrepublik Deutschland ein eigenes Urteil schon vollstreckt, so hindert Art. 103 Abs. 3 GG die erneute Bestrafung wegen derselben Tat. Das Doppelbestrafungsverbot enthält schon im Wortlaut das „Verbot der Mehrfachbestrafung“,159 sodass wegen derselben Tat nur einmal bestraft werden darf.160 Im Falle der vollen Tatidentität des inländischen und auswärtigen Urteils wäre Deutschland bei einer 155 Remmert, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 103 III, Rn. 76; so auch BT-Drs. 18/4347, S. 97; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  17. 156 Zu einigen Staaten besteht jedoch mittlerweile eine Art transnationales ne-bis-in-idem. So regeln etwa Art. 54 SDÜ sowie Art. 50 EuCh für die EU-Staaten das Verbot der Doppel­ bestrafung. In Beziehung zu diesen Staaten würde es daher überhaupt nicht zu einem Konflikt zweier Strafgewalten kommen, wobei ohnehin für die Vollstreckungshilfe zwischen diesen Ländern andere vertragliche Voraussetzungen greifen würden. 157 Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG Art. 103 Rn. 4; BVerfG, NJW 1961, 867 (= BVerfGE 12, 62); Nolte / ​Aust, in: Mangoldt / ​Klein / ​Starck, GG 103 Rn. 174. 158 Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG Art. 103 Rn. 4; Nolte / ​Aust, in: Mangoldt / ​K lein / ​Starck, GG 103 Rn.  179. 159 Zu den Begrifflichkeiten kritisch Remmert, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 103 III, Rn. 3 ff. 160 Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG Art. 103 Rn. 4, 81.

B. Anwendungsbereich des § 49 Abs. 3 IRG im Lichte der Verfassung  

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schon erfolgten Vollstreckung des eigenen Urteils somit aufgrund von Art. 103 Abs. 3 GG verpflichtet, eine Vollstreckungsübernahme des auswärtigen Urteils zu verweigern.161 Die Vollstreckung des auswärtigen Urteils wäre in einem solchen Fall ein rechtswidriger Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip und eine Verletzung des Art. 103 Abs. 3 GG. 4. Zusammenfassung Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken aufgrund der möglichen Abkehr von der Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG.162 Insbesondere läge auch bei Vornahme einer Vollstreckungsübernahme trotz Vorliegen einer Entscheidung der in § 9 IRG genannten Art kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG vor. Verfassungsrechtlich problematisch sind aber Fälle, in denen schon ein Freispruch durch ein deutsches Gericht für die konkret in Frage stehende Tat erging oder sogar schon eine Strafe wegen derselben Tat auf deutschem Staatsgebiet vollstreckt wurde. In beiden Fällen würde die Vollstreckungsübernahme den Grundsatz des Doppelbestrafungsverbots und somit den ordre public verletzen.

V. Verzicht auf die Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG 1. Rechtlicher Hintergrund des § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG Als letzte Bedingung des § 49 Abs. 1 IRG darf die Vollstreckung nach deutschem Recht nicht verjährt sein. Nach diesem stellt die Vollstreckungsverjährung ein Verfahrenshindernis, genauer ein Vollstreckungshindernis,163 dar, welches die Vollstreckung einer Strafe nach Ablauf der Frist sperrt.164 Da sich im rechtshilferechtlichen Vollstreckungsübernahmeverfahren die innerstaatlichen Grundlagen für eine Vollstreckbarkeitserklärung gem. § 57 Abs. 4 IRG nach deutschem Vollstreckungsrecht richten, soll auch § 79 Abs. 1 StGB Geltung verschafft werden.165 Dieser gilt zwar gem. Art. 1 Abs. 1 EGStGB nur unmittelbar für in der Bundes­ republik Deutschland ergangene Urteile, doch sollen die Grundsätze einer Vollstreckung eines deutschen Urteils soweit wie möglich bei einer Vollstreckung eines auswärtigen Erkenntnisses gelten. Wäre die rechtskräftig verhängte Strafe nach deutschem Recht somit verjährt, bestünde bei einem Urteil durch ein deutsches Gericht ein Vollstreckungshindernis. Dieses Vollstreckungshindernis soll auch im 161 So auch hinsichtlich einer Auslieferung Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, S. 75; anders aber Remmert, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 103 III, Rn. 81. 162 So auch BT-Drs. 18/4347, S. 97; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​ Hackner, IRG § 49 Rn. 17. 163 Satzger, Jura 2012, 433, 441. 164 Mitsch, in: MüKo-StGB, § 79 Rn. 1; Bosch, in: Schönke / ​Schröder, StGB § 79 Rn. 1. 165 BT-Drs. 9/1882, S. 71.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

Rahmen der Vollstreckungsübernahme geachtet werden, was § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG im allgemeinen Vollstreckungsübernahmeverfahren sicherstellt. 2. Verzicht auf die Voraussetzung der Vollstreckungsverjährung Ob eine Abkehr von § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG gem. § 49 Abs. 3 IRG verfassungsrechtlich möglich ist, hängt davon ab, welchen rechtlichen Hintergrund das Vollstreckungshindernis der Vollstreckungsverjährung im innerstaatlichen Recht hat. Besteht schon im nationalen Bereich keine verfassungsrechtliche Pflicht für eine Vollstreckungsverjährung, so ist auch ein Verzicht auf die Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG verfassungsrechtlich möglich. a) Rechtlicher Hintergrund der Vollstreckungsverjährung im innerstaatlichen Recht Die Verjährung stellt den Verzicht des Staates auf eine Ahndung der Straftat dar. Die Gründe für einen solchen Verzicht finden sich zunächst in den Strafzwecken selbst.166 Mit zeitlicher Entfernung zur Tat nimmt das Strafbedürfnis der Gesellschaft aus verschiedenen Gründen ab, wobei vor allem der nachlassende Norm­ geltungsschaden genannt werden kann.167 Zum einen kann aus spezialpräventiver Perspektive davon ausgegangen werden, dass der Täter erfolgreich in die Gesellschaft resozialisiert und reintegriert wurde, wenn er in einem gewissen Zeitraum wegen keiner weiteren Straftaten auffällig geworden ist.168 Es scheint, dass der Täter das geltende Recht akzeptiert hat, sodass auch das Bedürfnis, die Tat zu ahnden, gesunken ist.169 Zum anderen wird die Gesellschaft durch eine späte Vollstreckung nur noch in geringem Umfang abgeschreckt.170 Der Strafzweck der Vergeltung ist trotz Ablauf der Verjährungsfrist insofern erfüllt, dass der Täter die lange Zeit des Fristablaufs stetig mit der Angst leben musste, doch noch für die abgeurteilte Tat in Haft genommen zu werden.171 Neben den Strafzwecken ist auch der Grundgedanke des Beschleunigungsgebots aus dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK für die festgelegten Verjährungsfristen zu nennen.172 Dieses fordert, dass die Belastungen, die mit einem

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Satzger, Jura 2012, 433, 434. Streng, JZ 2017, 507, 510; BVerfG, NStZ 2006, 680, 681. 168 Mitsch, in: MüKo-StGB, § 78 Rn. 3; Zipf / ​L aue, in: Maurach / ​Gössel / ​Zipf, § 76 Rn.  11; Satzger, Jura 2012, 433, 434 f. 169 Jescheck / ​Weigend, Strafrecht AT, S. 912; Satzger, Jura 2012, 433, 434. 170 Jescheck / ​Weigend, Strafrecht AT, S. 911. 171 Mitsch, in: MüKo-StGB, § 78 Rn. 3. 172 Satzger, Jura 2012, 433, 435; BVerfG, NStZ 2006, 680, 681; Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 35. 167

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Strafverfahren für den Betroffenen verbunden sind, gering zu halten sind.173 Das Beschleunigungsgebot gilt zwar nur für das Erkenntnisverfahren und nicht für das Vollstreckungsverfahren,174 doch ist der rechtsstaatliche Hintergrund durchaus übertragbar. Ein weiterer Nebeneffekt einer gesetzlichen Verjährungsfrist ist die Disziplinierung der Justiz, die dadurch gezwungen ist, das Vollstreckungsverfahren schnell und effizient zu beenden.175 Daneben ist mit der Verjährung der Vollstreckung auch das Bedürfnis des Rechtsfriedens verbunden, welches mit der Länge der verstrichenen Zeit zwischen Tat und Vollstreckung steigt.176 Nicht zu vergessen ist auch das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG, das es gebietet, staatliches Handeln zu begrenzen. Verjährungsfristen sind also rechtsstaatliche Ausprägungen der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.177 Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber nach Ablauf einer längeren Zeit zwischen Aburteilung und Vollstreckung keinen größeren Sinn mehr in der endgültigen Bestrafung des Täters sieht.178 Die Verjährung einer Tat soll daher weniger Rechte des Betroffenen schützen, als vielmehr dem Sinn und Zweck von Strafe gerecht werden. Dieser Hintergrund wird auch durch die abgestufte Verjährungsfrist des § 79 Abs. 3 StGB bestätigt, die mit der Schwere der Tat steigt.179 Dadurch wird deutlich, dass der Gesetzgeber mit der Schwere der Tat auch ein längeres Bedürfnis zur Durchsetzung des Strafanspruches und zur Herstellung von Gerechtigkeit sieht.180 Auch die Verfassungsmäßigkeit der in § 79 Abs. 2 StGB normierten Unverjährbarkeit von Taten mit lebenslanger Freiheitsstrafe zeigt,181 dass der Täter kein verfassungsrechtlich verankertes Recht darauf hat, dass eine Vollstreckung von Gesetzes wegen verjährt. Ein solches kann auch nicht aus den Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips oder der Rechtssicherheit gezogen werden. Selbst eine nachträgliche Verlängerung der Verjährungsfrist stellt keinen Verstoß gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot dar, denn die Verjährung betrifft nicht die Strafbarkeit einer Tat, sondern die Verfolg 173

BVerfG, NJW 1992, 2472, 2473; BVerfG, NJW 2003, 2225, 2225. Valerius, in: Graf, EMRK Art. 6, Rn. 22; OLG Düsseldorf, StV 1993, 430, 431; BGH, NStZ 1987, 232. 175 BGH, NJW 1958, 1307, 1308 (= BGHSt 11, 393); BGH, NJW 1959, 894, 895 (= BGHSt 12, 335); Jescheck / ​Weigend, Strafrecht AT, S. 911; Zipf / ​L aue, in: Maurach / ​Gössel / ​Zipf, § 76 Rn. 11. 176 Mitsch, in: MüKo-StGB, § 78 Rn. 3; BGH, NJW 1959, 894, 895 (= BGHSt 12, 335). 177 Wolter, in: SK-StGB, Vor § 78 Rn. 5. 178 Jescheck / ​Weigend, Strafrecht AT, S. 911; Wolter, in: SK-StGB, § 79 Rn. 1; Zipf / ​L aue, in: Maurach / ​Gössel / ​Zipf, § 76 Rn.  11. 179 Zipf / ​L aue, in: Maurach / ​Gössel / ​Zipf, § 76 Rn.  11. 180 Jescheck / ​Weigend, Strafrecht AT, S. 911. 181 Die Unverjährbarkeit von Taten, die mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe geahndet werden, begründet sich darauf, dass der Gesetzgeber verhindern wollte, dass der Vollstreckung dieser Strafe nicht durch Ablauf der Zeit entgangen werden können sollte (BT-Drs. V/4095, 45); siehe auch Saliger, in: NK-StGB, § 79 Rn. 4. Insofern ist davon auszugehen, dass § 79 Abs. 2 StGB verhältnismäßig und somit auch verfassungsgemäß ist. 174

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

barkeit.182 Anders als im Falle eines Täters, der auf die Straflosigkeit seines Verhaltens vertraut, besteht kein normativer Grund, das Vertrauen des Täters auf die Verjährung der Tat zu schützen. Ein solches Vertrauen ist daher auch nicht von Art. 103 Abs. 2 GG umfasst.183 Dies bedeutet, dass keine verfassungsrechtliche Pflicht besteht, eine Vollstreckungsverjährung gesetzgeberisch festzulegen. b) Bedingung der Vollstreckungsverjährung im Vollstreckungsübernahmeverfahren Verfassungsrechtlich sind Verjährungsfristen im innerstaatlichen Recht nicht zwingend, sodass diese keine notwendigen Voraussetzungen einer legitimen Vollstreckungsübernahme sind. Der Täter hat keinen grundgesetzlichen Anspruch auf die Vollstreckungsverjährung einer Tat. Dennoch darf zwischen Aburteilung und Tat kein allzu langer Zeitraum liegen. Das Rechtsinstitut der Verjährung wahrt nicht nur rechtsstaatliche Grundsätze der Rechtssicherheit und der Einzelfallgerechtigkeit, sondern auch den Verhältnis­ mäßigkeitsgrundsatz.184 Deutschland als Rechtsstaat muss gem. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig handeln. Jegliches staatliches Handeln hat demnach im Verhältnis zum Eingriff durch einen benennbaren Zweck gerechtfertigt und angemessen zu sein.185 Vollstreckt Deutschland ein auswärtiges Erkenntnis, obwohl zwischen der auswärtigen Verurteilung und dem Beginn der Vollstreckung ein auffallend langer Zeitraum liegt (die Strafe folglich verwirkt ist), so könnte es an einem rechtfertigenden und angemessenen Zweck der Vollstreckung einer Strafe fehlen.186 Die Beurteilung einer solchen Sachlage hängt aber vom jeweiligen Einzelfall ab und ergibt sich nicht per se aus dem Ablauf einer Vollstreckungsverjährungsfrist, sondern vielmehr aus einem eklatanten Missverhältnis. Ein solches müsste etwa angenommen werden, wenn der Unwert einer Tat als gering einzustufen ist, die Tat jedoch bereits Jahre zurückliegt. So wäre etwa die Vollstreckung einer einjährigen Freiheitsstrafe für einen einfachen Diebstahl, der 25 Jahre zurückliegt, unverhältnismäßig, da kein vernünftiger und angemessener Zweck mehr für die Strafe gegeben wäre. In einem solchen Fall ist ein Verzicht auf § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG daher nicht möglich.

182 BVerfG, NJW 1969, 1059 (= BVerfGE 25, 269); Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​Henneke, GG Art. 103 Rn. 55, 75; dies., in: HStrfR I, § 2 Rn. 62; Jescheck / ​Weigend, Strafrecht AT, S. 911 f.; Wolter, in: SK-StGB, Vor § 78 Rn. 4; Zipf / ​L aue, in: Maurach / ​Gössel / ​ Zipf, § 76 Rn. 14. 183 Jescheck / ​Weigend, Strafrecht AT, S. 912 Fn. 3; Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu / ​Hofmann / ​ Henneke, GG Art. 103 Rn. 76. 184 Wolter, in: SK-StGB, Vor § 78 Rn. 5; Grzeszick, in: Maunz / ​Dürig, GG VII. zu Art. 20 Rn. 29 f. 185 Grzeszick, in: Maunz / ​Dürig, GG VII. zu Art. 20 Rn. 107. 186 Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn.  97.

B. Anwendungsbereich des § 49 Abs. 3 IRG im Lichte der Verfassung  

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3. Zusammenfassung § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG ist keine zwingende, verfassungsrechtliche Bedingung.187 Es besteht keine verfassungsrechtliche Pflicht, die Verjährung der Vollstreckung einer Strafe zu regeln. Der Zweck des § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG liegt in dem Willen des Gesetzgebers, nur solche auswärtigen Strafen zur Vollstreckung zu übernehmen, die auch nach deutschem Recht vollstreckt werden könnten. Zudem findet so neben § 73 S. 1 IRG eine weitere Komponente Eingang ins rechtshilferechtliche Verfahren, welche den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sichert.188

VI. Zwischenergebnis Nicht alle Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 IRG sind verfassungsrechtlich vor­ gegeben. Einzig § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG ist nicht disponibel für eine legitime Vollstreckungsübernahme. Diese sichert nicht nur die Grundlage, auf welcher der Staat erst tätig werden soll, sondern auch die Unschuldsvermutung. Daneben werden zudem unnötige Vollstreckungen, denen noch eine gesicherte Grundlage fehlt, verhindert. Ein Verzicht auf die Voraussetzungen der § 49 Abs. 1 Nr. 3 lit. a IRG und § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG ist dagegen verfassungsrechtlich möglich. Während § 49 Abs. 1 Nr. 3 lit. a IRG lediglich eine rechtshilferechtliche Kongruenz zwischen den beteiligten Staaten sichern soll, basiert § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG auf der politischen Erwägung, dass eine Vollstreckung einer Strafe nur erfolgen soll, wenn noch ein hohes Strafbedürfnis nach deutschem Verständnis besteht. Problematisch ist ein Verzicht auf die Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG lediglich bei einem erheblich langen Zeitraum zwischen Urteil und Vollstreckung. Um eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu vermeiden, muss das Exequaturgericht im Einzelfall prüfen, ob ein eklatantes Missverhältnis zwischen Tat und verstrichener Zeit liegt. Ebenso ist der Verzicht auf die Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG grundsätzlich verfassungsrechtlich legitim. Nur die elementaren Prinzipien der EMRK sind vom ordre public erfasst. Zudem ist davon auszugehen, dass keine grundsätzliche Pflicht für Konventionsstaaten besteht, die Übernahme der Vollstreckung eines konventionswidrigen Urteils abzulehnen. Auch von der Voraussetzung des § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG kann verfassungsrechtlich abgesehen werden. Lediglich in den Fällen eines schon ergangenen deutschen Freispruchs sowie einer schon erfolgten Vollstreckung in Deutschland bedarf es zum Schutz des ordre publics einer Ablehnung der Vollstreckungsübernahme.

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So auch die Bundesregierung erkennend in BT-Drs. 12/194, S. 19; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  1. 188 Ähnl. des innerstaatlichen § 78 ff. StGB siehe Beukelmann, in: Dölling / ​Duttge / ​König / ​ Rössner, § 78 Rn. 1.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

C. Anwendungsbereich des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG im Lichte der Verfassung Die Ausnahmeregelung des § 54a IRG enthält zwei weitere Modifikationen des allgemeinen Regelverfahrens der Vollstreckungsübernahme. Entgegen der Beschränkung des § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 IRG sollen gem. § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG auch solche Strafen zur Vollstreckung übernommen werden können, die das im deutschen Strafrecht für die Tat vorgesehene nationale Höchstmaß überschreiten. Dagegen eröffnet § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG die Möglichkeit, eine Ausnahme von § 57 Abs. 2 IRG zu machen. Die Reststrafenaussetzung kann dadurch von der Zustimmung des Urteilsstaates abhängig gemacht werden. Fraglich bleibt, wann verfassungsrechtliche Vorgaben die Abkehr von § 54 Abs. 1 S. 2 StGB und § 57 Abs. 2 IRG sperren.

I. Verzicht auf die Grenze des deutschen Höchstmaßes durch § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG 1. Rechtlicher Hintergrund des § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 IRG Höchstmaße für Strafen im deutschen Recht sind auf das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG und das darauf beruhende Gesetzlichkeitsprinzip aus § 1 StGB zurückzuführen.189 Dem Bestimmtheitsgebot kam erstmals im Jahr 1919 durch Art. 116 der Weimarer Reichsverfassung Verfassungsrang zu. Umstritten war damals jedoch, wie der Begriff der „Strafbarkeit“ zu umfassen ist und ob dieses auch das Verbot der nachträglichen Strafschärfung enthält.190 Höhepunkt des strittigen Umfangs des Bestimmtheitsgebots waren Urteile in der NS-Zeit, in denen das Gebot überdehnt und vertreten wurde, dass Strafrahmen nicht unter den Grundsatz fallen würden.191 So wurde etwa im Fall Marinus van der Lubbe noch nachträglich ein Gesetz erlassen,192 welches es erlaubte, den mutmaßlichen Täter mit der Todesstrafe zu verurteilen.193 Spätestens dieses Unrechtsurteil zeigt, dass Strafrahmen und Höchstmaße zwingend von Art. 103 Abs. 2 GG umfasst werden. Dem Bürger muss 189 BVerfG, NJW 2002, 1779 (= BVerfGE 105, 135); BVerfGE 47, 109 (120); BVerfG, NJW 2010, 3209, 3210 ff. (= BVerfGE 126, 170 (195)); Satzger, in: SSW-StGB, § 1 Rn. 19, 30. 190 so Liszt / ​Schmidt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, § 18, S. 107 ff.; siehe bei Schuster, Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen, S. 214 m. w. N. 191 Siehe Schuster, Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen, S. 214. 192 Gesetz über die Verhängung und Vollzug der Todesstrafe vom 29. März 1933 (sog. „Lex van der Lubbe“), RGBl I 1933, S. 151; Schuster, Verhältnis von Strafnormen und Bezugs­ normen, S. 214 m. w. N. 193 RG v. 23. Dezember 1933; Schuster, Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen, S. 214 m. w. N.

C. Anwendungsbereich des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG  

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es möglich sein, frühzeitig strafbare Verhaltensweisen, aber auch die damit verbundene Sanktion in Art und Ausmaß einzusehen.194 Zum Schutz des Prinzips der Gewaltenteilung und des Schuldprinzips aus § 46 Abs. 1 StGB müssen ebenfalls abstrakte Strafunter- und Strafobergrenzen sowie Strafzumessungsregeln durch den Gesetzgeber festgelegt werden. Den Gerichten ist so bei der Strafzumessung durch die Strafrahmen genügend Raum gegeben, eine angemessene Strafe für die konkrete Schuld des Täters zu finden, sind jedoch zugleich in ihrem Spielraum eingeschränkt.195 Das Höchstmaß stellt somit das Strafmaß dar, welches der Gesetzgeber hinsichtlich der möglichen Schuld des Täters, des verletzten Rechtsguts und der Verletzung der Rechtsordnung durch ein bestimmtes Strafdelikt als angemessen und verhältnismäßig ansieht.196 Im Vollstreckungsübernahmebereich soll § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 IRG sicherstellen, dass nur eine Strafe zur Vollstreckung übernommen wird, die nach deutschem Rechtsverständnis eine „angemessene“ Sanktionierung vorsieht, wobei die deutschen Höchstmaße eine Orientierungshilfe bieten sollen. Vergleichbar ist dies mit dem Zulässigkeitserfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit aus § 49 Abs. 1 Nr. 3 lit. a IRG. Ist die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit gegeben und die Tat nach deutschem Recht strafbar, so soll die innerstaatliche Rechtsfolge das Strafmaß begrenzen, die bei Begehung im Inland maximal verhängt worden wäre.197 Zudem soll das deutsche Höchstmaß von vorneherein die Gefahr dämmen, übermäßig hohe Strafen zur Vollstreckung zu übernehmen.198 2. Verzicht auf die Voraussetzung des § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 IRG a) Höchstmaße als Schutz des ordre publics Da das auswärtige Erkenntnis in Bezug auf die Strafbarkeit des Täters und die festgesetzte Strafe im Rahmen der Vollstreckungsübernahme grundsätzlich bindend ist, sind die deutschen Strafrahmen für die Höhe der Strafe, welche zur Vollstreckung übernommen werden soll, unbeachtlich.199 Ob vom deutschen Höchstmaß einer Strafe im Rahmen von § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG abgewichen werden kann, 194

BVerfG, NJW 2002, 1779 (= BVerfGE 105, 135); BVerfGE 47, 109 (120); Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 59; siehe etwa auch zum Rückwirkungsverbot Schuster, Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen, S. 220 ff. 195 BVerfG, NJW 2002, 1779 (= BVerfGE 105, 135); Satzger, in: SSW-StGB, § 1 Rn. 31; Böhm, Strafvollzug, Rn. 22. 196 Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 784. 197 Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 779. 198 BVerfG, BeckRS 2014, 59254, Rn. 25 f. (= BVerfG, Beschluss v. 20. November 2014, Az. 2 BvR 1820/14); BVerfG, NJW 2005, 3483 f. (= BVerfGE 113, 154); OLG Celle, BeckRS 2007, 17738; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 54 Rn. 11; Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 779; BT-Drs. 9/1339, S. 31; BT-Drs. 18/4347, S. 98. 199 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 54 Rn. 7.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

hängt daher allein von der Frage ab, ob deutsche Höchstmaße die verfassungsrechtliche Grenze einer Strafe darstellen; ob diese also unmittelbar die Strafe festlegen, die noch zur Schuld des Täters als verhältnismäßig betrachtet werden kann. In dem Fall würden die Höchstmaße den vom ordre public umfassten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schützen und eine Vollstreckungsübernahme über § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG wäre von vorneherein verfassungswidrig. Verfassungsrechtlich unverhältnismäßig ist eine Strafe jedoch erst, wenn ein krasses Missverhältnis zwischen Schuld und Tat des Täters besteht.200 Eine Strafe, die das jeweils gesetzte Höchstmaß überschreitet, kann aber nicht per se als krass unverhältnismäßig bewertet werden. Dies wird durch etwaige Strafzumessungsregelungen, wie Qualifikationstatbestände oder Regelbeispiele, deutlich, die das jeweilige Höchstmaß für den konkreten Einzelfall erweitern können. Die festgelegten Strafobergrenzen stellen vielmehr den Umfang dar, den der Gesetzgeber für sich als gerecht empfindet. Sie können aber nicht mit der verfassungsrechtlichen Grenze gleichgesetzt werden.201 Dies verdeutlicht sich auch insofern, dass immer wieder eine Reform des Sanktionssystems und des Strafzumessungsrechts gefordert wird.202 Auch der in Art. 3 Abs. 1 GG normierte Gleichheitsgrundsatz kann nicht aufzeigen, dass die deutschen Höchstmaße fundamentale, wesentliche Prinzipien der deutschen Rechtsordnung schützen. Eine Gleichbehandlung von in Deutschland verurteilten und im Ausland verurteilten, deutschen Staatsangehörigen, bei denen die Strafe auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt werden soll, ist schon deswegen nicht geboten, da unterschiedliche, strafrechtliche Rechtsgrundlagen der Strafe herangezogen wurden. Denn bei einem inländischen Täter wurde aufgrund der deutschen Rechtsordnung und der deutschen Strafgerichtsbarkeit eine Sanktion verhängt. Die Strafe des Täters im auswärtigen Verfahren folgt jedoch aus der auswärtigen Rechtsordnung und der auswärtigen Strafgerichtsbarkeit. Schon die Bildung einer Vergleichsgruppe innerhalb der Prüfung einer Verletzung des Rechts aus Art. 3 Abs. 1 GG ist daher aufgrund des zulässigen Differenzierungskriteriums nicht möglich.203

200

BVerfG, NVwZ-RR 2016, 201, 202. Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 783; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 54 Rn. 11; zur Auslieferung BVerfG, Beschluss v. 20. November 2014, Az. 2 BvR 1820/14 (= BeckRS 2014, 59254, Rn. 26); OLG Celle, Beschluss v. 20. April 2008, Az. 1 Rs 21/08, Rn. 8; anders noch LG Hamburg, Urteil v. 3. September 1986, Az. 35 StVK 1177/85 (131 AR 1/85), zu finden in: Eser / ​L agodny / ​Wilkitzki, Rechtsprechungssammlung, S. 467 f.; BT-Drs. 9/1338, S. 75; Heydenreich, StV 2015, 8, 12.  202 So wurde das aktuelle Strafzumessungsrecht auch auf dem 72. DJT kritisiert und diskutiert, siehe Kaspar, in: Ständige Deputation des deutschen Juristentages (Hrsg.), 72. DJT, C 47 ff. sowie bei Verrel, JZ 2018, 811, 813 f. oder auch Häger, in: LK-StGB, Vor §§ 38 ff., Rn. 64 ff. m. w. N. 203 So auch Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 784. 201

C. Anwendungsbereich des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG  

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Ein grundsätzlicher Verzicht auf die Voraussetzung des § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 IRG ist daher möglich.204 Die endgültige Schranke einer Übernahme einer auswärtigen Strafe liegt erst dort, wo ein krasses Missverhältnis zwischen Tat und Strafe angenommen werden muss. Denn dann verletzt die Strafe das fundamentale Prinzip der Verhältnismäßigkeit.205 Die Übernahme einer Freiheitsstrafe von über 10 Jahren für einen einfachen Diebstahl wäre etwa mit dem ordre public nicht vereinbar und müsste daher abgelehnt werden. Zu beachten ist, dass das Übermaßverbot einer Vollstreckungsübernahme aber auch dann entgegenstehen kann, wenn die auswärtige Sanktion sich unterhalb des deutschen Höchstmaßes befindet. Dies wäre etwa der Fall, wenn eine einfache Ohrfeige, wie sie im deutschen Recht gem. § 223 StGB unter Strafe gestellt ist, mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren, als deutsches Höchstmaß der Körperverletzung, abgeurteilt wurde. Die Unverhältnismäßigkeit einer Strafe ist daher unabhängig vom Höchstmaß.206 b) Problem der Vollstreckung von zeitigen Freiheitsstrafen über 15 Jahren Problematisch ist die Übernahme einer zeitigen Freiheitsstrafe, die einen Freiheitsentzug von über 15 Jahren vorsieht. Gem. § 38 Abs. 1 StGB kennt das deutsche Strafrecht zwei Arten von Freiheitsstrafen: Die zeitige Freiheitsstrafe, die gem. § 38 Abs. 2 StGB 15 Jahre nicht überschreiten darf, und die lebenslange Freiheitsstrafe. Im allgemeinen Umwandlungsverfahren nach § 54 Abs. 1 IRG kann eine zeitige Freiheitsstrafe von über 15 Jahren übernommen werden, wenn das deutsche Recht eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsieht.207 Ist der Täter jedoch im Ausland zu einer zeitigen Freiheitsstrafe von über 15 Jahren für eine Tat verurteilt worden, für die in der Bundesrepublik Deutschland eine zeitige Freiheitsstrafe festgesetzt ist, so müsste das Exequaturgericht die Sanktion wegen § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 IRG auf 15 Jahre begrenzen.208

204

So auch Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 54 Rn. 11; BT-Drs. 9/1338, S. 31; zur Verzichtbarkeit der Zulässigkeitsvoraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit siehe auf S. 163 ff. 205 BVerfG, Beschluss v. 20. November 2014, Az. 2 BvR 1820/14 (= BeckRS 2014, 59254, Rn. 25); BVerfG, NJW 2005, 3483 (= BVerfGE 113, 154); OLG Celle, StV 2008, 431. 206 BVerfG, NJW 1969, 1059 (= BVerfGE 25, 269); BVerfG, NJW 1977, 1525 (= BVerfGE 45, 187); BVerfG, NJW 1979, 1039 (= BVerfGE 50, 205); BVerfG, NJW 2004, 141 (= BVerfGE 109, 13). 207 Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 54 Rn.  17a; Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 54 Rn. 86; KG, NStZ 1995, 415, 416 m. w. N.; Meyer  / ​ Hüttemann, ZIS 2016, 777, 778. 208 So bspw. OLG Hamm, NStZ-RR 2010, 241; OLG Saarbrücken, NStZ-RR 2004, 216; LG Hamburg, Urteil vom 3. September 1986, Az. 35 StVK 1177/85 (131 AR 1/85), siehe Eser / ​L agodny / ​Wilkitzki, Rechtsprechungssammlung, S. 467 f.; Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 778.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

Dazu sollen kurz Beispiele dargelegt werden: Der Täter A hat in der Volksrepublik China unabhängig voneinander zwei Menschen, B und C, getötet. Den ersten, B, tötete er, weil er dessen Geld haben wollte. Den zweiten, C, jedoch ohne erheblichen Grund, aber unter nicht mehr nur leichten Umständen. Für die Tötung des B verurteilte ihn das chinesische Strafgericht gem. Art. 232 chinesisches StGB zu 20 Jahren Freiheitsstrafe, für die Tötung des C wurde er gem. Art. 232 chinesisches StGB zu 16 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der Unterschied in diesen beiden Fällen liegt im deutschen Strafrecht darin, dass A im Falle des B einen Mord gem. § 211 Abs. 2 Gr. 1. Alt. 4 StGB begangen hat, für den im deutschen Recht eine lebenslange Freiheitsstrafe angedroht wird. In diesem Fall kann das Exequaturgericht daher die 20 Jahre Freiheitsstrafe ohne Beschränkung übernehmen. Dagegen liegt im Fall des C lediglich ein Totschlag gem. § 212 Abs. 1 StGB vor, für den eine Freiheitsstrafe von „nicht unter fünf Jahren“ und daher eine zeitige Freiheitsstrafe angedroht wird. In diesem Fall müsste das Exequaturgericht im allgemeinen Verfahren gem. § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 IRG bei der Umwandlung der Entscheidung die Höhe der Sanktion auf das deutsche Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe von 15 Jahren beschränken. So begrenzte etwa das OLG Celle eine Freiheitsstrafe von 37 Jahren und 6 Monaten, die in Thailand für eine „vorsätzliche Tötung“ ausgesprochen wurde, im Vollstreckungsübernahmeverfahren auf die Höhe von 15 Jahren, da nach deutschem Recht kein besonders schwerer Fall des Totschlags gem. § 212 Abs. 2 StGB angenommen werden konnte.209 Anders etwa ein Fall des KG, in dem eine in Spanien verhängte Freiheitsstrafe von 28 Jahren wegen eines „Raubmordes bei Vorliegen des strafschwerenden Umstandes der Heimtücke“ auch in diesem Maß zur Vollstreckung übernommen werden konnte, da die Tat nach deutschem Recht als Totschlag gem. § 212 Abs. 2 StGB zu qualifizieren war, für die im Höchstmaß die lebenslange Freiheitsstrafe angedroht ist.210

Da im deutschen Recht gem. § 38 Abs. 2 StGB keine zeitigen Freiheitsstrafen von über 15 Jahren möglich sind, stellt sich die Frage, ob das Exequaturgericht bei der Umwandlung der Sanktion gem. § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG überhaupt die Befugnis hat, eine zeitige Strafe über dieses Maß hinaus auszusprechen oder ob es auch im Vollstreckungsübernahmeverfahren an diese „Maximalgrenze“ gebunden ist. Das Exequaturgericht führt im Verfahren zur Vollstreckungsübernahme kein eigenes Strafverfahren mit einer eigenen Strafzumessung, sondern unterstützt vielmehr eine fremde Strafvollstreckung. Es wird somit nicht als klassisches Strafgericht tätig, sondern entscheidet lediglich über das Ob und Wie der Vollstreckung der fremden Strafe. Das Exequaturgericht nimmt weder eine eigene Tatsachen­feststellung vor, noch stellt es eigens die Schuld des Betroffenen fest.211 Es „verhängt“ die umgewandelte Strafe daher nicht unmittelbar als deutsches Strafgericht.212 Das Exequaturverfahren ist zwar durch die Übernahme des auswärtigen Strafspruchs

209 OLG Celle, StV 2008, 652 (= Beschluss v. 18. Oktober 2007, Az. 1 Ws 367/07); Jakubetz, in: Ambos / ​König / ​Rackow, IRG § 54 Rn.  87; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​ Gleß / ​Hackner, IRG § 54 Rn.  17c. 210 KG, NStZ-RR 1995, 415 f.; siehe mit weiteren Beispielen bei Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 54 Rn.  17c. 211 Siehe zur Wahrung des Schuldprinzips schon S. 132 ff. 212 Ähnl. auch Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 778.

C. Anwendungsbereich des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG  

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mit einem modifizierten Strafverfahren vergleichbar,213 doch ist es deswegen nicht mit einem Solchen gleichzusetzen. Eine Bindung an § 38 Abs. 2 StGB, dem ein deutsches Strafgericht unterliegen würde, besteht daher nicht. Zudem ist dem deutschen Strafrecht eine Vollstreckung zeitiger Freiheitsstrafen über 15 Jahre hinaus schon bekannt. Insbesondere bei mehreren Freiheitsstrafen, die untereinander nicht gesamtstrafenfähig sind, kann es zu der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe kommen, die faktisch das Maß der 15 Jahre überschreitet.214 Ebenso ist es möglich, zeitige Freiheitsstrafen aus Urteilen internationaler Gerichtshöfe, die über 15 Jahre hinausgehen, zur Vollstreckung zu übernehmen. Das BVerfG stellte diesbezüglich ausdrücklich fest, dass eine Vollstreckung über die zeitliche Begrenzung des § 38 Abs. 2 StGB verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.215 Zudem ist zu beachten, dass das deutsche Strafrecht durch die lebenslange Freiheitsstrafe ausdrücklich Haftstrafen kennt, die weit über 15 Jahre vollstreckt werden.216 Da die Achtung fremder Rechtsordnungen im Rechtshilfebereich einen hohen Stellenwert bei der Bewertung von fremden Rechtsakten inne hat,217 erscheint die Übernahme einer auswärtigen zeitigen Freiheitsstrafe von über 15 Jahren in Hinblick auf die Achtung der Strafzumessung des Urteilsstaats weniger bedenklich.218 Selbst einer möglichen Ungleichbehandlung gegenüber lebenslangen Freiheitsstrafen bei auswärtigen Strafen, die sogar im Zwei-Drittel-Zeitpunkt noch über 15 Jahre betragen, wurde mit § 57 Abs. 2 S. 3 IRG entgegengewirkt. So erfolgt bei solchen Strafen ebenfalls nach 15 Jahren eine Prüfung der möglichen Reststrafenaussetzung. c) Zusammenfassung § 54 Abs. 1 S. 3 IRG stellt das Pendant der Zulässigkeitsvoraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit auf Rechtsfolgenebene dar. Zwingend ist die Beschränkung auf die deutschen Höchstmaße verfassungsrechtlich jedoch nicht. Die tatsächliche Grenze der Höhe einer Strafe, die zur Vollstreckung übernommen werden kann, wird durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Schuldprinzip gesetzt. Erst bei einer Strafe, die eines dieser Prinzipien verletzt, muss eine Vollstre-

213 LG Hamburg, Urteil v. 3. September 1986, 35 StVK 1177/85 (131 AR 1/85), zu finden in: Eser / ​L agodny / ​Wilkitzki, Rechtsprechungssammlung, S. 467 ff.; Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 54 Rn. 88; Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 778 f. 214 BGH, NJW 1998, 171 (= BGHSt 43, 216); Radtke, in: MüKo-StGB, § 38 Rn. 9; so auch BT-Drs. 18/4347, S. 99. 215 BVerfG, NStZ-RR 2015, 357, 358. 216 Zur Verfassungsmäßigkeit siehe BVerfGE, NJW 1977, 1525 (= BVerfGE 45, 187); BVerfG, NJW 1984, 33; BVerfG, NJW 1995, 3244, 3245; BVerfG, NJW 2005, 3483, 3484 (= BVerfGE 113, 154). 217 BVerfGE 75, 1 (16 f.); BVerfG, JZ 2004, 141(= BVerfGE 108, 129). 218 So auch bei BT-Drs. 18/4347, S. 99.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

ckungsübernahme aufgrund des Vorbehalts des ordre public versagt werden.219 Die Überschreitung des deutschen Höchstmaßes kann jedoch nicht stets mit einer unverhältnismäßigen Strafe gleichgesetzt werden. Die Übernahme einer zeitigen Freiheitsstrafe, die das Maß des § 38 Abs. 2 StGB überschreitet, ist ebenfalls möglich, da das Exequaturgericht aufgrund der besonderen Achtung fremder Rechtsordnungen nicht der Bindung des § 38 Abs. 2 StGB unterliegt. Dies bedeutet, dass beispielweise auch ein chinesisches Strafurteil übernommen werden kann, welches für die einfache Tötung eines Menschen gem. Art. 232 chinesisches StGB eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren verhängt hat,220 obwohl in Deutschland gem. § 212 StGB das Höchstmaß für einen Totschlag gem. §§ 212 Abs. 1, 38 Abs. 2 StGB bei 15 Jahren liegt. Auch ist die Vollstreckungsübernahme von einem Strafurteil aus Singapur verfassungsrechtlich möglich, welches für den Besitz oder Handel von großen Mengen Betäubungsmitteln eine Freiheitsstrafe von über 15 Jahren anordnet, unabhängig davon, dass §§ 29a ff. BtMG das deutsche Höchstmaß auf 15 Jahren Freiheitsstrafe begrenzen. Einzige Bedingung ist, dass die verhängte Strafe zur Tat und Schuld des Täters insgesamt noch als verhältnismäßig bewertet werden kann.

