217 63 24MB
German Pages 348 [352] Year 1927
GRUNDRISS DER
GERMANISCHEN PHILOLOGIE UNTER MITWIRKUNG
ZAHLREICHER FACHGELEHRTER
BEGRÜNDET
VON
HERMANN PAUL
>VE1L. ORD. PROFESSOR DER DEUTSCHEN PHILOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN
8/2
BERLIN U N D LEIPZIG
W A L T E R DE GRUYTER & CO. VORM. G. J. GÖSCHEfTSCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTTENTAG. VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER — VEIT & COMP. 1927
DEUTSCHE VERSGESCHICHTE MIT EINSCHLUSS DES ALTENGLISCHEN UND ALTNORDISCHEN ST ABREIM VERSES DARGESTELLT VON
ANDREAS HEUSLER
Z W E I T E R BAND TEIL III: DER ALTDEUTSCHE VERS
BERLIN UND
LEIPZIG
W A L T E R DE GRUYTER & CO. VORM. G . J . GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG—J. GUTTENTAG. VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER — VEIT & COMP.
1927
Alle Rechte, besonders das der Obersetzung, vorbehalten. Druck von C. G. Röder G. m. b. H., Leipzig. 940126
DEM
ANDENKE N
GUSTAV ROETHES »
INHALT.
VII
INHALT DES ZWEITEN BANDES. Teil III. Der a l t d e u t s c h e Vers. Seite
22. A b s c h n i t t : Überblick über den altdeutschen Z e i t r a u m . Übergangsformen v o m S t a b r e i m v e r s z u m R e i m v e r s (§ 429-438) . 23. „ D e r R e i m (§ 439-466) 24. „ D e r B a u des althochdeutschen R e i m v e r s e s : D a s lateinische Vorbild und die N a c h a h m u n g ( § 4 6 7 - 4 7 4 ) 25. „ D e r B a u des althochdeutschen R e i m v e r s e s : G r u p p e n b a u ; V e r s r a h m e n und V e r s f ü l l u n g (§ 475-496) 26. „ D e r B a u des a l t h o c h d e u t s c h e n R e i m v e r s e s : A n - u n d A b v e r s ; Sprachbehandlung; ältere und jüngere Versfüllung
(§497-507) 27.
„
28. 29.
„ „
30.
„
31.
,,
32.
„
33. 34. 35.
„ „ „
36.
„
37.
„
D e r B a u des althochdeutschen R e i m v e r s e s : seine Stellung z u m altgermanischen R h y t h m u s (§ 508-519) D e r B a u der frühmittelhochdeutschen R e i m p a a r e (§ 520-552) D e r B a u der ritterlichen R e i m p a a r e : F ü l l u n g der Versglieder (§ 553-594) • • • D e r B a u der ritterlichen R e i m p a a r e : Gruppenbildung; S p r a c h b e h a n d l u n g ; versgeschichtliche S t e l l u n g ( § 595-627) D e r B a u der sanglichen Verse: W o r t und W e i s e ; der A u f und A b v e r s ( § 6 2 8 - 6 7 1 ) D e r B a u der sanglichen Verse: I n n e n d e h n u n g ; d a k t y l i s c h e Maße ( § 6 7 2 - 7 1 4 ) S t r o p h e n b a u : Allgemeines ( § 7 1 5 - 7 2 3 ) S t r o p h e n b a u : T ö n e aus gepaarten V i e r t a k t e r n ( § 7 2 4 - 7 4 7 ) Strophenbau: Viertaktertöne mit unpaarigen Gliedern (§ 748-768) • • Strophenbau: Töne mit nichtviertaktigen Gliedern (§ 769-806) S t r o p h e n b a u : R e i m s t e l l u n g ; Dreiteiligkeit; Formspiele. D e r Leich (§ 807-840)
1 8 31 38
55 63 74 99 135 163 203 242 250 273 290 3'7
I
T E I L III:
Der altdeutsche Vers. 22. Abschnitt: Überblick über den altdeutschen Zeitraum. Übergangsformen vom Stabreimvers zum Reimvers. 429. Der zweite, altdeutsche Zeitraum umfaßt die reimenden Dichtwerke der Karlingischen Zeit, dann die mehr zusammenhängende und bald in breiterem Flusse verlaufende Versliteratur von 1070 bis zum Ende der einheitlichen ritterlichen Kunst und Schriftsprache nach 1300. Es sind mit wenig Ausnahmen hochdeutsche Verse, da auch die niederdeutschen Dichter des 12. 13. Jahrh. selten ihre heimische Mundart gebrauchten. Die Grenze nach unten ist unfest. Um so schärfer hebt sich der Reimvers nach rückwärts, von seinem stabenden Vorgänger ab. Es sind zwei metrische Stile, keineswegs bloß in der Reimart verschieden. Und der neue Stil ist nicht allmählich, schrittweise aus dem altgermanischen erwachsen, so wenig als der kirchliche Steinbau seit 800 aus dem altgermanischen Holzbau. Man hat die heimischen, weltlichen Formen verdrängt durch Nachbildung der lateinischen, und zwar nicht der alten, klassischen, die man seit Karl dem Großen wieder kannte und pflegte, sondern der spätantiken: einer schlichtem, leichtern Form, wie sie im Kirchengesang erscholl. Zum erstenmal eiferte der deutsche Vers fremdländischem Muster nach. Der Zweck des althochdeutschen Schriftwesens: die kirchliche Volkserziehung, bekundet sich auch in seinem Verse. Die deutsche Dichtung schloß sich den Formen an, die so weit reichten als die Kirche; sie trat aus der germanischen Familie in die römisch-christliche über, sie wurde katholisch. Die hochdeutsch sprechenden Stämme haben zuerst unter den Germanen diesen Schritt getan: um 850. Damals dichteten die Engländer noch im heimischen Stabreimvers, und darin waren ihnen um 830 die sächsischen Bibeldichter gefolgt. Was die norrönen Skalden seit eben jener Zeit von der kirchlichen Form aufnahmen, wurde doch eigenartiger umgeschmelzt; Bragis Hofton klang weniger nach dem Kloster als Otfrids Reimpaare ! H e u s l e r , Deutsche Versgeschichte II.
I
2
STELLUNG OTFRIDS.
Nicht nur früher, auch viel schneller hat sich bei den Hochdeutschen der Umschwung vollzogen. In England kommt der Reimvers, nach schwachen Anfängen im 10. Jahrh., erst tief in der normannischen Zeit zu Kräften, und neben ihm behauptet der Stabreim — in den alten und in neuen Metren — seine Gattungen und seine Landschaften bis ins 16. Jahrh. Wie sich der Übergang bei Sachsen und Friesen, dann in den nordischen Stammlanden gestaltete, bleibt uns dunkel. Island hat seine alten Formen überhaupt nie ganz verabschiedet und hat auch dem Reimvers der Ballade, da wo er sich wirklich einbürgerte, in den Rimur, den Stabreim auferlegt. 430. Nach unsern ahd. Resten möchte man glauben, innerhalb weniger Jahrzehnte habe man den Stilwandel durchgeführt. In den 860 er Jahren steht der große reimende Erstling da, Otfrids Evangelienbuch. Weder Reimgedichte v o r ihm, noch Stabreimgedichte n a c h ihm sind mit Sicherheit zu erweisen. Am ehesten dürfte das kurze reimende Petruslied Otfrid vorausliegen. Stabreimende geistliche Dichtung reicht bis an Otfrid heran: daraus entlehnt er ein paar Verse, z. T. zerpflückt, so daß die Stabbindungen nicht mehr da sind (alle im ersten Buch: 5, 3. 5. 6b; 18, 9 = Muspilli 14; vielleicht 2, 5; 4, 7): Otfrids eigene Form steht von Anfang an entschlossen diesseits der Grenzscheide. Doch ist sie nicht von Anfang an fertig, sie entwickelt sich im Verlauf der frühen Abschnitte: in eine gefestigte Überlieferung des Reimverses ist Otfrid augenscheinlich nicht eingetreten. Wieviel ihm vorgearbeitet war, bleibt fraglich. Seine lateinische Vorrede sagt nicht, daß er zu der verunglimpften Laiendichtung in formalen Gegensatz trete, ebensowenig, daß er ihre Form übernehme. Auch die beiden Hauptfragen bleiben ohne Antwort: ob neben dem Clericus auch schon der Mimus mit dem landessprachlichen Reimvers anfing; wann und in welchen Stufen die stabreimende Skopdichtung, vorab das Heldenlied, zur reimenden Spielmannsdichtung überging. Hat der Skop bis zu seinem Ende den alten, der deutsche Spielmann seit seinen Anfängen den neuen Vers gepflegt ? Als alleinigen Ausgangspunkt der ahd. Reimkunst können wir Otfrid nicht ansprechen. 431. W a r Otfrid der Anfang, so gab es genug Kanäle von seinem mönchischen Buche in die weiteren, zuletzt auch weltlichen Kreise. Nicht jeder, der in den nächsten Jahrzehnten deutsch reimte, mußte den 'Liber evangeliorum theotisce conscriptus' in Händen gehabt oder auch nur daraus lesen gehört
ENDE DES STABREIMS.
ZWEITE FREMDE WELLE.
3
haben; auch durch sprachliche Anklänge an Otfrid muß sich ein Nachfolger seines Reimverses nicht ausweisen. Wie lange es brauchte, bis der Stabreimvers in den verschiedenen Gegenden und Gattungen erlosch, steht dahin. Aus dem Muspilli (§ 435) folgern wir nicht mehr, als daß dieser bayrische Prediger wenig sattelfest war in einer Kunstform, die er seinem Kreise doch noch angemessen fand. Hätte sie damals in den letzten Zügen gelegen, warum wählte er nicht den Reimvers ? Oder soll die heimische Form in seiner Landschaft verdorrt sein, eh man von der Nachfolgerin wußte ? Für das deutsche Waltherlied, das den Stoff zu Eckeharts Waltharius hergab, darf man wohl den jüngern, spielmännischen S t i l erschließen1); damit wahrscheinlich auch den jüngern Vers: um 930 bestand am Oberrhein reimende Heldendichtung. Dem Sachsen Widukind, 30 Jahre später, wird der Iringstoff wohl noch aus einem stabenden Liede zugekommen sein. Einen zeitlichen Anhalt gibt noch Notker Labeo um das Jahr 1000: die volksmäßigen Reime bei ihm stehn wohl im jüngern Lager (§ 438), ohne doch, wie Notkers eigene Verse, kurzweg zu Otfrid zu halten (§ 506. 524). >) Neckel, G R M o n . 1 9 2 1 , 277 f f . ; auch Singer, Dichterschule v o n S t . Gallen ( 1 9 2 2 ) 76, ist f ü r ein R e i m g e d i c h t . Z u den F r a g e n dieses Abschnittes vgl. außer den L i t e r a t u r g e s c h i c h t e n : K c r , T h e d a r k ages ( 1 9 0 4 ) 2 4 2 ; Plenio, B e i t r . 42, 4 3 0 ; K l u g e , Deutsche S p r a c h geschichte ( 1 9 2 0 ) 2 4 7 t . ; F r a n k e l , Z s A l t . 58, 41 f f . ; J e l l i n e k , F e s t g a b e f ü r Zwierzina 1 9 2 4 , 3 f f . ; N a u m a n n , D V j s c h r . 2, 781 ff. ( 1 9 2 4 ) ; S c h i r o k a u e r , ebd. 4, 7 4 f f .
432. Mag es nun vor, neben und nach Otfrid selbständige Versuche im deutschen Reim gegeben haben: jedenfalls bilden die kleineren Reste des 9. 10. Jahrh. mit den 7400 Langzeilen Otfrids eine engere, leidlich einheitliche Gruppe. Gegen 1070 setzt, nach längerer Unterbrechung, der Buchvers der Geistlichen neu ein. Der ist von den ahd. Formen verschieden genug, daß man fragen konnte, ob er überhaupt den uns bekannten Reimvers der Karlingischen Zeit fortsetze. Von da ab ist sicher kein Riß mehr erfolgt. Die Wandelungen, die im Laufe des 12. Jahrh. zu dem gepflegten Kunstverse der Ritterdichtung führen, geschehen stufenweise vor unsern Augen. Aufs neue wirken lateinische Formen ein; zu denen des Hymnus kommen die der Goliardenlyrik. Noch folgenreicher wird der Einfluß der nord- und südfranzösischen Verskunst: fühlbar seit dem letzten Viertel des Jahrhunderts. Nicht nur die Strophenfülle der sangbaren Lyrik entspringt diesen Anregungen: auch der innere Bau des gesprochenen wie des gesungenen Verses bewegt sich nach der romanischen Art hinüber in dem Grade, daß 1*
4
W E L T L I C H E DICHTUNG.
TEXTVERDERBNIS.
der rhythmische Stil der mhd. Hoch- und Nachblüte mehr welsch als germanisch heißen kann. 433. Dreihundert Jahre lang kennen wir den deutschen Reimvers fast nur aus geistlicher Dichtung. Auch als, seit 1150, weltliche Werke daneben treten, entsteht kein Gegensatz, keine Zweiteilung in kirchlichen und profanen Kunstbrauch. Der Spielmann und dann der Ritter, der Bürger lernten vom Geistlichen und umgekehrt. Dem welsch bedingten Formideal huldigen sie alle von Veldeke bis Konrad von Würzburg. In diese im Strophenbau so mannigfache, im rhythmischen Stil so einheitlich glatte Hof- und Buchkunst ragt der Versbau der Schriftlosen — der deutsche Volksvers, den es auch damals gegeben hat — höchstens mittelbar herein. In der großen Lücke vor 1050 war das Versemachen nicht versiegt. Sehen wir von der anspruchslosen Kleinkunst ab: die damals noch unbuchlichen Spielleute dichteten ihre Lieder; das lehren Zeugnisse und vor allem die Tatsache, daß im Heldenlied die Stoffüberlieferung unzerrissen blieb. Man muß die Möglichkeit in Rechnung stellen, daß dieser weltliche, mündliche Reimvers von dem stabreimenden Vorgänger m e h r übernommen hatte als Otfrid und seine Gruppe: er konnte un-Otfridische Züge abgeben an die neue Buchdichtung der Pfaffen seit 1050 und später an die Dichtung der Ritter. In der Zeit der sächsischen Kaiser, wo nur der Kirchenmann schreiben konnte und nur Latein schrieb, dürfen wir am allerwenigsten das Bewahrte dem einst Vorhandenen gleichsetzen. 434. Weil im altdeutschen Zeitraum Buchdichtung überwiegt oder dann Kunstlyrik, die bald aufs Pergament kam, spielt das Zersingen nicht die Rolle wie beim weltlichen Stabreimvers (§ 109). Von den Formen der Dichter trennen uns viel öfter die Schreibereingriffe. Wieviel man ihnen aufbürden soll, und wieweit sie holpriger oder ebener gemacht, die 'Regel* gestört oder gestärkt haben: diese Fragen halten seit Lachmann die Herausgeber mittelhochdeutscher Texte in Atem; dem Versbetrachter erschweren sie empfindlich die genauere Beschreibung der ritterlichen Reimpaare. Dankbar begrüßen wir es, daß am Anfang unsrer Strecke ein Werk von authentischer Überlieferung steht: Otfrids Evangelienbuch ist in der Wiener Handschrift vom Urheber selbst durchgangen. Da gibt es kein Wegbessern. Da auch der Versbau in diesem Denkmal so eindeutig ist, wie in keinem stabreimenden und in sehr wenig endreimenden Werken des Mittelalters, beginnt die Geschichte des deutschen Reimverses auf festem Boden — abgesehen von der Entstehungs-
ÜBERGANGSFORMEN: MUSPILLI.
5
frage! Auf d i e s e Frage muß es so viele Antworten geben als Deutungen des altgermanischen Rhythmus. Auch in die folgenden Jahrhunderte wirft dieser Meinungsstreit seine Wellen. Die Mittelpunktsfrage aber: Svie h a b ich zu lesen? 1 weckt nur an wenig Stellen so unversöhnliche Gegensätze wie beim Stabreimvers. Denn der deutsche Reimvers steht seit seinen Anfängen dem heutigen Formgefühl näher. Nur trägt die bekannte Uneinigkeit über das Wesen des Verses, über das Ziel der Versbetrachtung Zwiespalt auch in das rein beschreibende Erfassen der altdeutschen Formen. 435. Trotz der verhältnismäßig scharfen Scheide zwischen stab- und endreimender Dichtung fehlt es nicht ganz an Stücken, die in dem einen oder andern Sinne Übergangsformen heißen können. So das umfängliche M u s p i l l i (101 Langzeilen mit Ausscheidung von Z. 18. 48. 97. 99a in Braunes Text). Ohne die Fragen nach der Mehrheit von Urhebern, ihrer Zeit und ihrem Verhalten zu Otfrid aufzunehmen, begnügen wir uns festzustellen: Reimverse ohne (gewollten) Stabreim sind Z. 61. 62 und doch wohl 78. 79. Da sie die Bewegung / N / x haben (Akzentform 1. 3), sticht ihr Grundmaß von der Umgebung nicht ab, um so mehr ihre jambische Glätte. Endreim neben Stabreim mag beabsichtigt sein in 28. 37. 87. Verstöße gegen den Stabreim in sonst formgerechtem Verse bringen die Zeilen 3. 13. 15. 22. 37. 49. 53. 57. 58. 59. 74a. 90: 12 Fälle. Stabform x a in stumpfem Anvers (§ 268): 4. 32. 71. 76. Unterepische Füllung: 23a. 32a; 20b. 91b. Auch der Reimvers 79b ist überleicht. Typus a. 2S. 2s: 92a; a. 2S. i s : 11a (§232). (77a lesen wir: denne verit er ze deru mähalsteti, vgl. § 269.) 83 Anverse, 82 Abverse, das sind 81 % der Masse, dürfen als Stabreimverse nach der epischen Regel gelten. Nur daß sich die Halbzeilen kaum mehr nach dem Gewicht abstufen; insbesondre K (D würde die große Zahl der a. g > ' • k im Abvers (25 Fälle) dem Heliand oder gar dem Beowulf widerstreben (§ 252. 260). Daß die zwanzig längsten, 5—7silbigen Auftakte zur Hälfte dem Anvers gehören, hängt mit dem vorwiegenden Zeilenstil zusammen (§ 366, vgl. 344). Nach dem Reimvers hinüber geebnet ist der rhythmische Gang kaum. Die 'neutralen' Kurzverse, die mit gleichem Zeitfall auch bei Otfrid stehn könnten, betragen 46%; die mit dem Wahrzeichen des alten Stils, Überlänge im Innentakt, 17%. Diese
6
ÜBERGANGSFORMEN:
ZAUBERSEGEN.
Zahlen liegen nicht so sehr weit ab von denen des Hild.: 4 0 % und 2 0 % . So ist das Muspilli als ganzes kein Mittelglied zwischen altem und neuem Verse. Eine beträchtliche Bruchzahl seiner Zeilen, und zwar über das ganze Gedicht hin, fällt aus der ältern Form: die Hauptmenge fließt aus dem Gefühl für agerm. Rhythmus. 436. Eigentliche Zwischenformen finden wir in deutschen Z a u b e r s e g e n . Die haben die doppelte Neuerung, die im Reimschmuck und die im Rhythmus, nicht immer zusammen vollzogen; es kreuzte sich auf die eine oder andere Art. Vertreten sind 5 Übergangsstufen: 1. das alte Maß ohne Stabreim, 2. das alte Maß mit Endreim, 3. das neue Maß ohne Reimschmuck, 4. das neue Maß nur mit Stabreim, 5. das neue Maß mit (lückenhaftem) Stab- und Endreim. Diese Arten können sich mischen. Das Zersingen als Ursache der Buntheit erkennt man im Hundesegen (§437)Bei allen Germanen gab die höhere Dichtung m i t dem Stabreim das eilte Metrum auf; denn dieses b r a u c h t e den Stabreim (§114, 7). Die Kleinkunst zeigt Ausnahmen: die zwei Langtakte stablos; sieh § 117. Vorgermanischer Rest, wie im Wurmsegen, ist dies im ersten, christlichen Wiener Segen nicht 1 ). Er beginnt mit 3 Kurzversen 'neutralen' Zeitfalls, Otfridversen ohne Reim; dann bricht unverkennbar, ausdrucksvoll die germanische Linie durch. Zu ändern braucht man nicht. Man lese: Visc flöt äftar themo wätare, verbrüstun slna vdtherön; thö gihölida ina Öse drühtln. The s&vö drühtln, thie thena visc ^ gihöldä, thie gihöle that h6rs /\ theru spürilheltl. Mit Endreim verbindet den alten, markigen Rhythmus der erste Trierer Segen (Braune 166): Crist wärth giwünd ^ : thö warth he h61 gi Ök gisünd ; that blüod ^ forstüond ^ : sö duo thü, blüod . Zusammengesetzter ist der 'Straßburger Blutsegen' (Steinmeyer 375). Z. 1 und 2 sind glatt Otfridisch, mit fraglichem Endund Stabreim. Die monopodische Bewegung läuft wohl fort in dem Unpaarigen, der die Erzählung endet; aber sein Ausgang ist un - Otfridisch, stumpf: tö verstönt taz plüot /s. Die drei Wunschverse schlagen den agerm. Rhythmus an mit einer höchst wirkungsvollen Mindestform S. s (§ 221); Stabreim haben sie nur durch Wortwiederholung: verstände tlz plüot! /s stänt plüot! /\ stant, plüot, fastö!
ÜBERGANGSFORMEN :
ZAUBERSEGEN.
7
Auch das Stück vom Tumbo hat nur solche Wiederholungsstäbe, dazu in Z. i und 3 Endreim; die Bewegung ist die des jüngern Maßes, doch vorwiegend dipodisch und in Z. 2 mit stumpfen Versen: tümb hiez ter berch tümb hlez taz kint Im ganzen die fünfte der erwähnten Stufen. 1 ) Mit unrichtiger Verstrennung M S D . IV 4. Braune 165 druckt das ganze, Steinmeyer 372 die Wunschformel als Prosa.
437. Ausgeprägt monopodischen Gang mit freien Stäben und ohne Endreim (Stufe 4) zeigt die Hausbesegnung (MSD. 2, 305; Steinmeyer 389): wöla, wiht, täz tu weist, täz tu wiht hdizist, täz tu neweist noch nechanst cheden chnöspinci. Mit lückenhaftem Stab- und Endreim erscheint das jüngere Maß im x. Merseburger Spruch: seine erste, auch die vierte Zeile kämen in den Langtakten weniger gut heraus 1 ). Wir lesen so: iiris säzun idisi, sä zun hera düoder: süma häpt h£ptidun, süma h£ri lezidun, süma clübödün ümbi cüniöwidi. insprinc häptbändün, invär vigändün! (Der 3. Abvcrs vielleicht stumpf: ümbi cüniöwidi 2a und b vielleicht mit Schluß vgl. § 494.) Nahezu durchgehenden Endreim samt Stäben hat der Weingartner Reisesegen, MSD. 1, 18, dessen fünf ohrenfällige, glattfließende Langzeilen Steinmeyer 398 für 'rhythmische Prosa 1 erklären konnte 2 ). Z. 1 und 2 in deutlich monopodischem Fall: ich dir n l c h sihe /\, ich dir näch sende 11 mit minen fünf fingirin fünvi undi fünfzic engili. Z. 3-5 führen zwar den Schritt / v / N durch, aber mit der ebenen Füllung des jüngern Maßes. Beachte den stumpfen Vers i a . Endreim fehlt nur in Z. 1. Alle fünf Zeilen haben Stäbe, 1 und 5 sogar gekreuzte (§ 132), aber nicht nach den alten Stellungsregeln. Die bunteste Mischung unter diesen Sprüchen zeigt der Wiener Hundesegen, den wir mit MSD. 1, 16 gegen Braune 85, Steinmeyer 394 für Verse halten. Der kirchliche Rahmen steht im jüngern Lager: z. T. reimende Otfridverse: dö was säncte Marti || Christas hirti; de früma mir sa hiuto ällä || hera h£im gasüntä (vgl. Beitr. 42, 1x8); z. T. reimlose Verse, viermal mit stumpfem Schluß: Christ wärt gabören ^ 11 er wölf öde diob . Das Mittelstück 4-10 enthält vier stabende Unpaarige und eine Langzeile, die mit arwarten für za scedin werdan formgerecht würde, dazu zwei formsprengende Einschiebsel, 6 und 10. In dem überlieferten Zusammenhang sprach man diese stabenden Verse wohl im jüngern Rhythmus: der gawdrdo walten; däz in wölf noh
8 wulpä. . . Nach ihrer ursprünglichen Bestimmung werden es richtige Vertreter des agerm. Maßes gewesen sein, auch wieder Unpaarige und Langzeilen durcheinander. l ) Saran, DVersl. 235. An Mischung 3- und 2 hebiger Verse glaubt Lindquist, Galdrar I 4 f f . E s trifft nicht zu, daß der epische Teil Stabe, der magische reime (ZsAlt. 58, 61). a ) In der Hauptsache richtig rhythmisiert Moser, Gesch. d. d. Musik 1 , 5 1 . — Ganz aus dem alten Stile heraus ist der Lorscher Bienensegen (Braune 85); sieh Unwerth, Beitr. 42, 1 1 7 f .
438. Eine letzte Übergangsform wären Stücke, die das jüngere Metrum samt dem Reim durchführen, aber da und dort einen beabsichtigten, nicht zufälligen Stabreim einstreuen. Man darf hierherrechnen die zwei Versgruppen aus Notkers Rhetorik (MSD. 1, 56; Braune 153). Die Langzeilen 2, 5 und 7 haben Stäbe, die ihre Silbenreihe wirklich beherrschen und die Hälften verknüpfen nach den Ansprüchen der alten Kunst. Dipodische Messung mit Überlänge würde einige Verse sicherlich heben: i a söse snel Snellemo; 4a sin bald ellin; 7 unde zene sine || zwelif-elnige; aber ein zwingender Grund dazu besteht nicht; es kann auch die flachere Kurve Otfrids gemeint sein. Bei Otfrid und allen anderen Reimdichtern, ahd. wie mhd. Zeit, erkennen wir kein Fortwirken des germ. Stabbrauches. Ihre gleichen Anlaute ruhen guten teils auf Formeln, die in der Prosa weiterlebten; fast durchweg liegen sie innerhalb ¿ines Kurzverses. Eine Häufung wie II 7, 27b thia früma uns füntan fllu främ zeugt g e g e n altgermanisches Reimstabgefühl. Langzeilen, durch formgerechten Stabreim verknüpft, sind schon bei Otfrid so selten, daß er dieses weltliche Kunstmittel eher gemieden als gesucht hat 1 ). Fragwürdig ist die Annahme, in mangelhaften Endreimen wie muases: mannes habe man den gleichen Anlaut als Nachhilfe empfunden 2 ). Der Bruch mit dem Stabreim war in Deutschland viel schärfer als in England. *) So Unwerth-Siebs, D L i t . 1 7 1 . 189. Gewollten Stabreim bei Otfrid, noch mehr im Georg, nimmt Boer an: Verslagen en Mededeelingen 1918, 2 2 3 f f . ; Nachwirkung in mhd. Zeit: Lindemann, Über die Allit. . . im Volks- und Spielmannsepos 1 9 1 4 ; im König Rother: de Vries, Rother (1922) X L I I I f . 2 ) Wolff, ZsAlt. 60, 2 7 6 f f . ; in der Wiener Genesis: Vogt, Beitr. 2, 249f.
23. Abschnitt: Der Reim. 439. Aus heimischer Wurzel kann man den deutschen Endreim nicht herleiten, so wenig als den der anderen Germanen. Entschiedene Ansätze zu Reimbindung der Zeilenhälften bot die Stabreimdichtung nicht; wir wiesen bei den Skalden darauf hin (§ 399). Fälle wie Hild. 56 man: giwinnän; 58 ärgöstö : -liutö würden zwar althochdeutschen Reimgedichten genügen,
HERKUNFT DES REIMS.
9
aber im stabenden Lager hat man sie, bei ihrer Seltenheit und weil das Ohr keinen Reimschluß erwartete, schwerlich herausgehört. B i n n e n r e i m war etwas häufiger; ihn kennen auch Zwillingsformeln: ahd. enteo ni wenteo; ae. ne londes ne strondes; awnord. S9gn eÖa JtQgn; aschwed. ren ok sten = hd. rein und stein. Aber auch diese bilden, neben den stabreimenden, eine viel dünnere und sichtlich jüngere Schicht mit nur vereinzelten gemeingermanischen Belegen; und vom Binnenreim aus wäre man nicht so leicht zur reimenden Verknüpfung der Kurzverse gelangt, auch blieben die häufigen Halbreime und Endsilbenreime von da aus unerklärt. Beim deutschen Endreim kommen, anders als beim skaldischen, die zwei entscheidenden Gründe hinzu: Der Reim verdrängt und ersetzt den Stabreim als Bindemittel der Verse; und m i t dem Reime kommt das neue, kenntlich verschiedene Versmaß. Beide Neuerungen führt die höhere Poesie mit einem Rucke durch. Mischformen zeigt nur die Kleindichtung (§ 436). 440. Der europäische Endreim ist ein Geschenk der Kirche. Darin behält Uhland Recht gegen Rask und die Brüder Grimm. Seit dem 5. Jahrh. kennt die römisch-kirchliche Dichtung planmäßigen Reim. Seine Heimstätte wurde eine Dichtart, die eben damals aufkam. Neben den Versen alten Stiles, den messenden, baute man lateinische Verse neuer Art. Die nahmen auf die Silbendauer keine Rücksicht, und Hiatus störte sie nicht (eräs absque originö); vom Silben ton verlangten sie höchstens im Versschluß ZusammenfaJl mit der Hebung, auch dies keineswegs folgerecht (die 'unreinen Schlüsse'): in paternä claritat^; ergo erit dtes ille. Es war jener nichtmessende, bedingt wägende Versbau, der uns in § 95. 102 begegnete; die Grundlage für den Vers der romanischen Sprachen. Man nennt ihn oft den silbenzählenden, denn gewöhnlich hatten Vers und Versglied starre Füllung (vgl. § 473). Doch pendelt es nicht selten z. B. zwischen 7 und 9 Silben; auch nicht-messende Hexameter mit grundsätzlich freier Summe gab es seit dem 7. Jahrh. Wer also den Namen 'silbenzählend' gebraucht = 'weder messend noch wägend', der hat hier das schöne Oxymoron: 'silbenzählende Verse mit freier Silbenzahl'! — Die große Menge aber dieser Dichtung bestand aus J a m b e n oder Trochäen. Diese zwei Namen gebrauchen wir weiterhin in dem herkömmlichen, übertragenen Sinne, wie er uns vom neudeutschen Verse her gewohnt ist. Schaden stiften sie unmöglich, sobald wir uns über die Währung der Münze einigen. Ü b e r die Z e i t w e r t e sagen sie n i c h t a u s : sie lassen offen, ob der Taktrhythmus
IO
CARMINA
RHYTHMICA.
I*kXI oder I I oder I war (vgl. § 478): eben in dieser unvorgreiflichen Allgemeinheit liegt der Nutzen, ja die Unentbehrlichkeit der Namen. Sie bezeichnen einfach Verse mit zweisilbigen Innentakten: (_) L _ L _ . . . . , also 'alternierende' oder Aufund Ab-Verse; 'jambisch', wo sie mit einsilbigem Auftakt, 'trochäisch', wo sie auftaktlos beginnen. Zwischen diesen beiden Messungen kann man beim mlat. Verse in Verlegenheit kommen, da wo sich auch die Kadenz das Wägen spart; wie bei Alcuin PLat. 4, 904: Bonus factor bona valde [| condidit cuncta celeriter; Quae singula sunt nam bona, || simul omnia satis bona. Es war eine nach Rhythmus wie Sprachbehandlung tiefstehende, plebejisch ehrgeizlose Form. Um ihre Dauer und ihre starke Wirkung zu verstehn, bedenke man: die Texte waren in der Regel nur das Fadennetz zu der Stickerei der Musiktöne. Und 'die Musik unterliegt nicht den Regeln des Donat', der Grammatik; will sagen: sie muß die Silben weder messen noch wägen. Mit den Namen 'carmina metrica' und 'carmina rhythmica' unterschied man die klassische und die neuere Versart. Noch heute spricht die Forschung von 'rhythmischem Bau, rhythmischen Versen und Dichtern' in diesem bestimmten Sinne; also wohl zu scheiden von der gewohnten Bedeutung des Wortes! Da man die neuere Art Verse so oft mit Reim verband, konnte man bei 'carmen rhythmicum' an den Reimschmuck denken, und rhythmus, ritmus wurde ein Wort für das gereimte Gedicht, den Reimvers. Davon stammt das franz. rime. Dieses drang im 12. Jahrh. ins Deutsche: fim, nhd. reim bezeichnet bis nach 1600 den gereimten Vers, auch die Versgruppe, Spruch, Liedchen, wie noch heute in überkommenen Prägungen: Kehrreim, Leber-, Kinderreim, 'ein lustiger Reim'. Erst Opitz gebraucht mit neuerlichem Anschluß an frz. rime das Wort im Sinne von 'homoeoteleuton'. Sieh Braune, Reim und Vers 1916. 441. Der Nachahmer überholte sein Vorbild. In den lat. Ritmi ist der Reim ein halbes Jahrtausend und länger 'nicht regelmäßig und meistens unbedeutend'; erst im 11. Jahrh. führen sie den Reim völlig durch1). Die deutschen Reimer tun das von Anfang an. Sie mochten das Gefühl haben, irgendein Reimband tue den Versen not, wenn nicht mehr der Stabreim, dann der Endreim. Das halbe Dutzend reimloser Zeilen in Otfrids erstem Buche (§ 453)» die reimlosen Stücke unter den Zaubersegen und das gelegentliche Versagen des Reimklangs in rohen Versen vor 1100 (§456) schränken den Satz wenig ein, daß in Deutschland der
STELLUNG DES R E I M S .
ii
Endreim so unentbehrlich war wie einst der Stabreim. Bis übers Mittelalter hinaus war Versemachen Reimen 2 ). Reimlose Glieder gab es nur an gewiesener Stelle im Gruppenbau (die 'Waisen'), — auch in Herzählversen wie dem Traugemundslied (MSD. i , 192), zu vergleichen mit den reimlosen 'Zählgeschichten' der neueren Spinnstuben (Bücher, Arbeit und Rhythmus 4 86ff.). Anders als in England, wo, von der fortlebenden Stabkunst abgesehen, planloser Reimmangel bis ins 13. Jahrh. vorkommt, auch ein umfängliches, metrisch strenges Denkmal, das Ormulum (um 1200), auf Reimschmuck ganz verzichten konnte. ' ) \V. Meyer, Ges. Abh. 2, 1 2 4 ; Gött. Gel. Nachr. 1908, 43. 80; ib. 1 9 1 3 , 173. ) Das Stück "Himmel und Hölle' beurteilen wir mit Naumann, Notkers Boethius 92. 2
442. Jede Reimart, Stab- wie Silbenreim, ist zunächst einmal ein wohlgefälliges L a u t s p i e l . Da beim Silbenreim zumeist der wiederkehrende Vokal, in ältester Zeit so oft nur ein sprachlich schwacher, ins Ohr fällt, ist die Wirkung sanfter und mehr gesanglich gegenüber dem rednerischen Nachdruck des Stabreims. Zum Stabreim taugten nur hebungsfähige Silben und auch unter ihnen nur die stärkeren (§122. 137): beim Silbenreim wirken a l l e Silben bis zur schwächsten mit. Das zweite, wichtigere: daß der Zierat die rhythmische Kette gliedern hilft, trifft auf den Endreim so gut als auf den Stabreim zu, nur in ganz ungleicher Weise. Der Endreim gliedert, indem er Schlüsse, metrische G r e n z e n , fürs Ohr auszeichnet (§52). Der Stabreim hatte G i p f e l erhöht und damit den vershaften Bau mehr von innen bestimmt. Der Stabreim, richtig gewürdigt, ist mit seinem Verse mehr verwachsen als der Endreim. Dagegen reicht die Fähigkeit, Gruppen zu bilden, beim Endreim viel weiter. Verschränken und Häufen — über die niederste Periode hinaus ( § 1 3 2 ) — h a t man beim Stabreim niemals versucht. Gesonderte Silbenreimklänge schcint das Gedächtnis leichter auch in Verflechtungen zu beherrschen. Der R e i m s t e l l u n g e n gibt es daher viele. Ihre Betrachtung fällt in das Kapitel vom Gruppenbau. Eine neue Reimstellung bedeutete eine neue Strophe. Der Strophenreichtum der Ritterzeit hatte die entwickelte Reimkunst zur Bedingung. Aber 300 Jahre lang machte man von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch: man begnügte sich mit der schlichtesten Reimstellung, dem Paarreim: a a b b . . . . , mochten nun die reimenden Glieder Kurzverse sein, wie in der erhaltenen Dichtung, oder Doppelverse, Langzeilen, wie in verlorener Spielmannspoesie (§ 73 1 )- Nur gelegentlich setzen Reimpaarwerke schon der frühmhd. Zeit einen Dreireim a a a ein (§ 527). Planmäßig schritt erst
12
HAUFENREIM.
SCHALLFORM DES REIMS.
die ritterliche Lyrik, nach 1150, über den Paarreim hinaus (§ 810). Da meldet sich der zweite fremde Einfluß: der neugewonnene Reichtum der lateinischen, dann auch der welschen Reimstellungen strömt ein: zuerst die gekreuzte Stellung ab ab . . . , dann die umschließende a b b a, der Schweifreim aab c c b ; weiter die Formen mit drei und mehr Gleichklängen usw. Fern blieb man dem welschen Haufenreim, den 'tirades (laisses) monorimes': ganze Versreihen wechselnder Länge auf éinen Ausklang gebunden. Diese ungewohnte Form ersetzten im Alexander und im Roland die deutschen Bearbeiter (um 1130) durch den gewohnten Paarreim. Später, da Endsilben als Träger des Reimes nicht mehr genügten, hätte der Haufenreim germanischen Sprachen Mühe gemacht (§ 461). Aber schon in der Lateindichtung fand der Tiradenreim, cdie älteste Form des lat. Reimes', bei Deutschen nicht die Pflege wie bei Spaniern, Iren und Franzosen1). Noch weniger konnte man in deutscher Sprache daran denken, die Einreimigkeit ganzer Gedichte nachzuahmen, wie sie zumal in Spanien, aber auch in Frankreich, selbst in ungleichversigen Strophen, vorkam2). Den Grundsatz, in den Strophen éines Liedes nicht bloß die Reimfolge, auch die Reimklänge zu wiederholen, überließ man im ganzen den Romanen (§ 827. 829). 1 ) W . Meyer, Ges. A b h . 2, 123f. Vgl. Polheim, Die lateinische Reimprosa (1925) IX; Wallner, Beitr. 43, 1 9 5 f f . ; Plenio, ib. 39, 3 1 3 f f . Den Namen Tirade vermiede man besser, wo kunstreicher Gruppenbau längere Strecken v o n vorbestimmter Verszahl einreimig bildet (wie die Leiche Gutenburgs, Frauenlobs); das ist Reihenreim, verschieden v o m Haufenreim. 2 ) Stengel, Gröbers Grundriß II 1, 77.
443. Die S c h a l l f o r m des Reims macht in Deutschland eine starke Entwicklung durch: vergleichbar mit den englischen Zuständen, verschieden von den skaldischen, wo der Endreim seit dem ersten Schritte vollreif ist (§ 396). Der altdeutsche Reim von etwa 1180 an stimmt zu dem, was wir heute 'reinen Reim1 nennen. Daneben erscheint der Reim ahd. und frühmhd. Stufe frei und unvollkommen. Aber mit der Wendung 'der Reim ist reiner geworden, den Halbreim hat der Vollreim verdrängt' träfe man nur die eine Seite und noch nicht einmal die wichtigere. Auch der Vollreim steht anfangs unter anderen Forderungen. Der r h y t h m i s c h e Anspruch an den Reim hat sich erhöht. So kurz wie Egils Runhending (§ 397 f.) läßt sich Otfrids Reim nicht beschreiben — nur die Stellung ist noch einfacher als dort. Der Buntheit der Schallform kommen wir bei mit Hilfe dieser Unterscheidungen.
SEINE LAUTLICHE UND SPRACHRHYTHMISCHE BESCHAFFENHEIT.
13
444. Erstens die l a u t l i c h e Beschaffenheit. Silbenreim und Stabreim sind Gegensätze: beide zwar vereinigen für gewöhnlich Gleichheit mit Ungleichheit; aber das Gleiche geht beim Stabreim dem Selbstlauter voran (§ 119), beim Silbenreim ist gleich der Selbstlauter: vokalischer Halbreim, oder was ihm folgt: konsonantischer Halbreim, oder beides: Vollreim. Für Selbst- wie Mitlauter gibt es Grade der Ungleichheit: lautähnliche Klänge haben wir in den Paaren got:nöt; sär : hiar; läzan : niazan; scowon : bluomon; — biginnan : bringan ; folget : wollet; baldo : selbo; morgan : irsterban. Die Ungleichheit neben der Gleichheit fehlt, wo dem Selbstlauter gleiche oder keine Mitlauter vorangehn: giang : zigiang; eigi : eigi. Dies heißt rührender Reim. Es gibt auch rührenden Halbreim: minan : midan; wirdi : wurdi (wie nhd. erde : ehrte; lügen : liegen). Hier ist die Ungleichheit zwar vorhanden, aber da wo sie das Ohr nicht sucht! 445. Zweitens die s p r a c h r h y t h m i s c h e Beschaffenheit. Die reimtragenden Silben können sein: 1 maht : naht; 1 heilant: fiant; ^ wibon : magadon; hugita : zelita; 1 h wuntar : suntar; ¿ ^ ^ worahtun : forahtun. Erst nach Otfrid die Gruppen: ¿ ^ sagen : dagen; IH^L lougino : tougino; eriste : heriste. Noch später die , -Z^L^, sieh §464. Der sprachrhythmische Hauptunterschied ist der von Stammsilbenreim und Endsilbenreim. Der erste ruht auf einer Wurzelsilbe mit oder ohne Endsilbe(n): maht : naht; wuntar : suntar; zelita : welita. Der zweite ruht nur auf Endungssilben: lindo: selbo; afaron : redinon; wibon: magadon; hugita : zelita. Stammund Endsilben können untereinander reimen: sun : liazun; thaz: managäz. Sprachlich starke Ableitungssilben reimen selten untereinander, viel öfter auf Wurzelsilben: heilant: fiant; bouhnenti: sprechenti;—hant: fiant; ediling : thing; wahsenti: henti; stilnissi: giwissi; drinkanne : manne. 446. Drittens die v e r s r h y t h m i s c h e Beschaffenheit. Otfrid und seine Gruppe kennen, wie wir vorweg nehmen (s. § 492), die drei Kadenzen: einsilbig voll (iv), zweisilbig klingend (2 k), dreisilbig klingend (3 k). Dem entsprechen aber nicht 3, sondern 8 rhythmische Reimformen: 6 einhebige, 2 zweihebige. Dort ruht der Reimklang nur auf der letzten, hier auf den beiden letzten Hebungssilben. Der Ausgang i v reimt einhebig. Die Schlüsse 2k und 3k reimen ein- oder zweihebig; wenn das erste, können sie untereinander und mit i v reimen.
14
SEINE VERSRHYTHMISCHE BESCHAFFENHEIT.
Die acht Arten sind diese: Einhebige Reime: 1. i v : i v maht : naht 2. i v : 2k sun : liazùn 3. i v : 3 k thaz : managàz 4. 2k : 3k wlbòn : magadòn 5. 2k : 2 k lindò : sélbò 6. 3 k : 3 k àfaròn : rédinòn Zweihebige Reime: 7. 2k : 2 k wuntàr : suntàr 8. 3k : 3 k zélità : wélità. Die Paare 1 und 5-8 kann man rhythmisch eben nennen: den Reim tragen gleichwertige Kadenzen. Stärkestufen gibt es auch da noch : thing : édilìng unter 1 (§ 493, 2) ; héntì : héffèntì unter 7. Die Paare 2-4 sind rhythmisch uneben. Die Schlußsilben selbst haben doch unter 4 gleichen Stärkegrad. Bei Otfrid verhalten sich die ebenen zu den unebenen ungefähr wie 9 : 1 . Stammsilbenreim liegt vor in 8 und mit einigen Ausnahmen in 1 und 7; Endsilbenreim in 4-6; Mischung in 2 und 3. Da Versschlüsse a u f S e n k u n g (2silbig voll, 2silbig stumpf) noch mangeln, gibt es bei Otfrid keinen Gleichklang bloß in Senkungssilben (nase : muge §458). Den ahd. Reim trägt mindestens éine gehobene Silbe. 447. Unsre Beispiele für die acht Arten boten Vollreim. Ziehn wir die mancherlei H a l b r e i m e heran (§444), so zeigt sich vor allem ein breites Übergangsgebiet zwischen 5 und 7, zwischen 6 und 8: Reime 2k : 2k wie: érdù : zéllù; wàrù : zàlù; làntè : hàltè; thàrbèn : irbàrmèn; — z i a r ò : thionò; liubì : gilóubì; wisèn : firliasèn; — m à n n è : kindè; aitò : wórtò; däti : nòti; snéllò : fóllò; hartò : wórtò. Reime 3k : 3k wie: rédinòn : ébonòn; himilè : widirè; ménigì : ingéginì; habétì : sagètì; — z é l i t ì n : wóroltìn; hólotì : gilädöti; bérahtà : wórahtà. Solche klingenden Halbreime kommen an Zahl den Vollreimen unter 7 mindestens gleich; denen unter 8 tun sie es weit zuvor. Lassen wir sie alle als zweihebig gelten, dann hat Otfrid zu gut zwei Dritteln zweihebigen Reim, und die Summe der beidseitigen Stammsilbenreime mag sich auf etwa 88% belaufen. Aber der Übergang ist, wie man sieht, fließend. Den einhebigen 5 und 6 stehn besonders nahe die zahlreichen, wo der Gleichklang beginnt mit dem Konsonanten vor dem letzten Hebungs-
ARTEN DES HALBREIMS.
i5
vokal: ältö : wörtö usw., z61itln : wöroltln usw. Sollen wir die buchen als rührende einhebige Vollreime (-to : -to; -tin : -tin) oder als zweihebige Halbreime? Für die Dichter gab es diese Unterscheidung nicht; man beachte nur, daß rührender Reim außerhalb dieser großen Gruppe, zumal in 1, spärlicher begegnet, jedenfalls nicht gesucht wird (W. Grimm, Kl. Sehr. 4, I59ff.; Wesle, Frühmhd. Reimstudien 53). Die entschieden einhebigen Arten 5 und 6 treten weit zurück. Von den 139 Fällen unter 5 haben beinah drei Viertel lautähnliche Konsonanten vor dem letzten Vokal, und von der Minderheit, Fällen wie höher : liuber; gimeinit : höubit, stehn die meisten in Buch I. Entsprechendes gilt von Gruppe 6. Wir dürfen schließen: Klingende Paare strebte Otfrid nicht rein einhebig, nicht erst vom letzten Sonanten ab zu reimen 1 ). N a c h g e w i e s e n v o n L . W o l f f , Z s A l t . 60, 2 7 3 f f . ; dazu Wesle, F r ü h m h d . R e i m s t u d i e n 6 1 f. 98 t. Statistische A n g a b e n zu Otfrids R e i m ferner bei V o s , Studies in honour of Gildersleeve ( 1 9 0 2 ) 4 3 5 f f . ; H o l z w a r t h , Z u Otfrids R e i m 1909 (die sorgfältige G r u p p i e r u n g wird leider gr. T . e n t w e r t e t durch das V e r mengen voller und klingender Schlüsse; sieh Wolff 1. c. 2 6 5 f f . ) .
448. Aber auch Halbreim d e r U l t i m a begegnet in der Mehrzahl der 8 Gruppen: 1. kraft : m a h t ; riat : bliant; druag : m u a t ; not : widorört; ¿dilinc : Lüdowic. 2. fram : w^rdän; werd : alles (IV 35, 15); wakär : hiar; 3. thiu : garawü; 5. irfüllet : singent; 7. rachä : lächän; gängön : wangün; — grüazet : süezent; ¿wartön : säntün. Es sind zusammen 306 Fälle ( = 4%). Nur 35 davon weichen i m V o k a l ab 1 ); ein äußerster Fall ist firdänen : ginädön I 7, 28 (Fränkel, ZsAlt. 58, 55): sonst sind die Vokale lautähnlich (§ 444). Auch bei den Konsonanten fehlt Bindung von Sonoren mit harten Lauten, und Ausweichungen wie in quad : -sprah; wizzod : drof sind vereinzelt (zusammen 8 Fälle). Etwas öfter werden Nasale, 1 und r vermengt (häufig nur m : n), n t oder h t gleich t gesetzt, z gleich s (thaz : was ist ein Lieblingsreim). Vgl. Wesle, a. a. O. 36f. Man hat diese 306 Fälle als 'ungenaue Reime' abgesondert: 'genau' im Sinne Otfrids wäre eben Gleichklang mindestens vom letzten Vokale ab, also Vollreim mindestens der Ultima, wie in den Beispielen § 446. Allein, die 4% 'Ungenauen' nehmen im Laufe des Werkes nicht ab (Holzwarth 14): als anstößig hat Otfrid die halbreimende Ultima nicht empfunden.
i6
D A S LATEINISCHE VORBILD.
Nicht mitgerechnet die vielen Reime der Endungen -an, -ar, -e, -er, -es, -i, -in, -o, -ot auf langvokalische Wurzeln (gän, wâr, se, les usw.); sieh Zwierzina, ZsAlt. 44, 13; E.Schröder, Gött. Gel. Nachr. 1918, 421 f.
449. Wie reimte das l a t e i n i s c h e V o r b i l d ? Der Reimbrauch der Karlingerzeit ist sehr frei und kunstlos. Abgesehen von dem Ausbleiben des Reimes (§ 441), kann der Gleichklang beliebig über eine, zwei oder drei Schlußsilben gehn, kann Vollreim oder Halbreim sein ; auch die Ultima kann sich mit Halbreim begnügen. Die Grenze nach dem reimlosen Vers ist unfest. Im einzelnen liegt es verschieden je nach dem Zeitfall der Kadenz, also nach dem Versmaß. Der jambische Achtsilbler, das rhythmische Hauptvorbild der deutschen Verse, hat den starren Schluß L _ 1 ; mithin das nächste Gegenstück zu dreisilbig klingend : mânagàz. Seine Reimarten sind folgende. Die Beispiele aus dem großen Reimgedichte des Hrabanus Maurus, des Lehrers Otfrids, 'De fide catholica' PLat. 2, 197 ff. a) Halbreim nur in Ultima: sôbolèm : discriminé; furibundùs : adversâriôs. Vgl. die deutschen Fälle in § 448 (am ähnlichsten édilinc : Ludowïc). b) Vollreim erst vom letzten Vokale an: feminam : copulam; gloria : saecula. Vgl. §446 Art 6: âfarôn : rédinôn. c) Der Konsonant vor dem letzten Vokal reimt mit : pietas : bonitas; siderum : baratrum; confractae sunt : liberati sunt. Vgl. § 447: zélitin : wöroltin. d) Die letzte Senkungssilbe reimt mit : latior : purior ; vexerat : servaverat; expulsus est : liberatus est. Nur mit dem Vokale: callidus : doloribus ; crimina:remedia; tribulos : carduos. Vgl. §447: hölotl : gilädötl. Reime wie gibih'dôi : girédmô< (II 3, 57) sind ahd. noch vereinzelt; frühmhd. : menege : farewe; widere : ubele; im NibL. Hagene : menege. e) Konsonantischer Halbreim von der drittletzten Silbe an: citius : satius; flumina : crimina; auxerat : detraxerat. Vgl. § 447 : bérahtà : wôrahtà. f) Vokalischer Halbreim von der drittletzten Silbe an : imâginèm : venerâbilèm ; folio : domino ; mandere : tradere ; agmina : salvamina. Vgl. § 447 : himilè : widirè ; hâbëtl : sâgêti. g) Vollreim von der drittletzten Silbe an : timueràt : corrûeràt ; dementia : potentia; rectissimum : mitissimum. Vgl. §446 Art 8: zélità : wélità. Auf diese letzte, klangvollste Art entfallen von den 300 Verspaaren Hrabans nur 14, auf die erste, mangelhafteste nur drei (reimlos sind zweie), c ist seltener als das deutsche Gegenstück; die große Menge gehört unter b, d, e, f.
D A S LATEINISCHE
VORBILD.
17
450. Zwar kehren diese Spielarten bei Otfrid ziemlich vollständig wieder, aber genauer entsprechen nur seine 3k-Schlüsse, und die mögen ein Zwölftel der Masse ausmachen ! Die so viel häufigeren i v - und 2 k-Schlüsse kann man nur aus Abstand mit den Reimen des jambischen Achtsilblers vergleichen. Der einhebige Stammsilbenreim (iv), maht : naht, hatte in den lat. Ritmi insgesamt kein Vorbild: Schlüsse wie rex : lex; fons : mons ; sit : fit baut der Ritmus nicht. Wohl aber gab es lat. Vorgänger der 2k-Reime (Alt 5 und 7 in §446): unter den jambischen Sieben-, den trochäischen Sechssilblern1) : audite, ómnes géntès; miserére sèrvi. Derartige Reimverse stehn freilich bei den Poetae Latini Merwingischer und Karlingischer Zeit spärlich: in den vier Bänden sechs bis sieben Nummern, fast lauter kurze, anspruchslose Dinger; die nachmals so geschätzte Vagantenzeile: . . . in tabérna morì: . . . órì (§ 743) kennt man noch nicht. Man darf zweifeln, ob unsern deutschen Reimern solche Muster im Ohre lagen. Aus dem etwas längern Gedichte PLatin. 4, 501-3 'Audite, omnes gentes' (vgl. W. Meyer, Gött. Gel. Nachr. 1915, 262) führen wir diese Reimarten auf, die man ohne Erläuterung den 2k-Reimen Otfrids in §446—48 zur Seite stellen kann: acétùm : misérùnt ; latrones : salvatore ; latus : salvator ; unctus : cunctos ; Pilatus : excusatum ; vinctùm : féstùm; predixit : surrexit; immolandum : tundendum; accepit : redemit; fudit : ablùìt; flebat : dicebat; mercator : falsator. Diese zweihebigen Vollreime machen 35% (bei Otfrid 30%). ' ) W . Meyer, Ges. A b h . 1, 218. 222 i. Auf den Reim der (messenden) I e o n i n i s c h e n H e x a m e t e r kann der ahd. 2k-Reim nicht zurückgehn. Denn in der Zeit vor Otfrid und noch viel später war der leoninische Reim vorwiegend einsilbig (man sehe noch bei Ruodliebl): omnia qui condens renovat pereuntia clem««s; und auch der zweisilbige: ad te clama«/« lacrimis et voce precdntes war rhythmisch allzu ungleich einem deutschen wiintàr: siintàr.
451. Danach können wir d a s Neue am ahd. Reime dahin bestimmen. Der schlechthin einhebige Reim ruht nicht bloß auf sprachlich schwachen Endsilben und Enklitika (wie lat. sunt, est), sondern oft, bei Otfrid überwiegend, auf sprachlich gewichtigen Wurzelsilben. Damit k a n n der einhebige Reim eine Haupthebung, einen der Gipfel des Verses, tragen; I 27, 61: er dóufit thìh, so thù iz ni wéist, thùruh then héilègan géist. Weniger besagt, daß die Schlüsse i v , 2k und 3k untereinander reimen können : die rhythmisch unebenen Paare (§ 446 Art 2-4). H e u s l e r , Deutsche Vcrsgcschichte II.
2
i8
E I G E N A R T DES AHD. R E I M S .
Da bei den deutschen Dichtern Stammsilbenreim und zweihebiger Reim so stark überwiegen und reimlose Verse kaum vorkommen, klingt der Endreim aus deutschen Zeilen ungleich voller, beherrschender heraus als aus den durchschnittlichen Ritmi jener Zeit. Als fremdartiges Kunstmittel, hat man gesagt, als pergamentene Kunst verrate sich der ahd. Reim darin, daß er tonarme Endsilben so wichtig nehme. Dem Reime der romanischen Volkssprachen gegenüber kann man das ein Mißverhältnis nennen, verlangte doch der welsche Reim von jeher Anklang sprachlich betonter Silben (die sich ja dort in weitem Umfang mit den Endungssilben decken). Der lateinische Reim dagegen, der Anreger des deutschen, zieht schwache Endungssilben noch ausgiebiger heran; im Munde der Mönche war die Endung von vinctum und domino wohl gleich tonarm wie die von wlsun und oboro. Wir brauchen nicht anzunehmen, daß diese Endsilben mit einhebigem Reim, gesungen oder gesprochen, einen Iktus von zerrbildhafter Wucht erhielten. 452. Den Gegensatz zum heutigen deutschen Reim verfehlt man mit der Aussage: dem ahd. Reime kommt es nur auf Gleichklang der letzten Silbe an ('er ist eigentlich nur s t u m p f , wie dies manche ausdrücken). Dagegen zeugen laut die30% Vollreime wie wüntär : süntär, und in gelegentlichen Paaren wie rachä : lächän, gängön : wängün klingt ja die vorletzte Silbe g e n a u e r an als die letzte! (wie in lateinischem castitatem : peccato; eum : reos). Auch die Fassung: man begnügte sich grundsätzlich mit Halbreim, ginge an dem Eigentümlichsten vorüber. Halbreimen wie: wolles alles: mannes stellen Goethe, Schiller, Heine gleichwertiges, wenn auch nicht gleiches, gegenüber. Das Eigentümlichste, das Altmodische am deutschen Reim der ersten drei Jahrhunderte fassen wir mit der Formel: alles:
^ les Das ist sprachrhythmisch ausgedrückt: eine schwache Endsilbe genügt für den Reimklang; und: Endsilbe kann reimen auf Stammsilbe, der Stärkeabstand hindert dies nicht. Versrhythmisch ausgedrückt: klingender Schluß darf einhebig reimen; und: er darf auf vollen Schluß reimen. In diesem Doppelgrundsatz liegt, daß man von der rhythmischen Schärfe des Reims weniger verlangt, daher auch von seiner rhythmischen Ebenheit (vgl. § 443. 460).
OTFRIDS FORTSCHRITT IM R E I M E N .
19
Bei Otfrid selbst freilich ist dieser altmodische Zug beschränkter als bei den Nachfolgern bis ins 12. J a h r h . herab; sieh § 447. 454f- 457 453. Iin Reimgebrauch erkennt man eine E n t w i c k l u n g Otfrids. Da eine für uns brauchbare Gesamtstatistik fehlt, begnügen wir uns mit zwei Proben vom Ende und vom Anfang der Linie. Wir ordnen in die Fächer von §446 ein: einerseits die drei s p ä t e n Stücke Lud., Sal., 1 1 ('Cur scriptor . .'), zusammen 270 Langzeilen; anderseits eine gleichlange Strecke aus den A n f ä n g e n des Werkes, Buch I, 3-7; 10,1-16. Zu den Fächern 7 und 8 mit Halbreim rechnen wir alles, was schon v o r dem letzten Vokal Gleichklang hat (sieh § 447); der Begriff des zweihebigen Reims ist demnach so weit als möglich gefaßt. Einhebige Reime: 270 frühe, 270 späte Langzeilen 1. i v : i v 22 49 8 mit Halbreim 4 2. i v : 2 k 12 8 3. i v : 3 k 1 2 4. 2 k : 3 k 0 38 5. 2k : 2k 0 37 0 mit Halbreim in Ultima 1 1 6. 3 k : 3 k 5 Summe der einhebigen 121 "67" Zweihebige Reime: 7. 2 k : 2 k mit Halbreim 8.3k :3k mit Halbreim Summe der zweihebigen
43 85 1 ) 0
14 142
98 85 3 17 203
^ Davon zwei mit halbreimender Ultima: 6 , 9 wlrdlg : drühtine; 7 , 2 8 firdanen : ginadon (§ 448).
In die linke Kolumne kommen noch 7 r e i m l o s e Verse: 3, 3 7 ; 4. 9- 4 9 ; 5. 3 ; 7- 9- 19- 2 7454. Die Unterschiede liegen zumeist in 1, 4, 5 und 7. Sie lassen sich so umschreiben: Bloßer Endsilbenreim in beiden Gliedern (4-6) ist anfangs beliebt (30%), am Ende fast ausgestorben (1 Fall). D a h e r die Abnahme der einhebigen Reime von 1 2 1 zu 67; denn die einhebigen Starktonreime (1) haben sich mehr als verdoppelt. Beides zusammen bewirkt die Zunahme des (ungemischten) Stammsilbenreims (unter 1, 7 , 8 ) von 168 zu 260 ( = 96%). Rhythmisch 2*
20
D I E KLEINEREN AHD. R E I M W E R K E .
unebene Paare (2-4) sind von 52 auf 9 zurückgegangen. Die zweihebigen 2k-Reime (7)—von Anfang zu Ende die weitaus stärkste Gruppe — neigen in den späten Stücken viel mehr zu Vollreim; die klangvolle Bindung wüntär : süntär ist von 16% zu 36% angewachsen. Wogegen die ßk-Reime wenig zu zweihebigem Vollreim vordringen (8). Erinnern wir uns an die Angaben in §447f., so können wir sagen: was Otfrid bei wachsender Übung als mangelhafte Reimkunst hinter sich ließ, ist nicht Halbreim des letzten, auch nicht des vorletzten Taktes, vielmehr 1. reimlose Verse, 2. einhebiger Reim klingender Schlüsse, 3. unebene Bindimg. In unserm späten Stücke ist der erste dieser Mängel verschwunden, die beiden anderen noch mit 10 Fällen vertreten, = 3,7%. Otfrid ist im Begriff, aus dem hinauszuwachsen, was wir das Altmodische an seinem Reimen nannten (§ 452). Halbreime dagegen hat noch dieses späte Stück nicht weniger als 110 (8 einhebige), = 40%. In dem frühen Stück waren es 104 (5 einhebige). 'Reine Reime' nach dem Anspruch von 1200 und von heute (unter 1, 7 und 8) betragen am Anfang 24%, am Ende 56%. Aus dem Gesagten sieht man, daß ein kleines Korn Wahrheit stak in der Behauptung: Otfrid erstrebe anfangs nur einsilbigen, aber reinen Reim, dann gewöhne er sich an den mehrsilbigen und zugleich an die Assonanz (Saran, DVersl. 249). Ein gutes Beispiel für gehäufte altertümliche Züge im Reimgebrauch ist der Engelgruß I 5,15ff. (u. §503). Das Unentwickelte an Buch I (Kap. 2-7) zeigen auch die falschen Sprachformen, die den Reim erkaufen (Kögel, Lit. 2, 23f.). 455. Von den kleineren ahd. Reimwerken steht das kurze Petruslied mindestens auf Otfrids letzter Stufe: ¿in 3k : i v gindriän : man; sonst nur Stammsilbenreim, zu vier Fünfteln Vollreim. Dagegen die fünf Stücke von 26 bis 59 Langzeilen bezeugen keineswegs Fortschritte der Reimkunst in den Jahren nach Otfrid (Siemers, Beitr. 39, 109). Sie erscheinen kunstlos durch die große Bruchzahl: 1. von Ultima-Halbreimen: Georg 7%, Samar. 10%, Ludw. 30%, Heinr.35%, Psalm 40%. Bei Otfrid 4% (§448). Das Ludw. bringt es in seinen 19 einhebigen Stammsilbenreimen (iv : iv) nur 7mal zu Vollreim! (Vgl. das Verhältnis bei Otfrid § 453 Art 1.) 2. von rhythmisch unebenen Reimen: Ludw. 15%, Samar. %, Psalm 23£ % Georg 30%, Heinr. 54%. Bei Otfrid etwa 10% (§446).
D E R FRÜHMHD.
REIM.
21
Auch 3. beidseitiger Endsilbenreim (Art 4-6) übertrifft in Samar. (13%), Georg (24%), Heinr. (30%) bei weitem den Otfridschen Durchschnitt, während Ludw. und Psalm mit 5% wenigstens der Enthaltsamkeit des späten Otfrid (§ 453) noch fernbleiben. Im ganzen hat das Reimen dieser fünf Denkmäler etwas Rückläufiges. Es nimmt nicht die von Otfrid errungenen Ansprüche auf: es hält zu dem läßlicheren Brauche der frühen Teile des Krist. 456. Verstärkt gilt dies von der gegen 1100 wieder auftauchenden Dichtung. Diese bringt neue Kadenzen und damit rhythmisch neue Reimarten hinzu. Zu den drei alten Schlüssen iv, 2 k, 3 k kommen die zweisilbig vollen (§ 543): der vierte Takt enthält ('männlich') und L^l ('weiblich'). Meist sind es Stammsilbenreime; zum Unterschied von den althochdeutschen (§ 446) sind sie zugleich zweisilbig und einhebig; voll- oder halbreimend: besnitcn : vermiten; zugel : ubel; leben : haben; denchen : irtrenchen; vergäbe : phläge; vergezzest : gesitzest. Die stumpfen Schlüsse. L und -I^l ^ (§536), unterscheiden sich als Reime nicht von den ein- und zweisilbig vollen. Die dreisilbig klingenden Schlüsse mit Zx^ (§542) stellen sich zu den schon früher bekannten mit Lautlich wie rhythmisch ist dieser jüngere Reimbrauch viel freier als der des 9. 10. Jahrh. Man darf ihn entartet nennen, wenn er geschichtlich zusammenhängt mit der uns bekannten ahd. Technik. Möglich ist aber, daß seine kunstlosere Art anknüpft an die uns verlorene weltliche Spielmannsdichtung des 11. Jahrh. (vgl. §524). Das umfänglichste Frühwerk ist eingehend untersucht von Dollmavr, Die Sprache der Wiener Genesis 1903. Altere Schriften in PGrundr. m . Dazu: Leitzmann, Beitr. 42, 2 3 f f . (Reinhart); de Vries, Rother X L V I I f f . ; E . Schrödcr, GGNachr. 1926, 27fr., vor allem das eindringende Buch von Wesle, Frühmhd. Reimstudien 1925. E s lag noch nicht vor dem Reimabschnitt in H. de Boors Frühmhd. Studien 1 3 ff. (1926).
457. Halbreimende Ultima, in allen Kadenzformen (§ 448), ist ungleich häufiger als bei Otfrid, im Georg und der Samariterin. Lautähnliche Vokale verlangt man nicht mehr: get : röt; bin : sun; friunt : lant. Mit- und Selbstlauter können abweichen: wort : tröst; sint : wln; -am : an; frost : suht; stuont : giench. Unter 'Halbreim' sinkt es hinab in tach : got; chom : stein; Jösfcph : geböt.
22
Der frühmhd. Reim.
