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German Pages 184 Year 2014
Elize Bisanz Die Überwindung des Ikonischen
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Elize Bisanz (Prof. Dr.) lehrt Bild- und Kulturwissenschaft an der Leuphana Universität Lüneburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Bildwissenschaft, Kulturwissenschaft, Ästhetik und Semiotik.
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Elize Bisanz Die Überwindung des Ikonischen. KulturwissenschaftlichePerspektiven der Bildwissenschaft
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© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Serendipity Point Films/Ego Film Arts Lektorat & Satz: Elize Bisanz Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1362-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt
Einführung: Interdisziplinäre Bildwissenschaft 9 Bilder als kulturelle Kodierungen 11 Zum Verhältnis vom Bild und Bewusstseinszuständen 12 Angewandte Bildtheorien 15
TEIL I – BILDER ALS KULTURELLE KODIERUNGEN Die kulturwissenschaftliche Analyse künstlerischer Zeichensysteme 23 Kultur und Zeichen 25 Kulturwissenschaft als Methode 34 Zur Grammatik der Kultur 37 Kultur als Sinngewebe: Deutung und Bedeutung 42 Kultur als sozialer Denkraum 44 Kulturelle Kodifikation: Idee und Objektivation 46 Zum symbolischen Charakter von Bildern 49 Elemente der symbolischen Konstruktion: Wissen, Erfahrung, räumliche Relationen 51
Gebrauch des Symbolismus 54 Die Funktionen der Symbole 56 Symbolische Intelligenz 57 Bilder als Konzepte organischer und geistiger Synergien 63 Das Sehen als eine Verflechtung organischer und intellektueller Funktionen 67 Wie Bilder unser Denken formen 69 Sehschemata als kulturelle Strukturierungskonzepte 75 Das Auge als Wahrnehmungsorgan 77 Modularität und visuelle Informationsprozessierung 80
TEIL II – ANGEWANDTE BILDTHEORIEN Die Bildsphäre. Die Installationskunst als individuell und universell gelebter Raum 89 Die kulturelle Sphäre als verbindendes Element 91 Die erzählte Kultur 92 Vom Bildzeichen zur Bildsphäre 94 Neuere neurowissenschaftliche Identitätsmodelle 96 Die ästhetische Bildsphäre als Körperdiagramm 98 Ästhetische und gesellschaftliche Räume 103 Die Bedeutungssphäre der Installationskunst 108 Die Installationen des Künstlers SARKIS 109
Das Installationswerk und die Entfaltung der Bildsphäre 116 Die materiellen Elemente und die Sujets der Arbeiten 118 Zur Zeichenstruktur photographischer Bilder 121 Photographische Strukturen als Repräsentationen und Manifestationen 127 Das poetische Bild in der Videokunst 137 Maschine als Spiegelbild des Menschen in der Videoinstallation 137 Die polyphone Ausdrucksform der Videoinstallationen und ihre poetische Intermedialität 139 Werkbeispiele: Die Gruppe „Granular Synthesis“ 141 Digitale Bildzeichen 149 Zur Logik der kinematographischen Bildsprache 159 Film als Sprache 161 Literatur 175 Register 181
Einführung
Interdisziplinäre Bildwissenschaft
“The distinction on which all philosophy is based is between Images of Reason and Images of Sense. The distinction on which all Psychology is based is between Images of the Inner Sense and Images of the Outer Sense. The distinction on which Metaphysics is based is between Images as Images and Images as Representation.”1 Charles S. Peirce
Die vorliegenden Untersuchungen sind im methodologischen Kontext der Angewandten Kulturwissenschaft entstanden und verbinden drei Forschungsschwerpunkte: Kulturwissenschaft / Symbolforschung, Ästhetik und Bildlogik; das Bild als kodierte Information und theoretische Anwendungsfläche bildet den gemeinsamen Nenner aller Bereiche. Die Fokussierung auf den interdisziplinären Aspekt der Bildwissenschaft hat erwiesen, dass die immer wieder als hinderlich proklamierte disziplinäre Heterogenität durch die schwerpunktorientierte Zusammenstellung der multidisziplinären Ansätze überwunden werden kann. Dadurch konnte eine kulturwissenschaftliche Metaebene erreicht werden, auf der neben den inhaltlichen Erkenntnissen auch die Besonderheiten der disziplin-
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1860 June 30, in: Ketner, K.L. 1998, His Glassy Essence. Autobiography of Charles S. Peirce. Nashville: Vanderbilt University Press.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft bestimmten Logiken und die daraus gewonnenen Erkenntnisse zur Bildkognition und zur Bildstruktur hervorgehoben werden konnten. Ein weiterer Schwerpunkt der Untersuchungen ist die kognitive Leistung bildhafter Kommunikation. Optimierter Informationskonsum und Wissenszirkulation gehören zu den wichtigsten Funktionen, mit denen die kommunikative Leistung von Medien gemessen wird. Bilder als optische Medien sind zunächst durchdrungene Erlebnisräume, spiegeln die Strukturen unserer Sinneswahrnehmungen wider, tragen Kodes unseres kulturellen Gedächtnisses. Sie sind darüber hinaus Verkörperungen kreativer Handlungen, die neben einer ikonischen Informationsvermittlung synästhetische und symbolische Felder erschließen. Die interdisziplinäre Perspektive setzt genau an dieser Stelle an und untersucht die jeweiligen Funktionsebenen ästhetischer Bildprozesse aus der Perspektive der Disziplinen Philosophie, Kunstwissenschaft, Bildwissenschaft und Neurowissenschaft. Ausgehend von der historischen Perspektive der bildwissenschaftlichen Entwicklung und am Beispiel konkreter Anwendungsbereiche wird darin der Frage nachgegangen, inwieweit ästhetische Bilder Produkte neuronaler und inwieweit sie Produkte kreativer Handlungen sind, sowie welche Möglichkeiten die Kultur-, Kunst- und Neurowissenschaft haben, die Strukturmerkmale der kreativen Bildhandlung zu diagnostizieren. Das Konzept der Annäherung an das Gebilde Bild als eine Verkörperung kultureller Handlungen zielt auf die synchronische Analyse der semantischen, syntaktischen und pragmatischen Funktionshorizonte von Bildern. Die Schwerpunkte der hier präsentierten Untersuchungen sind: • ästhetische Bilder, • Bilder im Kontext klinischer und psychologischer Kognitionsforschung, • kulturelle Kodierung und Bilder, • semiotische Bildmodelle, • Verkörperung von Zeit und Raum in Bildern, • Bilder als Projektionsflächen von imaginären Denkmustern und semantischen Feldern.
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Einführung
Bilder als kulturelle Kodierungen “Thus to suppose that we have an image before us when we see, is not only a hypothesis which explains nothing whatever, but is one which actually creates difficulties which require new hypotheses in order to explain them away.”2
Am 11. April 2006 erreichte die Erforschung des Weltraums einen neuen Höhepunkt: die erfolgreiche Ankunft der Raumsonde „Venus Express“ am Planeten Venus. Wieder einmal wurde die Berichterstattung zum sensationellen wissenschaftlichen Erfolg mit Bildern begleitet, die keine Photographien, sondern – wie der dezente Hinweis erklärte – Computeranimationen waren. Die simulierten Bilder der Exploration und Entdeckung von Universen verbanden die Zuschauer und die Wissenschaftler mit verborgenen Welten anderer Planeten; fast ritualisiert fixierten sich die Blicke auf die magische Quadratur des leuchtenden Bildschirms, aus dem heraus die ganze Menschheit samt ihrer wissenschaftlichen Errungenschaften die Bilder ihrer Existenz beschworen! Dabei wurden Bildern in der langen Kultur- und Ideengeschichte der westlichen Kultur als Erkenntnismedium stets mit großer Skepsis und Argwohn begegnet. Woher kommt diese Wende, die den Bildern den Status von Dokumenten und Instrumenten unserer kostspieligsten Errungenschaften verleiht? Liegt die Ursache in einer grundlegenden Wende der Logik des Bildes, in einer Neustrukturierung der bildnerischen Ausdrucksform oder vielmehr in einer Veränderung der kulturellen Struktur?
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Peirce. Collected Papers. 5.303.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft
Zum Verhältnis vom Bild und Bewusstseinszuständen „Wir haben ein Vermögen, auch wenn die Dinge selbst nicht vorhanden sind, die Bilder der Dinge, oder das, was wir einmal bei ihrer Gegenwart empfunden haben, uns vorzustellen. Dieses Vermögen heißt Einbildungskraft, Phantasie, Imagination.“3
Bilder sind zunächst Ausdrucksformen, Medien der Übertragung und Generierung von Bedeutungen. Als Zeichen bilden sie Elemente der Semiosphäre, verstanden als Sphäre der kulturellen Produktion und Konsumption. Für die Analyse kultureller Strukturen sind Bilder daher eine zweifache Informationsquelle, für die Inhalte und für die Form der Kultur. Die bildhafte Vorstellung hat ihren direkten Ursprung in einer Sphäre von imaginären Möglichkeiten, die durch die geistige Kraft der Phantasie produziert wird. Ähnlich wie Bildphänomene hat die Phantasie als Zeichenprozess unterschiedliche Formen: reproduktive, produktive oder synthetische.4 In zahlreichen philosophischen Erklärungen des Bildes finden wir einen direkten Zusammenhang zwischen dem Bild und der Vorstellung; Vorstellung wird stets als ein allgemeines Bild verstanden, welches von Erscheinungen vermittelt wurde. So wie ein Bild ist auch sie eine Repräsentation, sowohl einer sinnlichen Wahrnehmung, einer Empfindung oder eines Gefühls. Vorstellung ist „das in unserem Bewusstsein erzeugte Bild eines Gegenstandes oder eines Vorgangs der Außenwelt“.5 Wundt unterscheidet zwischen drei Hauptformen der Vorstellung: intensive, räumliche und zeitliche Vorstellungen. Vorstellung als Erinnerungsvorstellung ist vor allem eine Reproduktion. Sie kann aber auch aus Empfindungen, aus Elementen sich aufbauender Bewusstseinsvorgänge bestehen. Das Verhältnis von Vorstellung und Objekt, ihre repräsentationale Funktion, wird unterschiedlich gedeutet. Vorstellung ist noch vor-bildlich, das heißt sie ist kein Objekt, sondern besteht aus Momenten von Prozessen und Vorgängen, eine Einbildung,
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Feder. Logik und Metaphysik. S. 2 ff. Augustinus. (Ep. ad Nebrid. 62. vgl. De mus.VI, 11 Den vera relig. 10). Wundt. Grundsätze der physiologischen Psychologie. 114, 1. vgl. 14, 281.
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Einführung eine innerliche Vergegenwärtigung von Objekten. Als Vorstellung gilt auch das Perzipieren eines Inhalts durch Wahrnehmung und Erinnerungsbild, eine infolge von Wahrnehmung eintretende seelische Veränderung und Nachwirkung Das Objekt dieses Vorgangs wird als das Vorstellungsbild oder Phantasma definiert. Vorstellung ist darüber hinaus die Erfassung eines seelischen Zustands durch einen Abdruck (typôsis).6 Auch John Locke sieht eine direkte Verknüpfung der Vorstellung mit einem seelischen Zustand, denn die Vorstellung (idea) ist alles, was die Seele auffasst. Die Vorstellung ist die Vergegenwärtigung einer Vielheit in einer Einheit.7 Sie steht in natürlicher Beziehung zu dem, was vorgestellt werden soll. Kant verbindet mit Vorstellung drei Arten von Perzeption: Anschauung, Begriff, Idee.8 Jede Vorstellung äußert sich in Stoff und Form, und durch die Vorstellung versucht das Subjekt das Objekt räumlich und zeitlich zu bestimmen. Die begriffliche Bestimmung des Bildes zeigt eine Pluralität der ikonischen wie auch symbolischen Eigenschaft von Bildphänomenen. Die Pluralität der formalen und funktionalen Eigenschaften bildet die Grundlage zur Bestimmung der hier dargestellten Bildkonzepte, von zweidimensionalen Bildern der photographischen Aufnahme, computergenerierten Bildinformationen bis zu den Bildsphären des Kinos und der Cyberwelt. Bilder als Dokumente kultureller Prozesse gehören zu den wichtigsten Medien und Informationsträgern der menschlichen Kommunikation. Durch ihr zeitgleiches Auftreten als einfache und komplexe modellierende Systeme dominiert die Bildsprache die kulturelle Massenkommunikation und verdrängt andere Zeichensysteme in untergeordnete Zeichenwelten. Die Untersuchungen fokussieren vor allem auf die modellierende Disposition des Bildes in seiner Eigenschaft als Sprache und als Zeichensystem. Dazu zählen sowohl individuelle Sinnkonzepte, wie z.B. Konzepte der Sehtätigkeit, wie auch kollektive Sinnkonzepte, die vorwiegend auf kulturelle Modellierung zielen. In diesem Spannungsfeld zwischen dem Eigenen und dem Kollektiven, dem Körperlichen und dem Geistigen fungiert das Bild als
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So zum Beispiel in der Definition der Stoiker (3000 v.Chr.). Leibniz. (Nouv. ess.II, ch. 1, 1). Kant. Kritik der reinen Vernunft. S. 278 f.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Anziehungs- sowie Projektionsfläche von kulturellen Informationen. Ausgehend von der Strukturierung von Bildkonzepten werden die gegenseitige Bestimmung und Beeinflussung von Kultur-, Zeichen- und Identitätskonzepten in ihrer Definition als Bewusstseinszustände erörtert. Die Bildbeispiele werden primär als Zeichenkonzepte, als vielschichtige Akkumulationen von kulturellen Informationen gelesen. Die Analysen präsentieren Konzepte sowohl künstlicher wie auch künstlerischer Bildsysteme, denn in den Metamorphosen des Bildzeichens lassen sich Grundeigenschaften der Bildsprache beobachten, die neben unserer kulturellen Kommunikation auch auf grundlegende Auswirkungen auf die Zeichenstruktur hinweisen. Die Offenlegung der zeichenstrukturellen Veränderungen soll die strukturelle Veränderung des kulturellen Korpus erklären. Der erste Teil antwortet auf die grundsätzlich methodologische Frage nach der Relevanz von zeichentheoretischen Ansätzen für die Kulturwissenschaft. Dabei werden Positionen erörtert, die Bewusstseinsphänomene unmittelbar als Zeichenphänomene erklären, sei es in ihren strukturierenden wie auch bedeutungstragenden Eigenschaften. Nach der Einführung in die methodische Logik wird die zentrale Bedeutung von spezifischen Zeichencharakteren wie die des Symbolischen untersucht. Das symbolhafte Zeichen gehört zu den komplexesten Zeichenstrukturen und ist somit sehr reich an kulturellen Informationen. Bilder als symbolische Referenz verbinden vielschichtige Bewusstseinsphänomene wie die Erfassung von räumlichen und zeitlichen Kategorien, individuelle und kollektive Erfahrungen etc.; ihre strukturierende Eigenschaft unterstützt die Verarbeitung von komplexen Informationen wie auch die prognostische Repräsentation von komplexen kulturellen Entwicklungen. Die unterschiedlichsten Aspekte und Eigenschaften werden in diesem Zusammenhang als die Herausbildung einer symbolischen Intelligenz formuliert. Als Symbole können Bilder – im Unterschied zur Wortsprache – sowohl Ähnlichkeitsbezüge zur Welt haben wie auch Strukturierungsformen von abstrakten Kategorien verkörpern. Aufgrund dieser Dimension werden Bilder als Medien und Vehikel zur Förderung der symbolischen bzw. kulturellen Kompetenz verstanden.
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Einführung
Angewandte Bildtheorien Der jüngst ausgebrochene Drang nach digitalen Bildgebungsverfahren in der Naturwissenschaft (Medizin, Astronomie etc.) veranschaulicht die immense Bedeutung der bildhaften Vermittlung von Erkenntnissen für den Menschen. Denn das Sehen macht die kulturelle Aktivität im Sinne der Kommunikation und Produktion von kulturellen Informationen exemplarisch sichtbar. Es zeigt auch, dass die Schlüsselfunktionen der Zeicheninterpretation offensichtlich durch neuronale Aktivitäten oft auf der Grundlage von geistigen Kodierungsstrukturen erklärt werden. Diese sind ausschließlich kulturell und gesellschaftlich geprägte Koderegeln, symbolische Verflechtungen von neuronalen und geistigen Tätigkeiten. Die angewandten Beispiele verfolgen die Spuren dieser Veränderungen. Darin werden unterschiedliche Strukturierungs- und Erscheinungsformen als universale Konzepte von bildhaften Zeichenformen erklärt sowie deren kontextuelle Umgebungen erörtert. Die Analysen zeigen, dass vor allem künstlerische Bildformen eine erhöhte Aufmerksamkeit bezüglich der Kodierungsstrukturen aufweisen. Im Unterschied zu den künstlichen Zeichensystemen zeigen künstlerische Zeichensysteme ein komplexeres Bedeutungssystem und vermitteln somit dichtere Informationen über den kulturellen Kontext. Die diskutierten Bildkonzepte lassen sich durch die folgenden Kategorien zusammenfassen: • Bilder als Manifestationen der kulturellen Logik • Bilder als Programm und als künstliches Zeichensystem • Bilder als Erfahrungs- und Gedächtnisräume • Bilder als technische Illusion • Bilder als synästhetische Räume Im Folgenden eine kurze Übersicht der Schwerpunkte: Künstliche Bildsysteme wie die digitale Programmierung von Bildkonzepten manifestieren schematische Besonderheiten der bildhaften Wahrnehmungs- und Darstellungsformen. Zu ihren wichtigsten Charakteristika gehört ihr technischer Charakter. So bestimmt auch die technische Logik die Eigenschaft ihrer Sprache, zu denen Virtualität und Simulation gehören. Insbesondere am Beispiel der in Telepräsenz vermittelten Bildinformationen von planetarischen Expeditionen lassen sich neue Bildschemata erkennen und die fundamentale Funktion von Bildzeichen für die Wahrnehmung unserer Umwelt verdeutlichen;
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft die digital simulierten Kompositionen exemplifizieren darüber hinaus den Einfluss unserer visuellen Wahrnehmung auf die wissenschaftliche Entwicklung. Das visuelle System fungiert dabei wie eine Übersetzungszentrale zwischen dem Sehen, dem Wahrnehmen, dem Kartieren und dem Sein. Die technische Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Bildprozesse zeigen unmittelbare Auswirkungen auf die ästhetischen Qualitäten von Bildsystemen. Als Kommunikationsmittel und gesellschaftlich verankerte Ausdrucksformen verdichten Kunstwerke im Zeitalter der Massenkommunikation die Logik der Massenkultur in ihrer Darstellungsform. Auch sie tragen Spuren der Virtualität, verbinden Rhetoriken der Technizität und der Poetizität der künstlerischen Gestaltung. Im Zeitalter der Massenproduktion lösen sich künstlerische Konzepte von Kategorien der Zeit und des festen territorial gebundenen Raums ab. Ganz nach den Gesetzmäßigkeiten des Marktes und des Kapitals nehmen sie ähnlich abstrakte Gestalten an und reflektieren ihre Bedingtheiten durch hypertextuelle Bildkonzepte. Im hyperrealen Zustand vermischen sich die Modi der Sinneswahrnehmung in einem nicht-eindeutig bestimmbaren universellen Raum. Die Dynamisierung der Bildfläche wird somit zum unmittelbaren Produkt der Hypertextualität und zur Manifestation der Grundstruktur der Semiosphäre. Doch wie bewältigt der Mensch die Abstraktion des gelebten Bildraums? Die künstlerische Entwicklung nach der klassischen Moderne setzt sich permanent mit der Suche nach adäquaten Formen der Raumgestaltung auseinander. Aufgrund der existenziellen Rolle der bildnerischen Strukturierung unserer Wirklichkeit beeinflusst die Suche nach neuen Formen naturgemäß auch die Strukturierungsformen bzw. Kodierungsformen von Bildkonzepten. Mit der Gewinnung neuer Erfahrungsräume erweitert sich der Bildraum von einem starren zweidimensionalen Bild zu sphärischen Bedeutungskonstellationen; so zersprengen die Zeichenträger den binokularen Bildraum zu mehrdimensionalen Bewegungsräumen, in denen auch der menschliche Körper in Bewegung gesetzt wird. Vor allem die Kunst der Installation dokumentiert den Weg dieser Transformation; auf der Entwicklungskette der bildnerischen Kodierung ist sie ein Wegweiser für die spätere Entwicklung der Cyberkunst und des abstrakten Kinos. Die technokratische Logik der schnelllebigen Veränderungen – vom digitalen Fortschritt bis zur künstlichen Ausdehnung des öffentlichen Raums und dem damit verbundenen Verschwinden des privaten Raums – hat Zeichensysteme hervorgebracht, deren
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Einführung Grammatik nicht mehr vorrangig durch die Gesetze der Repräsentation, sondern die der Simulation – der zeitliche Austausch zwischen dem Signifikanten und dem Signifikat – bestimmt werden. Eine Begleiterscheinung dieser Verschiebung, von der ursprünglich ausführenden Funktion zu einer instrumentellen Rolle der Grammatik innerhalb eines Zeichensystems, stellt der Übergang in eine höhere Stufe der Abstraktion des Kommunikationsvorgangs dar, die auch eine gewisse Gefahr der Instrumentalisierung des konsumierenden Subjekts in sich birgt. Künstlerische Antworten auf ähnliche Tendenzen finden wir im Bildkonzept der Photographie, die durch ihre Zeichenstruktur Position auf den strukturellen Veränderungen bezieht. In der digitalen Kunstphotographie ist eine interessante Rückwendung zu gesellschaftsrelevanten Themen, zum sozialen Kontext des ästhetischen Zeichens zu beobachten. Sie erlangt ihren informatorischen Charakter nicht vorrangig durch ihre Sprachform, sondern durch ihre Fähigkeit, die Strukturen außerhalb der künstlerischen Sprache zu erkennen und sie zum Ausdruck zu bringen. Zahlreiche Beispiele der zeitgenössischen Photographie zeigen eine Reflexion über die Grundlagen der bildhaften Darstellungen wie die Kategorien der Zeit und des Raums. In dieser Erweiterung spielt die ikonische Eigenschaft des Bildzeichens eine rudimentäre Rolle, stattdessen bestimmen kulturelle Kodierungen, sei es als subjektive Wahrnehmungsmuster oder auch kollektive Ideenwelten, die Zeichenstruktur der Bildsprache. Das moderne dialektische Werk, das aus der Gesellschaft kommend mit aller Kraft seine Autonomie verteidigt, erfährt in der Immaterialität der Cyberwelt die Überschreitung seiner eigenen Medialität. Mit der Entwicklung der Videokunst sucht die Kunst einen Ausweg aus der technischen Abhängigkeit des Bildes. Die Videokunst verbindet die Strategie der Installation und der technischen Simulation; darüber hinaus verwandelt sie den menschlichen Körper zum unmittelbaren Erfahrungsmedium, denn der Körper bildet den Maßstab für die elektronischen Projektionen. Durch die Poetisierung der elektronischen Bildsprache kompensiert die Videokunst den durch die Erfindung der Photographie hervorgerufenen Verlust der ästhetischen Aura. Indem der menschliche Körper zugleich als Zeichenträger, als Interpretant und als Interpret fungiert, reduziert er den technischen Aspekt auf eine rudimentäre Rolle. Als Bewegungsbilder wird Videobildern eine starke Bildauthentizität zugewiesen, zusammen mit dem Installationskonzept entfalten sie eine verräumlichte Erfahrungssphäre.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Die zeitgleiche Perfektionierung der Bildsprache durch das kinematographische Bild präsentiert eine ihrer komplexesten Kodierungskonstellationen; sie verbindet die kulturellen, geistigen, technischen und biologischen Konzepte der bildhaften Kommunikation. Das kinematische Bildzeichen avanciert, sowohl in seiner künstlichen wie auch künstlerischen Konstruktion, zum wichtigsten Informationsmedium. Darin besteht auch ein entscheidender Grund seines Unterhaltungscharakters. Wie kaum eine andere Bildform verkörpert das Kinobild sowohl die illusorische Dimension von Bildern wie auch seinen darstellenden Charakter; als die Überlappung von Bewegungsbild, Aktionsbild und Affektbild versetzt es den Betrachter in eine zugleich vertraute und fiktive Bildsphäre, deren Strukturen und Kodierungen die gleichen Züge der kulturellen Sphäre, der Semiosphäre zeigen. So wandelt sich das Bildzeichen von einem binären Repräsentationssystem des Signifikanten und Signifikats des ersten technischen Bildes in eine kristallinförmige räumliche Struktur, die die ikonische Eigenschaft des Bildes überwindet und als symbolische Struktur komplexeste kulturelle Informationen vermittelt. Die im analytischen und angewandten Teil diskutierten künstlerischen Beispiele sind Modelle der wechselseitigen Beeinflussung zweier grundlegend verschieden konstruierter Zeichensysteme: die Logik des technischen und die des poetischen Zeichensystems. Die kulturwissenschaftliche Methodik zielt auf die Überwindung der Kluft zwischen den zwei Formen der kulturellen Organisation und begreift sie als gleichwertige Seiten des symbolischen Ausdrucks: die Seite der instrumentellen Vernunft und die Seite der Phantasie. Die bildsemiotische Methodik der Abhandlungen erklärt sich dadurch, dass sie die einzige umfassende und systematische Grundlage zur Erforschung und Erklärung von Bedeutungen bietet, denn als Semeiotic, wie Charles S. Peirce sie formulierte, ist sie die umfassende Wissenschaft der Bedeutungssphäre. Ihr sphärischer Charakter wird besonders durch zwei Zeichenformen getragen: durch ästhetische Zeichen und durch das Bild, sowohl in seiner ikonischen wie auch symbolischen Form. Peirce unterstrich die Essentialität der künstlerischen Produktion; als besonders wichtig erachtete er ihre Eigenschaft der multiplen Bedeutungskonstruktion, mehr noch, er erklärte sie als die Bedingung jeder Logik und als die treibende Kraft der kulturellen Evolution:
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Einführung “The artist introduces a fiction; but it is not an arbitrary one; it exhibits affinities to which the mind accords a certain approval in pronouncing them beautiful, which if it is not exactly the same as saying that the synthesis is true, is something of the same general kind. The geometer draws a diagram, which if not exactly a fiction, is at least a creation, and by means of observation of that diagram he is able to synthesize and show relations between elements which before seemed to have no necessary connection.”9
Bilder als Zeichen sind triadische Modelle, die zwar ikonische Relationen einschließen dennoch nicht darauf zu reduzieren sind. Tatsächlich sind Bilder, wie jedes Symbol, Konstellationen von ikonischen Zeichen, deren Relationen zueinander durch den gestalterischen Prozess zu individuellen Bildern führen. Vor allem im symbolischen Charakter zeigt sich die Besonderheit des bildhaften Zeichens, denn Bilder sind genuin individuell hervorgebrachte Zeichen, die sich jeglicher Kontrolle der sprachlichen Allgemeinheit entziehen; darüber hinaus können Bildzeichen in unterschiedlichen Formen verkörpert werden: als Diagramme, Karten, Gemälde, Photographien, aber auch als abstrakte Konzepte wie Installationen, Träume et cetera. All diese Formen sind Bilder und somit Symbole, denn Bilder sind Modelle unserer Wahrnehmung und Repräsentationen unserer geistigen Tätigkeit. Peirce geht sogar soweit, dass er die bildhafte Vorstellung zum grundlegenden Medium des menschlichen Ausdrucks und Denkens erklärt; so basieren die Unterscheidungen aller philosophischen Fakultäten auf der Unterscheidung zwischen Images of Reason und Images of Sense, die der Psychologie zwischen Images of the Inner Sense und Images of the Outer Sense und die der Metaphysik zwischen Images as Images und Images as Representation. Auch dieses genuin semiotische Bildkonzept fungiert als Grundlage der vorliegenden Texte.
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Peirce. Collected Papers. 1.383.
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TEIL I Bilder als kulturelle Kodierungen
Die kulturwissenschaftliche Analyse künstlerischer Zeichensysteme
„Andere Wissenschaften befassen sich mit Gegenständen, die von vornherein gegeben sind und die man nacheinander unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten kann. Ganz anders auf unserm Gebiet. [...] Man kann nicht einmal sagen, daß der Gegenstand früher vorhanden sei als der Gesichtspunkt, aus dem man ihn betrachtet; vielmehr ist es der Gesichtspunkt, der das Objekt erschafft; und außerdem wissen wir nicht von vornherein, ob eine dieser Betrachtungsweisen den anderen vorangeht oder übergeordnet ist.“1 Ferdinand de Saussure
Zu den wichtigsten Untersuchungsfeldern der kulturwissenschaftlichen Tradition gehören die durch Symbole vermittelten Werte- und Normhorizonte einer Gemeinschaft, sowie die Medien der Erzeugung von kultureller Kommunikation, von Gedächtnis und Weltwahrnehmung. Vor allem in ihrer kultursemiotischen Ausrichtung analysiert sie das kulturelle Gedächtnis als einen Mechanismus der Selbstbeobachtung und der permanenten kulturellen Neukodierung. Somit erklärt sie die Kultur in ihrem textuellen Zusammenhang, in welchem einzelne kulturelle Momente, wie Mitteilungen, Texte etc., in einem Netz von Interdependenzen und der gegenseitigen Beeinflussung transsubjektive Sinnzusammenhänge bilden. Durch diesen prozessualen und reflexiven Sinnerzeugungscharakter, gepaart mit den regulierenden Strukturen von Konventionen und Idiolekten, bleibt Kultur stets eine dynamische Sphäre partikularer und gemeinschaftlicher Erfahrungen.
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Saussure. Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. S. 9.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Die zentrale Schwierigkeit der Kulturwissenschaft in ihrer Etablierung als wissenschaftliche Perspektive liegt vor allem darin, dass die eigene Tätigkeit, die Reflexion über die Kultur unausweichlich auch einen Teil der Kultur bildet. Kulturwissenschaft als die Rezeption und Perzeption der Kultur und darüber hinaus als die Reflexion über sie bleibt stets innerhalb der Kultur und exemplifiziert durch ihre Arbeit deren Produktion und Gestaltung. In dieser zugleich retrospektiv und vorwärts gerichteten Arbeitsweise zeigt die Kulturwissenschaft eine fundamentale Gemeinsamkeit mit der Poetizität, der poetischen Kraft der menschlichen Tätigkeit. Dass das Untersuchungsobjekt der Kulturwissenschaft nicht die Kultur sein kann, verstanden als eine rein objektive Gegebenheit, liegt auf der Hand; vielmehr sind es Eigenschaften der Kultur, die die Bewegung der kulturellen Produktion tragen, es sind Qualitäten, die uns dazu veranlassen, Kultur als solche einzuordnen. Somit gehören neben der Vermittlung der materiellen Eigenschaften auch Kräfteverhältnisse, die die Bewegungen in der Kultur tragen und richtungsbestimmend beeinflussen zu den Untersuchungsbereichen der Kulturwissenschaft. Das setzt allerdings eine Vorgehensweise voraus, die grundsätzlich grenzüberschreitend und normverletzend ist. Einen möglichen Weg hierfür öffnet das Verständnis der Kulturwissenschaft als die Wissenschaft der Kulturizität – reziprok zur Poetizität –, das heißt vor allem begriffen als die Wissenschaft zur Untersuchung des innovativen Moments und der dazu führenden Kräfte. Für eine grenzüberschreitende Kulturwissenschaft bleiben die folgenden Fragestellungen relevant: Was lässt sich über Kultur sagen, wenn man den Blickwinkel nicht auf die Gesellschaft, auf die Zivilisation oder auf die Mentalität beschränkt? Wie hängen Gesellschaft, Zivilisation und Mentalität überhaupt zusammen? Was macht eine Kultur zur Kultur? Für die Beantwortung dieser Fragestellungen bedarf es zunächst der Klärung der grundsätzlichen Frage: Inwieweit kann eine systematische Wissenschaft einen dynamischen Prozess wie die Kultur erklären? Das heißt: Wie lassen sich die Begriffe Struktur und Funktion in einer einheitlichen Wissenschaft verankern? Aus dieser doppelten Perspektive betrachtet braucht die kulturwissenschaftliche Analyse sowohl Dingbegriffe und Gesetzesbegriffe wie auch Formbegriffe und Stilbegriffe. Ihr Erkenntnispotential und die damit verbundene wissenschaftliche Legitimation erlangt sie an Schnittstellen der diachronischen und synchronischen Kulturanalyse.
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Künstlerische Zeichensysteme Der vorliegende Band sucht die Lösung der eingeführten Fragestellungen in der zeichentheoretischen Annäherung der Kulturwissenschaft. Zeichentheorien untersuchen die Struktur und Funktion aller Vorgänge, an denen Zeichen beteiligt sind, von der Informationsverarbeitung in Maschinen über den Stoffwechsel in Organismen, die Reiz- und Reaktionsprozesse bei Pflanzen und Tieren, die Wahrnehmungs- und Orientierungsweisen höherer Lebewesen, die Verständigung zwischen Menschen bis hin zum Umgang mit gesellschaftlichen Institutionen und zu den Prozessen der Interpretation, die sich beim Verstehen der komplexen Zeichengefüge in Literatur, Kunst und Musik vollziehen. Zeichentheoretische Konzepte ermöglichen den disziplinären Rahmen für eine Methodik, deren Vorteil darin liegt, philosophisch-theoretische Fragestellungen am Beispiel ihrer Erscheinungsformen exemplarisch zu reflektieren. Als eine Binnenwissenschaft der drei herrschenden Wissenschaftskulturen – Gesellschaftswissenschaften, Geisteswissenschaften und Normwissenschaften – gewinnt die zeichentheoretisch gestützte Kulturwissenschaft ihr innovatives Moment dadurch, dass sie Optionen präsentiert, neben diskursiven Modellen auch Wege der Strukturierung und der Analyse von Texten und Textualitäten, sowie deren Strukturen und Strukturierungsprozessen, zu reflektieren und zu koordinieren.
Kultur und Zeichen Das Denken des kulturellen Korpus in zeichentheoretischen Kategorien impliziert bereits eine Strukturierung der Kultur analog zur Zeichenstruktur. Für eine kulturwissenschaftliche Perspektive wäre es vorteilhaft, die zahlreichen Definitionen des Zeichens nicht als konkurrierende Modelle, sondern als unterschiedliche Phasen der Entfaltung der inneren Bedeutungsstruktur eines Zeichens zu begreifen. Seit Platon bildet die Dreiteilung des Zeichenkorpus zwischen dem Zeichen „semainon“, dem „semainomenon“ – dem, was vom Zeichen ausgesagt wird – und dem „pragma“ – das Objekt, auf das sich das Zeichen bezieht – den Dreh- und Angelpunkt des Zeichendiskurses. Darin zeigt sich eine fundamentale Uneinigkeit über die Beziehung der einzelnen Elemente – Zeichen - Begriff bezeichnete Sache – zueinander. Ob die unterschiedlichen Positionen wie bisher üblich mit Positionen wie Realismus und Nominalismus zu kategorisieren sind, sollte für die kulturwissen-
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft schaftliche Arbeit irrelevant bleiben. Entscheidend ist, dass im Mittelpunkt der zeichentheoretischen Positionen das Subjekt als eine individuelle Realität und Handlung steht. Denn solange Zeichen mit Ideen verbunden werden, bleibt das denkende Subjekt die Schlüsselinstanz der Kommunikation- und der Semiosphäre. Bereits in Platons Vorrangstellung des Allgemeinen gegenüber dem Besonderen zeigt sich ein Konfliktmoment auf der Zeichenschnittstelle Subjekt, da Ideen sowohl Produkte einzelner Individuen wie auch Produkte einer Gemeinschaft sind. Sie sind im semiotischen Dreieck Symbol-Idee-Referent, der ewigen Allianz der kulturellen Produktion und Entfaltung, verankert. Gegenüber der realistischen Position von Carnap, Frege und Husserl, die die Begriffe als von den Dingen und von dem Zeichennutzer unabhängige Größen definieren, sieht die nominalistische Position von Locke einen engen Zusammenhang zwischen den Begriffen und den Subjekten. Zeichen sind demnach Ausdruck individueller Vorstellungen und Objekte, die neben ihrer kommunikativen und Merkfunktion eine Gestaltfunktion ausüben. Auch der Rationalismus der deutschen Aufklärung2 definierte drei Zeichenarten, deren Wechselbeziehungen das kulturelle Gewebe gestalten. Demnach entsteht die Kommunikationssphäre der kulturellen Produktion in der Strukturierung von willkürlichen, notwendigen und natürlichen Zeichen. Zeichentheorien als die Reflektion über die Natur der Zeichen, deren sich der menschliche Geist bedient, um Dinge zu erkennen und sein Wissen anderen mitzuteilen, übernehmen somit eine übergreifende und integrierende Funktion. Es ist eine Eigenart der Kultur, ihre Form durch Bewegungen hindurch zu erlangen. Die zeichentheoretische Perspektive der Kulturwissenschaft hebt den gewebeartigen Charakter der Kultur hervor, deren Komplexionen und Konstellationen aus historischgenetischen Differenzierungsprozessen der Rationalität und der Sensualität hervorspringen. Kultur als ein lebendiger Körper wird in diesem Kontext sowohl als eine Überlagerung von materiellen und Bedeutungsschichten wie auch als ein Entwicklungsmechanismus verstanden. Die Gesamtheit der Eigenschaften des Entwicklungsprozesses und der Ausdrucksformen bildet das Geflecht der Kultur. Das Gewebe entsteht nach dem Prinzip der Akkumulation und der Aufschichtung, sowohl in der Form einer geordneten logischen Entwicklung wie auch als unvorhersehbare
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Lambert. Neues Organon.
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Künstlerische Zeichensysteme Ausbrüche neuer Ausdrucksformen, die selbst als Ausbruch gelesen, vielmehr Differenzen und Konflikte im kulturellen Korpus stabilisieren. Die kulturellen Formen, die hier vor allem als symbolische Formen verstanden werden, übersetzen die neuen gesellschaftlichen Erfahrungen in die Kodierungssprache der jeweiligen Kultur; damit erzeugen sie eine stabilisierende Wirkung auf die Verschiebungen, die das kulturelle Gewebe im permanenten Austausch formieren. Die Kulturwissenschaft als die Wissenschaft der Kulturizität konzentriert sich hier vor allem auf die Analyse des innovativen Moments, des Moments des Sinnsprungs und der dorthin führenden Kräfte. Die Analyse der kulturellen Kodifizierungen in der Form der Bedeutungsformationen sowie deren Verschiebungen führt über die Probleme der Rationalität, des Begriffs und des Zeichens. Einerseits ist Kultur eine Kultur arbiträrer Zeichen und andererseits rationaler Begriffe, die erheblich durch gefestigte Formen, Idiolekte, Bilder, das heißt durch ikonhafte Zeichen, bestimmt sind. Zeichentheorien erklären das Begriffliche, Rationale als das ikonische Zeichen, dessen Eigenschaften sich vorrangig über die syntaktische Ebene manifestieren, und das Prozesshafte, das Sensuelle als das Poetische, dessen charakteristische Eigenschaften überwiegend semantischer Natur sind. Zusammen bilden sie die konstituierenden Elemente der Semiosis, deren Gesamtstruktur die Semiosphäre hervorbringt.3 Poetizität und Ikonizität als elementare kulturelle Kategorien zeichnen eine verbindende kulturwissenschaftliche Perspektive zahlreicher zeichentheoretischer Ansätze.4 Die Beiträge des Bandes skizzieren die Stationen dieser Entwicklung. In seinem Werk „Die neue Wissenschaft von der gemeinschaftlichen Natur der Nationen“ schreibt Giambattista Vico: „Aus all dem folgt, daß alle Tropen [...], die man bisher für geistreiche Erfindungen der Schriftsteller gehalten hat, notwendige Weisen des Ausdrucks bei allen ersten poetischen Nationen gewesen sind und daß sie in ihren Ursprüngen ganz im
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Lotman. Die Struktur literarischer Texte. Wie zum Beispiel in der Philosophie der symbolischen Formen von Ernst Cassirer, in der Definition des ästhetischen Zeichens der Prager Schule, in den kultursemiotischen Analysen von Lotman, in der Semiologie von Roland Barthes und Foucault und in der dekonstruktivistischen Philosophie von Derrida.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft eigentlichen Sinne aufgefaßt worden sind. Aber dann, als der menschliche Geist sich entfaltete und Worte erfunden wurden, die abstrakte Formen bedeuten, oder Gattungsbegriffe, die ihre Arten einbegreifen oder die Teile mit dem Ganzen verbinden, da wurden diese Ausdrucksweisen der ersten Nationen zu Übertragungen. Damit fallen zwei allgemein verbreitete Irrtümer der Grammatiker in sich zusammen, nämlich der eine, daß die Sprache der Prosa die eigentliche sei, die der Poesie die uneigentliche, und der andere, daß man zuerst in Prosa, dann in Versen gesprochen habe.“5
Die „geistreichen Erfindungen“, die nicht zur Sphäre der Wissenschaftlichkeit gehören, sondern ein Produkt der reinen Phantasie darstellen, werden von Vico als „notwendige Weisen des Ausdrucks“, somit als Zeichen aufgefasst. Die Systematisierung des Zeichens vollziehe sich erst durch die Erfindung des Wortes, durch die Fixierung des Gedankens sowie durch die Einbindung der einzelnen abstrahierten Formen und deren Kodierung im Kommunikationssystem. Somit konstruiert der Mensch seine Welt mittels seines Denkvermögens und durch die Modifikationen des eigenen Geistes. Menschliche Produkte als kulturelle Konstrukte werden vor allem als Ausdruck der geistigen Struktur verstanden. Demnach erklärt sich auch die Welt der Völker als eine von Menschen gemachte; sie spiegelt die Wandlungen und Modifikationen der Prinzipien wider, die diese Welt konstruiert haben. Das kulturwissenschaftliche Moment in Vicos These liegt in seiner Definition des Zeichens als die Symbiose der poetischen und der ikonischen (zeichenhaften) Veranlagung der menschlichen Kommunikation gepaart mit einer zeitlichen Verschiebung, die die Phantasie und die Poesie zur unerlässlichen Prämisse des Zeichens macht. Vico definiert die poetische Weisheit – das Vermögen durch Fragen Erkenntnisse zu gewinnen – als die erste Weisheit des Heidentums. Sie beginnt mit einer Metaphysik; sie ist keine rationale auf Vernunft basierende, sondern eine sinnlich empfundene Weisheit. Analog dazu verhält sich die Dichtung der Natur des Urmenschen. Seine Arbeitsweise wird von Strukturen und Mustern geleitet, die eine Art Projektion des menschlichen Körpers, seiner biologischen Disposition darstellen. Neben diesen Fähigkeiten erfindet er geistige Strukturen, die die Dinge der Welt
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Vico. Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker. S. 73.
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Künstlerische Zeichensysteme nach dem eigenen Selbstverständnis und nach den Gesetzen des Lebens definieren.6 Auf diesem Weg entsteht große Dichtung, deren Aufgabe es ist, Mythen zu erfinden, dadurch die Menschen zu erschüttern und zu lehren, wie man tugendhaft handelt. Somit führen uns die Sprache der Hieroglyphen und die Sprache der Mythen erzählend zu den Bedeutungen, die die Strukturen der menschlichen Entwicklung manifestieren. Die Verknüpfung Vicos Ausführungen mit zeichentheoretischen Erklärungsmodellen lässt erkennen, dass die Bedingung der poetischen Manifestation unzweifelhaft ihre ikonhafte Festlegung bleibt. Die Eigenschaft des Ikonischen als Zeichenkategorie wurde vor allem von Charles Morris etabliert, der die Wissenschaft von Zeichen folgendermaßen definierte: „Wissenschaft und Zeichen sind untrennbar miteinander verbunden, denn die Wissenschaft verhilft dem Menschen zu zuverlässigeren Zeichen und formuliert ihre eigenen Ergebnisse in Systemen von Zeichen. Die menschliche Zivilisation hängt von Zeichen und Zeichensystemen ab, und der menschliche Geist ist nicht zu trennen von Zeichenprozessen.“7
Den Prozess, in dem etwas als Zeichen fungiert, bezeichnete Morris als Zeichenprozess oder Semiose. Er wird, wie zuvor in der Peirceschen Definition als die Zusammenstellung von vier Faktoren verstanden: dem Zeichenträger, dem Denotat, dem Interpretanten und dem Interpret. Peirce sprach von einer Ähnlichkeit „likenessness“, dass das ikonische Zeichen und das Bezeichnete identische Eigenschaften aufwiesen.8 Darüber hinaus unterschied er zwischen drei Arten von icons: Bilder (images), Diagramme (diagramm) und Metaphern (metaphors). Jede ikonische Gegebenheit hat jeweils verschiedene Funktionen. Jede Ikone imitiert, weist hin, reflektiert das, wofür sie ein ikonisches Zeichen ist. Als Gegenbeispiel beruht das Symbol auf der Reduzierung von Funktionen. Denn anders als Ikone entsteht ein Symbol immer durch eine gesellschaftliche Übereinstimmung, in der das Symbolisierte und das Symbol die gleiche Menge von gesellschaftlichem Konsens haben.
