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German Pages 304 Year 2015
Anne Schreiter Deutsch-Chinesische Arbeitswelten
Gesellschaft der Unterschiede | Band 22
2014-12-18 16-02-22 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03d3385321000046|(S.
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Anne Schreiter (Dr. rer. soc.), Soziologin und Kommunikationswissenschaftlerin, forscht als Visiting Scholar an der University of California in Berkeley.
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Anne Schreiter
Deutsch-Chinesische Arbeitswelten Einblicke in den interkulturellen Unternehmensalltag in Deutschland und China
2014-12-18 16-02-22 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03d3385321000046|(S.
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat & Satz: Anne Schreiter Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2942-2 PDF-ISBN 978-3-8394-2942-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt
1. Das alltägliche Fremde. Einführung | 9
1.1 Herr Frei, Herr Luo und die Herausforderungen globalisierter Arbeitswelten | 9 1.2 Forschungsfragen und -kontext | 11 1.3 Aufbau des Buches | 13 1.4 Forschungsüberblick und Ziele der Untersuchung | 14 2. Interkulturelle Arbeitswelten. Forschungsfeld | 17
2.1 Deutsch-chinesische Wirtschaftskooperationen: Strukturen und Akteure | 17 2.2 »Chinesisches Schwabenland« und fremde Investoren: Variationen des Forschungsfeldes in China und Deutschland | 21 3. Theoretischer Bezugsrahmen | 31
3.1 Zwischen Nationalcharakteristika und individueller Handlungspraxis | 32 3.2 Sowohl-als-auch und Entweder-oder: Der Ansatz der »Fuzzy Culture« | 36 3.3 Kollektive als »Kulturträger« | 37 3.4 Wozu Kultur? | 38 3.5 Interkulturalität | 40 3.6 Kommunikation | 41 3.7 Kultur und Wirtschaft | 42 3.8 Unternehmenskulturen | 43 3.9 Im Westen nichts Neues? Indigene Ansätze | 45 4. Forschungskonzept | 47
4.1 Herausforderungen qualitativer Forschung: Rekonstruktion und (Fremd-) Verstehen | 47 4.2 Datenerhebung und Auswertung | 50 5. Irritationen von Lebenswelten. Wahrnehmung und Bewertung von Unterschieden | 57
5.1 Bewertungen des Fremden | 58
5.2 Unterschiedliche Selbstbilder | 68 5.3 Unterschiedliche Blicke auf das Andere | 76 5.4 Abweichende Selbst- und Fremdbilder | 79 5.5 Herzlichkeit und Distanz. Die Suche nach dem verbindenden Menschlichen | 87 5.6 Kultur und Nationalität. Zwischenfazit | 95 6. Wenn Unterschiede zum Problem werden. Kommunikative und strukturelle Spannungsfelder | 101
6.1 Der interkulturelle Klassiker. Spannungsfeld Verhandlungen | 102 6.2 Lost in Translation? Spannungsfeld Kommunikation und Sprache | 111 6.3 Corporate Cultures. Spannungsfeld Unternehmensstrukturen und Hierarchien | 119 6.4 Stolz und Vorurteil. Spannungsfeld Business-Verhalten | 130 6.5 Far, far away. Spannungsfeld Beziehung zur Firmenleitung im Stammhaus | 150 6.6 Fremde Heimat. Spannungsfeld Privatleben | 157 6.7 Interkultureller Alltag. Zwischenfazit | 163 7. Umgang mit Spannungsfeldern. Konstruktion von Normalität(en) | 167
7.1 Umgang mit dem Spannungsfeld Verhandlungen | 169 7.2 Umgang mit dem Spannungsfeld Kommunikation und Sprache | 173 7.3 Umgang mit dem Spannungsfeld Unternehmensstrukturen und Hierarchien | 180 7.4 Umgang mit dem Spannungsfeld Business-Verhalten | 198 7.5 Umgang mit dem Spannungsfeld Beziehung zur Firmenleitung im Stammhaus | 221 7.6 Umgang mit dem Spannungsfeld Privatleben | 229 7.7 Zusammenfassung: Zentrale Strategien und Einflussfaktoren beim Umgang mit Spannungsfeldern | 233 7.8 Verständnis statt Verstehen. Zwischenfazit | 242 8. Interkulturelle Kompetenzentwicklung im Unternehmenskontext | 245
8.1 Was ist ein kompetenter Akteur? | 245 8.2 Einfluss und Bewertung von kommerziellen interkulturellen Weiterbildungsmaßnahmen | 247
8.3 Kompetenzentwicklung als persönlich-individuelle Aufgabe. Bedürfnisse und Ansprüche von Managern und Mitarbeitenden | 256 8.4 Gelebte und »verpackte« Normalitätskonstrukte. Zwischenfazit | 265 9. Ergebnisse und abschließende Überlegungen | 269
9.1 Explodierende Gewissheiten: Zusammenfassung zentraler Erkenntnisse | 269 9.2 Theoretische und Empirische Fuzziness | 272 9.3 Normalität als anschlussfähiges Forschungskonzept | 272 Literatur | 275 Anhang | 301
1. Das alltägliche Fremde. Einführung
1.1 H ERR F REI , H ERR L UO UND DIE H ERAUSFORDERUNGEN GLOBALISIERTER A RBEITSWELTEN Nach Taicang verirren sich kaum Touristen. Etwa eine Autostunde von der Metropole Shanghai entfernt gelegen, ist die für chinesische Verhältnisse mit einer halben Million Einwohnern beschauliche Stadt trotz einiger Sehenswürdigkeiten vor allem ein florierender Industriestandort. In den vergangenen 20 Jahren haben sich hier hauptsächlich deutsche Unternehmen angesiedelt, inzwischen sind es um die 180. Die meisten davon sind Niederlassungen von Mittelständlern, die als Zulieferer für größere Firmen wie Siemens, Bosch oder die Automobilindustrie tätig sind. In einem der gepflegten und austauschbaren Flachbauten des »German Industrial Parks« erzählt Herr Frei1, der seit mehr als 15 Jahren in China als Geschäftsführer arbeitet, von seiner größten Herausforderung im Arbeitsalltag. Entgegen aller Erwartungen hat diese jedoch nichts mit seinen chinesischen Mitarbeitern oder Kunden zu tun. Herrn Frei macht vielmehr die Kommunikation mit seinen Kollegen in der Firmenzentrale in Deutschland zu schaffen: »Unsere größten Schwierigkeiten sind meistens die…Anforderungen von Deutschland. Weil die…verstehen bis heut noch ned, was hier läuft.« (Frei) Fast 9000 Kilometer westwärts berichtet Herr Luo von ganz ähnlichen Schwierigkeiten. Er ist als Manager in einer von etwa 600 Niederlassungen chinesischer Unternehmen in Deutschland angestellt. Obwohl weder der Unternehmensname noch der Standort inmitten einer von deutschen Firmen geprägten Industriesiedlung den chinesischen Ursprung des Unternehmens erkennen lassen,
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Die Namen aller Interviewpartner wurden für die Untersuchung anonymisiert.
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sind Herrn Luos Kollegen vor allem Chinesen. Die Kantine serviert chinesische Gerichte und die Eingangshalle ist mit Kalligrafien und Vasen im chinesischen Stil dekoriert. Herr Luo sollte sich eigentlich zu Hause fühlen, er erlebt aber immer wieder, dass seine Berichte und Strategievorschläge bei der Konzernleitung in China nur wenig Gehör finden. So wird er immer wieder in die missliche Lage versetzt, Entscheidungen umsetzen zu müssen, die er für wenig sinnvoll für den deutschen Markt oder den Unternehmensalltag der Niederlassung hält. Die Erfahrungen von Herrn Frei und Herrn Luo stehen beispielhaft für die erlebten und teilweise für Außenstehende überraschenden Herausforderungen in Unternehmen, deren Routinen in besonderem Maße von Außeralltäglichem berührt werden. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist vor allem vor der Hintergrundfolie der vielschichtigen Dynamiken, die zusammenfassend als Globalisierung bezeichnet werden, vergleichsweise hoch. Denn dabei wirken Prozesse der Entbettung und der Vernetzung zusammen (vgl. Krotz 2005: 60-61): Entbettung bedeutet, dass menschliches Handeln nicht mehr orts- und zeitgebunden ist (vgl. Giddens 1995: 33). Möglich ist das mit der Hilfe von Vernetzungsmechanismen, also hauptsächlich technischen Mitteln und allen voran des Internets, die es Menschen, Organisationen und Institutionen erlauben, sich anders als es vorher möglich war, miteinander zu verbinden. Herr Frei muss sich demnach weder am gleichen Ort noch in der gleichen Zeitzone wie seine deutschen Kollegen aufhalten, um die Unternehmensstrategie auf dem chinesischen Markt durchzusetzen. Gleichzeitig laufen dabei nach Giddens (1995) aber auch Rückbettungsprozesse ab, die der Entbettung und den technischen Vernetzungsmöglichkeiten entgegenwirken. Trotz der Möglichkeit, Kollegen oder Kunden über Emails, Handys oder interne soziale Netzwerke rund um die Uhr und nahezu überall zu erreichen, spielt gerade deswegen für viele Manager ein verbindlicher, persönlicher Kontakt eine zentrale Rolle im Arbeitsleben. Im Zuge solcher Arbeitsroutinen folgen die einzelnen Akteure mehr oder weniger bewusst den Anforderungen des globalen Marktes. Es geht darum, ein Produkt zu vertreiben oder zu produzieren und Gewinne zu maximieren. Die mitunter guten Vorsätze marktwirtschaftlicher Bemühungen sind dann jedoch untrennbar mit deren »ungewollte[n] Nebenwirkungen« (Beck 1998a: 8) verkettet, die sich neben Skandalen um Sweatshops und Umweltsünden vor allem in der letzten Finanzkrise gezeigt haben. In solche Netzwerke verstrickt sind auch die beiden weltweit exportstärksten Länder, Deutschland und China, die allerdings nicht nur räumlich weit voneinander entfernt liegen, sondern sich nach wie vor gegenseitig ein Inbegriff für das Fremde sind: Einerseits aus chinesischer Perspektive als Teil eines von den meisten Chinesen noch nie bereisten Europas, andererseits als plötzlich auf die
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Weltbühne getretener und für die meisten Deutschen fast unheimlich erscheinender asiatischer Wirtschaftsmotor. Angesichts wirtschaftlicher Interessen geht es nun darum, das als fremd Wahrgenommene handhabbar zu machen. Im Bereich der Managementforschung wurden dafür (scheinbar) neutral gehaltene Schablonen entwickelt, die den Wirtschaftsentscheidern erklären sollen, wie »der Deutsche« oder »der Chinese« nun genau sei. Trotz breiter Kritik und durchaus differenzierter Studien in dieser Disziplin favorisieren Multplikatoren in den Wirtschaftswissenschaften, aber auch im Bereich interkultureller Weiterbildungsmaßnahmen nach wie vor solche simplifizierten Modelle als (ausschließliche) Erklärungsansätze. Das liegt vor allem daran, dass wirtschaftliche Potentiale so verheißungsvoll locken: So sind möglichst schnelle und unkomplizierte Lösungen gefragt. Allerdings verharren diese Lösungen oft in starren Szenarien künstlicher Arbeitswelten, da sie die Dynamiken konkreter Interaktionssituationen ausgespart lassen. Stattdessen stehen sich schnittmusterartige Wirtschaftssubjekte gegenüber, die sich vordergründig über ihre nationale Herkunft definieren. In ihrer Analyse von Managementliteratur aus den 1960er und 90er Jahren stellen Boltanski und Chiapello (2003) dazu fest: »Es scheint fast so, als hätte der nationale Bezugsrahmen nichts von seiner Bedeutung eingebüßt, wenn es darum geht, den Managern eines Landes Motive an die Hand zu geben, sich im Prozess der Globalisierung zu engagieren.« (Boltanski/Chiapello 2003: 579)
Gleichzeitig verleiten eine in weiten Teilen standardisierte Wirtschaftsarena und die Vermutung, es gälten dann weltweit die gleichen, neoliberalen Motive, dazu, zu meinen, den Anderen längst verstanden und ausgeleuchtet zu haben. Dass dies aufgrund der Kontingenz von Interaktionssituationen und von multiplen Handlungsoptionen bei der gleichzeitigen »Entbettung« vertrauter und erprobter Gewissheiten in der Praxis ungleich herausfordernder ist als in der Theorie, scheint jedoch weniger Vermutung als logische Konsequenz zu sein.
1.2 F ORSCHUNGSFRAGEN
UND - KONTEXT
Deutsch-chinesische Arbeitskontexte sind demnach für die darin involvierten Wirtschaftsakteure in besonderem Maße herausfordernd. Dabei umfassen die hier beleuchteten Arbeitskontexte sowohl deutsche Niederlassungen in China als auch chinesische Niederlassungen in Deutschland, in denen jeweils chinesische und deutsche Mitarbeiter zusammenarbeiten. Die Akteure müssen sich also entweder in einem anderen Land oder in einem ausländischen Unternehmen zu-
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rechtfinden. Dort sollen sie ihre Aufgaben im Interesse ihrer Firma erfüllen, gleichzeitig müssen sie dafür jedoch besondere kulturelle Transferleistungen erbringen. Sie sind dann nicht nur Manager oder Mitarbeitende, sondern eben häufig auch kulturelle Mittler. Für die Akteure gehört es daher zum Arbeitsalltag, sich mit ungewohnten Differenzen und mit daraus möglicherweise entstehenden Verwerfungen auseinanderzusetzen; der Anspruch ist allerdings, dass sie angemessen damit umgehen. Das bedeutet zunächst ganz allgemein, dass sie dazu fähig sind, in Interaktionssituationen Anschlussfähigkeit zu gewährleisten und Kommunikation somit aufrechtzuerhalten. Erst dann ist es möglich, »soziales Routinehandeln« (Bolten 2003: 6) zu etablieren. Dazu gehört beispielsweise, »Gebrauchsanweisungen« (Schütz/Luckmann 1975: 32) zur Lösung von Alltagsproblemen parat zu haben und mit bestehenden Differenzen vertraut zu sein. Das entlastet die Akteure davon, ständig darüber nachdenken zu müssen, wie sie Erfahrungen auslegen und entsprechend danach handeln sollen. Ansonsten würden Irritationen und Unsicherheiten die Handlungsfähigkeit so weit einschränken oder verlangsamen, dass die eigentliche Aufgabe der Akteure, nämlich dem Tagesgeschäft nachzugehen oder ein Unternehmen zu führen, nahezu unmöglich wäre. Es ist also von Bedeutung, dass es den Akteuren gelingt, einen zumindest temporär stabilen Zustand von Normalität herzustellen, oder wie es Schütz/ Luckmann (1975) ausdrücken, einen Zustand der »Fraglosigkeit« (ebd.: 27). Das heißt jedoch nicht, dass diese Normalität bzw. Fraglosigkeit nicht jederzeit wieder irritiert werden könnte. Das passiert immer dann, wenn das »Unbestimmte« (ebd. 27), das den »Kern« (ebd.) des Fraglosen umgibt, dort Zugang findet und es wieder fragwürdig macht, beispielsweise weil sich ein Verhandlungspartner oder Kollege vollkommen anders verhält als erwartet und gewohnt. Normalität ist also nie ein gänzlich abgeschlossener Zustand und bedarf im Falle einer Irritation einer erneuten Normalisierung. Dabei haben es die Akteure mit kontextualen Normalitäten zu tun, da sie parallel in mehreren sozialen Entitäten bzw. Kollektiven verortet sind, also beispielsweise in der Gruppe von Mitarbeitern und Abteilungen, von Lieferanten und Kunden, aber auch der Familie. Das Buch nimmt seinen Faden bei der Frage auf, wie Akteure in ausgewählten deutsch-chinesischen Arbeitskontexten angesichts von Differenzen und ökonomisch motivierten Interessen für sich Normalität konstruieren. Daran lassen sich die Fragen knüpfen, welche Logiken dem zu Grunde liegen und wann es den Akteuren gelingt, Normalität als kompetente Akteure zu etablieren. Entlang dieses Fadens reihen sich zudem untergeordnete Fragen auf, die bei der folgenden Skizze des Aufbaus des Buches gestellt werden.
E INFÜHRUNG
1.3 A UFBAU
DES
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B UCHES
Um den Forschungsfragen nachzuspüren, gilt es, sich als Forschender auf die Lebens- und Arbeitswelten der Akteure einzulassen. Dazu gehört, mit ihnen zu sprechen, vor Ort ihre unmittelbare Umwelt kennenzulernen und zu beobachten und letztendlich zu versuchen, die relevanten Logiken dieser Akteure verstehend nachzuvollziehen. Im ersten Teil geht es daher zunächst darum, das Forschungsfeld und seine spezifischen Bedingungen abzustecken und die befragten Akteure durch deren Eckdaten lebendiger werden zu lassen (Kapitel 2). Da vor und während der Arbeit im Feld und am Schreibtisch bereits theoretische Vorannahmen und Ideen für die Ausgestaltung der Untersuchung forschungsleitend und damit unvermeidbar sind, greift Kapitel 3 anschließend relevante theoretische Konzepte auf und skizziert wichtige Begriffe, wie beispielsweise Kultur, Kollektiv und Interkulturalität. Im nächsten Schritt wird die Frage nach der Erhebung von und dem Umgang mit den Daten diskutiert (Kapitel 4). Im Zentrum steht dabei die Herausforderung qualitativer Forschung und mit ihr der Anspruch des Fremdverstehens sowie der Kontrolle und Validierung der Daten. Bezogen sind diese Überlegungen hauptsächlich auf vierzehn leitfragengestützte Interviews mit deutschen und chinesischen Managern und Mitarbeitern jeweils in China und Deutschland, aber auch auf ergänzende Datenquellen. Der zweite Teil widmet sich der Auswertung der Interviews und Beobachtungen und damit zunächst der Frage, welche Unterschiede die Akteure überhaupt in ihrem Arbeitsalltag identifizieren und wie sie diese bewerten. Das steht in engem Zusammenhang mit den Bildern, die die Akteure von sich und anderen konstruieren; was also wird dabei als fremd, was als vertraut und bekannt wahrgenommen? Diese Wahrnehmungen werden immer wieder mit bestehenden Erkenntnissen aus der Kultur- und Managementtheorie sowie mit historischen und gesellschaftspolitischen Erklärungsmustern gekreuzt. Damit wird der Rahmen dessen, was als fraglos und irritierend empfunden wird, abgesteckt (Kapitel 5). Da Normalität und deren Irritation aber nicht losgelöst von anderen Akteuren erfasst werden kann und es um konkrete Interaktionssituationen geht, ist es anschließend wichtig nachzuzeichnen, inwiefern sich die wahrgenommenen Unterschiede als intersubjektive und strukturelle Spannungsfelder niederschlagen (Kapitel 6). Erst dann ist es möglich, zu rekonstruieren, wie die Akteure mit diesen Spannungsfeldern umgehen. Dabei spielen nicht nur persönliche Fertigkeiten und Erfahrungen, sondern auch von außen vorgegebene Bedingungen eine bedeutende Rolle (Kapitel 7). Teil 3 führt schließlich die Ergebnisse der vorangegangen Kapitel zusammen und erörtert, inwiefern die Akteure kompetent mit Differenzen umgehen und
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Normalität konstruieren können (Kapitel 8). Zu Beginn wird der Frage nachgegangen, was Kompetenz in Bezug auf das Forschungsinteresse bedeuten soll. Im Laufe des Kapitels wird allerdings deutlich, dass das Konzept trotz einer kontextbezogenen Definition immer ein fragiles ist. Das spiegelt sich auch darin wider, dass die Bedürfnisse und Wünsche an interkulturelle Weiterbildungsmaßnahmen von den bisher miterlebten Angeboten nur fragmentarisch erfüllt werden konnten. Die Konsequenz daraus ist, dass interkulturelle Dienstleistungen tendenziell negativ bewertet werden und die Verantwortung für kompetentes Handeln an das Individuum zurückgegeben wird. Im Hinblick darauf führt das Kapitel zentrale Aspekte eines solchen Handelns zusammen. Den Abschluss des dritten Teils bilden eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse sowie deren kritische Reflexion verbunden mit Anknüpfungspunkten für mögliche weitere Forschungsvorhaben (Kapitel 9).
1.4 F ORSCHUNGSÜBERBLICK U NTERSUCHUNG
UND
Z IELE
DER
Obwohl die ersten Kapitel ein breites Feld aufspannen, das komplex-schwergewichtige Konzepte wie Kultur, Globalisierung oder Neoliberalismus berührt, sollen alltägliche Interaktionen nicht unnötig dramatisiert werden, ohne dabei allerdings die damit verbundenen Herausforderungen zu banalisieren. Es geht darum nachzuvollziehen, wie Arbeitnehmer »in einer Zeit massiver wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Umbrüche« (Schultheis 2009: 220) in einem als fremd wahrgenommenen Umfeld mit den an sie gestellten Anforderungen umgehen, welche Schwierigkeiten und Chancen sich für sie ergeben und wie sie diese erleben. Das Ziel ist dabei jedoch nicht, mit Blick auf wirtschaftliche Interessen das unternehmerische »Humankapital« (ebd.) zu optimieren. Stattdessen soll nachgezeichnet werden, welche Handlungslogiken sich bei den befragten Akteuren bewährt haben und welche weniger gut für sie funktionierten. Dabei gilt es, dem Habitus der Akteure, also »dem Ensemble an Denkschemata, moralischen Standards und Verhaltensgewohnheiten« (Schultheis 2009: 220) zumindest in Ausschnitten nachzuspüren und ihn theoretisch aufzubereiten. An der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und interkulturellen Fragestellungen (das heißt dann meist internationalen Aspekten, aber auch Genderthemen, vgl. bspw. Adler 1993, Oakley 2000, Kelan 2007) widmet sich das Gros der wissenschaftlichen Literatur dabei vor allem einer Wirtschaftselite, also den Akteuren, die sich zumindest in leitenden Positionen befinden. Es geht daher vorrangig
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um Themen wie »Leadership« (z.B. Adler 2006) oder darum »effective collaborations« (z.B. Bird/Osland 2005) meist in multikulturellen und dabei oft virtuell agierenden Teams (z.B. Stahl/Maznevski et al. 2010) zu gestalten. Der Umgang mit Differenzen wird dann durchaus nachvollziehbar als Hürde bzw. zumindest als Herausforderung, die bewältigt werden muss, konstruiert (z.B. Janssens 1995). Dabei bleibt die Unterschiedlichkeitsdiagnose jedoch meist oberflächlich. So stellen Gertsen/Søderberg/Zølner (2012) in ihrem Überblicksartikel und bezogen auf multikulturelle Teams Folgendes fest: »Less attention has been paid to team members’ experiences in the specific organizational and environmental contexts in which they work« (ebd.: 5). Daher bleibt dann meist auch auf der Strecke, wie sich diese Kontexte auf den Habitus der Akteure auswirken bzw. mit diesem zusammenspielen. Neben der Problematisierung von Differenzen wirkt jedoch auch der Versuch, Differenzen im Hinblick auf »Diversity« in Unternehmen positiv zu wenden und zu fördern, mitunter seltsam angestrengt, wenn sie doch nur politisch korrektes Mittel eines übergeordneten ökonomischen Zwecks bleibt. Nun fällt es leicht, vom Schreibtisch aus zu kritisieren, inwiefern Differenzen wahrgenommen und gehandhabt werden; diese Herausforderung kann tatsächlich nur im Alltagsgeschehen und möglichst diskursiv bearbeitet werden. Das zeigt sich vor allem in Bezug auf die Gestaltung kommunikativ anschlussfähiger Interaktionen: »This is a complicated process and, as creative social actors with partly differing frames of reference, local employees and managers react in various, sometimes unpredictable ways.« (ebd.: 4) Solche Prozesse auf Managementebene und in Hinblick auf die Gestaltung von Unternehmenskultur zu beobachten und zu dokumentieren, gelingt der Arbeit von Rathje (2004b), die die Interaktionen deutscher und thailändischer Akteure in deutschen Niederlassungen in Thailand untersucht hat. Ähnliche Studien in Bezug auf dänische Manager in China und Indien lassen sich bei Gertsen/Søderberg oder Gertsen/Zølner (beide 2012) finden. Eine sehr gut ausgearbeitete soziologische Studie, die weniger auf betriebswirtschaftliche Aspekte Wert legt, ist die von Zorzi (1999) zu Schweizer Expats in Japan. Dreher (2005) beschäftigt sich mit den Reibungspunkten zwischen Management und Produktion bei der Fusion von Daimler und Chrysler, Mahadevan (2007) setzt sich mit Hilfe einer Organisationsethnografie mit den Verwerfungen zwischen Management und Ingenieuren in einem deutsch-indischen High-Tech-Unternehmen auseinander. Das Buch reiht sich in diese Aufzählung insofern ein, als dass es den Fokus auch auf Interaktionen und nicht ausschließlich auf vergleichende Gegenüberstellungen legt. Zudem wird keine repräsentative Studie vorgelegt, sondern es
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wird ein Ausschnitt eines arbeitsweltlichen Kontexts innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens näher betrachtet, der unweigerlich den spezifischen Charakter der Untersuchung prägt. Dazu trägt auch bei, dass hier individuelle Deutungsmuster ausgesuchter Akteure rekonstruiert werden. Die gewonnenen Erkenntnisse führen dabei nicht zu normativen Handlungsvorgaben, sondern zur Darstellung rekonstruierter Erfahrungen. Nichtsdestotrotz sind diese Erfahrungen in Kontexte eingebettet, die durchaus kritisch betrachtet werden. Neu sind außerdem die Auswahl und besonders die Variation des Forschungsfeldes, das deutsche Unternehmen in China und chinesische Unternehmen in Deutschland umfasst. Gerade letzteres ist ein sozialwissenschaftlich noch nahezu unbearbeiteter Bereich.
2. Interkulturelle Arbeitswelten. Forschungsfeld
2.1 D EUTSCH - CHINESISCHE W IRTSCHAFTS KOOPERATIONEN : S TRUKTUREN UND A KTEURE Das Forschungsfeld deutsch-chinesischer Unternehmenskontexte illustriert die Herausforderungen interkultureller Arbeitswelten besonders anschaulich. So hebt es zunächst sowohl die Erfolge der Globalisierung, als auch die negativen Nebeneffekte dieser Erfolge (vgl. Beck 1998b) markant hervor. Während beide Länder durch wirtschaftliche Höhenflüge machtpolitischen Einfluss gewinnen und wichtige Ressourcen sichern können, ergeben sich daraus gleichzeitig unweigerlich moralische Fallstricke und Ungleichgewichte. Dazu gehören in China Themen wie Menschenrechtsverletzungen, tiefgreifende soziale Missstände, schwere Umweltverschmutzungen, Korruption und rechtliche Grauzonen. Deutschland hingegen muss sich fragen, wie es mit diesen Themen angesichts wirtschaftlicher Interessen umgeht. Im gesellschaftlichen Diskurs wird diese Gratwanderung sehr unterschiedlich bewertet. Während die Bundesregierung sich in den vergangenen Jahren mehr oder weniger kritisch zur Menschenrechtslage in China äußerte, beschwören führende Wirtschaftsvertreter Zurückhaltung vor allzu offensichtlicher Kritik. Der ehemalige Vorstands- und inzwischen Aufsichtsratsvorsitzende der BASF SE Jürgen Hambrecht beispielsweise befürchtete, dass diese Kritik »den Interessen deutscher Unternehmen im Ausland schade« (Oldag 2010). Das hieße allerdings nicht, dass das Thema nicht angesprochen würde, allerdings würde dies dann »hinter verschlossenen Türen« (Süddeutsche.de 2010) geschehen, so Hambrecht, der auch den Vorsitz des Asien-PazifikAusschusses der Deutschen Wirtschaft (APA) innehat. Dieser Nimbus des Geheimen spielt dann hinein in eine Gemengelage, die von einer tiefen Verunsicherung geprägt ist und in der sich die von Jullien (2008) beschriebene »Exteriori-
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tät« (ebd.: 8) Chinas wiederfinden lässt. Der Leiter eines deutschen KonfuziusInstitutes erklärte dazu, es sei »kaum ein Land dermaßen empfindlich gegenüber China wie die deutsche Öffentlichkeit oder grade die Medienlandschaft« (Bach)1. Den Grund dafür sieht er in diffusen Ängsten, die gerade die wachsende Vormachtstellung Chinas auslöse, da sie das bis dahin etablierte Weltbild mit Amerika als Orientierungspunkt außer Kraft setze: »China bringt alles durcheinander, China ist nicht einzuordnen – natürlich ist China einzuordnen, aber für dieses Weltbild ist China nicht einzuordnen – und vor allem, dass die jetzt gewissermaßen auch noch mit dem Anspruch auftreten, mindestens gleichberechtigt mit den Amerikanern zu sein.« (Bach)
In diese Furcht vor dem wie auch immer gearteten Fremden mischen sich zudem ein Habitus der Überlegenheit und ein neo-koloniales Selbstverständnis, das ab und an bei deutschen Expats aufflackert. Auf der chinesischen Seite löst dies konsequenterweise eine Abwehrreaktion aus. Der chinesische Manager eines deutschen Unternehmens in China bemerkte dazu: »Because it is quite often in China, the Chinese companies and the Chinese students they always think, all we Chinese are not treated very good by foreigners or something like that.« (Li) Gleichzeitig wird dieses Gefühl, »nicht gut behandelt zu werden«, von einem erstarkten Selbstbewusstsein durchzogen, das sich aufgrund der wirtschaftlichen Leistungskraft und einem wiederentdeckten Stolz auf die Geschichte und die Errungenschaften des Landes entwickelt hat, das sich selbst Zhongguo, also »Reich der Mitte« nennt. China kommt nach dieser Logik gerade erst wieder in die Position, die dem Land historisch gesehen zusteht. Die Auswahl der Länderbeispiele China und Deutschland lässt sich durch diese zunächst grob skizzierten Spannungen rechtfertigen, die sich eben nicht nur auf der nationalen Makroebene abspielen, sondern sich – so die forschungsantreibende Vermutung – auch auf die Mesoebene der Unternehmen und die Mikroebene der Individuen auswirkt. Damit einher geht die Annahme, dass davon auch die Normalitätserwartungen und die Gestaltung einer funktionsfähigen Arbeitsumgebung beeinflusst werden. Die Wahl von hauptsächlich größeren Mittelständlern in beiden Ländern – inzwischen ausnahmslos hundertprozentige Tochterbetriebe – fiel gerade auf diese Unternehmensform, weil im Gegensatz zu großen und stark international
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Das Interiew mit Herrn Bach diente als zusätzliche Interpretationshilfe für die Auswertung der Gespräche mit den Managern und Mitarbeitenden in den Unternehmen.