Barer Endsilbenreim ist an der Tagesordnung: stigen : scönen; ¿ngel : allen; stadalfe : übere; und an die Lautähnlichkeit der vorangehenden Konsonanten stellt man geringere Ansprüche: mannen : riten; libe : geslahte. In Menge treffen wir die rhythmisch unebenen Paare; auch diese oft mit Ultima-Halbreim: sun : hören; sämen : getän; din : miden; gezam : nämetön; jär : härewer (herber);—jagides : wihest; chünde : vrümedest; ätem : näteren; hülde : scüldigen; sünderen : unter. Aus den ahd. Vollreimen wie man: wdrdan; sun : wärün hatten sich in der lebenden Aussprache des n . Jahrh. Halbreime ergeben: man : werden; sun: wären. Nach diesen Mustern paarte man nun auch werden mit sun oder sin, wären mit man oder sin (Wesle 5off. 100). Die Vokalschwächung zusammen mit dem Nachwirken älterer Verse führte zu freierem Reimgebrauch. In manchen der genannten Paare fällt am meisten ins Ohr der Anklang zwischen letzter und vorletzter, zwischen letzter und drittletzter, zwischen vorletzter und drittletzter Silbe. So auch bei vollreimender Ultima: näteren : verräten; scolten : volgeten, und gar in Fällen wie: siten : wit; nehainer : teil (auch in etlichen der folgenden Paare mit •¿•a : und ¿•a. : 1). Das sind neue Gattungen rhythmisch unebener Reime. Bei Otfrid gilt das vereinzelte derart (I 7, 9. 19) als reimlos. Zugenommen haben die ebenen Paare, die den Gleichklang nur oder zumeist in der v o r l e t z t e n Silbe tragen (§452): paradlsus : gewlset; beidiu : irsceinte; wären : genädig; fuoget : genuoge (Wesle 54ff.). 458. Am schwächsten ist der Gleichklang in manchen der zweisilbig vollen (und zweisilbig stumpfen) Schlüsse. In Paaren wie: nase : muge; sune : ime; chonen : heben; vermanent : betent trägt den Reim nur noch eine sprachlich schwache Endsilbe, die zugleich S e n k u n g s s i l b e i s t : was in ahd. Zeit der Versrhythmus ausschloß (§ 446 Ende). Dazu aber kommen die unebenen Bindungen von mit (ein- und zweihebigem) und mit von mit L\ rihtet : pfliget; fragen : sage; varen : bringen; chiesen : gehörsamen; — besniten : lebeten; gotes : vörderest; lichnämen : märtiren; lüssam : namen; wil : himel; getän : haben; tuon : chomen; — mer : vater; lobent : intstent. Auch die Paarung von einhebigem mit 1 gehört hierher. Der auffallende Reim der WGen.: fuor : bruoder hat alle dreimal (48, 24; 52, 22; 70, 26) das bruoder als 2v, nicht als k Schluß, somit einhebig. Das macht die Bindung der letzten mit der vorletzten Silbe begreiflicher.
D I E HÖFISCHE
REIMKUNST.
23
Die Artbestimmung des 'Silbenreims' muß man, um so beschaffene Anklänge unterzubringen, sehr weit fassen! Vieles von diesen Spielarten hält sich bis gegen 1150 oder noch länger, bis zum Siege des 'reinen Reims'. Den freiesten Reimstand in der ganzen deutschen Versgeschichte zeigt die Wiener Genesis, um 1070. Grundsätzlich verzichtet sie auf den Reim wohl nirgends, aber aus Unkunst geht es da und dort bis zum Erlöschen des hörbaren Gleichklangs. Ob dieses Gedicht 'einen tiefsten Punkt in der Entwicklung darstellt oder schon einen ersten Schritt auf wieder ansteigender Bahn' (Wesle 101): um dies zu entscheiden, müßten wir von den Vorgängern, auch den weltlichen, etwas wissen. 459. Stark hundert Jahre nach diesem Tiefstand, um 1180-90, ist der 'reine Reim' erstiegen, der die Ritterdichtung kennzeichnet und bis ans Ende des altdeutschen Zeitraums dauert. Den Anstieg spürt man schon seit 1100; später wird er so rasch, daß der Grad der Reimgenauigkeit Handhaben für das Datieren gibt (vgl. Wesle 21). Wie der Versbau, veraltete der Reimbrauch von einem Geschlecht zum nächsten; Bearbeiter hatten neben dem Stil und dem Zeitfall den Reim zu glätten. Aus geistlicher Dichtung zählen der Pilatus, die Sequenz von Muri, das Himilriche, 1180er Jahre, zu den frühesten genau reimenden Werken. Von den höfischen Dichtern ist es Heinrich von Veldeke (Eneit, beendet vor 1190), der 'vor unsern Augen die Reste der alten Technik abstreift' 1 ), während diese Reste dem andern Begründer der welsch gerichteten Lyrik, Friedrich von Hausen (f 1190), noch auffällig anhaften. Wieder konnte die l a t e i n i s c h e Dichtung Vorbild sein. Sie drang seit 1100 zu strengerem Reime vor: zweisilbig nicht nur bei Schluß: colles : molles; beatus : privatus, sondern auch bei Schluß: animum : Optimum; saeculis : diseipulis; volitant : incitant; obduxerat :infecerat. Diese Reimart fand Nachfolge im 'reichen Reim' der Franzosen: venir : tenir; corant : plorant, nicht in der deutschen Dichtung. Auch zur drittletzten Silbe kann der lat. Gleichklang zurückgreifen (vgl. § 449): segete : vegete; mit Halbreim: curiae : pecuniae. Einsilbige Reime sind gelegentliches Formspiel: dos : flos; nix : vix: pix (z. B. Carm. Bur. 123 f. 182; s. ZsPhil. 39, 373). Seit 1130 kannte und übertrug man f r a n z ö s i s c h e Dichtwerke. Die welschen höfischen Reimpaare dringen seit etwa 1160 auf Vollreim (Chrestiens Erec) 2 ); sie sind den deutschen um 20-30 Jahre voraus. Die provenzalische Kunstlyrik steht von Anfang an auf dieser Stufe. Der romanische Halbreim war von jeher
24
LAUTFORM UND R H Y T H M U S DES
REIMS.
nur vokalisch, d. h. ließ nur ungleiche Mitlauter zu: colps : tort; altre : place. Paare wie lat. rexit : dixit; ahd. harto : worto hätten nicht als Reime gegolten. x ) Schneider, DLit. 1,454; gleiches gölte von Rugge: Erich Schmidt, Reinmar von Hagenau 23. Vgl. van Dam, Zur Vorgeschichte des höfischen Epos 118 ff. 2 ) Stengel, Gröbers Grundriß II I, 61 f.; W.Förster, Roman. Bibliothek 21, 213* f.
460. Beim Genauerwerden des deutschen Reimes sind die zwei Dinge zu scheiden: Erstens der Anspruch der L a u t f o r m . Die Selbst- und Mitlauter, die den Anklang tragen, sollen g l e i c h sein. Die Halbreime (not :got; arme : varwe; leben : oben) weichen dem Vollreim (not: bot; arme: warme; leben : geben). Der Halbreim, auch der vokalische, h ä l t s i c h nicht als gewollte Kunstform, wie besonders in der spanischen Dichtung, auch im Binnenreim der Skalden (§ 402). Halbreim wird zu 'unreinem' Reim. Dabei gibt es S t u f e n der Reinheit; Lautähnlichkeit spielt eine Rolle bei Vokalen und Konsonanten (§465f.). Zweitens der Anspruch des R h y t h m u s . Die reimtragenden Silben sollen sprachlich schallkräftig sein, Stammsilben oder starktonige Suffixsilben; der Endsilbenreim genügt nicht mehr. Der Reim wird hier nicht reiner, sondern schärfer, voller. Auch soll nicht mehr die letzte auf die vorletzte Silbe usw. reimen (§ 457f.), die letzte soll nicht überschießen (sunderen : unter). Damit ist gegeben: es verschwinden all die rhythmisch unebenen Reime, i v : k ; 2 k : 3 k ; 2 v : i v ; 2 v : k usw. Der Reim wird rhythmisch eben. Jede Kadenzart reimt nur auf ihresgleichen. (Eine Einschränkung dieser Sätze, die Bindung von ein- mit zweihebigem 1 s i e h §591. 588 1 ; 662.) So bleiben von den 8 ahd. Arten, §446, nur drei: 1, 7 und 8. Dazu die erst später eingeführten (§456): einhebiges und zweihebiges : A^L^L ; ferner die seltenen Arten von § 464: zweihebiges Z \ : Z \ und dreihebiges Nehmen wir das ahd. Beispiel von § 452! Gemäß der ersten Forderung darf der Dichter den Versschluß alles nicht mehr auf männes oder wölles reimen. Gemäß der zweiten Forderung hat er nicht mehr die Wahl, alles auf valles zu reimen oder aber auf dinges oder wes. Zweihebige Reimung des klingenden Ausgangs ist kein Luxus mehr, sondern Notwendigkeit (Paul, PGrdr. 111). 461. Beide Forderungen zusammen führen dahin, daß der deutsche Reim seit 1180 unter die Artbestimmung fällt, die auch für den welschen gilt: von reimenden Versschlüssen verlangt man Gleichlaut der sprachlich betonten Vokale und
ANSPRÜCHE DES NEUEREN REIMES.
25
d e s s e n , w a s i h n e n f o l g t . Auf den deutschen Reim der ersten drei Jahrhunderte traf dies noch nicht zu. Mit der Durchführung der beiden Forderungen verschwindet die breite Übergangsstrecke zwischen reimenden und nicht reimenden Silben, damit zwischen einhebigem und zweihebigem Reime (vgl. § 447). Es grenzt sich nun eindeutig ab, welche Silben und Laute am Gleichklang mitwirken. Mehrdeutig, uferlos wird es nur dann, wenn man die rein überschüssigen, nie erforderten Berührungen v o r dem letzten abweichenden Laute als besondere Reimarten bucht 1 ). Die beiden Forderungen haben zur Folge: der einzelne Reimklang verfügt nun über viel weniger Vokabeln. Die aufeinander reimenden Wurzelsilben machen ja keine langen Reihen aus wie die Endsilben, es ist schon viel, wenn sie die Zehnzahl erreichen; und die konsonantisch anlautenden Suffixe, wie -heit, -keit, -schaft, -tiiom, -sam, -nisse, gewähren, unter sich gebunden, doch bloß rührenden Reim. Ein Gegengewicht bildet das Zusammenfallen mancher einst ungleicher Endsilben : ahd. lebên, lebëmës, geban, rebün, reböno reimen in der jüngern Lautform alle als -eben. Im ganzen aber bedeutet die strengere Reimkunst seit 1180 eine empfindliche Einschränkung der Reimmöglichkeiten. Der Dichter muß, damals wie heute, seine Reime suchen. Daher die 'Flickreime', woran freilich schon Otfrid, trotz seiner lockreren Regel, schwer leidet. Daher bei so manchen Dichtern eintönige Armut der Reimwörter, und auch bei den besten fühlt man den 'herkömmlichen Reimschatz': lant : hant; sach : sprach; wïp : lïp; muot : guot; ère : mère usw. 2 ). Eine Gegenbewegung liegt darin, daß sprachgewandte Dichter, Gotfrid und seine Nachfolger, den Reim gern auf Formwörter legen 3 ) : ir : mir ; sich : ich ; er : her ; in : hin (im Tristan ein Lieblingsreim). Mannigfacher werden die Reimklänge dadurch nicht, aber gedämpfter, weniger aufdringlich. Die Nötigung zum Stammsilbenreim bedingte also noch nicht, daß der Gleichklang sinnschwere Satzgipfel unterstrich. Dem deutschen Dichter ist der reine Reim weit mehr Fessel als dem welschen, dessen Sprache die Menge der starktonigen Endungssilben als Reimträger hergibt (frz. -er, -ir, -on, -ette, -age, -ure usf.). Der Endreim war sozusagen vorbestimmt für die romanischen Tochtersprachen und ihre Versmaße; d a erst wurde er zum leichten Spiel — so leicht, daß die französische Dichtung dem wieder entgegenwirkt und den 'reichen Reim* sucht oder gradezu fordert 4 ): troubler : consoler; pitié : moitié-, nicht troubler : laisser; pitié : allié. In der lateinischen Mutterdichtung fand sich der Reim noch beengter, denn da überwog der R e i m -
26
D I E ENDUNGSVOKALE.
Schluß in der Sprache aber der Wortschluß 1 - (-are, -ire, -onem, -ati usw.). Daher die späte Entwicklung des lat. Vollreims und die eigentümliche Regelung seiner Zweisilbigkeit (§ 459). x ) Vieles von den 'Doppelreimen und 'erweiterten Reimen, die W . Grimm, Kl. Sehr. 4, 201 ff., in buntem Wechsel aufreiht; z . B . unverstorben: unverdorben; und wol geheret: und wol geleret; lagere stuont: jägere tuont. Vgl. Paul, P G r d r . n o ; Roethe, R. v. Zweter I27f.; Kauffmann, DMetr.» S. 66f. 2 ) Kettner, Die Österreich. Nibelungendichtung 266; Ranke, Sprache und Stil im Wälschen Gast 8. Zwierzina, ZsAlt. 44, 34ff.; 45, 258t. 390f. Dazu Kraus, Metr. Unters. 178 1 ; Schirokauer, Beitr. 47, 71 2 ; Stammler, DVjschr. 2, 760. 4 ) Tobler, Vom französischen Versbau® I34ff.
462. Da in der lat. Dichtung Reime wie animum : öptimüm auch nach 1150 vollwertig bleiben, und da den Welschen zwar nicht die Schwachton-, aber die Endungssilbe für den Reim genügte, kann die Verbannung von spflete : löbete; alles : dinges nicht gut jenen fremden Mustern entsprungen sein. Ein oder der Hauptanstoß lag in der heimischen Sprachentwicklung: in der Schwächung und damit Entfärbung der vollen Endungsvokale. Solche tonschwachen, farblosen 9 reichten, auch in Hebung, nicht aus als alleinige Reimvokale; die Starktonsilbe davor mußte mit. Es war ein Zugeständnis an die natürliche, prosaische Aussprache. Nur hinkte die metrische Wirkung der sprachlichen Ursache um etwa drei Geschlechter nach: die Entfärbung der Endsilbenvokale ist schon zur Zeit der Wiener Genesis, 1070, weit gedieh e n — Reime wie nämen : fuoren; keiser : er; zwelfe : zesamene; kunige : pilede stehen noch in allen größeren Gedichten vor 1170 1 ). Im Arnsteiner Marienlob um 1510 betragen sie noch 20%. Die weltliche Lyrik stellt ¿inen Fall in dem volksmäßigen Vierzeiler (§726): swaz hie gät ümb6, || daz sint alles migede (zu der vierten Art in § 446). Wie schon bei Otfrid (§ 447) gibt man gern den Schlußsilben gleichen (oder ähnlichen) Konsonantanlaut: beslözzen : harzen; milte : bette; turne : inne; worhten : habeten; bilede : tuginde. Unberechtigt wäre die Annahme: man sprach seit 1170 den klingenden Ausgang nicht mehr zweihebig, d a r u m mußte die starke Silbe mitreimen (§ 588). Auch bei Fortdauer der klingenden Messung, nämen, konnte man, wie in der Volksdichtung von heute, das farblose -a- als zu wenig für den Gleichklang empfinden. *) Fr. Vogt, Festgabe für R. Hildebrand 152; Wesle, a. a. O. 57ff.; de Boor, a. a. 0. 66; a u c h in Hartmanns 'Vom glouven, vgl. F. von der Leyen, Germ. Abh. 14, 7.
463. Soweit aber Bildungssilben n i c h t entfärbt wurden, behielten sie auch nach 1180 die alte Reimfähigkeit 1 ):
UNGESCHWÄCHTE E N D S I L B E N .
R E I M DER S U F F I X E .
27
armüete : güete; äbunden : ervunden (Kudr. 376); suochunde: stunde (Klage 2 2 5 3 ) ; vlanden : anden; viant : Hildebrant; wlgant : lant; wunt : äbunt (Biterolf 3 6 0 9 . 9241); mänöt : nöt, tot; gewarnöt : tot, ermorderöt : tot, vorderöst : tröst (diese drei im NibL.; die Fälle auf -öt noch viel später); minnist : list (Bit. 8453); driu : vieriu; iu : zwelviu (Bit. 73)Die nach 1180 vereinzelten: miniu : diniu u. ä. ziehen trotz dem vollen Vokal der letzten Silbe die vorletzte zum Reime bei, wie auch Morungens krön ist : schönist : lönist (MF. 133, 29). Auf wiinende reimt Hartmann noch ¿inmal, Erec 1459, eilende (§ 581): die Mittelsilbe klang ihm also noch mit nicht mit -8-, Im 13. Jahrh. kann einem lachende, einem pfingesten nur noch der Reim wachende, ringesten u. ä. antworten, nicht mehr ruofende, süezesten u. dgl. Jene Fälle wie wunt : äbünt, driu : vieriu ragen zwar als lautliches Altertum ins 13. Jahrh. herein, durchbrechen aber nicht das Verbot des Schwachsilbenreims und der unebenen Paarung i v : k. Denn die Tonstärke dieser vollvokalischen Endsilben ergab doch wohl vollen Versschluß: die genannten Reime sind 1 v : iv und stellen sich neben breit : sn&heit u. Gen. (s. u.). ' ) Lachmann, K l . Sehr. 168*), Zu den Nib. 2 0 9 1 , 3 ; vgl. Briefwechsel der Brüder Grimm mit Lachmann 9; \V. Glimm, K l . Sehr. 4, 5 4 f f . ; Bartsch, Unters, über das NibL. 9f.
464. Auch unebene Paare mit ( § 4 5 8 ) , z. B. die in der Kaiserchronik vor 1150 noch ziemlich beliebten wal :erslagen; gewon : komen; tugent : -numft, wären 30 Jahre später nicht mehr buchfähig. Die zweite Forderung von § 460, die rhythmische, beherrscht den Zeitraum seit Veldeke so gut wie unbeschränkt. Spätere Jahrhunderte, noch das 19., erleben gleichsam Rückfälle, d. h. muten gelegentlich dem Endsilben-;; Reimkraft zu: herr : sterblicher; redlichen : leidenden (Vogt, a. a. O. 1 6 2 ff.). Mit der rhythmischen Ebenheit der Reimpaare verträgt sich, daß ihre Wurzelsilben auf allen Stufen des Satztons liegen, auch daß Wurzelsilbe m i t S u f f i x reimt. Starktoniges Suffix, 1 und L^L, genügt in altdeutscher Zeit dem Reime in weiterm Umfang als heute; wobei mitspricht, daß der vorangehende Takt einsilbig sein konnte. Der seltenere Fall ist wie schon im 9 . Jahrh. ( § 4 4 5 ) , daß Suffix auf Suffix reimt: arbeit : richeit; gotheit : menscheit; mäcschaft : sippehaft; künegin : vogelin; küneginne : meisterinne; beswaernisse : übelnisse. Gewohnterweise reimt Suffix auf Wurzel:
28
R E I M DER S U F F I X E .
breit : snelheit; Kerlinc : dinc; kraft : herschaft; ruom : richtuom; gelich : manllch; sinne : fürstinne; junge : samnunge; msere : fischaere; rlche : heinliche. Daneben treten tief zurück die Reime, welche Wurzel samt Suffix heranziehen: a) klärheit : wärheit; berhaft : werhaft; herlich : erlich; wunderlich : sunderlich; kindelin : gesindelin; hdiligen : mdiligen; b) g61tabr& : schdltaere; wunderliche : sünderliche: rhythmische Reimarten ohne Raum in unsern bisherigen Fächern. Unter a) sind es zweihebige Reime, aber mit voller, nicht klingender Kadenz, d. h. die Schlußhebung auf sprachlich starktoniger Silbe. Unter b) sind es Reime, die über drei Hebungen strecken, der Ausgang klingend. Man kann die Gleichung aufstellen: die Reimarten a) klärheit : wärheit \ verhalten igötheit : m^nscheit b) giltfere : schiltäre J sich zu jmaere : fischaere wie die Reimarten
D. h. links greift jeweils der Reimklang um einen Takt tiefer in den Vers zurück. Ausnahme blieb dies noch, wo ohne das Zurückgreifen schon Reim auf sprachlichen Starktönen da war (wie rechts oben). Die Paare klärheit : wärheit; giltfere : schiltäre wirkten als reiche oder erweiterte Bindungen, ähnlich den schon bei Otfrid auftauchenden wie: firkös mih : firlös sih I 25, 19. Scheiden aber kann man sie immer noch von den gelegentlichen Formspielen, wo der sich genügende, durch den ungleichen Anlaut klar begrenzte Reim einem überschüssigen Gleichklang nachfolgt: zoubersere : zoubermaere; hovemaere : hovebaere u. dgl.; sieh § 4611). 465. Auch der ersten Forderung von § 460, der der Lautform, nähert man sich stufenweise, und auch nach 1190 bleibt die lautliche 'Reinheit' des Reims eine mehr bedingte Größe. Die einfache Zählung nach den Fächern: 'konsonantischer Halbreim, vokalischer Halbreim' genügt nicht, um die Kunststufe des einzelnen Denkmals zu würdigen. Wie man die Grade der Lautähnlichkeit wertete, das dürfen wir nicht aus heutiger Gewöhnung beurteilen; Wesle hat gezeigt, wie mancherlei da mitspielte. Beispielsweise kann -am : -an oder -an : -än noch beliebt sein, -am : -än 'noch ganz leidlich', aber -an : -anc oder -at : -ät verpönt (a. a. O. 3 ff.).
ARTEN DES
HALBREIMS.
29
Halbreim hält sich zäher im z w e i h e b i g e n als im einhebigen Reime; was schon auf Otfrid zutraf ( § 4 5 4 ) . E s kann Halbreim sein im letzten oder im vorletzten Takte oder in beiden: wile : tlent; keiser : weisen; darben : armen; grlnen : vermiden; Hägene : gädeme; — worte : harte; Hagene : degene; seilen : leide; liebe : smielen; wunder : chinde. Der ältere Spervogel hat auf 30 zweihebige Vollreime 13 Halbreime, auf 38 einhebige Vollreime nur 5 Halbreime. Des Kürnbergers einhebige Gleichklänge sind 15 mal Voll-, 9 mal Halbreim; seine zweihebigen sind alle 6 mal Halbreim (darunter bette : wecken; hemede : edele). In den beiden schlichten Reimpaarliedchen MF. 37, 4 und 37, 18 zeigen vokalischen Halbreim alle acht zweihebigen Schlüsse sowie zwei der einhebigen; daneben steht zweimal -an : -an und ein Vollreim bist : ist. K o n s o n a n t i s c h e n Halbreim haben die hier genannten Stücke nur einmal: waldes : goldes (MF. 30,27; die -an : - ä n _ Paare zählen wir hier und weiterhin als Vollreim). Es g i b t Denkmäler, deren Halbreime öfter im Selbst- als im Mitlauter abweichen (Wesle 101). Im allgemeinen aber gilt, schon für die älteren Jahrzehnte: die Mitlauter nehmen sich mehr Freiheit — stimmend zu der neueren Volksdichtung, auch der nordischen Folkevise, abweichend von dem Hang unsrer Klassiker. Schon die niedere Reimkunst der Wiener Genesis erlaubt manche Schlüsse auf die Farbe der Vokale, so der e-laute (Dollmayr 1. c. 47. iooff.). In der 70 Jahre jüngern Kaiserchronik treten in ein- wie zweihebigen Halbreimen die konsonantischen weit zurück; auf eine Strecke von 300 Reimpaaren (V. 2323ff.) kommen 145 Vollreime, 128 Reime mit konsonantischen Ausweichungen, 14 mit vokalischen, 13 mit beiderlei. Die 45 Halbreime Friedrichs von Hausen binden sämtlich gleichen Vokal. Dazu halte man noch, daß eine n i e d e r d e u t s c h e Dichtung von 1216, Eberhards Reimchronik, in den konsonantischen Bindungen altertümlich frei, in den vokalischen 'von bemerkenswerter Reinheit' ist (L. Wolff, Nd. Jahrbuch 1924, 42f.). Unter den konsonantischen Halbreimen halten sich vhm. lange die zweihebigen mit Doppelkonsonanz nach dem Starkton: lüfte : krdfte; h6nde : sunde; (s. o.) wäldes : göldes. c So gut wie ganz freigegeben' waren allerdings die Konsonanten nie. Namentlich gegen Bindung von weichen mit harten Mitlautern war man von jeher empfindlich, mehr als manche Dichter um 1800; 'genäden : bäten ist immer schlechter als genäde : töde oder rate : nöte' (Wesle 102). Vollends bei Sonorkonsonanten: Paare wie nam : gap; gebar : sprach meidet sogar
30
LAUTLICHE FREIHEITEN.
WOLFRAM.
HELDENEPEN.
die W G e n . (Wesle 22H.). Wogegen man die Unterschiede der Artikulationsform und -stelle leichter n a h m : lac : sprach; huop : truoc; bot : zöch; starc : warf; selbe : gelde; wunder : kumber. Dergleichen noch bei dem Lyriker Hausen in Menge. D a s Paar w i p : zlt hat Scherer einen der letzten ungenauen Reime des Minnesangs genannt. E s ließe sich wohl hören, daß den Anstoß zur Reinheit gaben die Langzeilenreime und die verschränkten Reimstellungen: da fiel Halbreim schwerer ins Ohr (Kluge, DSprachgesch. 288). Nur sind unsre frühsten Langzeilenreime, die des Kürnbergers, noch recht ungenau, und Veldeke reimt in seinen Kurzen Reimpaaren nicht freier als in seinen Strophen. Doch wäre ein so loser Reimbrauch wie etwa der des Rother allerdings ungeeignet, die kunstreichen Verschränkungen der reifen L y r i k zur Geltung zu bringen (Wackernagel, Afranz. Lieder 216). 466. Reimfreiheiten, die noch auf dem Hochstand mehr als vereinzelt begegnen, liegen zumeist in der Dauer der V o k a l e : -an : -an ist der Hauptfall, demnächst -ar : -är, -aht : - ä h t ; er : er. Verbreitet ist auch i : ie und u : uo in bestimmter Nachbarschaft. Von konsonantischen Ungleichheiten ist die häufigste -n : -m (sun : f r u m ; man : zam). F ü r diese Dinge ist die M u n d a r t der Verfasser z u befragen. In den Reimen spiegeln sich die feineren Uneinheitlichkeiten der mhd. Gemeinsprache: die der Lautform, der Beugungen, des Wortschatzes; auch verneinend, indem gewisse Paare bei gewissen Dichtern ausbleiben: ein beit : treit ist dem einen, ein vie : lie (vienc, liez) dem andern, ein wän : sän (sä) einem dritten mundartfremd. Doch kreuzen sich auch landschaftlicher Sprachgebrauch und fremdes Vorbild ('literarische Reime'). A m sichersten erkennt man die Mundart aus lautlichen Feinheiten, namentlich der Behandlung der e, e, ä, e, ae. Die Reimkunst des 18. 19. Jahrh., ungezügelter und vermischter, wie sie ist, erlaubt nicht annähernd so genaue sprachliche Schlüsse. Unter den großen Namen fällt Wolfram auf durch etwa 20 vokalische Halbreime (auf beinah 20.000 Reimpaare!); davon die Hälfte mit Paarung ungleicher Verschlußlaute 1 ): swiger : nider; gepflegen : gegeben; ougen : rouben; selbe :velde; k r u m p : junc. Reime, die bei den meisten höfischen Dichtern unerhört wären! Die einhebigen Schlüsse sind unter diesen 20 Freiheiten ebenso stark vertreten wie die zweihebigen (vgl. § 465). Solche Reime mußten altvaterisch anmuten: ein Geschlecht früher bestanden sie noch zu Recht, — o d e r unzünftig: die buchlose Kleinkunst machte j a diesen Reimschliff nicht mit. D a ß die spielmännischen Heldenepen roher reimten als die Ritter-
DER
NEUE
RHYTHMUS.
3i
romane, trifft im großen nicht zu, auf die Nibelungen schon gar nicht2). Die hervorstechende Freiheit des NL, die 36 unreinen Hagene-Reime, geben ein klares Beispiel von bewußtem Altertümcln: diese Reime hat die ältere Nibelungenot teils hergegeben, teils angeregt. Sie entsprechen der Zeit vor 1170 3 ). Es sind 3k-Halbreime (sieh §465): als barer Endsilbenreim, einhebig, ist auch der freieste Fall, Hagene : menege, nicht zu erachten (gleichartige in § 449 unter d, vgl. § 736. 737). Aus dem NL geht dieser archaische Zierat in die Klage und noch den Biterolf über4). *) Martin, Ausg. 2, L X X X I . 2 ) Zwierzina, ZsAlt. 44, 90. s ) Bartsch, Unters, über das N L 4. *) W . G r i m m , Kl. Sehr. 4, 229; DHeldenbueh 1 , X . Schriften über den mhd. Reim bei Kauffmann, DMetrik 65; dazu: Bernt, Hnr. von Freiberg 1 5 3 f f . ; Wegner, Reimwörterbuch zur Weltchronik Rudolfs von E m s 1 9 1 4 ; E . S c h r ö d e r , Reimstudien, Gött. Gel. Nachr. 1918, 378 ff. 407 ff., (Wildon und Lichtenstein) ib. 1923, 3 8 f f . ; Schirokauer, Beitr. 47, i f f . ; E m m a Bürck, Münchener Texte, Ergänzungsreihe I I (Iwein); Säule, ib. I I I (NibL.); Thalmann, ib. IV (Wolfram). Für die verschiedenen Arten des r ü h r e n d e n R e i m s , zu denen sich die Dichter unsres Zeitraums ungleich stellen, verweisen wir auf W. Grimm, Kl. Sehr. 4, 1 2 5 f f . 326; Zwierzina, ZsAlt. 44, 93ff. 45, 286ff.; Paul, PGrdr. 1 1 2 f . ; Ranke, Sprache und Stil im Wälschen Gast 78ff-, besonders aber Kraus, ZsAlt. 56, I ff.
24. Abschnitt: Der Bau des althochdeutschen Reimverses: Das lateinische Vorbild und die Nachahmung. 467. Mit dem Reime kam ein neuer R h y t h m u s . Auch der nach lateinischem Vorbild. War der deutsche Reim eine freie Nachahmung des lateinischen, eine Anpassung an den heimischen Sprachstoff (§451), so kann man den neuen Vers geradezu eine Abfindung nennen, eine Vermittlung zwischen dem lateinischen und dem altgermanischen. Der Begründer des deutschen Reimverses, war es nun Otfrid oder ein andrer, muß Stabreimverse gekannt haben, und ihr Formgefühl sprach mit bei der Nachbildung der lateinischen Muster. In diesen allgemeinen Sätzen stimmen die meisten heute zusammen. Was aus dem agerm., was aus dem lat. Lager stamme, ist eine schwierigere Frage. Nicht nur weil der agerm. Rhythmus umstritten ist: auch um das lat. Vorbild steht es nicht so einfach; mit dem Namen 'Dimeter jambicus' ist es nicht getan. Gewiß aber war kirchlicher Gesang der Anreger. So wie zwei Jahrhunderte früher die Iren durch 'das beständige Anhören der lat. Kirchenhymnen' zu ihrem neuen Versstile kamen (Kuno Meyer, Berl. Abh. 1913 Nr. 6 S. 6). Man bemerke, es war nicht der liturgische, der Messegesang. Der war, wie noch heute, ein Rezitativ ohne Takt-, Vers- und Strophenmessung: der Gre-
32
DER GESUNGENE HYMNUS.
gorianische Choral. Mit dem traten die Landessprachen nicht in Wettbewerb — aus kanonischen wie metrischen Gründen. Was man in Lingua vulgaris nachbilden durfte und konnte, war der H y m n u s , der metrisch-strophische Chor- und Einzelgesang, den außerhalb der Liturgie Kloster- und Weltgeistliche pflegten. Melodierhythmen lagen den deutschen Nachahmern im Ohre : solche suchten sie, ob singend oder sprechend, nachzubilden; nicht Silbenketten mit ihren prosodischen Eigenschaften. Darum gilt es gleich, ob diese Melodierhythmen — z. B . der des ambrosianischen Viertakters — in messenden Versen, als 'carmen metricum', erklangen oder in nicht messenden, bedingt wägenden, als 'carmen rhythmicum' (§440). Der messende, 'metrische' Hymnus des Venantius Fortunatus: Vexilla régis prödeunt, fulgét crucis mystérium, quo cârne cârnis cönditör suspénsus ést patibulô, und der 'rhythmische' Hymnus des Hrabanus Maurus (PLat. 2, 248): Venit deüs, factüs homö: caelüm dedit sidüs novüm:
exultet ömnis natiö; appâret âuctor ömniüm
konnten für den Hörer das gleiche rhythmische Erlebnis bedeuten, und nur d a r a u f kam es für ihn an; die Grundsätze der Sprachbehandlung, der 'Silbenmessung oder -wägung', wollte er ja nicht vom Lateiner erlernen ! Auch ob der Endreim mehr oder weniger durchgeführt war oder fehlte, machte für die rhythmische Anregung keinen Unterschied. 468. Für Gesang bestimmt waren von den bewahrten ahd. Stücken das Petruslied (die Handschrift hat Neumen, Notenzeichen), vermutlich auch das Ludwigslied, vielleicht der Georg. Wechselnde Gruppenlänge vertrug sich mit Gesang (§ 477). Bei den übrigen Gedichten ist die Vortragsart unsichrer. Die Hauptmasse des Otfridschen Inhaltes widerstrebt j a Liedweisen, und die paar Neumen über einer Strophe (Erdmann S. X L V I ) besagen wenig; wohl aber sehen die drei Hauptfälle von Kehrstrophen, in I I 1, V 1, V 23, danach aus, als sollte hier der Zuhörerkreis des vorlesenden Mönches im Chore singend einfallen. Die Verslehre kann sich bei der Feststellung beruhigen: einen Gegensatz sanglich-unsangbar zeigt das ahd. Reimpaar nicht; nach Gruppenbau und Taktfüllung ließe alles Gesang zu (vgl. § 38). Wollte man die paar einsamen Fälle sprachwidriger Vokaldehnung (§ 483) zu der Frage aufrufen, so sprächen sie mehr für als gegen Gesang : Gesang trägt leichter über die prosodische Freiheit hinweg (§ 67). Vgl. Saran, DVersl. 245f.; Schneider, DLit.89.
OTFRIDS
IKTENZEICHEN.
33
469. Im Versbau noch mehr als im Reime gehn Otfrid und die kleineren ahd. Denkmäler eng zusammen. Vieles davon, bei weitem nicht alles, kehrt im Verse um IIOO wieder. Man darf aus Otfrid mit einigen Vorbehalten die Urstufe des deutschen Reimverses ablesen. Eine Eigenheit Otfrids sind die I k t e n z e i c h e n , die Akzentstriche, die in der großen Mehrzahl der Verse über einem oder mehreren Hebungsvokalen stehn. Man h a t über diese Striche viel geschrieben, ohne sich über ihren Sinn zu einigen. Wir müssen gleich hier dazu Stellung nehmen, denn das folgende hängt davon ab, wieweit uns diese Zeichen f ü r den R h y t h m u s der Verse maßgeben. Zu ausholender Begründung ist kein R a u m . Die Striche meinen Nachdruck, nicht Stimmhöhe. Sie wollen dem Vorleser erleichtern, die Hebungen zu erfassen, und zwar eine Auswahl der vier Hebungen, die stärkeren; in der Mehrheit der Verse zwei oder eine. Diesen allgemeinsten Grundsatz aber kreuzen andere, mehr äußerliche Rücksichten: Von zwei benachbarten Gipfeln bekommt nur iiner den Strich; die zwei mittleren Verstakte sollen nicht beide ohne Strich bleiben. Deshalb und weil der Plan so wenig folgerecht durchgeführt ist (zwischen den Haupthandschriften V und P Abweichungen die Menge), geht es nicht an, das Stärkeverhältnis der Hebungen einfach von den Strichen abzulesen. IV 1 6 , 4 a festes hüges follon ist kein 1 . 2 . 3 . 4 , gehört nicht in eine Klasse mit ib. 4 1 b sie sär biskränkolötun. Der 1. Verstakt wie der 3. tragen einen Hauptiktus, es ist 1 . 2 . 3 . 4 . Aber dies konnte der gewöhnliche Akzentbrauch nicht ausdrücken: entweder den I. und 3. Iktus oder aber den 2. mußte er Übergehn. In unserm Falle siegte das erste Verfahren, das zweite z. B. in 1 10, 18 alle dagafrfsti. Oder I I I 22, 13 oba krist si namo thin ist ein klares, ausgesprochenes I. 2. 3. 4; aber V gibt den Strich nur dem na-, P dem krist und dem t h i n l Und so in tausend Fällen. Der liebevollen Statistik der Otfridschen Füllungstypen bei Wilmanns (§ 483) schadet die Überschätzung dieser Lesehilfen. Nicht als ob sie uns nichts lehrten! Sie ermöglichten die bedeutsame Folgerung, daß Otfrids Sprachc noch zum agerm. Satzton hält (11. Abschnitt). In nicht wenigen Versen fällen sie die Entscheidung zwischen gehoben und gesenkt: IV 12, 25 th&z quisdü, q u i d er sar, nicht: thäz quisdu . . ; 4, 33b sö brach er sär lo thie ¿stl, nicht: so brach ¿r . . . usf. In derartigen Versen entzweien sich freilich die beiden Hss. auffallend o f t ; wo sie einig gehn, sind uns die Iktenzeichen verbindlich. In dem erwähnten H a u p t p u n k t e aber — Stärkeverhältnis der Hebungen — stellen wir uns über sie, d. h. wir ergänzen und berichtigen ihre graphisch bedingte Aussage nach dem, was sie selbst, im ganzen überblickt, uns lehren. In keinem einzigen Verse dürfen wir aus den Strichen allein auf Unterordnung einer sprachlich stärkeren Iktussilbe schließen (§ 499). Die Akute, die uns im folgenden die Haupthebungen bezeichnen, fallen also nur bedingt mit den hsl. Strichen zusammen; u n d der Gravis, das Zeichen der schwächern Hebung, kann auch f ü r einen hsl. Strich stehn, z. B. in IV 4, 49 mit theru silbun wihl: VP theru selbun. Die Messung und Einteilung der Otfridverse m u ß ruhen auf dem ahd. W o r t - und Satzton: den bringen die Iktenzeichen zwar oft, aber lange nicht immer zum Ausdruck — und können uns d a r u m nicht oberste Instanz seinl Ein unglücklicher Gedanke war es, diese Lesehilfe in Zusammenhang zu bringen mit dem Stabreimvers. Otfrid konnte seine Striche genau so setzen, wenn es nie einen germ. Stabreimvers gegeben hätte. Verkehrt war auch die Annahme, in diesen Strichen spreche sich ein'Gesetz der Haupthebungen" aus, das späterer Dichtung abhanden kam (Vilmar-Grein § 18. 52). Stärkere und schwächere Hebungen hat die deutsche Dichtung niemals zu unterscheiden verlernt. Heusler,
Dcutschc Vcrsgcschichte I I .
3
34
V E R H Ä L T N I S ZUM LATEINISCHEN
VORBILD.
470. Beginnen wir damit, Otfrids Versbau summarisch zu beschreiben und ihn dann am lateinischen Verse zu messen. Darauf soll die Beschreibung mehr ins einzelne gehn, endlich der Unterschied vom altgermanischen Verse zur Sprache kommen. Der auf Reim endende Vers, der Kurzvers, ist ein Viertakter; vier Kurztakte mit monopodischer Iktenverteilung. Zwei Kurzverse verbindet der Endreim zu einem Reimpaar oder einer Langzeile. Zwei solche Doppelverse bilden die Gruppe höchster Ordnung, die Strophe: aa, b b . Die Silbensumme des Verses ist beweglich; untere Grenze vier Silben, eine für jede Hebung: I 5, 50 fúazfállísntl; obere Grenze wohl zehn Silben: II2,11 ni was ér thaz lioht, ih sägen thir éin. Freie Füllung hat der Auftakt: o bis 4 Silben; desgleichen die Innentakte: je 1 bis 4 Silben. Gebundene Füllung hat der vierte, der Schlußtakt: stets éine (gehobene) Silbe. Je nachdem diese Schlußhebung auf sprachlich starke oder schwache Silbe trifft, haben wir einsilbig volle oder klingende Kadenz. Die zweite Hauptart ist je nach der Füllung des vorletzten Taktes zweisilbig klingend oder dreisilbig klingend. Einsilbig voll: álten líutén gibót; Zweisilbig klingend: ödo wérk gúatú; Dreisilbig klingend: fon wórolti zi wórolti. 471. Von den vielgebrauchten lateinischen Formen, die als Muster in Betracht kommen, steht zweifellos die ambrosianische Zeile und Strophe am nächsten. Zwei Beispiele, ein 'metrisches' und ein 'rhythmisches', gaben wir in §467. Da haben wir, wie bei Otfrid, Viertakter, zu zwei (reimenden) Paaren gruppiert; da haben wir den unveränderlich einsilbigen Schlußtakt. D i e s e r kenntliche Zug aber kehrt in zwei weiteren beliebten Formen wieder: im trochäischen Tetrameter, 15 Silben auf réspicé de cáelo, déus, réspicé propíciús; und im jambischen Señar, 12 Silben auf : amícus spónsii, mágno gáudens gáudió. Mitwirken konnten also diese Formen, um den deutschen Reimern den stets einsilbigen Schlußtakt einzuhämmern. Einen sehr ohrenfälligen Unterschied aber hatten wir schon zur Würdigung des Reimes heranzuziehen (§450f.): diese gehobene Ultima kann im deutschen Verse Stammsilbe und damit eine H a u p t h e b u n g sein. Darum unterscheidet sich ein deutsches: ni läzet fáran iu thaz múat erheblich von einem lateinischen: exúltet ómnis nátió, obschon beide die 8 Silben gleichmäßig auf die Versgegenden verteilen.
DIE
DEUTSCHE
FÜLLUNGSFREIHEIT.
35
Ferner weicht die zweisilbig klingende Kadenz: guatù sehr kenntlich von den genannten Mustern ab. Wir sahen, daß lateinische Reimschlüsse dieser Art in anderen, selteneren Maßen vorkamen: audite, ómnes géntès; miserére sèrvi (§ 450, vgl. 473). Dieser 2 k-Schluß war schon in der altheimischen Dichtung der häufigste von allen (§346). Den deutschen Reimdichtern konnte er sich triebhaft einstellen, auch wenn ihnen nur jene üblicheren Ritmi mit Kadenz gegenwärtig waren. Die W e i s e erschwerte es nicht, ein guatù auf die Töne von ómniùm zu singen ; das hören wir am neuern Volkslied. Der zweisilbig klingende Ausgang guatù gilt uns als Beitrag der germanischen Versgewöhnung. Dagegen der erstgenannte Schluß: sprachlicher Hauptton im letzten guten Taktteil: . . . thaz müat, dies f e h l t e dem agerm. / N . Hier kann man nur sagen, Vers mit seiner Iktenfolge daß der deutsche S p r a c h s t o f f es nahe legte, j a unvermeidlich machte, den Schluß der Ritmi a u c h mit volltoniger Endhebung nachzubilden. Die Melodie stellte auch dem nichts in den Weg. Dazu nehme man, daß man später in mhd. Sprachform die lat. Schlüsse natio, dominum nachbildete mit männes hànt, sìnen sin, nicht mit kunegè, lébendèz oder saligèr; also mit vollem, nicht dreisilbig klingendem Ausgang (z. B. § 743). 472. Nun das Versinnere. Hier zeigt sich der große Gegensatz. Die ambrosiani sehe Zeile wie die übrigen lateinischen Lieblingsformen haben feste Silbensumme und verteilen sie gleichmäßig, alternierend über den Vers, sei es nun messend oder wägend oder keins von beidem (§440): lauter zweisilbige Innentakte; der Auftakt gebunden, o- oder 1 silbig je nach der trochäischen oder jambischen Versart. Demgegenüber die Füllungsfreiheit des deutschen Verses in den weiten Grenzen von § 470. Wie erklärt sich dieser Gegensatz? Am nächsten liegt die Antwort: in dieser Füllungsfreiheit haben wir wieder heimischen, deutschen Einschlag. Nach altgermanischem Grundsatz haben a l l e Versgegenden freie, wechselnde, nicht vorbestimmte Füllung. Der ahd. Reim-: vers hat der éinen Gegend die Freiheit entzogen : der Schlußtakt ist stets einsilbig; weder mehrsilbig noch pausiert. Beim Nachformen der hymnischen Melodierhythmen empfand man den V e r s s c h l u ß als die besonders zu schonende Größe, die 'empfindliche Stelle'. Für Innentakte und Auftakt dagegen überließ man sich mehr dem ererbten Formgefühl und trug damit zugleich dem Bedürfnis der eigenen Sprache Rechnung. 3*
36
D I E DEUTSCHE
FÜLLUNGSFREIHEIT.
Man hat es treffend eine Germanisierung des lateinischen Zeitfalls genannt. Wir erleben den Vorgang noch heute. So mancher hat auf seiner Schulbank gelernt, ein 'Vers' sei eine regelmäßige Abwechslung langer und kurzer Silben (§ 13): das romanische Rezept; und dann, wenn es in ihm selbst dichtet, kommen keine Jamben und Trochäen heraus, sondern Knittelverse, schlechte oder gute. Das ist immer wieder die 'Germanisierung' des römisch-welschen Versstiles, wie sie zum erstenmal in Otfrids Tagen geschah. 473. Aber man hat auch anders erklärt. Es gibt, und schon vor Otfrid, lateinische Ritmi mit unfester Silbensumme und Taktfüllung. Wegfallen für uns die 'rhythmischen' Hexameter. Nach denen hat sich der Vater des deutschen Reimverses nicht gerichtet! Wenig bedeuten uns die Auf- und Ab-Verse, die gelegentlich die herrschende Summe um eine, selten zwei Silben überschreiten; was sich erklären mag als Nachbildung der messenden Zeilen mit ihren zu verschluckenden, scheinbaren Plussilben: manävit ünda et sänguin6. Es gibt auch Ritmi mit weiter gehender Freiheit. Für uns am bemerkenswertesten die Viertakter, die sich zwischen 6 und 10 Silben bewegen: Auftakt o, 1, 2 Silben; Innentakt 2 und 3 Silben; der vorletzte Takt oft einsilbig, also — in freiem Wechsel mit dem vertrauten Schluß—die zweisilbig klingende Kadenz: ¿xeänt peccätä; örnat virginis t&nplüm; sacriffciis vispertinls; — si peccävi grävit^r; qui m£ exsp^ctas per t&nporä; kalümnia super kalümnia. Dies steht ja nun Otfrid merklich näher! Nur daß Otfrid ein paar Schritte weiter geht: der Auftakt gelegentlich mehr als zweisilbig, und vor allem die vielen einsilbigen Takte im Versinnem, damit das Sinken der Summe bis zu 4: füazfällöntl. Dieser füllungsfreie lateinische Viertakter wäre nach Wilhelm Meyer 'vor 700 nördlich der Alpen geschaffen worden'1). Wir glauben, daß auch er seine höchst unromanische Füllungsfreiheit .dem deutschen, altgermanischen Versgefühl verdankt8). Diese Zeilen zeigen in lateinischer Sprache das, was später Otfrid in deutscher zeigt: die 'Germanisierung' des römischen Auf- und AbStiles. Aber wie dem sei, es ist nicht glaubhaft, daß diese recht spärlichen und an Ansehen, an Bedeutung für den Klerikergesang unerheblichen Wagnisse den deutschen Reimern erst den Weg gezeigt hätten, wie man hymnenähnliche Verse in der Landes-
FÜLLUNGSFREIE
LATEINISCHE
VERSE.
37
spräche bauen könne. Dem oder den Begründern des deutschen Reimverses haben die allbekannten und -verbreiteten, die amtlich geheiligten Hymnenmaße im Ohre geklungen. Und so bleibt es bei der altern Erklärung: mit seiner freien Füllung widersetzt sich der deutsche Reimvers aus germanischem Formgefühl dem romanischen Jambenschritt. Gott. Gel. Nachr. 1913, 172. A l s Vertreter, die möglicherweise vor Otfrid fallen, nennt er P L a t . 2, 426 III und I V ; 4, 484ff. (das H a u p t s t ü c k l ) 637. 639. 640. Die angeblichen 'rhythmischen Adonier' der Provenzalin Dhuoda (ib. 4, 705 ff.) läßt man billig aus dem Spiele. 2 ) So hatte es auch W . Meyer anfangs gefaßt ( G G N a c h r . 1908, 45 ff.); er sprach daher von altdeutscher R h y t h m i k in lateinischen V e r s e n . Die älteren Belege dieses Versbaues, nach Meyer seit ca. 700, brauchten daran nicht zu beirren; denn diese ad. R h y t h m i k ' lebte nicht erst seit Otfrid, sondern schon im Stabreimvers. A b e r Meyer entwarf dann 1913 eine ganz andre Genese des füllungsfreien Viertakters (1. c. i68ff.); danach hätte dieser als nächste Vorstufe einen n o c h freieren lat. Vers, einen nur wortzählenden; für germ. Einwirkung bliebe kein R a u m . Zustimmten Strecker, P L a t . 4, 637; Unwerth, Beitr. 42, 1 1 3 ; Atkins, German versification 83; Singer, GRMon. 1925, 257; Schirokauer, D V j s c h r . 4, 87. A b e r dieser'natürliche Gang der Entwicklung' hat allzu wenig Fühlung mit Gehörwerten; den R h y t h m u s , die sinnliche Zeitgliederung, ersetzt er durch gedankliche Berechnungen. Auf ganz anderm Wege haben Unwerth und Siebs, D L i t . 191 ff., Otfrids freie Taktfüllung zu erklären versucht. Nicht Melodierhythmen hätten die deutschen Reimdichtcr erfüllt: sie hätten sich die Hymnenverse halb und halb nach der Prosabetonung vorgesprochen und sich so, mit einigem Umweg, die bunte Füllung und insbesondere die 2 k - K a d e n z errechnet. Der deutsche Versbau die Frucht eines Mißverständnisses. Denn als: caelum dédit sfdus n o v ü m ; hoc omnis errörum chorus; régem triumphântem séquèns, so wollten j a ambrosianische Zeilen niemals, von Hraban so wenig als von Ambrosius, rhythmisiert werden. Der Grundsatz, so weit immer möglich mit dem lat. Muster auszukommen (1. c. 190), wohl auch der Glaube, klingende Schlüsse seien der germ. Überlieferung fremd gewesen (o. § 193), haben hier zu einem überkünstlichen, gedankenblaß-gehörfremden Entwürfe geführt. Eine treffende Bemerkung bei Schneider, D L i t . 478. Die ältere Auffassung hat wohl zuerst VV. Wackernagel klar ausgesprochen ( D L i t . I 2 , 75; Afrz. Lieder und Leiche 1846, 213); dann Rieger, Germ. 9, 300 (1864). Die Frage nach der klingenden K a d e n z und anderen Einzelheiten haben diese Forscher noch nicht gestellt. D a sie den agerm. Vers für unmetrisch hielten (§ 164), konnten sie A r t und U m f a n g des germ. Einschlags nicht schärfer fassen. So spricht denn auch Rieger v o m 'Genius der (deutschen) Sprache' — anstatt v o m Stil deutscher R h y t h m e n . Das Verhältnis des deutschen Reimverses zum lat. Ritmus wurde schon vor 1913 verdunkelt durch die bekannte wunderliche Lehre, die W . Meyer bis zu E n d e verfocht (sieh G G N a c h r . 1915, 263f.; Plenio, N J a h r b . 1917, 273): als hätten die bedingt wägenden, 'silbenzählenden' Maße keinen alternierenden Zeitfall und keine feste Taktsumme. D e m haben viele, kurz und schlagend Saran, widersprochen ( R h y t h m u s des französischen Verses, 1904, 225f.); nur den Begriff der 'schwebenden Betonung' hielte man von dieser Sangespoesie besser fern. Gegen Meyers Lesung und Artbestimmung der 'rhythmischen' Verse wandte sich eingehender W . Brandes, Rhein. Museum 64, 87 ff. (1909). A b e r auch Beck in seinen Melodien der Troubadours (1908), 104. 143 u. ö., hat der Lehre Meyers, ohne ihn zu nennen, den Boden abgegraben.
38
DAS MUSTER UND DIE
NACHBILDUNG.
474. Fassen wir die Stellung des ahd. Reimverses zu den lat. Hymnenformen dahin zusammen. E n t l e h n t hat der Deutsche: 1. die ambrosianische Strophe aus zweimal zwei Vierhebern; 2. das Grundmaß des Kurzverses: vier Kurztakte; 3. die stete Füllung des Schlußtaktes mit einer Silbe. Hätte Otfrid lauter Zeilen gebaut wie I i , 111: gidän ist es nu ridinä, thaz sie sint güate th^ganä, d a n n hätte er eine treue Nachahmung seines lat. Hauptmusters erzielt. Und Verse wie Sal. 3 1 : öbanä fon himilä sint iu 10 zi gäman£ entsprächen denkbar genau den Schlußteilen des trochäischen Tetrameters, des jambischen Senars (§471): r£spic6 propiciüs; magno gaudens gaudiö. Aber solche silbenzählenden Auf und Ab-Verse, solche jambischen Achtsilbler und trochäischen Siebensilbler, sind bei Otfrid Gelegenheitsformen. Grundmaß und Füllungsregel läßt solche Formen zu, verlangt sie aber nicht. Den rhythmischen Eindruck bestimmt die Menge der andersartigen Füllungstypen. Der Deutsche e n t f e r n t sich von den Hauptarten des Hymnus: 1. in der freien Silbensumme, 2. in der freien Füllung von Auftakt und Innentakten, 3. in den Kadenzformen einsilbig voll mit Haupthebung und zweisilbig klingend. Diese drei Dinge leiten wir aus dem germanischen Versgefühl und Sprachstoff. Damit haben wir die 'Abfindung* zwischen Heimisch und Fremd, den Beitrag der zwei Lager (§ 467), genauer bestimmt. 25. Abschnitt: Der Bau des althochdeutschen Reimverses: Gruppenbau; Versrahmen und Versfüllung. 475. Das in §470 Umrissene haben wir nun näher auszuführen. Der Gruppenbau. Die zwei aufeinander reimenden Kurzverse füllen in Otfrids Handschriften eine Linie. Man spricht daher hier, wie beim Stabreimvers, von Langzeilen. Aber die beiden Glieder, An- und Abvers, sind weit weniger gesondert als dort (§ 497). Der Endreim selbst wirkt nicht auf Gegensatz, wie der Stabreim § 342, vielmehr auf Gleichheit wenigstens in den Kadenzen, obwohl ja noch die rhythmisch unebenen Paare bestehn (§446). Keinem
DAS REIMPAAR.
DIE
STROPHE.
39
einzigen ahd. Kurzverse hörte man an, ob er an erster oder zweiter Stelle stehn soll; gleichlautende Silbenreihen bilden hier den An-, dort den Abvers (Erdmann L X V I ) . Also die 'Langzeile 1 ist eine V e r d o p p e l u n g des Kurzverses, zusammengehalten durch den Endreim, meist auch durch den Satzbau, denn Otfrid schreibt mit wenig Ausnahmen (z. B. I I 13, 11; Hartm. 159. 161) strengen Zeilenstil (§337), noch mehr die kürzeren Denkmäler (de Boor, Sievers-Festschrift 1925, 482ff.). Der Name Reimpaare, genauer Kurze Reimpaare, ist schon für die ahd. Dichtung berechtigt. Schief ist der Ausdruck 'gereimte Langzeilen'; dann müßte der eine Doppelvers auf den andern reimen (wie in §599. 729ff.). Das Zusammenwerfen dieser e c h t e n Langzeilen mit den Kurzen Reimpaaren ist der Darstellung des mhd. Strophenbaus bei Vilmar-Grein-Kauffmann zum Verhängnis geworden. 476. Auch die Strophe aus zwei Reimpaaren grenzen die Handschriften ab. Sprachmetrisch ist diese Strophe eine schlichte Verdoppelung des Reimpaars ohne rhythmische Sonderung der Hälften. Die stärkeren Sinneseinschnitte liegen gewöhnlich, nicht immer, nach der geraden Langzeile, also am Strophenschluß. Die sprachliche Periode k a n n über die Strophe weggreifen (Erdmann 329), aber selbst in einem weitgehenden Falle, V 25, 23-34, i s t e s kein scharfer Strophensprung. Hörbarer konnte sich die zweizeilige Strophe in gesungenen Stücken abgrenzen, sofern die Weise nicht aus gleichen Hälften bestand. Diese Strophe aus zweimal zwei Viertaktern ist die ambrosianische: der jambische Achtsilbler erscheint seit Ambrosius (t 397) — schon v o r dem Aufkommen des Reimes und des 'rhythmischen' Versbaues — am öftesten in dieser Gruppierung. Der deutsche Dichter hatte für die Strophe die selben Vorbilder wie für den Einzelvers. Die Stabreimdichtung kannte Zweizeiler nur als Gelegenheitsgruppen, selten einmal über eine kurze Strecke durchgeführt (§ 353, vgl. 350). 477. In den kleineren Denkmälern: Ludw., Samar., Psalm, auch Georg, stehn neben den Zweizeilern Dreizeiler in beliebigem Wechsel; im Heinr. sind es Vierzeiler neben Dreizeilern. Also freie Gruppenbildung oder, wo die eine (zweizeilige) Größe vorherrscht, freistrophischer Bau (§ 39). Der lat. Hymnendichtung ist dies unbekannt. Zur Erklärung genügt, daß die heimische Gewöhnung der fremden Gleichstrophigkeit entgegenwirkt. Die Stabreimdichtung, auch die weltlich-westgermanische, kannte freie Gruppenbildung, wenn schon bunter gemischt: Zwei- bis Sechszeiler durcheinander (§ 353. 367). Eine Abfindung zwischen
TAKTGESCHLECHT.
dieser Freiheit und der lateinischen Strenge ist der Zustand im Ludw. und Genossen. Den Namen 'Leich' verdienen diese Stücke nicht: sie waren, sofern gesungen, sicherlich nicht durchkomponiert (§ 37. 830). Bei einzeiliger Weise wiederholte man nach Bedarf die ganze melodische Folge, bei zweizeiliger die eine Hälfte. Textwiederholung, wie in dem Beispiel § 39, brauchte es nicht. Eine reichere und festere Strophe: fünf Reimpaare auf fortlaufende Melodie, besaß das deutsche Galluslied um 880; sieh §507. Durch ihren (frei)strophischen Bau unterscheidet sich die ahd. Reimdichtung insgesamt von der späteren, frühmittelhochdeutschen. Sie steht hierin wie in der Taktfüllung dem Ebenmaß, der Sanglichkeit näher. Aber weil diese Strophen metrisch nur aus wiederholten Reimpaaren bestanden, ohne Abstufung der Glieder und ohne Auszeichnung des Schlusses, war es nachmals kein großer Schritt zu der fortlaufenden Reimpaarkette. 478. T a k t g e s c h l e c h t . Der Kurzvers besteht aus vier Kurztakten. Auf deren Taktgeschlecht kann man nur schließen; auch die Neumen zum Petruslied entscheiden darüber nicht. Ob der kirchliche Gesang vor dem 12. Jahrh. noch in geradteiligem oder schon in dreiteiligem Takte ging, ist umstritten1). Uns genüge die Feststellung, daß sprachgemäße Rhythmisierung der altdeutschen Reimzeilen entschieden auf geradteiligen, auf Z w e i v i e r t e l s t a k t drängt. Takte mit dem Inhalt 1 , i y , ¿ ü ü , fügen sich in beide Taktarten, z. B. II 15, 7 a ; IV 29, 3 1 : sie gerötun al bi manne giscaffota sia, söso iz zam Aber die massenhaften Takte mit dem Inhalt -¿^ kommen nur bei geradteiliger Messung zu ihrem sprachlichen Rechte; II 12, 23: queman avur widorort \ I X X I X X I X X I ^ L : beide Silben des Taktes, die starktonige Kürze und die schwachtonige Anceps, erhalten ¿ine Mora. Dreiteiliger Takt würde entweder der starktonigen Kürze eine sprachwidrige Dehnung aufnötigen (§74): queman I X I oder die schwachtonige Anceps unverhältnismäßig längen: queman I & I.
ABSTUFUNG
DER IKTEN.
41
Aber a u c h bei dem häufigsten Taktinhalt, : unser, darf man die geradteilige Formung, I X X I, als die prosanähere bezeichnen (§78): I I 4, 67 Krist, ther druhtln unser ist wird durch die Messung 11 X X I X X I >< X I A . schlichter, natürlicher stilisiert als durch die Messung i I X I X I X I A . oder gar Wir nehmen also Zweiviertelstakt an, und der Kurzvers erhält dieses Grundmaß: Die geläufigen Namen 'jambisch' bzw. 'trochäisch' (§ 440) wären mithin, genau genommen, zu ersetzen durch die Bezeichnung 'spondeisch': 11— \ — [ 1 : 1 j . Möller, AhdAllit. 159; Fleischer, R L e x . 2, 202; Riemann, Handbuch der Musikgeschichte I 2, i ß f f . Vgl. u. §635.
479. A b s t u f u n g d e r I k t e n . Die 4 Hebungen des Kurzverses fallen bald auf sprachlich stärkere, bald auf schwächere Silben. Dies gibt ihnen ungleichen Nachdruck; die sprachliche Füllung bringt Mannigfaltigkeit in den Rahmen f ' f ' . Aus Otfrids Iktenzeichen darf man folgern, daß der Vortrag abstufte, wenn sie auch kein genaues Bild der Stärkeverhältnisse geben (§ 469). Der Nachdrucksgrade sind viele. Steht doch jedem Iktus eine Stammsilbe von wechselndem Satzton zu Gebote, dem zweiten bis vierten Iktus außerdem eine schwache Endsilbe: II 16, 5 sälige thie mflte; Lu. 49 in themo müate then häz. Wir begnügen uns, z w e i G r a d e zu unterscheiden: Haupt- und Nebenhebung, f und v . In sehr vielen Versen kann man schwanken, welcher Grad einer gehobenen Silbe gebühre. J e d e r der 4 guten Taktteile kann Haupthebung werden, hat Anwartschaft auf vollen Nachdruck. Die möglichen Lagerungen werden ziemlich vollständig vertreten sein. (Die unbezeichneten Beispiele sind aus I I 8.) I. 3 in sàligèru ziti I. 2 theiz wàzzar ltìtàraz wàs 2. 3 thaz wàrun séhs kruagì 2. 4 bì then frónìsgan win
I. I. I. 2.
I. 32. 2. 33-
4 4 3 4 4 4
thiu hiun wàrun fìlu fró sìd er hèra in wórolt quàm ther friunta fréwit gérnò then guaton win ùnz in nù then hion fìlu hébig thing Sal. 30 a thèmo zi Rómu druhtin gràp
42
ABSTUFUNG DER IKTEN.
4 vollwichtige Hebungen, Form i . 2. 3. 4, darf man erkennen z. B . in I 22, 61 b so selben götes süne zäm; vgl. noch I i , 48 b ; 20, 3 4 a ; II 14, 7 2 a ; 22, 24a; III 4, 19a. Von eingipfligen Versen sind häufig: Form 2 sih zi wäsgänne 3 thaz iru thiu sin güatl. Vereinzelt kann man Form 4 ansetzen: II 4, 16a thö ni ward imö ther sänd. Form 1 ist kaum aufzutreiben. 480. Die Beispiele veranschaulichen den Zustand, den wir in §49 an neudeutschen Viertaktern kennen lernten. W i r nennen diese Verteilung der Haupt- und Nebenhebungen monopodisch; worunter wir also n i c h t verstehn, daß man 4 Ikten von gleichförmiger Stärke gesprochen, die sprachlichen Nachdrucksstufen ausgewischt habe! 1 ) Nach der Häufigkeit stellen sich die mannigfachen Formen sehr ungleich, im ahd. wie im mhd. und nhd. Viertakter. Bei Otfrid begegnen die 4 ersten Formen auf Schritt und Tritt, die weiteren minder häufig. A m beliebtesten ist, damals wie heute, Form 1. 3; sie macht bei Otfrid mehr als die Hälfte aller Verse aus. Diese Lieblingsform: in säligeru zttl ist also dipodisch; aber auf die Versart im ganzen trifft nur der Name monopodisch zu. Auch die Zweigipfligkeit, mag sie gleich überwiegen, darf man nicht verallgemeinern: damit zwingt man die ein-, dreiund viergipflige Minderheit unter ein sprachwidriges Rezept 2 ). Tatsächlich gibt es nirgends in deutscher Versgeschichte Metra mit der Vorschrift: die Hebungen sind zur Hälfte stärker, zur Hälfte schwächer, — w o nicht zugleich dipodisches Grundmaß da ist. Auch die lateinischen Vorbilder waren nach ihrer sprachlichen Zusammensetzung weder dipodisch noch sonstwie zweigipflig. Der Name 'jambischer Dirneter* darf nicht täuschen; die Beispiele in § 467 zeigen dies klar genug. Aber auch der Stabreimvers kann hier aus dem Spiel bleiben. Das Vorwiegen zweigipfliger Verse bei Otfrid und allen Späteren erklärt sich, ohne daß Gewöhnung an den agerm. Zeitfall nachwirkte. D e s s e n Zweigipfligkeit war doch für das Ohr eine grundverschiedene Größe! Der Zustand im Reimvers, im älteren und neueren, erklärt sich aus dem deutschen Sprachstoff: der legte es nahe, den Rahmen x l ^ x l ^ x l ^ x l ^ s o z u füllen, daß in der Mehrzahl der Fälle zwei Ikten — an wechselnden Stellen — vor den übrigen heraustraten.
SILBENSUMME.
AUFTAKT.
43
Diesem Mißverständnis wachsen immer wieder die K ö p f e nach; so bei Hammerich, Zur deutschen Akzentuation (1921) 19. D a s Richtige bei R o t t e r , Der Schnaderhüpfl-Rhythmus (1912) 25; Schneider, D L i t . 478. Eine lehrreiche Erörterung bei Svanberg, Nysvenska Studier 1924, 78 ff. 2 ) Zutreffend Roethe, Sachsenspiegel 17 3 ; vgl. Artur Müller, Das nrhein. Marienlob (1907) 78.