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Vico. Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker. S. 171. Morris. Grundlagen der Zeichentheorie. S. 17. Peirce. Semiotische Schriften.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft In der zeichentheoretischen Tradition finden wir zahlreiche Beispiele, die die Dualität zwischen der Ikonizität und der Poetizität zur zentralen Eigenschaft des Zeichens erklären. Vor allem hat der Prager Strukturalismus die Entwicklung dieser theoretischen Position geprägt und deren methodologische Umsetzung ermöglicht. Mit der Fokussierung des Augenmerks auf die Struktur wurden sie zu Strukturalisten deklariert, ungeachtet dessen, dass sie im Grunde gegen jegliches Verständnis struktureller Starrheit waren. Denn die Struktur in Roman Jakobsons Definition wird zur Möglichkeit des Strukturierens von Zeichen erklärt; sie wird nicht als ein Schema verstanden, das für die Analyse unterschiedlicher kultureller Formationen applizierbar wäre, sondern vielmehr als ein Modell, das die Wandelbarkeit der kulturellen Formationen verdeutlichen könne. Mit dem Konzept der poetischen Funktion lockerte Jakobson das starre Konzept des Zeichens auf. Er erweiterte das Bühlersche Modell der drei Funktionen des Zeichens: des Ausdrucks, der Darstellung und des Appells mit einer vierten, nämlich der ästhetischen und erhob die ästhetische Eigenschaft des Zeichens zur Urkraft des kulturellen Organismus.9 Das was einen poetischen Text gegenüber einem gewöhnlichen sprachlichen Text auszeichnet, erklärte Jakobson als die Überlagerung der kommunikativen Funktion. Neben der kommunikativen Funktion manifestiert sich die ästhetische Funktion über die Einstellung der Aufmerksamkeit auf die Struktur des Kommunikationsmittels. Allerdings wurde die produktive Leistung des ästhetischen Zeichens mehr im Moment der Reflexivität als in dem Akt der Kommunikation gesehen. Poetische Texte definierte Jakobson als ein Geflecht von vielfältigen Ähnlichkeitsund Kontrastbeziehungen sowie Regelverletzungen, die feste Bestandteile des kulturellen Konstruktes sind. Mit der Ergänzung der ästhetischen Funktion zu den Funktionen des – in diesem Falle sprachlichen – Zeichens, etablieren die Prager Strukturalisten das Kunstwerk im Zuständigkeitsbereich der Semiotik. Damit beginnt eine wechselseitige Vermischung der methodologischen, der zeichenhaften und der künstlerischen Kategorien. Die Untersuchung oder das Studium der poetischen Sprachen wird somit zugleich als die Untersuchung jener kulturellen Zonen begriffen, die mehr als andere Bereiche, wie zum Beispiel politische, ökonomische, ökologische
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Jakobson. Poetik.
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Künstlerische Zeichensysteme usw. durch Fluktuation und Veränderung geprägt sind. Denn erst durch die Eigenschaft der Poetizität sichert das ästhetische Zeichen sowohl seinen gesellschaftlichen wie auch seinen autonomen Charakter. Die Analyse des Übergangs vom künstlichen zum künstlerischen Zeichen hat neben der Unterscheidung von verschiedenen sprachlichen Funktionen zur Entdeckung von wechselnden Hierarchien von Funktionen geführt. Sehr früh wird Jakobsons Kritik an der traditionellen Ästhetik deutlich. Kunst könne sich nicht auf vorgegebene, auserwählte Themen reduzieren, sondern sie wäre dafür prädestiniert, jegliche kulturelle Situation zu berücksichtigen und die Kultur in ihrer Wandlung zu reflektieren.10 Dabei sollten die kunstwissenschaftlichen Kategorien des Stils, des Sujets, der formalen Mittel keine eingrenzende Rolle spielen, sondern vielmehr als strukturelle Kategorien begriffen werden, die die Bedingtheiten des ästhetischen Zeichens erklären. Das ästhetische Element steht nach Jakobson in untrennbarer dialektischer Beziehung mit der sozialen Struktur. Allerdings – ähnlich wie später in Adornos Ästhetischer Theorie – räumt er der Kunst darüber hinaus eine autonome Sphäre ein, einen Handlungsraum, in dem sie die gesellschaftlichen Strukturen mittels der künstlerischen Sprache reflektiert. Die Autonomie der Kunst wird somit als die unabdingbare Bedingung des kulturellen Überlebens begriffen und die Kunst als die unparteiische – somit zwecklose – Besinnung auf den gesellschaftlichen Zustand, als eine Art Evaluation und Zielsetzung des gesellschaftlichen Lebens, erklärt. Der partikulare Charakter der Kunst, ihre ästhetische Funktion manifestiert sich dadurch, dass sie einerseits Wandlungen hervorruft, das heißt progressiv agiert, und gleichzeitig über die Wandlung reflektiert, das heißt rückblickend denkt. Neben dieser energiebeladenen Funktion zeigt das ästhetische Zeichen auch eine gewisse Neutralität. „Meist ist die Poetizität lediglich Bestandteil einer komplizierten Struktur, doch ein Bestandteil, der die übrigen Elemente notwendigerweise verändert und die Beschaffenheit des Ganzen mitbestimmt. Genauso ist etwa das Öl [olej] bei Tisch kein besonderer Gang und auch nicht eine zufällige Beigabe, eine mechanische Komponente - es ändert den Geschmack des ganzen Essens, und bisweilen ist seine Funktion so bestimmend,
10 Jakobson. Poetik.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft daß der Fisch seine ursprüngliche genetische Bezeichnung verliert und in ‘olejovka’ [Ölsardine] umgetauft wird.“11
Überall dort, wo die Zeichenhaftigkeit des Zeichens zum Vorschein kommt und das Zeichen nicht als bloßer Repräsentant begriffen wird, erweist das Werk seine Poetizität. In einem poetischen Zeichen hat jede Zeichenkategorie, der Zeichenträger, die Bedeutung, der Forminhalt, die Form-Form, die Substanz etc. eine bestimmende Wirkung auf die Gesamtheit des Zeichens. Wir sprechen dann von der Poesie, wenn eine Ausdrucksform durch die poetische Funktion richtungsweisende Bedeutungen impliziert. Mit dieser These überschreitet das Zeichen seine kommunikative Funktion und verwandelt zugleich seine Realität. In der Idee der Wandlung und Verwandlung gewinnt das Ästhetische Priorität. Zudem beherbergt sie sowohl das spielerische wie auch das fiktive Moment der künstlerischen Produktion. Dieses bleibt das unverwechselbare ästhetische Motiv der strukturalistisch orientierten Kultursemiotik, wie es später von Jurij Lotman als die modellierende Eigenschaft des Kunstwerks formuliert wird: „Jede verbale Äußerung stilisiert und transformiert in gewissem Sinn die Begebenheit, welche sie schildert. Entscheidend ist die Tendenz, das Pathos, der Adressat, die Vor-‘Zensur’, der Vorrat an fertigen Schemata.“12
Lotman unterscheidet zwischen einem Kommunikationssystem der natürlichen Sprache und dem der sekundär modellierenden Systeme wie die Kunst. Die poetische Ausdrucksform definiert er als eine Art sekundäre Sprache, und das Kunstwerk folglich als einen Text in dieser Sprache, eine vor allem poetische Sprache, die erheblich komplexer ist als die natürliche Sprache. In der Lotmanschen kulturwissenschaftlichen Position wird die Kraft der Kultur auf die Poetizität zurückgeführt. Ihre Logik bildet eine eigenständige Sinnebene; als eine Kommunikationsform kann sie Informationen vermitteln, die mit Hilfe der elementaren sprachlichen Struktur nicht vermittelbar sind. Vor allem werden darin abstrakt erfassbare Kategorien berücksichtigt, die sich in einer bestimmten künstlerischen Struktur manifestieren und somit ein untrennbarer Teil des Werks bleiben. 11 Jakobson. Poetik. S. 78-79. 12 Jakobson. Poetik. S. 75.
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Künstlerische Zeichensysteme Lotman versteht Kulturwissenschaft vor allem als eine Wissenschaft, die dynamische Prozesse zum Objekt ihrer Untersuchung hat. Dabei ist die Poetik für Lotman die grundlegende Form der „Mentalität“ einer Kultur, die er auch als Energia, als eine Art kreative Fähigkeit definiert. In diesem Sinne ist die kulturelle Tätigkeit eine Modellierung, das Formieren von abstrakten Kräften zu einer ästhetischen Körperlichkeit, und die wichtigste Eigenschaft der Kunst stellt ihre modellierende Tätigkeit dar. Über das Motiv des Modells und des Modellierens auf der einen Seite und der Unterscheidung zwischen einem wissenschaftlichen und einem künstlerischen Modell auf der anderen Seite definiert Lotman die charakteristischen Eigenschaften des Ästhetischen. Während für das wissenschaftliche Modell die Struktur des Objektes als Plan zum Aufbau des Modells dient, wird das künstlerische Modell von der Vorstellung einer Ganzheit geleitet. Das wissenschaftliche Modell entsteht dann, wenn auf dem Wege der Analyse schon eine bestimmte Vorstellung über die Struktur des Objektes vorhanden ist, wobei der Künstler eine symbolische Vorstellung der Ganzheit des rekonstruierten Objektes hat.13 Zeitgleich zu Lotmans Untersuchungen erschienen Roland Barthes Schriften, Ausdruck einer unermüdlichen Suche nach geeigneten Formen des Umgangs mit dem Stoff der Kultur. Seine Werke analysieren die Kultur als Text, als Textualität, als Textur, als diejenigen Prozesse, die zur Formierung des kulturellen Stoffs führen. Dabei erklärt auch Barthes die poetische Kraft der kulturellen Manifestationen als das verbindende Medium der Sinnebenen eines kulturellen Ausdrucks. Eine wichtige Folge der poetischen Besonderheit des Zeichens ist die Hervorhebung der identitätsbildenden Funktion des Zeichens. Ästhetische Zeichen werden somit als eine sich immer neu formierende Konstellation von künstlichen Elementen verstanden, deren Zusammenfügung zu künstlerischen Zeichen führt. Die besondere Eigenschaft des ästhetischen Werks entsteht somit in der Vernetzung der einzelnen Elemente. Über das identitätsbildende Motiv hinaus reflektiert das Modell die Kategorie des „nicht-identischen“. Denn erst durch den Widerspruch zu anderen Zeichen kann das Zeichen als ein bewegliches, wandelbares und dynamisches verstanden werden. Ohne diesen durch das Zeichen erzeugten Widerspruch existiert keine Beziehung
13 Lotman. Die Kunst als Sprache.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft zwischen dem Zeichen und dem Begriff und somit kein Realitätsbewusstsein. Das poetische Zeichen trägt damit maßgeblich zur kulturellen Entwicklung bei. Es modelliert, bestimmt, verwandelt und dynamisiert. Es ist die abstrakte Strukturierbarkeit des menschlichen Ausdrucks, die über das Moment der Kommunikation hinaus richtungsweisende Funktionen erlangt. Die Idee des ästhetischen Zeichens als ein Prototyp für das kulturelle Zeichensystem bildet den gemeinsamen Nenner der vorliegenden zeichenwissenschaftlichen Modelle.
Kulturwissenschaft als Methode Die konkrete Zusammenführung des zeichentheoretischen Ansatzes mit einer avancierten Kulturwissenschaft finden wir in Ernst Cassirers Abhandlungen zur Logik der Kulturwissenschaften. In seinem Bemühen, den eigentümlichen Charakter der kulturwissenschaftlichen Methodik und Logik von der naturwissenschaftlichen abzugrenzen, schrieb Cassirer 1942 im amerikanischen Exil: „Wir mußten, um diesen Unterschied mit Schärfe bezeichnen zu können, von der Begriffsstruktur auf die Wahrnehmungsstruktur zurückgehen. [...] es muß sich zeigen lassen, daß die Differenz zwischen ihnen sich in einer ursprünglichen Doppelrichtung des Anschauens und Wahrnehmens gründet.“14
Die Schwierigkeit dieser Aufgabe sah Cassirer in der Logik der Kulturwissenschaft verankert, denn „der reflexive Prozeß des Begreifens ist seiner Richtung nach dem produktiven Prozeß entgegengesetzt; beide können nicht zugleich miteinander vollzogen werden.“ Die Kulturwissenschaft „muß das synthetisch Erzeugte analytisch behandeln.“ Sie „lehrt uns, Symbole zu deuten, [...] um das Leben, aus dem sie ursprünglich hervorgegangen sind, wieder sichtbar zu machen.“ Daraus ergibt sich eine doppelte kulturwissenschaftliche Perspektive; eine synchronische und eine diachronische Forschung, für die wir Dingbegriffe, Gesetzesbegriffe, Formbegriffe sowie Stilbegriffe brauchen.
14 Cassirer. Zur Logik der Kulturwissenschaften. S. 57.
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Künstlerische Zeichensysteme Eine wichtige Aufgabe der Kulturwissenschaft sah Cassirer in ihren Möglichkeiten über die Analyse der Logik der dynamischen Wandlung, die gesellschaftlichen Veränderungen zu erklären. Auch Cassirer erklärte den Prozess der Semiose als den Raum der gelebten Kultur, die wir in der Gestalt der Gegenwart des Zeichens über die Prozesse der Zeichensetzung und der Zeichenerschließung lesen. Die zentrale Frage der Aufklärung – die Frage nach der Wahrheit sah Cassirer eng mit der Freiheitsproblematik verknüpft – erweiterte Cassirer mit der Frage nach der Gestaltung der Kultur und der Kulturgebiete. Kultur definierte er als den Raum des Geistes und des menschlichen Tuns. Nicht die Unendlichkeit des Seins, sondern das Reale des menschlichen Lebens bildete die menschliche Universalität. Kultur wird in der Philosophie der symbolischen Formen als die Gesamtheit der symbolischen Formen, sowie deren Produktion und Interpretation verstanden. Sie ist der Inbegriff aller geistigen Energien, die die passive Welt der bloßen Eindrücke zu einer Welt des reinen geistigen Ausdrucks umwandelt.15 Die zentrale Figur seiner Kulturwissenschaft bildet das Symbol. Ein Symbol wird in diesem Kontext als Zeichen, ein Sinnbild, sinnvolles Bild verstanden. Es ist all das, was stellvertretend für einen Inhalt steht, der es nicht ist, sondern den es repräsentiert. Die Kantische Definition des Symbols als die indirekte Beziehung eines Begriffs zur ihm korrespondierenden Anschauung,16 die Hegelsche Definition „eine für die Anschauung unmittelbar vorhandene oder gegebene äußerliche Existenz, welche jedoch nicht so, wie sie unmittelbar vorliegt, ihrer selbst wegen genommen, sondern in einem weitern und allgemeineren Sinne verstanden werden soll“17 sowie Schleiermachers Bestimmung des Symbols als das Ineinandergreifen von Vernunft und Natur18 finden ihren Platz in den zeichentheoretischen Modellen der kulturellen Analyse. Wie jede andere historische Erkenntnis bezieht sich auch das ästhetische Werk als eine verdichtete Information auf eine bestimmte Erkenntnis der „Form“ und des „Wesens“. Somit verraten uns Kunstwerke mittels ihrer Individualität allgemeine und prin-
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Cassirer. Zur Phänomenologie des Kulturbegriffs. S. 13. Kant. Kritik der Urteilskraft. Hegel. Vorlesungen über die Ästhetik. Bd. I. I, S. 394. Schleiermacher. Philosophische Sittenlehre. § 129.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft zipielle Kategorien wie zum Beispiel über Form- und Raumgefühl. Da jede Sprachform eine eigene Weltansicht, eine bestimmte „Grundrichtung des Denkens und des Vorstellens“ zum Ausdruck bringt, können Kunstwerke als Sinnträger von Gesamtorientierungen und Wahrheitsmodellen gelesen werden. Die Lektüre lässt uns auch den Wandel der Anschauungsform verfolgen sowie die innere Logik ihrer Dynamik verstehen. Die kulturwissenschaftliche Betrachtung als eine historische Synthese erklärt die Kultur, eine kulturelle Epoche nicht als eine Einheit des Seins, sondern eine Einheit der Richtung. Die einzelnen Individuen tragen zur Formierung dieser Einheit bei. Die Synthese der individuellen Formen und der geschichtlichen Entfaltung bildet die besonderen Eigenschaften einer Epoche. Da die Wirklichkeit als ein kultureller Korpus sowohl etwas Dingliches wie auch Personales ist, muss eine kulturwissenschaftliche Analyse die logische Konstitution der beiden Grundformen des Erlebens erklären. Die Dingwelt, die physische Welt, ist ein fester Bestandteil einer Kultur. Sie verbindet die Gegenwart mit einem allgemeinen systematischen Zusammenhang, mit dem System des Raumes und der Zeit. Allerdings wird die Bestimmung der Wirklichkeit durch selektive Vorgänge hervorgebracht. Schon auf dieser Ebene der Perzeption ist ein Prozess der Auslese im Gange, der die wirklichen Eigenschaften eines Gegenstandes von seinen scheinbaren Eigenschaften unterscheidet. Dennoch besteht die Kultur nicht nur aus individueller Erfahrung, sondern ist eine intersubjektive Welt, an der jedes Subjekt teilhaben kann. Die Form dieser Teilnahme ist eine ganz andere Form als in der physischen Welt, denn sie wird durch eine Tätigkeit, eine aktive Beteiligung ermöglicht. Indem die Subjekte sich an der Formation der Kultur beteiligen, kommen sie sich durch das Medium der Kultur näher. Somit hat die Kulturwissenschaft, anders als die Naturwissenschaft, das Menschliche zum Objekt. Ihr Gegenstand ist nicht die Welt, sondern Teile der Welt. Ihr Erkenntnisideal ist das Erkennen der Totalität der Formen, in denen sich das menschliche Leben vollzieht.
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Künstlerische Zeichensysteme
Zur Grammatik der Kultur Mit der Betrachtung des Zeichens als das kleinste Element der Kultur gewinnt die kulturwissenschaftliche Arbeit neue Deutungsformen für eine Grammatik der Kultur, die die Logik von Regelhaftigkeiten sowie die Objektivationen ihrer Substanz organisiert. Die in dem folgenden Abschnitt aufgeführten Texte präsentieren Erklärungsmodelle des Zeichens und Zeichensysteme sowie Strukturschemata, die in einem übergreifenden Sinn auch als grammatikalische Strukturen einer Kultur fungieren können. Zur Sicherung der grundlegenden Voraussetzungen eines Zeichensystems folgt Kultur, als das Feld und das Produkt der menschlichen Kommunikation, den Gesetzmäßigkeiten der Wiederholbarkeit und der Tradierbarkeit. Als Produkt unseres Denkens manifestiert sie die Denkstrukturen einer Gemeinschaft, so erklärt Peirce das Vermögen, Zeichen zu erfinden und sie zu verstehen, zur Grundvoraussetzung unserer intellektuellen Auffassung. In diesem Interpretationsprozess nähert sich der Mensch schrittweise dem Begreifen seiner Umwelt. Zunächst entstehen die Gefühle, die ohne Zwang und Bezug in der Abwesenheit des Verstandes entstehen, darauf folgt die Reaktion, die den Übergang von einem Gefühl zum anderen markiert, und schließlich das Denken, das die bewusste Strukturierung dieser Phänomene darstellt. Die Bedeutung der Peirceschen Zeichentheorie für die Kulturwissenschaft liegt vor allem in der Verflechtung des Kommunikationsprozesses mit der Analyse der Zeichenformen. Im Mittelpunkt stehen die Interpretation des Zeichens in seinen unterschiedlichsten Erscheinungsformen sowie die verschiedenen Bezugsaspekte der Zeichenproduktion. Mit einer weiteren Abstraktion der Erklärungsmodi und Kernthesen auf eine kulturwissenschaftliche Metaebene lassen sich systemübergreifende Strukturmerkmale kultureller Erscheinungsformen erkennen. Neben der Zeichenkonstruktion bildet die Kategorie der Zeichenproduktion, der Prozess der Signifikation, ein weiteres analytisches Element für die kulturwissenschaftliche Reflexion. Mit seiner Fokussierung auf die Bewegung des Zeichens ermöglicht Peirce einen Zugang zur kulturellen Dynamik; diese für die Bedeutungsfluktuation einer Kultur essentielle Kategorie ereignet sich im Zwischenraum zwischen dem Objekt, dem Bewusstsein und der Handlung.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Die detaillierte Untersuchung der Zeichenformen, sowie deren Kategorisierung über die Peirceschen triadischen Aspekte hinaus, durch komplexe syntagmatische und paradigmatische Gegenüberstellungen führen zu weiteren Horizonten der Zeichenstruktur. Mit dieser erweiterten Zeichenstruktur lassen sich sowohl konkrete wie auch abstrakte Zeichensysteme erfassen und das Zeichen durch seine Wirkung in präziseren Erscheinungsformen erklären. Ein Beispiel stellt die Unterscheidung der Zeichencharaktere in Signal, Symptom, Ikon, Index dar: sie strukturiert das kulturelle Gewebe, allerdings lässt sie auch eine gesunde Elastizität der Kategorisierung zu. Die Differenzierung präsentiert ein Ordnungsschema und räumt zugleich mögliche Überlappungen sowie Diskrepanzen in der Produktion ein. Entscheidend bleibt, dass die Begriffe Symptom, Signal, Ikon und Index als gedankliche Figuren uns helfen, die abstrakte Wirklichkeit in ähnlich abstrakten Kategorien zu systematisieren. Auch hier rückt die Opposition des Wahrnehmbaren und des Rationalen in den Vordergrund. Saussures Unterscheidung zwischen der menschlichen Rede und der Sprache als ein Ganzes ergänzt die systemnormierten Kategorien der Sprachwissenschaft mit dynamischen Eigenschaften der psychischen und physiologischen Erfahrungen. Für die Erfassung der Gesamtheit unterschiedlich bestimmter Kategorien stellt die Saussuresche Definition der Natur des Zeichens einen Prototyp für die Manifestation der Logizität einer Sprachlichkeit dar, somit unmittelbar für die Logik der Ausdruckhaftigkeit der menschlichen Kommunikation. Denn Zeichen verkörpern das Grundschema des kommunikativen Aktes. Verstehen wir die charakteristischen Merkmale des sprachlichen Zeichens auch als die charakteristischen Merkmale des kulturellen Zeichens im Allgemeinen, dann können wir sagen, dass das Zeichen, als die kleinste kulturelle Bedeutungseinheit, mindestens aus zwei psychischen Bestandteilen hervorgeht, die durch eine Assoziation verknüpft sind. Die Besonderheit dieser Unterscheidung ist die Hervorhebung der Vorstellungskraft, der Empfindung und der Kommunikationshandlung. Zeichenproduktion erklärt Saussure vor allem als eine geistige Tätigkeit, die die Zeichenelemente mittels unterschiedlicher Gesetzmäßigkeiten bzw. Grundsätze verbindet. In seinem Bemühen, die abstrakten Eigenschaften der psychischen Bestimmung der Zeichenkonstruktion in verbindlichen Kategorien zu systematisieren, skizziert Saussure zwei Grundsätze des Zeichens, verstanden vor allem als Grundsätze
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Künstlerische Zeichensysteme der Zeichenproduktion: Beliebigkeit und Linearität. Zu beachten ist, dass Saussure bereits in dieser Erörterung den Begriff Zeichen in einem erweiterten Sinn des Symbols begreift, das heißt als eine Repräsentation, als eine symbolische Kodifikation, die nicht unbedingt auf die Wortsprache zu reduzieren wäre. Die gesellschaftliche Nutzung des Zeichens sieht Saussure in seiner Unveränderlichkeit verankert. Zwar ist das Zeichen einerseits arbiträr, andererseits sind die Nutzer des Zeichens allerdings nicht vollständig frei in ihrer Wahl. Zeichen sind vor allem kulturell tradiertes Material, das Kontinuität und Zugehörigkeit generiert. In der zeitlichen Verkettung der Kultur einer Gemeinschaft durch die Zeichen gewinnt die Gegenwart, somit die Nutzung des Zeichens, eine gewichtige Rolle. In der Funktion der Übertragung sieht Saussure beide Pole der Zeichennutzung gegeben: die Unveränderlichkeit – als Grundlage der Übertragung – und die Lebendigkeit – als die Nutzung des Zeichens. Da die Sprache die einflussreichste Ausdrucks- und Kommunikationsform des Menschen darstellt, zeigt ihre Funktions- und Entwicklungslogik die wichtigsten Züge einer Grammatik der Kultur. So lassen sich auch die Gesetzmäßigkeiten des sprachlichen Zeichens als die Grundstruktur der Kulturizität verstehen. Auch die Kultur als die Gesamtheit unserer Sinnwelt ist sowohl Sprache, ein geregeltes System mit Gesetzmäßigkeiten und Konventionen, wie auch Sprechen, der individuelle Gebrauch und die individuelle Äußerung. Genauso wie die Sprache untrennbar mit dem Menschen verbunden ist, ist die Kultur die unmittelbare Ausdrucksinstanz der menschlichen Tätigkeit. Über die kommunikative Funktion hinaus ist die Sprache, so Hjelmslev, ein Mittel der freien Entfaltung der menschlichen Phantasie. Als primärer kultureller Ausdruck nimmt sie maßgeblichen Einfluss auf die Bildung gemeinschaftlicher kultureller Konstrukte: diese wiederum bilden den Rahmen für die Produktion, Interpretation und Wandel von kulturellen Bedeutungen. Kultur, Sprache – im Allgemeinen als Ausdrucksform – und Denken bleiben in unmittelbarer Wechselwirkung im Prozess der Identitätsbildung einer Gemeinschaft. Hjelmslevs Beitrag zur Schärfung der wissenschaftlichen Konturen der Sprachwissenschaft lässt sich auch auf die Kulturwissenschaft übertragen. Kultur als die Zusammensetzung unterschiedlich bestimmter Wirklichkeiten verlangt eine Systematisierung, die sowohl den Verlauf wie auch das System der kulturellen Produktion und Kommunikation erfassen kann. Die Analyse der kulturellen Produktion stützt sich auf die Funktionen,
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft die die paradigmatischen Relationen der Bedeutungsverkettungen regeln. Mit der Unterscheidung zwischen einer Denotationssprache, einer Konnotationssprache und einer Metasprache erweitert Hjelmslev die Konstruktionslogik des Zeichens auf das System der Zeichenproduktion. Das zentrale Ziel der Unterscheidung bleibt eine Systemdeduktion, die auch auf andere Texte Anwendung findet. Mit der Erweiterung des Textbegriffs auf die kulturelle Produktion legitimiert Roland Barthes die strukturalistische Forderung nach einer Strukturierung der Bedeutungserzeugung im Spannungsfeld von Struktur und Prozess; darauf folgt die Erweiterung der strukturalistischen Position mit der poststrukturalistischen Dimension der Analyse der Entstehung von dynamischen, räumlichen Prozessen in der Wechselwirkung zwischen Struktur und System. Beide Standpunkte erweisen sich für die kulturwissenschaftliche Arbeit als höchst ergiebig. Eine der zentralen Fragen, mit der sich Roland Barthes beschäftigt, ist die Verankerung der kulturellen Produktion in der Form, der Ort, in dem die Struktur des Ausdrucksmediums ihre Anwendung findet. Sprachbewegung und Verräumlichung als energetische Kategorien bilden eine nicht kategorisch fixierte Allgemeinheit, die nach Barthes die Wissenschaftsformen stets anstrebten. Als vehementer Kritiker jeglicher begrifflicher Allgemeinheit rückte Roland Barthes das Augenmerk auf den Einfluss des kulturellen Autors auf die textuelle Entfaltung eines kulturellen Ausdrucks, denn der Autor, so Barthes, verzerre die Struktur eines Textes, dessen Individualität und Ausdruckskraft es zu verteidigen gelte. Barthes theoretische Untersuchungen erstrecken sich von der Analyse der Systemhaftigkeit von kulturellen Ausdrucksformen über die Analyse der Wissenschaftlichkeit, der Versuch eine Systematik für Werkanalysen zu entwickeln, bis hin zur Analyse der Ideologien, die über die Ausdrucksformen manifestiert werden. Mit der Überwindung von strukturierenden Kategorien zielt Roland Barthes auf das nicht-rationale im begrifflichen System. Auch hier werden geistige Qualitäten wie schöpferischer Impuls, Geheimnis der Seele, neben historischen, biographischen, traditionellen Quellen als konstitutive Bestandteile der kulturellen Organisation verstanden. Die Barthessche Maxime, kulturelle Ausdrücke nicht mit Kategorien wie falsch oder wahr, sondern als schlüssig oder nicht schlüssig zu bewerten, will das Vorhandensein eines kohärenten Systems von Zeichen betonen. Die Aufgabe einer Kulturwissenschaft könnte demnach darin bestehen, die Logik dieses System, das heißt deren Systematik in einem dyna-
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Künstlerische Zeichensysteme mischen Diskurs zu integrieren. Diese liegt weniger in der Dokumentation, Notation, Erzählung oder Repräsentation, sondern vielmehr in der Erfassung der performativen Eigenschaft der kulturellen Produktion. Kulturwissenschaft als die Wissenschaft von Texten und Textualitäten darf sich nicht auf die Interpretation von Werken in starren physikalischen Kategorien beschränken, sondern sie muss sie als Öffnungen und Übergänge zur kulturellen Identität erklären. Im Konzept des Textes finden wir konkrete Ansätze zur Realisierung dieser Perspektive. Zu den wichtigsten Eigenschaften eines Textes gehören die entautorisierte Bestimmung der Bedeutungsverschiebung durch das individuelle Werk und damit seine Differenz zu den anderen Texten. Texte sind Stellungnahmen zum jeweiligen kulturellen Körper sowie Exemplifikationen ihrer Struktur. Das System des Textes, so Roland Barthes, besitzt kein Zentrum, da es vor allem im Verlauf zum Ausdruck gebracht wird. Auch der Diskurs über den Text, wie zum Beispiel die kulturwissenschaftliche Reflektion, ist eine textuelle Aktivität, in dem Sinne dass die methodische Reflektion einen unmittelbaren Einfluss auf den Verlauf der Kultur ausübt. Mit der Analyse der Logik der Erzählung, auch verstanden als Äußerung und Mitteilung, reflektiert Roland Barthes die Bedingtheiten des kulturellen Korpus. Erzählungen bestehen aus einer Sprache, die auch jenseits des fixierten Satzes ihre Äußerung finden. Sie haben Funktionen, deren Anwendung unterschiedliche Einheiten bestimmen. Darüber hinaus sind die Einheiten in Klassen aufgeteilt, die sehr stark von Handlungen determiniert werden. Während die Erzählung als der feste Körper der wissenschaftlichen Untersuchung begriffen wird, erweist sich die Narration als eine mitteilende Kommunikation. Somit zeigt sich die Produktion der kulturellen Kommunikation in unendlich viele Richtungen verstrickt; dennoch unterliegt sie Regelhaftigkeiten und Gesetzmäßigkeiten, die die Grundpfeiler einer Grammatik der Kultur bilden.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft
Kultur als Sinngewebe: Deutung und Bedeutung „Was wir als Sinngebung kennzeichnen, ist eben jene unbegrenzte und nie abgeschlossene Erzeugung, jenes unaufhaltbare Funktionieren der Triebe auf die Sprache zu, in ihr durch sie hindurch, auf den Austausch und seine Protagonisten, das heißt auf das Subjekt und die Institutionen zu, in ihnen und durch sie hindurch. Dieser heterogene Prozeß ist weder anarchische Zerstückelung noch schizophrene Blockierung, sondern eine Praxis des Strukturierens und Destrukturierens, er ist Vorstoß hin zu den subjektiven und gesellschaftlichen Grenzen, und nur unter dieser Voraussetzung ist er Lusterleben und Revolution.“19
Kultur ist die Summe der Wechselwirkungen von Strukturen unterschiedlicher Textwelten, die ihre Kontinuität durch zwei grundlegende Funktionen sichern: die Funktion des Bedeutungsträgers bzw. des Bedeutungsvermittlers und die Funktion der Bedeutungsproduktion. Zu den Axiomen der Wissenschaft der Kultur gehören somit auch die Kategorien Deutung und Bedeutung. Deutung wird in diesem Kontext als die geistige Tätigkeit der Verbindung von Vorstellungen mit einer Ausdrucksform verstanden, sie ist eine dynamische Kategorie; Bedeutung dagegen ist die Verkörperung der geistigen Handlung, die Manifestation von Absichten und Vorstellungen in einer Endform, sie ist eine statische Kategorie. Auch hier sehen wir eine Projektion der Dualität des kulturellen Korpus: als System und als Verlauf. Die Heterogenität der Kultur lässt sich auch durch diese Unterscheidung konkretisieren. Eine erste Dialektik zeigt sich bereits auf dieser Ebene zwischen dem Subjekt, dem Autor der Sinngebung, der zugleich Körper und Sprache ist, und der Gesellschaft. Die Fokussierung auf Sinngebungsprozesse rettet die Kulturwissenschaft vor der Gefahr einer Erstarrung in disziplinärer Autorität. Denn Sinngebung ist eine Praxis, in der das Individuelle mittels des Zeichenprozesses mit dem Gesellschaftlichen verknüpft wird, sie ist aber auch eine Handlung, die an die Grenzen gesellschaftlicher Kodes stößt und die gesellschaftlichen Stagnationen durchbricht. Die Rolle des Subjektes im Prozess der Sinnentstehung ist heterogen. Der Bezug des Subjektes zur
19 Kristeva. Die Revolution der poetischen Sprache. S. 31.
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Künstlerische Zeichensysteme Sprache, zum Körper und zum Anderen sind Aspekte, die zusammen mit unterschiedlichen Formationsgesetzen, wie subjektive und ideologische Formationen, den Verlauf und den Ausgang des Sinngebungsprozesses bestimmen. Julia Kristeva unterscheidet zunächst zwischen zwei Phasen der kulturellen Sinnproduktion: der semiotischen und der symbolischen Phase. Der Impuls dieser Unterscheidung ist nahe liegend; das Subjekt als die Instanz der Sinnproduktion ist sowohl semiotisch wie auch symbolisch, deshalb ist jedes Zeichensystem, das vom Subjekt erzeugt wird, sowohl semiotisch wie auch symbolisch. Während das Semiotische die Relation zwischen dem Signifikat und dem Signifikant ist, das heißt die zeicheninternen formalen und materiellen Zeichenschichten darstellt, werden in der symbolischen Dimension, als die Beziehung des Subjektes zur Gesellschaft, die pragmatischen und semantischen Ebenen, die die intersubjektiven Relationen bestimmen, berücksichtigt. Mit der Unterscheidung zwischen dem Semiotischen und dem Symbolischen lenkt Kristeva unser Augenmerk auf den Übergang von einem zu einem anderen Zustand, den sie mit dem Begriff des Thetischen konkretisiert. Die thetische Phase des Sinngebungsprozesses bildet somit die „Tiefenstruktur“ der Bedeutung. Dies ist zugleich diejenige Phase, die Identifizierung und Positionierung voraussetzt. In der Spannung zwischen dem Semiotischen und dem Symbolischen erlangt die poetische Aussage auch in Kristevas Bedeutungstheorie eine besondere Rolle. Denn darin zeigt sich das Semiotische nicht nur als Bedingung des Symbolischen, sondern auch als dessen Aggressor. Poetische Zeichen artikulieren sowohl „energetische“ Ladungen wie auch „psychische“ Markierungen. Sie destabilisieren die Verankerung des Thetischen, indem sie Grenzziehungen, die ursprünglich durch dichotome Kategorien wie wahr und falsch operierten, durch neue Dimensionen für obsolet erklären. Bedeutungen und Neuartikulationen entstehen nicht durch strikte Trennungen, sondern durch Transpositionen von einem Zeichensystem zum anderen. Poetische Zeichen sind demnach polysem, indem sie in der Transpositionsphase beide Elemente, sowohl semiotische wie auch symbolische als konstitutive Teile tragen. Der Prozess der Sinngebung hat somit einen direkten Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung, da er durch die zeichenhafte Mimesis und die poetische Sprache das durch Dogmen Verdrängte zur Geltung bringt. Dies zeigt auch die Nähe der Transformation in der signifikanten Praxis zum schöpferischen Akt.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Kultur ist mehr als die Summe von Sinngebungen, sie ist auch ein Gewebe von Werten, die die Auswahl und den Vergleich der Sinngebungen koordinieren. Die Stationen der Wandlung vom Sehen über Vorstellung bis zur Gestaltgebung begleiten die kulturelle Entwicklung von einem bloßen Wissen zu einem verankerten Begreifen. Susanne Langer sieht im Konstrukt des Symbols die komplexen Möglichkeiten der Sinnentstehung und Sinnverankerung manifestiert. Das Gewebe unserer Wirklichkeit weben wir aus Anzeichen und Symbolen. Dies wiederum reflektiert die menschliche Erfahrung mit dem Ort, dem Raum und der Zeit. Darin zeigt sich die Differenz zwischen dem kulturwissenschaftlichen und dem naturwissenschaftlichen Ideal. Der naturwissenschaftliche Wunsch, ein Weltbild aus Tatsachen zu errichten, verdrängt die Gewebeartigkeit des kulturellen Körpers. Der moderne Geist als ein komplexer Korpus von Eindrücken und Umwandlungen lässt sich schwer mit den Maßstäben der Rationalität wie Allgemeinheit, Folgerichtigkeit, systematischer Einschluss aller Möglichkeiten sowie maximale Interpretierbarkeit erfassen. Langer sieht die Aufgabe einer Wissenschaft der Kultur nicht primär in der Tatsachensuche, sondern darin die Tatsachen miteinander zu vergleichen und ihre Transformationen durch systematische Prinzipien zu erklären.
Kultur als sozialer Denkraum In seinem Werk „Prinzipien einer neuen Wissenschaft von der gemeinschaftlichen Natur der Nationen“ skizziert Vico die Spuren zu den Anfängen der menschlichen Kultur und die Ausformulierung ihrer Geschichtsbetrachtung. Die von ihm propagierte neue Wissenschaft erklärt, dass Geschichte als ein rein menschlicher Prozess ähnlich wie die Natur einer eigenen kausalen Gesetzmäßigkeit unterliegt. Seine Wissenschaft verstand er als eine Kritik gegen die wissenschaftliche Rationalität, die damals ihren Höhepunkt erlebte. Vico sah darin die Gefahr der Entmachtung des Individuums, die wiederum unausweichlich zur Destabilisierung des sozialen Gebildes führte. Stattdessen plädierte er für eine Verankerung eines geschichtlichen Bewusstseins in der autonomen Position des einzelnen Menschen in der Gemeinschaft der Nation. Zu den verbindenden Kräften der Welt der Nationen erklärte Vico die Fähigkeit des mythischen Denkens. Das Produkt des menschlichen Handelns war für Vico die Welt, in der die Menschen lebten. Die Kraft, die diese Welt schöpfte, war
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Künstlerische Zeichensysteme unweigerlich das menschliche Denken, und das Denken definierte er als die Fähigkeit des Menschen, über seine eigene Handlung und Schöpfung zu reflektieren. Somit verstand er auch die Welt der Völker, der kulturellen Gemeinschaft als vom Menschen gemacht. Die Stärke Vicos kulturwissenschaftlichen Ansatzes liegt darüber hinaus in seiner Verknüpfung der geistigen Fähigkeiten des Menschen mit der biologischen Disposition und vor allem der sinnlichen Wahrnehmung, denn die Sinne waren für ihn das einzige Medium, die Dinge zu erkennen. Die erste Weisheit der Völker sah Vico nicht auf Vernunft, sondern auf sinnlich empfundenen Fähigkeiten basiert. Die Kraft der Phantasie führe zu den Impulsen der Sinngebung und der menschlichen Kommunikation. Die Phantasie wird daher als die ganzheitliche, intensive Sinnlichkeit des menschlichen Tuns verstanden. Auch Charles Morris begreift das Zeichen als Produkt des menschlichen Tuns und als Träger der gesellschaftlichen Kommunikation. Über die Relation von Kultur und Zeichen ließen sich Aussagen über die Konstitution der Kultur erschließen. Die Kulturmuster einer Gesellschaft erklärt Morris als die Zusammensetzung der charakteristischen Eigenschaften ihrer Kommunikationsformen. Das Medium Zeichen hat somit einen interpersonalen Charakter, so dass Teilnahme an der Kultur einer Gesellschaft über die Nutzung ihrer Zeichen erfolgt. Da Zeichen die Regeln der gemeinschaftlichen Kommunikation vermitteln, üben sie auch eine gewisse soziale Kontrolle in der Fortdauer der Gesellschaft aus, die allerdings durch die Fluktuation des individuellen Einflusses stets einer Art Selbstkontrolle unterliegt. Doch Zeichen sind auch seismographische Daten über Störfaktoren der gesellschaftlichen reibungslosen Entwicklung. Über die Pathologie des Zeichens im Zeichenprozess lassen sich die Bedürfnisse und das Wissen einer Gesellschaft erkennen, diese tragen zur transparenten Darstellung von gesellschaftlichen Konflikten bei.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft
Kulturelle Kodifikation: Idee und Objektivation Die primären menschlichen Erkenntnisse liegen ineinander verschränkt und sind in den kulturellen Ausdrucksformen fixiert. Jede kulturelle Gemeinschaft ist mit einer gewaltigen Masse von Vorstellungen, Begriffen, Erkenntnissen und Erfahrungen ausgestattet, die zugleich als Kontrollraster agieren, sowie die Richtung der weiteren Entwicklung bestimmen. Der kulturelle Korpus entsteht zunächst durch die Verdichtung der kulturellen Aufzeichnungen in der Form eines Kanons. Die Organisationsformen des Gesamtkorpus unterstehen strengen Kontrollen, die das Gültige einer kulturellen Äußerung von dem weniger Bedeutsamen trennen und regulieren. Auffällig ist, dass die Kodifikationen, die Aufstellung eines Kanons, nicht am Ende einer kulturellen Periode, sondern zu Beginn einer neuen Periode stattfinden. Die Entstehung einer neuen Periode folgt einer schweren Krise der kulturellen Entwicklung. Die neuen Kodifikationen sind allerdings nicht unbedingt eine neue Gesetzgebung, sondern eher eine Verdichtung im Sinne einer Zusammenfassung des Alten. Dennoch erweitert sich der kulturelle Korpus erst durch die Verletzung der Normen des Zeitgeistes mittels der gestalterischen Arbeit und der poetischen Kraft einzelner Individuen. Zur Kodifikation gehört die zeichenhafte Feststellung eines Textes, die allerdings immer mit einem Risiko der Veränderung verbunden bleibt. Der Ausgang der kulturellen Kodifikation ist die Hochschätzung des Tradierten, das als die Verdichtung der Massen überliefert wird. Diese Verdichtung ist zugleich der Anstoß für weitere Formationen und die Sicherung der Entwicklung. Somit erweist sich die Kodifikation als ein doppeltgerichteter Prozess. In der Kodifizierung liegt die konservierende Macht der Kultur. Die Einsicht in das Werden des Kanons ermöglicht ein Verständnis für sein Wesen. Die kulturellen Ausdrucksformen als kulturelle Träger sind Kodifikationen, die stets in Wechselwirkung mit dem gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld einer Gemeinschaft sind. Ihre Kraft ist nicht das unfreiwillige Gebundensein, sondern die freie Tätigkeit des Geistes. Die Wissenschaft von Zeichen wäre somit eine Vermittlerwissenschaft zwischen der physikalischen Welt und der Welt der Repräsentationen. Die Verbindung der beiden Wissenschaften führt zu einer dritten Wissenschaft, die nicht so abstrakt wie die Geisteswissenschaft und nicht restriktiv wie die Sozialwissenschaft ist. Kulturwissenschaft erklärt die Gesellschaft durch die
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Künstlerische Zeichensysteme Kultur und versteht ihre Logik über die Diversifikation der Kulturen. Die Zeitauffassung der Kulturwissenschaft unterscheidet sich insofern von einer darwinistisch vorwärtsgerichteten linearen Zeitauffassung, in dem sie eine doppelte Richtung, sowohl in Richtung Vergangenheit wie auch in Richtung einer antizipierten Zukunft, denkt. Die retrospektive Zeitdimension der Kulturwissenschaft verbindet das Zeitgenössische mit dem Alten, das Nahe mit dem Fremden, die äußere Zeit einer Gesellschaft mit ihrer Umwelt. Im kulturwissenschaftlichen Kontext bedeutet das Denken die selbstreflexive Tätigkeit, die Beobachtung des Selbst und der eigenen Taten und Handlungen. Der Weg von einer Vorstellung bis zu ausgereiften Kodifikationen verläuft nach John Locke durch verschiedene Phasen der geistigen Tätigkeit: der Sensation, Erinnerung, Besinnung, Träumerei, Aufmerksamkeit und Studium. Durch all diese geistigen Handlungsformen äußern wir unsere Ideen in einfachen und flüchtigen oder komplexen Formen. Die letzteren entstehen durch Erfahrung, Erfindung und Erklärung der kulturellen Informationen, so dass jedes Zeichen als ein komplexes Gebilde aus zusammengesetzten einfachen Ideen sowie komplexen Ideen bestehen kann. Somit öffnet die Lockesche Analyse der Ideen Zugänge zu den jeweiligen Phasen der Zeichenentstehung im menschlichen Denken. Auch hier gehören die Kategorien Bewegung, Kraft und Handlung zu den bestimmenden Größen des Zeichenprozesses. Ähnlich argumentiert Jurij Lotman über die Komplexitätsgrade unserer Zeichenproduktion. In seinen Untersuchungen zur Kunst als Sprache unterscheidet er zwischen einer künstlichen Sprache – Notationssysteme der eindeutigen Kommunikation – und einer künstlerischen Sprache, die komplexere Modellierungsstrukturen erzeugt. Ästhetische Werke sind demnach komplex kodierte Texte, so dass wir über die Analyse von Kunstwerken in die tieferen Bedeutungsstrukturen der Kultur eindringen können. Kunst als eine Sprache bildet darüber hinaus eine Schnittstelle zwischen Erkenntnis und Kommunikation, sie modelliert die Wirklichkeit über spezifisch organisierte Strukturen. Somit sind auch Kunstwerke Objektivationen des kulturellen Zustandes einer Gemeinschaft, allerdings zugleich höchst individuelle und dennoch gesellschaftliche Objektivationen. Zeichensysteme erklärt Lotman als geistige Auseinandersetzungen mit einer Epoche. Als sekundär modellierende Systeme sind Kunstwerke häufig das Bindeglied zwischen der natürlichen Sprache und dem Gesamtkode einer Kulturepoche.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Die kulturelle Tätigkeit, als die Formierung der Wirklichkeit, bringt Objekte auch in der Form von Ware hervor, die ihrerseits das gemeinsame kulturelle Bewusstsein von Gemeinschaften prägen. Somit fungieren die Produkte einer Gesellschaft als ein Gesamtkode der polysemen Kommunikationsformen. Kulturwissenschaft soll vor allem die Darlegung der Zusammenhänge der kulturellen Ausdrucksformen leisten. Ihr Ausgangspunkt ist die Natur einer gegebenen Kultur. Versuchen wir zu beschreiben wie weit die Natur einer Kultur beschrieben werden kann, so stellen wir fest, dass die subjektive und individuelle Sphäre der kulturellen Produktion, welche identisch mit der poetischen Freiheit ist, sich jeglicher Beschreibung entzieht. Das was übrig bleibt ist die Sphäre der Regelhaftigkeiten einer Kultur sowie die klimatischen, topographischen und biologischsomatischen Verhältnisse, die Gewohnheiten und gesellschaftlichen Regeln der Menschen.