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ausgerichteten Konzernen die Strukturen meist gar nicht oder weniger standardisiert sind und die Zusammenarbeit zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern deutlich intensiver und für die Forschung überschaubarer ist. Zwei chinesische Unternehmen in Deutschland können zwar als Multinationals gelten, allerdings sind die untersuchten Niederlassungen dieser Unternehmen durchaus mit denen anderer großer Mittelständler vergleichbar. Von Bedeutung war vor allem, dass es in den untersuchten Firmen möglich war, in der direkten Zusammenarbeit zu rekonstruieren, wie sich Normalität im Alltag etablierte. Neben der Form der Niederlassungen ähnelten sich in der Regel auch die Branchen, die sich in China auf Zulieferer der metallverarbeitenden und chemischen Industrie oder auf die Fertigung bzw. den Vertrieb von Bauteilen konzentrierten. In Deutschland waren marktbedingt neben Zuliefererbetrieben allerdings auch die Solar- und die Telekommunikationsbranche vertreten. Diese Abweichung hatte bei der Auswertung der Fälle jedoch insofern keinen Einfluss, als dass dadurch völlig neue Aspekte zu Tage gekommen wären. Insgesamt orientierte sich die Fallauswahl an ähnlichen Arbeitsumgebungen, die es ermöglichten, unterschiedliche Handlungslogiken und Normalitätskonstruktionen nachvollziehen zu können. Das gilt natürlich einschränkend für eine bestimmte Gruppe von Unternehmen innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens. Hinzu kommt, dass sich die Interviewpartner zwar aus dem Pool passender Unternehmen rekrutierten, natürlich aber nur diejenigen interviewt wurden, die sich freiwillig zu einem Gespräch bereit erklärten. Dadurch ergab sich gezwungenermaßen bereits ein bestimmtes Sample. In China waren das ausnahmslos Personen in gehobenen Positionen, die meisten davon Mittelmanager oder Mitarbeitende mit Führungsaufgaben. In Deutschland hingegen war es deutlich schwieriger, überhaupt Interviewpartner zu gewinnen. Dort wurden daher auch vier Interviewpartner in das Sample aufgenommen, die (noch) keine Leitungsfunktion innehatten. Diese zunächst forschungspraktisch notwendige Variation war für die Auswertung letztendlich allerdings insofern interessant, als dass dadurch andere Voraussetzungen für Normalitätskonstruktionen in außeralltäglichen Situationen deutlich wurden. Denn die fehlende Leitungsfunktion hing jeweils mit dem Alter der vergleichsweise jungen Gesprächspartner und dem konsequenterweise weniger breiten Erfahrungshorizont im Arbeitskontext zusammen. Trotz der Variationen war jedoch durchaus eine Sättigung des Materials feststellbar, das heißt, dass nach einer bestimmten Anzahl an Gesprächen Wiederholungen auftraten und Muster erkennbar wurden. Die folgende Grafik gibt einen Überblick über die wichtigsten Eckdaten der Interviewpartner. Die Namen wurden im Zuge der Anonymisierung verändert, alle anderen Daten weiter gefasst:
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Abbildung 1: Übersicht der Interviewpartner in den Unternehmen
Quelle: eigene Grafik
Die Interviewpartner werden hier jeweils durch ein Hexagon repräsentiert, das diese je nach Graustufe als Mitarbeitende entweder in einem deutschen Unternehmen in China oder in einer chinesischen Firma in Deutschland markiert. Die Namen sind zwar anonymisiert, verweisen aber noch auf die nationale Zugehörigkeit. So haben Herr Chen, Herr Hong, Herr Li, Herr Luo, Frau Song und Herr Wang die chinesische Staatsbürgerschaft, die anderen Gesprächspartner sind Deutsche. Die einzigen beiden Frauen im Sample sind Frau Handke und Frau Song. Die x-Achse zeigt die ungefähre Aufenthaltsdauer der Interviewpartner in ihrem Unternehmen bzw. im Ausland an. Entlang der y-Achse kann die Altersgruppe abgelesen werden. Zudem verorten sich die Interviewpartner in unterschiedlich großen Niederlassungen, was durch die grobe Anzahl der Mitarbeitenden in den aufgespannten Rechtecken angegeben wird.
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2.2 »C HINESISCHES S CHWABENLAND « UND FREMDE I NVESTOREN : V ARIATIONEN DES F ORSCHUNGS FELDES IN C HINA UND D EUTSCHLAND Die Variation des Forschungsfeldes durch dessen Unterteilung in deutsche Unternehmen, die als Niederlassung in China vertreten und chinesische Unternehmen, die mit einer Dependance in Deutschland tätig sind, lässt sich damit begründen, dass neben dem inhaltlichen Interesse eine vorschnelle Reduktion auf nationalkulturelle Kategorien als Erklärungsmuster für beobachtbare Phänomene erschwert wird. Vielmehr rücken der jeweilige Kontext mit seinen spezifischen Außeralltäglichkeiten und die Bezugsrahmen der befragten Akteure noch deutlicher in den Fokus der Aufmerksamkeit. Dadurch wird der Gegenstand komplexer, gleichzeitig fallen jedoch weniger erwartbare Verwerfungslinien und Handlungslogiken besser ins Auge. So arbeiten beispielsweise in jedem Land zwar Deutsche und Chinesen zusammen und geben Deutsche und Chinesen in beiden Ländern Auskunft, allerdings sind der Einfluss der jeweils deutschen bzw. chinesischen Konzernleitung und die jeweiligen Bedingungen der Unternehmen vor Ort so verschieden, dass hier ein genaueres Hinsehen notwendig ist. Auffällig ist bei beiden Varianten, dass sie jeweils stark von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und damit verbunden von emotional aufgeladenen Bildern beeinflusst werden. Negative wie auch positive Stereotype wirken sich daher verstärkt auf Erklärungsmuster, Arbeitsroutinen und damit bekannte Normalitäten aus. Gerade in den letzten Jahren sehen sich die Unternehmen in beiden Ländern zusätzlich auch mit neuen Transformationsprozessen konfrontiert, die die immerhin bekannten Unterschiede wieder in Frage stellen. Denn während China – wenn auch nicht ohne Hürden – seine Stellung in der globalisierten Welt weiter ausbaut, muss Deutschland sich neu orientieren und positionieren, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. 2.2.1 Deutsche Unternehmen in China: Zwischen Tradition und Transformation »Chinesisches Schwabenland« (Bartsch 2008) nennen die deutschen Expats die ostchinesische Stadt Taicang, die zu Beginn bereits Erwähnung fand. Fast mit etwas Stolz tauften auch die chinesischen Einwohner den Standort so vieler deutscher Mittleständler in China als »unsere deutsche Stadt« (ebd.). Zwar fanden Interviews nicht nur in Taicang statt, allerdings können die dortigen Bedingungen beispielhaft auch für die der anderen hier ausgewählten Unternehmen
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stehen: Sie alle reihen sich entlang der Ballungsräume an der Ostküste Chinas, die Büros und mitunter die Produktionshallen in verkleideten Flachbauten unterscheiden sich nur durch die außen angebrachten Firmenlogos. Hin und wieder weist auch nur eines von unzähligen mit Firmennamen versehenen Metallschildern am Fahrstuhl eines Hochhauskomplexes auf das Büro des gesuchten Unternehmens hin. Die Sonderrolle Taicangs liegt daher hauptsächlich in der Vorreiterstellung der dortigen Unternehmen, von denen die meisten bereits mehrere Jahre in China aktiv sind und deren Entwicklungen und Herausforderungen früher oder später auch für die anderen untersuchten Unternehmen gelten und dort beobachtbar werden. So war Ende der 1990er Jahre das Unternehmen meines Taicanger Interviewpartners eines der ersten, das nicht in Form eines JointVentures (JV), sondern bereits als hundertprozentige Tochter agieren konnte. Damals eine fast inoffiziell arrangierte Ausnahme, wurde der Joint-VentureZwang für ausländische Unternehmen ab 2001 mit der Aufnahme Chinas in die World Trade Organization (WTO) deutlich gelockert. Dadurch waren die deutschen Firmen nicht mehr abhängig vom chinesischen Partner. Dieser konnte bei der Verhandlung mit Behörden oder bei der Nutzung von Beziehungen zwar durchaus hilfreich sein, allerdings blockierte die erzwungene Kooperation bekannte Arbeitsabläufe in dem sowieso bereits fremden Land, was zusätzlichen Aufwand bedeutete. So berichtet Herr Seidel, Manager in einem weiteren Unternehmen: »[…] früher mussten wir alle JVs gehen, dann im Zusammenhang mit dem WTO-Beitritt hat China die Regularien etwas geändert und hat viel Industrie zugänglich gemacht für Ausländer und da hat man natürlich seinen JV-Partner ausgekauft, weil JV zu sein ist per se kein Vergnügen, das hat auch nichts mit Chinesen oder mit Deutschen zu tun, das ist einfach für die tägliche Arbeit nicht, äh, zuträglich. […] Ja, da zahlt jeder 50% ein und möchte 51% rausholen, das geht mathematisch ned.« (Seidel)
Dem Geschäftsklimaindex der Außenhandelskammer in China (AHK) zufolge sind bereits 68% der deutschen Firmen als WFOE, also als »wholly foreign owned enterprises«, tätig, zu denen auch alle Unternehmen gehören, in denen Interviews geführt wurden (vgl. Deutsche Handelskammer in China 2013: 2). Obwohl die meisten der Unternehmen bereits viele Jahre in China Erfahrung sammeln konnten – ein Viertel aller deutschen Unternehmen sind sogar mehr als 15 Jahre vor Ort (vgl. ebd.) – bestehen oder ergeben sich Probleme, mit denen diese Unternehmen in Deutschland nicht in dem Ausmaß konfrontiert wären. Eine der größten Herausforderungen besteht dem Bericht nach derzeit darin, fachlich ge-
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schultes Personal zu gewinnen und anschließend zu halten (vgl. Deutsche Handelskammer in China 2013: 4). Herr Seidel beschreibt dieses Problem näher: »Es ist nicht leicht, sag ich mal so. Es ist nicht leicht und noch schwieriger ist es, die zu halten. Und die Personalkosteninflation ist sehr hoch im Vergleich…in Deutschland ham wir seit acht bis zehn Jahren stagnierende Bezüge, da ist ja kaum noch was gegangen. Und hier können Sie mal locker 7 bis 10% drauflegen jedes Jahr. Und für wirklich qualifizierte Positionen, für Schlüsselpositionen legen Sie vorsorglich lieber noch ein bisschen mehr drauf, 12, 15%, um die gar ned erst auf den GEDANKEN zu bringen, dass Sie sich mal umschauen und abhauen. Damit kommen wir auch zunehmend in eine Situation, wo diese Leute das kosten, was sie in Deutschland auch kosten. Die sind kaum noch preiswerter. Aber die Frage, ob sie das Gleiche können und vor allem, ob sie das Gleiche bringen, die will ich jetzt nicht weiter ausführen, das hab ich ja schon anklingen lassen. Oftmals ned. Oftmals schlichtweg NICHT.« (Seidel)
Herr Seidel spricht hier gleich zwei Ebenen der Problematik an. Zu den steigenden Lohnkosten kommen zum einen die in China recht kurzen Kündigungsfristen und dass im Gegensatz zu Deutschland offener über Gehälter gesprochen wird (vgl. Mayer-Kuckuk 2012). Die Arbeitnehmerfluktuation ist daher hoch und passende Mitarbeiter sind schwer zu finden. Das liegt zum anderen wiederum an der kaum praxisorientierten Ausbildung in China, gerade der von Hochschulabsolventen. Während einige Unternehmen aus diesem Grund bereits deutsche Ausbildungsgänge nach China importiert haben und selbst für geeignete Mitarbeiter sorgen (vgl. Bartsch 2008), sind die Personalverantwortlichen auf höherer Ebene mit für Deutsche ungewöhnlichen Praxen konfrontiert. So erwarten besonders die aus der Ein-Kind-Politik hervorgegangenen jungen und selbstbewussten Chinesen mit Universitätsabschluss von ausländischen Unternehmen einen in ihren Augen angemessenen Einsatz. So berichtet der Vertriebsleiter in einer deutschen Niederlassung in China: »Also allein wenn man nen Praktikanten eingestellt hat…der war dann der Meinung er dürfte jeden Morgen mit dem Taxi zur Arbeit kommen. Alle anderen fahren brav mit dem Shuttlebus, aber er war jetzt der Meinung, er müsste mit dem Taxi kommen. Und es war schwierig über so ein Thema überhaupt mit ihm zu reden, weil er denkt einfach, das steht ihm einfach zu irgendwie.« (Weiß)
Zu dieser relativ neuen Entwicklung kommt hinzu, dass in Bewerbungsgesprächen mitunter herauskommt, dass die Lebensläufe der Bewerber »erstunken und erlogen« (Weiß) sind. Dabei werden für die deutschen Akteure gewohnte Abläu-
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fe natürlich irritiert. Trotz solcher Negativ-Erfahrungen setzen die Unternehmen generell auf chinesische Mitarbeiter, die sie mit verschiedenen Strategien zu halten versuchen. Frau Song, Marketingleiterin eines deutschen Unternehmens in China, beobachtet dazu: »So I think German companies maybe put more money, budget on people’s side, they let you feel comfortable when working. Whenever you have a business meeting you take a taxi, you take a plane, you live in a good hotel, you have allowances for like meals, traffic, mobile.« (Song)
Der Fokus auf die Mitarbeiter ist für deutsche Unternehmen von besonderer Bedeutung, weil diese Mitarbeiter mit vor Ort gängigen Praxen vertraut sind und nicht zuletzt beispielsweise mit Kunden in deren Muttersprache kommunizieren können. Allerdings wird das implizite Wissen der chinesischen Mitarbeiter von deutscher Seite mitunter nicht ausreichend genutzt. Der Hauptgrund liegt hauptsächlich in mangelndem Verständnis und damit verbunden mangelndem Vertrauen. Frau Song nennt hier ein Beispiel aus ihrer Erfahrung mit ihrem damals neu aus Deutschland entsandten Chef und beschreibt anschließend die Spannung, die sich dann ergeben kann: »In China, if you invite media to come to an exhibition, you give them money. This is, I will not say this is a good way, but this is the way. If the others all give, you cannot, you have to. I fully understand, when my boss was first here, he cannot agree with this budget. He said: ›Why?‹« (Song)
Das Beispiel illustriert einerseits, dass in besonderem Maße unerfahrene deutsche Unternehmen bzw. unerfahrene Manager Schwierigkeiten haben, fremde Normalitäten einzuschätzen und konstruktiv damit umzugehen. Zum anderen zeigt es aber auch, dass in solchen Situationen nicht nur Handlungspraxen, sondern vielmehr tieferliegende Wertvorstellungen getroffen werden, was wiederum das Verstehen oder auch schon die Bereitschaft dazu erschwert. Davon sind dann durchaus auch bereits erfahrene Manager oder Mitarbeiter betroffen. Deutsche Unternehmen, zu denen auch die bereits etablierten zählen, sehen sich jedoch nicht nur vor betriebsinterne Herausforderungen wie die genannten Personalfragen gestellt, sondern müssen sich in besonderer Weise auch nach außen behaupten. Dabei spielen positive Stereotype über Deutschland eine große Rolle. Für chinesische Kunden rechtfertigen eine hohe Qualität und Verlässlichkeit einen höheren Preis. Damit verbunden sind die unterschiedlichen und oft ungewohnten Kommunikationsstile der Kunden in Preisverhandlungen oder bei
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anderen Abmachungen, mit denen der deutsche Partner umgehen muss. Dabei ist es jedoch keineswegs so, dass der deutsche Manager zwangsläufig auf den »typisch chinesischen«, das heißt sehr indirekten und zurückhaltenden, Kommunikationsstil trifft. Nach wie vor sind laut AHK auch Korruption und fehlender Patentschutz Themen deutscher Unternehmen in China (vgl. Deutsche Handelskammer in China 2013: 4). Immerhin zwei Drittel aller ansässigen Unternehmen sahen sich in den letzten Jahren Industriespionage ausgesetzt, die zudem kaum rechtlich verfolgt werden kann. Dadurch verschärft sich zunehmend auch der Wettbewerb mit chinesischen Unternehmen, die sich günstig Know-How aneignen können (vgl. ebd.). Um darauf angemessen reagieren zu können, müssen deutsche Unternehmen gelegentlich bekannte Strukturen außer Kraft setzen, wie Herr Seidel erläutert: »Da China so schnell wächst, so schnell expandiert, muss man hier einfach auch schnell sein, das heißt, manchmal kann man gar nicht so formal sein, wie man das in Deutschland vielleicht WÄRE, weil dort alles irgendwo langsamer und auch strukturierter zugeht, hier geht es ned immer so strukturiert zu, auch wenn man sich das vielleicht wünschen würde, aber da muss man einfach flexibel sein.« (Seidel)
Allerdings gelingt dies nicht immer ganz reibungslos und es entsteht ein Spannungsfeld zwischen der bekannten Praxis sowie womöglich einem standardisierten Anspruch auf der einen und den Dynamiken eines oft ganz anders funktionierenden Marktes auf der anderen Seite: »The Chinese market is developing very fast, yeah, but the Germans they are very precise, but this precision needs a lot of time, so this is actually a conflict.« (Wang) Trotz der genannten Herausforderungen zeichnet die Umfrage der AHK ein positives Bild. Für deutsche Unternehmen ist das Potential Chinas als Absatzmarkt nach wie vor verlockend und löst bei vielen die Nutzung als reinen Produktionsstandort ab. Dazu kommen die Möglichkeiten eines sich rasch entwickelnden Landes: »Es gibt hier so viel atemberaubende, spannende Projekte…des kann ne reife Volkswirtschaft Ihnen nicht bieten. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind hier einfach sehr viel mehr. Das find ich für mich persönlich ganz spannend.« (Seidel) Dabei profitieren deutsche Unternehmen durchaus von ihrem vorauseilenden Ruf als innovationskräftige Investoren mit hoher Qualität und als attraktive Arbeitgeber. Allerdings sind sie in China schon lange keine »Entwicklungshelfer« mehr, sondern müssen sich – zumindest an ihren Standorten – jeweils als ein Wirtschaftsteilnehmer von vielen in einem modernen, boomenden und zuneh-
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mend selbstbewussten Wettbewerbsumfeld behaupten. China allein ist kein Garant für Erfolg, wenn nicht Führungskräfte gut vorbereitet und die Produkte marktgerecht sind (vgl. Reich 2010). Angesichts des riesigen Marktes geraten solche betriebswirtschaftlichen Selbstverständlichkeiten mitunter in Vergessenheit. Mit den Worten von Herrn Seidel heißt das, dass Unternehmen im Falle eines China-Engagements »mit allen Konsequenzen nach CHINA geh’n« (Seidel) sollten. Im Bewusstsein der Daheimgebliebenen ist der bereits zurückgelegte Wandel Chinas jedoch häufig noch nicht verankert. China haftet noch der Beigeschmack des Fremden und damit auch des Bedrohlichen an. Erst der direkte Kontakt bringt dieses Bild mitunter ins Wanken: »So, I just got some friends from Europe, from Austria and so on…and they come here and say: ›Oh, you know, this is totally different than what we have heard in Europe.‹« (Wang) 2.2.2 Chinesische Unternehmen in Deutschland: Die »gelbe Gefahr« vor der Haustür Das tendenziell negative Bild Europas von China oder zumindest der Argwohn gegenüber dem aufstrebenden Reich der Mitte ist auch in Deutschland weitgehend noch vorhanden. Das ist zunächst indirekt daran spürbar, dass besonders chinesische Mittelständler in Deutschland offiziell kaum sichtbar sind. So gibt es keine Auflistung und umfassendere Informationen wie sie beispielsweise die AHK für deutsche Unternehmen in China sammelt und veröffentlicht. Auch in ihrer Außendarstellung halten sich die Unternehmen bedeckt. Die Firmennamen klingen international, auch bei den großen Playern wie Lenovo oder Haier wird die chinesische Herkunft der Öffentlichkeit meist erst bekannt, wenn die Unternehmen durch Übernahmen oder große Investitionen durch die Presse gehen. In diesem Zusammenhang greifen Medien immer wieder auf bestehende Ängste und Stereotype zurück. Der Focus (2011) titelte beispielsweise »China kauft Deutschland« – unter der Bildüberschrift ist ein lachender Chinese zu sehen, der die Lettern für »Deutschland« mit chinesischen Schriftzeichen austauscht. Auf dem Buchmarkt lassen sich reißerische Titel finden wie »Der China-Code – Wie das boomende Reich der Mitte Deutschland verändert« (Sieren 2006). In diesem Tenor verkaufen sich zahlreiche andere Publikationen, meist illustriert mit bedrohlich dargestellten Drachen oder ähnlich negativ aufgeladener Symbolik. Auch qualitativ hochwertigere Organe wie die Süddeutsche Zeitung stehen den chinesischen »Seelenkäufer[n]« (Zydra/Grzanna 2011) äußerst skeptisch gegenüber. Diese Art der Berichterstattung greift natürlich einerseits – nicht immer gänzlich überzogene – gesellschaftliche Tendenzen auf, andererseits reproduziert
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sie damit schablonenhaft das vorherrschende Stimmungsbild. Herr Bach vom Konfuzius-Institut erläutert dieses Phänomen in Deutschland genauer: »Dazu kommt so ein merkwürdiges Zusammenspiel mit, ich sag mal, grundsätzlich berechtigtem, aber dann in seiner Ausführung etwas überzogenem Gutmenschentum. Und praktisch aus der Masse wird dann so ein regelmäßiges China-Bashing [betrieben], das dann mit einer ausgewogenen China-Kritik eigentlich nichts mehr zu tun hat. Das wissen die Chinesen auch, dass wir in nem andern Umfeld sind als meinetwegen unsere Kollegen in den USA. Und die sind zum Beispiel hier in Deutschland viel vorsichtiger mit uns.« (Bach)
Trotz dieser eher verhaltenen Atmosphäre gilt Deutschland in China »als der mit Abstand attraktivste Investitionsstandort Europas« (Handelsblatt, 23.08.2012). Mehr als ein Viertel der chinesischen Investitionen in Europa gingen 2012 nach Deutschland (vgl. PriceWaterhouseCoopers 2012). Viele der Beteiligungen an deutschen Unternehmen bedeuten dabei deren Rettung vor dem Bankrott. So hat beispielsweise der chinesische Weltmarktführer für Betonpumpen Sany Heavy Industry 2012 das schwäbische Unternehmen Putzmeister übernommen und dadurch die 1 200 Arbeitsplätze in Deutschland bis 2020 gesichert (Handelsblatt, 19.11.2012). Damit hat 2012 in der Tat das Investitionsvolumen erstmals die Richtung gewechselt: Einer Studie von PriceWaterhouseCoopers (2012) zufolge hat China nie zuvor mehr in Europa investiert als umgekehrt. Daraus jedoch gleich den Ausverkauf Deutschlands zu schließen, wäre voreilig. Denn während China noch weniger als eine Milliarde Euro in deutsche Unternehmen investiert hat, liegt das Investitionsvolumen deutscher Firmen in China bei immerhin 21 Milliarden Euro. Dabei produzieren 5 500 deutsche Unternehmen in China, aber nur 800 chinesische Unternehmen in Deutschland. Davon sind zudem die wenigsten tatsächlich große Konzerne (vgl. Luchtmeier 2012). Hinzu kommt, dass diese Unternehmen zunächst zahlreiche Hürden überwinden müssen, um überhaupt erfolgreich sein zu können. So müssen ausländische Investitionen von der Staatlichen Kommission für Entwicklung und Reform sowie dem chinesischen Handelsministerium in langwierigen Verfahren genehmigt werden (vgl. ebd.). Dann ist es schwierig, ausreichende Informationen über den deutschen Markt zu sammeln. Zwar gibt es von deutscher Seite Hilfsangebote, allerdings reichen diese oft nicht aus: »Man versteht in China oft noch nicht so genau, was tatsächlich im Ausland gefordert ist und was man auch tun MUSS, ja. Die glauben oftmals, dass sich Sachen relativ einfach übertragen lassen und die glauben AUCH, dadurch, dass alle dann in der Filiale Englisch
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reden, dass man sich ja dann miteinander schon verständigen kann und alles weitere kein Problem ist, ja. […] Aber die begleitenden Schwierigkeiten…die kommen glaub ich erst so Stück für Stück.« (Bach)
Auch Herr Hong, ein Interviewpartner aus einem chinesischen Unternehmen, das erst etwa zwei Jahre in Deutschland tätig ist, bestätigt diese Einschätzung: »Wir sind sehr jung, wir wissen nicht, was will Deutschland oder Europa.« (Hong) Und obwohl im Zuge der Eurokrise ab und an sogar Stimmen nach mehr Investitionen Chinas in Deutschland laut werden (vgl. Koch 2012) und die Qualität chinesischer Produkte auf dem deutschen Markt inzwischen immer konkurrenzfähiger wird, spiegeln sich die Abwehrreaktionen auf gesellschaftlicher Ebene auch ganz konkret in den Unternehmen wider. Das passiert zum einen bei der Gewinnung von Kunden, die in Bezug auf chinesische Produkte nach wie vor unsicher sind. Herr Arendtmeyer beschreibt deren Reaktion auf die Bauteile seiner Firma: »Ja, ist halt China, Billigware, Schrott, ja…kein deutsches Produkt, ja, wie auch immer man das verstehen kann. Hier wird nur deutsches Produkt gekauft, oder sowas. Und natürlich, ähm, China, ähm…Angst, ähm, die gelbe Gefahr, äh, was ist, wenn das Produkt jetzt kaputt gehen sollte? An wen richte ich mich dann?« (Arendtmeyer)
Zum anderen bestehen Probleme bei der Suche von deutschem Personal, die sich aufgrund vorhandener Stereotype schwierig gestaltet, wie der RecruitmentManager eines chinesischen Unternehmens berichtete: »Aber die hatten auch die Vorstellung, das sind diese aggressiven Chinesen, die den Markt kaputt machen, da kann man als Deutscher ja gar nicht hin, weil da sind halt nur Chinesen und die schmatzen und spucken und sowas, keine Ahnung.« (Pfeiffer) Die deutschen Mitarbeiter, die bereits in den Unternehmen angestellt sind, empfinden die Arbeitsbedingungen teilweise als ungewohnt im Vergleich zu ihrer bisherigen Arbeitspraxis: »Ich glaube aber, für die Leute, die zuvor in Deutschland und anderen westlichen Unternehmen gearbeitet haben, kann das natürlich schon schwierig sein, wenn die halt so, wenn die vielleicht schon bisschen älter sind und diese festgefahrenen Strukturen kennen oder es läuft hier so nach Plan und dann zu [Firmenname] kommen, dass die da so bisschen chaotisch sind. Oder sind jetzt Senior-Manager und, äh…müssen dann halt trotzdem lernen, dass sie dann für ihre Entscheidungen fünf Unterschriften von…vom Präsidenten von Europa plus vier Vize-Präsidenten brauchen oder sowas.« (Pfeiffer)