481. S i l b e n s u m m e d e s V e r s e s u n d F ü l l u n g d e r V e r s glieder. Die Silbensumme des Viertakters hat die beträchtliche Spannweite von 4 zu 10. Bis zu diesen Grenzfällen geht es nur selten. Viersilbler beschränken sich bei Otfrid auf die frühen Teile; von den kleineren Gedichten kennen sie Samar. (15 b), Ludw. (4 Fälle) und Notkers Eberverse (2 Fälle). Ihre Akzentformen sind mannigfach: 1. 3 füodermäze; 1. 2 wirk wirkentö; 2. 3 süm föl löses; 2 si ltitentäz; 1. 2. 3 h6il wih döhter. Auch fünfsilbige Verse sind noch nicht alltäglich. Zehnsilbler trifft man bei Otfrid vereinzelt, sonst noch im Psalm und im Heinr. (4b ein Elfsilbler). Erst Achtsilbler sind eigentlich häufig; und auch so hoch bringt es das Ludw. nur dreimal. Es überwiegen also Verse von 6 und 7 Silben. Gegen den agerm. Brauch eine starke Ebnung. 482. Der A u f t a k t ist frei, d. h. jeder einzelne Vers kann beliebig mit oder ohne Auftakt beginnen. Es gibt auftaktige und auftaktlose Vers t y p e n , nicht V e r s a r t e n , genau wie in der Stabreimkunst. Von dieser, d. h. von der kunsthaften Langzeilenregel, unterscheidet sich der Reimvers darin, daß er Fehlen oder Dasein des Auftakts nicht abhängen macht von der Füllung der anderen Versgegenden; eine 'Balance der Versglieder' ist dem ad. Verse fremd; vgl. § 226. 230. Auf taktlos ist bei Otfrid etwa ein Viertel der Verse. In frühen Abschnitten aber, wie I 5, 1-40, sind es gut zwei Drittel; im Petr. und Ludw. sind es drei Viertel. Da klingt die rhythmische Bewegung mehr nach den trochäischen Gliedern der Lateiner als nach dem Dimeter jambicus (s. § 471. 474). Neigung des Abverses zum Auftakt gilt nicht in allen Gedichten ; planmäßig erscheint sie im lat. Texte des Gallusliedes (§ 507). Frei ist der Auftakt auch nach seiner S i l b e n z a h l . Otfrid geht ¿inmal bis zu 4 Silben, V 9,23a, hier entschieden als Ausdrucksgebärde (dringliches Erstaunen): inti thu ni hdrtös hiar in länte . . . ? Aber schon 3 Silben sind spärlich (einige 40 Fälle ?); Einsilbigkeit überwiegt im Evangelienbuch, zumal den ältern
44
EINSILBIGER
INNENTAKT.
Teilen, und herrscht fast allein in den kürzern Stücken, Heinr. ausgenommen. Nach Häufigkeit wie Länge hat der Auftakt für den ahd. Reimvers viel weniger zu bedeuten als für den westgerm. Stabreimvers (§ 216). Das hängt zusammen mit der veränderten, und zwar flacheren Modelung des Sprachstoffes: schwächeren Satzeingängen kann man nach Belieben den ersten, auch den zweiten Innentakt einräumen (Beispiele in § 514). 483. Von den drei I n n e n t a k t e n kann der erste eine bis vier Silben, der zweite und dritte eine bis drei aufnehmen. Wir verweisen im folgenden öfter auf die eingehende Gruppierung bei Wilmanns, Der altdeutsche Reimvers 1887. E i n s i l b i g e Taktfüllung, I I oder stellt Ansprüche an die sprachliche Dauer, auch an die sprachliche Stärke der Silbe. Nach einem Hauptsatze germanischer Prosodie (§ 74) kann nur eine sprachlich l a n g e , dehnbare Silbe die DoppeLmora / füllen : manne kann I J_ I ^ ergeben, lobe nur I >< X I • Einer kurzen Wurzelsilbe muten die ahd. Reimgedichte in k e i n e m sichern Falle die Überdehnung zu. Dagegen hat Otfrid 21 Verse, die den Ausgang j
|
N
|^
füllen mit Wörtern wie: armeru, manegero, wolkono; wurzelun, Male, wènege, wirdige, sälidon. Sieh Wilmanns S. 100 (ausscheiden I 7, 4 und I 5, 61). Mit Recht verwerfen MSD. 2, 72 die Messung: In mir ârmerù u. ä. ; unglaubhaft wären aber auch dreihebige (zweisilbig stumpfe) Verse: in mir ârmèru /\ u. ä. Vielmehr muß eine leichte Pänultima die 2 Morae des vorletzten Taktes aushalten: ârmèrù. Da es Suffixsilben sind, ist es kein schroffer Sprachverstoß (vgl. § 77). Aber als Freiheit muß es dem Dichter gegolten haben, denn von den 21 Fällen stehn 17 in Buch I, davon 14 in den besonders altertümlichen Kapiteln 3-5 und 7, vgl. §453. E i n e n Fall bietet Hartm. 50b giniazan bédèrô. Drei Fälle mit ândrèmô in IV 11, 50; 12, 13; V 10, 23 würden formgerecht durch ândèr(e)mô. Sichere Belege für solche Messung versagen die kleineren Denkmäler (zu Ludw. 8a, Notker i a sieh Wilmanns 147f.). Auf mhd. Stufe wäre sie gleichfalls formwidrig. Im Stabreimvers hatte es Rhythmen wie überhaupt nicht gegeben (gegen Kögel, AnzAlt. 21, 324). Die genannten Freiheiten berechtigen nicht, Wurzelsilben bei Otfrid sprachwidrig zu dehnen, z. B. I 5, 7a zi édiles fröuwùn; 62 b nist quéna bérèntl; sieh bei Wilmanns 1005. In den zwei mehrdeutigen Versen II 24, 3 sïna manunga alla, III 15, 10
EINSILBIGER INNENTAKT.
SCHWACHE EINSILBIGE T A K T E .
45
zi eineru manungu, würden wir außer der Messung | mänunga |, mänungü (so Roethe, Berl. Sitz. 1919, 787) noch die Form mit'Synkope'erwägen: w w I -k xj_>< I ^; also ohne Dehnung der Wurzelsilbe; vgl. § 210 und 602. 484. Einsilbiger Takt, sagten wir, verlangt auch etwas von der sprachlichen S t ä r k e der Silbe. Die Masse der klingenden Schlüsse enthält viele einsilbige dritte Takte ohne das Gewicht einer Haupthebung: II 23, 24 mit sören mänagfälten; III 1, 3 fon themo wüntarliche; I 22, 21 üntar gätilingön; III 10, 13 thaz füar si rödinönti; usw. Im übrigen aber zieht es den einsilbigen Innentakt zum Hauptiktus; das meint: der vollwichtigen Silbe gönnt man leichter die Dauer eines Taktes als der mäßig starken. Dehnung und Verstärkung sind zwar in germanischer Sprache nicht verwachsen: kann man doch die kurze Stammsilbe beliebig verstärken, nicht aber dehnen! Beide jedoch dienen der Emphase (vgl. §79). So liebt Akzentform 1. 3 einsilbigen Takt an erster Stelle: wislichen wortön; rehtera r&linä. Form 2. 3 liebt ihn an zweiter Stelle: in thiz lant breitä; wio er in 6r sägetä. Desgleichen Form 2. 4: bi then frönisgan win. Usf. Vgl. die Beispiele in §479 und Wilmanns S. 16. 24. 30. 40. Aber erst Dichter nach 1200 erheben es zum Grundsatz, daß sich einsilbiger Takt durch seine Wucht ausweise (§ 575). Otfrid kennt noch n e b e n h e b i g e Silben von zwei Morae; immer abgesehen vom 2k-Schluß! Man unterscheide hier wohl: a) R ü c k g e n e i g t e S t a r k t o n s i l b e : I 19, 2 was thionostmän güater; IV 33, 17 drühtln min, drühtln min; II 4, 7 thaz er ther düriwärt was; — I 4, 6 iogiwär sinäz; 32 ältdüam swäräz; V 14, 26, so Ist giwönah&t sin; IV 18, 23 thaz selba w^rtisäl thär. b) R ü c k g e n e i g t e S c h w a c h t o n s i l b e : I 2, 3 fingär thinän; 5, 7 zi ¿dil£s fröuwün; II 4, 61 er spünotä, SÖS9 er was; I 2, 2 thiu ärma müater min; II 7, 36 ioh blstu ouh dübünkind; 8, 27 thär stüantun wäzärfäz; Sal. 17b ih drühtln fergön scäl; IV 35, 1 thö quam ein ödiles man. c) Vorgeneigte S c h w a c h t o n s i l b e d i c h t vor dem Kolongipfel: I 2, 5 sl lötentäz; 5, 66 si wört sinäz; 47 ist stSdal sinäz; 62 nist quena berenti. d) Vorgeneigte Silbe g e t r e n n t vom Kolongipfel: I 4, 5 wärün siu bgthiu; 5, 70 si quäd, si wäri sin thiu; 9, 21 in thinemo künne; 17, 58 mit sineru f£rti; 10, 4 ther ünsih irlöstä. 485. Diese 4 Arten sind verschieden zu werten. Unter d ist der Satzrhythmus matt zerdehnt; Hilfsverba und Fürwörter
46
SCHWACHE EINSILBIGE
TAKTE.
haben überreichlich Raum bekommen. Ob dies bei Otfrid zu den Flauheiten der frühen Teile gehört, ist nicht untersucht. Aber noch bei den Größen um 1200 fehlt es daran nicht (§ 574). Den Gruppen a-c ist gemeinsam: sie stellen eine s c h w ä c h e r e Hebungssilbe dicht vor eine stärkere. Die Fälle unter b stehn am öftesten in Buch 1: 20 von den 33, die Wilmanns S. 101 f. sammelt. Zweie bietet das Ludw.: 8 a brüoder sinemö (§ 483); 20 a wäs erbölgän krist. Verbreiteter sind die a-Fälle (Hügel 36f.). Zweie gleich in der Eingangszeile des Augsburger Gebets (Braune, Lesebuch 151), wo Vers 3a und 4 a an der Schwäche d kranken: thäz uns thio k^tinün; thinero mildö. öfter kann man zweifeln, ob die taktfüllende Silbe nicht Kolongipfel ist; z. B. Ludw. 30a quädhun a l : frö min; 31a thanne s p r a h lüto. Man hat diese Belastung rückgeneigter Silben als Verstoß gegen die natürliche Betonung getadelt (PGrundr. 59f.). Nun waren ja die Fälle mit Akzentform 1. 3 (fingär thinän; zi ¿diles frouwün) im agerm. Vers gang und gäbe; nur eine altertümliche Stilisierung, keine Verdrehung des Sprachfalles kann man in ihnen finden (§72). Aber auch wo sie den d r i t t e n Takt füllt, muß man die rückgeneigte Silbe keineswegs zur Haupthebung emporschrauben. Verse wie I 4, 66 nu wird thu stömmfer sär, 5, 13 sö man zi frouwün scal; Ludw. 20 wäs erbölgän krist formen den Satzrhythmus ausdrucksvoll. Man spreche sie nur richtig: die dritte Hebungssilbe schwach und ohne übertreibende Dehnung: die Kolongrenze erlaubt, den Takt mit einer kurzen Pause aufzufüllen: müater mfn I J _ I I -L. Hier ist der einsilbige Takt k e i n e 'beschwerte Hebung'! (§ 5751)- Weil die Silbe rückgeneigt ist, eine Atemgruppe beendet, mißt man sie nur an dem vorangehenden, nicht dem folgenden Gipfel. Jedenfalls stehn die Fälle unter c auf einem andern Blatte. Nur h i e r erkennen wir wirklich Sprachwidriges an. Diese Beschwerung und Streckung der einen v o r g e n e i g t e n Silbe verzerrt die sprachliche Kurve (§72). Der Stabreimvers meidet dies folgerecht. Auch aus Otfrid wissen wir nur die erwähnten 4 Fälle zu nennen, alle in anerkannt altertümlichen Kapiteln 1 ). P r ä f i x überlastung, wie man sie dem agerm. Verse zumuten wollte: gedön wölde; g£ba infähän (§159, 2), wäre auch bei dem Anfänger Otfrid unerhört. Fern bleiben die zahlreichen Verse wie: I 7, 23 thrl mänödo thär; 4, 46 selb druhtine; 9, 29 sär sprechanter; 23, 20 und 27, 14 sus thesen worton. Hier kann die erste Silbe recht wohl Kolongipfel sein; der Akzentstrich nur auf der zweiten widerspricht dem nicht (§ 469).
Z W E I - UND DREISILBIGER
INNENTAKT.
47
Auch das min in I 22, 46 min sun guater, II 13, 23 min brediga thiu nist. 8, 13 ih scal thir sagen, min kind, das Her- in I 2 1 , 1 thö erstarp ther kuning Hêrôd können mehr Gewicht haben als eine vorgeneigte Silbe. Und dgl. mehr. (Man sehe die vielen emphatischen thén, thés, thiu, thia usw. bei Hügel iof.)
Außerhalb Otfrids finden wir Fall c in Samar. 3 b èin quéna sâriô; 15b mér thàn Jâcôb; Georg 25b èin gôukelàri; 30a (u. ö.) die héidènen mân (wogegen 14a dhâr swullen . . .); Psalm 11 a wie michiliu ist (15 b, 35 b mit emphatischem din); wohl auch bei Notker: sin bâld éllln (vgl. §438). Besonders störend fällt der Kehrvers des Georg ins Ohr; soll er sich durch stumpfen Schluß abheben ? : die héidènen mân ^ ; besser klänge pausierte Eingangshebung: /\ die héidènen mân || kescânte Görio dràte frâm. ') Vgl. die Lesarten zu 11 21, 1 1 b (das thär von P ist metrisch nötig) ; IV 21, 7 b (das von V nachgetragene thu ist metrisch nötig). Die lange Liste bei Hügel, Otfrids Versbetonung 38, und bei Wilmanns S. 49 ff. folgt blindlings den Akuten und wirft die paar vorgeneigten Hebungen zusammen mit entschiedenen Kolongipfeln.
486. Völlig sprachgemäß hat also die ahd. Reimdichtung den einsilbigen Takt nicht durchgeführt; in Silbendauer und -stärke machte sie einige, wenn auch spärliche Zugeständnisse. Der z w e i s i l b i g e Innentakt war damals wie heute der prosodisch anspruchsloseste (§ 94). Er verlangt nur 2 Silben, deren erste sich sprachlich überordnen kann : ob sie sprachlich lang oder kurz sind, macht für den Rhythmus, soviel wir erkennen, keinen Unterschied. Taktpaare wie: | fora-|sagon |, | horngi-|bruader|, | lüte-|ren gi-1, | wiht es | ni fir-1 ergeben die nämlichen Zeitwerte: 11 111 1 | ; vgl. § 75 D. In allen 3 Innentakten sind ein und ein WÜ (oder als gleichwertig zugelassen; daß sprachlich l a n g e Hebungssilbe in der Mehrheit ist, liegt am deutschen Silbenbestande. Zweisilbiger Innentakt entspricht den lateinischen Mustern und ist denn auch in den deutschen Reimgedichten der häufigste von allen. 487. Im d r e i s i l b i g e n Takte macht sich wieder die sprachliche Silbendauer geltend. Sie bedingt zweierlei Takttypen. Gemäß § 75B ergeben die Silben ¿^L^L | legita |, | forahti |, | f a r a m ê s | , |-gèro gi-|, |deta thaz |, | kuning thih-1 die Figur I v ^ / ^ / X I; die Silben | swäremo |, | frâgëta |, |ïlemës| und wohl auch | fuarun thiu |, | niuwaz thaz |, | quâmïst thu | ergeben die Figur D . h . : ist die Hebungssilbe sprachlich kurz, so besetzt sie nur eine halbe Mora, das e r s t e Viertel spaltet sich. Ist die Hebungssilbe sprachlich lang, so erhält sie die ganze erste Mora, und die z w e i t e spaltet sich. Die sprachliche Länge bzw. Schwere der 2 Senkungssilben macht für den Zeitfall nichts aus.
48
D R E I - U N D VIERSILBIGER
INNENTAKT.
Diese sprachlich bedingte Zweiheit \L/ w X und X w w schreiben wir schon dem altgermanischen Versbau zu (§ 209). Nach den von uns gemiedenen Ausdrücken ist es im ersten Falle 'Auflösung der Hebung' oder 'Verschleifung auf der Hebung'; im zweiten Falle 'Auflösung der Senkung' oder 'Verschleifung auf der Senkung'. Unverfängliche Namen, solange man sie rein beschreibend gebrauchte, gleich 'Spaltung der Mora'! Das mißliche ist aber, daß man eine prosodische Forderung hineinlegt: es müssen zwei l e i c h t e Silben sein, wie in | swär-emö |, sonst erkennt man keine verschleifte oder aufgelöste Senkung an. Und die Takte wie |frä-geta|, | quä-mist thu | ? Nun, für die brauchte man keinen Namen, denn man leugnete ihre physikalische Möglichkeit (§ 490. 557). Davon abgesehen, schließen die Namen Verschleifung und Auflösung entstehungsgeschichtliche und phonetische Ansichten ein, die wir ablehnen (§209. 489. 563). Der Eindeutigkeit des rhythmischen Vorstellungsbildes dient es, wenn wir die Namen entlassen. 488. V i e r s i l b i g e Füllung kennt im allgemeinen nur der Anfangstakt. Eine Ausnahme wohl IV 7, 21a ni swörget föra themo liute. Die 4 Silben dürften, unabhängig von ihrer sprachlichen Dauer, den Rhythmus ergeben: in | managemo |, | fora theru | ebenso wie in | wuntoröta |, | nuzzun thera | oder | ebonöt thln | . Unsicher ist, ob Otfrid vereinzelt bis zu fünfsilbigem Eingangstakt steigt, also mit Sechzehntelbildung. Man sehe I I I 24, 3a quam mönigi thero Jüdeöno £r und 15, 48b bi förahtun thero Jüdeönö, verglichen mit V 11, i b bi förahtun thero Jüdönö (III 23, 27 b wisömfcs thero Jüdönö) und anderseits V 6, 30 a thaz hdrza Jüdeönö. 489. Wir können die Taktinhalte nach Zahl und Länge der Silben so ordnen (einheitliche Wörter als Beispiele); die Formel links gibt die sprachliche, die rechts die versrhythmische Beschaffenheit : I. 1 man 1
\-L\
2. 1 filu 1
l*xl
3- 1 guate 1 4- 1 zelita 1
l*xl
5- 1 jungoron 1 6 1 managemo 1 7- 1 wuntoröta 1
1^/wX 1 / ^^
1vi/wv^w
AUFLÖSUNG UND
VERSCHLEIFUNG.
49
Forscher, die mit dem 'Gesetz der Auflösung' arbeiten, sagen nun: L könne durch -¿^L vertreten sein. Unter diese zwei letzten Zeichen schreiben sie manchmal einen Bindebogen, worunter man sich entweder vorstellen kann, die zwei Silben verschmölzen zu einer, oder beide zusammen dauerten so lange wie 1 . Zwischen grammatischer und versrhythmischer Größe pflegt man nicht zu scheiden. Voraussetzung dieser 'Auflösungs'-Lehre ist, daß man Taktform 2 auf i beziehe, 4 auf 3, 6 auf 5: d a n n findet man alle dreimal 1 durch -¿^l 'vertreten'. Mit gleicher Willkür könnte man 2 auf 3, 4 auf 5, 6 auf 7 beziehen; dann 'verträte 1 < X genügt. Sie muß auf s p r a c h rhythmische Bedenken gestoßen sein. Wörter des Baues (weinöta, zellenne ; sälida, sïnemo) hatten im S a t z i n n e r n je nach dem Zusammenhang die Betonung oder oder 1 Dies spiegelt sich in Messungen wie: V 7, 6 si stüant thoh, wéinôta thàr; IV 26, 7 sie wéinôtùn thö löto; I I I 24, 8 wéinôta iogilichô; I 3» 33 ouh sâlida sûachè; Lu. 5 joh sâlidà giméinî; IV 35, 44 jôh ouh sâlida ùbar âl. I m S a t z s c h l u ß dagegen, in pausa, war die sprachliche Betonung wéinôtùn, sâlida. Dem entspräche die Messung
54
ZAHLENVERHÄLTNIS DER SCHLÜSSE.
I -LI X; aber diesen zweisilbigen Schlußtakt verbot die bekannte Hauptregel (§ 471. 492). Das fremde Versmaß übt seinen Zwang. Es gab zwei Auswege. Erstens streckte man diese Wörter über drei Schlußtakte aus. Bei sprachlich schwerer Mittelsilbe schien dies unverfänglich und ist denn auch das stehende Verfahren: I 26, 3 then brünnen rdinötä; II 14, 10 theist däges h&zesta; III 10, 5 sl quam rüafentl; — Samar. 10 mit themo do kösötis; Georg 4 daz thing was märistä, || göte lieböstä; Ludw. 12 thiot Vräncbnö || mänön sündiönö; Notk.: pegägenet andermö; zwdlif¿lnlge. Aber auch bei sprachlich leichter Mittelsilbe hat sich wenigstens Otfrid 21 mal diesen Ausweg erlaubt (§483): I 7, 24 mit allen sälidön. Verletzte dies die sprachliche Dauer, so tastete die zweite Behandlungsart die sprachliche Stärke an. Das prosaische 2 1 formte man als -smähetin; -fördorön. Dies hat Otfrid, wie wir sahen, nur 6mal; es galt ihm danach wohl als das größere Übel. Seine Nachfolger wählten anders. Aber wirklich in Brauch kam diese dreisilbig klingende Kadenz mit sprachlicher Starktonlänge erst in mhd. Zeit (§ 542). 495. Über das Z a h l e n v e r h ä l t n i s der Kadenzformen fehlt es an brauchbaren Sammlungen. Nach Stichproben aus Otfrid herrschen überall vor die Paare aus zwei klingenden Versen (2k und 3k nicht gesondert); sie bewegen sich zwischen 65 und 90%. Am seltensten sind überall die 'unebenen* Paare aus einem klingenden und einem vollen Verse; sie halten sich zwischen -f 3 und 11%. In der Mitte liegen die beidseitig vollen Paare; sie bringen es, nach den Proben, in Buch III und IV weit höher als in I, II und V: dort zwischen 21^ und 28%, hier zwischen 13 und 16%. Das dürfte zur Entstehungsfolge stimmen, und der in mhd. Zeit zu beobachtende Satz: Je jünger, je mehr volle Schlüsse (§ 594). gölte schon innerhalb des Otfridschen Werkes. Freilich mit Einschränkung, denn das späte Kapitel I 1 sinkt auf 7% volle Verse! Die Summe der klingenden Einzelverse beträgt nach den Proben aus Otfrid 77%, die der vollen 23%. Daneben erscheinen Georg, Ludw. und Samar. modern: ihre klingenden Verse liegen zwischen 64 und 58%. Vollends der Psalm steht mit 44% k : 56% v auf einer Sprosse, die man im allgemeinen um 1150 ersteigt.
V i ELGESTALTIGKEIT .
55
496. Otfrids Vers verteilt freie Silbensumme wechselnd über Auftakt und Innentakte, während der Schlußtakt starr einsilbig ist. Damit gehört dieser Vers zu der 2. Gruppe in § 53. E s kreuzten sich in ihm der agerm. Versstil und das Auf und A b des lat. Hymnus: jener gab a l l e n Versgegenden die Füllung frei (Gruppe 1), der Hymnus wiederholt von Vers zu Vers ¿inen Füllungstyp (Gruppe 5). Unser ältester Reimvers besitzt eine ansehnliche Menge Füllungstypen (§ 516). Eng begrenzt ist seine Vielgestaltigkeit im Sinne von § 84: Zeilen, die man auf mehr als eine Art lesen kann, ohne das Metrum zu verfehlen. Die Iktenzeichen geben da Winke; wir denken an die Fälle, wo die Handschriften über gehoben und gesenkt uneins sind (§469). E s handelt sich um wenigsagende Verschiebungen zwischen Nachbarsilben; etwa II 3, 67a thes ginäda uns scirmen oder: thes ginäda tins scirmen (uns hat in D Akut). O h n e Leitung durch die Striche kann man z. B. schwanken zwischen: in finsteremo iz scinit und: in finsteremo iz scinit (II 1, 47). Weiter auseinander liegende Möglichkeiten hat man nur in Zeilen umstritten, die irgendwie vom Gewohnten abgehn, und kühneres Umkneten, wie in den neudeutschen Beispielen § 84. 85, kommt wohl nirgends in Betracht. Schnitte an bestimmter Versstelle befiehlt oder verbietet der ad. Viertakter nicht, noch weniger als der lateinische (W. Brandes, Rhein. Mus. 64, sgff.). Es gilt da das in § 50 Gesagte. D i e E i n t e i l u n g der F ü l l u n g s t y p e n k a n n sich auf diese Z ü g e g r ü n d e n : 1. S t ä r k e v e r h ä l t n i s d e r v i e r H e b u n g e n ; also die A k z e n t f o r m e n , die wir uns in § 4 7 9 v o r f ü h r t e n ; 2. A r t der K a d e n z ( § 4 9 2 ) ; 3. S i l b e n z a h l der I n n e n t a k t e , n a m e n t l i c h L a g e der einsilbigen T a k t e ; 4. B i l d u n g des A u f t a k t e s . W e l c h e dieser M e r k m a l e m a n ü b e r o r d n e n , w e l c h e a u s s c h a l t e n will, h ä n g t v o n d e m j e w e i l i g e n Ziele der G r u p p i e r u n g a b .
26. Abschnitt: Der Bau des althochdeutschen Reimverses: An- und Abvers; Sprachbehandlung; ältere und jüngere Versfüllung. 497. An- und Abvers sind, wie wir sahen, nicht planvoll gesondert (§ 475). Gradmäßige Unterschiede der Füllung aber gibt es. Das Buch von Wilmanns beobachtet hierzu allerlei; viel ist abzuziehen, sobald man die Nachdrucksformen nicht kurzweg von den Iktenzeichen abliest und damit rechnet, daß es graphische Gewohnheit war, den Abvers sparsamer zu stricheln. Bemerken läßt sich die Neigung, dem Anvers s c h w e r e r e Füllungen zu überlassen. Die Zeile kann sich in ihrer zweiten Hälfte verjüngen: also eine Erscheinung, die in den rhythmisch gesonderten Langzeilen so oft begegnet, auch den stabreimenden
56
SONDERUNG DER HALBZEILEN.
PROSODISCHE
FREIHEITEN.
nicht fremd ist (§ 343. 346). Nur daß die Abstufung in der Kadenz beim Reimpaare gegebenerweise wegfällt. Der gradmäßige Schwereunterschied besteht in folgendem: 1. Verse mit mehr als zwei Vollikten, also die Akzentformen 1. 2. 3 , 1. 2. 4 usf. (§479), neigen wohl zur ersten Stelle. Verse dagegen mit ¿inem Gipfel (nicht ¿inem Akut!), Form 2 und 3, scheinen nicht etwa die zweite Stelle vorzuziehen. 2. Vier- und dreisilbige Innentakte sind im Abvers spärlicher als im Anvers. 3. Einsilbige Innentakte und im besondern die Ausgänge J_ A. k stehn dichter im Abvers (Wilmanns § 23. 26. 29). Von der Neigung der Stabreimkunst, die (längeren) A u f t a k t e dem Abvers zu geben (§ 344), wirkt wenig nach. Der strenge Zeilenstil unsrer Reimgedichte bringt die meisten Satzeingänge in den Anvers; aber dies nötigt noch nicht zu Auftakten. Vgl. IV4, iff wölt er thö biginnän ||..., || thäz er thäzbiwürbl ||. . .¡| thäz was finf dägon £r .. . Otfrid scheint die Halbzeilen ziemlich gleichmäßig mit Auftakt zu bedenken. In der frühen Strecke, die wir § 453 heraushoben, ist das Verhältnis 149 :156; in dem späten Kapitel I 1 95 ¡94; in den Widmungen an König und Bischof aber 71 : 107. Etwas stärker überwiegt der Abvers in Samar. und besonders Heinr. (Unwerth, Beitr. 42, 116), während das Ludw. wieder gleich verteilt. Zum Galluslied s. § 507. 498. Gegen S i l b e n s t ä r k e und S i l b e n d a u e r verstößt der ahd. Vers selten. Wir erinnern an die besprochenen Fälle: Erstens schwächliche einsilbige Takte; wahrhaft sprachwidrig doch nur die Takte mit vorgeneigter Silbe (§ 4 8 4 ^ ) . Zweitens Dehnung leichter Bildungssilbe über den vorletzten Verstakt; wohl nur bei Otfrid, 2 1 Fälle: In mir ärmeru ( § 4 8 3 ) . Drittens die Versschlüsse als )< X ^ gemessen: -smähettn. Ein Dutzend Fälle, die Hälfte bei Otfrid (§ 494). Aber das sind schon der Zahl nach harmlose Dinge. Dehnung kurzer Starktonsilbe (§ 74) verschuldet der ahd. Vers nicht. Auch von Beugung der Starktöne (§ 70) darf man ihn freisprechen. Nur bedingt gehört hierher der Fall, daß ein Redeteil der stärkern Klasse (§ 138), mithin ein Kolongipfel, in e i n s i l b i g e n A u f t a k t tritt: II 1, 36 got ddtaz thüruh inan äl; Ha. 165 krist halte Hartmüatän und fünf weitere Verse mit got und krist. Ferner I 5, 1 8 fol blstu götes ¿nstl; III 17, 45 ein äfter änder&no giang; — II 13, 11 steit, löset sines wörtes, wo von zwei gleichlaufenden Verba das erste um die Hebung kommt.
BEHANDLUNG DES
SPRACHTONS.
57
Solche Auftaktbildung ist dem agerm. Verse zwar noch fremd (§ 71. 213), im Reimverse aber empfinden wir sie als unverfänglich, weil man die Auftaktsilbe nach Bedarf verstärken kann, ohne den Versschritt zu lähmen, auch ohne 'schwebend' zu betonen. Bei Otfrid hören wir also die Anfänge dieser Erscheinung. (II 15, 18 lies: líob héreron miné; IV 235, 1 lies: báldllcho, sö jmo zám. Die Eingänge mit un 1, I I I 17, 68b, IV 29, 21b, vielleicht prosagemäß.) 499. Ziemlich zahlreich sind Verse wie: I I 14, 50 gab ántwurti gimúatl; IV 29, 36 thaz séltsána giwátl; I I 7, 3 joh wisduames irfültä; I I I 26, 6 frámmórtes thia gótes dát. Wilmanns S. 118; viele mit
-lieh-.
Die hier bezeichnete Messung angenommen, sind es sprachreine und kräftig geformte Verse; ihre dreisilbigen Takte bleiben in den Otfridischen Grenzen (§ 487) Doch mag sich der Vortrag im Zusammenhang mehr alternierender Zeilen für die Messung entschieden haben: ántwurti gi-; séltsaná gi-; wísduamés ir-; frámmórtes thia . . Dann haben wir hier den Fall, der in mhd. und nhd. Zeit dem Auf- und Abvers so viel zu schaffen machte: der Nebenton der ZX^ -Gruppen gebeugt unter den folgenden Schwachton (§ 580) Man möchte wissen, wie sich Otfrid selbst dazu stellte. All das Genannte träte weit zurück hinter der Menge der Wortund Satzton-Beugungen, die man einzig aus Otfrids I k t e n z e i c h e n gefolgert und auf höchst künstlichem Wege zu erklären versucht hat 1 ). Der Sprachbehandlung des Dichters hat man da aus seinen Lesehilfen einen Strick gedreht; bei all den anderen Texten, die auf solche Hilfen verzichten, denkt kein Mensch an so nachteilige Feststellungen. Wir bestreiten das Recht, aus den Akuten diese gewichtigen Schlüsse zu ziehen (§469). Wir finden keine Beugung des Worttons in V 8, 36 themo wízodspéntáré; 11, 35 thie drútménnisgon; 1 5 , 5 0 fúazfállfcntl usw. usw.; keine Beugung des Satztons in I 12, 1 hírta hálténté; I I 14, 23 thia gótes gíft irknátls; 16, 11 thie thúrst joh húngar thúltént usw. usw., obwohl in all diesen Fällen, einer äußerlichen Regelung zufolge, der Strich auf dem ersten Volliktus ausblieb. Ziehen wir die Summe, so können wir den ahd. Reimdichtern eine schonende Sprachbehandlung zuerkennen. Es war für die Sprache ein Glück, daß man den Abstand vom lateinischen Zeitfall wahrte und sich kein unabänderliches Auf und Ab in den Kopf setzte. Wieweit diese Mönche ihre Sprache lebendig und ausdrucksstark gemodelt haben, ist eine andre Frage. Die greift übers Prosodische hinaus; wir nehmen sie bei der Vergleichung mit dem Stabreimverse auf (§517).
58
ABNAHME DER EINSILBIGEN
TAKTE.
l ) Wilmanns § 3 2 f f . 7 2 ; Sievers, Beitr. 1 3 , 1 4 8 . 1 6 2 ; Paul, PGrdr. 54. 60: man habe dem Versschema zuliebe' den natürlichen Ton systematisch vernachlässigt', habe 'den alten Typus D* dem dipodischen Prinzipe tonwidrig angepaßt, u. ä. m. Aber auch den Schluß, die Betonung fuazfallönti usw. habe der P r o s a des 9. Jahrh. angehört (Axel Kock, Hammerich, Frings, AnzAlt. 44, 16), rechtfertigt eine umfassende und kritische Würdigung der Striche nicht. — Nach Boer würde der Georg, der Akzentform I. 3 zuliebe, sprachlichen Hauptton beugen unter folgende Nebenton-, auch vorangehende Schwachtonsilbe: góte llebóstà; die hèidinen màn: I . e . (0. § 438 1 ) 205 ff.
500. Wie die Reimkunst (§ 453f.), so zeigt der rhythmische Bau des Evangelienbuches eine F o r t b e w e g u n g vom F r ü h e m zum Spätem. Sie äußert sich in diesen Punkten: 1. Die prosodischen und die versrhythmischen Unregelmäßigkeiten: §483. 484f. 494; 493, 3, verschwinden oder treten zurück. 2. Auftakt wird häufiger, und man gibt ihm öfter mehr als éine Silbe: §482. 3. Volle Kadenz nimmt zu auf Kosten der klingenden: §495. 4. Rhythmisch unebene Kadenzpaare nehmen ab : § 453. 5. Einsilbige Innentakte nehmen ab. Die Mindestfüllung des Kurzverses, 4 Silben, erscheint nur in Buch I : § 481. 6. Takte von mehr als 2 Silben nehmen zu (Wilmanns S. 129). Diese letzte Neigung wirkt dem jambischen Gange entgegen, während Punkt 2 und namentlich 5, bedingt auch 3 und 4, auf das jambische Ziel hinsteuern. Doch fällt die niemals beträchtliche Zahl der mehr als zweisilbigen Takte (s. u.) wenig ins Gewicht. 501. Für die Schallwirkung des Verses hat das fünfte, die Abnahme der einsilbigen Innentakte, am meisten zu bedeuten. Folgende Zahlen mögen zeigen, in welchen Grenzen der Hergang verläuft. Zugrunde liegen die je 540 Kurzverse aus dem Anfang und dem Ende des Werkes, die uns in § 453 den Reimfortschritt belegten; also einerseits die altertümlichen I 3-7; 10, 1-16, anderseits die vhm. glatten Lud., Sai. und I 1. 540 frühe,
Kurzverse mit drei einsilbigen Innentakten 20 mit zweien 190 mit einem 247 mit keinem 83 2 k-Schlüsse Typus ^ v ^ chùanhèitì; lób sùngì 126 Takte von mehr als 2 Silben ca. 20
540 späte Kurzverse
o 62 356 122 26
PROBEN DES ZEITFALLS.
59
502. Also die kennzeichnende Schleppe von drei einsilbigen Takten: thio iro chüanheiti, eine sehr ohrenfällige Abweichung von den lat. Mustern, ist auf beinah ein Fünftel herabgegangen. Verse mit höchstens ¿inem einsilbigen Innentakt sind von 330 = 61% gestiegen auf 478 = 88,5%. Dabei bedenke man, daß dieser eine einsilbige Takt überwiegend die Pänultima der 2k-Schlüsse ist: die massenhaften Verse und Zeilen des Baues: sie machönt iz so rehtaz joh sö filu slehtaz
< c x 1 ^ u u l -L k x I Z A i ^ w I Z ^ x l ^ A A 4, 11 thier in themo eristen man mit sinen luginon giwan: / x l k x l _ i _ l * x l >< : x l k x l ^ < x l ^ x l ) < k x IjL: w w v ^ I K X ^ X \ - L Hier ist der Abstand der beiden Messungen am kleinsten. Bei Umsetzung der Akzentform 2. 4 w \ / ZU 1. 3 ' v ' x verschiebt sich gleichsam der Versinhalt um zwei Morae nach vorn; daher in der zweiten Messung die stumpfen Schlüsse. Der Schallunterschied ist im Grunde nur der, daß die schwachen Verseingänge in der ersten Messung etwas mehr Volumen erhalten. 2. II 9, 77 a then er zi töde salta /
xl*xl>< X I ^ Das ist kennzeichnend germanische Prosodie! Möglichst genau entsprach im altenglischen Weitfahrt das Lidwicingutn: ¿inen Iktus empfing es und konnte doch dreie aufnehmen! (§ 202) Eine Folge dieser gedrängten Füllungen ist, daß Verse mit mehr als zwei Hauptikten jetzt viel dichter stehn als in ahd. Zeit: die Akzentformen mit drei oder auch vier Vollgipfeln, die nach § 515 für die agerm. Dipodie unbrauchbar wären. Man durchgehe daraufhin die angeführten Proben! Verse wie Ezzo 3, 3 taz änagenge bistü, trdhten, ¿in; Lit. 232, 21 zöhenzich vierzich unde vier tüsent nützen schon dynamisch den viertaktigen Rahmen anders aus, als Otfrid dies tat. Die Strecke der Litanei 2x7, 3off., unten § 551, mit ihren gegensätzlichen vier und drei Schwergewichten hat keine Verwandten im alten Evangelienbuch. 533. Sprechen wir solche Verse fühlend, dann werden wir sie nicht mehr als Unmöglichkeit betrachten, auch nicht mit dem Worte Roheit abtun. Man kommt ihnen leichter bei von den freien Knittelversen des 15. 16. und wieder des 18. Jahrh. als von den Reimpaaren Otfrids und der Ritter. Zum Teil ist es eine Frage des T e m p o s ; man muß diesen vier- bis sechssilbigen Kurztakten Zeit gönnen. Darin gleicht es wieder den alten Schwellversen (§ 246). Aber auch hier scheint es nicht nötig, an Otfrid vorbei auf den Stabreimvers zurückzugreifen. Sollten die Mittelmänner,
SCHWERE INNENTAKTE.
EINSILBIGE
INNENTAKTE.
85
die reimenden Spielleute um 900, die Silbenmassen der sächsischen Buchepen nachgeahmt haben ? Die weltliche Kunst hatte, nach dem Hild. zu urteilen, so gepreßte Takte gar nicht geliebt. Es handelt sich bei dieser Versfülle doch immer um gradmäßige Steigerungen, und frühe Denkmäler, wie Ezzo und Memento mori, gehn um wenige Schritte über das ahd. Höchstmaß hinaus. Die Geistlichen des 9.10. Jahrh. hielten sich noch in der Nähe ihres Musters, des sangbaren Dimeters: die Späteren haben mit den Möglichkeiten des freien Sprechvortrags kräftiger gewuchert. Einfluß vom gesungenen Verse her könnte darin liegen, daß manche Gedichte, auch so musikferne wie VVGen., Rol., Kehr., den S c h l u ß v e r s v o n A b s c h n i t t e n durch gedrängtere Füllung abheben. E i n Strophenlied, das des Ratpert (§ 507), unterscheidet die Schlußzeile durch reichere Ligaturen, z. B. fünf Noten auf ¿ine Silbe ( M S D . 2, 83 f.). Legte ein späterer Dichter jedem Tone der Ligatur eine eigene Silbe unter, dann entstand — nicht vermehrte Taktzahl, aber silbenreichere Taktfüllung. Die kaum mehr sangliche, aber freistrophische Summa theologiae wendet dies auf einen Teil ihrer Gruppenschlüsse an (an 'Doppelverse' § 523 ist hier nicht zu denken). Der Brauch hätte auch auf unstrophische Sprechgedichte hinübergewirkt. Man vergleiche die Auszeichnung des Gruppenschlusses durch Dreireim § 5 2 7 .
534. Während s i l b e n r e i c h e Verse den wenigsten Dichtern dieses Zeitalters fehlen, sind die s i l b e n a r m e n , überleichten nur in einem Teile der Denkmäler beliebt. In Menge stehn sie im Merigarto, der Wiener Genesis, dem Friedberger Christ, im Roland, der Kaiserchronik, bei Ava und dem armen Hartmann, in der Vorauer Sündenklage und dem 'Scopf von dem Lohne' (ZsAlt. 40, 319). E s sind Gedichte der unlyrischen, musikfernen Art. Wir treffen wieder Verse m i t l a u t e r e i n s i l b i g e n T a k t e n : in ahd. Zeit fast nur beim frühen Otfrid und im Ludwigslied vertreten (§481. 506). Die Akzentform pflegt 1. 2 oder 1. 3 zu sein: WGen. 51,37 wib liebeste; Friedb. Chr. F a 12 daz wär ürkündfe; Vom Rechte 420 ir vörleit&re; — Rol. 1298 tif spränc Rüolänt; Rother 3171 s6szfen köufman; Reinh. 1649 dö sprach Diebr^cht; Merig. 1, 61 ein grhäft phaffö. Nach 2. 4 hinüber: Anno 221 half visc, half man. (Die Fälle mit anscheinendem 2. 3, 2. 4 und 1. 4: da Crist scöne; sö David chwlt; Moysen hiez gän; zlt unde jär messen wir anders, sieh §537 f.) Vor 1. 3-Versen mit schwachtonigem 2. Takte, Gegenstücken zu Otfrids fingär thfnän ( § 4 8 4 ^ 485), scheut man jetzt viel weniger zurück: Rother 4973 michil schöuwin; WGen. 78, 42 Christes öugin; 19, 25 ir missetäte; 19, 11 si gäz iz hälWz. Oft in den l a t . Zeilen der deutschen Gedichte: Vom gl. 403 quörsüm t&idänt, || quid pörtöndänt u. ä.
86
DREISILBLER.
PAUSIERTE
HEBUNG.
Aber auch den ersten Takt füllt gar oft eine Silbe von schwachem Satzton: WGen. 3 0 , 3 5 die mir dienent; 5 1 , 2 6 si was swänger; 6 0 , 1 0 in dfem twälme; 5 8 , 2 3 äne scülde; Ava 2 7 1 , 6 wir der wäre; 2 3 4 , 3 tiz ir lande; 2 3 4 , 2 7 d6n ir starnen. Usw. Dies bleibt unter den schwächlichen Takten bei Otfrid noch zurück (vgl. §484d). Doch darf man immer noch von vier hebungsfähigen Silben reden; dreihebige Messung (die mir dienent /\ usf.) ist keine prosodische Notwendigkeit. Vgl. § 5 3 5 Ende; 736. 535. Nun gibt es aber Verse ohne die vier hebungsfähigen Silben. Nicht bloß die gelegentlichen D r e i s i l b l e r : WGen. 3 6 , 1 3 swie wir tuon; 5 7 , 1 2 als ich rief; 8 2 , 1 7 scür noch suht; — 4 6 , 3 2 der öheim; 5 1 , 9 ub got wil; — 5 1 , 3 4 dienötest; Rol. 7 x 3 4 Brechmunda; Vom gl. 3 7 6 5 rex regum. Viel zahlreicher sind Kurzverse mit 4 bis 7 Silben, davon aber nur 3 oder gar nur 2 hebungsfähig: WGen. 1 3 , 7 nieht irwere; 5 9 , 3 2 der chunig gebot; Aneg. 2 7 , 3 7 von tagen ze tagen; — WGen. 1 5 , 4 4 alsame mich; 2 8 , 9 uns swebet obe; 1 8 , 9 nehein ubel gedanch; 2 9 , 3 0 vernemen ne mähte; 73. 35 vone tage ze tage; Merig. 1, 4 3 zi des meris parm; Aneg. 2 6 , 8 dö oder sit; 3 4 , 7 6 nimmer erwegen; Rol. 1 4 0 4 Karl ther rlche; 1 5 2 8 in gote thu vare; Hochzeit 1 1 8 mit ubirmuote; 2 2 2 ir vriunt guote; Rother 2 0 9 1 ir wät lossam; Exodus 8 7 , 3 1 der chunich wol sach; Vom gl. 4 9 si anneme. Nach ahd. Anspruch ergäben die wenigsten dieser Silbfellgruppen einen Vers. Man kann sagen: nach germanischem Anspruch ergibt keine einen guten Vers von vier gehobenen Silben; man müßte starktonige oder proklitische Kürzen längen. Die fünf letzten Fälle vergleichen sich mit den vereinzelten ahden, die wir als sprachbeugend hervorhoben: sl ltitentäz; die hiidenen man u. ä. (§ 4 8 4 c. 4 8 5 ) . Auch unsre mhd. Zeilen stellen vor die Frage, ob wir die vier Hebungen gegen die Sprache erzwingen sollen — wobei die Dreisilbler als 'Fehler1 ausschieden. Dazu kommt nun aber eine kaum überschaubare Zahl von Kurzversen, die könnten die vier gesprochenen Hebungen nur mit verschlepptem, lahmem Satzton erkaufen, wenn auch ohne die handgreiflichen prosodischen Verstöße der vorigen Beispiele. Es handelt sich zumeist um die ausdrucksfeindliche Überlastung mehr oder minder vorgeneigter Silben. Ihnen allen wird geholfen, wenn wir dem Viertakter erlauben, eine oder zwei Hebungen zu pausieren. Ist es die letzte Hebung, dann entstehn Verse mit stumpfem Schluß. Ist es die zweite oder dritte, dann entstehn Uberlängen oder Innenpausen.
STUMPFER
SCHLUSS.
87
P a u s i e r t e E i n g a n g s h e b u n g können wir für diese Gedichtgruppe nicht begründen, so nahe sie auch läge, z. B. in den vielen Versen wie: in slnen handen; so wirt vil lihte: I A x l k x l ^ l S c . Vgl. § 670 f. — Die beiden Dreisilbler der WGen.: si sprächen 55, 13; 57, 43, nu llet 70,5 und ähnliche Seltenheiten anderwärts darf man ruhig für Fehler halten.
536. Stumpfe Kadenz war mit dem Stabreimvers nicht ausgestorben. Sie begegnete uns in der Kleinkunst des 9. 10. Jahrh. (§ 43Öf.): Beweis genug, daß ihr die Nachahmung der lateinischen Lieblingsmaße nicht überall ans Leben gegangen war (§492). Die stumpfen Verse jener Zaubersegen schlagen zeitlich die Brücke vom Hild. zur WGen.; wozu man noch die Sanktgallische Federprobe um 900 nehmen mag (MSD. 1, 34; Ehrismann, DLit. 1 XI 1,208): mindestens der Anvers eindeutig stumpf (! ): Chümo kiscreib, || filo chümör kipeit; vielleicht auch die Trierer Sentenz (Priebsch, Beitr. 38, 341; Steinmeyer, Sprachdenkm. 400): ni sal niemän A. || then diubäl vörhtän. Das äußere Zeugnis tritt da zu der innern Ähnlichkeit, um den Satz zu rechtfertigen: der stumpfe Ausgang frühmhder Verse verhält sich zu Otfrid nicht als Neuerung; er stammt aus der zweiten Wurzel: aus dem weltlichen Reimvers, letztlich dem Stabreimvers. Zumeist hat wohl das weltliche Langzeilenlied, in seinem Abverse, die stumpfe Form am Leben gehalten (§ 733). Stumpfe Verse, also Viertakter mit pausierter Schlußhebung, eignen allen Mundarten unsres Zeitraums: sie stehn in der baiwarischen WGen. und Exodus, im Recht und der Hochzeit, im Roland, wie im elsässischen Scopf vom Lohne und im Reinhart Fuchs, im oberfränkischen Merigarto und Aegidius und in den mfrk. Alexander, Rother, Vom glouven. Von Zahlenangaben sehen wir auch hier ab und bemerken nur, daß uns die 13% für die WGen. (Ad. Versk. 60) zu niedrig berechnet scheinen, daß aber in sämtlichen Gedichten, wo sie vorkommen, die stumpfen Verse hinter den klingenden und vollen bescheiden zurückstehn. Genau wie beim Stabreimvers (§ 198) unterscheiden wir: einsilbig stumpf: dä gieng ein man zweisilbig stumpf:
ich wil alle tage I X I X I >< X U 537. Danach lese man nun jene Verse, die keine vier Hebungen hergaben (in § 534f.): Mer. 1, b so David chwit ; Roth. 3933 Möysen hiez gän ; WGen. 12, 31 zit ünde jär ; — swfe wir tüon ; als ich rief /\; setir nöch süht ; — älsäme mich ; üns swebet öbe /\; zl des m6ris pärm /\; dö öder sit ; nimmer erwogen ; der chünich wöl säch A.
88
STÜMPFER SCHLUSS.
Ein paar zusammenhängende Proben : Exodus 91, 45 mit dir WLI ich wônen A,
von dir ne wil ich ch6men
mit dir wil ich varen A, ein zéichen sölt du haben A. Hochzeit 131 swenne èr sich dés erwért A, daz er dar nine vért A, der dar niht wirt bräht A , der habet sich wôl bedaht a , der ist wigànt / \ widir sïnen vfànt A. WGen. 25, 26 du bist vil bléich A, zuo dinem prdoder ist dir léit A; wil du w61 tüon / \ , des vfndèstu Ion A ; hast anderes gedâht A, dés wirt 6uch r a t A. ich laze dir den zügel a ze tüonne güot oder übel A 1 ) ; also dich gezimet A, den ént èr genimet / \ . l ) Rhythmisch mehrdeutig: auch stumpf mit dreisilbigem Auftakt oder voll.
Hier war stumpf mit stumpf gepaart. Vielleicht noch öfter reimt stumpf auf voll. Je nach dem Satzton empfindet man dies nicht als 'rhythmisch unrein* (vgl. die skaldischen Fälle §398): Vom Rechte 28 ùnz an sinen tot A , 323
der méistèr ist güot A,
Wahrheit 141 Roland 1446
wil èr sïn hàben r a t A , so nimet Ruolànt A
Vom Rechte 357 203 Kehr.
dem hülfe göt vön der not; der sélbe gùotiu wérch tùot;
von diu sol der mân ùnde daz wip
dö grèif er an die ûbirraùot,
7796
er vindet èinen ârzàt;
41 mîn érve zuo siner hânt; sîn als éin lip
daz wàs ze niht güot
er hiez in wérfen àn den bûrcgràben,
A;
A;
âbsnîden di nâsen
A.
Auf die rhythmisch unebenen Bindungen entfallen die Paare stumpf: klingend (§457): WGen. 84, 20 daz müoze si sin / s nü ùnt in ewîn. Merig. 2, 21 d a gieng ein m i n A, wôlt d â bx giniowàn. Strassb. Alex. 1681 àne vierzich t u s ù n t ; dar näh in kürzer stünt Kehr. 8540 der vil heilige babès ântwùrte ir dés A . Roi. 4674 thô hügete er àver witherè mit sînen gôltwlnen
A;
538. Andere Verse entgehn dem Überlasten vorgeneigter Silben durch Pausieren einer I n n e n h e b u n g . Meist der zweiten. Dann hat die erste Vershälfte eine der Füllungsformen, die uns aus der agerm. Dichtung wohlbekannt sind (sieh z. B. § 206). (Den Taktstrich nach dem ersten Kurztakt können wir weglassen.) I.
* 1 F-—
A
1
I iZJ I WGen. 51, 34 dielnôtèst; Roi. 7134 Bréchlmûndà; Vom gl. 3765 réx A ^ régùm; —WGen. 34,5 er stûont A A, béttè; 35,
PAUSIERTE ZWEITE
HEBUNG.
89
41 die gót ^ fùrhtènt; 32, 3 sö wib /\ /s scóltè; Hochzeit 222 ir vriunt /s guotè ; Vom gl. 1072 dä Crist /\ /\ scónè; 49 si à n l n é m è ; 1583 ir ün 1 trtìwè; Ava 237, 21 dem wärClichè; Kehr. 1613 ir làit ^ / \ trùogè; Rother 2082 ir v/àt /\ ^ lóssàm; — WGen. 14, 41 zwó ^ a scùlterèn. 2. -I £ X ^ ^ I* 1— WGen. 61, 9 der Hochzeit 197 ein 4032 der bóte ^ 2312 ein léwe ^
I I chünig ^ hérè; 82, 27 die góte wérdèn; mäget ^ ^ g ù o t è ; n 8 mit ù b i r l m ù o t è ; Kehr. frónè ; Vom gl. 1191 mit gótis ^ .A vórhtèn; wildè; 370 dì zwélif a. zéichèn; 1785. 1789t.
3. • I J - /S X I WGen. 36, 16 bérn / \ ne wóltà; Hochzeit 257 bàz ir w é t è ; Melk. Mar. 1, 1 jtì a in érdè (in MSD. 1, 151 entstellt, vgl. Wesle 1. c. 87) ; Rol. 1404 Karl ther richè ; Kehr. 3425 hat gót vor óugèn ; 3850 diu kint erhörten dàz ; Vom gl. 1407 Crist /n ir méistèr; 950 hin zer héllè; Aneg. 7, 57 der sün der richè. 4. • I X ^ X ! WGen. 30, 28 sament /s zewérfèn; 29, 30 vernémen ne màhtè; 13. 35 den gébel / \ ze scirmè; 35, 14 die mäged si fràgetèn; 36, 40 dan éner ^ der jùngerè; Vom Rechte 117 gare ^ zefùorèt; Vom gl. 1181 her nider a zer érdèn; Ava 235» 19 gesaget von Cristè; 241, 20 néme ^ den chindèn; Straßb. Alex. 1322 flügen •n di philè. 539. Eine dieser Taktformen verbunden mit s t u m p f e m S c h l ü s s e : WGen. 46, 32 der ólhéim /N ; 51,9 ub gót A A wil ^ ; Merig. 2, 55 der héis A A ist A ; WGen. 60, 23 dà näh chóment slbinìu 11 sö fréis 1 sàm[iu] /\ ; — 13, 7 nieht irwére a ; 59, 32 der chünig /\ gebót ; Rol. 1528 in góte /s thu vare ^ . Es sind die Verse mit nur zwei hebungsfähigen Silben (§ 535). Als Beispiel für rhythmische Mehrdeutigkeit nennen wir WGen. 73. 35 vone tage ze tage. Sprachgemäß sind die drei Messungen; die erste ebnend, Stil des Reimverses, die dritte altgermanischer Stil, die zweite vermittelnd: I xlvi/ux l ^ x L \ k x \ t x U x l > < x (s. §541) wv^l^X ^ X I ì< X ^ Bei einsilbigem von (wie im Anegenge 27, 37 von tagen ze tagen) ist nur die dritte Formung sprachgerecht.
90
P A U S I E R T E DRITTE
HEBUNG.
540. Um das Sinngemäße und Wirkungsvolle dieser Messungen zu würdigen, muß man die Verse in ihrem Zusammenhang nachschlagen. Man beachte, wie die Uberlänge oder Innenpause Redeteilen zugute kommt, die dieser Hervorwölbung würdig sind. In all diesen Verstypen erscheinen uns geläufige Füllungsformen der stabreimenden Dichtung. Eine Minderheit wäre nach der Kunstregel des agerm. Langzeilenmaßes 'unterepisch'; aber auch diese leichten Verse finden ihre deckenden Zwillinge im stabreimenden Lager; sieh § 221. Man darf hier an geschichtlichen Zusammenhang glauben. Wieder gewährt die Kleindichtung ein paar Zwischenglieder (§ 436). Wie der stumpfe Schluß, so ist die pausierte Innenhebung der zweiten, außer-Otfridischen Wurzel erwachsen. 541. Konnte man auch die d r i t t e Hebung pausieren? — Nicht wenige Verse brächten ihren Prosafall gut heraus in der Form: (Takt 1 und 2 auch einsilbig, Takt 1 auch dreisilbig). Ezzo 157 duo wart geboren ein chint; 327 er hiez slahen ein lamb; 340 chom in der Juden gewalt; Mem. mori 10, 3 sö vert er hina dur not; 15, 6 hie noh chumit der tac; WGen. 13, 33 zöch über den gebel ein vel; 18, 9 nehein ubel gedanch; Exodus 87, 20 wart vile wole behuot; 89, 16 der herre vlöch durch not; 92, 38 daz sol wesen ir lön; Lob Salom. 221 du sol wesin sin brüt; 227 ave sol giberin du kint; Friedb. Chr. J a , 2 in sal dragen ein wib; Himl. Jer. 301 der sibente stain ist sus (ähnlich 339. 371); S. Lambr. Mar. 20 die alten vater din e; 25 dü sie den töt erchös; Kehr. 4525 dine site sint guot; 8429 dö ilte man vur man. Möglich ist hier überall auch s t u m p f e Messung: duo wärt gehören ein chint ; dö ilte man vur man usf. Sie modelt diese Silbenreihen flacher; der Zeitabstand der beiden Höhepunkte ist kleiner, als man ihn erwartet. Jene erste, ausdrucksvollere Messung würde altgerman. Rhythmus m i t t e l b a r fortsetzen: man könnte diese Figuren X I ^ X I ^ X I / N X I ^ . nicht unverändert in das alte dipodische Grundmaß legen; man müßte ihre Akzentform 2. 4 verschieben zu 1. 3 wie in § 514 unter 1. 542. Außer der stumpfen Form zeigt der Versschluß folgende Neuerungen. Die Kadenz dreisilbig klingend I X I & bildete man ahd. mit sprachlichem - ¿ ^ ^ : zelita, worahtun, nur vereinzelt mit
KADENZ
ZWEISILBIG VOLLE
SCHLÜSSE.
9i
-fordoron, -smähetin (§ 494). Diese zweite Art ist nun, neben der ersten, ganz üblich geworden: Litanei 226, 32 mir einigem dich einigen, 11 dich erw£lten ünde dich heiligen, || dich guoten ünde dich gnädigen, || dich süozen ünde dich saeligen. Su. theol. 5 sü ist öbini dü dinc rihtintl, 11 ündin tif häbinti. Merig. 1, 37 giliberöt : wisterot; Su. theol. 53 Lücifer: äbitrünniger; Melk. Mar. 64 besigelter : beslözzener; 78 t o t : richsenöt. Vgl. Behaghel, Eneide CXVI*). Dies ist keine versrhythmische, nur eine prosodische Neuerung; sie h a t kein fremdes Muster, nur die sprachliche Ursache, daß in paasa jetzt nicht mehr die Betonung heischt. Doch setzt auch diese ältere Betonung der Reim gelegentlich noch voraus: Lit. 234, 16 ängislgen : heiligen; 235, 22 heiligen : entliben; Su. theol. 169 viänti : hendi; 215 viäntin : antin; Merig. 2, 43 sörezzin : nezzin; Vom gl. 2158 ph6nnlnge : bewinden. Noch im folgenden Zeitraum begegnen Nachzügler wie: Iwein 7935 heiligen : verswigen; Seifrid Helbling I 465 seliger : swiger (andere Fälle bei Kauffmann DMetr. S. 129; Behaghel, Gesch. d. d. Sprache 4 S. 131). 543. Neue Formen zeigt ferner die volle Kadenz. Wir sahen, der ahd. Reimvers hatte sich auf e i n s i l b i g voll beschränkt: offenbar im Anschluß an die lat. Muster gab er dem vierten Verstakte nur eine Silbe, verbannte also die altheimischen Schlüsse auf und auf die zweisilbig vollen (§492). Von der ersten Art, mit sprachlich kurzer Hebung, fanden sich insgesamt 10 Vertreter, von der zweiten keine (§ 493, 3). Im frühmhd. Verse kommen beide Arten wieder zu Ehren. Wir dürfen sie getrost an die entsprechenden agerm. Schlüsse anknüpfen, sie also von dem zweiten Vorfahr, dem weltlichen Reimvers, herleiten. Einer der Punkte, worin unser Zeitraum dem Dimeter jambicus ferner geblieben ist. D e r Unterschied vom Stabreimverse: daß die gehobene Pänultima einen V o l l i k t u s tragen kann, ist mit dem neuen, monopodischen Grundm a ß gegeben (§ 471 Ende). Ezzo 139 der was der vröne vörböte von dem gewaltigen göte: solche Verse, der vierte Iktus auf sprachlich k u r z e r Pänultima (sog. 'Auflösung'), sind frühmhd. überall häufig, auch bei Ezzo. Bei Ezzo sind die 17 Paare mit solcher Kadenz, nebst vier unpaarigen Fällen, die einzige mehr als gradmäßige Abweichung von Otfrids Handwerk. Diese Schlüsse bleiben in den Reimpaaren der ganzen altdeutschen Zeit in voller Geltung.
92
ZWEISILBIG VOLLE
SCHLÜSSE.
544. Summa theologiae 117: der dngili minni undi götis hüldi virlüri wir durch disi scüldi: solche Verse, der vierte Iktus auf sprachlich l a n g e r Pänultima, heißen in Lachmanns Kunstsprache 'vierhebig klingend1. So können wir sie nicht nennen, da wir mit "klingend* auf die ausgehaltene Pänultima zielen: hüldi JL &: eine Messung, die hier nicht in Frage kommt; sie würde den Rahmen der vier Kurztakte überschreiten, die Ultima -di bekäme eine fünfte Hebung 1 ). Also die obigen Schlüsse huldi : sculdi sind einhebig, sie halten sich innerhalb des vierten Kurztaktes. Wie sie sich versrhythmisch zu den Schlüssen böte : gote verhalten mögen, wollen wir beim Minnesang fragen (§ 653). Um die beiden Arten zweisilbig voller Kadenz (2v) im Namen zu trennen, mag man die erste, mit kurzer Pänultima, männlich, die zweite, mit langer Pänultima, weiblich nennen. Abgekürzt mv und wv. Weiblich volle Viertakter stehen in der frühmhd. Dichtung seit der WGen. 1070 in Menge. Die Verse sind nicht zu zählen, die in solcher Messung ungezwungen zu ihrem rhythmischen Ausdruck kommen. Über ein Dutzend Fälle findet man in unseren Proben § 528-32. Dazu nehme man diese: Su. theol. 143 Crist gab slni ünschuldi vir unsir schüldi, tiuri chöuft er unsich widir zi der hüldi. Arnst. Mar. 38 an der blüomen sal gerüon der heilige drdhten: her säl sie gestirken bit allen sinen cröfden. Litanei 232, 21 zöhenzich vierzich unde vier ttisent, und alle die, die ir sünde häbent beriuset. Erinn. 295 daz ist ein strich der höchverte, diu den tivel des himelrtches beh6rte; 819 in des fiwers flämme griullcher ¿sse ; öwJ?, der die grözen nöt wisse! Priesterleben 171 da mit göt siner wärheit werde biröubet. si sprechent, diu wip hab in sant Paulus erlöubet. daz er den laien umb 61ich hträt hat gesprochen, da hät er die phäffen niht in gelöchen. sant Paulus sprichet, bezzer si gehien danne brinnen: si mugen sprächen, bezzer si toben danne winnen. Diese Zeilen, klingend gemessen, verlören ihren Ausdruck; sie würden zu Zerrbildern von Versen. ' ) Dies verlangt tatsächlich für die entsprechenden Verse im Roland E . Oppermann, Die Versschliisse . . . im d. Rolandsliede (1913) 19 ff. Dagegen schon Hahn, Kl. Gedichte von dem Stricker (1839) X V I I I .
545. Sehr oft kann man schwanken zwischen weiblich voller und k l i n g e n d e r Messung — wie auch zwischen männlich voller
WEIBLICH
VOLL.
93
und stumpfer. Das liegt an den lockeren Füllungsgrundsätzen dieser Reimpaare; schon die Zeitgenossen mögen éinen Vers auf zwei Arten gelesen haben (§ 526). Mitunter entscheidet die Reimbindung für wv, sieh § 458 zum Reime fuor : bruoder. Andremale für klingend: Su. theol. 127 dö der éingil durch sin ûbirmùt givil, || ubir den götis ândin wart er wéibil; WGen. 61, 44 chöd, nu ime göt hâte gigében chint, || er wäre alles léides irgétzit. Ob alle Gedichte den wv Ausgang gebrauchen, stehe dahin; bei Ezzo, Mem. mori, Merig., Friedb. Christ kommt man leicht ohne ihn aus. Für die große Mehrzahl jedenfalls gilt: lehnen wir Verse von über vier Hebungen ab (§ 523), dann drängen sich uns wv Schlüsse an jeder Wendung entgegen. Manche Forscher sehen in diesen ungestumpften Versen etwas sozusagen Verbotenes, nur bei echter Not Anzurufendes: aus theoretischem Vorurteil, dann weil die Form aus den Reimpaaren seit Veldeke zurücktritt (§ 590) ; vor allem weil Lachmann dem strengen Stabreimverse diesen 'vierhebig klingenden1 Schluß absprach (§ 155). Wir verweisen dawider auf § 51 und 195 und wiederholen nur, daß der agerm. Vers zugleich mit dieser Kadenz seinen freien Atem verlöre; es wäre schlechthin unmöglich, den Heliand 'katalektisch1 zu rhythmisieren. Ähnliches gilt von der Pfaffen Konrad und Heinrich Reimpaaren. Noch drei Beispiele dafür, wie sich diese Kadenzform dem Sprachstoffe anschmiegt und die Menge der altbekannten (keineswegs ausgestorbenen!) Versschleppen mit - L l ^ ' k ( § 5 1 7 Ende) wohltätig einschränkt: WGen. 83, 13 J â k o b chut untersliufäre, Israhel gôtes pescôuwàre; 67, 4 der älteste an deme sédel hériste, der minnist ze ¿Her nideriste; Paternoster 233 si gèrent dèr durnâhtichàitc zer drivàlten gâthàite.
Der weiblich volle Versschluß ist ein Erbstück aus der altheimischen Sprachbehandlung. Herkunft aus der lat. Kunst, Nachahmung der akatalektischen Trochäen, ist nach den Umständen unglaubhaft, Herkunft aus der französischen schon aus Zeitgründen ausgeschlossen. 546. Paarung weiblich voller Verse mit klingenden scheint ziemlich allgemeiner Brauch! Beispiele: Ups. Sünd. 21 ane ôberdrànke unde ane ôberàze: ich newölde dès nit lâzèn; Patern. 153 wider demo götes wörte so ne crâftent niht die héllebôrte.
94
W E I B L I C H VOLL: K L I N G E N D .
SCHWERERE
SCHLUSSTAKTE.