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Zum symbolischen Charakter von Bildern
Kulturizität bildet die Grundlage der symbolischen Fähigkeit des Menschen, ein Bild von sich selbst sowie von der Welt zu konstruieren. Die primären Aktivitäten, die zur symbolischen Kodierung führen, sind die perceptio und die imaginatio. Jede dieser Fähigkeiten besitzt doppelte Tätigkeitsfelder: ein physisches und ein psychisches. Durch die Übersetzung der Relationen von den physischen zu den psychischen Informationen und umgekehrt vollzieht der Mensch die symbolisierende Tätigkeit. Für die Lokalisierung, Differenzierung, Koordinierung sowie Archivierung der Perzepten und der Imagos verwendet der menschliche Geist vor allem räumliche und visuelle Schemata. Jedes neue Element wird in einem diskursiven Verfahren – im Gegensatz zu einem linearen lexikalischen – nach einem vorhandenen Schema transformiert. So ordnen wir unseren Gedanken durch Kodierung von Bedeutungen. Eine ganzheitliche Interpretation der menschlichen Symboltätigkeit ist daher nur über die Verbindung der physikalischen wie auch psychischen Aktivität zu erreichen. Die symbolische Eigenschaft der kulturellen Konstruktion bildet die Grundlage für eine umfassende kulturelle Analyse. Unterschiedliche Ansätze sowohl in geisteswissenschaftlichen wie auch neurowissenschaftlichen Bereichen schildern den Weg einer Annäherung. Nicht zufällig finden wir sie vor allem in der philosophischen Tradition der symbolischen Formen, aber auch in der Semiotik, Logik und Pragmatik sind tief greifende Ansätze zur Erforschung des menschlichen Verstands mittels der Analyse seiner Kommunikations- und Interpretationsfähigkeit. In diesem Kontext wird Kultur und alles was sie beinhaltet sowohl als Bedingung wie auch als ein Produkt unserer Symbolsysteme verstanden, da Symbolsysteme das Mittel sind, um erworbene Fertigkeiten, Informationen und Gewohnheiten zugleich zu verinnerlichen und zu vermitteln.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Die Formulierung Symbolische Formen und Identitätsbildung sucht Manifestationen dieser Art und fokussiert auf die Sinnerzeugungsmechanismen, die die kulturelle Produktion bestimmen. Kultur entsteht durch Medien vermittelte Aktivitäten, sie ist ein dynamisches Gebilde, das stets in einer Entwicklung generiert wird; nur da, wo Bewegung ist, kann auch Kultur entstehen, impliziert ihr Begriff Fortschritt als das Fortschreiten in Raum und Zeit. Wichtige Träger ihrer gesellschaftlichen Aktivitäten und deren Mediation sind: • Artefakte • Handlungs- und Denkschemata • Situationen und Kontexte • Aktivität und Erfahrung • Umwelt Eine unmittelbare kulturelle Erfahrung entsteht durch Artefakte, sie sind die materielle Objektivation der symbolischen Intelligenz. Ihre wichtigsten Eigenschaften sind: • Koordinierung der Beziehung der Menschen zu ihrer Umwelt und zur Gesellschaft in einer Weise, die die Eigenschaften der Instrumente und Symbole verbindet. • Artefakte haben eine modellbildende Funktion für „alternative Welten“. • Systeme von Artefakten bilden sich immer in Relation zu anderen Formen von Situationen, Kontexten oder Aktivität. • Als Kommunikationsmedium beeinflussen Artefakte die Beziehung des Subjektes zum anderen und zur Kommunikationssituation. Die Tatsache, dass kulturelle Mediation durch Artefakte vollzogen wird, impliziert eine permanente Erfahrungs- und Wissensfluktuation in der kulturellen Entwicklung, da durch sie die Aktivitäten vorangegangener Generationen in der Gegenwart als das spezifisch Menschliche der Umwelt verdichtet werden. Es ist daher von zentraler Bedeutung, das kulturell vermittelte Verhalten als eine Entwicklung zu begreifen, damit über diesen Weg auch die dynamischen Interaktionen, die die verschiedenen Teile des Gesamtsystems zusammenhalten, erklärt werden können. Zugleich ist es wichtig, die Forschung auf entwicklungsgeschicht-
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Zum symbolischen Charakter von Bildern lichen Ebenen zu vermitteln, um deren Wechselwirkungen im menschlichen Leben zu analysieren.1
Elemente der symbolischen Konstruktion: Wissen, Erfahrung, räumliche Relationen „Symbolik setzt voraus, daß es zwei Arten von Wahrnehmungsgegenständen gibt; und daß ein Wahrnehmungsgegenstand der einen Art eine gemeinsame ‘Grundlage’ mit einem Wahrnehmungsgegenstand der anderen hat, so daß eine Korrelation zwischen dem Paar von Wahrnehmungsgegenständen hergestellt wird.“2
Symbolische Formen gehören zu den lebensnotwendigen Manifestationen für die menschliche Gemeinschaft. Die Geschichte des Symbolismus zeigt die unterschiedlichen Rollen des symbolischen Denkens in verschiedenen Epochen. Die fundamentalste Art des Symbolismus geht der natürlichen Sprache voraus, sie ist die Bedeutungserzeugung Kraft unseres Denkens. Zum Beispiel erstellt der Mensch bei der Betrachtung von Formen und Farben instinktiv Zusammenhänge zu den Objekten, Erlebnissen und Gefühlen. Die wahrgenommenen Farben und Formen werden mit Bedeutungen beladen und zugleich als stellvertretend für andere Elemente der Erfahrung abstrahiert. Dieser Symbolismus von den sensorischen Kanälen zu den symbolisierten Objekten kann darüber hinaus zu abstrakten, realitätsabweichenden Relationen führen. Somit fungiert Symbolismus sowohl als Voraussetzung für die Entwicklung von Organismen wie auch als Ausgangspunkt von Fehlentwicklungen. Er entsteht mittels unseres Verstandes und bestimmt unseren Umgang mit dem durch Erfahrung gewonnenem Wissen. Zu den wichtigsten Quellen des Wissensgewinns gehört die Unterscheidung zwischen wahr und falsch, die Kraft unseres Urteilsvermögens und durch eine erste Konfrontation mit Tatsachen ermöglicht wird. Dies vollzieht sich in zwei Phasen. Die erste ist das unmittelbare Erkennen und die zweite die symbolische Referenz. Symbolismus ist somit der Akt, die symbolische
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Cole. Cultural Psychology. Whitehead. Prozeß und Realität. S. 337.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Referenz, die durch Perzepte entsteht, mit dem direkten Erkennen zu verbinden. Der menschliche Geist agiert symbolisch immer, wenn er Elemente seiner Erfahrung, des Bewusstseins, der Überzeugung, der Emotionen etc. mit anderen Komponenten seiner Erfahrung in Zusammenhang stellt. Diese organische Funktion des Übergangs vom Symbol zur Bedeutung, die „symbolische Referenz“, ist das aktive synthetische Element, vollzogen durch die Natur des Perzipierenden. Ihre Grundlage ist eine Gemeinsamkeit zwischen der Natur des Symbols und die der Bedeutung. Die Voraussetzung jeder symbolischen Arbeit ist das bewusste analytische Erkennen. Die Relation zwischen dem Symbol und der Bedeutung ist variable und die Kategorien sind in ihren Rollen austauschbar. So kann ein Symbol zugleich in unterschiedlichen symbolischen Relationen Bedeutungen tragen. Die symbolische Tätigkeit ist eine individuelle geistige Erfahrung, in der die Perzeption die innere Beziehung zwischen dem Perzipierenden und der perzipierten Sache bildet. Durch die offene Möglichkeit des Funktionsaustauschs der Elemente der Symbole und der Bedeutung entstehen verschiedene Kodierungen in Symbolen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die symbolische Referenz zwischen den Komponenten durch unterschiedliche Relationen sowie in unterschiedlichen Kontexten entsteht. Sie werden durch die Beschaffenheit der Perzeption direkt beeinflusst, während die Zuordnung der Funktionen der Komponenten von der spezifischen Beschaffenheit der Erfahrung beeinflusst wird. Eine besondere Art der symbolischen Referenz bildet die poetische Sprache. Wir nehmen unsere Umwelt in einer präsentationalen Unmittelbarkeit wahr, in einer unmittelbaren Darstellung als die Erfahrung der gegenwärtigen Welt vermittelt durch unsere sensorischen Projektionen. Ihre Wahrnehmung als physische Fakten hängt von der Aufmerksamkeit und der Aktivität des konzeptuellen Wirkens ab, während die physische Erfahrung und die konzeptuelle Vorstellung mit Wissen verbunden sind. Whitehead unterscheidet zwischen drei Arten unserer Erfahrung des unmittelbaren Erkennens,3 aus denen zwei perzeptiver Natur sind: Präsentationale Unmittelbarkeit, Kausale Wirksamkeit und Konzeptuelle Analyse. Die ersten zwei Arten der
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Whitehead. Symbolism. Its Meaning and Effect.
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Zum symbolischen Charakter von Bildern Erfahrung führen Komponenten in die menschliche Erfahrung ein, die sowohl durch konkrete Gegenstände wie auch durch abstrakte Eigenschaften den Zusammenhang der Objekte zur individuellen Erfahrung zeigen. Die abstrakten Eigenschaften objektivieren die Gegenstände in unserer Umwelt. Die unmittelbare Umwelt entsteht durch die sensorischen Fähigkeiten unserer Körperorgane, während die ferner liegende Welt aus den in der Erfahrung objektivierten Gegenständen besteht. Symbolische Referenz stellt eine Vorphase der konzeptuellen Analyse dar.4 Die Unterscheidung zwischen geistiger und physischer Aktivitäten beruht zunächst auf Konventionen, wobei die geistige Aktivität als diejenige Erfahrung verstanden wird, die sowohl Konzepte wie auch Perzepte beinhaltet. Es kann kein bewusstes Wissen jenseits der geistigen Intervention in der Form der konzeptuellen Analyse geben. Die präsentationale Unmittelbarkeit ist unsere direkte sensorische Wahrnehmung der Umwelt. Die sensorischen Erscheinungen werden vor allem durch qualitative Medien beeinflusst. Die Qualitäten sind somit Vermittler zwischen dem wahrnehmenden Subjekt und den wahrgenommenen Sachen. Sie können deshalb nur durch ihre Abkoppelung von den jeweiligen Implikationen der räumlich schematischen Relationen isoliert werden. Die räumliche Relation ist ein abstraktes Schema, das unabhängig vom Betrachter und den beobachteten Sachen existiert. Es ist das Schema der Morphologie von komplexen Organismen, die als Gesamtheit die erlebte gegenwärtige Welt bilden. Jeder physische Organismus, der in das Ensemble der Sachen eingeführt wird, muss sich diesem Schema anpassen. So führen die sensorischen Daten - wie Farbe und Gerüche - physische Entitäten in unsere Erfahrung unter den perspektivistischen Bedingungen des räumlichen Schemas ein. Die räumlichen Relationen und die sensorischen Daten sind „generic abstractions“, während die Perspektiven der sensorischen Daten, die durch die räumlichen Beziehungen hervorgerufen worden sind, die perzipierten Daten verkörpern. Die Objekte der Außenwelt dagegen sind Teile unserer Erfahrung. Die Organismen, die als „Objekte“ in unsere Erfahrung eingeführt werden, schließen verschiedene Organe unseres Körpers ein, die
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Ähnliche Kategorisierungen finden wir in Kristeva’s Unterscheidung zwischen den semiotischen, symbolischen und thetischen Phasen, zu lesen in: Kristeva. Die Revolution der poetischen Sprache.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Sinnesdaten sind somit die körperlichen Gefühle, sie sind von dem Organismus der Wahrnehmenden und seiner räumlichen Relationen zum wahrgenommenen Organismus abhängig.
Gebrauch des Symbolismus Symbole gehören zu den Bausteinen unserer persönlichen und kollektiven Identitätsbildung. Sie sind sowohl Träger wie auch Objektivationen von Denk- und Wahrnehmungsmustern, durch die wir unsere unmittelbare Umwelt konzipieren. Die Geschichte des Umgangs mit Symbolismen in unterschiedlichen Kulturen und kulturellen Epochen zeigt eine gewisse Abwertung der symbolischen Kommunikation als etwas Primitives und als Etwas, was die Wirklichkeit verzerrt. Dieses Abstoßen des Symbolischen ist selbst eine symbolische Eigenschaft entwickelter Kulturen. Es gibt nahezu keine Entwicklung ohne symbolischen Diskurs mit der eigenen Kultur. Der Mensch ist ein symbolisches Wesen, er kann nur anhand der Symbole kommunizieren bzw. er kann es nicht lassen, seine Umwelt selbst zu konstruieren. Dies tut er durch Symbole, allerdings haben Symbole auch ein eigenes Leben; die Peircesche These, dass Symbole wachsen, zeigt die Macht der Symbole über unsere Weltwahrnehmung. Haben sich Symbole einmal im Fluss der Kultur etabliert und ihre Entstehungszeit überlebt, bilden sie eine tiefer liegende Wirkungsschicht, die unsere Welterschließung maßgeblich lenkt. Symbolismus ist stets in der kulturellen Wirklichkeit vorhanden, er ist keine überflüssige und nutzlose Verschleierung des Denkens, sondern der Textur und Natur der menschlichen Kultur inhärent. Symbolische Systeme sind das Medium für individuelle Ausdrücke wie auch das Band einer Gemeinschaft. Symbole wirken unmittelbar, obwohl es sehr schwer ist zu analysieren, welche Bedeutungen in den Symbolen verwoben sind; sie entwickeln sich mit dem Fluss der Zeit. Sowohl überlieferte Symbole aus der Vergangenheit wie auch symbolische Formationen der Gegenwart und die modellierten Symbole der Zukunft existieren gleichzeitig innerhalb einer gegebenen Kultur. Ihre zeitliche Heterogenität und polyphonen Ausdrucksmittel sichern die Lebendigkeit der kulturellen Kommunikation; allerdings kann sie auch die Quelle für Fehlinterpretationen sein, da die Interpretationen der Symbole von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden. Ein Symbol projiziert verschiedene Bedeutungen innerhalb derselben kulturellen Gemeinschaft; Zeit und
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Zum symbolischen Charakter von Bildern Raum, Status, Bildung, Alter etc. sind Beispiele von Faktoren, die ihren Gebrauch und Interpretation bestimmen. Auch die Funktionen von Symbolen variieren mit jedem Typus von Gemeinschaften. Zum Beispiel ist die geographische Einheit die erste Ebene eines Kommunikationsraums, in dem Symbole agieren. Im Konflikt zwischen der Bewahrung der Einheit einer Gemeinschaft und dem Streben des Individuums nach Individualität und freier Entfaltung spielen Symbole eine bindende Rolle. Sie fungieren als abstrakte Ebenen, auf der die permanente Fluktuation von Bedeutungen kanalisiert wird. Die Semiosphäre unterliegt somit permanenter Kontrolle und Kritik; das bewusste Einführen von symbolischen Ritualen dient der Stabilisierung der Bedeutungsfluktuation. Unsere Reaktion auf Symbole im Kommunikationsakt ist zunächst unreflektiert, zugleich ist sie eine bewusste Bedeutungserschließung unabhängig von der Unmittelbarkeit einer Bedeutung. Während sie durch die Interpretation von Bedeutungen direkt agiert, entzieht sie sich durch unsere Gewohnheit der unmittelbaren Erscheinung. Erst auf dieser Ebene wird eine mentale Bindung innerhalb einer Gemeinschaft ermöglicht. Symbolische Systeme sind sowohl Kommunikationsformen wie auch Träger von Suggestionen und Emotionen. Sie sind Träger der Erfahrungen und der Hoffnungen einer Gemeinschaft; in ihnen und durch sie erlangt eine Gemeinschaft ihren Ausdruck. Durch den bewussten Gebrauch von Erfahrungsmustern als Interpretationsschemata konkretisieren sich die dunklen Gefühle und Instinkte, die unsere frühesten kindlichen Erfahrungen geprägt haben. Jedes soziale System bildet sich durch die blinde Kraft der instinktiven Handlung. Durch die Intervention der symbolischen Handlung kommen die unorganisierten Gefühle zu einem klaren Ausdruck und durch die Objektivation in Formen erlangen sie Ordnung und Materialität. Hier hat das Denken die Möglichkeit, den Verlauf der symbolischen Etablierung zu beeinflussen. Symbolischer Ausdruck formiert eine Gemeinschaft, indem er die Instinkte mit Emotionen ergänzt und dem Denken die Möglichkeit des Eingreifens gibt. Somit wird eine Gemeinschaft zum Schauplatz des individuellen Ausdrucks; je entwickelter eine Gemeinschaft ist, desto heterogener werden ihre individuellen Ausdrücke. In diesem Zusammenhang kann zwischen einer reinen instinktiven Handlung, der Reflexhandlung und einer symbolisch bedingten Handlung unterschieden werden. Die reine
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft instinktive Handlung ist die elementarste Form der Reaktion geleitet von dem Bedürfnis des Überlebens.
Die Funktionen der Symbole Die formalen Charakteristika der Interpretationsprozesse, ob ikonisch, indexikalisch oder symbolisch, definieren die Elemente des bewussten Universums eines Lebewesens. Die Evolution in der symbolischen Kommunikation hat nicht nur eine Reihe von möglichen Bewusstseinsobjekten verändert, sondern auch die Natur des Bewusstseins selbst. Anders als die Interpretationen von Ikonen und Indizes werden symbolische Repräsentationen teilweise extern interpretiert - sie bilden eine Verbindung mit anderen Gemeinschaften. Symbolische Referenz ist zugleich eine Funktion des gesamten Netzes der referentiellen Relationen und das gesamte Netzwerk der Nutzer verteilt in Zeit und Raum. Da Symbole ihre repräsentationale Kraft nicht von Individuen sondern aus einer bestimmten Gesellschaft in einer bestimmten Zeit erlangt haben, bleibt die individuelle symbolische Erfahrung des Bewusstseins gesellschaftsabhängig. Das Selbst, das die Quelle der intentionalen Erfahrung ist, zeigt sich immer als ein symbolisches Konstrukt. Es ist die virtuelle – im Gegensatz zur aktuellen – Referenz, die zur Erfahrung des Selbst führt. Diese genuin reale Erfahrung ist eine virtuelle Realität. Die Fähigkeit der Wertschätzung von symbolischer Referenz ist, trotz ihrer Abhängigkeit von der ikonischen und indexikalischen Referenz, nicht auf sie zu reduzieren. Symbolische Referenz ist zugleich unabhängig von einem partikularen Interpretationsprozess und erhält ihre referentielle Invarianz durch sehr unterschiedliche ikonische und indexikalische Prozesse in unterschiedlichen Wahrnehmungen. Denn trotz ihrer virtuellen Natur, identifizieren wir uns zuallererst mit der symbolischen Welt des Bewusstseins, aus der wir unsere Selbstkontrolle herleiten. Dieses Selbst ist nicht verankert in einem Denken oder einem Körper, sondern wird in einem Bewusstsein eines Außerhalbs gedacht. Als Identitätskonstrukt ist es Teil eines größeren Ganzen. Der symbolische Aspekt des Selbst ist der Ursprung unserer inneren Erfahrung des freien Willens und der freien Handlung. Symbole verbinden, sie haben die Kraft, räumliche und zeitliche Barrieren zu durchbrechen. Das Zeitalter der Virtualität hat
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Zum symbolischen Charakter von Bildern den Menschen eine noch nie da gewesene Autonomie beschert, sich von den Zwängen konkreter Referenzen zu befreien. Diese Abstraktion wird vor allem durch die indirekte Verbindung zwischen symbolischen mentalen Repräsentationen und deren Grundlagen der Referenz getragen; dies wird auch als eine indirekte Verbindung zwischen dem Geist und dem Körper empfunden.5
Symbolische Intelligenz Das Problem der Entdeckung des Symbols liegt in der Verschiebung der Aufmerksamkeit vom Konkreten zum Abstrakten: von einer unabhängigen indexikalischen Beziehung zwischen Zeichen und Objekt zu einer organisierten Reihe von Beziehungen zwischen Zeichen. Symbolische Kommunikation ist die Vermittlung von symbolischen Informationen. Die Ausdrucksformen der symbolischen Kommunikation sind Medium und Werkzeug der kulturellen Intelligenz. Zu den wichtigsten Epochen der symbolischen Handlung gehören die ersten Höhlenmalereien; sie sind direkte Ausdrucksformen des symbolischen Denkens. Sie markieren eine Wende in der kulturellen Entwicklung, die als ein Bewusstwerden der kulturellen Kommunikation verstanden werden kann. Die Höhlenmalereien sind die ersten konkreten Beweise der bewussten Speicherung der symbolischen Informationen. Sie zeigen eine Veränderung in der Struktur der menschlichen Kultur, zumindest als Beweis des Gebrauchs vom Medium, das bis heute überlebt hat; die Höhlenmalereien sind die ersten Ausdrücke des symbolischen Prozesses, der ein reiches kulturelles bildnerisches Erbe manifestiert, mit dem Ziel, die kulturellen Informationen an die kommenden Generationen zu vermitteln. Die Erscheinung der kulturellen Spuren dieser Art markiert den Anfang einer neuen Phase kultureller Evolution - eine Phase, die unabhängiger vom individuellen menschlichen Gehirn und der Sprache ist, und eine Phase, die zum modernen Fortschrittsprozess geführt hat. Aus dieser Perspektive betrachtet zeigt sich die symbolische Kommunikation als eine besonders vorteilhafte Strategie für eine
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Deacon. The Symbolic Species.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft bessere gesellschaftliche und soziale Organisation, vor allem für die Vermittlung von kulturellen Fertigkeiten und Erfahrungen. Allerdings setzt die symbolische Kommunikation ein Erlernen voraus. Mit dem Erlernen von symbolischen Kommunikationsformen setzt sich das menschliche Verhalten von anderen Lebewesen ab. Die symbolische Arbeit wird zunächst von Menschen einer konkreten Strategie folgend im Voraus geleistet. Neurologisch und semiotisch gesehen repräsentiert symbolische Kompetenz nicht unbedingt eine effizientere Kommunikation, sondern eine radikale Verschiebung in der Kommunikationsstrategie.6 Doch worin liegt die Besonderheit der symbolischen Kommunikation? Auch in der Tierwelt werden symbolische Handlungen wie zum Beispiel in Paarungsritualen eingesetzt, allerdings sind sie auf einer sehr primitiven Ebene, vor allem für evolutionäre Zwecke zum Beispiel als Regeln der Exklusion zu kategorisieren. Demgegenüber sind die Menschen die einzigen Lebewesen, die Kategorien wie Rechte und Verpflichtungen, also sehr abstrakte Konzepte, zum Ausgangspunkt ihrer Handlungen nehmen. Die Ursprünge des symbolischen Handelns der Menschen sind zu den ursprünglichen Bedürfnissen der menschlichen Kommunikation zurück zu führen, wie zum Beispiel die der Sicherung der Nahrungsreserven. Im Allgemeinen wird die symbolische Handlung nicht unbedingt mit der kognitiven Beschaffenheit des Menschen erörtert, sondern vielmehr forderte die Frage der Nahrung eine neue Form der sozialen Organisation. Das Erlernen der symbolischen Kommunikation wurde später durch kulturelle Instrumentarien – wie das Ritual – sowie durch Handlungsmuster – wie Wiederholung und Gruppensolidarität – verstärkter unterstützt. Neben konkreten Handlungsmustern bestimmen auch abstrakte Mentefakte die symbolische Kommunikation; zu dieser Kategorie gehören Bedeutungskonstrukte wie Frieden, Freiheit oder Glaube. Hier sehen wir die Wichtigkeit der Indexikalität von Zeichen, wie zum Beispiel Vereinbarungen und Verträge über zukünftiges Verhalten. Denn aufgrund der indirekten Referenzlinie zwischen dem Symbol und seinem Objekt bleiben die symbolischen Eigenschaften genauso abstrakt und virtuell wie das Versprechen oder der Vertrag. Somit erhält die symbolische Analyse eine besondere Rolle in der Identitätsbildung, sie fungiert als Basis für eine neue Ebene
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Deacon. The Symbolic Species. S. 379.
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Zum symbolischen Charakter von Bildern der Selbstbestimmung. Die Fähigkeit zur virtuellen Referenz für die Konstruktion komplizierter geistiger Modelle möglicher Zukünfte zusammen mit der Fähigkeit, mentale komplexe Visionen durch die Kraft der „mnemonic glue“ – der symbolischen Referenz – zusammen zu halten, gewinnt der Mensch eine noch nie da gewesene Fähigkeit eines unabhängigen Lernverhaltens. Die Abstraktion durch die indexikalisch erfolgte Erfahrung, beliebige Fragmente der realen Welt herauszupicken und sie als eine schematische Darstellung für physische und soziale Ereignisse zusammenzufügen, ist ein weiteres Produkt der Fähigkeit der symbolischen Referenz. Diese symbolisch vermittelten Handlungen können mit der Handlungsmotivation, die konkreten und direkten Ursprungs sind, in Konflikt geraten. Somit ist die Fähigkeit, Symbole anzuwenden, – neben der symbolischen Folgerung – auch als eine Modell-Bildung zu begreifen. Die Handlungszwänge, die eine ursprüngliche Phase der symbolischen Handlung bilden, lassen sich in zwei Arten kategorisieren, einerseits werden sie physiologisch bestimmt, das heißt biologisch-sensorisch beeinflusst, zugleich entstehen sie aus dem Bedürfnis, ein imaginiertes symbolisches Ziel zu bilden. Der erste Handlungszwang, der rein physiologischer Natur ist, ist an feste Mechanismen gebunden und lässt einen sehr geringen Grad für spontane Variationen zu, da sie vergleichbar und vorhersehbar sind. Symbolisch vermittelte Handlungszwänge dagegen sind ungeordnet und offen für unterschiedliche Interpretationen. Ein Grund dafür ist, dass symbolisch vermittelte Modelle eine sehr komplexe und alineare Struktur sowie eine unendliche Flexibilität in der Gestaltung neuer Kombinationen aufweisen. Die symbolische Fähigkeit fungiert als eine Prädisposition, die eigenen Weltmuster auf das Modellierte zu projizieren. So sehen wir in der Welt nicht nur Objekte, sondern lesen und ordnen sie in abstrakte Kategorien ein. Wir neigen dazu unaufhörlich alles was wir sehen und erleben zu hinterfragen, selbst Zufälle werden zum Zeichen von verborgenen Bedeutungen und Absichten. Das heißt, dass wir nicht unbedingt symbolische Interpretationen für die Welt geben, sondern die Welt als ein Symbol begreifen. Wir produzieren die Welt in Symbolen. Als Zeichen sind Symbole Ersatzzeichen, die in unserer gegenwärtigen Erfahrung Dinge repräsentieren, die wir in der Vergangenheit wahrgenommen haben. Somit sind sie zugleich Repräsentationen von Dingen, die in der Vergangenheit oder der Zukunft Gegenstand unserer Erfahrung sein könnten. Sie helfen
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft uns Meinungen und Urteile über Gegenstände in ihrer Abwesenheit zu treffen. Die symbolische Produktion ist eine ursprüngliche Tätigkeit des Menschen. Sie verkörpert die Bewegung des Denkens als fortwährende symbolische Übersetzungen seiner Erfahrungen. Somit sind sie kodierte Bedeutungen und Erfahrungen, wobei Bedeutung nicht als Qualität, sondern als die Funktion eines Begriffs verstanden wird. Allerdings ergibt eine Anreihung von Bedeutungen kein einheitliches Bild einer Kultur. Vielmehr ist in den interfunktionalen Relationen von Symbolen zwischen den logischen und psychologischen Beziehungen die Bewegung des diskursiven Denkens zu orten. Ohne das Verständnis des diskursiven Symbolismus gäbe es keine unmittelbare Bedeutung und auch keine wissenschaftliche Erkenntnis. Kulturwissenschaft, als die Wissenschaft der diskursiven Analyse der Bedeutungsstrukturen, durchleuchtet den Schauplatz der symbolischen Interaktionen. Literatur, Film, Architektur und Malerei sind solche Schauplätze; durch ihre poetische Kodierung präsentieren sie eine besondere Art symbolischer Referenz. Denn sie fungieren als Seismographen der kulturellen Schwingungen; ihre diskursive Analyse ermöglicht Zugänge zum kulturellen Korpus der Gegenwart, eine unvergleichbar schwierigere Aufgabe als die einseitige historische oder spekulative Lektüre der Kultur. Zusammenfassend lässt sich konkretisieren, dass ein Symbol ein Sinnbild ist; etwas, was stellvertretend für einen Inhalt steht, der es nicht ist, sondern den es durch eine Formation repräsentiert. Der Ausdruck „Symbolische Form“ dagegen weist auf eine geistige Tätigkeit hin, durch welche ein geistiger Bedeutungsinhalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft wird. In der permanenten Verstrickung der sozialen Kodierungen und Dekodierungen lassen sich Regelhaftigkeiten erkennen, die wir mit dem Begriff Kulturelle Identität beschreiben. Da kulturelle Identität durch den Prozess der Abgrenzung gegenüber vorgegebenen Konventionen des kulturellen Umfeldes entsteht, das heißt mit einer reflexiven Handlung des Individuums verbunden ist, bleiben die Versuche, ihre genuinen Züge zu definieren, zum Scheitern verurteilt. Vielmehr erweist sich kulturelle Identität als ein Zustand, der sich in der Verschiebung zwischen dem kulturellen Ich und dem subjektiven Ich ereignet; dies impliziert, dass sie in höchsten Maßen von gesellschaftlichen Konstanten abhängig bleibt, von Konventionen, die für das handelnde Subjekt eine unerlässlich orientierungsstiftende Rolle erlangen.
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Zum symbolischen Charakter von Bildern Ästhetische Formationen als symbolische Formen sind nicht nur Objektivationen geistiger Zustände, sondern auch Ausdrücke einer Zeitepoche, die die Wahrnehmungsmuster einer gegebenen Kultur entscheidend prägen.
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Bilder als Konzepte organischer und geistiger Synergien
Für das Erkennen der sichtbaren Welt, vom Empfinden zum Erkennen, vom Reiz zum Identifizieren, vom Ikon zum Symbol vollzieht das Gehirn grundlegende Aktivitäten. Zu seinen wichtigsten Vorgängen gehören: Koordination und Organisation der Reize in Bedeutungseinheiten, Aktivierung des Bedeutungsarchivs, das was als kulturelles Archiv definiert werden kann, und die Interpretation der neuen Informationen durch den Vergleich mit den archivierten Informationen. Die zwei Enden dieser symbolisch kodierten Kette fungieren als Berührungsflächen zwischen der äußeren, sichtbaren Welt und der inneren abstrakten geistigen Welt. Während die Berührungsfläche der Netzhaut des Auges, die Aktivierung des Sehnervs durch die äußeren Reize, reiner körperlicher Natur ist, sind die Berührungsflächen der äußeren Bildkonzepte, das eigentliche Produkt der Sehtätigkeit, von kultureller Natur. Wir können es auch symbolische Natur nennen, vorausgesetzt wir verstehen unter symbolisch die Gesamtheit der zeichenhaften Interpretation, von dem visuellen Reiz zur Aktivierung des Wissensarchivs bis hin zur Bestimmung der Information. Theorien der Ikonizität in der menschlichen Kommunikation im Allgemeinen und der ikonischen Eigenschaft von Bildern im Konkreten gehören zu den wichtigsten Ideenmustern der bildsemiotischen Tradition. In dem jüngsten bildwissenschaftlichen Diskurs über ein Iconic Turn, konzipiert als eine methodische Schärfung der bildlichen Analysemittel durch alle Medien und auf allen Feldern, in denen Bilder vorkommen, findet allerdings diese Tatsache keine Berücksichtigung. Paradoxerweise wird ein wichtiger Grund der ikonischen Wende im wachsenden Interesse der transmedialen Identität des Bildes gesehen, vor allem wird dies als Erkenntnismedium sowohl in natur- wie auch in geisteswissenschaftlichen Kontexten 63
Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft definiert. Ein Blick auf die Übersicht der Publikationen und Forschungsberichte mit bildbegrifflichen Betitelungen genügt, um dies zu bestätigen. Allerdings zeigt eine genauere Begriffsklärung, dass das Ikonische eine Teilklasse der Zeichenklassifikation der Zeichenstruktur bildet, die die dyadische Relation zwischen dem Zeichen und dem Objekt reflektiert. Das transdisziplinäre Interesse gegenüber dem Bild weist eher auf eine semantische Flexibilität hin, auf die Eigenschaft von Bildern, in einem einzigen semantischen Gefüge sowohl abstrakte Wahrnehmungsmuster wie konkrete Informationen zu vermitteln. In diesem komplexen Kommunikationsschema bildet das ikonische Element lediglich einen Teilbereich der Bildfunktion. Ist das Medium Bild oder nicht vielmehr die Verflechtung vom Sehen und dem ein-Bilden – analog zur Unterscheidung von Langue und Parole – die Ursache des Bedürfnisses nach der Bestimmung einer Wende in der Bildforschung? Diese Entwicklung auf eine ikonische Wende einzuschränken, hieße vor allem, die Ähnlichkeitsbezüge zum bestimmenden Kriterium des Bildhaften zu erheben, eine Einschränkung, die auch nicht im Sinne der Theoretiker der ikonischen Wende sein kann. Bilder sind Manifestationen semantischer, syntaktischer sowie pragmatischer Strukturen; mehr noch: als Erkenntnis- und Kommunikationsmedium objektivieren sie nicht nur wirkliche sondern auch mögliche Welten, Formen und Bedeutungen. Als Strukturierungsformen von semantischen Einheiten fungieren Bilder zugleich als die Manifestation der Strukturierungsmechanismen selbst, indem sie die Reflexionsfläche ikonischer Elemente, der neuronalen Funktion und der Wahrnehmungsmuster darstellen. Darin liegt ein entscheidender Grund des transdisziplinären Interesses am Bild. Bilder sehen und erkennen ist eine sinnliche und spezifisch geistige Tätigkeit. Bilder beanspruchen optische Leistung und Erkenntnisleistung. Für die höchst heterogenen Annäherungsmodi an das Phänomen Bild sind Bilder nicht nur einfache Informationsquellen, die Erwartungen an das Bild sind viel komplexer, denn sie öffnen auch Zugänge und Berührungsflächen zwischen den unterschiedlichen Disziplinen sowie unterschiedlichen Weltmodellen, und somit ermöglichen sie Koordinierung und Optimierung von Wissen. Das Interesse am Bild als Kommunikations- und Informationsmedium lässt sich auch damit erklären, dass Bilder Spiegelbilder unserer kulturellen Tätigkeit sind. Natur- und geisteswissenschaftliche Analysen bis hin zur künstlerischen Arbeit am
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Bilder als Konzepte organischer und geistiger Synergien Bild erhärten diese These. Die Proklamation des Ausstiegs aus dem Bild der Künstler des 20. Jahrhunderts war nichts anderes als ein Einstieg ins Bild, in die Erforschung der Bildsphäre. Das darauf folgende Ready-Made-Konzept setzte die Diskurstradition fort und richtete seine Kritik diesmal gegen das illustrative Darstellende im Bild. Stattdessen erforschten die Konzeptkünstler das kognitive Moment im Bild, also fand eine Verschiebung von der Bildstruktur Richtung abstrakterer Strukturen im Vorstellungsbild statt. Die neurowissenschaftliche Annäherung an das Bild dagegen suchte Antworten auf die Fragen nach den Ursachen und Folgen der visuellen Funktion auf das menschliche Bewusstsein. Die Suche nach semantischen Inhalten ließe sich allerdings nicht neurowissenschaftlich erfassen;1 zwar konnte man feststellen, mit welcher Modalität das Gehirn gerade befasst oder welcher Art von Reizen es ausgesetzt ist, aber warum und welche Auswirkungen diese für das Bewusstsein mit sich brachten, konnte nicht erklärt werden. Es konnte allenfalls angegeben werden, ob der Proband etwas gesehen hat, beziehungsweise ob die visuellen Regionen aktiv waren. Ein entscheidender Grund hierfür liegt in der polyvalenten Wahrnehmungsstruktur, dass das gleiche Objekt unterschiedliche Repräsentationsschemata bei unterschiedlichen Individuen hat. Diese Heterogenität auf der formalen Ebene wird durch die semantische Dimension, die durch eine kulturelle Vereinbarung festgesetzt wird, zusammengehalten. Hier besteht eine wahre ikonische Relation zwischen der Organisationsstruktur der semantischen Welt, der Kodierungsstruktur der semantischen Sphäre und der biologischen Struktur des Wahrnehmungsapparats. Auch die Konstruktion des Sehorgans spiegelt den Informationsweg von den ikonischen Bildbotschaften auf der Netzhaut bis zum Produkt Bild wider. Die zahlreichen Zeichnungen und hoch entwickelten digitalen Aufnahmen von Laboruntersuchungen können vielleicht die Kommunikationsund Informationswege illustrieren, dennoch bleiben sie stumme Abbildungen ikonischer Eigenschaften, seelenlose Bilder ohne semantische Werte. Auch philosophische Konzepte des Bildes und des Sehens bekräftigen die These ihrer Multimodalität. So beschreibt die Dekonstruktion das Sehen als ein Ereignis, das zwischen der sensorischen Disposition des Auges und dem abokularen Sehen
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Wolf Singer in der FAZ am 25.11.2004.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft zu verorten ist. Das biologische Auge wird hier durch das Konzept eines „dritten Auges“ ersetzt, das durch die Überkreuzung von Sicht, Empfinden und Reflektion entsteht. Dieser Chiasmus wird zum Ort des Sinnsprungs, seine Konkretisierung finden wir in Bildphänomenen.2 Die philosophische Unterscheidung zwischen dem Sehen und dem Seh-Ereignis hebt den kognitiven Charakter des Sehphänomens hervor. Sie definiert den Sehvorgang in verschiedenen Phasen von einer Sehsensation bis zum bewussten Beobachten und zum aufmerksamen Blick, der sowohl wahrnimmt wie auch bewahrt, zur Verankerung im Gedächtnis, das konserviert und archiviert. Vergleichbare Konzepte wie Emotionen, motorische Aktivität und bewusstes Erkennen finden wir auch in neurowissenschaftlichen Erklärungsmodellen des Sehens. Das Konzept von Bildern als in Formen gefasste geistige Modelle des menschlichen Daseins bildet einen gemeinsamen Nenner neurowissenschaftlicher, kunstwissenschaftlicher, semiotischer und philosophischer Erklärungen des Bildes. Zu den komplexesten Formen seiner Verflechtung gehören Bildphänomene wie das Selbstbildnis, das wir in unterschiedlichsten Schemata des Portraits, des Ichs, des Gesichtssinns finden; all diese Modelle sind das Produkt der Wechselwirkung von Sinnesorgan, Information oder Daten und Schemata. Doch ihre Elemente können erst in einem Vorgang des Feststellens und Vergleichens zu einem Bild, zum Selbstbildnis führen. Ein Bild ist ein Bild von Etwas erst durch einen vergleichenden und reflektierenden Betrachter, der durch ein abokulares Objekt das Sehen ermöglicht; das Bild ereignet sich zwischen dem komplizierten Weg vom Selbstbildnis zum Bild und zurück. Die philosophische Hypothese des Sehens und der Anschauung verdichtet sich in eine Hypothese des Selbstbildnisses, als Schauplatz der Beziehungen zwischen dem Betrachter, dem Zeichner, einem Artefakt und technischen Gegenständen, wie Spiegel, Fernrohre, Ferngläser, Brillen etc., die dazu bestimmt sind, prothesenhaft das Sehen zu supplementieren. Sie verbinden das Sehorgan, das Sehfeld und die Bildkonzepte. So wird Sehen zugleich ein Wissen über unser Umfeld und über uns. Im Sehen ereignet sich die „Einkörperung des
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Derrida. Aufzeichnungen eines Blinden.
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Bilder als Konzepte organischer und geistiger Synergien Sehenden in das Sichtbare, Suche nach sich selbst im Sichtbaren“3 Die Einbettung all dieser Elemente in eine Einheit und ihre Transformation in ein Bild beschreibt den Weg der Kodierung, das heißt der spezifischen Organisationsstruktur, die zu individuellen Bildern führt, eine Individualität, die erst in der Universalität ihrer Grundzüge erkannt wird.
Das Sehen als eine Verflechtung organischer und intellektueller Funktionen Sehen spiegelt in vielerlei Hinsichten die Grundstrukturen und Dispositionen der menschlichen Natur und seiner kulturellforschenden Tätigkeit wider. Das Bild als das Produkt des kodierten Sehens ist ein Mikrokosmos, in dem die Spuren verschiedenster Strukturierungen und Funktionen der mentalen Tätigkeit des Menschen zu lesen sind. Dabei können die Funktionen zunächst in vier Kategorien aufgeteilt werden: Forschungsfunktionen, Wiedererkennung, vorausschauende Selektion und Anordnung. In der Bildung der komplexen kulturellen Wirklichkeit erfüllen biologische Dispositionen entscheidende Funktionen: sie sichern die Kontinuität und die Stetigkeit unserer Handlungen. Jede organische Funktion entsteht in einer Wechselwirkung intraorganischer und extraorganischer Energien, in der jede Differenzierung der Struktur eine Erweiterung der Umwelt mit sich bringt. So bestimmt auch die Umwelt die charakteristischen Funktionen der Lebewesen. Organisches Verhalten hat eine kumulative Kraft, es ist sequentiell, in dem eine Handlung aus einer vorhergegangene entsteht und kumulativ zu einer weiteren führt; in dieser Kette fungieren auch Gewohnheiten als Basis des organischen Erkennens. In seiner Theorie der Forschung reflektiert John Dewey die durch die Natur des Menschen bestimmte Doppelbedingtheit der kulturellen Tätigkeit am Beispiel der geistigen Tätigkeit des Forschens.4 Er definiert die sensorischen Organe der Menschen als Dispositionen des Forschers, als vorrangig biologischer Natur, deren Strukturen und Operationen notwendige Bedingungen von
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Merleau-Ponty. Das Auge und der Geist. S. 19 ff. Dewey. Logik. Die Theorie der Forschung.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Erkenntnis bilden. Darin erklärt sich auch die Rolle der biologischen Strukturen in der Bildung der Kultur, vor allem durch ihre Mitwirkung in der Durchführung von Erkenntnisprozessen. Zur Forschungsfunktion des Organismus gehört zunächst, Wirkungen von Veränderungen zu beobachten: Ihre Struktur ist seriell und sequentiell. Im Fluss der Aneinanderreihung der Sequenzen bilden sich organische Retentionen, das was wir als Gewohnheitsmuster kennen, sie fungieren als Stationen der Erinnerung. Als folgende Sequenzen werden dann, auf der Grundlage der Wiedererkennung, Ziele oder Konsequenzen bestimmt, die in Zeit und Raum weiter entfernt sind; hierfür ist das vorausschauende Plänemachen zusammen mit der Selektion und der Anordnung aufeinander folgender Mittel zur Gestaltung der Wirklichkeit erforderlich. Der Forschungsprozess schafft somit neue Umweltbedingungen, die neue Probleme hervorrufen. Forschung lässt sich in diesem Prozess als eine Entwicklung aus organischumwelthafter Integration und Interaktion begreifen. Eine wichtige Schnittstelle dieses Prozesses bildet die Erfahrung, auch in ihrer Bedeutung als beobachtende und vergleichende Instanz. Forschung beruht auf Erfahrung in demselben Sinne, in dem das Substrat und die Schlussfolgerungen jeder Naturwissenschaft auf Erfahrung beruhen. Eine Neuorientierung in der Forschung wird u.a. durch die Momente der Fehlbarkeit ermöglicht, da in jeder Forschung eine gewisse Diskrepanz zwischen den angewandten Mitteln und den sich daraus ergebenden Konsequenzen, zwischen vergangenen und zukünftigen Bedingungen verborgen ist. Neben den organisch physischen Grundlagen des Forschens bestimmt die kulturelle Umwelt die forschende Tätigkeit. Vor allem Ausgangsprobleme, die zur Forschung anregen, entstehen aus zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Mittel für den Umgang mit den Beziehungen sind sowohl die sensorischen Organe wie das Auge, sowie die akkumulierten Bedeutungen, Werkzeuge, Institutionen, Tradition und Werte einer Kultur. Die Funktionsweisen der Organe und der kulturellen Umwelt stehen in direkter Wechselwirkung zueinander. Unser Umgang mit den physikalischen Gegebenheiten der Welt, wie Licht, Energie, Wärme etc. sind Ausdrücke spezifisch menschlicher Tätigkeit. Weitere Schemata des spezifischen Menschlichen sind bereits in unserem Verhalten zu lesen. Sie zeigen wie unsere kulturelle Umwelt – über die Interaktionen mit der physischen Welt sowie den Methoden des Umgangs und der Problemlösung – die physische Welt in die kulturelle einverleibt hat.