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Besonders in Unternehmen, die von der chinesischen Mutterfirma straff geführt werden, sind diese starken Hierarchiegefälle gut zu beobachten. Es scheint daher fast paradox, dass die Unternehmen gleichzeitig sehr flexibel sind. Das liegt vor allem daran, dass der deutsche Markt noch unbekannt ist und daher häufig Altes verworfen und Neues ausprobiert wird. Außerdem ist die Konkurrenz auf einem gesättigteren Wettbewerbsfeld in bestimmten Bereichen deutlich schärfer. Flexibilität gleicht diese Defizite häufig aus, wie ja auch schon die Interviewpartner der deutschen Unternehmen in China beobachten konnten. Für die Mitarbeiter heißt das aber, dass von ihnen selbstverständlich ein höherer Einsatz erwartet wird. Herr Hong vergleicht im folgenden Beispiel seinen chinesischen Arbeitgeber in Deutschland mit der deutschen Firma, in der er vorher angestellt war: »Wir machen viele Ausnahmen, Extra-Arbeiten, wir ändern das Arbeitsziel so oft, weil der Markt oder die Kundenwünsche irgendwas geändert, dann ändern wir so schnell wie möglich.« (Hong) Die Aspekte starker Hierarchien und der Druck auf die Mitarbeiter verleiten schnell dazu, ein Unternehmen als »chinesisch« zu kategorisieren. Das mag mitunter so sein, dennoch ist der Vergleich des Managements der in Deutschland ansässigen Firmen mit dem der im Sinne der kommunistischen Führung gelenkten Staatsbetriebe überholt. Das wird besonders anschaulich in der Erzählung von Frau Handke dargestellt, die die Entwicklung ihrer Firma in verschiedenen Stadien miterleben konnte: »[…] dass es also mit so ner richtigen sozialistischen Kaderfirma begann und dann kam eine große Experimentierphase, als wir also merkten, wir mussten zum ersten Mal Business machen und nicht einfach nur irgendwie Behördenarbeit leisten und dann gab’s also auch ziemliche Auf und Abs der Firma. Es ist ne Zeit lang der Firma auch richtig schlecht gegangen, wenn wir kein Staatsunternehmen gewesen wären, wären wir bestimmt bankrott gewesen. Aber so konnte die Firma dann auch immer wieder Unterstützung von der großen Muttergesellschaft und beziehungsweise noch eins höher vom chinesischen Staat bekommen. Und das änderte sich dann also ganz stark Anfang 2000, da merkte man, dass jetzt also eine ganz neue Generation von Managern in die Firma hereinkam.« (Handke)
Gegenwärtig nimmt Frau Handke daher ein ganz anderes Selbstverständnis des Unternehmens wahr, was folglich zu anderen Handlungsstilen des Managements führt. Dennoch lassen sich in einem chinesischen Unternehmen auch nach wie vor Besonderheiten finden: »Wir haben eigentlich jetzt auch ein, ein relativ junges, ein relativ modernes Management, aber wenn ich mir heute so die Situation angucke muss ich doch sagen, es ist schon viel,
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viel besser als vor 20 Jahren. […] aber letztendlich ist es immer noch eine sehr, sehr einfache Form, also Geschäfte zu machen, also einfach so aus’m Bauch heraus.« (Handke)
Was Frau Handke hier mit »aus’m Bauch heraus« beschreibt, findet sich als Erklärungsmuster für bestimmte Handlungsoptionen bei den chinesischen Interviewpartnern immer wieder und wird noch eine Rolle spielen. Für deutsche Mitarbeiter heißt das jedoch oft, dass Entscheidungen des Managements nicht immer nachvollziehbar sind und wenig strategisch geprüft scheinen. Einer Studie der Freien Universität Berlin zum Markteintritt chinesischer Unternehmen zufolge besteht das Problem einiger dieser Unternehmen weniger in einem kommunistisch geprägten Stil als in »geringer Management-Kompetenz und Knowhow-Defiziten« (Tirpitz et al. 2011: 65). Darunter fallen größtenteils Unternehmens- und Personalführung, Lokalisation und Marketing sowie die Kenntnis rechtlicher Rahmenbedingungen, insbesondere die arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen. Hinzu kommen sprachliche Defizite und die besonders für deutsche Mitarbeiter ungewohnten Kommunikationsstile. Trotz dieser Herausforderungen in Deutschland ist die Mehrzahl der chinesischen Unternehmen erfolgreich. Während sich deutsche Produkte in China zunehmendem Konkurrenzdruck ausgesetzt sehen, lernen die chinesischen Unternehmen in Deutschland schnell und passen sich beispielsweise den Qualitätsund Serviceanforderungen an. So gelingt es ihnen, wenn auch sehr behutsam und zunächst vereinzelt, ein Umdenken auf dem deutschen Markt in Gang zu setzen. Die Firma von Herrn Müller hat diesen Weg in Bezug zur deutschen Konkurrenz bereits erfolgreich beschritten: »Am Anfang haben alle gesagt: ›Da kommen jetzt halt paar Chinesen. Interessiert uns nicht.‹ Das hat man auch so mitbekommen, das haben uns auch Kunden gesagt […]. Bei uns ging es auch am Anfang ein bisschen bergab, weil diese Angst einfach da war […] und inzwischen nehmen sie uns alle ernst, weil wir halt, wir machen nix über Masse, nix über Preis, sondern über die Qualität und das ist halt schwer zu schlagen.« (Müller)
Auch Herr Arendtmeyer, der eben bereits von den Schwierigkeiten berichtet hat, die chinesischen Produkte seiner Firma zu verkaufen, ergänzt mit verhaltenem Optimismus und der Hoffnung auf Übertragbarkeit: »Ich denke mal, man kann es ziemlich leicht mit dem Automarkt vergleichen. Dass man früher gesagt hat: ›Ich kauf mir doch kein koreanisches Auto.‹ Nen Mazda oder nen Kia. […] Heutzutage denkt man darüber anders. Dann hat man bei Kia auch darüber nachgedacht, hat gesagt: ›Mmh, ich kaufe mir doch ein koreanisches Auto.‹« (Arendtmeyer)
3. Theoretischer Bezugsrahmen
Bei der Skizzierung des Forschungsfeldes deutet sich bereits an, dass die Makroebene der Nationen, die Mesoebene der Unternehmen und schließlich die individuell geprägte Mikroebene schwerlich klar voneinander abzugrenzen sind. Vielmehr vermengen und beeinflussen sich diese Ebenen zu und in einem unscharf-komplexen Gefüge, in dem Relevanzen variieren und sich immer wieder verändern. Gleichzeitig spiegelt dieses Gemenge die Lebenswelten der Akteure wider und macht die Stärke einer empirischen Untersuchung aus. Um diese Stärke auch nutzen zu können, steht hier das empirische Material im Vordergrund. Theorie entsteht mit ihm und aus ihm heraus und illustriert nicht ausschließlich bereits vorgefertigte Hypothesen. Allerdings wäre es unrealistisch und vermessen zu behaupten, ein Forschender ginge gänzlich theorieentleert ins Feld und an das Material heran. Hier geht es nun darum, die bereits vorhandenen Konzepte und Vorannahmen abzustecken und zu reflektieren. Ausgehend von der Breite des Forschungsfeldes spielen bei der Bearbeitung der Forschungsfrage mehrere Fachdisziplinen eine Rolle. Die naheliegende interdisziplinäre Herangehensweise wird daher pragmatisch und jenseits starrer Grenzen definiert, die in der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft nach wie vor und meist aus machtpolitischen Gründen verteidigt werden (vgl. Poerner 2009: 25). So geht die Untersuchung davon aus, dass jedwede disziplinär gebundene Theorie nicht als finales Dogma zu verstehen ist, sondern vielmehr eine zeitlich gebundene und kontextualisierte Forschungsfrage beantwortet, woraus möglicherweise auch eine »brauchbare Lösung des Ausgangsproblems abgeleitet werden kann« (Krotz 2005: 11). Dafür sind mitunter einfach mehrere theoretische Ankerpunkte notwendig. Im Umkehrschluss ist es daher sinnvoll, von einer gemeinsamen Forschungsfrage in einem gemeinsamen Forschungsfeld auszugehen, die auch nur gemeinsam angemessen bearbeitet werden kann. Die Studie bewegt sich dabei im Wesentlichen an und zwischen den Rändern von Soziologie, Interkultureller Wirtschaftskommunikation sowie den Management und China Studies. All diese
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Einflüsse vermengen sich letztendlich zu einem Orientierungs- oder auch Bezugsrahmen, der jedoch veränderlich ist und dem empirischen Material zwar eine Richtung gibt, ihm aber gleichzeitig auch folgt.
3.1 Z WISCHEN N ATIONALCHARAKTERISTIKA INDIVIDUELLER H ANDLUNGSPRAXIS
UND
Die Rahmung des Forschungsfeldes als »deutsch-chinesische Arbeitskontexte«, in denen Akteure einen bestimmten Habitus an den Tag legen und Normalität mitgestalten, beinhaltet also schon eine ganze Reihe an theoretischen Konzepten. Markant ist zunächst die Konzentration auf die etablierten Räume der Nationen als geografische Regionen und politische Entitäten. Die Gründe für die Auswahl Chinas und Deutschlands wurde in den vorangegangen Kapiteln bereits erläutert. Der nationale Bezug spielt in der Wahrnehmung der Akteure zudem eine wichtige Rolle: »Jetzt ist es extrem schwierig und auch ned geboten bei 1,3 Milliarden Chinesen zu verallgemeinern und DENNOCH, Sie können gewisse Verhaltensmuster einfach beobachten.« (Seidel) Während Herr Seidel hier noch abwägt und lediglich von gemeinsamen »Verhaltensmustern« spricht, scheinen bei anderen Interviewpartnern auch tieferliegende Differenzierungstendenzen durch, beispielsweise wenn Herr Arendtmeyer bemerkt, die Werte seiner chinesischen Kollegen seien »nicht europäisch« (Arendtmeyer). Auf solchen Einschätzungen beruhen verschiedene kulturtheoretische Ansätze, die einen bestimmten Kanon an Werten, Einstellungen und Handlungsweisen – zusammengefasst unter dem Label »Kultur« – jeweils einer Nation zuordnen. Aus der Psychologie kommend hat sich im deutschsprachigen Raum so der Ansatz von Thomas (u.a. 2003/2005/2008) etabliert, der einen der bekanntesten normativen Kulturbegriffe vertritt. Nationalkulturen geben dabei spezifische Werte und Normen vor, die wiederum das Denken und Handeln der Akteure beeinflussen und lenken. Aus diesem begrenzten Vorrat lassen sich dann, so Thomas, Kulturstandards ableiten, die als Orientierungssystem in der jeweiligen Kultur respektive Nation dienen können (Thomas 2005: 19). Eine sehr ähnliche Herangehensweise verfolgen die weltweit publizierten Ansätze bipolarer Dimensionsmodelle (z.B. Hofstede 2010, Hall 1990, Schwartz 1992, Trompenaars/Hampden-Turner 1998), die sich zwar in ihren jeweiligen Kategorien unterscheiden, in der dahinterliegenden Idee jedoch weitgehend identisch sind. Am bekanntesten sind sicherlich die Arbeiten von Geert Hofstede, der recht gut als illustratives Beispiel für diese Ansätze stehen kann. Plakativ herangezogen wird im Vergleich von China und Deutschland häufig die Dimension von
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Kollektivismus und Individualismus (vgl. Hofstede 2010: 90f.). Chinesen seien demnach aufgrund historischer und sozialphilosophischer Entwicklungen deutlich mehr in Gemeinschaften eingebunden als es Deutsche sind. Daraus lassen sich dann besondere Muster ableiten, zum Beispiel, dass sich Chinesen eher zurücknehmen und indirekter kommunizieren als Deutsche. Hier werden bereits erste Fallstricke dieser Ansätze bemerkbar, darunter eine zu breite Verallgemeinerung (in Bezug zum Beispiel auf die Größe und Vielfalt Chinas oder Unterschiede in der Sozialisation zwischen West- und Ostdeutschland). Hinzu kommen nicht integrierte neuere Entwicklungen wie die selbstbewusste junge Generation der Ein-Kind-Politik in China, die ganz anders aufwächst als die von den kommunistischen Kampagnen der Mao-Zeit geprägte Elterngeneration. Auch scheint im Zuge der Globalisierung eine zunehmende Individualisierung, wie Beck und Beck-Gernsheim (2010) sie beschreiben, in China wie auch in Deutschland eher zuzutreffen als dass das der Begriff des Individualismus tut (vgl. Yan 2012). Die Probleme der nationengebundenen Ansätze wurden und werden daher ausführlich von der wissenschaftlichen Community diskutiert und beziehen sich neben den theoretischen Grundannahmen auch auf methodische Aspekte der Datenerhebung (z.B. Bolten 2001, Kirkman et al. 2006, Cray/Mallory: 1998; Early/Singh 1995, Hansen 2000, McSweeney 2002, Ooi 2007, Rathje 2003). Nichtsdestotrotz nimmt die nationale Zugehörigkeit jeweils einen wichtigen Platz in den Interviews ein. So ist deren Einfluss auf die jeweiligen Arbeitswelten nicht von der Hand zu weisen. Das ist zunächst recht leicht nachzuvollziehen, beeinflussen politische und rechtliche Rahmenbedingungen die Voraussetzungen von Unternehmen doch deutlich. Dreher (2005) beschreibt in seiner Untersuchung der Arbeitswelt von DaimlerChrysler allerdings auch die weniger leicht erkennbare »Primordialität des Nationalgefühls« (ebd.: 73). Das bedeutet, dass gerade in fremden Situationen die emotional geladene Wahrnehmungskategorie der Nation vordergründig als Identifikationsmerkmal herangezogen wird. Gleichzeitig zeigt sich bei den Interviewpartnern dieser Untersuchung mit zunehmender hierarchischer Position und Erfahrung, dass Unterschiede zwischen deutschen und chinesischen Mitarbeitenden zwar klar benannt werden, deren möglicherweise national geprägter Ursprung in den Erklärungen aber wiederum abgedämpft wird. Dass demzufolge eine nationengebundene Perspektive allein zu kurz greift, wird sichtbar, wenn Herr Seidel erneut auf die Gesamtheit der chinesischen Bevölkerung eingeht, bei der er eben noch gemeinsame »Verhaltensmuster« beobachten konnte: »Bei 1,3 Milliarden Chinesen, wir müssen uns frei machen von der Vorstellung, dass es DEN Chinesen gibt. Es gibt auch ned DEN Deutschen.« (Seidel)
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Die Aufweichung der nationalen Kategorien spiegelt sich dann eher in den Ergebnissen interpretativ-konstruktivistischer Ansätze wider. Der Begriff Kultur wird hier eher als »root-metaphor« (Smircich 1983: 353), als sinnstiftendes und »selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe« (Geertz 1987: 9) denn als »collective programming of the mind« (Hofstede 2010: 6) einer Nation verstanden. Nationalkultur verwässert hier auf der einen Seite deutlich zugunsten symbolischer Beziehungsmuster (vgl. Geertz 1987) emischer Kollektivkonstruktionen. Mahadevan (2007) identifiziert bspw. in einer deutsch-indischen Kooperation die eigentlichen Reibungspunkte nicht zwischen den beiden Nationen, sondern zwischen der Gruppe der Ingenieure und der des Managements. Eine ähnliche Beobachtung macht Herr Seidel, der hier unterschiedliche Abteilungen seines Unternehmens in den Blick nimmt, diese aber auch gleich auf »die Leute«, die in diesen Abteilungen arbeiten, also auf eine individuelle Ebene, herunterbricht: »[…] es gibt Abteilungen, die bombig miteinander können, das ist in China dasselbe wie in Deutschland. People make the difference. Die Leute können einfach miteinander. Die gehen zusammen in die Kantine, nach der Kantine da laufen sie noch ne Viertelstunde über’s Werksgelände. Und dann gibt’s andere Abteilungen, die können halt ned ganz so gut miteinander, aus verschiedenen Gründen wiederum, das heißt, dass die handelnden Akteure ned so gut miteinander können: Die Chemie stimmt ned. Das gibt’s in China genauso wie in Deutschland: Die Chemie stimmt ned.« (Seidel)
Auf der anderen Seite zeigt Dreher (2005) aber eben auch, dass nationale und organisationale Strukturen symbolisch so gefestigt sein können, dass keine »interkulturellen« Vermischungen im Sinne hybrider Dynamiken (vgl. Bhabha 2010) stattfinden. Das zeigt wiederum ein Beispiel aus dem Interview mit Herrn Arendtmeyer, Vertriebsleiter eines chinesischen Unternehmens in Deutschland: »Und ich treffe heutzutage […] auf deutsche Unternehmen, also auf Installations- und Planungsunternehmen, die sagen: ›Nein, mit Chinesen wollen wir nicht zusammenarbeiten.‹« (Arendtmeyer) Folglich reicht es besonders für die Betrachtung von Interaktionssituationen nicht aus, theoretisch entweder nur auf die nationengestützen, primordialen oder nur auf interpretativ-konstruktivistische Konzepte zu setzen. So ergeben sich aus Sicht primordialer Ansätze auf der einen Seite kommunikative Missverständnisse durch die Unkenntnis eines fremden Systems respektive meist einer anderen Nation. Die Divergenzen zwischen Systemen beruhen dabei u.a. auf bereits vorgegebenen, unterschiedlichen Wertesets, die die Akteure in ihrem Handeln beeinflussen (vgl. u.a. Hofstede 1980/2010) oder in der unterschiedlichen »Realisierung von Sprechakten« (Busch 2011: 10). Als Konsequenz können kritische
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Situationen nur durch Fremdverstehen entproblematisiert werden (vgl. Busch 2011: 10). Fraglich bleibt hier jedoch, wer wen versteht und sich konsequenterweise anpasst. Das impliziert Kohärenz als optimale Lösung und macht damit die Ausbildung einer gemeinsamen Kommunikationsgrundlage kaum möglich. Auf der anderen Seite und aus einem konstruktivistischen Verständnis heraus würde eine solche Kommunikationsbasis durch die Interaktionen von Individuen überhaupt erst geschaffen werden (vgl. Busch 2011: 10). Ein derartiges Ziel der Verständigung wäre nur dadurch zu erreichen, dass »eine gemeinsame Sichtweise auf die Rolle von Kultur« (ebd.: 12) gefunden werden könnte. Angesichts der individuellen Vielfalt besteht allerdings die Gefahr, dass die Aufgabe, eine gemeinsame Perspektive zu finden, von den Anforderungen im organisationalen Alltag überlagert wird. Die für eine solche Aufgabe notwendigen persönlichen Leistungen, wie starke Empathiefähigkeit oder bedingungslose Offenheit, würden die Möglichkeiten der Akteure zudem überstrapazieren (vgl. Rathje 2009b). Im schlechtesten Fall werden nach Appadurai (1996) Differenzen von Individuen selbst erst konstruiert, um diese für eigene Ziele zu instrumentalisieren. Unterschiede definieren demnach subjektive Grenzen, die wiederum für den Zusammenhalt innerhalb des Grenzrahmens konstituierend sind. Normalität wird jedoch meist nie dadurch erreicht, dass in Interaktionen ausschließlich eine der beiden skizzierten Möglichkeiten konsequent durchgespielt wird. So werden beispielsweise von den meisten Interviewpartnern die Fähigkeit zu Fremdverstehen und zu Offenheit als ganz zentrale Eigenschaften im Arbeitsalltag genannt und angewendet. Sie sind jedoch nicht die einzigen Möglichkeiten, Normalität zu gestalten, denn gleichzeitig strukturieren politischrechtliche und organisationale Rahmenbedingungen, Hierarchien, unbewusste Annahmen und persönliche Grenzen der Interaktanten dieses Gefüge ganz entscheidend mit. Während auf der einen Seite beispielsweise kohärente Vorgaben von Unternehmensseite bestehen, müssen diese auf der anderen Seite so umgesetzt werden, dass die individuellen Stärken der Mitarbeiter bestmöglich zum Tragen kommen. So glaubt Herr Seidel an die verbindende und regulierende Wirkung der bestehenden Organisationskultur seiner Firma, er benennt klar Unterschiede zwischen den Mitarbeitern, die er nicht deren Persönlichkeit zuschlägt, sondern deren Herkunftsregion. Wenn er jedoch von den Vorteilen national gemischter Teams in seiner Firma spricht, bezieht er sich wieder auf die von den Persönlichkeiten der Mitglieder abhängige Teamdynamik. Das klingt dann folgendermaßen: »Ich glaub’ einfach ned, dass es echte Spezifika sind von deutsch-chinesischen Teams, sondern von den Individuen.« (Seidel) Bereits bei der Betrachtung der Aussagen von Herrn Seidel, ergänzt um das Zitat von Herrn Arendtmeyer, also einem sehr kleinen Sample, wird erkennbar,
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dass beide Theorie-Ansätze – primordiale und konstruktivistische – in unterschiedlichen Ausprägungen in den Arbeitswelten der Akteure eine Rolle spielen. So pendeln die Akteure beispielsweise immer wieder auf dem Kontinuum zwischen psychologisierend-individuellen und kulturalistisch-verallgemeinernden Begründungen hin und her. Eine Verbindung der verschiedenen Ansätze muss daher durchaus kein Widerspruch sein, wie auch Hinweise aus der Literatur zeigen, bspw. bei Law/Urry (2003): »[T]he world we know in social science is both real and it is produced.« (ebd.: 5)
3.2 S OWOHL - ALS - AUCH UND E NTWEDER - ODER : D ER A NSATZ DER »F UZZY C ULTURE « Die Studie orientiert sich daher an einer Idee, die die dafür notwendige Offenheit bereits in sich birgt: Den Ansatz von »fuzzy culture« (Bolten 2011b). Der Begriff fußt auf dem Konzept der fuzzy logic (vgl. Zadeh 1973), die ursprünglich aus der Mathematik stammt. Dort ist sie »based on the premise that the key elements in human thinking are not numbers, but labels of fuzzy sets, that is, classes of objects in which transition from membership to non-membership is gradual rather than abrupt« (ebd.: 4). Bolten (2011b) hat diese Idee auf die genannten kulturtheoretischen Modelle übertragen. Während diese auf einer »zweiwertigen (Substanz-) Logik« (Bolten 2011b: 4) beruhen, das heißt, es gilt entweder zwischen Homogenität oder aber Heterogenität, zwischen begrenzten Nationen oder hybriden Bedeutungssystemen usw. zu entscheiden und Stellung für nur eine der beiden Möglichkeiten zu beziehen, versucht das Konzept der fuzzy logic statt der Pole das Spektrum dazwischen in den Blick zu nehmen. Es geht demzufolge um »Zugehörigkeitsgrade« (Bolten 2011b: 3), die Aspekte sowohl des einen als auch des anderen Pols in sich tragen: »Eine fuzzy culture ist dementsprechend eher beziehungs- als substanzorientiert aufzufassen: Sie definiert sich vor allem über die Intensität, mit der sich Akteure auf sie beziehen« (ebd.). Daher können bei der Beschreibung von Interaktionen auch mehrere kulturtheoretische Ansätze gleichzeitig wirksam werden und je nach Kontext nebeneinander auftreten. Damit soll jedoch kein blinder Kulturbegriffsrelativismus im Sinne eines »alles ist möglich« propagiert werden. Vielmehr können sich beispielsweise »Beziehungslogiken« (ebd.: 4) aus einer mikroperspektivischen Sicht zwar äußerst heterogen darstellen, was aber wiederum nicht heißt, dass makroperspektivisch nicht auch allgemeinere Cluster identifiziert werden könnten.
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3.3 K OLLEKTIVE
ALS
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»K ULTURTRÄGER «
Mit dem theoretischen Orientierungsrahmen der »fuzzy culture« im Rücken lassen sich bestimmte Begrifflichkeiten gut verbinden, die im Laufe der Arbeit immer wieder verwendet werden. Dazu gehört der des »Kollektivs« (Hansen 2009a). Kollektive sind zunächst ganz allgemein Gruppen von Menschen, in denen eine bestimmte Form von Normalität herrscht, beispielsweise durch bestimmte standardisierte Handlungsroutinen, durch einen bestimmten beobachtbaren Habitus usw. Das können durchaus klar abgrenzbare Räume wie Nationen, Unternehmen oder ein Expat-Club sein. Aus einer Makroperspektive können also klare Linien zwischen Kollektiven gezogen werden. Dabei ist es jedoch essentiell, die solchen Kollektiven »innewohnende Mannigfaltigkeit« (Han 2005: 13) zu berücksichtigen und nicht etwa »einen Teil […] zum Ganzen« (ebd.) zu erheben. Denn eine Nation oder ein Unternehmen sind für den Einzelnen immer nur eines von mehreren Kollektiven. Diese Parallel-Verortung des Individuums bezeichnet Hansen als »Multikollektivität« (Hansen 2009a: 20). Da eine Person schlecht teilbar ist, konstituieren sich Kollektive bei genauerem Hinsehen daher nicht durch einzelne Personen, sondern »durch die partielle Gemeinsamkeit der ihm zugeordneten Individuen« (ebd.: 27). Durch die Summierung bestehender Kollektive entsteht wiederum »Polykollektivität« (ebd.: 115): Eine Nation beispielsweise besteht nicht nur aus partiellen Gemeinsamkeiten von Individuen wie ein kleineres Kollektiv, sondern auch aus mehreren Kollektiven (vgl. ebd.). So beschreibt Herr Seidel die naheliegende Einteilung Deutschlands in Regionen, die ihre Bewohner besonders prägen: »Also ich bin KURpfälzer, wie man unschwer hört, ähm,…ich glaube ZUTIEFST daran, dass es Dinge gibt, die, ich sag mal, die Großzahl der Schwaben, oder uns, der Badener, prägen. Und dann wiederum Leute aus SACHSEN, aus dem Ruhrgebiet, da gibt’s SCHON noch Dinge, die uns ein bissl unterscheiden und des is ja auch ganz gut so, oder?« (Seidel)
Auf China bezogen beobachtet er wiederum, dass in seinem Unternehmen »verschiedene Arten von Chinesen« (Seidel) beschäftigt sind. Wie auch andere Interviewpartner in China bestätigten, nehmen die Akteure so Unterschiede zwischen Nord- und Südchinesen, aber auch den Bewohnern der großen Städte wahr: »Das Land ist so RIESIG und dann noch so bevölkerungsreich und…gut, jetzt bemühe ich selbst Stereotype, aber…den Shanghainesen machen, oder viele Shanghainesen machen
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gewisse Dinge aus. Und dann geh’n Sie nach Nordchina, da sind die Menschen wieder ganz anders.« (Seidel)
Herr Seidel verallgemeinert hier also wieder, ist sich dessen aber durchaus bewusst (was ihm beinahe unangenehm zu sein scheint, doch dazu später). Dieses Zusammenspiel von Verallgemeinerung und Spezifizierung lässt sich nach Hansen (2009a) dadurch erfassen, dass die einzelnen Kollektive, in die jeder Einzelne eingebunden ist, jeweils miteinander verbunden sind. Daher bilden sich Beziehungsnetzwerke heraus, die als »Scharnier« (Bäuerle 2009: 98, zit. in Bolten 2009b: 240) zwischen Mikro-, Meso- und Makroebene fungieren. Besonders interessant sind daher nicht die Kollektive selbst, sondern vielmehr der Grad ihrer Verbindung zwischen ihren partiellen Gemeinsamkeiten oder auch ihren Differenzen (vgl. Hansen 2009a: 49-50). Beeinflusst werden die Beziehungsgrade durch das »Private, Spontane und Emotionale« (ebd.: 37). Lange waren gerade diese handlungsleitenden Motive im Kontext von Wirtschaftsorganisationen allerdings ein wenig beachtetes Thema. Besonders Manager handeln gerade in kritischen oder fremden Situationen jedoch nur eingeschränkt im Sinne eines Rational-choice-Verständnisses (vgl. Flam 2002: 178-179). Vielmehr erleben sie nach Flam (2002) Spannungen zwischen »ihren Rollenerwartungen und ihren eigenen Gefühlen« (ebd.: 179). Dort hinein spielen dann mitunter auch andere Kollektivzugehörigkeiten, die beispielsweise privater Natur sind und in Stresssituationen ausgelöst werden können. Bei den interviewten Akteuren wurden so immer wieder Emotionen genannt, die Einfluss auf deren Normalitätskonstrukte hatten. Dazu gehörten Frustration, Ärger oder all das, was unter eine gute oder schlechte »Tageslaune« (Weiß) fällt, aber auch Enthusiasmus und Neugier, die wiederum zentral für das Selbstverständnis dieser Akteure sind. Das wirkt sich dann auf den Aufbau, die Pflege oder auch die Neuausrichtung von Beziehungen aus. Deren Gestaltung erfordert daher »Normalisierungsarbeit« (Kettner 2008: 21, Herv. A.S.), es bedarf also einer Anstrengung, die mehr oder minder schwer ausfallen kann.