Kehr. 15926 si wuostèn daz richè, si gebärten harte ungezógenlìche. Gr. Rud. J 27 der grève in sin geréitè, sin stólze müot gap ime geléite. Man braucht diese Erscheinung nicht zu verpönen (vgl. MSD. 2, 200 und W. Grimm, Graf Rudolf 12). Sie gehört zu den rhythmisch unebenen Bindungen, die in diesem Zeitraum so vielfältig auftreten (§ 457f.) ; aber noch dem 13. Jahrh., selbst der Lyrik, sind die Paare k : wv nicht wohl abzusprechen (§ 662). Die Unebenheit mildert nicht selten der Umstand, daß die volle Kadenz sprachlichen Nebenton, die klingende Hauptton trägt, wie in unsern drei ersten Beispielen. (Fälle aus dem Rol. : AdVersk. 78.) Einige Gedichte zeichnen mit weiblich vollem Verse, auch Verspaare, den Schluß eines Abschnitts aus; so das Himml. Jerus., das Anegenge (E. Schröder, Aneg. 16). Dasselbe Ziel, das man auch durch schwerere Innentakte, durch Doppelvers oder Dreireim erstrebt (§ 523. 527. 533). 547. Noch schwerere Schlußtakte als 11 ü | dürften als Gelegenheitsform nicht rundweg zu leugnen sein. Unmögliche Zumutungen stellen sie einem freien Sprechvortrage nicht. Einzelne Gegenstücke auch hierzu bot der Stabreimvers (§ 208. 245. 326). Man sage sich diese Verse in angemessenem Tempo h e r : Schlußtakt WGen. 27, 21 réines sibeniu, unreines sibeniu ( : zwiskìu) ; Su. theol. 20 mid gilóubin daz érlichi gótis bilidi (: sélì); 259 dl wärheit bischirmin, tìngerne swérigin, || virmtden dü làstir joch wérigìn ; Nabuchod. 62 iz virbränti der héidinin eini michil ménigi ( : ingéginì) ; Mfrk. Reimbibel 307 (Kraus, Ü b . 2 1 7 ) ande thln güde sün, the thure üns gröze pine gethólode, || thich thure thàt zö sìnemo riche gehàlode; Lit. 235, 32 (ib. 60) so gib uns tüginltchin ze lébenne, || daz wir mit dlnem viéterlìchin ségene. Vgl. ib. 232, 23; Kehr. 537; Erinn. 459 f. Schlußtakt | Z y y | : Arnst. Mar. 160 unser müoder Sära dü Ótmùodige ( : gedtildigè) ; Priesterl. 411 in unsers hérren lichnamen mùge verwändelen (: handen). Wir erinnern an die zwei noch weitergehenden Verse aus Litanei und Priesterleben, die wir in § 51 heranzogen : lébentigiz pröt, wäriu winrebe; so tuot der wégemtìede gast ein riuwige dànnechere. Man k a n n sie gewiß auch anders messen: die zweite Zeile als Doppelvers (Vagantenzeile); in der ersten wäriu als Senkung des 2. Taktes — doch h a t es der jüngere Text nicht so verstanden, denn er schreibt, metrisch eindeutig: ein lebindiz bröt unde ein war ir winrebe.
SPIELARTEN
DER FÜLLUNG.
VERHÄLTNIS
ZU O T F R I D .
95
548. In dem weiten Bereiche der Füllungstypen stecken sich die Dichter verschiedene Zonen ab. Man kann mit Saran vier Arten umschreiben1); zu jeder nennen wir einen Vertreter. 1 .Leichte Verse: Hang zu einsilbigen Takten, kurzem Auftakt, stumpfem Schluß, unter Umständen Innenpausen: Merigarto. 2. Schwere Verse: Neigung zu drei- und mehrsilbigen Takten, langem Auftakt; voller Schluß überwiegt, auch der weiblich volle ist häufig: Summa theologiae. 3. Weitspannende Füllung: Art 1 und 2 in buntem Wechsel: Wiener Genesis. 4. Mittlere Füllung: leichteste und schwerste Formen im ganzen gemieden; Silbensumme meist zwischen 6 und 10, viele zweisilbige Takte: Ezzo. Es vergleichen sich aus Abstand die Spielarten des eddischen Langzeilenmetrums (§ 3iof.); man nehme etwa 1. Rigsthula, 2. Atlamäl, 3. Atlakvida, 4. Völuspä. Dort wie hier ein gleichbleibendes Grundmaß, seine Füllungsmöglichkeiten nach mehreren Richtungen ausgenützt. Nur bleiben unsre Reimpaare noch weiter entfernt von einer Sonderung wirklicher Vers arten", das Durcheinander ist größer, die Unterschiede gradmäßiger; Silbenzählung fällt ja auch der vierten Gruppe nicht ein! E i n Werk kann sich von dieser Richtung zu jener hinübergewöhnen2); auch schroffer Wechsel zwischen schlanken und geschwellten Strecken kommt vor, z. T. wohl mit künstlerischer Absicht, so im Arnsteiner Marienlob3), in der Litanei. ' ) DVersl. 254. 2 ) Im Anno: Eberhardt, Beitr. 34, 3 7 ; im Rother: de Vries X X X V I I I . 8 ) L . Jörss (o. § 522") 20.
549. Rückblickend bezeichnen wir das Verhältnis zu Otfrid so: Mit Otfrid stimmen: der metrische Rahmen; der Grundsatz 'Silbensumme, Auftakt und Innentakte frei'; auch die allgemeinen Grundsätze der Prosodie. Von Otfrid weicht ab: 1. Der Gruppenbau ist loser, § 527. 2. Die Verse sind reicher an Vollikten, § 532. 3. Die Silbensumme steigt viel höher, Auftakt und Versinneres schwellen an, § 528. 531. 4. Einsilbige Takte mit schwachem Sprachton sind häufiger, §5345. Es gibt Verse mit nur drei oder zwei hebungsfähigen Silben, daher pausierte Innenhebung und: 6. pausierten Sclilußtakt, stumpfe Kadenz, § 536-539.
96
VERSGESCHICHTLICHE
STELLUNG.
7. Es gibt Schlußtakte mit und |: zweisilbig volle Kadenz, männlich und weiblich, § 543 f. Punkt 1-4 kann sich zu Otfrid als Neuerung verhalten ohne eigenes Vorbild. Punkt 5-7 hat seine letzte Wurzel im Stabreimvers; in diesen Dingen darf der Vers um 1100 altertümlicher heißen als der Otfridische. 550. Weil der friihmhd. Vers auch dem S c h l u ß t a k t e bewegliche Füllung gibt, gehört er zu der ersten Art in § 53: freie Silbensumme verteilt sich wechselnd auf alle Versgegenden. Dazu bekennt sich auch der gemeingermanische Stabreimvers. Es ist die germanische Füllungsweise. Die rhythmischen Figuren sind sehr viel mannigfacher als um 900. Sie nehmen es stellenweis beinah mit dem agerm. Reichtum auf (vgl. § 203). Ihr Abstand vom Auf-ab-auf hat sich vergrößert. Also dem lateinisch-romanischen Versstile stehn sie beträchtlich ferner als Otfrid. Der Versbau um 1100 ist deutscher, germanischer. Er hat die jambenfreundliche Bewegung, die wir vom frühen Otfrid und vom Ludwigslied zum späten Otfrid und zum Georg gewahren (§506), nicht aufgenommen; im Gegenteil, er bezeichnet eine rückläufige Bewegung, eine Auflehnung gegen die halbe Verrömerung Karlingischer Zeit. Die Antriebe dazu waren einmal das heimische Versgefühl, genährt durch die schriftlose weltliche Dichtung, dann aber die Abrückung vom sanglichen Kirchenlied: die Verfasser der WGen., des Roland und des Priesterlebens leitete nicht mehr der wiegende Hymnengang, wenn sie ihre Verse formten und vortrugen. Die Abweichungen von Otfrid kennzeichnen, im großen genommen, eine sangferne Sprechdichtung. Diese Eindeutschung des Reimverses darf man zusammenhalten mit dem gleichzeitigen Hergang in den Raumkünsten. In der 'romanischen' Bau- und Bildkunst des 10. -12. Jahrh. befreit sich das heimische Formgefühl von den Banden der spätantiken, karlingischen Rezeption und gewinnt freiere, mehr eigene Bewegung (Dehio, Geschichte der deutschen Kunst 1, 65. 90. 136 u. ö.). 551. Bei so unjambischer Anlage dürfen wir dem sprachlichen Zeitfall herzhaft folgen, dürfen ihn ausdrucksvoll, steigernd herausmodeln ohne Scheu vor einsilbigen und vor schweren Takten, ohne den ängstlichen Gedanken an schwebende Betonung. Erinn. 597 nu ginc dir, wip wölgetän . . . 600 wie sin antlütze sl gevär . . . 602 wie sin här st geslihtet.
PROBEN
DES
97
ZEITFALLS.
WGcn. 27, 26 vierzech tâge unde vierzech naht der régen nienè gelâch: üf täten sih des himeles höler, dar engâgen switztèn dei téler; daz wâzzer flöz ùber al, iz fùlte bérg ûnde tâl; dei gebirgè dô sûnchèn, dei löte élliu ertrûnchèn. Priesterleben 69 'tuot ûf !* ^ /\ "wer ist dâ?' c daz ist ein gast unt bitet, daz man in ïn lä\ X l -L I /v ^ I i< X I * 414 dès aber die ürchunde gèbent, die ùnder den phâffen der mâisterschaft phlègent: daz mègent die lâien wöl vertragen, wan si sïn ânders chùnde niht mugen haben. daz ist daz täglich bröt, dès wir biten. swènne wir nach christenllchen siten dehâin misse hceren singen, so sölt wir sîn in dém gedingen, daz wir ze iegltcher stünde, doch wir in niht enphâhen mit dem münde, sîn tâilnùmftic wèrden an der séle : daz wœr entriuwen sant Michahèle, der der öbrist éngel vor göt Ist, vörchlich ze hândeln, wlzze Christ. Arnst. Mar. 26 ff. (das vorangehende Stück ist gut rhythmisiert bei Saran, DVersl. 255) : daz belühte dich und alle cristenhèit, dü in den üngelöuven vérre was verléit; iz vânt dich, iz liz dich bit élle löter, aise dü sünne dèit daz glâsevinster. 52 schèin van deme bûschè daz för: daz méinedè, daz vàne dir göt hie in érdèn erbérwet sôlde wérdèn; grüonede daz löuf In deme füre: blüode der dïn mâgeduom In der gebürte. der büsch behielt dü sine scdnechèit: sô dede dïn héilig Iii dü sine réinichèit. Litanei 217,20 àlsô du hast gispröchin in dem wfssàgen: swèr sich zu dir wèlle gihâben, H « u s l e r , Deutsche Versgeschichte II.
7
98
GEPRÄGE DES FRÜHMHD. VERSES.
ist er von sünden swarz worden t, du mächest in wiz säm ein sn6. der selber gnäden bir wir von dir gewis, pätör de cilis. 30 stdrchir göt, furste des frides, örthabe des libes, vsener des siges; er heizzit birch, täl unde wich, prüke, stige ünde stich, ¿ngil, wissage unde £wärt, 16u, ein brünne unde liebärt, äre, chalp ünde lämp, er heizzit unser heil unt unser hiilänt. 235, 6 durch dinir s£le hinvärt, du da silbe waere daz öphir unt der ewärt, durch din ürstende, diu unserm töde gäb ein ¿nde, durch dlner Üfferte signümft, durch des hdiligen giistis chümft: chüm uns armen ze hiile an dtnim ürteile, daz wir ieht erarnen des täges die räche des öwigen släges. 552. Mit dem Bewegungsreichtum vereinigen diese Verse eine Ausdrucksgewalt, die man nach den ahd. Versuchen nicht erwartet hätte. Otfrid und seine Gruppe wirkt daneben als einschläfernde Leier. Zum erstenmal zeigt uns jetzt das deutsche Reimpaar den strömenden Atem, den wir später an den allerbesten Knittelversen, auch Goethes, schätzen. Nur erreicht man nie wieder das üppige Formenspiel dieser Zeit. Hier ist Sinn und Wirkung des einsilbigen Taktes erst recht entdeckt. Sprechendere Profile als das von Priesterleben 69f. hat auch die Stabreimdichtung nicht aufzuweisen; die Zeile erkennt man an ihrem Rhythmus! Das ¿ine Reimpaar vermöchte ein ganz Teil zu lehren von germanischer Form und Sonderart. So beschaffene Verse klingen nicht mehr nach volksfremder Schule. Hier ist das Reimpaar deutsch geworden; der 'heimische Vierheber' (§520). Gewiß, so ist nicht alles; es gibt in unsrem Zeitraum viel Mattes und viel Plumpes, Zuchtloses. Was sonst in germanischer Versgeschichte das Kunsthafte auszumachen pflegt: das Beschneiden der Endfälle, die sichtende Auswahl aus der Füllungsbuntheit: davon ist um 1100 so wenig vorhanden wie kein zweites Mal in deutscher Dichtung. Man halte kunsthafte Beschränkung nicht
D E R HÖFISCHE
GESCHMACK.
99
ohne weiteres für Fremdtum; die epischen Füllungsregeln der agerm. Zeit (§ 225) kamen nicht von außen und haben den heimischen Schritt wahrlich nicht geknebelt; dem Hildebrandslied ließen sie genug Freiheit. Auch der ausschweifende Spätstil des Heliand, woran unsre Reimpaare wohl einmal erinnern, hat ja doch unendlich mehr planvolle Bindung, bewußte Schranke! Das liest man ab schon an der strengen Kunst seines Stabreims gegenüber dem anspruchslosen Gereime unsrer Geistlichen. Wie diese Reime, so sind die Rhythmen kunstarm. Der Sprachstoff scheint sich oft ungedämmt in das Viertakterbett zu ergießen, hier wie ein wilder Strudel, dort wie ein seichter Faden. Ohne Bild: das Einpressen von 4 bis 6 Silben in den Kurztakt geht manchmal an und über die Grenze des Vershaften, und wiederum die einsilbigen Takte kehren sich gar zu wenig an den einleuchtenden Satz, daß nur die nachdrückliche Silbe viel Dauer verdient. Hierin liegen die Mängel der frühmhd. Sprachbehandlung. Die schwereren Verstöße — Dehnung undehnbarer Silben, Umdrehung von stark und schwach — fallen meistenteils dahin, wenn man diesem Verse seine eigenen Regeln abfragt: wenn man ihm Innenpausen, stumpfe und weiblich volle Schlüsse bewilligt und keine 'einsilbige Senkung' wider den Sprachton erzwingt. Um den frühmittelhochdeutschen Versbau gerecht einzuschätzen, muß man die beiden Seiten betonen: es ist ein Vers von wenig Pflege, von schwacher Formschulung; aber er steht zu seiner Sprache in gesundem Verhältnis und erlaubt fühlenden Dichtern zu guter Stunde das, was nach germanischem Stile immer die Hauptsache war: die Schallform des Gedankens, den angeborenen Zeitfall der Sätze unverbogen, in kräftiger Steigerung herauszubringen. 29. Abschnitt: Der Bau der ritterlichen Reimpaare: Füllung der Versglieder. 553. Was wir eben als Schwäche und als Tugend des frühmittelhochdeutschen Verses nannten: das G e g e n t e i l trifft auf seinen Nachfolger zu. Das 'höfische Reimpaar' hat eine merkwürdige Umkehr vollzogen zu neuen Formzielen. So wie Lamprecht um 1130 dichtete, das schien nun 'stumpflich, niht wol besniten' in Form wie Inhalt 1 ). Den vorhöfischen Vers empfand man als 'ungerichtet': Aufgabe der Bearbeiter war, ihn zu 'richten' 2 ). Damit der Rede *süezer klanc daz 6re fröuwet mit genuht' 3 ), brauchte es ein Eb7*
100
EBNEN DER FÜLLUNG.
nen der Versfüllung nach allen Seiten; ein Beschneiden der Endfälle; die Auswahl eines Mittelmaßes. Schritte in dieser Richtung hätte eine sorgfältig gepflegte und gelernte Kunst, wie die ritterliche, wohl von sich aus getan. Nun kam aber dazu das welsche Vorbild; das wies ein bestimmteres Ziel. Es waren im besondern die Achtsilblerpaare des Ritterromans, der Vers Chrestiens; außerhalb der Heldenepen von jeher der epische Hauptvers Frankreichs; der Fortsetzer des kirchlichen Dimeter jambicus. Eine Form, im Grundmaß der deutschen gleich, in der Füllung vom deutschen Herkommen so weit verschieden. Auf ihre silbenzählende Glätte, ihr jambisches Auf und A b ging die Bewegung im deutschen Lager hin. Wie nah man diesem Ende kam und kommen wollte, werden wir sehen (§6i 4 f.) Anläufe zu diesem Ebnen gab es schon tief im vorigen Zeitraum und ohne den welschen Anstoß. Wir wiederholen eine der Proben aus § 537, drei Reimpaare der Wiener Genesis 25, 26, und halten daneben den 60 Jahre jüngern Milstätter Text (Diemer S. 24) : dd bist vil bléich wil du wól tûon A,
zuo dinem pruoder ist dir léit /\; des vindèstu ion / s ;
hâst inderès gedâht dû bist wòrden zómblèich:
dés wirt óuch rat /s : ze dïnem brûodir Ist din triuwe wéich;
wii du wól tiion A, des vlndest dù gewissen Ion; hast du àndirs 1ht gedaht, ze wizzèn wirt èz dir braht.
Hier ist es Anschwellen der dünnen Versinhalte. Das Gegenteil, Entlastung schwerer Takte, zeige eine Stelle aus dem Alexander (Kinzel 90f.); Vorauer Text, ca. 1130, V. 737: sie sprächen, daz sie in niene fórhtèn, noch si sin ze niehte bedórftèn, wan si trögen ime willigen mtìt unde gäben ime géme durch minne ir gtit: Straßburger Text, ca. 1170, V. 985 : wände si sin nìht nefórhtèn und ze nihte nè bedórftèn; doch trögen si ime willigen mtìt und gäben ime géme ir gtìt. Aber durchgriff solche Glättung nirgends, und es gab auch Bearbeiter, die sich m e h r erlauben als ihre Vorlagen4). l ) Rudolf von E m s (Schneider, D L i t . 493). *) Reinh. F . 2252!., vgl. die 'rehten rîme' Veldekes § 623. ' ) Konrad im Partonopier 10. *) Sehr schwere Takte im jüngern Texte der Litanei (Kraus, Übungsbuch* 28ff.). Noch die Fassung D von Wemhers Marienliedem, um 1190, bringt freier gebaute Verse
STUFEN VON V E L D E K E BIS KONRAD.
IOI
herzu: Sievers, Rhythm.-melod. Studien 35. Wenig folgerecht glättet auch der Bearbeiter des Reinhart Fuchs: Baesecke, ZsAlt. 62,258ff. Die beiden Fassungen des Alexander vergleicht eingehend de Boor, FrUhmhd. Studien 43 ff.
554. Entschieden kündet sich der neue Geschmack an in geistlichen und weltlichen Werken nach 1170: Pilatus; Graf Rudolf; Eilharts Tristan. Heinrich von Veldeke war wie im Reime (§ 459) s o im Versbau kein Entdecker, aber ein Förderer, auf den man sich berief (§ 623). Seine Eneit warb durch den neuhöfischen Inhalt für die neuhöfische Form. Ihm haben die welschen Reimpaare wirklich im Ohre geklungen und ihn wenigstens nach der einen Seite, gegen die schwere Füllung, empfindlich gemacht. Hat man Veldeke den Gesetzgeber, den Opitz, seiner Zeit genannt, so schritten doch seine Bewunderer bald über ihn hinaus: Gotfrid und seine Jünger. Am meisten hat sich Hartmann von ihm beeindrucken lassen. In der Kunst des R e i m e n s gewann man das letzte Ziel viel früher und viel allgemeiner als im Rhythmischen. Seit 1190 steht die Reimreinheit auf voller Höhe, und ihre Forderungen erfüllt jeder bis 1300 ziemlich gleichmäßig. Hartmanns Versfüllung dagegen erscheint altertümlich schon neben der Gotfrids. Rudolf von Ems, f 1254, ist wieder ein paar Stufen glatter. Ihn überbietet im steirischen Südost Ulrich von Lichtenstein (Hauptwerke 1255-57). Konrad von Würzburg sodann, +1287, schreitet vor zu Grundsätzen, die dem starren Auf und Ab recht nahe liegen. Man kann Konrad als einen Endpunkt betrachten: sofern er hundertjährige Bestrebungen zu vorläufigem Abschluß bringt und nach ihm wieder freiere, rückläufige Bewegungen einsetzen. Aber ¿in Flußbett war es zwischen Veldeke und Konrad keineswegs; auch eine Zweizahl läßt sich nicht greifbar und ungezwungen abgrenzen, am wenigsten in dem Sinne, daß die eine Gruppe, im Widerstand gegen die welsche Mode, zur ältern deutschen Freiheit zurückgelenkt wäre. Konrad verfolgt und steigert eine Richtung, die strenge, von Gotfrid ausgehende. Sein fruchtbarer Zeitgenosse z. B., Ulrich von Eschenbach, ein Nachahmer Wolframs, baut ganz anders lockere Verse; desgleichen der Seifrid Helbling (1280-1300). E i n e n Kanon der Versfüllung und Sprachbehandlung hat es in der ad. 'Blütezeit' nicht gegeben, und wo die Forschung einen solchen aufstellte, mußte sie anerkennen, daß Formkünstler wie Gotfrid und Rudolf von Ems gröblich dagegen sündigen (Lachmann, Zu den Nibelungen S. 4). Die wenigen Niedersachsen vollends, die in ihrer Sprache dichten, stehn von dem hd. Formgefühl des 13. Jahrh. weit ab,
102
UNSICHERHEIT DER METRISCHEN
BEURTEILUNG.
nicht nur im Sinne höherer Altertümlichkeit. Auf sie und auch auf mittelfränkische Dichtung wirkt der modernere Versbrauch der Niederlande (§ 593). 555. Versfüllung und Sprachbehandlung, d a r u m dreht es sich in dieser ganzen Entwicklung. Der Rahmen der Reimpaare blieb der alte (§ 520). Dieses eine Grundmaß, der Vers von vier Kurztakten, herrscht selbstgenügsam in Ritterroman, Legende, Novelle, Sittenlehre . . .: eine ähnliche Einförmigkeit wie in der stabreimenden Blüte Altenglands. Daneben aber stand nun eine formenreiche Lyrik. Deren innerer Versbau war dem der unsanglichen Reimpaare vorausgeeilt, er war früher und durchgreifender welsch geworden. Mochte er immerhin den Zug zur Glätte auch in der Sprechdichtung verstärken, man wahrte den Abstand. Soweit unsangliche Buchdichtung in S t r o p h e n ging, folgte sie im Taktfüllen mehr dem freieren Brauch der Reimpaare: Heldenepos, Albrechts Titurel, der Lohengrin. Mehr nach dem lyrischen Gleichtritt hinüber liegen Ulrichs Frauendienst und Konrads Klage der Kunst, Tirol und Fridebrant, der Winsbecke, der Wartburgkrieg, nebst ein paar kleineren Stücken. Eigenartig von liedhaften Daktylen bestimmt sind Wolframs Titurelstrophen (§ 600). 556. Der so viel glattere Vers ist nicht mehr in dem Grade mehrdeutig und vielgestaltig wie der frühmittelhochdeutsche (§ 526). Dafür unterwirft man ihn auch so viel feineren, anspruchsvolleren Fragen! Die Antwort darauf bleibt in schmerzlichem Umfang unsicher. Da ist zunächst der leidige Circulus von Sprache und Vers. Um die Lautform zu bestimmen — ob wären oder warn, lohet oder lobt, gäbe oder gceb, rninne ist oder minn ist, gewan oder gwan, ze wäre oder zwäre usw. usw. — dazu brauchten wir Kenntnis des Verses, und um den Vers zu erfassen, täte genaue Kenntnis der Sprachformen not 1 )! Weiter die Hauptfrage: wie ist zu messen? Sie nimmt bei diesen Kunstversen oft die bestimmtere Gestalt an: was war dem Urheber wichtiger, will er den Satzton oder die Füllungsregel übergeordnet wissen ? (§ 610). Dann die Skrupeln textkritischer Art. Wo schlägt das Verbessern des Schreibers in das des Dichters um? Wie oft muß eine Form — ein schwerer Takt oder ein einsilbiger, eine stumpfe oder eine weiblich volle Kadenz usw. — in einem Texte vorkommen, damit wir sie nicht wegbessern? Genügt eines vom Hundert, oder verlangen wir fünf oder zehn . . . ?
D A S NATURGESETZ
LACHMANNS.
103
Einem gut überlieferten Dichter von mittlerer Glätte, um 1240, hat Kraus ein kaum zu überbietendes Maß von Sorgfalt zugewandt — und es bleibt eine Fülle von Zweifeln und Mehrdeutigkeit 2 ) ! Wieviel mehr bei den übrigen! Je glatter, um so eindeutiger; doch dauern auch bei Konrad noch grundsätzliche, mehr als vereinzelte Unsicherheiten. So halten wir auch in diesem Abschnitt mit statistischen Angaben zurück. Der Versgeschichte muß gegenwärtig bleiben, daß die neuhöfische glattere Kunst die vorhöfische freiere beerbt h a t : an diese, die Mutter, müssen wir anknüpfen; wir müssen fragen, in w e l c h e m G r a d e der jüngere Brauch den ältern verläßt. *) Kraus, Metrische Untersuchungen über Reinbots Georg (1902) i 6 f . ; Fr. Wilhelm, Sanct Servatius ( 1 9 1 0 ) X C I I I f . ('unüberbrückbare Schwierigkeiten bereitet die e-Frage . . .'); Zwierzina, ZsAlt. 45, 375 (1901): es ist bekannt, daß es in die Hand der Herausgeber gelegt ist, durch ganz kleine Nachhilfen an Sprache und Rechtschreibung, durch Einführen oder Auflösen von Apokopen, Synkopen, Elisionen, Krasen u. dgl. m. die Vortragsform des mhd. Verses beliebig zu bestimmen . . . ; dazu ib. S. 392. 2 ) Kraus, a. a. O. Wir glauben, Kraus geht weiter als Reinbot in der Neigung zum Jambengang und zum Tonbeugen. Auch ein allerhärtester F a l l : und vérsmahtén die góte her soll nicht Versnot, sondern künstlerische Ausdrucksform sein (§ 607). So konnte man urteilen um 1900, nach den vielfältigen Leiden und Entwurzelungen des deutschen Versgefühles, nicht um 1240. Dieses und andre Bedenken s. AnzAlt. 30, 186 ff.
557. Wenigen mhd. Ausgaben kann der Versbeobachter j vertrauend folgen. Die von Lachmann begründete Verskritik leidet an ungeheuerlicher Uberschätzung éiner Regel: der sogen, einsilbigen Senkung (§ 563). Takte von einem gewissen Schweregrad galten — nicht als Fehler; solche hätte ein Dichter begehn, ein Herausgeber dulden können; sie galten als physikalische Unmöglichkeit, nämlich soweit die hochdeutsche Zunge reichte. Unreine Reime, überladene Auftakte, Tonbeugung beliebigen Grades: all dies kam vor und kennzeichnete unter Umständen eine Zeit- oder eine Kunststufe. Ein Takt aber wie | zómigen | k a m n i c h t v o r ; der roheste Dichterling hätte keinen solchen Takt zu verüben vermocht. Denn Naturgesetze bricht keine Unkunst, und die 'einsilbige Senkung' w a r ein (hochdeutsches) Naturgesetz. Herausgeber m u ß t e n solche Takte beseitigen auch gegen das klare Zeugnis der Handschriften. Und zu diesem Behufe legte die mhd. Verslehre ein Zeughaus an von so reicher Ausstattung, daß es um die Gegenwehr der mehrsilbigen Senkungen— in der Uberlieferung s t a n d e n sie ja doch tausendweis!— aussichtslos wurde. Zu einer mhd. Verslehre gehörte ein Abschnitt 'Von Mitteln, die metrische Brauchbarkeit der Wörter zu befördern', d. h. die Wörter so zu stutzen und zu ver-
104
MÄNGEL DER LACHMANNSCHEN
LEHRE.
biegen, daß es keine mehrsilbigen Senkungen gab. . . Das Gesetz der einsilbigen Senkung hat die Hauptschuld an den Gewaltsamkeiten und Befangenheiten der Herausgeber. In einzelnen Fällen reicht das Umdichten Verses halber an das Maß der 'kritischen' Edden hinan (§ 168. 306). Ein denkwürdiges Beispiel wird bleiben das Tageliedchen in Minnesangs Frühling 39, 18: da haben die zweisilbigen Senkungen | släfest du |, | wecket uns | eine fühllose Zertrümmerung der Liedform nach sich gezogen. Mit dieser Überempfindlichkeit gegen schwerere Takte ging zusammen eine befremdende Stumpfheit gegenüber schwächlichen, insbesondre vorgeneigten einsilbigen Takten. Da man Messungen wie: Verliesen 1 d&i lfp; wie liebe 1 mit l&de allen Ernstes verlangte (s. Beitr. 3, 457*), hatte man kein Bedenken gegen Lesarten, die — wenigstens nach der herrschenden Lehre — solchen Sprachverstoß notwendig machten: Iwein 1841 zem brünnen körnen 1 mit hir; aHeinr. 342 diu giiote mäget 1 in liez; Greg. 3108 für rffen nöch für sng; dazu die Beispiele in § 569. Von den 15 Musterversen bei Zarncke, Das Nibelungenlied® CXV, sind sieben sprachwidrig! Vgl. E. Schröder, Gött. Gel. Nachr. 1920, 296: die Schule Scherers und Möllenhoffs hatte an solche (angeblich) 'archaische' Takte derart gewöhnt, daß man ein: in Tönelänt (Kudr. 204, 1) nicht als Fehler erkannte. Der Vf. kann beifügen, daß Scherer in seiner letzten Vorlesung, Sommer 1886, die A-Lesart von NL 379, 2 a vön städe er schieben, in dieser Messung, als besonders ausdrucksvoll lobte. (Die sprachgemäße Lesung s. u. § 571.) Ein Grundübel war, daß man, dogmatisch, nicht kunstgeschichtlich eingestellt, auf ein sog. 'System', eine Sammlung unverbrüchlicher Gesetze, ausging; daß man den Versbau nach 1180 viel zu sehr vereinsamte, viel zu wenig vor dem Hintergrund des nächstvorangehenden, des frühmhd., würdigte. Mit dem Nachwirken der alten Formenbuntheit und -freiheit pflegte man gar nicht zu rechnen. In diesem Punkte hatte sich noch Paul nicht recht von der damals herrschenden Lehre befreit. Im übrigen besteht seine Darstellung des mhd. Verses, PGrundr. 66ff., bis zur Einseitigkeit aus einer Kritik der Lachmannschen Dogmen; einer in der Mehrzahl der Punkte treffsichern Kritik. Es ist Pauls Verdienst vor anderen, daß diese Dogmen überhaupt wieder Gegenstand des Zweifels und der Prüfung wurden. Wie sehr Pauls Vorgehn in Lachmanns Fragestellungen, in seinen Fächern befangen bleibt, ist ihm selbst nicht bewußt. Das gilt auch von Späteren, die wider den Stachel löken. Die rein textkritische Einstellung der ad. Verstheorie (§ 14) bedingte ein merkwürdiges Zurücktreten der Gehörfragen. Rhythmenbilder suchte man in der Menge dieser Arbeiten vergeblich. Was hinter diesen Gesetzen und Regeln als geherhafte Wirklichkeit und Ursache steht, bleibt im Dunkel. Damit hängt zusammen: Lachmanns Metrik verlangt stillschweigend von ihrem Jünger, daß er sein angeborenes deutsches Versgefühl vergesse. Das Künstliche, Natur-
SYSTEM UND V E R S G E F Ü H L .
SILBENSUMME.
105
fremde dieser Betrachtungsweise mögen uns zwei Proben, aus vielen, beleuchten. Zu dem Verse: der von Berne si füeret (NL 1721, 3a Lesart A) gibt Oskar Schade in zehn Zeilen die Anweisung, wie ihm der Vortrag wohl beizukommen hätte, und schließt mit den Worten: 'dieser Vers ist sehr schwierig zu lesen I (Weimar. Jahrb. i, 42). Wir glauben, jeder Deutschsprechende bis zum ABC-Schützen hinab findet diesen Vers sehr leicht zu lesen — eh man ihm beigebracht hat, daß Bérne si fue - eine naturwidrige Verbindung sei. Für den Vers Seifrid Helbling 2, 1351 verlangt Jänicke, ZsAlt. 16, 404, diese Messung: daz du ir niht slindést ein téil. Man könne den Vers zwar auch anders lesen, aber dann würde er ' ungelenk* ; nämlich so: daz du ir niht slindest éin téil. Hier wäre mindestens die Überlastung des vorgeneigten (nicht zählenden) ein zu beseitigen:. . . slfndèst ein téil. Dies wäre eine mögliche Formung. Das Bezeichnende aber ist, daß Jänicke die nächstliegende, bei diesem Dichter zu erwartende Messung auch nicht einmal als möglich, als denkbar in Betracht zieht; denn diese Messung ginge gegen das Naturgesetz von der einsilbigen Senkung: dàz du ir niht slindest ein téil. Man nehme dazu die gute Ausführung von Sydow, Burkart von Hohenfels (1901) 47. Eindringlich hat sich neuerdings de Boor, Frühmhd. Studien 82ff., für eine geschichtliche und unvoreingenommene Würdigung der mehrsilbigen Senkung eingesetzt.
Silbensumme und Auftakt. 558. Das Ebnen der Füllung erkennt man an der S i l b e n s u m m e des Verses. Von der außerordentlichen Spannweite des vorangehenden Zeitraums, 3 bis 18 Silben (§ 528), kehrt man zunächst zu einem Maße ähnlich dem Otfridischen zurück. Hartmann hat Viersilbler noch im Iwein; nach oben dürfte er bis zu 10 Silben gehn. B e i Konrad bewegen sich die gewohnten, mehr als vereinzelt gebrauchten Typen noch zwischen 6 und 9 ( § 6 1 6 ) . Also die gebundene Silbenzahl des welschen Verses haben die unsanglichen Reimpaare bis zu Ende nicht erstrebt. Darin zeigt sich gleich der Abstand von der Lyrik. 559. Er zeigt sich auch in der Behandlung des A u f t a k t e s . Der Auftakt bleibt bis zu Ende frei: auftaktige und auftaktlose Verse gehn durcheinander; sie gelten nicht als zweierlei Versarten wie im entwickelten Minnesang und in der Buchdichtung seit Rebhun oder Opitz. Aber der auftaktlose Vers nimmt ab. In Konrads Anfängen m a g er noch ein Fünftel betragen; in seinen spätesten Werken ist er auf ein Zwanzigstel oder weniger gesunken. Also man strebt zum 'jambischen' Gange hin. Konrad gebraucht zu diesem Zwecke Flickwörter und Tonfreiheiten: hie kän üf äl der ¿rden
io6
AUFTAKT.
(für: hie kan üf der ¿rden); vil harte lutzel güotes; — rede ünde güoter dcene (für: rede und güoter doene). Die neuere Forschung hilft darin dem Dichter oder den Schreibern nach ( c Herabdrükkung' der Auftaktlosen) 1 ). Konrad macht feine Unterscheidungen. Unterdrückt er den Auftakt am seltensten im Periodenanfang, am öftesten nach schwacher Kolongrenze (er künde gar ze swaeren 3 zins den liuten bieten), so hat das sein Gegenstück schon im Stabreimverse (§ 344)2)' ) Laudan, Die Chronologie der Werke K . v. W. (1906) n o f f . ; Gereke, Beitr. 37, 432ff.; 38, 511 ff.; E . Schröder, Gott. Gel. Nachr. 1912, I l f . 38; AnzAlt. 44, i27f. 2 ) Sieh die Fälle von Sprung aus Ulrichs Tristan: Busse, U. v. Türheim 82 und u. § 598.
560. Auch die S i l b e n z a h l des Auftaktes mäßigt seit Veldeke ihre frühere Freiheit (§ 529), fügt sich aber erst ganz spät bei einzelnen Dichtern der welschen und lyrischen Glätte, d. h. der Einsilbigkeit. 3 Silben dürften um 1200 noch ziemlich allgemein vorkommen. Bei Reinbot um 1240 erkennt Kraus noch 4 Silben an. Konrad baut anfangs noch zweisilbige Auftakte, um sich zuletzt auf die einsilbigen zurückzuziehen. Da gilt also die Stufe: der Auftakt ist in seiner Silbenzahl gebunden, in seinem Stehn oder Fehlen noch frei (§46). Der Grundsatz, mehrsilbigen Auftakt von einigem Gewicht nur einer V o l l h e b u n g vorauszuschicken 1 ), hat seinen guten sprachlichen Sinn (§ 270). Er hätte warnen sollen vor den berüchtigten Messungen wie: si bietent sich zuo iuwern fuezen; und pflac ir, sö er beste künde; got herre, daz läz dir wdsen Mit!2) Als Mittel gegen 'mehrsilbige Senkung' war a l l e s gut genug! Auch die milderen Fälle bei Veldeke (Behaghel CXV): ich wel ü Siggen die wärheit; wan dat er öp ein ander ros sat gewinnen bei einsilbigem Auftakt und schwererem Innentakte. Kraus, Metr. Unt. § 123ff. 2 ) Zarncke, I.e. C X V I f . ; Vilmar-Grein §80. Vgl. bei Jonckbloet, Mnl. versbouw 149: die jonglinc sach 6p die süver Hke; Heinzel, Kl. Sehr. 60: Trist. 8781 ine weiz, w£s ich mich versähen s61; bei Kraus, ZsAlt. 51, 336. 364: Trist. 4457 sol ich und din vater Rual liben {ich in Gegensatz); 8590 zweinzec rltter gewffere (der Nachdruck liegt auf dem Zahlwort).
561. Etwas anderes ist, daß die Gruppen I^l^l, IL, ihre haupttonige Silbe in den Auftakt stellen können: Parz. 517, 27 kurz, scharf als igels hüt ez wäs; GSchm. 694 wint, rigen, döner wilde; Erec 855 üf sprang er und begünde sä; Parz. 136, 28 bl Ilgens wlrt verg£zz£n; NL 2298, 3 Wolfhärten villen säch; Otte 57 herzöge vil gewähre; Parz. 116, 13 wiphöit, din ördenlicher site; NL 2046, 4 Irinc doh äne wünden. Solche Messungen sind seit Veldeke an der Tagesordnung; Gesangs- und Sprechvers unterscheiden sich in d i e s e m Punkte
STARKTON IM AUFTAKT.
SCHWERER INNENTAKT.
107
nicht. Uns gilt diese Behandlung des Verseingangs nicht als Tonstörung (§ 71). Sie ist auch keine Neuerung, die erst der Jambengang lehrte (vgl. § 530); nur mußten solche Fälle zunehmen, seit man Takte zu schwer fand wie | tif sprang er | hdrzoge |, | wipheit dln |. Auch die Menge der Fälle mit 1 | ünde und ähnlichen tonschwachen Gliedern in erster Hebung: Trist. 2270 saz ünde spilte vür sich an; Parz. 139, 21 gruoz vön ir männes ltbe usw. können wir noch als sprachgemäß rechnen. Die Messung: säz und spilte ... wird nach den Umständen zu erwägen sein. Tonbeugung und Anlaß zu schwebender Betonung entstände erst da, wo m e h r s i l b i g e r Auftakt diesen Hauptton birgt: NL 791, 3 Glselher unt Görnöt; 2272, 2 sprach Volker, der ddgen güot; Kudr. 743, 1 Ludewtc ze Härtmüote; Trist. 11202 lobebrünnen vil begünde; Parz. 440, 7 magetüom ich tedecliche hän; 439, 14 klösenaerinne und klösenjerö (Fälle aus Wolfram sammelt Hammerich, Zur deutschen Akzentuation 35ff.). Wieweit man solche Lesung im Sinne der Dichter ansetzt, hängt von der Hauptfrage ab: was man dem Eingangstakte an schwerer Füllung zutrauen darf (§ 562. 564). Unser letztes Beispiel könnte auch weiblich voll sein: klösenaerinne und klöseneere (nach § 591). AHeinr. 256 ist prosagemäß, wenn wir gotes als selbständigen Gen. poss. nehmen (§530): gotes hiusern viel daz ander teil. Strittig ist vor allem, ob man das Recht hat, Stammsilben vor gehobener Endungssilbe in den Auftakt zu setzen: rüm£ daz htis vil dräte; Hagnen und stner helde usf. Vgl. § 6o6f. F ü l l u n g der I n n e n t a k t e . 562. Nun das V e r s i n n e r e . Hier galt es vor allem den Feldzug gegen die s c h w e r e n Takte. Wir erinnern uns, wie der vorhöfische Vers geschwelgt hatte in Kurztakten bis zu 6 oder 7 Silben (§ 531). Dergleichen war dem Untergang geweiht. Man versuchte nicht, es mit künstlerischer Auswahl, zu besondrer Wirkung, fortzuführen. Auch als Abschnittschlüsse (§ 533) ertrug man solche gedrängten Verse nicht mehr. Schwere, über das sonstige Maß hörbar hinausgehende Takte erscheinen wohl dann und wann zum Ausdruck der Leidenschaft; mit vortrefflicher Wirkung im NL: 1963, 4 daz habe dir ze böteschefte; 842, 1 dln übermuot dich hät betrögen. E s sind fast immer Eingangstakte. Da die herrschende Lehre solche Füllungen für unmöglich hielt, hat man sie textkritisch oder durch sprachwidrige Messung auf die Seite gebracht.
io8
DAS GESETZ DER EINSILBIGEN
SENKUNG.
Unglättbar waren die beiden 'Siegverzeichnisse' in Feirefiz' und Parzivals Munde, Parz. 770 und 772. Da erlustiert sich Wolfram einmal im Sprengen der Fesseln, die er sonst halbgeduldig trägt, und nützt die Möglichkeiten des Viertakters nach oben zu grotesker Wirkung aus. Denn Viertakter sollen es doch wohl noch sein, nur kann man schwanken, wie die Silbenlast auf die Takte zu verteilen sei (Hammerich, 1. c. 2of.): von Orastegdntesin der ktinec Thöarfs und von Satarchjönte der herzöge Alamis . . . oder: von Orastegdntesln der kunec Thöarfs und von Satarchjönte der herzöge Alamis und noch weitere Möglichkeiten. 563. Welche obere Grenze dem Taktinhalt gezogen ist, bedarf für jeden Dichter besondrer Untersuchung, und auch dann stehn die Hindernisse von § 556 einer scharfen Entscheidimg entgegen. Lachmanns Gesetz der 'einsilbigen Senkung* (vgl. § 490) geht für die mhd. Sprachform dahin: Dreisilbige Takte sind erlaubt, a) wenn sie | | enthalten mit schwachem -e- in der Mittelsilbe; 'Verschleifung auf der Hebung'; b) wenn sie 1 Z ^ ^ | enthalten, so daß die beiden Senkungsvokale schwaches -e- mit einfachem Mitlauter dazwischen sind; 'Verschleifung auf der Senkung'. Also a) manegen (nicht manigen!); tages ge-; tugenden; gote min; über daz; swigen dö; sehent wol; disen zwein; hövescheit; b) saelege (nicht saelige!); kuste den; möhte ver-; willen er-. Viersilbige Takte sind dann erlaubt, wenn auf ^ zwei Senkungssilben gemäß b) folgen; 'Verschleifung auf Hebung und Senkung': c) segene der; lobende den. Lachmann hielt alle solche Takte für tatsächlich zweisilbig (sieh u. a. Briefwechsel der Brüder Grimm mit Lachmann S . 4). Sein Gesetz war demnach ein Zugeständnis an das alternierende VersgefUhl (§ 1 3 ) : das Auf und A b durchbrach zwar der mhd. Vers mit einsilbigem Innentakt und mehrsilbigem A u f takt, nicht aber mit mehr als zweisilbigem Innentakt. W i r sahen in § 7 5 B und 487i^jäie wirklichen Takttypen waren für a) manegen: l ^ v ^ X l ; für b) saelege: I x w w l ; für c) segene der: l ^ w ^ w l E s war also keine Verbesserung, wenn man die Senkung solcher Takte m e t r i s c h einsilbig' nannte. Das Gesetz, so wie sein Urheber es meinte, zeigte den hd. Vers durch die Opitzische Brille: 5 nachmals (in casu: nach A b z u g der mehrsilbigen Auftakte und einsilbigen Innentakte) ist auch ein jeder Vers entweder ein iambicus oder trochaicus'. So wie man das Gesetz später verstand, zeichnet es den drei- und viergliedrigen Takttypen eine gewisse Silbenwahl vor. F ü r Lachmann mußte
GRADE DER TAKTSCHWERE.
109
ein Bruch des Gesetzes einen rhythmischen, ohrenfälligen Stilverstoß bedeuten; man versteht, daß er mit allen Mitteln dagegen kämpfte. Sobald einem der Gegenstand gehörklar wurde, konnte man in dem Gesetze nur eine bedingte, gradmäßige Sache sehen.
564. Hartmann, Wolfram und Gotfrid, das geben die Meisten heute zu, fügen sich dieser Schranke nicht. Selbst wenn man ihre Werke in den Ausgaben liest, die das Gesetz durchzuführen trachten, entstehn im gesprochenen Worte und bei sinngemäßer Betonung Ausnahmen die Menge. Sie vermehren sich, wenn man die Wortformen unbefangen nach den Handschriften setzt {daz für dez; diu für de; iuwer für iur; üz einem für üzent usw.). Verse von ungefähr dieser Schwere wird man den drei Epikern wohl zugestehn müssen. Am meisten davon hat Wolfram, am wenigsten Gotfrid. Was es an Künsten und Tonbeugung braucht, um den Tristan der 'einsilbigen Senkung 1 zu unterwerfen, zeigt Kraus, ZsAlt. 51, 334ff. Iwein 2123 daz ich in noch hiute ode mörne ges^he; 2530 daz b£cke, daz er dä hangende v ä n t ; 2608 ichn gewinnes iu anders äbe; 5466 ichn gewinne gemäch nochp wlrde vrö. Parz. 438, 439, 453, 603,
12 19 19 27
Tristan 5882 6445 5949 5953 11739
ruochet sitzen, lirez iueh iuwer gedänc; sö h6bet mir in tif, Sit Ir dä bf; anders waere diz msere noch ünvernömen; waeren Gäwäns zwöne, die muesten ir ldben. ümbe den zins was ez sö gewänt; ümbe sin liute und ümbe sin länt; des beschdide ich iueh rdhte und vür wär; daz ander sflber, daz dritte gölt; si zwivelte an im, ¿r an ir (vgl. die Messung § 603, 5). '
565. Für einige Dichter scheint der Grundsatz zu gelten: dreisilbiger Takt mit langer Hebungssilbe, also fordert n u r für das erste Achtel ein schwaches -e- mit einfachem Mitlauter dahinter. Also Takte wie | wecket uns |, | waere niht | läßt man zu, man meidet solche wie | weckent uns |, | waeret niht I1). Eine Unterscheidung offener und geschlossener Schwachtonsilben. Gegenstücke dazu bot der Stabreimvers, besonders der skaldische; sieh §209. 308. 393. Dem entsprechen viersilbige Füllungen wie | klagete diu |, | sagete man |, die z. B. die Kudrun im 1. und 2. Verstakt gebraucht 2 ). Manche Dichter scheinen n u r dem ersten Verstakt 'doppelte Senkung' (in Lachmanns Sinne) zu erlauben. So der Stricker 3 );
IIO
RÜCKZUG DER DREISILBIGEN TAKTE.
vielleicht auch schon das Nibelungenlied, dessen Füllungsmaß näher bei Gotfrid als bei Hartmann oder Wolfram liegt. Seine Lesarten führen bisweilen auf eine schwerere Füllung der Grundhandschrift zurück: z. B. 734, 1 | recken sult |; 1775, 3 | waene si die |; 2053, 1 | schilt über |. Drei- und viersilbige Takte mit z w e i s p r a c h l i c h e n S t a r k t ö n e n , in frühmhd. Zeit so ausgiebig verwendet (§532), weichen aus der Ritterdichtung von Anfang an zurück; doch sind sie noch auf lange hinaus nicht so spärlich wie bei Otfrid (§491). Im Iwein wird man noch lesen dürfen: 845 dazn dünket deh&ner schälkheit ze vil; 1269 wan daz halbe rös inrehalp der tür. Fälle mit degenschaft, riterspil, bringt noch Reinbot; aber schon Gotfrid hatte hier fast immer zwei Hebungen gesetzt: I X I k 4 ) . Heinrich von Freiberg kehrt zu schwereren Typen zurück 5 ): | herzogen |; | vierzehen |, die seit Gotfrid im allgemeinen verpönt waren. *) Kraus, Metr. Unt. § 223. Diese Erweiterung der Lachmannischen Regel hat Kraus später für Reinbot zurückgezogen: Der hl. Georg (1907) L X X V I I f. Für den Guten Gerhard sucht Bormann die Lachmannsche Linie innezuhalten: Die Metrik im G. G. (1923) 3gff. 2 ) E . Schröder, GGNachr. 1917, 34 f. s ) Brietzmann, Palästra 42, 85 ff. (1912). Schon W. Grimm wagte für Freidank und andere gebildete Dichter' diese Freiheit zu fordern (Kl. Sehr. 4, 48). 4 ) Kraus, ZsAlt. 5 1 , 310 f. Auch die alten Bruchstücke Albrechts von Halberstadt messen dreisilbige Komposita nur 2hebig: Ludwig, Unters, zur Chronologie A. s 1 1 . *) Bernt, H. v. Freiberg I44ff., zählt in Heinrichs Tristan 374 Fälle mit Überschreitung der Lachmannschen Regel.
566. An die Füllungsregel von § 563 binden sich am ehesten solche Dichter, die mit mehr als zweisilbigen Takten überhaupt sparen. Zuerst Veldeke und später die Nachfolger Gotfrids. Denn a u c h die Takte wie | saelege |, | möhte ver-1 bleiben nicht durch unsern ganzen Zeitraum alltäglich. Sie ziehen sich zurück mit den einsilbigen Takten und noch früher als diese. Zuerst lehnt der vorletzte Verstakt solche Füllung ab. Ein Vers wie: vil grimme was der ricke gemtiot fällt aus dem Brauche der Kudrun (1470, 4) heraus 1 ). Schon im NL sind solche Strophenschlüsse ungewohnt (s. 738, 4b nach D b B d J ) . In Konrads späterer Dichtung hat man ein: und även-1 tiure ge-1 rüohten (Schwanritter 199), mit ' V e r s c h i f f u n g über die Wortgrenze', als anstößig empfunden 2 ). Aber auch mit den | \L> w X | ging es abwärts. Gotfrid konnte sie noch dreimal in ¿inem Verse setzen: 4427 und mügen vil ubele sämet gewesen x l ^ v - ^ x l ^ ^ x l v i / w x l ^ w
ZWEISILBIGER INNENTAKT.
HEBUNG AUF SCHWACHEM - E - .
III
Bei Konrad sind sie gegen Ende so spärlich geworden, daß der neue Herausgeber im Schwanritter 708 liest: daz müeze got von himel sin (.. . geclaget) für . . . góte von himele . . .8). Der dreisilbige Takt ist beim Abschluß dieser Entwicklung am Aussterben. E . Schröder, GGNachr. 1920, 287. 2 ) E. Schröder, AnzAlt. 25, 366f., GGNachr. 1912, 37; Gereke, Beitr. 38, 510. s ) E. Schröder, Kleinere Dichtungen K . s v. W. 2, 2 i , vgl. AnzAlt. 44, 129 1 . Zum Schrätel und zur Rittertreue Kraus, ZsAlt. 48, 101. 103.
567. Zur Füllung des zweisilbigen Innentaktes merke man folgendes. Die Hebung kann nach wie vor sprachliche Länge oder Kürze sein. Die Abneigung mancher Lyriker gegen die Taktfüllung | geben | -i ^ (§ 635) teilt der Sprechvers wohl nirgends. Nur spielt das Tongewicht mit: gehaltarmes iete, habe, mite, ime reicht seltener für den Takt aus (ZsAlt. 51, 322ff.). Darin aber gehn die Reimpaare mit dem Minnesang zusammen (§ 637): Im Versinnern ist die Messung mànegèr, tugendè : als Träger zweier Hebungen, unbeliebt; wenig häufiger ist die Messung minnetèn, dienestè, also ^¡¿ü mit Hebung auf 1. und 3. Silbe1). Wolfram ist darin besonders folgerecht; Wortformen wie maneger geben seinem Versinnern den einhebigen Rhythmus | ^ùX |, Wortformen wieminneten geben einhebiges | X w w | oder zweihebiges I J_ \ k X, nicht I X X I kDie Hebung auf schwachem -e- bestreiten in der Hauptsache die Fälle : léidè ; léidèsten (minnèten) : I ± . I k ; 11.1 k X ; Fälle, die der strengen Lyrik wiederum abgehn, weil sie den einsilbigen Innentakt meidet. Den Reimpaaren ist gehobenes -9- in dieser Verwendung ganz geläufig bis gegen die Mitte des 13. Jahrh. Man nehme diese Versfolge aus Gotfrids Tristan 11549: dèr gie wllènt dar fn und tróstè die kunigin, dà si wéinènde säz. Bei Rudolf von Ems sind diese Hebungs-a zurückgegangen. Doch reichen sie noch in Konrads Jugenddichtung herein 2 ); seinen spätesten Werken ist gehobenes Endungs-a fremd geworden. Desgleichen dem jüngern Titurel (nach 1270). Der noch spätere Heinrich von Freiberg aber hat es noch in Menge; vollends bei Ulrich von Eschenbach wimmeln die: nihtès vergàzzèr; mit tùochèn von góldè; dèr dehéinèr genàs; hèt ze wunschè gewórht; slàfènde vundèn. All dies betrifft die Innentakte, nicht die Kadenz (§ 587f.). Fr. Vogt, Festgabe für R. Hildebrand 157 ff. Vgl. zu Gotfrid: Kraus, ZsAlt. 51, 3o6ff., 3 1 3 f f . (57mal ^ ^ Ü mit zwei Hebungen), zu A. v. Halber-
112
SENKUNG DES ZWEISILBIGEN TAKTES.
Stadt: Ludwig 10; zur Kudrun: E . Schröder, GGNachr. 1920, 303; zum Guten Gerhard: Bormann I.e. 1 1 . 16. *) Haupt zum Engelhart 3174; E. Schröder, Kl. Dichtungen Konrads 1, 69. 71 zu WLohn 274, HvKempten 426. Im Herzmsere 541 und noch im Engelhart 806 ein zesâmenè.
568. Auch die Senkung des zweisilbigen Taktes hat sehr verschiedene Grade des Nachdrucks. Zweisilbige Komposita: koufman, goltvar, lantgräve (vor Vokal), Wolfhart, mißt man lieber mit 2 Ikten, solange der einsilbige Innentakt noch in Kraft ist. Wogegen Ableitungen wie botschaft, wärheit, rïchtuom, wïplïch im Versinnern schon früher mit éinem Takt vorlieb nehmen, außer wo sie besondern Nachdruck haben. Einsilbiges Vollverbum kommt auch dann oft in Senkung, wenn die vorangehende (und folgende) Silbe u n g e f ä h r gleichen Satzton hat: hie huop sich diu brtitlouft sà; dàr kërt èr durch sin gemâch; dö warf sï vor zörne hin; dès lobt dich der éngel sâne; dèr giht mir der wârhèit ; dö stuont tif ùnd sprach süs. Eine Neuerung ist das nicht; die Stabreimdichtung in ihren xa-Versen modelt die flachen Eingänge ebenso (§270). Nur wird es nun häufiger, weil man das Auf und Ab ungern unterbricht durch anspruchsvolle Längen ohne viel Sinnesgehalt: hie hûop sich . . . ; der giht mir . . . . Es handelt sich um die Frage, welche Forderung man an den einsilbigen Innentakt stellt; vgl. die Beispiele aus dem NL in § 574. Als tonbeugend sind die Takte wie |gél, brün,|röt, grüen | ùnde blâ in § 6o4f. noch zu besprechen. Einsilbiger I n n e n t a k t . 569. Neben der schweren Füllung hatte man die leichte zu bekämpfen. Auch in dieser Hinsicht steht der schier jambische Konrad weit ab von den Zuständen in der Wiener Genesis und im Roland! (§534f.) Aber der Bruch mit der alten Weise war hierin weniger handgreiflich; der Vers der ersten ritterlichen Meister, Veldeke und noch Hartmann, ist nach unten viel weitherziger als nach oben! Veldeke befremdet durch seine vielen magern Verse. Desgleichen der Erec. Nur an seiner schlechten Überlieferung kanns nicht liegen1): dem Schwaben muß diese Überschlankheit der Eneit Eindruck gemacht haben; er hat sie noch im Iwein nicht hinter sich8). Wolfram wie Gotfrid haben diesen Ephebenzustand überwunden; ihr Vers hat eine ganz andre Fülle und Spannung als der des Iwein.
SCHWACHE EINSILBIGE
TAKTE.
"3
W o r i n b e s t e h t diese Magerkeit? Nach der geltenden Lehre einfach darin, daß so vielen einsilbigen Takten eine sprachlich schwache Silbe genügt. Von der Eneit sagt Behaghel, Ausg. C X V I f . : 'Tiefton ist fähig, Hebung und Senkung zu t r a g e n . . . Einsilbige Wörter sind allgemein hebungsfähig vor Hochton, mag ihr logischer Ton auch noch so gering sein . . . Diese Hebungsfähigkeit logisch ganz unbetonter Silben gibt der Veldekeschen Metrik ein eigentümliches Gepräge . .
Wir beschränken uns auf Beispiele aus dem E r e c in Haupts Text. Die Frage nach textkritischer Nachhilfe müssen wir ruhen lassen. 463 der alte süs sprach; 1162 der kuneginne künt; 3296 von sorgen geschäch; 4061 mit zornigen siten; 1380 süs häte diu mägt ; 4357 sö wgfere iu ze gäch; 710 sö liezet ir enzit; 3920 sö kümet ir hfa; 956 durch göt, erbarme dich; 2017 was zöbel vil güot; 3107 nu holz nü heide; 1 1 7 2 ez ist benämen der man; 343 züo ir vater er sprach; 1480 ünde riten von dän; 3015 an ir arme läc; 2695 öuch mit stnem sp6r; 2161 der was dä zehant; 4695 däz ich früm bin; 4465 däz er in 16ben lie; 1722 als man in vor säch; 3566 ünde nemet die wäl || ünder der rosse zäl. Die meisten dieser Fälle zeigen Überlastung der vorgeneigten Silbe (der letzten vor dem Kolongipfel): ein Sprachverstoß, dem agerm. Verse vollkommen fremd, im ahd. Reimverse durch vielleicht ein Dutzend Belege vertreten, die wenigsten so hart wie die hier im Erec (§ 485); auch den frühmhd. Vers durften wir von der Menge dieser Härten entlasten (§ 535 ff.). In der letzten Gruppe finden wir als Füllung des Eingangstaktes eine Formwortsilbe, die besser mit der Hebungsmora vorlieb nähme (an ir 1 ; däz er 1\ ünder 1\ öuch mit 1 ) : Dinge, die nicht in jedem Zusammenhang sprachfeindlich sind (vgl. Heliand 1606 an them höhön u. ähnl. in § 234. 270); in diesem höfischen Plaudertone aber blasen sie den Satzrhythmus wunderlich auf. Andere Messungen konnte man für solche Zeilen kaum erwägen, da man von jedem Verse vier gesprochene Hebungen verlangte. ' ) Zwierzina, ZsAlt. 45, 3 1 7 ff. 376.
2
) Roediger, Arch. f. n. Spr. 88, 84.
570. Gehn wir auch hier wieder von der geschichtlichen Vorstufe aus, so müssen wir weitere Möglichkeiten in Rechnung stellen. Das frühmhd. Reimpaar kannte Viertakter mit nur drei, auch mit nur zwei gesprochenen Hebungen; d. h. es kannte stumpf H e u s l e r , Deutsche Versgeschichte I I .
8
ii4
PAUSIERTE E N D - UND INNENHEBUNG.
schließende Verse und Verse mit Innenpause oder Uberlänge: §536ffDie Frage, in welchem Umfang diese Formen nachwirken, besteht für jeden, der nicht auf den Glaubenssatz 'vierhebig stumpf und dreihebig klingend' eingeschworen ist. Eine Antwort wäre auf Grund der vorhandenen Ausgaben schwer zu geben. Wir bescheiden uns bei dem Hinweis: daß einige tausend Verse bei großen und kleinen Dichtern, am meisten bei Veldeke und Hartmann, aufhören, die deutsche Sprache zu mißhandeln, wenn man ihnen jenes Nachwirken zugesteht. Die vorhin gebrachten Verse werden sprachrichtig in der hier bezeichneten Messung: Erstens pausierte Endhebung, also stumpfer Schluß: 463 der àlte süs sprach ^ ; 1162 der kuneginne künt ^ ; 3296 von sórgèn geschäch /\ ; 4061 mit zornigen siten ; 1380 sus hàtè diu mägt /s oder: süs hàte diu mägt ^ ; 4357 sò wsere iu ze gäch oder: sö wifere iu ze gäch ; 710 so liezet ir enzit /n ; 3920 sö kümet ir hér /s ; 3015 àn ir arme läc ^ ; 2695 òuch mit sìnem spér ; 2161 dér was dà zehant ; 4695 dàz ich frum bin ^ ; 4465 daz èr in lében lìe ^ ; 1722 als màn in vór sàch ^ ; 3567 ùnder der rósse zàl ¿\ . Gute Beispiele für die Wahl 'Sprachbeugung oder stumpfe Messung* in Strickers Karl, s. Bartsch L X I X . L X X I I I . L X X V . Für stumpfe Verse in mhd. Reimpaaren erklärten sich Seemüller, Seifried Helbling X X X I X ; Baesecke, Wiener Oswald X L I V , ZsAlt. 62, 254. 258; Pfannmüller, Beitr. 40, 375; Ludwig a. a. 0 . 31. Als möglich erwähnten sie auch Zwierzina, ZsAlt. 45, 3 8 1 ; Busse, Ulrich von Türheim 83, und für Eike von Repgow Roethe, Sachsenspiegel 13.
571. Zweitens pausierte Innenhebung, die zweite oder die dritte: Erec 956 durch gót /n, erbarme dich; 3107 nu hólz nu héidè; 2017 was zóbel ^ vii güot ^ ; Iwein 5895 ir pfért ^ gewinnèn ; 7182 ir lében /s was niht verlän. Hierher die A-Lesarten von NL 326, 2 ir gelichè, 379, 2 von städe ^ er schiebèn (vgl. Braunefestschrift 1920, 72). Erec 1172 ez ist benämen /s der man; 343 zùo ir vàter ^ er sprach; 1480 ùnde riten ^ von dàn; 3566 ùnde német ^ die wàl; Greg. 3048 sìnes gebétes / \ er phläc; aHeinr. 40 A ouch wàs sin tügent ^ vii bréit, B sin tügent die wàs vii bréit; Iw. 4851 àn der bète genant || und èr bì ime /s gemini; 6841 alle lédec /\ durch mich; 7416 so mùoz ich aber bestän. Wir trafen diesen ausdrucksvollen Rhythmus in dem altern Zeitraum (§ 541). Diese Innenpausen, helfen auch Versen, denen man als einzige Rettung die nhd. Wurzellänge zuerkannte (PGrdr. 70; Kraus, Metr. Unt. 156; Ludwig, 1. c. 9. 15):
STÄRKEGRAD EINSILBIGER
TAKTE.
"5
Georg 4 3 0 6 ein n£bel viel üf sie sä; A. v. Halb. Frgm. B, 239 mit fride stünt sin lant; Prol. 53 geboren ^ von Hälberstät; Greg. 882 so sl der stäte ^ gewän; aHnr. 342 diu güote mäget /s in liez; A. v. Halb. A 23 dö der swdher /s vernäm; Prol. 78 von göt dem väter ^ gesant; Georg 6 0 6 7 und ümb der jüden ^ gesigen. Man spreche sich noch Erec 2591 vor: unde mit siegen zerbrach. Nach der herrschenden Lehre gibt es ¿ine mögliche Messung: ünde mit siegen zerbrach (nach Lachmann: ünde m i t . . .). Das ist ein trauriges Zerrbild der Satzkurve: die drei ersten, vorgeneigten Glieder sinnlos überlastet, die vier weiteren, mit den zwei Nachdrucksgipfeln, zeitkarg zusammengestopft. Dem ersten dieser Mängel hülfe ab die Messung mit stumpfem Schluß: ünde mit siegen zerbrach B e i d e n Mängeln hilft ab die Messung mit Innenpause: ünde mit siegen /s zerbrach. H i e r hören wir den Prosafall: ^ >•< w 1 r-\ J - fühlend stilisiert. Saran, Beitr. 24, 41, will Iwein 208 stinke, swä der ist mit Pause nach einhebigem stinke lesen. Uns schiene hier der Zeitfall \J_ X A J X X \— näher zu liegen; also ohne Hebungspause, aber mit Endungssilbe als Füllung des Taktes, was Hartmann i. allg. nicht mehr verwendet (§ 577). Stumpfe Messung: X X |X X I — i wäre unleugbar ausdrucksärmer.