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Bilder als Konzepte organischer und geistiger Synergien
Wie Bilder unser Denken formen Der Mensch ist in einem ganz eigentümlichen Sinne ein gesellschaftliches Wesen. Seine Aktivitäten finden in einer kulturell überlieferten Umwelt statt. Das kulturelle Erbe beeinflusst die Funktionsweisen seines organisch physischen Erbes, so dass selbst die neuro-muskulären Strukturen stark über den Einfluss der kulturellen Umwelt auf unsere Handlungen bestimmt sind. Beispiele dafür sind Phänomene wie die Sprache, die Kunst etc., sie verkörpern die kulturellen Wirkungen auf die physische Struktur des menschlichen Wesens; die Modifikation des organischen Verhaltens in und durch die kulturelle Umwelt ist die Umformung rein organischen Verhaltens in ein Verhalten, das durch intellektuelle Eigenschaften gekennzeichnet ist. Bereits im biologischen Verhalten zeigen sich intellektuelle Operationen, denken wir an die vorausschauende Tätigkeit des Auges, das Auge in seiner Funktion als Distanzrezeptor. Die kulturelle Umwelt zwingt die Individuen dazu, Elemente der Überzeugungen, Bedeutungen, Institutionen etc. in ihr Verhalten einzuschreiben. Auch durch die Kategorie der Temporalität lassen sich deutliche Unterschiede erkennen. Organisches Verhalten ist temporal, während Aussagen, als intellektuelles Anliegen, in keiner temporalen Beziehung zueinander stehen. Auf dieser Repräsentationsebene ließen sich auch komplexe Mechanismen wie das Konzept des Geistes und der Intention diskutieren; sie können in Bezug auf die ikonischen, indexikalischen und symbolischen Aspekte und im Vergleich zu deren mechanischen Korrelaten analysiert werden. Durch die semiotische Differenzierung wird ein weiterer wichtiger Aspekt hervorgehoben, sie verdeutlicht die innerstrukturellen Unterschiede von Dichotomien wie Kultur/Natur, die eine Diskrepanz in der symbolischen Kompetenz zeigen und diffizile Kategorisierungen wie Geist/Körper erklären. Zeitgenössische Alternativen der Cartesianischen Perspektive dagegen werden mit der theoretischen Annahme exemplifiziert, dass der Geist (mind) eine Art Prozessierung (computation) ist, die ähnlich wie elektronische Computer funktioniert. Der Geist wird als das Software-Programm verstanden, das auf der Hardware (neuronaler Umkreis) des Gehirns appliziert wird. Im kognitiven Prozess werden Ansichten wie Geist, Intention, Glaube, Idee, Re-
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft präsentation usw. durch mechanische Synonyme, die chemischelektronische Signalprozesse des Gehirns betreffen, ersetzt.5 Diese Argumentationslinie verdanken wir vor allem der falschen Interpretation des „symbolischen“ Charakters, nämlich, dass Symbole lediglich als typographische Eigenschaften verstanden und auf der anderen Seite Signale in elektronischen Geräten als „computation“ benannt werden, weil sie mögliche Handlungen simulieren, um aus einer Input-Reihe den Output nach mathematischen Regeln zu berechnen. Ist die Sprache des Denkens einem Computer ähnlich? Das bedeutet, ist sie nach Algorithmen gebaut, oder ist sie vielmehr eine Aneinanderreihung von Bildern, einer Bildersammlung ähnlich? Beobachten wir unsere Denk-Zwischenphasen, zum Beispiel bei der Ausübung von mechanischen Aufgaben, stellen wir fest, dass beide Thesen richtig sind, dass der Verstand (mind) mit unterschiedlichen mentalen Objekten beladen ist, die sich überlappen und überschneiden. Mentale Bilder und symbolische Computationen sind simultan existierende Facetten von Repräsentationsprozessen auf unterschiedlichen Ebenen, die in spezifischer Weise voneinander abhängig sind. Auch in diesem Zusammenhang darf nicht unterschätzt werden, dass repräsentationale Eigenschaften von Interpreten bestimmt werden. Der repräsentationale Isomorphismus, der physische Isomorphismus zwischen dem Gehirn und bestimmten Arten von elektronischen Geräten, ist insofern bedeutungsleer, als dass er die Bestimmung der Referenz auf beiden Seiten nicht hinreichend berücksichtigt. Symbolische Referenz wird nicht von einer spezifischen Eigenschaft des Gehirns hergeleitet, sondern von einer spezifischen Beziehung zu Objekten. Ein ComputerProgramm kann möglicherweise die Strukturen des Bewusstseins abbilden, allerdings kann es nicht sein Ursprung sein. Die subjektive Erfahrung des Bewusstseins ist immer ein Bewusstsein von Etwas; um etwas bewusst zu erleben, müssen wir unausweichlich die Repräsentation von diesem Etwas erleben können. In diesem Kontext können sowohl die neurophysiologischen wie auch die subjektiven Informationsprozesse als generative Repräsentationen beschrieben werden. Wenn allerdings Bewusstsein unausweichlich repräsentational ist, dann können wir sagen,
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Die Theorie der „eliminative materialism“ ist der deutlichste Ausdruck dieser Position. Näheres dazu in Deacon S. 442.
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Bilder als Konzepte organischer und geistiger Synergien dass eine Veränderung in der Natur der Art der Repräsentation von Informationen auch eine Veränderung des Bewusstseins mit sich bringt. Demnach unterscheidet sich das Bewusstsein der ikonischen Repräsentationen vom Bewusstsein der indexikalischen Repräsentationen und dieses wiederum vom Bewusstsein der symbolischen Repräsentation. Mehr noch, die Repräsentationen sind keine Alternativen auf einer gemeinsamen Ebene, sondern hierarchisch geordnet und stehen zugleich in einer innerstrukturellen Relation zueinander. Alle Nervensysteme unterstützen sowohl ikonische wie auch indexikalische Repräsentationsprozesse unabhängig von deren Größe und Komplexität. Sie sind die Grundlagen für die Anpassung von Informationen. In dieser Wechselwirkung des Organischen und des Geistigen bildet das Sehen eine eigentümlich bedeutsame Verflechtung der organischen und intellektuellen Fähigkeiten zur Informationsverarbeitung der Menschen. Insbesondere im Vergleich mit der Sprache zeigen sich die charakteristischen Merkmale des Sehens als ein Bedeutungssystem, in dem sich die Transformation vom Biologisch-Sensorischen zum Geistig-Intellektuellen in einer vorsprachlichen Phase vollzieht. Da das Bild als das Produkt des visuellen Kommunikationssystems sich in einem nicht-diskursiven Bedeutungsprozess zeigt, entzieht es sich der unmittelbaren kulturellen Kontrolle. Ein Grund dafür ist seine Temporalität und seine Lokalität. Das Sehen vollzieht sich in der Innenwelt des menschlichen Körpers, es ist ein individueller Vorgang, somit anfälliger für Emotionen, die ebenfalls in der inneren Welt ihren Platz haben. Die Tätigkeit des Sehens scheint sich auf dem ersten Blick von der sprachlichen Tätigkeit dadurch zu unterscheiden, dass das Sehen eine individuelle während das Sprechen eine kollektive oder gesellschaftliche Tätigkeit darstellt. Allerdings wirkt diese Eigenschaft auf der Anwendungsebene genau in die umgekehrte Richtung als auf der Rezeptionsebene: das Bild als Produkt wird kollektiv konsumiert, während die Sprache individuell rezipiert und interpretiert wird. Die organischen Aspekte behalten ihren Ort und ihre Temporalität weiterhin bei, während die Sprache als ein Kommunikationssystem ortlos und zeitlos bleibt. Aufgrund der vollständig abstrahierenden Eigenschaft der Sprache wird sie als die treibende Kraft der kulturellen Vermittlung definiert, die die Inhalte aller anderen kulturellen Tätigkeiten in ihrer allgemeinen symbolischen Kodierung vermittelt, womit die Tatsache übersehen wird, dass die bildhafte Prägung durch die bewusste Wahr-
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft nehmung hindurch in das Unbewusstsein eindringt und selbst die sprachliche Mitteilung in symbolische Bilder verwandelt und archiviert. Doch was sagt die symbolische Kompetenz über die Wechselwirkung von biologischen und kulturellen Dispositionen des Menschen? Inwiefern können symbolische Ausdruckssysteme wie Sprache, Riten, Monumente, Kunst etc. auf die Umformung des Biologischen in das Intellektuelle wirken? Zunächst ist jede symbolische Kodierung das Produkt eines kommunikativen Handelns. Ein wichtiges Kriterium einer ungestörten Kommunikation wird bekanntlich durch die Dichotomie Übereinstimmung und nicht-Übereinstimmung mit den Konsequenzen gemeinsamer Tätigkeiten bestimmt. Dieser Bezug auf die Übereinstimmung der Konsequenzen als Determinante der Bedeutung eines beliebigen Kommunikationsmediums zeigt, dass es so etwas wie ein bloßes Symbol nicht gibt. Auch die physischen Tätigkeiten allein führen zu keinen Symbolen, sondern erst in Verbindung mit der operationalen Rolle, die Konsequenzen für eine Gemeinschaft mit sich bringen. Zeichen sind Teil eines umfassenden Kodes, der öffentlich oder privat sein kann. Während ein öffentlicher Kode von jeder Sprache illustriert wird, wird ein privater Kode von Mitgliedern einer besonderen Gruppe bestimmt; so entstehen SymbolBedeutungen in einem Zusammenhang aufgrund von Gruppenaktivitäten, Gruppeninteressen, Bräuchen und Institutionen. Symbole sind „künstliche Zeichen“ im Unterschied zu natürlichen Zeichen, die vor allem in einem wirklichen räumlich-zeitlichen Kontext existieren. Auch die repräsentative Fähigkeit zwischen dem Zeichen und dem Symbol ist unterschiedlich. Zeichen in dieser Definition sind Belege für etwas Existierendes, wobei dieses Etwas eher erschlossen als beobachtet wird. Symbole dagegen stellen kein Beweismaterial für ein wirkliches Ding dar. Sie machen stattdessen eine geordnete Beweisführung möglich, so können zum Beispiel Ideen und Hypothesen nur durch Symbole und Bedeutungen existieren. Diese manipulative Eigenschaft von Symbolen ist von praktischer Wichtigkeit. Auf diese Weise ermöglichen Symbole eine Dimension in der Forschung, die frei von der Kategorie der realen Existenz bleibt. Die Relation oder Beziehung zwischen den Symbolen kann unterschiedliche Bedeutungsgrade haben, wobei Relation in diesem Komplex als die Art der Beziehung der Symbolbedeutungen verstanden wird.
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Bilder als Konzepte organischer und geistiger Synergien Auch grammatische Formen als Strukturierungsformen von Bedeutungen haben symbolbildende Aufgaben.6 Darüber hinaus sind die Relationen der Funktionen, die zu Bedeutungen führen, nicht nur durch Repräsentationen also durch symbolische Formen, sondern auch durch die Koordination von Handlungen und Dingen in einer Struktur eingebettet. Für das Verständnis bildnerischer Strukturen bedeutet diese Tatsache eine essentielle Wende. Der Grund für die Variationsbreite einer bildnerischen Darstellung liegt darin, dass das Bild seinem Wesen nach ein Symbol ist und nicht ein Duplikat dessen, was es darstellt. Es besitzt die Züge, durch die es als Symbol für sein Objekt fungieren kann. Was ein Bild darstellt, wird ausschließlich von seiner Logik diktiert, das heißt durch die Anordnung und Kombination seiner Elemente. Die bildtechnischen Kategorien der Farbe, Technik, Ton etc. zählen dagegen zu seinen darstellenden Kategorien. Unterstützende Thesen der Diversität bildhafter Darstellungsformen sind zum Beispiel Menschendarstellungen in Photographien, Gemälden etc.; sie werden deshalb als ein Bild des Menschen gelesen, weil sie die gleiche Beziehung der Teile, deren Summe der Vorstellung von einem Menschen entspricht, zum Ausdruck bringen. Die verschiedenen Formen antworten auf unsere Vorstellung von einem Menschen in unterschiedlicher Art. Darüber hinaus haben wir, trotz unserer individuellen Unterschiede der sinnlichen Erfahrung, des Gefühls und der persönlichen Assoziationen, eine Grundstruktur, die uns eine gültige Struktur für den Begriff Mensch präsentiert. Das bedeutet, dass der gleiche Begriff „Mensch“ in einer Vielzahl von Vorstellungen verkörpert ist. Eine ähnliche Beziehung ist auch zwischen Aufmerksamkeit, Bildphantasie und Gefühlen festzustellen. Obwohl diese Kategorien keine identischen Eindrücke haben können, werden sie durch unsere Vorstellungen von einer Sache, die den gleichen Begriff verkörpern, einander verstehen. Somit ist festzuhalten, dass das, was ein Symbol vermittelt, nicht die Sache selbst, sondern das begriffliche Konstrukt dieser Sache ist. Sobald der Begriff durch ein Symbol vermittelt wird, verwandelt ihn unsere Einbildungskraft in eine eigene individuelle Vorstellung, die wir von dem mittelbaren Begriff nur durch einen Abstraktionsprozess unterscheiden können. Jeden Begriff müssen wir uns in einer
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Langer. Philosophie auf neuem Wege.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft besonderen Präsentation aneignen, durch die hindurch wir ihn erfassen können. Künstlerische Formen als bildhafte Konstruktionen ermöglichen diese Vielzahl von Objektivation. Die Fähigkeit, eine verkörperte Form an eine sinnliche Gegebenheit zu binden, ist die symbolische Kompetenz. Sie äußert sich in einem unbewussten und spontanen Abstraktionsprozess. Abstrahierendes Sehen ist die Grundlage unserer Rationalität. Die logischen Analogien gewinnen wir durch Projektionen. Dennoch kann der menschliche Geist nur mit den Organen und den ihnen eigentümlichen Funktionen tätig sein. Ein Geist, der in erster Linie mit Bedeutungen arbeitet, muss Organe haben, die ihn in erster Linie mit Formen versorgen. „Das Nervensystem ist das Organ des Geistes, seine Extremitäten sind die Sinnesorgane.“7 Sehen ist kein passiver Vorgang, durch den bedeutungslose Eindrücke gesammelt werden, sondern ein Gestaltungsprozess. Bekanntlich beginnt unser Verständnis der sichtbaren Welt im Auge; Augen nehmen ihre eigenen Abstraktionen vor und schreiben daher auch ihre besondere Form des Begreifens vor. Die physikalischen Zusammenhänge ergeben ein Schema, das in der wirklichen Welt zu finden ist, während die „Erscheinung“ oder das Schema der Dinge mit ihren Eigenschaften und Merkmalen ein anderes ist. Anders als die Welt der physikalischen Gesetze, die durch mathematische Abstraktionen gedeutet wird, wird die Welt der Sinne durch die Abstraktionen, welche die Sinnesorgane liefern, gedeutet. Visuelle Formen sind nicht diskursiv; die Beziehungen, die eine visuelle Struktur bestimmen, werden in einem Akt des Sehens erfasst. In dieser Verflechtung bildet der menschliche Geist das Archiv des symbolischen Vorrats, das Resultat spontaner Hirntätigkeit und ein Archiv unserer Vorstellungen. Symbolisierung, auch im Sehphänomen, ist vorbegrifflich aber nicht vorrational. „Sehen ist etwas Vorpersönliches; jene Aussage besagt aber zugleich, dass meine Sicht stets eine begrenzte ist, dass mein aktuelles Sehen stets umgeben ist von einem Horizont nicht gesehener, ja auch überhaupt nicht sichtbarer Dinge. Sehen ist sonach an ein bestimmtes Feld gebundenes Denken, und dies ist es, was wir je einen Sinn nennen.“8
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Langer. Philosophie auf neuem Wege. S. 96 Merleau-Ponty. Phänomenologie der Wahrnehmung. S. 254.
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Bilder als Konzepte organischer und geistiger Synergien Auch für Merleau-Ponty bildet der Körper die Quelle der Sinnerzeugung. Körper wird vor allem als einen körperlicher Prozess erklärt, in dem zugleich die Umwelt und der eigene Körper als ein autonom Seiendes erfasst werden. Das Symbol entsteht durch das Erfassen des physischen Objekts durch die sinnliche Wahrnehmung, seine Transformation zum Symbol vollzieht sich durch das reflexive Erfassen des eigenen Verstehens, das erst durch das Empfinden hervorgebracht wird. Für das Sehen bedeutet Erfassen das Erblicken von Gegenständen; das Subjekt erfasst, erblickt die Welt, es kartiert sie, sammelt ihre Daten als Informationselemente.
Sehschemata als kulturelle Strukturierungskonzepte Die visuelle Wahrnehmung gehört zu der komplexesten Aufgabenbewältigung unseres Gehirns, so dass eine Störung in diesem Bereich tief greifende negative Konsequenzen für unseren Orientierungssinn in unserer Umwelt haben kann. In einer ersten Konfrontation sehen und nehmen wir unsere Wirklichkeit als ganzheitliche Bedeutungen und Muster wahr. Die erfassten Fragmente werden erst mittels eines bewussten und aufmerksamen Beobachtens identifiziert.9 Zunächst ist das Licht das Auslösersignal der visuellen Tätigkeit. Die Theorie des Lichtes als Erkenntnisquelle wurde im 19. Jahrhundert mit Theorien seiner Abwesenheit ergänzt; somit konnte das Auge prinzipiell als ein sensorisches Organ erklärt werden, das sowohl auf Licht wie auch auf seine Abwesenheit, also auf Dunkelheit reagiert. Anders als mit einem Apparat wie die Kamera werden die durch das Auge wahrgenommen Bilder bereits bei dem Anblick als Formen und Farben erfasst. Schon mit dem Aufschlagen des Auges werden sie zugleich als Vorstellung und Darstellung von Konzepten begriffen, die jenseits der bildhaften Erscheinung und des Anblicks feste Bestandteile unseres kulturellen Archivs sind. Denn Formen und Farben als Bewusstseinsträger sind vor allem Zeichen, das heißt, kulturell kodierte Entitäten. Auf dieser ersten Stufe der Erschließung von Zeichenbedeutungen beginnt bereits Wissensgewinnung und -organisation. Das visuelle System fungiert als eine Zentrale unterschiedlicher Kom9
Nähere Beschreibung dazu in: Cohen. The Secret Language of the Mind.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft munikationskanäle. Es empfängt Signale, sowohl äußere „abstrakte“, wie auch innere „körperliche“, wandelt sie simultan in Informationen um, organisiert die Informationen in Bedeutungsketten, verankert sie in Zeichensysteme und archiviert sie schließlich in unserem Wissensreservoir als symbolische Formen. Die Organisation und Identifikation von Wissen erfolgt auf unterschiedlichen Ebenen. Sie sind bereits in unserem konzeptuellen System strukturiert: • eine ursprüngliche Ebene, auf der wir differenzieren, zum Beispiel zwischen Tisch und Stuhl, zwischen Gehen und Laufen, Stehen und Sitzen etc. • eine bild-schematische Ebene, auf der allgemeine Formen des Verstehens in Strukturen wie Weg, Zyklus, Verbindung etc. formiert werden. In einem ersten Schritt der Schematisierung des Sehens unterscheiden wir zunächst zwischen einem mentalen Bild und einem Schema. Während ein mentales Bild die einmalige Erscheinung von bildhaften Konstruktionen ist, ist ein Schema universeller Natur. Demnach besteht ein Bild-Schema aus wenigen Teilen und Relationen, mit denen viele Perzeptionen, Bilder und Ereignisse strukturiert werden können. Bild-Schemata operieren als mentale Organisationen, die zwischen abstrakten propositionellen Strukturen und konkreten partikularen Bilder existieren. Für das Verstehen und für bedeutungsvolle Erfahrungen brauchen wir Muster und Gesetzmäßigkeiten, die unsere Handlung, Perzeption und Konzeptionen organisieren. Die Muster werden als bedeutungsvolle Strukturen durch unsere körperliche Bewegung im Raum, unsere Objektmanipulation und unsere perzeptuellen Interaktionen gelesen. Grundsätzlich können Schemata als Strukturen zur Organisation unserer Erfahrung und unseres Verstehens erklärt werden. Sie entstehen zwischen einer Ursprungsbedeutung und einer Zielbedeutung.10 Bei der Betrachtung des gleichen Objektes werden unterschiedliche neuronale Aktivierungen und Zusammensetzungen in unterschiedlichen Individuen in Gange gesetzt, folglich lässt sich sagen, dass beim Betrachten des gleichen Objekts verschiedene Assoziationen hervorgerufen werden. Der Grund dafür liegt im schematischen Sehen, wir können auf der schematischen
10 Johnson. The Body in the Mind. S. 124.
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Bilder als Konzepte organischer und geistiger Synergien Grundlage durch Assoziationen unterschiedliche mentale Bilder entwickeln. Somit sind Betrachten und Assoziieren Strukturierungsebenen, sie sind darüber hinaus durch die Interaktionen mit der Umwelt motiviert. Verstehen als Ereignis ist das Medium, durch das wir eine universelle Wirklichkeit wahrnehmen können. In dieser Wirklichkeit wird Wissen durch Strukturen von verkörpertem menschlichem Verstehen als die Interaktion des menschlichen Organismus mit seiner Umwelt (Sprache, kulturelle Traditionen, Werte, Institutionen und die Gesellschaftsgeschichte) verankert. Beide Kognitionsformen weisen sowohl bild-schematische wie auch ursprüngliche Strukturen auf. Für das Verstehen durch Bildphänomene spielt die Vorstellungskraft eine zusätzliche Rolle.
Das Auge als Wahrnehmungsorgan S ENSORISCHE
UND INTERPRETATIVE
F UNKTIONEN
Auch die Erklärungsmuster des visuellen Systems zeigen eine interessante Parallelität zwischen den Strukturen der organischen und symbolischen Funktionen, die vor allem durch die enge Verbindung zwischen Mechanismen mit psychologischen und physiologischen Funktionen verursacht wird. Die Neurowissenschaft erklärt den Weg der visuellen Informationen bis zum Bild von den ersten Reizen auf der Netzhaut bis zur Bildspeicherung im visuellen Kortex. Dabei werden für die Objekterkennung die sensorischen Informationen über verschiedene Verbindungen zu den verschiedenen Mechanismen im Gehirn sowie deren entsprechenden Reaktionen, wie Emotionen, motorische Aktivität und bewusstes Erkennen mit vorgefundenen visuellen Schemata verglichen. Die schematische Ebene lässt sich weiterhin in ein rezeptives Schema und ein assoziatives Schema differenzieren, das verschiedene Funktionen koordiniert. Ein besonders interessantes Beispiel der schematischen Strukturierung zeigt die Funktion des Gesichtsschemas für die Bildkonzeption. Gesichtswahrnehmung erfolgt durch eine unmittelbare Verbindung von äußeren Reizen und inneren Funktionsmechanismen; ihr Kode, das Konzept, das zur Gesichtserkennung führt, vermittelt wichtige Einblicke in den allgemeinen Prozess des visuellen Kodes. Darin zeigt sich die elementare Bedeutung des Sehens für die menschliche Selbstbildung. Denn ohne ihn kann der Mensch nicht nur die menschliche Individualität nicht 77
Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft erkennen, sondern vor allem kein Bild von sich selbst konstituieren. Untersuchungen bestätigen, dass die Gesichtserkennung eine abstrakte Tätigkeit des Geistes ist, da sie auf kodierte Schemata beruht. Der Auslöser dieser Annahme war, dass Patienten, die ihre Fähigkeit Gesichter zu erkennen verloren hatten, intakte sensorische Fähigkeiten besaßen. Da die sensorische Aufnahmefähigkeit intakt war, konnte zunächst nicht festgestellt werden, inwiefern dieser Defekt physiologischer oder psychologischer Natur war.11 Die Tatsache, dass der Patient auch sein eigenes Gesicht nicht erkennen konnte, stärkte die These der konzeptuellen Bestimmtheit der Gesichtserkennung. Da der Patient kein eigenes Gesichtsschema hatte, konnte er auch keine Gesichtskodierung entwickeln, die als Grundlage für die Identifikation anderer Gesichter zugrunde liegen konnte. Ihm war die Grundstruktur zur Erkennung der Individualität von Gesichtern abhanden gekommen. Doch wichtiger war, die Gründe des diagnostizierten Krankheitsbildes zu finden: gab es bei dem Patienten ein Funktionsdefizit in der Abstraktionstätigkeit oder Urteilsfähigkeit? Hatte er sein visuelles Gedächtnis verloren? Hatte er überhaupt ein „visuelles Symbol“ seines Selbst, das er mit einer Photographie von ihm oder mit seinem Spiegelbild vergleichen konnte? Die Untersuchungen zeigten, dass auch seine Fähigkeit zu abstrahieren intakt war, also der Grund seiner Unfähigkeit, individuelle Gesichter einschließlich sein eigenen Gesichts zu erkennen, lag darin, dass er keine Kodierung einer bildhaften Ganzheit seines Gesichtes durchführen konnte, statt dessen besaß er nur ein mnemotechnisches Gedächtnis.
A KTUALISIERUNG
VON
W ISSEN
Eine weitere kodierte Aktivität dieser Art ist die permanente Aktualisierung von Informationen im Prozess der Sehtätigkeit. Sie ist eine Funktion des interpretativen Kortex der Aktivitätsverbindungen mit demjenigen Teil des Bewusstseins, in dem Sehen und Hören die primären Komponenten bilden. Allerdings finden wir auch die Kategorie der Erfahrung in diesem Bereich, die während einer normalen Hirntätigkeit durch Impulse in die neuronale Aufzeichnung weitergeleitet werden. Sowohl auf der Funktions- wie 11 Die Untersuchungen führten Macrae und Trolle.
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Bilder als Konzepte organischer und geistiger Synergien auch auf der Lokalitätsebene gibt es eindeutige Hinweise dafür, dass eine sehr klare Funktionsgrenze zwischen den sensorisch rezeptiven und den interpretativ psychischen Bereichen des Gehirns besteht. Während die sensorischen Funktionen für die Erkennung von Licht, Farbsequenzen etc. zuständig sind, sind die interpretativen Funktionen für die Erkennung von Personen oder Szenen zuständig. Der interpretative Kortex verarbeitet komplizierte sensorische Wahrnehmungen, seine Funktionen sind u.a. • Erinnerungen an vorangegangene Perzeptionen, • Vergleich zwischen vergangenen und ähnlichen gegenwärtigen Erfahrungen, • Dekodierung von Signalen, die gegenwärtige Erfahrungen durch den Vergleich mit Vergangenem erklären, • Modifikation von früheren Konzepten durch die Ergänzung von aktuellen Informationen wie z.B. über Orte, Personen, Klänge etc.12
P ERZEPTUELLE S TRATEGIEN “Vision is a set of complex processes that unfold over time, constantly gathering and refining information about the environment, and leading to the perception of a complete, stable environment.”13
Für das Erschließen der Welt muss das Gehirn sowohl räumliche Stabilität wie auch zeitlichen Fluss erfassen, da es nicht ausreichend ist, nur eine statische Repräsentation der Welt zu vermitteln. Auch hier spielt das visuelle System eine zentrale Rolle, es hat die Aufgabe einen stetigen und verlässlichen Informationsfluss zur Unterstützung unserer bewussten Erfahrung über unsere Umwelt zu sichern. Zunächst werden die Informationen in ihren Besonderheiten determiniert und darüber hinaus in einem Bildzusammenhang oder Sehzusammenhang koordiniert. So kooperieren auch unterschiedliche Hirnbereiche in der Unterscheidung von Bilderreihenfolgen und deren Einbettung in ein Konzept von bewegten Bildern. Während die Serialisierung, die serielle Aufnahme, der Bilder im Unterbewussten stattfindet, führt die Augenbewegung komplexe Aufgaben wie die Positio-
12 Penfield in: Brain 86. 13 Pelz, Canosa in: Vision Research 41.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft nierung, das Festhalten oder die Einrahmung der bewegten Bilder in ein statisches Konzept und Perzept durch. Das Auge fixiert das Sehen vorausschauend. Sehen vollzieht sich in Zeit- und Raumkategorien, gestützt von perzeptuellen Strategien. In der konzeptuellen Planung unserer Handlungen bewegen sich die Augen immer vorausschauend, so dass wir während einer Tätigkeit unseren Blick, die Augenbewegungen, in die Richtung des nächsten Arbeitsschritts fixieren. Für den Prozess der Bildproduktion bedeutet dies, dass das visuelle System permanent Wissen mit Erfahrung und Erwartung in einem Bildzusammenhang koordiniert. Kontext, Erfahrung und Erwartung sind für die Sehwahrnehmung von zentraler Bedeutung; unser Gehirn interpretiert vergleichend zwischen den Formkatalogen im Gedächtnisarchiv und dem Kontext, in dem die Formen vorkommen, um dann Formationen zu entwickeln, denen Bedeutungen zugeordnet werden. Sehen und Wahrnehmen sind Interpretations- und Erkennungsprozesse von Gesamtheiten. Sie sind unmittelbar von der Sehtätigkeit des Auges abhängig, darin liegt auch die ungeheure Wichtigkeit des Auges für unsere Weltwahrnehmung und darüber hinaus für unser Bewusstsein.
Modularität und visuelle Informationsprozessierung Die Erforschung der geistigen Tätigkeit der letzten Jahre zeigt, dass der Mensch domän-spezifisch durch eine schematische Differenzierung der Wissensprozessierung lernt. Konkret bedeutet dies, dass wir zur Bearbeitung spezifischer Informationstypen spezifische Domäne haben.14 Am Beispiel des visuellen Moduls wird deutlich, dass jedes Subsystem eine spezialisierte Aufgabe ausführt und die Vernetzung, die symbolische Integration, des Submoduls zum Phänomen des Sehens führt. Das Prinzip der modularen Gestaltung ermöglicht einen tieferen Einblick in die Bildkognition und erklärt,15 wie wir trotz der großen Variationen der Informationsinputs und Impulse zu ganzheitlichen und identifizierbaren Bildern kommen. Es wird dadurch deutlich, dass durch das visuelle
14 Hirschfeld, Gelman. Mapping the Mind. 15 Marr. Vision.
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Bilder als Konzepte organischer und geistiger Synergien System empfangene Stimuli allein nicht in der Lage sind, Kontinuität im Gesehenen zu ermöglichen. Kategorien von Bildkonstanten wie Form, Farbe, Größe und Bewegung können erst in einer Interpretationsphase gebildet werden. Für ein Bild sind zusätzliche Informationen nötig, denn das Sehen ist der Koordinierungsprozess der atomaren visuellen Module in einem kohärenten Ganzen. Dem entsprechend werden zwischen den Submodulen der Farbwahrnehmung, Formanalyse, Analyse der dreidimensionalen und räumlichen Relationen, Gesichtserkennung unterschieden. Die Prozessierung lässt sich noch in weitere Bereiche aufteilen, in eine funktionale, die das Wissen über die Umwelt definiert, und eine kognitive Taxonomie, die das Wissen aus der Umwelt erschließt. Auf der Ebene dieser funktionalen Inputsysteme sind Bilder noch keine Repräsentationen; die repräsentationale Kompetenz erlangen sie erst durch komplexere Funktionen, wie zum Beispiel durch die Formierung von Wertekategorien. “A representation is a formal system for making explicit certain entities or types of information, together with a specification of how the system does this. The result of using representation to describe a given entity is a description of the entity.” 16
Eine Repräsentation ist somit sowohl eine Informationsmenge wie auch ein Informationsschema. Repräsentationen exemplifizieren daher Kombinationsregeln von Informationen und darüber hinaus abstrahierbare Kodierungsstrukturen von Symbolen. In einem umgekehrten Weg gewinnen wir über die Analyse von Repräsentationen den Schlüssel zur Kodierung von Elementen der Realität in einer symbolischen Einheit. Bereits die Auswahl der Repräsentationsform zeigt, welche Informationen explizit und welche implizit vermittelt werden. Die Repräsentationsformen haben einen entscheidenden Einfluss auf den Informationsgehalt und darauf, wie wir weitere Modelle von Informationskonstruktionen bilden können. Der Mensch ist von seiner Natur aus ein massiver Produzent, Vermittler und Konsument von Informationen. Aus dieser Perspektive können die Informationen, die Menschen in ihrer Umwelt verbreiten, als der Versuch der kulturellen Transformation von privaten und öffentlichen Raum- und Zeitkategorien verstanden 16 Fodor. Modularity of Mind. S. 20.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft werden. Dies wird zugleich für Zwecke der Aufmerksamkeit des internen Gedächtnisses, der Transmission und der externen Archivierung eingesetzt. Auch die geistige Tätigkeit erfolgt durch die Modularisierung der komplexen Funktionen des Wahrnehmungsprozesses. So besteht der Geist aus drei Feldern: einer dichten Masse von Input-Modulen, einem komplexen Netzwerk von einfachen konzeptuellen Modulen unterschiedlicher Art und einem komplexen metarepräsentationalen Modul. Auf dieser dritten Ebene entsteht die eigentliche kulturelle Sinngebung, eine kulturelle Zündung, die über die Aktivierung mehrerer Einzeldomänen die kulturelle Diversität hervorbringt. Der Anfang der Diversifikation ist die einfache Stufe der repräsentationalen Tätigkeit, deren Elemente als Inputs und Outputs identifizierbar sind. Inputs der Wahrnehmungsprozesse sind perzeptueller Natur, es sind die durch sensorische Rezeptoren vermittelten Informationen, und Outputs sind konzeptuelle Repräsentationen, die das wahrgenommene Objekt kategorisieren. Zahlreiche Faktoren beeinflussen die Erfolgsquote der Verbreitung und der kulturellen Verankerung einer Repräsentation. Manche von ihnen sind psychologischer Natur andere ökologischer, umweltbedingter Natur. Darüber hinaus sind viele dieser Faktoren lokaler Natur, andere allgemeiner Natur. Auffällig ist, dass diejenigen Faktoren, die die Verbreitung von Informationen am stärksten beeinflussen, von ihrer Kompatibilität abhängig sind und ähnliche Organisationsstrukturen wie die menschliche Kognition zeigen. Metarepräsentationale Informationsverarbeitung ist die Fähigkeit, mentale Repräsentationen von mentalen Repräsentationen abzuleiten. Während andere konzeptuelle Module Konzepte und Repräsentationen von Dingen verarbeiten, vor allem von Dingen, die wahrgenommen werden, verarbeitet das metarepräsentationale Modul Konzepte von Konzepten und Repräsentationen von Repräsentationen. Die Domäne eines metarepräsentationalen Moduls ist die Gruppe von Repräsentationen, deren Organismen in der Lage sind, durch Schlussfolgerungen oder durch Verstehen an Inhalte zu gelangen. Dank der Fähigkeit Metarepräsentationen zu bilden, kann der Mensch ein unmittelbares Bewusstsein von Symbolen haben. Auf der metarepräsentationalen Ebene liegt die zentrale Aufgabe der Bildprozessierung darin, verlässliche Eigenschaften über die Welt aus den Bildern der Welt zu erkennen. Die Auswahl von Elementen, die sowohl eine Spezifität wie auch den universalen Charakter von Weltelementen verbindet, bildet die Hauptaufgabe
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Bilder als Konzepte organischer und geistiger Synergien der Prozessierung. Eine weitere Ebene der Prozessierung ist die Auswahl einer Repräsentationsform für die Inputs und Outputs von Informationen sowie ein Algorithmus, mit dem die Transformation vollzogen wird. Sehen ist ein Prozess, der durch Bilder der äußeren Welt dem Seher notwendige Beschreibungen der Welt vermittelt. Bilder als Metarepräsentationen sind Repräsentationen, die aus Bildwerten bestehen; sie entstehen in einem ontologischen Prozess,17 dessen Entwicklung durch die folgenden Sphären vollzogen wird: • die physische Welt, bestehend aus Objekten, Wörtern, Klängen, räumlich ausdehnende Objekte, • die mentale Welt, wie die Ideen, Bilder und andere mentale Repräsentationen, und • die Gedankenwelt, bestehend aus der sinnlichen Wahrnehmung, Zahlen, Propositionen, Konzepten und Funktionen. Die drei Ebenen der visuellen Tätigkeit sind demnach: • Signalerkennung: Linien, Farben, Kontraste, Formen, Konturen etc. • Die semantische Interpretation der gesehenen Informationen; hier werden charakteristische Züge in sinnvolle Formen zusammengefügt. • Die emotionale Kognition. Diese dritte Interpretationsebene verbindet die Interpretation der graphischen Eigenschaften und deren Bedeutungen mit dem Kontext; hier wird Verstehen mit Emotionalität verbunden. Im künstlerischen Kontext bildet diese Ebene die erste Konfrontation mit der Kunst und die daraus mobilisierte emotionale Kognition. Auch die biologische Grundlage der Sehtätigkeit ist streng modular organisiert. Bekanntlich besitzt die Netzhaut zwei Arten von sensorischen Zellen: Stäbchen und Zapfen; die ca. sieben Millionen Zapfen der Netzhaut reagieren auf helles Licht und agieren als Detektoren für die Farbdetails eines Objektes. Mehr noch, sie unterscheiden sich untereinander, indem sie auf verschiedene Farben spezialisiert sind; sie sind auf unterschiedliche Farben empfindlich und bestehen aus Pigmenten, die eine einzige Farbe auflösen, wie zum Beispiel Detektoren für die Farbe Grün, Rot oder Blau. Stäbchen dagegen sind sie Detektoren eines monochromen Sehens und bilden die größeren Zellen-Maße der Netz-
17 Ähnlich wie die Fregeschen ontologischen Bereiche.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft haut. Mit ca. 100 Millionen Zellen kontrollieren sie Bewegungen und schwaches Licht. Die Nervenzellen der Netzhaut (rods und cons) sind mit kleinen Mengen von lichtempfindlichen Photorezeptoren (Pigmenten) gefüllt. Hier haben Form und Licht unmittelbaren Einfluss aufeinander, denn die Form der Moleküle verändert sich durch die Berührung mit den Lichtstrahlen. Die Formveränderung löst chemische Reaktionen aus, die ihrerseits neuronale Impulse hervorrufen. Die Organisation der Informationsübertragung verläuft in einer hierarchischen Reihenfolge. Die Impulse der einzelnen Informationen werden von bipolaren Zellen aufgefangen, zu den größeren Ganglion-Zellen übermittelt und von dort zu „axons“ direkt mit dem optischen Nerv verbunden. Dies ist zunächst die ikonische Ebene der Kommunikation: das motorische Abbilden von Impulsen und die chemischen Reaktionen. Die zweite Phase der visuellen Tätigkeit findet im Inneren des Organs Gehirn statt. Die Impulse des Sehnervs werden zunächst in einer Art Auswertungs- und Koordinationspunkt im Thalamus – auch Sehhügel genannt – aufgefangen und von dieser Schaltstelle an den visuellen Bereich des Kortex (Hirnrinde), im hinteren Teil des Gehirns, weitergeleitet. Hier werden die visuellen Signale auf Grundlage der Schematisierung durch den Thalamus in sinnvolle Bildern interpretiert. Die Botschaften, die von der Retina empfangen werden, können erst durch den visuellen Kortex zur visuellen Erfahrung herausgebildet werden. Somit besteht das Sehen aus Impulsen oder Ereignissen auf der Netzhaut, die im Gehirn prozessiert werden. Das binokulare Konzept der Sehtätigkeit bekräftigt die kulturelle, d.h. symbolisierende Eigenschaft des Kortex. Denn die Augen empfangen unterschiedliche Bildsignale der gleichen Sache; erst in einer Überkreuzung der verschiedenen Bildsignale wird der Weg frei für ein einheitliches Bild. Der Weg von einer reinen Form zur symbolischen Repräsentation, von der Mustererkennung, was wir mit Formenerkennung – vergleichbar mit der eidetischen Bestimmung – erklären können, bis zur symbolischen Repräsentation zeichnet den Weg vom Empfinden zum Erkennen. Die Neuronen auf der Netzhaut sind in funktionsorientierten Gruppen, den so genannten „feature detec-
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Bilder als Konzepte organischer und geistiger Synergien tors“, organisiert.18 Die Detektoren sind jeweils spezialisiert, bestimmte Typologien zu empfangen: manche reagieren auf Bewegungen und andere auf statische Objekte. Auf einer höheren Verarbeitungsebene koordiniert das Gehirn die diversen Informationen in eine symbolische Repräsentation dessen, was wir beobachten. Reize durch Licht, Farbe und Form haben noch nicht viel mit Wahrnehmung zu tun; Wahrnehmung sowie Perzeption setzen sowohl Formerkennungsfähigkeiten wie auch das durch die Formen (patterns) vermittelte Wissen voraus. Das Phänomen des Sehens macht die kulturelle Aktivität im Sinne der Kommunikation und Produktion von kulturellen Informationen exemplarisch sichtbar. Es zeigt auch, dass die Schlüsselfunktionen der Zeicheninterpretation offensichtlich durch neuronale Aktivitäten unseres Gehirns getragen werden, und der Ort dieser Aktivitäten unser Kopf ist; allerdings können uns all diese neurowissenschaftlichen Erklärungen nichts über den Kode sagen, nach dem die Informationen organisiert, verglichen, erkannt und gespeichert werden.19 Dies sind ausschließlich kulturell und gesellschaftlich geprägte Tätigkeiten, deren Koderegeln wir auf der symbolischen Berührungsfläche von Körper und Geist suchen müssen.
18 Detaillierte Erklärungen zu diesem Thema finden wir in den Arbeiten der Nobelpreisträger David Hubel und Torsten Wiesel. 19 Siehe dazu die zahlreichen Interviews mit dem Neurowissenschaftler Wolf Singer.
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Teil II Angewandte Bildtheorien
Die Bildsphäre. Die Installationskunst als individuell und universell gelebter Raum
Wie kaum ein anderes Sinnesorgan verbindet das Auge den Menschen zu seiner Innen- und Außenwelt, darin liegt auch der Grund des unmittelbaren tiefgreifenden Einflusses der Bilder auf die menschliche Seele. Bilder sind Projektionen und materielle Träger unserer Interpretationen der Welt. Allerdings, so Julia Kristeva, gehen Bilder in der modernen Welt ihren Gegenständen voraus. In der hypertextuellen Welt, ist es schwer geworden, sich eine Seele zu bilden. Der von sich selbst besessene moderne Mensch ist „somatisiert“. Er, der in einer beschleunigten Zeit und einem zerstückelten Raum wohnt, hat es schwer, an sich selbst eine Physiognomie zu erkennen. So die dunkle Prognose: der moderne Mensch ist dabei, seine Seele zu verlieren. Einen Grund für die Dominanz des Körpers über das unsichtbare Territorium der Seele sieht Kristeva in der Übersättigung der Kultur durch Bilder. Denn das Bild verfügt über die gewaltige Macht, die Ängste und die Begierden der Seele aufzunehmen und deren Sinn aufzuheben. Das psychische Leben des modernen Menschen findet zwischen den somatischen Symptomen und der „Inbildsetzung“ seiner Begierden statt. Heute leiden Bildproduzent und Bildkonsument gleichermaßen darunter, nicht entwerfen zu können.1 Einen Lichtblick zur Überwindung der Bildblindheit sucht Kristeva in der Wiederaufwertung des Bildes mittels der unmittelbaren Erfahrung. Auch Charles S. Peirce hatte auf die essentielle Rolle des bildhaften Denkens und der bildhaften Wahrnehmung hingewiesen und dies zur Grundlage der Semeiosis, des Zeichenprozesses, 1
Kristeva. Les nouvelles maladies de l’âme.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft erklärt. Zwischen den Peirceschen Erklärungen zur Essentialität des graphischen Denkens und der bildhaften Kommunikation sowie Kristeva’s Beschreibung des heutigen Zustands hat das Bild die gewaltige Moderne herausgefordert. Ein Rückblick auf die Metamorphosen der Bildproduktion vermittelt eine adäquate Darstellung der Veränderungen der kulturellen Produktionsverhältnisse. Welche Herausforderungen haben die Veränderungen der Bildsprache, von der Defragmentierung bis zur heutigen Beschleunigung und Digitalisierung für die menschliche Kommunikation mit sich gebracht und welche Gegenstrategien entwickelte das kulturelle Feld zur Rückeroberung der bildhaften Imagination? Mit der Feststellung, dass in der modernen Welt Bilder ihren Gegenständen vorausgehen, weist Kristeva auf eine grundlegende Veränderung in der Zeichenkonstruktion hin; denn die Gesetzmäßigkeit der ikonischen Relation eines Zeichens sieht vor, dass das Bild, das Abbild oder Repräsentamen immer für etwas steht, sei es für ein materielles oder nicht-materielles Objekt, immer einen Bezug auf etwas nimmt und seine Eigenschaft stellvertretend repräsentiert. Demnach sind Bilder bedeutungsbeladene Medien der Repräsentation für Inhalte und Objekte, die dem Menschen vermittelt werden wollen. Wenn allerdings diese Zeitachse gestört wird, das heißt, wenn Bilder nicht mehr als Repräsentationen für uns in bereits vertrauten Welten agieren, sondern, wie dies durch die Kulturindustrie produziert wird, zur bloßen Darstellungsfläche werden, entsteht ein Bruch in der Zeichenkette. Mit diesem Bruch scheint zunächst die gewohnte Kommunikationsgrundlage gestört zu sein; so verbreitet sich das Gefühl, dass jetzt die Bilder die Macht der Sinnerzeugung und somit auch die Macht der Kommunikation übernommen haben. Wie die Ausführungen gezeigt haben, sind Bilder als Zeichen mehr als die ikonische Relation zwischen einem Objekt oder einer Idee und deren Darstellung. Vor allem haben ästhetische Bilder auf andere Bilddimensionen hingewiesen und das Bild als mehr als die sensorischen Information, die durch die Akt des Sehens empfangen werden, erklärt. Für den theoretischen Zugang zu dieser Dimension möchte ich den Begriff der Bildsphäre einführen und als Beispiel deren Verkörperung die Kunstform der Installation erörtern. Das Konzept der Bildsphäre stellt zunächst eine räumliche Kategorie jenseits der traditionellen Raumwerte dar. In diesem Sinne sind Bildsphären gegenwärtige Gestalten ohne Vergangen-
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Die Bildsphäre heit und ohne Zukunft, Manifestationen echohafter Klänge unserer eigenen Innenwelt. Ästhetische Bildsphären sind demnach auratische Räume der bildnerischen Entfaltung; Räume, in denen der Mensch mittels seiner kulturellen Tätigkeit seine eigenen Bilder wieder findet.