3.4 W OZU K ULTUR ? Die Begriffe »Normalität« und »Kollektiv« scheinen es zunächst leicht zu machen, den sperrigen Terminus »Kultur« zu umgehen, der zu Beginn dieses Kapitels bereits schon Erwähnung fand. Ist es demnach überhaupt notwendig, sich näher damit zu beschäftigen? Wozu eigentlich Kultur?
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Zunächst wird der Begriff bedeutsam, weil er in der Wahrnehmung der Akteure bedeutsam ist. So wird er bei der Beschreibung von Unterschieden zwischen China und Deutschland verwendet: »China and Germany, äh…we have two different cultures, of course.« (Wang) Kultur als Begriff dient aber auch dazu, Verhaltensweisen erklärbar zu machen. Herr Li antwortet so auf die Frage, was seiner Meinung nach der Grund für eine andere Verhandlungsführung von Deutschen und Chinesen sei, die er eben erläutert hatte: »I think, it’s culture. It’s culture.« (Li) Die Interviewpartner verwendeten den Begriff auch, obwohl die Leitfragen ihn bewusst ausgespart hatten. Kultur wird hier ganz allgemein und klassisch als ein Konglomerat von Verhaltensweisen, Praktiken und Werten in Gruppen von Menschen verstanden. Daran schließt nun wiederum der Normalitätsbegriff an, der aber erstens nur ein Schnappschuss dieses Konglomerats im Rahmen eines bestimmten Kontextes und einer bestimmten Zeitspanne sein kann. Zweitens bezieht er sich nicht ausschließlich auf Nationalkollektive, die aber durch die Interviewpartner meist synonym als »Kulturen« bezeichnet werden. Schließlich setzt er drittens Interaktionen voraus und beschreibt nicht nur vergleichend Unterschiede. Allerdings sind Interaktionen eine wie auch immer geartete Pflege von Beziehungen. Dieser Prozess der Pflege entspricht dann wieder dem etymologischen Ursprung des Kulturbegriffs, denn das Lateinische colere bedeutet eben »Pflege« oder auch »Bearbeitung« von Beziehungen. Obwohl also Kultur im Sprachgebrauch der Interviewten eingeschränkter und statischer verwendet wird, transportiert der Begriff auch all das, was ihm nicht unmittelbar zugeschrieben wird, nämlich die Verquickung verschiedener Normalitäten, die sowohl gleichzeitig in unterschiedlichen Kollektiven bestehen, als sich auch auf einer Zeitachse weiterentwickeln und verändern. Kultur setzt also Normalität voraus und Normalität wird erst durch ihre Entwicklung und kollektive Verlinkung zu Kultur. Beide Konzepte hängen damit untrennbar zusammen. Ohne Normalität gäbe es konsequent gedacht dann auch keine Kultur. Die Abwesenheit von Normalität wäre dann Fremdheit, die immer in Bezug zu etwas oder jemandem steht. Diese Fremdheit äußert sich bei den Interviewpartnern u.a. in einem Gefühl der Einsamkeit oder Isolation, wie Herr Frei aus seiner Anfangszeit in China berichtet: »Ich war so ziemlich der einzige Ausländer hier […]. Und dann kam ich mir hier am Anfang schon ziemlich einsam vor, sagen wir mal so. Das war schon schwer.« (Frei) Angesichts der Schwierigkeit, den chinesischen Verantwortlichen in seiner Firma klar zu machen, dass abgemachte Lieferfristen in Deutschland für Kunden kaum verhandelbar sind, äußert Herr Arendtmeyer eine weitere Gefühlsregung: »Mmmh, sowas frustriert, sowas frustriert.« (Arendtmeyer) Gleichzeitig arbeitet er jedoch gerne in einem chinesischen Unternehmen, als Grund gibt er an: »Es ist was Neues, es ist was Span-
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nendes, ja.« (ebd.) Fremdheitserfahrungen müssen also nicht zwangsläufig negativ sein und selbst konträre Gefühle können sich in einem Individuum vereinen. Die positive Haltung gegenüber Fremdem wird sich zudem noch als wichtiger Punkt in der Rekonstruktion von Normalitätskonstruktionen erweisen.
3.5 I NTERKULTURALITÄT Nun entstehen Fremdheitsgefühle nicht nur beim Kontakt mit Vertretern anderer Nationalitäten, sondern treten auch zwischen anderen Kollektiven auf. In den Interviews wird das deutlich, wenn beispielsweise Probleme mit der Firmenleitung entstehen, die die Verhältnisse vor Ort schlecht einschätzen kann. Andere Beispiele lieferte schon Herr Seidel, der von Bruchstellen zwischen Abteilungen, aber auch zwischen verschiedenen Mitarbeitern berichtete. Spannungsfelder können also in verschiedenen Bereichen auftreten und mehr oder weniger stark sein. Dabei müssen intra-nationale Reziprozitätsdynamiken »nicht per se weniger störanfällig« (Bolten 1999: 35) sein als inter-nationale. Ein gängiger Begriff für die Beschreibung solcher Irritationslinien ist der der »Interkulturalität«. Er drückt zunächst eine Überschneidungssituation aus, in der sich Menschen gegenüber stehen, die partielle Gemeinsamkeiten noch nicht entdeckt haben oder unter Umständen auch gar keine finden werden. Dazu haben sie noch keinen gemeinsamen Normalitätsspielraum für mögliche Differenzen festgelegt, das heißt auch bei bestehender Normalität können durchaus Unterschiede zwischen den Akteuren bestehen, diese sind dann aber bekannt und »normal«. Dadurch werden Reaktionen wie Ärger oder Frustration, die oft aus einer Handlungsunsicherheit heraus entstehen, vermieden: »If you KNOW that Germans are precise, if you KNOW that they take MORE time, you know, to, to react, to do certain things and you will not, let’s say jump, you know, through the roof.« (Wang) Interkulturalität beschreibt im Umkehrschluss also einen Zustand ohne oder nur geringer Normalität, der von den genannten Fremdheitsgefühlen geprägt ist (vgl. Rathje 2006). Wenn es den Interaktanten jedoch gelingt, Normalität herzustellen, entsteht erneut Kultur. Da jedes Individuum jedoch durch Multikollektivität geprägt ist, vereint es immer auch mehrere Kulturen bzw. temporäre und kontextbedingte Normalitätskonstruktionen in sich. Wenn sich also Interkultur durch Normalisierungsarbeit in Kultur wandelt, fügt sich diese neue Kultur den bereits bestehenden Kulturen der Interaktanten hinzu. Da diese zusätzlichen Kulturen jedoch durchlässig sind, können partielle Gemeinsamkeiten und Erfahrungen mit Unterschieden wichtige Stützfunktionen für die neuentstandene Kultur leisten. Je mehr Kollektiven ein Individuum angehört, umso größer ist demnach
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die Chance, in Interaktionen mit anderen sowohl Anknüpfungspunkte, als auch bereits bekannte Differenzen wiederzuerkennen. Es wird also leichter, Normalisierungsarbeit zu leisten und Kultur und damit Normalität als gegenwärtigen Zustand auszubilden (vgl. Rathje 2009a: 17-18).
3.6 K OMMUNIKATION Normalisierungsarbeit erfordert als Werkzeug Kommunikation. Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs, etwas gemeinschaftlich zu machen (vgl. Bolten 2000b), enthält bereits zwei wichtige Grundlagen: Kommunikation findet in Gruppen (das heißt mindestens zwei Personen) statt und baut auf Reziprozität. Verkürzt heißt das, dass Kommunikation auf Verstehen abzielt, was aber immer auch ein Ideal ist (vgl. Kapitel 4.1 zum Fremdverstehen). Es kann nur Versuche geben, so nah wie möglich an ein Verstehen heranzukommen, wobei neben dem Gesprochenen auch non- und paraverbale oder extraverbale Aspekte chiffrierend wirken können. Die bei der Interaktion entstehenden »Reziprozitätsdynamiken« (Bolten 2009b) sind also störanfällig. Um derlei Unwägbarkeiten zu minimieren, schöpfen die Kommunikationsteilnehmenden aus kommunikativen Dispositiven, die sie erlernt haben und deren Strukturen sie wiederholen können. Auf ein Bitte folgt daher meist ein Danke, in Business-Meetings werden häufig Anzüge getragen und Konfliktpotentiale können durch »ritualisierte Ordnungen wie Rechtfertigungen oder Entschuldigungen« (Rathje 2004b: 59) entschärft werden: »Kommunikation, so dürfen wir im Anschluß daran formulieren, ist ein Vorgang, der insofern, als er etwas mit Informationserarbeitung zu tun hat, die Orientierung in einer Welt ermöglicht, deren Ordnung weder vorausgesetzt noch in Frage gestellt werden muss, sondern in einer Sequenz endlicher Kontingenzen erschlossen werden kann« (Baecker/Eckoldt 2006: 1). Kommunikation bietet also Orientierung und kann dadurch Normalität in Kollektiven herstellen – »Man weiß im Zweifel was für richtig und was für falsch gehalten wird« (Baecker 2005: 145). Sie ist damit auch Grundvoraussetzung dafür, dass Kultur entstehen kann. Auch hier gilt wieder, dass dies nicht an Nationalkulturen gebunden sein muss: »I think even the communication among the German, the colleagues or the German people themselves is also a MATTER of, you know, äh, the way how you communicate and how people are, what type of people they are, you know, so I think communication is big topic, not only for the cross-culture, but also within culture itself.« (Wang)
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Kommunikation geschieht jedoch nicht von allein und selbstverständlich, sondern ist verbunden mit einer reziproken Informationserarbeitung, also einer gemeinsamen Anstrengung, die über ein simples und technisiertes Reiz-ReaktionsSchema hinausgeht. Herr Wang spricht hier daher von »Kollaboration« und der »Ausbildung« seiner Mitarbeiter, Kommunikation so zu gestalten, dass als Ziel Verstehen angestrebt wird: »Well actually, ähm, the understanding of different cultures is the basis. If you do not understand the other side, the culture, you cannot really, äh, work or, let’s say collaborate with the other side, yeah, so, this is the understanding, this is also what we are trying to, let’s say educate our people, to have more understanding of the German culture.« (Wang)
Das kann auch heißen, für ein mögliches Nicht-Verstehen Verständnis aufzubringen. Baecker (2005) geht sogar so weit, dass er Kommunikation in Opposition zu Kausalität setzt, was zunächst befremdlich wirken kann (vgl. ebd.: 8): »Wir kriegen das innere Kribbeln, wenn wir merken, hier hat man es nicht mit Kausalität zu tun, hier läuft kein technischer Prozess, hier gibt es keinerlei Verlässlichkeit, was als nächstes passiert, sondern nur Unzuverlässigkeit und ein extremes Raffinement der Verhältnisse, mit dieser Unzuverlässigkeit umzugehen« (Baecker/Eckoldt 2006: 1). Gerade aber wie diese Unzuverlässigkeit wahrgenommen, bewertet und letztendlich gehandhabt wird, bestimmt auch wie die Akteure Normalität für sich konstruieren.
3.7 K ULTUR
UND
W IRTSCHAFT
Der Kontext Chinas und Deutschlands ist also deutlich vielschichtiger, als der bloße Vergleich nationaler Charakteristika – ohne diese unzulässig an den Rand drängen zu wollen. Dabei spielen die miteinander verquickten Begriffe Kultur und Normalität eine zentrale Rolle, die im Habitus der Akteure ihre jeweilige Ausprägung finden. Der genannte Kontext ist nun aber auf Arbeitsumgebungen eingegrenzt, die wiederum bestimmte Spezifika aufweisen und als Mesoebene mit dem Gefüge aus Nationalcharakteristika und individuellen Merkmalen verknüpft sind. Gerade im Bereich der Wirtschaft wird die Nachfrage an der Lösung »interkultureller« Probleme im Zuge der Globalisierung immer größer und dringlicher. Dahinter stecken ökonomische Überlegungen, die das Thema Kultur gerade in Bezug zu den vermehrten Internationalisierungsstrategien ins Bewusstsein der Entscheider holt. Ein Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei auf Themen der
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internationalen Personalentwicklung, die »vor allem mit der Entsendung von Mitarbeitern ins Ausland gleichgesetzt« (Deller/Kusch 2007: 568) wird. Die zentralen Fragen sind hier, wie Mitarbeiter für diese Aufgabe ausgewählt, vorbereitet und auch begleitet werden (vgl. ebd.: 572-573), aber auch, was passiert, wenn von Unternehmensseite keine unterstützenden Kriterien und Maßnahmen angeboten werden. Dass wie auch immer geartete kulturelle Fragestellungen im Arbeitskontext jedoch generell eine große Nachfrage erzeugen, macht sich u.a. darin bemerkbar, dass interkulturelle Trainingsangebote hauptsächlich auf Kunden aus der Wirtschaft zugeschnitten sind. Denn Schlagworte wie »interkulturelle Kompetenz« lassen sich gut verkaufen, auch wenn die Konzepte häufig entgegen aktueller und vor allem empirischer Forschungsarbeiten laufen. Die Inhalte müssen im Sinne der Wirtschaftlichkeit effizient, leicht handhabbar und daher reduziert gestaltet sein. Am unkompliziertesten lässt sich ein solcher Ansatz mit den bereits skizzierten nationengestützten Dimensionsmodellen umsetzen, die dann jedoch meist als einziger Hintergrund verwendet werden. Ooi (2007) unterscheidet daher zwischen »lived culture« und »packaged culture« (ebd.: 127): »In packaging culture, researchers make tacit decisions. Eventually, the packaging process involves what to accentuate, what to marginalize, how much complexity to present and to whom the knowledge is to be sold.« (ebd.: 128) Dieses »Verpacken« schnürt das Verständnis von Kultur zwar ein, was zunächst aber nicht problematisch ist. Eine Gefahr besteht allerdings dann, wenn nationale Charakteristika als einzig vorherrschende »packages« die Wahrnehmungskategorie dominieren. Für die Akteure wird es dann meist schwerer, mit einer deutlich komplexeren »lived culture« umzugehen. Die Bewertung solcher Trainings fällt bei den Interviewpartnern aus diesem Grund meist eher negativ aus. Vielmehr verlassen sie sich auf die eigene Offenheit und das Interesse am Anderen. Besonders eigene Erfahrungen vor Ort nehmen dabei einen wichtigen Platz ein, wie Herr Schneider in Bezug zu seiner Arbeitswelt in China bemerkt: »WIE soll das dann jemand verstehen, der an einem Tag so nen Schnellkurs macht und dann meinetwegen auch ne Woche Training kriegt. So lang man nicht hier gewesen ist, funktioniert das nicht.« (Schneider)
3.8 U NTERNEHMENSKULTUREN Die Unternehmen auf der Mesoebene spielen als Kollektive mit einer jeweils eigenen »Unternehmenskultur« für die Studie eine zentrale Rolle. Die Thematik stellt ein theoretisch gut bearbeitetes Feld dar, ist aber auch noch relativ jung. Erst in den 1980er Jahren tauchte der Begriff der corporate culture zunächst in
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US-amerikanischen Management-Theorien auf (Deal/Kennedy 2000 [1982], Peters/Waterman 2006 [1982]). Auslöser waren die mit herkömmlichen Kennzahlen nicht messbaren Erfolge japanischer Unternehmen (Ouchi 1981), die auf die bisher vernachlässigten »soft facts« in Führung und Unternehmensgestaltung setzten (vgl. Rathje 2009b). Diese sehr breite und diffuse Vorstellung von Kultur, die das »›Mehr‹ an Einzigartigkeit einer Organisation« (ebd.: 15) umfasste, rechtfertigt ihren Zweck darin, unternehmerische Effizienz zu steigern: »In sum, the recent popularity of the idea of strong corporate culture may be seen as the culmination of a pronounced historical trend in managerial ideology and practice towards forms of normative control. In the most general terms, shaping the employees’ selves in the corporate image is thought to be necessary in order to facilitate the management and increase the efficiency of large-scale bureaucratic enterprises […].« (Kunda 1992: 13)
Die Vorstellung, Kultur und damit auch involvierte Mitarbeiter zweckrational nach der »thin line« (Alvesson 1993: 119) an Werten und Normen einer hierarchisch bessergestellten Minderheit zu formen, ließ aber auch kritische Stimmen aufkommen. Die Bedenken der sich etwa zur gleichen Zeit konstituierten Critical Management Studies (CMS) äußern sich generell in einer tiefen Skepsis gegenüber der »moral defensibility and the social and ecological sustainability of the prevailing forms of management and organization« (Adler et al. 2007: 3). Lösungsvorschläge für den konkreten Aspekt der Organisationskultur sind aber trotz der kritischen Haltung gegenüber »functionalist assumptions« (Alvesson 1993: 119) nicht kategorisch ablehnend, denn »it is seldom self-evident how a given phenomenon is ›best‹ perceived an interpreted« (ebd.). Um einen reflexiven und tiefergehenden Umgang mit Organisationskultur zu gewährleisten, schlägt Alvesson (1993) als Perspektive daher eine »multiple cultural configuration« (ebd.: 118/Alvesson 2002: 190) vor. Organisationskulturen werden dann nicht als jeweils geschlossenes und kohärentes Ganzes oder als stabile Form verschiedener Subkulturen verstanden, sondern als »mixtures of cultural manifestations in a multitude of ways« (ebd.: 118). Individuen sind dabei verschieden stark mit der Organisation, aber auch mit Beruf, Geschlecht, Nation usw. verbunden. Das Paradigma von Kohärenz im Sinne von »Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit« (Rathje 2009b: 18) wird dann auch empirisch von Stefanie Rathje (2004b) widerlegt. In ihrer Studie am Beispiel deutscher Unternehmen in Thailand arbeitete sie die Dynamiken Anpassung, Integration, Ablehnung und Hybridisierung heraus. Je nach Gewichtung der einzelnen Komponenten ergibt sich eine andere Form der Interaktion. Da meist alle Dynamiken gleichzeitig feststellbar sind, entsteht durch deren Variation ein unendliches Interaktionsre-
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pertoire. Wie dieses Repertoire genutzt wird und wie die Interaktion dann letztendlich verläuft, hängt vom Zusammenspiel der Beteiligten ab, das zudem von zahlreichen anderen Faktoren wie externen Umständen, individuell-persönlichen Merkmalen, aber auch von Machtansprüchen und Hierarchiegefällen beeinflusst wird (vgl. Alvesson 1995 und Jordan 1994).
3.9 I M W ESTEN
NICHTS
N EUES ? I NDIGENE A NSÄTZE
Die Bedeutung von Macht und Hierarchien auf Normalitätskonstruktionen ist daher ein wichtiges Element der Studie, das später wieder aufgegriffen und weiter ausgeführt wird. Das Thema wirkt sich aber auch noch in ganz anderer Weise auf die Untersuchung aus. Denn die Behandlung der Konzepte Kultur, Unternehmenskultur, Normalität, Habitus usw. geschieht bis hierher immer aus einer »westlichen« Perspektive. Der »Westen« umfasst als geografischer Raum grob skizziert die kapitalistisch und christlich geprägten Länder und Gebiete, allen voran Nordamerika und Europa. Die wirtschaftliche Macht der dortigen Industriestaaten und die damit mitunter verbundenen neo-kolonialen Tendenzen führen von chinesischer Seite auch zum Vorwurf eines »intellektuellen Imperialismus« (Poerner 2011: 75). Im Zuge des erstarkenden Selbstbewusstseins und der eigenen, zunehmenden globalen Machtstellung wird in den Wissenschaften – einschließlich der Kommunikations- und Kulturwissenschaften – daher verstärkt ein »Asiacentric view« (Chen/Miike 2006) gefordert und propagiert, der mit einer »De-Westernization« (Poerner 2011: 75, FN 282) einhergehen soll. Aus dieser Perspektive werden »dem Westen« tendenziell negativ konnotierte Attribute wie Individualismus (verstanden als Egozentrismus), Positivismus und Materialismus zugeschrieben (vgl. Poerner 2011: 95). China hingegen zeichnet sich durch die im kulturellen Gedächtnis verankerten, hauptsächlich konfuzianischen Positionen wie beispielsweise Harmonie, dem Zulassen von Gleichzeitigkeit und Gemeinsinn aus (vgl. ebd.). Diese Aspekte werden dann vorrangig von englischsprachigen Wissenschaftlern aufgegriffen und als genuin indigene Ansätze im westlichen Ausland publiziert. Tony Fang (2012), der in Stockholm forscht und lehrt, entwickelte beispielsweise die recht weit rezipierte »Yin Yang«Kulturtheorie, in der er das philosophische Prinzip dazu verwendet, »inherently paradoxical value orientations« (ebd.: 1) innerhalb von Kulturen zu erfassen und nebeneinander bestehen zu lassen. Diese Idee scheint zunächst tatsächlich interessant zu sein und ähnelt dem Konzept der »fuzzy culture« (Bolten 2011b). Allerdings – und hier liegt der entscheidende Unterschied zu letzterem Konzept – entpuppt sich der »Yin Yang«-Ansatz als inkonsequent, arbeitet er doch mit der
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eingefahrenen Dichotomie von »Ost« und »West« und sucht ähnlich der breit angelegten Hofstede-Studien (z.B. 1980, 2010) nach länderspezifischen, messbaren kulturellen Ausprägungen. Hinter dem indigen-innovativen Anstrich bleibt das vorgelegte Kulturverständnis also nicht minder essentialistisch als das der Vorwurf an die als »westlich« wahrgenommenen Theorien ist (vgl. dazu auch Poerner 2011: 95). Und so erscheinen auch weitere, als indigen gelabelte Ansätze der Kommunikations- und Kulturwissenschaften eher als Ausverkauf philosophischer Traditionen im Streben um Abgrenzung als eine wirkliche Auseinandersetzung mit bestehenden Konzepten. Dabei soll hier keinesfalls grundsätzlich Kritik an der Suche nach neuen Erklärungsmustern geübt werden. Wie Henze (2007) in seinem Überblicksartikel zeigt, erfassen beispielswiese die außerhalb Chinas geprägten und verwendeten Begriffe wie »Kommunikation« oft nicht alle Sinnfelder, die in der chinesischen Übersetzung damit tatsächlich verbunden sind. Eine Ergänzung bestehender Theorien und deren kritische Reflexion sind also durchaus nachvollziehbar und wünschenswert. Es bleibt jedoch fraglich, ob die genannten kulturalistischen Bestrebungen tatsächlich im Sinne einer konstruktiven Erweiterung der kritisierten »westlichen« Ansätze sind. Die vorliegende Untersuchung strebt nicht an, in dieser Diskussion abschließend Stellung für die eine oder die andere Perspektive zu beziehen. Im Sinne der Idee von »fuzzy culture« soll es vielmehr gelingen, offen zu sein für die Lebenswelten der Akteure. Innerhalb dieser Lebenswelten finden sich zwar bestimmte, in diesem Kapitel genannte theoretische Ansätze wieder, aber es entfalten sich eben mehrere Theoriestränge, die zudem durch neue Einsichten aus dem empirischen Material ergänzt und ggf. auch verändert werden. Daher ist es wenig sinnvoll, eine machtpolitisch getriebene Gewichtung bestehender Theorien aufzustellen. Es scheint stattdessen lohnenswerter, im Folgenden den Umgang mit den Akteuren und den Interviewtexten offen zu legen und dabei der für diese Untersuchung ganz zentralen Aufforderung Spinozas zu folgen: »Nicht bemitleiden, nicht auslachen, nicht verabscheuen, sondern verstehen.« (Schultheis 1997: 829)
4. Forschungskonzept
4.1 H ERAUSFORDERUNGEN QUALITATIVER F ORSCHUNG : R EKONSTRUKTION UND (F REMD -)V ERSTEHEN Die Untersuchung widmet sich der Frage, wie normalitätsstiftende Arrangements in konkreten Interaktionssituationen und angesichts erzwungener Außeralltäglichkeiten konstruiert werden. Aus einer wissenssoziologisch-hermeneutischen Perspektive (vgl. Berger/Luckmann 2004, Schütz 1974) ergibt sich daraus das Forschungsziel, den Sinn des Handelns und dessen dahinterliegende »Logik« (Kaufmann 1999: 94) zu rekonstruieren, also gewissermaßen das Verständnis der Akteure von Normalität zu verstehen und zum Untersuchungsgegenstand zu machen. Da sich Sinn wiederum in sozialen Praktiken (vgl. Bourdieu 2009) manifestiert – dazu gehören sowohl beobachtbare Handlungen als auch Sprechakte – bilden diese Praktiken den Zugang zum Forschungsgegenstand. Während es in konkreten Alltagssituationen der Akteure um das Verstehen einer Situation als (unbewusste) Bewältigungsstrategie (vgl. Kruse 2010: 38) und damit um angemessene Handlungsoptionen oder plausibilisierende Erklärungsversuche geht, soll die Kommunikation mit dem Forschenden deren Sinn bzw. deren Bedeutung sichtbar machen. Diese subjektiven Sinngebungsprozesse der Akteure sind zunächst in einzelnen, individuellen Fällen überhaupt greifbar. Da jedoch »in jedem subjektiven Umgang mit Erfahrungen immer auch das Soziale aufscheint« (Krisch 2010: 120), werden anhand des Konkreten auch allgemeinere und grundlegende Muster im Kontext deutsch-chinesischer Arbeitsumgebungen mit engen Mitarbeiterkontakten aufgedeckt. Zu diesen Mustern gehören beispielsweise die Wahrnehmung von Differenzen und Gemeinsamkeiten, Selbst- und Fremdbilder oder auch gewählte Handlungsoptionen, die aus jeweils ähnlichen oder ganz anderen Wissensvorräten schöpfen (vgl. Dreher 2005). Von Interesse sind also sowohl die (typischen) Themen und Wahrnehmungskategorien (das Was) in spezifi-
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schen deutsch-chinesischen Arbeitskontexten als auch die individuelle Emergenz normalitätsstiftender Beziehungen und Deutungsmuster (das Wie). Für die Untersuchung gilt es daher, mit Hilfe von Kommunikation an Erfahrungen teilzuhaben und zu versuchen, die zugrundeliegenden Orientierungsrahmen immanent nachzuvollziehen, das heißt, zu verstehen und zu deuten. Konsequenterweise ergibt sich daraus ein methodologisch qualitativer Ansatz, ist doch dessen zentrales Erkenntnisprinzip das des Verstehens (vgl. Kruse 2010: 11). Hierin liegt auch der wesentliche Unterschied zu quantitativen Ansätzen, die dadurch charakterisiert sind, von theoretischen Vorannahmen ausgehend zu erklären und Hypothesen bzw. Konzepte zu überprüfen. Daraus leitet sich eine standardisiert-lineare Forschungspraxis mit meist großen Stichproben ab (vgl. Kruse 2010: 16). Die wesentlich geringere Zahl der Fälle in qualitativ angelegten Studien – in der Arbeit werden 14 Interviews und ergänzende Quellen ausgewertet – ist dem ganz anderen epistemologischen Verfahren geschuldet, in dem eben nicht eine breite Verallgemeinerung der Forschungsergebnisse im Vordergrund steht (vgl. ebd.: 17). Das Datenmaterial besteht daher auch nicht aus Datensätzen, sondern aus Texten, mit denen sich der Forschende in einer »hermeneutischen Erkenntnisspirale« (Kruse 2010: 14) auseinandersetzt (vgl. ebd. 16). Das heißt, Erkenntnis entsteht durch die kontinuierliche interpretative und selbstreflexive Arbeit mit dem Material und aus diesem heraus. Dem Konzept des »Verstehens« kommt daher eine zentrale Bedeutung zu. Verstehen bedeutet zunächst und ganz allgemein, einem Ereignis Sinn zu verleihen (vgl. Hitzler 1993: 223f., zit. in Kruse 2010: 19). Ein solcher Sinngebungsprozess mündet jedoch in individuell verschiedenen Sinnkonstruktionen und ist abhängig vom persönlichen Relevanzsystem (vgl. Kruse 2010) oder auch Bezugsrahmen. Ein solcher Bezugsrahmen setzt sich zusammen aus Sozialisationshintergründen und aus bereits gemachten Erfahrungen – also der Historizität des Einzelnen (vgl. Bolten 2009b: 251). Damit verbunden sind Wertvorstellungen und das Bild, das sich das Individuum von sich selbst und der Welt macht. Der Bezugsrahmen wirkt daher wie ein individueller Filter für Ereignisse und Kommunikationsangebote und beeinflusst dadurch, welcher Sinn diesen Ereignissen und Kommunikationsangeboten gegeben wird. Dies geschieht allerdings vor der Folie bereits bestehender Interpretationsangebote – die Welt muss nicht von jedem völlig neu erschlossen werden. Sie wurde vielmehr bereits durch andere mit Sinn versehen und wird als soziale Wirklichkeit, als Normalität erlebt (vgl. Kruse 2010: 21), die kaum noch hinterfragt wird. So wird in Deutschland beispielsweise die demokratische Staatsform den Großteil der Deutschen in ihrer Wertebildung beeinflussen, in China ist die Bezugsgröße dagegen eine andere. Doch auch in beiläufigen Alltagspraxen werden unterschiedliche Sinnbezüge
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deutlich: Während es in Deutschland seltsam anmutet, statt Brötchen Nudelsuppe zu frühstücken, schüttelt in China wohl niemand darüber den Kopf. Bewusst werden solche Muster also meist erst durch deren Irritation. Wie der Einzelne jedoch auf vorgegebene Normalitäten reagiert, ob er ihnen ablehnend oder zustimmend gegenübersteht, entscheidet sich wiederum über den jeweiligen persönlichen Bezugsrahmen. Angesichts einer kommunistischen Staatsform in China können befreundete Politikstudenten beispielsweise zum Parteikader aufsteigen oder sich für demokratische Reformen einsetzen. Dabei sind die zugrundeliegenden Sinnkonstruktionen sowie die resultierenden Handlungsoptionen nicht zwangsläufig kohärent, sondern können durchaus »polyphonic, contested and disharmonious« (Mahadevan 2009: 5) sein. Sie können mit dem Bezugsrahmen situationsbedingt variieren oder sich abhängig von Erfahrungen und Irritationen auch teilweise oder völlig ändern. Auf dem Stand einer Hypothese bleibt dabei die Annahme, dass sich grundlegende Aspekte eines Bezugsrahmens konsolidieren bzw. schwer oder kaum veränderbar sind, wenn sie über längere Zeit durch Erfahrungen gestärkt werden, beispielsweise wenn der Betroffene damit aufwächst. Dazu gehören besonders auch individuell bedeutsame Werte oder Praxen, die meist emotional aufgeladen sind: Es ist in der Regel leichter, sich als Europäer in China an eine morgendliche Suppe zu gewöhnen als die Einschränkungen individueller Freiheiten zu akzeptieren. Nun ist Verstehen nicht nur ein selbstgenügsamer Vorgang der Welterschließung, sondern ist in der Regel mit Kommunikationsprozessen verknüpft. Dabei geht es dann zum einen darum, zu verstehen, zum anderen aber auch darum, verstanden zu werden. So liegt für Habermas (1976) der Kern von Kommunikation in der »Herbeiführung eines Einverständnisses, das in der intersubjektiven Gemeinsamkeit des wechselseitigen Verstehens, des geteilten Wissens, des gegenseitigen Vertrauens und des miteinander Übereinstimmens terminiert« (ebd. 355). Das ist zunächst insofern nachvollziehbar, als dass ein Zusammenleben mit funktionierenden Handlungsabläufen, aber auch Empathie und Fürsorge anders kaum möglich erscheinen. Gleichzeitig ist aber das, was als soziale Wirklichkeit wahrgenommen wird, wie schon erwähnt, bereits durch andere vorgeprägt. In einer Kommunikationssituation stehen sich zudem zwei oder mehrere jeweils verschiedene, personifizierte Bezugsrahmen gegenüber. Verstehen ist daher immer auch ein Fremdverstehen (vgl. Kruse 2010: 21). Da jedes Individuum jedoch nur durch den eigenen Bezugsrahmen gefiltert wahrnehmen kann, besteht im Grunde genommen keine Sicherheit, tatsächlich das nachvollzogen zu haben, was ursprünglich durch den oder die anderen intendiert war. Auf die Spitze getrieben hieße das, dass Fremdverstehen nicht möglich ist (vgl. Kruse 2010: 25 sowie Kurt 2009). Um aber Normalität und auch Routinen herzustellen und aufrechtzu-
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erhalten, ist ein Mindestmaß an Verständnis (im Sinne von Sich-verstehen) unerlässlich. Habermas’ Idee von gelungener Kommunikation mag daher zwar ein Ideal sein; es ist aber eines, an das eine relative Annäherung möglich sein muss. Im Alltag heißt das meist, noch Unverstandenes dem eigenen Bezugsrahmen anzupassen und damit dem Relevanzsystem erklärbar zu machen. Auch die Interpretation von Datenmaterial ist »grundsätzlich eine Deutung von Fremdem. Aber es bleibt stets eine Selbstdeutung, eine Selbstauslegung […]« (Kruse 2009: 8) – hier steht wieder der eigene Bezugsrahmen als Filter im Weg. Um aber so nah wie möglich an eine Interpretationsleistung im Sinne von Fremdverstehen heranzukommen, besteht »die Notwendigkeit der reflexiven theoretischen Sensibilisierung auf die eigenen präsuppositiven Konzepte, um so Offenheit zu ermöglichen. [...] Denn ansonsten verstehen wir von dem fremden Sinnsystem nichts, sondern nur uns selbst bzw. nur das, was uns passt, und somit nur das, was wir ohnehin bereits wissen« (ebd.: 9). Hierin liegt der bedeutende Unterschied zum Alltagsverstehen: In einem Forschungskontext geht es darum, das scheinbar Selbstverständliche immer wieder in Frage zu stellen und somit zumindest zu versuchen, den eigenen Bezugsrahmen, das eigene Referenzsystem zu befremden und offen zu sein für ganz andere Sichtweisen. Verstehen setzt hier also bei der Irritation an und vermeidet es in der Interpretation, Kommuniziertes an den eigenen Bezugsrahmen anzupassen (vgl. Kruse 2010: 26). Das beginnt bei der Formulierung offener Fragen im Interview und erstreckt sich über den gesamten Auswertungsprozess.