II. Modifikation des § 57 Abs. 2 IRG durch § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG Durch die Ausnahmevorschrift des § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG besteht die Möglichkeit, die Reststrafenaussetzung von der Zustimmung des Urteilsstaates abhängig zu machen. Diesbezüglich stellen sich in Hinblick auf den ordre public zwei wesentliche Fragen: Es muss geklärt werden, inwieweit die Reststrafenaussetzungsregelungen der §§ 57, 57a StGB fundamentale Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung darstellen bzw. schützen. Schützen die Vorschriften in ihrer konkreten Form fundamentale, verfassungsrechtliche Grundprinzipien, so kann nicht ohne Weiteres davon abgewichen werden. Ist eine Modifikation der §§ 57, 57a StGB jedoch möglich, weil sie nicht den ordre public bewahren, ist anschließend von Interesse, ob eine Vollstreckungsübernahme auch dann mit fundamentalen, verfassungsrechtlichen Prinzipien vereinbar ist, wenn weder eine Reststrafenaussetzung über §§ 54a Abs. 1 Nr. 2, 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57 StGB und § 57a StGB sicher gewährleistet werden kann, noch ein Strafaussetzungsrecht des auswärtigen Staates existiert,221 auf das gem. § 57 Abs. 6 IRG zurückgegriffen werden könnte.222 219

So auch Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 784. Siehe englische Übersetzung bei Chen, Criminal Law and Criminal Procedure Law in the People’s Republic of China, S. 184 f. 221 Beispielsweise kann in den USA selbst bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe von vorneherein eine Aussetzung auf Bewährung ausgeschlossen sein, „lifelong imprisonment without the possibility of parole“, siehe etwa den Fall BVerfG, NJW 2005, 3483, 3484. 222 Zur Meistbegünstigungsklausel und Möglichkeit der Anwendung des auswärtigen Strafaussetzungssystems siehe schon auf S. 83 f. 220

C. Anwendungsbereich des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG  

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Dies ist im Rahmen von § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG deshalb bedeutend, da die Gefahr besteht, dass der Urteilsstaat einer Reststrafenaussetzung nie zustimmt und der Verurteilte die Strafe voll zu verbüßen hätte. 1. Regelungen der Reststrafenaussetzung im deutschen Recht Die Reststrafenaussetzung der Freiheitsstrafe ist im deutschen Recht für zeitige Freiheitsstrafen in § 57 StGB und für lebenslange Freiheitsstrafen in § 57a StGB geregelt. §§ 57 f. StGB sind reine Vollstreckungsregelungen, die den Zweck ver­folgen, die Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft zu fördern.223 Das mit der Zeit nachlassende Ausgleichbedürfnis einer Normvergeltung belässt nach Verbüßung eines Teils der Strafe einen größeren Spielraum für Resozialisierung und Reintegration, als es zum Zeitpunkt des Urteils der Fall war.224 Zudem soll die Möglichkeit, frühzeitig wieder in Freiheit leben zu können und dabei von Bewährungshelfern bei der Wiederfindung in den Alltag unterstützt zu werden, dem Delinquenten den Einstieg in ein geregeltes, selbständiges Leben erleichtern. So kann er zugleich gegen kriminelle Anreize und einen Rückfall stabilisiert werden. Die potenzielle Reststrafenaussetzung wirkt sich auf das Verhalten der Gefangenen während des Strafvollzuges aus, die sich mit der Hoffnung auf frühere Entlassung besser an den Strafvollzugsalltag anpassen.225 Der Zweck der Resozialisierung im Strafvollzug basiert aber nicht ausschließlich auf einem rein rechtspolitischen Interesse, sondern beruht vielmehr auf Prinzipien des Rechtsstaates und resultiert aus den Grundrechten des Betroffenen. Neben dem Zweck des Strafvollzugs, den Täter für ein freies Leben in der Gesellschaft zu resozialisieren, kommt § 57a StGB verfassungsrechtlich noch eine weitaus wichtigere Bedeutung zu.226 In der Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe entschied das BVerfG, dass ein menschenwürdiger Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe voraussetzt, jedem Gefangenen, der zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde, eine Chance zu geben, „je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden“.227 Dies bedeutet, dass die Regelung des § 57a StGB jedenfalls mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verfas­ sungsrechtlich zwingend ist und nicht ohne Weiteres umgangen werden darf.

223

Groß, in: MüKo-StGB, § 57 Rn. 1, 4; zum Konflikt mit dem notwendigen Schuldausgleich siehe Kett-Straub, Die lebenslange Freiheitsstrafe, S. 98 ff. 224 Streng, JZ 2017, 507, 510. 225 Groß, in: MüKo-StGB, § 57 Rn. 4. 226 Groß, in: MüKo-StGB, § 57a Rn. 1, 3. 227 BVerfG, NJW 1977, 1525 (= BVerfGE 45, 187); mittlerweile sogar vom EGMR übernommen siehe EGMR, Vinter u. a. vs. UK, Entsch. v. 9. Juli 2013, App. No. 66069/09; Graebsch, KJ 2017, 166, 171; Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 12.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

2. Pflicht zur gesetzlichen Regelung der Reststrafenaussetzung Eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Regelung einer möglichen Reststrafenaussetzung könnte sich aus der Resozialisierungspflicht des Rechtsstaates ergeben. Das maßgebliche Ziel der Strafe und des Strafvollzugs ist gem. § 2 S. 1 StVollzG (bzw. der jeweilig maßgeblichen Vorschrift der Länder) die Resozialisierung des Straftäters.228 Ihm soll die Fähigkeit und der Wille zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung vermittelt werden und er soll lernen, in der freien Gesellschaft ohne weitere Rechtsbrüche bestehen zu können.229 Dieses Vollzugsziel erwächst nicht aus rein kriminalpolitischen Erwägungen, sondern aus der Verfassung. Das Grundrecht des Gefangenen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, seine Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG sowie das Sozialstaatsprinzip des Rechtsstaates aus Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG begründen die allgemeine Pflicht, den Strafvollzug resozialisierend auszugestalten.230 So fordert das Sozialstaatsprinzip die staatliche Fürsorge für Gruppen der Gesellschaft, die Probleme haben, sich in diese einzugliedern, sei es aus persön­licher Schwäche oder Benachteiligungen innerhalb der Gesellschaft.231 Da zu dieser Gruppe auch Straffällige zu zählen sind, die sich offensichtlich nicht vollends an die Struktur und die Regeln der Gesellschaft angepasst haben,232 muss auch der Strafvollzug darauf ausgerichtet sein, den Straffälligen soweit zu unterstützen, dass sich dieser nach Verbüßung der Strafe wieder in die Gesellschaft integrieren und ein geregeltes, strafloses Leben führen kann.233 Auch die aus dem Sozialstaatsprinzip stammende Pflicht, jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten,234 führt dazu, dass dem menschlichen Wunsch, in Freiheit selbstbestimmt zu leben, niemals gesetzlich der Weg versperrt werden darf.235 Das Sozialstaatsprinzip hat jedoch keine konkrete Ausgestaltung in der Verfas­ sung gefunden, sondern stellt vielmehr eine allgemeine Staatszielbestimmung dar. Somit ist der Staat zwar verpflichtet, sozialstaatlich zu handeln; doch wie er dies 228 BVerfG, NJW 1972, 811 (= BVerfGE, 33, 1 (7)); BVerfG, NJW 1973, 1226, 1231; ­Graebsch, KJ 2017, 166, 172. 229 BVerfG, NJW 1973, 1226, 1231. 230 BVerfG, NJW 1972, 811 (= BVerfGE 33, 1 (7 f.)); BVerfG, NJW 1973, 1226, 1230 (= BVerfGE 35, 202 (70)); BVerfG, NJW 1977, 1525, 1528 (= BVerfGE 45, 187); Schewick, BewHi 1985, 3, 4; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 31, 43; Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 12, 26. 231 BVerfG, NJW 1973, 1226, 1230 (= BVerfGE 35, 202 (72 f.)); BVerfG, StV 1998, 438 (= BVerfGE 98, 169 (82)); Grzeszick, in: Maunz / ​Dürig, GG VIII. zu Art. 20 Rn. 1. 232 BVerfG, NJW 1973, 1226, 1230 (= BVerfGE 35, 202 (72 f.)); Grzeszick, in: Maunz / ​ Dürig, GG VIII. zu Art. 20 Rn. 1; Leyendecker, (Re-)Sozialisierung und Verfassungsrecht, S. 144; Schewick, BewHi 1985, 3, 4; Müller-Dietz, Gutachten C zum 48. Deutschen Juristentag, S. C 13; Würtenberger, JZ 1970, 453, 454. 233 BVerfG, NJW 1973, 1226 (= BVerfGE 35, 202); BVerfG, NJW 1974, 307 (= BVerfGE 36, 264); BVerfG, NJW 1976, 37, 38 (= BVerfGE 40, 276). 234 Grzeszick, in: Maunz / ​Dürig, GG VIII. zu Art. 20 Rn. 23. 235 BVerfG, NJW 1977, 1525, 1526 (= BVerfGE 45, 187); Altenhain, ZfStrVo 1988, 157, 158.

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ausführt, bleibt ihm überlassen. Es besteht insoweit bei der Ausgestaltung des Resozialisierungszieles ein weiter politischer Gestaltungsspielraum.236 Einzelne Konkretisierungen der Resozialisierungspflicht könnten jedoch aus den Ausprägungen des Grundrechts der Menschenwürde folgen.237 So bestimmt nicht nur das Sozialstaatsprinzip, sondern auch das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG das verfassungsrechtliche Ziel der Resozialisierung des Straftäters.238 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie die Würde des Menschen gebieten es, einer (weiteren) sozialen Isolation, die auch durch die Strukturen der Haft bedingt wird, entgegenzuwirken und für den betroffenen Delinquenten Voraussetzungen zu schaffen, unter denen er nach Verbüßung seiner Strafe ein Leben in der Gemeinschaft ohne größere Hindernisse führen kann.239 Diese Pflicht darf jedoch wiederum nicht insofern missverstanden werden, dass ein Strafgefangener einen Anspruch auf konkrete Resozialisierungsmaßnahmen hat. Zwar ist ein Anspruch des Strafgefangenen auf Resozialisierung anerkannt,240 doch kann den Grundrechten eine konkrete Ausgestaltung nicht entnommen werden. Solange der Gesetzgeber sich an die vom BVerfG festgestellte Mindestanforderung hält, generell resozialisierend tätig zu werden, ist er in der Auswahl der Maßnahmen frei.241 a) Bei zeitiger Freiheitsstrafe Die Reststrafenaussetzungsregelung des § 57 StGB beruht auf dem Gedanken der Wiedereingliederung des Täters.242 Fraglich ist nur, inwieweit der Staat aufgrund der Pflicht, den Strafvollzug resozialisierend auszugestalten, dazu angehalten war, eine Möglichkeit der Strafaussetzung in der Form des § 57 StGB gesetzlich zu regeln. Dabei ist entscheidend, wieso er sich für eine Mindestverbüßungszeit von Zwei-Drittel der Strafe entschied. Beruht dieser Zeitpunkt nicht auf dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, als fundamental wesentliches Prinzip, wäre auch eine längere Mindestverbüßungszeit einer Strafe möglich, ohne dass zugleich der ordre 236

Grzeszick, in: Maunz / ​Dürig, GG  VIII. zu Art. 20 Rn. 18 m. w. N.; Leyendecker, (Re-) Sozialisierung und Verfassungsrecht, S. 98 f.; Müller-Dietz, Strafzwecke und Vollzugsziele, S. 16 f. 237 Bspw. die Notwendigkeit der Normierung einer Möglichkeit der Reststrafenaussetzung bei lebenslanger Freiheitsstrafe, BVerfG, NJW 1977, 1525, 1526 (= BVerfGE 45, 187). 238 Di Fabio, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 2 I, Rn. 216. 239 Leyendecker, (Re-)Sozialisierung und Verfassungsrecht, S. 100; BVerfG, NJW 1973, 1226, 1232 (= BVerfGE 35, 202); Schewick, BewHi 1985, 3, 4 f.; Altenhain, ZfStrVo 1988, 157, 160; Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 151 f. 240 BVerfG, NJW 1977, 1525, 1526 (= BVerfGE 45, 187); BVerfG, NJW 1997, 3013; BVerfG, ZfStrVO 1998, 245; Böhm, Strafvollzug, Rn. 16 f.; Britz, ZfStrVo 1999, 195, 197 f.; Leyen­ decker, (Re-) Sozialisierung und Verfassungsrecht, S. 95 ff., 107. 241 Leyendecker, (Re-)Sozialisierung und Verfassungsrecht, S. 107 f. 242 Groß, in: MüKo-StGB, § 57 Rn. 1, 4.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

public berührt würde. In diesem Fall wäre auch die Gefahr der späten Zustimmung des Urteilsstaates über Zwei-Drittel der Strafe hinweg bei § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG nicht zu beanstanden. Um diese Frage erörtern zu können, sind die Beweggründe des Gesetzgebers zur Reststrafenaussetzung bei zeitigen Freiheitsstrafen hilfreich. Durch diese kann nachvollzogen werden, ob rein rechtspolitische oder auch verfassungsrechtliche Gründe für die konkrete Ausgestaltung des § 57 StGB entscheidend waren. Der Gesetzgeber hat zwar einen weiten Gestaltungsspielraum bei seiner Pflicht, den Strafvollzug resozialisierend auszugestalten; doch könnte sich diese Pflicht im Wege der Ermessensreduzierung auf Null auf die konkrete Ausgestaltung der Reststrafenaussetzung in Form des § 57 StGB verengen. Eine Abkehr von § 57 StGB ist dann möglich, ohne das Rechtsstaatsprinzip zu verletzen. aa) Historischer und rechtspolitischer Hintergrund des § 57 StGB Das Rechtsinstitut der Reststrafenaussetzung bei zeitigen Freiheitsstrafen, damals „vorläufige Entlassung“ genannt, existiert schon seit den Anfängen eines einheitlichen deutschen Strafrechts mit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches des Norddeutschen Bundes im Jahr 1870.243 Dieses wurde ein Jahr später mit dem Beitritt der süddeutschen Staaten unverändert zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich (RStGB) erklärt.244 Nach §§ 23 ff. RStGB war die Möglichkeit der „vorläufigen Entlassung“ vorgesehen, wenn der Straftäter Drei-Viertel seiner Strafe, mindestens aber ein Jahr, verbüßt hat und sich im Vollzug gut führen ließ. Zusätzlich bedurfte es der Zustimmung des Betroffenen.245 Es sollte vor allem eine Art Belohnung für solche Gefangenen darstellen, die sich im Strafvollzug gut führen ließen, und bot die Möglichkeit einer Testphase vor der unbeschränkten Freiheit.246 Die vorrangigen Zwecke des § 23 RStGB waren die Disziplin in der Anstalt zu erhöhen247 sowie die Vermeidung negativer Haftfolgen.248 Auch die Möglichkeit der individuellen Lockerung im Rahmen der vorläufigen Entlassung wurde als 243

BGBl. 1871, S. 1951; Reichsjustizamt, Vorentwurf StGB (1909), S. 96; Langer, MschKrim 1906, 531, 531. 244 Weigend, in: LK-StGB, Einl., Rn. 22 f. 245 Ebermayer / ​L obe / ​Rosenberg, RStGB, S. 152. 246 Mittermaier, in: Birkmeyer et al., vorl. Entlassung, S. 548; Schumacher, Vorläufige Entlassung, S. 13; Peters, Entwicklung der Sanktionspraxis, S. 86 m. w. N. 247 Motive zum Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund, 1870, Anhang III, S. 46 f.; Reichsjustizamt, Vorentwurf StGB (1909), S. 97, 99; Ebermayer / ​L obe / ​Rosenberg, RStGB, S. 152; v. Bäumgärtl, zitiert in Pollitz, MschKrim 1908, 557, 557. 248 Motive zum Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund, Anhang II, S. 46; Reichsjustizamt, Vorentwurf StGB (1909), S. 96 f.; Küppers, Bedingte Entlassung, S. 17 f.; Kühlewein, MschKrim 1908, 545, 546; Schumacher, Vorläufige Entlassung, S. 13; Mittermaier, in: Birkmeyer et al., vorl. Entlassung, S. 548; Lenz, Anglo-amerikanische Reformbewegung, S. 94 ff.

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maßgeblicher Zweck bewertet, durch die nicht nur eine „personalisierte“ Aufsicht und Einwirkung249 auf jeden Gefangenen außerhalb der Haftanstalt möglich war, sondern auch ein besserer Schutz für die Gesellschaft gewährleistet werden konnte.250 Insofern ist das Institut der Reststrafenaussetzung frühzeitig vom Besserungsgedanken eines Strafgefangenen geprägt.251 Die festgelegte Mindestverbüßungszeit der Strafe im Rahmen der vorzeitigen Entlassung sollte ein angemessenes Verhältnis zwischen der Dauer der Vergeltung der Schuld und der Dauer der Wiedereingliederung des Strafgefangenen her­ stellen. Diese sollte daher zum einen sicherstellen, dass das Mindestmaß der zu verbüßenden Strafe so hoch ist, dass dem Verurteilten Sinn, Zweck und Wesen der Strafe klar wurde.252 Zum anderen sollte dem Verurteilten nach bedingter Entlassung noch so viel Zeit verbleiben, dass auf diesen ein positiver Einfluss ausgeübt werden konnte und so die Eingliederung in die Gesellschaft besser gelang. Die damals festgelegte Mindestverbüßungszeit von Drei-Viertel der gesetzten Strafe sollte nach Einschätzung des Gesetzgebers für die Vergeltung angemessen sein253 und eine willkürliche Handhabung des Rechtsinstituts verhindern. Auch sollte so der Besorgnis entgegengewirkt werden, dass der Gefangene die „gute Führung“ im Strafvollzug nur vorheuchelte.254 Schon der ursprüngliche Drei-Viertel-Zeitpunkt beruhte daher nicht auf etwaigen konkreten Gründen, die das Mindestmaß auf diese bestimmte Dauer zwingend festgesetzt hätten, sondern lediglich auf der bloßen Einschätzung des Gesetzgebers, wann die Schuld des Straffälligen als abgegolten angesehen werden kann. Die Mindestverbüßungszeit von Zwei-Drittel der Strafe, wie sie auch heute in § 57 Abs. 1 StGB für eine Reststrafenaussetzung besteht, wurde schon im Vor­ entwurf zum Strafgesetzbuch von 1909 gefordert und sollte insbesondere die erfolgreiche Anwendung der vorläufigen Entlassung vorantreiben.255 Dadurch war, wie man zunächst annehmen könnte, keine liberalere Handhabung der vorläufigen Entlassung verbunden, da zeitgleich vorgeschlagen wurde, die Mindestbewährungs­

249 Zu Auflagen und Weisungen siehe Mittermaier, in: Birkmeyer et al., vorl. Entlassung, S. 511; Peters, Entwicklung der Sanktionspraxis, S. 87 m. w. N. 250 Angedeutet Reichsjustizamt, Vorentwurf StGB (1909), S. 96; Schumacher, Vorläufige Entlassung, S. 14 f.; Krohne, Gefängniskunde, S. 262; Mittermaier, in: Birkmeyer et al., vorl. Entlassung, S. 549 f.; Lenz, Anglo-amerikanische Reformbewegung, S. 293; Kühlewein, MschKrim 1908, 545, 555. 251 Daneben wurden auch immer wieder mögliche Einsparungen im Strafvollzug sowie bei der Armenunterstützung für Familien, aber auch die wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Arbeitskraft des Delinquenten als Vorteile der vorläufigen Entlassung angesehen, wenngleich diese nicht führenden Grund darstellen sollten; siehe dazu Langer, MschKrim 1906, 531, 552; Mittermaier, in: Birkmeyer et al., vorl. Entlassung, S. 551. 252 Krohne, Gefängniskunde, S. 262 f. 253 Küppers, Bedingte Entlassung, S. 71. 254 Traugott, Kommentar RStGB, S. 110 f. 255 Reichsjustizamt, Vorentwurf StGB (1909), S. 100.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

zeit von einem auf zwei Jahre heraufzustufen.256 Durch die in den folgenden Jahren ausgebrochenen Weltkriege verzögerten sich die Reformbestrebungen zur Reststrafenaussetzung,257 wenngleich viele weitere Gesetzgebungsentwürfe zum Rechtsinstitut der vorzeitigen Entlassung eingereicht wurden.258 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Inkrafttreten des Grundgesetzes musste das deutsche Strafgesetzbuch endgültig reformiert und an die neuen Vorgaben des Grundgesetzes angepasst werden, was durch das 3. StrÄndG von 1953259 auch geschah. In dieser Reform wurde das Institut der bedingten Entlassung in den § 26 StGB übernommen.260 Die Probezeit wurde, wie von etlichen Vorentwürfen geplant,261 von Drei-Viertel auf Zwei-Drittel verringert. Später wurden diese Regelungen zur sogenannten Reststrafaussetzung mit dem Zweiten Gesetz zur Reform des Strafrechts (2.  StrRG) von 1969262 mit kleineren Änderungen in den neuen § 57 StGB verankert.263 Für den Gesetzgeber waren für die Übernahme der Regelungen der Reststrafenaussetzung, nunmehr nach den Grundsätzen des Grundgesetzes, entscheidend, dem Verurteilten durch Betreuung in der Bewährungszeit zu einem zukünftig gesetzmäßigen und geordneten Leben zu verhelfen.264 Er sah die vorzeitige Entlassung durch Erfahrungen in der Praxis sogar als unentbehrlich an.265 Diese Erfahrungen konkretisierte der Gesetzgeber zwar nicht, doch kann vermutet werden, dass er die Möglichkeit für den Täter, sich in Freiheit bewähren zu können, für die Resozialisierung als entscheidend ansah. Daneben können aber auch fiskalische Gründe und Entlastung des Strafvollzugs vom Gesetzgeber in der „Unentbehrlichkeit“ des Rechtsinstituts gemeint gewesen sein. Die aktuelle Vorschrift zur Reststrafenaussetzung in § 57 StGB stellt somit die Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft in den Vordergrund. Die festgesetzte Mindestverbüßungszeit von Zwei-Drittel beruht nicht auf etwaigen zwingenden Gründen, sondern wurde vom Gesetzgeber lediglich aus der ursprünglichen Fassung des § 26 StGB übernommen, durch den die Anwendung der vorzeitigen Entlassung in der Praxis gefördert werden sollte. Verfassungsrechtliche

256

Reichsjustizamt, Vorentwurf StGB (1909), S. 100 f.; Peters, Entwicklung der Sanktionspraxis, S. 116. 257 Weigend, in: LK-StGB, Einl., Rn. 25 f. 258 Gegenentwurf zum Vorentwurf eines Deutschen Strafgesetzbuches 1911; § 79 ff. Entwurf der Strafrechtskomission 1913; § 69 ff. Entwurf von 1919; Entwürfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch 1920, S. 19 (einsehbar in Schubert et al., Entwürfe I, S. 21); § 36 Amtlicher Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes 1925 (Reichsratvorlage); § 178 ff. Reichstagsvorlage des Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafvollzugsgesetzes 1927; aufgelistet bei Schumacher, Vorläufige Entlassung, S. 5 ff. 259 BGBl. I 1953, S. 735. 260 Weigend, in: LK-StGB, Einl., Rn. 33. 261 Ebermayer, Deutsche Juristenzeitung (15) 1910, 990, 991. 262 BGBl. I 1969, S. 727. 263 BT-Drs. 5/4095, S. 24 mit Verweis auf BT-Drs. 3/2150, S. 194 ff. 264 BT-Drs. 5/4095, S. 24 mit Verweis auf BT-Drs. 3/2150, S. 194. 265 BT-Drs. 3/2150, S. 194.

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Gründe, eine Reststrafenaussetzung im Zwei-Drittel-Zeitpunkt zu prüfen, waren somit nicht entscheidend. bb) Modifikation des § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57 StGB durch § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG Ob die Modifikation des § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57 StGB durch § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG mit dem ordre public vereinbar ist, hängt davon ab, ob die Regelungen der Reststrafenaussetzung auch nach dem Zwei-Drittel-Zeitpunkt angelegt werden könnten. Wenn dies mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip möglich ist, so ist eine Zustimmung des Urteilsstaats nach dem Zwei-Drittel-Zeitpunkt und der Rückgriff auf ein härteres, auswärtiges Strafaussetzungssystem gem. § 57 Abs. 6 IRG unschädlich. Kritisch könnte aber der Fall sein, in dem der Urteilsstaat eine Strafaussetzung für den konkreten Fall ausgeschlossen hat und auch die vereinbarte Zustimmung aus § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG wiederholt verweigert. (1) Zustimmung des Urteilsstaates nach dem Zwei-Drittel-Zeitpunkt Aus der historischen Betrachtung ergibt sich, dass die aktuelle Regelung der Reststrafenaussetzung vor allem auf dem Gedanken der Wiedereingliederung und Resozialisierung des Täters basiert. Die konkrete Dauer der Mindestverbüßungszeit von Zwei-Drittel ist nicht durch verfassungsrechtliche Gründe vorgeschrieben, sondern soll lediglich die Anwendung der Reststrafenaussetzung fördern.266 Dass ein Strafgefangener somit spätestens nach einer Mindestverbüßungszeit der Strafe von Zwei-Drittel die Möglichkeit erhalten muss, eine Reststrafenaussetzung durch ein Gericht überprüfen zu lassen, ist verfassungsrechtlich nicht fundiert. Es bestehen keine bestimmten Tatsachen oder Beweise, welche die Ausgestaltung der Reststrafenaussetzung zeitiger Freiheitsstrafen auf Zwei-Drittel verengen. Für § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG bedeutet dies, dass es weder einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 S. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG noch einen gegen das Sozialstaatsprinzip des Rechtsstaats aus Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG darstellt, wenn der Urteilsstaat erst nach der Verbüßung von Zwei-Dritteln der Strafe einer Reststrafaussetzung nach § 57 StGB zustimmt. Auch ist es unschädlich, wenn der Urteilsstaat einer Strafaussetzung nach deutschem Recht nie zustimmt, jedoch auf sein Strafaussetzungssystem gem. § 57 Abs. 6 IRG zurückgegriffen werden kann, welches im Vergleich zu § 57 StGB eine spätere Reststrafenaussetzung vorsieht.

266

Reichsjustizamt, Vorentwurf StGB (1909), S. 100.

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(2) Gefahr der ausbleibenden Zustimmung des Urteilsstaats bei fehlendem auswärtigen Strafaussetzungssystem Weiterhin ist zu erörtern, ob eine Vollstreckungsübernahme gem. §§ 54a Abs. 1 Nr. 2, 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57 StGB auch dann noch als rechtsstaatlich bewertet werden kann, wenn der Urteilsstaat niemals der Reststrafenaussetzung der zeitigen Freiheitsstrafe zustimmt und ein Rückgriff auf das Strafaussetzungssystem des Urteilsstaats nicht möglich ist. In diesem Fall müsste der Täter somit die volle Strafe verbüßen. Ob eine volle Verbüßung einer zeitigen Strafe mit Art. 2 Abs. 2 S. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie dem Sozialstaatsprinzip des Rechtsstaats aus Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG vereinbar ist, hängt davon ab, ob die Reststrafenaussetzungsregelung gem. § 57 StGB für den Gesetzgeber die einzig geeignete Maßnahme ist, resozialisierend auf den Verurteilten einzuwirken. Aus der historischen Betrachtung kann vermutet werden, dass der Gesetzgeber es als zwingend ansah, eine rechtliche Möglichkeit zu schaffen, in welcher der Täter sich nach Verbüßung eines Teils seiner Strafe in Freiheit bewähren kann.267 Doch bedeutet dies nicht, dass § 57 StGB verfassungsrechtlich notwendig ist. Nach aktueller Rechtslage bestehen auch ohne die Reststrafenaussetzungsregelung rechtliche Möglichkeiten für einen zur zeitigen Freiheitsstrafe Verurteilten, durch die der Täter frühzeitig in die Gesellschaft rückintegriert werden und durch die er ein eigenständiges Leben in Freiheit erproben kann. So existieren neben der Reststrafenaussetzung weitere rechtliche Alternativen, welche die Resozialisierung eines Straffälligen fördern können.268 Zu denken ist diesbezüglich an die Vollzugslockerungen des Ausgangs gem. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG, durch die ein Strafgefangener die Anstalt für bestimmte Zeit verlassen kann.269 Auch der Freigang gem. § 11  Abs. 1 Nr. 1 StVollzG stellt eine solche Vollzugslockerung dar, durch welche der Inhaftierte außerhalb der Anstalt seiner beruflichen Tätigkeit nachgehen kann.270 Dabei zeigt die Tatsache, dass die Aufzählung des § 11 Abs. 1, 2 StVollzG nicht abschließend ist271 sowie dass auch eine individuelle Einwirkung und Betreuung eines Strafgefangenen außerhalb der Anstalt möglich ist, ohne dass seine Reststrafe nach § 57 StGB vorzeitig ausgesetzt wurde. Wäre die Reststrafenaussetzung verfassungsrechtlich für die Resozialisierung des Täters zwingend, so müsste jeder Strafgefangene nach einer gewissen Verbüßungszeit die Wiedereingliederung in die Gesellschaft erproben. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr verbüßen nahezu 80 % der Strafgefangenen ihre zeitige Freiheitsstrafe vollumfänglich.272 267

BT-Drs. 5/4095, S. 24 mit Verweis auf BT-Drs. 3/2150, S. 194. So auch Müller-Dietz, Strafzwecke und Vollzugsziele, S. 17 f. 269 Setton, in: BeckOK StVollzG, § 11 Rn. 11 ff.; Arloth, in: Arloth / ​K räh, StVollzG § 11 Rn. 7. 270 Setton, in: BeckOK StVollzG, § 11 Rn. 17 ff.; Arloth, in: Arloth / ​K räh, StVollzG § 11 Rn. 8. 271 OLG Celle, NStZ 1981, 276; Setton, in: BeckOK StVollzG, § 11 Rn. 23. 272 Siehe so Groß, in: MüKo-StGB, § 57 Rn. 6. Dies ist auch an aktuellen Statistiken zu erkennen: Laut Statistischem Bundesamt befanden sich im August 2018 43.925 zu einer Freiheitsstrafe Verurteilte in deutschen Strafvollzugsanstalten. Im selben Kalendermonat wurden jedoch lediglich 697 gem. § 57 Abs. 1, 2 StGB sowie § 57a StGB mit Reststrafenaussetzung 268

C. Anwendungsbereich des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG  

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§ 57 StGB ist daher nicht die einzige Maßnahme, durch die der Gesetzgeber seiner Pflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie dem Sozial­ staatsprinzip des Rechtsstaats aus Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG nachkommen kann. Vielmehr reichen durch den weiten Gestaltungsspielraum auch die Vollzugslockerungen aus, die über § 11 Abs. 1, Abs. 2 StVollzG möglich sind. Die Regelung des § 57 StGB wäre daher auch nach innerstaatlichem Recht entbehrlich, solange regelmäßig überprüft wird, ob dem Inhaftierten andere resozialisierende Maßnahmen wie Vollzugslockerungen nach § 11 Abs. 1, 2 StVollzG gewährt werden können. Von einer solchen regelmäßigen Prüfung ist jedoch in einem ordentlichen Strafvollzug auszugehen.273 Selbst wenn die Gefahr besteht, dass der Urteilsstaat einer Reststrafenaussetzung gem. § 57 StGB niemals zustimmt und ein auswärtiges Strafaussetzungssystem fehlt, wäre eine geeignete Resozialisierung über § 11 Abs. 1, 2 StVollzG weiterhin ausreichend möglich. Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 S. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie gegen das Sozialstaatsprinzip des Rechtsstaats aus Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG ist bei mangelnder Zustimmung des Urteilsstaats bei einer zeitigen Freiheitsstrafe nach § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG nicht zu erwarten. Anders ist es jedoch, wenn neben § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG zusätzlich eine zeitige Freiheitsstrafe übernommen wurde, die über § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG das deutsche Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe von 15 Jahren überschreitet und im Mindestmaß über 25 Jahre beträgt.274 In diesem Fall ist das Strafmaß derart hoch, dass die zeitige Freiheitsstrafe einer lebenslangen Freiheitsstrafe gleichzusetzen ist,275 für die sich gesonderte verfassungsrechtliche Maßstäbe ergeben. Bezüglich des Problems einer Vollstreckungsübernahme einer zeitigen Freiheitsstrafe über 25 Jahre gem. § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG soll auf den folgenden Abschnitt verwiesen werden.

entlassen (Statistisches Bundesamt, Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten, Stand: 31. August 2018; abzurufen unter: https://www.destatis.de/DE/ Publikationen/Thematisch/Rechtspflege/StrafverfolgungVollzug/BestandGefangeneVerwahr tePDF_5243201.pdf?__blob=publicationFile; abgerufen am: 7.11.2019). 273 Als eine der wesentlichen Behandlungsmaßnahmen, siehe Setton, in: BeckOK StVollzG, § 11 Rn. 1 ff. 274 Ob eine solche zeitige Freiheitsstrafe noch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist, wird im Einzelfall zu entscheiden sein. Jedenfalls wird wohl selten eine solch hohe Überschreitung des Höchstmaßes der zeitigen Freiheitsstrafe über § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG verhältnismäßig übernommen werden können. 275 So zu verstehen bei Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn.  60a und auch daraus ersichtlich, dass der 2/3-Zeitpunkt des § 57 StGB bei über 15 Jahren liegen würde, der den Zeitpunkt der Reststrafenaussetzungsprüfung bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe darstellt.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

cc) Zusammenfassung § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57 StGB schützt somit nicht ausschließlich fundamentale, wesentliche Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung. Eine Modifikation des § 57 Abs. 2 i. V. m. § 57 StGB im Vollstreckungsübernahmerecht gem. § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG ist daher verfassungsrechtlich möglich. Dies gilt selbst dann, wenn die Gefahr besteht, dass der Urteilsstaat die volle Vollstreckung der zeitigen Freiheitsstrafe vorsieht und einer Reststrafenaussetzung niemals zustimmt. Es muss jedoch stets überprüft werden, inwieweit andere resozialisierende Maßnahmen möglich sind. b) Bei lebenslanger Freiheitsstrafe Im Vergleich zur zeitigen Freiheitsstrafe ergeben sich im Falle einer lebens­ langen Freiheitsstrafe im Rahmen der §§ 54a Abs. 1 Nr. 2, 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a StGB Besonderheiten. So basiert § 57a StGB auf einem rechtsstaatlichen Hintergrund, der nicht ohne Weiteres umgangen werden darf. aa) Verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Hintergrund der Reststrafenaussetzung bei lebenslanger Freiheitsstrafe Zwar stellte das BVerfG die grundsätzliche Vereinbarkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe mit der deutschen Verfassung fest,276 machte jedoch zugleich deutlich: „Zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs gehört, daß dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. […] [Dabei gebietet; Anm. d. Verf.] das Rechtsstaatsprinzip, die Voraussetzungen, unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann, und das dabei anzuwendende Verfahren gesetzlich zu regeln.“277

Die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe ist somit nur dann mit Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar, wenn dem Betroffenen die Chance verbleibt, je wieder in Freiheit leben zu können.278 Im nationalen Bereich stellt die Reststrafenaussetzungsregelung des § 57a StGB die Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe sicher. Im Vollstreckungsübernahme 276 BVerfG, NJW 1970, 1453 (= BVerfGE 28, 386); BVerfG, NJW 1977, 1525, 1526 (= BVerfGE 45, 187); bestätigend BVerfG, NJW 2007, 1933 (= BVerfGE 117, 71 (71 ff., 89 ff.)); Kett-Straub, in: Jahn / ​Arzt / ​Stöckel (Hrsg.), FS Stöckel, S. 380. 277 BVerfG, NJW 1977, 1525, 1526 (= BVerfGE 45, 187); BVerfG, NJW 2007, 1933 (= BVerfGE 117, 71 (71 ff., 89 ff.)). 278 BVerfG, NJW 1977, 1525, 1526 (= BVerfGE 45, 187); BVerfG, NJW 2007, 1933 (=  BVerfGE 117, 71 (71 ff., 89 ff.)); Kett-Straub, in: Jahn / ​Arzt / ​Stöckel (Hrsg.), FS Stöckel, S. 380; Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 12.

C. Anwendungsbereich des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG  

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bereich ist dies ebenfalls durch § 57 Abs. 2 IRG gewährleistet, der die Anwendung des § 57a StGB festlegt. bb) Modifikation des § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a StGB durch § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG Auch die Modifikation des § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a StGB durch § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG ist problematisch, wenn ein Strafaussetzungssystem im Urteilsstaat fehlt oder für den konkreten Fall ausgeschlossen ist. Durch den rechtsstaatlichen Bezug des § 57a StGB könnte der § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a StGB von vornherein den ordre public in zwei Fällen schützen: Zum einen ist es denkbar, dass eine lebenslange Freiheitsstrafe über § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG übernommen wird, der Urteilsstaat jedoch ausdrücklich fordert, dass eine Reststrafenaussetzung über §§ 54a Abs. 1 Nr. 2, 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a StGB niemals erfolgen soll. Es wäre dann von vornherein offensichtlich, dass die lebenslange Freiheitsstrafe vollumfänglich verbüßt werden müsste, folglich bis zum Tod des Rechtsbrechers. Zum anderen ist der Fall rechtsstaatlich problematisch, wenn der Urteilsstaat zwar nicht ausdrücklich die Bedingung der vollen Verbüßung stellt, jedoch die Gefahr ersichtlich ist, dass dieser niemals die Zustimmung erteilen wird. Die verfassungsrechtliche Chance des Verurteilten, jemals wieder in Freiheit leben zu können, könnte dann zu gering sein, um noch als rechtsstaatlicher Eingriff eingestuft zu werden. (1) Ausdrückliche Bedingung der vollen Verbüßung der lebenslangen Freiheitsstrafe Stellt der Urteilsstaat für die Übergabe der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe die Bedingung, dass der Verurteilte die lebenslange Freiheitsstrafe voll zu verbüßen hat, so ist die Übernahme der Vollstreckung hinsichtlich Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 3 EMRK bedenklich. Der Staat hat mit Bezug auf Art. 1 Abs. 1 GG die Pflicht, den Einzelnen nicht zu einem bloßen Objekt zu degradieren und Bedingungen zu schaffen, welche die soziale und individuelle Existenz eines Menschen sichern. Wird einem Menschen jedoch unabhängig von der Entwicklung seiner Persönlichkeit jegliche Chance und Hoffnung genommen wieder in Freiheit leben zu können, so beschneidet dies sein Recht aus Art. 1 Abs. 1 GG.279 Ebenso ist eine Freiheitsstrafe ohne Aussicht auf Entlassung als eine unmenschliche Behandlung gem. Art. 3 EMRK zu werten.280 Nur aufgrund der Möglichkeit des § 57a StGB ist die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip im nationalen 279 BVerfG, NJW 1977, 1525, 1526, 1528 (= BVerfGE 45, 187); Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 166. 280 Kau, in: IntKommEMRK, Art. 3 Rn. 22 f., 34 f.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

Recht verfassungsmäßig.281 Mit der Bedingung der vollen Verbüßung der lebenslangen Freiheitsstrafe ist jedoch die Anwendung eben dieser Regelung gesperrt. (aa) Gnadenrecht als ausreichende Sicherung der Chance auf Freiheit Wenn § 57a StGB nicht zur Anwendung kommen kann, könnte die von der Verfassung geforderte Chance, je wieder in Freiheit leben zu können, jedoch auf Grundlage des allgemeinen Gnadenrechts gegeben sein. Zumindest nach Art. 3 EMRK liegt eine unmenschliche Behandlung nicht vor, wenn eine Gnadenentscheidung die Chance auf Freiheit sichert.282 Für die innerstaatlichen, fundamentalen Garantien aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip stellte das BVerfG jedoch etwas anderes fest. Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaats­ prinzip fordert anders als Art. 3 EMRK eine konkrete und grundsätzlich auch realisierbare Chance auf Freiheit für einen menschenwürdigen Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe.283 Das Gnadenrecht kann Art. 1 Abs. 1 GG sowie die rechtsstaatlichen Grundsätze nicht ausreichend sichern. Es stellt ein Rechtsinstitut dar, welches nur nach freiem Ermessen ausgeübt wird. Zusätzlich sind unterschiedliche Stellen für die Begnadigung von Verurteilten zuständig, sodass keine einheitliche Praxis erreicht werden kann. Daneben liegt es in der Natur des Gnadenrechts, dass der Betroffene keinen Anspruch auf eine mögliche Prüfung der Ausübung des Gnadenrechts oder gar einer abgelehnten Begnadigung hat.284 Diese fehlenden Konturen bedingen, dass die Chance auf Freiheit nicht genügend durch das Gnadenrecht umrissen ist, um die Rechtsstaatlichkeit des Vollzugs einer lebenslangen Freiheitsstrafe aus deutschem Recht zu sichern. Im rechtshilferechtlichen Bereich könnte das Gnadenrecht dennoch als ausreichende Chance gewertet werden. So entschied das BVerfG im Jahr 2015, dass es einer Auslieferung nicht entgegensteht, wenn dem Betroffenen im auswärtigen Verfahren eine lebenslange Freiheitsstrafe droht und das auswärtige Recht keine Strafaussetzung regelt.285 Für die Rechtshilfe der Auslieferung ist die Möglichkeit der Begnadigung im auszuliefernden Staat somit ausreichend. Dies könnte bedeuten, dass die Möglichkeit der Strafaussetzung in einem justizförmigen Verfahren allgemein nicht durch den ordre public vorgegeben ist und das Gnadenrecht auch im Rahmen der Vollstreckungsübernahme ausreicht, um den rechtsstaatlichen Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe zu sichern. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die Rechtshilfe der Vollstreckungsübernahme, anders als die der Auslieferung, zu einer 281

Groß, in: MüKo-StGB, § 57a Rn. 3. Kau, in: IntKommEMRK, Art. 3 Rn. 34; EGMR, Kafkaris, Entsch. v. 12. Februar 2008, App. no. 21906/04, Rn. 97 ff. 283 BVerfG, NJW 1977, 1525 (= BVerfGE 45, 187). 284 BVerfG, NJW 1977, 1525, 1529 (= BVerfGE 45, 187); BVerfG, 2005, 3483, 3484 (= BVerfGE 113, 154); Kett-Straub, in: Jahn / ​Arzt / ​Stöckel (Hrsg.), FS Stöckel, S. 380. 285 BVerfG, NJW 2005, 3483, 3484 (= BVerfGE 113, 154 (162)). 282

C. Anwendungsbereich des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG  

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Vollstreckung im Inland führt, die sich grundsätzlich nach eigenem, innerstaatlichem Recht richtet. Wenn eine fremde, lebenslange Freiheitsstrafe tatsächlich lebenslang im Inland vollstreckt werden soll, so unterscheidet sich die Bewertung der Verfassungsmäßigkeit des Vollzuges der Strafe nicht von einem im Inland zur lebenslangen Strafe Verurteilten. Anders als bei der Auslieferung, bei der die Ausführung der Rechtshilfe die bloße „Überstellung“ des Betroffenen in den ersuchenden Staat bedeutet, findet der maßgebliche Akt der Vollstreckungsübernahme im Vollstreckungsstaat statt. Die Art des Rechtsinstituts der Vollstreckungsübernahme bedingt es, dass an die staatlichen Maßnahmen des übernehmenden Staates auch vermehrt innerstaatliche Prinzipien angelegt werden müssen. Die konkrete Vollstreckung auf seinem Territorium hat zwar weiterhin rechtshilferechtlichen Charakter, doch ist sie zugleich auch ein innerstaatlicher Akt, der an das Grundgesetz und die Verfassung gebunden ist.286 Der Vollzug einer lebenslangen Freiheitsstrafe, ohne eine bestimmbare Aussicht auf Freiheit, verstößt, wie dargelegt, im innerstaatlichen Recht gegen Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip und stellt einen rechtswidrigen Eingriff in die Würde des Betroffenen dar. Das Gnadenrecht kann daher nicht für einen rechtsstaatlichen und menschenwürdigen Vollzug ausreichen. (bb) Einwilligung des Verurteilten als Zustimmung zur lebenslangen Haft Jedoch könnte aufgrund der Einwilligung des Betroffenen ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und Art. 1 Abs. 1 GG verhindert werden. Gem. § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i. V. m. § 57 Abs. 1 Nr. 3 StGB muss der zur lebenslangen Freiheitsstrafe Verurteilte stets der Reststrafenaussetzung zustimmen.287 Die formelle Voraussetzung der Einwilligung des Betroffenen in § 57a StGB zeigt, dass der Verurteilte bei der Frage der Reststrafenaussetzung, sofern die übrigen Voraussetzungen vorliegen, grundsätzlich mit einzubeziehen ist und die Möglichkeit hat, bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Vollstreckungsgerichts eine Reststrafenaussetzung zu verhindern.288 Er selbst kann sich demnach durch die Verweigerung der Einwilligung gem. § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i. V. m. § 57 Abs. 1 Nr. 3 StGB bewusst für eine faktisch lebenslange Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden. In einem solchen Fall stellt die vollumfängliche Verbüßung der lebenslangen Freiheitsstrafe im nationalen Recht keinen verfassungswidrigen Eingriff dar, da der Betroffene durch die allgemeinen Regelungen der Reststrafenaussetzung eine mögliche und bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen sogar die tatsächliche Chance hat, 286

So auch Meyer / ​Hüttemann, ZIS 2016, 777, 784; Vogel, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 73 Rn. 16. Kritik an der Beteiligung des Betroffenen an der Reststrafenaussetzung im innerstaatlichen Recht bei Kett-Straub, in: Jahn / ​Arzt / ​Stöckel (Hrsg.), FS Stöckel, S. 396. 288 Groß, in: MüKo-StGB, § 57 Rn. 13; Claus, in: SSW-StGB, § 57 Rn. 21; Kett-Straub, in: Jahn / ​A rzt / ​Stöckel (Hrsg.), FS Stöckel, S.  381 ff. 287

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

wieder in Freiheit leben zu können. Daher ist denkbar, dass der Verurteilte schon mit Antrag auf Vollstreckungsübernahme nach § 54a Abs. 2 IRG zugleich auch die Einwilligung gem. § 57a Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 57 Abs. 1 Nr. 3 StGB verweigert. Der dahinterstehende Rechtsgedanke ist Folgender: Kann der Betroffene ohnehin bei der Frage der Reststrafenaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe durch die Voraussetzung der Einwilligung entscheidenden Einfluss auf die Dauer der Vollstreckung nehmen,289 so könnte er gegebenenfalls schon vor Beginn der Strafe, durch die vorzeitige, bindende Verweigerung der Einwilligung in § 57a Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 57 Abs. 1 Nr. 3 StGB, eigenverantwortlich bestimmen, die Strafe vollumfänglich verbüßen zu wollen. Da der Verurteilte die Einwilligung mindestens 15 Jahre (§ 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB) vor dem eigentlichen Anwendungszeitpunkt der Reststrafenaussetzungsregelung und sogar noch vor Beginn der Vollstreckung in Deutschland abgeben müsste, ist schon die Möglichkeit der frühen Einwilligung zu bezweifeln. Unabhängig davon darf in dieser Konstellation ohnehin folgender Aspekt nicht missachtet werden: Die Einwilligung bzw. Verweigerung zur Reststrafenaussetzung gem. § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist innerstaatlich bis zum Zeitpunkt der Reststrafenaussetzung widerruflich.290 Dies bedeutet, dass selbst, wenn der Inhaftierte eine Reststrafenaussetzung ablehnt, er die Zustimmung stets nachholen kann.291 Verweigert er die Reststrafenaussetzung, ist dies im innerstaatlichen Recht nicht damit gleichbedeutend, dass er die Strafe voll zu verbüßen hat; ihm bleibt trotz Ablehnung der Reststrafenaussetzung eine Chance, wieder in Freiheit leben zu können. Im Vollstreckungsübernahmeverfahren wäre eine frühzeitige Verweigerung zur Reststrafenaussetzung dagegen gem. § 54a Abs. 2 S. 4 IRG unwiderruflich und daher endgültig. Daraus ergibt sich, dass der Betroffene durch den Antrag zur Vollstreckungsübernahme zwar auf den ersten Blick eine, wenn auch frühzeitige, Wahl in Bezug auf die Reststrafenaussetzung zu haben scheint, diese jedoch tatsächlich nicht besteht. Er kann lediglich in der obigen Situation entscheiden, ob er die volle lebenslange Freiheitsstrafe im Ausland oder im Vollstreckungsstaat verbüßt. Eine echte Chance, je wieder in Freiheit leben zu können, verbleibt dem Betroffenen in diesen Fällen von § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG nicht. Die frühzeitige Ablehnung einer Reststrafenaussetzung durch den Betroffenen kann daher wegen Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip keine lebenslange Haft rechtfertigen. Eine Haft, die von vornherein eine Rückkehr in die Freiheit ausschließt, ist somit auch mit Einwilligung des Betroffenen nicht mit dem ordre public vereinbar.