Die kulturelle Sphäre als verbindendes Element Eine kulturwissenschaftlich orientierte Semiotik erklärt die Funktionsweise von Zeichenpraktiken und symbolische Formationen. Mehr als eine Reflektion über den Begriff Kultur ist ihr Arbeitsfeld das innere Abhängigkeitsverhältnis zwischen kulturellen Manifestationen wie Sprache, Subjekt etc. sowie ihren sozioökonomischen Momenten der Interaktionen. Denn, wie dies die Semiotik gezeigt hat, für das Erfassen der kulturellen Dynamik genügt nicht die Auflistung von geschlossenen Einheiten und deren Einbettung in eine kausale Entwicklung. Die kulturwissenschaftliche Arbeit begreift sich mehr als eine diadische Reduktion des kulturellen Zustands durch Definitionen und Kategorisierungen. Um die Bewegungsprinzipien des kulturellen Universums zu erfassen, ist es wichtig die geschlossenen Einheiten zu durchbrechen, mit einem nicht-identischen Außen zu vergleichen und den dialektischen Prozess zwischen den Einzelnen und der Heterogenität des Außen zu erklären. So erklärt Kulturwissenschaft auch die durch die Dialektik zwischen dem Subjekt – als Körper und Sprache – und der Gesellschaft entstandene Sinngebung und Sinnentfaltung. Den Zugang zu den komplexen Prozessen der Sinngebung findet sie über die Analyse der einzelnen Ausdrucksformen, deren Interpretation sie als die unmittelbare und intensive Arbeit der Interpretation der kulturellen Grenze begreift. Die Logik der Erscheinungsformen der kulturellen Grenze verdichtet sich in ihrer Heterogenität. So erklärt sie Kultur als ein aus Kodierungen bestehendes Interpretationsraster, als eine Art gesellschaftliche Grenzen, ohne deren Reflexion der Mensch in seinem kulturellen Körper gefangen bleibt. Da der kulturelle Körper der Zeichenträger unserer Selbstwahrnehmung und unserer Identität ist, fungiert sie als die Grundlage zur Interpretation der Wirklichkeit. Allerdings zeigt sich die Konstruktion der kulturellen Identität als eine negative Entität, als etwas, was erst über die Interpretation der kulturellen Grenzen skizziert werden kann.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Im Fokus der folgenden Ausführungen steht die Erklärung unterschiedlichster Formen kultureller Grenzen. Sie werden als unterschiedliche Kodifikationsmodi mit einem spezifischen Raster begriffen, die sowohl das biologische wie auch das mentale Selbst, ähnlich wie das immunologische Modell der Bildung des Selbst, organisieren. Da Kulturwissenschaft die Logik des kulturellen Körpers als einen polyphonen Körper erklärt, schließt sie die Möglichkeit einer homogenen Kultur aus. Kultur als eine permanente Sinnproduktion ist ein dynamischer Körper, ein ständiger Wechsel, geschrieben auf und durch den menschlichen Körper als ihr Territorium; dennoch ist sie ein System, denn sie ist eine organisierte Einheit von Relationen. Sie ist kein Ding, kein Objekt, sondern eine objektive Tatsache über Dinge. Heute, im Zeitalter kultureller Defragmentierung und der Digitalisierung – eine Entwicklung, die wir paradoxerweise Globalisierung nennen – erfahren wir neue Organisationsformen kultureller Identitäten, für deren Analyse adäquate Formen des differenzierten Umgangs mit kulturellen Sphären erforderlich sind.
Die erzählte Kultur Das Denken der Kultur in Kultursphären lässt sich erst über polyphone Strukturen ermöglichen. Dies erfordert allerdings die Überwindung der Definition der kulturellen Identitätsmodelle durch binäre Systeme, wie zum Beispiel das Konzept der Geschichtlichkeit und das Konzept der Biographie. Eine Geschichte zu erzählen bedeutet immer auf Grundlage der Geschichte Macht auszuüben. Ausgangspunkt von Narrationskonzepten ist das Modell der Geschichtlichkeit, das ein Gesamtbild des menschlichen Daseins zu vermitteln sucht. Für das Verständnis der globalen Bedingungen der heutigen Welt allerdings müssen wir uns paradoxerweise von diesem dogmatischen Modell der sprach- und geschichtszentrierten Interpretation distanzieren. Denn Mehrsprachigkeit bildet die Voraussetzung eines polyphonen Kulturkonzepts. Auch mit dem Konzept der Biographie zeigt die Interpretierbarkeit der Kultur ihre Grenzen. In den gegenwärtigen Diskussionen über Identitätskonzepte dominiert die Kategorie des traditionellen Raums vor allem in ihrer territorialen Fixierung. Darin wird die soziale und kulturelle Identität als ein Produkt der Überlappung und Durchkreuzung von gemeinsamen Wissen und gemeinsamen Erinnerungen beschrieben. So bleibt der Raum der
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Die Bildsphäre Akzeptanz des Anderen, andere Stimmen, andere Formen der Geschichtsschreibung auf die Ähnlichkeiten reduziert und nicht unbedingt auf Differenzen begründet. Kulturelle Interpretation allerdings ist in ihrer Natur eine Arbeit mit Differenzen sowie deren Übersetzung in eine kommunizierbaren Form. So ist bereits die Überschreitung von einem natürlichen zu einem interpretierten kulturellen Zustand eine Übersetzung der sprachlosen Natur in eine organisierte Kodierung. Denn die Vermittlung der Natur durch Zeichen bedeutet die Natur verstehen und somit kontrollieren. In diesem Sinne ist jede Kultur zunächst eine übersetzte Wirklichkeit. Im Gegensatz zu den Konzepten der Geschichtlichkeit und Biographie öffnet das nicht-konzentrische Konzept der Bildsphäre neue Gestaltungsdimensionen; dies wird durch die These unterstützt, dass Kultur nicht länger als ein Programm, als eine ursprüngliche Sprache verstanden wird, deren Gedächtnis genügt, um deren Ziel zu verstehen, sondern die Logik der Kultur als eine abstrakte Form kosmopolitisch und universal zu verstehen. Demnach hat die Kultur kein kristallisiertes Gedächtnis, sie ist multilinear und polyglott. Kultur produziert sowohl verschiedene Narrationen wie auch verschiedene Narrationsstrukturen und Techniken zwischen dem kulturellen Gedächtnis und der gegenwärtigen Erzählung. Diese könnten geeignete Formen der Beschreibung einer intakten und homogenen Kultur sein. Für das Verständnis komplexerer kultureller Identitäten vor allem für Modelle wie die defragmentierten und eklektischen Identitäten – die einen wichtigen Bestandteil der Lebensformen im Zeitalter der Hypertextualität bilden – zeigen die klassischen Erklärungsmodelle erhebliche Lücken. Allein anhand des Narrationsmodells lassen sich grundlegende Diskrepanzen zwischen der Linearität der Erklärungsmodelle und des relationalen Charakters einer kulturellen Identität konkretisieren, Narrationen bestehen aus zwei axialen Bewegungen: die spatiale und die temporale Achse. Ausgehend vom Modell der harmonischen Kultur wäre eine Narration ohne Dauer in der Bedeutung einer Aneinanderreihung von logischen Folgen von Geschehnissen und ohne Raum, verstanden als eine territoriale Verankerung und Legitimation, nicht möglich. Die gegenwärtige Entwicklung der kulturellen Textur und des kulturellen Korpus zeigen allerdings Gegenteiliges. Im Zeitalter des postmedialen Zustands der Kultur erfahren wir neue Formen von Narrationsstrukturen. Beispiele sind die in der digitalisierten Hyperkultur dominierenden Formen des Fragmenthaften. Darin
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft lässt sich zeigen, dass auf der Zeitachse eine A-Linearität herrscht, während auf der Raumachse eher topologische, simultan existente abstrakte Schichten zu erkennen sind, deren Juxtaposition als temporäre Träger kultureller Ausdrücke fungieren, die wir als transitionale Objekte erklären können. In diesem Sinne sind polyphone Identitäten keine pathologischen Fehlkonstrukte, sondern simultane „Äußerung“, die vor allem die Sprache der kulturellen Äußerung manifestieren. Das Denken der Identität primär als kulturelle Identität öffnet uns neue Wege, die auf Gedächtnis gestützten theoretischen Einschränkungen zu umgehen. Der kulturelle Körper ist sowohl eine Organisationsform – Grenzen, wie auch Wahrnehmungsmuster – als auch Instanz der Sinnproduktion; beide sind unmittelbar im biologischen Körper verankert, so dass jede Veränderung der kulturellen Organisationsformen auch Veränderungen in unserer Perzeption der Welt mit sich zieht. Von diesem Ausgangspunkt lässt sich die Kulturizität als die Bedeutungsproduktion, die dialektische Interdependenz zwischen dem Symbolischen und dem Semiotischen, und die Bedeutungskonsumption sowie die Kartierung des Außen durch den biologischen Körper erklären. Sie bezeichnet die Sphäre, in der die Ordnung des Konstativen, des Performativen und des Ereignisses interagieren. Als eine amorphe Größe hat die Kulturizität stets ihre Manifestationen in ästhetischen Werken.
Vom Bildzeichen zur Bildsphäre Der Schritt zum Bewusstsein des Identischen kann ohne eine kontemplative Distanzierung – oder Verräumlichung – zwischen dem Bewusstseienden und dem Bewussten kaum vollzogen werden. Der identitätsstiftende Ansatz der Bildsphäre zeigt sich in der Entfaltung des geistigen Raums, der das Subjekt mit dem Objekt verbindet. Im Prozess der Identitätsbildung fungiert der Mensch als Subjekt und Objekt zugleich, er leistet somit sowohl eine räumlich-kinetische wie auch eine visuell-dynamische Arbeit. Denn der Mensch, so Fichte, ist ein „lebendiges Sehen“, dessen Geist sich die Welt in dynamischen Vorgängen erschließt und die einzelnen Ideen in einem räumlichen Bild verbindet; er ist beides: sowohl ein praktizierendes wie auch ein empfindendes Wesen. In der Idee des Anschauens verdeutlicht Fichte die essentielle Rolle des Sehens für die Bildung der Identität. Das, was der Mensch als
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Die Bildsphäre Empfindung bezeichnet, vollzieht sich zunächst über die visuellen Sensoren der Anschauung sowie deren räumliche Anordnung. Zur Identitätsbildung gehört eine weitere Tätigkeit des Geistes: die Erinnerung. Als eine Erkenntnisquelle des Geistes, so John Locke, ist Erinnerung das „Festhalten jener einfachen Ideen, die er durch Sensation oder Reflexion gewonnen hat.“2 Auch hier ist die sensuelle Tätigkeit des Sehens von zentraler Bedeutung, denn das Festhalten der Ideen vollzieht sich in zwei Formen, zunächst durch die Betrachtung und in einem zweiten Schritt durch das Gedächtnis, das Locke als die Kraft beschreibt, die die dem „Blick entzogene Idee wieder hervortreten“ lässt. Während die Betrachtung die Bewegung der Idee eine gewisse Zeit hindurch festhält, ist das Gedächtnis die Vorratskammer, der Aufbewahrungsort der Ideen. Schon bei Locke finden wir die Überwachungsfunktionen der Sinne, uns auf das unseren Körper Schädigende hinzuweisen. Die sinnliche Wahrnehmung (mit der Vorrangstellung der Sehwahrnehmung) fungiert wie eine Art geistiges Immunsystem, das Verzerrungen innerer Bilder zu vermeiden versucht. Drei geistige Tätigkeiten sind für das Begreifen der Identität von Bedeutung: unterscheiden, vergleichen und abstrahieren. Erst über diese Tätigkeit des Geistes kann der Mensch von einer Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung im Sinne von Identität reden. Denn identisch sein beruht auf den unterschiedlichen Ideen, die durch unseren Geist entstehen. Identität entsteht somit durch die bewusste Wahrnehmung der Unterschiede, immer wenn wir sehr genau eine Vorstellung von unterschiedlichen Ideen in unserer Wahrnehmung haben. Ein Gegenbeispiel wäre die Koexistenz. Hier hat der Geist in sehr wenigen Fällen eine unmittelbare Wahrnehmung von einer Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung dieser Art. Ähnliche Erörterungen finden wir auch im künstlerischen Diskurs der gegenseitigen Beeinflussung von technischer Entwicklung und visueller Wahrnehmung. Im Zeitalter der Industrialisierung hat sich die Kunst kulturgemäß von der zentralen Figur der Einmaligkeit und der Originalität verabschiedet. Das Produkt verlor seine Einmaligkeit und wurde zum Massenprodukt. Die Verbreitung der Produkte wurde durch die Linearisierung der Fortbewegungsmöglichkeiten gesichert. Was geschah mit dem Bild? Das Bild erfuhr im Zeitalter industrieller Reproduzierbarkeit einen strukturellen Paradigmenwechsel. Mit der massenhaften
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Locke. Versuche über den menschlichen Verstand. S. 167.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Produktion und mit der damit verbundenen Massenerfahrung verlor die doppelte Verankerung der ausführenden Hand und des wahrnehmenden Auges im kulturellen und biologischen Körper ihren Boden. Der Körper als Erfahrungs- und Verankerungsort spaltete und formierte sich nicht mehr als Autor (sowohl in der Gestalt des Bildproduzenten wie auch des Bildlesers), sondern als ausführendes Organ, von nun an gilt das Prinzip: das Auge sieht und die Technik produziert. In der industriellen Produktion geht die Einmaligkeit des Gesehenen verloren; in der Technisierung wird eine Abstraktionsstufe der Produktion erreicht, so dass der Mensch den Produktionsvorgang nicht mehr begreifen kann, stattdessen wird er zum Zeuge isolierter Vorgänge. Die Rolle des Auges beschränkt sich auf die Wahrnehmung von Fragmenten. Die zentrale Stellung des Auges als das Bindeglied zwischen der Welt und dem wahrnehmenden Subjekt beginnt allmählich zu zerbröckeln. In der digitalisierten Kultur, in der vor allem die Kategorie der Vernetzung herrscht, geht es darum, die Fragmente wieder zusammenzubringen bzw. Universalien einer bildnerischen Wahrnehmung zu definieren.
Neuere neurowissenschaftliche Identitätsmodelle Der wissenschaftliche Diskurs der letzten Jahre über die visuellen und neuronalen Aktivitäten des menschlichen Gehirns zeigt eine interessante Blickverschiebung auf der metasprachlichen Ebene, die uns neue Zugänge zu bildnerischen Universalien ermöglicht. Vor allem finden wir in der Begriffswahl und den Argumentationsketten der neuesten neurowissenschaftlichen Untersuchungen Tendenzen eines Paradigmenwechsels innerhalb der Hirnforschung, der von einer Zustandsbeschreibung der neuronalen Aktivitätszentren und Zuständigkeiten des Gehirns hin zu einer Kategorie der Fähigkeiten der Weltwahrnehmung sowie deren Strukturierung und Interpretation hinweist. Kulturwissenschaftliche Diskurse über die Weltinterpretation dagegen entdecken die Gebundenheit des Geistes mit dem Körper sowie dessen gegenseitigen Beeinflussung und postulieren eine biologisch bedingte Kodierung der Welt. Ein sehr interessantes Modell stellt das Konzept der Ich-Bildung des Neurologen Damasio dar. Ein zentraler Punkt seiner Arbeit ist die Frage nach der präzisen Definition des Konzeptes des Ichs.
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Die Bildsphäre Demnach ist das Ich • das was das Immunsystem als dem Körper zugehörig identifiziert; • die bewusste Wahrnehmung des Seins; • die Summe der Qualitäten, die den Geist einer Person von anderen unterscheidet; • die persönliche Identität. In diesem Kontext unterscheidet Damasio zwischen einem immunologischen und einem mentalen Ich. Zwei Annäherungen werden für die genauere Definition des mentalen Selbst herangezogen: eine introspektive und eine biologische Perspektive. Die Introspektion weist darauf hin, dass das mentale Ich kein Ding, sondern ein Prozess ist. Es ist etwas, das Phänomene hervorbringt, die von einer einfachen Form - wie die automatisierte Wahrnehmung des Selbst als eine autonome Entität durch die Unterscheidung vom Anderen - bis hin zu komplexen Formen variieren. Durch die Zusammensetzung der introspektiven – selbstbeobachtenden und hineinsehenden – und der biologischen Perspektive entsteht ein ganzheitliches Bild des mentalen Selbst als die Repräsentation von Individualität und Kontinuität des lebenden Organismus. Der Körper fungiert als ein „Ding im Prozess“, das durch das mentale Selbst symbolisiert wird; damit wird die neuronale Kartierung des Körpers in diesem Zusammenhang als die neuronale Grundlage des Prozesses der Selbstinvolvierung gesehen. Der menschliche Körper repräsentiert eine relative Invarianz; Kontinuität und Dynamik dagegen erlangt der Körper durch die mentalen Repräsentationen der körperlichen Struktur und den Operationen. Der Körper selbst bleibt die Quelle der Selbstwahrnehmung eines kontinuierlichen Daseins; er verankert somit das geistige und mentale Selbst. Damasio illustriert diesen Gedanken mit einem kleinen Experiment, wie man die eigene Umgebung wahrnimmt und die empfangenen Informationen einordnet und interpretiert. In einem kurzen Augenblick der visuellen Aufmerksamkeit werden viele neuronale Stationen des visuellen Systems aktiviert und in schnellen Sequenzen z.B. von der Kartierung eines Objekts, das vor uns liegt, zur Kartierung des Raums gewechselt. In sehr schnellen Sequenzen kann das visuelle Gehirn gänzlich unterschiedliche neuronale Karten – mittels unterschiedlicher sensorischer Inputs als Produkt unterschiedlicher mentaler Bilder – konstruieren. Entscheidend bleibt, dass – während das visuelle
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Gehirn Veränderungen durchgehen musste – mehrere Regionen des „body-sensing“-Gehirns, deren Aufgabe es ist, verschiedene Aspekte des Körpers zu kartieren oder zu repräsentieren, sich nicht verändern. Während des gesamten Vorgangs bleibt der Körper das Objekt des „body-sensing“-Gehirns. Ausschlaggebend ist, dass die zwei Formen des Körperbildes oder der Körperrepräsentation, des organischen Körpers und des sensorisch-repräsentierten Körpers, durch unsere mentale Tätigkeit manipuliert werden können und als Repräsentationen der spatialen und temporalen Relationen der Objekte gelesen werden. Diese Tatsache ermöglicht die Repräsentationen von Ereignissen, in denen die Objekte involviert sind. Durch unsere kreative Vorstellungskraft sind wir in der Lage zusätzliche Bilder zu kreieren, um Objekte und Ereignisse zu repräsentieren. Somit findet das Konzept des Menschen als symbolisches Wesen seine biologischneuronale Grundlage. Der Einfluss des Körpers auf die Organisation des Geistes hat seine Spuren auch in den Metaphern, die das kognitive System für die Beschreibung von Ereignissen und Qualitäten der Welt entwickelt hat, hinterlassen. Viele solche Metaphern basieren auf unserer Vorstellung der typischen Aktivitäten und Erfahrungen des menschlichen Körpers, wie zum Beispiel die Haltung, Attitüde, Bewegungsrichtung, Gefühle. All diese Aspekte zeigen uns in wie weit die neurologischen Erklärungen der Weltwahrnehmung und Welterschließung genuine zeichentheoretische und kulturwissenschaftliche Terminologien einsetzen, um über die Verbindung der Diskurse des biologischen und des geistigen repräsentationalen Körpers auch ein ganzheitliches Bild des menschlichen Daseins zu ermöglichen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Erkenntnisse über den pathologischen Zustand des Körpers selbst unmittelbar auf geistige Erkenntnissen basieren, wie zum Beispiel das Konzept der immunologischen Kodierung des Körpers dies uns zeigt.
Die ästhetische Bildsphäre als Körperdiagramm Der Raum zwischen den Bedeutungsschichten eines visuellen Zeichensystems markiert das Territorium der Bildsphäre. Er ist kein architektonischer sondern ein kultureller Raum, der schwer durch wissenschaftliche Strukturierungen zu erfassen ist. Denn die Produktion von Bildsphären ist zugleich eine geistig-psychische und körperlich-physische Arbeit. Ein Bild ist eine Hülle, ein
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Die Bildsphäre leerer, gefangener unfreier Körper, ein diadisches System; die Bildsphäre dagegen verkörpert die Entfaltung von Bedeutung. Sie ist somit der Raum der Vorstellung und der Phantasie begriffen als die unendliche Arbeit der konstanten Bedeutungsproduktion, der simultanen Bildlichkeit. Die Bildsphäre ist der genuine kulturelle Raum, der Ort in dem und aus dem die Textur der Kulturgewebe entsteht, das Poetische, das sich jeder normativen, autoritären Raumbestimmung entzieht. Die Besonderheit einer kulturwissenschaftlich orientierten Bilderklärung ist, dass sie vor allem im Unterschied zur musikalischen oder literarischen die Erklärung der Logik des Bildhaften sichtbar machen kann. Dies erreicht sie nicht durch die strenge Hierarchiesierung der kulturellen Ausdrucksformen in Kategorien wie „die Malerei“ oder „die Musik“, sondern durch die Hervorhebung des textuellen Charakters der jeweiligen Form und ihrer Relation zur kulturellen Textur. Vor allem in Zusammenhang mit Identitätskonzepten hat sich die Starrheit des Bildes deutlich gezeigt, denn das Bild lässt keinen Gestaltungsraum für den Interpreten, während in der Bildsphäre das betrachtende Subjekt sich selbst im Bilde erfährt. Ein Bild ist ein starrer Körper, ein abgeschlossenes Projekt; die Bildsphäre dagegen ist der Schauplatz der Bildhaftigkeit, sie ist dialektisch, vibrierend und pulsierend durch Erinnerung und Wahrnehmung. Die Spatialität des Bildphänomens bestimmt die Strukturierung der Bedeutungsschichten bildhafter Ausdrucksformen. Auf der elementaren Ebene erzeugen Bilder eine reflexive Verräumlichung gegenüber der kulturellen Textur. Sie sind zunächst ikonische Abdrücke der kulturellen Struktur bevor sie zu ästhetischen Bedeutungssphären werden. Der ästhetische Bildraum ist die Manifestation von komplexen Bedeutungsprozessen. Er ist ein dynamisches Gebilde, das als ein konstanter Möglichkeitsraum die unterschiedlichsten strukturellen Veränderungen in der Kultur dokumentiert und kommentiert. Im Zeitalter der digitalen Produktion – und nicht mehr Reproduktion – vollziehen sich grundlegende Verschiebungen in der kulturellen Textur. Ästhetisch relevant sind dabei begriffliche Symptome wie „Matrix“, „bits“ und „Hypertext“, die auf strukturelle Veränderungen hinweisen. Inwieweit lassen sich die Veränderungen von der mechanischen Reproduktion des Bildes, hier in der Gestalt des ästhetischen Bildes, zur technologischen Reproduktion des Bildes als strukturelle Veränderungen erklären
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft und wie zeigen sich diese Verschiebungen auf den semantischen und syntaktischen Ebenen der Kultur? Neben individuellen Gestaltungsräumen sind künstlerische Bilder auch Manifestationen gesellschaftlicher Wirklichkeiten. Als Kommunikationsmittel und gesellschaftlich verankerte Ausdrucksformen verdichten Kunstwerke im Zeitalter der Massenkommunikation die Logik der Massenkultur in ihrer Darstellungsform. Auch sie tragen Spuren der Virtualität, verbinden Rhetoriken der Technizität und der Poetizität der künstlerischen Gestaltung. Im Zeitalter der Massenproduktion lösen sich künstlerische Konzepte von Kategorien der Zeit und des festen territorial gebundenen Raums ab. Im hyperrealen Zustand vermischen sich die Modi der Sinneswahrnehmung in einem universellen Raum (common sense). Die Dynamisierung der Bildfläche wird somit zum direkten Produkt der Hypertextualität und zur Manifestation der Grundstruktur der Semiosphäre. Die Umsetzung dieser, auf einem ersten Blick scheinbar logischen Annäherung an Kunst, scheitert allerdings an einem entscheidenden Punkt, an der künstlerischen Kodierung selbst. Denn Kunst richtet sich gegen jegliche plakative und direkte Manifestation ihrer Struktur, so dass jeglicher direkter Zugang und simplifizierende Erklärung bereits im Ansatz scheitert. Einen wichtigen Schritt zur Überwindung der direkten Konfrontation mit der Form ermöglicht die Meta-Ebene der Analyse der gesamtkulturellen Positionierung der künstlerischen Ausdrucksform, ihre Definition als eine gesellschaftliche Kommunikationsform. Semiotische Positionen sowie ästhetische Theorien der Moderne zeigen Zugänge zur Zeichenstruktur und fokussieren auf den Interdependenzen von ästhetischer Ausdrucksform und gesellschaftlicher Konstruktion ohne dabei die Autonomie der künstlerischen Sprache preiszugeben. In der semiotischen Tradition finden wir grundlegende Untersuchungen zum gesellschaftlichen Charakter, in der Form der ideologischen Einbettung von Kunstwerken.3 So führt die Analyse der Zeichenstruktur des Kunstwerks zu den Strukturen der ideologischen Umwelt, wie zum Beispiel die politischen Machtstrukturen. Der dialektische Diskurs zwischen der Autonomie der Kunst und dem gesellschaftlichen Kontext kann unmittelbar dem Zeichenstatus und seiner Funktion in der menschlichen Kommunikation entnommen werden.
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Rossi-Landi. 1976.
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Die Bildsphäre Dagegen sind zahlreiche Versuche unternommen worden, um die Elemente der Bildsprache zu bestimmen. Es sind folglich auch zahlreiche Argumente ausgetauscht worden, um die Legitimität der Alphabetisierung der Bildsprache zu bestätigen sowie zu hinterfragen. Welcher Semiotiker kennt die Geschichte des Phonems, des Morphems und des Kolorems nicht? Versuche die möglicherweise die semiotische Neugier besänftigt haben, der Logik des Bildmodells als Zeichen allerdings noch nicht hinreichend nachgegangen sind. Einen entscheidenden Grund dieser Stagnation sehe ich in der in den vorangegangenen Kapiteln erörterten Definition des Bildes als ikonisches Zeichen, als ein diadisches Zeichenmodell. Die visuelle Bedeutungswelt ist räumlich und triadisch; mehr als eine Anhäufung von isolierbaren diadischen Einheiten organisiert sich die visuelle Sprache als das Zusammenspiel von Prozessen, von dialektischen Relationen subjektiver und objektiver Aspekte der Wahrnehmung, darüber hinaus ist sie ein objektives Korrelativ einer perzeptiven Tätigkeit. Die konkrete Erweiterung des Sprachkonzeptes in eine allgemeine Sphäre des ästhetischen und kulturellen Ausdrucks wurde im Bereich der Kultursemiotik formuliert. Dies wurde vor allem von denjenigen Semiotikern diskutiert, die individuelle Ausdrucksformen wie Kunstwerke als primäre Ausdrücke der kulturellen Logik erklärten. Zeitgleich zum strukturalistischen Diskurs in West-Europa formulierte Jurij Lotman eine allgemeinere und fundierte Theorie des kulturellen Textes. Einen Text erklärte er als die materielle Manifestation der sprachlichen Struktur, und die Struktur als den Bedeutungsträger, der als eine dynamische Kategorie zu weiteren Bedeutungen führe. In diesem Sinne ist ein Text mehr als ein technisches Instrument und seine Funktion ist mehr als eine einfache Kommunikation; er ist ein mehrfach kodiertes Zeichensystem, eine komplexe strukturelle Konstruktion, die auch multiple Sinnproduktionen erlaubt. Während eine Sprache eine organisierte Einheit der Kommunikation ist, ist der Text ein kultureller Mikrokosmos, ein semiotischer Raum, in dem Bedeutungen auf der Schnittstelle unterschiedlicher Zeichensysteme entstehen. Ein Text implementiert mindestens zwei Funktionen: eine Bedeutungsvermittlung und eine Bedeutungsproduktion. Kunstwerke als künstlerische Zeichensysteme sind nach Lotman Prototypen für Signifikationssysteme, in denen die zweite Funktion dominiert. Sie vermitteln zwischen den zwei Ebenen der kulturellen Produktion: dem künstlichen Metatext sowie der kreativen und poetischen Ebene.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Auch die Sprache der Kunst reflektiert diese Funktionen. Die dialektische Spannung, der Widerstand der Kunst gegen jegliche gesellschaftliche und politische Instrumentalisierung, avancierte zum zentralen Konzept der Kunst seit der Moderne. So wurden Kunstwerke stets als strategische Positionierung und als Antwort auf die gesellschaftliche Entwicklung konzipiert; für die Kunst im technischen Zeitalter war dies zum Beispiel die Befreiung vom Kultischen und Ritualen, so erklärte Benjamin den direkten Zusammenhang zwischen der technischen Entwicklung der Bildproduktion und deren Auswirkungen auf die Rolle der Kunst folgendermaßen: „Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks emanzipiert dieses zum ersten Mal in der Weltgeschichte von seinem parasitären Dasein am Ritual[…] In dem Augenblick aber, da der Maßstab der Echtheit an der Kunstproduktion versagt, hat sich auch die gesamte soziale Funktion der Kunst umgewälzt. An die Stelle ihrer Fundierung aufs Ritual tritt ihre Fundierung auf eine andere Praxis: nämlich ihre Fundierung auf Politik.“4
Die optimistische Erwartung der emanzipatorischen Kräfte, die durch die Massenproduktion entfaltet werden könnten, wurde bekanntlich später von Adorno modifiziert, dennoch zeigen beide Positionen die direkte politische Verflochtenheit von Kunst und Gesellschaft, die sich primär in der Massenproduktion von Bildern manifestieren. „The content of works of art is never the amount of intellect pumped into them: if anything it is the opposite. Nevertheless, an emphasis on autonomous works is itself sociopolitical in nature. The feigning of a true politics here and now, the freezing of historical relations which nowhere seem ready to melt, oblige the mind to go where it need not degrade itself. Today, every phenomenon of culture, even if a model of integrity, is liable to be suffocated in the cultivation of kitsch. Yet paradoxically in the same epoch it is to works of art that has fallen the burden of wordlessly asserting what is barred to politics.”5
Die zweifache dialektische Struktur des ästhetischen Zeichens, die der zwischen Gesellschaft und Kunst sowie die der kunst4 5
Benjamin. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzier barkeit. S. 17-18. Adorno. Art in Theory. S. 764.
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Die Bildsphäre internen, zeigt sich bereits in ihrer Verräumlichung durch die dynamische ikonische Relation. Das ästhetische Zeichen wird immer wieder und in unterschiedlichen Kontexten sowohl als ausgeprägte Form, als Textur, als Abbildung, wie auch Idee, als ein genuines Produkt der menschlichen Phantasie und schöpferische Arbeit erklärt.6 In der langen Geschichte der ästhetischen Form sind Bilder wiederholt als Illusionen und als virtuelle Welten hervorgehoben worden. Bereits in der Aristotelischen Definition war Virtualität eine zentrale Eigenschaft der künstlerischen Sprache; denn Kunst wurde immer als eine Illusion, als eine Repräsentation und Manifestation, nicht unbedingt wirkliche, sondern mögliche Welten und Vorstellungen verstanden. Aristoteles unterschied zwischen zwei Kommunikationsformen: • eine techne rhetorike, eine einfache Kommunikationsform und • eine techne poetike, künstlerische Formen, die vor allem Illusion und virtuelle Welten produzieren. Sie basieren auf zwei verschiedenen Signifikationssystemen: • eine rhetorische Technik, die in einer logischen Bewegung von eine Idee zur nächsten, diachronisch, digital entwickelt, und • eine poetische Technik, die einer synchronischen Bewegung folgt und sich von einem Bild zum nächsten bewegt, indem das Bildhafte auch in seiner topologischen Bildgestaltung (imaging) verstanden wird. Durch ihre ästhetische Eigenschaft verkörpern sie zusätzliche hybride Eigenschaften kultureller Grenzzonen, Konfliktbereiche zwischen der etablierten Kultur und der Avant-Garde.
Ästhetische und gesellschaftliche Räume Die Zergliederung der Einheit der Repräsentation in der Moderne manifestierte die materielle Ebene eines gesamtkulturellen Zustands. Multiple Fragestellungen zielten auf die sinnliche Einheit der Bedeutungswelt. Stattdessen avancierte das Sehen als elementare Erfahrung des Subjektes zum Modell der künstle-
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Giambatista Vico’s Poetizität, Roland Barthes’s Textualität sowie Jacques Derrida’s Différance sind einige Stationen.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft rischen Gestaltung. Mit den Erweiterungen des diadischen Modells des Sehens, das vor allem durch das atomisierende Auge aufrechterhalten wurde, in ein räumliches Modell des triadischen Charakters der Repräsentation verräumlichte sich der Bildraum. Die unterschiedlichen Interpretationen dieser Verräumlichung führten zu den unterschiedlichen stilistischen Formationen. So machten die Impressionisten das Licht zum Träger des Bildraums, während die Expressionisten mit den chromatischen Qualitäten experimentierten. Die Kubisten fügten den Sichtraum in das Bild ein bis zu den photographischen Bildern, die die Repräsentation vollständig von dem fixierten Raum befreiten. Damit verlässt das Bild endgültig den privilegierten Raum der einmaligen Erfahrung und wird zur erklärten Massenware. Die darauf folgende Entwicklung ist bereits im ästhetischen Zeichen der modernen Kunst bis zur Gegenwart verdichtet. Topologische Relationen sind Mediationen zwischen dem Menschen und seiner Umwelt und ermöglichen zugleich die Modellierung von organischen Räumen. Somit sind sie adäquate Repräsentationen des menschlichen Verhaltens in Bezug auf die perzeptuellen Aktivitäten, insbesondere dadurch, dass sie das visuell-räumliche Feld als mit Spannung beladenes dynamisches Feld darstellen, das einem permanenten Veränderungsprozess unterliegt. Dementsprechend erklären zahlreiche Theorien der Bildsprache die visuelle Sprache als eine Sprache des Raums, der unterschiedlichste konzeptuelle Organisationsmodi aufweist, wie des taktilen, des kinetischen, des thermischen, des akustischen etc. Eine entscheidende Eigenschaft der bildhaften Organisationsform des Raums bleibt allerdings ihr repräsentationaler, d.h. mimetischer Charakter. Wenn das Bild in einem entscheidenden Ausmaß räumlich organisiert ist, welche Auswirkungen hat die räumliche Abstraktion und die vollständige Schrumpfung des Raums der digitalen Realität der heutigen Kultur auf Bildkonzepte? Zu den charakteristischen Eigenschaften der digitalen Kultur gehören die Kategorien Multimedialität, Dynamik und Interaktivität, allesamt Kategorien von Relationen. Zwei zentrale Strategien zur Organisation dieser Strukturen, die die Wegweiser der modernen Kunst waren, sind die Kategorien des Ready-Mades und der Assemblage. Bekanntlich hat Marcel Duchamp den Begriff „Ready-Made“ geprägt, mit dem er das Konzept der Massen-Produktion zum künstlerischen Objekt erhob. Zu den bekanntesten Werken gehört das Urinal signiert mit “R. Mutt”, das er provokativ in
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Die Bildsphäre
einem Museum ausstellte und dadurch das Objekt zum Kunstwerk erhob. Mit der Vereinnahmung des musealen Raums in die Semiosis des künstlerischen Zeichens fokussierte Duchamp das Augenmerk auf die repräsentationale Eigenschaft des Objektes vor allem als eine Repräsentation, also als ein Bild, des kulturellen Kontextes der Warenwelt. Abb. 1: Marcel Duchamp, Fountain, 1919
Die zweite Strategie, die der Assemblage, hatte zwei konstitutive Elemente: • die unmittelbare materielle Repräsentation und • die Pluralität der topologischen Ordnung der Bildeinheit. Mit seinem Ready-Made-Konzept verabschiedete sich Marcel Duchamp 1917 aus dem Raum der Malerei und installierte sein Objekt im musealen Raum. Mit diesem Schritt verwandelte er den musealen Raum zum Objekt des künstlerischen Zeichens und der ästhetischen Reflexion. 1923 entwarf El Lissitzky – unter dem Einfluss des Suprematismus von Malevič – die erste Installation unter dem Titel Proun. Er installierte geometrische Figuren in einem dafür angefertigten kleinen kubischen Raum im Museum und visualisierte die imaginären und perzeptiven Relationslinien zwischen den Figuren mit Fäden. Somit dynamisierte El Lissitzky den statischen Hintergrund, durchbrach die architektonischen Konventionen der Raumgestaltung und markierte neue Raumdimensionen für visuelle Bedeutungswelten. El Lissitzky unterscheidet zwischen den folgenden Raumkategorien.7
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El Lissitzky. 1925.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft • •
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Planimetric Space, der zweidimensionale Raum; Perspektivistischer Raum, der einfache flache Raum, der durch das perzeptive Auge in eine Tiefe des lebendigen Raumsystems ausgedehnt wird. Die Impressionisten waren die ersten Künstler, die durch diese Dimension den traditionellen Bildraum verräumlicht haben; Der irrationale Raum, er konstruiert sich im Zusammenspiel heterogener Richtungen: vertikal, horizontal, diagonal. Vor allem ist er ein Richtungssystem das Suprematismus von der endlichen visuellen Tiefe in die unendliche geöffnet hat. Der imaginäre Raum, er ist der Raum unserer visuellen Fähigkeiten, wie zum Beispiel die stereoskopischen Effekte der Bewegung durch die Durchdringung eines Farbmediums, Farbeindrücke, die durch Überlappung von chromatischen Lichtstrahlen erzeugt werden, aber auch die Transformation akustischer Phänomene in visuelle Formen.
Ziel der Gestaltung der unterschiedlichen Raumeigenschaften war vor allem die Überwindung der Dominanz des architektonischen Raums in der Kunst. Auf der Suche nach neuen Raumkonzepten und Raumerfahrungen wurden auch die stilistischen Grenzen unterschiedlicher Kunstformen durchbrochen. In den Jahren zwischen 1960 und 1970 formierten sich unterschiedlichste künstlerische Ausdrucksformen wie die Konzept-Kunst, ArtePovera, Antiform, Land-Art, Körperkunst, Performance, politische Kunst. Zeitgleich boten die technologischen Medien – wie die Photographie und der Film sowie die Verbreitung der Video- und Audiokassetten – neue Möglichkeiten der formalen Gestaltung. Diese starke topographische Verschiebung von der Dynamisierung des architektonischen Hintergrundes als eine zweidimensionale Darstellungsfläche zur Dynamisierung des Bodens als das Fundament des skulpturalen Trägers bis hin zur Kunst der Installation als die Dynamisierung des gelebten Raums wurde als die Befreiung der Kunst von der Kategorie der Monumentalität gedacht. Stattdessen wurde die Installationskunst als die Manifestation von imaginären Räumen begriffen, in denen unterschiedliche Signifikationen als multiple Raumkonzepte erschlossen werden konnten. Die zwei Ebenen des künstlerischen Raums, der Raum der Repräsentation und der Raum der Präsentation, bilden in der zeitgenössischen Kunst komplementäre Teile eines gesamtkünstlerischen Raums. Der klassische Bildraum als Darstellungsraum hat in der digitalen Kultur die Grenzmarkierung
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Die Bildsphäre zwischen dem Bildraum und dem gesellschaftlichen Raum vollständig überwunden. Diese erschwert zunehmend die Unterscheidung zwischen dem individuellen Diskurs des Werks, dem Diskurs des Ausstellungsraums und dem des gesellschaftlichen Kontextes. Ohne ein Verständnis dieses Diskurses ist ein Zugang zur Kunst heute praktisch unmöglich. Die stilistische Diversität und Vielfalt der zeitgenössischen Kunst ist allerdings kein Symptom eines unübersichtlichen und chaotischen Zustands, sondern eine Fortsetzung der Strategie der klassischen Avant-Garde: Freiheit des künstlerischen Mediums, Öffnung des Repräsentationsraums, die Vermischung von Kunst und Alltag etc. Eine weitere Folge der modernen Position ist die Erkenntnis, dass die Bedeutung eines Werkes nicht unbedingt in der objektiven Gestalt des Werkes zu finden ist, sondern in der relationalen Positionierung des Kunstwerks zum Kontext. Dieser Kontext kann allerdings sowohl politisch, gesellschaftlich wie auch formal sein. Pop Art, Minimal Art, Konzept Kunst, Land Art, Installationskunst, Performance etc. sind Variationen dieser strategischen Öffnung des ästhetischen Topos. Aus dieser Perspektive erscheinen zum Beispiel künstlerische Stile wie die Pop Art in der kapitalistischen warenorientierten Kultur als wahre Repräsentationen. So zum Beispiel verwandelte Claes Oldenburg sein Atelier, das vorher ein Laden war, wieder in ein Laden. Er füllte ihn mit Waren, angefertigt aus unterschiedlichsten Materialien, setzte expressive Farben ein und bot sie zum Kauf an. Abb. 2: Claes Oldenburg, Meats, 1964
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft
Die Bedeutungssphäre der Installationskunst “The place of art is in the space-in-between; It is always the product of diversity.”8
Das Konzept der Installationskunst fungiert als der Schauplatz all dieser aufgeführten Kategorien. Sie verwandelt den kulturellen Text in eine kulturelle Sphäre, indem sie die verschiedenen Ebenen der Signifikation zu Elementen der Installationssprache umwandelt. Ähnlich wie die Lotmansche Semiosphäre bestimmen und komponieren die Elemente der Installation eine dynamische Sphäre, in der Bedeutungen in der Zusammensetzung der beiden Funktionsebenen entstehen. Diese ästhetische Sphäre gehört, wie bereits erläutert, zu den konstitutiven Elementen der künstlerischen Sprache, sowohl in der Sprachstruktur wie auch der Ausstellungsstruktur, des musealen Raums. Den Raum der künstlerischen Semiosis erklärte Lotman folgendermaßen: “[...] imagine a museum hall where exhibits from different periods are on display, along with inscriptions in known and unknown languages, and instructions for decoding them; there are also the explanations composed by the museum staff, plans for tours and rules for the behaviour of the visitors. Imagine also in this hall tour-leaders and visitors and imagine all this as a single mechanism (which in a certain sense it is). This is an image of the semiosphere. Then we have to remember that all elements of the semiosphere are in dynamic, not static, correlations whose terms are constantly changing. We notice this specially at traditional moments which have come down to us from the past.“ 9
Ein kurzer Vergleich Lotmans Erläuterungen mit dem Konzept der Installationskunst zeigt grundlegende Ähnlichkeiten zwischen der musealen und der Installationssphäre. Lotman zählt die folgenden Elemente auf: • Ausstellungsreliquien aus unterschiedlichen Perioden, • Beschriftungen, • Instruktionen zur Dekodierung, • Karten, • Verhalten des Museumsbesucher,
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Sarkis am 20.02.2002 im Interview in Paris. Lotman. Universe of the mind. S. 126-127.
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Die Bildsphäre
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dynamische Elemente, ständiger Wechsel der Korrelationen.
Die Installationen des Künstlers SARKIS „Ein Werk befindet sich ständig in Erscheinung. Deshalb braucht es uns. Ohne uns ist es in Wartestellung, vor uns beginnt es zu leben.“10
Neben der Reflexion über die Grammatik der ikonischen Merkmale des Bildes thematisierte die moderne Kunst auch die Grammatik der ästhetischen Sphäre, in der vor allem die Rolle des Zuschauers und des Interpreten, als Träger der Sinnkonzepte, eine bestimmende Rolle spielte. In den sechziger Jahren führte diese Entwicklung zu einem stärkeren Einbezug des Zuschauers „spectator“ und des „reader“ in die Konstruktion der künstlerischen Sprache. So definieren auch die Installationen des Künstlers Sarkis den repräsentationalen Raum, in dem der Interpret durch seine Perzeption neue individuelle Räume gestaltet und eine neue Raumkategorie die des Zwischenraums entwickelt. Das Element des individuell erzeugten Raums im Installationswerk ist die ikonische Repräsentation von ereignishaftem und persönlichem Raum; es ist das unmittelbare Produkt von Diversität.