572. Schwächliche einsilbige Takte pflegt man d a zu verzeichnen, wo das Tongewicht dem der folgenden Hebungssilbe nachsteht. Danach ist ein Vers wie Greg. 3 7 2 9 untadelhaft: daz ünkrüt 1 und den mist. Denn -krüt ist nicht schwächer als und, sofern man sie überhaupt aneinander mäße. In der Formung: daz ünkrüt ünde den mist käme der Satzfall schlechter weg! (In Prosa etwa: X-1 W W J-) . Auch in Erec 2504 löbellch 1 ünde gröz, 2 6 8 5 sin mänheit 1 was sö gröz kommen -lieh und -heit, die Träger zweier Morae, dem Gewicht des und- und was noch gleich. 573. Zu der Forderung aber 'Nicht schwächer als die folgende Hebung 1 sollte man zweierlei beachten. Einmal macht es einen großen Unterschied, ob die gewichtärmere Doppelmora rück- oder vorgeneigt ist; ob wir ihren Ton messen an dem vorangehenden oder dem folgenden Kolongipfel. Wir erinnern noch einmal an das in § 72 und 485 Gesagte. Die drei Iweinverse: 7216 sö völlen gilt 1 vünden; 3186 und triuwelös 1 Wide; 7 5 4 8 wand ezn wärt zwäre 8*
n6
R Ü C K - UND VORGENEIGTE TAKTE.
zeigen uns d r e i A r t e n einsilbigen Taktes genau wie das neudeutsche Beispiel in § 72: die mittlere Art, mit der Kolongrenze nach Takt 2, stimmt besser zum Satzton als die dritte. Die Freidankverse 75, 7 ünreht 1 hträt; 43, 20 freelich 1 ärmüot, auch 45, 8 valschiu 1 friuntschäft (Germ. 2, 131), die Erecverse 2665 niuwän drie, 4540 Erec h&ze Ich, der Iweinvers 915 min her G lwein, sie wirken, im Zusammenhang ausdrucksvoll gesprochen, gewiß nicht sprachverzerrend. Altmodisch wuchtig mag man sie nennen, und so empfand sie Gotfrid und seine Schule. Aber auf ¿in Blatt mit den Satztonbeugern in § 569 gehören sie nicht! Oder in der Kudrun: die überlieferten 48, 1 diu höchgezlt 1 w6rt£; 77, 4 wir liden döch 1 ärb£it mögen in dem Gedichte um 1240 zur Auffüllung des 2. Taktes herausfordern (E. Schröder, GGNachr. 1920, 295 ff.); aber gleichen Schlages sind sie nicht wie die verrenkten 142, 2 nu säget 1 d6m kunege; 155, 3 im 1 der vil heizen. Selbst in der Zeile 898, 3: Wate 1 hlez löte sin hirhörn 1 schalten wird man die beiden zweiten Takte verschieden empfinden: hiez ist leicht überlastet; im agerm. Stile klänge es: I X X /s X I J - ; hörn ist mit dem Satzfall in Frieden: X I J~ -M. I -L >•< ist gut sprachgemäß; nur daß es von einer gewissen Zeit ab dem Jambengang zu fern lag. Bei welchen Dichtern man um vorgeneigte einsilbige Takte nicht herumkommt, müssen wir offen lassen. Dem NL hat sie Bartsch zu Unrecht aufgedrängt; die: sprich Hägene; sprach Wölfhärt usw. sind als vermeintliche Altertümlichkeit hergerichtet aus den handschriftlichen: spräch dö . . . ; sö sprach . . . ; sprach äber . . . (Vgl. zur Kudrun E. Schröder, GGNachr. 1919, 55.) Auch die von Braune angesetzte Grundform: mit üngefüoge (Beitr. 25, 98f.) ist unglaubhaft. Ob noch Reinbot um 1240 Verse vortragen durfte wie 3638 mit siben rittern dä; 3775 slt dir daz göt enböt, möchten wir bezweifeln. Einigen dieser Fälle hat Kraus zwischen seinen Metrischen Untersuchungen 1902 (§ 38f.) und seiner Reinbotausgabe 1907 gekündet. Vgl. noch Brendel, Der Borte von Dietrich von der Glezze (1906) 33ff. 70t. 574. Sodann aber gibt es die einsilbigen Takte, die den dicht folgenden Iktus an Stärke übertreffen und dennoch den Namen 'schwächlich* verdienen: weil eine Silbe von geringem Satzton und ohne Kolongrenze nach sich zu der Doppelmora aufgeblasen ist. Schon ahd. ist uns die Art begegnet: § 484 d.
ANSPRÜCHE DES EINSILBIGEN T A K T E S .
117
Iwein 4403 si würden vil väste; 7131 si wären der schilte; 3789 und sinen gevängen man; 7007 von ritterschefte den strit; aHnr. 50 sin hörze häte verswörn; Iw. 4271 däz ir wäret erslägen; 3751 den löp ünde den prfs; Tristan 5957 vür den sö würden besant; 12430 dem künege wurd£ versöit; 11178 ze zinse wären gesänt; 11884 diu zwei, diu wären verdäht; 10957 sö schöne h i t e g e d r s t ; 12414 fnlfche hebten iniin; 11767 diu näm in dänne dervan; 11828 diu widerwärtige schar. Solche matten, den natürlichen Satzfall mit Bleikugeln beschwerenden Rhythmen gedeihen weithin in unsern Ausgaben. Ob sie alle von den Dichtern selbst stammen, ist weniger sicher. Das Reimpaar Iwein 2595 f. veranschauliche im ersten Verse (nach der herrschenden Lehre gelesen!) den schwächlichen, im zweiten den kräftigen einsilbigen T a k t : michn triege dänne min wän, ir habt ez gerne getän. Die Nibelungen stehn hierin über Hartmann wie Gotfrid. Der Dichter hat soviel gesundes Gefühl für deutschen Satzrhythmus, daß wir unsre Empfindlichkeit steigern dürfen: schon Fälle wie 839, 2 daz wacre dir güot, selbst 933, 2 er brähte den herren stoßen bei zusammenhängendem Lesen auf. (Die meisten verschuldet der Strophenschluß mit seinem womöglich einsilbigen Takt an zweiter Stelle.) Bei einem Dichter, der diese Ansprüche an die Kraft des einsilbigen Taktes stellt, hüten wir uns vor Lesungen wie: 848, 1 daz wärt mir verstöln; 1800, 3 wir süln züo den künegen; 830, 2 sö müostü dich scheiden; 852,4 si sprach züo dem künege; 1804,1 der näm an die hänt; 1240, 3 da bi möhten recken; 2311, 1 ez t£t Hagene. In den zahllosen Versen dieser Art müssen wir alternieren : däz wart mir verstöln; wir suln züo den . . . . Sonst entsteht ein gestelzter Nachdruck, ein täuschendes Altertümeln — der echt germanische Vers hatte seine Zeitwerte anders verwaltet! Unsre Messung bestätigen Schlußverse wie 848 in gröz üngemuete körnen; 1594 män sach wöl gewäfent stän: der erste Takt darf hier nicht einsilbig sein (§ 672). Der Grundsatz spricht mit bei der Wertung der Lesarten und entscheidet mehrmals gegen Bartschens Text (z. B. 734,1; 751, 2; 1188, 2; 2267, 4). Fälle dieser Art aus Hartmann erwägt Zwierzina, ZsAlt. 45, 382f. Wir würden in der Messung: er saz uf ünde riit; und ranc starke dar nach keinerlei Vergewaltigung der prosaischen Betonung' finden, ebenso wenig in Trist. 4169 der güote Rual, der sprach do. Vgl. auch o. § 568.
II8
A N S P R Ü C H E DES EINSILBIGEN
TAKTES.
575. Gönnte man die Doppelmora nur den Silben, die als kräftige Kolongipfel hervortreten: d a n n erst wurde der einsilbige Takt zum 'feinen deklamatorischen KunstmitteP; dann unterbrach er belebend das vorherrschende Auf-ab und brachte den natürlichen Satzfall steigernd heraus. Trist. 6385 an kämpf öder an läntstrlt; Iwein 44 in alle wls ein wünschl6ben; aHnr. 733 der Ist zer hdlle gebörn. Diese einsilbigen Takte verdienen den vielgebrauchten Namen TDeschwerte Hebung' 1 ). Oft tritt nach der starken und langen Silbe zugleich S a t z p a u s e ein: diz länt 1, öb es dich bevilt; durch göt 1, wie stet iuwer sin?; er si arm 1, er sl rieh; seht lr den böum 1, der dä stät. Viel seltener dient einsilbiger Takt ohne Hauptton zum Auszeichnen der Satzpause: swer nider körni, der was töt; der künec sprich 1: habt für wär2). J ) Logischer beschwerte Hebungssilbe'. Vgl. Kraus, Der hl. Georg L X X V I 1 . Der Name enthält also eine Forderung, er trifft nicht entfernt auf alle einsilbigen Takte zu; mit dem Fehlen der Senkungssilbe ist verstärkte Wucht nicht verwachsen (§485). Die sonst verwendeten Ausdrücke: Zusammenstoß zweier Hebungen', 'Fehlen oder Pausieren oder Synkope der Senkung', 'unausgefüllte Senkung', rhythmische Zusammenziehung' 'TOVI^ der Hebung', 'asynartetischer Vers* haben ihre leicht ersichtlichen Mängel. Wir ziehen hier, wie sonst (§ '96), den Namen vor, der am meisten Gehörbild, am wenigsten Entstehungshypothese in sich schließt. E r erlaubt zugleich den kürzesten Ausdruck: 'die beschwerte Hebung fällt auf Up' (Kraus, ZsAlt. 5 1 , 303) = l l p füllt den T a k t ' : 9 Silben gegen 4! 2 ) Kraus, Metr. Unters. 2 1 . Einsilbigen Takt zum Ausdruck von Wendung oder Abschluß' im Erzählen (ebd. 27 ff. 48 ff.) erkennen wir nicht als besonderes Fach an; manche der Beispiele würden wir anders messen: hie stet mänic klare jügent; ez gie nach dem k£iser sä (s. § 568. 574). Auch Bormann (§ 565 1 ) scheint uns zu viel Verschmitztheit in die einsilbigen Takte des Guten Gerhard hineinzufühlen.
576. Auf die Wirkung des kräftigen einsilbigen Taktes verstand man sich trefflich schon vor den Tagen der dichtenden Ritter (§551 f.). Der einsilbige Takt war ja deutsches Erbstück, nicht welsche Einfuhr. Auch Veldeke und Hartmann verstanden sich darauf, mochte ihnen gleich daneben, aus Läßlichkeit oder aus Scheu vor schwerer Füllung, so viel Mattes einfließen. Eine Versfolge, deren einsilbige Takte dem rednerischen Silbengewicht entsprechen: aHeinr. 1259 er hlez sich läz&i dar in. der mdister spräch 1: Ich enbin nü niht muezic dä züo, däz ich iu iht tif tüo. nein, mdister, gespr^chet mich!
DER
KRÄFTIGE EINSILBIGE T A K T .
VERSE
OHNE
SENKUNG.
119
herre, jäne mäc ich; bditet, ünze diz erge. nein, möister, sprechet mich £! nu säget mirz h^r durch die w a n t . . . Auch dem Augenblicksnachdruck dient der einsilbige T a k t : das F o r m w o r t kann rednerisch 'beschwert' werden. Iwein 6755 d6r 6963 wen 7037/40 dä dä
lönder im dä; er hät erslagen; rtimet der haz . . . wlrt diu minne läz.
Schade nur, daß man derartige Fälle so oft auch anders lesen kann! Der Gefahr der Selbsttäuschung, des Sicheinredens ist man nicht immer entgangen. V o n den Beispielen aus Reinbot bei K r a u s , Metr. Unt. § 3 8 f . u. ö., legt ein großer Teil andre Messung nahe: der wlrt zem tode g e g i b e n ; dem sint z w i i löbes ris; däz wart so an geschriben; wol In der wise gestält (nicht: d i r w i r t . .; d£m sint . .; daz w ä r t . .; wöl in d i r wise gcstält). Zu Einspruch fordert die Meinung heraus, Emphase hebe die vorgeneigte Schwachtonsilbe zu t a k t füllender Würde (wofür ein parodierendes Beispiel bei Rischen, Bruchstücke v o n Flecks Floire 98f.): das wäre kein Steigern der Prosagegensätze, sondern ein Auswischen oder Umdrehen.
577. Einsilbiger Takt dient auch der Auszeichnung von E i g e n n a m e n . Wolfram führt die sonst einhebigen Cundrfe und Jeschüte dreihebig ein: sl hiez Cündrie; si hiez Jeschöte, und mit dem Namen Condwirämürs füllt er ein paarmal den berühmten Vers von vier einsilbigen Takten (Kraus, a. a. O. 2 i i f f . ) . Viersilbler mit (annähernd) gleichstarken Takten baut auch Hartmann mit guter Wirkung: Iwein 3734 hie släc, dä stich (die Adverbia dank dem Gegensatze hier nicht vorgeneigt!); 459 länc, schärpf, gröz, breit. Die 4. Hebung schwächer: Erec 8216 swärz, wiz, w6itln. Einen Vorläufer aus dem Anno trafen wir in § 534: half visc, half man. Solche Formen unterscheiden sich sehr von Otfridischem fingär thinän und den frühmhd. michel schöuwen oder gar äne scülde. Diese Füllung des Innentaktes mit ¿iner Endsilbe erlaubt sich Hartmann noch bei lateinischen Worten: aHnr. 92 mödiä vitä 11 in mört£ sümüs. Jene Verse wie: länc, schärpf, gröz, br£it haben vier nicht nur hebungsfähige, sondern hebungheischende, ebenbürtige Silben. Ihr Zeitfall I J - I J - I I Jschmiegt sich dem natürlichen Satzfall leicht steigernd an, er nützt die Mittel des füllungsfreien Viertakters aus — echt monopodisch: der agerm. Dipodie war solche Füllung verschlossen.
120
A B N A H M E DER EINSILBIGEN
TAKTE.
Es beruht auf irriger Artbestimmung von 'Rhythmus', wenn man meinte, solche Verse ließen erst durch Vergleichung mit ihren Nachbarn Rhythmus spüren (PGrundr. 70). Allerdings wirken sie durch den Gegensatz zur Umgebung. Solche viersilbig-viergipfligen Gebilde wagt wohl kein Zeitgenosse der beiden Epiker, auch das NL nicht. Sie müssen um 1200 schon altvaterisch geklungen haben. Auf Ulrich von Lichtenstein oder Konrad von Würzburg wirkten sie wohl ähnlich fremdartig wie auf Opitz ein freier Knittelvers. 578. Denn der einsilbige Takt war zum Niedergang bestimmt. Die welsche Mode drängte auf den zweisilbigen. Bei Reimern der freieren Richtung blüht er noch (oder wieder ?) zu Ende unsres Zeitraums: reht ürhäp und ürsprinc; sün 1, sö wis wärhäft; häz, zörn ünde nit; höch tif 1 für die Örn; dem er gär vtnt ist: solche Verse mit z w e i einsilbigen Innentakten stehn in Ulrichs Alexander, im Seifrid Helbling mehr als vereinzelt, und die mit ¿inem sind nicht zu zählen. (Von der Pänultima der zweisilbig klingenden Verse, gölde, sehen wir in diesem Zusammenhang ab, s. § 588.) E i n einsilbiger Innentakt auf den Vers, dies kommt wohl in allen Reimpaarwerken bis 1300 vor. Aber von Gotfrid über Rudolf auf Konrad schrumpft es stark zusammen. Konrad selbst tut noch einen großen Schritt und umgeht auf seiner mittlem Höhe, im Engelhart, gern diesen altdeutschen Versbrauch. S t e t i g hat der einsilbige Takt seit Veldeke nicht abgenommen; mit Altersschlüssen muß man da zurückhalten. Man sehe die Prozentzahlen bei Bethmann, Palästra 30, 68ff., Ludwig, A. v. Halberstadt 28; von Sicherheit sind sie notgedrungen weit entfernt ! Es gilt hier, was wir in § 556 von der Mehrdeutigkeit sagten. Die Übergänge von der altern zu der neuern Form, vom 'freien zum glatten Metrum', geschehen allmählich: geschichtliche Betrachtung wird sich nicht leicht dazu verstehn, die Grenze zu verschärfen, d. h. durch textkritische Mittel und sprachbeugende Lesung ein Gedicht zu befreien von dem Rest einsilbiger Takte, weil deren in den Handschriften nur noch wenige sind 1 ); vgl. § 20. Über das Gradmäßige kommt man ja doch nicht hinweg: bis zum Ziele der Silbenzählung ist kein Reimpaarwerk des 13. Jahrh. vorgedrungen. l ) Krausens Versuche mit dem Meier Helmbrecht, dem Schrätel und der Rittertreue, ZsAlt. 47, 305ff. 48, i o i f f . , sind auf berechtigten Widerspruch gestoßen: Saran, Jahresbericht 1904, 9öf.; Panzer, ZsPhil. 38, 5i6ff.; Bernt, I.e. 162; Pfannmüller, Beitr. 40, 382. 389ff.; Leitzmann, ib. 43, 261.
ARTEN
DES
KRÄFTIGEN
EINSILBIGEN
TAKTES.
121
579. Werke und Abschnitte, die ins Lyrisch-Beschauliche und Erbauliche gehn, brauchen den einsilbigen Takt sparsamer: sie neigen mehr zum Auf-ab, halten sich etwas näher zum gesungenen Liede. Daher sind die mehr episch-dramatischen Erec und Iwein an einsilbigen Takten reicher als Hartmanns Mirakel und Büchlein (Zwierzina, ZsAlt. 44, 36; Kraus, Unters, ióoff.). Außerdem ist Art und Stellung des einsilbigen Taktes zu beachten. (Nur von dem 'kräftigen', volltonigen reden wir hier.) Man hat nach stilistisch-lexikalischen Eigenschaften unterschieden und die Zweiteilung übergeordnet: ob die ausgehaltene Silbe mit der folgenden zu éinem Wort gehöre oder nicht1). Nach sprachrhythmischen Merkmalen bietet sich diese Einteilung dar: a) Für sich stehn die einsilbigen Takte, denen eine Hebung auf -3- folgt: léidè; léidèste. Die stilisieren den Prosafall stärker; sie kommen außer Brauch bei Dichtern, die sich die anderen Arten noch erlauben ; sieh § 567. b) Dem einsilbigen Takt folgt eine schwache rückgeneigte Silbe mit vollem Vokal: leite èr; enhéiz in; hüop sich; getän ist; gewis hàn. Fließende Grenze nach f). c) Dem einsilbigen Takt folgt eine schwache vorgeneigte Silbe : mäni ünde wip; vléischi mit den vischen; der prtsi vor in allen; ir lip 1 was bewärt ; einen kämpf 1 mùoz bestän. d) Desgleichen, aber mit Satzpause: lieber goti, wìs im bi; ouwéi, spràch diu triuwè; èr si armi, èr si ri eh; wà nu spér? wà nu spér? (Iw. 7111) e) Es folgt nach Satzpause ein ebenbürtiger Kolongipfel: tief 1, michel ùnde gróz; wiei, wér òde wäz; èin gebtìn rieh und wért; ich spràch: gesélle, rät, wie. f) Es folgt eine rückgeneigte Starktonsilbe: tizvàrt; kóufmàn; Kriemhìlt ; hérlìch ; — tìf stèn ; àrm sin ; tòt làc ; ein wfp wòl. g) Es folgt rückgeneigtes ^ ^ : hérbèrgen ; góltvàrwe ; Kriemhìlden; hérllchen; triutìnne; schéltàre ; — rät gèben; zwélf hùndert; bure rìche; züo rìten; durch gót tàte ; den män vèllen. J ) Saran, Hartmann von Aue als Lyriker 49; Beitr. 24, 4 4 f f . ; Zwierzina, ZsAlt. 44, 43; 45, 3 7 7 f f . ; Kraus, ZsAlt. 47, 3 1 3 ; K a u f f m a n n , DMctr. § 1 3 6 ; Bernt, a . a . O . 137ff.; Ludwig, a . a . O . 12.
580. Zu diesen Arten stellen sich die einzelnen Dichter ungleich, b und c ziehen sich im allgemeinen früher zurück als d-g. Am längsten halten sich die beiden letzten Gruppen: Art f, trincvàz, wlshèit, besonders im Versschluß, viel seltener im Versinnern; Art g, diemuete, ruemlicher, mehr im Versinnern. Diese 1 ^ Ü -Gruppen drängten am meisten auf den einsilbigen Takt hin. Die Modelung I _L I ^ X war für sie die gegebene, die
122
DIE
SILBENFOLGE
einzig sprachgemäße, seitdem Uberlängen und schwere Takte das Feld geräumt hatten. Auch die Kola unter c-e sind zwar in der natürlichen Rede häufig genug, aber sie ließen sich leichter zu tongemäßem Auf und Ab zurechtrücken. Die Wörter mußte man, wo der einsilbige Takt außer Gunst war, entweder meiden oder rhythmisch umbiegen. Die Umbiegung zu X I )< X war die gewöhnliche: im Auftakt kein Sprachverstoß (§ 561), im Versinnern eine Tonbeugung, Vertauschung von Hauptton und Nebenton (§70,3), oft dazu noch Herabdrückung des Haupttons unter die vorangehende proklitische Silbe (§603, 3): Konr. Troj. 2514 wistüomes ünde güotäs; 4811 der hirte einvöltic ünde güot; 2898 daz tdt si dem junchörren an; Schwanr. 433 die brieve und d6r hantvdsten craft. Diesem Verfahren huldigt Konrad fast ausschließlich. Neben der ältern Messung I J__ I X lassen schon alle Frühern das X I X X zu. Für Rud. v. Ems sieh Bormann 1. c. 19 ff. Der andere Ausweg war die Umbiegung zu wistüomes, h£rbergen: Vertauschung von Nebenton und Schwach ton (§70,2). Dies ist viel seltener. Wo man gehobenes -9- mied (§ 565), verbot sich diese Messung. In welchem Umfang man sie höfischen Reimpaaren zuweist, hängt davon ab, ob man schwerere Takte wie wls-1 tüomes und |, her-1 bergen durch | für unmöglich hält. Schon Otfrid stellte vor diesen Zweifel (§ 499). 581. Bemerkenswert lange dauern die dreihebig sinkenden Versschleppen I J _ I I /K, diese ohrenfällige Eigenheit des altdeutschen monopodischen Verses. Otfrids Bemühen, sie einzuschränken, setzt sich bei den Späteren nicht fort (§ 502, vgl. 518). Die altertümlichsten Fälle, die mit schwachem -e- in der mittl e m Silbe, vertritt bei Hartmann der ¿ine Vers 1 ): Erec 1458 vil h£ize weinende, doch gereimt auf eilende mit volltonigem mittlerm -e-, s. § 463. Nach 1200 zeigt diese (reimlosen) Kadenzen wohl nur noch das NL und seine Nachahmer: 2292, 2 ällez h«5uwend£ u. ä. (die Schreiber ändern mehrmals, s. Bartsch, Unters, über das N L 135f.). Die Ableitungen mit vollem Vokal aber: schrfbabre; vurstinn6 und noch mehr die Komposita: äbgrund^; ¿rtrtche usw. sind noch viel später bräuchlich, bei R. v. Ems allerdings selten geworden, aber doch in Konrads Dichtung herabreichend: trühskze im Otte 75. 119; 19 Fälle im Silvester auf 5222 Verse (neben der Messung: und alle die rihtsere 3942. 4218); auch in die Spät-
ACHT A R T E N DER
KADENZ.
123
werke? (Schwr.745 lies: . . . vil guotliche; Turnier 814als öb man dä phenninge, cf. 803. 842. 846). ' ) Nach A. Sicmsen, Die Wörter der Form (1909) 10. 13.
' n den Versen Hartmanns
582. Als Inhalt von Takt 1-3 hatte Otfrid diese gemieden (§49ia). Fast sieht es aus, als erlaubte sich Hartmann hierin mehr. Sollen wir lesen: Er. 4641 ze ünreht£ begie; Greg. 2781 der h^rberge durch göt; Iw. 4013 ein jüncvröuwe diu löit; 6441 ein ältherre gel&t ? (ausdrucksvoll Greg. 2500 mit tötvinsterre näht.) Oder ist Tonversetzung beabsichtigt: der herbörge durch göt; ein juncvröuwe . . . ? Hierher noch Er. 200. 9440. 10042; aHnr. 1059 (Trist. 11222). Zu der ersten Lesung I — IA. I k zwingt nur Er. 9426 (wenn man keinen stumpfen Vers zuläßt): heimlichen vernömen. Die Messung: ein ältherre geteit u. ä. (A. Siemsen 1. c. 15) würde die vorgeneigte Silbe überanstrengen und die beiden Vershälften empfindlich ungleich belasten. Die zwei Strophenschlüsse des NL: 1554 den swertgrimmigen töt, ähnlich 2060, verlangen die zweite, tonbeugende Modelung, weil diese Schlußverse nur den zweiten Takt einsilbig füllen (s. u.). So auch 1238,4 müoz unvrceltche stän; 455,4 vor dir unsörcltchen stät und andere mit un-: 792. 852. 1007. 1066. 1230. 1232. 1987. 2166. Auch Kudr. 592, 4 wird zu lesen sein: nach Küdrtinen der kuniginne; 1532, 4 wärt < dö > vön Küdrünen in beiden (vgl. E. Schröder, GGNachr. 1919, 47). Den Brauch des Schlußverses der Nibelungenstrophe, einsilbige Füllung an fester Stelle, nur im zweiten Verstakte, zu verwenden, muß man als Entlehnung aus dem Kürnberger, als eine lyrische Eigentümlichkeit, fassen; sieh §672.
B i l d u n g des V e r s s c h l u s s e s . 583. Auch die dritte Versgegend, die K a d e n z , zeigt den Zug zum Vereinfachen; zum Beschneiden der Mannigfaltigkeit. Es ist hier besonders nötig, den geschichtlichen Ausgangspunkt zu bedenken. Die frühmhd. Reimpaare verfügten über folgende 8 Arten des Versschlusses. Ausscheiden die überschweren Füllungen des letzten Taktes, die 3- und 4-silbigen, § 547. Die reichen in die höfische Kunst kaum irgendwo herein. Die nd. Gandersheimer Chronik kennt Schlußtakte mit tevede, sägende u. ä. 1. stumpf: einsilbig zit ünde jär 2. zweisilbig älsö dich gezfmet 3. klingend: zweisilbig mit allen ir dingen 4. dreisilbig si sprächen, er lebete 5. i ü ü dich gtioten ünde dich gnädigen
124
D I E B E N E N N U N G DER
KADENZEN.
6. voll: einsilbig daz Ist der gwige töt 7. zweisilbig -¿^ der was der vröne vörböte 8.
unt Christes jöch tif in trüogen.
Nr. 8 unterscheiden wir mit dem Namen 'weiblich voll' (wv), sieh § 544. Als "männlich voll1 (mv) oder auch 'voll' kurzweg (v) werden wir die Arten 6 und 7 zusammenfassen. 584. Diese Unterscheidungen und Namen brauchen wir nicht mehr zu erläutern, auch nicht zu wiederholen, wieweit die 8 Spielarten dem Stabreimvers und dem ahd. Reimvers bekannt waren. Man bemerke, daß die nämlichen Kadenzformen auch für Zweitakter, Sechstakter (usw.) gelten. Die seit Lachmann herrschende Kunstsprache unterscheidet und benennt anders. Es ist an der Zeit, daß wir dazu Stellung nehmen. Man gebraucht die z w e i Ausdrücke 'stumpf' und klingend . Unter stumpf verstand Lachmann die Verse, die a u f H e b u n g enden ("katalektisch'); wobei er ^ — , zimet, böte, als einsilbig faßte (§ 563). Sehen wir davon ab, so sind 'stumpf' alle Schlüsse auf — , ^ — , — . Klingend waren für Lachmann die Verse, die a u f S e n k u n g enden ^akatalektisch'); also nach Ausscheidung der erwähnten die Verse auf — —. Somit wäre klingend von unsern 8 Arten nur die letzte: Schlußtakt truogen. Die Arten 1-7 heißen sämtlich stumpf. Hierbei unterscheidet man Nr. I und 2 als 'dreihebig stumpf' von den 'vierhebig stumpfen' 3-7. Die Schlüsse ^ — (2 und 7) nennt man oft Auflösung' der Schlüsse — (1 und 6); der Schluß •l ^ y libete (4) heißt Auflösung von L ^ dingen (3). Zum Begriff Auflösung' genüge das in § 96 und 489 Gesagte. Im übrigen ist gegen die bezeichnete Kunstsprache folgendes einzuwenden. Heißen Art 1 und 2 'dreihebig s t u m p f , 6 und 7 'vierhebig s t u m p f , so denkt man an Verse ungleicher Taktzahl (so ausdrücklich Braune, Beitr. 25, 95). Unsre Benennung stumpfe und volle Viertakter' — oder wo der Viertakter gegeben ist, einfach 'stumpf und voll' — bringt klar und kurz zum Ausdruck sowohl die Einheit des Grundmaßes wie den Umstand, daß Nr. 1 und 2 'gestumpfte' (gestutzte) Füllungstypen darstellen, Nr. 6-8 den Versrahmen bis zu Ende füllen'. Aber dies ist Nebensache. Der Hauptmangel liegt darin, daß man die Schlüsse 3-5: dingen, libete, gnädigen, so gemessen, ebenfalls als 'stumpf buchen muß, sie also im Namen nicht unterscheidet von den (vierhebig) stumpfen' Arten 6 und 7. Der gemeinsame Name hat selbst einem Max Rieger eingeredet, daß 'beide Arten des Schlusses ihrem Wesen nach einerlei' seien. Fürs Ohr sind sie durchaus zweierlei; auch für die Verwendung im Gedicht: im Strophenbau sind 3 und 6/7 geradezu gegensätzliche Verstypen (§651). Die so eigenartige Kadenz dingen verdient ihren besondern Namen, und als solcher ist'klingend' wohlgeeignet (§ 192). Eine schlechte Abhilfe war, die Arten 1. 2 und 6. 7 'haupttonig stumpf, die Arten 3-5 nebentonig stumpf* zu nennen: sachlich schiefe Namen, denn Verse wie: spräch dö Wölfhiirt (Art 1), nu ist luwer arbeit (Art 6) haben keine haupttonige Schlußhebung.
D I E BENENNUNG DER
KADENZEN.
125
Verspart haben wir noch eine Hauptsache I Lachmann ging davon aus, daß die Schlüsse Nr. 3 dingen (allenfalls auch Nr. 4 lebete, Zum Iwein 617) in mhd. Dichtung e i n h e b i g waren, k e i n e n N e b e n i k t u s a u f U l t i m a trugen. Folglich zählten ihm Verse auf ' ' dingen, ' ' müote (libete, klagende) zu den 'klingenden. Von A r t 8 unterschieden sich sich als 'dreihebig klingend' (während man die seltnere Nr. 6 wachende als 'gleitend* abhob). So kam man zu der seit hundert Jahren üblichen Fassung: die mhd. Reimpaare bestehen zur Hauptmenge aus den zwei Versformen: dreihebig klingend' mit allen ir dingen ( / \ ) ; si sprachen, er libete und 'vierhebig s t u m p f ( = A r t 6 und 7) sines herzen üngemäch; als Ichz von Im hän vernömen. Schlüsse wie dingen, lebete, also klingende in unserm Verstände, fielen weg. Folgerecht sprach man der a h d . Dichtung die klingende Kadenz a b ; denn ein . . . rachä; . . . manage (§ 492) galt j a als ' s t u m p f ' (J. Grimm, Lat. Gedichte des X . und X I . Jabrh. S. X X X I X ) . Wir sehen davon ab, daß gegen den Namen 'dreihebig klingend* derselbe Einwand besteht wie vorhin gegen 'dreihebig stumpf*. Die Frage, wie lange die Schlüsse dingen zwei Hebungen hatten, stellen wir in § 588. Unbestreitbar eigneten solche zweihebigen Schlüsse dem ahd. und frühmhd. Reimpaar sowie der mhd. Lyrik. Man reißt also die mhd. Sprechdichtung los von ihrem Vorfahr u n d von ihrem sanglichen Zeitgenossen, wenn man die Verse ' ' alte d o r t als dreihebig klingend, h i e r als vierhebig stumpf verzeichnet. Freilich trauten die älteren Herausgeber auch der mhd. Gesangsstrophe d i e Messung zu, die uns geläufig ist aus: o j i r u m , j i r u m , jerum /\ (ohne schrurn); also: des wolte ich mich darben ; diu linde ist an dem inde /\ usf. (ausdrücklich Scherer, Deutsche Studien 3f.); sog. 'dreihebig klingend*. Denn in den Ausnahmefällen, wo die Lyrik klingenden Schluß als Gegenwert zu vollem gebraucht (§649), n u r d a zeichnete man ihn mit Akzenten aus: künec aller keiser usw. (MF. ält. Ausg. 30, 22; 32, 2 1 ; 34, 3 u. ö.). Dies z w a n g den Leser ordentlich zu dem Irrtum, man habe keiser anders gesungen als dort darben und ende. A b e r a u c h in der mhd. Sprechdichtung mußte man den Fall anerkennen, daß — — (und ^ — —) gehobene Ultima hatten: in den bekannten Abversen des N i b L . : bäz der güoten (r£cke Hagene) usw. Diese Dreiheber sind freilich eigener A r t und reihen sich nicht in unsre acht Nummern ein (§669); aber ihre K a d e n z e n , — X (und X X X ) , sind g e n a u g l e i c h den alltäglichen der Reimpaare: der mit ritters müote (ich het iu vil ze sägenne). D a man hier einhebig las, dort zweihebig, mußte man zwischen dem 'klingenden' müote (sagenne) und dem stumpfen' güoten (Hagene) einen nicht vorhandenen Gegensatz aufstellen, und das stumpfe' baz der güoten erhielt wieder den selben Namen wie das 'stumpfe' spräch dö Wolfhärt! Wie hoffnungslos verworren die Erörterung dieser Nibelungenverse geraten mußte, kann man verfolgen von Lachmann (Zu den Nib. S. 4 f.) über W. Grimm ( K l . Sehr. 4. 227) und Rieger (Versuch 1853, 42f.) zu Bartsch (Unters. 7) und z u Braune (Beitr. 25, 124. 181 f.). Hier zeigt sich recht deutlich das Gebresten einer Kunstsprache, die das zu Scheidende nicht scheidet und die rhythmisch klare, gehörte Grundlage entbehrt. Danach ist es nicht Neuerungssucht, wenn man dem 'Elend der Terminologie* (Beitr. 40, 374) ausweicht mit tauglicheren Namen; zumal in die Einheit des Lachmannischen VVortgebrauchs längst Risse gekommen sind ( K a u f f m a n n , DMetr. S. 47. 120; Baesecke, Wiener Oswald X X X V f . ; Schneider, Wolfdietrich 105; Pohl, Strophenbau 2off.; Plenio, Beitr. 39, 302; 42, 282: er gebraucht schwerklingend' für unser klingend, 'leichtklingend' für unser w v , 'unterfüllt' für unser stumpf). Unsre Betrachtung des Strophenbaus würden die landläufigen Unterscheidungen einfach lähmen. Diese Fächer und Namen haben, um nur eins zu erwähnen, die Frage unterdrückt, wo Verse v o n
126
STUMPFER SCHLUSS.
DREISILBIG KLINGENDER
SCHLUSS.
u n g e r a d e r T a k t z a h l , Drei-, Fünf- und Siebentakter, anzusetzen seien: eine der großen Fragen der mhd. Lyrik I Sprach man doch beim Kürnberger von dreitaktigen, beim altern Spervogel, der Kudrun, dem Titurel von fünftaktigen Versen 1
585. Wir sahen, das höfische Reimpaar fand die acht Kadenzformen von § 583 vor. Deren Schicksal war, kurz gesagt, dieses: Allgemein bräuchlich blieben die drei Formen: Nr. 3, zweisilbig klingend; Nr. 6 und 7, männlich voll, ein- und zweisilbig. Artbildend wurden diese Unterschiede nicht; die drei Schlüsse gingen in der Reimpaardichtung gleichwertig durcheinander (§ 616). Man halte dagegen den Grundsatz der entwickelten Lyrik (§ 65of.). Die übrigen fünf Formen zogen sich mehr oder weniger zurück. Bei Konrad, dem Endpunkt, sind sie teils ganz verschwunden (Nr. 1. 2. 8), teils spärlich vertreten (Nr. 4 und 5). 586. Stumpfer Ausgang war immer, auch in der Wiener Genesis, die weitaus seltenste der drei Hauptarten (§ 536). Da er außerdem durch seine pausierte Endhebung herausfiel, versteht man, daß eine zum Vereinfachen und Ausgleichen strebende Kunst ihn fallen ließ. Die Frage, wie tief die stumpfen Verse in die höfischen Reimpaare hereinreichen, haben wir uns in § 570 nicht zu beantworten getraut. In der Nibelungenstrophe und ihren Sproßformen ragt diese Kadenzart breit und unbestritten in die mhd. Sprechdichtung herein. Das war nicht bare Entlehnung aus der Lyrik des Kürnbergers: die letzte Wurzel lag in den Langzeilenpaaren des weltlichen Erzählliedes vom 10.-12. Jahrh. (§ 733). Nehmen wir noch vorweg, daß im 14. Jahrh. auch die Reimpaare den stumpfen Vers wieder mehr zur Geltung bringen. 587. Von den klingenden Schlüssen waren die beiden dreisilbigen Arten, Nr. 4 und 5, von jeher seltener. Die mit - ¿ ^ ^ : nidere; klägenne, die bis auf den agerm. Vers zurtickgehn (§192), nahmen schon aus sprachlichem Grunde ab: weil viele Wortformen, wie manete, spilete, werete, verlorene, sagete, ihre Mittelsilbe einbüßten, so daß sie nun, zweisilbig klingend, auf wante, milte, gerte, zorne, breite reimen; s. Lachmann, Zum Iwein 617. An der Kudrun beobachtet E. Schröder, daß sie im Langzeilenreim nur ¿inen Fall aufweist: 1631 sedele : edele, während der Anvers den -Schluß in Menge gebraucht (GGNachr. 1917, 33). Auffällig liebt ihn, in Reim und Waise, noch der Jüngere Titurel um 1270. Konrad von Würzburg h a t in Schwanritter und Turnier auf 1257 Reimpaare nur fünf solcher Reime.
DAUER
DER KLINGENDEN
MESSUNG.
127
Die Schlüsse : mácheté; nígendé; pfíngestén, die 'gleitenden 1 , die ihren Stammbau nur auf die Dichtung um 1100 zurückführen (§ 542), fehlen der Mehrzahl der mhd. Dichter ganz. Bei Gotfrid aber und seinen Nachfolgern, so noch Heinrich von Freiberg, mögen sie an Zahl die níderé-Schlüsse übertreffen. Auch Konrad bringt sie gelegentlich. W. Grimm, Kl. Sehr. 4, 226. 229; Kraus, Heinzel-Festgabe 1898, 1 3 7 ; K a u f f mann, DMetr. S. 128 f. 1 3 4 ; Bernt, a. a. 0 . 1 3 1 ; de Boor, Frühmhd. Studien 85. Als Beispiel dogmatischer Betrachtungsart Rieger, Versuch einer systematischen Darstellung der mhd. Verskunst 34: 'Der klingende Schluß verlangt in der strengen mhd. Verskunst. . . ausnahmslos einsilbige schwache Senkung . . . Versschlüsse wie láchete : máchete oder gar láchende : máchende, die einem Gotfrid von Straßburg anstehen, sind also streng ausgeschlossen.
588. Ob man die klingende Hauptform, die zweisilbige, seit Veldeke oder früher n u r n o c h e i n h e b i g sprach ? swér an réhte güete wéndet sin gemüete Dieser für Lachmanns Lehre und Kunstsprache so folgenreiche Satz (§ 584) gilt heute längst nicht mehr allen als sicher. Zunächst leidet keinen Zweifel, daß die s a n g l i c h e Dichtung die ältere Messung festhielt, damals wie heute 1 ): ich zöch mir einen válkén — wie: in allen frohen stünden. Auch der Lyrik Frankreichs, damals wie heute, ist diese klingende Form geläufig (§ 652) ; man denke nur an: Malbróu s'en vá-t en guérré! Só steht es nicht, als hätte aus sprachlichem, lautgeschichtlichem Grunde das entfärbte -a- (dicht nach Starktonsilbe) 'seine Hebungsfähigkeit verloren*. Das widerlegt ja schon das Versinnere (s. u.) und dann der volksmäßige Vers unsrer Tage (vgl. § 462)2). Es kann sich nur um die kunstrhythmische Frage handeln, in welchem Umfang man die stilisierende Modelung válkén beibehielt, nachdem die Endsilben mit -a- dem Reime nicht mehr genügten. Daß sich hierin Spielmannsdichtung und Ritterdichtung oder strophisches Heldenbuch und Reimpaare unterschieden hätten, zu der Annahme ist kein Grund; wir wollen hier nicht 'den Mund des Volkes' gegen den der Hofleute ausspielen 3 ). Wer den 3k-Schlüssen nidere : widere; nigende : stigende die zwei Hebungen zugesteht, der wird sie den 2 k-Schlüssen ungern bestreiten, denn diese laufen ja in der Sprechdichtung jenen ersten gleich — anders als heutzutage, wo man Verse auf steigende und auf steige als gegensätzliche Füllungstypen behandelt. Für Fortbestehen der zweihebigen Messung entscheidet dieser Umstand 4 ). Ein múoté im V e r s i n n e r n dauert durch unsern ganzen Zeitraum und drüber hinaus, wenn auch nicht in allen Gedichten (§567). Verse wie: den süezen, den schcenen; wie liebe mit leide
128
DAUER DER KLINGENDEN
MESSUNG.
m ü s s e n w i r m i t zweihebigem süezen u n d liebe messen. U n d d i e versschließenden schatten, leide h ä t t e n n u r ¿ine H e b u n g g e h a b t ? . M a n überzeuge sich, w i e stilwidrig, geradezu zerrbildhaft dies klänge! D e r Versschluß ist i n r h y t h m i s c h e n F r a g e n nicht der f o r t schrittliche, sondern d e r altmodischere T e i l (vgl. § 5 1 ) . S e l b s t d a , w o m a n d e m Versinnern k e i n süezen u n d liebe mehr g a b , kann die K a d e n z noch lange an ihrem schienen und ldide festgehalten haben. S o rechnen w i r auch f ü r K o n r a d s letzten S t i l diese a l t h e r k ö m m liche Messung der L ^ - S c h l ü s s e als sehr wohl möglich. D a f ü r freilich können u n d wollen w i r n i c h t h a f t e n , daß jeder Vorleser jeden klingenden Schluß so s p r a c h ; w o die Z u f ä l l e d e s V o r t r a g s anfangen, hört die Sicherheit des Metrikers auf. S c h a d e n kann es unter keinen U m s t ä n d e n , wenn w i r den fraglichen A u s g a n g n o c h als klingend, in unserm Sinne, benennen u n d abbilden. W i r e n t gehn d a m i t der zwiespältigen B e h a n d l u n g v o n L y r i k u n d S p r e c h vers. ' ) Das Gegenteil h a t t e W . Wackernagel angenommen: nur im epischen Verse blieben die klingenden Reime zwietonig wie zuvor', weil sie d a , nicht in der Lyrik, den 'stumpfen (vollen) gleichwertig gelten (Afranz. Lieder 216). Allein steht wohl de Boor mit der Ansicht, schon Lamprechts Alexander habe 'der normale Dreiheber* mit zweisilbigem Reim beherrscht, er habe den letzten Takt entwurzelt und den metrischen Aufbau verändert ( F r ü h m h d . Studien 66. 78). Doch sagt schon Saran, R h y t h m u s des frz. Verses 127 f., ähnliches über den Rother. 2 ) Man beachte, daß auch der e n g l i s c h e n Sprechdichtung des 13. J a h r h . die klingende Messung von im Versschluß wie Versinnern geläufig ist; z. B. Pilch, Umwandlung des ae. All.-verses in den me. Reimvers (1904) i ß f f . u. ö. (wo jedoch die stumpfen Viertakter verkannt sind). *) J . I. Schneider, Darst. d. d. Verskunst (1861) 160. Auch Plenios Scheidungsversuche, Beitr. 41, 82 f., stoßen auf Bedenken. Wo sich klingender Schluß mit weiblich vollem paart (§ 591), umginge einhebige Messung die Unebenheit der Bindung. Aber diese Unebenheit ist auch der Lyrik nicht anstößig (§ 662 f.). *) Betont schon von Simrock, Nibelungenstrophe (1858) I i . Unverkennbar spielt die Lust- und Unlustfrage herein. Die Messung liide ist manchem ein unbehagliches Altertum. Man lese bei Rieger (Versuch 43), wie er 'sich überwinden muß zu dem 'ermüdend eintönigen ez troumde Krfemhllte . . . So h a t t e wahrscheinlich auch Lachmann gefühlt. Oder Saran, Beitr. 2 4> 391 erklärt gelassen und ohne Einschränkung: ze hAnden gevängen sei zwar singbar, 'beim Vorlesen aber unmöglich". Wie für Zwierzina (ZsAlt. 45, 385), so hat für den gegenwärtigen Vf. diese Modelung nicht die leiseste Schwierigkeit; sie ist ihm, suo loco, eine selbstverständliche und angenehm ausdrucksvolle Stilisierung des Prosafalls; sie verdient durchaus das Saransche Beiwort 'sinn- und stilgemäß'. — E s läge nahe, an einen Unterschied der Landschaften zu denken (vgl. § 601). Doch besaß Paul, der Magdeburger, das natürliche, triebhafte Gefühl für klingende Messung auch in neudeutschen Kunstversen (PGrdr. 93), während Minor, der Wiener, dieses Gefühl entbehrte (Nhd. Metrik* 18 f. 38. 57). Bei den Äußerungen des Unwillens über liide k a n n freilich zweierlei mit im Spiele sein: einmal der gedankliche Skrupel, der 'Sprechvers* dürfe
WEIBLICH
VOLLER
SCHLUSS.
die P r o s a n i c h t stilisieren; sodann a b e r die V o r s t e l l u n g , die H e b u n g auf der s c h w a c h e n U l t i m a m ü s s e ein ' I k t u s ' i m v o l l e n Sinne sein, ein H i e b , w o r u n t e r sich die S i l b e k r a f t l o s a u f b ä u m t . . . M a n n e h m e diese S c h l u ß h e b u n g so s c h w a c h , als m a n irgend w i l l l W o r a u f es b e i m k l i n g e n d e n S c h l ü s s e a n k o m m t , ist d a s Z e i t l i c h e , n i c h t d a s D y n a m i s c h e . D i e D e h n u n g der Pänu'itima — d a r u m d r e h t es s i c h !
589. Umstritten ist die eine Art der v o l l e n Schlüsse: die weiblich vollen, § 583 Nr. 8, die sogen, 'vierhebig klingenden'. Man trenne die zwei Fragen: woher diese Kadenz stammt, und wieweit sie in den höfischen Reimpaaren überhaupt vorkommt. Nicht nur Lachmanns Anhänger vertraten die Lehre: Verse wie: mit gebärde und mit der stimme seien in Deutschland erst aufgekommen durch Nachahmung des weiblichen Viertakters der Welschen: 8/9-silbler: la dameisele de la chanbre; 7/8-silbler: en amor et en companha. "Verletzung eines natürlichen Gesetzes' konnte W. Grimm in solchen deutschen Versen finden (Kl. Sehr. 4, 323). Echt deutsch oder germanisch wäre es, die sprachlich lange Pänultima in den v o r l e t z t e n Iktus zu stellen: mit gebärde und stimme ( / ). Wer solche Verse mit zweihebigem Schlüsse sprach: . . . stimme, also n i c h t Lachmann und seine Jünger, der konnte den prosodischen Gegensatz behaupten: deutsch ist die zweihebige, welsch ist die einhebige Messung des ^ - s c h l u s s e s (Paul, Beitr. 8, 185f.). Nur war dies nach beiden Seiten ein Irrtum. Deutsch wie welsch kennt man b e i d e Messungen. Auch der deutsche Volksvers kennt sie beide: wer will schone küchen backen so gut als backe, backe küchen 1 ). Erinnern wir uns, daß schon der Stabreimvers diese zwiefache Behandlung kennt (§ I94f.)- Sie reicht in der Tat von der vorgermanischen Urzeit bis heute; nur haben, seit Otfrid, gewisse Kunstrichtungen oder Formgruppen die eine oder die andre der beiden Arten verbannt (§ 660 f). Einen prosodischen Widerspruch bedeutet die Zweiheit nicht; die zweihebige Messung alte ist ja nicht sprachlich gefordert, durch keinen Nebenton der Endsilbe bedingt! Der klingende und der weiblich volle Schluß, ' ' J_ ^ und " ' X X , sind zwei zur Wahl stehende Kunstrhythmen, zwei gleich mögliche Arten, die Silbengruppe in die Kadenz zu bringen. Vom Zusammenhang, vom jeweiligen Versinhalt hing es ab, welche der beiden eintrat — da nämlich, wo keine sondernde Auswahl der Kadenzen erfolgte. ' ) P a u l , P G r d r . 85, v e r s t e h t f l u ß der
Kunstdichtung'
sich w i r k l i c h d a z u , die erste M e s s u n g auf ' E i n -
z u schieben.
H e u s l e r , Deutsche Versgeschichte II.
S o heilig ist i h m d a s
Lachmannsche 9
130
W E I B L I C H VOLLER
SCHLUSS.
Postulat. Mit allem Nachdruck stellt Paul die wv Kadenz als 'einschneidende Veränderung' andeutschen Geistes hin; sie ziehe mindestens im Reimpaar "eine völlige Auflösung der alten rhythmischen Prinzipien nach sich (ib. 78 ff.) . . . und bei alledem vermissen wir die sprachliche oder rhythmische Begründung. Denn die Gründe, die für Lachmann galten (§ 195), mußte Paul preisgeben. Proton pseudos: man modelt sich den Stabreimvers immer wieder zu sehr nach Otfrid zurecht. Was denn der frühmhd. Vers dazu sagte, hat Paul ganz außer Spiel gelassen. Wh. Meyers Versuch in unsrer Frage, Ges. Abh. 1 , 257f.. hat mit dem germanischen Stoffe zu wenig Fühlung und scheitert schon am Chronologischen.
590. Nachdem der ahd. Reimvers, dank seinem Anschluß an den fremden Dimeter, den weiblich vollen Ausgang, wie den zweisilbig vollen überhaupt, vertrieben hatte, kam diese Form in frühmittelhochdeutscher Zeit wieder in hohe Gunst (§ 544). Im ritterlichen Reimpaar, soviel steht fest, ist sie v i e l s e l t e n e r g e w o r d e n . Weit entfernt davon, daß die Zeit des Welschelns diesen Versschluß erst gelernt h ä t t e : sie hat ihn vielmehr zurückgeschoben, heißt das aus dem Reimpaar: in der gesungenen Strophe wußte man ihn zu brauchen (§ 66of.). Aber dieses Zurückschieben konnte nicht vom französischen Muster ausgehn. Denn die weiblichen 819-silbler der französischen Reimpaare: la dameisele de la chanbre, die hätten ihr gegebenes Gegenstück gefunden im weiblich vollen Verse; so zeigen es denn auch der Welsche Gast und das Marienlob (§ 593). Bildet doch die Lyrik das frz. 1 mit 1 oder L^l nach, das frz. L mit (§654). Das tatsächliche Zurücktreten der wv Kadenz ist also unabhängig, ja g e g e n das fremde Vorbild erfolgt (Pfannmüller, Beitr. 40, 377). Der Grund muß diesseitig sein; er ist wohl nur zu finden in dem allgemeinen Streben nach Vereinfachung, nach beschränkender Auswahl der Füllungsformen (§553. 583). Der wv Schluß stand am obern Ende, er war gleichsam eine Grenzform, und zwar eine, die an Menge immer schon zurückblieb hinter den männlich vollen und den klingenden Schlüssen. So begreift man, daß ihn die Ausscheidung traf. Mitwirkte aber wohl das Bedürfnis nach Eindeutigkeit: bei vielen Versen mit -Schluß konnte der Vorleser zweifeln, ob k oder wv Messung gemeint sei. 591. Eben diese Mehrdeutigkeit hindert uns, die zweite Hauptfrage zu beantworten: w i e v i e l von solchen weiblich vollen Versen seit Veldeke noch begegnet. Lachmann, Wackernagel und die Mehrzahl der Späteren rechnen mit ihrem Dasein; eine genauere Zählung h a t man kaum gewagt. Paul und Saran leugnen diese Form überhaupt; beide halten sie für undeutsch und tragen ihrer Häufigkeit im frühmhd. Reimpaar keine Rechnung.
WEIBLICH
VOLLER
SCHLUSS.
So wie für uns die Voraussetzungen liegen, können wir uns nicht dagegen sträuben, das Nachleben dieser einst beliebten Kadenz noch in der ritterlichen Sprechdichtung anzuerkennen, und wär es auch nur in geringen Bruchzahlen; es verhält sich damit ähnlich wie mit den stumpfen Schlüssen, mit den ungewöhnlich schweren und leichten Innentakten. Die verbreitete Ansicht, Gotfrid und seine Jünger mieden diese Schlüsse folgerecht, bedürfte für den Meister selbst der Nachprüfung; Tristan 6471: wär mächen und wärbaferen, göte ünde der wdrlt bewjeren: das Reimpaar kommt in dieser Messung sprachrichtig und ausdrucksstark heraus; aber die ebnende Formung: wär mächen ünd Wärbieren, gote ünde der wörlt bewjeren vertrüge sich gleichfalls mit Gotfrids Stil. Und so fast in allen Fällen! Wo klingende Messung schwerere Auftakte oder Innentakte ergibt, als sie sonst dem Werke eignen, hätten wir einen Anhalt zur Messung wv. Aber unbestreitbare Fälle dieser Art sind in der Blütezeit dünn gesät. Man sehe etwa die Parzivalbeispiele, auf die sich Martin 2, L X X V I beruft. Gegen die Messung: e si den knappen rlten lieze, || si vragte in wie er hieze, wäre nichts einzuwenden. Oder Iwein 5537 und rüoche iu durch sine guete || iuwer switrez üngemuete; 921 swer vierzehen tage erbftet, || daz er vor mir niht enstritet. Zahlreicher sind die eindeutig w v Paare in Türlins Willehalm (um 1270); z. B. CI 15 diu minn die lieb ze boten sande 11 den zwein, daz si mit liebe [di] mande; C X I 1 frouwe, wir .wären alle heiden, || dehein e was da üz gescheiden. Bedenklich macht der Umstand, daß bei den älteren Meistern oft, j a überwiegend nur der eine Vers des Paares die w v Messung nahelegt. Parz. 309, 27 daz man werde ritter und werde vrouwen || an dem ringe müeste schouwen: hier erlaubt der Anvers schlechterdings nur w v : im Abvers gäbe man das an dem. lieber dem A u f t a k t ; also klingendes schöuwen. Oder Iwein 1709 daz was im(e) als(ö) maere, || wan(de) ob ietweder porte waere: da scheint k mit w v gebunden. Ebenso Parz. 112, 23 si und ander vrouwen || begunden in allenthalben schouwen (Lachmann gegen alle Hss.: begunde betalle schouwen). Das Bemühen, nur gleiche Kadenzen gepaart zu sehen, hat zu textkritischer und prosodischer Willkür geführt (PGrdr. 80). Zwar räumen wir ohne Bedenken ein, daß die unebene Bindung k : w v aus dem frühern Zeitraum (§ 546) herüberreichen konnte 1 ); und da sie nicht einmal der Kunstlyrik Tabu ist 9*
132
WEIBLICH
VOLLER
SCHLUSS.
(§ 662 f.), können wir sie den Reimpaaren nicht gut als Roheit ankreiden. Aber zugeben muß man: wenn die Ritter den weiblich vollen Schluß noch als berechtigte Form handhabten, wären m e h r Verspaare zu erwarten, die eindeutig und in b e i d e n Gliedern so enden. ' ) F ü r solche Bindungen in höfischer Zeit erklärten sich Sommer, Flore und Blanscheflur 274; Bartsch, Strickers Karl L X X V I ; Fr. Vogt, Festgabe für Hildebrand 1 5 6 ; Kraus, Prager Deutsche Studien 8, 2 2 1 ; Rischen, Bruchstücke Flecks 100; Pfannmüller, Beitr. 40, 376. Vgl. 0. § 588®. Die Folge wv : k scheint noch in Ulrichs Alexander zu bestehn: 7 3 3 und mlnen vrien 11p vür eigen, ]| daz wil ich dir erzeigen; 25605 daz ieman da vor durste sterbe, || ob ich mit sinnen werbe. Die umgekehrte Folge, k : wv, möchte man öfter dem nd. ' Kaland' zuerkennen (s. § 593®), z. B. 85 ghegeven fyne lere, ; [ süss möge gy merken deste mere; 159. 299. 306. 3 2 3 . 684 u. ö. Mehrere der Stücke in Stammlers Mnd. Lesebuch Nr. 46ff. ziehen die unebene Bindung k : wv und wv : k der ebenen k : k vor. Auch mit (einstigem) Nr. 46 V . 9 2 1 7 so wérdichllchen lébetè, || daz sin lób oben àllen lóben swébete. Auch von den Niederländern wird gegen das Verbot unebener Paarung 'dikwerf gezondigd' : Jonckbloet, Over mnl. epischen versbouw 147.
592. So viel steht wohl fest, daß K o n r a d von W ü r z b u r g von weiblich vollen Versen frei ist. E r hat auch hierin die engere und klarere Wahl getroffen. S e i n e -Schlüsse sind sämtlich klingend, so gut wie bei Otfrid. Auf den Abschluß der langen Reihe trifft die Formel zu: die altdeutschen Reimpaare bestehn aus 'vierhebig stumpfen und dreihebig klingenden Versen' — will sagen : aus vollen und klingenden Viertaktern. Von den acht Formen, die wir in § 583 unterschieden, sind bei Konrad Nr. 1, 2 und 8 ausgestorben ; Nr. 4 und 5 treten gelegentlich auf; die herrschenden Schlüsse sind die d r e i e : 2k: diu sünne schéin so vàstè; i v : die wären mit in wól beréit; 2v: die schär nach höher wirde lobe. 593. Außerhalb dieser Entwicklung stehn zwei geistliche Werke um 1220, räumlich weit getrennt : der Welsche Gast des Oberitalieners Thomasin von Zirclaria und das Niederrheinische (ripuarische) Marienlob (ZsAlt. 10, iff.). Diesen Reimpaaren f e h l t der k l i n g e n d e S c h l u ß : die Verse auf 1 s i n d alle weiblich voll; diese Kadenzform ist daher in Menge vertreten: WGast 67 ob ich an der tiusche missespriche, ez ensòl niht dünken wünderliche. MLob 6,1 Maria, du bis de beslózzene gärde, den gódes htide sélve bewärde.
THOMASIN UND
MARIENLOB.
133
Dieser Zustand ist Nachahmung der frz. Viertakterpaare. Denn in denen stand neben dem männlichen, 8 silbigen Verse der weibliche, gsilbige (§ 589), nicht aber der 7silbige (klingende) : sens mérite ét sens grâssè (der im übrigen wohlbekannt war). Hier also hat zur Ausnahme deutsche Dichtung dem höfischen Reimpaar der Welschen seine Kadenzregelung abgenommen ; d. h. sie hat von den heimischen Schlüssen die zwei b e i b e h a l t e n , die den französischen, dem Acht- und dem Neunsilbler, entsprachen: den männlich vollen und den weiblich vollen Schluß. Diesen letzten erweist das nicht etwa als undeutsche Neuerung! Art 7, der volle Schluß mit ¿^L, ist im MLob sprachlich, durch Dehnung der Starktonkürzen, mit ZÜ zusammengefallen, während der WGast nur in begrenzten Fällen i ^ auf 1 ^ reimt 1 ). D o r t sind also nur noch zwei Kadenzformen scheidbar: i v und 2 v, bei Thomasin sind es noch drei : iv, 2v männlich und weiblich. Dieses außergewöhnliche Verfahren erklärt sich bei Thomasin daraus, daß er in französischer Sprache hatte dichten lernen; dem MLob war der welsche Grundsatz wohl durch das n i e d e r l ä n d i s c h e Reimpaar vermittelt. Der ni. Reinaert z. B., um 1230, zeigt die zweisilbig klingenden Verse stark eingeschränkt durch die weiblich vollen2). Noch weiter geht dies in den niederd e u t s c h e n (sächsischen) Reimpaaren Eberhards von Gandersheim (a. 1216). Da stehn Verse einsam wie: 27 wèlk man Ök darinnè; 224 mit der éwigen krônèn; 251 darméde, wàn he stdrvè. Der alte deutsche Brauch, der letzten Vershebung nach Belieben eine schwache Endsilbe oder eine starke Stammsilbe zu geben, ist beinah erloschen. Man verlangt die Stammsilbe. Die beiden herrschenden Ausgänge sind : 1 v : dö dut bökelin tö Düde wart gekârt; 2v (ml. = wbl.) : nä düssem lévende dat éwige rike. Also wie bei Chrestien und Genossen. Auch da werden die Niederlande vermittelt haben. Doch kamen später die Niederdeutschen wieder mehr ins hd. Gleis; schon der 40 Jahre jüngere 'Kaland' 3 ) ist mehr altdeutsch (wie auch in der Menge der einsilbigen Innentakte) : neben i v und 2v steht k in breiter Geltung; auch stumpfe Verse wagen sich gelegentlich hervor. Ein Zustand, wie er etwa hochdeutscher Dichtung vor 1170 entspräche. Auch die Stücke 46 bis 55 in Stammlers Lesebuch kennen alle den klingenden Schluß neben dem weiblich vollen. ' ) Artur Müller, Das niederrhein. Marienlob 67 f. ; Hnr. Rückert, Der wälschc Gast 536. 547; Ranke 1. c. i o f f . 2 ) Martin, Reinaert 427; im allg.: Jonckbloet 1. c. 144. 3 ) Euling, J b . des Ver. f. nd. Sprachforschung 18, 1 9 f f .
594. Verbannt hat den klingenden Schluß auch der Frauendienst Ulrichs von Lichtenstein (a. 1255), und hier geht die Ver-
134
MENGE DER VOLLEN UND KLINGENDEN
SCHLÜSSE.
einfachung noch weiter, indem nur männlich voller Ausgang, ein- und zweisilbig, übrig blieb. Allein dies ist, wenngleich unsangbar, eine strophische Form: je 4 Reimpaare verbunden. Da gilt die schärfere Kadenzensonderung der Lyrik. Von der Masse der unstrophischen Reimpaare ist zu sagen, daß die klingende Form zwar bis zu Ende unsres Zeitraums in Kraft bleibt, ihre Hauptmitbewerberin aber, die männlich volle, mehr und mehr die Oberhand gewinnt. Die Bewegung geht bis auf Otfrid zurück (§ 495. 500, 3). Es gibt freilich Gegenbewegungen, auch beim einzelnen Dichter; aber ganz im großen genommen, weicht der klingende Typus: ich hitn gestriten söre zurück vor dem vollen: wie kän min iemer werden rät. Seitdem der welsche 8/9silbler hereinspielte, konnte er die Vorliebe für die zweite Form stärken; wir sahen, dieses welsche Maß kennt nur vollen, nicht klingenden Ausgang. Der volle Inhalt führt den deutschen Vers näher zum vierhebigen Jambus hinan; den J - X Schluß hört man immer wie eine Unterbrechung heraus, zumal seit im Versinnern einsilbiger Takt selten wurde. Aber unabhängig vom fremden Maße hatte der volle Vers einen Vorzug: er faßt mehr Sprachstoff; es läßt sich mehr in ihm sagen; die Reime treten sich weniger auf die Hacken. Daher fällt Wolfram mit seiner gedrängten Sprache merklich aus den Zeitgenossen heraus: bei ihm verhalten sich, nach Proben aus dem Parzival, die klingenden Verse zu den vollen wie 1 : 4 1 ). Am Anfang des deutschen Reimverses, bei Otfrid, fanden wir das Verhältnis 3 : 1 . Im Roland (nach 1130) ist klingend noch wenig in der Mehrheit. Nach Kochendörffer 2 ) sänke kein erzählendes Gedicht vorhöfischer Zeit unter 40 % klingender Verse hinab. Für Hartmanns zwei Legenden gilt ungefähr das Verhältnis 1 : 2. Gotfrid ist in diesem Punkte kaum moderner, d. h. ärmer an klingenden Schlüssen. Die Dichter der nächsten 50 Jahre bewegen sich im allgemeinen zwischen 35 und 20% klingender Verse. Die untere Grenze bezeichnen nach E. Schröders Angaben Ulrichs Frauenbuch mit 17,6%, Enikels Weltchronik (um 1280) mit 16,5% und Heinrichs von Neustadt Apollonius (nach 1312) mit 14,35%: der letzte schon in den jüngem Zeitraum hinüberführend 3 ). Die Unterschiede sind noch um 1300 beträchtlich. Auffällt, daß der Formkünstler K o n r a d von seinem Silvester über den Engelhart zum Spätwerk, dem Turnier von Nantes, zurückschreitet von 25% zu 44,8%: einer Zahl, die dem Geschlecht vor Veldeke entspricht und schon von dem Psalm des 10. Jahrh. erreicht wurde! Es können z. B. im Schwanritter 713 ff. acht klingende Paare aneinander schließen — was schon
A N - UND ABVERS.
DREIREIME.
135
der Stricker nur ganz selten zuließ (Hahn S. X I I I ) . Konrad ist in diesem für die Schallwirkung bedeutenden Punkte altertümlich; hierin ist er n i c h t der Abschluß der Reihe. Zogen ihn Gefallen am Klangspiel und Reimgewandtheit zu d e r Form, die die Reime in kürzeren Abständen bringt? Den unsanglichen Viertakter hat es dennoch von der klingenden Kadenz weggeführt. Was wir 'Knittelvers' nennen, diese Hauptform des Reimpaars in frühneudeutscher Zeit, besteht nur noch aus vollen Versen. ') Nach der Tabelle Noltes, ZsAlt. 5 1 , 125, bezeichnet dies die untere Grenze (in Buch I und V I ) ; Buch V I I - I X stiegen zu 2 4 % , Buch X - X V I zu 2 7 , 8 % klingender Verse, der Willehalm noch etwas höher. Also eine Zunahme, wie bei Konrad. a ) ZsAlt. 35, 291. Seinem Vorgang folgten viele Statistiken, man sehe E . Schröder, GGNachr. 1923, 34. Für die vorhöfische Zeit sind die Zahlen weniger verläßlich. Dem alten Reinharttexte schreibt Baesecke nur 22 % klingende Schlüsse zu (ZsAlt. 62, 258). Im Vorauer Alex, findet de Boor, Frühmhd. Studien 67, auch nur 3 3 % , im Straßburger dann eine Zunahme auf 4 0 % . Die w v Verse schlagen wohl alle zu den klingenden, so verschieden ihre Rhythmen sind (nach Lachmann heißen j a beide 'klingend'). Auch die stumpfen Verse sollte man von den mv trennen können. Wenn Erec und Iwein nur 31 bzw. 27 % klingender Schlüsse haben, liegt das wohl mit an der vhm. Häufigkeit der stumpfen. 3 ) Noch viel niedrigere Zahlen erreicht Herrand von Wildon (nach 1260) unter dem Einfluß von Ulrichs Frauendienst (s. o.): Schrödcr, a. a. 0 . 33.
30. Abschnitt: Der Bau der ritterlichen Reimpaare: Gruppenbildung; Sprachbehandlung; versgeschichtliche Stellung. 595. Unterscheidung des An- und Abverses durch ungleiche Typenwahl, auch nur in dem Grade wie bei Otfrid (§ 497), dürfte im mhd. Reimpaar kaum mehr vorkommen. Ob etwa schwerere Füllung den Anvers, Auftakt den Abvers vorzieht, diese und ähnliche Fragen hat man nicht untersucht. J e näher der Versbau dem glatten Auf und Ab kam, um so mehr verschwand die Möglichkeit, die Halbzeilen zu sondern; um so mehr wurde das Reimpaar zum gedoppelten Einzelverse (vgl. § 475). Der frühmhd. Brauch, D r e i r e i m e einzustreuen (§527), lebt fort, wenn auch nicht bei den Meistern des Versromans 1 ). Z. T. ohne Regel im Innern der Abschnitte stehn Dreireime bei Seifrid Helbling, im Passional. Als Abschnittschluß, und zwar durchgeführt, dienen sie in Wirnts Wigalois, in der Krone Heinrichs von dem Türlin. Die Abstände schwanken zwischen 9 und über 100 Versen. Gleichlange Gruppen zu 31 Kurzversen schließt mit Dreireim Ulrich von dem Türlin im Willehalm. Von ohrenfälligem Strophenba.u kann bei so langen, ungegliederten Reimpaarketten nicht die Rede sein.