4.2 D ATENERHEBUNG
UND
A USWERTUNG
4.2.1 Der ethnografische Rahmen Der Gegenstand empirischer Sozialforschung und sein Erforscher sind untrennbar miteinander verquickt. Alvesson (1996) hat für diese Problematik ein passendes Bild: »[T]he metaphor ›data collection‹ is directly misleading. It sounds as if social studies resemble the picking of mushrooms.« (ebd.: 468) Die empirischen Daten wachsen also nicht vorgefertigt im Forschungswald und müssen nur noch ordnungsgemäß eingeholt werden. Sie entstehen vielmehr erst durch den Forschenden im Austausch mit den Forschungssubjekten und den jeweiligen Gegebenheiten und ermöglichen so überhaupt erst Fremdverstehen. Der Ansatz hier ist diesen Vorgaben folgend ein organisationsethnografischer, der sich jedoch auch in weitere Kollektive und damit Kontexte erstreckt. So entstanden die
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Interviews mit Managern und Mitarbeitenden zunächst eingebettet in den Besuch des jeweiligen Unternehmens. Dort ergaben sich unterschiedliche Möglichkeiten, den Arbeitskontext der Interviewpartner kennenzulernen. Neben den Einblicken in die Büros kamen Unternehmensführungen zustande, es gab aber auch Gelegenheiten, in der Kantine beim Essen oder bei einer Firmenfeier dabei zu sein und mit anderen Mitarbeitenden ins Gespräch zu kommen. In einigen Fällen waren Einblicke in das Privatleben möglich. Dort, wo es angemessen und erlaubt war, wurden verschiedene Situationen und Aspekte fotografisch dokumentiert (Architektur, Umgebung, Einrichtung, festliche Anlässe etc.). Darüber hinaus gaben zusätzliche Dokumente Aufschluss über das Selbstbild der Unternehmen (Firmenbroschüren, Visitenkarten, Webauftritte, Werbematerialien). 4.2.2 Leitfragengestützte Interviews & Gesprächskontexte Aus forschungspraktischen Gründen, wie dem Zugang und der zeitlichen Begrenzung der Feldforschung, waren die Beobachtungen in den Unternehmen und im Umfeld der Akteure allerdings nicht überall möglich bzw. von unterschiedlicher Intensität und Dauer. Die Gespräche in Form leitfragengestützter Interviews mit den Managern und Mitarbeitenden sind daher der reichhaltigste Daten-Pool für die Studie, da durch sie doch die Orientierungsrahmen und Erfahrungen der Akteure greifbar werden (vgl. Nohl 2009: 7). In China kamen die Kontakte zu relevanten Gesprächspartnern über ein Schneeballprinzip zustande. Über persönliche Kontakte zu zwei deutschen Managern vergrößerte sich das Netzwerk zu weiteren passenden Gesprächspartnern. Die Gespräche selbst waren durchweg von Offenheit und Interesse geprägt, auch wenn bei manchen Interviewpartnern die »Aufwärmphase« länger dauerte als bei anderen. So stimmten auch alle Gesprächspartner zu, die Interviews aufzeichnen zu lassen. Zuvor erhielten sie eine Erklärung zu Vertraulichkeit und Anonymisierung. Obwohl auch in Deutschland die Gesprächsatmosphäre angenehm und aufgeschlossen war, war die Akquise von Interviewpartnern deutlich schwieriger als in China. Herr Bach, Leiter eines Konfuzius-Institutes, erklärte das damit, »dass bei vielen Chinesen tatsächlich so ein Vorsichtsreflex da ist, was man von ihnen jetzt hören will und was man eventuell aus dem macht, was sie jetzt sagen. Also dass die da erstmal so bisschen pauschal in Deckung gehen« (Bach). Das mag dazu beitragen haben, dass die chinesischen Interviewpartner (mit einer Ausnahme) zumindest zu Beginn des Gesprächs merklich zurückhaltender als ihre deutschen Kollegen waren und sich weniger ein Gespräch ergab, als dass wir in einer formellen Frage-Antwort-Situation verblieben. Weitere mögliche Gründe
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dafür könnten zum einen die sprachlichen Hürden (die Interviews wurden hauptsächlich auf Deutsch geführt), zum anderen aber auch eine generelle Achtsamkeit gewesen sein. Denn die meisten meiner chinesischen Gesprächspartner in Deutschland waren im Vergleich zu den deutschen Interviewpartnern auf einer niedrigeren Hierarchiestufe angesiedelt. Für die Interviews war also eine Zustimmung des Vorgesetzten notwendig: »Das zweite ist in Richtung der eigenen Firma, dass man bisschen die Befürchtung hat, dass wenn man sich bisschen zu weit aus dem Fenster lehnt und das kriegt jemand mit, dann wird man abgeschossen. Ich weiß auch nicht, inwieweit Deutsche eher bereit sind Auskünfte zu geben, praktisch aus der Firma heraus, wo Chinesen das vielleicht – eben weil sie das auch als Teil ihrer eigenen Gruppe empfinden – eher geneigt sind, das als illoyales Verhalten zu werten.« (Bach)
Die Interviews selbst waren durch einen Leitfaden gegliedert, der in verschiedene Themenbereiche unterteilt war, beispielsweise »Ausgangslage und Arbeitsbeginn«, »Werte in der Zusammenarbeit« oder »Aktueller Arbeitsalltag«. Er sollte mögliche Settings als Erzählimpulse vorgeben, um die Erfahrungen der Befragten offenzulegen, auf die sich wiederum deren Normalitätskonzepte stützen. Der Leitfaden ist daher keinem unverrückbaren Plan gleichzusetzen, der konsequent abgearbeitet werden muss, sondern diente vielmehr als grobe Orientierungshilfe. Der Leitfaden half also vor allem, die Interviewpartner zu Themen von Interesse zu leiten und später für die Auswertung eine gewisse Vergleichbarkeit herzustellen (vgl. Meuser/Nagel 2002: 269). Trotz dieser Anhaltspunkte bleibt ein Interview jedoch stets eine komplexe Interaktion zwischen Menschen. So strukturiert dieses Forschungsinstrument auf der einen Seite zwar den Interviewverlauf; auf der anderen Seite ist Kommunikation meist recht belastbar und Befragte verfolgen trotz des zwischengeschalteten Leitfadens ihre eigenen Erzählstrukturen (vgl. Kruse 2010: 151). 4.2.3 Sprachvielfalt Die Erzählstrukturen in den Interviews vermitteln die »Ordnung der Dinge in den Köpfen der Menschen« (Goodenough 1957, zit. in Kruse/Schmieder 2012: 21), also die Koordinaten des jeweiligen Bezugsrahmens. Das gelingt jedoch eben (fast) nur über Sprache, die diese Koordinaten symbolisch weitergibt – sowohl seitens der Interviewten, als auch seitens des Interviewenden während eines Gesprächs sowie in der nachfolgenden Analyse. Sprache ist somit eine wesentliche Voraussetzung von Verstehen und Verstanden-werden. Der gemeinte
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Sinn kann jedoch – oder muss vielleicht sogar – über unterschiedliche Versprachlichungen transportiert werden. Das ist bei der Kommunikation in Fremdsprachen wohl am offensichtlichsten, gilt aber beispielsweise genauso für Fachsprachen oder sogenannte Schibboleths, also »sprachliche Besonderheit[en], durch die sich der Sprecher einer bestimmten Gruppe zuordnen lässt« (Erler/Burkhardt 2012: 28), beispielsweise wenn der Chief Financial Officer (CFO) Herr Seidel ganz selbstverständlich von »Wofies« sprach und die spezielle Unternehmensform der »Wholly foreign-owned enterprises« meinte. Unterschiede in der Versprachlichung trafen auch auf die Interviews in China und Deutschland zu: Während die Gespräche mit deutschen Interviewpartnern selbstverständlich in der gemeinsamen Muttersprache geführt wurden, war die Wahl der Sprache für die Interviews mit den chinesischen Interviewpartnern weniger eindeutig. Da meine Chinesischkenntnisse nicht ausreichten, um ein Interview führen zu können, blieben die deutsche und englische Sprache als Ausweichmöglichkeiten. Diese Alternativen funktionierten meist problemlos, da die chinesischen Gesprächspartner in den deutschen Niederlassungen ausnahmslos Englisch als Unternehmenssprache beherrschten. Eine Besonderheit erlebte ich beim Termin mit Herrn Wang. Beeindruckt von dessen Deutschkenntnissen auf muttersprachlichem Niveau nahm ich an, dass wir das Gespräch auf Deutsch führen würden. Herr Wang bat jedoch darum, stattdessen Englisch zu wählen: »Weil Englisch eine Sprache ist, die eigentlich neutral ist für uns beide, ne« (Wang). Mit »neutral« sprach Herr Wang zunächst an, dass wir beide uns in einer Fremdsprache artikulieren mussten. Dahinter steckt die Überlegung, dass wir uns damit auch auf die Ebene gleicher Machtverhältnisse begaben, uns sozusagen auf Augenhöhe begegneten und positionieren konnten. Bei den chinesischen Intrviewpartnern, die Deutsch oder Englisch weniger gut als ihre Muttersprache beherrschten, muss eine solche potentielle Schieflage besonders berücksichtigt werden. Zitate erscheinen dadurch mitunter weniger eloquent als bei den deutschen Muttersprachlern. Bei der Auswertung wurde das mitgedacht und sollte vom Leser auch als rein sprachliches Ungleichgewicht rezipiert werden. Um dem zumindest teilweise entgegenzusteuern, bot ich den chinesischen Gesprächspartnern im einführenden Gespräch vor dem Interview an, ihre Muttersprache zu verwenden, wenn sie der Ansicht waren, ihre Gedanken dann präziser ausdrücken zu können. Zusammen mit unternehmenstypischen Anglizismen und freien Übersetzungen entstanden dann in allen Interviews Sprachgemische, die allerdings für die Auswertung fruchtbar gemacht werden konnten. So merkt Kotthoff (2007) mit Verweis auf Gumperz (1970) an, dass zwei- oder mehrsprachige Personen nicht willkürlich zwischen den Sprachen wechseln, »sondern eine bestimmte Sprache mit einer Stimmungslage oder einem Thema verbinden« (Kotthoff 2007: 500).
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Während solche fremdsprachlichen Besonderheiten sehr deutlich hervortraten, waren die individuellen Konzepte hinter »Common-Sense-Konstruktionen« (Kruse/Schmieder 2012: 6) weniger exponiert – dazu zählen Worthülsen wie zum Beispiel »spannend« oder »normal«, die es zu hinterfragen und dadurch kontextgebunden zu verstehen galt. Dabei zeigt sich nochmals, dass das Ziel rekonstruktiver Sozialforschung, den Sinn hinter sprachlichen Symbolen in den Vordergrund zu rücken, schon im eigentlich vertrauten Rahmen der Muttersprache eine Herausforderung ist. Im Rahmen von Fremdsprachen zu forschen, bedeutet dann zwar einen zusätzlichen Aufwand durch Übersetzungen, durch Sprachwechsel oder Ähnliches. Diese Anstrengung schafft aber gleichzeitig Irritationen, die die Interpretation vorantreiben können. Denn letztlich zeugen gerade diese kommunikativen Brüche von den Möglichkeiten der Interviewten, sich sinnhaft auszudrücken und geben dem Interviewer die Chance, an diesen Stellen hinter die Sprachsymbolik zu blicken (vgl. Kruse/Schmieder 2012). 4.2.4 Positionierungen in der Interviewsituation Versprachlichungen sind in der Auseinandersetzung mit gelingendem Fremdverstehen wesentlich. Von Bedeutung ist aber auch – wie bereits angedeutet – der jeweilige Kontext: Erstens kann sich der Forschende am besten im konkreten Forschungsfeld, sozusagen am Ort des Geschehens, ein Bild von der Situation machen und ein Gespür für die Bedeutung von Gesagtem und zu Beobachtendem entwickeln. Unter welchen (räumlichen, zeitlichen, sozialen, etc.) Bedingungen arbeitet und lebt der oder die Befragte? Worauf nimmt er oder sie Bezug? Diese Einbettung deckt der ethnografische Forschungsansatz ab, allerdings ist auch die Interviewsituation selbst ein besonderer Kontext. Dieser Gesprächsrahmen, der auch die Atmosphäre eines Interviews bestimmt, wird vor allem dadurch geprägt, wie sich Interviewer und der oder die Befragte zueinander positionieren, aber auch welche Position der Interviewte gegenüber Personen einnimmt, die in seinen Erzählungen auftauchen (Kruse 2010: 36). Goffmann (1971) nutzt dafür den Begriff »Image«, den er beschreibt als »positive[n] soziale[n] Wert […], den man für sich durch die Verhaltensstrategie erwirbt, von der die anderen annehmen, man verfolge sie in einer bestimmten Interaktion« (ebd.: 103). Die Konstruktion und das Aufrechterhalten eines solchen Selbstbildes gelten natürlich für beide Seiten im Interview. Image steht in direkter Verbindung zur Positionierung und steckt damit also den Rahmen der jeweiligen Interviewsituation ab, färbt aber auch die Darstellung der Inhalte besonders ein. Bei den Gesprächen in Deutschland und China zeichneten sich drei solcher Image-verbundenen Positionierungen zwischen mir als Interviewerin und mei-
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nen Gesprächspartnern ab, die unterschiedlich stark bzw. parallel in unterschiedlichen Kombinationen auftraten. Besonders dominant war zunächst die Zugehörigkeit zu Deutschland bzw. zu China. Das war zum einen durch das Thema des Interviews vorgeprägt, zum anderen durch die besondere Situation konstruiert: Mit den deutschen Interviewpartnern stellte sich im nicht-deutschen Umfeld in China, aber auch in einem chinesischen Unternehmen und über die gemeinsame Sprache eine Art Bündnisbildung, ein unausgesprochenes Einverständnis ein. Von meinen chinesischen Gesprächspartnern wurde ich hingegen schon rein äußerlich als Nicht-Chinesin wahrgenommen und repräsentierte im Interview zunächst auch diese Kategorie. Deutlich wurde diese meist anfängliche Positionierung beispielsweise durch verhaltenere oder ausweichende Stellungnahmen. Dieser Aspekt schwächte sich dann aber meist im Verlauf des Gesprächs ab, die Positionen tarierten sich aus. Dazu trug wahrscheinlich bei, dass ich den wissenschaftlichen Anspruch des Gesprächs betonte, in dem die Interviewpartner jeweils als »Experten« auftraten und damit eine gewisse Neutralität geschaffen wurde. Auch mein eigener China-Aufenthalt hatte im Gespräch eine verbindende Wirkung. Gleichzeitig wirkte ich als junge Frau aber möglicherweise auch weniger bedrohlich und vertrauenserweckender (vgl. Buhr 1998: 103). Diese zweite Positionierung von Frau und Mann war bis auf zwei Interviews mit Frauen in allen Interviews gegeben. Dieser Umstand schlug sich verdeckt in einer vertraulichen und konkurrenzfreien Gesprächsatmosphäre nieder und wurde in nur einem Interview offen angesprochen. Die von mir intendierte Positionierung der Gesprächspartner als Experten funktionierte meist gut, gleichzeitig sah sich die Mehrzahl der Interviewten vornehmlich als »Praktiker«, die aus diesem Selbstverständnis heraus mit mir als »Akademikerin« kommunizierten. Generell galt daher, ungleich gewichtete Positionierungen zu Gunsten eines vertrauensvollen und möglichst offenen Interviews auszutarieren. 4.2.5 Interviews und dokumentarische Methode Das empirische Material, also die leitfragengestützten Interviews, aber auch deren ethnografischer Rahmen, bildet die Grundlage zur Beantwortung der beiden zentralen Fragen der Arbeit: Was macht Normalität in deutsch-chinesischen Arbeitskontexten aus, das heißt auf welchen Erfahrungen und Kategorien gründet sie? Und wie verweisen diese Erfahrungen auf die Bezugs- und Orientierungsrahmen der Akteure, die letztendlich erst normalitätsstiftende Arrangements herstellen? Es geht also darum, die Erfahrungen und Orientierungsrahmen der beteiligten Akteure anhand von Texten zu rekonstruieren. In der qualitativen Sozialforschung haben sich dafür bestimmte Vorgehensweisen bei ähnlichen Projekten
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bewährt, die die bereits erwähnte »messiness« im Forschungsprozess strukturieren und dadurch nachvollziehbarer machen können. Für die Art des Forschungsinteresses und des vorliegenden Materials dieser Arbeit bieten sich daher Vorgaben aus der dokumentarischen Methode an (Bohnsack 2010, Mannheim 1964, Nohl 2009). Die Bezeichnung ergibt sich aus dem »Dokumentsinn« oder dem »dokumentarischen Sinngehalt«, den Mannheim (1964, zit. in Nohl 2009) vom »immanenten Sinngehalt« unterscheidet. Der immanente Sinn umfasst dabei den jeweils intendierten »Ausdruckssinn«, der empirisch nicht erfassbar ist sowie den »Objektsinn«, der »die allgemeine Bedeutung eines Textinhalts oder einer Handlung« (Nohl 2009: 8) beschreibt und sich in Form von Themen in den Erzählungen der Akteure niederschlägt. Der namensgebende Dokumentsinn steht dann hingegen tatsächlich als ein stellvertretendes Dokument für den Bezugsbzw. Orientierungsrahmen, er gibt den »modus operandi« (Bohnsack 2010: 256) der in den Texten beschriebenen Handlungen wieder. Der Auswertungsprozess der dokumentarischen Methode wird diesen beiden »Sinngehalten« – und damit gleichzeitig dem Forschungsinteresse der Arbeit – in zwei grundlegenden Teilschritten gerecht: Der formulierenden Interpretation, die die Themen der Texte herausarbeitet, also erkundet, was gesagt wird, und der reflektierenden Interpretation, die diese Themen in Bezug auf ihren Rahmen einordnet und zu zeigen versucht, wie die Akteure mit diesen Themen umgehen (vgl. Bohnsack 2010: 134f.).1 Diese beiden Schritte erfolgen in der Arbeit anhand vollständig transkribierter Interviews. Dabei wurde der Anspruch der Lesbarkeit dem an »übertriebene Genauigkeitsstandards« (Flick 2000: 192) vorgezogen. Allein dialektale Besonderheiten blieben bestehen.2 Zu rechtfertigen ist diese Entscheidung mit der Begründung, dass die Auswertung keiner linguistisch ausgerichteten Analyse folgt, für die diese Feinheiten von Bedeutung wären. Das soll jedoch nicht die Relevanz des Textmaterials an sich schmälern, was beispielsweise an der prominenten Stellung von Textsorten (z.B. Erzählungen oder Beschreibungen) oder der Wortwahl bei der reflektierenden Interpretation deutlich wird.
1
Dabei folgte der Auswertungsprozess den für qualitative Forschungsprojekte gängigen
2
Die Transkriptionsregeln finden sich im Anhang.
5. Irritationen von Lebenswelten. Wahrnehmung und Bewertung von Unterschieden
Situationen, in denen es an Normalität fehlt, fallen in Kapitel 3 unter den Begriff der »Interkulturalität«. Hier machen die Akteure Fremdheitserfahrungen, die sich zum einen als »Unzugänglichkeit« und »Nicht-Zugehörigkeit« (Waldenfels 2006: 115, zit. in Ricken/Balzer 2007: 65) äußern und damit Frustration, ein Gefühl der Einsamkeit und Ähnliches auslösen können. Waldenfels (2006) konkretisiert solche Erfahrungen »als Beunruhigung, als Störung, als Getroffensein von etwas, das sich niemals dingfest und sinnfest machen lässt« (Waldenfels 2006: 54, zit. in Ricken/Balzer 2007: 66). Zum anderen – aber deutlich seltener – können aus Fremdheitserfahrungen jedoch auch Neugier und positiv konnotierte Gefühle entstehen. In beiden Fällen wird jedoch die »Bequemlichkeit der [bekannten, A.S.] Ordnung« (Bauman 1991: 26, zit in Ricken/Balzer 2007: 65) irritiert, was dann wiederum mit einer zwangsläufigen Kategorisierung von Fremdem und Eigenem verknüpft ist. Diese Zweiteilung ist durchaus ein »machtvolles Geschehen« (Ricken/Balzer 2007: 65), kann sie doch bestimmte Verhaltensmuster, Denkstrukturen und damit Normalität reproduzieren oder aber aufbrechen (vgl. ebd). Davon hängt wiederum die Ex- oder Inklusion des jeweils Anderen ab. Das Fremde hat also immer die »paradoxe Funktion« (Hahn 1994: 142, zit. in Ricken/Balzer 2007: 65) der »Selbstidentifikation« (ebd.). Eigenes und Fremdes wird dann auf Grundlage von Vergleichen konstruiert, das heißt der »Hervorhebung von Ähnlichkeiten und Unterschieden« (vgl. Tenbruck 1992, zit. in Cappai 2007: 94). Vergleiche sind fester Bestandteil menschlicher Alltagspraxis (vgl. Cappai 2007: 94); sie sind dann jedoch keine bloße Bestandsaufnahme, sondern immer auch ein »Instrument der Wertung« (ebd.). Beeinflusst wird die Art der Wertung im Bereich deutsch-chinesischer Arbeitswelten durchaus auch von einem mehr oder weniger sichtbaren Ethnozentrismus, der daher rührt, dass wir
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nicht anders können, als die eigenen Kategorien als Maßstab an fremde Lebenswelten anzulegen (vgl. Rorty 1988, zit. in Cappai 2007: 98).