10 Sarkis am 20.02.2002 im Interview in Paris.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Abb. 3: Scénes de nuit, 1991
Unterschiedliche philosophische Motive erklären den Zwischenraum als den genuinen Raum der Semeiosis. Zu den prominentesten gehören Jacques Derridas Konzept der Chõra und Jurij Lotman’s Semiosphäre. Auch der Peircesche Terminus Semeiosis hob diesen Raum der Sinnmöglichkeiten „Space of assertion“ als grundlegende Kategorie jeglicher Kommunikationsform hervor. All diese sind genuine Erklärungsmodelle einer räumlichen Entfaltung und Entstehung von Bedeutungen, deren Realität in der Interpretation des Individuums verankert bleibt. Chõra als Raumkategorie begreift Derrida als einen Raum jenseits von Materialität, ein Zwischenraum ohne Identität, der in einer asymmetrischen Relation zu den Elementen der gegebenen Sprache steht. Den von Platon formulierten sphärischen Charakter von Chõra erweitert Derrida durch die Eigenschaften: Lokalität, Ort und Intervall. Somit ist Chõra weder sensuell nor intelligible, weder eine Metapher noch eine Signifikation, weder anwesend noch abwesend. Als Raumkategorie ist sie zugleich vorstellbar und erfahrbar durch Kategorien wie Materialität, Textur und Funktion. Als Begriff impliziert Chõra weder eine ikonische noch eine symbolische Relation. Ihre Zeichenstruktur ist identisch mit der Peircesche Zeichenstruktur ohne Inhalte, ohne Signifikanten und Signifikaten, ohne einen Denotaten und Designaten. Als eine Zeichenstruktur ohne einen Bedeutungsursprung folgt sie auch keine Gesetzmäßigkeiten des reduktionistischen 110
Die Bildsphäre und nominalistischen Sender-Empfänger-Kommunikationsmodells. Chõra als eine Lokalität, als eine sphärische Kategorie verbindet eine gegenwärtige Erfahrung mit einer fernen Lokalität und öffnet neue Identitätsräume. Zusammenfassend lassen sich die Eigenschaften des choratischen Raums mit dem Zwischen-Raum der Installation vergleichen: Der Installationsraum ist weder sinnlich noch intelligibel; stattdessen gehört er einer dritten Kategorie an, einem dritten Geschlecht. Er ist frei jeglichen Ursprungs und auch dichotomischer Konzepte wie das Gegensatzpaar Logos/Mythos. Dennoch besitzt er Strukturen, die in unterschiedlichsten Formen manifestiert werden können, ohne zugleich auf Kategorien wie Bedeutung/Referenz, Bedeutung/Wert rekurrieren zu müssen, denn die letzteren implizieren Typen, Modi und Schemata einer festen Bedeutungswelt. Der Installationsraum ist ein Zwischenraum ohne dabei eine Lokalität zu sein. Er kann nur als ein Erfahrungsraum existieren und widersetzt sich gegen cartesianische Kategorien eines strukturierten Raums, eines strukturierten und topologischen Gedankens. Im Gegensatz zum cartesianischen zweidimensionalen und ikonischen Raum ist der Zwischenraum der Installationskunst der poetische Raum der Bedeutungsgenerierung. Nichtsdestotrotz ist er kein abstrakter Raum, denn er ist formbar und stark an individuelle Perzeption gebunden; er ist ein Ort des Geschehens und des Handelns, der permanent durch die Elemente des ästhetischen Werks neu definiert werden kann. Die poetische Aktivität der Installation ist die permanente Dekonstruktion des topologischen Raums. Eine weitere künstlerische Strategie des Installationswerks bildet die Zerstörung der Monumentalität des ästhetischen Raums. Der Künstler Sarkis zeigt diesen Gedanken auf unterschiedlichen Signifikationsebenen. Drei Elemente tragen die Struktur seiner Werke: Licht, Klang und Farbe; sie werden für die Gestaltung zweier Raumkonzepte eingesetzt: • dem historischen Raum als der öffentliche und kulturelle Raum und • dem Atelier-Raum als der private und individuell künstlerische Raum.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Abb. 4: Geistesblitz, 1992
Abb. 5: Atelier, 1991
Die Verbindung und Vermengung dieser heterogenen Räume bilden den poetischen Raum des Kunstwerks. In diesem ästhetischen Raum der Installation werden die symbolischen Eigenschaften und Zeichenebenen der ausgestellten Objekte zunächst von ihren Bedeutungen entleert. Denn sie werden durch unsere physischen und biologischen Dispositionen definiert und interpretiert. Die Semiosphäre der Installation ist heterogen und polyphon; dies wird sowohl durch die Diversität der Elemente wie auch durch deren unterschiedliche repräsentationale Rollen definiert. Dabei besteht ein entscheidender Unterschied zwischen dem Bedeutungsraum der Installation und dem der kulturellen
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Die Bildsphäre Semiosphäre aufgrund der symmetrischen Struktur, d.h. der semantischen Korrespondenzen, die entscheidend von individuellen Erfahrungen abhängig sind. Während die kulturelle Semiosphäre durch Grenzen bestimmt wird, die durch Kategorien wie das Eigene und das Fremde, dem bekannten und dem fremden Raum produziert werden, ermöglicht der Installationsraum eher Überlappungen von heterogenen Räumen. Im Installationsraum erleben wir sowohl den kulturellen Bedeutungsraum, erzeugt durch den kulturellen und historischen Kontext der Objekte, wie auch den individuellen Raum, getragen durch die individuelle Wahrnehmung des Sehenden. Abb. 6: Danse dans la salle, 1989
Wie werden all diese Elemente in einem spezifischen Werk reflektiert? Die Installationen des Künstlers Sarkis entfalten universelle Kategorien der menschlichen Zivilisation. Indem er in seinen Werken unterschiedliche Reliquien aus unterschiedlichen Kulturen und historischen Phasen einsetzt, zielt er auf gemeinsame semantische Werte sowohl unterschiedlicher Kulturen wie auch innerhalb einer einzigen Kultur. Die körperliche Anwesenheit des Betrachters fungiert als ein semantisches Feld, das der Installation ihren Zeichenwert verleiht; ihre physischen Eigenschaften sind vor allem das Bewusstsein und der Körper. Das menschliche
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Bewusstsein konstruiert die Welt durch Konstanten, wie die physikalischen Gesetze des Universums, den natürlichen Zyklus der Erde, wie die Jahreszeiten etc. Des Weiteren zeigen auch die physischen Konstanten des menschlichen Körpers Relationen mit der äußeren Welt. Weiterhin bestimmen die Maße des menschlichen Körpers das was natürlich und nicht-natürlich ist; dazu gehören Korrelationen zwischen dem Gewicht des Körpers, der Anziehungskraft der Erde und der vertikalen Position des Körpers, sie alle bilden Grundlagen für kulturelle Universalien, wie zum Beispiel die Richtungswerte oben/unten; ähnlich auch führt die Symmetrie des menschlichen Körpers als anthropologische Grundlage zu weiteren Semiotisierungen wie rechts/links etc. Das Konzept der Lotmanschen Semiosphäre erklärt sehr ausführlich, wie die kulturelle Signifikanz des Menschen von der Semiosphäre bestimmt wird; denn sie ist die Welt, in der der Mensch die Bedeutungen strukturiert, so dass sie – ähnlich wie jede Zeichenstruktur – in eine Domäne von Objekten, die bedeuten, symbolisieren oder auf etwas hinweisen, und eine Domäne von Objekten, die einfach sich selbst repräsentieren, eingegliedert werden. Trotz der Unterschiede zwischen den Substrukturen der Semiosphäre bleiben sie in einem allgemeinen Koordinatensystem organisiert: auf der temporalen Achse, strukturiert durch die Kategorien Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, und einer räumlichen Achse organisiert durch Kategorien Innen und Außen sowie Grenze. Die Installationskunst reflektiert und kommentiert diese kulturellen Dispositionen, indem sie die Spuren vergangener Bedeutungswelten in der Konstruktion von gegenwärtigen Bedeutungen durch unterschiedliche Raumkategorien hindurch sichtbar macht; die Verflechtung all dieser unterschiedlichen Strukturen bildet das kulturelle Gewebe des poetischen Raums. Das Konzept der menschlichen Kultur als eine Projektion seiner physischen und biologischen Dispositionen ist bereits lange vor der Installationskunst reflektiert worden. Die zentrale Position des menschlichen Körpers in der Gestaltung der Semiosphäre hat Giambattista Vico als Quelle unterschiedlicher Sinndimensionen erklärt.11 Darin werden die Relationen zwischen Objekten und Menschen kulturunabhängig auf der Grundlage
11 Vico. Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker. S. 70.
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Die Bildsphäre körperlicher Gesetzmäßigkeiten interpretiert;12 So erklärt und erweitert der Mensch seinen Geist durch das Verstehen und Interpretieren seiner Umwelt. Abstrakte Bedingungen werden als die Projektion des eigenen Selbst transformiert und auf diesem Weg in der kulturellen Sphäre vereinnahmt. Mit der extremen Beschleunigung der Entwicklung von virtuellen Wirklichkeiten bzw. Umwelten wächst auch das Bedürfnis an objektivierter Materialität. Das Gegensatzpaar Materialität/Immaterialität bildet ein weiteres Motiv der Installationskunst. Auch hier fungiert der Betrachter durch seine körperliche Anwesenheit als eine wichtige gestalterische Achse. Mehr als alle anderen Elemente ist eine Installation entscheidend von der aktiven Partizipation des Betrachters abhängig, denn die Installation als Form und als Medium kann nur im Prozess der Signifikation, das heißt als Semeiosis existieren; sie ist entscheidend von der permanenten Reinterpretation und Reflexion des Betrachters in der Gegenwart abhängig. Das zentrale Anliegen von ästhetischen Räumen ist nicht vorrangig die Repräsentation von Wirklichkeiten, sondern darüber hinaus die Projektion von Bedeutungen in der Wirklichkeit durch bildhafte Strukturen. Denn Zeichen sind niemals bedeutungsleer und ästhetische Zeichen sind stets Produkte individueller künstlerischer Entscheidungen. Die Installationskunst agiert auf diesen Ebenen der Signifikation. Der Künstler verwendet die objéts trouvées als Zeichen und baut mit ihnen ein Meta-Zeichen-System. In den Installationen von Sarkis finden wir oft historische skulpturale Figuren als historische Repräsentationen vermischt mit Tonbändern als Träger akustischer Bedeutungen, Möbelstücken, Neon-Lichtern, unterschiedlichen Textilien, Fernsehgeräten etc., allesamt Repräsentationen kultureller Produkte mit Bedeutungselementen einer gegebenen Zeit und einem gegebenen Raum. Die semiotische Analyse seiner Installationen zeigt zwei strukturelle Achsen: • eine paradigmatische Achse, auf der zwei Signifikationsprozesse stattfinden: eine referenzunabhängige Interpretation der Objekte und deren Interpretation als Repräsentationen kultureller Umwelten;
12 so zum Beispiel bedeutet Kopf auch Beginn, Augen konnotieren Öffnung, sowie verschiedene Redewendungen wie der Himmel lacht, der Wind pfeift etc.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft •
eine syntagmatische Achse als die Verbindung unterschiedlicher Objekte und die Bildung weiterer Metaebenen.
Die unterschiedlichen Ebenen der Zeichenhaftigkeit wie die symbolische, die ikonische und weiteren Zeichenformen bestimmen auch den Installationsraum und können als Metazeichen gelesen werden. Der Installationsraum ist ein dichter Bedeutungsraum, sowohl neutral wie auch reich an Bedeutungen. Er repräsentiert den Prototyp der Semiosphäre und konstruiert kulturelle Mikrokosmen. Je abstrakter unsere semiosphärischen Wirklichkeiten werden, desto wichtiger wird das Begreifen der Logik der Semiosphäre. Denn das Begreifen des künstlerischen Raums stärkt unsere Vorstellungskraft, die Metastruktur der Semiosphäre zu begreifen. “Culture is a complex organised mechanism that stores information and records new information, codes and decipheres information, translates them from one sign-system to another. At the same culture is a permanent struggle, the field of social conflicts, historical clashes and class struggles.”13
Das Installationswerk und die Entfaltung der Bildsphäre Der Künstler Sarkis verarbeitet in seinen Werken verbindende menschliche Erfahrungen, die das Gedächtnis kultureller Gemeinschaften prägen. So sind konstitutive Elemente seiner Installationen Erfahrungen und Repräsentationen von Krieg, Vertreibung, Verlust, Leid und Hoffnung. Für die formal-gestalterische Entwicklung seiner Kunst haben stets das Theater und die Musik eine zentrale Rolle gespielt. Die Inhalte seiner Werke sind überwiegend politische Erfahrungen, die der Künstler über die Werke als das kollektives Gedächtnis zu sichern versucht. Die Installationswerke inszeniert Sarkis als einen Schauplatz kultureller Universalien, auf dem die Auseinandersetzung der kulturellund wahrnehmungsbestimmten Bedingtheiten der Sinnproduktion stattfindet. Die archäologische Exploration der Bedeutungsproduktion und Bedeutungsverdichtung ist eine seiner wichtigsten ästhetischen Strategien. Installationskunst lässt sich darin als ein Repräsentationsfeld des kulturellen Körpers sowohl 13 Lotman. Kunst als Sprache. S. 26.
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Die Bildsphäre als der individuellen wie auch der ideologischen Bedeutungsproduktion verstehen. In seinen Werken bleibt jede Sinnproduktion in ihrer Natur unendlich und sehr heterogen; sie sind weder anarchistisch noch schizophrene Destruktion, sondern eine Praxis der Strukturierung und Destrukturierung, eine Überschreitung der gesellschaftlichen und kulturellen Grenzen und in diesem Sinne sind sie wie Julia Kristeva’s bekannte Formulierung „ein revolutionärer Akt“14 Die Installationskunst wird hier als die Verkörperung der Bedeutungsproduktion verstanden. Ihre konzeptuell konstitutiven Elemente sind die Sprache, die Position des Lesers, der Körper, das Andere, das Nicht-Identische. Die charakteristischen Eigenschaften ihres Systems sind die Wiederverwertung und die Dekodierung. Ihr Raum ist das Territorium des Übergangs und der Verschiebung von einer Zeichenebene zur anderen, vom Bild zur Bildsphäre. Für die Bestimmung des kulturellen Körpers wurden bereits die Kategorien der Grenzen und der Sinnproduktion erwähnt. Beide Elemente sind auch für die Gestaltung einer Installation von entscheidender Bedeutung. Die Grenzen werden durch die Reliquien, die ausgestellten Objekte, fixiert, während die Sinnproduktion durch die Erfahrung des Lesers vollzogen wird. In den Installationswerken des Künstlers Sarkis finden viele der anthropologisch-geistigen Eigenschaften ihren Wirkungsraum, sie fungieren als Signifikationen von dynamischen Grenzen. Vor allem werden die Werke durch die Kategorien Verräumlichung, Verlagerung, Assoziation und Erinnerung – im Sinne einer aktiven Teilnahme an der Gestaltung der Lebenswelt – getragen. Statt Formen zeigen die Werke Formierungen, das Gestalten, Komponieren und Inszenieren von ästhetischen Räumen. Jede neue Installation markiert einen neuen Ursprung, mit jedem Abbau wird die Gesamtheit reflektiert, ein Kapitel, ein Ereignis markiert. Die verbindende Kraft der erfahrenen Identität bleibt die Fähigkeit des sich Erinnerns, die die einschlägigen Interpretationen der Installationen dem Gedächtnis zuschreiben. Das Gedächtnis, das die Werke gegenwärtig hält, besteht aus einer dünnen Haut, einer maskenähnlichen Folie, die die einzige Verbindung zwischen einem Innen und einem Außen ist. Der Außen und das Innen bleiben dabei als konvergierende, konkurrierende, kollidierende Kräfte erhalten, die den Gedächtnis-
14 Kristeva. Die Revolution der poetischen Sprache, S. 31.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft raum Sarkis’ Oeuvre beseelen. In der Welt seiner Installationen ist das Außen das Private während das Innen das Kollektive darstellt, das nur über das persönliche repräsentiert wird. Das Installieren versteht Sarkis als die ständige Auseinandersetzung mit den Elementen, den Spuren und den Zeugnissen der kulturellen Umwelt.
Die materiellen Elemente und die Sujets der Arbeiten Eine Übersicht der angewandten Materialien beschreibt den Kontext und die Diskurse, in denen die Werke positioniert sind. Es sind vorrangig industriell hergestellte bzw. in der industriellen Produktion verwendete Materialien: Baumaterialien, Wasser gefüllte Fixierwannen, Neonröhre, Asbestwalzen, Tonerde, Metallbaukasten, Eternitplatten, Blei, elektrische Kabel, Zähler, Kautschuk, Teerpapier, Tonbandgeräte, Schallplatten, Glühbirnen, Blumen, Flaschen, Kleider, Fernsehapparate. Zu den abstrakt-gestalterischen Materialen gehören: Kräftemessungen, Tonbandaufnahmen als industrielles Gedächtnis, akustische Räume, Gerüche, Farben, Orte, Gedächtnisstädte. Der Krieg als ein globales Phänomen und als eine verbindende Erfahrung der Menschen ist in Sarkis’ Arbeiten allgegenwärtig. Exil und Verfremdung als Folge des Krieges bilden die Sinnebene der gefundenen Objekte, die durch ihre Verwandlung in Kulturprodukte das Gedächtnis veranschaulichen. Die Objekte der Installationen sind Zeichenträger, sie sind Vermittler des Gedächtnisses, die über eine Inszenierung in Dialog gesetzt werden. Dabei werden sowohl Formen und Muster wie auch Farben kompositionell variiert. Motive aus früheren Werken, wie in seiner ersten Ausstellung mit dem Titel Identité/Identification, werden später in anderen Konstellationen und Farben zitiert. Auch der körperliche Einsatz, die körperlichen Abdrücke des Künstlers tauchen in unterschiedlichsten Formen als eine Beseelung der Installation auf, z.B. durch die Aufzeichnung seines Herzschlages während des Aufbaus eines Werks, der Atemzug des Künstlers, der die Intensität eines Neonlichtes bestimmt etc. Mit dem Einsatz von Klängen in den Installationen ermöglicht der Künstler die Objektivation der zeitlichen Dimension. Die Installation als klangbeseelter Lebensraum erreicht eine Vollkommenheit, die die Zerstörung durch Kriege wieder gut machen will. Die zerstörten und zerstreuten Objekte werden mühsam 118
Die Bildsphäre gesammelt, neu positioniert, Stimmen verliehen. Der Künstler wird zum Vertreter aller Vertriebenen, Heimatlosen, die ihre Lebenswelten aus dem abstrakten Material der Erinnerung aufbauen. Jede Inszenierung des Krieges ist daher für den Künstler ein Teil seiner persönlichen Geschichte, ein Ausschnitt seiner inneren Welt, die sich im Atelier entfaltet. Erinnerung, Schmerz, Verlust sind in vielen Arbeiten allgegenwärtig, wie zum Beispiel 1972 Opération Organe, die als eine Kriegsdarstellung konzipiert war, sowie Arbeiten, die das Innenleben seines Ateliers als die mühsame Inszenierung der eigenen Welt – in der der Mensch versucht, ein eigenes Territorium zu erobern – verstanden. Das Symbol des Verlustes und des Schmerzes wird darüber hinaus durch die Farbe Schwarz repräsentiert. Allerdings wird die Erinnerung auch mit dem Konzept des traumatischen Vergessens und Verdrängens konfrontiert. Die Installationsreihe BLACKOUT thematisiert die Repräsentation des Krieges, wie auch des Kriegszustands durch das Wort BLACKOUT. Über die farblichen Sphären eines Yves Kleins oder die kontemplative Tiefe eines Rothkos hinaus setzt Sarkis auch Gerüche in seinen Werken ein. Durch die Einbindung des Geruchssinns stellt der Betrachter eine Verbindung zur Welt des Gedächtnisses her. Die Textur des Geruchs vermischt mit der Ausstrahlung der Farbe füllt den Raum, dessen Konturen Sarkis mit dem Begriff ZONE (1974) markiert. Die Farbe Schwarz durchdringt die Gegenwart, bildet Zonen der Verborgenheit. Der Künstler zeichnet die Konturen der Grenzen der verdunkelten Zone. Das dadurch entstandene Muster zitiert der Künstler in unterschiedlichsten Hell-Dunkel-Inszenierungen. Das Motiv bleibt in vielen folgenden Installationen als Zeichen vorhanden und bildet damit ein weiteres konstitutives Element der künstlerischen Sprache. In allen Werken bleibt der Künstler buchstäblich ein Exilant auf einer ewigen Reise. Seine Kunst wird zum Ausdrucksmedium für politische und gesellschaftliche Konflikte. Nichtsdestotrotz bildet die ästhetische Dimension die dominierende Ebene der Werke. Die Poetizität seiner Installationen konkurrieren mit den ikonischen Ebenen der Objektprotagonisten. Farbe und Form bestimmten die stille ästhetische Dimension sowohl der schwarzen Installation wie auch später der farbdurchdrungenen ästhetischen Sphären. Die Kategorie der Farbe bleibt in verschiedensten Formen, von der reinen Abstraktion bis zu Graffiti, von der Malerei des Bildhaften zum Schrifthaften, in den Werken präsent.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Die Erinnerung an die Kodierung und Dekodierung der Bedeutung mit den Objekten bleibt ein wichtiges Element der künstlerischen Tätigkeit. Die Zeichensetzung dominiert das Zeichen. Auch der Körper, die physikalische und biologische Disposition des Künstlers zum Zeichen und zur Struktur, die einerseits für das Werk zum bloßen Element reduziert wird und andererseits den Rhythmus der Installation bestimmt. Der gelebte Raum der Installation ist ein Ort der Zeichenproduktion. Da es sich um einen Sinnraum handelt, kann er nicht unabhängig vom Subjekt existieren. Daher ist der gelebte Raum vorrangig ein symbolischer Raum. Das Raum-Zeichen als eine psychologische Einheit besteht aus einem Vorstellungsbild eines Gegenstandes, das mit einem anderen Vorstellungsbild, das als Zeichenträger fungiert, psychisch verbunden ist. Der durch die Installationen positionierte Raum ist eine durch Zeichen geformte Sphäre. Erst durch und über die Zeichen und Symbole verleiht der Mensch seinem Verhalten Bedeutsamkeiten. Um diese zu deuten, brauchen wir Kategorien wie Intention, Bedeutung etc.: allesamt abstrakte Kategorien, die wir mit Sinn umschreiben können. Der Sinn besteht vor allem aus Sinneinheiten, die keine klar trennbaren Grenzen voneinander haben. Sie beeinflussen einander, so dass in jeder Sinneinheit Teile der vorangehenden Einheiten enthalten bleiben. So auch die Installationen von Sarkis; die Objekte transportieren Elemente von Sinneinheiten in anderen neuen Konstellationen. Objekte, Artefakte, Worte, Farbe, Klänge, Erinnerungen ziehen sich wie ein roter Faden durch das ganze Gewebe der Installationen hindurch, nehmen immer wieder einen neuen Sinn an, so dass sie in jedem weiteren Werk neue Sinnebenen und Komplexitäten schaffen. Diese sichern durch die Anschauung und die räumliche Anordnung den Wiedererkennungseffekt. Denn jeder Sinn wird erst dann zum Sinn, wenn er von einer Gruppe von Menschen gleichermaßen – mittels der Tätigkeit des Geistes und der Erinnerung – erkannt wird. Darin besteht auch die kommunikative Funktion der Installationen. Sie sind SinnRäume, die eine Gemeinschaft produziert und als Grundlage für Kommunikation fungieren.
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Zur Zeichenstruktur photographischer Bilder
„Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft. In der Spur werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser.“1 Walter Benjamin “Because culture is mediated and enacted through communication, cultures themselves, that is our historically produced systems of beliefs and codes become fundamentally transformed, and will be more so over time, by the technological system.”2 Manuel Castells
Die technokratische Logik der schnelllebigen Veränderungen, vom digitalen Fortschritt bis zur künstlichen Ausdehnung des öffentlichen Raums und dem damit verbundenen Verschwinden des privaten Raums, hat Zeichensysteme hervorgebracht, deren Grammatik nicht mehr vorrangig durch die Gesetze der Repräsentation, sondern die der Simulation bestimmt werden. Eine Begleiterscheinung dieser Verschiebung, von der ursprünglich ausführenden Funktion zu einer instrumentellen Rolle der Grammatik innerhalb eines Zeichensystems, ist der Übergang in eine höhere Stufe der Abstraktion des Kommunikationsvorgangs, die auch eine gewisse Entmachtung des konsumierenden Subjekts im Prozess der Kommunikation in sich birgt. Während das Subjekt sich weiterhin in einem individuell orientierten Raum zu befinden glaubt, verliert der kollektiv definierte Kommunikationsraum die gewohnten identifikatorischen
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Benjamin. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzier barkeit. S. 560. Castells. Die Netzwerkgesellschaft. S. 329.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Konturen und ordnet sich situativ ein. In der Welt der wandelnden Kontexte verliert das Tradierte zunehmend, nicht zuletzt selbst verschuldet, an Autorität. Da das Tradierte vor allem eine Instanz der Selbstidentifizierung des Subjektes und seines Zugangs zur eigenen Geschichte ist, hinterlässt dieser Machtverlust unmittelbare Spuren und Brüche in der Konstitution seiner Selbstwahrnehmung. Im Zeitalter der digitalen Netzverbindungen wird der Kommunikationsprozess von einer Logik des uneingeschränkten Fortschritts beherrscht. Auffällig ist, dass diese nahezu euphorische Begeisterung gegenüber dem Neuen gleichzeitig von einer allgemeinen, beinah melancholischen – nicht minder kritischen – Abschiedsstimmung von vertrauten Vorstellungen über Identität, Natur und Kultur begleitet wird. In der technologisch bestimmten Geschwindigkeit ist die Zeit der Reflexion über die Frage nach den Bedingungen des Neuen und den Momenten des Alten in der Gestalt des Fortschrittlichen zum Minimum gesunken. Für die Überwindung dieses starren Zustands kommt es darauf an, ein Gleichgewicht zwischen dem Tradierten und dem Neuen herzustellen, in dem ein diskursiver Raum eröffnet wird, eine Verräumlichung, die durch die Konfrontation zwischen dem Gültigen als dem Tradierten und dem Fraglichen in dem Neuen und dem Unbekannten den Wirkungskreis der jeweiligen Normen in Erscheinung treten lässt. Fragen wir nach den Merkmalen des Zeitalters der Technologisierung und der Digitalisierung, stellen wir fest, dass die Auflösung des Scheins, des gesellschaftlich und kulturell erzeugten Wunschraums, sei es als eine einheitsstiftende Kraft von Ideologien, von Vorstellungen oder von Welten, eine zentrale Kategorie bildet. Ihre Logik manifestiert sich vor allem in einer Begriffsformierung, die eher den maschinellen Standards angehört. Worte wie Cyberwelt, Cyberraum, Hypertext, virtuelle Wirklichkeit, interaktive Ausdrucksformen (künstlerische inbegriffen) und posthumane Subjektivität hinterlassen Einschnitte und Brüche im gesellschaftlichen Diskurs und produzieren Denotationen, die, statt zur Klärung der anvisierten Sachverhalte beizutragen, die Anonymität des global empfundenen Raums verstärken. Parallel dazu lässt sich beobachten, dass diese Entwicklung zusätzlich mit Begriffen wie Totalität, Globalisierung, Internationalismus begleitet wird, die anders als die simulierten Wirklichkeiten eine eher positive Konnotation und eine zusammenfügende Funktion implizieren. Auffällig bleibt, dass sich beide Positionen, sowohl die Problematisierung wie auch die Besänftigung des Ausmaßes ihrer Wirkung, auf die langsame und gründliche Auflösung des Raums
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Zur Zeichenstruktur photographischer Bilder beziehen und zugleich aber auch unmittelbare Auswirkungen dieser Auflösung sind. Der Versuch, diese Entwicklung zu erklären, muss vor allem die Frage nach dem Glauben an den technischen Fortschritt reflektieren; er setzte eine Dynamik in Gange, die längst die Grenze der Überschaubarkeit durchbrochen hat. Schon auf der ersten Reflexionsebene über den kulturellen Zustand jenseits von Grenzen treten Erfahrungen von Zerrissenheit und Unsicherheit auf. Allerdings ist der Rausch der Entfesselung zu dominant, um nach Grenzen, Definitionen oder gesellschaftlichen Vereinbarungen zu suchen, vielmehr wird jeglicher Versuch von Kategorisierung und Identifizierung, als eine dogmatische Unterdrückung, als eine kulturpessimistische Horizonteinschränkung empfunden und abgewiesen. Das Neue, das sich jenseits der Grenzen befindet, ist zum obersten Wert und damit zur treibenden Kraft der kulturellen Entwicklung geworden. Die Durchbrechung des Scheins in Gestalt digitaler Welten ist längst vollzogen; die Teilelemente der zertrümmerten Wahrnehmungs- und Orientierungsmuster und die Bruchteile von Ganzheiten sind allerdings nicht ausgelöscht, sondern schweben in einem schwerelosen Universum, in einem Raum, der aufgrund seiner Unerfassbarkeit durch das geistige Auge uns seiner Wirklichkeit, seiner Realität entzogen zu sein scheint. Wir beschreiben diesen Raum mit dem Wort hyperreal, womit er nicht als unwirklich, sondern eher als ein Raum jenseits der Wirklichkeit verstanden wird. Wie lässt sich die Struktur dieses Raums beschreiben, der trotz ihrer Amorphität ein realer ist? Zunächst werden wir hier mit zwei Kategorien konfrontiert: mit der Kategorie der Kraft, der Kräfteverhältnisse, und die damit bewirkten Machtverhältnisse und ihrer Positionierung, und der Kategorie der Grenze, eine stoffliche Kategorie, die durch den Schein und die Materialität manifestiert wird. Der durch Anonymität geplagte, globale, hyperreale Raum, den wir mit einem weiteren Wort den virtuellen Raum oder die virtuelle Welt nennen, ist die Symbiose der beiden, wenn nicht sogar die Auflösung des Scheins in einen dynamischen Zustand und die Sprengung der Grenze durch den Schein. Beide Zustände bilden konstitutive Teile des hyperrealen Raums und lassen sich in ihrer Wechselseitigkeit bestimmen. Sie bilden eine dialektische Beziehung zueinander, so dass der hyperreale Raum sowohl aus abstrakten Kräften wie auch aus konkreten, stofflichen, figuralen
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Sachverhalten besteht, auch wenn viele der konkreten Sachverhalte in der Form von Denkfiguren in Erscheinung treten. Die Identitätsverschiebung dieser Kategorien wird nicht zuletzt durch eine Veränderung ihrer Eigenschaften hervorgerufen: die ursprünglich dynamische Identität der Kraft potenziert sich in einen rasenden Stillstand, während die Kategorie der Grenze, die traditionell durch ihre verbindliche Funktion definiert wurde, destabilisiert und in ihrem Wandel erfahren wird. Eine Bestandsaufnahme der begrifflichen Entwicklung der kulturtheoretischen Diskurse diesbezüglich zeigt die Etablierung von Begriffen, deren Zeichenstruktur tiefgreifende Veränderung erfahren hat. Versuchen wir die Bedeutungen dieser Begriffe zu verstehen, stellen wir fest, dass es sich hier um Konstrukte handelt, deren gemeinsamer Nenner vor allem das Fehlen des Signifikats im engen semiotischen Sinne oder das Fehlen der Bedeutung, der Erklärung, der Aufklärung ist. Da das virtuelle Zeichen durch das Fehlen eines erfassbaren Objektes nicht mehr im Stande ist die Ganzheit der Semiose zwischen einem Objekt, dem Mittel und dem Interpretanten zu erfüllen, entsteht eine Fraktur, ein Riss in der Struktur des Zeichens. Ohne diese zusammenfügende Funktion der Semiose jedoch, die eine entscheidende Rolle im Vorgang der Kommunikation spielt, erzeugen die Benennungen nicht nur eine zunächst harmlose Begriffsinflation, sondern einen noch viel ernster zu nehmenden Effekt, nämlich eine zusätzliche Verwirrung, die das Verstehen von kulturellen Ausdrucksformen und das damit verbundene Verstehen und Erleben der Kultur erschwert. Die Begriffe bleiben auf der Ebene der äußerlichen Zeichen in seiner Husserlschen Definition, also Zeichen, die mit dem Bezeichneten nichts zu tun haben, im Gegensatz zum begrifflichen Zeichen, das gerade das Bezeichnete, in diesem Falle die kulturellen Inhalte, charakterisiert und erklärt. Es bleibt daher eine unverzichtbare kulturtheoretische Aufgabe, die Aussagefähigkeit und die Tragweite solcher Bestimmungen im Vergleich zum kulturellen Zustand zu reflektieren und ihre Anwendbarkeit für die Erklärung kultureller Phänomene zu überprüfen. Wie lassen sich der virtuelle Raum und seine Ausdehnung im Zeitalter der Digitalisierung erklären? Nach der einfachsten Definition ist ein virtueller Raum zum Beispiel ein scheinbarer Raum, der gewöhnlich als ein möglicher Raum verstanden wird, ein Raum, der die Wahrscheinlichkeit hat, in einer gegebenen Zeit zu existieren, ein Zustand allerdings, dass dieser ein ewiges Versprechen bleibt und niemals als ein Dasein, als eine Gegenwart
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Zur Zeichenstruktur photographischer Bilder erfahrbar wird. Tatsache ist aber, dass wir, jedesmal wenn wir über unsere Welt als die hyperreale und virtuelle sprechen, einen erlebten und existenten Raum meinen. Eine Möglichkeit der Überwindung der Diskrepanz zwischen dem Zustand und der Definition bietet die inhaltliche Unterscheidung zwischen dem Gegensatzpaar aktuell-virtuell und wirklichmöglich. Berücksichtigen wir das Virtuelle unter den Aspekten der Differenz und der Wiederholung, so finden wir seinen Gegenbegriff nicht im Möglichen, sondern im Aktuellen. Die Kategorie des Möglichen dagegen steht in einem Oppositionsverhältnis zum Begriff des Wirklichen. Durch diese Aufspaltung der Bedeutungsebenen geben wir dem virtuellen Raum definitorische Konturen, die nicht nur auf die technologische oder digitale Realität reduziert bleiben, denn wenn wir unseren Zustand als einen hyperrealen oder virtuellen definieren, meinen wir nicht, dass wir nur ein Leben in der Computerwelt oder in Form einer Datenbank haben. Während das Virtuelle im Begriff eine eigene Realität hat, die ihre Aktualisierung in einer wirklichen Schöpfung manifestiert, wie zum Beispiel in Kunstwerken, beschränkt sich die Computervirtualität auf die Realisierung einer rechnerischen Möglichkeit, die einer bloßen Wiederholung gleichkommt. In der sogenannten virtuellen Realität herrscht also – in der Begrifflichkeit von Differenz und Wiederholung reformuliert – das wiederholbare Verhältnis zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen, das auf Ähnlichkeit und Identität beruht; die singuläre Realität des Virtuellen dagegen entspringt seinem Verhältnis zum Aktuellen, das auf Änderung und Differenzierung beruht. Erst mit dieser kritischen Widerstandskraft, die durch Differenz und Wiederholung gewonnen wird, erlangt der Begriff des „Virtuellen“ eine produktive Funktion, die in den kulturtheoretischen Diskursen im Zeitalter des Cyberspace eine sinnvolle Rolle spielen kann. Die Auswirkungen des Entzugs oder der Auflösung des Raums auf kulturelle Ausdrucksformen und deren Sprachen wiederum sind komplex, so dass wir für deren Erfassung und deren Analyse sowohl ihres jeweiligen Mediums, wie auch der Diskurse berücksichtigen müssen, die die Abstraktheit dieses virtuellen Raums zu vermitteln suchen. Für diese Aufgabe benötigen wir vor allem einen multiperspektivistischen Standpunkt, dessen Erkenntnispotential sich nicht in einer linearen und hierarchisch strukturierten Bewegung entfaltet, sondern nach dem selben Strukturprinzip des anvisierten Sachverhaltes, nämlich nach dem Prinzip der Gleichzeitigkeit agiert.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Lösungen für diese scheinbar schwierige Aufgabe bietet uns die Struktur des kulturellen Feldes selbst. Denn eine Besonderheit von kulturellen Phänomenen ist ihre Fähigkeit, ihre Erscheinungsformen in der Materialität der Ausdrucksformen mit eigenen Mitteln, durch die eigene Rhetorik, sowohl zu reflektieren wie auch durch sie als mögliche Lösungsmuster zu agieren. Beispiele dafür sind kulturelle Produkte wie ästhetische Werke. Kunstwerke sind Mikrokosmen innerhalb der kulturellen Semiosphäre, die in der Lage sind die strukturellen Grundzüge dieser höchst dynamischen Sphäre zu interpretieren. In dem künstlerischen Feld kommen die synchronische und die diachronische Bewegung des Werkzeichens als gleichberechtigte Teile zur Geltung. Gleichzeitig agieren Kunstwerke als kulturelle Schnittstellen und bringen dadurch die Symptome von kritischen Zuständen zum Ausdruck. Auch als Exemplifikationen der dynamischen Beschaffenheit des kulturellen Raums sind Kunstwerke, Kraft ihrer Individualität, authentische Repräsentationen der Kräfteverhältnisse dieses Feldes. Anders als die herkömmlichen Definitionen der simulierten Welten verfällt das energetische Prinzip im Kunstwerk, nicht die Relativität der Erscheinung, vielmehr erweist es sich als ein regulierendes Prinzip, das anhand von Normen, seien es auch ästhetische Normen, eine gewisse Verbindlichkeit ermöglicht. Darin liegt vor allem die Aktualität des Ästhetischen, in seiner Kraft Modelle, Möglichkeiten, Foren und Räume zu schaffen, die in der diskutierten Bedeutung als virtuelle Räume bezeichnet werden können, eine Virtualität, die einen modellhaften Charakter für Machbarkeit und zukünftige Realitäten hat. Es ist eindeutig, dass sich mit den Systemen digitaler Informationsverarbeitung etwas in die Wirklichkeit einschleicht, was nicht nur die traditionellen Oppositionen des Denkens, sondern auch die Voraussetzungen der Kunst heimsucht. Auch der stoffliche Boden, auf dem sich kulturelle Manifestationen verankern, hat sich durch die digitalen Kommunikationsmittel von einem aktuellem zu einem virtuellen Medium gewandelt. Wie lässt sich die Struktur der Logik dieser Entwicklung dekonstruieren? Ästhetisch relevant ist in diesem Zusammenhang vor allem die Eigenschaft der Virtualität als die Verschiebung der Relation von Raum und Zeit. Der virtuelle Raum definiert sich vorrangig durch die Erfahrung des Raumes ohne Grenze. In der vernetzten Welt der Hightech ist der Raum zum endlosen Raum ausgedehnt und die Zeit zum Minimalen geschrumpft worden. Zu beachten
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Zur Zeichenstruktur photographischer Bilder ist, dass das Schrumpfen der Zeit nicht in eine Zeitlosigkeit mündet, sondern zur absoluten Zeitlichkeit, zum Absoluten in der Zeit sein wird. Das noch mit dem Benjaminschen Begriff der Aura beschriebene Hier und Jetzt, das als mit der Körperlichkeit und Materialität eines Mediums verbunden gedacht war, ist in der Netzwelt das Hier und Jetzt der Spur, der Gedanken, der Wahrnehmung; seine Körperlichkeit reduziert sich auf die Materialität abstrakter Erscheinungsformen in der Projektion der Daseinsform der Wahrnehmung. Die Spur manifestiert sich zugleich als Zeichen, dessen Bedeutung in der Abstraktheit des Mediums entsteht. Kunstwerke zu verstehen, heißt im Zeitalter der digitalisierten Wahrnehmung vor allem ihre Struktur und Logik nach der Überwindung des Mediums zu begreifen.
Photographische Strukturen als Repräsentationen und Manifestationen „Die Kunst bildet die Wirklichkeit nicht einfach mit der leblosen Automatik eines Spiegels ab – sie füllt die Wirklichkeit mit Bedeutungen, indem sie deren Bilder in Zeichen umwandelt.“3 „Für die moderne Kunst ist das Werk nicht Ausdruck, sondern Schöpfung: sie zeigt das was vor ihr nicht gesehen wurde, sie bildet, anstatt widerzuspiegeln.“4
Als die Malerei der Industrialisierung und der mechanisch abbildenden Eigenschaft des technisch produzierten Bildes begegnete, reagierte sie mit einer Rückkehr zu sich selbst und suchte ihre Ausdrucksmöglichkeiten, das heißt ihre Zeichenformen, unter anderem in der Struktur der malerischen Sprache. Werke wie die Bilder von Manet, Klee und Kandinsky reagierten auf diese Rollenverschiebung durch die Manifestation der Bedingtheiten des malerischen Zeichens. Natürlich war dies eine Art territoriale Sicherung; die Struktur der malerischen Sprache markierte die Differenz zum technischen Bild. Heute steht die Kunst vor anderen, auch grundlegenden Umwälzungen der Kommunikations- und Ausdrucksformen. Wie reagiert sie auf die Digitalisierung, wo sind die Zäsuren, die sie ein3 4
Lotman. 1978:26. Picon.1961: 289. zitiert in Derrida 1997: 15.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft setzt, um die Geschwindigkeit und die damit verbundene Abkoppelung unserer Welten von unserer Wahrnehmung zu überwinden, in welcher Form bringt sie sie zum Ausdruck? In von Hypermedien dominierten Ausstellungen wirken selbst die abstrakten monochromen Bilder, die jeglicher Repräsentation und Narrativität absagen, wie idyllische Landschaften romantischer Werke. Der Ort des Neuen ist überall dort zu spüren, wo das Gefühl der Obsoletheit der modernen Kunstidee vermittelt wird. Die Moderne Beharrung auf die Autonomie des künstlerischen Mediums verdeutlicht paradoxerweise im digitalen Zeitalter die Unverzichtbarkeit der Kunst auf ihre geschichtliche Dimension. Die digital erzeugte Kunst erweist sich dort als ein lebendiges künstlerisches Medium, wo sie ihren Fokus nach außen richtet. Dies zeigt sich in unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten: Klassenkampf, Rassenkampf, Kulturkampf, die Geschwindigkeit der Lebensbedingungen, die Atomisierung des Subjekts, das Verschwinden der Natur, Positionen, die gesellschaftliche Kontroversen zum Ausdruck bringen. Das Moderne dialektische Werk, das aus der Gesellschaft kommend mit aller Kraft seine Autonomie verteidigte, erfährt in der Immaterialität der Cyberwelt die Überschreitung seiner eigenen Medialität. Jenseits aller experimentellen künstlerischen Strategien zeichnet sich eine Verschiebung in tieferliegenden Bedeutungsschichten der Kunst ab. Die Entwicklung der zeitgenössischen Kunst zeigt eine andere Tendenz, als die der Kunst zu Anfang des 20. Jahrhunderts. In der digitalen Bilderwelt ist eine interessante Rückwendung zu gesellschaftsrelevanten Themen, zum sozialen Kontext des ästhetischen Zeichens zu beobachten. Sie erlangt ihren informatorischen Charakter nicht vorrangig durch ihre Sprachform sondern durch ihre Fähigkeit, die Strukturen außerhalb der künstlerischen Sprache zu erkennen und sie zum Ausdruck zu bringen. Es scheint so, dass je lebloser, menschenleerer das Medium wird, desto stärker das Bedürfnis nach menschlichen Denkmustern wächst. Überall dort wo das Medium Technik sich selbst zur Schau stellt, wirken die Bilder wie leere Zeichen, ohne jegliche Reflexionsdimension, mit der die Teilnahme des Betrachters angeregt werden könnte. In den sich selbst animierenden Musterfolgen von digitalen Bildern sucht man vergeblich nach Gedankenmustern, nach der Logik einer Struktur; nostalgische Erwartungen von Bedeutungsformationen dürfen erst gar nicht in Betracht gezogen werden. Die Computer und digital erzeugten Bilder werden als ein Produkt von technischen Bildauf-
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Zur Zeichenstruktur photographischer Bilder nahmen und einprogrammierten Formeln rezipiert, deren Urheber eher als ein Informatiker als ein Künstler bezeichnet werden kann. Auffällig ist dagegen, dass Werke, deren strategischer Aufbau entgegen des Gesetzes der digitalen Welt angelegt ist, vollendeter erscheinen und eine Tiefendimension erweisen, die Möglichkeiten zur ästhetischen Entfaltung zulassen. Gelungene Beispiele digital konstruierter Werke finden wir vor allem in denjenigen, deren zentrales Thema der Mensch mit seinen Ängsten und Träumen bleibt. Gewalt, Ausgeschlossenheit, Einsamkeit, Heimatlosigkeit und die Suche nach Freiheit sind die Themen, mit denen wir mittels vieler Werke konfrontiert werden, und dies durch ein Medium, das aus dem gleichen Stoff geformt ist, der als die Ursache dieser Entwicklung fungiert, nämlich die Technik. Parallel zum gesellschaftlichen Aspekt ist es solchen Arbeiten gelungen, auch als manifeste Auseinandersetzungen mit dem Medium Technik verstanden zu werden. Zum Beispiel bringt die übertriebene Langsamkeit einer filmischen Darstellung in einer Installation die rasende Geschwindigkeit unseres Alltags zum Vorschein, während vollständig digital produzierte Bilder die Kälte des digitalen Lichts und die Enge der technisch-gestalterischen Grenzenlosigkeit spürbar machen. Am Beispiel der photographischen Sprache, als das prototypische technische Reproduktionsmedium der Kunst, lassen sich viele der genannten Züge verdeutlichen. Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung des photographischen Mediums auf die Grundstrukturen ihrer Sprache und ihrer Grammatik? Das photographisch erzeugte ästhetische Bild befindet sich im Zeitalter der Digitalisierung in einer Art Selbstfindungsprozess. Der Wandel seiner ästhetischen Wahrnehmung manifestiert sich vor allem darin, dass es seinen Zeichencharakter nicht mehr durch seine ursprüngliche Rolle des mechanisch exakten Abbildens sichern kann. Als reine Abbildung verliert es seinen informatorischen Charakter, denn es wird zur Mitteilung. Dies wiederum gefährdet seine ästhetische Legitimation. Es steht allerdings fest, dass die Digitalisierung des ästhetischen Mediums keineswegs die Photographie als künstlerisches Medium verdrängt hat. Die Entwicklung der künstlerischen Produktion der letzten Jahre zeigt eher eine erhöhte Dominanz des photographischen Ausdrucksmittels. Je mehr das neue Medium der digitalen Sprache als Kommunikationsform an Vormarsch gewinnt, desto entschiedener verteidigt die Kunst das tradierte Medium der Photographie. Den Höhepunkt ihrer künstlerischen
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft und die damit verbundene feste Etablierung als eine ästhetische Ausdrucksform erreichte sie in den sechziger Jahren, eine Phase, in der die Photographie ihren politisch-dokumentarischen Charakter mit den künstlerischen Ansprüchen verbunden, hat wie zum Beispiel die Photoarbeiten von Gerhard Richter dies zeigen. Die Parallele zwischen der heutigen Entwicklung der künstlerischen Strategien und derjenigen zur Zeit der Maschinalisierung des Bildes ist unübersehbar; der Abschied von dem konkreten mechanischen Medium der Photographie führt zu einer Intensivierung ihrer sprachlichen Ausdrucksfähigkeit und zur Reflexion über die Besonderheiten und die ästhetischen Eigenschaften der photographischen Sprache. Dies verursacht eine laborähnliche Situation nicht nur im Bereich des photographischen Mediums, sondern im Gesamtbereich der künstlerischen Produktion; eine nahezu hektische Stimmung, die noch einmal und gründlich wissen will, was die Sprache der Photographie, nämlich die Sprache der mechanischen Reproduktion der Kunst anbietet, um – über die Beherrschung dieser Sprache – der Kunst eine gewisse Kontrolle über ihre Entwicklung zu sichern. Dabei entwickelt sich die Photographie durch ihre Konfrontation und Auseinandersetzung mit der Technologisierung der ästhetischen Produktion und der damit verbundenen ästhetischen Wahrnehmung in verschiedene Richtungen, die zunächst mit den Begriffen Repräsentationen und Manifestationen erklärt werden können. Mit photographischen Repräsentationen sind Werke gemeint, die das photographische Medium als reine Darstellungsmittel anwenden. Sie erzeugen Bilder von statischen Zuständen, da sie vorrangig statische Wirklichkeiten darstellen und vermitteln. Auf dem ersten Blick bleibt die Mitteilung der Repräsentationen auf einer eindeutigen, verständlichen und realistischen Ebene. Die geschlossenen Strukturen dieser Bilder lassen keine freien Interpretationsmöglichkeiten zu; sie zwingen den Betrachter in eine passiv konsumierende Rolle. Als Zeichen sichern sie einen reibungslosen Kommunikationsprozess: das Bild erfüllt seine abbildende Rolle, die Botschaft wird eindeutig vermittelt, der Rezipient versteht die Botschaft. Vollständige Verwertung der bildlichen Botschaft.