136
REIMPAARSPRUNG.
Erstreckung ¿ines Reimklanges über zwei oder mehr Verspaare, schon bei Otfrid gelegentlich zu treffen, diese 'Anhäufung des Reims' dient nun ebenfalls bei Einzelnen zum Auszeichnen von Gruppenenden2). Koberstein 5 1, 1 1 7 f . ; Scherer, Deutsche Studien 49. In Hartmanns Erec, Wolfenbüttler Bruchstück, hat erst ein Abschreiber Dreireime eingeschmuggelt: Zwierzina, ZsAlt, 45, 3 l 8 f f . 2 ) VV. Grimm, Kl. Sehr. 4, 231 ff.; Seemüller, Sfr. Helbling L X X I I I .
596. Ererbt aus der frühmhd. Kunst (§ 527) war auch die Neigung, das Reimpaar syntaktisch zu lockern und zu überfluten; der Reimpaarsprung. Ein auffallend nahes Gegenstück zum Bogenstil der stabreimenden Buchverse § 361 ff. Den Namen Reimbrechung schöpft man aus Parz. 337, 26 rime (= Verse) beidiu samenen unde brechen (bald zusammenfassen, bald trennen). Es ging damit wie mit anderm: heimische Ansätze stärkte das welsche Vorbild1); auch Chrestiens Achtsilblerpaare waren von halbem Zeilenstil vorgerückt zu weitgehendem Bogenstil (Lit.-blatt 1908, I07f.).
Die Arten und Grade der Auflockerung sind mannigfaltig 2 ). Bei den deutschen Dichtern nimmt die Brechung nicht stetig zu, so wenig als bei den ags. des 8.-10. Jahrh. (§ 363). Auch nicht bei ¿inem Verfasser: Hartmann pflegt sie am wenigsten im Gregor, am meisten im Armen Heinrich. Bei Wolfram ist sie seltener als bei Hartmann und Gotfrid. Am weitesten treibt sie Konrad; in seinem 'Turnier' geht es folgerecht durch, daß stärkere Satzeinschnitte nach dem Anvers liegen, nach dem vollen Reimpaar nur, wo ein inhaltlicher Absatz hörbar werden soll3). Gotfrid hatte auch solche Absätze — innerhalb der Cantos — mitten ins Reimpaar gelegt. Die Wirkung ist die beim Stabreimvers beschriebene. Wie dort, sind nicht bloß die Schnittstellen verschoben, sondern der Umfang der sprachlichen Perioden kann freier wechseln als unterm Zeilenstil; wovon allerdings der kurzatmige Konrad weniger Nutzen zieht als z. B. Gotfrid. Mit der Probe aus dem Beowulf, § 362, kann man vergleichen Tristan 83i4ff.: Der wöl gemüote Tristan, 1 der greif dö wider an sin löben. | im wäs ein ander l£ben gegeben: | er wäs ein niubörner man. | ez hüop sich grste ümbe in an: | er wäs dö g&l ünde vrö. | künec und höf, die wären dö 3 ze slnem willen ger&t, |
REIMPAARSPRUNG.
137
biz sich diu veige unmüezecheit, 1 der verwäzene nlt, 1 der selten iemer gelit, 1 under in begünde ueben, 1 der herren vil betrieben O an ir müote und an ir siten, daz st jn der ören besniten O ünde der wördekeite, 1 die der höf an in leite O und äl daz lantgesinde. | si begünden vil swinde 3 rMen ze stnen dingen . . . | Zwar treten hier die fünf festen Bindungen alle nach dem neuen Grundsatz ein, über das Reimpaar hinweg. Aber sonst sind die Bindungsverhältnisse noch schmiegsam; mittlere, auch stärkere Kolongrenzen können, wie es der Augenblick mit sich bringt, an den Paarschluß fallen. 'Mit einer von Otfrid noch nicht geahnten Gewandtheit und Vielseitigkeit zieht sich der geschlängelte Lauf der Sätze und Perioden durch das rechtwinklige Netzwerk des metrischen Schemas hindurch' (de Boor, Frühmhd. Studien 57). Bei Konrad ist mehr starrer und einförmiger Grundriß; der Dichter d e n k t seine Sätzchen so, daß sie je den Abvers mit folgendem Anvers füllen; von dem freien Strömen des Heliand weit verschieden! Turnier 763ff.: Hie wurden ros gehouwen, 1 daz in daz vel betouwen O begunde von dem bluote röt, 1 daz in dur grimmecllche not O üz siten wart gedrungen. | riltche quam geswungen C : ein rotte her, diu ander hin. | ez galt der turnei under in O reht als der man ze velde fuor. | der wint durch eines kornes fluor O so tobelichen nie geswanc, 1 so balde durch die rotte dranc CT Richärt von Engellanden. | mit rosse und ouch mit handen O maht er im selber wlten rüm. | er spielt die schar, 1 alsam den schüm C; ein kiel zetribet üf dem mer. | sich huop von ritterlicher wer O vil hurteclich gedrenge. |
138
STROPHENSPRUNG.
KURZVERSSPRUNG.
Auch die niederländischen Reimpaare des 13. Jahrh. ziehen Bogenstil vor; von ihnen, eher als von den hochdeutschen, mögen es die niedersächsischen gelernt haben (vgl. § 593). Der unbuchliche Vers wird immer beim Zeilenstil geblieben sein, und dieser kommt dann in der bürgerlichen Dichtung, im frühneudeutschen Zeitraum, wieder ans Steuer. l ) Müllenhoff, Deutsche Vierteljahrsschrift 1852, 90; Bechstein, J b . f. nd. Sprachforschung 1884, 1 3 g f . s ) Sieh bes. Saran, Beitr. 24, 52ff., DVersI. unter Brechung; dazu Ritter, Die metr. Brechung in den Werken Hartmanns ( 1 9 1 3 ) und Konrads v. W. ( 1 9 1 6 ) ; Ludwig 1. c. 2off.; Vorstius und de Boor s. o. § 527 1 . Hss. mit Kolotomie grenzen das Reimpaar anders ab als den Kurzvers: Plenio, Beitr. 42, 286. 3 ) Zu Konrads Silvester s. E . Schröder, AnzAlt. 44, 132.
597. Bogenstil im S t r o p h e n b a u zeigt uns das Nibelungenlied. Die Vierlangzeilenstrophen, die der Kürnberger noch ziemlich im strengen Zeilenstil sang, gliedert unser Epiker freier, wechselnder, und sogar Strophensprung (§ 52) erlaubt er sich zuweilen. Man merkt, das ist von keiner Melodie mehr gezügelt. Herübergenommene Strophen aus der altern Nibelungenot geben sich u. a. durch ihren zeilenhaften, kantigem Bau zu erkennen. Draeger, Die Bindungs- und Gliederungsverhältnisse der Strophen des N L 1923. Strophensprung im Alphart: Jiriczek, Beitr. 16, 127t. Vgl. § 720. 830.
598. Viel weniger verbreitet als der Reimpaarsprung war der Kurzverssprung. Eine Kolongrenze im Versinnern schneidet tiefer ein als die am vorausgehenden oder folgenden Verschlusse. Stärkere und mitunter gehäufte Fälle liebt Wolfram: Willehalm 15, 4 und Htinas von Sänktes. | Ob ir mirs O gelöupt.i so wil ich zieren . . . Parz. 249,9 den Wäleis twänc der minnen kraft O swfgens. | K&e slnen schaft O üf zöch 1 und vrümte im einen swänc O anz höubet,i däz der h61m erklänc. Auch sein Nachahmer Ulrich von dem Türlin: Willehalm LIX 6: dem märkis si nu gär benäm Cr ängest, 1 dhz er wände sin 3 gar vri, 1 dö er die kunigtn O säch, der minneclichez schinen . . . Es ist eine Auflehnung gegen den Reim als starren Grenzbildner. Man sieht, Auftakt nach diesen überbrückten Versschlüssen meiden Wolfram und Ulrich nicht (vgl. § 559). Noch gewagtere, mehr der Reimnot erwachsene Kurzverssprünge im Welschen Gast, z. B. 9439 wan ich kan nfht ersahen,• wäz O ünserm h£rrn gevalle bäz; bei Seifrid Helbling, z. B. III
SPALTUNG DES KURZVERSES.
DAS HIMILRICHE.
139
288 und die gebären schärlach àn C: truegen, dàz geviel mir wól1). Die Geschlossenheit des Einzelverses aufzulösen durch den Satzbau, das kannten auch (jüngere) Eddastücke, § 352, doch weit weniger planvoll. In gleicher Richtung wirkt, auch ohne Verssprung, die Aufteilung des Kurzverses auf zwei R e d e s t ü c k e . Eine im altheimischen Stile unvorstellbare, die Stichomythie übersteigernde Zerkleinerung der metrischen Glieder. Man hat dies den Franzosen abgelernt. Üppige Beispiele schon in Eilharts Tristan (Beitr. 41, 518): 7 2 2 7 'je si ttìt ?' 'jà, in trtìwèn'. 'sine darf', 'doch, sì is in rtìwèn'. 'umbe wäz ?' 'du wéistiz wól, umbe wäz'. . . Martin, Wolframausgabe 2, L X X V ; Saran, DVersl. 268f.; K a u f f m a n n , DMetr. § 1 4 2 ; Ranke, Sprache und Stil im WGast 8 8 f . ; Seemüller, Sfr. Helbling L X X I V f . — VVahnschaffe, Die syntaktische Bedeutung des mhd. Enjambements 1 9 1 9 (Palästra Nr. 132).
599. Schließen wir hier ein Gedicht an, das, wiewohl strophenlos und unsanglich, den gewohnten Rahmen des paarigen Viertakters eigenartig durchbricht. Es ist 'Daz himilriche', eine bayrische Dichtung von 378 Zeilen1) ; nach 1180, schon mit reinem Reim: danach ist zu bemessen, wie weit man in schwerer und leichter Taktfüllung gehn darf. Den Gedanken, wir hätten hier einen ersten Versuch in deutschen Hexametern vor uns2), konnte die Anfangszeile in der Tat nahe legen; bei der zweiten würde es schon hapern: Michil bis du 1 , herro got', unde lobelih harte; michil ist din chraft 1 üf dere himilisken warte.
Die vielen Auftakte im weitern und andre Umstände nehmen uns den Glauben, hier habe einer klassische Sechsfüßler auch nur versucht (vgl. den entsprechenden Einfall zu den stabenden Schwellversen § 240). Es war vielmehr die unklassische, hochmittelalterliche V a g a n t e n z e i l e , die dem Bayer vorschwebte: méum èst propositüm 11 in tabérna mòri (§743). Daher nimmt er den achttaktigen Rahmen und den überwiegend klingenden Schluß; für die Minderzahl der stumpfen Zeilen, mit pausierter achter Hebung, braucht es wohl kein eigenes lat. Vorbild. Aber freilich, den Rhythmus der Vagantenzeile verläßt er in einem sehr wesentlichen Punkte, und eben dies gibt seinem Werk die Ausnahmestellung3): er baut A c h t t a k t e r aus éinem S t ü c k . Nicht selten zwar bringt er einen Kolonschluß nach einsilbigem viertem Takte, und dann kann er das Vorbild mehr oder weniger genau treffen. So gleich in der Anfangszeile oder in:
140
DAS
HIMILRICHE.
87 £nnerhàlbe hábent si 1 sicherhèite grózè; 41 meres òder minnerès' sì näh dínem willen.
Noch deutlicher wird die innere Schwelle, wenn der Anvers, gegen das Vorbild, zweisilbig klingend, ein paarmal wohl auch stumpf, endet: 226 die ùns bi dínen gnadèn 1 sint gréht ze alíeme guotè; 107 dà zuo ne gebristèt 1 gláses nòh saphíris; 76 da ist der bézzìstè 1 , der súoziste waz 142 also des víures glánst dùrh daz wázzer liuhtè; 341 so wir iht getúon ^ wider dìnen huldèn;
mit Mittelreim: 17 sint élliu dínch be wäret
sint gliche gescháret /\.
öfter aber strömt es über die Mitte weg, und wir hören keine Langzeile aus An- und Abvers. Da wir manche Zeilen (a) so lesen müssen, werden wir auch in anderen (b) von gewaltsamem Herstellen der Innengrenze absehen: a) 207 122 215 372 109
vone gúotes willen, réhtere wérche, véstere dnedàfehtèn; diche vòn den alten buohmèistern vóre gesungen; noh wéiche entwichent dère wérltlìchen léidwèntè; waz die dónerblìche, wàz dei brinnènten lieht bediutèn; in dère witen ùmbevèrtè des hohstùolès.
b) 355 unde bletent slh dir diemùoticlichè ze fuozèn; 161 305 1S1 7
wázzer ùnde fiur sint schinich àn dem régenbògen /s ; ùnde gib mir, dàz ih àne dem júngisten mèrde; daz wir zem j ungís ten urtèile hàben sórgèn; dínere eren, diñes wistùomes Ist nicht zále /N
(damit vergleiche man Kauffmanns Messung, die die Innen schwelle erzwingt: dinère erèn,
diñes wístuomes Ist niht zále).
Deutsche Achttakter aus éinem Stück kennen wir sonst aus dem Minnesang, zuerst bei dem Bayer Albrecht von Johansdorf (§ 795)- Nach Zeit und Heimat ginge es an, daß sie unsern Geistlichen anregten, die Vagantenzeile ohne Innengrenze nachzuformen. Bei dem selbständigen Versuche liefen ihm auch Verse mit der Grenze unter, gewohnte zweiteilige Langzeilen. Da und dort wird seine Taktfüllung holprig; die drei Zeilen 125. 179. 314 haben übermagern Inhalt. Aber aus unsren Proben hört man, welch feierlich tiefatmige Verse dem Dichter gelangen. Die einsilbigen Takte heben sich oft ausnehmend wirksam von den zweisilbigen ab, wie in Z. 215. 372. 181. 7 und in der besonders wohlgeratenen Zeile 355, die nach den 'gemischten Daktylen* der Lyrik klingt (z. B. §702). Nur verallgemeinere man nicht diesen
WOLFRAMS
TITUREL.
141
dipodischen Gang; die Gipfel mit Doppelmora stehn oft im geraden Iktus — darin ungleich den Titurelversen (folg. §). Es lebt viel kerndeutsches Gefühl in den Rhythmen des Himilriche. Schade, daß die unduldsamen Kurzen Reimpaare den vielversprechenden Ansatz darniederhielten! ' ) H g . v o n L e i t z m a n n , K l e i n e r e geistliche G e d i c h t e des 12. J a h r h . 20. D i e V e r s z ä h l u n g n a c h H ä v e m e i e r , D a z himilriche 1891. 2 ) W a c k e r n a g e l , D L i t . I , 3 4 9 ; H . F i s c h e r , Ü b e r die E n t s t e h u n g des N L . ( 1 9 1 4 ) 28. s ) D i e s ü b e r s a h e n F r . V o g t , P G r u n d r . 2 2, 273, u n d H e r t e l (0. § 522*) 7 3 f f . D i e d r e i v o n H e r t e l h e r a n g e z o g e n e n G e g e n s t ü c k e sind o r d e n t l i c h e L a n g z e i l e n m i t V e r s g r e n z e , s o g a r R e i m i m 4. T a k t e . A u c h die l y r i s c h e n A c h t t a k t e r , die w i r § 6 5 7 - 5 9 b e s p r e c h e n , sind a n d e r s g e a r t e t , n i c h t m i n d e r die des F r a u n E h r e n - T o n s § 7 7 9 . — A n d r e A u f f a s s u n g e n v o m H i m i l r i c h e bei V i l m a r - G r e i n § 5 3 ; H ä v e m e i e r a.a.O.; K a u f f m a n n , D M e t r . S . 6 1 ; S i e v e r s , M e t r . S t u d i e n 4, 182.
600. Wirklich verwandt mit dem Verse des Himilriche ist nur W o l f r a m s T i t u r e l . Also eine strophische, doch unsangliche Dichtung. D a finden wir das Entscheidende wieder: ein fest bleibender Taktrahmen füllt sich bald als einheitlicher Vers, bald als zweiteilige Langzeile. Darin steckt der Schlüssel zur Titurelform, so wenig jede Textstelle damit bereinigt ist. Der Taktrahmen ist: erst ein 8k, dann zwei 10k; zwischen diesen steht ein 6k gewöhnlichen Baues (§789). Unsre Drucke täuschen Schnitte vor, die keine Schnitte sind; bei Schriftbildern wie: 63,1 swer »ö minne h a t , d a z sïn 52,4 ich s a g e t e iu v o n ir k i n t l ï 24,1 S i g ü n e w a r t d a z k ì n t ge-
m i n n e ist g e v a ; r e ; cher m i n n e v i l Wunders, w a n d a z ez sich n a n t in der t o u f e [lenget;
hat man ein falsches oder gar kein rhythmisches Erlebnis. Das Spatiurn trennt hier Silben, die auch rhythmisch eng zusammenstehn. Genau wie im Himilriche haben die (8- und xohebigen) Zeilen dreierlei Füllung: 1. ohne innengrenze im vierten T a k t ; Verse aus éinem Stück; 2. mit einem Schnitt, der einen Anversschluß, k oder v, bezeichnen könnte, aber auch im einheitlichen Verse möglich ist; 3. mit einem Schnitt, der eindeutig Anversschluß ist, k oder v : einsilbiger vierter Takt. Beispiele zu 1: 5, I Ich w e i z wól, s w e n w i p l i c h e z l a c h e n enphaéhèt ; 100, 1 ouch wis g e m â n t , w a z mérs ù n d d e r lande Ich d u r c h s t r i c h e n ; 103, 78, 113, m ,
2 4 4 4
w ä w a r t ie b ó u m e s s t â m à n d e n éstèn s ö l ó b e l ì c h e e r z w i g è t ; des w ä r t sït P i r z i f â l à n S i g u n è n zer Hndèn w o l f n n è n ; und Ich diu r é h t e n m sére a l d î n e r sórge m i t der w a r h è i t b e v i n d è ; n u w â h s e t in m i n e swsére ein n l u w e r d ó r n , s ì t ich k l u s e sus à n dir p i n e ( o d e r : d ó r n , s ï t Ich a n d i r sus kluse p i n è ) ; 100, 4 des sòl ich àlles w i d e r dich g e n i e z è n : l à d i n e h é l f e s c h ó u w è n ; 55, 4 dés j à c h i m v i l der d u s c h e n d(et, als j à h e n ó u c h die w e r d e n h é i d è n .
142
WOLFRAMS
TITUREL.
Zu 2: 101, 1 du mäht mich wbl enstricken 1 von slözlichen bänden; 18, 1 sin w i p in ze rihter z i t 1 gewirte eines kindes; 65, 96, 32, 35,
2 4 2 2
minne k i n den alten 1 , den jungen so schuzlichen spannen; und h£t dich kn ir kindes stät 1 , als liep du ir noch bist und ie waaere; er kos si für des m i i e n blic 1 , swer si sach b i den töunäzzen b l ü o m e n ; s w a man b i ir jungen z i t 1 der fröuwen 16p sprach, so [ne] erhal niht so hilles.
Zu 3: 11, 1 dise ride horten ritter ünde frouwen; 112, 1 an lande ünde an liuten sprich wäz dir werre; 73, 1 diz was der anevänc ir gesilleschifte; 22, 4 er begünde sich des swirtes, h^Imes ünde schiites verzihen; 108, 4 e d i z si trost enphlenc; diu müose frouden sich anen; 16, 4 ünde ouch dürch der wibe Ion gizimieret giin der tjoste riten.
Zu 3 treten auch Fälle mit stumpfem Anvers (ähnlich wie im Himilriche); doch wohl nur in der 8taktigen ersten Zeile: 24, 1 Sigune wärt daz kint
genant In der töufe;
44, 1 al des grales diet
daz sint die erwilten;
60, 1 swa genade w6nt
da sol män si suochen.
Man hört das sprachgemäß Ausdrucksvolle und zugleich Abwechslungsreiche dieser Rhythmen. Nach unsrer Messung treten schwere Takte in den Langzeilen ebenso zurück wie in dem Sechstakter (dessen Betonung eindeutig ist), m e h r als in Wolframs Reimpaaren, und die unwahrscheinlichen zweisilbigen Auftakte der Abverse verschwinden. Am eigenartigsten klingt Nr. I, die Zeilen aus ¿inem Stück. Mitunter ist eine ganze Strophe so gebaut: 57
der sueze Schiönätulander genante, als sin gesillekeit in sorgen mänecvält in k u m e gemänte, do sprach er: Sigune W l f e n c h e , nu hilf mir, werdiu maget, uz den sorgen: so tuostu hilfecliche.
Solche Strecken erinnern besonders an das Himilriche. Ein Unterschied ist der: Wolfram dichtet zwar nicht als 'strenger Dipodiker', aber — wie unsre Striche andeuten — das v o r w i e g e n d e / w \ gibt das Gepräge; im besondern darin, daß Doppelmora kaum je in gerader Hebung steht 1 ). Das widerkehrende X I stellt die Strophen zu den 'gemischten Daktylen' der I J_ Lyrik, wenn wir diese im J - T a k t messen (§695ff.). Deren Zeitfall muß Wolfram angeregt haben. Daher die vielen einsilbigen Takte und das andre, was von des Dichters epischem Brauche abweicht. Darauf ruht das Getragene oder Sanftfließende dieser Verse. Die freie Behandlung der Innengrenze aber war aus den Daktylenliedern und überhaupt der Lyrik nicht zu lernen'2).
DEHNUNG VON
Eine schen als er schen
STARKTONKÜRZEN.
143
eigentümliche Verschmelzung germanischen und romaniStiles (Pohnert 66. 79) bedeutet der Titurelvers insofern, von der Silbenzählung noch weiter abliegt als seine lyriAnreger, die gemischten Daktylen.
') Dies hat Pohnert gut beobachtet: Prager Deutsche Studien 12, 65f. Seine Messungen 2 3 f f . waren ein großer Fortschritt; hätte er gleich noch mit den trügerischen Innengrenzen gebrochen! (91 ff.) Auch an der eingehenden Behandlung bei Atkins, German versification 138 ff., vermißt man das erlösende Wort. 2 ) Der Begriff'sprechmetrische Behandlung einer musikmetrischen Strophenform' (Plenio, Beitr. 4 1 , 58*) trifft die Sache nicht. Denn 1 . hat die Titurelstrophe nicht vorher im Gesänge gelebt, 2. hat der ad. Sprechvers keinen Hang, die Viertaktergrenze aufzulösen. Wie eine sangliche Form in ' sprechmetrischer Behandlung' aussieht, zeigen die Heldenepen, und die wahren bei allem Bogenstil die Anversgrenzen durchaus.
Sprachbehandlung. 601. Fragen wir, wieweit die höfischen Reimpaare den prosodischen Ansprüchen der deutschen Silben nachkommen. Es zeigt sich hier deutlicher als in anderen Zeiträumen, daß die Silbendauer dem germanischen Dichter weniger zu schaffen macht als die Silbenstärke (§82. 93). Dehnung einer Starktonkürze zur Doppelmora, der Verstoß von § 74: risen genöz; schaden gewän; himel dem . . .; käiner beschöut usf.: solche Fälle hat man zwar aus dem ganzen Zeitraum, von Hartmann bis Heinrich von Freiberg, beigebracht, freilich überall nur in recht vereinsamten Belegen1). Nun ist aber zu fragen: erstens, ob nicht stumpfe Versmessung oder Innenpause diese scheinbaren Dehnungen beseitigen; sieh die Beispiele in §571; zweitens, ob nicht die M u n d a r t des Dichters diese Silbenlängung schon vollzogen hatte (risen > risen; himel > h i m m c l usw.), so daß die Messung J _ >< X I -L. Parz. 748, 17 min gotinne Jünö X I >< x j k X I -L I A . Unwahrscheinlicher klänge mit seinem Dreiviertelswert Iw. 4862: diu tiure manunge = X I )< X I~kx j A . I Dem Bedürfnis der Mittelsilbe nach Hebung machte vielleicht schon der frühmhd. Vers das naheliegende Zugeständnis, daß er die Starktonkürze über einen Takt streckte: WGen. 62, 39b si wären spehäre; Hochzeit 247 mit siner mänünge; Ava 280, 15 wir hören alle stünde 11 vermainscimünge. So dann auch in den vorigen Zeilen: kuninge, gotinne: I J_ I X ; manunge: I / I v i ^ . Der Parzivalvers kann auch als: min g o t i n n e . . . gemeint sein, wie Trist. 4807 da diu gotinne Minne (vgl. 4868 der wirt, die niun wirtinne); in Konrads Troj. regelmäßig diu götinne (2021. 2229. 3116 u. ö.). Auch Ulr. Alex. 25894 vänt da güot wonünge? So treten bei dieser Silbengruppe sprachwidrige Dehnung und sprachwidrige Betonung in Wettbewerb. Schon der P r o s a ausspräche machte es Schwierigkeit, kurze Wurzel und kräftige Mittelsilbe zu vereinen; im Verse ging das nur vermöge der 'Synkope' X JL X . Rieger, Mhd. Verskunst 20f.; A. Siemsen (§ 578 1 ) 32ff.; vor allem Roethe, Berl. Sitz. 1919, 770ff.
602 a. Mag man nun mehr oder weniger von diesen Dehnungen ansetzen: sie verschwinden an Zahl und Gehörwirkung neben den Beugungen des natürlichen Wort- und Satztons. Hier scheiden wir freilich ein paar Gruppen aus, die man als sprachwidrig vorzuführen pflegt. Einmal die Starktöne in einsilbigem Auftakt: üf sprang er. . .; Wolfhärten . . . , sieh § 561. Sodann die Hebung von Silben, die in Prosa annähernd gleich stark sind wie' ihre Nachbarschaft: hie huop sich diu brtitlouft sä; sö muostü dich scheiden; der guote Rüal, der sprach dö, sieh § 568. 574. Weiter die Messungen wie: pfingest&i geteit; b&zer-
BEGRENZUNG
DER
145
TONVERSTÖSSE.
ten sich u. ä. (Lachmann, Zum Iwein 33), aber auch solche wie: gebietaerin; köstbaerlichiu; märcgraevinne; wissagünge; gelichteilünge; ünsaeligiu; höchvertlger; miteteilare (GPrundr. 81, vgl. Eehaghel, Gesch. d. d. Spr. 4 § 125). In all diesen Fällen erkennen wir keine störende, undeutsche Behandlung des Sprachtons, auch keinen Anlaß zu schwebender — die Prosaabstufung irgendwie verschleiernder — Versbetonung. Von diesen Gruppen sieht also das folgende ab. Unsicher ist endlich, wie weit die Menge der Messungen: unwdrt; untriuwe; unsch&nelich usf. zur Prosabetonung der Zeit und der Landschaft stimmte (Hammerich, Zur deutschen Akzentuation 44ff.). 603. Dann bleiben folgende Arten der Tonbeugung. Für Nr. 1 bis 4 können wir auf frühere Stellen verweisen. 1. Starkton in mehrsilbigem Auftakt: lobebrünnen vil begünde: §560. 2. Eine tonschwache, zumal vorgeneigte Silbe als Füllung eines Taktes: von sorgen geschäch; nu säget dem kunege; ünder der rosse zäl; si würden vil väste: § 569. 573. 574. 3. Rückgeneigter Nebenton ordnet sich vorangehendem Hauptton über; L 1 (_) wird zu X X (X): hantv£sten; einünge; rüm mächen; — höchvärt; Walther; üf stüont: §580. Die Härte der Tonbeugung stuft sich ab nach dem sprachlichen Gewicht der vorangehenden Hebungssilbe (§70). Kommt dieses Gewicht dem der gebeugten Silbe mindestens gleich, dann kann das Störende mehr oder weniger verschwinden: ein güot antwürte; Georg 5793 der den man an lachet; Trist. 5985 und daz fünfte jär In gle; Parz. 393, 29 dä er slnen wunden ärm In hlenc; Konr. Troj. 4008 daz swirt er mit der h£nde üf hüop. Merklich undeutscher wirkt Georg 3176 daz ist an mir schln worden hie; oder gar Trist. 11150 si begünden ime rüm mächen (wenn nicht weiblich voll!): das haupttonige rüm, das den Satz beherrscht und darum den Vers beherrschen sollte, zur Senkung geworden nach einer schwachen rückgeneigten Hebungssilbe! Der Prosarhythmus wäre etwa: n n ^ u C ^ w ' l ^ X . Vielleicht noch härter ist es, wenn im vorangehenden Iktus eine vorgeneigte Silbe steht. Dann ergreift das Tonverdrehen zwei Silbenverhältnisse: das _ ' ! ( _ ) der Prosa wird zu X X ^ ( X ) : d£r hantvesten (§ 580); Parz. 34, 14 si näm urlöup, dö glenc si däne (wenn nicht mit 2silbigem Auftakt); Konr. Troj. 3179 daz sin armüot ist worden cränc. 4. Rückgeneigter Schwachton ordnet sich vorangehendem H e u s l e r , Deutsche Versgeschichte II.
10
146
A R T E N DER
TONBEUGUNG.
Nebenton über; wird zu X X X : màrcgravèn; antwurtè. Sieh §580. 5. Vorgeneigter Schwach ton ordnet sich seinem Kolongipfel über: L wird zu X X . (Z. T . schon unter Nr. 3 vertreten.) U. v. Licht., Frauendienst 228, 27 daz mich noch dàz bat niemen säch. Zweimal nebeneinander: ib. 527, 1 und wie der ùnd der wärt erslägen; Prosafall: w >£x, zweisilbigen Takten;
AUSDRUCKSVOLLE
UND AUSGLEICHENDE
SPRACHMODELUNG.
157
das Auf und A b mit gedämpfter Abhebung von Haupt- und Nebenikten. Zu dieser zweiten Glättung hat der weltliche Vers der Franzosen geholfen. Der hatte gleichen Zeitfall wie Otfrids lateinisches Vorbild; er war auch ein vierhebiger Jambus. Ihm kam die Nachbildung des 13. Jahrh. viel näher als die des neunten. Aber diese Annäherung geschah schrittweise, ohne schroffen, einmaligen Bruch mit dem heimischen Erbe. Den Begründer des deutschen Reimverses hatte das fremde Muster ganz anders aus dem angestammten Gleise geworfen; er wechselte j a auch das Grundmaß und vertauschte den Stabreim mit dem Endreim. Das war ein Bruch. Ähnliches hat sich im ganzen deutschen Mittelalter nicht wiederholt. Die zweite Glättung, die der Ritterzeit, führte in einigem z u r ü c k zu den Formen Otfrids. Die hundert Jahre 1070 bis 1170 bilden einen Zwischenraum; ihr Vers hat Züge, die sich nach rück- wie vorwärts abheben: die buntere Füllung im allgemeinen, und im besondern die Innenpausen, die stumpfe und die weiblich volle Kadenz. Aber jenes scheinbare Zurücklenken erklärt sich genügend aus den innern und äußern Bedingungen des 12. 13. Jahrh., es nötigt nicht zu der Annahme, eine uns verlorene Dichtung habe den gebundeneren Versbau der karlingischen Geistlichen bis zur Stauferzeit fortgesetzt. 619. Ergänzen wir dies nach Seiten der S p r a c h s t i l i s i e r u n g . Die erste, altgermanische Stufe und in bescheidenerem Maße die zwischeninne, die frühmittelhochdeutsche, hatten zum Ziel das Steigern des Satzfalles. Das Glätten um 900 und das Glätten um 1200 bedeutete beidemal ein Ebnen der Prosarhythmen. Statt der sprechenden Vielfältigkeit will man harmonische Vereinfachung. Ähnliche Rhythmenfiguren sollen wiederkehren; sie legen sich wie ein Schleier über die sprachliche Kurve. Manche frühmhd. Versstrecke könnte man übertragen aus dem ausdrucksvollen ältern Stil in den ausgleichenden jüngern. Z B. die drei Zeilen der 'Erinnerung' in §55i: nu ginc dar, wip wolgetan . . . wie sin antlütze si gevar . . a wie sin här si geslihtet: die konnte der ältere Stil so modeln: w u l i l z \ t x \ k - w w l j l l f c x l f c x l * - " -L I*
1 5 8 AUSDRUCKSVOLLE UND AUSGLEICHENDE SPRACHMODELUNG.
Einem Gotfridschtiler läge diese Formung: Ik X I X I * X I k • • • xlkxltf xlfcxl*--x l ^ x l S c x l J- \k Von kenntlichen Satzumrissen kann zuletzt, bei Konrad, keine Rede mehr sein. Aber so weit drang fast nur er; was man um 1200 noch an Füllungstypen besaß, kam der Otfridischen Zahl mindestens gleich und diente wirksamer dem sprachlichen Ausdruck. Grundverkehrt aber oder zum wenigsten irreführend sind Schlagworte wie: der höfische Vers folge deklamatorischen, der vorhöfische nur rhythmischen Neigungen. Das eben angeführte Beispiel lehrt das Gegenteil. Unter •deklamatorisch' kann man, in unserm Zusammenhang, nur verstehn das nachdrückliche Modeln des Prosafalles. Dies eignet aber, unleugbar, dem ältern Verse in höherm Grade als dem ritterlichen. 'Rhythmisch', in Gegensatz zum Deklamatorischen gestellt (ein unguter Wortgebrauch), kann nur meinen die Versbewegung, die sich unabhängig vom natürlichen Sprachfalle durchsetzt. Solche ausgleichende Versbewegung hat in der ritterlichen Kunst v i e l m e h r zu sagen als in der frühern. Die beiden Stile lassen sich, wie wirs eben taten, als der ausgleichende und der ausdrucksvolle unterscheiden. Man vergesse nie, es sind Gradunterschiede! Auch das frühmhd. Reimpaar hat oft genug dem baren Gebote des Versrahmens gehorcht und ist dem Wunschbild der ausdrucksvollen Steigerung nicht immer gleich nahe gekommen! 620. Neben dem etwas stockigen Singsang der ahd. Zeit und dem entfesselten Sprechvortrag des Roland und Rother (§ 550) vertritt das ritterliche Reimpaar eine neue, dritte Weise, die der höfischen Unterhaltung, einen stilisierten Plauderton, der sich nicht in die Brust wirft, nicht schreit. Dieser Vortrag begünstigte die Satztonebnung und verleidete den feineren Meistern mehr und mehr die eifrigen Ausdrucksrhythmen: die gedrängten und später die einsilbigen (beschwerten) Takte. Wir wogen ab, wie hier welscher Einfluß unmittelbar und auf Umwegen wirkte; .wie seelische, sprachliche, vershafte Antriebe einander förderten (.§ 6 n f . ) . Sanglich wird man die Menge unsrer Reimpaare nicht nennen — trotz ihrer Glätte; schon ihr Bogenstil steht dem entgegen. Sie verzichten ja auch auf Wettstreit mit dem innern Versbau der Lyrik (§ 555. 615). Ein Hinstreben zur P r o s a kann man dieser Dichtung wohl in Wortschatz und -Stellung nachsagen, nicht im Metrischen.
KÜNSTLERISCHE
WERTUNG.
159
Das Auf und Ab bedeutete doch eine engere Stilisierung der Prosalinien; und dann die zunehmenden Freiheiten gegenüber dem prosaischen Tone! 621. Nach all dem Gesagten versteht man, daß die k ü n s t l e r i s c h e W e r t u n g dieser Verse sehr ungleich ausfallen konnte Der Gegenstand hat wirklich zwei und noch mehr Seiten! Wir entscheiden nicht, wer recht und wer unrecht hat: wir versuchen nur, was bei der Einschätzung mitspricht, sachlich zu bestimmen. Zunächst wird man sagen dürfen: das kurze Reimpaar, so wie es der Ritterroman handhabt, ist eine kleine Form, äußerlich und innerlich. Am Grundmaß liegt das noch nicht: die Viertakter des Arnsteiner Marienlobs und der Litanei in § 551 haben ihre Größe; aber die dürfen so viel mehr Sprachmasse aufnehmen: das macht sie gewichtiger und kontrastreicher; und sie dürfen den Satzfall so viel hemmungsloser heraustreiben. Bei den Füllungsschranken der Ritter wirkt der Einzelvers klein; der Reim schneidet in kurzen Abständen in die rhythmische Kette ein, namentlich bei klingendem Schlüsse (§ 594): da droht der Eindruck des Spielerischen, des Leierhaften. Diese Versart, die sich auf Veldeke beruft, hat keinen tiefen Atem. In ihr können sich gesellschaftliche Tugenden ausleben; die angestrebte mäze. Die Beiworte fein, zierlich und sogar niedlich drängen sich auf. Leidenschaftlichen Inhalten verschloß sie sich nicht durchaus; man nehme den Tristan; aber zu gehörliaftem Ausdruck bringt sie die Leidenschaft nicht: Form und Inhalt fallen da auseinander. Die Dichter der ältern und der jüngern Nibelungenot wußten, warum sie für ihren großen Gegenstand die Langzeile wählten; ihre heroischen Strecken könnte man sich nicht umdenken in das metrum pusillum der höfischen Reimpaare (vgl. §732). 622. Ebenbürtig der bekannten Reimstrenge ist die Sorge falt im Rhythmischen. Es ist eine kunsthafte Versübung: viel wählerischer, empfindlicher, durchdachter gegenüber den Füllungsmöglichkeiten als alle früheren Reimer. Auch wo diese Höfischen den Sprachton kränken, tun sie's wohl selten aus Stumpfheit oder Leichtsinn: sie tun es, weil ihnen gewisse versrhythmische Ziele wichtiger sind. Es erinnert an das Verhalten unsrer Odendichter strenger Observanz. Konrad von Würzburg hat sich allmählich, wie Platen, folgerecht vorgezeichnet, wo er m i t und wo er g e g e n die Prosa gehn soll. Es ist, ohne Lob noch Tadel, eine gesittete, erzogene Kunst. Nachdem der ganze bisherige Reimvers ungepflegter, formschwächer gewesen war als der Vers im Hildebrandslied oder im
i6o
VELDEKES 'RICHTIGE VERSE'.
Heliand, erscheint jetzt ein Handwerk, an Formhaltigkeit dem epischen Stabreimvers wohl an die Seite zu setzen. Nur geht der Formwille in zu ungleicher Richtung, als daß man genauer abschätzen könnte. 623. War diese Verfeinerung ein Glück für den Vers ? Die Zunft selbst bejahte dies, und Gegenstimmen werden nicht laut. Der wiederholte Preis Veldekes nimmt bei Rudolf von Ems, einem Enkelschüler, die bestimmtere Wendung, daß Veldeke als erster Nichtige Verse' gemacht habe (in Rudolfs Alexander Buch II, MS. 4, 866): Von Veldich der wise man, der rehter rime alrerste began . . . Dies erinnert daran, wie man später Sebastian Brant und Opitz als Neuerer pries: dem deutschen Verse gab man gern dann gute Noten, wenn er recht ausländerte. Über Veldekes Versrichtigkeit denken wir ja heute etwas anders (§ 569)- Daß die höfische Verfeinerung ihre Nachteile haben konnte gegenüber der frühmhd. 'Kraft' und 'Markigkeit', geben auch solche zu, die nicht, wie Goedeke, in dem Eneit-Übersetzer den Verderber der deutschen Poesie und, wie Richard Benz, in den Reimpaaren des ritterlichen Jahrhunderts eine Ungeheuerlichkeit sehen1). *) Fr. Vogt, Mhd. Lit. s 106; Schneider, DLit. 250; Benz, Die deutschen Volksbücher gl. (1913).
624. Worauf es ankommt, sind die zwei Punkte, der vers- und der sprachrhythmische. D a z u bekennen sich heute wenig deutsche Metriker mehr: daß starre Füllung an und für sich wertvoller sei als freie, der romanische Grundsatz wertvoller als der germanische — a u c h in germanischem Sprachstoffe! Wenige werden Konrads Vers über den der drei Klassiker stellen und wünschen, er hätte noch die letzten Schritte zu Opitz hin getan. Die Bewunderer des höfischen Reimpaars halten sich mehr an die Stufe, auf welcher Gotfrid steht. Daran loben sie — nicht das Gleichmaß, sondern den Reichtum, die Ausdrucksfähigkeit, die wirksamen Freiheiten des Hersagers1). Mit Recht; denn als Maßstab legen sie unsern Jambus an. Stellt man sich auf die andre Seite, zu Heinrich von Melk und seinen Zeitgenossen, dann dreht sich die Sache um: Reichtum, Ausdrucksfähigkeit, wirksame Freiheiten, das ist bei den Rittern zurückgegangen. Sie haben es so gewollt. Engere Auswahl aus der naturhaften Formfülle, dies z e i c h n e t den neuhöfischen Stil. Also vom frühmhd. Blickpunkt aus hätte man zu sagen:
V E R S - U N D SPRACHRHYTHMISCHE
SEITE.
I6I
daß sich die Ritter gar geschickt einzurichten wußten mit den Resten des einstigen Reichtums. In der Tat, die Verbindung einer mäßigen Freiheit mit viel Kunstregel: dies ist es, was man mit Grund als die Tugend des Gotfridischen Verses preisen kann. In keinem andern Zeitraum hat sich diese Verbindung bei uns so eingestellt. 1 ) K r a u s , Metr. Unters. 160. 2 1 0 u. ö.; Roethe, Wege der deutschen Philologie ( 1 9 2 3 ) 10.
625. Dann die sprachrhythmische Seite. Wie hoch man diesen Vers einschätzt, wird davon abhängen: welchen Wert man legt auf gesunde Herausmodelung des Sprachtons. L e i d e t man unter dem Tonbeugen, überhaupt dem Verwischen des Satzfalles ? Oder empfindet man diese Dinge als gleichgültig — oder gar als Reiz ? Dieses zarte Verschleiern von Stark und Schwach, auch von Lang und Kurz; dieses 'Schweben' über zwei und mehr Silben . . . Die Freude am Welscheln! Gotfrid h a t t e sie sicherlich. Man muß sich als Versgeschichtler hineinfühlen können, so gut als in irgendwelche Liebhabereien der Kunst und der Mode. Es gibt nicht nur das feste, großschrittige Auftreten: es gibt auch das zierliche Trippeln, den Eiertanz. Daran erinnern diese Verse manchmal. Ihre 'zahllosen Feinheiten* bestehn zum Teil darin, wie der Sprachrhythmus nachgibt und sich in das Model einstreichen läßt, so daß es keine Wülste setzt. Auch hier wollen wir nicht über den Geschmack richten. Wir sagen nur: die 'natürliche Deklamation' dieser Verskünstler sollten die nicht so laut preisen, die den natürlichen Silbenfall ohne Zaudern drangeben, wo eine schwerere Senkung in Hörweite kommt. Unabhängig von aller Wertschätzung besteht die Tatsache: das Neue am höfischen Reimpaar war eine Entdeutschung des Versstiles. Denn das Deutsche in Sachen des Versbaues ist erstlich die zackige Linie, also die stark wechselnde Füllung des metrischen Rahmens, das Bauen mit sehr ungleichen Zeitwerten; zweitens, dadurch bedingt: Steigern des Prosafalles, nicht Ebnen oder Verbiegen. Beidem hat die bewußte Glättung, die von Veldeke auf Konrad geht, entgegen gewirkt. Wir wiederholen nicht, wie bei diesem zusammengesetzten Hergang der französische Vers mitwirkte. Sähen wir von dieser Triebkraft ab; nähmen wir die deutsche Dichtung rein beschreibend: auch d a n n zeigte sie uns erneute Angleichung an den romanischen Versstil — wie einst unter Otfrid, nur jetzt viel entschlossener und formbewußter. H eus 1er, Deutsche Versgeschichte II.
II
IÖ2
DIE
ENTDEUTSCHUNG.
626. Gegen den Ausdruck Entdeutschung könnte man einwenden: jener 'deutsche' Versgrundsatz sei vielmehr der (alt-) g e r m a n i s c h e ; gegen den habe der Reimvers von Anfang an gestritten, und das Mittelding zwischen Germanisch und Welsch, das im ritterlichen Kunstverse erscheine, darin spreche sich eben das deutsche Formgefühl aus, eine kennzeichnende Weiterbildung und Sonderart des germanischen. Dagegen wäre zu sagen: daß doch bis an die Schwelle der Ritterkunst jener andre Formwille, mag man ihn germanisch oder deutsch nennen, kräftig zum Ausdruck kommt; daß ihn gewiß auch im 13. Jahrh. das unbuchliche Versemachen festhielt, und daß er später, bis auf den heutigen Tag, immer wieder einmal hervorgebrochen ist. Aus der Kunst Gotfrids oder gar Konrads dürften wir nicht ablesen, was deutscher Rhythmenstil im betonten Sinne heißen soll. Die Vehten rime', die der von Veldeke lehrte, waren welscher, als was im Formgefühl der Deutschen bestehn blieb. 627. Gäbe man sich einmal dem Gedanken und Wunsche hin, wie es hätte kommen k ö n n e n mit der Verskunst der altdeutschen Blütezeit: dann möchte man sich wohl ausmalen, die dichtenden Ritter hätten ihr Feingefühl weniger ans Ausgleichen gesetzt, sie hätten eine mittlere Stufe der Glättung, einen gebändigten Reichtum festgehalten. Die Menge der Füllungsformen erschiene, als berechtigte Ausdrucksmittel, auf Gedanken und Stimmung abgetönt. Sprechende Versrhythmen wie jenes Hartmannische lanc, schärpf, gröz, briit wären in Ehren geblieben, desgleichen an ihrem Orte die gedrungenen Takte, die langen Auftakte, denen so viel zeichenhafte Gebärde innewohnt. Kurz, die ganze unjambische Formenfülle, die keinen Kampf mit dem Prosafall führt, weil sie sich dem deutschen Sprachstoffe anlegt wie ein wohliges Kleid, nicht wie ein Plattenpanzer. . . Warum konnte der Vers des Tristan nicht werden wie der in Künstlers Erdewallen — ? Die Frage ist müßig, o b es so gekommen wäre, w e n n diese ganze Gesittung, auf allen Gebieten, weniger im welschen Kielwasser geschwommen hätte. D i e s hätte gewiß nicht im Bereich deutschen Formensinns gelegen: die mannigfachen Füllungstypen, wie sie das Geschlecht vor Veldeke noch besaß, auszubilden zu klar gesonderten Versarten; zu einer Mehrheit von Metra, worin leichte und schwere Takte ihre gewiesene, gegensätzliche Verwendung erhielten. Also eine Abspaltung von Arten, nicht gleich, aber vergleichbar mit dem, was altnordische Skalden aus dem germanischen
E I N H E I T VON DICHTUNG UND TONSATZ.
163
Stabreimerse machten; auch sie angeregt durch fester kristallisierte Formen des römischen Kirchengesangs. Wilmanns in seinen Beiträgen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 3, 142 hat den Gedanken gestreift und mit Recht gesagt: eine solche Auswahl und Festlegung der Rhythmenfiguren hätte ein formfroheres Volk vorausgesetzt. Aber bedenken wir doch: von den gesprochenen Reimpaaren, die ein bequemes Gewand der breiten Erzählung und Lehre sein sollten, wäre billigerweise diese Formensonderung nicht zu erwarten. Die s a n g l i c h e Kunst der Deutschen aber, die hat in einem Teile ihres Gebietes, in den planvoll gemischten Daktylen, eine wahrhaft formfrohe Gestaltung des innern Versbaues erlebt.
31. Abschnitt: Der Bau der sanglichen Verse: Wort und Weise. Der Auf und Ab-Vers. 628. Seit der Mitte des 12. Jahrh. läuft neben den gesprochenen Reimpaaren eine gesungene Dichtung in deutscher Sprache: die Lyrik im weitern Sinne, bestehend aus Lied, Spruch und Leich; zum Teil geistlichen, zum weit größern Teile weltlichen Inhalts: die vorherrschende Gruppe der Minnesang. Seit dem Ende des 13. Jahrh. geht es ohne scharfe Grenze über in den Meistersang des nächsten, frühneudeutschen Zeitraums. Diese altdeutsche Lyrik ist viel formhaltiger als die Sprechdichtung, und die fremden Einflüsse, lateinische und welsche, zeigt sie viel greifbarer. Dies rückt sie weiter ab von den heimischen Überlieferungen vorritterlicher Zeit. Lied, Spruch und Leich waren für Gesang bestimmt. Die Dichtung entstand als Musiktext: wort und wise (dön, gedcene) hatten in der Regel denselben Urheber; der Dichter war zugleich Tonsetzer und Sänger seiner Gedichte. Text und Melodie standen in dem Bündnis, das unsrer neueren Kunstlyrik fremd geworden ist (§28f.): Widerstreit zwischen dem gesprochenen und dem gesungenen Zeitfall, dem des Dichters und des Vertoners, gab es nicht. Das sangbare Stück lebte von Anfang an als gesungen. Wohl hat es sich auch als Lesetext verbreitet: unsre kleinen und großen Handschriften entbehren ja meist die Noten. Da begnügte man sich eben mit dem Schatten — dem Inhalt — des Kunstwerks. Ein Ablesen von Wort und Weise wird der Lichtensteiner meinen, wenn er von seiner Schöpfung sagt: der leich vil guot ze singen was: manc schceniu vrouwe in gerne las (Frauendienst 426, 4). D a z u kam es schwerlich, daß geübte Deklar a t i o n den Gesang ersetzte. Wollen wir die Form des Minne11*
164
CHORALE NOTEN.
RHYTHMISCHE ZWEIFEL.
sangs würdigen, so müssen wir immer die Sangesweise dazu denken. 629. Bei dieser Sachlage hätten wir den Rhythmus aus der Melodie abzulesen (§28). Leider sind wir nicht so gut gestellt! Nicht nur daß Melodien aus der Blütezeit spärlich sind; erst die große Jenaer Handschrift um 1330 bringt reichliche Weisen zu späterer, vorwiegend lehrhafter Lyrik. Was die metrische Deutung hindert, ist die Art, wie die Weisen geschrieben sind. Es ist die 'Quadratnotenschrift', allgemeiner: die 'choralen' Noten. Die weichen in Deutschland erst nach 1400 den 'mensuralen\ Jene älteren bezeichnen nur die Höhe, nicht die Dauer der Töne. Für den Rhythmus aber käm es auf die Dauer, die Zeitwerte an! Wohl beleuchten jene zeitlosen Zeichen den Strophenbau, sofern sie planvolle Wiederkehr gleicher Tonstufen, Höhenfolgen bieten. Aber den Zeitfall verraten sie nicht. Wie ungleich man altprovenzalische Notentexte rhythmisch ausdeuten konnte, zeigen die Proben bei Lommatzsch, Provenzalisches Liederbuch ( 1 9 1 7 ) 4i7ff. Wir müssen den Zeitfall a u s d e m D i c h t e r w o r t erschließen. Das wäre aussichtslos, wenn er so frei zu seinem Texte stände wie in unsern Arien oder vielen unsrer Kunstlieder. Nun ist aber das Verhältnis m e h r mit unsern Kirchenchorälen zu vergleichen. Bei denen kann man ja, ganz im großen genommen, den metrischmusikalischen Zeitfall aus dem Texte ablesen. Auch der Minnesang kennt enge Beziehungen zwischen wort und wise; die Musik ist, rhythmisch betrachtet, das Spiegelbild des Textes —seine 'Dienerin' würden wir sie nicht nennen, eher seinen Zwilling. So läßt schon die Folge der betonten und unbetonten, der langen und kurzen Silben viel Schlüsse zu. Dennoch bleiben mehr Zweifel, als uns lieb ist! Sie fangen beim Taktgeschlecht an (§ 635). Auch auf Hebung und Senkung erstrecken sie sich nicht so selten. Noch mehr plagt uns die Unsicherheit, wo wir dem Versschluß eine Pause, eine Fermate, wo wir dem Versinnem eine Dehnung geben sollen. Daran hängt die Zeitmessung, der Umriß dieser Strophen! Denn reicher als die Rhythmen unsrer Kirchenlieder waren diese alten schon; es gab m e h r , was in das Auf-ab-auf nicht einzufangen ist. Wobei wir n i c h t an die bedingte Silbenzählung und die gelegentlichen Unebenheiten des Taktinhalts (§ 634) denken! Vgl. § 714. Soviel gilt uns als sicher: diese Lied- und Spruchweisen, einstimmig, ohne akkordische Grundlage, glichen hierin zwar der Gregorianischen Kirchenliturgie; r h y t h m i s c h aber waren sie etwas anderes als dieser 'cantus planus': kein taktfreies Rezitativ, sondern metrisch-liedhaft gegliedert, so daß die Frage auch nach
ZEITSTUFEN
DER
LYRIK.
165
dem Taktgeschlecht zu stellen ist. Für gleichstrophige Texte von überwiegend starrer Silbenzahl wäre dies nicht anders zu erwarten; auch haben die Reigenlieder grundsätzlich gleichen Bau wie die nur gesungenen1). Wie streng der Sänger den Takt hielt, kann der metrischen Betrachtung gleich sein; denn mit diesem Unfeststellbaren hängen die gelegentlichen Freiheiten der Taktfüllung nicht zusammen. Unterschiede im kleinen wie im großen, in Taktfüllung wie Gruppenbau, bestehn zwischen den drei Hauptarten: Lied, Spruch und Leich. Der Leich hebt sich von den beiden anderen eindeutig ab; zwischen Lied und Spruch können wir eine feste Grenze nicht ziehen. *) W i e a l l e s , so wird auch der T a k t der Minnelieder zur Abwechslung mal wieder bezweifelt. Den gedankenblassen Syllogismen v o n Jammers, Zs. f. Musikwiss. 7, 265ff., gewinnt man schwer ein rhythmisches Erlebnis ab. Die Hauptquellenwerke führen wir mit den A b k ü r z u n g e n a n : M F = Des Minnesangs Frühling (hg. von Lachmann und Haupt), neu bearbeitet von Fr. Vogt 4 1923; MS = Minnesinger hg. von F. H. von der Hagen 1838; Heidi, = Die große Heidelberger Liederhandschrift hg. von P f a f f 1909; J e n L = Die Jenaer Liederhandschrift hg. von Holz, Saran und Bernoulli 1901; D L = Deutsche Liederdichter des 12.-14. Jahrh. hg. von Bartsch, 7. A u f l . von Golther 1914; SchwM = Die Schweizer Minnesänger hg. von Bartsch 1886; C B u r . — Carmina Burana hg. von Schmeller (2. A u f l . 1883). Ein Stern vor Dichternamen oder Zahl bezeichnet ein unechtes oder angezweifeltes Lied.
630. Zeitlich ergeben sich für die lyrische Verskunst folgende Stufen. Auf der Frühstufe stehn etliche Namenlose MF I und S. 259; die Strophen des Kürnbergers und des ältern Spervogel, MF. II und VI S. 22-29; einiges unter Dietmar von Eists Namen MF. VII. Benachbart der Frühstufe ist das übrige unter Nr. I-VIII. Von der entwickelten Lyrik unterscheiden sich diese Gebilde fünffach: durch den freiem Reim; durch die freiere Taktfüllung; durch den Bestand an Versarten; durch den Gruppenbau (mit Einschluß der Reimstellungen); durch die vorherrschende Einstrophigkeit des Liedes (Spruches). Von diesen Seiten her gewinnt man Anhalte für die Datierung. Das meiste dieser Gruppe gehört dem baiwarischen Südost. Süd- oder nordfranzösischen Formeinfluß gibt die eigentliche Frühstufe noch nicht zu erkennen. Wohl aber ist mit dem Vorbilde der lateinischen Lyrik zu rechnen: der geistlichen und der weltlichen (Vaganten-, Goliardenlieder). Diese lateinische, zwischen völkische Sangeskunst hatte schon v o r der deutschsprachlichen, seit etwa 1100, einen beträchtlichen Formenreichtum ausgebildet. Dann folgt eine Gruppe von Lyrikern zumeist aus dem Westen, tätig etwa 1170-90. Die schließen sich verhältnismäßig eng an
i66
ZEITSTUFEN
DER
LYRIK.
an die Formkunst der provenzalischen Troubadours, der französischen Trouvères : in Zeilenarten und Gruppenbau (Reimstellung), bedingt auch im innern Versbau, obwohl der Taktfüllung noch einiges von der ältern Stufe anhaftet, wie auch der Halbreim noch nachwirkt. Hauptvertreter die Franken Heinrich von Veldeke, Friedrich von Hausen, der Alemanne Rudolf von Fenis. Man spricht von einer 'welschen Schule'; wobei man an keinen schulmäßigen Zusammenhang im deutschen Lager, kein einheitliches Schulhaupt denken darf. Veldeke, in Gotfrids Tristan auch als Lyriker gepriesen (4726 wie wol sanc er von minnen!), hatte doch auf diesem Felde nicht die vorbildliche Wirkung wie auf die Reimpaare des Romans (§ 554. 623) : er steht an Einfluß zurück hinter Hausen ; an diesen schließt eine Gruppe mittelrheinischer Sänger an. Im Donauland sehn wir an Johansdorf und Rute den Bruch mit der Heimatskunst. Den Zenith der fremdländischen Formgebung bezeichnet der Thüringer Heinrich von Morungen. Wenn seine Glut diese Formen einschmelzt, daß wir sie wie eigenes erleben — : Tatsache ist doch, daß kaum der zwölfte seiner Töne halbwegs volkshaft zu nennen wäre. Bei seinem Altersgenossen, dem nach Österreich übergesiedelten Elsässer Reinmar ('dem alten'), lenkt es um. Sein Formenschatz hängt mit dem welscheren der Rheinländer nur lose zusammen; an eine mehr heimische Kunst, Fortbildung der baiwarischen Frühstufe, mag er angeknüpft haben. Die Lautreinheit des Reimes ist bei ihm und den folgenden durchgedrungen: in der Taktfüllung wahrt sich Reinmar noch Freiheiten. Dies gilt auch von seinem Schüler und Mitbewerber Walther von der Vogelweide (dichtete bis 1230). Sein Formenreichtum umspannt Heimisches und Fremdes, Schlichtes und Kunstvolles •— und hat doch vieles ausgeschieden, wie jene gemischt daktylischen Töne, mit denen Morungen bezaubert. Die schweren, breit ausladenden Spruchformen ziehen bei Waither ein. Die nach-Walthersche Lyrik bringt den Daktylus selten mehr zu Ehren ; außerdem kennzeichnet sie die Neigung zu sehr kurzen und sehr langen Reimzeilen und damit eine Vermannigfachung der Strophenbauten bis zum Form- und Reimüberladenen. Aber eingängige, volksmäßigere Töne gehn daneben her; der alte Viertakter erklingt wieder häufiger als bei den Meistern um 1200. Kopie welscher Gesätze begegnet seit Morungen nicht mehr. Hauptvertreter: Neidhart, Wintersteten, Neifen, Lichtenstein, Konrad von Würzburg. Burdach, Reinmar und Walther 35ff.; Plenio, Beitr. 42, 280; 43, 97ff.; Kraus, Die Lieder Reimars des alten 2, 57f., H. v. Morungen (1925) 112; Brinkmann, Entstehungsgeschichte des Minnesangs (1926), bes. 131 ff. Höher hatten
A B S T A N D DER L Y R I S C H E N VON D E R EPISCHEN F Ü L L U N G .
167
Veldekes Bedeutung angeschlagen W. Wackernagel, Afrz. Lieder 200ff., und namentlich Bartsch, Germ. 2, 269, D L X X X V I I I .
631. In diesem und dem nächsten Abschnitt beschäftigt uns der 'innere Versbau' der Lyrik: die Grundsätze der Taktfüllung nebst der Sprachbehandlung. An die Frage der Taktzahl müssen wir dabei schon rühren, auch an einiges vom Gruppenbau; im ganzen bleibt dies den Abschnitten 3 3 — 3 7 aufgehoben. Die ad. Lyrik kennt gegensätzliche Arten der Taktfüllung: lauter einsilbige Innentakte; lauter dreisilbige; dreisilbige in geregeltem Wechsel mit zwei- und viersilbigen. All das ist den gesprochenen Reimpaaren fremd. Die kennen nur ¿ine Füllungsart, die in Abschnitt 29 betrachtete. Wir sahen, diese Füllung ist mannigfach genug: von Vers zu Vers, auch nach den Zeiten und den Dichtern. Aber dieses bunte Vielerlei besteht aus Augenblicks- oder Gelegenheitsformen; es ist Ausdruck einer Art: der füllungsfreien Art, die von einer gewissen Zeit an hinstrebt nach dem glatten Auf und Ab und bei einigen Dichtern diesem Ziele nahe kommt. Diese selbe Art beherrscht auch die Hauptmasse der Lyrik. Nur mit dem Unterschiede, daß die Freiheit schon auf der Frühstufe beschränkter ist, und daß man zu dem Ziele, dem glatten Auf und Ab, der Silbenzählung, viel früher und viel entschiedener vordringt. Im Blick auf dieses Ziel kann man diesen Versbau den alternierenden, den Auf und Ab-Vers, nennen. Ihn haben wir zuerst zu betrachten. 632. Schon der Vers des Kürnbergers ist gezähmter als der der Kaiserchronik oder der Litanei. Das erklärt sich auch ohne erneute Einwirkung der Lateiner: aus den Bedürfnissen des Gesanges. Immerhin kennt diese Frühlyrik die Füllungsfreiheit in allen drei Versgegenden: freien Auftakt, wechselnde Innentakte, wechselnden Schluß. Epische und lyrische Regel unterscheiden sich erst gradmäßig; die lyrische Versfüllung hat sich noch nicht als Sonderart abgespalten. Im Wegbessern dieser altertümlichen Züge ist man mit der Zeit zurückhaltender geworden, aber noch nicht genug 1 ). Man bedenke, daß unsren Abschreibern aus Hadlaubs Tagen der g l a t t e Vers der gewohnte war; ihnen h ä t t es näher gelegen, die altvaterischen Höcker abzuhobeln als sie zu vermehren (s. § 20. 168). Die überlieferten Freiheiten, auch in der Kadenz, sind das, was die Versgeschichte jener Frühstufe zutrauen kann 2 ). Dann aber wuchs der lyrische Vers schnell in die silbenzählende Glätte hinein. Schon vor 1200 h a t er den epischen Brauch so
I68
A B S T A N D D E R LYRISCHEN VON D E R EPISCHEN
FÜLLUNG.
weit überholt, daß bei Veldeke und bei Hartmann der Abstand groß ist zwischen Reimpaar und Liedzeile. Der sangliche Vers hält da also nicht das geschichtlich ältere fest: seine Glätte ist das nachweisbar jüngere (§29). In den Jahrzehnten von Hartmann bis Konrad von Würzburg wird dieser Abstand wieder kleiner. Denn die Lyrik kann über die Glätte von 1200 wenig mehr hinaus — die Sprechdichtung macht noch die uns bekannten Fortschritte. Liest man Konrads Viertakterstrophen, z. B. Nr. 3 (E. Schröder, Kl. Dichtungen 3, 19), so ist das rhythmische Erlebnis recht ähnlich wie bei seinem Schwanritter, von den fehlenden Auftakten und weiblich vollen Schlüssen abgesehen. l ) Sieh in Vogts Bearbeitung von MF unter anderm die 5. Kürnbergerstrophe, deren 2. Hälfte umgedeutet wird in alternierende Verse viel moderneren Maßes: dés gehâzze g6t den dinen lip usw. Sie füllt zwar das Kürnbergermaß sehr ausdrucksvoll, aber mit Freiheiten, die in einem zu engen Fachwerk keinen R a u m finden. 2 ) Plenio, Beitr. 42, 447®, preist die Überlieferung Kümbergs und Spervogels. Man lese Sarans Wort nach über ungeschichtliche und papierene Textbehandlung, DVersl. 278 f.
633. Also die Lyrik hat in drei, vier Jahrzehnten eine Stufe erstiegen, die das epische Reimpaar noch 100 Jahre später nicht erlangt hat. Diese rasche Entwicklung bedeutet Annahme des romanischen Rhythmenstils; das welsche Vorbild steht dahinter. Wenn das Vorbild hier so viel durchgreifender wirkte als im Reimpaar, kann das nur an den Melodien liegen. Deutsche hörten und lernten welsche Weisen. Und die Weise erzog zur Auf und Ab-Füllung. Dazu gezwungen hätte freilich nur ein Tonsatz mit starrer Notenzahl, éine Note auf jede Silbe ('syllabisch'). Und von d e r Art war diese Musik nicht; sie liebte Melismen (Ligaturen, Koloraturen), d. h. mehrere Töne auf éine Silbe. Da hätten Takte und Auftakte von schwankender Silbenzahl den Tonsetzer nicht angefochten, so wenig als im heutigen Volksliede: eine kügel kàm geflôgèn singt sich ohne weiteres auf die selbe Melodie wie: ich hâtt einen kàmerâdèn. Nötig war also, daß man die welschen Weisen mit und an silbenzählenden Texten kennen lernte. Die silbenzählende Glätte war auch aus l a t e i n i s c h e n Liedern zu lernen. Bemerkenswert ist aber, daß nicht wenige derselben, so in den CBur., unfeste Silbensumme zeigen. Man hat d a auf deutsche Verfasser geschlossen; die folgten ihrem angestammten Versgefühl auch in der fremden Sprache; 'altdeutsche Rhythmik in lateinischen Versen' gibt es im 11.-13. Jahrh. wie einst im 8. und 9. (§ 473). Sieh W. Meyer, Ges. Abh. 1, 25off., GGNachr. 1908, 72f.; Lundius, ZsPhil. 39, 4Öoff.
A R T DER DEUTSCHEN
SILBENZÄHLUNG.