5.1 B EWERTUNGEN
DES
F REMDEN
5.1.1 Ein Hang zur Unwahrheit oder soziale Empathie? Bewertungen zwischen Ablehnung und Bewunderung Tendenziell schneiden fremde Lebenswelten bzw. die verbalisierten Schlaglichter derselben bei Vergleichen verhältnismäßig schlechter ab als die eigenen – Selbstidentifikation geschieht eben meist, wenn auch nicht ausschließlich, durch negative Gegenidentifikation (vgl. Cappai 2007: 94). Das zeigt sich besonders ausgeprägt in den Interviewtexten von Herrn Arendtmeyer. Der noch relativ neue Vertriebsmitarbeiter in einem chinesischen Unternehmen in Deutschland hat im Rahmen seiner Arbeitsstelle erst seit kurzer Zeit überhaupt Kontakt zu Chinesen. Er selbst beschreibt sich »als Typ zielorientiert, aufgeschlossen, humorvoll, ja. Offen« (Arendtmeyer). In einer anderen Interviewsequenz macht er deutlich, dass ihm ein im Unternehmensalltag aufgezwungenes, unehrliches Verhalten im Umgang mit Kunden widerstrebt und entgegen seiner Überzeugung läuft. Diese Aspekte rücken die folgende Aussage in ein besonderes Licht: »Ich weiß nicht, ob Chinesen, zum Beispiel…ob’s was ausmacht zu lügen.« (Arendtmeyer) Obwohl Herr Arendtmeyer den Abschnitt als Vermutung formuliert, hat diese eher rhetorischen Charakter. Seiner Wahrnehmung nach empfindet das generalisierte Kollektiv der Chinesen Lügen als unproblematisch und – so sein impliziter Schluss – macht davon dann auch Gebrauch. Das widerspricht seinem persönlichen Werteset und ist daher negativ konnotiert (wohin der Begriff der Lüge im deutschen Sprachgebrauch bereits von vornherein tendiert). Seine Abneigung wird anschließend noch deutlicher, wenn er mit einem Zwischenlaut, der Geringschätzung vermittelt, sagt: »Also wer ne Aussage bekommt von nem Chinesen, dann ist sie…pfff…oft nicht sehr viel wert.« (Arendtmeyer) Hier wird also eine klare Wertung zuungunsten »der Chinesen« vorgenommen, allerdings – und das darf nicht unerwähnt bleiben – sucht und findet Herr Arendtmeyer sogleich eine Erklärung für dieses Verhalten: »Kein Vertrauen, weil natürlich wenn man früher, genauso war das auch in der DDR und den ganzen kommunistischen Ländern, keiner konnte niemandem vertrauen. Und des wirkt sich heute noch auf die Gesellschaft aus, ja. Das bedeutet auch, dass die Leute
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dadurch nicht offen sein können und eigentlich nicht des sagen, was sie sagen wollen.« (Arendtmeyer)
Er versucht sich also darin, (im alltagspraktischen Sinn) zu verstehen, was den für ihn fremden Handlungspraxen zugrunde liegt und relativiert dadurch die Schwere des für ihn negativen Verhaltens. Allerdings gelingt das nicht für alle Unterschiede, die er beobachtet, was ihn innerlich teilweise schwer belastet. Doch dazu später mehr. Zunächst kontrastiert Frau Handke die negativen Bewertungen des Fremden mit einer positiven Sicht, die in dieser Form sehr selten in den Interviews zu erkennen war. Frau Handke »bewunder[t] die Chinesen dafür, dass sie so eine gute Fähigkeit haben, mit Menschen umzugehen und mit komplizierten Situationen umzugehen« (Handke). Bemerkenswert ist dabei, dass Frau Handke Chinesen nicht nur nett findet oder bestimmte Verhaltensweisen mag, sondern sie »bewundert« sie dafür. Auch in weiteren Sequenzen nutzt sie solche stark positiv geladenen Worte; sie »liebt« den Umgang der Chinesen miteinander, sie findet die Stimmung bei gemeinsamen Essen mit Chinesen »toll«. Hier ist also statt Abwertung sogar eine Aufwertung eigentlich fremder Verhaltensweisen zu beobachten. Warum ist das so? Zunächst einmal hat sich Frau Handke anders als Herr Arendtmeyer ihre Arbeit in einem chinesischen Unternehmen bewusst ausgesucht. Durch ihr Sinologie-Studium spricht sie fließend Chinesisch, sie kann also vielmehr teilhaben an Kommunikationsangeboten und kann sich dadurch auch selbst einbringen. Unterschiede sind ihr durch Aufenthalte in China und auf Taiwan bekannt, sie benennt diese auch. Aufgrund ihrer persönlichen Interessenslage empfindet sie die »andere« Seite jedoch als positiv. Da Frau Handke besonderen Wert darauf legt, »eine persönliche Beziehung aufzubauen« (Handke), erweitert sie ihr Blickfeld auf menschlich-charakterliche Anknüpfungspunkte. Und dennoch: Obwohl sie Unterschiede sieht und auch an sich »deutsche« Seiten bemerkt, bildet ihre Einstellung einen Pol, der eine besonders positive Wertung des Fremden markiert und eigentlich nur durch den »Überschuss des Individuellen« (Hansen 2009: 21) einer bestimmten, innerlich sehr gefestigt erscheinenden Persönlichkeit erklärbar ist. Den anderen, bereits angedeuteten Pol, der durch negativ konnotierte Fremdheitsgefühle und eine dementsprechend weniger positive Bewertung des Fremden charakterisiert ist, markieren im Rahmen der Interviews die Texte von Herrn Arendtmeyer. Dazwischen spannen sich die Wahrnehmungen von Differenzen und deren ex- und implizite Bewertungen der anderen Interviewpartner auf, die sich jeweils mehr oder weniger nah an einem der beiden Pole befinden. Allerdings ist keiner der Texte in »Reinform« interpretierbar, die Wahrnehmungen »changieren« (Moosmüller 2007: 486) vielmehr abhängig von Kontext, persönlicher Tagesform und der In-
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tention der Interviewpartner gegenüber mir als Interviewerin (die in diesem Kapitel noch zur Sprache kommen). 5.1.2 Flexibilität oder Planungssicherheit? Umdeutungen gewohnter Arbeitsroutinen Das Changieren von Bewertungen ist durchaus auch bei Frau Handke beobachtbar, die – wie eben gezeigt – die Sozialkompetenzen ihrer chinesischen Kollegen schätzt, in bestimmten Situationen das diesen Umgangsformen zugrundeliegende Harmoniebedürfnis aber auch als überstrapaziert empfindet, nämlich wenn es darum geht, Gerechtigkeit zu wahren: »Ich habe immer das Gefühl, für den Deutschen ist es unheimlich wichtig, die Gerechtigkeit. Also ungerechte Dinge sind für uns ganz, ganz schwer auszuhalten. Für den Chinesen ist das Wichtigste die Harmonie, also er wird viel zurückstecken.« (Handke) Für Frau Handke scheint der Wert der Gerechtigkeit so tief verankert zu sein, dass Bewunderung umschlägt in einen Zustand, der »schwer auszuhalten« ist. Ein weiteres Beispiel für kontextabhängige Bewertungen ist im Interview mit Herrn Pfeiffer zu finden. Er empfindet seine chinesischen Kollegen und den chinesischen Arbeitgeber als »immer so bisschen chaotisch« (Pfeiffer). Er erzählt daraufhin von seinem ersten Arbeitstag und vergleicht diese Erfahrung dabei mit seiner fest verankerten Vorstellung eines deutschen Unternehmens: »[…] viele Sachen, wo man, sag ich mal, bei nem deutschen Unternehmen sagen würde, ja das ist natürlich SELBSTVERSTÄNDLICH, dass man da hinkommt und der Computer ist halt bereit, ne, das ist natürlich klar. Und das war bei [Unternehmensname] halt nich. Oder, ähm, was mich dann zum Beispiel noch mehr überrascht hat, als es dann darum ging, die Computer, äh, dann auch zu installieren – was natürlich nicht klappt am Anfang – …natürlich [schmunzelt].« (Pfeiffer)
Das, was bei einem deutschen Unternehmen als »selbstverständlich« gilt, ist für Herrn Pfeiffer Teil der Normalität seiner Lebenswelt und »natürlich klar«. Er unterstreicht dies, indem er bei seiner Selbstbeschreibung »typisch deutsch« mit Ordnung, mit dem Befolgen eines Plans attribuiert: »Wenn es darum geht, so Sachen zu organisieren oder so, dann hab ich mich schon dabei ertappt, oh, da bist du aber typisch deutsch jetzt. So, ja, das muss so und so gehen und wir haben jetzt den Plan und dem folgen wir jetzt.« (Pfeiffer) Er beschreibt hier gewissermaßen die inkorporierte Normalität seiner Lebenswelt, die nun im chinesischen Unternehmen irritiert wird. Herr Pfeiffer ist dadurch »überrascht« und tendiert dann dazu, dieses Fremde als Gegenteil seiner Normalität eher negativ
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zu konnotieren. Er findet es nicht gut, dass er an seinem ersten Arbeitstag keinen Computer zur Verfügung hat. Hier gibt es also anscheinend kein vorausschauendes Planen, keine Ordnung, sondern nur Chaos. Allerdings hat Herr Pfeiffer während seines Studiums längere Zeit in China verbracht und kennt ähnliche Situationen aus dem Studentenwohnheim und dem chinesischen Alltag. Im Gespräch scheint zwar durch, dass er eine solche Situation nicht in einem Unternehmen erwartet hätte – er vergleicht sie ja sofort mit gängigen Praxen in deutschen Unternehmen in Deutschland und zeigt sich überrascht – sie ist ihm aber auch nicht fremd, wie er mit der Äußerung »was natürlich nicht klappt – …natürlich« (Pfeiffer) deutlich macht. Diese verbalisierte Gewissheit ist sicherlich auch Zeichen für eine Stereotypisierung; dadurch, dass Herrn Pfeiffer diese Eigenart aber eben bekannt ist, fällt es ihm vielleicht leichter, dem »Chaos« im Sinne von Planlosigkeit auch etwas Positives abzugewinnen. Das tut er dann auch, indem er die laxen Strukturen und den daraus resultierenden größeren Spielraum für Experimente als Lernmöglichkeit begreift: »Und die ganzen Sachen, die ich halt organisiert hab, obwohl ich überhaupt keine Ahnung von hatte oder nur so minimal oder ne gewisse grobe Vorstellung. In dem Sinn hab ich so von null auf hundert [...] da hab ich doch sehr viel gelernt.« (Pfeiffer) Gleichzeitig betont er, dass es dabei wichtig ist, selbst aktiv zu sein, um aus dem fehlenden vorgegeben Plan einen persönlichen Plan zu schaffen: »Aber prinzipiell kann man schon sehr gute Chancen haben oder die sich selber schaffen.« (Pfeiffer) Herr Pfeiffer leistet mit dieser kontextabhängigen Umdeutung und deren aktiver Anwendung schon ein Stück Normalisierungsarbeit. Der Zuschreibung »chaotisch«, die er für den Computer-Kontext auch beibehält, fügt er im Kontext der Gestaltungsmöglichkeiten im Job eine weitere Konnotation hinzu, die mit »flexibel sein« oder »Chancen nutzen« umschrieben werden kann. In diesem Zusammenhang nutzt er auch das Verb »improvisieren«. Das ist insofern bemerkenswert, als dass diese zusätzliche Deutung mit dem Selbstbild meiner chinesischen Interviewpartner zusammenfällt. So sagt Herr Li: »Sometimes we Chinese people are more willing to keep flexible, not stick to the plan. We hope that everything can be flexible [schmunzelt].« (Li) Herr Wang führt diese Attribuierung noch weiter aus; er erzählt hier von einem konkreten Fall, bei dem die beiden Konnotationen von »Flexibilität« – nämlich Chaos und Improvisationsfähigkeit – sichtbar werden: »[…] the Chinese they are more FLEXIBLE, they are more, let’s say, easy going. I just give you one example: If a German manager comes to China, wanna visit customers, Chinese managers, fixes lots of appointments, as you know, the German, the Chinese customers are SO flexible, that they can change the, the schedule anytime. So just two minutes
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or one hour before the meeting, he says: ›I cannot come to the meeting anymore, I need to go to any other places and meet any customers or government officials and so on, can we change the timing?‹ Of course, the German immediately got very angry, so [verstellt die Stimme, klingt ärgerlich]: ›How you organized this meeting, you know, and we told you already two weeks before and asked you to fix the meeting and how come that I come here, I’m here, I’m wasting my time.‹ But we cannot do anything because the Chinese customer changed the schedule. And the flexibility side is, we quickly fix another meeting. And finally we went to the other meeting and it turned out to be very successful.« (Wang)
Herrn Wang gelingt es bei dieser Erzählung bereits beide Perspektiven – die chinesische und die vom deutschen Unternehmer vertretene – nachvollziehen zu können, er weiß um beide Möglichkeiten, wie Flexibilität wahrgenommen werden kann. Doch obwohl die eher chaotische Seite durchaus »bad« sei, ermöglicht die improvisationsfreudige Herangehensweise rasches Handeln und somit im Endeffekt den gewünschten Erfolg, nämlich ein »very successful meeting«. In bestimmten Kontexten wäre daher zwar strenge Planung erfolgversprechender, da die Situation dies aber nicht hergibt, ist Flexibilität das probate Mittel. Chaos und Flexibilität sind gewissermaßen zwei Seiten einer Medaille, die sowohl Problemursache als auch Problemlösung sein können. Ein möglicher Zusammenhang besteht hier mit einem chinesischen »Regelrelativismus« (Liang/Kammhuber 2007: 181), der sich zwar eigentlich auf die Biegsamkeit von gesetzlichen Regelungen und Vertragsvereinbarungen bezieht, allerdings auch in normalisierenden und scheinbar feststehenden Regeln des Alltagslebens spürbar ist und so bei Deutschen zu Irritationen führen kann. Regeln und Vorgaben werden demnach in China weniger absolut gehandhabt und kontextgebunden angepasst (vgl. ebd.). Zurück bei Herrn Pfeiffer bestätigt dessen Wahrnehmung diese Annahme: »[…] also langfristige Planung klappt nicht. Da kann man sagen, in deutschen Unternehmen is es ja oft so, dass die total bürokratisch sind und man dann nich, äh, sechs Monate vorher anfängt, dann ist auch nicht alles durch, aber das wird auch vorher gemacht, aber auf der anderen Seite, wenn man was sehr spontan machen möchte, dann klappt das auch. Ähm, stört sich dann auch keiner daran, ist ja normal, wahrscheinlich [lacht], ja. Was dann halt sehr gut klappt, ist, dass es für sehr viele Sachen nicht unbedingt ne Regel gibt oder sowas.« (Pfeiffer)
Hier zeigt sich außerdem, dass Herr Pfeiffer um die beiden Aspekte von Flexibilität – wenn auch unbewusst – weiß und somit der »chaotischen« Struktur im
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Unternehmen wie erwähnt durchaus etwas Positives abgewinnen kann. Er akzeptiert diese Gegebenheit als »normal«, wenn dabei auch noch etwas Unsicherheit mitschwingt (»wahrscheinlich«). Allerdings impliziert die Zuschreibung »chaotisch« möglicherweise noch einen ganz anderen Aspekt. Die erschwerten Startbedingungen können auch als institutionalisierte Unachtsamkeit gedeutet werden. Der Fokus liegt im Unternehmen weniger auf der Zufriedenheit der Mitarbeiter als auf deren messbarer Arbeitsleistung. Es fehlt daher an Anerkennung, zumindest von chinesischer Seite: »[…] man kriegt halt von den chinesischen Kollegen oder Vorgesetzten wenig Anerkennung. Man muss halt gut arbeiten und höchstens wenn man schlecht arbeitet, dann sagen die halt: ›Oh, das ist ja schlecht.‹ Dass man mal so ein positives Feedback bekommt, das war sehr rar. Das machen die deutschen Kollegen eher oder die internationalen Kollegen.« (Pfeiffer)
Ob die fehlende Anerkennung mit einer geringeren Gewichtung des Individuums zu tun hat (der Gemeinschaftsaspekt als »typisch chinesisch« wird wieder aufgegriffen), muss hier noch auf dem Stand der Möglichkeit einer Erklärung bleiben. Zwar äußert sich auch Herr Arendtmeyer zunächst ähnlich: »Und meiner Meinung nach wird…Leistung wird hingenommen, es wird nicht anerkannt. Weil es zählt nicht der Einzelne, mehr oder weniger, hab ich das Gefühl…Wir sind alle gleich, das hat man mir oft zu verstehen gegeben, ja.« (Arendtmeyer) Ob hier jedoch die Praxen eines spezifischen Unternehmenskollektivs die des chinesischen Nationalkollektivs überlagern bzw. inwieweit diese miteinander verschränkt sind, lässt sich hier noch nicht abschließend klären. In Kapitel 6.3 zum Einfluss von Unternehmensstrukturen auf mögliche Spannungsverhältnisse wird diese Spur jedoch weiterverfolgt. 5.1.3 Harmonie und Gesicht. Unscharfe Bewertungen bekannter Kulturstandards Oftmals sind Bewertungen also gar nicht so leicht eindeutig als positiv oder negativ interpretierbar. Diese Unschärfe zeigt sich auch bei der näheren Betrachtung von Wahrnehmungen weiterer Unterschiede. Herr Chen beispielsweise erläuterte mir den Unterschied zwischen dem deutschen und dem chinesischen Kommunikationsstil. Deutsche sind demnach direkter, also »gerade heraus« mit ihrer Meinung, beispielsweise sprechen sie Konflikte sofort an. Chinesen seien hingegen eher auf Harmonie bedacht und kommunizieren daher viel vorsichtiger, sie halten sich oft mehr zurück als Deutsche. Herr Chen beschreibt die »chi-
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nesische Methode« daher als »weich«, den deutschen Stil hingegen als »bisschen hart« (Chen). Nun ist gerade der Unterschied in der Art der Kommunikationsstile bereits ein Allgemeinplatz und eigentlich nicht sonderlich überraschend. Auch dass »weich« aus chinesischer Sicht eher positiv und »hart« eher negativ belegt ist, deckt sich mit den Erwartungen. Das zeigt sich im Beispiel von Herrn Hong, der seine deutschen Kollegen mitunter als »kalt und hart« erlebt, Chinesen dagegen als »freundlich« (Hong) beschreibt. Dadurch entsteht ein Bild vom freundlich-rücksichtsvollen Chinesen, das auch Frau Handke so bewundert hat. Sie bezieht sich dabei auf ein chinesisches Sprichwort, nach dem es wichtig sei, dem anderen jeweils noch eine Stufe zu lassen, das heißt, ihm die Möglichkeit zu geben, in einer Auseinandersetzung das Gesicht zu wahren oder sich zurückziehen zu können. Hier scheinen zwei in der Literatur als zentral markierte gesellschaftliche Konzepte in China auf, die eng miteinander verknüpft sind, nämlich soziale Harmonie und die Idee des »Gesichts«. Beide beruhen vereinfacht auf der aus dem Konfuzianismus stammenden Vorgabe, Konflikte zu vermeiden und sich entsprechend der vorgegebenen sozialen Rolle zu verhalten. Harmonie kann also nicht mit Gleichheit verbunden werden, sondern eher mit der Wahrung des Gleichgewichts der verschiedenen sozialen Rollen – Liang/Kammhuber (2007) verwenden hier die Formel »Gleichheit in Ungleichheit« (ebd.: 173). Es ist daher angesichts politischer und sozialer Spannungen in China nicht verwunderlich, dass die Kommunistische Partei im Rahmen des 12. Fünfjahresplans unter der Losung einer »harmonischen Gesellschaft« versucht, das »Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Entwicklung, sozialer Gerechtigkeit und dem Schutz der Umwelt herzustellen« (GIZ 2013). Dazu gehört auch wachsende Offenheit in der Gesellschaft mit vermehrten Partizipationsmöglichkeiten und persönlicher Freiheiten sowie einer verbesserten Rechtssicherheit – freilich aber nur »so lange ein Individuum oder eine Gruppe nicht gegen das herrschende System aktiv wird« (Heberer 2008: 176). Das Konzept des »Gesichts« hängt insofern mit dem Harmonieprinzip zusammen, als dass die Praxen des »Gesichtwahrens«, aber vor allem die des »Gesichtgebens« überaus bedeutsam für ein funktionierendes und damit harmonisches Miteinander sind. Das bedeutet beispielsweise konkret, andere öffentlich zu loben und Einladungen auszusprechen, aber auch, dass Kritik nie vor anderen geäußert wird. Vom sozialen Gesicht hängt auch der soziale Status innerhalb der Gesellschaft ab; obwohl also das Konzept auch in Deutschland durchaus bekannt ist und umgangssprachlich verwendet wird, ist dessen Bedeutung in China doch deutlich größer (vgl. Liang/Kammhuber 2007: 178-180). Deutsche nehmen daher eher selten auf solche Vorgaben Rücksicht, sie stoßen im Zweifel auch schon
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mal mit dem Kopf durch die Wand: »Die meisten deutschen Kollegen, die denken ›Okay es gibt keine Tür, da mach ich eine Tür in die Wand.‹« (Chen) Interessant an diesem gesetzten Allgemeinplatz kultureller Differenzen ist dann aber der Schluss, den die zitierten chinesischen Akteure aus dem Selbst- und Fremdbild ziehen. So sagt Herr Chen: »Ich finde mit deutschen Kollegen umzugehen, ist einfacher als mit chinesische Kollegen.« (Chen) In ähnlicher Weise äußert sich Herr Hong und in seiner Aussage wird auch schon der Grund für diesen wahrgenommenen einfacheren Umgang mit den deutschen Kollegen angedeutet. Er spricht im folgenden Ausschnitt zunächst jedoch gar nicht von den Unterschieden zwischen Deutschen und Chinesen, sondern von Chinesen, die schon länger in Deutschland leben und denen, die ohne Erfahrung direkt von China nach Deutschland entsandt wurden und noch dazu hierarchisch höher gestellt sind: »Die Unterschiede sind eher zwischen den und den [zeigt auf Chinesen aus China und aus Deutschland auf einer Skizze zum Beziehungsnetzwerk im Unternehmen]. Und die meisten Unterschiede sind mit den hohen Positionen. Und die meisten sind bisschen älter als wir, die kriegen erst mal Erfahrung in China und dann geht es weiter nach Deutschland.« (Hong)
Herr Hong gehört der Gruppe von Chinesen an, die direkt in Deutschland für das Unternehmen rekrutiert wurden (und ist damit unter den unten erwähnten 60 von etwa 90% chinesischer Mitarbeiter im Unternehmen). Er hat in Deutschland studiert, was sich deutlich auf sein Selbst- und Fremdbild ausgewirkt hat und die positive Einstellung gegenüber seinen deutschen Kollegen erklärbar macht: »60% haben studiert in Deutschland, so die meisten Meinungen sind gleich, ganz normal wie deutsch. Ich arbeite auch gerne mit Deutschen zusammen. Weil ich glaube, die Kollegen [sind] besser als Chinesen, ja, das ist besser. Wenn die sagen: ›Ja‹, 100% ›Ja‹ oder sagen 100% ›Nein, das geht nicht‹. Ja, das glaube ich. Wenn die Chinesen sagen ›Ja‹, kann man nur 50, VIELLEICHT glauben. Weil ich glaube den Deutschen mehr als den Chinesen. Ja, weil hab ich so lange hier studiert, gewöhnt, ja. Ich bin sehr froh mit den Deutschen.« (Hong)
Herr Hong schätzt also die direkte Art seiner deutschen Kollegen und hadert mit der Unzuverlässigkeit von Aussagen seiner chinesischen Kollegen (– hier zeigt sich auch eine Verbindung zu Herrn Arendtmeyer, der das »Lügen« als ebenfalls negativ empfundene Eigenschaft seiner chinesischen Kollegen beobachtet hat). Er kann sich demnach mehr auf seine deutschen Kollegen verlassen und empfin-
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det die Zusammenarbeit daher als angenehm, er ist »froh mit den Deutschen« und führt als Beispiele später noch zwei Kolleginnen an, die ich vor dem Interview auch kurz kennenlernen konnte. In dieser Hinsicht hat er eine »gleiche Meinung« wie Deutsche, die er beispielsweise mit Herrn Arendtmeyer teilt – er findet die deutsche Herangehensweise zudem »besser« als die chinesische. In einem anderen Abschnitt meint er sogar: »Die chinesische Meinung, die macht mir Kopfschmerzen.« (Hong) Auch die mangelnde Anerkennung, die bereits Herr Pfeiffer benannt hat, taucht indirekt bei Herrn Hongs positivem Bild seiner deutschen Kollegen auf: »Deutsche kommen nicht zu dir zum Schimpfen oder blablabla« (Hong) – besonders die chinesischen Vorgesetzten sind Herrn Hong gegenüber jedoch oft ungehalten. 5.1.4 Nationalität als Orientierungsanker. Zwischen Anpassung und Authentizität In Hinblick auf die Forschungsfrage sind im oben aufgeführten längeren Zitat von Herrn Hong zwei weitere Äußerungen interessant: Zum einen verwendet Herr Hong den Ausdruck »ganz normal wie deutsch«, wenn er von der Angleichung seiner an die »deutsche Meinung« spricht. Zum anderen hat er sich aufgrund der langen Zeit, die er bereits in Deutschland verbracht hat, an die dortigen Gegebenheiten »gewöhnt« (ein Begriff, der auch bei deutschen Expats in China gefallen ist). Das heißt, dass er einen Prozess durchlaufen hat, während dem sich deutsche Handlungspraxen für ihn zu neuer Normalität entwickelt haben. Auch andere Chinesen, die schon lange in Deutschland leben (wie Herr Luo) oder nach ihrem Auslandsaufenthalt in die deutsche Dependance in China zurückgekehrt sind (Frau Song), können eine Veränderung ihrer Selbstwahrnehmung an sich beobachten bzw. bekommen diese gespiegelt. So berichtet Frau Song, die nach ihrer Einschätzung durch die deutsch geprägte Umgebung eigenständiger und direkter geworden ist und zudem noch lieber Kaffee als Tee trinkt: »I worked for a German company for more than 10 years. So, so the people here feel like I’m a German mind [lacht].« (Song) Herr Luo beschreibt sich immerhin als »typisch chinesich-deutsch« (Luo). Er sei nicht »100% Chinese«, das heißt er beobachtet an anderen Chinesen Verhaltensweisen, die er für sich nicht gelten lässt. Seine besonderen Auslandserfahrungen lassen ihn sich als von diesen Chinesen verschieden wahrnehmen. Nun scheinen diese Bewertungen des Eigenen und des Fremden aus chinesischer Sicht nicht nur wohlwollend in Bezug auf das Fremde zu sein, sondern sie passen auch nicht widerspruchsfrei zum erwähnten erstarkten Selbstbewusstsein und Nationalgefühl der Chinesen, besonders der »verwöhnten« Generation der
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Ein-Kind-Politik (in die bis auf Herrn Chen alle hier zitierten Interviewpartner fallen). Allerdings ist die Sachlage nicht ganz so paradox, wie sie zunächst erscheint. Das wird deutlich, wenn Herr Hong erzählt, dass es für ihn wichtig war, an sich zu arbeiten und Verständnis für die andere, die deutsche Seite aufzubringen. Er ergänzt die oben bereits erwähnten positiven Zuschreibungen an diese deutsche Seite jedoch mit folgenden Worten: »Für mich persönlich, habe ich nur die Meinung geändert. Ich denke immer ich bin ein Chinese. Ich liebe mein Land auch, ja genau. Und wir haben auch sehr gute, trotzdem, viele gute Eigenschaften, genau.« (Hong) Das Bild, das er von den Deutschen hat, ordnet Herr Hong in seinem Reflexionsprozess dabei einer sehr rationalen, kognitiven Ebene zu; es geht darum, »nur« eine »Meinung« anzupassen. Auch die Aussage darüber, dass es leichter sei, in einem deutschen statt einem chinesischen Unternehmen zu arbeiten (Hong), fällt in diese sachlich begründbare Kategorie. Seine chinesische Nationalität bleibt hingegen ein Kontinuum und ist stark emotional gewichtet; er »liebt« sein Land und rückt es angesichts seiner positiven Aussagen über Deutsche wieder ins rechte Licht (»trotzdem viele gute Eigenschaften«). Hier blitzt also ein Patriotismus auf, der ansonsten nur unterschwellig mitschwingt und teilweise nicht auszumachen ist. Inwieweit dies dem »Paradigma chinesischer Exzeptionalität« (Poerner 2009: 202), also dem gefühlten Sonderstatus Chinas verbunden mit einem neuen Selbstbewusstsein, zuzuschlagen ist, ist nicht eindeutig zu bestimmen. Zwar sind in der Literatur Hinweise auf das besonders ausgeprägte chinesische Nationalgefühl zu finden, das sich beispielsweise auch in der interkulturellen Forschung innerhalb Chinas niederschlägt. So ist dort entgegen des Postcolonial turn eine Rückbesinnung auf die Nation bemerkbar (vgl. Lackner 2007: 499). Trotz dieses klaren Bekenntnisses zu China fällt hier wahrscheinlich vielmehr die »Primordialität des Nationalgefühls« (Dreher 2005: 73) ins Gewicht, die latent eben immer vorhanden ist (vgl. Hansen 2011: 174). Ein deutscher Interviewpartner hätte sich womöglich weniger explizit geäußert, was aber wiederum an der historisch begründbaren Prägung liegt, die eine zu enthusiastisch geäußerte Vaterlandsliebe als unangebracht erscheinen lässt. Dennoch ist auffällig, dass positive Bewertungen des Anderen, wenn auch nicht mehr des ganz Fremden, bei den chinesischen Interviewpartnern häufiger auftraten als bei den deutschen Akteuren. Auch die daraus resultierende Bereitschaft zur Anpassung an andere Normalitäten scheint hier höher zu sein. Das heißt nicht, dass die Mehrheit der deutschen Gesprächspartner sich immer und zwangsläufig negativ geäußert hätte; explizit positive Äußerungen sind jedoch sehr selten. Der Tenor bewegt sich eher im beispielhaften Zitat von Herrn Pfeiffer: »Also ich hatte immer sehr viel chinesische Kollegen dabei, deshalb ist das schwer zu sagen und mit den deutschen Kollegen ist man eher so…ähm…da war
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das oft einfacher.« (Pfeiffer) »Einfacher« bedeutet bei Herrn Pfeiffer, dass er mit seinen deutschen Kollegen ein grundlegenderes Verständnis teilt, er schätzt deren Verlässlichkeit und der Umgang ist zudem »kumpelhafter«; funktionierende Strategien im Umgang miteinander sind also bekannt und erprobt: »Man wusste halt paar Sachen, die sind klar oder, ähm, notfalls je nachdem wer das ist, wie gut man klar kommt, drückt man halt so nen doofen Spruch, bisschen mehr so wie bei Bauarbeitern [lacht] und dann ging das halt. Aber da war halt einfacher abzuschätzen, vielleicht, wie die das auffassen oder was man denen aufgeben kann und vor allem waren die Aufgaben klarer verteilt.[…] Da war ganz klar, Aufgaben verteilt, das machen wir so, ne und äh…mit den Chinesen kann halt sein, der macht einfach was anderes.« (Pfeiffer)
Dieser Umstand bedeutet jedoch nicht, dass sich deutsche Akteure überhaupt nicht anpassen würden, wie das Beispiel von Herrn Pfeiffer und seiner Nutzbarmachung »chaotischer« Strukturen zeigt. In späteren Ausführungen wird dies noch deutlicher. Allerdings scheint Anpassung von den deutschen Interviewpartnern weniger prominent als Handlungsoption in interkulturellen Situationen wahrgenommen zu werden. Viel mehr Wert wird darauf gelegt, »authentisch zu bleiben« (Weiß), »sich nicht [zu] verstellen« (Weiß) bzw. dann einfach »zu akzeptieren« (u.a. Weiß, Schneider, Seidel). Kapitel 7 wird noch näher auf diese und andere Normalisierungsstrategien eingehen.