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Zur Zeichenstruktur photographischer Bilder Abb. 7: Andreas Gursky. Paris, Montparnasse, 1993.
Die semiotischen Strukturen der photographischen Repräsentationen sind wiederum Abbildungen der semiotischen Strukturen des kulturellen Zeichens: • Auf der Formebene des Inhalts sind eindeutige Botschaften zu lesen: Häuser, Konsumgüter, Landschaften etc.; Fragmente der globalisierten Kultur. • Auf der Inhalts- und Formebene der Form haben die Botschaften keine realen Objekte, da sie digital erzeugte Scheinbilder sind. Auch in dieser Hinsicht bleiben sie authentische Reproduktionen der kulturellen Realität. Die Sprache der photographischen Repräsentationen sind perfektionierte Nachahmungen der gesellschaftlichen Strukturen im Zeitalter der digitalen Konsumption. Die Dominanz des mimetischen Moments sperrt jeglichen Zugang zur ästhetischen Relevanz des photographischen Mediums. Die makellose Inszenierung der digital manipulierten Bilder erzeugen Konnotationen des erhabenen Zustandes und bejahen damit die Illusionen der simulierten Bilderwelten. Da die digitale Photographie nicht mehr ungehindert auf ihren dokumentarischen Charakter rekurrieren kann, rückt die Sprache des photographischen Mediums näher an die Grenze ihrer Obsoletheit. Die großformatigen makellosen Bilder wirken wie ästhetisch komponierte Abbildungen eines Lebensraums, in dem der Mensch als Individuum nur in seiner Vermassung und Vermarktung hervortritt. Die photographischen Repräsentationen sind zweifellos Augenzeugen der dezentrierten Gesellschaft, anonym und unüberschaubar für den Einzelnen. Als Zeichen allerdings bleiben sie künstliche im Gegensatz zu künstlerischen, während sich die Kategorie des Ästhetischen auf die Ebene des Schönen beschränkt.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Die formalen Kategorien der Bildfläche erzeugen weitere Bedeutungsebenen. Die Konfrontation mit den großformatigen Architekturdarstellungen wiederholt und verstärkt das Gefühl des Flanierens in einer Großstadt, in der wir die Überdimension des urbanen Raums nahezu infusionsartig vermittelt bekommen. Das Gefühl des Gefangen-seins, eingesperrt in der Unendlichkeit des diffusen Raums lässt uns nicht los. Die Überdimensionalität unseres kulturellen Raums und die Ohnmacht des Individuums demgegenüber wirken durch die Größenrelation der dargestellten Figuren zum architektonischen Raum der Bilder verstärkt. Die Kamera übernimmt die Rolle einer Komplizin, die nahezu zynisch uns vorzeigt, was der Mensch aus seiner Phantasie geschaffen hat und wie er sich zum Gefangenen dieser Phantasie gemacht hat. Trotz der technischen Perfektion, der Strenge der graphischen Eigenschaften und des stilistischen Glanzes dominiert in diesen Bildern das düstere Gefühl der Orientierungslosigkeit. Die Raumstruktur der Bildfläche widerspiegelt die Raumstruktur der globalisierten Welt, durchkalkuliert und amorph zugleich. Es sind auch andere künstlerische Strategien und Umgangsformen mit der digitalen Sprache zu beobachten. Digital komponierte Bilder – wie das Beispiel „Made in Bosnia“ aus dem Projekt „Human Condition“ – verstärken dagegen die Anonymität der digitalen Sprache. Obwohl die Formebene dieser Bilder klare Mitteilungen vermitteln, wie die Konnotation dies ist eine DamenHandtasche, wirken sie wie Rätsel für unsere bildnerische Wahrnehmung. Die Rätselhaftigkeit nimmt direkten Bezug auf das „Gemachtsein“ des Objektes: auf seine Technik. Auf der formalen Ebene liefert die digital erzeugte Struktur des Objektes die zentrale Information des Werks. Die Informationen, die wir auf dieser Ebene haben, sind die Möglichkeiten der digitalen Sprache, das heißt die Technik des Werks.
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Zur Zeichenstruktur photographischer Bilder Abb. 8: Anur. Made in Bosnia, 2001.
Versuchen wir die Bedeutungsebenen der Inhaltsebene zu analysieren, stellen wir ein interessantes Ergebnis fest: Lesen wir die Zeichen auf der Formebene des Inhalts, finden wir eine ähnliche Information; dies wird ergänzt durch die Information, dass die Darstellung der Tasche eine stilistische Ähnlichkeit mit den Reklamen hochwertiger Markenprodukte hat. Die Ästhetik der Makellosigkeit des Erhabenen und der Glanz werden hier konnotiert. Mit der Information auf der Inhaltsebene des Inhalts dies ist eine Damentasche, die aus menschlicher Haut angefertigt worden ist erlangt das Bild seine Brisanz. Vergleichen wir die Informationen – vermittelt durch die verschiedenen Ebenen des Werks – lesen wir eine explizite Kritik an die digitalisierte und technisierte Welt. Die digital erzeugte Welt kann zu unmenschlichen Verhältnissen führen. Die strukturellen Spannungsbeladenheiten zwischen den bildinternen Bedeutungsebenen verwandeln das Werk in ein dynamisches Zeichen. Eine weitere künstlerische Richtung zeigt sich in photographischen Manifestationen, deren Hauptmerkmal die Selbstreflexivität bildet. Hier werden die digitale Sprache und ihre Möglichkeiten mit der Nüchternheit der mechanischen Aufnahmeverfahren konfrontiert. Kein technisches Licht, kein Stativ, kein Blitz. Die Bildmuster sind festgehaltene Momente des Sehens und des Wahrnehmens. Die semiotische Analyse dieser Bilder zeigt eine Ähnlichkeit mit der modernen Abstraktion; das Fehlen des künstlichen Lichtes, der eindeutigen Botschaften, der beabsichtigten Inszenierung verweisen auf die Bedingtheiten der photographischen Sprache: Phototechnik, Photomotiv, photographische Dokumentation.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Indem die Werke abstrakte Züge zeigen und eine buchstäblich transparente Sprache anwenden, schaffen sie Zugänge zu weiteren Bedeutungsebenen: das Bildzeichen formiert sich im Vorgang der Signifikation. Auch hier fehlt die menschliche Gestalt in der Bildkonstruktion, nichtsdestotrotz wirken sie dynamisch und voller Lebendigkeit, da sie das individuelle, das innere Sehen manifestieren und zugleich universale Momente der Wahrnehmung darstellen. Darüber hinaus erzeugen sie eine neue ästhetische Schicht durch die Individualität des einzelnen Bildes. Die Bilder sind keine Wiederholungen oder Variationen eines Themas, vielmehr sind sie Manifestationen der bildlichen Strukturen, die ihrerseits die Strukturen der visuellen Wahrnehmung manifestieren. Die technisch erzeugten Projektionen sind keine hyperrealen Phantasiebilder, sondern tief in unserer Wahrnehmung verwurzelte Bildmuster, die durch das genaue Hinsehen zum Zeichen werden, das heißt mit Bedeutung beladen werden. Darin liegt auch die erfrischende Dynamik diese Bilder. Sie ermöglichen erfahrbare Räume und wirken wie Oasen in einer in Bildern und künstlichen Zeichen versunkenen Welt. Die Arbeiten von Bianca Hobusch lassen eine neue Dimension der photographischen Entwicklung erkennen. Sie setzen die photographische Aufnahme als ein künstlerisches Medium ein, um über abstrakte subjektive und individuelle Perspektiven, die Universalien der bildhaften Wahrnehmung zu finden. Die Dynamik wird vor allem durch das dynamische Arbeitsverfahren erzeugt. Verzicht auf festgelegte Standpunkte, Verzicht auf hoch entwickelte technologische Aufnahmeverfahren, Verzicht auf Manipulation der photographischen Qualität. Anders als die photographischen Repräsentationen entsteht das endgültige Bild schon im Moment seiner Aufnahme. Die künstlerische Funktion wird auf die ausführende Rolle reduziert und die künstlerische Wahrnehmung agiert stellvertretend für die menschliche Wahrnehmung. Darin liegt auch ihre gesellschaftliche Relevanz. Das Aufblitzen von bildinternen Schichten und die Überlappung von Zeichen machen abstrakte Grenzen sichtbar. Die folgenden Beispiele sind zwei Aufnahmen aus der Serie Florenz 2002.
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Zur Zeichenstruktur photographischer Bilder Abb. 9: Bianca Hobusch. Florenz 1, 2002.
Abb.10: Bianca Hobusch. Florenz 2, 2002.
Die Informationen der Abb.9 nehmen primär auf die Struktur der Bildfläche Bezug, während sich die Informationen der Abb.10 auf unsere visuelle Wahrnehmung beziehen. Beide Bilder präsentieren komplexe Kodierungen, sie entziehen sich jeglicher Bedeutungszuschreibung und haben dennoch eine klare Botschaft: es sind Bilder der visuellen Wahrnehmung, so wie wir die Welt sehen und die Zeichen der visuellen Welt lesen. Die abstrakte künstlerische Sprache thematisiert daher die Strukturen der visuellen Wahrnehmung. Das erste Bild kommentiert Stofflichkeit, Bildstruktur, Leichtigkeit, das zweite Bild Räumlichkeit, Überlappung, zufällige und dynamische Bildkomposition und schließlich Auflösung. Fern von monumentalen Momenten und deren visuellen Ideologien konzentrieren sich diese Bilder auf Augenblicke, die wie ein synchronischer Querschnitt im zeitlichen Fluss der visuellen Aufnahme wirken. Jedes Werk ist die Darstellung und die Aktivierung von stillen Augenblicken, die Bildstrukturen verräumlichen. Die Lektüre der Zeichenstrukturen der photographischen Werke zeigt eine Verschiebung und vielleicht eine Neupositionierung der Zeichenelemente im Prozess ihrer Semiose. Die Unterbrechung des Informationsflusses, die Abwesenheit einer eindeutigen Botschaft oder die Doppelfunktionen bestimmter Zeichenelemente entfalten als negative Momente ästhetische Bedeutungsebenen. Vergleichen wir diese Entwicklung mit der gesellschaftlichen Struktur, stellen wir interessante Parallelen fest: auch die gesellschaftlichen Formen erleben eine Neupositionierung der
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Zeichenelemente im Kommunikationsprozess. Während durch die digitale Sprache der gesellschaftlichen Kommunikationsformen Übergänge und Grenzen verwischt werden, um zu einer allgemein verständlichen universalen Sprache zu gelangen, was uns in einen auratischen Rausch des Informationskonsums versetzt, erlangen die Kunstwerke ihre ästhetische Legitimation vor allem durch ihre Fähigkeit, die Spuren der verwischten Grenzen zu sichern. In dieser Hinsicht bewahren die photographischen Manifestationen die klassische Funktion des photographischen Mediums, nämlich seinen dokumentarischen Charakter. Dass sie diese mit einer zeitgenössischen Sprache zum Ausdruck bringen, bekräftigt ihre Authentizität. Es scheint so, dass gerade im digitalen Zeitalter, das im Begriff ist gewohnte Wahrnehmungsmuster, wie die der Zeit und des Raums, nach und nach aufzulösen, die Kunst durch ihre Zeichenhaftigkeit mehr denn je gesellschaftlich und kulturpolitisch unerlässlich geworden ist.
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Das poetische Bild in der Videokunst
„Die Einzigkeit des Kunstwerks ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition. Diese Tradition selber ist freilich etwas durchaus Lebendiges, etwas außerordentlich Wandelbares.“ 1 Walter Benjamin
Maschine als Spiegelbild des Menschen in der Videoinstallation Eine besondere Form der bildnerischen Darstellung zeigt die Kunst der Videoinstallation. Zentrale gestalterische Elemente bilden die menschliche Anatomie, sowie deren elektronische und digitale Handlungsspuren. Der menschliche Körper bildet stets einen spannungsbeladenen Orientierungspunkt in der Entwicklung der Kunstgeschichte. So gewann der Künstler durch das Studium der Anatomie Einblicke in das physiologische Pendant des Geistes. Die Gesetze des menschlichen Körpers zu begreifen, bedeutete die Beseeltheit des Menschen zu erfassen. Es war somit eine natürliche Entwicklung, dass die Kunst seit der Entdeckung der anatomischen Geheimnisse den Rezipienten zum konstitutiven Teil des Werkkonzeptes gemacht hat. Neben den anatomischen Darstellungen sicherte sich auch die geistige Visualität ihren Platz in der bildnerischen Gestaltung. Zahlreiche Beispiele finden wir in künstlerischen Strategien, die sei es durch die Verwischung von klaren Konturen, durch das Verbergen von Bedeutung oder einfach durch die Reduktion des Bezeichneten auf abstrakte Gestaltungsmuster die Phantasie des Rezipienten
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Benjamin. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzier barkeit. S. 16.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft anregen und das Interpretationsfeld dynamisieren. Auch diese Grundidee – Kunst als Ort der freien Entfaltung des menschlichen Geistes und seiner Wahrnehmung – finden wir in der Kunst der Videoinstallationen wieder, allerdings in den mehrdimensionalen Perspektiven des Hörens, des Sehens und des Fühlens. Wie kein anderes Kunstgenre exemplifiziert die Kunst der Videoinstallation die Schnittstelle zwischen dem anatomisch Körperlichen und dem technisch Maschinellen. Ausgangspunkt und Referenzebene des Bildprozesses bildet der menschliche Körper sowohl als semantisiertes Gestaltungselement wie auch als abgebildete Wahrnehmungsstruktur. In dieser Hinsicht bleibt sie trotz der technologischen Sprache tief in der Tradition der westlichen Kunst verankert. Semiotisch relevant ist in diesem Zusammenhang die Funktion des menschlichen Körpers im Prozess der Semiose. So bildet zum Beispiel in den konzeptuellen Videoinstallationen der Mensch den Mittelpunkt des Zeichenprozesses. Er ist nicht nur der Sender und der Leser von Zeichen, sondern wird zugleich als Medium der Bedeutungsgenerierung begriffen. In den Videoinstallationen bildet der Mensch den Mittelpunkt der Zeichenhaftigkeit des elektronischen Mediums; er wird zur Verkörperlichung der Semiose und ermöglicht durch seine Wahrnehmung die Syntheseebene der Bedeutungsproduktion. Dass die Videoinstallationen, und im allgemeinen Sinne jegliche Art von Installationskunst, den menschlichen Körper zum zentralen Fokussierungspunkt ihrer Arbeiten machen liegt auf der Hand. Der menschliche Körper entfaltet, segmentiert und koordiniert den Bedeutungsraum durch die Multidimensionalität seiner Sinne: den haptischen, den akustischen, den visualen Sinn. Darüber hinaus öffnet die menschliche Wahrnehmung eine Metaebene der Bedeutungsschichtung, die als eine selbstreflexive Zeichenhaftigkeit beschrieben werden kann, in der der Mensch als Zeichenträger, Zeichensender und Zeichenempfänger fungiert. Der synästhetische Raum des menschlichen Körpers ermöglicht auf einer Metaebene der Semiose die Dynamik der Semiosizität. So wie die Dynamik in der Synthese der Zeichenproduktionsebenen erst in der menschlichen Wahrnehmung dekodiert wird, erzeugt der Akt der Dekodierung weitere Signifikationsebenen. So zum Beispiel dekodiert der Betrachter die amorphen Bewegungen der digitalen Bild- und Farbflächen erst im Anschluss an die digitalen Klänge nicht als Farb- und Klangkombinationen, sondern als audio-visuelle Zeichen. Die Synthese der audio-
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Das poetische Bild in der Videokunst visuellen Medien mündet in ein abstraktes Medium, nämlich im Medium der Bewegung. Damit öffnet die intermediale Komposition den kinematographischen Raum und führt die Kategorie der Zeit in das Werk ein.
Die polyphone Ausdrucksform der Videoinstallationen und ihre poetische Intermedialität „Doch wodurch manifestiert sich die Poetizität? – Dadurch, daß das Wort als Wort, und nicht als bloßer Repräsentant des benannten Objekts oder als Gefühlsausbruch empfunden wird. Dadurch, daß die Wörter und ihre Zusammensetzung, ihre Bedeutung, ihre äußere und innere Form nicht nur indifferenter Hinweis auf die Wirklichkeit sind, sondern eigenes Gewicht und selbständigen Wert erlangen.“2
Ähnlich wie die Erfindung der Photographie und ihre Anwendung als ein künstlerisches Medium mit einem Verlust der ästhetischen Aura3 verbunden war, so lässt sich durch die Video-Kunst eine entgegengesetzte Tendenz beobachten. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts suchten Künstler neue Ausdrucksformen und Medien, um den Zeitgeist der technisierten Welt aufzufangen und in einer adäquaten Form zum Ausdruck zu bringen. Künstler der Fluxus-Bewegung zum Beispiel experimentierten in zahlreiche Richtungen; gemeinsame Ziele bildeten unter anderem die vollständige Befreiung vom künstlerischen Feld und seinen marktpolitisch bestimmten Zwängen, Kritik an der manipulativen Funktion der Massenmedien und ihrer oktroyierten Bildformen. So verstanden die Pioniere der Video-Installationen ihre Arbeiten als eine neue Sprachform, in der die im Zeitalter der Massenmedien verstümmelte Freiheit des Individuums – der Sprechakt, der parole, das Moment der performance – zur zentralen Idee des Werks erhoben wurde. Dies wurde zugleich als eine Gegenstrategie gegenüber der medialen Verblendung der individuellen Wahrnehmung gedacht.
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Jakobson. Poetik. S. 79. In ihrer Benjaminschen Bedeutung der Aufhebung der geschichtlichen Distanz.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft
Wie das Wort bereits impliziert, besteht die Ausdrucksebene der Video-Installationen, die audio-visuelle Sprache, aus zumindest zwei Zeichensystemen: • dem visualen und • dem akustischen Zeichensystem. Dem visualen Zeichensystem wird innerhalb der westlichen Zivilisation schon immer eine Priorität eingeräumt und mit den Kategorien der Wirklichkeit und Objektivität in Zusammenhang gebracht. Die akustische Sprache dagegen wird eher als emotional definiert; Zeichen-Hören, als ein subjektiv erlebter Prozess, wird gleich mit Geheimnisse-Hören assoziiert. Während das Sehen als eine ordnende und strukturierende Tätigkeit verstanden wird, wird der Klang eher als chaotisch und zerstreuend definiert. Die video-künstlerische Auseinandersetzung mit dieser Problematik öffnet Artikulationsräume, die jenseits der Strukturen der einzelnen Sprachsysteme eine neue, momenthafte, subjektiv gestaltete und dennoch konkrete Kommunikationsform produziert. Auffällig dabei ist die vollständige Überwindung der Dominanz der Wortsprache, die ohne einen Verzicht auf die Individualität der Stimme vermieden wird. Wie jede Form einer non-verbalen Sprache setzt auch die audio-visuelle Ausdrucksform ein doppeltes Artikulationssystem voraus: • Als eine non-verbale Sprache ist sie vor allem ein Verhaltenssystem, eine Interaktion, die mehrere Kommunikationssysteme umreißt. • Jedes dieser Systeme befindet sich in einer engen Relation zu den anderen Systemen und bildet selbst ein neues Zeichensystem. Die audio-visuelle Sprache bildet daher ein Zeichensystem, das • visuale Zeichenträger, die eher ikonischer Natur sind, mit • akustischen Zeichenträger poetischer Natur verbindet. Darüber hinaus spielt für die audio-visuelle Kunstform der Videoinstallationen die Kategorie der Aufführung in zweierlei Hinsicht eine wichtige Rolle: • als die maschinelle Aufführung der audio-visuellen Sprache und • als die aktive Anteilnahme des Betrachters, der durch die interaktive Teilnahme am Werk eine weitere Ebene der Aufführung entfaltet.
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Das poetische Bild in der Videokunst Die Interaktionen zwischen all diesen Kategorien umreißen den poetischen Raum der künstlerischen Erfahrung. Die Analyse konkreter künstlerischer Beispiele verdeutlicht die Komplexität der Struktur audio-visueller Zeichensysteme.
Werkbeispiele: Die Gruppe „Granular Synthesis“ Das digitale technologische Medium hat in einer rasanten Geschwindigkeit die Kunstwelt erobert, so dass der Besuch großer Kunstausstellungen den Eindruck eines digitalen Rausches hinterlässt. Die Akzeptanz des technologischen Mediums wirkt nahezu euphorisch, Oasen der ästhetischen Reflexion über die Auswirkungen des Mediums sind leider selten zu finden. Ausnahmen sind die einen sehr intensiven diskursiven Raum gestalten, der den Zustand der Kunst und der Wahrnehmung im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit reflektiert. Arbeiten wie die der Künstlergruppe Granular Synthesis, eine der Pioniere der audio-visuellen Kunst, führen den Betrachter in eine elektronisch-digitale Welt, die die Intensität unserer medialen Erfahrung repräsentiert. Die Künstler der Gruppe Granular Synthesis entwickeln und erforschen künstlerische Strategien als Antworten auf die Frage nach möglichen Orten des Subjekts angesichts technologischer Beschleunigung der Wahrnehmung und Produktion, sowie für die Konstruktion von adäquaten Handlungsfeldern im Rahmen dieser Beschleunigung. Durch die direkte Intervention unserer auditiven und visuellen Wahrnehmung verräumlichen die Videoperformances den Ort des Subjektes in der elektronisch manipulierten Zeichenwelt. Sie inszenieren elektronische Welten, die die Sinne der Betrachter in hohem Maß beanspruchen. Durch ihre symphonischen Vorführungen des amalgamierten Mediums aus Bild und Ton produziert Granular Synthesis emotionale Welten, die den Betrachter direkt ansprechen, ihn umhüllen und überwältigen. Die Arbeitsweise der Granular Synthesis folgt der Logik der Dekonstruktion. Zunächst werden traditionelle künstlerische Kategorien, wie die Abwesenheit des Autor-Subjekts, die Einmaligkeit des künstlerischen Ortes sowie der kreativen ästhetischen Instanz, radikal verletzt. Das Medium bleibt abstrakt. In den Farb- und Klanglandschaften der Video-Arbeiten fehlt jede Art formaler Gestaltung. In der Flüchtigkeit der digitalen Bilder verflüchtigt sich der Zeichenträger, dennoch hinterlässt das
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Zeichen Spuren, die mehr als ein Signifikat, als eine Art Prägung von Signifikaten auf dem Körper des Betrachters bleiben. Die audio-visuelle Technik verbindet zwei Ausdrucksebenen: das Bild und den Klang. Allerdings entsteht durch die Verflechtung der beiden Ausdrucksformen eine dritte Form: das audiovisuelle Medium. Der Name Granular Synthesis bezeichnet auch eine Technik der Informationsbearbeitung, die meistens in der Synthetisierung von digitalem Audiomaterial Anwendung findet. Die Collage einer Reihe sehr kurzer Samples erzeugt eine granulare Klangsynthese. Ausgewählte Klänge (bzw. Bilder) werden auf winzige Fragmenten oder Teilchen (Körnern) reduziert, um wieder als Ganzes neue, granulierte Klang- oder Bildkontinua – Diskontinua – hervorzubringen. Der Ausdruck Granular Synthesis bezeichnet gleichzeitig die Technik, die in den Arbeiten der Gruppe vorwiegend angewandt wird. Die Installationen produzieren die Illusion des wirklichen Lebens, indem sie die Geräusche und die Gesten des menschlichen Körpers in digitale Zeichen transformieren. Menschen werden zu Maschinen als Videobilder und in synchronisches Audiomaterial zerlegt. Durch eine neue Zusammenstellung der Teile werden sie zu Ganzheiten mit neuen Verhaltensmustern. Die Radikalisierung des menschlichen Zustandes als einen maschinellen zitiert den gesellschaftlichen Zustand des Menschen in Zeitalter des Cyborgs. Der künstlerische Raum der audiovisuellen Räume präsentiert das Spiegelbild der gesellschaftlichen Evolution. Die Verfremdung der menschlichen Form durch die maschinelle Darstellung wird vor allem durch das Tonmaterial vollzogen. Das radikal dekonstruierte Audiomaterial und ihre Synchronisierung mit den granulierten Videomenschen werden durch die pulsierende Klangmasse verstärkt. Der digitale Klang geht wellenförmig vom Videobild aus, umhüllt den Beobachter und verstärkt die Intensität der Erfahrung als audio-visuale Masse. Der ästhetische Raum wird zum pulsierenden Raum der akustischen Interferenzen und der Neuordnung der Videofragmente, während ihre Konsistenz stets im Fluss in verschiedenen Graden von Dichte und Masse bleibt. Granular Synthesis verwandelt den menschlichen Körper und umhüllt das Publikum durch KlangDruck und Bilder-Masse. Die gleichberechtigte Darstellung des Mensch-MaschinenKomplexes lässt eine weitere Interpretation zu: die maschinelle
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Das poetische Bild in der Videokunst Autorenschaft, in der die Darstellung der Maschine menschliche Züge annimmt. Der Video/Audio-Computerprozessor der Arbeiten Granular Synthesis definiert die wichtigsten Eigenschaften des maschinellen Daseins mit Hilfe von Bildern und Klängen: Geschwindigkeit, Präzision, unnatürliche Kontrolle. Sie versteht sich als die Darstellung des Bildes und der Stimmen des Menschen bei unnatürlichem Verhalten. Die Maschine der Granular Synthesis ermöglicht uns, den menschlichen Körper auf gänzlich neue Art und Weise zu sehen. Die Möglichkeit, absolut frei von früheren kausalen Ordnungen zu sein, nicht einmal gebunden an die Logik von Ursache und Wirkung in der Körpersprache, der Syntax körperlicher Kommunikation, stellt neben dem kritischen Moment auch eine Art von Befreiung dar. Die Installationen erzeugen digitale emotionale Welten, deren Intensität fast atmosphärischen Druck bei dem Betrachter erzeugt. Auch auf der Ebene der Werkgestaltung werden verschiedene Bedingtheiten anhand der folgenden Dichotomien verletzt: • konkret/abstrakt: das traditionell konkret definierte Darstellungsmedium zeigt abstrakte Eigenschaften, die mittels einer traditionell abstrakten Kategorie der Emotion konkretisiert wird. Das abstrakte digitale Klang- und Farbmedium wird durch die Empfindung konkretisiert. • Informationsträger/Informationssender: die ursprünglich passive Funktion der Leinwand als eine Projektionsfläche wird in eine aktive zeichenprojizierende Fläche transformiert, die polyphone Lautbilder ausstrahlt. • Produzent/Rezipient: der Körper des Beobachters bildet in dieser Konstellation eine zentrale werkgestalterische Kategorie. Er bildet einen Raum der Erfahrung, deren Positionierung in der bildnerischen Architektur als Zielscheibe oder Spiegelfläche agiert. • Außenraum/Innenraum: die Erfahrung des Betrachters, sowie der Bilderfluss produzieren ein dynamisches Zeichen, das dennoch ein abstraktes bleibt. Das elektrische Feld wird zum energischen Feld, der Körper erlebt die Aggression, den Druck, den Lärm. Das Kunstwerk befindet sich nicht mehr in dem traditionell definierten ästhetischen Vakuum, in einem Raum des Hier und Jetzt. Die künstlerische Autonomie und das gesellschaftliche Subjekt verschmelzen im virtuellen Raum der elektronischen Nachrichten.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Auf einer Metaebene werden durch die Durchbrechung einer Reihe medialer Bedingtheiten neue Bedeutungsebenen generiert. So zum Beispiel durch die Verschmelzung zwischen dem kinematographischen und dem Wahrnehmungsraum. Auf einer ersten Ebene scheint die Bedeutung des Werks durch die Interaktivität des medialen Ereignisses hervorgerufen. Allerdings konnotiert die Dominanz des Klangs eine Gegenüberstellung von mindestens zwei Stimmen. Die damit verbundene Implikation eines Dialogs verstärkt wiederum die Abstraktheit des Bezeichneten; noch stärker irritiert der maschinelle Ursprung der Stimme: ihre digitale Autorität. Das Objekt Maschine und seine digitale Sprache steht als gleichberechtigter Partner vis a vis dem Subjekt Mensch. Diese neuartige Positionierung führt zu Fragen über die Grundvoraussetzung des kommunikativen Aktes: • Kann es eine Kommunikation zwischen einem Objekt und einem Subjekt geben? • Welche Auswirkungen hat sie auf das Schema der Semiose? • Was geschieht mit der linearen Gerichtetheit der semiotischen Achse des Modells Bezeichnende --- Bezeichnete? Die Symbiose von Klang und Bild und die Abwesenheit einer eindeutigen Darstellung führen das Zeichenfeld zum Ursprung der Zeichenproduktion, zum Menschen zurück. Hier wird der Mensch zum Zeichenträger des maschinellen Senders. Auf dieser Ebene des sekundär-modellierenden Systems der audio-visuellen Sprache und ihrer metastrukturellen Ordnung berührt das Werk die ästhetische Sphäre der künstlerischen Sprache, in der die transformierende Essenz der Bedeutung zum Vorschein kommt.
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Das poetische Bild in der Videokunst Abb. 11: Werkbeispiel: NoiseGate-M6
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Die Installation „NosieGate-M6“ besteht aus sechs großen Projektionsleinwänden, jede 6 Meter hoch und 4,5 Meter breit, die sich in einem absolut dunklem Raum befinden. Die Leinwände beschreiben den Weg durch einen Innenraum, in dem durch fensterartige beleuchtete Bilder verschiedene Ansichten eines menschlichen Kopfes gezeigt werden. Der Kopf zeigt ein Spektrum von Verhaltensweisen in gleichzeitig präsentierten Phasen. Die dunklen Gänge bilden eine dichte Lärmumgebung, die in das Unterbewusstsein der Betrachter eindringt und als Schalldruckwelle empfunden wird. Die Klänge in dem dunklen Raum wirken geheimnisvoll, während die visuellen Frequenzen des Verhaltens in den lichtdurchfluteten Projektionen des menschlichen Kopfes eine eindeutige Zeichensprache sprechen. Durch die Ansammlung und Schichtung von sonischen und subsonischen Wellen wird das akustische Feld mit Gewicht und Intensität beladen. Wie der Titel der Arbeit schon impliziert, bestimmt der Faktor des Lärms die Identität des Werks. Der künstlerische Stil der maschinellen Granulation wird angewandt, um die Realität – die Körperlichkeit – eines menschlichen Subjektes zu dekonstruieren, zu zerschlagen, abzubilden, einzugrenzen und zu isolieren. Die Kategorie der Kontrolle wird durch das bildnerische Motiv des Käfigs verstärkt. Der Käfig repräsentiert den segmentierten und isolierten Raum, der von außen manipuliert und analysiert werden kann. Die Maschine als Beobachter und als Generator unserer Welten wird zum Instrument der Phantasie erhoben. Die Informationen, die durch die Maschine „NoiseGate-M6“ bearbeitet werden, bilden ein menschliches Datenfeld, das ähnlich wie bei dem Gebrauch von Geräten, durch die Anwendung einer Instrumentalität transkribiert wird. Das Menschsein wird hier präzise von einer Maschine dargestellt. Auf der einen Seite besteht das Werk aus lichtdurchfluteten, visualisierten Innenräumen und auf der anderen Seite aus einem dunklen, formlosen, pulsierenden akustischen Außenraum. Dieses Spannungsfeld erzeugt Unsicherheit und stimuliert das assoziative Denken des Besuchers. Der Eintritt in die Installation wird durch automatische Pneumatikdoppeltüren reguliert. Der zweite Grundpfeiler der künstlerischen Komposition nach der Kategorie des Raums, der zeitliche Rahmen, wird durch eine Endlosigkeit gekennzeichnet. Die mechanische Projektion der Installation wird pausenlos aufgeführt. Es werden von den Künstlern kleine Änderungen im Ablauf vorgenommen. Bewegungssensoren geben einen Teil der Steuerung an das Publikum ab. Das Motiv des menschlichen Verhaltens verschiebt sich
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Das poetische Bild in der Videokunst wellenförmig. Der Betrachter genießt die Erfahrung der polyrhythmischen Bewegungen. Werden jedoch solche Muster einem eingesperrten Wesen aufgezwungen, führt es zum Verfall der geistigen Anteilnahme, zum Verlust der Motorik. Die Installation zeichnet den Weg des Übergangs vom organischen, lebenden, kommunizierenden Subjekt zum fragmentierten, atomisierten, granularen Wesen. Die dargestellten Bewegungszyklen verfestigen sich in Bewegungsrhythmen, in denen Geschwindigkeit und Druck nach und nach ansteigen. Die Folge ist ein Gefühl der Endlosigkeit. Die Arbeit „NoiseGate-M6“ präsentiert ein Spiegelbild des gesellschaftlichen Zustandes von Ortslosigkeit und Vernachlässigung. Der gesellschaftliche Zustand der Ruhelosigkeit geht über in Passivität, mit aggressiven Anfällen, die schließlich gegen die Person gerichtet sind. Die Installation wird zu einem zeitlosen Raum der Reflexion, in dem der Mensch zwischen seinen analogorganischen Wahrnehmungssystemen und dem künstlichdigitalen System von Granular Synthesis gefangen bleibt. Im Übergang von einer organischen Industriegesellschaft in ein polymorphes Informationssystem zeichnet sich eine durchgehende technologische „Beschriftung“ des Individuums und seiner Umwelt ab: sozialer Konsens, gesellschaftliche Normierung und Kontrolle werden durch Medientechnologien sichergestellt. Diese Sprache der Technologie hinterlässt strukturelle Veränderungen der gesellschaftlichen Kommunikation und der Wahrnehmung. Technologische Zeichensysteme sind maschinellen Ursprungs, für die die Kategorien von Raum und Zeit eher eine sekundäre Rolle spielen. Verglichen mit den Raumstrukturen des öffentlichen wie auch des privaten Raums, in dem wir uns in geographischen, erzählten und erlebten Räumen körperlich und mental bewegen, charakterisiert sich der technologische Raum durch eine Ortslosigkeit, er bleibt ein Raum ohne Zentrum. Durch die zeitliche und räumliche Beliebigkeit des technologischen Raums verwandelt sich der gesellschaftlich orientierte Körper zum Konstrukt ohne lokalisierbare Räume und Orte. Damit bewirken Medientechnologien eine grundlegende kulturelle Transformation, die einen Zustand der permanenten Ver-rücktheit, des displacements produziert. Polyphone Zeichensysteme wie das audio-visuelle Zeichensystem werden durch ihre künstlerischen Manifestationen auf die Probe gestellt. Indem das künstlerische Zeichensystem die gewohnte lineare Syntax der grammatikalischen Struktur dekonstruiert, erzeugen die Kunstwerke durch die Stärke ihrer
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft poetischen Funktion mehrdimensionale Erfahrungsräume, die größere Gemeinsamkeiten mit der menschlichen Natur aufweisen als die monodimensionale Strukturiertheit des kommunikativen Raums. Anders als der kommunikative Raum, deren Dynamik durch die Linearität der geschichtlichen Achse VergangenheitZukunft bestimmt wird, erweist sich der audio-visuelle Raum durch die Kategorien der Wahrnehmung, der unmittelbaren Erfahrung und der Synthese als der Raum und die Zeit der Gegenwart. In diesem Sinne bilden sie virtuelle und mögliche Räume für eine Unendlichkeit von Ereignissen.
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Digitale Bildzeichen
„Das Weltall ist im Kopf. Denn alle Welten entstanden aus der Vereinigung von Elementen, d.h. aus meinem eigenen zerstäubten Wesen. Zum Menschen strebt das gesamte All hin, und von ihm geht es aus. Wie kann der gesamte Kosmos mit seinen unvorstellbaren Ausmaßen in meinem kleinen Schädel Platz finden?“1 Kasimir Malevič
Ende der 70er Jahre hatte die Viking-Mission der NASA einen kalten, trockenen Planeten entdeckt, der kein Lebenszeichen erkennen ließ, keine Lebenswelt zu sein schien. Die Abwesenheit von Lebenszeichen führte zur unmittelbaren Suche nach verborgenen Spuren vergangener Lebensformen auf dem Mars. Die Suche nach vergangenen oder gegenwärtigen Lebenszeichen beruhte zunächst auf dem Prinzip, dass die Grundlage jeder Lebensform Wasser ist. Unter dieser Prämisse, als die NASA 2003 zwei „rover“ mit den interessanten Namen Opportunity und Spirit zum Mars sandte, war die Aufgabe der Mission klar: die Suche nach Informationen, Hinweisen und Beweisen für die Erweiterung unserer kulturellen Grenzen Richtung anderer Planeten. Seit der anfänglichen Aufregung über die Kommunikationsschwierigkeiten, Bilder vom Mars zu senden, werden täglich unzählige Bildzeichen durch die europäische Mars-Mission zur Erde ausgestrahlt, aufgenommen durch eine HRSC-Kamera. Eine nähere Analyse der Kamera als das technische Medium und die darauf folgende Bildprozessierung enthüllen die Spuren unseres geistigen Sehens (mental-vision) und seiner Sinnschichten, sowie die strukturellen Verschiebungen unserer Sehwahrnehmung als Folge der Veränderungen der technischen Möglichkeiten.
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Malevič. 1920: Bd. III, S. 343.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft
Die Frage, mit der wir uns hier konfrontiert sehen, ist: sind die wunderschönen Bilder des Planeten Mars ein Produkt unserer visuellen Projektionen unserer Kreativität (hier möchte ich erwähnen, dass dies nicht mit den Begriffen Fiktion und Phantasma verwechselt werden darf) oder sind sie virtuelle Bilder, Simulakren, die in unsere geistige Welt eindringen und Möglichkeiten für neue visionäre Territorien öffnen? Das Beispiel der Mars-Bilder verdeutlicht die fundamentale Funktion von Bildzeichen für die Wahrnehmung unserer Umwelt. Mehr noch: Die Mars-Bilder exemplifizieren den reziproken Einfluss unserer visuellen Wahrnehmung und der wissenschaftlichen Entwicklung für die Erweiterung und Erfindung neuer Umwelten, neuer kultureller Territorien. In diesem Kontext fungiert das visuelle System als eine Übersetzungszentrale zwischen dem Sehen, dem Wahrnehmen, dem Kartieren und dem Sein. Das visuelle System wird zugleich zur Quelle, auf der das biologische Ich beruht und der Projektionspunkt für die Kartierung der Welt in virtuellen Umweltschemata. Mit diesem theoretischen Gerüst zur Positionierung des „Selbst“ versuchen wir uns den Bildern zu nähern, die als Schnittstellen zwischen dem Selbst und imaginierten Welten als verkörperte Bedeutungen fungieren. Welche charakteristischen Zeichenelemente haben die Mars-Bilder und inwiefern sind sie Bilder von Welten, ikonische Zeichen von Umwelten? Eine charakteristische Eigenschaft der Mars-Bilder ist, dass sie simulierte und in Telepräsenz aufgenommene virtuelle Bilder sind. In der Optik bedeutet „virtuell“ die Projektion auf der Oberfläche eines Spiegels, als die Projektion des Bildes, das unerreichbar ist. Dagegen ist „real“ das Bild außerhalb des Spiegels, das sich in unserer dreidimensionalen körperlichen Welt befindet. Der virtuelle Charakter von Bildern wird häufig mit der digitalen Bildproduktion in Zusammenhang gebracht. Auch hier haben wir eine Projektionsfläche, Grenzen, die die zwei Räume trennen: den Körperraum und den repräsentationalen Raum. Ein Vergleich zwischen einer Spiegelprojektion und der Bildoberfläche auf dem Bildschirm zeigt, dass im Gegensatz zum „spekularen“2 (specular) Bild das „digitale“ Bild durch „Kathoden-
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Lat. speculari „Ausschau halten, belauern“ zu specula „Wartturm“; zu specere „sehen“.
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Digitale Bildzeichen strahl“3 aus dem Innenraum des Bildschirms projiziert wird. Das digitale Bild auf dem Bildschirm braucht keine Beleuchtung, wie das der Fall beim Spiegelbild ist; stattdessen projiziert es selbst Lichtstrahlen auf die Betrachter, es drängt in unsere körperliche Wirklichkeit hinein. Virtuelle Realität verbindet die Ideen der haptischen Körperlichkeit, das was wir das „Reale“ nennen, und die abstrakte Repräsentation, die das „Virtuelle“ genannt wird. Um die virtuelle Realität zu erfahren, müssen wir uns innerhalb des virtuellen Bildes befinden. Ein weiteres charakteristisches Merkmal von virtuellen Bildern ist die Simulation. Auf der Zeichen-Ebene haben simulierte Bilder keine Bezeichneten, die sie repräsentieren; es besteht kein dialektischer Raum zwischen dem Bild als eine Repräsentation und der Bedeutung oder der Botschaft zwischen dem Sichtbaren und dem Vorstellbaren. Eine Repräsentation hat ihren Ausgangspunkt in der Tatsache, dass Zeichen und Wirklichkeit äquivalent sind. Im Gegensatz dazu beginnt die Simulation von einer Utopie des Äquivalenzprinzips, von einer radikalen Negation des Zeichens als ein Wert. Die Relation zwischen dem Bild und der Wirklichkeit hat sich somit in verschiedenen Hinsichten verändert: von der einfachen Reflektion der Wirklichkeit zur Maskierung der Abwesenheit der Realität und in ihrer Digitalisierung als pures Simulakrum ohne spezifischen Bezug zu irgendeiner Wirklichkeit. Diese Transformationen der Zeichen-Inneren-Relationen zeigen unmittelbare Wirkungen auf die Gesamtentwicklung der visuellen Ausdrucksformen und verursachen Verschiebungen in ihren logischen Konstruktionen. In diesem Zusammenhang wird zwischen drei logischen Konstruktionen des Bildes unterschieden: eine formale Logik, eine dialektische Logik und eine paradoxe Logik. Sie unterscheiden sich vor allem in ihrer Relation zum ZeitAspekt. In der formalen Logik spielt der Zeitfluss keine Rolle. Es sind die traditionellen bildhaften Darstellungen, in denen das Figurale eine zentrale Rolle spielt. Die dialektische Logik des photographischen und des kinematographischen des 19. Jh., in denen das Bild das Vergangene repräsentiert und zuletzt die Video- und Computerbilder mit der paradoxen Logik, in der das Bild in der realen Zeit produziert wird. Hier erlangt Geschwindigkeit Priorität gegenüber dem Raum (space), das Virtuelle gegen-
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Strahl, der beim Durchgang von Elektronen durch verdünntes Gas entsteht.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft über dem Realen und somit transformiert der Begriff der Realität von einem „Gegebenem“ (given) zum „Konstruierten“. Simulation ist somit nicht mehr die eines Territoriums, eines referentiellen „Daseins“ oder einer Substanz, sie ist die Generierung, die Erfindung ohne vorangehende Realitäten, etwas Hyperreales. In der digitalen simulierten Welt geht das Territorium der Repräsentation nicht dem Plan voraus: zuerst ist der Plan da, das Territorium wird auf dessen Grundlage projiziert. Wir können noch einen Schritt weiter gehen und proklamieren, dass überhaupt die Konzepte des Plans, der Kartierung, des Territoriums keine essentielle Rolle für die Gesetzmäßigkeiten der räumlichen Organisation spielen. Der reflexive und der identifikatorische Raum zwischen dem Schema und dem Territorium verschwinden, es bleiben nur noch Koexistenzen. Mit der Simulation verschwindet der repräsentationale Raum. Ihre Logik ist nicht mehr spekular und diskursiv, sondern nuklear und genetisch. In diesem Übergang zur räumlichen Zeichenstruktur verliert Referentialität ihren statischen Charakter. Das Reale der simulierten Welt existiert als eine operationale Erfahrung. Nachahmung und Reproduktion als zentrale Kategorien des rational konstruierten Sehens verlieren ihre Effizienz als operationale Ebenen. Diese Dekonstruktion der Cartesianischen Welt-Ordnung wird oft als eine kulturelle Irritation empfunden, verursacht durch die Unterbrechung zwischen dem körperlichen und dem mentalen Ich (Selbst). Das hyperreale Sehen, so Baudrillard, ist von der imaginären Welt getrennt. Sein Ort, sein Territorium ist die Wiederholung von Modellen und die simulierte Produktion von Differenz. Die Frage, die wir uns in diesem Zusammenhang stellen sollten, lautet: Welche Auswirkungen haben die zeichenstrukturellen Verschiebungen, das heißt das Verschwinden der reflexiven Distanz auf die visionäre Eigenschaft unseres Sehvermögens? Eine weitere strukturelle Veränderung der visuellen Kommunikation wird durch die Telepräsenz verursacht. Die Dichotomie zwischen dem Sender und dem Empfänger ist im Konzept der Telepräsenz nicht mehr ausreichend, die multimodale und multidirektionale Natur einer netzwerkartigen interaktiven Kommunikation zu erklären. Die Bilder in Telepräsenz werden nicht versandt, sondern vermittelt, ohne einen Sender zu haben, der bestimmte Bedeutungen an einen Empfänger sendet. Telepräsenz ist keine dialogische Erfahrung, sondern eine bidirektionale individuelle Erfahrung.