289

Claus, in: SSW-StGB, § 57a Rn. 18; OLG Düsseldorf, NJW 1993, 1665. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2014, 94; Groß, in: MüKo-StGB, § 57 Rn. 13; Claus, in: SSWStGB, § 57 Rn. 21 f.; Kett-Straub, in: Jahn / ​Arzt / ​Stöckel (Hrsg.), FS Stöckel, S. 385. 291 Groß, in: MüKo-StGB, § 57a Rn. 9; ders., in: MüKo-StGB, § 57 Rn. 13; OLG Rostock, Beschluss v. 17. Dezember 2004, Az. I Ws 549/04 (= BeckRS 2010, 27393); Kett-Straub, in: Jahn / ​A rzt / ​Stöckel (Hrsg.), FS Stöckel, S.  385. 290

C. Anwendungsbereich des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG  

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(cc) Zusammenfassung Weder das Gnadenrecht noch die Zustimmung des Betroffenen kann ein rechtsstaatliches Handeln bei einer Vollstreckungsübernahme ausreichend sichern, wenn der Urteilsstaat die ausdrückliche Bedingung stellt, dass die lebenslange Freiheitsstrafe vollumfänglich verbüßt werden soll. Macht der Urteilsstaat deutlich, dass der Verurteilte bis zu seinem Tod in Haft verbleiben soll, kann keine Vollstreckungsübernahme gem. § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG zum Schutz des ordre public durchgeführt werden. Die Möglichkeit der Reststrafenaussetzung bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe stellt ein fundamentales, wesentliches Prinzip der deutschen Rechtsordnung dar, welches im Rahmen der Vollstreckungsübernahme zwingend zu gewährleisten ist. (2) Gefahr der vollen Verbüßung der Freiheitsstrafe Daneben besteht eine weitere problematische Sachlage: Es ist in keiner Weise gesichert, dass der Urteilsstaat überhaupt eine Zustimmung zur Reststrafenaussetzung erteilt. Dadurch besteht die Gefahr, dass eine Vollstreckungsübernahme gem. § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG vorgenommen wird, der Urteilsstaat jedoch niemals der Reststrafenaussetzung zustimmt. Es muss daher erörtert werden, ob es für die verfassungsrechtliche Chance auf Freiheit aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip ausreicht, wenn nur die bloße Möglichkeit besteht, dass der Urteilsstaat irgendwann einer Reststrafenaussetzung zustimmt. Zudem muss geklärt werden, wie eine verhältnismäßige Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe im Verhältnis zur Schuld und der Besserung des Täters im Strafvollzug gesichert werden kann, ohne dass die zusätzliche Bedingung der Zustimmung der Reststrafenaussetzung durch den Urteilsstaat dem entgegensteht. (aa) Gefahr der wiederholten Ablehnung der Reststrafenaussetzung Zu denken ist etwa an den Fall, in dem der Urteilsstaat wiederholt eine Reststrafenaussetzung verweigert und dabei keiner zeitlichen Grenze der Ablehnung der Reststrafenaussetzung unterliegt. Für die verfassungsrechtlich gewährleistete Chance auf Freiheit kann eine solche bloße Möglichkeit der Zustimmung jedoch sofort abgelehnt werden. Da die vage Aussicht auf eine Begnadigung für Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip nicht ausreicht,292 muss dies auch für die unbestimmte Hoffnung auf Zustimmung des Urteilsstaats angenommen werden. Die konkrete Chance, wieder in Freiheit leben zu können, ist zu gering, um einen menschenwürdigen Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe in Deutschland gewährleisten zu können. Die Zustimmung des Urteilsstaates ist im Rahmen von 292

Siehe auf S. 196 f.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

§§ 54a Abs. 1 Nr. 2, 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a Abs. 1, 2 StGB an keinerlei Bedingungen oder Voraussetzungen geknüpft, sodass eine solche allein von dem Willen und der Nachsichtigkeit des Urteilsstaates abhängt. Hängt die Zustimmung zur Reststrafenaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe jedoch nur von der Nachsichtigkeit des Urteilsstaates ab, so besteht kein Unterschied mehr zum Akt der Gnade. Eine solche vage Hoffnung auf die Nachsichtigkeit des Urteilsstaat reicht jedoch für die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe auf deutschem Territorium nicht aus, um der verfassungsrechtlichen Chance auf Freiheit zu genügen.293 Daneben muss auch die Verhältnismäßigkeit der Dauer der Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe hinsichtlich der Schuld des Täters bezweifelt werden, wenn diese keine Rolle mehr bei der Beurteilung der Reststrafenaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe spielen würde.294 Da die Vollstreckungsübernahme gem. § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG somit keine Bedingungen an die Zustimmung bzw. Ablehnung des Urteilsstaates zur Reststrafen­ aussetzung knüpft, muss auch die Gefahr, dass der Urteilsstaat wiederholt der Reststrafenaussetzung widerspricht, verfassungsrechtlich als nicht hinnehmbar bewertet werden. Ohne eine Absicherung der Gefahr der wiederholten Ablehnung durch den Urteilsstaat und der gesetzlichen Regelungen einer realen Chance des Betroffenen, jemals aus dem Strafvollzug entlassen zu werden, kann von § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a StGB nicht ohne Verletzung des ordre publics abgewichen werden. Die Möglichkeit der Reststrafenaussetzung muss bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht nur gewährleistet werden, sondern in einem konkreten Umfang bestehen und geregelt sein. Eine nur vage Möglichkeit in vergleichbarer Form, wie im Gnadenrecht, ist nicht ausreichend. (bb) Lösungsansatz Damit jedoch der Vollstreckungsübernahme einer lebenslangen Freiheitsstrafe über § 57a Abs. 1 Nr. 1, S. 2 StGB wegen Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip nicht gänzlich der Weg versperrt ist, könnte der deutsche Staat mit dem Urteilsstaat im Außenverhältnis Bedingungen aushandeln, die an die Ablehnung bzw. Zustimmung zur Reststrafenaussetzung geknüpft werden. Diese Bedingungen müssten vor allem den Zweck verfolgen, die Gefahr einer willkürlichen, wiederholten Ablehnung des Urteilsstaates einzudämmen. Dies könnte eine verhältnismäßige Vollstreckung sichern, die auch die verfassungsrechtliche Chance des Betroffenen, wieder irgendwann in Freiheit leben zu können, genügend konkretisiert. Die Strafaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe darf nicht allein von der Nachsichtigkeit des Urteilsstaats abhängen. So könnte die Bundesrepublik Deutschland mit dem Urteilsstaat zum einen vereinbaren, die Ablehnung der Reststrafenaus 293 294

Di Fabio, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 2 II S. 2 Rn. 63. BVerfG, NJW 1995, 3244, 3245; BVerfG, NJW 2007, 1933, 1935.

C. Anwendungsbereich des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG  

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setzung stets zu begründen, und zum anderen eine zeitliche Grenze festlegen, bis zu der die Zustimmung des Urteilsstaats zur Reststrafenaussetzung zu achten ist. (α) Begründung der Ablehnung der Reststrafenaussetzung Bei § 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB ist anders als bei § 57 StGB zu beachten, dass die Schwere der Schuld bei der Bewertung der Reststrafenaussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe eine Rolle spielt.295 Stellt das deutsche Gericht bei einer Prüfung der Reststrafenaussetzung die Schwere der Schuld fest, so lehnt es die Reststrafenaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach 15 Jahren ab; die weitere Vollstreckung ist so auch hinsichtlich Art. 1 Abs. 1 GG und des Schuldprinzips verhältnismäßig und gerechtfertigt.296 Auch im Vollstreckungsübernahmebereich muss die Schwere der Schuld für die Bewertung der Strafaussetzung einer übernommenen, auswärtigen, lebenslangen Freiheitsstrafe entscheidend sein. Dafür muss sich das Exequaturgericht im allgemeinen Verfahren an der im Ausland begangenen und abgeurteilten Tat und der dort festgestellten Schuld orientieren. Wenn der Urteilsstaat die Ablehnung zur Reststrafenaussetzung nach einer Vollstreckungsübernahme gem. § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG mit Gründen der Schwere der Schuld fundiert, so ist die Beteiligung des Urteilsstaates bei der Frage der Reststrafenaussetzung im Rahmen von §§ 54a Abs. 1 Nr. 2, 57 IRG i. V. m. § 57a StGB eine Stütze bei der Bewertung dieser Bedingung. Die Aussetzung der Reststrafe wäre dann nicht wie im Gnadenrecht nur von den „Launen“ des Urteilsstaates abhängig, sondern wäre vielmehr an entscheidende Faktoren für die weitere Vollstreckung der Strafe geknüpft. Um die Gefahr der willkürlichen Ablehnung der Reststrafenaussetzung einzudämmen, sollte die Bundesrepublik Deutschland daher im Außenverhältnis, bei den völkerrechtlichen Verhandlungen zur Rechtshilfe der Vollstreckungsübernahme über § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG, den Urteilsstaat zur Begründung der Ablehnung der Reststrafenaussetzung verpflichten. In dieser muss der Urteilsstaat insbesondere Gründe der Schwere der Schuld vorbringen, welche die weiterlaufende Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe weiter rechtfertigen. Diese Begründung hätte nicht nur den Vorteil, dass eine Willkür der Dauer der Vollstreckung ausgeschlossen ist, sondern würde ebenso sicherstellen, dass die weitere Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe mit der Schuld des Täters im Verhältnis steht. So wird auch eine Dissonanz zwischen Schwere der Schuld und Strafvollstreckung von vorneherein vermieden.

295 Kinzig, in: Schönke / ​Schröder, StGB § 57a Rn. 4; Kett-Straub, in: Jahn / ​A rzt / ​Stöckel (Hrsg.), FS Stöckel, S. 380 f.; zur Kritik an der Schuldschwereklausel siehe Heine​et al., GA 2008, 193, 259. 296 BVerfG, NJW 1995, 3244, 3245; BVerfG, NJW 1984, 33 (= BVerfGE64, 261 (271)); BVerfG, NJW 1986, 2241 (= BVerfGE 72, 105 (114)).

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

Anhand der Begründung des Urteilsstaats wäre überprüfbar, ob die Strafvollstreckung noch verhältnismäßig ist. Stellt die Bundesrepublik Deutschland jedoch fest, dass die Begründungen des Urteilsstaats haltlos sind und sie die weitere Vollstreckung und den Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nicht mehr rechtfertigen kann, müsste die Strafvollstreckung trotz entgegenstehendem Willen des Urteilsstaats ausgesetzt werden. Dabei ist die Grenze einer verhältnismäßigen Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe jedenfalls dann erreicht, wenn im konkreten Fall auch unter Berücksichtigung des besonderen völkerrechtlichen Bezugs der Strafe unter keinen Umständen eine weitere Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe gerechtfertigt werden kann. Wie auch bei einer deutschen lebenslangen Freiheitsstrafe, muss eine Gesamtwürdigung von den schuldrelevanten Umständen der abgeurteilten Tat und der Täterpersönlichkeit vorgenommen werden.297 Solche kann der Urteilsstaat in der geforderten Begründung der Ablehnung der Reststrafenaussetzung vorbringen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Ablehnung des Urteilsstaates und der aufrechtgehaltenen Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe hinsichtlich der Schuld des Täters verhältnismäßig ist, ist umso geringer, je öfter dieser die Zustimmung einer Reststrafenaussetzung verweigert.298 Stellt das deutsche Gericht fest, dass eine weitere Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe hinsichtlich der Schuld des Täters auch mit der Begründung des Urteilsstaats unter keinen Umständen mehr gerechtfertigt ist, so müsste die Ablehnung der Reststrafenaussetzung des Urteilsstaates ignoriert werden. Die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe nur aufgrund des Wunsches des Urteilsstaates weiter aufrechtzuhalten, würde nicht nur das Schuld- und Verhältnismäßigkeitsprinzip, sondern auch den Einzelnen in seiner Würde aus Art. 1 Abs. 1 GG verletzen. (β) Zeitliche Grenze der Zustimmung Um zu vermeiden, dass eine Reststrafenaussetzung entgegen dem Willen des Urteilsstaates vorgenommen wird, weil keine stichhaltigen Gründe mehr für die Aufrechterhaltung der Vollstreckung vorgebracht werden können, sollte Deutschland neben der Pflicht zur Begründung der Ablehnung einer Reststrafenaussetzung zusätzlich eine zeitliche Grenze der Zustimmung zur Reststrafenaussetzung vereinbaren. Diese legt fest, bis wann eine Zustimmung zur Reststrafenaussetzung spätestens zu erfolgen hat bzw. dass eine solche nach einer bestimmten Vollstreckungszeit automatisch eintritt. Dafür kann vor völkervertraglicher Übernahme der Vollstreckung der auswärtigen, lebenslangen Freiheitsstrafe im Exequaturverfahren eine kurze Prüfung durch das Exequaturgericht vorgenommen werden, in 297

Heger, in: Lackner / ​Kühl / ​Heger, StGB § 57a Rn. 5; Kinzig, in: Schönke / ​Schröder, StGB § 57a Rn. 5. 298 Ähnlich wie im innerstaatlichen Recht, wo nach erstmaliger Ablehnung für eine weitere Ablehnung der Reststrafenaussetzung ein weitaus höheres Maß an Schuld gefordert wird, siehe Kinzig, in: Schönke / ​Schröder, StGB § 57a Rn. 7

C. Anwendungsbereich des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG  

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der ein geschätzter Rahmen für die verhältnismäßige Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe gesetzt wird. Eine Orientierung für diesen Rahmen können die typischen Aussetzungszeitpunkte einer lebenslangen Freiheitsstrafe im deutschen Recht bieten. So schwankt die Dauer der Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe bis zur Reststrafenaussetzung nach § 57a StGB in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren zwischen 16 und 19 Jahren; nur jede achte Person der lebenslänglich Verurteilten bleibt länger als 25  Jahre im Vollzug,299 wobei beachtet werden muss, dass lediglich 3,0 % aller Strafgefangenen überhaupt zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden.300 Als zeitliche Grenze der Beteiligung des Urteilsstaates könnten daher zwischen 16 und 25 Jahre im Außenverhältnis veranschlagt werden. Nach Ablauf des vereinbarten Zeitraums wäre die Zustimmung des Urteilsstaates für die Reststrafenaussetzung nicht mehr zwingend. Die Vereinbarung eines zeitlichen Rahmens zur Zustimmung hat den Vorteil, dass von vornherein die Verhältnismäßigkeit der Vollstreckung der übernommenen, lebenslangen Freiheitsstrafe in einem gewissen Maße sichergestellt ist. Zudem ist die konkrete Chance des Betroffenen, wieder in Freiheit leben zu können, nicht nur von der Nachsichtigkeit des Urteilsstaates abhängig. Dieser zeitliche „Vollstreckungsrahmen“ darf jedoch nicht so verstanden werden, dass die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe von vorneherein nur bis zum vereinbarten Zeitpunkt der Zustimmung zur Reststrafenaussetzungsregelung begrenzt ist. Vielmehr gibt dieser Zeitpunkt nur eine erste Orientierungshilfe für die Voraussetzung der Schwere der Schuld gem. § 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB. Ist etwa eine Strafaussetzung des Betroffenen zum Schutz der Allgemeinheit nach der vereinbarten Zeit noch nicht möglich, muss gem. § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. §§ 57a Abs. 1 Nr. 3, 54 Abs. 1 Nr. 2 StGB die Vollstreckung der lebenslangen Strafe aufrecht gehalten werden. (γ) Missbilligung der zusätzlichen Bedingungen durch den Urteilsstaat Weigert sich der Urteilsstaat im Außenverhältnis die Vollstreckung des Urteils an die Bundesrepublik Deutschland zu übergeben, da er den zeitlichen Rahmen der Mindestverbüßungszeit der lebenslangen Freiheitsstrafe missbilligt oder die Ablehnung der Reststrafenaussetzung nach §§ 54a Abs. 1 Nr. 2, 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a StGB nicht begründen möchte, so kann Deutschland keine Vollstreckungsübernahme einer lebenslangen Freiheitsstrafe über § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG durchführen, ohne zugleich den ordre public zu verletzen. 299 Siehe so Dessecker, Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafe 2014, S. 21; Stree / ​Kinzig schreiben noch von jedem 10. Gefangenen, siehe Kinzig, in: Schönke / ​Schröder, StGB § 57a Rn. 1; Dünkel, in: NK-StGB, § 57 Rn. 58; ausführlich zu Daten und Entwicklung der Dauer der Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe Dessecker, Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafe 2014, S. 17 ff. 300 Siehe Dessecker, Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafe 2014, S. 6 m. w. N.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

Die gleichen Erwägungen gelten auch für eine zeitige Freiheitsstrafe, die über 25 Jahre hinausgeht. Eine Solche ist der lebenslangen Freiheitsstrafe gleichzusetzen,301 sodass auch hier gem. Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip eine reale Chance des Betroffenen bestehen muss, jemals wieder in Freiheit leben zu können. Diese ist jedoch nur gesichert, wenn die Beteiligung des Urteilsstaates an der Reststrafenaussetzung durch Begründung und einen zeitlichen Rahmen begrenzt ist. cc) Zusammenfassung Die Möglichkeit der Reststrafenaussetzung bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe und bei zeitigen Freiheitsstrafen, die 25 Jahre überschreiten, stellt ein fundamentales, wesentliches Prinzip der deutschen Rechtsordnung dar. Eine Modifikation des § 57 Abs. 2 i. V. m. § 57a StGB ist daher verfassungsrechtlich nicht ohne Weiteres möglich. Es konnten zwei Fälle festgestellt werden, in denen eine Vollstreckungsübernahme einer lebenslangen Freiheitsstrafe über §§ 54a Abs. 1 Nr. 2, 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a StGB nicht mit dem ordre public der Bundesrepublik Deutschland vereinbar ist. So ist die Übernahme der Vollstreckung einer auswärtigen, lebenslangen Freiheitsstrafe und einer zeitigen Freiheitsstrafe über 25 Jahren dann zu verweigern, wenn der Urteilsstaat ausdrücklich klarstellt, dass er die Zustimmung zur Reststrafenaussetzung nach §§ 54a Abs. 1 Nr. 2, 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a StGB niemals erteilen wird und zudem ein Strafaussetzungssystem im Urteilsstaat fehlt, auf das gem. § 57 Abs. 6 IRG zurückgegriffen werden könnte. Eine tatsächlich lebenslange Freiheitsstrafe ist nicht mit Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Zudem besteht bei fehlendem Strafaussetzungssystem im Urteilsstaat gem. Art. 1 Abs. 1 i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip im Verfahren der Vollstreckungsübernahme einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG die Gefahr, dass der Urteilsstaat niemals einer Reststrafenaussetzung und somit der Entlassung des Betroffenen zustimmt. Die rechtsstaatlich zu gewährende Hoffnung des Verurteilten, wieder in Freiheit leben zu können, ist in diesem Fall zu vage, um Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip zu genügen. Zudem kann eine verhältnismäßige Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht ausreichend gewährleistet werden, ohne zugleich das Vertrauen des Urteilsstaates im Außenverhältnis zu verletzen. Die Modifikation des § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a StGB durch § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG sichert somit nicht ausreichend den ordre public. Die Vollstreckungsübernahme einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder einer zeitigen Freiheitsstrafe, die 25 Jahre überschreitet, könnte jedoch dann über § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG legitim erfolgen, wenn die Bundesrepublik Deutschland

301

So zu verstehen bei Lagodny, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 73 Rn.  60a.

C. Anwendungsbereich des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG  

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im Außenverhältnis die Ablehnung bzw. Zustimmung zur Reststrafenaussetzung durch den Urteilsstaat von zwei Bedingungen abhängig macht. Zum einen müsste der Urteilsstaat verpflichtet werden, die Ablehnung zur Reststrafenaussetzung mit Gründen der Schwere der Schuld des Täters zu fundieren. Zum anderen müsste zusätzlich ein Zeitpunkt vereinbart werden, bis zu dem spätestens eine Zustimmung zu erfolgen hat bzw. eine solche automatisch eintritt. Dafür könnte sich an typischen Zeitpunkten der Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe im deutschen Recht orientiert werden. Diese Bedingungen sichern nicht nur die Chance des Betroffenen, wieder in Freiheit leben zu können, sondern auch eine verhältnismäßige Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Die Gefahr der wiederholten Ablehnung des Urteilsstaates und das fehlende Strafaussetzungssystem des Urteilsstaates wären dann unschädlich.

c) Zusammenfassung Hinsichtlich der Modifikation des § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57 f. StGB durch § 54a Abs. 1 Nr. 2 StGB muss zwischen der zeitigen Freiheitsstrafe und der lebenslangen Freiheitsstrafe unterschieden werden. Während mit der Übernahme einer zeitigen Freiheitsstrafe, die das Maß von 25 Jahren nicht überschreitet, im Ausnahmeverfahren nach § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG keine verfassungsrechtlichen Bedenken verbunden sind, werden solche zur lebenslangen Freiheitsstrafe und zeitigen Freiheitsstrafe, die das Maß von 25 Jahren überschreiten, sehr wohl vorgebracht. Wenn der Urteilsstaat kein Strafaussetzungssystem hat, auf das gem. § 57 Abs. 6 IRG zurückgegriffen werden könnte, kann die Reststrafenaussetzung nicht ohne Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip gem. § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG von der Zustimmung des Urteilsstaats abhängig gemacht werden. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass der Urteilsstaat von vorneherein die volle Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe fordert, sondern auch für die bloße Gefahr der wiederholten Ablehnung der Reststrafenaussetzung. Insofern stellt die gesetzlich geregelte, realistische Möglichkeit auf eine Reststrafenaussetzung bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe ein fundamental wesentliches Prinzip der deutschen Rechtsordnung dar. Da über § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG jedoch in keiner Weise gesichert ist, dass der Urteilsstaat willkürlich die Reststrafenaussetzung verweigert, besteht die nicht zu unterschätzende Gefahr, dass die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht mehr mit dem Schuldprinzip und der verfassungsrechtlich geschützten Hoffnung auf Freiheit vereinbar ist. Die Bundesrepublik Deutschland könnte eine Vollstreckungsübernahme einer lebenslangen Freiheitsstrafe über § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG von zwei Bedingungen im Außenverhältnis abhängig machen, um eine Vollstreckung der Freiheitsstrafe verfassungsrechtlich legitim zu ermöglichen. Zum einen sollte sie den Urteilsstaat verpflichten, die Ablehnung einer Reststrafenaussetzung nach §§ 54a Abs. 1 Nr. 2, 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a Abs. 1 StGB stets zu begründen. Zusätzlich sollte die Bundesrepublik Deutschland mit dem Urteilsstaat einen zeitlichen Rahmen vereinbaren, bis wann die Zu-

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

stimmung zur Reststrafenaussetzung spätestens zu erfolgen hat. Nur so kann ein Verstoß gegen den ordre public ausreichend verhindert werden.

III. Zwischenergebnis Die Ausnahmevorschrift des § 54a IRG enthält zwei Modifikationen der allgemeinen Regelungen der Vollstreckungsübernahme. Während durch § 54a Abs. 1 Nr. 1 IRG von der Regelung des § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 IRG insofern abgesehen werden kann, dass auch Sanktionen übernommen werden können, die das deutsche Höchstmaß überschreiten, kann durch § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG die Vorschrift des § 57 Abs. 2 IRG in dem Sinne modifiziert werden, dass die Strafaussetzungsregelungen der §§ 57 f. StGB von der Bedingung der Zustimmung des Urteilsstaats abhängig gemacht werden. Eine Abkehr von der Begrenzung des § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 3 IRG ist grundsätzlich mit dem ordre public vereinbar. Erst wenn ein krasses Missverhältnis zwischen Tat und Strafe besteht, liegt ein Verstoß gegen den ordre public bei Übernahme der Strafe vor. Eine Strafe, die das deutsche Höchstmaß der jeweiligen Tat überschreitet, ist nicht zugleich verfassungsrechtlich unverhältnismäßig und verletzt somit auch nicht den ordre public. Auch die Ausnahmeregelung des § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG ist grundsätzlich mit wesentlichen, fundamentalen Prinzipien der deutschen Rechtsordnung vereinbar. Insbesondere die Vorschrift des § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57 StGB ist für die Vollstreckung zeitiger Freiheitsstrafen verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Anders ist es bei lebenslangen Freiheitsstrafen oder zeitigen Freiheitsstrafen, die über 25 Jahre hinausgehen und daher lebenslangen Freiheitsstrafen gleichzusetzen sind. Bei diesen stellt die Möglichkeit der Reststrafenaussetzung ein fundamentales, wesentliches Prinzip der deutschen Rechtsordnung dar. Eine Modifikation der Vorschrift, wie es § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG vorsieht, ist daher nur dann möglich, wenn der Urteilsstaat ein eigenes Strafaussetzungssystem hat, auf das bei wiederholter Verweigerung der Zustimmung des Urteilsstaates gem. § 57 Abs. 6 IRG zurückgegriffen werden könnte. Fehlt ein Strafaussetzungssystem im Urteilsstaat, ist die Modifikation des § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a StGB nicht mehr mit dem ordre public vereinbar. Um eine Reststrafenaussetzung jedoch auch von der Zustimmung eines Urteilsstaats abhängig machen zu können, der kein Strafaussetzungssystem hat, könnte die Bundesrepublik Deutschland im Außenverhältnis vereinbaren, dass die Ablehnung der Reststrafenaussetzung vom Urteilsstaat stets zu begründen ist. Auch müsste ein zeitlicher Rahmen vereinbart werden, bis zu dem die Beteiligung des Urteilsstaats an der Reststrafenaussetzung beachtet werden muss. Durch diese beiden zusätzlichen Bedingungen wäre die Chance des Betroffenen gem. Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden, ausreichend gesetzlich gewährleistet.

D. Schutz des zukünftigen Rechtshilfeverkehrs 

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D. Schutz des zukünftigen Rechtshilfeverkehrs Durch Fehler im Exequaturverfahren, die noch nach Überführung des Betroffenen zu einem Abbruch der Vollstreckung führen können, besteht ein weiteres Problem im Zusammenhang mit den Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme. Der Abbruch der übernommenen Strafvollstreckung kann nicht nur schwer für die empfindliche Beziehung zum Urteilsstaat, sondern auch zu anderen Staaten wiegen. Dies vor allem deshalb, da Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG sowie § 73 S. 1 IRG grundsätzlich einer Auslieferung des Betroffenen in den Urteilsstaat entgegenstehen. Dem Urteilsstaat könnte dadurch vermittelt werden, die Bundesrepublik Deutschland hätte der Rechtshilfe nur zugestimmt, um den Betroffenen aus dem Urteilsstaat überführen zu können.302 Nach dem Willen des Gesetzgebers hat der Einzelne daher teilweise ein „Sonderopfer“ zu tragen und die Vollstreckung nach Überführung selbst bei erkannten Verfahrensfehlern zu dulden.303 Dass dieser Sicht zum Schutz der Subjektqualität des Einzelnen nicht gefolgt werden kann, wurde schon dargelegt.304 Der folgende Abschnitt soll daher erörtern, wie das Vertrauen des Urteilsstaates geschützt werden kann, wenn die Strafvollstreckung nach Überführung des Betroffenen wegen etwaiger Verfahrensfehler abgebrochen werden muss.

I. Faktische Gefahr des Abbruchs der Strafvollstreckung Dass die Gefahr des Abbruchs der übernommenen Strafvollstreckung wegen möglicher Verfahrensfehler kein ausschließlich wissenschaftliches Problem darstellt, wird im Folgenden aufgezeigt. Zu beachten ist dabei, dass die Strafvollstreckung auf deutschem Territorium nur dann abgebrochen werden muss, wenn dem Vollstreckungsübernahmebeschluss des Exequaturgerichts ein solcher Verfahrens­ fehler anhaftet, der von dem Verurteilten auch nach Überführung mit einem Rechtsbehelf angegriffen werden kann. 1. Einleitende Gedanken Der Betroffene muss nach Überführung, unabhängig davon, welchen Ursprung die Fehler hatten, stets die Exequaturentscheidung der Bundesrepublik Deutschland angreifen. Denn diese ist der Vollstreckungsgegenstand, auf dessen Grundlage der Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG durch die deutsche Staatsgewalt

302

BT-Drs. 9/2137, S. 24; BT-Drs. 18/4347, S. 94; Schomburg / ​Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 49 Rn.  6. 303 BT-Drs. 18/4347, S. 94. 304 Siehe S. 116 ff.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

erfolgt.305 Ein Rechtsbehelf des innerstaatlichen Rechts gegen das ausländische Urteil gibt es somit nicht.306 Jedoch kann das ausländische Urteil nach Übernahme durch einen deutschen Rechtsbehelf mittelbar überprüft werden, wenn die Wahrung des ordre publics im auswärtigen Verfahren durch einen Rechtsbehelf erneut von dem Exequaturgericht kontrolliert werden muss.307 Zudem ist festzuhalten, dass die Exequaturentscheidung bereits in Rechtskraft erwachsen sein wird, wenn die völkerrechtliche Verbindlichkeit zwischen den Staaten eingegangen und der Betroffene auf deutsches Territorium überführt wurde. Denn gegen die Exequaturentscheidung besteht nur das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gem. § 55 Abs. 2 S. 1 IRG. Diese hat gem. §§ 55 Abs. 2 S. 1, 77 Abs. 1 IRG i. V. m. § 311 Abs. 2 StPO eine kurze Beschwerdefrist von einer Woche, die zu laufen beginnt, wenn dem Betroffenen die Entscheidung des Beschlusses gem. § 77 IRG i. V. m. § 35 Abs. 2 Satz  1 StPO durch Zustellung bekanntgegeben wird. Da die Frist nicht nur bei Zustellung an den Betroffenen beginnt, sondern gem. §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 77 IRG i. V. m. §§ 35 Abs. 2 S. 1, 145a Abs. 1 StPO auch mit Zustellung an seinen Beistand,308 ist der grundsätzliche Ablauf der Frist vor Überführung gesichert.309 Von Bedeutung sind vorliegend lediglich solche Verfahrensfehler und Rechtsbehelfe, welche die Rechtskraft durchbrechen können. 2. Beweis der unwirksamen Antragsstellung Ein Verfahrensfehler, der womöglich bei entsprechendem Rechtsbehelf zu einem Abbruch der Strafvollstreckung führen kann, ist der unwirksame Antrag des Betroffenen im Vollstreckungsübernahmeverfahren. Das Exequaturgericht hat jedoch im Vollstreckungsübernahmeverfahren die Pflicht, die wirksame Antragsstellung anhand des geführten Protokolls zu überprüfen.310 Dieser Verfahrensfehler kann daher nur dann die Gefahr des nachträglichen Abbruchs der Strafvollstreckung begründen, wenn nach erfolgter Überführung des Verurteilten Beweise auftreten, die den Inhalt des Protokolls falsifizieren und welche vor Rechtskrafteintritt nicht über die sofortige Beschwerde geltend gemacht werden konnten. Zudem muss ihm ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen, mit dem er den rechtskräftigen Exequatur­ beschluss angreifen kann. 305 Grotz, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 57 Rn. 2; Hackner, in: Schomburg / ​Lagodny / ​Gleß / ​Hackner, IRG § 57 Rn. 3; Rochner, Strafvollstreckung und Strafvollzug im internationalen Strafrecht, S. 13; OLG Koblenz, Beschluss v. 20. August 2009, Az. 2 Ws 386/09. 306 Liegt aber nachträglich ein Beweis vor, dass das ausländische Urteil nach dem Recht des Urteilsstaat rechtswidrig erging, so kommen gegebenenfalls etwaige Rechtsbehelfe des ausländischen Rechts zusätzlich in Betracht, welche die Rechtskraft der ausländischen Entscheidung durchbrechen können. 307 Vogel / ​Burchard, in: Grützner / ​Pötz, IRG § 77 Rn. 47. 308 Thomas / ​Kämpfer, in: MüKO-StPO, § 145a Rn. 5. 309 Thomas / ​Kämpfer, in: MüKO-StPO, § 145a Rn. 1. 310 BT-Drs. 18/4347, S. 93, 101; siehe dazu auch schon S. 120 f.

D. Schutz des zukünftigen Rechtshilfeverkehrs 

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Der Beweis der Antrags- und Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen bei Antragsstellung zeigt die Unwirksamkeit des Antrags.311 Daneben tritt auch das Problem, dass, wenn der Betroffene zum Zeitpunkt der Antragsstellung nicht antragsfähig war, dieser auch nicht in der Lage gewesen sein wird, die zuvor erfolgte Belehrung zu verstehen. Durch das Fehlen der Verhandlungs-312 bzw. Prozess­ fähigkeit313 haftet der Vollstreckung somit auch der Mangel einer ordnungsgemäßen Belehrung an. Dieser unerkannte Fehler in der Antragsstellung kann erst nach Überführung des Betroffenen aufgedeckt werden. So ist es möglich, dass die Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen zunächst unerkannt blieb und erst nach Überführung entdeckt wird. Dies ist vor allem auf Grund der belastenden Situation in auswärtiger Haft nicht abwegig. Aber auch andere Fälle, in denen der Betroffene rein krankheitsbedingt einwilligungsunfähig ist, sind denkbar. Es konnte schon dargestellt werden, wie wesentlich die wirksame Beteiligung des Betroffenen in den Verfahren gem. § 49 Abs. 3 und § 54a IRG ist.314 Dass der Betroffene daher objektiv in eine bessere Lage gebracht wurde, kann nicht ohne Weiteres bedeuten, dass der Verfahrensfehler unbeachtet bleiben kann. Vielmehr fehlt dem Verfahren eine grundlegende Voraussetzung, die bei entsprechendem Rechtsbehelf von dem Verurteilten gerügt werden könnte. 3. Rechtsbehelf der Beschwerde durch Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand Das IRG enthält im Rahmen der Vollstreckungsübernahme nur den Rechtsbehelf der Beschwerde, die jedoch nach Ablauf einer Woche verfristet ist. Gem. § 77 Abs. 1 IRG können aber auch Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und der StPO sinngemäß auf Verfahren aus dem IRG angewendet werden. Insofern könnte gem. § 77 Abs. 1 IRG i. V. m. § 44 StPO die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bei Fristversäumung ein möglicher Rechtsbehelf gegen den Verfahrensfehler des unwirksamen Antrags sein.