5.2 U NTERSCHIEDLICHE S ELBSTBILDER 5.2.1 Die Bedeutung von sozialen Beziehungen. Aufweichung etablierter kultureller Gegensätze Differenzen werden im Rahmen der Interviews nicht nur unterschiedlich bewertet, sondern mitunter auch völlig konträr wahrgenommen. Das hängt zwar mit den unterschiedlichen Bewertungen von Eigenem und Fremden zusammen, reicht aber als Erklärung nicht immer aus, denn oft bestehen solche Gegensätze in den Selbstbildern nicht nur zwischen Deutschen und Chinesen, sondern auch zwischen Angehörigen der gleichen Nation. Letzteres wird recht eindrücklich bei der Wahrnehmung der Dichotomie Kollektivismus-Individualismus deutlich. Ähnlich wie indirektes und direktes Kommunikationsverhalten gehören die beiden Pole in der Literatur zu den Standardunterschieden zwischen Chinesen und Deutschen. Chinesen leben danach vornehmlich in »›we‹ group[s]« (Hofstede
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2010: 91) mit engen persönlichen Bindungen, die deutsche Gesellschaft hingegen ist dadurch gekennzeichnet, dass »the interests of the individual prevail over the interests of the group« (ebd.). Erklärt wird die kollektivistische Ausprägung in China mit dem System der danwei, also einer jeweils »größere[n] Einheit, in der die Menschen ein gewisses Gemeinschaftsgefühl entwickeln konnten« (Liang/Kammhuber 2007:175). Aufbauend auf die Familienclans während der Kaiserdynastien gewährleistete die Kommunistische Partei nach Gründung der Volksrepublik mit den danwei die ideologische und soziale Kontrolle über die riesige und breit verteilte Bevölkerung. Bis einige Jahre nach dem Mao-Regime gehörte noch nahezu jeder Chinese einer danwei an. Seit der Öffnung Chinas und den damit verbundenen Veränderungen, wie zunehmender Urbanisierung und Ökonomisierung, verliert dieses System jedoch rasant an Bedeutung; teilweise ist es bereits völlig irrelevant. Dennoch oder gerade deswegen spielen in China die sogenannten guanxi noch eine dominante Rolle, also Beziehungsnetzwerke, die äußerst wichtig für das persönliche Fortkommen sind und dabei stärker ausgeprägt sein sollen als in individualistischen Gesellschaften (vgl. Liang/Kammhuber 2007: 176-178). Das wirkt sich dann entsprechend auf die Arbeitswelt aus und so ist diese zunächst sehr vereinfachte Darstellung in den Interviews durchaus zu finden. Frau Song erklärt dazu: »We say this is Chinese way [lacht leise]. You have to be not YOU, you have to be WE, then you start to talk about business.« (Song) Hier tritt also das notwendige Gemeinschaftsgefühl vor Geschäftsabschlüssen in den Vordergrund, das auch immer wieder in Ratgebern erwähnt wird. Zunächst gilt es, eine Beziehung aufzubauen, sei es durch gemeinsames Essen und Trinken, ausgedehnten Small-Talk oder den Austausch von persönlichen Informationen. Dazu gehören auch gegenseitige Gefälligkeiten und Hilfen, die zwar auch unter Deutschen vorkommen, aber weniger bewusst und weniger strategisch eingesetzt werden. Die unterschiedliche Gewichtung von guanxi wird recht gut von der Aussage Herrn Hongs aus chinesischer Perspektive eingefangen: »Wir haben viele Sachen, wenn man hat die Beziehung, dann kann man erfolgreich sein, aber ich glaube in Deutschland meistens geht das nicht. Aber bisschen machen die Deutschen das auch.« (Hong) Die Relevanz von Beziehungen nimmt Herr Hong sehr bewusst wahr, er weiß aber durchaus um deren Grenzen in Deutschland. So nimmt er sich »viel extra Zeit für die Sache« und macht »ein oder zwei Überstunden«, um Kollegen zu helfen. Der Aufbau von guanxi ist demnach eine Form von Beziehungsarbeit, bei der es ein Zahlungsmittel, nämlich die renqing gibt. Diese »Mitmenschlichkeit« (Liang/ Kammhuber 2007: 176) kann sich in Geschenken oder auch Gefallen materialisieren, bei Herrn Hong sind es beispielsweise Überstunden und zusätzliche Arbeiten. Renqing dient als Investition, die aber nicht nur kühl auf eine Gegenleis-
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tung kalkuliert, sondern zunächst einmal eine emotionale Bindung schaffen soll. Allerdings kommt die dabei entstehende Beziehung freilich nicht ohne Erwartungen an den anderen aus und bewegt sich zwischen dem Schuldenmachen und der Begleichung dieser Schulden bzw. sogar deren Überkompensation (vgl. ebd.). Einen wichtigen Link zwischen den guanxi und der Idee kollektivistischer Prägung bildet loyales Verhalten (vgl. Hofstede 2010: 113). Loyalität für eine Gruppe funktioniert dabei als eine Art renqing. Für Herrn Chen ist Loyalität daher vielleicht nicht nur wichtig – für einen deutschen Mitarbeiter oder Manager wäre sie das sicher auch – sondern er verbindet sie mit einer emotional geladenen Sprache; sie ist in seinem »Herz« sogar »sehr wichtig«. Dieser Wert scheint also eine besondere Tiefe in seinem Bezugsrahmen zu haben: »Ich finde Loyalty ist wichtig für mich. In meine Herz, Loyalty ist sehr wichtig.« (Chen) Nun wäre es jedoch vorschnell, aus den Aussagen einiger Chinesen zu schließen, Chinesen seien generell und vor allem ausschließlich kollektivistisch mit allen damit verbundenen Ausprägungen. Das macht Herr Li deutlich, indem er genauer spezifiziert, was das im arbeitsweltlichen Kontext heißen kann: »For example, southern China and northern China. Northern China people seem, when they are doing business, they very much rely on connections, what we call the guanxi. And they don’t pay, äh, quite a lot attention to the details before the business starts. They just, they believe very much the connections with the government or the import officers in the government holds very strong resources. And if you, you successfully understand connections, how to play the game with these connections, then you, if you don’t even have the contract or the agreement, you’ll be successful. But, if you don’t know how…getting access into that, even you get the agreement, finally you still failed and you have no way to, to get back your own benefit, even it’s illegal. So that’s different. But in southern China people are more Western style. They pay quite a lot of attention to the business details, people do a lot of bargaining, but once it is settled, it can’t be changed. That is something different in Chinese different location.« (Li)
Herr Li unterscheidet hier zwischen verschiedenen Verhandlungsstilen in Nordund Südchina. Während der Erfolg eines Geschäftes im Norden davon abhängt, wie gut »das Spiel« der Beziehungspflege, vor allem mit der Regierung, beherrscht wird, ist das im Süden kein Muss. Das ist vor allem für ausländische Wirtschaftsakteure bedeutsam, da die nötigen Spielregeln eben oft nicht bekannt sind und dazu kaum Rechtssicherheit vorhanden ist. Es sind also Unterschiede auch innerhalb Chinas feststellbar, die jedoch immer noch zu grob gefasst scheinen. So fügt Herr Li an seine Erklärung an: »But of course maybe it’s too typi-
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cal. Note that I just want to give you a typical case.« (Li) Seine Einteilung ist für ihn demzufolge übermäßig generalisierend, sie gibt eine Typik wieder, die seiner Meinung nach schon zu sehr vereinfacht (»too typical«). Es existieren im Umkehrschluss also noch wesentlich feinere und komplexere Strukturen, die in Form eines »typical case« lediglich zusammengefasst werden. 5.2.2 Kollektivisten oder Egoisten? Unterschiedliche Wahrnehmungen etablierter Gegensätze Die Abhängigkeit von Beziehungen im Arbeitskontext variiert also in ihrer Stärke und wie sich zeigt, tut das auch die Vorstellung einer kollektivistischen Gesellschaft, die eng mit der genannten Betonung von Beziehungen verbunden ist. Während Frau Song, die bereits zu Wort kam, das Wir-Gefühl im Arbeitsalltag klar ausmachen kann, nutzt Herr Li für die Beschreibung von Teamarbeit ein Bild, das eigentlich in eine ganz andere Richtung deutet: »If you look at a cup individually from Western country, for Chinese that’s nothing. It looks so simple, maybe cheap, or not cheap, maybe too simple, very simplified, that’s nothing. And the Chinese cup is a very delicate produced, but one day put together and the Chinese cup put together, then we will find there’s a great MESS. Different style and size, colour, everything is different. But in, in, in, Western it looks very nice. If they put together as team, it is wonderful, but individually, ok, that’s nothing. But China individually it’s wonderful, but put together it’s different.« (Li)
Chinesen werden hier als jeweils kunstvoll dekorierte Tassen porträtiert (»individually it’s wonderful«). Keine gleicht dabei der anderen. Deutsche hingegen sind in der Metapher eher simple Porzellantassen und nicht sonderlich interessant (»for Chinese that’s nothing«). Das widerspricht zunächst der gängigen Vorstellung vom individualistischen Deutschen, der sich nicht zwangsläufig über Beziehungen identifiziert und dem kollektivistischen Chinesen, der ganz in der Gemeinschaft aufgeht. Um in der Sprache der Metapher zu bleiben, wären Chinesen demnach Sammeltassen und Deutsche ein Service: Als Konsequenz funktionieren dann Chinesen in einem Team weniger gut als Deutsche. Ein rein chinesisches Team ist »a great mess«, ein deutsches dagegen »wonderful«. Die dabei scheinbar auftretende Diskrepanz zwischen dem chinesischen Selbst- und den externen Fremdbildern wird allerdings in einem anderen Interviewausschnitt recht gut gedeutet. Herr Weiß lebt und arbeitet schon mehr als 20 Jahre in China und berichtet aus seiner Erfahrung Folgendes:
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»Die Chinesen sind grundsätzlich erstmal die größten Egoisten die es gibt. Also wirklich, klar, man denkt immer in Einheiten, aber im Grunde…denkt jeder erstmal an sich, dann die nächste Einheit ist die Familie und alles was außerhalb von dieser Familie passiert, das interessiert erstmal nicht. Dann gibt’s ne Einheit, ok das ist deine Firma, aber alles was jetzt außerhalb dieser Einheit passiert, interessiert die, ich sag mal PERSÖNLICH oder wie soll man das sagen oder BERÜHRT einen persönlich erstmal gar nicht. Ähm…du wirst nie erleben, dass ein Chinese jemand anders hier hilft oder so.« (Weiß)
Die Einschätzung von Chinesen als »Egoisten« deckt sich zunächst mit der Beschreibung von Herrn Li, wenn auch die Konnotationen recht unterschiedlich sind: Bei Herrn Li sind Chinesen einzeln betrachtet wie bereits erwähnt »wonderful«, Herr Weiß befüllt die bereits negativ aufgeladene Beschreibung der Chinesen als Egoisten hingegen noch mit deren fehlender sozialer Empathie und Hilfsbereitschaft. Diese endet an den Grenzen persönlich relevanter Gruppen mit denen es Gemeinsamkeiten gibt, also bspw. der Familie oder dem arbeitgebenden Unternehmen. Erklärt wird diese Differenzierung durch die Einteilung von Menschen in »innere« (nei ren) und »äußere« (wai ren) Personen, das heißt Personen mit denen man eine mehr oder weniger enge Beziehung (Familie, Freunde, Bekannte) oder eben keine hat. Während der »innere« Personenkreis auf Unterstützung und Höflichkeit setzen kann, sind im Alltagsleben in China oft eher raue Umgangsformen beobachtbar und es gilt beispielsweise lediglich die Devise »Dienst ist Dienst« (vgl. Liang/Kammhuber 2007: 175). Vergrößert auf eine gesamtgesellschaftliche Perspektive liegt darin ein in China tatsächlich spürbares Problem (s. Kasten).
»Es war ein ganz normaler Donnerstag. Kein Krieg und keine Ausnahmesituation, einfach nur Alltag. Es war der 13. Oktober. Gegen 17.30 Uhr nahm eine Überwachungskamera in einem Eisenwarenmarkt im südchinesischen Foshan ein Video auf, das China seither nicht mehr loslässt. Da wird ein zweijähriges Mädchen namens Yueyue auf der Straße von einem Lieferwagen überrollt. Und der Fahrer fährt einfach weiter. Das Mädchen liegt in seinem Blut, Passanten gehen jedoch einfach an ihm vorbei. Und noch ein Laster überfährt das Mädchen. Sieben Minuten vergehen, 18 Menschen passieren, einer nach dem anderen, bis endlich eine 57-jährige Müllsammlerin das Kind entdeckt und Hilfe ruft. Doch es war zu spät. Am vergangenen Freitag erlag Yueyue ihren Verletzungen. Ein Land fragt sich nun: Wie um alles in der Welt sind wir zu dem geworden, was wir auf diesem Video sehen?« (Köckritz 2011 in ZEIT online vom 27.10.2011)
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Die Differenzierung von Beziehungen kann zwar als Erklärung herangezogen werden, sie scheint in der Diskussion dieses sehr dramatischen Falles jedoch nicht auszureichen. Weitere Gründe werden daher zum einen im moralischen Vakuum gesucht, das während der Mao-Herrschaft mit dem Verbot von Religionen und dem konfuzianischen Wertesystem zugunsten kommunistischer und während der Kulturrevolution durch vollkommene Willkür geprägte Strukturen entstanden ist. Gefüllt wird dieses Vakuum nach Ansicht der Internetcommunity, die rege zum Fall der kleinen Yueyue schrieb, durch Materialismus und Konsumdenken anstelle von Nächstenliebe und gesellschaftlicher Solidarität (Borg 2010 in Süddeutsche.de vom 20.10.2011). Hinzu kommen ganz pragmatische Erklärungen wie das schlechte Krankenversicherungssystem in China in Verbindung mit der unsicheren Rechtslage. So ist es bereits vorgekommen, dass zufällige Helfer von den Opfern beschuldigt und anschließend zu Geldstrafen verurteilt wurden (ebd.). Einen sehr rigorosen und beinahe radikal-unversöhnlichen Ton stimmt in diesem Zusammenhang Herr Weiß an, der Chinesen in seinem vorangegangenen Zitat gar abspricht, emotional berührt oder interessiert an anderen (die nicht unmittelbar zu den nei ren gehören) zu sein. Er verstärkt diese Meinung in Bezug auf die Generation der »kleinen Kaiser«, die aus der chinesischen Ein-Kind-Politik hervorgegangen sind und prognostiziert darauf aufbauend gesellschaftliche Probleme : »Auf der Straße, du wirst nich erleben, doch, doch du erlebst, da steht ein großer Haufen drum rum und tritt vielleicht nochmal dagegen, vielleicht bewegt er sich ja noch, aber du wirst nicht erleben, dass da einer jetzt was tut oder so. Das wird dann immer so erklärt, ja wenn die dem jetzt anfangen zu helfen, übernehmen sie ne gewisse Verantwortung oder sonst irgendwas, glaub ich nicht, dass das damit was zu tun hat, sondern einfach, interessiert sie nicht. Ich mein, was interessiert dich, der da liegt, mit dem hast du nichts zu tun. Und wie gesagt, vor allem diese neue Generation, die da nachkommt, da zählt glaub ich nicht mal mehr die Familie irgendwas, das bin nur noch ICH. Ich, ich, ich. Aber das ist noch ein Riesenproblem, da wird die chinesische Gesellschaft noch in der Zukunft mit zu kämpfen haben.« (Weiß)
Der hier anklingende »moralische Verfall« beschäftigt auch die chinesische Regierung, deren Ausruf der bereits erwähnten »harmonischen Gesellschaft« mit Rückgriff auf die konfuzianische Idee der »Großen Harmonie« (Heberer 2008:44) im Jahr 2004 u.a. auf den »Aufbau einer geistigen Moral« (ebd.) abzielte. Dieses Ideal soll gewissermaßen den eher abstrakten Kommunismus als gesellschaftlichen Kitt ablösen und sich gleichzeitig vom neoliberalen Weltbild »westlicher« Gesellschaften distanzieren. Während der Anspruch, ökonomische
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und soziale Stabilität zu schaffen, durchaus nachvollziehbar ist, behält sich die chinesische Führung jedoch vor, die Idee der harmonischen Gesellschaft ggf. gewaltsam durchzusetzen, indem sie bspw. Unruhen niederschlägt (vgl. Heberer 2008: 44). Denn oberste Priorität bleibt immer die Machterhaltung der Partei, die sich zunehmend legitimieren muss. 5.2.3 Die neuen Individualisten. Veränderung etablierter Unterschiede Beim bereits erwähnten Tassen-Beispiel von Herrn Li wird die Verschränkung von Makro-, Meso- und Mikroebene erkennbar: Die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in China beeinflussen die Sicht eines chinesischen Managers auf Teamarbeit von Vertretern aus China und Deutschland. Die eher negativ konnotierte Interpretation mit Hilfe des Zitats von Herrn Weiß passt aber noch nicht ganz zu dem »wonderful«, das Herr Li dem chinesischen Individuum zuschreibt. Besser erklärbar wird das einerseits mit Hilfe des Bezugsrahmens von Herrn Li. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung in einem internationalen Arbeitsumfeld empfiehlt er jungen Arbeitnehmern beispielsweise, Interesse am Anderen zu zeigen und weniger auf nationale Kategorien zu achten. Wie auch bei weiteren interviewten Managern stehen bei ihm solche Persönlichkeiten aus einer ganz »menschlichen« Perspektive im Vordergrund. Andererseits hat der erwähnte Materialismus in Zusammenhang mit einer zunehmenden Individualisierung natürlich zwar negative Effekte und wird auch zu Recht kritisiert, allerdings ist er gleichzeitig Zeugnis einer zunehmenden Selbstidentifikation junger – wenn auch zunächst nur urbaner und wohlhabenderer – Chinesen. Herr Müller beobachtete auf einer China-Reise in diesem Zusammenhang folgende Szene in einem Shanghaier Fastfood-Restaurant: »Und dann stellt sich heraus, dass das alles Kinder sind von Chinesen, die als Jugendliche auf die Highschool geschickt worden sind, die jetzt im College, also auf der Uni waren, teilweise Praktika machen und die perfekt [Englisch sprechen, A.S.], sind so gekleidet und MP3-Spieler, Iphone, alles, und da haben die sich unterhalten über ihre Zukunft.« (Müller)
Dieser Schnappschuss illustriert auch, dass gerade junge Chinesen aufgrund der sehr unterschiedlichen Situation des Aufwachsens und des Zugangs zu Bildung (wenn hier auch für Chinesen auf dem Land andere Bedingungen herrschen) deutliche Unterschiede zu älteren Generationen zeigen. Das ist sicher in Deutschland nicht anders, allerdings sind die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Brüche nicht so gravierend, selbst wenn das Ende der deutschen
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Teilung und die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland mitgedacht werden. Das macht sich durchaus auch im Arbeitsalltag bemerkbar: »Der fünfzigjährige Chinese und der…unglaublich reiche, meist weitgereiste Mittzwanziger oder -dreißiger, der das Unternehmen später mal übernimmt: Klar, da sind unterschiedliche…Herangehensweisen.« (Schneider) Herr Schneider adressiert hier vor allem unterschiedliche Kommunikationsstile. Er passt daher sein Verhalten entsprechend an und spricht von einer »gewisse[n] VORSICHT, gerade auch bei Lieferanten älterer Generation, dass man denen nicht auf die Füße tritt in einer europäischen Lockerheit, die man vielleicht auch als JÜNGERER so innehat« (Schneider). Hier wird wiederum die nationale Kategorie zugunsten einer Verwerfung zwischen verschiedenen Generationen aufgeweicht. Ältere Generationen unterscheiden sich also sowohl von der jüngeren chinesischen als auch der jüngeren deutschen. Dabei spielt natürlich auch die soziale Situation eine Rolle, nicht jeder Mittzwanziger oder -dreißiger ist »unglaublich […] reich« und »weitgereist«. Allerdings ist beispielsweise der Kontakt mit Ausländern in China enorm angestiegen, Internet und soziale Medien erlauben trotz Zensur einen weitreichenderen Blick. Dieser wird zwar in der Tat von den immer noch gravierenden sozialen Ungleichheiten beeinflusst, da auch beispielsweise der Zugang zu Internet nach wie vor eine Frage des persönlichen Hintergrunds ist. Gerade in den großen Städten und an der chinesischen Ostküste ist aber die offene, wenn auch teilweise konsumorientierte Haltung junger Chinesen durchaus spürbar. Beim Blick zurück auf die eingangs zitierten Interviewauszüge, die als Diskrepanz zwischen einem chinesischen Wir-Gefühl, das Frau Song beschreibt, und dem individualisierten und team-unfähigen Chinesen, den Herr Li anspricht, dargestellt wurden, fällt nun auf, dass diese Berichte durchaus nebeneinander stehen können. Beziehungen und Vertrauen sind in Arbeitskooperationen unbestritten von Vorteil und mögen im chinesischen Kontext eine besondere Relevanz haben (vgl. dazu Kammhuber/Liang 2007: 183). Die erwähnte fehlende Teamfähigkeit als generalisiertes Merkmal lässt sich jedoch in verschiedene Richtungen interpretieren. So mögen die Teammitglieder auf ihren eigenen Vorteil bedacht sein, weil sie sich für die Gruppe, die möglicherweise aus verschiedenen Abteilungen zusammengesetzt ist, nicht verantwortlich fühlen. Der Grundstein dafür kann sowohl in der bereits skizzierten Unterscheidung von »inneren« und »äußeren« Personen liegen, als auch im konkurrenzorientierten Bildungssystem oder der Erziehung der Teammitglieder als »kleine Kaiser« im Zuge der Ein-Kind-Politik. Möglicherweise ist aber auch einfach noch keine Vertrauensbasis aufgebaut, das »Wir-Gefühl« noch nicht vorhanden, was sich durchaus auch bei rein deutschen Teams negativ auf die Zusammenarbeit auswirken kann. Auch Herr Li selbst hat eine Erklärung für dieses Phänomen, die in
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Richtung des eher selbstbezogenen Mitarbeiters geht, der unterstützende Zusammenarbeit als Schwäche wertet: »Because some Chinese companies staff only care about their own work. Not how to think for the corporation. This is different. For example, if in German company we think about corporation, ok, when we need a team support, but in China sometimes support means, you are not that strong, you get some people’s help, so that means you failed or you are weak. But actually that’s not true because team work means supporting each other, that’s different.« (Li)
Er setzt dieser Interpretation jedoch gleich seine eigene Wertung von Teamarbeit entgegen (»team work means supporting each other«) und ist zudem der Ansicht, dass dies für ein Unternehmen wichtig sei. Er hofft daher auf eine – wenn auch langsame – Veränderung: »It can change, but maybe this should be step by step this understanding.« (Li)
5.3 U NTERSCHIEDLICHE B LICKE
AUF DAS
A NDERE
5.3.1 Offenheit und Verantwortung. Bestätigung und Aufweichung etablierter Stereotype Während bei der beispielhaften Untersuchung von Selbstbildern nur scheinbare Diskrepanzen sichtbar wurden, zeigen sich beim Blick auf das jeweils Andere deutlichere Abweichungen. In den Interviewtexten wird das an der Perspektive von Deutschen auf ihre chinesischen Mitarbeitenden oder Lieferanten erkennbar. Grundlage dafür sind verschiedene Erfahrungen mit diesen Akteuren, die wiederum bestimmte Bewertungen bedingen, aber auch hervorrufen. Herr Arendtmeyer beobachtet so bei seinen chinesischen Kollegen eine gewisse Scheu, mit Problemen umzugehen, was mit einem für ihn unzuverlässigen Verhalten einhergeht. Er bezieht sich in seinem Beispiel auf eine unmittelbare Situation – so hatte ich einen Interviewtermin telefonisch vereinbart, der ursprünglich angedachte, chinesische Interviewpartner war dann jedoch nicht anwesend und Herr Arendtmeyer sprang für diesen ein (der chinesische Interviewpartner kam dann allerdings später doch noch hinzu): »[…] wenn’s wirklich um was Wichtiges geht, zum Beispiel, wir treffen uns jetzt heute und wir diskutieren was und ham nen Termin aus, dann können Sie Glück haben, so wie heute, dass auch jemand da ist, ja, auch wenn Sie das bestätigt haben und es wurde der Termin auch abgemacht und es wurde vielleicht auch gegrinst und gelacht, ja, und freund-
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lich und nett, aber dann kommen Sie hin und es ist keiner da….Ja, und dann heißt es, ach, so, stimmt, Moment, da war ja was. Und…diese Dinge, dass man sich nicht, dass man ein Problem hat und man will es so schnell wie möglich beheben, das Problem, wird nicht so als ernst angenommen, ja. Es wird oft ausgesetzt.« (Arendtmeyer)
Neben dem bereits genannten Aussitzen von Problemen und der wahrgenommenen Unzuverlässigkeit spielt hier noch eine andere Ebene in die Aussage hinein, nämlich dass Herr Arendtmeyer körpersprachliche Merkmale nicht eindeutig identifizieren kann und er das als eine Art bewusster Täuschung durch die chinesischen Kollegen deutet (»freundlich und nett, aber dann kommen Sie hin und es ist keiner da«). Dabei kommt eine grundlegende Verunsicherung zum Tragen, die sich auch in weiteren Beobachtungen von Herrn Arendtmeyer niederschlägt, wie später noch zu sehen sein wird. Allerdings scheinen zumindest die Probleme der Unsicherheitsvermeidung und der Unzuverlässigkeit im Arbeitsleben von Herrn Schneider gar keine zu sein, wie das folgende Zitat zeigt. Zwar sind ihm diese nicht ganz fremd, allerdings beschreibt er dann eine komplett gegensätzliche Wahrnehmung zu der von Herrn Arendtmeyer: »Ähm…wenn Sie hier mit chinesischen Lieferanten kommunizieren, sind die, so wie ich’s erlebe – wenn Sie die richtigen haben – UNheimlich bemüht, UNheimlich schnell Ihnen antworten und wenn Sie dann noch die richtigen haben, […], dann auch, äh, ja VERLÄSSLICH in ihren Antworten. Diese Schnelligkeit, die macht man sich nach drei Jahren China zu Eigen, obwohl man oftmals sagt, die Chinesen sitzen ein Problem aus oder…sie gehen langsamer an Sachen heran.« (Schneider)
Das oben erwähnte Gefühl von Herrn Arendtmeyer, Chinesen neigten dazu, zu lügen und sich (zumindest non-verbal) zu verstellen, findet sich in der bereits zitierten Sequenz wieder, in der er erklärt, warum Chinesen nicht »offen« sein können (er begründet dies mit mangelndem Vertrauen in kommunistischen Ländern). Auch hier gibt es jedoch ganz andere Erfahrungen, die aber auch damit zu tun haben, dass Herr Müller im folgenden Abschnitt von Chinesen »in Management-Positionen« spricht, deren Verhalten im Kollektiv der internationalen Business-Elite aufgeht: »Es sind viele der Chinesen bei uns in ManagementPositionen, haben in Amerika studiert, gearbeitet, wie auch immer. Und das ändert halt das chinesische Denken wiederum […] Und da hat sich schon viel getan, find ich. Viel offenere Gespräche.« (Müller) Interessant hierbei ist, dass Herrn Müllers Zitat zwar in eine andere Richtung weist als das von Herrn Arendtmeyer, er jedoch bei seiner Beschreibung von Kontaktsituationen den Komparativ verwendet (»offenere Gespräche«). Er verweist zudem darauf, dass sich das
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chinesische Denken durch internationale Kontakte ändert und »sich schon viel getan« habe. Es geht ihm also um die Darstellung eines Prozesses, der sich implizit zu etwas für ihn Positiverem hin entwickelt. In ihrer Studie zu dänischen Expatriate-Managern in China beobachtet Zølner (2012) ein ähnliches Phänomen. Dänische Manager tendieren demnach dazu, als national gelabelte Differenzen herunterzuspielen und Unterschiede vielmehr mit einem anderen historischen und damit auch gesellschaftspolitischen und sozialen Entwicklungsstand zu erklären. Damit suggerieren die Manager, dass zumindest chinesische Wirtschaftsakteure sich am Ende des Evolutionsprozesses dort befinden werden, wo heute sie selbst stehen (vgl ebd.: 177-178). Übertragen auf das vorliegende Beispiel würde das bedeuten, dass Chinesen, die nur lange genug in einem internationalen Umfeld tätig sind, sich an die »deutsche« bzw. die »internationale« Offenheit anpassten. Obwohl diese Interpretation schnell einen Beigeschmack von Neo-Kolonialismus und Ethnozentrismus seitens dänischer und deutscher Manager bekommt, ist die Aussage von Herrn Müller doch etwas differenzierter zu betrachten. Zum einen geht es ihm um ein gegenseitiges und gleichberechtigtes Verständnis zwischen deutschen und chinesischen Mitarbeitern, indem er auch an das Verantwortungsbewusstsein der Chinesen appelliert und sie so von einer niedrigeren Machtposition emanzipiert: »Dass, nicht nur dass wir uns drauf einstellen und auch mal nachhaken: ›Hast du das verstanden? Oder hörst du nur zu?‹ Sondern dass auch mal der Chinese, wenn er denn in einem so globalen Umfeld arbeitet, auch mal reflektiert bekommt, wie wird er oder ein typisch chinesisches Verhalten, wie kommt das an bei einem Ausländer.« (Müller)
Zum anderen hat er durch seinen persönlichen Bezugsrahmen ein tieferes Verständnis von den gesellschaftlichen und politischen Bedingungen in China, die seine Haltung weniger neo-kolonialistisch oder ethnozentrisch erscheinen lassen: »[…] ich muss dazu sagen, ich bin mit einer chinesischen Frau verheiratet, auch wenn die schon seit 26 Jahren in Deutschland lebt, aber wir sind halt regelmäßig in China und haben da noch Verwandtschaft, ähm, krieg ich das ja so mit – von daher basiert meine persönliche Erwartung eigentlich, was ich da so sehe und ich sehe, dass die Leute einfach wachsen wollen und sich weiterentwickeln wollen und Geld verdienen wollen und ähm, mit allen seinen Vor- und Nachteilen.« (Müller)
Herr Müller bindet seine »persönliche Erwartung« also an bestimmte Erfahrungen und Beobachtungen, die dazu beitragen, dass er den erwähnten Evolutions-
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prozess hin zu mehr Offenheit zwar vielleicht durchaus mit ethnozentrischem Anstrich, aber ohne (wissentlich) implizite Negativbewertung beschreibt. 5.3.2 Der Einfluss internationaler Wirtschaftsstandards Offenheit als bedeutende Eigenschaft ist außerdem in einen Wirtschaftskontext eingebettet, das heißt dass sie nicht nur eine angenehmere Umgangsweise für Herrn Müller zur Folge hat, sondern dass Offenheit im internationalen Wirtschaftsumfeld zu effektiveren Handlungsroutinen führt. Denn »[…] eigentlich ist es gar nicht so viel anders, weil letztendlich geht’s um’s Geschäft, ne« (Weiß). Diese pragmatisch orientierte Tendenz zeigt sich auch in weiteren Interviews, beispielsweise wenn Herr Li das indirekte Kommunikationsverhalten bei chinesischen Kunden, Lieferanten oder Mitarbeitern als langwierig attribuiert und es daher aus seiner Sicht nicht im Sinne seines Unternehmens sein kann (vgl. dazu Kapitel 7.5.1). Auch Herr Chen findet die »deutsche Methode« – er meint damit einen direkten Kommunikationsstil – »besser für eine Firma«. Da er sich selbst als »halb-europäisch« wahrnimmt, hat er zudem eine Erklärung, warum er nun diese »deutsche Methode« bevorzugt: »Ähm, eigentlich ich mag deutsche Methode und...äh...eigentlich bin ich halb-europäisch [lacht]. Deswegen finde ich, das wäre besser für eine Firma. Das ist egal, mhm, eine chinesische Firma in Deutschland oder eine deutsche Firma in China. Solche mhm...solche Arbeitsmethode sollte beibehalten werden.« (Chen)
In beiden Beispielen greift die Anbindung an eine (bestehende oder erwünschte) Unternehmenskultur mit ihren spezifischen Vorgaben und Werten, die tägliche Handlungsroutinen unterstützt und wiederum größtenteils mit einer internationalen Wirtschaftskultur verquickt ist. Der beschriebene Evolutionsprozess verläuft also weniger von chinesischem zu deutschem, sondern von chinesischem zu international-globalem Wirtschaftsverhalten.