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Digitale Bildzeichen Eine wichtige Auswirkung dieses Zustands auf die Entwicklung unserer visuellen Fähigkeiten ist zum Beispiel die Unterbrechung des logischen Bezugs zwischen Zeit und Raum. In Telepräsenz wird Zeit zur absoluten Gegenwart, real. Der kürzeste Abstand zwischen zwei Punkten ist nicht mehr eine gerade Linie, wie in der dialogischen Zeit, sondern einfach die reale Zeit. Mit dieser technischen Veränderung beginnen Orte (locations) ihre Schwerkraft zur territorialen Grenzgebundenheit zu verlieren. Durch die Überwindung der Grenze und die Eliminierung des Abstands zweier Topoi, des eigenen Ortes und des vermittelten Ortes, wird die klassische Bedeutung von Grenzen obsolet. Diese Veränderung in der Strategie des Kommunikationsaktes wird durch qualitative Veränderungen der Elemente von Lokalitäten unterstützt. In Telepräsenz bestehen Orte aus Bildern, deren wichtigster Ausdruck die reale Zeit ist. Das Ergebnis ist eine Telerealität, die in realer Zeit dem realen Raum von Objekten und Orten vorhergeht. Die Medien der Vermittlung wie Monitore, Video-Geräte oder Kameras sind nicht nur Medien der Informationsvermittlung, sondern auch eine Art Prothesen, die stellvertretend für das biologische Auge als eine sensorische Oberfläche fungieren, auf der Informationsimpulse der bildhaften Lokalität vermittelt werden. Die Auswirkungen der digitalen Medien auf unsere Umwelt sind immens. Die kulturelle Erfahrung eines gemeinsamen öffentlichen Raumes wird in Telepräsenz vorrangig durch das öffentliche Bild vermittelt. Bilder in Telepräsenz sind keine klassischen Repräsentationen, sondern sie sind Licht-Bilder, ein Teil der „gesehenen“ oder „durchleuchteten“ Territorien. Telebilder bestehen aus Teilinformationen, die nicht durch das Auge wahrgenommen werden, sondern durch Gleichungen und Formeln errechnet werden. Insofern werden sie auf dem Prinzip eines immunologischen Systems konstruiert. Die Veränderungen der Logik des visuellen Bewusstseins - verursacht durch die neuen technischen Möglichkeiten gehen mit Veränderungen in der wissenschaftlichen Logik einher. Der Ausgangspunkt der permanenten Interaktion zwischen der Gesellschaft und der Wissenschaft ist unser symbolisches Bewusstsein. Die heutige Anwendung digitaler Bilder als wissenschaftliche Dokumente zeigt eine meta-strukturelle Sinnproduktionsschicht, die die digitale Information der post-cartesianischen kulturellen Produktion neu strukturiert. Die Anwendung von Bildern als konstruierte Repräsentationen von Territorien impliziert eine fundamentale Neubewertung des visuellen Ichs.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Die konstruierten Mars-Bilder zeigen das starke Band zwischen Bildern und Wirklichkeitskonstruktionen. Die Bildprozessierung ist zugleich ein Prozess der Erfindung neuer Wirklichkeiten, allerdings nicht unbedingt durch die externen visuellen Sinne, sondern durch das mentale, geistige Sehen, das die Kompetenzen der Informationsprozessierung mit visionären Simulakren verbindet. Worauf basiert die Legitimität dieser Bilder, territoriale Macht zu repräsentieren? Auf der einfachen technischen Ebene sind die Mars-Bilder zunächst das Produkt der HRSC-Kamera (high resolution stereo camera). Wie eine übliche Kamera liest sie die Daten durch eine Linse, die auf die Mars-Oberfläche gerichtet wird, jedes Mal wenn der Mars-Express den tiefsten Punkt seiner elliptischen Laufbahn erreicht hat. Hinter der Linse befindet sich ein komplexes System von Parallel-Sensoren, die empfindlich für die Farben rot, grün, blau und Infrarotlicht sind. Die Kamera nimmt Informationen von der Mars-Oberfläche durch drei unterschiedlich ausgerichteten Punkte auf: nach vorne, nach unten und rückwärts. Die Informationen werden zur Erde gesandt, wo sie prozessiert und zu einem digitalen Modell konstruiert werden. Die digitale Prozessierung gestaltet dreidimensionale Ansichten, indem unterschiedliche Schattenqualitäten durch unterschiedliche Farben differenziert werden, die zusammen die Bilder vom Mars komponieren. Die Autoren, Produzenten, die Konstrukteure der Mars-Bilder nennen die Bilder „echte“ Bilder. Eine nähere Betrachtung des Echtheitsanspruchs, der „Richtigkeit“ oder „Falschheit“ der digitalen Mars-Bilder verdeutlicht ihre Beschaffenheit und zeigt eine Verschiebung in der Zeichenqualität der HRSC-Bilder im Vergleich zu mechanischen photographischen Bildern; sie zeigen eine Diskrepanz zwischen den Mars-Bild-Signalen und den fertigen Mars-Bildern, die die Wissenschaftler als echt und original propagieren. Diese qualifikatorische Bestimmung von richtig oder falsch impliziert ein bestimmtes Objekt oder eine bestimmte Qualität als Grundlage des Vergleichs. Welche sind diese Kriterien, deren Referenz wir als Mars-Bilder bestimmen? Wenn sie keine einfachen Bildaufnahmen (ikonische Reproduktionen) des MarsPlaneten sind, sondern im Vorgang der Bildprozessierung der vermittelten Daten entstehen, wie können wir das Objekt der Repräsentation bestimmen? Welche sind die konstitutiven Charakteristika der repräsentationalen Objekte?
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Digitale Bildzeichen In ihrer klassischen Definition werden Bilder vor allem anhand ihrer ikonischen Charakteristika gelesen. Auch im wissenschaftlichen Gebrauch von Bildern als Dokumente werden sie als Repräsentationen von gegebenen Objekten eingesetzt, um Ähnlichkeiten in Form und Qualität von Dingen zu objektivieren. In dieser Bedeutung oder auch Funktion sind sie echte, reale Repräsentationen, richtige bildhafte Reproduktionen, ikonische Zeichenträger des Objektes. Dies impliziert, dass die vermittelten Informationen identisch mit den Informationen des Objektes sind. Das wissenschaftliche Ziel der Mars-Erkundung „Lebenszeichen“ ist, auf dem Planeten ähnliche Zeichen unserer Umwelt und unserer kulturellen Territorien zu finden. Woher erlangen die prozessierten Bilder ihre Legitimität als Dokumente, die MarsTerritorien nachweisen? Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Wissenschaft die Spuren von Elementen, die zu Umwelten führen, auf der semiotischen Ebene suchen: die Aufgabe ist, die Steine, die Erde, die Mineralien zu identifizieren, ihre Beschaffenheit und Distribution zu bestimmen, zu erklären, welche geologischen Prozesse sie formieren und ihre chemische Konstellation bestimmt etc. Auf dieser semiotischen Ebene sind die Elemente die Signale und die Daten, die das technische Gerät auf dem Mars erkundet. Ikonizität der vermittelten Signale ist im strengen Sinne auf der Licht-Schatten-Ebene vorhanden. Sie werden durch die „bits“ repräsentiert, die wiederum die Transformationen des Lichtes in qualitativen Informationen sind. Die Mars-Bilder haben keine ikonische Ebene, somit sind sie als Aufnahmen weder Repräsentationen noch vermitteln sie ein vorgegebenes Objekt. Auf der technischen Informationsebene haben wir lediglich cartesianische Linien von „pixels“, die die Dichte von einzelnen Zellen durch eine bestimmte Zahl aus einer begrenzten Reihe bestimmen. Mehr noch, all die Informationen sagen uns nichts über die Form oder die Physiognomie des MarsTerritoriums. Auf dieser elementaren semiotischen Ebene bereits stellen wir grundsätzliche Unterschiede zwischen „echten“, „wahren“, „realen“ Bildern als ikonische Zeichen und den mathematisch konstruierten Bildern der HRSC-Kamera fest. Das bedeutet, dass digitale Informationen vom Mars keine repräsentationalen Qualitäten, keine identifizierbaren physiognomischen Qualitäten der Marsoberfläche zeigen. Als simulierte Bild-Informationen vermittelt in Telepräsenz sind sie Licht-Bilder, die nicht durch das sinnliche Sehen, sondern durch „durchleuchten“ entstanden
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft sind. Die durchleuchteten Informationen sind allerdings weit davon entfernt, die Rangstellung von Bildern zu haben, geschweige denn Bilder vom Mars zu sein; sie sind erst am Ende eines Prozesses der Vermittlung, Berechnung, und des Vergleichs der Signale Bilder von Mars. In diesem Bildproduktionsprozess sind mindestens zwei Schemata für Bildzeichenproduktion nötig; das Schema für das Instrument Kamera, um Lichtinformationen zu vermitteln, und ein Schema für die Übersetzung der elektronischen Informationen in Bildkategorien, die soweit optimiert werden, bis unser visueller Apparat sie lesen kann. Im gesamten Bildkonstruktionsprozess ist kein Bild-Element zu finden, das wir als „ähnlich“ mit der Marsoberfläche einstufen würden. Die Mars-Bilder weisen keine Ikonizität auf, sie sind ein künstlich kodiertes System, programmiert für spezifische Kodierungsfunktionen der „durchleuchteten“ Informationen. Nichts desto trotz lesen wir die MarsBilder nicht nur als Bilder eines Planeten, sondern auch als Bilder eines Planeten mit spezifischen geologischen Qualitäten. Die ikonische Wahrheit der prozessierten Mars-Bilder existiert in unserem geistigen Sehen, das vergleichbar mit dem geistigen Ich ist. Die Bilder sind das Produkt eines introspektiven Prozesses, angefangen mit der Kartierung gefolgt von der Prozessierung, dem Sehen und dem Sein. Während das fokussierende Sehen der Kamera die semiotischen Elemente vermittelt, entstehen die Bilder auf der darauf folgenden symbolischen Ebene des diskursiven Sehens, auf der die Bilder ihre symbolische Identität als Mars-Bilder erlangen. Als symbolische Zeichen – die symbolische Dimension ist immer dann vorhanden, wenn ein Kode oder eine Gesetzmäßigkeit die Lektüre ermöglicht – repräsentieren sie sowohl die Prozessierung der numerischen Daten wie auch den Prozess, ihre Transformation in eine visuelle Kategorie; das Bild wird zugleich der „Objekt-Prozess“, der durch das geistige Sehen symbolisiert wird. Die Mars-Bilder existieren in unserer Vorstellung, im geistigen Sehen, das vor der sichtbaren Substanz der dargestellten Spuren existiert. Die semiotischen Elemente dieser Bilder sind prävisuell; die digitalen Informationen dringen introspektiv in unser inneres Sehen ein und werden zu Bildern transformiert, die mehr als Mars-Repräsentationen, visuelle Repräsentationen der visionären Projektionen unseres geistigen Ichs sind. Sobald die visionären Simulakren in unserem kulturellen Kontext als Bilder vom Mars etabliert sind, können sie als ikonische Zeichen der prozessierten Informationen über den Mars in
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Digitale Bildzeichen unserem Denken gelesen werden. Die Bedeutungsproduktion durch die konstruierten Mars-Bilder entsteht durch die dialektische Interdependenz zwischen den symbolischen und den semiotischen Schichten der Bild-Zeichen; sie überschreiten die Phase der „paradoxen Logik“ der Bilder durch unsere symbolische Arbeit. So können wir Malevitsch antworten, dass auf diesem Weg der gesamte Kosmos mit all seinen noch unvorstellbaren Dimensionen seinen Platz in unserem kleinen Schädel findet. Kreativität wird zur unendlichen Entfaltung unserer symbolischen Tätigkeit.
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Zur Logik der kinematographischen Bildsprache
Die Frage nach der besonderen Form der Bildbeschreibung der Filmsprache zielt zugleich auf die Strukturmerkmale des Films als Zeichensystem, als Text und als Schrift. Aufgrund der multimodalen Sinneswahrnehmung der filmischen Zeichenrezeption sowie deren starken Einflusses auf die konstitutiven Elemente der Bildsprache sollen hier interdisziplinäre Ansätze gesucht werden, die als Erklärungsmodell oder als Begrifflichkeit eines disziplinübergreifenden Elements zwischen den unterschiedlichen Positionen fungieren. Die folgende Untersuchung möchte zeigen, auf welcher Weise biologische, technische und kulturelle Funktionen in der Narrationsstruktur der Filmsprache beteiligt sind und wie diese darüber hinaus die Bildbeschreibung in der filmischen Erzählform bestimmen. Der Wirkungsgrad der Filmsprache wird entscheidend von der Interaktion multimodaler Ausdrucksformen bestimmt; die filmische Wahrnehmung verbindet die körperlich-sinnliche Wahrnehmung mit psychischen Erfahrungen auf der Grundlage kultureller und kognitiver Charakteristika. Die Komplexität ihrer Rhetorik kann deshalb erst über die Analyse der involvierten Wahrnehmungsperspektiven erklärt werden: der biologischen, der psychologischen und der ontologisch-kulturellen Wahrnehmung. Als ein gemeinsamer Nenner der Disziplinen – sowohl naturwissenschaftlicher wie auch geisteswissenschaftlicher, die mit der visuellen Wahrnehmung und mit Bildern im Allgemeinen operieren, soll hier der Prozess der Synchronisation hervorgehoben werden. In einem weiteren Schritt soll die Argumentationslogik der Bildbeschreibung mit der Kategorie des hypothetischen Erschließens konkretisiert werden. Dies soll zugleich die Metaebene der filmischen Repräsentation sowie die synchronisierte Bildebene erklären.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Die Neurobiologie erklärt Synchronisation als eine Funktion, die darüber entscheidet welche Informationen ins Gehirn weitergeleitet werden und somit als diejenige Funktion, die über die Relevanz der empfangenen Signale für die Bildung der bewussten Wahrnehmung entscheidet. In den jüngsten Beispielen der neurobiologischen Anwendung von Bildern zur Erklärung der Hirnfunktionen spielen darüber hinaus Kategorien wie die emotionale Erfahrung, Erwartungen, Antizipationen, Absichten – traditionell geisteswissenschaftliche Forschungsbereiche – eine zunehmend wichtige Rolle. Auffällig ist, dass auch die naturwissenschaftliche Forschung bestätigt, dass komplexe Informationsverarbeitungen sehr stark in kulturellen und geistigen Umwelten verankert sind und dass sie primär durch komplexe Bildformen vermittelt werden. In den meisten bildinvolvierten naturwissenschaftlichen Projekten wird die Kategorie der Synchronisation vor allem als eine psychologische Kategorie der Wahrnehmung anlehnend an die pragmatische Tradition von William James diskutiert (Engel, Debener und Kranczioch, 2006). Bekanntlich war James seinerseits sehr stark von Peirce beeinflusst, der die Debatte um die Psychologieforschung kritisch reflektierte. Peirce erklärte die Kategorie der Synchronisation vor allem als die Synchronisation von Geist und Körper und als die Synchronisation von mentalen und biologischen Prozessen des Verstehens. Er kritisierte die Reduktion der Verstehensprozesse durch die physiologische Psychologie auf eine introspektive, experimentelle Wahrnehmung und plädierte für eine physiologische Psychologie, die das diagrammatische Denken als Grundlage zur Erklärung der Hirnfunktionen verstand. Peirce unterstrich die Relevanz von psychologischen Theorien, die aus den anatomischen Strukturen des Gehirns abgeleitet wurden, mit der Bedingung, dass die untersuchten Funktionen im wachen Zustand aus einer bewussten Hirntätigkeit hervorgingen; dennoch betrachtete er diese Funktionen lediglich als Ausgangspunkt zur Formulierung wichtiger Hypothesen, die allein als funktionale Basis zur weiteren Analyse fungieren könnten. Peirce’s wissenschaftliches Ziel war stets die reine Beobachtung. Eine genuine psychologische Beobachtung müsse die genaue Beobachtung und Definition der Züge menschlicher Handlung leisten. In diesem Zusammenhang ist die These interessant, dass auch Gefühle, vermittelt als Eigen-
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Zur Logik der kinematographischen Bildsprache
schaften von Objekten, einer wissenschaftlichen Beobachtung unterliegen können.1 Die zweite Begriffskategorie, die hier zur Analyse der spezifischen Merkmale der Bildbeschreibung im Film eingeführt werden soll, ist die der Hypothese. In einer Abhandlung zur Bedeutungserschließung und zum Denkvorgang beschreibt Peirce die visuelle Wahrnehmung als ein hypothetisches Denken, als eine dritte Kategorie neben der Induktion und der Deduktion: “There are three kinds of reasoning, the Inductive, the Deductive, and the Hypothetical. The last consists in the introduction into a confused tangle of given facts of an idea not given whose only justification lies in its reducing that tangle to order. This kind of inference is little subject to control, and so not highly rational; and one reason for this is that when once the facts have been apprehended in the light of the hypothesis, they become as swallowed up in it, that a strong exertion of intellect is required to disembarrass them from it, and to recall them in their pristine nudity.”2
Auch durch den Film werden größtenteils das hypothetische Denken und die synchronisierende Wahrnehmung vollzogen. Am Beispiel des Films Ararat sollen im Folgenden die konstitutiven Elemente der Filmsprache hervorgehoben werden, die diese Aspekte exemplifizieren.
Film als Sprache Die filmtheoretische Perspektive unterstützt die eingeführte These und den Vergleich der Filmsprache mit dem Denkvorgang folgenderweise: “Motion pictures are our thoughts made visible and audible. They flow in a swift succession of images, precisely as our thoughts do, and their speed, with their flashbacks – like sudden aprushes of memory – and their abrupt transition from one subject to another, approximates very closely the speed of our thinking. They have the rhythm of the thought-stream and the
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Peirce. Collected Papers. Vol. I, 1867-1893. Peirce. MS 1906:13.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft same uncanny ability to move forward or backward in space or time.”3
Bilder sind Projektionen von piktoralen und diagrammatischen Konstruktionen, somit sind sie Beschreibungen von räumlichen Relationen durch die visuelle Sprache. Kinematographische Bilder als die Verbindung multimodaler Ausdrucksformen konstruieren spezifische Projektionsräume, die zugleich als Bilder eines kollektiven Bewusstseins und kulturelle Räume verstanden werden können. Filme setzen Bilder ein, um die Bedeutungsschichten der verschiedenen Sinneswahrnehmungen in einer narrativen Einheit des Films zu verknüpfen. Die Filmsprache reflektiert diese Narrationsstrukturen in unterschiedlichen Zusammenstellungen. In der Hervorhebung beziehungsweise Marginalisierung der involvierten Erzählstrukturen zeigt sich die spezifische Erzähllogik, wie Filme Bilder darstellen, präsentieren und wie sie sie beschreiben. Wie jedes Sprachsystem hat auch die Filmsprache ein eigentümliches Kodierungssystem mit spezifischen konstitutiven Elementen, einer spezifischen Formsprache sowie Erzählstrategien. Semiotisch betrachtet bestimmt der kinematographische Aspekt, die Fixierung der Bewegung, sowohl ihre Struktur wie auch ihre Formsubstanz;4 vergleichbar kann das Vorstellungsbild als dasjenige Sinnelement erklärt werden, das Ideenmuster mit ikonischen Mustern verbindet und dadurch neue Bildmodelle komponiert. Während das kinematographische Element eine modellierende Funktion hat, sichert das Vorstellungsbild den bildnerisch gestalterischen Moment der Filmsprache.
D IE
TEXTUELLE
S TRUKTUR
DES
F ILMZEICHENS
Eine Gegenüberstellung der Begriffe Kinematographie und Traumfabrik soll zunächst das Spannungsfeld erklären, in dem sich das Filmbild bewegt. Als Kinematographie ist der Film die Einschreibung und Markierung der durch Bilder erzeugten Bewegung, ein Verfahren zur Aufnahme und Wiedergabe von bewegten Bildern. Ähnlich ist der Traum der Ort der bewegten
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Jones. The dramatic imagination: Reflections and Speculations on the Art of Theatre. S. 17-18. In der Greimas‘schen Erklärung
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Zur Logik der kinematographischen Bildsprache Bilder, in dem Hirnstammsignale mit bereits gespeicherten Gefühlen und Sinnesempfindungen verknüpft werden und daraus die Trauminhalte komponieren. Dabei werden besonders diejenigen Hirnzentren aktiviert, die Emotionen und unser Langzeitgedächtnis bergen; ein Grund dafür, dass unsere Traumbilder entsprechend reich an Gefühlen und Erinnerungen sind.5 Ähnlich verhält es sich auch mit der Filmsprache, denn auch sie aktiviert unsere emotionale Sinnesempfindung. Sie führt uns Bilderwelten vor, mit denen weitere fiktive Welten entwickelt werden; die bewegten Bilder berühren unsere Emotionen, mobilisieren unser Bilderarchiv und kompensieren häufig auch unsere Erfahrungen. In beiden Fällen sind die Welten vollständig bildimmanent, virtuelle Welten, die nur im Inneren des Körpers stattfinden. Als Zeichen ist der Film non-definitional und räumlich relational, denn amorphe und spekulative Kategorien wie Verhalten und Erwartung beeinflussen die Bedeutungsgenerierung der Erzählstruktur. Ähnlich wie diagrammatisches Denken verknüpft die Filmnarration abstrakte Strukturen mit mentalem Experimentieren, mit dem „nicht-existenten“. So wie ein Diagramm leistet das kinematische Zeichen mindestens eine doppelte Repräsentation: eine Repräsentation konzeptueller Relationen, die wir aufgrund unserer Erfahrung erkennen, die Relation von Korrelaten, und eine Repräsentation der Relationen der Korrelate. “[...] a Diagram is an Icon of set of rationally related objects. By rationally related, I mean that there is between them, not merely one of those relations which we know by experience, but know not how to comprehend, but one of those relations which anybody who reasons at all must have an inward acquaintance with. This is not a sufficient definition, but just now I will go no further, except that I will say that the Diagram not only represents the related correlates, but also, and much more definitely represents the relations between them, as so many objects of the Icon.”6
Die Filmsprache hat zur Erweiterung der Bildsprache entscheidend beigetragen, denn sie ist multidimensional, verbindet sowohl monokulare wie auch binokulare Bilder durch Elemente wie Bewegung, Licht und Farbe. Darüber hinaus ist sie eine räumliche Repräsentation, die zugleich sehr stark von kognitiven
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Hobson. Dreaming: An Introduction to the Science of Sleep. Peirce. Collected Papers. 4:316.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft Leistungen abhängig ist, wie zum Beispiel Erinnerungsvermögen, Vorstellung, Perzeption, Schlussfolgerung. Dennoch sind diese Kategorien eng an technische Vorgaben gebunden, die in ihrer Zusammensetzung die Eigentümlichkeit der filmischen Grammatik bilden. Das Filmbild zeigt eine hoch komplexe Bildkodierung und reflektiert zugleich die meisten Sinnkonzepte des menschlichen Körpers. Hier liegt auch ein Grund des unmittelbaren modellierenden Einflusses der Kinobilder auf unsere Weltwahrnehmung. Von allen Bildformen ist der kinematographische Bildraum der dem Menschen vertrauteste Raum, ein Ort, in dem der Mensch seinen Körpererfahrungsraum wieder findet. Das kinematographische Bild als Ganzes, ist eine Repräsentation – auch im Sinne eines Abbildes – des menschlichen Lebensraums. Darin liegt auch eine nicht zu unterschätzende Ursache des Unterhaltungscharakters, des unmittelbaren Genusses, den wir bei der Betrachtung eines Films empfinden. Der Mensch erlebt sich selbst durch den Film; die technische Machbarkeit scheint nur das Medium zu sein, durch das die inneren, sowohl körperlichen wie auch geistigen Welten sichtbare Formen erlangen. Der graphemische Aspekt der Filmsprache, ihre Technik, erzeugt die Sicht-Distanz zu uns selbst; in diesem Sinne ist das Filmbild primär eine Projektion des menschlichen Inneren, die von innen nach außen die innere Welt verräumlicht und sie somit zum Objekt unserer Sehwahrnehmung, zum Kognitionsobjekt umwandelt. Insofern sind die ikonischen Elemente der Kinobilder wie zum Beispiel die Aufnahmen, das Set, die Darsteller, die Musik auch bildgestalterische Elemente und vergleichbar mit Kategorien der Farbe, der Linie, der Helligkeit der malerischen Sprache; sie sind Elemente der technischen Medialität, die die innere Welt einschreibt. In dieser Vergegenwärtigung der inneren Welt sind sowohl organische wie auch geistige Visualisierungen dokumentiert, denn die Materie des Kinobildes ist das Licht, seine Substanz ist das kulturelle Archiv. Das unverwechselbare Medium der Filmsprache ist im Gegensatz zur fotografischen nicht primär die Kamera, das heißt ein fixierendes und konzeptuelles Instrument der Bildaufnahme, sondern die Kameraführung als die Dokumentation der Bewegung des Sehenden. Über diese Art der technischen Entwicklung, der
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Zur Logik der kinematographischen Bildsprache Bildaufnahme im Geschehen der Gegenwart,7 erweitern sich auch die Möglichkeiten der Bildnarration durch und über Bilder. Unabhängig von der technischen Produktionsform, sei es Videoaufnahme oder die nachträgliche Bearbeitung des filmischen Materials, lassen sich die Techniken der bildnerischen Gestaltung, der Gestaltung der Zeichenstruktur in drei Grundformen erklären, deren Gemeinsamkeit in ihrer dynamischen Konstitution liegt: Filmen, Darstellen, Kodieren.
E LEMENTE
DER FILMISCHEN
N ARRATIONSSTRUKTUR
Zunächst bleibt auch der Zeichencharakter der filmischen Sprache unmittelbar mit ihrem technischen Charakter verbunden. Bereits auf dieser ersten Bedeutungsebene, der Ebene der ersten Konfrontation zur Zeichenbildung zwischen dem filmischen Medium und der darstellbaren Bedeutungswelt entsteht die Aufnahme. Zu den klassischen Formen der filmischen Aufnahmen gehören dokumentarische Filme aber auch kommerzielle Action-Filme. Der graphische Aspekt des Filmens mit der Kamera als die schreibende Hand ermöglicht den Übergang vom Filmen zum Darstellen. Der Film ist daher ein Zeichensystem, das die Bewegung als Funktion eines beliebigen Moments reproduziert. Darüber hinaus ist das Filmbild die Ausdehnung des Bildes in der Zeit; es ist zugleich Bewegung und Erzählung. Das Bildfeld, die Kadrierung, fixiert ein Ensemble, das aus einer Vielzahl von Elementen besteht, die ihrerseits zu Subelementen gehören. Während die Fotografie die Objekte durch das Medium Licht als Kontaktaufnahme abbildet, durchdringt der Film die Objekte mit Licht. In dieser Funktion zeigt sich der Film als eine genuine Kunst des Lichtes und des Lichtstrahls, und auch in diesem Sinne ist er ein Abbild, daher Aufnahme des Lichtes in seiner Bewegung. Die Vermengung vom Licht-Zeit-Raum, die eine Art Lichtsequenz darstellt, bildet eine spezifische Einheit der kinematographischen Sprache, die vergleichbar mit dem Phonem der natürlichen Sprache Kineme bilden.8 So wird das Bildfeld im Film
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Die unmittelbare Übertragung, das was wir als Übertragungsstrategie Live nennen, ist in diesem Kontext irrelevant, denn die dokumentarische bzw. die ikonische oder repräsentative Eigenschaft der Bilder bildet nur einen Teilaspekt der Bildsprache. Ein Begriff, der von Pasolini geprägt worden ist.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft eine Deterritorialisierung des Bildes. Der Film zeigt die Möglichkeit, das Bildfeld, das ein geometrisches und physikalisches Feld ist, dynamisch zu variieren. Die Grenzen der Variation sind sowohl in festen Konzepten wie auch dynamisch strukturiert; sie präsentieren eine Darstellungsebene noch vor der Existenz eines Körpers auf der Bildfläche. Die Verknüpfung von bildinternen Elementen mit der Metaebene des Filmes wird durch die Einrahmung einer Bilderzählung ermöglicht. Denn mit der Kadrierung entsteht ein Off, ein Übergang jenseits des fokussierten Bildes. Das Off hat zwei Funktionshorizonte: einen relativen Aspekt, anhand dessen ein geschlossenes System im Raum ein zunächst nicht sichtbares Ensemble hervorbringt; und einen absoluten Aspekt, durch den das geschlossene System sich auf eine abstrakte Dauer hin öffnet, die nicht unbedingt zum Bereich des Sichtbaren gehört. Das Off übernimmt somit eine raumübergreifende Funktion. Je geschlossener der Bildraum umso mehr ist das Bild in der Lage darüber hinaus eine vierte Dimension, die der Zeit, und eine fünfte, die des Geistes, zu zeigen. Die einzelnen Bildfelder erzeugen Intervalle und Leerzonen, unsichtbare Bildflächen, die das Bild in ein mentales Bild umwandeln; selbst ein geschlossenes Bild hat ein Off-Feld, das die Projektionsfläche für aktualisierbare und virtuelle Bedeutungen darstellt. Im Zeichenkonzept des Bewegungsbildes sind das dargestellte Ding und die Wahrnehmung des Dings ein und dasselbe, jeweils zu einem der Referenzsysteme in Bezug gesetzt. Das Bewegungsbild entsteht in dem Abstand zwischen der Wahrnehmung und der Handlung. Die Grundlage der Bewegungskategorie sind zwei einander bedingende Kategorien: die virtuelle und die mögliche Handlung. Mit der ersten unmittelbaren Wahrnehmung der Dinge erfassen wir zunächst eine „virtuelle Handlung“, die die Dinge auf uns ausüben, zur gleichen Zeit lesen wir sie als „mögliche Aktionen“, das heißt als Formen von möglichen Handlungen. Je mehr die Reaktion an Unmittelbarkeit verliert und zur möglichen Aktion wird, desto mehr geht die Wahrnehmung auf Abstand, greift vor und setzt die virtuelle Aktion der Dinge frei. Die dritte Kategorie des Bewegungsbildes, das Affektbild,9 ist vor allem eine Zustandsbeschreibung der emotionalen Prozesse. In einer ersten Konfrontation des Subjektes mit einem Objekt entsteht der Affekt, er ist der Bedeutungsträger in der Verschie-
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Deleuze. Kino 1. Das Bewegungs-Bild. S. 138.
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Zur Logik der kinematographischen Bildsprache bung zwischen Wahrnehmung und einer Handlung. In der Bergsonschen Definition ist ein Affekt „eine Art motorische Strebung in einem sensorischen Nerv“, eine motorische Anstrengung auf einer unbeweglichen rezeptiven Platte. Semiotisch ist diese Verschiebung mit der Peirceschen Unterscheidung von „Erstheit“ und „Zweitheit“ zu erklären. Nach Peirce ist die Zweitheit alles, was in Bezug auf ein Zweites existiert: Leistung/Widerstand, Aktion/Reaktion, das heißt eine reflexive Bewegung. Es ist die Kategorie des Realen, der Entstehungs- und Entfaltungsort des individuellen Aktionsbildes. Die Erstheit dagegen wird eher sinnlich wahrgenommen als verstanden. Sie betrifft das Neue in der Erfahrung, das Flüchtige und dennoch Ewige. Es sind Qualitäten oder Potentiale ohne Bezug auf etwas anderes. Es ist ein unmittelbares Bewusstsein, wie zum Beispiel die Qualität eines möglichen Reizes oder eines Gefühls und nicht nur – wie Bergson den Affekt erklärt – Reiz oder das reine Gefühl. Auch die Zusammenfügung dieser Erfahrungen in ein Bewegungsbild zeigt die hypothetische Argumentationsstruktur. Das Filmbild als Raumrepräsentation hält die räumlich und zeitlich zerstreuten Bildelemente in einer visuellen Einheit zusammen. Das folgende Zitat illustriert den allgemeinen Charakter dieses Phänomens “But then, there are many psychological phenomena whose analogy with hypothesis is generally admitted, and yet where the imported idea starts up along with the tangle of sensations that it puts into order. Such, for example, is the image of space which replaces the intricate tangle of sensation produced by the excitations of the nerve points scattered over the retina of the eye. This is frequently spoken of as hypothesis; and it seems a triumph of intellect beyond all the triumphs of science.”10
Zeichensysteme unterliegen verschiedenen Funktionshorizonten wie zum Beispiel der narrative und der benennende oder darstellende Funktionshorizont. Allerdings bestehen bei unterschiedlichen Zeichensystemen graduelle Unterschiede in der Hierarchie der Funktionen. Während sich zum Beispiel konventionelle Zeichen besonders gut zum Erzählen eignen, beschränken sich ikonische Zeichen auf die Funktion des Benennens. Der Film als Zeichensystem verbindet in seinem Kern kontradiktorische Funktionshorizonte, die auf der Hierarchieskala 10 Peirce. MS 831. S. 20.
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft simultan agieren; Filme erzählen ikonisch, sie sind bildhafte Narrationen und narrative Bilder zugleich. Das Erzählmedium der Filmsprache sind die Bilder selbst, sie erzeugen Sinnbilder und Erzählstrukturen auf unterschiedlichen Ebenen. In diesem Zusammenhang sollen drei ausschlaggebende Sinnebenen der Filmsprache erwähnt werden: • Die Sinnbildung durch die technische Kodierung wie zum Beispiel die Aufnahmetechnik, aber auch die Bildgestaltung, • die kinetische Sinnbildung und • die Sinnbildung durch den Stil, die Auswahl der richtigen Ausdrucksform zur individuellen Gestaltung. Für die Filmsprache bildet die oben erwähnte Dezentrierungsebene (Deterritorialisierung) eine weitere metarepräsentationale Sinnebene, auf der sich komplexe Schemata der Sinnproduktion organisieren. Sie bleibt daher eine konstitutive Zeichenebene der filmischen Sprachstruktur, da sie zunächst die Grundlage der individuellen Gestaltung der Bildreflexion und der Kadrierung sichert. In dieser Kategorie der reinen Bewegungsbilder liegt auch das ästhetische Potenzial von Filmen, ein Grund weshalb sie häufig vor allem in Experimentalfilmen angewandt wird. All diese Kategorien zeigen, dass die filmische Wahrnehmung mehr als eine rein visuelle Tätigkeit ist; denn Gefühle, Erfahrung, Kontemplation und Antizipation gehören zu den Wahrnehmungsstrukturen, die in ihrer Verflechtung den kulturellen Kode der Bild-Erschließung bilden. Die Leinwand des Kinos zeigt sich als ein Meta-Bild und als simultane Erscheinung unterschiedlicher Bildformen: Nahaufnahmen, Darstellungen, Plastizität, Licht. Aus der Synchronisation all dieser Ebenen und Bildformen resultiert die Sphäre des Filmbildes als eine Narration und eine Beschreibung ihrer Formate. Das Filmbild wird zum verbindenden Element zwischen der Fotografie, dem Gemälde, der Orte, der Dunkelkammer, dem Studio. Der Film objektiviert auf verschiedensten Ebenen die hypothetische Denkerfahrung, indem er komplexe Eindrücke in Bedeutungsschemata organisiert und kontext- sowie kulturspezifische Kodierungen ineinander verschmilzt. Das hier zu analysierende Beispiel, der Film Ararat, manifestiert viele der eingeführten Charakteristika der Bildnarration im Film. Er ist eine kinematographische Form der Bildbeschreibung, indem er die Verschachtelung und Verdichtung einer breiten Skala piktoraler Repräsentationen wie zum Beispiel die Malerei, die Video-
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Zur Logik der kinematographischen Bildsprache Aufnahme und die Photographie zeigt. Die narrative Struktur ist mehrfach kodiert mit mindestens zwei Narrationsketten: eine semantische und eine syntaktische Erzählstruktur. Die Bildkomposition innerhalb jeder Narrationskette wiederholt die doppelten Repräsentationsebenen, die der bildexternen Wirklichkeit und die der bildinternen Strukturen. Bereits der Titel des Films Ararat verkörpert eine komplexe Verschachtelung der Filmnarration; Ararat ist der Name des legendären Bergs im historischen Armenien, Symbol der Religiosität, des Verlustes und der Vertreibung der Armenier, sowie das kollektive Bild ihrer Identifikation. Die im Film Ararat repräsentierte bildexterne Wirklichkeit ist eine biographische und historische Wahrheit. Die biographische und die individuelle Wahrheit wird durch das Bildformat Malerei repräsentiert; durch das Gemälde wird die Biographie des Malers Ashil Gorky und die Geschichte der Vertreibung seiner Familie erzählt. Anders als die Malerei repräsentiert der Film die Gegenwart; seine Erzählung findet in der Jetztzeit der Erfahrung und ihrer Verknüpfung mit der historischen Wirklichkeit statt. Die Narration auf der Ebene der bildinternen Struktur reflektiert die Verflechtung der externen Struktur, die Relationen der externen Korrelate. Hier zeigt sich die besondere Rhetorik der Filmsprache, über Bilder durch ikonische Elemente zu erzählen. Darin repräsentieren die verschiedenen Bildformate – Photographie (Abb.12), Gemälde (Abb.13), Videoaufnahme (Abb.14) oder filmische Darstellung (Abb.15) – unterschiedliche kulturelle Wahrnehmungen durch unterschiedliche temporale und räumliche Ebenen. Sie repräsentieren ein breites Spektrum der Entwicklungsgeschichte bildhafter Sprache und ihrer Formate: • das photographische Format als das dokumentarische Bild, als die Spur der Wahrheit, • die Malerei als die ikonische Repräsentation der Emotion und des Gedächtnisses, • die Videoaufnahme als die ikonische Repräsentation der Bewegung und des Territoriums, sowie • die Gesamtheit des Films als die Synchronisation all dieser Bildformate. Die Elemente der Synchronisation zur Gesamtheit des Films werden durch verschiedene Faktoren vollzogen. So zum Beispiel agieren die Filmfiguren als Bindeglieder zwischen den verschiedenen Zeitachsen: der 18 Jahre junge Raffi, die Hauptfigur der Gegenwartsgeschichte, beobachtet die historische Erzählung und
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft ist zugleich Erinnerungsträger der Vergangenheit. Raffi zeigt durch Videoaufnahmen die dokumentierte Wirklichkeit des historischen Territoriums. (Abb.16) Er reist zu den Orten des Verbrechens und versucht mit der Videoaufnahme eine unverfälschte Geschichte zu erzählen. Später wird die Objektivität des Videobildes in Zusammenhang mit Rauschmittel und Verbrechen gebracht; die geschickte Assoziation ruft eine weitere Bedeutung hervor, sie konnotiert eine berauschende Funktion und schwächt dadurch die dokumentarische Eigenschaft der Videobilder. Die Figur der Mutter verbindet die verschiedenen Bildformate: die heilige Gottesmutter im Videobild (Abb.14), die Mutter des Künstlers in der Photographie (Abb.12), die Erinnerungsfigur Mutter – die emotionale Figur – in der Malerei und die handelnde Mutter im Film. Raffis Mutter, die Filmfigur Ani – auch eine symbolisch dichte Repräsentation, die zugleich der Name der Hauptstadt im historischen Armenien war – ist eine Kunsthistorikerin, die über das Werk des Malers Gorki einen Vortrag hält (Abb.16), zugleich die Entstehung des Films im Film begleitet, indem sie die Darstellung der historisch-biographischen Wahrheit über den Maler begutachtet. Hier bleibt der Ursprung aller Wahrheiten die Photographie, die als Abdruck der historischen Jetztzeit eine absolute Wahrheit repräsentiert. Der Film Ararat präsentiert unterschiedliche Idiolekte und Lektürearten, die zusammenfassend unter die Kategorien nationale, kulturelle und ästhetische Idiolekte subsumiert werden können. Die starke Bedeutungsdichte dieser Verflechtung und die komplexe Textur der Bildgewebe unterstützen die kinematographisch erzeugte Emotionalität sowie den hypothetischen Charakter der Bildwahrnehmung. Die ästhetische Relevanz des Films wird zusätzlich durch die Kategorie der Verfremdung verstärkt. Auf der paradigmatischen Ebene sind folgende Vorgänge hervorzuheben: die Unterbrechung der Elemente in isolierte Einheiten und Abtrennung vom Bildkontext. Auf der syntagmatischen Ebene bestehen verschiedene Kompositionen der synchronen und diachronen Sinnerzeugungen. Für die Sprache der Kinematographie führt diese Dechiffrierung nicht unbedingt zur Transparenz der Bedeutungsebene. Die künstlerische Filmsprache und die Filmchronik bilden einen dialektischen Raum beladen mit kulturellen Spannungen. Der Film versetzt den Betrachter in optische Bedeutungssphären, führt ihn durch die verschiedenen Handlungsmodi hindurch bis zur Perzeption. Die vermittelten kulturellen Konzepte leiten zu neuen kulturellen Informationen, und die kinematographisch
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Zur Logik der kinematographischen Bildsprache erzeugten Vorstellungsbilder führen zu neuen Sichtweisen und Gefühlsformen. Eine verbindende und symbolische Bedeutungsdimension öffnet die kulturbezogene Kodierung. Neben der territorialen – durch die Videobilder – Beschreibung zeigen die Mentefakte der kulturellen Identität eine sehr dominante Bedeutungsdimension. Der Film bestätigt die diagrammatische Struktur des hypothetischen Denkens. So wie ein Diagramm bleibt er eine Repräsentation konzeptueller Relationen, hier die Narration, eine Repräsentation von bildhaften Korrelaten, und nicht zuletzt eine Repräsentation der Relationen der Bildkorrelate. Diese werden anschließend ergänzt durch die kinetische Sinngebung, erzeugt durch die Erinnerungs- und antizipierende Verbindung von Bildelementen zwischen unterschiedlichen Zeitachsen, sowie eine weitere Sinngebung durch den Stil, durch die individuelle Sprache und die ästhetische Intensität des Filmwerks. So verbindet das Filmbild durch seine Strukturelemente Bewegung, Licht und Farbe monokulare geistige wie auch binokulare visuelle Bilder mit kognitiven Handlungen wie zum Beispiel die der Erinnerung, Vorstellung, Perzeption, Antizipation. Dennoch bleibt es in der technischen Machbarkeit und Logik verhaftet, die in hohem Maße die Grammatik der Filmsprache bestimmen. In einer Abhandlung zur Bedeutungserschließung und zum Denkvorgang aus dem Jahre 1906 erklärte Charles Peirce die visuelle Wahrnehmung als eine Hypothese, als eine dritte Kategorie neben der Induktion und der Deduktion: “There are three kinds of reasoning, the Inductive, the Deductive, and the Hypothetical. The last consists in the introduction into a confused tangle of given facts of an idea not given whose only justification lies in its reducing that tangle to order. This kind of inference is little subject to control, and so not highly rational; and one reason for this is that when once the facts have been apprehended in the light of the hypothesis, they become as swallowed up in it, that a strong exertion of intellect is required to disembarrass them from it, and to recall them in their pristine nudity.”11
Für die heutigen Bildformen ist der Film eine ähnlich hypothetische Denkerfahrung, die komplexe Eindrücke in Bedeutungs-
11 Peirce. MS 1906, S. 13
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Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft schemata organisiert und kontext- sowie kulturspezifische Kodierungen vermittelt. Aufgrund ihres synästhetischen Charakters und ihrer unmittelbaren Verflechtung mit der technischen Sprache gehört die Filmsprache zu den wichtigsten Medien der visuellen Wahrnehmung.
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Zur Logik der kinematographischen Bildsprache
Abbildungen aus dem Film ARARAT Abb. 12: Photographie
Abb. 13: Ashil Gorki’s Gemälde
Abb. 14: Videoaufnahme
Abb. 15: Historische Reliefs
Abb. 16: Die filmische Komposition
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Register Adorno 29, 102 Aristoteles 103
Johnson 77 Jones 165
Barthes 31, 38, 39 Baudrillard 155 Benjamin 102, 122, 128, 139 Bergson 170 Bühler 27
Kandinsky 129 Kant 11, 33 Ketner 7 Klee 129 Kristeva 40, 41, 52, 88, 89, 117
Carnap 23 Cassirer 32 Castells 122 Cole 50
Langer 42, 43, 73 Leibniz 11 Locke 11, 23, 94 Lotman 25, 30, 108, 110, 116, 129
Damasio 96 Deacon 56 Deleuze 170 Derrida 65, 110 Dewey 67 Duchamp 104
Malevič 105, 152 Manet 129 Marr 81 Merleau-Ponty 66 Merleau-Ponty 75 Morris 27, 44
El Lissitzky 105 Oldenburg 107 Feder 10 Fodor 82 Frege 23
Peirce 7, 9, 17, 18, 27, 36, 89, 164, 167, 171, 175 Penfield 80 Picon 129 Platon 23, 110
Gorky 172 Gursky 133 Hjelmslev 38 Hobson 166 Hobusch 136 Husserl 23, 126
Richter 132 Rossi-Landi 100 Rothko 119
Jakobson 27, 28, 29, 141 James 163
Sarkis 108, 111 Saussure 20, 36
181
Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft
Schleiermacher 34 Singer 64
Whitehead 50, 52 Wundt 10
Vico 25, 26, 43, 102, 115
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Image Lars Blunck (Hg.) Die fotografische Wirklichkeit Inszenierung – Fiktion – Narration Juli 2010, ca. 248 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1369-8
Matilda Felix Nadelstiche Sticken in der Kunst der Gegenwart März 2010, ca. 256 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1216-5
Jürgen Stöhr Auch Theorien haben ihre Schicksale Max Imdahl – Paul de Man – Beat Wyss. Eine Einfühlung in die Kunstgeschichtsschreibung der Moderne März 2010, ca. 378 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1403-9
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
2009-12-14 14-50-46 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 032e228633970434|(S.
1
) ANZ1362.p 228633970442
2008-05-27 12-26-20 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02a8179786122216|(S.
2
) T00_02 seite 2 - 746.p 179786122240