311 So auch BT-Drs. 18/4347, S. 93 hinsichtlich einer fehlerhaften Belehrung; zur notwendigen Bedingung der Urteils- und Einwilligungsfähigkeit siehe etwa Malacrida, Grundrechtsverzicht, S. 29 f.; kurz auch Di Fabio, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 2 I, Rn. 229. 312 Zur Verhandlungsunfähigkeit im Strafprozess siehe BVerfG, NJW 1995, 1951, 19551 f.; BGH, StV 1989, 239, 240; BGH, NStZ 1996, 242; Schneider, in: KK-StPO, § 205 Rn. 9 ff. m. w. N. 313 Bier / ​Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch / ​Schneider / ​Bier, VwGO § 62 Rn. 6; die Prozessfähigkeit erscheint vorliegend als Begriff günstiger, da die Verhandlungsunfähigkeit nach der StPO die Konsequenz hätte, dass das Vollstreckungsübernahmeverfahren bei erheblicher psychischer oder physischer Erkrankung des Betroffenen nicht durchgeführt werden könnte. Das kann jedoch nicht gewollt sein, siehe S. 104 ff. 314 Siehe S. 131 f. sowie S. 138 f.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

Mit dieser kann der Betroffene bei einer unverschuldeten Fristversäumung nachträglich den Bestand des Exequaturbeschlusses aufheben und doch noch die sofortige Beschwerde gem. § 55 Abs. 2 IRG einlegen. Gründe, die gegen eine solche sinngemäße Geltung des § 44 StPO für das gerichtliche Exequaturverfahren sprechen, bestehen nicht. Der bloße Schutz des Rechtshilfeverkehrs reicht nicht aus, um die Anwendung dieser Norm zu sperren. Wenn der Betroffene somit unverschuldet die Frist zur Beschwerde versäumt hat, kann er gem. § 77 Abs. 1 IRG i. V. m. § 44 StPO die Wiedereinsetzung beantragen. Ohne Verschulden handelt der Betroffene dann, wenn ihm aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse und Eigenschaften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände nicht möglich und zumutbar war, die Frist einzuhalten.315 Für den Verfahrensfehler der unerkannten Antrags- und Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen, die sich erst nach Überführung des Betroffenen auflöst, ist ein solches, fehlendes Verschulden zur Fristversäumung anzunehmen.316 Selbst etwaiges Verschulden seines Beistands kann ihm grundsätzlich nicht zugerechnet werden.317 Der mögliche Antrag des Betroffenen zur Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gem. § 77 Abs. 1 IRG i. V. m. § 44 StPO hätte somit die Konsequenz, dass die zunächst angenommene Rechtsgültigkeit der Exequaturentscheidung nicht mehr besteht und der Betroffene nach Überführung auf deutsches Territorium doch noch das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde erheben kann. Der Übernahmebeschluss wäre dann im Wege der Beschwerde nachträglich wegen Fehlens der wesentlichen Voraussetzung des Antrags nicht mehr als Vollstreckungsgegenstand geeignet. Die Vollstreckung müsste abgebrochen werden. 4. Außerordentlicher Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde Neben Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gem. § 77 Abs. 1 IRG i. V. m. § 44 StPO wegen der Rüge des unwirksamen Antrags ist auch an den außerordentlichen Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 lit.  a GG zu denken. Vor allem der historische Gesetzgeber von 1982 sah damals in der Verfassungsbeschwerde eine erhöhte Gefahr zum Abbruch der übernommenen Strafvollstreckung und verwehrte sich deshalb, die Vollstreckungsübernahmevorschriften zu erweitern.318 Dass die Gefahr des Abbruchs jedoch erst durch eine

315

Valerius, in: MüKO-StPO, § 44 Rn. 40. Auch gegen die Verfahrensfehler der nicht ordnungsgemäßen Belehrungen über die Rechtsmittelfrist (Valerius, in: MüKO-StPO, § 44 Rn. 45) oder die fehlende Gewährung des Kontakts zu seinem Beistand nach Antragstellung der Vollstreckungsübernahme in der auswärtigen Haft könnten etwa zu einem Antrag der Wiedereinsetzung gem. § 77 Abs. 1 IRG i. V. m. § 44 StPO führen. 317 Valerius, in: MüKO-StPO, § 44 Rn. 40, 56 f. 318 BT-Drs. 9/2137, S. 24. 316

D. Schutz des zukünftigen Rechtshilfeverkehrs 

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Verfassungsbeschwerde entstehen soll, ist zu kurzsichtig gedacht, wie im Folgenden kurz aufgezeigt werden soll. a) Rechtswegerschöpfung Bevor eine Verfassungsbeschwerde erhoben werden kann, ist der Rechtsweg vom Antragssteller vollumfänglich auszuschöpfen. Dies bedeutet, er muss jede gesetzlich normierte Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts in Anspruch genommen haben.319 Zum erschöpfenden Rechtsweg gehören vor allem die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel sowie Wiedereinsetzungsmöglichkeiten, zu dem auch die Anhörungsrüge zählt.320 Nicht zum erschöpfenden Rechtsweg zählen hingegen offensichtlich unzulässige Rechtsbehelfe321 oder Wiederaufnahmeanträge.322 Dies hat die Konsequenz, dass etwaige Verfahrensfehler im gerichtlichen Exequaturverfahren vom Betroffenen zwingend mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gem. § 55 Abs. 2 S. 1 IRG oder der Wiedereinsetzungsmöglichkeiten gem. § 77 Abs. 1 IRG i. V. m. § 44 StPO gerügt worden sein müssen, bevor Klage vor dem BVerfG erhoben werden kann. Im vorliegend zu diskutierenden Fall hat der Betroffene zunächst keine Rechtsbehelfe gegen die Exequaturentscheidung eingelegt, da nur dann die Übernahmeentscheidung in Rechtskraft erwachsen und eine Überführung des Betroffenen durchgeführt werden konnte. Wird die Unwirksamkeit des Antrags des Betroffenen oder der abgezwungene Antrag bekannt, so muss er vor Einlegung der Verfassungsbeschwerde das Verfahren nach § 77 Abs. 1 IRG i. V. m. § 44 StPO beantragen und zugleich die sofortige Beschwerde gem. § 55 Abs. 2 IRG i. V. m. § 311 StPO einlegen, § 77 Abs. 1 IRG i. V. m. § 45 Abs. 2 StPO. Erst, wenn dem gerügten Verfahrensfehler im Wege des jeweiligen Rechtsbehelfs nicht abgeholfen wird, ist der Rechtsweg ausgeschöpft und der Weg vor das Bundesverfassungsgericht eröffnet. Schon dieses komplexe, verfahrensrechtliche Vorgehen zeigt, dass die Verfassungsbeschwerde im Rahmen der Vollstreckungsübernahme nach § 49 Abs. 3 IRG sowie § 54a IRG nur selten erhoben werden kann. Vielmehr ist davon auszugehen, dass nachträglich auftretenden Verfahrensfehlern schon vorher im Wege der Wiedereinsetzung und der möglichen, „nachträglichen“ Beschwerde abgeholfen wird. Da der Gesetzgeber jedoch in der Gesetzesbegründung anordnet, dass eine Vollstreckung auch bei nachträglich bekanntwerdenden Willensmängeln des Antrags weitervollzogen werden soll, ist es nicht vollkommen ausgeschlossen,

319 BVerfGE 122, 190 (203); Walter, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 93 Rn. 371; Detterbeck, in: Sachs / ​Battis, GG Art. 94 Rn. 17. 320 BVerfGE 42, 242 (255 ff.); Walter, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 93 Rn. 372; Detterbeck, in: Sachs / ​Battis, GG Art. 94 Rn. 17. 321 Walter, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 93 Rn. 374 322 Detterbeck, in: Sachs / ​Battis, GG Art. 94 Rn. 17.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

dass Gerichte die Beschwerde als unbegründet ablehnen und die Vollstreckung aufrechterhalten. b) Eingeschränkte Prüfungskompetenz des BVerfG Wenn die Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 lit.  a GG nach Rechtswegerschöpfung erhoben werden kann, ist weiterhin zu beachten, dass das Verfassungsgericht keine „Superrevisionsinstanz“ darstellt. Bei Urteilsverfassungsbeschwerden prüft es daher nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts.323 Dies bedeutet, dass auch nur solche Fehler im Exequaturverfahren zur Aufhebung der Exequaturentscheidung durch das BVerfG führen können, die evident Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte verletzt haben. Insofern können nur solche Fehler zur Durchbrechung der Rechtskraft der Exequaturentscheidung führen, die spezifisches Verfassungsrecht verletzen. Eine solche Verletzung innerhalb einer gerichtlichen Entscheidung ist anzunehmen, wenn bei Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts durch das Exequaturgericht der Einfluss der Grundrechte grundlegend verkannt wurde; also das Exequaturgericht einschlägige Grundrechte entweder vollständig übersehen hat oder diese grundsätzlich falsch anwandte.324 Auch wenn die Entscheidung des Exequaturgerichts inhaltlich willkürlich ist oder die Grenze richterlicher Rechtsfortbildung überschreitet,325 liegt eine evidente Grundrechtsverletzung vor, die im Rahmen der Verfassungsbeschwerde die Verfassungswidrigkeit der gerichtlichen Entscheidung und somit des Eingriffs in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG aufzeigen würde.326 Bei potenziellen Verfahrensfehlern im Exequaturverfahren müssten diese folglich zugleich auch einen evidenten Grundrechtsverstoß beinhalten, um mit dem außerordentlichen Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde gerügt werden zu können. Bei dem Verfahrensfehler des unerkannt unwirksamen Antrags muss die Verletzung des spezifischen Verfassungsrechts jedoch wegen der engen Verbindung zu Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG angenommen werden.327 Dass der Verfahrensfehler des unerkannten unwirksamen Antrags somit nach Rechtsweg­ erschöpfung auch erfolgreich vor dem BVerfG gerügt werden könnte, erscheint somit denkbar.

323 BVerfGE 21, 209 (216); BVerfG, NJW 1964, 1715, 1716 (= BVerfGE 18, 85); Kingreen  / ​ Poscher, Grundrechte, Rn. 1343 f. 324 BVerfG, NJW 1994, 647 (= BVerfGE 89, 276 (285)); BVerfG, NZG 2011, 1262, 1266, Rn. 88 (= BVerfGE 129, 78). 325 Kingreen / ​Poscher, Grundrechte, Rn. 1348, 1354. 326 Siehe im Ganzen dazu Kingreen / ​Poscher, Grundrechte, Rn. 1340 ff. 327 Siehe zur Bedeutung des Antrags S. 131 f.

D. Schutz des zukünftigen Rechtshilfeverkehrs 

213

5. Zusammenfassung Es wurde anhand des unerkannt unwirksamen Antrags des Betroffenen sowie des möglichen Rechtsbehelfs der Wiedereinsetzung gem. § 77 Abs. 1 IRG i. V. m. § 44 StPO dargestellt, dass die Gefahr des Abbruchs der übernommenen Strafvollstreckung nicht lediglich eine theoretische, sondern eine faktische ist. Neben der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Fristversäumung gem. § 44 StPO ist auch der außerordentliche Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 lit. a GG möglich. Diese kann jedoch nur erhoben werden, wenn der Rechtsweg ausgeschöpft wurde. Dies bedeutet, dass der Betroffene erst vorrangig andere Rechtsbehelfe wie § 77 Abs. 1 i. V. m. § 44 StPO sowie die sofortige Beschwerde gem. § 55 Abs. 2 IRG i. V. m. § 311 StPO erhoben haben muss.

II. Rechtliche Möglichkeiten zum Schutz des Vertrauens des Urteilsstaates Auch wenn die Gefahr des Abbruchs der übernommenen Strafe durch die bestehende Rechtskraft der Exequaturentscheidung begrenzt ist, soll dennoch geklärt werden, ob es einen weitergehenden Schutz für das Vertrauen des Urteilsstaates sowie des zukünftigen Rechtshilfeverkehrs gibt. Aus dem Willen des Gesetzgebers ist erkennbar, dass dieser sich einen vollständigen Schutz der auswärtigen Beziehung wünscht.328 Wird die Vollstreckung des übernommenen Urteils jedoch von dem Betroffenen erfolgreich angefochten, muss der Exequaturbeschluss aufgehoben werden, sodass der Vollstreckung die Vollstreckungsgrundlage fehlen würde. Ein Absehen von der grundsätzlichen Pflicht329 zur Aufhebung einer staatlichen Entscheidung nach § 95 Abs. 2 BVerfGG durch das BVerfG ist zwar in engen Ausnahmefällen möglich,330 doch kommt ein solcher Ausnahmefall bei der (Ausnahme-)Vollstreckungsübernahme nicht in Betracht. Die Stellung des Art. 1 Abs. 1 GG in der deutschen Verfassung331 und der Schutz der Subjektqualität sind in dem Fall nicht abwägungsfähig. Jedoch könnten andere Optionen das Vertrauen des Urteilsstaates schützen: Die Durchführung eines eigenen Strafverfahrens wegen der Tat im Ausland und die Vereinbarung der Rücklieferung bei Abbruch der Haft vor vereinbartem Strafende.

328

BT-Drs. 18/4347, S. 94. Hömig, in: Maunz / ​Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG § 95 Rn. 21. 330 Hömig, in: Maunz / ​Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG § 95 Rn. 22; BVerfG, NJW 1994, 1053, 1055 (= BVerfGE 89, 381). 331 Herdegen, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 1 I, Rn. 1 ff. 329

214

Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

1. Durchführung eines eigenen Strafverfahrens Ein Vertrauensbruch zum Urteilsstaat könnte jedoch verhindert werden, wenn das auswärtige Urteil die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 3a IRG sowie § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG erfüllt. In diesen Fällen könnte die Bundesrepublik Deutschland gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB im Wege der stellvertretenden Strafrechtspflege selbst ein Strafverfahren führen und eine eigene Strafe für die im Ausland begangene Tat aussprechen.332 Freilich wird dies meist und insbesondere bei abgebrochenen Vollstreckungen einer Strafe, die gem. § 54a IRG übernommen wurde, nicht das volle Strafbedürfnis des Urteilsstaates befriedigen. Doch könnte durch ein eigenes Strafverfahren zumindest ein Teil des Vertrauens des Urteilsstaates gewahrt und der Schaden des Abbruchs der Vollstreckung des auswärtigen Urteils begrenzt werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Möglichkeit eines eigenen Strafverfahrens in den Fällen einer Vollstreckungsübernahme über die Ausnahmeverfahren nur selten gegeben sein wird. Auch die Tatsache, dass das gegebenenfalls hohe Strafmaß der ursprünglichen Strafe nach deutschem Recht nicht eingehalten werden könnte, wenn die Vollstreckungsübernahme zusätzlich über § 54a IRG geleistet wurde, kann den Vertrauensbruch bei sehr empfindlichen auswärtigen Staaten nicht zwingend verhindern. 2. Vereinbarung der Rücküberführung in den Urteilsstaat Vorzugswürdiger erscheint zum Schutz des Vertrauens des Urteilsstaates und auch der Würde des Betroffenen eine vorausschauende Vereinbarung der Staaten, dass im Falle eines vorzeitigen, vertragswidrigen Abbruchs der Strafvollstreckung der Betroffene in den ursprünglichen Urteilsstaat zurücküberführt wird. Sowohl der BGH als auch das BVerfG entschieden im Fall der Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen in die Bundesrepublik Deutschland, dass Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG kein Verbot der Rücküberführung darstellt, wenn vor Auslieferung die anschließende Rückführung in den vorher ausliefernden Staat vereinbart wurde.333 Im Falle einer Auslieferung mit anschließender Rücküberführung erlangt die Bundesrepublik Deutschland von Anfang an keine uneingeschränkte Gewalt über den Verfolgten; vielmehr tritt der auszuliefernde Staat nur einen Teil seiner Gewalt und dies auch nur auf Zeit ab.334 Die Rücküberführung stellt somit nur den Zustand wieder her, den der zunächst ausliefernde Staat freiwillig zugunsten der Bundesrepublik Deutschland kurzzeitig aufgab. Wenn Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG

332

Zu § 7 Abs. 2 StGB siehe Böse, in: NK-StGB, § 7 Rn. 11 f. BGH, NJW 1954, 1050, 1051 ff. (= BGHSt 5, 396); BVerfG, NJW 1970, 2205, 2205 ff. (= BVerfGE 29, 183); siehe dazu auch Randelzhofer, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 16 II S. 1 Rn. 10 ff. 334 BGH, NJW 1954, 1050, 1051 (= BGHSt 5, 396). 333

D. Schutz des zukünftigen Rechtshilfeverkehrs 

215

schon einer Rücklieferung nach vorläufiger Auslieferung nicht entgegensteht, so könnte auch im Falle der Vollstreckungsübernahme die vereinbarte Rücklieferung bei frühzeitigem Abbruch der Haft möglich sein. Denn hier gibt der Urteilsstaat erst recht nicht jegliche Hoheitsgewalt über den Betroffenen ab, wünscht er doch gerade die vollständige Vollstreckung seines Urteils. Problematisch an einer Rücküberführung des Betroffenen in den Urteilsstaat könnten jedoch die unmenschlichen Bedingungen in auswärtiger Haft sein, die ein Rechtshilfehindernis zum Schutz der Grundrechte des Betroffenen darstellen könnten.335 Die Bundesrepublik Deutschland muss für den Fall des nachträglichen Abbruchs den Urteilsstaat daher verpflichten, bei Rücküberführung den Betroffenen in besseren Haftbedingungen unterzubringen. Dieses Versprechen eines fremden Staates ist im Bereich der Auslieferung durchaus anerkannt, um das Rechtshindernis der menschenwidrigen Unterbringung zu umgehen.336 Ob der Urteilsstaat sich jedoch auf ein solches verbindliches Versprechen einlässt, wird im Einzelfall zu bewerten sein. Jedenfalls kann eine solche Vereinbarung der Rücküberführung des Betroffenen zumindest vorausschauend den Rechtshilfeverkehr und das Vertrauen des Urteilsstaates im Einzelfall schützen. Die Vereinbarung der möglichen Rücküberführung bei vorzeitigem, ungeplantem Abbruch der übernommenen Strafvollstreckung brächte auch den Vorteil, dass der Betroffene nicht die Möglichkeit bekäme, einen Verfahrensfehler zu seinen Gunsten auszunutzen. Denn durch die verbindliche, mögliche Rücküberführung wäre für ihn mit der Anfechtung seines Antrags die vielleicht nicht gewollte Konsequenz verbunden, zurück in den Urteilsstaat verbracht zu werden. Er hätte hierdurch einen Grund, einen neuen, wirksamen Antrag zu stellen und so die Rücküberführung zu verhindern. Ob er anschließend überhaupt einen rechtskraftdurchbrechenden Rechtsbehelf einlegen würde, sei dahingestellt. 3. Zusammenfassung Der Bundesrepublik Deutschland stehen zwei Möglichkeiten offen, um einen nachträglichen Abbruch der versprochenen Haft zu verhindern und somit das Vertrauen des Urteilsstaates weitgehend zu schützen. So kann in bestimmten Fällen ein eigenes Strafverfahren durchgeführt werden, um zumindest einen Teil des Strafbedürfnisses des Urteilsstaates zu befriedigen. Bei empfindlichen Urteilsstaaten kann das wahrscheinlich niedrigere Strafmaß durch ein deutsches Ge-

335 OLG Köln, Beschluss v. 1. Februar 2017, Az. 6 AuslA 70/16; OLG München, Beschluss v. 14. Dezember 2015, Az. 1 AR 392/15; OLG Hamm, Beschluss v. 30. Dezember 2017, Az. 2 Ausl. 81/17. 336 Siehe etwa OLG Karlsruhe, Beschluss v. 25. Februar 2016, Az. AK 4/16–6 Ausl A 8/16, Rn. 7; OLG München, Beschluss v. 14. Dezember 2015, Az. 1 AR 392/15, Rn. 5; OLG Nürnberg, Beschluss v. 14. März 2018, Az. 1 Ausl AR 44/17, Rn. 10.

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

richt jedoch nur bedingt das Vertrauen schützen. Vorzugswürdig ist daher eine vorausschauende Vereinbarung der Bundesrepublik Deutschland mit dem Urteilsstaat, den Betroffenen bei vorzeitigem, ungeplantem Abbruch der Vollstreckung in den Urteilsstaat zurück zu überführen. Damit das Auslieferungs-/Rücküberführungshindernis aus § 73 S. 1 IRG sowie Art. 3 EMRK dem jedoch nicht entgegensteht, müsste die Bundesrepublik Deutschland mit dem Urteilsstaat vereinbaren, dass der Verurteilte bei Rücküberführung in besseren Haftbedingungen unterkommt.

III. Zwischenergebnis Auch nach Rechtskraft der Exequaturentscheidung können dem Betroffenen Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen, mit denen er etwaige Verfahrensfehler nachträglich rügen kann. Vorliegend wurde dies am Beispiel des unwirksamen Antrags des Betroffenen dargestellt. Durch die mögliche Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gem. § 77 Abs. 1 IRG i. V. m. § 44 StPO kann der Zeitpunkt des Rechtskrafteintritts auch nach Überführung des Betroffenen noch nach hinten verlagert werden. Dadurch kann der Betroffene den Beschluss mit der sofortigen Beschwerde gem. § 55 Abs. 2 IRG i. V. m. § 311 StPO auch nach Überführung angreifen. Da der Betroffene im Inland keinen erneuten Antrag stellen wird, könnte kein neuer Exequaturbeschluss ergehen, sodass die Vollstreckung abgebrochen werden müsste. Die Gefahr des nachträglichen Abbruchs der übernommenen Strafhaft ist somit nicht nur eine theoretische, sondern eine tatsächliche. Um die Gefahr des nachträglichen Abbruchs der übernommenen Strafhaft so gering wie möglich zu halten, könnte die Bundesrepublik Deutschland vorausschauend mit dem Urteilsstaat eine Rücküberführung des Betroffenen vereinbaren, wenn die Strafvollstreckung unplanmäßig frühzeitig abgebrochen werden muss.

E. Ergebnis Mit Ausnahme von § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG dient keine der Regelungen des allgemeinen Verfahrens aus § 49 Abs. 1, 2, § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 und § 57 Abs. 2 IRG dem ausschließlichen Schutz des innerstaatlichen ordre public. Ein Verzicht auf diese ist daher im Rahmen von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG grundsätzlich möglich. Lediglich in Einzelfällen verhindern die allgemeinen Voraussetzungen einen Verstoß gegen wesentliche, unabdingbare Prinzipien der deutschen Rechtsordnung. Diese Fälle können auch in den Ausnahmeverfahren nicht zur Vollstreckung übernommen werden. Um einen Vertrauensabbruch zum Urteilsstaat wegen nachträglichem, unplanmäßigen Abbruch der Vollstreckung zu verhindern, sollte die Bundesrepublik Deutschland vorausschauend mit dem Urteilsstaat eine Rücküberführung des Betroffenen vereinbaren.

E. Ergebnis 

217

Eine Vollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 und Abs. 2 IRG ist in folgenden Fällen zwingend abzulehnen: – Verstoß des Urteils gegen elementare Garantien der EMRK wie die Rechtsweggarantie, die Garantie des gesetzlichen Richters oder das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 6 EMRK und auch die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK (im Allgemeinverfahren vorgebeugt durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG)337 – Ahndung einer Handlung, die in der Bundesrepublik Deutschland soweit unter grundrechtlichem Schutz steht, dass diese im Inland nicht unter ein Verbot gestellt werden könnte (im Allgemeinverfahren vorgebeugt durch § 49 Abs. 1 Nr. 3 lit. a IRG)338 – In Deutschland schon ergangener Freispruch hinsichtlich derselben im Ausland abgeurteilten Tat als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip (im Allgemeinverfahren vorgebeugt durch § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG)339 – In Deutschland schon erfolgte Vollstreckung derselben im Ausland abgeurteilten Tat als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3  GG, Art. 4 7.  ZP-EMRK (im Allgemeinverfahren vorgebeugt durch § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG)340 – Erheblich langer Zeitraum zwischen Urteil und Vollstreckung als Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (im Allgemeinverfahren vorgebeugt durch § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG)341 – Unverhältnismäßig hohe Strafe als Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrund­ satz (im Allgemeinverfahren vorgebeugt durch § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 3 IRG)342 – Bedingung des Urteilsstaats der vollen Verbüßung der lebenslangen Freiheitsstrafe oder der vollen Verbüßung einer zeitigen Freiheitsstrafe, die das Maß von 25 Jahren überschreitet, ohne die Möglichkeit des Rückgriffs auf das auswärtige Strafaussetzungssystem, als Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip sowie das Schuldprinzip (im Allgemeinverfahren vorgebeugt durch § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a StGB)343 – Die Vollstreckungsübernahme einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder einer zeitigen Freiheitsstrafe über 25 Jahre gem. § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRG, ohne die Möglichkeit des Rückgriffs auf das auswärtige Strafaussetzungssystem sowie ohne die Gefahr der willkürlichen und wiederholten Ablehnung zur Reststrafenaussetzung zu sichern, als Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip

337

Siehe S. 155 ff. Siehe S. 167 ff. 339 Siehe S. 171 f. 340 Siehe S. 172 f. 341 Siehe S. 173 ff. 342 Siehe S. 183 f. 343 Siehe S. 195 ff. 338

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Kap. 3: Die Anwendung von § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG 

sowie das Schuldprinzip (im Allgemeinverfahren vorgebeugt durch § 57 Abs. 2 IRG i. V. m. § 57a StGB)344 – Die Übernahme von Strafen, die das deutsche Recht nicht kennt, ist über § 43 Abs. 4 IRG weiterhin ausgeschlossen. Die aufgeführten Fälle machen zugleich deutlich, dass die Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme nicht jedem deutschen Staatsangehörigen, der in auswärtiger Haft unbilligenden Härten ausgesetzt ist, abgeholfen werden kann. Ganz im Gegenteil bleiben durch die absolute Rechtsgrenze des § 73 S. 1 IRG gerade solche Härtefälle bestehen, in denen das Rechtsempfinden verstärkt eine Rettung des Betroffenen aus der auswärtigen Haft fordert. Denn weiterhin bestehende Härtefälle sind nur solche, in denen der Betroffene zu Unrecht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde und im Ausland unschuldig schwerwiegende Grundrechtseingriffe in Haft erdulden muss. Dies führt zwar zu dem unglücklichen Ergebnis, dass diejenigen, die wegen einer strafrechtlichen Verfehlung im auswärtigen Staat „zu Recht“ in ihrem Freiheitsgrundrecht beschränkt werden, einen besseren Schutz für ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit erhalten, als diejenigen, die nach deutschem Verständnis zu Unrecht im auswärtigen Staat verurteilt wurden; doch ist die Übernahme einer Strafe, die bewusst gegen fundamentale, staatliche Rechtsprinzipien und vor allem gegen das Schuldprinzip verstößt, nicht möglich. Zu bedenken ist zudem, dass den Betroffenen nicht gänzlich der Schutz verwehrt wird. Der deutsche Staat wird vielmehr versuchen, andere Schutzmaßnahmen zur Rettung des Unschuldigen aus der auswärtigen Haft zu ergreifen.345

344 345

Siehe S. 199 ff. Siehe dazu S. 255 ff.

4. Kapitel

Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme Nachdem die Legitimität und der Umfang der Ausnahmeregelungen des § 49 Abs. 3 IRG und § 54a Abs. 1, Abs. 2 IRG dargestellt wurden, wird nun der Fokus auf die Rechte des Betroffenen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland gelegt. Es soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, ob der Einzelne ein subjektives Recht auf Vollstreckungsübernahme zum Schutz seiner Rechte hat. Wenngleich vorliegend ausschließlich Auslandssachverhalte von Interesse sind, wird vor der Untersuchung des Anspruchs des Betroffenen die allgemeine Schutzpflichtdogmatik vorgestellt. Nur so können die Grundlagen und Probleme der besonderen Schutzpflicht des Staates und der etwaige Anspruch des Einzelnen auf Schutz vor Eingriffen auswärtiger Staaten nachvollzogen werden.

A. Allgemeine Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland Schutzpflichten des Staates gegenüber den Bürgern sind seit jeher ein eher umstrittenes Thema. Insbesondere die dogmatische Herleitung solcher staatlichen Schutzaufträge gestaltet sich schwierig und erfolgt daher oftmals unterschiedlich. Mittlerweile ist weitgehend anerkannt, dass der Auftrag des Staates, die Rechtspositionen seiner Bürger zu schützen, primär aus den Grundrechten hergeleitet wird, zumal diese den weitesten Schutzauftrag des Staates für seine Bürger begründen.1 Um einen Überblick über die allgemeinen Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland geben zu können,2 wird zwischen innerstaatlichem Recht und völkerrechtlichen Abkommen unterschieden, wobei nur auf die für die Bun 1

Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 21; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 46 f.; Eilers / ​Heintzen, RIW 1986, 619, 621; der Grundgedanke des Schutzauftrages des Staates geht bis auf die bekannten Staatsphilosophen Jean Bodin und Thomas Hobbes zurück, siehe Hobbes, Leviathan (dt. Übers.); ders., De Cive; siehe dazu vertiefend Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 3 ff.; ders., in: HStR IX, § 191 Rn. 181; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 21 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 148 ff.; Calliess, ZRP 2002, 1, 2 f.; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 77 f. m. w. N. 2 Für eine ausführliche Darstellung von Schutzpflichten sei auf Schriften verwiesen, die sich ausschließlich mit dieser Thematik befassen, siehe etwa Streuer, Die positiven Verpflichtungen; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten; Murswiek, Staatliche Verantwortung.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

desrepublik Deutschland wichtigsten Menschenrechtsquellen eingegangen wird (EMRK, IPbpR und UN-Antifolterkonvention).

I. Allgemeine Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland aus dem innerstaatlichen Recht Die Pflicht des Staates, sich schützend vor seine Bürger zu stellen, war lange Zeit in der verfassungsrechtlichen Diskussion in „Vergessenheit“ geraten. Die Erfahrungen mit dem übermächtigen Staat in der Zeit des Nationalsozialismus ließen nach 1945 vor allem die abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte in den Fokus der rechtlichen Auseinandersetzung rücken.3 Dass allgemeine Schutzpflichten eines Rechtsstaats existieren, ist jedoch zwischenzeitlich unstrittig anerkannt.4 Lediglich die dogmatischen Begründungen fallen diesbezüglich teilweise noch unterschiedlich aus. Neben der Herleitung aus den Grundrechten werden staatliche Schutzpflichten etwa auch ideengeschichtlich5 oder aus dem Sozialstaatsprinzip6 sowie dem Rechtsstaatsprinzip7 begründet.8 Vorliegend soll jedoch nur auf die bedeutendste Herleitung aus den Grundrechten und den Umfang der grundrechtlichen Schutzpflicht eingegangen werden.

3 Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 3; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 75; Hesse, EuGRZ 1978, 427, 430; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 35; Dreier, Dimension der Grundrechte, S. 32 f. 4 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 1 ff.; ders., Grundrecht auf Sicherheit, S. 33; Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 1; Klein, Diplomatischer Schutz in Hinblick auf Konfiskationen, S. 36; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 1; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 58 ff.; Hesse, in: Däubler-Gmelin / ​Mahrenholz (Hrsg.), FS Mahrenholz, S. 544 f.; Pietrzak, JuS 1994, 748, 748; Hain, DVBl. 1993, 982, 982; Calliess, Rechtsstaat und Umweltrecht, S. 313. 5 Vgl. Hobbes, Leviathan (dt. Übers.), S. 151 ff.; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, Rn. 21 ff.; ausführliche Untersuchungen der Staatstheorie von Hobbes siehe Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 3 ff.; ders., in: HStR IX, § 191 Rn. 181; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 151 ff.; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 24; Stern, Staatsrecht III/1, S. 932. 6 So etwa in der Rspr. in BVerfG, Lüth-Urteil, NJW 1958, 257 (= BVerfGE 7, 198 ff.); BVerfG, NJW 1952, 297 (= BVerfGE 1, 97 (105)); BVerfG, Waisenrente, NJW 1975, 1691 (= BVerfGE 40, 121 ff.); BVerfG, Numerus clausus, NJW 1972, 156 (= BVerfGE 33, 303 (332)); aber auch in der Lit. wie etwa Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 80 f.; Classen, JöR 1987, 29, 32; Lang-Hinrichsen, FamRZ 1974, 497, 504; Scholz, JuS 1975, 232, 234 f.; distanzierend aber Friauf, DVBl. 1971, 674, 677 f.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 129 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 44 f. 7 So Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 133 m. w. N.; zumindest andeutend Calliess, Rechtsstaat und Umweltrecht, S. 441 f. 8 Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 37 und Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 83 ff., die jedoch in der Literatur nur zwei große Strömungen zusammenfassen; siehe zur ausführlichen dogmatischen Herleitung auch Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten.

A. Allgemeine Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland  

221

1. Herleitung aus den Grundrechten Obwohl das Grundgesetz historisch bedingt nach seinem Wortlaut her vermehrt die Wahrung der Freiheit vor dem Staat zu sichern scheint9 und auch die meisten Grundrechte vornehmlich auf Abwehr, Bändigung und Kontrolle der Staatsgewalt ausgerichtet sind,10 werden die Grundrechte vornehmlich für die dogmatische Begründung der staatlichen Schutzpflichten herangezogen. Diese Herleitung kann auf mehrere, bahnbrechende Entscheidungen des BVerfG zurückgeführt werden,11 die seither auch von der Literatur wiederkehrend aufgenommen und diskutiert wurden.12 a) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Als wichtigstes Urteil des BVerfG zu den grundrechtlichen Schutzpflichten wird zumeist das sog. Fristenlösungs-Urteil13 genannt.14 In diesem wurde erstmals unzweifelhaft und ausdrücklich eine umfassende Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben aus den Grundrechten ausgesprochen, das notfalls sogar mit Mitteln des Strafrechts zu schützen ist.15 An dieses Fristenlösungs-Urteil schlossen sich weitere Entscheidungen des BVerfG an, welche die allgemeine 9

Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 27. A. a. O. 11 Vgl. etwa BVerfG, NJW 1975, 573 ff. (= BVerfGE 39, 1); BVerfG, NJW 1977, 2255 (= BVerfGE, 46, 160 (164)); BVerfG, NJW 1979, 359 (= BVerfGE 49, 89 (141)); BVerfG, NJW 1980, 759 ff. (= BVerfGE 53, 30); BVerfG, Fluglärm, NJW 1981, 1655 (= BVerfGE 56, 54 (7)); so einschätzend auch Klein, NJW 1989, 1633, 1634; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 69; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 29; Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 5. 12 Siehe dazu etwa Klein, NJW 1989, 1633, 1634; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 69 ff.; Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 29 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 43 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 47 ff.; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 92 ff.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 27 f.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 129 ff.; Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 98 ff.; zusammenfassend siehe Rottenwallner, ZÖR 2017, 469, 484 f. 13 BVerfG, NJW 1975, 573 (= BVerfGE, 39, 1 (41 f.)). 14 Sogar als „juristischen Paukenschlag“ bezeichnet bei Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 27; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 43; Klein, NJW 1989, 1633, 1634; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 92; Classen, JöR 1987, 29, 47; tatsächlich jedoch auch schon in früheren Entscheidungen des BVerfG anerkannt: BVerfG, Fürsorge-Entscheidung, NJW 1952, 297 (= BVerfGE 1, 97 (104)); BVerfG, Hebammen-Beschluss, NJW 1959, 1579 (= BVerfGE 9, 338 (347)); BVerfG, NJW 1973, 1176 (= BVerfGE 35, 79 (114)), siehe dazu u. a. näher Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 130 f.; Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 29 f. 15 BVerfG, NJW 1975, 576 (= BVerfGE 39, 1); so auch Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 30; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 27 f.; Böckenförde, Der Staat 1990, 1, 12 f.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 48. 10

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

Schutzpflichtenlehre weiter bestätigten.16 Dabei wurde die Begründung der Schutzpflicht vom BVerfG zwar als hinreichend geklärt beschrieben,17 doch scheint sich das BVerfG in seinen Urteilen nicht immer auf dieselbe Herleitung grundrechtlicher Schutzpflichten zu stützen. So finden sich Urteile, in denen das BVerfG die positive Staatsverpflichtung aus dem sog. „objektiv-rechtlichen Gehalt“ der Grundrechte zieht, also aus dem jeweilig gefährdeten Grundrecht selbst eine Schutzpflicht ableitet.18 In anderen Urteilen dagegen stützt es sich zusätzlich auf die Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG,19 die sich auf alle Grundrechte, die Würdeschutz beinhalten, erstrecken soll.20 Der teilweise zusätzliche Verweis auf Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG kann jedoch mehr als argumentative Stütze betrachtet werden.21 So stellte das BVerfG schon im ausschlaggebenden Fristenlösungs-Urteil ausdrücklich fest, dass die Pflicht des Staates, jedes menschliche Leben zu schützen, sich bereits unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ableiten lässt und sich „darüber hinaus auch aus der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG“22 ergibt.23 Sobald ein Grundrecht Würdeschutz umfasst, kann die Schutzpflicht daher auf das Grundrecht selbst und zusätzlich auf die ausdrückliche Schutzpflicht des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG gestützt werden. Eine Unterscheidung einer strengeren und einer großzügigeren Auffassung der Senate des BVerfG zu den grundrechtlichen Schutzpflichten ist dagegen nicht notwendig.24 Vielmehr kommt einer Schutzpflicht, die zusätzlich auf den Schutz der Menschenwürde zurückgeführt werden kann, lediglich ein höheres Schutzmaß zu, als einer, die ausschließlich auf dem Grundrecht beruht.25

16 BVerfG, Schleyer-Urteil, NJW 1977, 2255 (= BVerfGE 46, 160 ff.); BVerfG, Kalkar-­ Beschluss, NJW 1979, 359 (= BVerfGE 49, 89 ff.); BVerfG, Mühlheim-Kärlich-Beschluss, NJW 1980, 759 ff. (= BVerfGE 53, 30); BVerfG, NJW 1981, 1655 (= BVerfGE 56, 54). 17 So etwa in BVerfG, NJW 1996, 651; vgl. auch Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 80. 18 BVerfG, NJW 1952, 1407 (= BVerfGE 2, 1 (12)); BVerfG, NJW 1957, 297 (= BVerfGE 6, 32 (40)); Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 80 f.; Klein, NJW 1989, 1633, 1635. 19 BVerfG, NJW 1975, 573 ff. (= BVerfGE 39, 1); BVerfG, NJW 1977, 2255 (= BVerfGE 46, 160 ff.); Klein, NJW 1989, 1633, 1635; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 80; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 63. 20 S.a. Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 72 f., 74; Merten, in: Stern / ​Grupp (Hrsg.), GS Burmeister, S. 233; Klein, DVBl. 1994, 489, 492; Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 5; ders., Rechtsstaat und Umweltrecht, S. 313. 21 So auch Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 131; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 82; Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 35 f. 22 BVerfG, NJW 1975, 573 ff. (= BVerfGE 39, 1). 23 Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 62; andere Urteile des BVerfG nehmen auf diese Passage auch immer wieder Bezug siehe BVerfG, NJW 1977, 2255 (= BVerfGE 46, 160 ff.); BVerfG, NJW 1980, 759, 761 (= BVerfGE 53, 30); BVerfG, NJW 1981, 1655, 1656 (= BVerfGE 56, 54); BVerfG, NJW 1988, 1651, 1653 (= BVerfGE 77, 170). 24 Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 63. 25 BVerfG, NJW 1975, 573 ff. (= BVerfGE 39, 1); Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 44.

A. Allgemeine Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland  

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So sind Grundrechte vorgeschriebene Werte, für die nicht nur ein Verbot des Eingriffs besteht, sondern welche ebenso darüberhinausgehende Menschenrechte und Grundfreiheiten verkörpern, die es als „wertentscheidende Grundsatznormen“26 auch zu schützen gilt.27 Die meisten wesentlichen Urteile des BVerfG zu den grundrechtlichen Schutzpflichten beziehen sich auf den Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit.28 Neben der Schutzpflicht für das menschliche Leben hat das BVerfG aber weitere Schutzpflichten festgestellt, wie etwa die Schutzpflichten für die Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG,29 für das Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG30 oder auch für die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre aus Art. 5 Abs. 3 GG31.32 b) Ansicht der Literatur Eine große Mehrheit des Schrifttums ist der Rechtsprechung des BVerfG nach anfänglicher Zurückhaltung gefolgt.33 Dennoch ist die Herleitung des BVerfG nicht vollumfänglich auf Zustimmung gestoßen. Kritisiert wurde vor allem der unbestimmte Begriff des „objektiv-rechtlichen Gehalts“ der Grundrechte,34 der jedoch im Laufe der Jahre von der Literatur immer mehr aufgegriffen und die inhaltliche Bedeutung des Begriffs herausgearbeitet wurde.35 So ergibt sich der objektive Gehalt einer grundrechtlichen Norm durch die Reduktion des abwehrrechtlichen Gehaltes. Wird die abwehrrechtliche Funktion des Grundrechts abstra 26

BVerfG, NJW 1973, 1176 (= BVerfGE 35, 79). Siehe dazu auch Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 80 f. 28 Vgl. bspw. BVerfG, NJW 1975, 573 ff. (= BVerfGE 39, 1 (42)); Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 131; Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 5. 29 BVerfG, NJW 1979, 305 (= BVerfGE, 49, 304 (323)); Schwabe, DVBl. 1979, 667, 667 f.; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 59. 30 BVerfG, NJW 1973, 1226, 1230 (= BVerfGE 35, 202 (221, 233)). 31 BVerfG, NJW 1973, 1176 (= BVerfGE 35, 79 (114, 166)); BVerfG, NJW 1977, 1049 (= BVerfGE 43, 242 (267 f.)); BVerfG, NJW 1978, 1621 (= BVerfGE 47, 327 (386)); BVerfGE 51, 369, 378. 32 Siehe zu den einzelnen Schutzpflichten ausführlicher Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 57 ff. 33 Vgl. dazu Dreier, Dimension der Grundrechte, 10 ff., 63; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 33; Schmidt-Aßmann, AöR 1981, 205, 215 ff.; Hesse, EuGRZ 1978, 427, 432 f.; ders., in: Däubler-Gmelin / ​Mahrenholz (Hrsg.), FS Mahrenholz, S. 544 f.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 890 ff.; Klein, NJW 1989, 1633, 1635 f.; ders., diplomatischer Schutz in Hinblick auf Konfiskationen, S. 37; Merten, in: Stern / ​Grupp (Hrsg.), GS Burmeister, S. 232 f.; Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 8; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 280; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 60 f.; Canaris, AcP 1984, 202, 225; Pietrzak, JuS 1994, 748, 749; Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 100 f.; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 87; ähnl. Rottenwallner, ZÖR 2017, 469, 477. 34 Siehe zur Kritik am BVerfG Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 8; Alexy, Der Staat 1990, 49, 51 f. 35 Vgl. Dreier, Dimension der Grundrechte, S. 12 ff.; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 88; Stern, Staatsrecht III/1, S. 945. 27

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

hiert, so bleibt das durch die Verfassung unter Schutz gestellte Rechtsgut. Dieses verbleibende Rechtsgut zeigt die Grund- und Wertentscheidung des Verfassungsgebers, dass dieses Rechtsgut verfassungsrechtlich zu schützen ist.36 Aus der etwas uneinheitlichen Argumentation des BVerfG37 wurde jedoch auch ein strengerer Ansatz entwickelt, der die Schutzpflicht aus dem Menschenwürdekern aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG ableitet.38 Dieser Ansatz zieht die Schutzpflichtdogmatik jedoch zu eng und ist vor allem mit der Schwierigkeit verbunden, dass der Würdekern eines jeden Grundrechts nur schwerlich genau herausgearbeitet werden kann.39 Auch sollte der schon festgesetzte Regelungsgehalt der einzelnen Grundrechte Maßstab für die Reichweite der Schutzfunktion sein, sodass nur bei etwaigen Schutzlücken auf die Menschenwürde oder den „Menschenwürdekern“ zurückgegriffen werden muss.40 Absolut gegensätzlich zur Rechtsprechung des BVerfG und der Mehrheit der Literatur ist der auf Schwabe41 und Murswiek42 zurückgehende abwehrrechtliche Ansatz.43 Diese sehen die klassische Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte für die Begründung der Schutzpflicht des Staates als ausreichend an. Unabhängig davon, dass der abwehrrechtliche Ansatz weitgehend kritisiert und abgelehnt wurde,44 versagt er ohnehin für die hier infrage stehenden Sachverhalte.45 36

Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 88, 92 f.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 906 ff., 918 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 52 f.; sehr theoretisch aber im Kern der Sache zustimmend Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 125 ff. 37 Siehe Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 70 ff. 38 Dazu Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 70 ff.; bestätigend Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 94 ff.; ähnl. Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 23; Klein, DVBl. 1994, 489, 492 f.; Canaris, AcP 1984, 202, 226, der ersatzweise auf die Begründung auf Art. 1 GG verweist; kurz andeutend Classen, JöR 1987, 29, 38 f.; zusammenfassend Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 42; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 89 m. w. N. 39 So Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 43. 40 Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 44; ähnl. auch Calliess, Rechtsstaat und Umweltrecht, S. 440. 41 Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 213 ff.; ders., NVwZ 1983, 523, 523 ff.; ders., DVBl. 1979, 667. 42 Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 63 ff.; ders., WiVerw 1986, 179, 179 ff. 43 So auch Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 36 f. und Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 86 f. 44 Stern, Staatsrecht III/1, S. 947 f.; Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 14; Pietrzak, JuS 1994, 748, 749; Fluck, UPR 1990, 81, 83; andeutend Classen, JöR 1987, 29, 36; zusammenfassend dazu siehe etwa Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 46 ff.; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 86 f.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 38 ff. m. w. N. 45 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 128; Pietrzak, JuS 1994, 748, 749; Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 99; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 86; angedeutet bei Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 404 ff., der diesen Ansatz deswegen nur auf die inländischen Fälle beschränkt; selbst Schwabe erkennt, dass der abwehrrechtliche Ansatz nicht stets Schutzpflichten begründen kann, siehe ders., Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 219 ff.