169
634. Silbenzählung im strengen Sinne, wie bei den Romanen, wurde es bei den deutschen Lyrikern allerdings nicht, oder doch erst spät, z. B. bei Konrad von Würzburg. Bis dahin duldete man die dreisilbigen Innentakte I\L>wX I; auch I ! mit leichten Senkungssilben (§ 638). Vollends die zweisilbigen Schlüsse mit gelten in unserm ganzen Zeitraum, wenn auch nicht bei allen Dichtern, gleichwertig den einsilbigen auf L (§ 650) ; wogegen Spaltung der Auftaktmora früher veraltet. Es kann also ein Dreizehnsilbler : *wider édel gestéine der kiinec enbréhe den jambischen Achtsilbler ablösen u. dgl. m. Es ist ein bedingtes, der germ. Lautform Rechnung tragendes Silbenzählen, wie wir es ähnlich bei den nordischen Skalden trafen (§ 393). Davon abgesehen, erscheinen g e l e g e n t l i c h e A u s n a h m e n von der alternierenden Glätte noch in der Zeit der vollentwickelten Kunst: hier einmal ein Durchbrechen der Auftaktregel; da einmal ein einsilbiger, ein schwererer Innentakt. Die Sprüche erlauben sich etwas mehr als die Lieder und Leiche; ihr Sangesvortrag mag anders gewesen sein; hängt es damit zusammen, daß sie romanischem Strophenbau ferner stehn ? Wieweit man nun diese Seltenheiten, auch im Liede, als Schreiberverderbnis nehmen oder dem Dichter zutrauen soll, das will von Fall zu Fall erwogen sein, und oft wird das Urteil abhängen vom Gefühl, sagen wir von der künstlerischen Weltanschauung des Kritikers: ist auch dem formstrengen Künstler seine Formregel nichts Unbedingtes? Man steht da vor ähnlichen Skrupeln wie beim Sprechvers (§ 556f.) ; doch geht die Unsicherheit weniger weit, weil der Gesangsvers die so viel strengere, eindeutigere Form hat. Wo die Frage lautet: Sprachbeugung oder ungewöhnliche Taktfüllung? wird im Gesangsvers die Antwort eher für das erste, zuungunsten des Sprachfalles, ausschlagen. Doch bleiben auch hier Zweifel, schon innerhalb des alternierenden Verses. Ein Herausgeber muß sich, soweit es das Schriftbild angeht, entscheiden: der Versgeschichte wird die Feststellung genügen, daß die 'Ausnahmen', die hier in Frage kommen, nicht kurzweg Fehler sein müssen, weder des Schreibers noch des Dichters; daß es Überlebsel sein können, ein Nachwirken der freiem Übung, die auf der Frühstufe in Kraft stand. Hat diese freiere Übung angedauert in der Unterschicht, bei den unhöfischen Spielleuten und bei den Liebhabern? Dafür spricht, daß das nachmalige Volkslied an die Füllungsgrundsätze der Kürnbergerzeit erinnert. Die Stücke volkstümlichen Klanges bei Neifen um 1250 (Haupt S. 44Ì) sind doch immer
170
TAKTGESCHLECHT.
Kunstdichtung, sogar das Büttnerlied mit seinen Dreireimen, und aus Neidharts formgerechten Liedern werden wir nicht schließen, daß sich die Bauern ihre Reigentexte in höfischer Glätte dichteten! Dem spielmännischen Heldenlied zur Zeit des Nibelungen-, des Walther- und des Kudrunepos darf man einen altertümlich unebenen Taktbau zuschreiben. Aber seit die Fahrenden zu ihrem alten Vorrat den Minnesang in Pflege nahmen, mochte dessen Versglätte auf die außerhöfischen Gattungen abfärben. Vgl. zu dieser Frage: W . Wackernagel, Afrz. Lieder 2 3 4 f . ; Schneider, Ehrismann-Festschrift 1925, 1 1 4 Ì .
Das Taktgeschlecht. 635. Nehmen wir das Einzelne genauer vor! Manches deckt sich mit den Hergängen beim Sprechvers; da können wir uns kürzer fassen. Zuerst ein Wort über das T a k t g e s c h l e c h t . Beim Reimpaar entschieden wir uns für geradteiligen Takt, \ t a k t I }< X [, §478. Die Gründe, die der ahd. Vers bot, gelten ebenso f ü r die mhd. Sprachform. Die Lyrik weicht in éinem ab, und eben dies könnte auf dreiteiligen Takt führen. Innentakte mit der Füllung r. | lóben | sind, wie Wilmanns gezeigt hat, bei vielen Lyrikern, darunter 'die namhaftesten Künstler der Blütezeit', unbeliebt 1 ). Dies begriffe man, wenn der 2 silbige T a k t t y p die Form l _ L x l h a t t e : für die Doppelmora reichte sprachliche Kürze nicht aus. Wogegen im V e r s s c h l u ß die Rhythmisierung | X X ( /s) zu Gebote stände : § 653. Allein, die Silbengruppen sumertac, schadehaft; sumerwunne, küniginne geben in zweihebiger Messung jenen selben Dichtern keinen Anstoß. Da d a r f also ein -¿^ den Takt füllen 2 ). Der Schluß auf den Takttypus | X [ wird dadurch fragwürdig. Auch für die geradteilige Messung I >< X | konnte man ein lobe, site, sèhe als zu mager empfinden — nämlich im Gesang; dem Sprechvers widerstrebte solche Füllung nicht. Nach dem Tempo des Sängers mochten diese Starktonkürzen geeigneter scheinen, ein bloßes Achtel zu füllen ; also im Versinnern lobe ge-1 v^Xl (§ 638), am Versende lobe (§ 653). !) Wilmanns, Btr. zur Gesch. d. ä. d. Litt. 4, i o s f f .
2
) Ib. i 2 3 f f .
636. Neben der T a k t a r t | J J [, dem 'ersten Modus', weist J.-B. Beck den Liedern Süd- und Nordfrankreichs den 'zweiten
TAKTGESCHLECHT.
171
Modus1 zu: ebenfalls Tripeltakt, aber mit der Zeitgliederung I J J I ; die Senkungssilbe mit doppeltem Zeitwert der Hebungssilbe1). Es ist uns nicht glaubhaft, daß dieser Zeitfall in d e u t s c h e r Dichtung galt. Besteht doch hier die Großzahl der Takte aus Gruppen wie j alle |\vört ge-|, |tr6it mir|, |wip sö|: die kämen in jener 1 : 2-Modelung wunderlich verzerrt heraus. Die Minderzahl, Gruppen wie |wärt ie|, \ wie höh|, |ir lop |, mit vollerer Senkungssilbe, kommt dagegen nicht auf. An Taktwechsel innerhalb der Strophe, des Verses wird man nicht denken. Soll man eine Taktart für die ganze Masse der Auf und AbVerse wählen, dann wird doch die geradteilige dem sprachlichen Stoffe am besten gerecht. Ging sie der welschen Lyrik ab, dann konnten sie die deutschen Nachahmer, ohne im übrigen die fremde Weise zu stören, den beiden dreiteiligen Modi unterschieben. Für geradteilige Taktmessung des deutschen Minnesangs haben sich seit Riemann die Literarhistoriker wohl einhellig entschieden2); bei den Musikforschern besteht noch keine Einigkeit3). Wir legen im folgenden den takt zugrunde. Die Frage, ob sich diese Kurztakte zu L a n g t a k t e n von vier und sechs Vierteln, Dipodien und Tripodien, gruppieren, drängt sich bei metrischem Lesen unsrer Gedichte oft genug auf; zumeist allerdings bei den gemischt 'daktylischen' Arten, die wir erst im folgenden Abschnitte vornehmen. Man sehe unsre Rhythmenbilder in § 656. 659. 667. 671. 674 f. 701. 703-134). Weiteres Achten auf die akzentbedingte Linienführung wird diesen Dingen noch höhere Bedeutung sichern. *) Beck, Die Melodien der Troubadours (1908) 97. 1 2 1 ff. u. ö., RiemannFestschrift 1909. Zustimmt Gennrich, Zs. für franz. Sprache und Lit. 46, 205ff. (1920). Den 3. Modus der Welschen, für die dreisilbigen Takte, s. u. §681. 2 ) Saran, J e n L 2, 1 2 1 f., DVersl. 271 ff. (vgl. 343); Plenio, Beitr. 42, 449 1 ; Hase, Der Minneleich Meister Alexanders ( 1 9 2 1 ) 7 5 f f . ' ) Für zweiteiligen Takt: E . Bernoulli, J e n L 2, i f f . ; R. Wustmann, Walther v. d. Vog. 22 f. u. ö.; Moser, Gesch. d. d. Musik 3 1 , 197. 200ff.; Koßmann, Die siebenzeilige Strophe 19. Für dreiteiligen: Rietsch, Denkmäler der Tonkunst in Österreich 4 1 , 92t.; Zs. für Musikwissenschaft 6, 3 ff. (denkbar, daß dörperlich volkstümliche und wieder schwere, feierliche Weisen zweizeitig); Fr. Ludwig, AnzAlt. 4 1 , 192. Gennrich setzt 5 Stücke aus MF im 1. Modus, Walthers Kreuzlied im 2.: Zs. f. Musikwiss. 7, 78 ff. (1924). Geutebrück, Archiv für Musikwissenschaft 7, 367 (1925), glaubt, die deutschen Minnesänger hätten zwar den 2. welschen Modus, I J g J I, herübergenommen, aber 'sehr zum Schaden ihrer Kunst", denn er bewirke eine 'häßliche, undeutsche Aussprache'. Auch Max Schneider redet von der Deutschfeindlichkeit dieser Taktart: Zschr. der Internationalen Musikgesellschaft 14, 329. 4 ) Saran hat diese Frage gestreift z. B . bei Alexanders Kindheitslied ( J e n L 2, 143), Plenio bei Walther 39, 1 1 (Beitr. 43, 76). Rietsch,
172
MESSUNG VON
DREISILBIGE
TAKTE.
ZsMus. 6, 8, erklärt, dipodische Lesung sei 'nur bei tanzmäßigem oder mindestens volkstümlichem Gesang einwandfrei zu gebrauchen . Zur Vergleichung s. Mosers Umschriften, Gesch. d. d. Musik 8 i , 200ff., und seine Gliederung von Kirchenliedern: Der evangelische Choral als rhythmisches Gebilde 1 9 2 1 .
F ü l l u n g der I n n e n t a k t e . S p r a c h b e h a n d l u n g . 637. Von den drei Versgegenden stellen wir die Innentakte voran. Die eine Erscheinung kam soeben zur Sprache (§ 635) : der sparsame Gebrauch der Taktfüllung -l^. |lóbe|. Während diese Schranke dem Sprechvers fehlt, teilen beide Lager die Abneigung gegen zweihebiges und kunegès; wàchendè (§567). An Fällen der ersten Art bringt Wilmanns, Btr. 4, 133ff., aus 29 Dichtern nur a c h t gültige bei (die reimlosen Versschlüsse abgerechnet). Auch die tonbeugenden jùncherrèn; àmeizèn sind selten. Seit man den einsilbigen Takt meidet (§ 639), entspringen also gehobene -9- im Versinnern fast nur noch aus den Tonverdrehungen wie merkét, wachénde. Hartmann hat in seinen 516 Zeilen keine Innenhebung auf der Gegensatz zwischen Epik und Lyrik tritt hier scharf hervor. Unsre Proben sanglicher Zeilen werden nur den Gravis \ unterscheiden ; im übrigen setzen sprachliche Stärkestufe der Kurztakte hat für zu bedeuten. Die Ausnahmen werden sich von sonders den planvollen Dipodien.
noch die Ikten wir gleichmäßig den gesungenen selbst erklären;
auf -3- durch den Akut : die Vers weniger sie gelten be-
638. Im übrigen handelt es sich um Verdrängung der schweren und der einsilbigen Takte : das was wir beim höfischen Reimpaar als durchgehende Bewegung von 1180 bis 1300 kennen lernten. Die lyrische Frühstufe zeichnet sich mehr durch einsilbige als durch vielsilbige Takte aus. An der obern Grenze liegt der Eingangstakt von MF 8, 13: jö enwäs ich niht ein éber wildè; eine deutliche Ausdrucksgebärde (vgl. §562). Dreisilbige Takte mit schweren Senkungsachteln sind häufig: MF 9, 30 min rós, min isengewànt; 10, 8 wiez ùnder uns zwéin ist getän; 8, 22 als der róse an dem dorne tüot (wenn nicht voll, § 649) ; 8, 7 er müoz mir diu länt rtìmèn (hier werden wir den Satzton noch nicht opfern müssen); 37, 10 du erkiusest dir in dem waldè; 23 min tröt, du sólt dih gelóubèn; 3, 6 du müost och immer darinne sin; 4, 10 vii ménegen kindeschen man (nicht voll, s. § 783) und weitere derart. Das ist sehr zahm neben dem, was sich der Sprechvers vor 1180 erlaubte! Unerklärt ist die von Wilmanns beobachtete Tatsache, daß Spervogel, Kürnberg und Rietenburg so gut wie kein I w X I
EINSILBIGER
INNENTAKT.
173
kennen (a. a. O. i2of.) ; desgleichen fünf der Namenlosen in MF I. Sollte dies der altern Spielmannsübung oder gar der Kleinlyrik des Volkes entsprechen? Die Erscheinung deckt sich nur zum Teil mit dem Meiden der ¿ ^ -Schlüsse (§655). Später, bis über die Hochblüte hinaus, wird der Takttyp I v i / w X I häufig; z. B. bei Walther 18, 29 auf 12 Zeilen 8mal, dreie davon in éinem Sechstakter: wiez ime der smit so ébene hâbe gemâchèt. Hartmann ist hierin ausnahmsweis spröde; nach der Schreibung von MF hat er knapp 30 Fälle (der kurze Walther* 214, 34 hebt sich durch 6 Fälle ab). Auch die die von Lachmann ererlaubten wie die( verbotenen, scheut er mehr als Walther. Wieviel man d i e s e m davon zutrauen soll, ist strittig; sieh Paul, Beitr. 8, 191 ff., und Wilmanns-Michels 1, 341; 2, 46f. Noch der Spruchdichter Reinmar spaltet oft sowohl die Hebung wie die Senkung (Roethe 379f.). Wenn einige ihm gleichaltrige und jüngere Sänger die Füllung | | verpönen und zugleich die Kadenz -¿^ umgehn, kündet sich wohl schon die neudeutsche Silbendehnung an (§ 655). Im großen betrachtet, hat der mehr als zweisilbige Takt für die Lyrik seit Veldeke nicht allzuviel zu bedeuten. Beim Singen trat er wohl noch weniger hervor. Die 5 Pseudo-Waltherschen Gesätze im 'Fürstenspiegelton', Wa. 36, 1 1 (Wilmanns-Michels 2, 169; Paul 5 170), stechen heraus durch die Menge dreisilbiger Takte; doch keine schwereren als | sinne mit | ëre daz ¡, also die Art von § 565 Anfang; diese ein gutes Dutzendmal. In dieser Beschränkung muß Plan liegen, und man darf nicht durch unerhörtes Kürzen, sinn, er, siind u. dg]., die Allcrweltsglätte herstellen.
639. Das Gegenteil, der e i n s i l b i g e Takt, ist bei den vorwelschen Sängern besonders beliebt: MF 30, 27 wurzè des wâldès 11 und érzè des gôldès 11 und élliu âpgrundè; 30,6 körn säte ein bûmàn, || dö enwölde ez niht üf gàn, II ime erzôrnète dâz; 29, 27 swel mân ein güotwip hât || unde zéiner ândèren gât, 11 dér bezéichènt daz swin. Das sechszeilige Liebesliedchen 3, 1 hat in 5 Versen einsilbigen Innentakt : . . . dû bist beslôzzèn 11 in minèm hérzèn . . . Diese Füllung des zweiten Taktes mit éiner Endsilbe auch beim Kürnberger: 10, 1 der tûnkèl stérnè, || der birgèt sich. Überlänge oder pausierte Innenhebung, wie in den Reimpaaren § 538 Nr. 3 ; 571, haben wir in dem einen, sprechenden Verse 8, 13 dés ^ gehâzzè. In dieser l e i c h t e n Füllung geht die Lyrik vor 1170 noch ziemlich zusammen mit dem Sprech vers der Zeit. Dann aber tritt
174
VERSCHLEIERUNG DES SATZTONS.
die Wendung ein, schärfer als bei den schweren Takten und beim Auftakt: die Dichter der Velschen Schule' verbannen den einsilbigen Innentakt; bei Hausen ¿in fraglicher Fall: 48, 28 daz ich enwiiz, wä ich si (vgl. Vogt zur Stelle und Lehfeld, Beitr. 2, 377). Gegen diese undeutsche Strenge gibt es einen leichten Rückschlag. Zwar nicht bei Hartmann, aber bei Reinmar und Walther. Bei Reinmar dürfen wir einsilbige Takte im Dienste des Nachdrucks lesen, 'beschwerte Hebungen' im wahren Sinne (§ 575): 151, 7 öw6, waz süochent die; 166, 32 mir enkünde ez niemän gesägen; auch vor gehobenem -a-: 152, 17 daz ich deh6in6n gewält; 159, 22 so wil iedöch daz h£rze niender wan dar; 189, 8 daz ich rüomde mich älsö . . . (nicht: rüomde mich diso). Vgl. Vogt, MF 4 1 1 ; Kraus nimmt da z. T. Lücke an. Uber die Zahl der Fälle bei Walther streitet man; manche wollen nur den Sprüchen und dem Tagelied (88, 9) einsilbige Takte zugestehn1). Vereinzelt gibt es noch die Art mit folgendem Endungs-e: 11, 15 mit flüochfe volmizzen. Neifens: dem wfrt£ sin väz 45, 4, wie die übrigen vier einsilbigen Takte im Büttnerliede, sind gewollter Volkston. Sonst erlauben sich die Späteren wohl nur noch die andern in §579 unterschiedenen Arten; namentlich f) häntvöl; g) höchv£rte; sündsbre; seltener e) wip, vröuwe . . . ; c) wlp ünde män 2 ). Sprüche gehn hierin wieder etwas weiter als Lieder und Leiche. Aber von den sanglichen Strophen insgesamt darf man sagen, daß die frühe Zurückdrängung des einsilbigen Innentaktes einen der merklichsten Unterschiede vom epischen Verse macht, ein besonders deutliches Zugeständnis an den fremden Rhythmenstil. Nur in der klingenden Kadenz,. . . güote, blieb die Doppelmora dem Liede jederzeit erhalten. Bei alledem denken wir n u r an die einsilbigen Innentakte, die als Gelegenheitsform, als Rest der vormaligen Freiheit, auftauchen. Etwas anderes sind die gewollten, berechneten Innentakte mit ¿iner Silbe. Darüber in Abschnitt 32. Wilmanns - Michels, Walther i, 340; 547 Note 1 1 0 ; 549 Note 143; Plenio, Beitr. 4 1 , 9 1 ; 43,69 fr. Weiter zieht die Grenze Paul, Beitr. 8, 197, a vgl. Braune, Beitr. 40, 216 (zu Nr. 57). ) Die Fälte bei R . v. Zweter: Roethe 378.
640. Wie der zweisilbige Innentakt dem natürlichen Sprachfall zusetzte, haben wir beim unsangbaren Verse verfolgt (§ 6o2ff.). Für den sanglichen Auf undAb-Vers gilt gleiches; nur mit Gradunterschieden. Wo man durchgreifender ebnete, beugte man leichter die sprachlichen Stärke- und Dauerverhältnisse. Im Epos zu Walthers Zeit dürften wir noch lesen: v61t, walt, löup,
M A S S DER TONBEUGUNG.
175
rör und gras; im sanglichen Spruche wird schon: velt, walt, löup, rör ünde gras gemeint sein! Die Satzprofile wollen durch das ( X ) X X X X . . . höchstens noch durchschimmern; das gehört zu dieser romanischen Rhythmenart. . . . diu lant wil ich brennen gär; ez ist nu täc: naht was ez dö; ir sin, ir muot, ir gedenken...: derlei nimmt man ruhig in Kauf. Bezeichnend ist, daß man so oft eine längere Zeile jambisch lesen kann, bis man gegen Ende merkt, sie ist trochäisch gemeint, und umgekehrt: MF 139, 13 wan bitte ich in des, daz er mich hinne löse; 68, 6 wser ich unfrö dar nach, als ez mir stät. Wir müssen im höfischen Minnesang die Ansprüche an klaren Satzrhythmus ein für allemal herunterstimmen. Die Arten der Tonbeugung § 603 ff. kehren in der Lyrik wider. Ihr kann man auch die härteren Arten 8-10 mit mehr Wahrscheinlichkeit zutrauen — noch nicht auf der Frühstufe, aber seit der Jambengang frohlockt. Nicht nur weil der Gesangsvortrag mehr in Kauf nimmt, sondern im Blick erstens auf die Auftaktsregelung. Denn diese: valken gevidere...; rehtes gelöuben; wazz£r, viur, lüft. . . ; maer6 du bringest; weinendiu ö u g e n . . . : diese Dinge stehn weit überwiegend im Verseingang; liest man da sprachgemäß, so ist die Folge nicht bloß ein schwerer Eingangstakt: valken gevidere; wäzzer, viur, lüft, sondern ein Bruch der Auftaktsregel, die für die Mehrzahl der Lyrikerverse gilt (§ 643). Dieser Grund für die tonbeugende Behandlung fiel beim Sprechverse fort. Zweitens mag einsilbigen I n n e n t a k t bei Dichtern, die ihn sonst meiden, auch ein härteres Nichtwägen umgangen haben. So bei Veldeke 66, 16 diu minne betwanc Sälomöne . . . ddr ie gätruoc kuneges kröne (für: |-twänc|, |-trüoc|). 641. Hat ein Teil der Lyriker gradezu die welsche Sprachbehandlung nachgeahmt? jenes 'bedingte Wägen', das die Silbenstärke im Versinnern grundsätzlich freigibt ? Man würde dies am ersten von der welschen Gruppe erwarten. Veldeke scheint in der Tat eine Reihe der harten Tonbeugungen zu fordern (s. o. und Beitr. 2, 421); noch mehr Gutenburg, dieser aber nur in daktylischen Versen (§ 691). Rudolf von Fenis, auf den man sich berufen hat, ist in seinen zwei alternierenden Tönen, MF 81, 30; 84,10, so sprachrein als der Durchschnitt (vgl. § 690f.). Über den Durchschnitt hinaus geht das Tonbeugen bei Burkhart von Hohenfels1) und dann um 1300 herum beim Meißner, bei Herman Damen und Wizlav. Da häufen sich Fälle wie: Hohenfels (HeidL 372ff.): 25, 1 mich wundert, ob si mich m≠ 46, 3 ¿in altlu riet üns mit witze; 55, 2 der däz kund& bediuten; 9, 3 minen gedanken den vrien;
176
BINDUNG DES AUFTAKTES.
Meißner (JenL 2, 53 ff.): 1. 8 durch din ougen, || der ist gote so nuere; 15, 3 e däz got£s sun mansche würde; H. Damen (ib. 2, 71 ff.): züo siner barmünge rät. Wizlav (ib. 2, 4 2 f f . ) : däz du d&i guoten niht irrest; 1 3 , 4 vor diner minnd, diz mäch ich sw^ren. Diese Späteren hatten schwerlich die Prosodie der Welschen im Sinne. Ihre Freiheiten s t e i g e r n einfach das, was sie bei den Meistern angebahnt fanden. Darin liegt der Übergang zu der nicht wägenden Sprachbehandlung des Meistersangs. So leiten wir die Tonbeugung der Lyrik — Veldeke vielleicht ausgenommen —, wie die des Sprechverses (§ 611), nur mittelbar vom welschen Vorbild her: sofern dieses Vorbild zum Auf und Ab erzog; und das starre Auf und Ab lud zum Verbiegen des deutschen Sprachfalles ein. l ) Sydow, B. v. Hohenfels 45ff., zieht den härteren Tonbeugen freie Taktfüllung vor: mich wundert, ob si mich inline; ¿in altiu riet uns mit witze usf. Das scheitert schon an der Überlastung vorgeneigter Silben. Vgl. im übrigen Saran, JenL 2, 143; P. Kaufmann, Kritische Studien zu H. Sachs (1915) 65.
B i l d u n g des A u f t a k t e s . Die F u g u n g . 642. Auftakt und Kadenz haben dies gemein, daß ihre Regelung Versarten sondert und damit dem Strophenbau gegensätzliche Glieder verschafft. Der A u f t a k t der Frühstufe war frei nach Silbenzahl wie nach Stehn oder Fehlen. Von der gleichzeitigen Epik wich nur ab, daß es kaum über 2 Silben hinausging; mit dreisilbigem Auftakt lesen wir MF 39, 27 du ritest hinnen und läst mich ¿inen. Fälle von Zweisilbigkeit sammelt MF S. 412. Sie ist noch beim ältern Reinmar verhältnismäßig bräuchlich; Kraus erkennt auf 35 Lieder 23 Fälle an (2, 48®). Auch Waither erlaubt sie sich, und zwar nicht nur die mit -¿^L (weder), sondern auch solche wie kunnet; sö'n ge-, besonders in Sprüchen (Paul, Beitr. 8, 198ff.; WilmannsMichels 1, 341). Reichlich so schwere hat noch Reinmar von Zweter (Roethe 379). Im 13. Jahrh. ist also, was die Auftaktlänge betrifft, kein tiefer Unterschied zwischen sangbarer und unsangbarer Dichtung. Zum Sondern von Versarten hat man die Ein- und Zweisilbigkeit nie benutzt. 643. Wichtiger war, daß man Stehn und Fehlen des Auftaktes regelte. Die welsche Strenge hat auf die Gruppe Veldeke-Hausen noch nicht so stark gewirkt, wie man wohl erwarten würde; gegen einsilbigen Innentakt waren sie schon empfindlicher als gegen freien Auftakt. Bei Veldeke spürt man das Fremde namentlich an dem
BINDUNG DES
i 77
AUFTAKTES.
Überwiegen der auftaktlosen Zeilen. Rudolf von Fenis führt in dem einen seiner alternierenden Töne, MF 81, 30, den Auftakt durch. Johansdorf 86, 1 kontrastiert schon wirkungsvoll die auftaktigen Stollen mit dem auftaktfreien Abgesang — bis die letzte Strophe den Unterschied vergißt. Bei Reinmar haben 16 von 35 Tönen die strenge Regelung; die mit dem freiem Brauche gehn zeitlich neben jenen her (nach Kraus, Die Lieder Reimars 2,48). Hartmanns Lyrik entwickelt sich zur Strenge, und zwar zum durchgeführten Auftakt (Saran, DVersl. 277). Auch Heinrich von Rugge drängt in den alternierenden Strophen die auftaktlosen Verse stark zurück. Bei Hildbolt von Schwangau noch ein Beispiel ganz freien Wechsels (DL 20, 97). Unter Walthers Liedern sind es nur frühe, die sich der alten Freiheit ausgiebiger bedienen. Bei den späteren streitet man wieder, wieweit das vereinzelte Ausweichen den Schreibern zur Last falle, wieweit es Sorglosigkeit oder aber Berechnung des Meisters sei. Den Sprüchen auch der spätem Jahre muß man mehr Freiheiten zuerkennen (Wilmanns-Michels 1, 342 f. 550 ff. ; Roethe, ZsAlt. 57, i3off., vgl. Pauls Waltherausgabe5 S. 99). Auch in der Folgezeit hält sich der Spruch näher zu dem deutschen Brauche, im Auftakt wie in andern Füllungsfragen (§ 638f. 642). Die Mehrheit der Lieder aber befolgt im 13. Jahrh. den gebundenen, geregelten Auftakt. Wir erinnern uns, die höfische Sprechdichtung hat dies nicht erstrebt; trotz der zunehmenden Neigung zum auftaktigen Verse bekennt sie sich noch bei Konrad von Würzburg zu freiem Wechsel der zweierlei Verseingänge (§559- 615f.). Ein früher Vorläufer der ritterlichen Liedstrenge wäre das ahd. Galluslied, wenn man seine Auftaktbindung nach dem spätem lateinischen Texte bemessen dürfte (§ 507). 644. Es gibt scheinbare Ausnahmen von der Auftaktregelung: überschüssiger Auftakt verschwindet, wenn man an das vorangehende Glied anfugt und nötigenfalls elidiert (Bartsch, Germ. 12, i4öff.). Beispiele: Wolfram Nr. 7 Z. 1: si beide lüste, : däz er küste gegen: daz güote wip : ir vriundes lfp Neidhart 8, 12, vgl. mit DL 25, 8, 25 mit den kfnden gegen: 8, 17 üf dem rtse 9, 2 fr slt töt H e us 1 e r , Deutsche Versgeschichte I I .
: si genüoc : vast ümbevienc.
83: : züo der linden : in manger wise : vil kleiner nöt, : ist iu . . . 12
178
B I N D U N G DES AUFTAKTES.
SchwM 3 8 2 f . : uf ¿sten §¿51«! : sich niht 1x16 gegen: daz mir von dir j so töugenlich. Die Fälle haben zugleich scheinbaren Kadenzentausch, s. § 6 5 6 . 663. Das Zeichen • setzen wir im folgenden hinter reimende Schlüsse im Innern einer Druckzeile.
644a. Gebundenheit des Auftaktes bedeutet, daß er an vorbestimmter Stelle eintritt und ausbleibt; mit andern Worten, daß zwei sonst metrisch gleiche Verse zweierlei Arten darstellen, je nachdem sie mit Senkung oder Hebung beginnen. Der Auftakt gehört nun zu den artbildenden Eigenschaften des Verses. So war es in den Metra mit starrer Füllung jederzeit. Also auch in den romanischen Versen. Bestimmt man die romanischen (alternierenden) Versarten nach ihrer Silbenzahl, diese bis zur Schlußhebung gerechnet, so bedeuten die Arten mit gerader Zahl, die Vier-, Sechs-, Acht-, Zehnsilbler, auftaktige Verse: -1-1 (-1-1-1), die Arten mit ungerader Zahl, die Fünf-, Sieben-, Neunsilbler, auftaktlose Verse: l - l - l ( - l - l ) . Uns ist dieser romanische Grundsatz seit Martin Opitz ganz geläufig, wenn wir schon nicht nach Silben zählen, sondern nach Silbenpaaren oder Hebungen. Ein großer Teil unsrer Verskunst behandelt den auftaktigen und den auftaktlosen Vers als gegensätzliche Arten: den Jambus und den Trochäus. Wir fühlen uns also leicht in die mhd. Auftaktbindung ein. Nur hat der alte Strophenbau die Zweiheit jambisch und trochäisch — man mag ruhig diese Namen gebrauchen — mannigfacher ausgenützt. Denn der S i n n dieser planmäßigen Zweiteilung lag für die ad. Dichter im Strophenbau. Darum haben sie beim unstrophischen Reimpaar auf diese welsche Sonderung verzichtet. Der S t r o p h e hat die Auftaktbindung die Zahl der Bausteine verdoppelt: ein voller Viertakter ohne Auftakt, ein ' a ^ ' : dä wir schapel brächen t, und einer mit Auftakt, ein 'A4v': ich säz üf ¿ime gruenen 16: die empfand man nun als zwei Versarten; und nur dadurch wurde die feinere Nachbildung und Überbietung der welschen Strophen möglich. Es versteht sich, daß die Musik dieses Empfinden stützte; aber nur die zum silbenzählenden Verse erdachte Musik: andere Sangstile, das wissen wir aus unserm Volkslied, tragen im Gegenteil über den Unterschied von jambisch und trochäisch hinweg. Die gegensätzliche Verwendung der auftaktigen und auftakt losen Glieder ist, wie gesagt, mannigfach. Es gibt Töne, die nur ¿ine der Arten wählen: rein jambische, rein trochäische Formen.
A U F T A K T KONTRASTIERT
STROPHENGLIEDER.
179
Es gibt Töne, die die beiden Arten in planvollem Wechsel bringen. Darin entfaltet der Minnesang viel mehr Kunst als unser neuzeitlicher Gruppenbau. Es ist dann also die Strophenstelle, die über Eintreten oder Fehlen des Auftaktes entscheidet (§46). Einige Beispiele dafür. 645. A. Der Kehrvers, als einziger auftaktloser, hebt sich von der übrigen Strophe ab: Hohenburg DL 19, 25; Wintersteten DL 38, 136. Der Schlußvers, als einziger auftaktiger, hebt sich ab: Wolfram 7, 11; Walther 42, 15. Die zwei letzten Verse des Abgesangs sind jambisch nach neun trochäischen Gliedern: Neifen 28, 18. B. Auf- und Abgesang heben sich ab. Der Aufgesang besteht aus vier auftaktlosen Versen, der Abgesang setzt mit vier auftaktigen ein: Schwangau DL 20, 51 (u. §651); etwas anders bei Frauenberg D L 23, 1. Nach den vier schweren Sechstaktern mit Auftakt kommt der Abgesang mit sieben leichtschreitenden trochäischen Viertaktern: Walther 47, 36. Auf die vier jambischen Aufgesangsverse folgen zwei trochäische des Abgesangs, dann wieder sechs Jamben: Walther 44, 11 (Z. 9 auch in I mit Auftakt). C. Fehlender Auftakt unterscheidet den Schlußvers der (5 zeiligen) Stollen: Walther 101, 23 ('Rügeton'). Auftakt zeichnet den Beginn einer Periode aus: Die beiden Stollen setzen jambisch ein, die übrigen 10 Verse sind trochäisch : Morungen 123, 10. Außer den Stolleneingängen ist noch die Schlußzeile auftaktig: Lichtenstein S. 512. D. Das Gegenteil: ein Periodeneingang hebt sich durch fehlenden Auftakt ab: Nur der Abgesang beginnt trochäisch: Hartmann 217, 14; Wolfram 5, 16; Walther 75, 25 (76, 19 nach A). Die beiden Abgesangsperioden: Reinmar 165, 10; Singenberg DL 30, 31. Die drei Anverse der Strophe sind trochäisch, die drei Abverse jambisch: Walther 49, 25; 72, 31. Nur die Stollenabverse sind jambisch: Morungen 127, 34; Walther 73, 23. Außer ihnen noch die Schlußzeile des Abgesangs: Walther 41, 13. Auftakt haben die Schlußverse der dreigliedrigen Stollen und vier von den fünf Abgesangsversen: Walther 45, 37; 46, 32. Auftaktig sind die Abverse der beiden klingenden Zeilenpaare in dem neungliedrigen Tone Walthers 94, 11. 646. Am meisten Vertreter hat wohl die Gruppe D. Da bezeichnet 'Eingangspause' ( = fehlender Auftakt) die S p i t z e 12*
i8o
GEFUGT UND
UNGEFUGT.
von Abschnitten, den Anversbeginn : zum Abvers schlägt A u f t a k t die Brücke. Also die Periode nach außen abgegrenzt, im Innern zusammengehalten. Bei diesem alternierenden Zeitfall wirkt eine Auftaktsilbe als Band, als Überleitung; das Gegenteil trafen wir bei den Zeilensprüngen des Stabreimverses § 344. Daran grenzt die weitere Erscheinung: Stehn und Fehlen des Auftaktes hat Beziehung z u m v o r a n g e h e n d e n V e r s s c h l u s s e . Diese Beziehung ist von dreifacher Art 1 ) : 1. Hat der vorangehende Schluß takt den Inhalt L oder das meint volle oder klingende Kadenz, und folgt Auftakt, dann geht das Stark-Schwach des Versinnern über die Versgrenze hin: Die Versgrenze bildet, nach den meßbaren rhythmischen Werten, keine K l u f t ; 'fortlaufender Rhythmus'. a) MF 137, 10: fröuwe, wilt du mich genérn, || sö sich mich éin vil lutzel an I * : Xl ß) 5 1 » 33 ich dénke ünder wflèn, || ob ich ir näher wérè I * : Xl Gleiches gilt, wo der vorangehende Vers mit l ^ t , weiblich voll, endet und k e i n A u f t a k t anschließt:
r) 144. 24: sf kan dürch diu hérzen bréchen || sâm diu sünne dür daz glas l*X : *Xl Man spricht in diesen Fällen von 'Synaphie' und 'synaphisch' 2 ). (auvccp^ zu ouvdirctiv 'zusammenfügen, anknüpfen'.) Als deutsche Ausdrücke bieten sich Fugung, fugen, gefugt. Ungefugt sind die zwei weiteren Arten: 2. Folgt auf vollen oder klingenden Schluß k e i n Auftakt, dann tritt die Versgrenze hervor in einer Senkungspause, einem pausierten Viertel: ) 103, 35: ein wiser mân vil dicke tûot, 11 dés ein tümber niht enkân : * X l s) 145, 33 ich wil éine réisè: || wünschet, dâz ich wöl gevâr Schließt der Vers s t u m p f und es folgt auftaktiger Vers, dann grenzen sich die zwei Glieder durch Hebungspause ab; folgt auftaktloser Vers, dann entsteht eine ganze Taktpause 8 ) : g) 48, 23 in minem tröume ich sâch /s || ein harte schcène wip \ J- ^ :
Xl
VERSSCHLUSS
UND AUFTAKT.
181
n) »Walther X I I I 19: fröuwe, dü solt trägen /\ •s || pföller ünde sidän 3. Auf weiblich vollen Schluß folgt Auftakt. Dann scheint an der Versgrenze ein Taktinhalt zu entstehn, ein Takt mit 'doppelter Senkung', der von den meist zweisilbigen Takten des Versinnern absticht. Gleichsam überschüssiger Auftakt. •&•) 102, 27: mich griiezet mönger mit dem münde, 11 den ich doch wöl gem^l: w I ~k den künde Wir sehen, die glatte Fugung durchbrechen die Fälle d bis rj nach unten, der Fall # nach oben. Fall & ist jedenfalls der seltenste. Bei Reinmar erwägt man einen, bei Walther vier Belege3). Wie oft er anzusetzen ist; was es für Abhilfen dagegen gibt, ist später noch zu fragen (§ 664f.). liier, wo uns die Beziehung von Auftakt zu Kadenz beschäftigt, merken ^ be*) ' V o l l wir ' k u r folgende z w e g i m m e rSätze = | m ä nan. n l i c h v o l l ; sieh § 6 5 1 f. D i e Schlüsse d ü r f e n k e i n e r b e s o n d e r n Beispiele. 2 ) D e n B e g r i f f u n d N a m e n h a t P l e n i o in die a d . S t r o p h e n l e h r e e i n g e f ü h r t : B e i t r . 4 1 , 7 2 ; v g l . 43, 93 u. ö. 3 ) G e s e t z t , d a ß s t u m p f e r S c h l u ß d e n g a n z e n v o r l e t z t e n T a k t f ü l l e , s. § 6 5 3 . *) P l e n i o , B e i t r . 43, 9 3 ; K r a u s , R e i m a r 2, 46 ( d o c h s. a u c h Z . 5. 6 in M F 163, 23; 153, 5); W i l m a n n s M i c h e l s 2 z u 46, 3 2 ; 58, 2 1 ; 60, 3 4 ; 6 1 , 33.
647. Versschluß vor Auftakt ist in der Regel als klingend anzusprechen, so daß der gefugte Übergang . . . | JL :X |. . . entsteht; sieh Beispiel ß. Niemand wird Walther 76, 22 lesen wollen: vil süeze wsere minne, || berillte kränke sinne. Bei Versschluß vor fehlendem Auftakt ist weiblich volle (einhebige) Messung zu erwägen, also ebenfalls Fugung; sieh Beispiel Nötig ist diese Messung nicht überall, denn die Folge •klingend -(- Auftaktpause' besteht ja auch zu Recht, sieh Beispiel £. Man lege sich bei Neifens Kunststückchen 34, 26 die Frage vor, ob man die Paare mit auftaktlosem Abvers als Sechstakter singen wollte: ich wölde nfht erwfnden : , ich rit Üz mit winden.
I*X
:
*XI
Es werden schon Langzeilen 4k | 4k sein! Als einen Fall, wo man schwanken kann, nennen wir Walther 101, 23 Z. 4/5 und 9/10: min leit bant ich ze beine : , mlnen rugge ich nach dir brach: entweder eine Langzeile 4 k | 4 v oder ein 3 w v | 5 s , also ein ge-
182
KADENZFREIHEIT DER
FRÜHSTUFE.
fugter Achttakter, stumpf, mit Schnitt nach dem dritten Takte, dem binnenreimenden beine. Für die zweite Auffassung kann man u. a. geltend machen, daß der I4gliedrige Ton (§ 820) nur in Z. 4 und 9 -Schluß hat, nur in Z. 5 und 10 ohne Auftakt ist: beides dadurch bedingt, daß gefugter, pausenloser Anschluß gemeint ist. Weitere Fälle s. in § 650. 662. 667. 742. 745. 7 7 6 ! Bei Versschluß 1 vor Auftakt bestehn zunächst die beiden Möglichkeiten: jener Schluß kann voll oder stumpf sein. Im ersten Falle gibt es Fugung, im zweiten Hebungspause: zwei an sich berechtigte Formen, sieh Beispiel a und C. Endlich bei Versschluß L vor fehlendem Auftakt haben wir dieselben zwei Möglichkeiten. Beidemal ungefugter Anschluß, je nachdem mit Senkungs- oder mit Taktpause; sieh Beispiel ó und tj. 648. Man sieht, es handelt sich hierbei um die Frage, welche T a k t z a h l lyrischen Versen zukommt. Von unsern Beispielen in § 646 lassen nur die drei letzten, t, rj, ti, Zweifel zu. Zum Glück ist es doch eine Minderheit von Tönen, die uns mit diesem Zweifel beunruhigt. Beobachtet man den Bauriß der Strophe und was beim einzelnen Dichter Brauch ist, so gewinnt man doch meistens leidliche Sicherheit. Vgl. § 665 ff. und 776 f. Man bedenke immer, das Setzen und Unterdrücken des Auftaktes, also die Wahl jambischen oder trochäischen Verses, steht nicht nur im Dienste der FugungI Es gab dafür noch andere Rücksichten: Auszeichnung einzelner Strophenglieder; Sonderung von Auf- und Abgesang usw. Man erwäge die Beispiele von § 645 und beachte, wie Auftakt nicht nur das Gruppeninnere zusammenfugt (unter D), sondern auch eine Gruppenspitze abheben kann (unter C). Wo ein Ton mit wechselnden Kadenzen den Auftakt überhaupt verbannt, wie Walther 50, 1 9 ; 5 1 , 1 3 , da scheidet die Fugung als Ursache der Auftaktlosigkeit aus: der durchgehend trochäische Einsatz ordnet sich da Uber. Besteht ein trochäischer Ton wesentlich aus weiblich vollen Gliedern, wie Hohenfels D L 34, i n , d a haben sich Auftaktlosigkeit und Versschlüsse gegenseitig bedingt.
Bildung des Versschlusses. 649. Mit den letzten §§ haben wir schon die dritte Versgegend betreten, die Kadenz. Deren Gestaltung war für den lyrischen Strophenbau noch wichtiger als die des Auftaktes. Es zeigen sich auch hier kenntliche Unterschiede vom Sprechvers. Anfangs, auf der Frühstufe, hat auch der Versschluß bedingte Füllungsfreiheit, d. h. ungleiche Kadenzen können sich an gleicher Strophenstelle vertreten. Die Schlüsse der Strophenglieder sind zwar nicht schrankenlos frei wie in der epischen Visa des stabreimenden Nordens (§ 358), aber auch noch nicht starr, wie wir es von unsrer Kunstdichtung gewöhnt sind. Es ist ein Grad von Freiheit, der im Volksliede wiederkehrt.
KADENZFREIHEIT
DER
FRÜHSTUFE.
I83
In den Kurzen Reimpaaren dieser Frühlyrik (§ 726f.) gehn volle und klingende Schlüsse durcheinander; wir brauchen nicht anzunehmen, daß ihre Abfolge, z. B. in 37, 4 k, k, v, k, v usw., vorbestimmt sei. Deutlich gleichwertig stehn die beiden Formen im Aufgesang des alten Spervogeltons 25, 13ff.: voll: ich säge iu, lieben siine min, iu enwähset kóm noch der win; klingend: wan séit ze hóve mjbrè, wie geschéiden wsérè; während der Abgesang die planmäßige Folge 4 k 14 V 16 k festhält (§ 785). In den Langzeilenpaaren des Kürnbergers darf wieder voller Anvers 5mal den klingenden vertreten: 7, 23 däz mir dén benómen hänt; 9, 25; 10, 5. 7. 17; auch 2mal stumpfer?: 8, 19 und ich gedénke an dich ^ (§ 737 3 ); 9, 23 lieb ünde léit Den vollen Strophenschluß ersetzt stumpfer in 15, 2 só sprach daz wip xs ; 7, 26 nie frö wérden sit ^ (nie darf nicht den 1. Takt füllen: §672). An Stelle stumpfer Abverse tritt voller in 8, 22 als der róse an dem dorne tüot (so besser als stumpf mit schwerem 1. Takte § 638) ; vielleicht in 9, 10 àlrót güldin, — und vor allem jene merkwürdigen klingenden Verse mit drei, selten vier gehobenen Silben: gewän ich kundè; muozèn uns schéidèn usf. Um die haben wir uns später noch zu bemühen (§ 669). Diesen letzten Tausch hat die ältere Not und danach unser Nibelungendichter nachgeahmt (§ 737). Die erste der genannten Freiheiten: voller Anvers neben klingendem, erscheint auch bei Meinloh ganze 6mal: 11, 5; 12, 1. 18; 13, 22; 14, 22; 15, 5. Man nennt sie die 'epische Zäsurfreiheit', weil sie auf die Nibelungen und jüngere Heldenbücher übergegangen ist, auch auf die (reimlosen) Anverse der Morolf-, Tirol- und Titurelstrophen (§ 751. 600. 788). Diese gesprochenen Gesätze wahren nach 1200 noch eine Kadenzbeweglichkeit, die dem Gesänge vorlängst entglitten war. 650. Denn gleich schon die Lyriker der welschen Richtung räumten mit diesen deutschen Gepflogenheiten auf. Der Schritt geschah hier mindestens so entschieden wie beim einsilbigen Innentakte (§ 639). Unter den daktylischen Tönen steht éiner, der von Kaiser Heinrich, noch diesseits der Grenze (§ 701). Von nun an ist die Kadenz artbildend, strenger als der Auftakt. Klingendem Verse einen stumpfen unterschieben wäre aus der Art fallen. Was in der reifen Lyrik noch an Kadenzentausch vorkommt, fällt leicht ins Gewicht (§ 656ff.). Es gilt der uns seit Opitz vertraute Grundsatz: gebundene Kadenzenfolge gehört zum Rezept einer Strophe.
184
D I E STRENGE
KADENZENSONDERUNG.
Der Vers von vier Takten liefert dem Strophenbau eine Mehrheit von Bausteinen je nach seiner Kadenz. Ebenso der Zweitakter, der Sechstakter, der Achttakter. Wie viele V e r s t y p e n hat der deutsche Minnesang nach der Kadenz unterschieden ? Wir schlagen § 583 nach. Dort fanden wir achterlei Versschlüsse als Erbschaft aus der vorritterlichen Zeit. Nur viere hält die entwickelte Lyrik arthaft auseinander. Denn erstlich sind die beiden dreisilbig klingenden Arten, Nr. 4 und 5 — Kürnberg und Meinloh liebten Nr. 4 noch — ziemlich außer Brauch gekommen; sieh Wilmanns, Beitr. 4, 126f. (Neidhart2 288). Walther schien einen einsamen Fall auf zu bieten: 93, 19/22. Aber hier ist nicht g^benne : ldbenne zu messen (klingende Vierheber), sondern mit Fugung (§ 646, 1): waz hät diu wdlt ze gibenne : lieber danne ein wfp . . . Ein genau entsprechender Fall ohne Innenreim: * Reinmar 182,18. Ferner zählt Nr. 1 und 2, desgleichen Nr. 6 und 7 dem Lyriker als eins. Bestimmte Ausnahmen sind in § 655 zu besprechen; im allgemeinen gilt: Bei stumpfem wie vollem Schluß macht es für die Strophe nichts aus, ob 1 oder steht. Die ein- und zweisilbig stumpfen Verse: fr6ide was ein wfp ^ und: wäz ich singen muge vertreten sich an gleicher Strophenstelle; ebenso die zwei männlich vollen Arten: ich was ¿tesw^nne frö und: wie sol froidelöser tage. Diese Gleichsetzung von 1 und -l •a hat weder bei den Romanen noch in unsrer neudeutschen Kunst ein Gegenstück; sie trägt der ältern germanischen Sprachform mit ihren Starktonkürzen (§ 73) Rechnung und ist ein Sonderfall der 'bedingten Silbenzählung» (§ 634). 651. Jene vier im Strophenbau gesonderten Kadenzarten sind die folgenden. Als Beispiele wählen wir Viertakter mit Auftakt. 1. stumpf: dö vielen hin ze täl /n 2. klingend: nu rätet, liebe fröuwen 3. voll: min öugen ünd dln röter münt 4. weiblich voll: mich grüezet m&iger mit dem münde. Zur Veranschaulichung eine Viertakterstrophe, die alle 4 Ausgänge verwendet in teils auftaktlosen, teils auftaktigen Versen (Hildbolt von Schwangau DL 20, 51): Aa Ich wil aber der lieben singen, A 4wv. a dir ich ie mit triuwen sänc, ^ 4V. b b tif genäde und tif gedingen, 4WV. 3, däz mir trtiren wirde kränc, 4V. b B c bl dir ich also schöne A4k. c an ¿ime tanze gie ^ ; A 4s. d
D I E V I E R GEGENSÄTZLICHEN V E R S S C H L Ü S S E .
185
d
ir zaéme wól diu krónè: A 4 k. c so schcène wip wart nie ^ A 4s. d e Èlle und Élse tànzent wól, ^ 4V. e des man in béiden dànken sòl. A4V. e 652. Für Zwei-, Sechs- bis Zwölftakter gilt die gleiche Vierteilung. Auch Verse mit ungerader Taktzahl fügen sich dieser Teilung und Benennung (§ 666). Die abgekürzten Formeln, die wir der Strophe beischrieben, sind einfacher, handlicher als alle bisher gebrauchten, und sie haben den Vorzug: sie sind a b l e s b a r 1 ) . Zu erläutern ist nichts mehr daran ; man beachte nur, daß vorgesetztes Pausenzeichen /s einfach 'auftaktlos' meint (auch da, wo wv vorangeht, also der Übergang pausenlos gefugt ist wie in Z. 1/2, 3/4). Bei grundsätzlich freiem Auftakt bleibt die Vorzeichnung ^ und A weg. Bei der Abbildung der Strophen in Abschnitt 34ff. wird uns dieses Verfahren Dienste tun. Mit Hilfe des Zeichens :|| ( = Wiederholung der voranstehenden Zeile) können wir dem Hildboltschen Gesätze diese Formel geben : A a = b ^ 4 w v . a | ^ 4 v . b : j| Bc =
e
d
A 4 k . C I A 4 S . d : j | ( = Aufgesang der Kürenbergsweise)
^ 4v.e : A 4 v . e
' ) Die von Plenio erdachte, von anderen übernommene Umschrift hat Formeln wie diese: ~ 4 -¡4- ( = A 4 s ) ; -!— 4 ( = ^ 4k, wenn w v vorangeht): die sind schwer druckbar und lesbar; ablesbar, sprechbar schon gar nichtI Die vier hier unterschiedenen Kadenzarten zeigt auch der mlat. und welsche Vers. Sie treten in den Lehrschriften nicht hervor, weil man beim lateinischromanischen Verse nicht nach Takten, nur nach Silben zu fragen pflegt; wobei freilich das Ohr wenig erlebt (sieh z. B . Voretzsch, Einführung in das Studium der afrz. Lit. 3 3 0 f f . ) . Danach wären unsre 4 Beispiele in § 6 5 1 Anf. so zu benennen: 1. Sechssilbler männlich; 2 . Sechssilbler weiblich; 3 . Achtsilbler männlich; 4. Achtsilbler weiblich. Ohne A u f t a k t wären es Fünfsübler männlich und weiblich, Siebensilbler männlich und weiblich. Wobei immer die schließende Senkungssilbe aus der Zählung wegbleibt; sieh § 644a. — Mit dem klingenden, zweihebigen Schlüsse pflegt die afrz. Verslehre gar nicht zu rechnen. Beispiele dafür nach alten mensuralen Notensätzen bei Beck, Die Melodien der Troubadours i n Nr. 3 . 5 ; I l 3 f f . Nr. 8. 1 5 . 1 8 . 1 9 . 3 1 . 3 5 . 36. 4 3 . 4 5 — 4 8 ; I24fNr. 9 3 . 96. 1 0 4 . 1 0 5 , vgl. S. I 7 4 f f . Die klingenden Sechstakter in Hausens Tone 4 7 , 9 der lip wil gerne véhten àn die héidèn sind das genaue Gegenstück zu denen des franz. Vorbildes: li cuérs remäint don tóut en sé bailllè (MF 3 3 3 ) .
653. Unterstreichen wir die Tatsache, daß man den Schluß tage gleichwertet dem 1 munt und unterscheidet von Z y munde. Dies konnte nicht anders sein, wo diese Hebungssilbe im vorletzten Verstakte steht. Denn da bleibt noch der Zeitraum des letzten Taktes, und dies nützt die Gruppe L Ü nach urzeitlichem Brauche aus zur gedehnten, 'klingenden' Modelung: mùndè
i86
SCHLUSS
H GESONDERT VON Z ü .
I J_ k (§ 193), während die Silben 1 und notwendig auf den vorletzten Takt beschränkt bleiben: munt ^ ; tage In diesem Falle ist klar, daß -¿^ tage zusammengehört mit 1 munt und sich trennt von Lmunde. Aber dasselbe gilt ja auch da, wo diese Silben im l e t z t e n Verstakt stehn ; wo das munde keinen Raum hatte, sich zu J__ > I /\ zu bezeichnen wäre als mit | J_ I ^ und | X I , bleibe offen.) 654. Unberührt von diesen Zweifeln ist die Tatsache, daß die deutschen Lyriker als Gegenwert des welschen 'weiblichen Schlusses', a u c h in vollen Versen, die Silben 1^ munde verwendeten, nicht die Silben tage. Man sollte nicht immer wieder von gleichwertigem Gebrauch dieser zwei Ausgänge reden — weil beide einhebig sind! Eine Versgruppe Rudolfs von Fenis, inhaltlich und formal dem Provenzalen Peire Vidal nachgedichtet (MF 360; DL S. 32), veranschauliche die Gleichung Velsch L - — deutsch AH 1 . Auf beiden Seiten ist es die Folge: ^ 4 w v | ^ 4 v : ^ 4v | ^4wv, nur daß der 4. Vers des Deutschen einen Auftakt zugibt. é car âne no fis falhe'nsa, sui en bona söspeissö, qué'l maltrâitz mi törn en pro, pös lo bés tan gén comensa. swér sô steéten dienest künde, dés ich mich doch trœsten söl, dém gelünge lihte wöl; ze jüngest ér mit iberwünde.
GEBRAUCH DER A n - S C H L Ü S S E .
187
Zur Ergänzung nehme man, daß derselbe Ton Rudolfs die männlichen Schlüsse Vidals bald mit L gät, bald mit < X I Schreibung in éiner Zeile ändert nichts daran, daß die rhythmische Ungleichheit der Inreime deutlich hervortritt. Der entsprechende Fall bei Hadlaub 32, 1. 3 wird mit Bartsch S. 461 zu heilen sein. Bei Winli SchwM 15, 2 8/9 lese man herte, bescherte. Dagegen erlaubt sich Rinkenberg, ib. 29, in 7 der 17 Strophen den Stollenschluß A 6s für A 6k. Vgl. noch die gemischt daktylischen Langzeilcnformen § 702. Endlich den Kürnbergischen Kadenzentausch: klingende Abverse für die stumpfen, bringt Neifens Büttenaere in Str. 2, wahrscheinlich aber mit v i e r Hebungen: züo zim wâz er kùndè; swér mir des gûndè; sïn vâz ich im bûndè (s. § 669), 660. Uber die Häufigkeit der Kadenzarten bei den einzelnen Dichtern und innerhalb der Gattungen und der Töne gibt es Zusammenstellungen: W. Grimm, Kl. Sehr. 4, 323^; Bielschowsky, Deutsche Dorfpoesie 261 f. ; Fr. Vogt, Festgabe für Hildebrand 155f.; Günther Müller, ZsAlt. 60, 37. Sie haben für die rhythmische Anschauung beschränkten Wert, weil sie nach Art der Meistersinger nur die zwei 'Reimgeschlechter' unterscheiden, das sogen, 'stumpfe' ( 1 und und das sogen, 'klingende' ( Z ^ ) , die beiden Namen im Lachmannschen Verstände (§584). Diese einfache, grammatische Zweiteilung hat wohl den Vorzug sprachlich gesicherter Eindeutigkeit, kann aber beim Strophenbau die tatsächliche Vierteilung noch weniger ersetzen als bei
192
VERBREITUNG KLINGENDER U. WEIBLICH VOLLER
SCHLÜSSE.
den Reimpaaren (§ 5942), denn der Gegensatz s : v ist für die Strophen wichtiger, namentlich aber der Gegensatz k : wv: gehörmäßig und strophenbaulich sind die Versenden L a zweierlei, wenn sie J_ und wenn sie ~X X bedeuten. Diesen Unterschied von k und wv ('schwerklingend und leichtklingend') hat zuerst Saran berücksichtigt, dann Plenio, Kraus u. Aa. Da man sich damit auf den Boden der rhythmischen Deutung wagt, gerät man in Zweifel, schon bei Reinmar, noch mehr bei zusammengesetzteren Formen. Doch wird sich über das Vorkommen klingender und weiblich voller Verse in Minnesangs Frühling so viel aussagen lassen. (Die daktylischen Töne bleiben hier beiseite.) Beide Arten kennt die Hauptmenge in dieser Sammlung: Dietmar von Eist, Hausen, Veldeke, Fenis, Johansdorf, Rugge, Morungen, Reinmar, Hartmann; dazu wohl alle Späteren. Beide Arten fehlen bei Horheim (nur 51 undaktylische Zeilen!). Die klingende Art fehlt bei Rietenburg und bei Adelnburg (dort auf 64, hier auf 28 Zeilen!). Die weiblich volle Art fehlt bei den Namenlosen, bei Kürnberg, Meinloh, Regensburg, Spervogel, K. Heinrich, Gutenburg, Rute (?), Bligger. 661. Daran ist es also nicht, daß die welsche Flut den klingenden Schluß zunächst ganz weggespült hätte! Aber merklich zurück tritt er bei Hausen, Veldeke, Fenis, Rugge, und auf seine Kosten gewinnt der weiblich volle Ausgang an Raum. Die romanische Wirkung auf die Lyrik war eine andre als auf die Reimpaare (§590)! Das Fehlen weiblich voller Verse bei den Frühesten erklärt sich nicht daraus, daß nach germ. Prosodie diese Messung unmöglich war (§ 589): es handelt sich um eine Frage der Versarten; die paar heimischen Strophenformen der Frühstufe begnügten sich mit den Bausteinen stumpf, klingend und voll. Als man dann die weiblichen Zeilen der Provenzalen mit deutschen L a Schlüssen nachbildete, war dies kein sprachfremder Zug; sonst hätte man sich wohl für die £ y -Schlüsse entschieden, die ja in ausreichender Menge vorlagen. Wenn also Walther die Verse formt: 40, 19 ich hän ir so wöl gesprochen . . . hät si däz an mir geröchen und diesem wv Paare im Abgesang das k folgen läßt: ünd mit löbe gekrcenet, diu mich wider hoenet, so prallen da nicht welsche und deutsche Silbenmessung zusammen, so wenig als im heutigen Kinderlied:
R E I M K L I N G E N D : WEIBLICH
VOLL.
193
jókeli will go birli schüttle, birli wènd nit fàllè. 662. Reimte man klingenden auf weiblich vollen Vers ? Wir müssen die Frage bejahen. Oft zwar bietet sich bei näherm Aufhorchen eine andre, ebene Messung. Z. B. in Hartmanns 213, 29 ist Z. 10 nur scheinbar ein 4wv (§ 708). Reinmars 153, 5 und Lichtensteins Nr. 49 werden zwischen Z. 5 und 6 eine ebene Bindung zulassen. Als mehrdeutig nennen wir Morungen 147, 17: Die Stollenabverse sind ^ 4wv; auf die reimt Z. 5, wie es scheint ein ^ 4k: dér ist frö min hérze i n b i n n e n ; ich sol tróst gewinnèn. Möglich wäre aber, diese letzte Zeile an die nächste anzufugen zu einem ,\ 6v: ich sol tróst gewinnen • vón der fróuwen min (§ 760). Eindeutiger dürften die folgenden Stellen sein. Morungen 124, 32, das Reimpaar im Abgesang: als der mäne sinen schin vón des sünnen schin enpfät, also küment mir d i c k è ir wol liehten óugen blicke in min hérze, dä si vor mir gät Faßte man das Reimpaar, trotz dem Hiatus in allen 3 Strophen, zum gefugten 8k zusammen, dann reimte einhebiges dicke auf zweihebiges blickè. Zu Morungen 139, 19 sieh § 706. •Reinmar 199, 25 : die Stollenanverse sind /\ 4WV mit Mittelreim: äne swatre : ein fróuwe ich wsére ; dies steigert der Eingang des Abgesangs zu A 6k mit Mittelreim (worauf die ^ 6k-Schlußzeile antwortet): sòl ich liden : vón in längez midèn. Reinmar 186, 19: den Abgesang bildet ein Paar Vagantenzeilen (§ 743), aber der letzte Abvers gesteigert zu dér mir (st von hérzen hólt, niht durch üngevüegen haz,
dén versprkhe ich s é r e , wän durch mines libes ere.
Die Umdrehung davon bei Konrad von Würzburg Nr. 3: der Abgesang /n 4k. d | ^ 4 V. e ; ^ 4wv. d | 4 V. e: d4z diu héide e r k r à c h è t und der wunnecliche wàlt; uz dem swàrzen dorne l à c h e t wiziu blüot vii mànecvalt.
Kaum ratsam wäre, die beiden ersten Verse zum A8S ZU fugen (§742); d a n n wäre es ebener Inreim |-ächet|. In Konrads Nr. 9 kann man im Abgesang kaum anders messen als:
wunne-clicher vàrwe schin . . . k ó n n è , der st der lieben zit geméit. H e u s l e r , Deutsche Versgeschichte II,
13
ELISIONSREIM,
194
Einen Doppelfall bietet der Stropheneingang Winlis SchwM 15. 2 :
aber walt und 6uch diu h i i d e
nihtegal, diu lät ir s i n g e n
krankent an ir k l e i d e : winter wil si t w i n g e n ; lind diu bluot ir d r i n g e n ; bi dem selben l i i d e .
Ähnlich Hadlaub Nr. 26 in Stollen und Abgesang. Für Paarung von wv mit k bei Frauenlob ist Plenio eingetreten: Beitr. 39, 307. 3 1 1 ; z. B . Marienieich 3, 2 : dln öuwe 5 vön dem grözen himeltöuwe bluomen birt in wörder schöuwe (wv : k : wv). Auch Saran (DVersl. 283 zu Walther 46, 5/6) und Michels (zu der selben Stelle) setzen solche Paare an. 663. Wir erinnern uns, beim unsanglichen Reimpaare besteht die Streitfrage, ob man die Schlüsse klingend und weiblich voll binden konnte (§ 591). Das gefühlshafte Vorurteil gegen diese rhythmische Unebenheit wiegt leicht, wenn sogar die anspruchsvollere lyrische Kunst die Erscheinung zuließ. E i n bekannter Fall aus dem Kirchenlied ist das Paul Gerhardsche: Fröhlich soll mein herze springen:. . . alle engel singen usw. (während das metrisch gleiche: Warum sollt ich mich doch grämen: . . . wir will mir den nahmen? dem Vf. in dieser Vertonung 5 k : 4 k vorliegt). Dabei bedenke man, daß auch E l i s i o n am innern Reimwort eine Art von unebener Bindung ergibt. So vorhin bei Reinmar 199, 25: äne swsere : ein fröuwe ich wäre, gleichwertig m i t : min geselle •, swaz er wdlle. Oder bei Wolfram 9, 3 : guot wfp, ich bite dich minne : ein t6il dur däz . . . du gib mir die gewinne : , däz ich bäz. Mit zweimoriger Reimsilbe CBur. p. 2 1 2 , D L 98, 1 3 9 : ¿inen brief ich sande : ¿iner fröuwen güot, diu mich inme lande : bellben tüot. Vgl. o. § 6 4 4 . Diese 'Elisionsreime' gaben den besten Minnesängern keinen Anstoß. Mag auch das -e in der Aussprache nicht völlig verschwunden sein, zwei Takte wie | minne ein | und | winne | zogen dem zweisilbigen Gleichklang etwas a b ; noch hörbarer das Paar sände ¿iner : ländä be-. Ob man dies als 'eigenartigen Klangreiz' empfand? (Plenio, Beitr. 42, 444; 39, 3 1 5 1 ) . 664. Auf die Unsicherheit, ob dem 1 ^ -Schluß eine oder zwei Hebungen gebühren, haben wir wiederholt hingewiesen. Hier macht sich das Fehlen mensuraler Notenschrift empfindlich
ZüSAMMENSTOSS VON WV MIT AUFTAKT.
195
geltend (§ 629). Rücksicht auf den folgenden Verseingang, also auf die Fugung, entscheidet oft, nicht immer; sieh § 647. Die Hauptfrage ist: wo anscheinend weiblich voller Schluß zusammenstößt mit Auftakt, wie verfuhr man da? Der Grenztakt | w : ^ | | münde : den | oder gar | winden : so | , inmitten der alternierenden Kette, mußte eine Stauung bewirken. Half da die Fermate ? Darunter versteht man eine Dehnung der letzten (oder auch vorletzten) Verssilbe; eine Verlangsamung ohne 'bestimmbaren Zählwert', nicht eingerechnet in das metrische Gerüste, daher nicht durch Noten - oder Pausenzeichen dargestellt, sondern durch das zeitlose Zeichen Wir kennen die Erscheinung aus dem evangelischen Kirchengesang — ohne daß eine einheitliche Überlieferung gölte: der Fermatengebrauch ist Gegenstand lebhaften Streites unter Musikforschern und Chorleitern. o du liebe meiner liebe, || du erwünschte . . . U J U c J U J i J Jl J J i J J i - - Im Blick auf Aussagen der Meistersinger vermutet man schon für die Lyrik des Hochmittelalters die Verwendung der Fermate (JenL 2, 112; Beitr. 41, 62). Es bliebe die Frage, ob diese Ruhepunkte auch da eintraten, wo an der Versgrenze eine metrische, gemessene Pause lag; also in Fall 2 von § 646. Dem bedenklichen Fall 3, dem stauenden konnte die Fermate abhelfen: mich gruezct menger m(t dem münde, !j den (ch doch wol gemilden künde
665. Aber damit sind die Zweifel noch nicht beschwichtigt! Ist jenes 'Zusammenstoßen von wv mit Auftakt 1 nur Schein ? Ist dieses weiblich voll in Wirklichkeit ein klingend — auch da, wo auf der Pänultima die zweite, vierte, sechste Hebung ruht? Haben wir Hausens Ton 50, 19, anscheinend 8 mal 4WV, so zu lesen ?: ich lobe göt der siner guete, daz ¿r mir ie verlieh die sinne, daz ich si nam in min gemiiete, wan si ist wol w6rt, daz man si m i n n £ . . . Also Verse von f ü n f H e b u n g e n ? . Dieses Verfahren scheint im heutigen Choralgesang zu überwiegen ; z. B.: ich will dich lieben, miine stärke, 5 Takte ich will dich lieben, m&ne zier 4 Takte i3*
IG6
VERSE VON UNGERADER TAKTZAHL.
da müß die nâcht des trâuerns schéidèn, 5 Takte wenn mit der fülle sélger fréudèn 5 Takte die liebe strählt aus déiner brüst 4 Takte. Aber auch wo k e i n Auftakt folgt, kennt man diese fiinfhebig klingende Messung, n e b e n der viertaktig-weiblich vollen: darum wég, ihr ârgen triebè, dér am kréuz ist méine liebè. Jésus, méine Zuversicht 4 Takte ünd mein héiland, ist im lébèn 5 Takte âch, was bin ich, méin erréttèr 5 Takte ünd vertrétèr 3 Takte bèi dem ünsichtbaren licht 4 Takte. Entsprechend könnte man z. B. in Walthers 85, 34 den Aufgesang als ^ 5k I 5 v : || messen: fróuwe, enlât iuch niht verdriezèn miner réde, ob si gefiiege si; móhte ichs wider iuch geniezèn, só waer ich den bésten géme bi. So ergäben sich bei Lichtenstein S. 549 und 582, bei Botenlauben HeidL 48, 15 reine Fünftaktertöne. 666. So erweitert sich uns die Frage d a z u : hatte die altdeutsche Lyrik Verse v o n u n g e r a d e r T a k t z a h l ? Bisher gingen wir von gerader Taktzahl aus und begründeten unsre Kadenzenteilung auf die Annahme: Schließt der Vers mit der ersten, dritten, fünften, siebenten Hebung, dann füllt eine Pause den geradzahligen Rahmen auf; die Füllung ist dann stumpf. Schließt der Vers mit der zweiten, vierten, sechsten, achten Hebung, dann ist der geradzahlige Rahmen gefüllt; das sind volle Verse. Setzt ein -Schluß mit der ersten, dritten, fünften, siebenten Hebung ein, dann gibt ihm der geradzahlige Rahmen Raum, sich über zwei Takte zu strecken: klingende Verse. Diesen Raum hat der -Schluß n i c h t , wo er unterm zweiten, vierten, sechsten, achten Iktus steht; dann bleibt er zweimorig: weiblich volle Verse. Dieser Grundsatz dürfte zwar für die große Mehrzahl der lyrischen Verse Geltung haben, und ohne nennbare Ursache gehn wir nicht davon ab. Doch können es Fugung oder Strophengleichmaß, wie wir sahen, nahelegen, für ein 4 s ein 3 V anzusetzen, für ein 6s ein 5 v ; für ein 4k ein 3wv; für ein 4V ein 5s, für ein 4WV ein 5 k usf.