A. Allgemeine Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland  

225

Vor allem aber ist an dieser Argumentation zu kritisieren, dass diese auf einem Zirkelschluss beruht.46 c) Zusammenfassung Die Rechtsprechung und der Großteil der Literatur begründen die allgemeinen Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Rechtspositionen auf den Grundrechten. Diese sind zwar zumeist als Abwehrrechte ausgestaltet, doch zeigt der objektiv-Gehalt der Grundrechte, dass das einzelne Recht durch die Verfassung unter Schutz gestellt wird. 2. Umfang der Schutzpflicht und Kontrolldichte des BVerfG Das BVerfG stellte zum Umfang der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht fest, dass dieser vor allem von der Bedeutung des betroffenen Rechtsgutes und dem Grad der Gefährdung abhängt.47 Dabei hat nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung nur der Gesetzgeber die Kompetenz zu entscheiden, welche Schutzmaßnahme für einen ausreichenden Grundrechtsschutz geboten ist.48 Aufgrund der schwierigen Thematik hat er einen weiten Gestaltungsspielraum, bei dem er ein geeignetes Verhältnis zwischen dem wirksamen Schutz des Einzelnen und der Einschränkung der Rechte Dritter finden muss.49 Selbst die Gefährdung oder gar 46

Stern, Staatsrecht III/1, S. 947; Pietrzak, JuS 1994, 748, 749; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 87; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 417 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 97; Jarass, AöR 1995, 345, 351 f.; Klein, NJW 1989, 1633, 1639; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 129; Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 47; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 39. 47 BVerfG, NJW 1975, 573, 575 (= BVerfGE 39, 1); ähnl. auch BVerfG, NJW 1977, 2255 (= BVerfGE 46, 160 ff.); BVerfG, NJW 1978, 2235 (= BVerfGE, 49, 24 (53)); BVerfG, NJW 1979, 359 (= BVerfGE 49, 89 (42)); BVerfGE 56, 54, 80; Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 25; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 49; Classen, JöR 1987, 29, 44 f. 48 BVerfG, NJW 1975, 573, 583 (= BVerfGE 39, 1); BVerfG, NJW 1977, 2255 (= BVerfGE 46, 160 ff.); BVerfG, NJW 1981, 1655, 1658 (= BVerfGE 56, 54); BVerfG, NVwZ 1997, 54, 55; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 50; Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 80 f. 49 Vgl. BVerfG, NJW 1981, 1655, 1657 (= BVerfGE 56, 54); BVerfG, NJW 1983, 2929, 2932 (= BVerfGE 65, 76); BVerfG, NJW 1987, 2287; BVerfG, NJW 1988, 1651, 1653 (= BVerfGE 77, 170); BVerfG, NJW 1996, 651, 652; BVerfG, NJW 1997, 2509, 2509 f.; BVerfG, NJW 1998, 975, 976; BVerfG, NJW 1998, 3264, 3265; BVerfG, NVwZ 2009, 1489, 1490; BVerfG, NVwZ 2011, 991, 993; BVerfG, NJW 2017, 53, 55 (= BVerfGE 142, 313); siehe dazu auch Calliess, in: HGR II, § 44, Rn. 6, 26; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 223; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 50 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 92; zur Schutzpflichtenkollision allgemein siehe Rottenwallner, ZÖR 2017, 469, 481 ff.; Fluck, UPR 1990, 81, 83; Hain, DVBl. 1993, 982, 984; Pietrzak, JuS 1994, 748, 752; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 176; Merten, in: Stern / ​Grupp (Hrsg.), GS Burmeister, S. 237; Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 11.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

Verletzung des Grundrechts auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG kann dabei nicht zwingend die Leistung der effektivsten Schutzmaßnahme begründen, wie am Falle der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer zu erkennen ist.50 Freilich richten sich die Schutzpflichten gem. Art. 1 Abs. 3 GG aber grundsätzlich an den gesamten Staat.51 Somit sind sowohl Legislative als auch Exekutive und Judikative zum Schutz verpflichtet, wenngleich zumeist der Schwerpunkt bei Schutzpflichten auf der Gesetzgebung liegen wird.52 Da die Ausgestaltung grundrechtlicher Schutzpflichten dem legitimierten Gesetzgeber obliegt,53 übt das BVerfG bei der Feststellung konkreter staatlicher Schutzpflichten weitestgehend Zurückhaltung.54 Daher kann das BVerfG im Rahmen der sog. Evidenzkontrolle nur dann die Verletzung einer konkreten Schutzpflicht feststellen, wenn die staatlichen Organe keinerlei Schutzvorkehrungen getroffen haben55 oder wenn die bisher getroffenen Maßnahmen völlig ungeeignet sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen56.57 Seit der Zweiten Schwangerschaftsentscheidung58 zieht das BVerfG zur Kontrolle staatlicher Schutzpflichten teilweise aber auch das sog. Untermaßverbot heran.59 Dieses gebietet, dass der

50

BVerfG, NJW 1977, 2255 ff. (= BVerfGE 46, 160 ff.); Hanschel, ZaöRV 2006, 789, 806 f. BVerfG, NJW 1975, 573 (= BVerfGE, 39, 1 (42)); BVerfG, NJW 1988, 1651 (= BVerfGE 77, 170 (215)); Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 44; Klein, DVBl. 1994, 489, 494 f.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 950; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 207; Fluck, UPR 1990, 81, 83; Wahl / ​Masing, JZ 1990, 553, 556; Böckenförde, Der Staat 1990, 1, 8; Pietrzak, JuS 1994, 748, 753; Calliess, Rechtsstaat und Umweltrecht, S. 320. 52 Fluck, UPR 1990, 81, 83; siehe dazu erklärend Pietrzak, JuS 1994, 748, 753 m. w. N. 53 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 44; Pietrzak, JuS 1994, 748, 753; Calliess, Rechtsstaat und Umweltrecht, S. 320. 54 BVerfG, NJW 1981, 1655, 1658 (= BVerfGE 56, 54); BVerfG, NJW 1983, 2929, 2932 (=  BVerfGE 65, 76); BVerfG, NJW 1987, 2287; s. a. Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 223; Schmahl, in: HStrfR I, § 2 Rn. 11. 55 BVerfG, NJW 1987, 2287; BVerfG, NJW 1988, 1651, 1653 (= BVerfGE 77, 170); BVerfG, NJW 1997, 2509, 2509 f.; BVerfG, NJW 1998, 975, 976. 56 BVerfG, NJW 1988, 1651, 1653 (= BVerfGE 77, 170); BVerfG, NJW 1992, 964, 966; BVerfG, NJW 1995, 2339, 2341. 57 So auch aktuell BVerfG, NVwZ 2011, 991, 993 f.; BVerfG, NJW 2017, 53, 55 (= BVerfGE 142, 313); siehe dazu auch zusammenfassend Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 6; ders., Rechtsstaat und Umweltrecht, S. 322; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 51 f.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 92 f.; Pietrzak, JuS 1994, 748, 752 f.; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 225 ff. m. w. N. 58 BVerfG, NJW 1993, 1751, 1756. 59 So auch übernommen bspw. durch BVerfG, NJW 1995, 2339, 2343; BVerfG, NJW 1998, 523, 524; BVerfG, NVwZ 2009, 1489, 1490; BVerfG, NVwZ 2011, 991, 994; siehe dazu auch Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 6; ders., Rechtsstaat und Umweltrecht, S. 322 f.; Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 82 f.; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 230 f.; kritisch zum Untermaßverbot Dietlein, ZG 1995, 131, 134 ff.; Hain, DVBl. 1993, 982, 982 ff.; zusammenfassend s. a. Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 93 ff. m. w. N. und ausführlich Calliess, Rechtsstaat und Umweltrecht, S. 450 ff. 51

A. Allgemeine Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland  

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Gesetzgeber bei der Schutzausgestaltung einen angemessenen, als solchen wirksamen und ausreichenden Schutz als Mindeststandard nicht unterschreiten (sog. Untermaßverbot),60 aber zugleich nicht in zu großem Umfang die Grundrechtspositionen Dritter beschränken (Übermaßverbot) darf.61 Bezüglich eines solchen angemessenen Schutzes unterliegt der Gesetzgeber danach auch einer verfassungsrechtlichen Kontrolle.62 3. Subjektives Recht des Einzelnen auf Schutz Die Existenz des objektiv-rechtlichen Gehalts der Grundrechte kann nicht ohne Weiteres mit der eines damit korrespondierenden subjektiven Rechts gleichgesetzt werden. Vielmehr muss sich ein solches subjektives Recht des Einzelnen aus subjektivierenden Elementen der staatlichen Schutzverpflichtung ergeben.63 In der C-Waffen-Entscheidung stellte das BVerfG 1987 erstmalig ausdrücklich ein solches subjektivierendes Element aus den Grundrechten fest: „Werden diese Schutzpflichten verletzt, so liegt darin zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, gegen die sich der Betroffene mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde zur Wehr setzen kann. Der mit einer solchen Schutzpflicht verbundene grundrechtliche Anspruch ist mit Blick auf diese Gestaltungsfreiheit nur darauf gerichtet, dass die öffentliche Gewalt Vorkehrungen zum Schutze des Grundrechts trifft, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind.“64

Das BVerfG ging somit von einem subjektiven Recht des Einzelnen aus, das jedoch in seinem Umfang durch die weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eng begrenzt sein soll. In späteren Entscheidungen bestätigte das BVerfG den grundrechtlichen Anspruch des Bürgers auf Schutz.65 Die herrschende Lehre schließt

60

BVerfGE, 88, 203, 254; siehe dazu Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 26; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 231; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 93; Merten, in: Stern / ​Grupp (Hrsg.), GS Burmeister, S. 237 ff. 61 BVerfG, NJW 1975, 573, 577 ff. (= BVerfGE 39, 1); BVerfG, NJW 1981, 1655 (= BVerfGE 56, 54 (80)); Canaris, AcP 1984, 202, 227; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 50; Fluck, UPR 1990, 81, 83; Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 82 ff.; siehe dazu umfassend Merten, in: Stern / ​Grupp (Hrsg.), GS Burmeister, S. 237 ff. 62 BVerfGE 88, 203, 254 f.; BVerfG, NVwZ 2011, 991, 994; s. a. Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 82. 63 Siehe Stern, Staatsrecht III/1, S. 978 f.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 208; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 179; Calliess, Rechtsstaat und Umweltrecht, S. 316. 64 BVerfG, NJW 1988, 1651 (= BVerfGE 77, 170 (214 f.)). 65 Vgl. z. B. BVerfG, Alkoholgrenzwert, NJW 1995, 2343; BVerfG, Verkehrslärm, NJW 1989, 1271 (= BVerfGE 79, 174 ( 202)); BVerfG, Kindesentführung, NJW 1999, 631 (= BVerfGE 99, 145 (162)); siehe dazu auch Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 179 f.; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 217 ff.; kurz Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 101.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

sich dieser Einschätzung ebenfalls an,66 auch wenn die Begründungen wiederum dazu unterschiedlich ausfallen.67 Das subjektive Recht des Einzelnen kann jedoch nicht weitergehen als die objektive Staatsaufgabe. Wegen des weiten Gestaltungsspielraums der Staatsorgane erstreckt sich der subjektive Anspruch des Einzelnen daher nur auf sachgerechte Ausübung des Ermessens. Nur im Einzelfall kann sich das subjektive Recht im Wege einer Ermessensreduzierung auf Null auf eine konkrete Maßnahme verengen.68 4. Zusammenfassung Staatliche Schutzpflichten sind mittlerweile anerkannt und werden von der Rechtsprechung und der überwiegenden Ansicht der Literatur auf dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte begründet. Neben der abwehrrechtlichen Funktion beinhalten Grundrechte die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers, die festgelegten Rechtsgüter auch aktiv vor Eingriffen Dritter zu schützen und zu wahren. Dem Einzelnen steht auch ein subjektives Recht zu, welches aber in seinem Umfang eng begrenzt ist. Da dem Gesetzgeber aufgrund der Komplexität der Materie ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt, wird nur selten ein Anspruch auf eine konkrete Schutzmaßnahme bestehen. Die Kontrolle durch das BVerfG, ob staatliche Schutzpflichten angemessen durchgeführt werden, kann aufgrund der Gewaltenteilung und der demokratischen Legitimation des Gesetzgebers nur beschränkt erfolgen.

66

Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 321; ders., Grundrecht auf Sicherheit, S. 49 ff; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 186 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 410 ff.; ders., Der Staat 1990, 49, 60 ff.; Klein, NJW 1989, 1633, 1638 ff.; ders., DVBl. 1994, 489, 493; Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 106 f.; Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 383 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 208 ff.; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 173 f.; Schmidt-Aßmann, AöR 1981, 205, 217; Fluck, UPR 1990, 81, 83; Pietrzak, JuS 1994, 748, 752; Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 64 f.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 58 ff.; Calliess, Rechtsstaat und Umweltrecht, S. 324 f.; ders., in: HGR II, § 44 Rn. 7, 24 sowie Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 101 f.; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, 310 f. m. w. N.; andere Ansichten standen dieser Einordnung eher kritisch gegenüber bspw. Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 70 f.; Rauschning, DVBl. 1980, 831, 831 ff. 67 Zusammengefasst bei Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 310 ff.; Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 62 ff. sowie Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 58 ff. 68 BVerfG, NJW 1981, 1655 (= BVerfGE 56, 54); BVerfG, NJW 1988, 1651 (= BVerfGE 77, 170); BVerfG, NJW 1989, 1271 (= BVerfGE 79, 174); BVerfG, NVwZ 2008, 780 (= BVerfGE 13, 303); BVerfG, NVwZ 2011, 991, 993 f.; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 322; ders., Grundrecht auf Sicherheit, S. 51; Wahl / ​Masing, JZ 1990, 553, 562 f.; Calliess, Rechtsstaat und Umweltrecht, S. 324 f.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 61; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 183.

A. Allgemeine Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland  

229

II. Allgemeine Schutzpflichten aus dem Völkerrecht Auch aus dem Völkerrecht können Pflichten des Staates zum aktiven Handeln abgeleitet werden. In gebotener Kürze soll daher auf etwaige Schutzpflichten aus der EMRK, dem IPbpR sowie der UN-Antifolterkonvention eingegangen werden.69 1. Aus der EMRK Vergleichbar zum Grundgesetz lag der Schwerpunkt der EMRK zunächst historisch bedingt in einer abwehrrechtlichen Funktion.70 Nur wenige Schutzpflichten sind ausdrücklich in der EMRK festgehalten, wie etwa die wohl bekannteste aus Art. 2 Abs. 1 S. 1 EMRK (Schutz des Lebens)71.72 Seit 1981 stellt der EGMR jedoch klar, dass auch die anderen menschenrechtlichen Freiheiten vor Übergriffen durch Dritte geschützt werden müssen und als solche positive Verpflichtungen enthalten.73 Dass aus der EMRK staatliche Schutzpflichten erwachsen, ist daher mittlerweile wie auch im innerstaatlichen Recht anerkannt.74 Strittig ist wiederum, wie diese dogmatisch hergeleitet werden.75 69

Weitere völkervertragliche Schutzpflichten siehe bei Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 57 ff. 70 Vgl. schon Abs. 2 und Abs. 5 der Präambel; Bleckmann, in: Krautzberger / ​Bernhardt (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 309; Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​ Raumer, Einl., Rn. 6; Hilpold, in: IntKommEMRK, Präambel, Rn. 6; Ress, in: Klein (Hrsg.), Duty to Protect, S. 202; Jescheck, NJW 1954, 783, 783 f.; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 58; Tomuschat, in: Breuer et al. (Hrsg.), Im Dienste des Menschen, S. 45; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 196 f.; Breuer, AVR 2017, 324, 332. 71 Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 217; Meyer-Ladewig / ​Huber, in: Meyer-Ladewig / ​ Nettesheim / ​Raumer, EMRK Art. 2 Rn.  2; Lagodny, in: IntKommEMRK, Art. 2 Rn. 1, 9 ff. 72 Dazu ausführlicher Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 58 f.; Ress, in: Klein (Hrsg.), Duty to Protect, S. 166 f.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 111 ff.; neben den Schutzpflichten für bestimmte Freiheiten der EMRK enthält die EMRK weitreichende organisations- und verfahrensrechtliche Verpflichtungen, bspw. Art. 6 Abs. 1 und 3 EMRK, und Art. 5 Abs. 2, 3 und 4 EMRK, auch dazu siehe Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 58 f. 73 Bleckmann, in: Krautzberger / ​Bernhardt (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 310; Meyer-Ladewig  / ​ Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​Raumer, Einl., Rn.  30; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 58 f.; Ress, in: Klein (Hrsg.), Duty to Protect, S. 202; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 124 f.; siehe bspw. Fall Young, James und Webster vs. UK, EuGRZ 1981, 559 ff.; EGMR, Marckx vs. Belgien, EuGRZ 1979, 455 f. sowie dazu der Komissionsbericht siehe EKMR, EuGRZ 1978, 234; EGMR, Plattform „Ärzte für das Leben“ vs. Austria, EuGRZ 1989, 522 ff.; u. a. 74 So Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 59; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 197; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 909; Peters / ​Altwicker, EMRK, § 2 Rn. 33; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1322 f. 75 Zu der Herleitung positiver Schutzpflichten aus der EMRK ausführlich bei Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 107 ff.; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 191 ff.; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 712 ff.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

a) Herleitung der Schutzpflichten aus der EMRK aa) Ansätze des EGMR sowie der EKMR Den Entscheidungen der Konventionsorgane76 sind vor allem zwei Argumenta­ tionsstränge in Bezug auf Schutzpflichten zu entnehmen. So stützen sich Kommission und EGMR in vielen Fällen auf positive Verpflichtungen, die der streitgegenständlichen Norm immanent sein sollen.77 Inwiefern eine Verpflichtung aus der Norm abgeleitet werden kann, wird innerhalb dieses Ansatzes jedoch unterschiedlich bewertet. Teilweise soll die positive Verpflichtung in der Norm direkt konkretisiert sein, teilweise wird eine solche jedoch auch an bestimmten Begriffen im Wortlaut, an der Wertigkeit der in Frage stehenden Rechte oder auch nur an Effektivitätsüberlegungen festgemacht.78 In anderen Entscheidungen stützen sich die Rechtsprechungsorgane der EMRK auf die allgemeine Gewährleistungspflicht des Art. 1 EMRK.79 Dabei war vor allem die Entscheidung des Gerichtshofs Irland gegen Großbritannien 80 grundlegend für eine solche Begründung staatlicher Schutzpflichten, in der es u. a. heißt:81 „(…) Indem die Verfasser der Konvention die Worte „undertake to secure“ (verpflichten, zuzusichern) durch die Worte „shall secure“ (sichern zu) im Wortlaut des Art. 1 ersetzten, beabsichtigen sie auch klarzustellen, dass die in Abschnitt I festgesetzten Rechte und Freiheiten unmittelbar jeder Person im Herrschaftsgebiet der Vertragsstaaten garantiert sein sollten. (…) Die Konvention verpflichtet die höheren Behörden der Vertragsstaaten nicht alleine, ihrerseits die in ihr niedergelegten Rechte und Freiheiten zu achten; wie Art. 14 und der englische Text des Art. 1 zeigen, folgt aus der Konvention auch, dass jene Behörden, um den Genuss dieser Rechte und Freiheiten zu garantieren, auch einen Verstoß auf untergeordneter Ebene verhindern oder ihm abhelfen müssen.“ 76 Zum Verlauf der Rechtsprechung siehe Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 124 ff. 77 Siehe bspw. EGMR, NVwZ 1998, 161; EGMR, Botta vs. Italy, ÖJZ 1998, 412, 422; EGMR, Ignaccolo-Zenide vs. Romania, Entsch. v. 25. Januar 2000, App. no. 31679/96, Rn. 94 ff.; vgl. auch Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte, S. 148 f. 78 Peters / ​Altwicker, EMRK, § 2 Rn. 34; siehe ausführlich dazu Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 199 ff. m. w. N. 79 So bspw. EKMR, Fall Young und Webster vs. UK, EUGRZ 1979, 450, 452; Fall Young, James und Webster vs. UK, EuGRZ 1981, 559, 560; EGMR, Costello-Roberts vs. UK, ÖJZ 1993, 707; EGMR, McCann vs. UK, ÖJZ 1996, 233, 234; EGMR, Kaya vs. Turkey, Entsch. v. 19. Februar 1998, App. no. 158/1996/777/978, Rn. 86; EKMR, EuGRZ 1998, 13, 20; EGMR, X u. Y vs. NL, EuGRZ 1985, 297; EGMR, „Plattform Ärzte für das Leben“ vs. Austria, EuGRZ 1989, 522; für weitere Nachweise siehe Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 727 f. 80 EGMR, Irland vs. The UK, Entsch. v. 18. Januar 1978, App. no. 5310/71, insb. Rn. 238 ff. 81 Siehe so auch bei Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 206; Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 114 f.; Harutyunyan, in: SNU Asia-Pacifix Law Institute (Hrsg.), Global Constitutionalism, S. 278 f.

A. Allgemeine Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland  

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Wird eine allgemeine Schutzpflicht auf Art. 1 EMRK gestützt, ist jedoch zu beachten, dass Art. 1 EMRK selbst keinen eigenständigen materiellen Gehalt aufweist. Daraus folgt, dass Art. 1 EMRK nur in Verbindung mit einem konkreten einzelnen Recht Wirkung entfalten kann.82 Dabei soll eine Verletzung des Art. 1 EMRK automatisch aus der Verletzung eines konkreten einzelnen Rechts folgen können.83 In der neueren Rechtsprechung des EGMR lässt sich eine Tendenz erkennen, die als Begründung positiver Schutzpflichten vor allem die allgemeine Gewährleistungspflicht des Art. 1 EMRK heranzieht. Der konkrete Inhalt der Schutzpflicht ist den einzelnen Rechten zu entnehmen.84 bb) Ansätze der Literatur In der Literatur lassen sich unterschiedliche Ansätze feststellen. Bleckmann knüpft positive Schutzpflichten etwa unter anderem an Art. 2 Abs. 1 EMRK,85 der das Grundprinzip der Konvention enthalten soll, alle anderen Freiheiten ebenfalls zu schützen.86 Kritisch daran ist jedoch, dass Art. 2 Abs. 1 EMRK nur den Anfang einer Auflistung spezieller Rechte bildet,87 und die besondere Stellung des Rechts auf Leben am Anfang der Konvention auch mit der enormen Relevanz dieses Rechtsguts erklärt werden kann.88 Ein weiterer Ansatz geht auf Murswiek zurück, der, gleichlaufend zur Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten,89 auch in Bezug auf positive Verpflichtungen aus der EMRK einen abwehrrechtlichen Ansatz in dem Sinne einer Ausdehnung der Achtungspflicht vertritt.90 Wie auch im Zusammenhang mit den grundrechtlichen Schutzpflichten weist der Ansatz jedoch Schwächen auf und 82

EGMR, Irland vs. The UK, Entsch. v. 18. Januar 1978, App. no. 5310/71, insb. Rn. 238; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 206 f.; Fastenrath, in: IntKommEMRK, Art. 1 Rn. 4. 83 EGMR, Irland vs. The UK, Entsch. v. 18. Januar 1978, App. no. 5310/71, insb. Rn. 238; in den Anfängen EGMR, Belgian linguistic case, Entsch. v. 23. Juli 1968, App. no. 1474/62, 1677/62, 1769/63, 1994/63, 2126/64, S. 25, 27; EGMR, Young, James und Webster vs. UK, EuGRZ 1981, 559, 560; weitere Schutzpflichtfälle vgl. auch EKMR, Fall Young und Webster vs. UK, EUGRZ 1979, 450, 452; EGMR, McCann vs. UK, ÖJZ 1996, 233, 234; EGMR Yasa vs. Turkey, Entsch. v. 2. September 1998, 63/1997/847/1054, Rn. 98. 84 Siehe so Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 208 f. m. w. N. 85 Zurückgehend auf Bleckmann, in: Krautzberger / ​Bernhardt (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 309 ff. 86 Bleckmann, in: Krautzberger / ​Bernhardt (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 310; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 215. 87 Zwar die Herleitung Bleckmanns vereinfachend, aber dennoch letztendlich zuzustimmen Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 59; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte, S. 85. 88 Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 216. 89 Kurz zum abwehrrechtlichen Ansatz in Bezug auf die grundrechtlichen Schutzpflichten auf S. 223 ff. 90 Murswiek, in: Konrad (Hrsg.), Grundrechtsschutz, S. 224 ff.; ders., staatliche Verantwortung, S. 126.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

basiert wiederum auf einem Zirkelschluss.91 Der abwehrrechtliche Ansatz kann daher auch für die Herleitung konkreter positiver Schutzpflichten des Staates aus der EMRK nicht genügen. Einige Autoren wollen eine positive Schutzpflicht zudem aus dem Recht auf Sicherheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 EMRK ableiten.92 Dabei sehen sie in Art. 5 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht nur ein Recht auf Freiheit in dem Sinne, dass es gegen staatliche Eingriffe gerichtet sei, sondern vielmehr als ein solches, welches die Freiheiten vollständig vor jeglichen Eingriffen schütze.93 Anknüpfungspunkt für diese Ausweitung ist der Begriff der „Sicherheit“.94 Problematisch an einer solchen Herleitung positiver Schutzpflichten ist jedoch, dass der Begriff der Sicherheit sehr stark überdehnt werden muss. Art. 5 EMRK soll allein die körperliche Bewegungsfreiheit und nicht jegliche Freiheiten schützen.95 Die Entstehungsgeschichte der Norm spricht ebenso gegen eine solche Weite des Begriffs.96 Andere sehen gleichlaufend mit einzelnen Entscheidungen der Konventionsorgane einzig einen möglichen Anknüpfungspunkt für Schutzpflichten der Staaten aus der EMRK allein in der Gewährleistungsklausel des Art. 1 EMRK.97 In Art. 1 EMRK findet sich die ausdrückliche Pflicht, die Konventionsrechte „zuzusichern“ (im Englischen „to secure to“). Dieser Vertragswortlaut geht erkennbar über die bloße Achtung der Rechte und das Unterlassen eines Eingriffs in die Menschenrechte hinaus.98 Dass nicht ausdrücklich ein Schutz vor Eingriffen Dritter im Wortlaut der EMRK gefordert wird, ist unerheblich, da die „Zusicherung“ gerade eine umfassende Gewährleistung der Menschenrechte enthalte.99 91

Siehe zur Kritik am abwehrrechtlichen Ansatz kurz S. 223 ff. Golsong, in: Institut d’Études Européennes (Hrsg.), Droit Pénal Européen, S. 32 f.; Dijk  / ​ Yutaka, ECHR, S. 345; angedeutet bei Herzog, AöR (1961), 194, 195; Ress, in: Klein (Hrsg.), Duty to Protect, S. 167 ff., der das Recht auf Sicherheit aber mehr als stützendes Argument für positive Schutzpflichten bewertet; siehe Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 117 ff. m. w. N.; kritisch Trechsel, Schutz der persönlichen Freiheit, S. 176 f. 93 Dijk / ​Yutaka, ECHR, S. 345; Golsong, in: Institut d’Études Européennes (Hrsg.), Droit Pénal Européen, S. 32 f. 94 A. a. O. 95 Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 118; Trechsel, Schutz der persönlichen Freiheit, S. 176; Classen, JöR 1987, 29, 32; Murswiek, in: Konrad (Hrsg.), Grundrechtsschutz, S. 227 m. w. N. 96 Trechsel, EuGRZ 1980, 514, 518; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 119; siehe zur Entstehungsgeschichte der Norm Trechsel, Schutz der persönlichen Freiheit, S. 171 ff. 97 Bleckmann, in: Krautzberger / ​Bernhardt (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 312 f.; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 59; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte, S. 87 f.; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 222 f. 98 So bspw. Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 60; Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​Raumer, EMRK Art.  1 Rn.  3; kritisch Guradze, in: Dietz (Hrsg.), FS Nipperdey, S. 762 f. 99 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 60; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte, S. 87 ff. 92

A. Allgemeine Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland  

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Auch diesbezüglich wurde die Kritik geäußert, dass Art. 1 EMRK als eine allgemeine Gewährleistungspflicht nicht in Betracht kommen könne, da er selbst keinen materiellen Gehalt aufweise.100 Dabei wird jedoch übersehen, dass zur Ableitung einer konkreten positiven Verpflichtung aus Art. 1 EMRK immer auch auf ein Einzelgrundrecht und -menschenrecht verwiesen wird. Von daher ist diese Kritik nicht überzeugend.101 cc) Zusammenfassung Eine einheitliche Herleitung positiver Pflichten aus der EMRK kann noch nicht festgestellt werden.102 Anerkannt ist jedoch, dass positive Verpflichtungen aus der EMRK bestehen.103 Überzeugend und zuzustimmen ist der Argumentation der Rechtsprechung.104 Dabei dürfen die beiden Ansätze der Rechtsprechung nicht als widersprüchlich verstanden werden, sondern können vielmehr ergänzend nebeneinander stehen,105 ähnlich der Herleitung positiver Schutzpflichten durch das BVerfG106 aus dem Grundgesetz.107 Dass eine positive Pflicht der Mitgliedsstaaten aus der EMRK besteht, ergibt sich vor allem aus der allgemeinen Gewährleistungspflicht des Art. 1 EMRK in Verbindung mit dem konkreten Einzelrecht. Bei Rechten, die jedoch selbst im Wortlaut einen Anhaltspunkt für eine positive Verpflichtung bieten, bedarf es keines Rückgriffs auf die allgemeine Gewährleistungspflicht des Art. 1 EMRK; vielmehr ist die positive Verpflichtung dann dem jeweiligen Recht selbst immanent.

100

So Classen, JöR 1987, 29, 36 f.; Murswiek, in: Konrad (Hrsg.), Grundrechtsschutz, S. 222; Kloepfer, Innere Pressefreiheit, S. 104; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte, S. 87 f., 150 ff.; andeutend Griller, ZfV 1983, 1, 13. 101 So Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 211; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 894 f. 102 Siehe dazu Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 219 f. 103 Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 210 f.; Erdsiek, NJW 1959, 1215, 1216; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 59; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 909; kritisch nur Guradze, in: Dietz (Hrsg.), FS Nipperdey, S. 769; Peters / ​Altwicker, EMRK, § 2 Rn. 33; Classen, JöR 1987, 29, 39, 41; Morvay, ZaöRV 1961, 316, 317 ff. 104 So auch der Großteil der Literatur siehe Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 890; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 210 f.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 130 m. w. N. 105 Ähnl. Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 727, der den Verweis auf Art. 1 EMRK als zusätzlichen, verstärkenden Begründungsstrang versteht. 106 Bspw. BVerfG, NJW 1994, 1577 (= BVerfGE 90, 145 (195)); BVerfG, NJW 1995, 2343; BVerfG, NJW 1996, 651; siehe zur Herleitung positiver Schutzpflichten aus dem Grundgesetz durch das BVerfG auf S. 221 ff. 107 So auch Parallelen sehend Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 728.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

b) Subjektives Recht auf Schutz Völkerrechtliche Verträge sollen meist nur den beteiligten Staaten bestimmte Rechte zuweisen. Individuen finden daher häufig nur insofern Beachtung, dass völkerrechtswidrige Behandlungen eines Individuums als Verletzung der Rechte des Heimatstaates geltend gemacht werden können. Die Zuweisung einer subjektiven Stellung des Individuums in völkerrechtlichen Verträgen ist jedoch mittlerweile möglich, sodass Individuen echte völkerrechtliche Berechtigungen eingeräumt werden können.108 Vor allem die EMRK ist das Paradebeispiel eines völkerrechtlichen Vertrags, der dem Einzelnen Individualrechte gewährt.109 So benennen die Konventionsrechte ausdrücklich den einzelnen Menschen als Berechtigten. Auch die Einräumung einer Klagebefugnis des Einzelnen, welche oftmals als Notwendigkeit für die Gewährung eines echten materiellen Rechts angesehen wird,110 ist im Rahmen der EMRK durch die Möglichkeit der Individualbeschwerde unproblematisch gegeben.111 Durch die Zuweisung individueller Rechte innerhalb der EMRK hat der Einzelne auch ein subjektives Recht auf Schutz.112 Dieses ist wegen des weiten Beurteilungs- und Entscheidungsspielraums („margin of appreciation“)113 der Mitgliedsstaaten der Konvention wiederum beschränkt.114 Ein subjektives Recht des Einzelnen auf eine konkrete Maßnahme wird daher nur selten bestehen.115 Der weite Gestaltungsspielraum beschränkt zugleich auch die

108

Epping, in: Studienbuch zum Völkerrecht, § 9 Rn. 1 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 243 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 138 m. w. N. 109 Jescheck, NJW 1954, 783, 785; Epping, in: Studienbuch zum Völkerrecht, § 9 Rn. 10; Doehring, Völkerrecht, Rn. 246; Golsong, Rechtsschutzsystem der EMRK, S. 108; Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 126 f.; Partsch, EuGRZ 1989, 1, 5; Brunner, Frage nach dem Anspruch auf dipl. Schutz, S. 129 f.; Breuer, AVR 2017, 324, 332; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 138 m. w. N. 110 Es ist umstritten, ob es der Klagebefugnis als Kriterium einer echten völkerrechtlichen Berechtigung des Einzelnen bedarf oder ob ein materielles Recht auch unabhängig von dieser bestehen kann. Klagebefugnis als Kriterium der völkerrechtlichen Berechtigung siehe Brunner, Frage nach dem Anspruch auf dipl. Schutz, S. 130; Epping, in: Studienbuch zum Völkerrecht, § 9 Rn. 5 m. w. N.; dagegen materielles Recht auch ohne ausdrückliche Klagebefugnis siehe Doehring, Völkerrecht, Rn. 247 ff. 111 Siehe Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 138 f. 112 Murswiek, in: Konrad (Hrsg.), Grundrechtsschutz, S. 229; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte, S. 189; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1323; siehe dazu auch Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 139. 113 EGMR, ÖJZ 1997, 436 ff.; EGMR, EuGRZ 1985, 297; EGMR, X, Y u. Z vs. UK, ÖJZ 1998, 271 f.; s. a. bei Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 869 ff. m. w. N.; zum Begriff siehe Calliess, EuGRZ 1996, 293, 294 f. oder auch Hilpold, in: IntKommEMRK, Präambel, Rn. 73 f. 114 Peters / ​Altwicker, EMRK, § 2 Rn. 34; Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 119; Tomuschat, in: Breuer et al. (Hrsg.), Im Dienste des Menschen, S. 54; Calliess, EuGRZ 1996, 293, 293 m. w. N. 115 Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 119 ff.; siehe ausführlich dazu Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 869 ff.

A. Allgemeine Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland  

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Kontrolle durch den EGMR; nur bei unzureichendem Schutz durch einen Konventionsstaat soll eine entsprechende Feststellung des Gerichtshofs erfolgen können.116 2. Aus dem IPbpR Der IPbpR hat viele Parallelen zur EMRK.117 So sind auch den Staaten des IPpbR positive Verpflichtungen auferlegt. Diese Pflicht wird zumeist auf Art. 2 Abs. 1 IPbpR begründet,118 der als Pendant zu Art. 1 EMRK angesehen werden kann.119 So heißt es in Art. 2 Abs. 1 IPbpR: „Each State Party to the present Covenant undertakes to respect and to ensure to all individuals within its territory and subject to its jurisdiction the rights recognized in the present Covenant, without distinction of any kind, such as race, colour, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, property, birth or other status.“120

Der Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 IPbpR („to respect and to ensure“)121 zeigt die grundsätzliche Schutzpflicht der Vertragsstaaten.122 Wie auch Art. 1 Abs. 1 EMRK entfaltet Art. 2 Abs. 1 IPbpR jedoch keine eigene materielle Wirkung.123 Das heißt, dass sich Inhalt und Umfang der Schutzpflicht ebenfalls aus dem jeweils verletzten Recht ergeben und Art. 2 Abs. 1 IPbpR nur in Verbindung mit einer anderen materiellen Bestimmung Wirkung entfalten kann.124 116

EGMR, EuGRZ 1985, 297, 298 f.; EGMR, EuGRZ 1989, 522, 524; EGMR, ÖJZ 1997, 436, 438; EGMR, X, Y u. Z vs. UK, ÖJZ 1998, 271 f.; siehe bei Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 138 f.; näher zu der Grenze der staatlichen Schutzpflichten sowie der Kontrolldichte des EGMR siehe bei Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 254 ff. oder auch Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 869 ff. jeweils m. w. N. 117 Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise, S. 79; gut zu sehen und gegenüber gestellt bei Gollwitzer, MRK und IPbpR. 118 Seibert-Fohr, ZaöRV 2002, 391, 393; Klein, in: Klein (Hrsg.), Duty to Protect, S. 298 f.; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 100; Gollwitzer, MRK und IPbpR, IPbpR Art. 2 Abs. 1 Rn. 5; Nowak, CCPR, IPbpR Art. 2 Rn. 2, 19 ff. 119 Siehe Gollwitzer, MRK und IPbpR, IPpPR Art. 2 Abs. 1, 2 Rn. 1 ff.; daneben enthält er auch Bestimmungen, die in Art. 13 und 14 EMRK wiederzufinden sind, siehe Nowak, CCPR, IPbpR Art. 2 Rn. 2, siehe dort Fn. 1. 120 „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die im vorliegenden Pakt anerkannten Rechte, ohne Unterschied der Rasse, Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status, zu achten und allen Einzelpersonen in seinem Hoheitsgebiet und unter seiner Gerichtsbarkeit zu gewährleisten.“ [Übersetz. d. Verf.] 121 „Zu respektieren und zu gewährleisten“, [Übersetz. d. Verf.] 122 UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 31, Rn. 8; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 100; Klein, in: Klein (Hrsg.), Duty to Protect, S. 298 f.; Seibert-Fohr, ZaöRV 2002, 391, 393; Nowak, CCPR, IPbpR Art. 2 Rn. 19 f. m. w. N.; Buergenthal, in: Henkin (Hrsg.), Bill of Rights, S. 77 ff. 123 Gollwitzer, MRK und IPbpR, IPbpR Art. 2 Abs. 1 Rn. 5. 124 Nowak, CCPR, IPbpR Art. 2 Rn. 15, 19; Buergenthal, in: Henkin (Hrsg.), Bill of Rights, S. 77 f.; Tomuschat, in: Münch (Hrsg.), FS Schlochauer, S. 716.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

Wie auch bei den anderen Schutzpflichten aus Grundgesetz und EMRK haben die Vertragsstaaten im Rahmen des IPbpR einen weiten Gestaltungsspielraum. Eine Verletzung des Art. 2 IPbpR i. V. m. dem jeweiligen materiellen Recht liegt jedoch spätestens dann vor, wenn entsprechende Leistungen vorenthalten werden, die nach den konkreten Umständen geboten wären.125 Solche Verletzungen kann der Einzelne auch im Wege der Individualbeschwerde gem. des 1. Zusatzprotokolls geltend machen.126 3. Aus der UN-Antifolterkonvention Wenngleich die UN-Antifolterkonvention einen klassischen Verbotsvertrag darstellt,127 können aus dieser gewisse Schutzpflichten gezogen werden. Neben dem Verbot, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen anzuwenden, beinhaltet die Konvention auch das Gebot an die Konventionsstaaten, „private Folter“ zu unterbinden. Dabei ist diese positive Verpflichtung vor allem auf Präventionsmaßnahmen gerichtet, die auch in Art. 2 Abs. 1 UN-Antifolterkonvention teilweise aufgezählt sind.128 Daraus ergibt sich die staatliche Pflicht, auf jeder staatlichen Ebene Maßnahmen zu ergreifen, die Folter und unmenschliche Behandlung verhindern. Dies bestätigte auch der UN-Ausschuss gegen Folter (engl. Commitee Against Torture (CAT)), welches Präventions-, Aufklärungs-, Ermittlungs- und Aburteilungspflichten in der Antifolter-Konvention begründet sieht.129

III. Zwischenergebnis Der Bundesrepublik Deutschland sind sowohl aus dem Grundgesetz als auch aus der EMRK, dem IPbpR und der UN-Antifolterkonvention positive Verpflichtungen zum Schutz der Rechte Einzelner auferlegt. Aus dem Grundgesetz folgen diese insbesondere aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte. Der Einzelne hat aufgrund des individualistischen Charakters der Grundrechte auch ein subjektives Recht auf Schutz. Dieses Recht ist aufgrund des weiten Gestaltungsspielraums des Staates in seinem Umfang stark eingeschränkt. Ein konkreter Anspruch auf eine bestimmte Schutzmaßnahme wird nur im Falle einer „Ermessensreduzierung auf

125

Nowak, CCPR, IPbpR Art. 2 Rn. 19. Besprechung und Rechtsprechung des Ausschusses mit entsprechenden Nachweisen siehe Nowak, CCPR, IPbpR Art. 2 Rn. 21. 127 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 134. 128 Mavrommatis, in: Klein (Hrsg.), Duty to Protect, S. 281 f.; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 135, 137 m. w. N. 129 UN-Menschenrechtsausschuss gegen Folter, General Comment No. 2, Rn. 18; Nowak  / ​ McArthur, UN Convention Against Torture, S. 112 f. 126

B. Besondere Schutzpflichten der BRD gegen Eingriffe auswärtiger Staaten 

237

Null“ vorliegen, die aufgrund der Komplexität der Materie und den vielen verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten nur selten gegeben sein wird. Aus der EMRK werden Schutzpflichten der Konventionsstaaten überwiegend auf Art. 1 Abs. 1 EMRK i. V. m. dem jeweiligen Einzelrecht gestützt. Auch hier besteht ein subjektives Recht des Einzelnen auf Schutz des Staates, welches er im Wege der Individualklage vor dem EGMR geltend machen kann. Der IPbpR, der ähnliche Rechte wie die EMRK schützt, enthält eine Schutzpflicht, die nach allgemeiner Ansicht auf Art. 2 Abs. 1 IPbpR begründet wird.

B. Besondere Schutzpflichten der Bundesrepublik Deutschland gegen Eingriffe auswärtiger Staaten (sog. extraterritorialer Auslandsschutz) Innerhalb der allgemeinen Schutzpflichtdogmatik stellt die Pflicht zum Schutz vor Beeinträchtigungen durch fremde Staaten, der sog. Auslandsschutz, eine besondere Form der positiven Verpflichtung dar. Diesbezüglich muss zunächst innerhalb des Auslandsschutzes zwischen zwei Grundfällen unterschieden werden. Zum einen beinhaltet der Auslandsschutz solche Fälle, in denen die Beeinträchtigung zwar auswärtigen Ursprungs ist, die Verletzung jedoch auf deutschem Territorium eintritt. Solche Fälle können vor allem im Umweltrecht auftreten, wenn sich etwa schädliche Immissionen aus dem Ausland auf das Inland auswirken. Aber auch in Ausnahmezeiten können auswärtige Staaten Rechte deutscher Staatsangehöriger auf deutschem Territorium beeinträchtigen, wie es etwa im Fall von Rudolf Hess durch die Alliierten der Fall war.130 Diese Art des Auslandsschutzes unterscheidet sich nicht wesentlich von den allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflichten, da die Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland für die Rechte ihrer Bürger durch den Territorialbezug unstrittig besteht, auch wenn die Verletzungshandlungen auswärtigen Ursprungs sind.131 Lediglich der Gestaltungsspielraum verengt sich durch den Bezug zum auswärtigen, souveränen Staat und den beschränkten Handlungsmöglichkeiten. Zum anderen umfasst der Obergriff des Auslandsschutzes jedoch auch solche Fälle, in denen ein fremder Staat auf seinem Staatsgebiet, also im Ausland, in Rechte deutscher Staatsangehöriger eingreift. Hier wird von sog. völkerrechtlichem Auslandsschutz oder auch von extraterritorialem Auslandsschutz gesprochen.132 130

BVerfG, NJW 1981, 1499 (= BVerfGE 55, 349). Bspw. Umweltbeeinträchtigung durch auswärtige Atomkraftwerke, siehe Murswiek, ­WiVerw 1986, 179, 203. 132 Lenz, Der konsularische Schutz, S. 11; Geiger, Staatsrecht III, § 56, S. 267 f.; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1281 m. w. N. zur Terminologie; Bezeichnung als extraterritorial siehe bei Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 53 ff., hier auch zur Mehrdeutigkeit des Begriffs der extraterritorialen Schutzpflicht und der unterschiedlichen Begriffsbestimmung. 131

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

Durch den fehlenden territorialen Bezug der Bundesrepublik Deutschland war lange Zeit unklar, ob ein Anspruch auf einen solchen Auslandsschutz ebenso auf die allgemeinen, grundrechtlichen Schutzpflichterwägungen gestützt werden kann. Dieser extraterritoriale Auslandsschutz soll im Folgenden dargestellt werden.

I. Allgemein zum extraterritorialen Auslandsschutz Der Auslandsschutz durch die Bundesrepublik Deutschland umfasst im weitesten Sinne jegliche Schutzpflichten, die im Zusammenhang mit Eingriffen in die Rechte der eigenen Staatsbürger durch einen auswärtigen Staat stehen. Zumeist wird der Begriff des Auslandsschutzes jedoch lediglich für solche Fälle verwendet, bei denen Eingriff und auch Verletzungserfolg auf fremdem Territorium stattfinden.133 Dieser extraterritoriale Auslandsschutz kann wiederum in verschiedene Formen eingeteilt werden. Zu differenzieren ist vor allem zwischen dem diplomatischen Schutz i. e. S. und dem diplomatischen Schutz i.w.S.134 Neben den Formen des diplomatischen Schutzes wird im Zusammenhang mit dem Auslandsschutz teilweise zusätzlich die Gruppe des „Einwirkungsschutzes“135 benannt, der vor allem die Rechte des Individuums in den Fokus des Auslandsschutzes rückt. Die verschiedenen Formen des extraterritorialen Auslandsschutzes unterscheiden sich im verletzten Rechtsgut, der Art der Verletzung und den daran anknüpfenden, zur Verfügung stehenden Maßnahmen. Sie schließen sich jedoch nicht gegenseitig aus. Der klassische diplomatische Schutz, der diplomatische Schutz i. e. S., umfasst nur solche Fallgruppen, in denen ein fremder Staat völkerrechtswidrig Rechte deutscher Staatsangehöriger verletzt.136 Der diplomatische Schutz i. e. S. ist demnach eine Reaktion Deutschlands auf eine eingetretene Völkerrechtsverletzung durch einen fremden Staat, die darauf abzielt, die völkerrechtswidrige Maßnahme durch den fremden Staat zu beenden sowie ihre Folgen zu beseitigen und Wiedergutmachung zu erlangen.137 Maßnahmen des diplomatischen Schutzes i. e. S. können u. a. der Protest138,

133

Siehe bspw. Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 122. So begründet bei Schneeberger, SJZ 1943, 493, 495 f.; auch übernommen bei Brunner, Frage nach dem Anspruch auf dipl. Schutz, S. 6 f.; Klein, DöV 1977, 704, 705; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1281 f. 135 Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 109 ff. 136 Rudolf, in: Kokot / ​Skubiszewski (Hrsg.), Staatsangehörigkeit, soziale Grundrechte, wirtschaftliche Zusammenarbeit, S. 65; Strupp / ​Schlochauer, Wörterbuch I, S. 380; Klein, DöV 1977, 704, 704; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1281; Blumenwitz, in: Heldrich (Hrsg.), FS Ferid, S. 440; Lenz, Der konsularische Schutz, S. 12; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 122; Hanschel, ZaöRV 2006, 789, 791. 137 So Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1280 f.; Blumenwitz, in: Heldrich (Hrsg.), FS Ferid, S. 440; Klein, DöV 1977, 704, 705; Lenz, Der konsularische Schutz, S. 12. 138 Bei der Vornahme eines Protestes legt ein Staat gegen ein völkerrechtswidriges Verhalten eines anderen Staates formell Einspruch ein, Strupp / ​Schlochauer, Wörterbuch II, S. 810 ff. 134

B. Besondere Schutzpflichten der BRD gegen Eingriffe auswärtiger Staaten 

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die Retorsion139 oder Repressalien140 sein.141 Relevant ist im Zusammenhang mit dem diplomatischen Schutz i. e. S. zudem, dass der handelnde Staat bei Ausführung der Maßnahme nach allgemeiner Ansicht nicht Rechte des Individuums geltend macht, sondern vielmehr durch die völkerrechtswidrige Behandlung seiner Staatsangehörigen selbst in seinen Rechten verletzt wird und dieses zu schützen sucht.142 Es handelt sich in erster Linie um ein Rechtsinstitut des allgemeinen Gewohnheitsvölkerrechts.143 Im Gegensatz zum diplomatischen Schutz i. e. S. umfasst der diplomatische Schutz i. w. S. hauptsächlich präventive Maßnahmen der Fürsorge. Hierzu zählt insbesondere auch der konsularische Schutz.144 Auch wenn die Abgrenzung zwischen diplomatischem Schutz i. e. S. und konsularischem Schutz in der Praxis teilweise Schwierigkeiten bereiten, besteht der wesentliche Unterschied darin, dass der diplomatische Schutz i.w.S. kein völkerrechtswidriges Verhalten eines fremden Staates voraussetzt.145 Maßnahmen des konsularischen Schutzes auf auswärtigem Territorium sind vor allem fürsorglicher Art und können etwa das Erteilen von Ratschlägen oder Auskünften, das Leisten von Hilfe und Beistand, aber auch subsidiär die Vertretung vor auswärtigen Gerichten und Behörden zur Erwirkung vorläufi-

139 Bei der Retorsion handelt es sich um eine unfreundliche Maßnahme auf zwischenstaatlicher Ebene, die den fremden Staat zur Beendigung des völkerrechtswidrigen Verhaltens bewegen soll, ohne dass diese Maßnahme selbst völkerrechtswidrig ist (bspw. Abbruch diplomatischer Beziehungen), siehe dazu Strupp / ​Schlochauer, Wörterbuch III, S. 110; Seidl-­ Hohenveldern, Völkerrecht, S. 339 ff. 140 Die Repressalie ist eine völkerrechtswidrige (Gegen-) Maßnahme, die als Reaktion auf eine andere völkerrechtswidrige Maßnahme ausnahmsweise zulässig ist, vgl. auch Art. 22 i. V. m. Art. 49 ff. Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts 2001 (abrufbar unter: http://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english/draft_articles/9_6_2001. pdf; abgerufen am 7.11.2019). 141 Stein / ​Buttlar / ​Kotzur, Völkerrecht, Rn. 562; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1281 f.; Lenz, Der konsularische Schutz, S. 13. 142 Rudolf, in: Kokot / ​Skubiszewski (Hrsg.), Staatsangehörigkeit, soziale Grundrechte, wirtschaftliche Zusammenarbeit, S. 66; IGH, Nottebohm, ICJ Rep. 1955, S. 4 ff., 24; Blumenwitz, in: Heldrich (Hrsg.), FS Ferid, S. 440 f.; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 107; Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 485; Epping, in: Studienbuch zum Völkerrecht, § 7 Rn. 131; ders., in: Studienbuch zum Völkerrecht, § 11 Rn. 131; Ruffert, AVR 1997, 459, 468; teilweise wurde jedoch auch vertreten, dass das Individuum auf völkerrechtlicher Ebene ebenso durch den Heimatstaat im Wege der Prozessstandschaft sein eigenes Recht geltend machen kann, siehe Ruffert, AVR 1997, 459, 469 m. w. N.; Doehring, in: Ress / ​Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völker- u. Europarecht, S. 15 f. 143 Blumenwitz, in: Heldrich (Hrsg.), FS Ferid, S. 440; Rudolf, in: Kokot / ​Skubiszewski (Hrsg.), Staatsangehörigkeit, soziale Grundrechte, wirtschaftliche Zusammenarbeit, S. 64; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 107; Lenz, Der konsularische Schutz, S. 13; Strupp / ​Schlochauer, Wörterbuch I, S. 379 f. 144 Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1281 f. 145 Rudolf, in: Kokot / ​Skubiszewski (Hrsg.), Staatsangehörigkeit, soziale Grundrechte, wirtschaftliche Zusammenarbeit, S. 65; Lenz, Der konsularische Schutz, S. 14 f.; Stein / ​Buttlar / ​ Kotzur, Völkerrecht, Rn. 561.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

ger Maßnahmen sein.146 Aufgaben und Befugnisse im Rahmen des konsularischen Schutzes sind im deutschen Recht überwiegend im Konsulargesetz147 (KonsG) geregelt. Einheitliche Voraussetzungen für die Vornahme von diplomatischen Schutzmaßnahmen i.w.S. können durch die Vielseitigkeit der Fallgestaltungen nicht aufgezeigt werden. Für die Vornahme der konsularischen Maßnahmen der Hilfeleistung an Einzelne ist gem. § 5 KonsG etwa wesentliche Voraussetzung, dass ein deutscher Staatsangehöriger im Ausland hilfsbedürftig ist.148 Für die Maßnahme der Hilfe in Katastrophenfällen gem. § 6 KonsG muss eine Notlage bestehen; diese Hilfs- und Notlage muss nicht zwangsläufig auf einer Völkerrechtsverletzung oder einer staatlichen Maßnahme eines ausländischen Staates beruhen, sondern kann auch unabhängig von Eingriffen Dritter oder des auswärtigen Staates aus Naturkatastrophen resultieren.149 Im Rahmen der Fälle von deutschen Staatsangehörigen in auswärtiger Haft ist das vom Internationalen Gerichtshof ebenfalls anerkannte konsularische Recht eines Staates, seine Staatsangehörigen in auswärtiger Haft aufzusuchen und zu betreuen, von Bedeutung.150 Auch das Informieren des Inhaftierten über die Möglichkeit der Vollstreckungsübernahme und die Entgegennahme des Antrags der im Ausland verurteilten Person gem. § 49 Abs. 3 IRG oder § 54a Abs. 2 S. 1 IRG wird von Konsularbeamten gem. § 49 Abs. 3 S. 2 IRG bzw. § 54a Abs. 2 S. 2 IRG i. V. m. § 12 KonsG sowie § 15 KonsG durchgeführt. Wie beim diplomatischen Schutz i. e. S. handelt es sich bei der Ausübung des konsularischen Schutzes auf fremdem Hoheitsgebiet um ein völkerrechtliches Recht des Staates.151 Der hier bezeichnete Einwirkungsschutz, zurückgehend auf den von Elbing genutzten Begriff des Einwirkungsanspruchs,152 berührt auch Formen des diplomatischen Auslandsschutzes i.w.S.153 Im Grunde handelt es sich hierbei nicht um eine „neue“ Form des Auslandsschutzes. Vielmehr wird der Fokus im Rahmen des diplomatischen Schutzes i.w.S. auf das Verhältnis Staat und Individuum gerichtet. Er umfasst daher nicht das Recht des Staates, auf fremdem Hoheitsgebiet tätig zu werden, sondern das (innerstaatliche) Recht des Einzelnen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, zum Tätigwerden auf fremdem Hoheitsgebiet.154 Eine sol 146

Lenz, Der konsularische Schutz, S. 14; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1296 f.; zu den Aufgaben konsularischer Beziehungen siehe auch Art. 5 lit. a sowie lit. e WÜK und Art. 3 lit. b WÜD. 147 Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse, BGBl. I 1974, S. 2317. 148 Zum Begriff der Hilfsbedürftigkeit siehe Lenz, Der konsularische Schutz, S. 91 ff. 149 Eine Auflistung der Aufgaben findet sich vor allem in § 5 ff. KonsG. 150 Art. 36 Abs. 1 lit. c WÜK; IGH, LaGrand, ICJ Rep. 2001, S. 466; IGH, Avena Case, ICJ Rep.  2004, S. 12; s. a. Lenz, Der konsularische Schutz, S. 18; Schmahl, in: Breuer / ​Epiney / ​ ­Haratsch et al. (Hrsg.), FS Klein, S. 880. 151 Hanschel, ZaöRV 2006, 789, 794; Lenz, Der konsularische Schutz, S. 17; Breuer, AVR 2017, 324, 326. 152 Siehe Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 98 ff.; kritisch dazu Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 284, der die Unterteilung in einen Einwirkungsschutz für überflüssig hält. Hier ist sich jedoch aufgrund der Klarstellung dafür entschieden worden. 153 Bei Ruffert als „dogmatische Anknüpfung“ bezeichnet siehe Ruffert, AVR 1997, 459, 470. 154 Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 107.

B. Besondere Schutzpflichten der BRD gegen Eingriffe auswärtiger Staaten 

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che Schutzverantwortlichkeit soll bei einem Eingriff durch einen fremden Staat in die Grundrechte eines deutschen Staatsangehörigen ausgelöst werden. Anders als beim diplomatischen Schutz i. e. S. ist dieser Eingriff jedoch nicht völkerrechtswidrig, sondern lediglich nach deutschem innerstaatlichem Recht eine rechtswidrige Einschränkung eines Grundrechts nach dem GG. Es handelt sich folglich nicht um ein Instrument des Staates auf zwischenstaatlicher Ebene, sondern allein um ein Recht des Einzelnen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland. Im Grunde ist es eine Ausformung der allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht, die sich auf die Einwirkung der Bundesrepublik Deutschland auf einen ausländischen Staat bezieht.155 Dabei kann der Einwirkungsschutz auch Pflichten zur Ausübung des diplomatischen oder konsularischen Schutzes auslösen, wobei diese nicht kongruent sein müssen. Die zusätzliche Unterscheidung zum Einwirkungsanspruch wird zum Teil als überflüssig empfunden.156 Vorliegend sollte jedoch erneut bewusst gemacht werden, dass zwischen Ausführung des diplomatischen Schutzes auf völkerrechtlicher Ebene und Ausführung des diplomatischen Schutzes auf innerstaatlicher Ebene zwischen Staatsangehörigem und der Bundesrepublik Deutschland als Heimatstaat zu differenzieren ist. Vor allem Letzteres ist vorliegend von Bedeutung. So soll in der nachfolgenden Darstellung einer extraterritorialen Schutzpflicht auch der grundrechtliche Einwirkungsschutz im Fokus stehen, wobei nochmals anzumerken ist, dass dieser durchaus auch die Pflicht zur Vornahme von Maßnahmen des diplomatischen und konsularischen Schutzes begründen kann.

II. Grundlage der Pflicht zum extraterritorialen Auslandsschutz Im Rahmen der Schutzpflichtdogmatik ist seit langem eine Obliegenheit zum extraterritorialen Auslandsschutz anerkannt und kann sogar als unbestrittener Bestandteil des geltenden Rechts bezeichnet werden.157 Die Begründung einer solchen Schutzpflicht ist jedoch wiederum nicht einheitlich, gleichwohl sich die meisten Stimmen gleichlaufend zur Diskussion innerhalb der allgemeinen Schutz-

155

Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 109 ff.; Ruffert, AVR 1997, 459, 470. Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 284. 157 BVerfG, Ostverträge, NJW 1975, 2291 (= BVerfGE 40, 141 (177)); BVerfG, NJW 1974, 1609 (=  BVerfGE 37, 217 (241)); BVerfG, NJW 1973, 1539 (= BVerfGE 36, 1 (31)); Geck, ­ZaöRV 1956/1957, 476, 476 ff.; Doehring, Pflicht des Staates, S. 126 f.; Klein, DöV 1977, 704, 704 ff.; ders., DöV 1979, 39, 39 f.; Treviranus, DöV 1979, 35, 35 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 56 f.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 30; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 205 f.; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 122 f.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 82 ff.; Hailbronner, in: Hailbronner et al., GG Art. 16 Abs. 1 Rn. 31; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 107 f.; Rudolf, in: Kokot / ​Skubiszewski (Hrsg.), Staatsangehörigkeit, soziale Grundrechte, wirtschaftliche Zusammenarbeit, S. 76. 156

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

pflichten auf die Grundrechte berufen.158 Die Herleitung extraterritorialer Schutzpflichten gegen Maßnahmen fremder Staaten kann weitgehend unabhängig von der konkreten Form der Maßnahme vorgenommen werden; es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass die meisten Schriften zum Auslandsschutz den Fokus auf den diplomatischen Schutz i. e. S. gelegt haben.159 Die Überlegungen können aber auf die Pflicht zum Auslandsschutz übertragen werden, da es sich beim diplomatischen Schutz lediglich um eine spezielle Form des Auslandsschutzes handelt.160 1. Pflicht zum Auslandsschutz aus dem innerstaatlichen Recht Aus dem innerstaatlichen Recht wurde eine extraterritoriale Schutzpflicht zunächst durch die allgemeine Fürsorge für die eigenen Staatsangehörigen eines Staates begründet. So leitete auch das BVerfG eine Pflicht zur Gewährung von Auslandsschutz unmittelbar aus der Grundbeziehung der Staatsangehörigkeit ab.161 Teilweise brachte es eine solche Verpflichtung jedoch auch mit der grundrechtlichen Schutzpflicht in Verbindung.162

158

Oberthür, Anspruch der deutschen Staatsangehörigen auf diplomatischen Schutz, S. 23 f.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 205 f.; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 122; ähnl. Klein, DöV 1977, 704, 704 ff.; ders., DöV 1979, 39, 39 f.; ders., in: Ress / ​Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völker- u. Europarecht, S. 129; Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 106; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 100 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 82 f.; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1301. 159 Siehe bspw. Doehring, Pflicht des Staates; Brunner, Frage nach dem Anspruch auf dipl. Schutz; Rudolf, in: Kokot / ​Skubiszewski (Hrsg.), Staatsangehörigkeit, soziale Grundrechte, wirtschaftliche Zusammenarbeit.; u. a. so auch feststellend Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 96. 160 Siehe BVerfG, NJW 1974, 1609 (= BVerfGE 37, 217 (241)) mit der Formulierung: „Anspruch auf Schutz gegenüber dem Ausland, besonders auf diplomatischen Schutz und konsularische Betreuung“. 161 BVerfG, NJW 1974, 1609 (= BVerfGE 37, 217 (241)); ähnl. BVerfG, NJW 1973, 1539, 1544; BVerfG, NJW 1975, 2291 (= BVerfGE 40, 141); BVerfG, Fall Hess, NJW 1981, 1499 (= BVerfGE 55, 349); BVerfG, NJW 1957, 745, 746 (= BVerfGE 6, 290); BVerfG, NJW 1977, 751, 752 (= BVerfGE 44,  125); Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 122; Hailbronner, in: Hailbronner et al., GG Art. 16 Abs. 1 Rn. 30; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 82. 162 Vor allem BVerwG, Fall Hess, NJW 1989, 2208 ff. (= BVerwG, Beschluss v. 24. Januar 1989, Az. 7 B 102/88); BVerfG, NJW 1957, 745, 746 (= BVerfGE 6, 290); BVerfG, NJW 1988, 1651 ff. (= BVerfGE 77, 170); BVerfG, JZ 1995, 507 (= BVerfGE 92, 26 (47)); BVerfG, DVBl. 1992, 1285, 1286 f.

B. Besondere Schutzpflichten der BRD gegen Eingriffe auswärtiger Staaten 

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a) Herleitung aus der Verfassungstradition und der Staatsangehörigkeit Die Herleitung aus der Verfassungstradition und aus der Staatsangehörigkeit ist eine ältere Ansicht,163 die vor allem auch vor der Entwicklung der allgemeinen Schutzpflichtlehre entscheidend war.164 Die Schutzpflicht vor dem Ausland sei die Kehrseite der auch fortbestehenden Treuepflicht165 des Staatsangehörigen gegenüber seinem Heimatstaat.166 Frühere deutsche Verfassungen regelten eine solche Pflicht zum Auslandsschutz sogar ausdrücklich,167 wie § 189 der in der Frankfurter Paulskirche beschlossenen Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849 zeigt.168 Problematisch an der ausschließlichen Herleitung der Auslandsschutzpflicht anhand der Verfassungstradition ist jedoch, dass inhaltliche Konturen fehlen, welche die Schutzpflicht aus dem Staatsangehörigkeitsverhältnis näher konkretisieren und ausgestalten könnten.169 Daher sind wiederum vor allem die grundrechtlichen Schutzpflichten bedeutend,170 anhand derer die Verpflichtung

163 BVerfG, NJW 1973, 1539, 1544; BVerfG, NJW 1974, 1609 (= BVerfGE 37, 217 (241)); Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 30; ders., in: HStR IX, § 191 Rn. 212; aber aktuell auch Geiger, Staatsrecht III, § 56 S. 269; zusammenfassend Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1299 f.; Merten, in: Stern / ​Grupp (Hrsg.), GS Burmeister, S. 229; Blumenwitz, in: Heldrich (Hrsg.), FS Ferid, S. 439, 444; angedeutet bei Brunner, Frage nach dem Anspruch auf dipl. Schutz, S. 92. 164 Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277. 165 Diese Treuepflicht des Bürgers gegenüber Deutschland als Heimatstaat wurde zumeist aus der Wehrpflicht abgeleitet (siehe bspw. Geck, ZaöRV 1956/1957, 476, 511; BVerfG, NJW 1974, 1609, 1612 (= BVerfGE 37, 217 (241)). Dass eine solche seit 2011 in Deutschland nicht mehr besteht, ist letztendlich unerheblich. Da der Staat spätestens im Kriegsfall eine solche Treuepflicht der Bürger wieder in Anspruch nehmen wird. Eine grundsätzliche Treuepflicht der Bürger gegenüber dem Staat besteht daher auch, wenn ein direkter Anknüpfungspunkt einer solchen durch mangelnde Wehrpflicht in Friedensphasen nicht besteht. 166 Treviranus, DöV 1979, 35, 37; Geck, ZaöRV 1956/1957, 476, 510 f.; Hailbronner, in: Hailbronner et al., GG Art. 16 Abs. 1 Rn. 30; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 107 f.; Murswiek, UPR 1986, 370, 374; Hanschel, ZaöRV 2006, 789, 804; Stern, Staatsrecht III/1, § 69 IV 3, S. 934; Geck, ZaöRV 1956/1957, 476, 510 f. m. w. N. 167 So etwa auch Art. 3 Abs. 6 der deutschen Reichsverfassung von 1871 und Art. 112 der Weimarer Reichsverfassung von 1919; siehe Buckler, Entführung deutscher Staatsangehöriger, S. 60 ff.; Geck, ZaöRV 1956/1957, 476, 479 ff.; Doehring, Pflicht des Staates, S. 25 ff.; kurz bei Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1299 f. 168 Dort war festgelegt: „Jeder deutsche Staatsbürger in der Fremde steht unter dem Schutz des Reiches.“, siehe dazu auch Treviranus, DöV 1979, 35, 37; Hailbronner, in: Hailbronner et al., GG Art. 16 Abs. 1 Rn. 30; Giegerich, in: Maunz / ​Dürig, GG Art. 16 Abs. 1 Rn. 202; Becker, in: Mangoldt / ​Klein / ​Starck, GG Art. 16 Rn. 23; ablehnend Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 113 f. 169 Klein, in: Ress / ​Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völker- u. Europarecht, S. 128 f.; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 123; zustimmend auch Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 172. 170 Oberthür, Anspruch der deutschen Staatsangehörigen auf diplomatischen Schutz, S. 23 f.; Klein, DöV 1977, 704, 704 ff.; ders., DöV 1979, 39, 39 f.; ders., in: Ress / ​Stein (Hrsg.), Der

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

zum Schutz des Einzelnen und einzelner zu tätigenden Maßnahmen konkretisiert werden kann.171 b) Grundrechtliche Schutzpflicht Da die grundrechtliche Schutzpflicht umfassend ist, ist es unerheblich, dass der Eingriff in die Rechte nicht mehr auf eigenem Territorium stattfindet und zusätzlich durch eine andere Hoheitsgewalt erfolgt.172 So muss auch die Kritik, dass der Auslandsschutz thematisch nicht in der Grundrechtsdogmatik verortet werden könnte und vielmehr der Koordinationsebene des Völkerrechts zuzuordnen sei,173 abgelehnt werden. Die letztendliche Maßnahme zum Schutz erfolgt zwar auf der Koordinationsebene des Völkerrechts; doch ist diese als Rechtsfolge der Pflicht von der Begründung einer solchen Rechtspflicht zu trennen. Die Begründung richtet sich vielmehr nach innerstaatlichem Recht,174 also nach den Grundrechten175 – unabhängig davon, durch wen176 und wo177 die Eingriffe in die Rechte der Staatsangehörigen erfolgen. Auch wenn die Einwirkungsmöglichkeit gegenüber einem fremden Staat erheblich eingeschränkt ist,178 steht dies einer Auslandsschutzpflicht nicht entgegen.179 Diese bedingt lediglich, dass ein Gestaltungsspielraum mit noch weiteren Ermessensspielräumen als im innerstaatlichen Recht für die

diplomatische Schutz im Völker- u. Europarecht, S. 129; Ruffert, AVR 1997, 459, 470; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 122 ff.; Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 106; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 100 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 82 f.; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 284 f.; Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 172 f. 171 So auch Klein, in: Ress / ​Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völker- u. Europarecht, S. 128 f.; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 123; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 82 f. 172 Oberthür, Anspruch der deutschen Staatsangehörigen auf diplomatischen Schutz, S. 23 f.; Klein, DöV 1977, 704, 705 ff.; ders., in: Ress / ​Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völker- u. Europarecht, S. 125 ff.; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 122 f.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 207 f.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 82; Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 124 f.; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1300 m. w. N. 173 So Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 30; ders., in: HStR IX, § 191 Rn. 208 ff.; Kötter  / ​ Nolte, DöV 2007, 186, 190 f. 174 Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 1071; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 122 f.; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 285. 175 Siehe zusammengefasst auf S. 236 f., 252. 176 S.a. Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 100 f.; Szczekalla, Die sog. grundrecht­ lichen Schutzpflichten, S. 284 ff. 177 Ähnl. auch Geck, ZaöRV 1956/1957, 476, 514; ausführlich zur Anwendung der Grundrechte im Ausland siehe Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 122 ff. 178 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 208. 179 Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 123.

B. Besondere Schutzpflichten der BRD gegen Eingriffe auswärtiger Staaten 

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Bundesrepublik Deutschland besteht.180 Selbst der fehlende, ausdrückliche Wortlaut des Grundgesetzes zu einer solchen Schutzpflicht181 kann auf die historische Situation Deutschlands zum Entstehungszeitpunkt des Grundgesetzes zurückgeführt werden.182 Daher kann der Auslandsschutz als eine Unterart der allgemeinen staatlichen Schutzpflichten eingestuft werden. Diese Schutzpflicht räumt dem Staat aber aufgrund der fehlenden Einwirkungsmöglichkeiten und zu berücksichtigenden außenpolitischen und völkerrechtlichen Erwägungen ein noch weiteres Rechtsfolgenermessen ein, als es schon für rein intraterritoriale Schutzpflichten der Fall ist.183 Zudem muss freilich beachtet werden, dass die begehrten Schutzmaßnahmen völkerrechtskonform sein müssen.184 2. Pflicht zum Auslandsschutz aus dem Völkerrecht Zwar wird eine völkervertragliche Begründung extraterritorialer Schutzpflichten zumeist mit dem Argument abgelehnt, die Souveränität anderer Staaten stehe solchen Schutzmaßnahmen entgegen;185 doch ist eine solche generelle Ablehnung zu kurzsichtig. Vielmehr begrenzt die Souveränität des anderen Staates die Schutzpflicht lediglich auf Rechtsfolgenebene ein. Dies ist auch daran zu erkennen, dass extraterritoriale Achtungspflichten durchaus anerkannt sind.186 Ob solche extraterritorialen Schutzpflichten auch aus völkerrechtlichen Abkommen entstehen können, ergibt sich vielmehr aus dem Anwendungs-, Befugnis- und Zuständig 180

Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 82; Klein, in: Ress / ​ Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völker- u. Europarecht, S. 131; ders., Diplomatischer Schutz in Hinblick auf Konfiskationen, S. 38 f.; Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 1071; Geiger, Staatsrecht III, § 56, S. 269; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 131; BVerfG, NJW 1981, 1499, 1500 ff. (= BVerfGE 55, 349); BVerfG, Fall NATO Doppelbeschluss, BVerfGE 66, 39 (60 f.); Schmahl, in: Bauschke / ​Becker / ​Brauser-Jung (Hrsg.), Pluralität des Rechts, S. 167. 181 Siehe Doehring, Pflicht des Staates, S. 43 ff.; Kämmerer, in: Bonner Kommentar, Art. 16 Rn. 63; Kötter / ​Nolte, DöV 2007, 186, 190 f.; kritisch auch Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 108 f. 182 Doehring, Pflicht des Staates, S. 43 ff.; Geck, ZaöRV 1956/1957, 476, 510; Blumenwitz, in: Heldrich (Hrsg.), FS Ferid, S. 444; Rudolf, in: Kokot / ​Skubiszewski (Hrsg.), Staatsangehörigkeit, soziale Grundrechte, wirtschaftliche Zusammenarbeit, S. 62. 183 So auch Oberthür, Anspruch der deutschen Staatsangehörigen auf diplomatischen Schutz, S. 23 f.; Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 82 f.; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 123 f.; Klein, DöV 1977, 704, 704 ff.; ders., DöV 1979, 39, 39 f.; Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 106; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 205 f.; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 100 ff. 184 Jaeckel, Schutzpflichten des deutschen und europäischen Rechts, S. 82 f.; Treviranus, DöV 1979, 35, 36. 185 Kurz zusammengefasst und m. w. N. bei Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 57; s. a. bei Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 863 m. w. N. 186 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 57.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

keitsumfang des jeweiligen völkerrechtlichen Abkommens.187 Gelten die einzelnen völkerrechtlichen Abkommen nur für die jeweiligen Territorien der Mitgliedsstaaten des Abkommens, so kann eine Verpflichtung zum extraterritorialen Auslandsschutz nicht gegeben sein. Gilt die Verpflichtung zum Schutz jedoch unabhängig vom eigenen Territorium, so kann eine extraterritoriale Schutzpflicht teilweise auch völkerrechtlichen Abkommen entnommen werden.188 a) Aus den Verpflichtungen der EMRK In Frage steht, ob sich der Anwendungsbereich der allgemeinen Schutzpflicht der EMRK aus Art. 1 Abs. 1 EMRK i. V. m. dem jeweiligen Einzelrecht189 auch auf extraterritoriale Menschenrechtsbedrohungen und -beeinträchtigungen durch fremde Staaten erstrecken soll. Anknüpfungspunkt für die Weite der Garantien der EMRK und somit auch ihrer Schutzpflichten ist ebenfalls Art. 1 EMRK, der den räumlichen Anwendungsbereich der Konvention festlegt.190 In der englischen Originalfassung wird der weite Begriff der „jurisdiction“ verwendet,191 weswegen die EMRK außerhalb des Staatsgebiets eines Konventionsstaates grundsätzlich nicht anwendbar sein soll. Nur, wenn eine faktische, überlegene Einflussmöglichkeit und die physische extraterritoriale Anwesenheit des Konventionsstaates bzw. ihm zurechenbarer Akteure im Ausland besteht, soll auch von einer Jurisdiktion ausgegangen werden.192 Es muss also eine „effektive Kontrolle über das Territorium, eine Person oder über Sachen“ durch den Konventionsstaat auf dem fremden Staatsgebiet bestehen;193 dies kann etwa bei Militäraktionen oder Inhaftierungen der Fall sein. 187

Siehe Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 55 f., 63. Ausführlich zu extraterritorialen Schutzpflichten im Völkerrecht siehe Papp, Extrater­ ritoriale Schutzpflichten, S. 57 ff. 189 Siehe dazu S. 229 ff. 190 Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​Raumer, EMRK Art.  1 Rn. 1 ff.; Peters, AVR 2010, 1, 3; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 223; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 61; Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 32 f.; Krieger, ZaöRV, 669, 670. 191 Peters, AVR 2010, 1, 3; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 63 ff.; Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 25; Krieger, ZaöRV, 669, 671. 192 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 77 f.; Milanovic, HRLR 2008, 411, 446 ff.; Schmahl, JuS 2018, 737, 740. 193 Allgemein zur effektiven Kontrolle: EGMR, Issa u. a. vs. Turkey, Entsch. v. 16. Novem­ ber 2004, App. no. 31821/96, Rn. 71 f.; EGMR, Behrami vs. France / ​Saramti, EuGRZ 2007, S. 530 ff. m. w. N.; zur effektiven Kontrolle über das Gebiet: EKMR, Fall Cyprus vs. Turkey, Zulässigkeitsentscheidung v. 26. Mai 1975 zur App. No. 6780/74 v. 19. September 1974 und zur App. no. 6950/75 v. 21. März 1975, S. 82 ff. (siehe dazu auch Kitz, ZaöRV 1975, 759, 669 ff.); EKMR, Fall Cyprus vs. Turkey, Folgeverfahren, Entsch. v. 10. Juli 1978, App. No. 8007/77; EGMR, Loizidou vs. Turkey, Entsch. v. 18. Dezember 1996, App. No. 15318/89, Rn. 56 (= EuGRZ 1997, 555); zur effektiven Kontrolle über Personen: EGMR, Öcalan vs. Turkey, Entsch. v. 12. März 2003, App. no. 46221/99, Rn. 93 (= EuGRZ 2005, 463); bestätigt bei 188

B. Besondere Schutzpflichten der BRD gegen Eingriffe auswärtiger Staaten 

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In dem hier zu erörternden Fall besteht aber faktisch keine Einflussmöglichkeit auf die in auswärtiger Haft befindliche Person. Daneben tritt zudem, dass der Betroffene auch freiwillig in den anderen Staat einreiste und sich somit freiverantwortlich aus dem Schutzgebiet der Konventionsstaaten entfernte. Anders als bei den besonderen Auslieferungsfällen194 ist kein dem Konventionsstaat zurechenbarer vorgeschalteter Akt gegeben, an den die Jurisdiktion geknüpft werden könnte. Vielmehr befindet sich der deutsche Staatsangehörige ausschließlich durch die und in der fremden Hoheitsgewalt in Haft, unabhängig von dem Handeln und der Verantwortung eines Konventionsstaates. Es stellt sich daher die konkrete Frage, ob positive Schutzpflichten auch außerhalb der Jurisdiktion für Beeinträchtigungen durch fremde Staaten bestehen können. Die Straßburger Rechtsprechung hält sich diesbezüglich äußerst zurück,195 und verneinte bisher eine solche Weite von Schutzmaßnahmen außerhalb der Juris­ diktion.196 Grundlage dieser Rechtsprechung ist der Grundsatz, dass Handlungen von Drittstaaten gerade nicht an der EMRK gemessen werden dürfen und die Konventionsstandards solchen Staaten auch nicht abverlangt werden können.197 Die EMRK ist nur ein regionales Abkommen für ein europäisches System der Menschenrechte.198 Es treten aber Ansichten zu Tage, die in Einzelfällen eine Fortentwicklung der EMRK in der Hinsicht für möglich halten, dass gewisse Kernrechte der Konvention den Konventionsstaaten „jurisdiktionsunabhängige“ Pflichten aufEGMR, Ilascu u. a. vs. Moldova and Russia, Urteil v. 8. Juli 2004, App. no. 48787/99, Rn. 71 f.; zur effektiven Kontrolle über extraterritoriale Sachen: EGMR, Loizidou vs. Turkey, Entsch. v. 18. Dezember 1996, App. No. 15318/89, Rn. 48 ff. (= EuGRZ 1997, 555); ausführlich bei Peters, AVR 2010, 1, 31; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 72 ff.; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1323 ff.; Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich, S. 19 ff.; Jan­ kowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 68 ff.; siehe dazu auch Fastenrath, in: IntKommEMRK, Art. 1 Rn. 97. 194 EGMR, Soering, EUGRZ 1989, 314, 314 ff.; zu den aufenthaltsbeendeten Maßnahmen und ihrer Einordung innerhalb des Anwendungsbereichs der EMRK Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 82 ff.; Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 228; Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich, S. 8 ff.; Röben, in: Dörr / ​Grote / ​Marauhn, Kap.  5 Rn.  118 ff. 195 So auch Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1329; Arnauld v., in: Weingärtner (Hrsg.), Streitkräfte und Menschenrechte, S. 62. 196 EKMR, Fall Betrand Russel Peace Foundation Limited vs. UK, Entsch. v. 2. Mai 1978, App. no.  7597/76; EGMR, Orhan vs. Turkey, Entsch. v. 18. Juli 2002, App. no. 25656/94; EGMR, S v. Germany, Entsch. 5. Oktober 2984, App. no. 10686/83; Storost, Diplomatischer Schutz durch EG und EU?, S. 224 Fn. 819 m. w. N.; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1322; Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich, S. 104; Arnauld v., in: Weingärtner (Hrsg.), Streitkräfte und Menschenrechte, S. 62 f.; so auch Fastenrath, in: IntKommEMRK, Art. 1 Rn. 113 f. 197 EGMR, Soering vs. UK, Entsch. v. 7. Juli 1989, App. no. 14038/88, Rn. 86 (= EUGRZ 1989, 314 ff.); EKMR, Fall Betrand Russel Peace Foundation Limited vs. UK, Entsch. v. 2. Mai 1978, App. no. 7597/76; Röben, in: Dörr / ​Grote / ​Marauhn, Kap.  5 Rn.  113; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1325. 198 Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 143 f.; EGMR, Bankovic u. a. vs. Belgien u. a., Entsch. v. 12. Dezember 2001, App. no. 52207/99, Rn. 80 (= EuGRZ 2002, 133); so auch im Ergebnis Fastenrath, in: IntKommEMRK, Art. 1 Rn. 111.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

erlegen könnten.199 Auch die Rechtsprechung zeigte bereits leichte Ansätze dieser Richtung, wie der Fall Ilascu200 oder auch der Fall Matthews201 andeuten. Der Mangel an effektiver Kontrolle führe daher nicht per se zum Wegfall der „Juris­diktion“, sondern reduziere lediglich die Handlungspflicht des Staates auf verbleibende Schutzmöglichkeiten.202 Hierin könnte eine, wenn auch nur schwache, Tendenz zur Umkehr der Ansicht des EGMR zum Auslandsschutz erkannt werden,203 die jurisdiktionsunabhängigen Pflichten nicht abgeneigt sein könnte. Diese Tendenz zu einer jurisdiktionsunabhängigen Schutzpflicht stimmt im Grunde auch mit dem vom EGMR selbst verfolgten Konzept der „positive obligations“ überein. Wenn Art. 1 Abs. 1 EMRK i. V. m. dem konkreten Einzelrecht den Konventionsstaaten eine allgemeine Schutzpflicht auferlegt, dann muss diese unabhängig davon gelten, wo und durch wen die Rechte aus der EMRK beeinträchtigt werden.204 Wenn die Pflichten aus der EMRK jedoch jurisdiktionsunabhängig wären, müsste Folgendes beachtet werden: Solche Schutzpflichten außerhalb der akzeptierten Jurisdiktion wären aus Achtung vor der Souveränität des Nichtkonventionsstaates nur in geringem Umfang möglich. Würden jegliche Pflichten aus der EMRK jurisdiktionsunabhängig sein, würde dies dazu führen, dass die Mitgliedsstaaten dieser weiten Schutzpflichten durch die begrenzte Einwirkungsmöglichkeit von vorneherein gar nicht ausreichend und effektiv nachkommen könnten. Zwar können fehlende Einwirkungsmöglichkeiten, wie auch im innerstaatlichen Recht, nicht von vornherein die Existenz solcher weitergehenden Pflichten beweisen,205 doch tritt auf der Ebene des Völkerrechts das Problem hinzu, dass eine solche fehlende Durchsetzungsmöglichkeit bei den Konventionsstaaten zu einer 199 Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1322; Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 863; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 99; ähnl. Peters, AVR 2010, 1, 55 ff.; Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich, S. 104; Scheidler, DöV 2006, 417, 419; a. A. Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​Raumer, EMRK Art.  1 Rn. 1 f.; Künnemann, in: Coomans / ​Kamminga (Hrsg.), Extraterritorial Application, S. 228 f.; so auch Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 184; Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 32 f. 200 EGMR, Ilascu u. a. vs. Moldova and Russia, Entsch. v. 8. Juli 2004, App. no. 48787/99; kurz zum Fall Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 69 ff.; kritisch jedoch Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1327 m. w. N.; Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich, S. 34 f.; Fastenrath, in: IntKommEMRK, Art. 1 Rn. 98. 201 EGMR, Matthews vs. UK, Urteil v. 18. Februar 1999, App. no. Nr. 24833/94, Rn. 34; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1327 f. 202 EGMR, Ilascu u. a. vs. Moldova and Russia, Entsch. v. 8. Juli 2004, App. no. 48787/99, Rn. 330 ff.; siehe so zusammengefasst bei Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1325 f.; Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 71 f. 203 So Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1327 m. w. N. 204 Ähnl. Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1330; Jankowska-Gilberg, Extrater­ ritorialität der Menschenrechte, 139 ff., 143 ff.; Scheidler, DöV 2006, 417, 419; a. A. Künne­ mann, in: Coomans / ​Kamminga (Hrsg.), Extraterritorial Application, S. 228 f.; JankowskaGilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 184; Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 32 ff. 205 So Oberthür, Diplomatischer Schutz, S. 46 f.