197
UNSICHERHEIT DER TAKTZAHL.
Unsre Vierteilung stumpf, klingend, voll, weiblich voll reicht auch für diese Ungeradzahligen aus. Wir brauchen die Namen nicht zu vermehren. Mit wenig Beschränkung wird der Satz gelten, daß die metrischen Perioden — die Gruppen von zwei und mehr Versen — g e r a d e T a k t s u m m e haben (§777). 667. Eine Strophe Morungens, 123, 10, verdeutliche einen Teil dieser zwiefachen Möglichkeiten. Von den beiden Stollen setzen wir nur den ersten, min erste und ouch min leste ^ I A4K oder A 3wv I ^ l / s 44sS A 33 vV I fröide was ein wip, der ich mlnen llp 8v bot ze dienest iemer me. ir tuot leider we 8wv al min sprechen und min singen;
/s4v /N4S A4WV
^ ^ ^ ~
3V 5S 3V 5k
\8s 8k
des muoz ich an fröiden mich nu twingen i ^6k ^ 5WV] 10 s , . , iov \ 5S 1 unde truren, swar ich ge I Die zweierlei Rhythmenbilder wären diese: 1. X \kxkx X X X X I J L A A I
\kxkx
/
„
k x
Ix x
IX X X X kx \ 1k X k X X X X X I j - .V X I >< X X XI ^ I 2.
X
Ikx k Ikx k \kxkx \kxkx
x x
kxlkx k x -L:kx\ kxkx -Likx\ kxkx kxkxlkxl
I X X I ^ A
kx\kx\xx I
/N
\ -L k kx\kxkx\.L
Die Möglichkeiten erschöpft dies nicht. Ein T e i l der Strophe könnte nach der ersten, ein andrer nach der zweiten Form gehen. Vertraut man, ohne Kenntnis der Weise, den textlichen Stärkestufen, dann wird man für Lz. 1 die erste Form wählen, für alles übrige die zweite. Das gibt durchgeführte Dipodien; unsre Taktstriche deuten es an. Die Schlußperiode gewönne, wenn man statt des gefugten 10s ein 6k|8s ansetzte, das 8s mit Eingangspause und Innendehnung (§ 671 a. 673): U^XIJLJLI-^J^IJL^/J Diese nachdrückliche Formung sitzt allen fünf Strophen gut.
198
Uberstumpfe Verse.
Man nehme das Gesätze als B e i s p i e l für die aufzuwerfenden Fragen! 668. Und endlich noch eine Möglichkeit! Das scheinbare 4WV könnte als S e c h s t a k t e r zu messen sein. Lösen wir V. 6 und 7 der eben besprochenen Strophe aus ihrem Zusammenhang, dann wäre diese Formung zu erwägen: al min sprechen und min singen: des muoz ich an fröiden mich nu twingen l * x l * x l * x l I l ^ u ^ l l * x l * x l * x l * x l j. Im 11. Tone des Marners (Strauch göff.) schließt der Stollen nach vier A 4V mit scheinbarem ^ 4WV, das in 6taktigem Maße erst recht zur Wirkung kommt: ich spür ein wunder dur die lant x l x x l x x l ) < x l x in gelwer, grüener varwe schin: ez hat fuoz, ougen noch die hant und wil doch bi den liuten sin, beide armen unde riehen Entsprechend bei Versen von andrer Hebungszahl. Scheinbares 2wv kann Viertakter sein. Reinmar 151, 33 Z. 7ff. (vgl. § 671 a): guot gedinge mich enlät ! X X ! X X I X X I )< A I in der swaere; I "k X I -L I ^ I •s mirst sorge harte unmaere, X I £ X I k X I -L min herze rehte höhe stät xt)< x 11. k Endlich noch Veldeke 65, 10: da gibt Halbtaktpause den hübschen Strophenschluß: des darf doch nieman ruochen, wan si suochen biren üf den buochen
Ia a X /\ 1 I k X k X IJ- k ^ I
32. Abschnitt: Der Bau der sanglichen Verse: Innendehnung; daktylische Maße. 672. Einsilbige Innentakte trafen wir bisher als Gelegenheitsformen: auf der Frühstufe in Menge, später nur vereinzelt (§ 639). Es gibt Fälle, wo der einsilbige Takt planvoll, an gewiesener Stelle, gebraucht wird. So kann er fortdauern in die Zeit der jambischen Ebnung. Es sind Fälle sehr ungleicher Art. Einen Fall noch v o r der jambischen Ebnung stellt der Schlußvers der Kürenbergs-Nibelungenstrophe. Beim Kürnberger hat dieser Viertakter, wenn voll, bis auf ¿ine Ausnahme (9, 12) einsilbigen zweiten T a k t : (x) I ^ X I J- Ik X I Jez ist den liuten gelich. Die beiden andern Innentakte sind n i e einsilbig. So auch in des Kürnbergers erstem Tone, 7, 9. 18. Diese Neigung bemerkt man auch in andrer Frühlyrik (MF 264. 291), auch übertragen auf den klingenden Sechstakter bei Herger: und niht vör den 6ren verspärte (so 12mal in 28 Strophen; vgl. ZsAlt. 48, 146). Es ist klar, dynamische und zeitliche Gliederung hängen zusammen. Dem V o l l i k t u s an 2. Stelle (im Viertakter) schenkt man die Doppelmora. Dieser Füllungstyp, Akzentform 2. 4, ist schon bei Otfrid beliebt (§ 484) und bleibt es auch im mhd. Sprechvers, solange man einsilbige Innentakte gebraucht 1 ). Aber das annähernde Durchführen dieser Figur an bestimmter Stelle, wie beim Kürnberger, ist eine Besonderheit lyrischer Kunst. Der lat.-rom. Vers konnte dafür kein Vorbild geben.
204
LAUTER EINSILBIGE
INNENTAKTE.
Die ältere Nibelungenot u n d danach unser Nibelungenlied setzen diese lyrische Regelung in ihrem Sprechverse fort; wenigstens insofern ganz folgerecht, als im Schlußgliede nur der 2. Takt einsilbig sein darf (§ 582). E r d a r f auch zweisilbig sein, und bei den Bearbeitern, besonders C*, wird er es öfter 2 ). Neben der Akzentform 2. 4 sind auch die anderen dem Urtexte schon geläufig : 1. 3 so rüochet Ir gensedec sin 2190; 2. 3 ich söl iu immer wage sin 2116; 1. 2. 3 iu und fitzeln dienen län 2067; 3 die Ich von im empfangen hän 2056; usf. Nach ihrer Nachdruckslinie könnten diese Typen Takt 1 und 3 einsilbig bilden; aber die äußere Regel: nur im 2. Iktus steht Doppelmora, hat sich übergeordnet. *) Mit z. T. unzutreffenden Belegen: Seemüller, Sfr. Helbling X L V I I I f f . ; de Boor, Frühmhd. Studien 72 t. Die Gegenstücke aus Burkhart von Hohenfels und der Braut von Korinth, bei Plenio, Beitr. 41, 94, gehören auf ein anderes Brett. a ) Braune, Beitr. 25, 90.
673. Gab es Verse mit l a u t e r e i n s i l b i g e n I n n e n t a k t e n ? Schon Lachmann erinnerte daran (zu Walther 98, 40): Nicolais Choral W i e schön leuchtet der Morgenstern' beginnt den Abgesang mit einem solchen Verse, ohne daß es dem bloßen Texte anzumerken wäre. Nach unsrer Bezeichnung: lieblich, freundlich, I .L I J- I I -L I schön und herrlich, groß und ehrlich l ^ x l ^ x l ^ x K x l Auch für die ad. Lyrik ist mit dieser Möglichkeit zu rechnen. Also zwei Silben l ^ t nicht, wie gewöhnlich im Versinnern, zu einem Kurztakt | >< X I - L k ? Lichtenstein Nr. 6 S. 110 die Stollenschlüsse: vil ófte ùnfrô /s : mit trûrèn só ; den mânnèn wól : von dér ich dól ^ ; bedénkèst báz : der minnè liáz ^s. Diese Glieder müssen mit dem vorangehenden A4k eine Achttakterlangzeile bilden: des bin ich in dem muote vil ofte unfrö X I >< X >< X I - L * : X I A-1 Z . ^ und es antwortet ihnen als strophenschließendes Reimglied ein normales 4s: stét mïn hérze unhö Tannhäuser Nr. 15 (Singer S. 42), ebenfalls ein gemischt daktylischer Ton mit 3 silbigen Reimgliedern, die man am besten als JL formt: Str. 2 ich hàn den jùngèn vil dâ hér gesúngén, dés ist lánc /\ ; Z. 24 minèn sánc /\ ; 31 án ir dánc ^ usw. Ähnlich in des Marners zweitem Tone (Strauch S. 83), hier vielleicht mit pausierter Eingangshebung in Z. 4/10. 15. Beim Marner Ton 6 (S. 89) steht zwischen ^ 6v- und 6kVersen ein kürzeres Glied : t u m p man : , nim dich an ; vermutlich \ j _ \ J L I I ^ X I J I . Einsilbige Schlagreime wie bei Wintersteten HeidL 265 ff. und bei Konrad von Würzburg Nr. 26 : gar bar lit wït walt, kalt snë wë tuot: gluot sï bï mir
20Ö
W A S SIND DAKTYLEN?
kommen doch wohl nur zur Wirkung, wenn man jeder Silbe einen ganzen Kurztakt gönnt: I -L\ I J-\ J-. . . , nicht bei der 'trochäischen' Messung I X Die Schlußkehre bei Botenlauben DL 26, 44: stant üf, ritter! gibt neben der Messung I_L. I J - I I die ausdrucksvollere / X1 ^ zu erwägen: Überlänge wie in den frühmhd. Fällen §538,1; 551 (Priesterleben 69). Bei Hohenburg DL 19,25 entsprechen sich die Stollenschlüsse: w£cke in, fröuwe und: släf, geselle = I ± ^ X I J . k (vgl. § 72). Endlich nennen wir noch den Rhythmus X i _ i . A X\-L. Er ist uns als Gelegenheitsform im altheimischen Sprechvers begegnet (§ 206); als Sangesform an gewiesener Stelle bringt ihn z. B. der Leich des Heinrich von Sax SchwM 14, 1, 81 ff.: der kle den sne von hinnen vertriben hät usw.; oder Neifen 17, 17 im Strophenschluß: ahi solt ich mich zweigen X I X X X X I X mit ir, diu mir X I -L ^ X a mac wenden sende not! XIXXXXIJ.A Die zwei Schlußzeilen decken sich mit denen des Goethischen 'Veilchens': daher /s, daher /\, die wiese her und sang /\. 676. Bisher waren es mehr vereinzelte Vorkommnisse. Aber außerhalb des Auf und Ab-Schrittes steht noch ein ansehnlicher Teil der ad. Lyrik. Es sind die sogen, 'daktylischen' Verse. Mhd. Daktylen — noch heute das zweitschwierigste Kapitel der altdeutschen Verslehre! (denn das schwierigste sind die lyrischen Drei-, Fünf- und Siebentakter, die Frage nach der Taktzahl). Aus manchen Irrwegen der Forschung ist man ja heraus, aber noch bleiben Fragezeichen: über der Herkunft dieser Formen, fast noch mehr über ihrer Messung, dem 'Wie ist zu lesen — oder zu singen ?'; in hohem Grade auch über der Handschriftenkritik. Unter den Jenaer Weisen gilt ¿ine einem 'daktylischen' Liedchen (XXIV 44), aber die Chorälen Noten versagen hier wie sonst die Belehrung über den Zeitfall (§ 629). In wichtigen Punkten gibt es noch immer keine 'herrschende Ansicht'. Der Name Daktylus wurde und wird als ein Sammelbegriff verwendet: für alles, was gegen die einsilbige Senkung geht. Wo nach Ausscheidung all der Fälle, die man als 'metrisch einsilbig' nahm (§ 563), zwischen zwei Hebungssilben doppelte Senkung
W A S SIND DAKTYLEN?
207
zu stehn schien, 1 1 , da sprach man von 'Daktylus', im Gedanken an die antike Formel _ w ^ , ohne daß man damit über die Zeit Verhältnisse, die Schallform, aussagte. Man hat es auch so ausgedrückt : was dem trochäischen Rhythmus widersteht, ist daktylisch. 677. Unter diesem Sammelbegriff bergen sich sehr ungleiche Größen : 1. Innentakte | X ^ w j als Gelegenheitsform; z. B. MF 39, 18 s l ä f e s t u , vriedel ziere (§ 671); 4, 32 und sprechent mir ze léide si wéllen in schóuwen. Über dieses Nachwirken der freieren Taktfüllung sieh § 638. 2. Einsilbiger Innentakt I _L I X . . . als Gelegenheitsform : 48, 28 daz ich enwéiz, w l ich si; Schwangau HeidL 531, 42 ich bin arm, ich bin riche (sonst alternierend: dàz mir niemer mé diu mère u. ä.). Auch dies ein Nachwirken der alten Füllungsfreiheit, sieh § 639. 3. Vereinzelter einsilbiger Innentakt an vorbestimmter Stelle : tìndèr der linden. Sieh u. § 7 1 1 . 4. Die Folge 1 in mehr oder minder planvollem Wechsel mit
1 - 1 -
(§688).
5. Durchgeführtes 1
im Versinnern.
Wir wählten hier mit Absicht das zeitlose Silbenzeichen _ ; denn die Fälle 4 und 5 zerfallen beide in zwei Arten, je nachdem man geradteiligen oder dreiteiligen Takt ansetzt; sieh § 6S1 f.
Die Fälle 1 und 2 beschäftigen uns nicht mehr. Auch dabei brauchen wir nicht zu verweilen, daß man schon der frühmhd. Sprechdichtung 'Daktylen' anhängen wollte, indem man aus dem Meere ihrer schwergefüllten Takte die 11 ^ h [ herausgriff (§ 53 1 )- D ' e Fälle 3-5 spielen nur im s a n g l i c h e n S t r o p h e n b a u ; über sie haben wir uns klar zu werden, und es ist ratsam, mit 5, den durchgeführten Daktylen, anzufangen. Die Ausgaben Lachmannscher Schule pflegen daktylische Stellen durch vereinzelte Akzentstrichc anzudeuten; Vogt hat in MF mit Vorliebe die z w e i t e Vershebung bezeichnet. Also ein 84, 5 da von muoz ich dur nöt sin ungesungen sagt dem Eingeweihten, er habe nicht jambisch zu lesen (wobei doch auch das ich in Hebung käme!), sondern daktylisch: da von muoz ich dur nöt sin ungesungen. — Übrigens sei der Leser vor diesen Akzentstrichen auf der Hut 1 Sie sind oft falsch gesetzt.
678. Zwei Beispiele für rein daktylische Zeilen: Hausen 52, 37 der Aufgesang : wäfenä, wie hat mich minne geläzen! diu mich betwänc 1, daz ich lie min gemiiete än solhen wäm, der mich wól mac verwäzen, éz ensi, daz ich genieze ir guete.
2O8
D E R REIN DAKTYLISCHE
VIERHEBER.
Rugge IOI, 15 der Aufgesang: göt hat mir armen : ze teide getän, däz er ein wfpi ie geschüof also güote. solt ich in erbärmen : , so h£t erz gelän; si ist mir vor liebe« ze vörre in dem müote. Hier sehen wir den daktylischen Hauptvers. Wir h ö r e n ihn noch nicht; denn das Taktgeschlecht und damit die bestimmte Schallform müssen wir noch offen lassen. Nennen wir die feststellbaren Zügel Es sind viergipflige Zeilen. Sie beginnen mit Hebung oder einsilbigem A u f t a k t ; dieser Wechsel ist frei noch in vielen Tönen der spätem Zeit. Auch zweisilbiger A u f t a k t kommt vor, auch in ungerader Zeile (Periodenanfang), wohl nur nach .Z-Schluß, also mit gefugtem Übergang: . . . 1 1 : 1 1 . . . (4 Fälle in Hausens Ton 43, 28 nach der Handschrift). Die Kadenz ist gebunden: teils weiblich 1 ^ , teils männlich 1 . Das Versinnre hat oft, nicht immer, einen Einschnitt, entweder nach dem zweiten Iktus oder nach der darauf folgenden Senkungssilbe (1); dieser Schnitt trägt gern Inreim : (Rugge Z. 1/3). Die Innentakte sind dreisilbig. Die Zeile ist somit, von der ersten zur vierten Hebung gerechnet, ein Zehttsilbler. Die erste der 3 Taktsilben ist eine sprachliche Länge. Dreisilbige Takte mit kurzer Hebung: | vögele |, |rdde ze-| sind selten und stellen sich neben die gelegentlichen zweisilbigen Takte | winters | (§ 696f.). Für die erste und die zweite, selten die dritte Silbe kann -l ^ eintreten: | kunec waere |; | ist komen diu |; | -wdrren weder |. Hier wäre der Name 'Auflösung' berechtigt, weil unzweifelhaft der dreisilbige T a k t zugrunde liegt, der viersilbige ihn abwandelt. Mit dem Satzton, im ganzen genommen, springt die daktylische Gruppe recht frei um; sieh Z. 3 und 4 unsrer Proben. Man trage dem ein für allemal Rechnung; wir werden nicht jedesmal wieder den Finger drauf legen. E s ist alltäglich, daß man eine daktylische Zeile ebenso gut oder besser zu Jamben formen könnte, wie in dem Beispiel § 677 Ende; bei einem Liede von 2 mal 8 Zeilen, dem des Schwangauers MS 1, 281 Nr. 6, entschieden wir schwer zwischen den beiden Gangarten. Zwar gibt es auch bei klar gezogener Satzkurve diese rhythmische Zweiseitigkeit (ein Fall aus Goethe § 68), doch nicht in dieser Menge. Wo sich anscheinend die schwereren Tonbeugungen von § 607 einstellen, da kommt o f t eine andre, nicht daktylische Messung in Frage (§ 690ff.)
209
SEIN ROMANISCHES VORBILD.
679. Zeilen dieser Art, strenger oder loser gebaut, erscheinen als etwas Neues bei den Lyrikern der welschen Gruppe, MF IX-XVII, am ausgiebigsten bei Fenis. Gleichzeitig gebraucht Kaiser Heinrich diesen Vierheber neben dem Dreiheber, beide in bemerkenswert freier Gestalt (§ 7 0 1 ) . Wogegen wir in den Mariengedichten von Arnstein, St. Lamprecht und Muri keine Daktylen finden können. Während sich dann Hildbolt von Schwangau in der Hälfte seiner Töne, Heinrich von Morungen weniger oft, aber erfindungsreicher in Daktylen bewegt, zeigt Reinmar nur einen Anflug davon (§ 7iof.), und Walther huldigt ihnen nur in drei anspruchslosen Liedchen, sieh § 6 9 7 (709. 7 x 1 ) . Im ganzen ist der Hochstand der Gattung nach 1 2 0 0 überstiegen, so daß man undatierte Dichter, die den Daktylus lieben, nicht über Waither herabsetzt (DL XLVIIf.). Doch lebt er z. B. noch bei Ulrich von Lichtenstein, Neifen und dem Marner um 1 2 5 0 , bei dem Schenken von Landegg, dem Buwenburger und Hetzbolt von Weißensee gegen und nach 1 3 0 0 . Leiche streuen in ihren Schlußteil daktylische Glieder ein; zuerst der des Rugge 98, 3 0 (DL S. 3 8 ) : er kennzeichnet die weichlich lockenden Minneklänge mit dem Verspaar: wir sun hie höimei vil sanfte beliben, die zit wol vertrlben : vil schöne mit wiben. 680. Verbreitung und Beschaffenheit des daktylischen Vierhebers sprechen dafür, daß er fremde Formen nachbildet. Wilhelm Wackernagel wies auf l a t e i n i s c h e Muster, im besondern Hexameter mit Inreim: cumque laborum :, cumque dolorum : sit sitibundus, zu vergleichen mit Lichtenstein 3 9 4 , 2 0 minn unde mdine : si rdine : , si saelic, si höre (Afrz. Lieder 2 1 3 . 2 2 0 ; DLitt. 1, 1 6 9 ) . Aber der Hauptvers, der viergipflige, hat ein viel näheres Gegenstück in dem Z e h n s i l b l e r , der bei den welschen Lyrikern geschätzt ist und auch in lateinischer Dichtung vorkommt. Für dieses Vorbild trat zuerst Bartsch ein, dann Pfaff, Weißenfels und Lundius1). 6 s'eu anc jörn 1 fui gais ni amorös, är non ai jöii d'amor ni l'en espdr. d£l grant engän : , qu'amors väs mi fazia; qu'ab bei semblän : m'a tengtit en fadia 2 ). c&lit hiimsi, tua düritids, frigor abiti, rigor ¿t glacids8). H e u s l e r , Deutsche Versgeschichte II.
14
2io
D I E WELSCHEN ZEHNSILBLER.
róseus éffugitt blàndus inésti cüra crescènte vigóre labénte
TAKTGESCHLECHT.
óre colór, meo córdi dolór, :, labóre vigènte, : misér mori ór4).
Nach Silbenzahl, Iktenzahl, Kadenzen (männlich und weiblich), Einschnitt, z. T. mit Innenreim (im 2. Takte), sind diese Verse genaue Gegenbilder der deutschen in § 678. Wichtig wurde der Nachweis Becks, daß diese welschen Verse in der Tat Vierheber mit dreisilbigen Takten sind (Die Melodien der Troubadours 132ff.). Der romanische •Zehnsilbler1 (bei weiblichem Schluß Elfsilbler) bedeutet mindestens vier wurzelhaft verschiedene Versformen : die Langzeile aus zwei trochäischen Dreihebern: 1 _ 1 _ 1 _ || 1 - 1 - 1 (-); die Langzeile mit trochäischem erstem, jambischem zweitem Gliede ('lyrische Zäsur') : 1 _ 1 _ || - 1 - 1 - 1 (_)6); den jambischen Fünfheber (nach unsrer Bezeichnung A6s und A6k): - 1 - 1 - 1 - 1 - 1 (_); endlich den daktylischen Vierheber: Stellt man diese 4 Rhythmen unter die gemeinsame Überschrift 'Zehnsilbler', so hat dies ungefähr den Wert, wie wenn der Volksmund— man erlaube wieder einmal ein tierkundliches Gleichnis — den Raben, die Fledermaus, den fliegenden Fisch und den Totenkopf als 'Vögel' vereinigt. Diese vier wurzelhaft verschiedenen Arten hat die deutsche Lyrik alle nachgebildet. Mit der vierten Art, dem daktylischen Vierheber, haben wir es hier zu tun. ») Bartsch, ZsAlt. 11, i59ff., Germ. 7, 369ff., D L X X V I I I f . i Pfaff, ZsAlt. 18, 44ff. ; WeiOenfels, Der daktylische Rhythmus bei den Minnesängern 1886; Lundius, ZsPhil. 39, 483fr. (1907). Vgl. die Überblicke bei L. Jörß, Das Arnsteiner Mariengebet (1920) 21 ff.; Baldinger, Der Minnesänger Graf Rudolf von Fenis-Neuenburg (1923) 40. 70 ff. a ) Verse des Folquet von Marseille, nachgebildet von Fenis, MF 355t., SchwM 403f. 8 ) Carmina Burana p. 177 nr. 98. «) CBur. p. 229 nr. 167; vgl. D L S. 370; ZsPhil. 39, 487. 6) Tobler, Vom frz. Versbau 92. 95; Beck 1. c. 139. 182.
681. Bleibt noch eine Hauptfrage: die nach dem Taktgeschlecht. Für die welschen Verse, die uns hier beschäftigen, nahm Beck seinen 'dritten Modus' an; das ist 3teiliger Takt, und zwar in der Ausprägung
IJ-JUI . Er kann der Walzertyp heißen. Ob dies für Frankreich zutrifft, haben wir nicht zu prüfen1). Wir sagen nur: dem deutschen dreisilbigen Takte können wir diesen Zeitfall nicht zuschreiben. Hier setzt der Nachweis von Wilmanns ein (Btr. 4, 13 ff.): Überschaut man die Menge
HÜPFENDE UND SCHWERFÄLLIGE GANGART.
211
der dreisilbigen Takte, so zeigen sie die entschiedene Neigung, der 2. Silbe mehr sprachliches Gewicht zu geben als der 3. Die Gruppen guetlichen; schimpf^re füllen gern den Takt, fast niemals die Gruppen wérdekéit; hérzeléit: diese bringt man als L in den Vers: MF 1 1 3 , 21 éin herzeléit, des ich niene verMit dem Takttypus IJ-AII verträgt sich das nicht2). Die Deutschen müssen eine andre Form eingeführt haben. Zweie kommen in Betracht: dreiteiliger Takt, aber ohne den starren Walzertyp (§ 682); und geradteiliger Langtakt I k X I • Für den zweiten war schon Grein eingetreten; weshalb er auch den Namen 'daktylisch' verwarf (Vilmar-Grein, Deutsche Verskunst § 65). Auch Wilmanns entschied sich für den zweihebigen Langtakt; er bezeichnete ihn mit , aber das meint nicht j 2. 2. 2 |, sondern | 2. 1. 1 |, also unser | k X |. Die erste, dreiteilige Art, bei Wilmanns mit dem primitiven abgebildet, schien ihm 'leichte Grazie und hüpfenden Tonfall' zu bedeuten (S. 10), 'leichten, springenden Rhythmus' (S. 19). Die ad. Daktylen aber schienen nach ihrem sprachlichen Bau, nach der Menge der Stammsilben, 'eine nachdrucksvolle schwerfällige Weise' zu fordern. Dies wären eben die Langtakte | k X | mit ihrem Nebeniktus: guetlichen. Danach spreche man sich unsre Proben in §678 so vor: wáféna, wie hät mich mínné gelázén . . . gót hät mir ármén : ze léidé getán /s, dáz ér ein wíp 1 ie geschúof álso g ú o t é . . . Die Zeile ist immer noch 4gipflig, aber neben den 4 Hauptikten hat sie 4Nebenikten (der vierte bei stumpfem Ausgang pausiert). Die Schlüsse zeichnen sich nun ab als klingend ' oder stumpf s . Bei Einschnitt in der Mitte zerfällt die Zeile in An- und Abvers mit Fugung; eine halbierte, zweiteilige Langzeile. Der Anvers schließt ebenfalls klingend oder stumpf; im letzten Falle füllt der Auftakt des Abverses zwei Morae mit einer Nebenhebung: . . . | wíp 1 ie ge-|schúof . . . I JI -L *) Die mensúrale Schreibung Longa-Brevis-Brevis und die Traktatangaben . . . ex una longa et duabus brevibus* sprächen für die Wilmannssche Taktart | — X X |.
*) Rietsch wendet ein, die Taktart sei nicht f | f " f f
|,
sondern f \ f | (Zs. f. Musikwiss. 6, 5). In diesem } - T a k t setzt Gennrich daktylische Lieder (ib. 7, 75 ff.). Dem Vf. will es nicht gelingen, ad. Verse in diesem Rhythmus nachzuerleben.
14*
212
DREITEILIG
UND GERADTEILIG.
682. Wilmanns' Auffassung hat weithin Anklang gefunden 1 ). Doch ist zweierlei dagegen zu sagen. Einmal, das Ethos und damit der rhythmische Anspruch der Daktylenlieder mögen unterschiedlich gewesen sein. Wir glauben mit Saran, daß manche doch auf Tripeltakt drängen, und zwar auf den leichten (DVersl. 289). Ein dafür werbendes Beispiel scheint uns das Tanzlied Burkharts von Hohenfels D L 34, 1. Diese Kette 3 silbiger Takte, glatt gefugt innerhalb jeder Vierund Sechsheberzeile, will doch wohl 'leichte Grazie und hüpfenden Zeitfall' verwirklichen: wir sun den winder • in Stuben enpfahen, w61 üf, ir kinder • , ze tanz(e) sun wir gähen I völgent ir mirl so sun wir smieren : und zwinken und zwieren ; ngch liepllcher gir.
Das bedächtigere oder gar schwerfällige k X bietet sich hier kaum an, auch abgesehen von dem Takte | stüben en- |, w o man die Starktonkürze dehnen müßte! (§ 695) Und das zweite. A u c h dreiteiliger Takt 11. 1. 1 | muß nicht walzerhaft hüpfen und springen und kann die Menge der Stammsilben, auch das Übergewicht der ersten Senkungssilbe erklären. Wenn er nämlich nicht der leichte, sondern der schwere Tripeltakt ist; der Ländlertakt wie in den Schnaderhüpfeln oder eine ihm ähnliche Gangart. Dieser Ländlertakt faßt 'eine Haupthebung und zwei Nebenhebungen' (| ^ >< X * X 1 1 X * X I J . * /s I I I z k x In ausnehmend reicher und gefälliger Verbindung zeigt die daktylischen Zwei-, Drei- und Vierheber Ulrich von Lichtenstein S. 394: wól mich der sinne, die mir ie gerieten die lére, däz ich si minne von hérzen ie länger ie mère, däz ich ir ère réhte als ein wunder : , so sünder : , sö sére mfnn unde méine, si réine : , si siélic, si hére. 687. Vorbilder des daktylischen Dreihebers konnten welsche 7/8silbler sein, wie sie Beck 1. c. S. I38f. I49ff. 180 bringt; z. B. cértes mout èst bone vie, || dèstre en bonè compaignie (diese durch Dehnung der Pänultima zu Viertaktern gerundet). Für die Formen mit 2 silbigem Auftakt, wie sie Morungen zeigte, kämen in Betracht die 'ziemlich seltenen, nur in der Lyrik üblichen' Neunsilbler (Tobler ioof. ; Beck 181) : je ne sài dont li maus vient que j'äi. Daktylische F ü n f h e b e r würden sich erklären als Verschmelzung halber Hauptverse mit Dreihebern; sieh das letzte Beispiel aus Lichtenstein. Gefugte, innenreimlose Fünfheber hat man angesetzt, z. T. gegen die Hs. gewonnen in dem Liede des von Kolmas, Z. 8 und 10 der Strophe (MF ält. Ausg. 120; D L Nr. 13): gót h a t den hfmel und die wélt mit ir tilgenden bekrönet. Vgl. Weißenfels a. a. O. 77; er läßt nur Z. 10 als fünfhebig gelten. Ob nicht 2eilen von 8 überwiegend zweisilbigen K u r z t a k t e n gemeint sind? E s klingt, wie auch inhaltlich, an das 'Himilriche* a n (§ 599), doch ohne dessen k e n n t liches Schwanken zwischen halbierten u n d geschlossenen A c h t t a k t e r n . In feine Daktylen haben erst die D L den Kolmas umgedichtet.
GEMISCHTE
DAKTYLEN.
217
6 8 8 . An dem Bilde der lyrischen Daktylen fehlt uns noch ein wesentlicher Zug. Neben den reinen Daktylen gibt es gemischte', d. h. mit der Silbenfolge 1 1 . . . im Versinnern wechselt die Folge 1 - 1 . . . ; mit der daktylischen Bewegung die trochäische. Der Wechsel kann ungeregelt oder vorbestimmt sein. Er findet sich im Dreiheber wie im vierhebigen Hauptverse. In welchem Umfang diese Mischung besteht, ist unsicher; aus zwei Gründen. Es fragt sich, wie nahe man den Handschriften folgt; und es fragt sich, ob man reine Daktylen g e g e n den Sprachton oder gemischte m i t dem Sprachton vorzieht. Ein Beispiel für beides. MF 81, 1 (Fenis) lautet in beiden Hss. so: vn daz ich mines sanges iht genieze. Haupt gewinnt die rein daktylische Zeile durch die Änderung: ünd daz ich iht mines sänges genieze. Ohne Änderung, aber mit Tonbeugung erzielt man rein daktylischen Gang, entweder auf taktlos: lind daz ich mines sangfes iht genieze, oder auftaktig: unde daz ich mines sanges iht genieze. Ohne Änderung noch Tonbeugung ergibt sich eine g e m i s c h t daktylische Form, entweder: ünde daz ich mines sänges iht genieze (so MF4), oder: ünd daz ich mines sänges iht genieze: dort der 3. Takt 4silbig, hier außerdem der 2. Takt 2 silbig. 689. Unser Beispiel zeigt, wenn wir und lesen, die richtige Silbenzahl: 10 Silben von der ersten zur letzten Hebung. Lesen wir: unde daz ich . . . , so tritt eine Auftaktsilbe als geduldetes Mehr dazu (§678). Der Ton läßt keinen Zweifel: gemeint ist der daktylische Hauptvers, der 10/11 silbler der provenzalischen und französischen Muster (MF 357). Sprachrichtig meßbar aber wäre die Zeile auch als jambisches A 6 k : und däz ich mines sänges iht genieze. Im Blick auf solche und ähnliche Verse, die man doch nicht immer daktylisch zurechtbessern wollte oder konnte, entstand die absonderliche Lehre: den welschen Vers hätten die deutschen Nachahmer zuerst als eine rein silbenzählende Kette empfunden, und aus diesem rhythmischen (oder arrhythmischen) Protoplasma hätten sie mit der Zeit die zwei ganz verschiedenen Versrhythmen herausentwickelt, den daktylischen Vierheber 1 1 1 1 ( - ) und den jambischen Fünfheber - 1 - 1 - 1 - 1 - 1 (_). Eine Lehre, die bis heute gelegentlich nachspukt. Selbst Forscher wie Paul und Wilmanns sind ihr erlegen (Beitr. 2, 435; Btr. zur Gesch. d. ä. d. Litt. 4, 28. 30. 42), auch Vogt, MF 354, neigt zu ihr hinüber. Nach den Ausführungen von Saran 1 ) sollte dieses Trugbild keiner Widerlegung mehr bedürfen. Man mache sich nur klar, daß die deutschen Dichter keine stummen Buchstabenketten
218
GEMISCHTE D A K T Y L E N B E I F E N I S .
nachbildeten, sondern Melodierhythmen. Der daktylisch vierhebige und der jambisch fünfhebige Melodierhythmus waren scharf geschiedene Gehörerlebnisse. Daran ändert es nichts, daß so oft eine geschriebene Zeile die beiden Modelungen zuließe; ja daß zwei ganze Lieder Morungens dem einen als gemischt daktylisch, dem andern als Auf und Ab gelten (§ 704T.). Das ist die bekannte rhythmische Mehrdeutigkeit des Schriftbildes. Unsre zwei Goethischen Beispiele, in § 68 und 84, beweisen auch nicht; daß der Blankvers mit dem vierhebigen Daktylus, der jambische Sechstakter mit der achttaktigen Langzeile hervorgingen aus ¿inem, nur silbenzählenden, arrhythmischen Urbrei! Hält man die zwei Grundfragen auseinander, die nach der rhythmischen Form und die nach der Sprachbehandlung (§ 16. 87), so ist man gegen diese Irrtümer gefeit und gegen die Verdunkelungen, die das Wort 'Silbenzählung' mit sich geführt hat. *) DVersl. 287 ib. cit. Zur Berichtigung muß man nur hinzunehmen, daß die in Frage stehende lat.-roman. Versart nicht 'alternierendes Metrum', sondern dreisilbige Innentakte hatte.
690. Unentwickelt kann man viele daktylische Zeilen oder Töne nennen — nicht weil sie schwankten zwischen zwei grundverschiedenen Metra! Vielmehr darum, daß sie die bewußte Kurve, die viergipflig daktylische, schlecht wägend herstellen: ein Gebrechen der Sprachbehandlung. Zweitens darum, daß sie dreisilbige Takte vertauschen mit zwei- oder mit viersilbigen: unfeste Taktfüllung. Diese zwei Freiheiten, die prosodische und die versrhythmische, können einander ausschließen, und wir sahen, die Wahl ist mißlich. Als besonders unentwickelt gilt der Daktylus in den zwei ersten Tönen Rudolfs von Fenis (MF 80, 1. 25; SchwM if.). Nach Bartschens Text fiele allerdings die zweite Freiheit, die versrhythmische, fort; wir lesen da Zeilen mit fester Silbenzahl (vom Auftakt immer abgesehn) und mit lauter dreisilbigen Innentakten. Erkauft ist diese Glätte durch weitgehende Tonbeugung, darunter 4 Fälle der schweren Art (§ 607 Nr. 8): 1, 24 von allen minen; 2, 20 mich versaht; 28 allen guoten; 30 ist diu meistiu. (Sechsmal läßt der Herausgeber den Taktinhalt | ¿ ^ Ü | zu, s. § 678.) Vor allem entfernt sich der Text von den Hss. so weit, daß die Versgeschichte darauf nicht bauen kann. Nach der schonenderen Textbehandlung Vogts in MF stellt sich die Sache so: 20 der 56 Zeilen überschreiten die Silbensumme 10 nach unten oder oben. Die haben mithin die bezeichnete versrhythmische Freiheit: Einerseits einen zweisilbigen Innentakt, fast immer an zweiter Stelle, so daß der Einschnitt die Fugung unterbricht: 80, 1
BEI
GUTENBURG.
219
gewän ich ze minnen 1 ie guoten wän; auch 21 wil aber si mich 1 vön ir vertrfben und ähnliche, wo man den d r i t t e n Takt zweisilbig bilden könnte; nur 8i, 27 diu not ist diu meiste wunne min widersetzt sich und läßt an z w e i Zweisilblertakte denken. (Die zwei ^ s ^ - T a k t e : 80, 3 | süle ge- |; 9 | deme der | stellen sich zu diesen 2silbigen: §696.) Anderseits viersilbiger Innentakt, 6 mal an dritter, 3 mal an erster, 2mal an zweiter Stelle; z. B.: 80, 16 d6r wol geh&zet 1 und geltes nie gedähte; 81, 26 lidf ich dar under nöti, daz ist an mir niht schin; 80,20 so wirret mir niht diu not, die jch lfdende bin. Das sind die Zeilentypen Nr. 3 und 2 in § 698 und der von Vers III 2 in § 702. Tonbeugung der schweren Art k ö n n t e man zwar ein halb Dutzendmal annehmen und damit den gerechten Versfall erzielen: 81, 4 und al min stsete 1 niht gehelfen mäc; 81, 28 si sol ir zörm dar u m M läzen sin; ferner 81, 1 (o. §688). 17. 19. 22 (mlne). Aber nötig ist diese Annahme nirgends! Denn sprachgerechte Messung ergäbe nur die zwei- und viersilbigen Innentakte, die vorhin, bei den Neun- und Elfsilblern, unvermeidlich waren; in den Zehnsilblern bedingt notwendig ein zweisilbiger Takt einen viersilbigen (ünd al min staite 1 niht gehelfen mäc): das gibt keinen Anstoß. Gennrichs Versuch, den Melodierhythmus wägend einzurichten (Zs. f. Musikwiss. 7, 7öff.), wäre noch lehrreicher, wenn er die viersilbigen Takte am Leben ließe. 691. Hält man sich also mit Vogt nah an die Überlieferung, dann sind es bei Fenis gemischte Daktylen: etwa die Hälfte der 56 Zeilen durchbricht die dreisilbigen Innentakte. Die Sprachbehandlung aber ist keineswegs unwägend zu nennen, mag sie auch mit dem Satzton freier umgehn als in den zwei Auf und AbTönen (§ 641). Ein grundsätzliches Aufgeben der deutschen Prosodie finden wir bei dem Neuenburger nicht. Seine vier anderen, wahrscheinlich späteren Daktylenlieder sind vers- wie sprachrhythmisch noch geregelter (ZsAlt. 18, 52ff.). Am ehesten darf man dem daktylischen Tone des U l r i c h v o n G u t e n b u r g , MF 77, 36, grundsätzliches Nichtwägen zuerkennen. Bleiben wir so nah als möglich bei den Handschriften, dann sind es von den 54 Zeilen nur neun, die die Silbensumme 10 durchbrechen, und zwar alle nach unten: hier müssen wir also 2silbige Innentakte ansetzen, in vier Versen sogar doppelt: 79, 1 sit min lfp an dem zwivel stät; 11 vön ir schöiden, äls ez nu stät; 78, 12. 28; — 77, 36; 78, 6. 10; 79, 6. 7. Von den 45 Zeilen mit normaler Silbensumme würden ganze 20 den normalen Rhythmus nur dann hergeben, wenn wir ihnen Tonbeugung der härtern Art zuschreiben:
220
B E I HAUSEN USW.
77, 37 dâz mich dûhtè, der sumèr wolt enstân; 78, 2 dér ich bin zâllen zîtèn undertân ; 7 dén ich langé mit triuwèn hân getân ; 14 dâz ich ir léider niht èrwecken kân, usf. Man sieht, die Zahlenverhältnisse sind wesentlich andere als vorhin bei Fenis, und unsre letzten Beispiele zeigen, daß sprachgerechte Messung der Zehnsilbler v i e r s i l b i g e Innentakte ergäbe, die doch bei Gutenburg nie eindeutig vorliegen, weil ihm die Elfsilbler des Fenis (und Hausen) fehlen. Danach glauben wir wirklich, dieser elsässische Lyriker hat das welsche Versmaß auf die Art nachgeahmt, daß er zwar den Vers- oder Melodierhythmus strenger beobachtete als Fenis, auch Hausen, in der Sprachbehandlung aber in einem Grade welschelte, d. h. nicht wog, wie es sich kein Zeitgenosse erlaubte. Auch die späteren Sprachbeuger, die uns in § 641 begegneten, bleiben hinter diesem frühen Daktylenversuche zurück. Wogegen Gutenburgs L e i c h , 69,1, mit seinen alternierenden Versen zum heimischen Wägen hält. 692. H a u s e n gleicht in seinen Daktylen mehr dem Fenis, sofern er die 10 Silben öfters übersteigt, also zu viersilbigen Takten nötigt. Die Überlieferung ist zu mangelhaft, um die Hauptfrage zu entscheiden : ob in allen Zehnsilblern daktylischer Zeitfall durchgehe, auch da wo es auf Kosten des Sprachtons geschähe (etwa I2mal). Die vielen Glättungen in MF mögen gut sein, aber für die Verslehre unfruchtbar. Der Bruchteil der sprach- und versrhythmisch reinen Zeilen ist größer als bei den zwei Vorigen. Bei Johansdorf sinkt er tiefer, bei Horheim hebt er sich über Hausen. Rugge endlich und schon Veldeke — dieser wohl als erster deutscher Dichter — bauen fast durchgängig ungemischte, wägende Daktylen. Rugge hat einen zweisilbigen, zwei viersilbige Innentakte (in MF weggebessert: 101, 19. 21. 22); Veldeke bezahlt seine 3silbigen mit éinem härtern Tonverstoß: 63, 10 mïnèr vrouwen hülde. In seinen Daktylen hat sich Veldeke, scheint es, m e h r um Sprachreinheit bemüht als in seinen Jambo-Trochäen (§ 641) ; umgekehrt als Gutenburg. 693. 'Noch nicht vollkommen entwickelten* daktylischen Rhythmus fand Wilmanns (4, 55) noch bei Hartmann, Walther, Hohenburg, Lichtenstein, Herzog von Anhalt. Man sieht, das 'noch nicht' gibt keine Zeitfolge her. Unentwickelte, d. h. versoder sprachrhythmisch ungenaue Daktylen (§ 690) hat man immer noch gedichtet, nachdem längst schon 'vollkommen entwickelte* dastanden. Doch wird die Ungenauigkeit selten mehr so groß wie bei Hausen, Fenis, Gutenburg, diesen Lyrikern der welschen Richtung. Der von Schwangau dürfte der letzte sein, der ähnlich freie Verse baut.
STARRE UND UNSTARRE
MISCHUNG.
221
Tonbeugende Daktylen sind eine Unterwerfung der Sprache unter den ohrenfälligen, aber ungewohnten Rhythmus der Fremde. Gemischte Daktylen, d. h. Einflechten zwei- und viersilbiger Takte, sind eine Gegenwehr gegen die starre Füllung der fremden Form. Diese Gegenwehr war nicht anfangs am stärksten und wurde mit der Zeit immer schwächer. Nur hat man die Mischung allmählich aus dem regellosen Zustand ins Planvolle hinübergeführt: den dreisilbigen Innentakt ersetzen an gewiesener Stelle der zwei- und namentlich der viersilbige. Ein Ton kann sich aufbauen aus daktylischen und jambotrochäischen oder gemischten Gliedern in geregelter Folge. Die daktylische Gattung, in ihrer Wurzel einförmig, gewann dadurch Abwechslung. Hier hat M o r u n g e n seine Stelle; bei ihm zuerst entfalten die gemischten Daktylen der planvollen Art ein reiches, ausdrucksvolles Formenspiel. Wir wollen es in § 704-6 kennenlernen. 694. Aber auch die unstarre Mischung dürfen wir nicht als ärgerliche Formlosigkeit betrachten. Man muß sie nur richtig zu lesen wissen! Sobald man dem Nebeneinander des 1 1 und seinen rhythmischen Reiz abgewinnt, atmet man auf von dem Zwange, überall nur den zerstörenden Schreiber zu argwöhnen. Man kommt zur Daktylendichtung in ein neues Verhältnis. So schlimm, wie man's hinstellte, ist die Überlieferung dieser Gruppe nicht; den Schreibern waren die Daktylen keine böhmischen Dörfer. Man darf den Handschriften näher bleiben als noch die neue Gestalt von MF. Wilmanns hat darüber Beherzigenswertes gesagt, Btr. 4, 57. Seine Schrift bahnte überhaupt eine weniger arithmetische Behandlung, ein Nacherleben der Daktylen an, so oft der Leser auch wünschen mag, der Drang nach dem Hörbaren bliebe nicht so zaghaft und genügsam (§ 14). Bei den früheren Editoren hat man den Eindruck, das Problem des mhd. Daktylus erschöpfe sich ihnen in dem Satze: 'Eins, zwei drei An der Bank vorbei!' Wir müssen über Wilmanns hinaus auch darin, daß wir diesen gemischten Tönen freigebiger den 'Trochäus' zuweisen. Oft tritt der 'Daktylus', die dreisilbige Gruppe, nur bescheiden hervor aus überwiegend geradsilbigen. Wir wollen den Daktylus nicht mehr so oft gegen die Sprache erzwingen. Den Ton des Tugendhaften Schreibers, D L 24, entstellen wir nicht dadurch, daß wir Str. 1-3 eröffnen mit: minne was so tiure . . . ; minne was ir friunden . . .; minne ist ir gewäldes . . . Die sinngemäße Form: minne wäs sö tiure . . . usw. ist um so weniger anzufechten, als dieses I & X ^ X I - L k den sämtlichen zehn Stollenversen untadelhaft sitzt; hier also gebundene Füllung. Lichtensteins:
222
G E G E N DIE ARITHMETISCHEN
FÜHLLOSIGKEITEN.
höchgemüote fröuwen, ir sult wöl gedenken lassen wir uns nicht verschandeln weder durch ein Lachmannsches höchgmuote noch durch ein Wilmannssches höchgemüote. Die folgenden Paragraphen bringen weitern Stoff zu der Frage. 695. Hier rasch ein Beispiel dafür, wie noch Wilmanns durch Uberschätzung des Daktylus (des Z X X ) zu unglaubhafter Formung gelangte. Die Schlußzeile des Tones Weißensee HeidL 752 sollen wir nach Btr. 4, 49 1 so modeln: I diu vil zarte rdine: mir wärt vröide künt; II die wile daz wir spärten dir schoene glänz; III genäde keiserinne ich muoz dfn eigen sin. Unmögliches verlangen diese Striche nicht! Aber der Zeitfall wird flüssiger, auch sprachgerechter bei folgender Messung; sie muß freilich in II eine Lücke ansetzen. Wir brauchen den ganzen Abgesang, um in die rechte Bewegung zu geraten: I swinne ich ir wäng^n bedenke und ir münt, sö hat mich gar zir geväng6n diu vil zarte r£in&: mir wart vroude enztint /s. II vor sendem smirzen wart min vroude ganz, sl hiez fe trüt in dem h&"z6n, die wile däz wir spärten . . . der schiene glänz III diu ist an ¿nd6 gewältic nu mfn: ich valdf fr herze ünde h£nd£: genäde, k6isaerinn£, ich müoz din ¿igen sin Noch heller beleuchtet der hübsche Ton des Buwenburgers SchwM 23, 3 den Gegensatz der rein daktylischen und der gemischten Form. Nach Bartsch CLII wären die Stollen 'ganz daktylisch'; er hat demnach den ersten Aufgesang so gelesen: wäz ist daz lfehte, daz ltizet her vür üz dim jungen gruenen gras, als ob ez smiere und 6z uns ein gruezen wil schimpfen mit äbe? ¿z sint die blüomen: den sümer ich spur an d£n vogellfnen und an mangem tiere; aht6nt, ob nättire iht ze schäffenne häbe. Der einleuchtende Zeitfall ist dieser:
\
.J-k_> für Nr. 1; für Nr. 3; für Nr. 4 usw. Die erinnern ja neckisch an die Vorzeichnung Klopstockischer Oden! Irgend mögliche, liedmäßige Rhythmen zaubern sie uns nicht vor. Der Grundfehler lag darin, daß man nicht nach Zeitverhältnissen fragte und sich nicht klarmachte: das der 'Ditrochäus', hat hier überall gleichen Z e i t w e r t wie das w, der 'Daktylus*. Wie wir es ausdrückten: viersilbige Takte ersetzen dreisilbige — oder wechseln mit dreisilbigen. Findet man 2 Zeilen so gestrichelt: ein liet hin ze stiure dien kinden, || dä sie mite enphähen den m&en (Marner Nr. 4, 1), so lädt dies zu dem Irrtum ein, die erste Zeile verhalte sich zu der zweiten wie 3 zu 4, während beide genau denselben Rahmen füllen. Wilmanns hat dies begrifflich gefaßt, wenn auch nicht folgerecht und klar durchgeführt. Der Stollen Neidharts 61, 18 erscheint bei Haupt-Wießner mit diesen Iktenzeichen: dise trüeben tage, dar zuo lditllchiu klage hänt mir vriude benömen und allen höhen muot. Man versuche es, dies zu sprechen als: || || Gewiß keine erträgliche Liedform! Und nun modle man es so: \ -L k X I ^ X a X I ^ X ^ X I - L / v ^ l 699. Daneben ist es eine Frage zweiter Ordnung, ob diesen gemischten Formen der geradteilige Langtakt gebühre oder der schwere Tripeltakt. Der leichte |-Takt kommt hier nicht in Frage, weil er diese z. T. recht gewichtigen 4 Silben nicht aufnähme ; so wenig die neudeutschen Walzermaße (Wir singen und sägen vom gräfen so girn) viersilbige Takte vertrügen (etwa: . . . vom gräfenhaus so gdrn). Der | -Takt und der Ländlertakt kommen beide in Betracht. Wir setzen wieder, wie in §696, die zwei Rhythmenbilder untereinander. Unsre Typen 1. 3. 8. 10. 12 werden genügen; die übrigen legt man sich leicht zurecht. H e u s l e r , Deutsche Versgeschichte II.
15
226
G E R A D E R UND LÄNDLERTAKT.
I höchgemüete woldei v i l gerne belïben i
Iv^wXXl^X' X
l 5 < x x l ^ x
3 ir geilent iuch jungem, die bluomen sint ensprungen ï x l ^ x x l ^ x ' x
Iv^wXXl^X
8 daz diu v i l süeze • noch getrœste mïnen muot i ï I
l ^ k x l ^ x ' ^ x l ^ x S c x l - ^ ^ X X l ^ w ' X X l ^ w X X l ) ^
i o der ist u n b e k l e i t , dannoch kan si fliegen * I Ï Iv^wxxl
l-L/sXl-Lkx\-Lk ^ A X I ^ X X I ^ X
12 gebiutet si soi, mïn liep vor allen wiben I X I ^ X X I 5 < A X
I ^ w x x K X
700. Z u diesen g e r a d t a k t i g e n R h y t h m e n gibt es bekannte Gegenstücke. Wilmanns wies schon hin a u f : was blasen die trompétèn ? husârèn, herâus : das Versinnere deckt sich mit T y p u s i . B i s auf die Kadenz stimmt zu T y p u s 3: der mâi ist gekômmèm, die bäume schlàgen âus xs in dieser, dem Sprechvortrag gemäßen Formgebung (s. u.). Die welsche Minnelyrik mit ihrer gleichmäßigen Silbenverteilung bot keine Muster für diesen Wechsel von | JL k. X | und F a n d sich ein Muster in der l a t . Dichtung? Wäre es sicher, daß man im 12. Jahrh. die sapphischen Zeilen so sang: Christè, sanctörümi déçus àngelôrùm, géntls humânàei sâtor èt redémptôr 1 ), dann hätte man hier freilich das genaue Gegenstück zu T y p u s 11. Aber diese gemischten Zeilen der Deutschen erklären sich wohl zureichend aus Kreuzung des entlehnten D a k t y l u s mit dem vertrauten Auf und A b ; eine Gegenwirkung gegen die starr dreisilbigen T a k t e (§ 693). U m uns die z w e i t e Modelung, die im Ländlertakt, nahe zu bringen, müssen wir schon zu den Schnaderhüpfeln gehn. Auch Geibels 'Der mai i s t . . hat in der geläufigen Vertonung Lyras (1842) bis auf den stumpfen Ausgang den Zeitfall von T y p u s 3 im f - T a k t . A n dem Gedanken, diese T a k t a r t wäre für die Stauferjahre ein ungeheuerlicher Zeitverstoß, wird man irre, wenn man bei
DIE
DAKTYLEN
KAISER
HEINRICHS.
227
Beck 1. c. 149 f. aus der Handschrift Montpellier entsprechende Melodierhythmen samt Text antrifft: mout me fu grief Ii départir
UJJlJUMJU povre secorsi ai encore recovré
IJJJU'JJ|J\UJIJ
~Typus3.
Nach B e c k S. 155 gehört "in den für uns in Betracht kommenden Denkmälern der Troubadours und Trouvères' diese Spaltung des Viertels nur der Melodie; der T e x t macht sie nicht mit. Der T e x t gibt jedem T a k t e — im dritten Modus — unabänderlich 3 Silben. A b e r für unsre Frage k o m m t es nur darauf a n , daß die Melodien den T a k t t y p u s § v i / w X X ; kannten. Die Füllung mit 4 Silben war die deutsche Neuerung. Die viersilbigen Takte neben den dreisilbigen liegen j a vor Augen.
\
Mag sein, d a ß der erste u n d der zweite Zeitfall bestanden, wenn auch schwerlich für ein und denselben Ton. In den nicht häufigen Liedern, die s o w o h l v i e r - a l s z w e i s i l b i g e Takte neben den dreisilbigen gebrauchen (und zwar die zweisilbigen nicht bloß im Mitteltakte), sinkt die Wage zugunsten des dreiteiligen Geschlechts. Nach dem in § 696 und 699 Gesagten stehn dann der leichte und der schwere Tripclt a k t in Streit. Wir erwarten die Entscheidung von der Musikwissenschaft. *) Vgl. Riemann, Handbuch der Mus. I 2, 26f.; Moser, Gesch. d. d. Musik I, 92f. 98. Die Frage berührt sich mit der nach dem R h y t h m u s des 'epischen Zehnsilblers' der Franzosen; worüber Saran, R h y t h m u s des frz. Verses 86f., und mit anderm Ergebnis Beck 1. c. 140!.
701. Gewiß nur gerader Takt kommt in Frage für den Ton K a i s e r H e i n r i c h s 5, 16. Diese Daktylen sind von den frühsten in deutscher Sprache; sie nehmen sich aus wie ein tastender Übergang von der herkömmlichen Versart zu der neuen. Die Mischung der Takttypen ist sehr frei; sie erstreckt sich auf die Kadenzen. Die X treten hinter den X X >< X besonders weit zurück : soll dies noch daktylisch heißen — oder alternierend mit eingestreuten einsilbigen Takten ? Die 'Ditrochäen' ihrerseits haben so oft das Gewicht ^ X ^ X , daß man die Abbildung in zweimorigen Kurztakten vorziehen möchte. Wir wählen, wie schon in §659.667.671, die vermittelnde Bezeichnung I)^X)> I 4 I 4 I 3 I» die uns eben bei K. Heinrich begegneten. Solche gemischt daktylischen Verse wahren sich ein Maß von Füllungsfreiheit, das der Auf und Ab-Lyrik derselben Zeit nicht mehr ansteht. In mehreren dieser Beispiele kann man die Silben auch anders verteilen; man möchte glauben, daß sie sogar für Dichter und Sänger vielgestaltig waren: die Einheit der Melodie würde dadurch nicht bedroht. Wir haben hier den \ -Takt vorausgesetzt und wollen dies der Einfachheit halber auch im folgenden tun. Aber der schwere £ -Takt dürfte daneben zu erwägen sein, ausgenommen die Töne mit (einzelnen oder überwiegenden) Auf- undAb-Zeilen (§682). Veldekes munterm Aprilliedchen steht Tripeltakt besser. 703. Veldeke 62, 25 'In dem aberillen' bringt nach glatt daktylischen Zeilen den Schluß (anscheinend) ^ 6k, was sich so •fünfTrochäen' nennt. Als dreiDipodien: I ^ X > < X I X X X X I J - X . schlösse sich dies erträglich an an das vorangehende Glied X X I JL ^ . Viel glaubhafter aber wirkt Anfügung an diesen Zweiheber und Zerdehnung der letzten 4 Silben (§ 673): der mich nie verdröz: wan si swigen al den winter stille Von den Gegenstücken bei Wilmanns 4, 561 würden wir MS x, 26 streichen. Neifen 49, 14, Kehrreim, fügt sich in diese Form: diu guote, diu guote, diu guote, diu reine, die ich mit ganzen triuwen iemer meine Xl-lfcxl-i-fc'Xl-lfcxl-Lfc/J 1-1* xl ^ k / s Der 1. Vers der gewohnte Daktylus, der 2. ein gemischter Typ, Nr. 11 in § 698. Greifen wir noch einen spätem Ton heraus, den einzigen daktylischen beim Grafen von Honberg. Dem Drucke in den SchwM S. 280 sieht man die Form nicht so leicht an! Die 3hebigen Abverse sind rein daktylisch; die Vierheber zeigen die gemischten Typen Nr. 1 und 6. Völlig gebundene Füllung. Wer sich an unsern Eingangspausen stößt, setze ruhig ein I X X I ein. Der Taktinhalt | tilgende | in Z. 7 zeugte für Tripeltakt, wenn nicht gedehnte Stammsilbe gemeint wäre. Str. 2: si schetzet mich : unde leit mir ze kostliche stiure; dar zuo muoz ich singen 1, wie lieplich si si.
GEREGELTE MISCHUNG.
MORUNGENS D A K T Y L E N .
231
5 in gesach nie wip : hän so eren gernden llp. si schetzet sich : michels rlcher an guote noch hiure: alsus dicke wahsenti ir tugende bi I ^ X ^ X I - Z - ^ ' X I — "k X Z. 6/7 = 1/2 (§824). 704. Morungen, der wahre Meister der deutschen Daktylen, gibt mit seinen neun Tönen der Verslehre viel zu beobachten. Heben wir einiges heraus! Die Nummer der gemischt daktylischen Langzeilentypen geht auf §698. 133, 13 'Leitliche blicke': neben 6 daktylischen Vierhebern als Abgesangsspitze der Langzeilentypus Nr. 6: Itfx^xl-^'fcxltfx^xl-i/x140, 32 'Uns ist zergangen': neben 6 daktylischen Vierhebern die Abgesangsspitze A4S: ja hät si mich verwünt ^ ; also vom Ausmaß des daktylischen Zweihebers (§ 685). Zerdehnung scheint hier unnötig. In den Vierhebern II 7, III 1. 3 dürfen wir ruhig die kleinen Füllungsfreiheiten der Handschrift beibehalten: genäde, ein kuniginne; die ich mit gesänge; in gesäch nu länge. 141, 15 'Mich wundert harte': dreimal der anderthalbfache Vierheber (§ 685); als Abgesangsspitze der Langzeilentyp 5: 129, 14 'Sach ieman die frouwen': die richtige Messung steht bei Saran, DVersl. 287 f. Es sind, gegen MF und Wilmanns 4, 54, lauter auf taktlose Verse bis auf I 7 si liuhtet säm der sünne tüot. In Liedern dieses Maßes unverfänglich ist II 9 diu liebe und diu l&de. Der Ton enthält 3mal den Langzeilentyp 9: Z. 1.2/4.5; 9. 10; einmal den Typ 7: Z. 7. 8; dazu als Abvers der Stollen und des Abgesangs ein ^ 4 s, also vom Zeitmaß des halben Hauptverses wie vorhin unter 140, 32. 134, 14 'Ez tuot vil we'. Die Ausgaben (MF und Kraus 1925) fassen den Ton gar nicht als daktylisch. Aber man skandiere oder singe sich nur dieses Durcheinander von 5 hebigen und 2 hebigen Jamben mit 3hebigen und 4hebigen Trochäen! Liedhaft fließt das gewiß nicht. Die gehörmäßige Einheit entsteht bei dieser Modelung: erst dreimal die Langzeilentypen 12 + 6, darauf einmal Typus 4. Str. 3 als Beispiel, die Periode 12 + 6 nur einmal hergesetzt:
232
MORUNGENS DAKTYLEN.
wä ist nu hini min liehter morgensterne ? we, waz hilfet mich i, daz min sunne ist üf gegän ? wand ich mich hän : gar verkapfet üf ir wän I I jL,sX l * x * x l I^X^XI^'SCXIxx^XIJL^I Statt der Eingänge I
k X I -L vielleicht besser I ^ X ~X X I
(§671).
141, 37 cSi hat mich verwunt\ Der Ton kontrastiert nicht weniger als 6 Glieder: den Stollenanvers bildet der Langzeilentyp 2 (in II 1 dafür die Spielart Typ 6); der Abvers von Stollen und Abgesang ist der daktylische Dreiheber, stumpf; der selbe Vers, klingend und auftaktig, steht als Z. 5b (sieh § 686). Dazu kommt wieder der alternierende Kurzvers von 2 Langtakten (wie in 140, 32; 129, 14), und zwar als A4s in 5a, als A4k in 7a, als / - ^ k in 6. Strophe 1: si hat mich verwunt : rehte aldurch mine sele in den vil tätlichen grünt. den bat ich zeiner stunt : , daz er mich ir ze dienste bevele und daz er mir stele von ir ein senftez küssen: sö wer ich iemer gesunt
\iiX"kx\J-'kx\-Lkx\J-k^\ I \ JLkx l-L/x x\txtx\-L-.kx\J-kx\ x l * x * x l
lljLkxl
JLkx I x x ^ x l - L * ^ k x l^^s/sl
705. Morungen 135, 9 'We wie lange sol ich ringen'. Wieder der Langzeilentyp 2, diesmal als A b v e r s der Stollen 1 ). Der Abgesang beginnt und endet mit einer sehr kenntlichen Vierheberzeile, die man 'anapästisch' nennen dürfte: daz ein man also tobt 1, als ich tuon zaller zit Dann bleiben noch zwei anscheinend trochäische Glieder: ^ 4WV als Stollenanvers, /\ 6 k als Abgesangsmitte. In deren Messung und Anfügung liegt das Fragezeichen dieses anerkannt schwierigen Tones 2 ). Wir wagen zögernd diesen Vorschlag; Str. 3:
MORUNGENS
DAKTYLEN.
233
öwe des, waz tede ich tumbe, daz ich niht enrettei als ein seliger man? so swige ich reht als ein stumbe, der von siner nöt 1 niht gesprechen enkan, Wan daz er mit der hanti siniu wort tiuten muoz: als erzeige ich ir min wundez herze unde valle für si • unde nige üf ir fuoz: I £ X >< X I JL 1 * X I -L k X I -L XXI^X^XI i l ^ x ^ x l ^ ' k x l - ^ k x l ^ : > < x I _i>» Geltar DL 57, 20): diu nihteg&l, diu sine so wól,
daz man irs iemer dànken sòl und ändern kléinen vógellin. dò dâhte ich i n die fróuwen min: diu ist mis hérzen kdnigin.
TIROLSTROPHE
U. G E N .
TERZINE NEBEN LANGZEILE.
277
In diesem gleichversigen Tone hindert nur die Satzlinie, V. 5 als angereimte Zugabe zu zwei Reimpaaren zu fassen; was nach A 1 hinüberläge. b. Der Dreiversgruppe geht eine Mehrheit von Reimpaaren voran. Die Tirolstrophe, ein Siebenzeiler: zwei Reimpaare mit 4 v ; der Abgesang gleich dem Schlußteil der Morolfstrophe: v . c | k(v) . x | v . c. Kunstreicher ist der Abgesang bei Neidhart 8, 12: 1
/JS\
4s . c | /s 4 (