B. Besondere Schutzpflichten der BRD gegen Eingriffe auswärtiger Staaten 

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„Abstumpfung“ gegenüber Schutzpflichten führen könnte, die wegen aussichtslosem Erfolg zu einem rein deklaratorischen Instrument verkümmern würden. Eine solche „Abstumpfung“ gegenüber Schutzpflichten aus der EMRK könnte nicht nur die jurisdiktionsunabhängigen Pflichten betreffen, sondern sich auf die Konvention im Ganzen ausweiten. Dies wäre hinsichtlich der hohen Bedeutung der EMRK 206 und der Tendenz zur Ausdehnung der Menschenrechte207 keine zu begrüßende Entwicklung. Wenn eine jurisdiktionsunabhängige Pflicht somit angenommen werden soll, dann müsste sie jedenfalls begrenzt werden. Diese Begrenzung führt jedoch wiederum zu dem Problem, ob und wenn ja, worauf und wie weit eine solche jurisdiktionsunabhängige Pflicht aus der EMRK überhaupt begrenzt werden kann. Es müssten Kerngarantien der EMRK, wie etwa Art. 2, 3 und 4 EMRK,208 heraus­ gearbeitet werden, die innerhalb der Menschenrechte eine erhöhte Stufe einnehmen. Wenn Menschenrechte jedoch Rechte sind, die allein aus dem „Menschsein“ bestehen,209 dann erscheint eine solche Aufspaltung der Menschenrechte innerhalb der Konvention in „jurisdiktionsunabhängig schützenswert“ und „nicht juris­ diktionsunabhängig schützenswert“ nicht möglich. So wünschenswert die Ausweitung von Menschenrechten aus der EMRK ist, so diffiziler erscheint die effektive Durchsetzung dieser Rechte außerhalb der Jurisdiktion eines Konventionsstaates. Zudem ist die EMRK ein regionales völkerrechtliches Abkommen,210 welches eben nicht international Geltung beanspruchen kann und soll. Um den Wert der EMRK nicht zu schwächen und eine Förderung der Menschenrechte weltweit effektiv zu stärken, müssen jurisdiktionsunabhängige Pflichten daher abgelehnt werden. Sinnvoller und angebrachter erscheint daher lediglich die Überzeugung anderer Staaten auf völkerrechtlicher Ebene, der Konvention beizutreten. So wird der Anwendungsbereich der EMRK nicht intern, aber extern erweitert. Diese „Pflicht“ zur Überzeugung wäre weniger streng, als bestimmte „Kern-Menschenrechte“ zu differenzieren, die ausnahmsweise auch jurisdiktionsunabhängige Schutzpflichten darstellen sollen. Eine jurisdiktionsunabhängige Schutzpflicht besteht durch die EMRK somit nicht, sodass den Konventionsstaaten keine Verpflichtung zum Schutz vor Beeinträchtigungen durch Drittstaaten auf konventionsfremdem Territorium auferlegt ist.

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Cammareri, JuS 2016, 791, 791 f.; BVerfG, NJW 2004, 3407 (= BVerfGE 111, 307 f.); siehe kurz auch den Einfluss der EMRK erwähnend Birk et al., in: IntKommEMRK, Vorwort, V. 207 Ress, ZaöRV 2004, 621, 621. 208 So vorschlagend Ress, in: Klein (Hrsg.), Duty to Protect, S. 188 ff.; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1328. 209 Fastenrath, in: IntKommEMRK, Art. 1 Rn. 1; Ress, ZaöRV 2004, 621, 622. 210 EGMR, Bankovic u. a. vs. Belgien u. a., EuGRZ 2002, 133 (= Entsch. v. 12. Dezember 2001, App. no. 52207/99, Rn. 80); Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 143 f.; Fastenrath, in: IntKommEMRK, Art. 1 Rn. 111; Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​Raumer, EMRK Art.  1 Rn.  1; Renzikowski, in: IntKommEMRK, Art. 5 Rn. 3; Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise, S. 123.

250

Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

b) Aus dem IPbpR Neben der Vielzahl übereinstimmender Rechtsgüter ist der IPbpR vergleichbar zur EMRK räumlich beschränkt.211 Obwohl der Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 IPbpR („­within its territory and subject to its jurisdiction“)212 darauf hindeutet, dass die Rechte des Paktes ausschließlich auf das Staatsgebiet der Paktstaaten beschränkt sind,213 ist anerkannt, dass der Anwendungsbereich des IPbpR auch außerhalb des Staatsgebiets besteht, wenn eine effektive Kontrolle des Paktstaates über das konkrete Gebiet besteht.214 Die effektive Kontrolle ist auch hier die Kontrolle über Gebiete215 und Personen216, wie sie etwa bei militärischer Besetzung oder friedenserhaltenden Maßnahmen der Fall sein kann.217 Eine Beschränkung auf das Territorium der einzelnen Paktstaaten würde dem Sinn und Zweck des Paktes nicht gerecht werden.218 Es gibt Ansätze, welche diese Schutzpflichten auch extrajurisdiktionell ausweiten. So vertritt Scheinin einen einzelfallbezogenen Ansatz, der die jeweiligen Pflichten stets nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls bestimmen möchte.219 Jankowska-Gilberg argumentiert, dass der Pakt nicht extraterritorial zulassen könnte, was intraterritorial verboten sei. So versucht sie, die Jurisdiktion an ein vorsätzliches und zielgerichtetes Handeln eines Paktstaates zu knüpfen, welches auch dann gelte, wenn sich ein Unterlassen gegen sich im Ausland befindende Personen richtet.220 Auch wenn beide Ansätze eine Schutzpflicht für die hier zu erörternden Fälle der im Ausland unter unmenschlichen Bedingungen Inhaftierten begründen könnten, sind diese abzulehnen. Es fehlt bei beiden an einer stichhaltigen Her­leitung und einer konkret feststellbaren Reichweite der extrajurisdiktionellen Schutzpflichten.221 Zwar könnte, wie Papp überlegt,222 ein extrajurisdiktioneller Ansatz auch einigen Äußerungen des HCR entnommen werden, indem der verwendete Begriff „within the Power“223 auch als „innerhalb seiner Einflussnahmefähigkeit“ verstanden wird; doch ist dieser Ansatz zu angreifbar, da die allgemei 211

Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 99. „In seinem Hoheitsgebiet und unter seiner Gerichtsbarkeit“, [Übersetz. d. Verf.]. 213 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 101; Schmahl, JuS 2018, 737, 739. 214 UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 31, Rn. 10; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 105. 215 UN-Menschenrechtsausschuss, Concluding Observations Israel, CCPR / ​C/79/Add. 93, Rn. 10. 216 UN-Menschenrechtsausschuss, Lopez Burgos vs. Uruguay, CCPR / ​C / ​OP/1 at 88 (1984), Rn. 12.3. 217 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 104 f. m. w. N. 218 Nowak, CCPR, Art. 2 Rn. 26; Arnauld v., in: Weingärtner (Hrsg.), Streitkräfte und Menschenrechte, S. 63; UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 23, Rn. 4. 219 Scheinin, in: Coomans / ​Kamminga (Hrsg.), Extraterritorial Application, S. 76. 220 Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 167. 221 So auch Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 107. 222 A. a. O. 223 UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 31, Rn. 10. 212

B. Besondere Schutzpflichten der BRD gegen Eingriffe auswärtiger Staaten 

251

nen Bemerkungen zum IPbpR (engl. General Comments) nur auslegungsweisende Wirkung für den Vertrag haben sollen und selbst nicht ausgelegt werden dürfen.224 Ebenso sprechen vergleichbare Erwägungen zur EMRK gegen eine jurisdiktionsunabhängige Schutzpflicht.225 Daher ist für den IPbpR eine extrajurisdiktionelle Schutzpflicht mit Blick auf den Wortlaut des Art. 2. Abs. 1 IPbpR abzulehnen.226 c) UN-Antifolterkonvention Anders als viele andere Verträge bestimmt die UN-Antifolterkonvention mit verschiedenen Jurisdiktionsklauseln in den Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 lit. a, Abs. 2, Art. 7 Abs. 1, Art. 11–13, Art. 16 und Art. 22 Abs. 1 UN-Antifolterkonvention ihren Anwendungsbereich relativ detailliert. Dabei wird deutlich, dass die UN-Antifolterkonvention überwiegend für intraterritoriale Sachverhalte Schutzpflichten schaffen soll.227 Nur wenn die tatsächliche Kontrolle über eine Situation besteht, soll diese auch extraterritoriale Schutzpflichten auferlegen;228 die tatsächliche Kontrolle ist anzunehmen, wenn der Staat faktisch und tatsächlich Einfluss auf die jeweilige Situation hat.229 Es besteht in Bezug auf die Schutzpflichten der UN-Antifolterkonvention jedoch Einigkeit darüber, dass diese nur intrajurisdiktionell bestehen. Ein extrajurisdiktioneller Anwendungsbereich der positiven Verpflichtungen ist somit für die UN-Antifolterkonvention unstrittig abzulehnen.230 d) Zusammenfassung Aus den Menschenrechtsverträgen der EMRK, dem IPbpR und der UN-Antifolterkonvention kann keine positive Verpflichtung zu Schutzmaßnahmen gegen Eingriffe fremder Staaten auf fremdem Territorium begründet werden. Zwar gelten die Schutzpflichten der EMRK und des IPbpR teilweise auch für extraterritoriale Sachverhalte; doch gelten diese nur, wenn der jeweilige Mitgliedsstaat auch effektive Kontrolle über das jeweilige Gebiet oder eine Person im Ausland besitzt. Für 224

So dann auch Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 107. Siehe S. 245 ff. 226 So auch Dupuy, in: Klein (Hrsg.), Duty to Protect, S. 325; weitgehend zustimmend Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 108 f., der jedoch Fälle von aufenthaltsbeendeten Maßnahmen als extrajurisdiktionell bewertet und solche unter die Schutzpflicht stellt; Gollwitzer, MRK und IPbpR, IPbpR Art. 2 Rn. 19; Nowak, CCPR, IPbpR Art. 2 Rn. 27; Buergenthal, in: Henkin (Hrsg.), Bill of Rights, S. 75; Tomuschat, EuGRZ 1981, 521, 521 f.; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1331 f.; Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 31. 227 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 136; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1294; Nowak / ​McArthur, UN Convention Against Torture, S. 116 f. 228 Skogly, Beyond National Borders, S. 106; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 135 ff. 229 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 137. 230 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, S. 136; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1294; Nowak / ​McArthur, UN Convention Against Torture, S. 116 f. 225

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

die Fälle der Ausnahmevollstreckungsübernahme fehlt es jedoch an einem solchen konkreten Anknüpfungspunkt.

3. Zusammenfassung Die besondere Schutzpflicht der Bundesrepublik Deutschland, ihre Staatsangehörigen vor Eingriffen in Rechte durch einen auswärtigen Staat zu schützen, beruht sowohl auf dem Treueverhältnis zwischen einem Staat und seinen Bürgern als auch auf den Grundrechten. Aus völkerrechtlichen Abkommen, wie der EMRK, dem IPbpR oder der UN-Antifolterkonvention, erwächst nur dann die spezielle Auslandsschutzpflicht, wenn ein Anknüpfungspunkt für die Verantwortung der Konventionsstaaten besteht. Da es sich im Rahmen der Vollstreckungsübernahme um Fälle handelt, in denen der Betroffene in einem auswärtigen Staat unabhängig von einer Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, bestehen vorliegend keine extraterritorialen Schutzpflichten aus völkerrechtlichen Menschenrechtsverträgen.

III. Zwischenergebnis In Fällen des extraterritorialen Auslandsschutzes, also dann, wenn auf fremdem Staatsgebiet ein Eingriff durch eine fremde Hoheitsmacht erfolgt, ist zwischen zwei Ebenen zu unterscheiden: Der völkerrechtlichen Ebene zwischen den beiden Staaten sowie der innerstaatlichen Ebene zwischen Staat und Staatsangehörigem. Auf der völkerrechtlichen Ebene geht es um das Recht des Staates ausnahmsweise zum Schutz seiner Staatsangehörigen auf fremdem Gebiet tätig werden zu dürfen. Dieses Tätigwerden des Staates wird in diplomatischen Schutz i. e. S. und diplomatischen Schutz i.w.S. eingeteilt. Maßnahmen des diplomatischen Schutzes i. e. S. richten sich immer gegen völkerrechtswidrige Eingriffe fremder Staaten in Rechte der Staatsangehörigen des schützenden Staates. Maßnahmen des diplomatischen Schutzes i.w.S. können sich gegen jegliche Beeinträchtigungen der Rechte eigener Staatsangehöriger richten, selbst gegen solche, die nicht von der fremden Hoheitsmacht ausgehen. Innerstaatlich ist der Auslandsschutz als „Einwirkungspflicht“ für den Staatsangehörigen zu verstehen, die den Staat gegebenenfalls verpflichtet, auf völkerrechtlicher Ebene auf den fremden Staat insofern einzuwirken, dass die Grundrechtsbeeinträchtigung auf fremdem Gebiet beendet wird. Dies kann etwa eine Pflicht auf Vornahme einer Maßnahme des diplomatischen Schutzes i. e. S. oder i.w.S. sein, aber auch lediglich die bloße Bitte, die Beeinträchtigung zu beenden. Die allgemeine innerstaatliche, grundrechtliche Schutzpflicht i. V. m. dem Schutz- und Treueverhältnis ist so umfassend, dass diese auch für extraterritoriale Eingriffe durch fremde Staaten besteht. Lediglich die beschränkten Handlungs-

C. Anspruch auf Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme 

253

möglichkeiten auf völkerrechtlicher Ebene müssen in Bezug auf diese Pflicht berücksichtigt werden. Im Gegensatz zum Grundgesetz kann den völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzabkommen der EMRK, dem IPbpR und der UN-Antifolter­ konvention keine Verpflichtung zum extraterritorialen Auslandsschutz entnommen werden.

C. Anspruch auf Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme Der Bundesrepublik Deutschland kommt die grundrechtliche Pflicht zu, Rechte der eigenen Staatsangehörigen auch vor Beeinträchtigungen auf fremdem Staatsgebiet durch auswärtige Staatsgewalten zu schützen. Aus dieser objektiven Verpflich­ tung des Staates kann jedoch nicht per se von einen subjektiven Anspruch des Einzelnen ausgegangen werden,231 wenngleich zu vermuten ist, dass ein solches subjektives Recht des Einzelnen besteht.232 Insbesondere der Umfang eines solchen Rechts ist schwieriger zu definieren als im rein inländischen Raum. Vorliegend soll neben der kurzen Darstellung der Existenz des subjektiven Rechts des Einzelnen auf Auslandsschutz untersucht werden, ob sich der subjektive Anspruch des Einzelnen auf Auslandsschutz auf die Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahmen nach § 49 Abs. 3 bzw. § 54a Abs. 1 und Abs. 2 IRG verengen kann. Ein solcher Anspruch könnte vor allem in Fällen bestehen, in denen die auswärtigen Haftbedingungen grundrechtlichen und menschenrechtlichen Standards nicht genügen.

I. Subjektives Recht des Einzelnen auf Auslandsschutz Im Zusammenhang mit einem subjektiven Recht des Einzelnen auf Auslandsschutz wurde lange diskutiert, ob völkerrechtliche Grenzen einem solchen Recht entgegenstehen. Daher war man sich zunächst uneinig, ob das Recht des Betroffenen auf Schutz vor Eingriffen des Auslands nur ein bloßer Reflex des objektiven Rechts sei oder ob dieses auch ein subjektives Recht enthalten könne.233 Später war 231

So auch Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 97. Doehring, Pflicht des Staates, S. 89 ff.; Geck, ZaöRV 1956/1957, 476, 480 ff.; Blumenwitz, in: Heldrich (Hrsg.), FS Ferid, S. 445; Eilers / ​Heintzen, RIW 1986, 619, 621; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 110; Scheidler, DöV 2006, 417, 420 f.; Kämmerer, in: Bonner Kommentar, Art. 16 Rn. 63 f.; Klein, Diplomatischer Schutz in Hinblick auf Konfiskationen, S. 42; Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 176 ff.; BVerfG, NJW 1981, 1499 ff. (= BVerfGE 55, 349); Geiger, Staatsrecht III, § 56 S. 269. 233 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 119 f.; Seydel, Bayrisches Staatsrecht I, S. 173 Fn. 55; auch Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches I, § 16, S. 152 ff.; so auch bei Doehring, Pflicht des Staates, S. 90 ff.; Geck, ZaöRV 1956/1957, 476, 480 f.; Oberthür, Anspruch der deutschen Staatsangehörigen auf diplomatischen Schutz, S. 27 f.; Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 173. 232

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

man sich zumindest überwiegend einig, dass ein subjektives Recht zum Auslandsschutz besteht,234 strittig blieb jedoch, wie weit ein solcher Anspruch des Einzelnen reichen kann. Während einige einen unbedingten Anspruch auf Schutz ohne Vorbehalt des Schutzes des Allgemeininteresses annahmen,235 plädierten andere lediglich für einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung mit Vorbehalt.236 Diese Unterscheidung hat insbesondere Bedeutung für die Frage, wann dem Einzelnen Ersatz- und Aufopferungsansprüche zustehen. Wird vertreten, dass dem Einzelnen ein unbedingter Anspruch zusteht, so würden immer dann Ersatz- und Aufopferungsansprüche entstehen, wenn ein Schutz verweigert würde  – unabhängig von den Gründen der Ablehnung.237 Wird jedoch vertreten, dass bloß ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung besteht, so entstehen Ersatz- und Aufopferungsansprüche nur, wenn der Schutz zugunsten von Allgemeininteressen rechtswidrig abgelehnt wurde.238 Zuzustimmen ist letzterer Ansicht. Wie die objektive Pflicht, muss auch das subjektive Recht des Einzelnen auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörden begrenzt sein. Begründet wird dieses subjektive Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung in dem verfassungsrechtlichen Verhältnis zwischen Staat und Bürger,239 aber auch in der Grundrechtssphäre der Grundrechte des Ein-

234

Angestoßen vor allem von Doehring, Pflicht des Staates, S. 89 ff. und Oberthür, Diplomatischer Schutz, S. 27 ff; bestätigt durch Geck, ZaöRV 1956/1957, 476, 480 ff.; Kämmerer, in: Bonner Kommentar, Art. 16 Rn. 63 f.; siehe zusammenfassend auch Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 173 ff.; Blumenwitz, in: Heldrich (Hrsg.), FS Ferid, S. 445; Eilers / ​Heintzen, RIW 1986, 619, 621; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 110; Scheidler, DöV 2006, 417, 420 f.; Klein, Diplomatischer Schutz in Hinblick auf Konfiskationen, S. 42; BVerfG, NJW 1981, 1499 ff. (= BVerfGE 55, 349); Geiger, Staatsrecht III, § 56 S. 269. 235 Oberthür, Anspruch der deutschen Staatsangehörigen auf diplomatischen Schutz, S. 49 f.; Oberthür verweist auf Geck und Schneider, die zwar auch ein subjektiv-öffentliches Recht annehmen, jedoch dieses stets unter einen Vorbehalt der Allgemein- und außenpolitischen Interessen stellen, siehe Geck, ZaöRV 1956/1957, 476, 497; Schneider, Liquidation deutschen Auslandsvermögens, S. 56 f. 236 Doehring, Pflicht des Staates, S. 31 ff.; Rudolf, in: Kokot / ​Skubiszewski (Hrsg.), Staatsangehörigkeit, soziale Grundrechte, wirtschaftliche Zusammenarbeit, S. 80 f.; Ress, ZaöRV 1972, 420, 420 ff.; Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 173; Geck, ZaöRV 1956/1957, 476, 497; Schneider, Liquidation deutschen Auslandsvermögens, S. 56 f.; Klein, DöV 1977, 704, 707 f.; ders., NJW 1989, 1633, 1635 f.; ders., Diplomatischer Schutz in Hinblick auf Konfiskationen, S. 41 f.; Blumenwitz, in: Heldrich (Hrsg.), FS Ferid, S. 446; Eilers / ​Heintzen, RIW 1986, 619, 621; Scheidler, DöV 2006, 417, 418; ähnl. auch Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 106 f.; wohl auch Dauster, Jura 1990, 168, 266; Heldmann, StV 1981, 33, 35. 237 Siehe bei Oberthür, Anspruch der deutschen Staatsangehörigen auf diplomatischen Schutz, S. 97 ff.; ähnl. argumentiert auch Kursawe, Beachtung des grundgesetzlichen Eigentumsschutzes, S. 165 ff. 238 Doehring, Pflicht des Staates, S. 113 ff.; zustimmend auch Geiger, Staatsrecht III, § 56 S. 269; Blumenwitz, in: Heldrich (Hrsg.), FS Ferid, S. 445 f. 239 Geck, ZaöRV 1956/1957, 476.

C. Anspruch auf Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme 

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zelnen240.241 Entscheidend ist, nochmals zu betonen, dass dieser Anspruch nicht aus der unmittelbaren Grundrechtsposition des deutschen Staatsbürgers besteht, sondern lediglich aus der Grundrechtssphäre des Einzelnen zu ziehen ist. Das hat die Konsequenz, dass dem Einzelnen nur dann Ersatzansprüche zustehen, wenn das Ermessen fehlerhaft ausgeführt und der Schutz rechtswidrig versagt wurde.242 Der Einzelne hat somit ein subjektives Recht auf Auslandsschutz.

II. Umfang und Grenze des Anspruchs auf Auslandsschutz Da das subjektive Recht nicht weitergehen kann als die objektive Pflicht, richtet sich auch das subjektive Recht des Einzelnen nur auf die ordnungsgemäße Ausübung eines Ermessens. Der Umfang der Auslandsschutzpflicht ist daher stets vom Einzelfall abhängig. Dennoch soll vorliegend eine Vorstellung von dem weiten, stetig neu zu bewertenden Ermessensspielraum der Bundesrepublik Deutschland243 und den darin zu beachtenden Aspekten gegeben werden. Insbesondere der außenpolitische Bezug zu einem fremden, souveränen Staat und die dadurch bedingten begrenzten Handlungsmöglichkeiten spielen in diesem Rahmen eine entscheidende Rolle.244 1. Ermessensausübung Die Pflicht des Staates, die Grundrechte eines Staatsbürgers auch vor Eingriffen durch fremde Staaten auf fremdem Staatsgebiet zu schützen, richtet sich auf die Ausübung eines fehlerfreien Ermessens.245 Durch den außenpolitischen Bezug 240

Klein, DöV 1979, 39, 40; ders., NJW 1989, 1633; ders., in: Ress / ​Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völker- u. Europarecht, S. 127 f.; so auch Eilers / ​Heintzen, RIW 1986, 619, 621; Blumenwitz, in: Heldrich (Hrsg.), FS Ferid, S. 446; Scheidler, DöV 2006, 417, 418; Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 105 f.; BVerfG, NJW 1957, 745 (= BVerfGE 6, 290); BVerfG, NJW 1975, 2287 ( = BVerfGE 40, 141); BVerfG, NJW 1981, 1499 f. (= BVerfGE 55, 349). 241 Siehe zu diesen beiden Unterscheidungen kurz zusammenfassend Scheidler, DöV 2006, 417, 418 f. 242 Klein, in: Ress / ​Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völker- u. Europarecht, S. 132 f.; ders., Diplomatischer Schutz in Hinblick auf Konfiskationen, S. 43; Blumenwitz, in: Heldrich (Hrsg.), FS Ferid, S. 446 f.; später wohl selbst Doehring in der anschließenden Diskussion bei Klein, in: Ress / ​Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völker- u. Europarecht, S. 140. 243 Vorliegend wird als Verpflichteter allgemein die Bundesrepublik Deutschland genannt. Freilich sind jeweils Stellen der Exekutive, der Judikative oder auch die Legislative konkret als zuständige Stelle verpflichtet. Wer letztendlich zuständig ist, ist abhängig davon, ob Gesetze, die Schutzmaßnahmen für den konkreten Fall zulassen, existieren und welche Stelle als zuständige Stelle festgelegt wurde. 244 Klein, Diplomatischer Schutz in Hinblick auf Konfiskationen, S. 39. 245 Siehe S. 253 f.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

räumt das Grundgesetz dem Staat jedoch einen weiten Entscheidungsspielraum ein, der sich sowohl auf das Entschließungsermessen als auch auf das Auswahlermessen erstreckt.246 Dies bedeutet, dass der Staat im Einzelfall bewerten muss, ob überhaupt eine Schutzpflicht für den konkreten Fall besteht und auch, wie er einer solchen Schutzpflicht begegnen kann und muss. Dabei steht ihm im Rahmen des Entschließungsermessens ein engerer Ermessensspielraum zu als beim Auswahlermessen.247 a) Entschließungsermessen Zumeist wird innerhalb des Entschließungsermessens zu bewerten sein, ob die Beeinträchtigung der Rechte des eigenen Staatsangehörigen durch den fremden Staat einem „rechtswidrigen Eingriff“ in das Grundrecht des deutschen Staatsangehörigen gleichkommt und sodann, wie schwer diese Beeinträchtigung wiegt.248 Bei der Schwere der Beeinträchtigung gilt es zwischen der Beeinträchtigungsform und Beeinträchtigungsintensität zu unterscheiden.249 Überschreitet die „Rechtswidrigkeit“ der Beeinträchtigung im Einzelfall dabei eine gewisse Schwelle, ist eine objektive Schutzpflicht anzunehmen. Dabei ist zu beachten, dass der auswärtige Staat gerade nicht an das deutsche Grundgesetz und die Grundrechte gebunden ist, sondern nur seinen eigenen Gesetzen unterliegt.250 Nur leichte Beeinträch­tigungen, sowohl in ihrer Art als auch in ihrer Intensität, werden somit meist noch keine Schutzpflicht Deutschlands für den Einzelnen auslösen können. Freilich wird bei der Betrachtung der Beeinträchtigungsschwelle auch zu beachten sein, welches Grundrecht des Staatsbürgers durch den fremden Staat eingeschränkt wird. So werden „rechtswidrige“ Beeinträchtigungen der wesentlichen (Menschen-)Grundrechte, wie des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, der Unverletzlichkeit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG oder gar die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG schneller die Schwelle zur Annahme einer Schutzpflicht überschreiten als die Beeinträchtigung anderer Grundrechte.251 Innerhalb des Entschließungsermessens muss daher berücksichtigt werden, inwieweit eine pflichtbegründende „Beeinträchtigungsschwelle“ durch den Eingriff

246 BVerfG, NJW 1981, 1499 f. (= BVerfGE 55, 349); ausdrücklich auch vorher schon OVG Münster, NJW 1989, 2209 sowie BVerwG, Fall Hess, JZ 1981, 390; Klein, Diplomatischer Schutz in Hinblick auf Konfiskationen, S. 39 f.; Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 177 ff. 247 BVerwG, Fall Hess, JZ 1981, 390; Klein, Diplomatischer Schutz in Hinblick auf Konfiskationen, S. 40 f.; Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 179 f. 248 Siehe Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 111. 249 Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 110 ff.; Klein, Diplomatischer Schutz in Hinblick auf Konfiskationen, S. 42. 250 Klein, Diplomatischer Schutz in Hinblick auf Konfiskationen, S. 38. 251 Ähnl. Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 172.

C. Anspruch auf Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme 

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des auswärtigen Staates überschritten wurde.252 Es gilt zu bewerten, ob diese Beeinträchtigung nach deutschem Recht rechtswidrig wäre, aber auch wie schwer die Beeinträchtigungsform und -intensität durch den auswärtigen Staat wiegt. Ein Verschulden des Schutzbedürftigen, etwa die freiwillige Einreise in Krisengebiete, trotz Warnungen des Auswärtigen Amtes, wird beim Entschließungsermessen einer Schutzpflicht jedoch nicht Bedeutung erlangen.253 b) Auswahlermessen Im Rahmen des Auswahlermessens kommt dem Staat ein weitaus höherer Ermessensspielraum zu als beim Entschließungsermessen.254 Das BVerfG stellte im bekannten „Hess-Urteil“255 ausdrücklich klar: „Die Weite des Ermessens im auswärtigen Bereich hat ihren Grund darin, daß die Gestaltung auswärtiger Verhältnisse und Geschehensabläufe nicht allein vom Willen der Bundesrepublik Deutschland bestimmt werden kann, sondern vielfach von Umständen abhängig ist, die sich ihrer Bestimmung entziehen. Um es zu ermöglichen, die jeweiligen politischen Ziele der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des völkerrechtlich und verfassungsrechtlich Zulässigen durchzusetzen, gewährt das Grundgesetz den Organen der auswärtigen Gewalt einen sehr weiten Spielraum in der Einschätzung außenpolitisch erheblicher Sachverhalte wie der Zweckmäßigkeit möglichen Verhaltens.“

Die Empfindlichkeit der auswärtigen Beziehung und das Interesse der Allgemeinheit an einer funktionsfähigen Außenpolitik bedingen es, dass im Rahmen des Auswahlermessens der Bundesrepublik Deutschland zwischen den Interessen des Einzelnen und den Interessen der Allgemeinheit stets abgewogen werden können muss.256 Zusätzlich grenzen auch die völkerrechtlichen Regeln das Ermes­sen der Bundesrepublik Deutschland teilweise ein, so etwa die Tatsache, dass die Bundes­republik Deutschland nicht ohne Weiteres auf fremdem Hoheitsgebiet agieren kann.257 Innerhalb des Auswahlermessens muss die Bundesrepublik Deutschland daher bewerten, welche Interessen im konkreten Fall vorliegen, wie stark diese zu gewichten sind und welche Maßnahmen überhaupt zur Gewährung des Schut-

252 Streuer, Die positiven Verpflichtungen, S. 110 f.; anders wohl Pietrzak, JuS 1994, 748, 751, der die Erheblichkeit des Eingriffs erst im Rahmen des Auswahlermessens für beachtenswert zu halten scheint. 253 Etwa zu erkennen an der weiteren Pflicht zum konsularischen Schutz, siehe dazu Kötter  / ​ Nolte, DöV 2007, 186, 188. 254 BVerfG, NJW 1981, 1499, 1500 f. (= BVerfGE 55, 349); Klein, Diplomatischer Schutz in Hinblick auf Konfiskationen, S. 40 f.; Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 179 f. 255 BVerfG, NJW 1981, 1499 (= BVerfGE 55, 349). 256 Hanschel, ZaöRV 2006, 789, 806; BVerfG, NJW 1977, 2255 (= BVerfGE 46, 160 ff.). 257 So auch Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 181; Tomuschat / ​Schmidt, Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, S. 45 f.; Dauster, Jura 1990, 168, 266.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

zes des Einzelnen in Betracht kommen. Es muss die Maßnahme gewählt werden, die für die Bundesrepublik Deutschland geeignet scheint, sowohl die Belange der Allgemeinheit als auch das Interesse des Einzelnen bestmöglich zu sichern. Das Interesse der Allgemeinheit kann die Wahl eines geeigneten Mittels erheblich einschränken.258 Insbesondere das Streben nach guten außenpolitischen Beziehungen, völkerrechtliche Rechtstreue sowie auch das Interesse an konkreter, aber auch allgemeiner internationaler Zusammenarbeit sind entscheidende Faktoren.259 Bedeutend ist auch, ob vorab amtliche Warnungen zur Einreise in den jeweiligen Staat durch das Auswärtige Amt gegeben wurden, und dem Betroffenen daher von vorneherein bewusst sein musste, dass etwaige Schutzmaßnahmen in der bestimmten Region nicht realisiert werden können. Verschulden des Betroffenen ist zwar für die Begründung einer Schutzpflicht nicht maßgeblich,260 kann aber im Auswahlermessen der Bundesrepublik durchaus berücksichtigt werden. Die Auswahl der Schutzmaßnahmen kann aber etwa auch eingeschränkt sein, wenn ein beeinträchtigendes Verhalten durch einen Diplomaten erfolgt, der Immunität genießt. Dabei ist es der Bundesrepublik Deutschland sogar gewährt, ein Mittel zu wählen, bei dem erhebliche Verletzungen der Rechte eines Staatsbürgers im Ausland hingenommen werden müssen, um Interessen der Allgemeinheit zu schützen.261 Durch diese flexible Auswahl im Rahmen des Auswahlermessens sollen vor allem neue Gefahren für die Allgemeinheit im grenzüberschreitenden Bereich durch einen Konflikt mit einem fremden Staat vermieden werden.262 In der Auswahl des Mittels kann die Bundesrepublik Deutschland auch die Erfolgsaussicht und Zweckmäßigkeit in ihr Ermessen einbeziehen und die daran geknüpften Konsequenzen mitberücksichtigen.263 Daher kann selbst eine erhöhte Gefahr für das Leben des Betroffenen die Auswahl auf die effektivste Schutzmaßnahme nicht beschränken, wenn Interessen der Allgemeinheit dagegen sprechen. Dies zeigte schon der inländische Fall des Arbeitsnehmerpräsidenten Hanns Schleyer, in dem die effektivste Schutzmaßnahme der Lösegeldzahlung abgelehnt wurde, um das erhöhte Interesse der Allgemeinheit zu schützen, weitere lebensbedrohende terroristische Erpressungen zu verhindern.264

258

Hanschel, ZaöRV 2006, 789, 806; Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 181 ff.; OVG Münster, DVBl. 1962, 140; Dauster, Jura 1990, 168, 267; Geck, ZaöRV 1956/1957, 476, 501 f. 259 BVerwG, NJW 1989, 2208. 260 Kötter / ​Nolte, DöV 2007, 186, 188. 261 OVG Münster, DVBl. 1962, 140; Hanschel, ZaöRV 2006, 789, 806; Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 181 ff. 262 Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 182 f. 263 BVerfG, NJW 1975, 573, 576 ff. (= BVerfGE 39, 1); BVerfG, NJW 1977, 2255 ff. (= BVerfGE 46, 160 ff.); Hanschel, ZaöRV 2006, 789, 806; Klein, Diplomatischer Schutz in Hinblick auf Konfiskationen, S. 39. 264 BVerfG, NJW 1977, 2255 ff.; Hanschel, ZaöRV 2006, 789, 806 f.

C. Anspruch auf Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme 

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Als mögliche Maßnahmen hat die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Auslandsschutzes ein weites Handlungsspektrum zur Auswahl.265 Neben den klassischen diplomatischen Schutzmaßnahmen,266 die aber nur zur Anwendung kommen dürfen, wenn die Beeinträchtigungen durch den auswärtigen Staat völkerrechtswidrig sind, kommen in Hinblick auf Grundrechtsverletzungen durch die fremde Hoheitsgewalt weitere Mittel in Betracht. So kann die Bundesrepublik Deutschland allgemeine Bitten, Forderungen oder auch die Darlegung eigener Rechtsansichten oder rechtliche Bewertungen einer Situation an den fremden Staat richten.267 Daneben können teilweise auch bestimmte Lebensbedingungen (wieder) hergestellt268 oder rechtliche Gestaltungs- und Wirkungsmöglichkeiten wie etwaige Klagemöglichkeiten wahrgenommen werden, welche die auswärtige Rechtsordnung eröffnet. Das Stellen von Anreizen im zwischenstaatlichen Raum, aber auch die Ausübung politischen Drucks sind ebenfalls eine mögliche Handlungsform, um Rechte eigener Staatsbürger in auswärtigen Staaten zu schützen. Im Einzelfall können zum Schutz des Einzelnen zusätzlich völkerrechtliche Verträge geschlossen oder im Rahmen von Verhandlungen auf die auswärtigen Rechts­ setzungsorgane Einfluss genommen werden, indem beispielsweise die Gegenseitigkeit der gewünschten Maßnahme versprochen wird.269 In Extremfällen kann die Schutzpflicht auch insofern ausgeführt werden, dass Verfahren vor internationalen Gerichten genutzt werden, um das Handeln des auswärtigen Staates überprüfen zu lassen und zugleich internationalen Druck aufzubauen.270 Das Auswahlermessen beinhaltet demnach die Bewertung des Ausmaßes der Beeinträchtigung, der mit dem Fall verbundenen Interessen der Allgemeinheit sowie des Schutzumfanges der Rechte des Einzelnen. Dabei muss auch berücksichtigt werden, welche Handlungsmöglichkeiten für die Bundesrepublik Deutschland überhaupt bestehen und welche davon am geeignetsten erscheinen, die festgestellten Interessenslagen zu schützen. Dabei ist das Mittel auszuwählen, welches am ehesten Erfolg für den Schutz des Einzelnen verspricht und am wenigsten Schaden für die Gesamtheit bringt.271 Bei mindestens zwei in Betracht kommenden Schutzmaßnahmen im außenpolitischen Bereich ist das Willkürverbot solange 265

Siehe dazu insgesamt Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 114 f.; Kleinlein  / ​ Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1280 m. w. N. 266 Siehe S. 237 ff. 267 Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 114; zu Bitten und Forderungen siehe Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 41. 268 Ein Beispiel wäre die zugesagte Finanzierung des Baus von Wohnungen oder die Veränderung der Geldmenge zur Erzielung eines gewünschten wirtschaftlichen Effekts, siehe so bei Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 114 Rn. 90; allgemein bei Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 43. 269 Heintzen, Auswärtige Beziehungen privater Verbände, S. 141; Elbing, Zur Anwend­barkeit der Grundrechte, S. 115; bspw. bei BVerfG, BeckRS 1971, 00459 (= BVerfGE 32, 111 (129)). 270 Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte, S. 115; Kleinlein / ​Rabenschlag, ZaöRV 2007, 1277, 1280. 271 Dauster, Jura 1990, 168, 267.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

nicht verletzt, wie beide Maßnahmen unter objektiver Betrachtungsweise als nicht von vorneherein ganz und gar untauglich eingestuft werden können und sich die Bundesrepublik Deutschland dann für eine der Alternativen entscheidet.272 c) Zusammenfassung Innerhalb des Auslandsschutzes kommt der Bundesrepublik Deutschland eine Schutzpflicht auf fehlerfreie Ermessensausübung zu. Diese erstreckt sich sowohl auf das Entschließungs- als auch auf das Auswahlermessen. Im Entschließungsermessen muss die Bundesrepublik Deutschland zunächst die Beeinträchtigung durch den fremden Staat auf seinem Gebiet einschätzen und bewerten, ob diese einer rechtswidrigen Verletzung des deutschen Grundrechts gleichkommt. In diesem Rahmen muss stets beachtet werden, dass der fremde Staat gerade nicht an das deutsche Grundgesetz und die Grundrechte gebunden ist, sondern nur seinen eigenen Gesetzen unterliegt. Erst wenn eine gewisse Beeinträchtigungsschwelle überschritten wird, überwiegt der Schutz der Grundrechte des Staatsangehörigen der Achtung der fremden Hoheitsgewalt. Im Auswahlermessen, in dem die Bundesrepublik Deutschland über die Art der Schutzmaßnahme entscheiden muss, kommt der Bundesrepublik Deutschland ein noch weiterer Ermessensspielraum zu. Grund dafür ist, dass die Möglichkeiten der verschiedenen Maßnahmen sowie daran anknüpfende Konsequenzen noch weitaus vielschichtiger sind als bei der bloßen Frage, ob ein Schutz des Staatsangehörigen rechtlich notwendig ist. Daneben treten völkerrechtliche Prinzipien, die bei der Entscheidung der in Betracht kommenden Maßnahmen beachtet werden müssen. Auch die Interessen der Allgemeinheit fallen vermehrt ins Gewicht. Wichtig in der Ermessensausübung, sowohl im Entschließungs- als auch im Auswahlermessen, ist, dass die Bundesrepublik Deutschland jegliche wesentlichen Faktoren berücksichtigt und alle Interessen in ihr Ermessen einbezieht. Solange die Entscheidung nicht willkürlich erfolgt, ist jedoch von einer fehlerfreien Ermessensausübung auszugehen. 2. Möglichkeit der Ermessensreduzierung auf Null Nur in speziellen Ausnahmefällen wird sich das Ermessen der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Auslandschutzes auf eine bestimmte Entscheidung verengen. Eine Schutzpflicht kann jedenfalls immer dann angenommen werden, wenn die auswärtigen Beziehungen nicht oder nur geringfügig beeinträchtigt werden und sonstige überwiegende Gründe des Gesamtinteresses nicht entgegen 272

BVerwG, NJW 1989, 2208; auch VG Köln, StV 1981, 34; Kursawe, Beachtung des grundgesetzlichen Eigentumsschutzes, S. 174 f.

C. Anspruch auf Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme 

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stehen.273 Eine Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des Entschließungsermessen kann daher vorliegen, wenn überhaupt keine Interessen der Allgemeinheit betroffen sind und nur das Interesse des Einzelnen zum Schutz seiner Rechte besteht. Zudem ist eine Schutzpflicht zumindest auch für den Fall zwingend anzunehmen, in dem der Eingriff im Ausland völkerrechtlichen Mindeststandards widerspricht. Die Beeinträchtigung der wesentlichen Grundrechte des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, sprechen grundsätzlich für eine Verengung des Ermessensspielraums der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Entschließungsermessens.274 Im Rahmen des Entschließungsermessens ist das Allgemeininteresse nur leicht beeinträchtigt, da eine mögliche Gewährleistung eines Schutzes für die Allgemeinheit zunächst nur bedeutet, dass eine Maßnahme vorgenommen wird, die gegebenenfalls Ressourcen kosten. Daher ist eine Annahme der Schutzpflicht zu vermuten, wenn Grundrechte im Ausland schwer beeinträchtigt werden. Schwieriger ist eine Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des Auswahlermessens. In diesem Ermessensspielraum sind weitaus mehr betroffene Allgemeininteressen zu gewichten, die einer einzig möglichen Ausübung des Auswahlermessens entgegenstehen können. Hier treten auf Seite des Allgemeininteresses etwa auch die Interessen, die völkerrechtliche Beziehung nicht zu gefährden und außenpolitische Beziehungen zu erhalten. Auch die Tatsache, dass im Auslandsschutz viele verschiedene Handlungsmöglichkeiten zur Schutzausübung bestehen, zeigt, dass nur selten eine einzige Maßnahme zum geeigneten Schutz bestehen wird. Zumeist werden der Bundesrepublik Deutschland nach Gewichtung der zu beachtenden Interessen mehrere geeignete Handlungsmodalitäten zur Verfügung stehen. Eine Ermessensreduzierung auf Null auf eine einzelne konkrete Maßnahme ist daher unwahrscheinlich. Nur in Ausnahmefällen kann sich das Auswahlermessen auf eine einzige Maßnahme verengen, wenn ein effektiver Schutz275 des Betroffenen durch keine andere Weise zu erreichen wäre.276 Jedoch bedeutet dies nicht, dass damit stets die effektivste Maßnahme einzuleiten ist. Selbst bei erheblicher Lebensbedrohung reduziert sich das Ermessen nicht stets auf Vornahme der effektivsten Schutzmaßnahme, wie im Schleyer-Urteil klargestellt wurde.277 Selbst in diesem Falle einer „lebensbedrohenden terroristischen Entführung“ verengte sich die Schutz 273

So OVG Münster, DVBl. 1962, 140; s. a. bei Hanschel, ZaöRV 2006, 789, 806; Bleckmann, in: Krautzberger / ​Bernhardt (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 319 f. 274 Ress bei Klein, in: Ress / ​Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völker- u. Europarecht, S. 143 f. in der anschließenden Diskussion. 275 Das Effektivitätsprinzip zog das BVerfG das erste Mal im Rahmen des Fristen­lösungs­ urteils heran, BVerfG, NJW 1975, 573 ff. (= BVerfGE 39, 1). 276 BVerfG, NJW 1977, 2255 ff. (= BVerfGE 46, 160 ff.); Hanschel, ZaöRV 2006, 789, 806; Bleckmann, in: Krautzberger / ​Bernhardt (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 320 f. 277 BVerfG, NJW 1977, 2255 ff. (= BVerfGE 46, 160 ff.); Hanschel, ZaöRV 2006, 789, 806 f.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

pflicht der Bundesrepublik Deutschland nicht auf das effektivste Mittel der Löse­ geldzahlung, da sonst die Schutzpflicht gegenüber der Allgemeinheit, weitere Geiselnahmen zu verhindern, zu weit eingeschränkt würde.278 Die Hinnahme schwerwiegender Verletzungen des Einzelnen ist daher im Einzelfall zum Schutz der Allgemeinheit erlaubt.279 Wenn der Betroffene schon im Inland bei Bedrohung seines Lebens nicht die effektivste Maßnahme wegen entgegenstehender Allgemeininteressen einfordern kann, ist eine Ermessensreduzierung auf Null auf die effektivste Schutzmaßnahme im Rahmen des Auswahlermessens innerhalb des Auslandsschutzes noch unwahrscheinlicher. Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt daher im Auswahlermessen nur vor, wenn gar kein oder nur geringes Allgemeininteresse betroffen ist und nur ein einziges Mittel zum Schutz des Betroffenen als effektiv eingestuft werden kann. Durch die Problematik des außenpolitischen Bezugs und die vielen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten ist eine solche Einschränkung auf ein bestimmtes Mittel jedoch unwahrscheinlich. 3. Zusammenfassung Die Schutzpflicht zum Auslandschutz und der Anspruch des Einzelnen auf Erfüllung dieser Pflicht richtet sich lediglich auf die Ausübung des fehlerfreien Ermessens. Eine konkrete Maßnahme kann der Einzelne nur dann fordern, wenn sowohl innerhalb des Entschließungs- als auch innerhalb des Auswahlermessens eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Eine solche ist zu vermuten, wenn gar kein oder nur ein geringes Interesse der Allgemeinheit entgegensteht und nur eine einzige effektive Maßnahme zum Schutz der Rechte des Einzelnen möglich ist. Durch die vielen verschiedenen zu berücksichtigenden Aspekte innerhalb des Auslandsschutzes kommen jedoch zumeist verschiedene mögliche Handlungsweisen in Betracht. Ein Anspruch des Einzelnen auf eine konkrete Schutzmaßnahme zum Schutz seiner Rechte vor Eingriffen eines auswärtigen Staates wird daher nur selten bestehen.

III. Anspruch auf Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme Grundsätzlich besteht somit die Pflicht der Bundesrepublik Deutschland zum Schutz seiner Staatsangehörigen im Ausland. Auch hat der Einzelne zumindest einen subjektiven Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zur Vornahme einer extraterritorialen Schutzmaßnahme. Offen blieb jedoch bis dato, inwieweit ein Betroffener, der im auswärtigen Strafvollzug unter schweren Haftbedingungen leidet, einen Anspruch auf Vornahme der Vollstreckungsübernahme gem. 278 279

BVerfG, NJW 1977, 2255 ff. (= BVerfGE 46, 160 ff.); Hanschel, ZaöRV 2006, 789, 806 f. OVG Münster, DVBl. 1962, 140; BVerfG, NJW 1977, 2255 ff. (= BVerfGE 46, 160 ff.).

C. Anspruch auf Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme 

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§ 49 Abs. 3 und § 54a IRG haben kann. Dabei muss zunächst hinterfragt werden, ob die Rechtshilfe der Ausnahmevollstreckungsübernahme überhaupt eine Maßnahme des klassischen Auslandsschutzes ist.

1. Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme als Maßnahme des Auslandsschutzes Um Fälle, in denen eine Ausnahmevollstreckungsübernahme in Betracht kommt, dem Auslandsschutz zuordnen und von einer rein staatlichen internationalen Rechtshilfe abgrenzen zu können, muss zunächst rekapituliert werden, um welche Art von Sachverhalt es sich handelt. In den Fällen, in denen die Verfahren gem. § 49 Abs. 3 IRG sowie § 54a Abs. 1 und Abs. 2 IRG in Frage kommen, sind deutsche Staatsangehörige von einer auswärtigen Hoheitsgewalt auf Grundlage der auswärtigen Rechtsordnung zu einer Freiheitsstrafe im auswärtigen Staat verurteilt worden. Dabei entspricht das Verfahren oder das daraus entstandene Urteil des auswärtigen Staates jedoch nicht den allgemeinen deutschen Rechtsstandards. In Frage steht diesbezüglich, ob Deutschland in solchen Fällen überhaupt zum Schutz seiner Staatsangehörigen gegenüber dem fremden Staat verpflichtet ist. Zu bedenken ist, dass der auswärtige Staat in den obigen Fällen lediglich seine eigenen Gesetze befolgt und mit der Freiheitsstrafe zumeist nur einen Rechtsverstoß des deutschen Staatsangehörigen ahndet. Da hier kein Verstoß gegen wesentliche, rechtsstaatliche Prinzipien oder fundamentale Menschenrechte vorliegt (ein solcher würde gem. § 73 S. 1 IRG die Vollstreckungsübernahme als Maßnahme ausschließen), kann eine Begründung der Schutzpflicht nicht per se angenommen werden.

a) Objektive Schutzpflicht für im Ausland inhaftierte Deutsche Eine objektive Schutzpflicht der Bundesrepublik Deutschland für Staatsangehörige, die sich im Ausland in auswärtiger Haft befinden, könnte sich zum einen aus der auswärtigen Verurteilung durch einen fremden Staat an sich und zum anderen aus den dort bestehenden Haftbedingungen ergeben.

aa) Schutzpflicht aufgrund einer Verurteilung zur Freiheitsstrafe im Ausland Eine objektive grundrechtliche Schutzpflicht der Bundesrepublik Deutschland für einen im Ausland inhaftierten Deutschen könnte sich zunächst darauf begründen, dass dieser im Ausland in einem auswärtigen Verfahren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Regelmäßige Fürsorgemaßnahmen zeigen, dass eine

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

Schutzpflicht für deutsche Staatsangehörige im Ausland, die sich in einer miss­ lichen Lage befinden, übernommen wird.280 Dazu gehört freilich auch die Situation, in einem fremden Staat „rechtmäßig“ zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden zu sein und dort unter den auswärtigen, teils der eigenen Kultur divergierenden Haftbedingungen und die Distanz zu Freunden und Familie zu leiden. Diese Übernahme der Fürsorge basiert nicht zwingend unmittelbar auf den Grundrechten des Betroffenen, sondern auf dem allgemeinen Fürsorge- und Treueverhältnis zwischen Staat und Bürger.281 Sie kann in dem Sinne dem Auslandsschutz zugeordnet werden, dass sich der eigene Staatsangehörige unter fremder Hoheitsgewalt befindet. Dass der Bundesrepublik Deutschland für solche Fälle eine gewisse Verantwortung zukommt und so eine objektive Fürsorgepflicht für den Einzelnen besteht, ist an den allgemeinen konsularischen Aufgaben, die Deutschland gesetzlich festgelegt hat, zu erkennen.282 Eine grundrechtliche Schutzpflicht zum Auslandsschutz bei einer Verurteilung im Ausland, die § 73 S. 1 IRG noch entspricht, kann daher nicht per se angenommen werden. Die Bundesrepublik Deutschland hat jedoch zumindest eine allgemeine Fürsorgepflicht.283 Ein damit korrelierendes, subjektives Recht des inhaftierten Deutschen auf Fürsorge in auswärtiger Haft durch die Bundesrepublik Deutschland kann mittlerweile auf Art. 3 Abs. 1 GG gestützt werden. Denn durch die traditionell regelmäßig übernommene Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für solche Fälle besteht eine Selbstbindung zur Unterstützung eigener Staatsangehöriger in Haft.284 Der Fall der Verurteilung eines Deutschen in einem auswärtigen Staat kann damit durchaus dem allgemeinen Auslandsschutz zugeordnet werden, wenngleich dieser nicht durch die Grundrechte begründet ist.

280

Siehe bspw. § 1 KonsG. Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 154 ff.; Oberthür, Anspruch der deutschen Staatsangehörigen auf diplomatischen Schutz, S. 11 und 13; Treviranus, DöV 1979, 35, 38; ablehnend dagegen Lenz, Der konsularische Schutz, S. 73 f. 282 Siehe ausdrücklich in § 7 KonsG. 283 Ablehnend bzgl. einer „konsularischen Schutzpflicht“ Lenz, Der konsularische Schutz, S. 72 ff.; später jedoch auf die Grundrechte stützend dies., der konsularische Schutz, S. 74 ff. Der Begründung der konsularischen Aufgaben auf den Grundrechten, wie Lenz dies vertritt, ist für den vorliegenden Fall einer Inhaftierung nur bedingt zuzustimmen. Die bloße Inhaftierung eines Deutschen im Ausland kann nicht stets mit einer „rechtswidrigen“ Beeinträchtigung des Freiheitsgrundrechts gleichgesetzt werden. Ist die Verurteilung und Inhaftierung des Betroffenen durch den auswärtigen Staat nach deutschem Rechtsverständnis rechtmäßig, liegt keine Grundrechtsbeeinträchtigung vor, die eine grundrechtliche Schutzpflicht und die Bindung gem. Art. 1 Abs. 3 GG begründet. In solchen Fällen besteht die Pflicht zum Handeln für die Bundesrepublik Deutschland mithin lediglich aufgrund des allgemeinen Treueverhältnisses zu seinen Staatsangehörigen. 284 Allgemein zu Art. 3 Abs. 1 GG siehe Kischel, in: Epping / ​Hillgruber, GG Art. 3 Rn. 14 ff.; ähnl. bei Kokew, Auslandsschutz bei Entführungen, S. 180, bei einem Anspruch auf Schutz bei Entführungsfällen. 281

C. Anspruch auf Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme 

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bb) Sonderfall der menschenunwürdigen Haftbedingungen Jedoch kann eine grundrechtliche (Auslands-)Schutzpflicht für eigene Staatsangehörige vorliegen, wenn ein Staatsbürger durch einen auswärtigen Staat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde und diese Strafe nun unter gesundheitsgefährdenden Haftbedingungen vollstreckt wird, die gegebenenfalls sogar schon menschenrechtliche Bedenken auslösen. In solchen Fällen kann die Beeinträchtigung des Rechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ggf. auch i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG innerhalb der auswärtigen Haft durchaus einem rechtswidrigen Eingriff nach deutschem Recht gleichgestellt werden und eine grundrechtliche Schutzpflicht begründen. Das Entschließungsermessen ist dann eingeschränkt. Die grundrechtliche Beeinträchtigung des eigenen Staatsangehörigen durch die gesundheitsgefährdenden Umstände in auswärtiger Haft lösen eine objektive Pflicht zum grundrechtlichen Auslandsschutz innerhalb des Entschließungsermessens aus. Im Auswahlermessen sind jedoch wiederum andere Aspekte zu berücksichtigen, sodass die objektive Pflicht nicht zwingend bedeutet, den Betroffenen auch aus den teils lebensbedrohenden Haftbedingungen befreien zu müssen.285 cc) Zusammenfassung Für die Fälle, in denen zumeist eine Ausnahmevollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 IRG bzw. § 54a IRG in Betracht kommt, besteht für die Bundesrepublik Deutschland eine objektive Fürsorge- und Schutzpflicht für die eigenen Staatsangehörigen. Dabei ist in der Begründung und der damit verbundenen Weite der Schutzpflicht jedoch zu differenzieren. Während lediglich eine allgemeine Fürsorgepflicht Deutschlands für im Ausland zur Freiheitsstrafe verurteilte und inhaftierte deutsche Staatsangehörige besteht, lösen auswärtige Freiheitsstrafen, die im Ausland unter gesundheitsgefährdenden, teilweise sogar unter gesundheitsbeeinträchtigenden Bedingungen vollstreckt werden, eine grundrechtliche Pflicht zum Auslandsschutz aus. Die unterschiedliche Begründung der Schutz- und Fürsorgepflicht für einen im Ausland inhaftierten, deutschen Staatsangehörigen wird allgemein in der Abwägung im Auswahlermessen entscheidend sein. b) Ausnahmevollstreckungsübernahme als Schutz- und Fürsorgemaßnahme im Auslandsschutz In den Fällen eines im Ausland inhaftierten Deutschen stehen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausübung ihrer Fürsorge- und Schutzpflicht verschiedene Maßnahmen zum Schutz ihrer Staatsangehörigen zur Verfügung. Bei der Wahl der geeigneten Maßnahme werden vor allem die Haftbedingungen, die persönliche Be 285

BVerfG, NJW 1977, 2255 ff. (= BVerfGE 46, 160 ff.); siehe dazu schon S. 255 ff.

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

lastbarkeit des Betroffenen sowie die Beziehung zum auswärtigen Staat Berücksichtigung finden. Auch wird bei der Abwägung entscheidend sein, inwieweit die allgemeinen Lebensstandards und unterschiedlichen klimatischen Bedingungen von deutschen Begebenheiten abweichen. Zur Ausübung des Schutzes eines in auswärtiger Haft Inhaftierten werden vor allem Maßnahmen des konsularischen Schutzes in Betracht kommen. Dass auch die Ausnahmevollstreckungsübernahme in solchen Fällen eine mögliche Schutzmaßnahme für den Betroffenen darstellen kann, ist insbesondere der Gesetzesbegründung zu diesen neuen Verfahren zu entnehmen, aus der deutlich wird, dass der Gesetzgeber sich ausschließlich aus fürsorglichen Gesichtspunkten für die Regelungen entschied.286 Die Ausnahmevollstreckungsübernahmen nach § 49 Abs. 3 IRG bzw. § 54a IRG können demnach mögliche Schutzmaßnahmen sein. Ob die Ausnahmevollstreckungsübernahmen nach § 49 Abs. 3 IRG bzw. § 54a IRG im konkreten Fall jedoch eine geeignete Maßnahme bilden und tatsächlich vorgenommen werden können, ist noch von drei Faktoren abhängig, die der Gesetzgeber festgelegt hat: Zum einen muss der auswärtige Staat sich zunächst geweigert haben, eine Vollstreckungsübernahme im Rahmen des § 49 Abs. 1 i. V. m. § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 IRG zu ermöglichen; für den Urteilsstaat darf eine Anpassung des Urteils an deutsche Verhältnisse nach § 49 Abs. 1 IRG unter keinen Umständen in Betracht kommen. Des Weiteren muss der Betroffene gem. § 49 Abs. 3 IRG bzw. § 54a Abs. 2 IRG den Antrag zur Vornahme der Vollstreckungsübernahme gestellt haben. Fehlt dieser, so steht der Bundesrepublik Deutschland die Ausnahmevollstreckungsübernahme als Schutzmaßnahme nicht zur Verfügung. Anschließend tätigt das Exequaturgericht im Rahmen von § 49 Abs. 3 IRG bzw. § 54a IRG eine Art „Vor-Auswahlermessen“, bei der das Exequaturgericht zunächst entscheiden kann, ob diese Maßnahme rechtlich als Schutzmaßnahme in Betracht kommt, also zulässig vorgenommen werden kann. Stellt das Exequaturgericht dabei erhebliche Abweichungen von deutschen Rechtsstandards fest, wie etwa ein Strafmaß, welches weit über das deutsche Höchstmaß hinaus geht und sogar schon die Grenze einer unverhältnismäßigen Strafe berührt, so hat es insbesondere die Schwere der Haftbedingungen im auswärtigen Strafvollzug und die Beeinträchtigungen des Betroffenen zu begutachten. Je schwerer und unmenschlicher die Haftbedingungen für den Betroffenen sind, desto eher ist die Vollstreckungsübernahmeentscheidung positiv zu bescheiden. Entscheidet das Exequaturgericht positiv, so steht die Ausnahmevollstreckungsübernahme der Bundesrepublik Deutschland als Schutzmaßnahme rechtlich offen. Auf Ebene des Bewilligungsverfahren erfolgt dann das letztendliche Auswahlermessen, bei dem unter Berücksichtigung von politischen Interessen auch andere Maßnahmen in Betracht kommen können, die im Vergleich zur Vollstreckungsübernahme geeigneter erscheinen können. Auf dieser Ebene werden vor allem das Verhältnis zum Urteilsstaat und weitere außenpolitische Interessen von Bedeutung sein. 286

BT-Drs. 18/4347, S. 88, 94.

C. Anspruch auf Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme 

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Die Ausnahmevollstreckungsübernahmeverfahren nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG können daher als mögliche Schutz- und Fürsorgemaßnahmen im Auslandsschutz eingestuft werden. Es ist jedoch von weiteren Faktoren im Einzelfall abhängig, ob diese eine mögliche und geeignete Schutzmaßnahme darstellen. 2. Ermessensreduzierung auf Null auf Durchführung der Ausnahmevollstreckungsübernahme Der Einzelne hat im Rahmen der auswärtigen Fürsorge- und Schutzpflicht nur einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung. Dass der Betroffene auch im Rahmen der Ausnahmevollstreckungsübernahme keinen gebundenen Anspruch auf Übernahme der Vollstreckung der Freiheitsstrafe haben soll, hat der Gesetzgeber durch die notwendige Abwägung des Gerichts im Vollstreckungsübernahmeverfahren deutlich gemacht. Insofern kann wiederum nur ein konkreter Anspruch auf Vornahme einer Vollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 bzw. § 54a Abs. 1 und Abs. 2 IRG bestehen, wenn im Einzelfall eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, bei der sowohl die Abwägung des Gerichts als auch die Entscheidung der Bewilligungsbehörde nur zugunsten der Übernahme ausfallen kann. Bei der Bewertung, ob eine Ermessensreduzierung auf Null zur Vornahme der Vollstreckungsübernahme als Schutzmaßnahme vorliegen kann, muss zwischen den Fällen unterschieden werden, ob lediglich eine bloße Verurteilung durch das Ausland vorliegt oder ob die Haftbedingungen gesundheitsgefährdende Zustände aufweisen. Handelt es sich lediglich um einen Fall, in dem ein Deutscher im Ausland zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, die Haftbedingungen jedoch allgemeinen Standards entsprechen, begründet sich die Fürsorgepflicht Deutschland nur auf dem allgemeinen Fürsorge- und Treueverhältnis zu seinen Bürgern. Diesem allgemeinen Fürsorgegedanken steht das Interesse der Bundesrepublik Deutschland und der Allgemeinheit gegenüber, grundsätzlich kein Urteil vollstrecken zu wollen, das eigenen Rechtsstandards widerspricht. Zum Schutz der eigenen Grundprinzipien kann daher auch die Regel benannt werden, dass je näher das auswärtige Urteil sich der Grenze des ordre public annähert, desto höher das Leid des Betroffenen und seine Vorteile durch die Vollstreckungsübernahme durch Deutschland sein müssen, damit die Abwägung des Gerichts positiv ausfallen muss. Beschließt das Exequaturgericht positiv, so muss zusätzlich das Ermessen der Bewilligungsbehörde auf die Maßnahme der Vollstreckungsübernahme verengt sein. Durch die vielen möglichen Maßnahmen und den zu berücksichtigenden außenpolitischen Aspekten wird die Beschränkung auf die Vollstreckungsübernahme als einzige Möglichkeit jedoch selten der Fall sein. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist für den Fall der bloßen Verurteilung des Betroffenen daher so gut wie ausgeschlossen. Anders könnte es für den Fall sein, in dem der Betroffene die Strafe unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen im Ausland verbüßt. In diesem Fall beruht

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Kap. 4: Der Anspruch des Inhaftierten auf Vollstreckungsübernahme 

die Schutzpflicht der Bundesrepublik Deutschland nicht nur auf dem allgemeinen Fürsorgegedanken gegenüber seinen Staatsangehörigen, sondern auch auf dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das heißt, dass in solchen Fällen neben das allgemeine Interesse des Betroffenen, in der Nähe seiner Familie und in seinem Heimatstaat die Freiheitsstrafe zu verbüßen, auch noch sein hohes, grundrechtliches Interesse an körperlicher Unversehrtheit tritt. Da nun Grundrechte verletzt werden, muss den Interessen des Betroffenen eine höhere Gewichtung zukommen, die den Allgemeininteressen gegenüber zu stellen ist. Wenn das Urteil den ordre public nicht verletzt, muss zum Schutz der Rechte des Betroffenen die Abwägung des Gerichts positiv ausfallen. Ist das auswärtige Urteil jedoch an der Grenze zum ordre public, muss das Gericht ermessen, wie schwer die Beeinträchtigungen der Grundrechte wiegen. Je eingriffsintensiver die Grundrechte durch die auswärtige Haft beeinträchtigt werden und je mehr das auswärtige Urteil den deutschen Rechtsstandards entspricht, desto höher ist die Pflicht des Gerichts, die Abwägung positiv zu entscheiden. Auf Ebene der Bewilligungsbehörde treten jedoch wiederum neben die grundrechtliche Beeinträchtigung des Betroffenen die Berücksichtigung anderer Schutzmaßnahmen sowie allgemeine außenpolitische Interessen. Eine Ermessenreduzierung auf Null auf die Vollstreckungsübernahme ist daher lediglich anzunehmen, wenn keine andere Schutzmaßnahme in Betracht kommt, das auswärtige Urteil nur leicht von innerstaatlichen Standards abweicht, gute sonstige Beziehungen zum Urteilsstaat bestehen und die Beeinträchtigungen der Grundrechte des deutschen Staatsangehörigen eine gewisse Schwelle übersteigt. Selbst für den Fall der beeinträchtigenden Haftbedingungen muss daher festgestellt werden, dass äußerst selten ein Anspruch auf die Vornahme der Vollstreckungsübernahme bestehen wird. Der Verurteilte hat daher zumeist nur einen Anspruch auf Prüfung der Vollstreckungsübernahme durch Exequaturgericht und Bewilligungsbehörde. Trotz der geringen Wahrscheinlichkeit eines konkreten Anspruchs des Einzelnen ist jedoch davon auszugehen, dass sowohl das Exequaturgericht als auch die Bewilligungsbehörde in den Fällen, in denen eine Vornahme der Ausnahmevollstreckungsübernahme möglich ist, positiv bewerten wird. Stellt der Betroffene den notwendigen Antrag nach § 49 Abs. 3 IRG bzw. § 54a Abs. 2 IRG und ersucht die Bundesrepublik Deutschland, seine Freiheitsstrafe zur Vollstreckung zu übernehmen, wird automatisch aufgrund fürsorglicher Gesichtspunkte die Tendenz bestehen, diesem Ersuchen nachzukommen.

D. Ergebnis Allgemeine Schutzpflichten ergeben sich zum einen aus innerstaatlichem Recht und zum anderen aus völkerrechtlichen Abkommen. Innerstaatlich entstammen die Schutzpflichten aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte sowie aus dem Treueverhältnis zwischen Staatsangehörigen und Bundesrepublik Deutsch-

D. Ergebnis 

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land. Bedeutsame Schutzpflichten aus völkerrechtlichen Abkommen beruhen vor allem auf Art. 1 Abs. 1 EMRK i. V. m. dem jeweiligen Einzelrecht für die Mitgliedsstaaten der EMRK und Art. 2 Abs. 1 IPbpR für die Mitgliedsstaaten des IPbpR. Ein extraterritorialer Schutz, also für Bereiche außerhalb der Jurisdiktion der Staaten, besteht aus völkerrechtlichen Abkommen aber nicht. Maßgeblich sind für die spezielle Auslandsschutzpflicht daher allein die Schutzpflichten, die dem innerstaatlichen Recht entstammen. Im Rahmen dieser Schutzpflicht besteht ein weiter Gestaltungs- und Ermessensspielraum. Die Weite dieses Ermessens richtet sich nach dem Grad der Verletzung der Rechte des Betroffenen und inwieweit Allgemeininteressen, wie der Schutz außenpolitischer Interessen, betroffen sind. Dementsprechend hat der Einzelne auch nur einen subjektiven Anspruch auf die ordnungsgemäße Ausübung des Ermessens. Einen Anspruch auf eine konkrete Schutzmaßnahme hat er nur dann, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. In Fällen des Auslandsbezugs wird dies nur selten gegeben sein. Die Ausnahmeregelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG bilden nicht bloß Verfahren der internationalen Rechtshilfe, sondern sind ebenso der allgemeinen Fürsorge- und Schutzpflicht der Bundesrepublik Deutschland zuzuordnen. In der Begründung dieser Fürsorge- und Schutzpflicht ist zwischen verschiedenen Fällen zu unterscheiden. Während für die Fälle einer bloßen Verurteilung in einem auswärtigen Staat die Fürsorgepflicht lediglich auf das allgemeine Fürsorge und Treueverhältnis zwischen Staat und Staatsangehörigen gestützt werden kann, beruht die Schutzpflicht für Fälle, in denen sich der Betroffene aufgrund eines auswärtigen Urteils unter gesundheitsgefährdenden oder gesundheitsbeeinträchtigenden Bedingungen in auswärtiger Haft befindet, maßgeblich auf seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Ein Anspruch auf Vornahme einer Vollstreckungsübernahme nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG kann nur dann vorliegen, wenn das Ermessen auf diese konkrete Schutzmaßnahme verengt ist. Eine solche liegt jedoch nur dann vor, wenn das auswärtige Urteil nur leicht von eigenen Rechtsstandards abweicht, der Betroffene erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigungen in auswärtiger Haft unterliegt, die Vollstreckungsübernahme die einzige geeignete Maßnahme darstellt, die Grundrechte des Betroffenen zu schützen, und keine anderen außenpolitischen Interessen der Vollstreckungsübernahme entgegenstehen. Da in Fällen, in denen die Ausnahmevollstreckungsübernahmen in Betracht kommt, zumeist auch Maßnahmen des konsularischen und diplomatischen Schutzes i.w.S. möglich sind, wird der Betroffene eine Vollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 und § 54a IRG nur selten einklagen können. Da der Gesetzgeber jedoch den Betroffenen durch die Regelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG weitergehend schützen wollte, ist in den meisten Fällen, in denen eine Ausnahmevollstreckungsübernahme beantragt wurde, von der positiven Abwägung und Bewilligung auszugehen.

Schlussbetrachtung Es wurde die Frage untersucht, ob die Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 und § 54a IRG legitime Rechtsgrundlagen für den Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG darstellen. Problematisch an diesen Regelungen erscheint vor allem, dass durch diese ein Eingriff auf deutschem Staatsgebiet zugelassen wird, der nach rein innerstaatlichem Recht nicht möglich gewesen wäre und teilweise auch Restzweifel an der Schuld des Verurteilten vor Übernahme der auswärtigen Strafe bestehen können. Ebenfalls von Interesse war, inwieweit der Betroffene einen Anspruch auf Vornahme und Leistung der Ausnahmevollstreckungsübernahme haben kann. Diesbezüglich konnte Folgendes festgestellt werden: – § 49 Abs. 3 und § 54a IRG sind legitime Rechtsgrundlagen für den Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG.1 – Die Ausnahmeregelungen der Vollstreckungsübernahme nach § 49 Abs. 3 und § 54a IRG verfolgen den führenden Zweck, staatliche Fürsorge gegenüber solchen deutschen Staatsangehörigen besser gewährleisten zu können, die in auswärtigen Strafvollzügen unter strengen Haftbedingungen leiden.2 – § 49 Abs. 3 und § 54a IRG sollen Ausnahmeverfahren bleiben und nur zur Anwendung kommen, wenn das Regelverfahren gem. § 49 Abs. 1, 2 und § 54 Abs. 1 sowie § 57 IRG vollständig ausgeschlossen ist.3 – Die beiden Varianten des § 54a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IRG sind alternativ und nicht kumulativ anwendbar.4 – Die Voraussetzungen der Ausnahmevollstreckungsübernahmeregelungen sind der freiwillige, unwiderrufliche Antrag des Betroffenen sowie die Abwägung des Gerichts zwischen individuellen und staatlichen Interessen.5 § 73 S. 1 IRG bleibt als oberstes Rechtshilfehindernis als Grenze der neuen Ausnahmeregelungen bestehen.6 – Der Antrag des Verurteilten ist sowohl eine Prozesserklärung als auch ein Grundrechtsverzicht, mit dem er in den Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 1

Siehe S. 141 ff. Siehe S. 91 f. 3 Siehe S. 91 f. 4 Siehe S. 90 f. 5 Siehe S. 97 ff. 6 Siehe S. 92 ff. 2

Schlussbetrachtung

271

S. 2 GG einwilligt. Zugleich ersucht er die Bundesrepublik Deutschland darin um Schutz.7 – Der Betroffene ist solange antragsfähig, wie er die Tragweite seiner Entscheidung einsehen kann. Etwaige psychische oder physische Beeinträchtigungen durch strenge Haftbedingungen stehen der Freiwilligkeit des Antrags nicht entgegen, da ihm durch die Vollstreckungsübernahme eine tatsächliche Wahl gegeben wird, den strengen Haftbedingungen zu entkommen.8 – Ist der Betroffene wegen der schlimmen Haftbedingungen psychisch oder physisch nicht mehr in der Lage, freiwillig seinen Willen zu äußern, kann sein gesetzlicher Betreuer den Antrag formell stellen. Die materielle Zustimmung innerhalb des Antrags zu einem Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG kann zusätzlich gem. § 1906 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BGB analog durch die Genehmigung des Betreuungsgerichts bestätigt werden, wobei dies nicht als zwingend erachtet wird.9 – Die Unwiderruflichkeit des Antrags begründet sich zum einen damit, dass Prozesshandlungen stets unwiderruflich sind. Zum anderen sind auch Zustimmungen zu staatlichen Maßnahmen nur solange widerruflich, wie die konkrete Maßnahme noch nicht beendet ist. Spätestens mit Überführung des Betroffenen auf deutsches Territorium ist die Vollstreckungsübernahme für den Verurteilten als beendet anzusehen.10 – Entgegen der Ansicht des Gesetzgebers sind Willensmängel nicht absolut unbeachtlich. Schwere Willensmängel, die etwa auf Gewalt oder Drohung beruhen, müssen im Einzelfall aus Gründen der Gerechtigkeit beachtlich sein und können somit trotz grundsätzlicher Unwiderruflichkeit angefochten werden.11 – Die Subjektqualität des Verurteilten wird durch die Vollstreckungsübernahme gem. § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1, Abs. 2 IRG ausreichend geachtet, obwohl eine Strafe auf deutschem Territorium vollstreckt wird, die nach eigener Rechtsordnung nicht hätte ergehen können.12 – Entscheidende Voraussetzung zur Achtung der Subjektqualität in § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1, Abs. 2 IRG ist das Zustimmungserfordernis des Verurteilten. Dieses ist zwingende Voraussetzung für eine legitime Ausnahmevollstreckungs­ übernahme.13

7

Siehe S. 98 ff. Siehe S. 109 ff. 9 Siehe S. 105 ff. 10 Siehe S. 114 ff. 11 Siehe S. 116 ff. 12 Siehe S. 127 ff. 13 Siehe S. 131 f. 8

272

Schlussbetrachtung

– Dass Restzweifel in Bezug auf die Feststellungen in der Wahrheitsfindung im Urteilsstaat verbleiben können, steht einer legitimen Ausnahmevollstreckungsübernahme nicht entgegen. Entscheidend dafür ist die Rechtskraft des auswärtigen Urteils, das Einverständnis des Betroffenen sowie der Schutzcharakter der Ausnahmeregelungen.14 – Die Vollstreckungszwecke sind die Tilgung der Schuld, die Sicherung des rechtshilferechtlichen Verkehrs sowie der Schutz des Betroffenen. Gleichlaufend dazu ist die Haft des Betroffenen in der Bundesrepublik Deutschland eine Strafhaft, eine Art fortgesetzter Schutzgewahrsam und eine Verfahrenssicherungshaft.15 – Die rechtliche Grenze einer jeden Rechtshilfehandlung und somit auch der Ausnahmeregelungen sind die fundamentalen Prinzipien der deutschen Verfassung. Auch für die Ausnahmeverfahren ist die Wahrung des ordre public zwingend.16 – Keine der allgemeinen Vollstreckungsübernahmevoraussetzungen, von denen gem. § 49 Abs. 3 und § 54a Abs. 1 IRG abgewichen werden kann, schützt Grundsätze, die dem Bereich des ordre public zuzuordnen sind. Ein Verzicht auf die Bedingungen in § 49 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 und § 54 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 sowie § 57 Abs. 2 IRG ist somit grundsätzlich möglich.17 – Es gibt jedoch weitere denkbare Härtefälle, in denen die Möglichkeit der Ausnahmevollstreckungsübernahme zum Schutz des ordre public ausgeschlossen ist. Diese stellen die letzte rechtliche Grenze einer Vollstreckungsübernahme dar.18 – Die Möglichkeit, dass der Verurteilte nach Überführung die Vollstreckungsübernahme und den weitergeführten Eingriff in sein Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG rügt, ist wegen begrenzter Rechtsbehelfsmöglichkeit gering. Sie ist jedoch nicht ausgeschlossen.19 – Zum weitergehenden Schutz außenpolitischer Beziehungen und des zukünftigen Rechtshilfeverkehrs ist es der Bundesrepublik Deutschland zu empfehlen, vorausschauend mit dem Urteilsstaat eine Rücküberführung zu vereinbaren, falls die übernommene Vollstreckung unplanmäßig frühzeitig abgebrochen werden muss. Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG steht der Rücküberführung dann nicht entgegen. Um das Rechtshilfehindernis des § 73 S. 1 IRG zu vermeiden, muss zusätzlich vereinbart werden, dass der Verurteilte bei Rücküberführung in ordnungsgemäßen Haft­ bedingungen unterkommt.20

14

Siehe S. 132 ff. Siehe S. 141 ff. 16 Siehe S. 145 ff. 17 Siehe S. 206. 18 Siehe S. 216 ff. 19 Siehe S. 207 ff. 20 Siehe S. 214 f. 15

Schlussbetrachtung

273

– Der Betroffene hat zwar einen Anspruch auf grundrechtlichen Schutz vor Eingriffen im Ausland auf fremdem Territorium, dieser richtet sich jedoch nur auf ordnungsgemäße Ermessensausübung.21 – Einen konkreten Anspruch auf Vornahme und Leistung der Vollstreckungsübernahme hat er nur, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Dass eine solche vorliegt, ist jedoch durch die vielen verschiedenen und möglichen Schutzmaßnahmen für Staatsangehörige in auswärtiger Haft unwahrscheinlich.22 – Alles in allem sind die Ausnahmeregelungen des § 49 Abs. 3 und § 54a IRG als größtmögliche Ausprägung eines fürsorglichen Rechtsstaats zu begrüßen.

21 22

Siehe S. 253 ff. Siehe S. 262 ff.

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Sachwortverzeichnis Antragsfähigkeit  104 f., 108 f., 120 f. Auslieferung  29, 41, 45–47, 65 f., 68, 76 f., 94, 123, 129, 148, 159–161, 168, 196 f., 207, 214 f.

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte  49–52, 56, 75, 235 f., 250 f. Internationales Strafrecht  28 f. Ius cogens  147

Belehrung  99, 104, 119–122, 209 Bewilligungsverfahren  65 f., 68–70, 114, 138, 266–268

Margin of appreciation  234 Meistbegünstigungsklausel  83 f. Menschenrechtsschutz  49, 51 f., 56, 129, 157, 253

Doppelbestrafungsverbot 170–173 Durchlieferung  29, 45, 47 Einverständnis  69, 79, 98 f., 103, 131, 272 Ersuchen  33, 37, 49, 62–65 Europäische Menschenrechtskonvention ​ 49 f., 52, 54, 56, 75, 156, 159, 161, 229 Europarat  52, 55, 57 f., 64 Evidenzkontrolle 226 Exequaturverfahren  66–68, 72, 74, 81, 85, 120, 161, 182, 202, 207, 210–212

Nemo-tenetur-Grundsatz 110 Nichteinmischungsgrundsatz 32 –– jurisdiction to adjudicate  32 –– jurisdiction to enforce  35 –– jurisdiction to prescribe  32 Objektformel 124 Pacta sunt servanda  50, 125 Prinzip des locus regit actum  36

Härtefälle  88, 162, 218, 272

Rb-Freiheitsstrafe  26, 42, 44, 57–60, 167 Rechtshilfe  19, 24–26, 28 f., 31, 33–36, 40 f., 44 f., 55–57, 60, 64, 86 f., 114, 123, 132, 138, 142, 153, 161, 164 f., 263, 269, 274 –– Geschäftsweg 64 –– große Rechtshilfe  46 –– kleine Rechtshilfe  29, 45, 47 –– sonstige Rechtshilfe  47 –– Übernahme der Strafverfolgung  48 –– Übertragung der Strafverfolgung  48 –– Verfahren  62 f., 69 Responsibility to Protect  31 Reststrafenaussetzung  83 f., 90 f., 98, 126, 178, 183–186, 188–195, 197–203, 206, 217 Rücküberführung  214–216, 272

Individualbeschwerde 52–54 Internationale Zusammenarbeit  26, 28 f., 31 f.

Schutzpflichten –– allgemein  219 f., 226 –– diplomatische 238–241

Fehlurteile 135–137 Fürsorgepflicht  88, 94, 143, 186, 239, 242, 264 f., 267, 269 f. Gleichheit der Staaten  30 f. Gnadenrecht  70, 196 f., 199–201 Grundrechtsverzicht  99–104, 107, 116, 118, 123, 131, 141, 209, 270 Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit ​ 77, 164–170, 179 Grundsatz der Gegenseitigen Anerkennung ​59 Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege 35

Sachwortverzeichnis –– extraterritoriale  237 f., 242, 245 –– grundrechtliche  221 f., 224, 244, 263 –– konsularische  239, 241 Sicherungshaft 142 Souveränitätsprinzip  30–32, 168 –– äußere Souveränität  30 f. –– innere Souveränität  31 Stille Revolution  31 Subjektqualität  25, 124, 128, 131 f., 141, 146, 207, 213, 271 Territorialitätsprinzip  34 f. Übermaßverbot  181, 227 UN-Antifolterkonvention  21, 55, 236, 251 UN-Generalversammlung 51 UN-Menschenrechtsausschuss  18, 50 f., 53 Unschuldsvermutung  51, 54, 106, 150, 154, 157, 217 UN-Sozialpakt 51

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Untermaßverbot 226 Venire contra factum proprium  98 Vereinte Nationen  21, 30, 48, 51, 281, 296 Volenti non fit iniuria  99 Völkerrecht  30 f. –– Dualismus 50 –– Übereinkommen  49–51, 57 f. Vollstreckungshilfe  30, 35–41, 45–47, 57, 65 f., 84, 130 –– Sinn und Zweck  41–43, 45 –– Übereinkommen  58–60, 69 –– Verfahren  65–67, 69, 74 Vollstreckungsübergabe  41 f., 44, 68, 89, 160 Vorbehalt des ordre public  33 f., 52, 76, 80 f., 92–96, 129 f., 138, 144–154, ­156–159, 165, 167, 169, 180 f., 184, 191, 196, 198, 206, 267, 272 Willensmängel  98, 104, 116–118, 121, 211