5.4 A BWEICHENDE S ELBST -
UND
F REMDBILDER
5.4.1 Der fleißige, ordentliche Deutsche Reibungspunkte entstehen im Rahmen von Selbst- oder von Fremdbildern, die jeweils unterschiedlich wahrgenommen werden. Es kommt jedoch auch vor, dass
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bei der direkten Gegenüberstellung eines Selbst- und Fremdbildes in Bezug auf ein Thema deutliche Unterschiede bestehen. Der nächste Komplex illustriert dieses Phänomen anhand der Konnotationen, die Chinesen und (einige) Deutsche mit Fleiß und Produktivität und damit verbundenen Aspekten verknüpfen – auch hier besteht zwischen den Fremdbildern also nicht immer Einigkeit. Bei der Gegenüberstellung von Unterschieden werden jedoch verschiedene Wertesets der Akteure durch ihre Erzählungen gut sichtbar. Herr Arendtmeyer beschreibt so den Arbeitseinsatz von »den Chinesen« aus seiner Sicht folgendermaßen: »Äh, mein alter Chef [ein Deutscher, A.S.] hat immer so gemacht [schiebt ein Blatt Papier auf dem Tisch hin und her] und hat gesagt: ›Guck mal [Stefan], ich arbeite jetzt, ja.‹ Und, wo man als Deutscher sagen würde: ›Das ist keine Arbeit, du hast den Block von da darüber geschoben, ja.‹ Sysiphos-Arbeit irgendwo, weil man sieht, besonders in Deutschland, also wenn man des vom deutschen Blick sieht, ist es halt, ähm…, die sind halt,…die schaffen, also man gibt denen ne Aufgabe, die machen diese Aufgabe…in einer…unendlich langen Zeit und ähm, dann machen sie auch nicht mehr. Auch wenn sie sehen, da liegt was, zum Beispiel ich räum jetzt hier den Tisch auf und ich seh es stehen zwei Tassen hier, dann nehm ich meine Tasse und geh rein und stell sie hin. Man macht nicht mehr, man denkt nicht, weil die Aufgabe war nur Aufgabe A. Wenn jetzt noch was daneben wäre, dann würde man nicht denken: ›Ok, ich mach des auch noch.‹ Ja.« (Arendtmeyer)
Zunächst ist bei Herrn Arendtmeyers Aussage interessant, dass er sie aus zweiter Hand wiedergibt. Er beruft sich auf seinen ehemaligen Chef, der ihn gewissermaßen mit den Verhaltensschemata der chinesischen Mitarbeiter aus seiner Erfahrung heraus vertraut macht. Diese Perspektive übernimmt Herr Arendtmeyer zunächst uneingeschränkt. Er erläutert dann die beschriebene Arbeitsweise (ein Blatt Papier hin- und herschieben) und bezeichnet sie sogleich als SysiphosArbeit, also als eine immer wiederkehrende und sinnlose Tätigkeit, die konsequenterweise zu keinem Ergebnis führt. Chinesen sind aus dieser »deutschen« Perspektive uneigenständig und arbeiten ineffizient. Herr Arendtmeyer erklärt sich dieses Verhalten, indem er Chinesen später im Interview eine allgemein phlegmatische Grundhaltung zuschreibt: »Die Chinesen kann man schon als phlegmatisch bezeichnen.« (Arendtmeyer) Er konkretisiert diese Wahrnehmung anschließend und versucht dabei zugleich durch die bekannte Parallele zur deutschen Kanzlerin Angela Merkel seinen Beobachtungen mehr Sinn zu verleihen: »Ja, Aufgaben, die man erwartet, nicht zu tun. Auszusitzen, auszubrüten, ja, wie Angela Merkel das natürlich immer so schön macht, irgendwo, ja. Also keine Entscheidungen zu fällen, sondern eher diese defensive Haltung: Ich mache
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nichts und ich schau einfach mal.« (Arendtmeyer) Den Begriff des Phlegmatismus hat er jedoch nicht selbst herangezogen, sondern hat ihn aus einem Ratgeber-Buch entnommen, in dem vier unterschiedliche Gemütshaltungen aus der mittelalterlichen Temperamentenlehre aufgegriffen wurden und nun dabei helfen sollen, verschiedene Verhaltenstypiken zu bestimmen (vgl. Arendtmeyer). Die übergreifende Fragestellung paraphrasiert Herr Arendtmeyer im Interview selbst: »[W]ie geht man gekonnt mit Menschen um?« (Arendtmeyer) Zunächst hilft ihm aber diese Vereinfachung, beobachtetes Verhalten für sich verständlich zu machen. Im weiteren Verlauf des Zitats oben reichert Herr Arendtmeyer das Beispiel des Chefs dann mit einer zusätzlichen Beobachtung an, die eigentlich unwichtig für den Arbeitsalltag ist, aber genau deswegen zeigt, dass hier Herrn Arendtmeyers Verständnis von Anstand und damit Teile seines Wertesets irritiert sind. Das oben zitierte Tassen-Beispiel bezieht sich eher auf einen unmittelbaren zwischenmenschlichen Umgang, der nun nicht entlang bekannter, als grundlegend und selbstverständlich erwarteter Strukturen läuft. Das damit verbundene Unbehagen wird beispielhaft auch in einem anderen Abschnitt deutlich, in dem es für Herrn Arendtmeyer um eine weitaus basalere Angelegenheit, nämlich um Hygiene, geht: »Vielleicht gibt’s auch Chinesen, die sind komplett anders, aber, ähm, was die Reinheit angeht, was die Sauberkeit angeht, puhhh.« (Arendtmeyer) Herr Arendtmeyer impliziert hier – auch durch die Lautäußerung – dass Chinesen unsauber und unhygienisch seien. Da er mir für das Interview einen Kaffee angeboten hatte, nutzt er die vorangegangene Interaktion mit seiner chinesischen Kollegin für ein Beispiel: »Oder ok, Beispiel: Zucker. Ok, Sie haben jetzt ohne Zucker getrunken, gut. Ich hab meine Kollegin gefragt, ob es Zucker gibt. Was hat sie gemacht? Sie hat die zwei Würfel mit ihrer Hand aus der Schachtel genommen und hat sie dahingelegt. Da hab ich gesagt: ›DANKE‹. Aber, in Europa, wäre das natürlich, würde das nicht gehen. Macht man nicht, ja. Aber, im Endeffekt sind das ja eigentlich, wenn man drüber nachdenkt, auch nur, wieso machen wir uns eigentlich solche Gedanken, ob ich das jetzt mit der Hand anfasse oder nicht? Das gehört sich halt nicht, ja.« (Arendtmeyer)
Bemerkenswert sind in diesem Abschnitt vor allem die beiden Äußerungen »Macht man nicht« und »Das gehört sich halt nicht«, denn sie markieren Endpunkte für ein mögliches Hinterfragen, das Herr Arendtmeyer selbst auch andeutet (»[…] wieso machen wir uns eigentlich solche Gedanken?«). Hierbei zeigt sich gewissermaßen die Verbalisierung von tiefsitzenden Selbstverständlichkeiten oder Normalitäten, die nicht diskutiert werden müssen oder auch sollen. Die Irritation durch den Bruch dieser Selbstverständlichkeiten lässt sich Herr Arend-
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tmeyer gegenüber seiner Kollegin nicht anmerken, drückt eine Art der Missbilligung allerdings versteckt durch die übertriebene Betonung des »Danke« aus. In einer anderen Sequenz geht er dann zudem auf dreckiges Geschirr ein, welches Chinesen nicht stören würde. Diese Wahrnehmung führt dann zu einem Erklärungsversuch, der relativ eindeutig auf eine ethnozentrische Haltung hindeutet: »[…] also es gibt jetzt nichts, wo ich sagen kann, das ist unbedingt [atmet aus] es gibt nichts, wo ich sagen kann, das ist unbedingt…positiv, ja. Also nicht positiv oder negativ, aber stellen Sie sich vor, ich würde jetzt nach Zimbabwe gehen und in irgendnem Dorf leben. Dann würd ich sagen: ›Ok, die kennen des halt nicht. Die kennen keine Mikrowellen, die kennen kein fließendes Wasser, die kennen keine Toilette‹, ja, und…und ich denke mal, dass ich und ich hab gehört, dass die wenigstens da drüben, äh, irgendwo auch nen akademischen Grad haben, äh, mehr Allgemeinbildung, wo ich mir denke: ›Hallo?! Ihr wisst schon, dass die Erde um die Sonne kreist und nicht andersrum?‹« (Arendtmeyer)
Es spielen in diese Aussage daher nicht nur wahrgenommene Unterschiede hinein, aufgrund derer lediglich Handlungs- oder Kommunikationspraxen unbekannt sind. Vielmehr zeigt sich hier eine tiefsitzende Verunsicherung, die mit Ablehnung und einem »Downgrading« des Anderen kompensiert wird. Zwar will Herr Arendtmeyer weder positiv noch negativ bewerten, dass die Aussage aber stark negativ konnotiert ist, wird im ersten Satz des Zitats deutlich, in dem er sich mit einer positiveren Zuschreibung schwer tut. Er atmet hörbar als Zeichen eines inneren Ringens aus und kann »nichts« als »unbedingt positiv« bezeichnen. Hinzu kommt dann die Wahl der Vergleichsgröße eines afrikanischen Dorfes (oder die Vorstellung eines solchen) ohne die für deutsche Verhältnisse grundlegende Versorgung und Ausstattung, die wiederum gewährleisten, dass Hygienestandards, die Herr Arendtmeyer inkorporiert hat, eingehalten werden können. Hier schwingt mit, dass man eine solche Lebensweise nicht verurteilen sollte, aber für sich auch nicht gut heißen kann. Gerade von China, in dem es ja durchaus Mikrowellen und Toiletten gibt, hätte er jedoch nicht erwartet, dass dessen entsandte Bewohner die für ihn normalen Standards nicht umsetzen können.1
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Das spiegelt sich auch in dem idealisierten Bild Chinas wider, das Herr Arendtmeyer aus »Bruce Lee Filmen« kennt. Auch das gewünschte Selbstbild Chinas orientiert sich an einem etwas diffusen, global gültigen und ökonomischen Ideal, dem eben bestimmte normalisierte Handlungspraxen scheinbar nicht entsprechen. Das zeigte sich vor und während der Olympischen Spiele 2008. Auf Werbeplakaten und in Fernsehspots
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5.4.3 Der fleißige, ordentliche Chinese Doch zunächst zurück zum von Herrn Arendtmeyer aufgeworfenen Problem des Fleißes, das wie eben gezeigt wurde, beispielhaft nur einen Teilaspekt einer eher ethnozentrisch ausgerichteten Gesamthaltung ausmacht. Gerade der FleißAspekt ist jedoch wichtig, weil er auch von chinesischen Interviewpartnern explizit adressiert wurde. Während Herr Arendtmeyer chinesischen Mitarbeitenden noch Alibi-Arbeit unterstellte (Papier wird nur hin- und hergeschoben), scheint sein chinesischer Kollege Herr Luo von seiner eigenen Arbeitsleistung überzeugt zu sein: »Zuerst denke ich von mir als Chinese…wir sind sehr fleißig, wir sind immer so frühste im Büro und spätest gehen wir nach Hause. Also Arbeit sehr lange, sehr hart.« (Luo) Auch Herr Hong, Mitarbeiter in einer anderen Firma in Deutschland bestätigt: »Wir sind NOCH fleißiger als Deutsche, ja.« (Hong) Natürlich geht aus diesen beiden Aussagen nicht klar hervor, was Inhalt und was Effekt dieses Fleißes und der harten Arbeit ist, allerdings scheinen sie dem Vergleich mit deutschen Mitarbeitern nicht nur Stand zu halten. Vielmehr übertrumpfen chinesische Mitarbeiter aus ihrer Sicht die deutschen in dieser Hinsicht sogar. Herr Arendtmeyer könnte nun imaginär widersprechen und argumentieren, dass die langen Arbeitszeiten mit für ihn unsinnigen Tätigkeiten befüllt werden. Da er diese Information jedoch nur aus zweiter Hand widergibt, können dem auch leicht Eindrücke anderer Deutscher entgegengestellt werden, die diese Ansicht so nicht vertreten. Die Beobachtung von Herrn Müller sieht demzufolge anders aus und deckt sich eher mit den Selbsteinschätzungen der chinesischen Akteure: »Die Leute die sind wissbegierig, Arbeitszeiten, die geben Gas, sie wollen...« (Müller) Ähnlich sieht das auch Frau Handke, bei ihr kommt jedoch noch der Aspekt des Geldverdienens hinzu: »Weil, ja, die Leute sind ehrgeizig, die Leute sind nicht dumm und lernen ist halt in China sowieso das Wichtigste, was jeder Mensch irgendwie so als Aufgabe in seinem Leben hat und dazu kommt das Geldverdienen [lacht].« (Handke) Dass Frau Handke nach dem letzten Teilsatz lacht, erweckte im Interview den Eindruck, als ob ihr »das Geldverdienen« auszusprechen etwas unangenehm war. Denn über Geld spricht man in Deutschland (anders als in China) eigentlich nicht und die artikulierte Absicht hat schon fast etwas Anrüchiges. Dennoch betonte sie damit gerade diesen Aspekt, er erscheint ihr als wichtiger Bestandteil, wenn Sie die Motivation ihrer chinesischen Kollegen beschreibt. Auch andere deutsche Interviewpartner grei-
wurde beispielsweise propagiert, nicht öffentlich zu spucken, zu fluchen oder sich an Bushaltestellen ordnungsgemäß anzustellen.
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fen gerade den Motivationsfaktor Geld als bedeutend heraus. So statuiert Herr Seidel ganz sachlich: »Der Chinese ist sehr stark pekuniär getrieben« (Seidel), und nutzt dieses Wissen pragmatisch im Arbeitsalltag, indem er in seinem Unternehmen zusätzliche, leistungsorientierte Verdienstmöglichkeiten anbietet. Herr Müller hingegen wägt ab: »Ich sehe, dass die Leute einfach wachsen wollen und sich weiterentwickeln wollen und Geld verdienen wollen und, ähm, mit allen seinen Vor- und Nachteilen.« (Müller) Persönlicher Wohlstand und gesellschaftlicher Aufstieg bleiben besonders in einem Land der Größe Chinas und mit seinem kaum vergleichbar rasanten Wirtschaftswachstum nicht folgenlos. Derzeit liegt die Wachstumsrate der inzwischen weltweit größten Volkswirtschaft bei »nur« 7,5 Prozent (International Monetary Fund 2014: 59), der Preis dafür ist allerdings hoch. Allein in Peking hat sich beispielsweise die Zahl der Autos innerhalb von fünf Jahren verdoppelt: Derzeit sind es etwa 5,18 Millionen (Spiegel online vom 31.01.2013). Mehrmals im Jahr wird daher in der chinesischen Hauptstadt vor gesundheitsschädlichem Smog gewarnt. Hinzu kommen die zahlreichen Industrieanlagen und die sich ausbreitenden Städte. Natürlich geht dies gleichzeitig mit einer (bei Weitem noch nicht flächendeckenden) Verbesserung des Lebensstandards einher, es bleiben jedoch auch soziale Spannungen nicht aus. Das zugrundeliegende Problem der oft fehlenden Nachhaltigkeit ist dabei sicherlich kein chinesisches, sondern ein weltweites, das aber in China besonders deutlich sichtbar wird. Herr Chen war interessanterweise der einzige Interviewpartner, der diese Schieflage konkret über einen Vergleich mit seinem derzeitigen Wohnort Deutschland benennt: »Umweltschutz in Deutschland oder in Europa, es gibt so viel Grün, der Himmel ist auch überall blau. Aber in China, wegen dieser Wirtschaftsentwicklung, hat so viele Bäume gefallen und die denken nur: ›Okay schneller Betrag in eigenem Portemonnaie haben.‹ Deswegen, denken nicht so viel an die Zukunft.« (Chen)
5.4.4 Schneller Erfolg und Hedonismus. Schieflagen etablierter kultureller Gegensätze Obwohl ein verantwortungsbewusster Blick in die Zukunft vielerorts fehlt und das auch in Deutschland verstärkt thematisiert wird, verwundert die gewinnorientierte und kurzfristig gedachte chinesische Position jedoch, zumindest im Hinblick auf die darauf anwendbare Kulturdimension. Auf Unternehmensebene lässt sich allerdings eine ganz ähnliche Tendenz beobachten, wie in der Interviewsequenz von Herrn Arendtmeyer zum Ausdruck kommt:
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»Chinesen planen nicht lange im Voraus. Chinesen schauen eigentlich nur, was kann ich morgen oder übermorgen haben, also kurzfristiger Erfolg scheint häufig interessanter zu sein als langfristiger Erfolg. Was ich heute haben kann, ist mehr wert als was ich in 1, 2, 3, 4, 5 Tagen, einer Woche haben könnte.« (Arendtmeyer)
In der bekannten Management-Literatur gehten diese Beobachtungen in der Dimension von Langzeit- versus Kurzzeitorientierung auf. Nach der »Chinese Value Survey« von Bond zu Beginn der 1980er Jahre ergänzte Hofstede 1991 seinen Dimensionenkatalog um eben dieses Paar (vgl. Hofstede 2010: 239). Asiatische Länder und allen voran China erreichen in Bezug auf die »long-term orientation« besonders hohe Zahlen und zeichnen sich demnach durch Werte aus, die zukunftsgerichtet sind, »in particular perseverance and thrift« (Hofstede 2010: 239). Deutschland hingegen zeigt laut der Studie eher eine »short-term orientation« (ebd.), die sich auf Vergangenheit und Gegenwart bezieht, das heißt »respect for tradition, preservation of ›face‹, and fulfilling social obligations« (ebd.). Diese Einteilung irritiert zunächst dadurch, dass das Wahren des Gesichts und das Befolgen sozialer Verpflichtungen doch meistens eher mit China verbunden werden. Die in den vorangegangenen Zitaten beschriebene Kurzfristigkeit im Denken auf der Makroebene der Regierung beim Thema Umweltschutz und auf der Mesoebene in Unternehmen scheinen die festgelegte Dichotomie ebenfalls aus dem Gleichgewicht zu bringen. Auch in anderen Beispielen lassen sich Verwerfungen nachverfolgen. So verbindet die Hofstede-Studie China als langzeitorientiertes Land mit besonders ausgeprägter Sparsamkeit (»thrift«, auch in Bezug auf Ressourcen), in Deutschland sei diese deutlich geringer ausgeprägt (vgl. ebd.: 239). Im Großen erscheint dies bei der Investitionsfreudigkeit Chinas und angesichts gewaltiger Ressourcenausbeutung fraglich. Im Kleinen verbindet beispielsweise Herr Seidel gerade eine »kostenbewusst[e]« Einstellung statt mit einer chinesischen mit einer typisch deutschen Eigenschaft: »Ich weiß, dass unsere chinesischen Kollegen des miteinander dann auch mehr machen, ähm, und ich weiß, dass andere Unternehmen des noch viel, viel mehr machen und viel essen gehen und so richtig German Entertainment rausblasen. Da sind wir dann vielleicht doch wieder zu deutsch und kostenbewusst.« (Seidel)
Allerdings schränkt er das Kostenbewusstsein auf sein Unternehmen ein, andere deutsche Unternehmen seien deutlich freigiebiger. Mitunter passt die HofstedeEinteilung also womöglich wieder. Dem gegenüber steht zudem die Aussage von Frau Song, die wie Herr Seidel in einem deutschen Unternehmen in China arbeitet:
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»Well, DEFINETELY there is a difference, ähm…of course with German colleagues, ähm, they are…most of all they are higher than I. So, it’s…I would say they enjoy life more. This is not…I think all the European companies are the same, you enjoy the life more than Chinese people [lacht].« (Song)
Hier sind die Chinesen deutlich weniger unternehmungslustig als im Zitat von Herrn Seidel. Gerade Freizeit sei in kurzfristig orientierten Ländern wie Deutschland wichtiger als in den langfristig orientierten (vgl. Hofstede 2010: 251), hierunter könnte das »enjoy life more« fallen. Angewendet auf den Wirtschaftsbereich stimmen auch durchaus noch weitere Punkte der HofstedeDimension mit den Erzählungen aus den Interviews überein. So ist bei der Langfristorientierung das »[i]nvestment in lifelong personal networks, guanxi« (ebd.) besonders ausgeprägt, das eigenständige Denken hingegen weniger. Beide Aspekte wurden in diesem Kapitel bereits skizziert. Auch »honesty« (ebd.) wird in Bezug auf Langfristorientierung als zentraler Wert genannt, der bei der chinesischen Interviewpartnerin Frau Song auch explizit angesprochen wird: »So this is I would say…this is working style. Be honest to others, ähm, you don’t hide something or you don’t try to play some tricks, you just be honest, this is something you learn quickly, be honest.« (Song) Allerdings sind hier zwei Dinge zu berücksichtigen. Denn Frau Song bezieht diese Äußerung auf etwas, das sie durch ihre Arbeit im Ausland und in internationalen Unternehmen »schnell gelernt« habe. Die Ehrlichkeit stellt sie auf eine Ebene mit Offenheit, wenn es im Arbeitsalltag darum geht, Schwierigkeiten und Probleme anzusprechen und damit Verantwortung zu übernehmen (»take responsibility«, Song). Nur so ist Hilfe von Seiten der Vorgesetzten möglich. Sie adressiert hier auch junge und unerfahrene chinesische Mitarbeiter, die aus Scham und Zurückhaltung Probleme eher verschweigen und weniger eigenverantwortlich handeln. Damit eng verbunden ist der zweite zu berücksichtigende Aspekt, nämlich dass eben diese Indirektheit und Zurückhaltung als genaues Gegenteil von Ehrlichkeit wahrgenommen werden kann – Herr Arendtmeyer hatte bereits erwähnt, dass er von seinen chinesischen Kollegen generell annimmt, dass sie unehrlich sind. Ehrlichkeit als festgelegter Wert muss in Interaktionen also relativiert werden, wenn beispielsweise Decodierungsmöglichkeiten fehlen. Es lassen sich also genauso leicht Beispiele finden, die die Dimension der Langfristorientierung unterstützen wie Gegenbeispiele angeführt werden können. Gerade durch die Einbettung der Unternehmen in globale (Wirtschafts-) Strukturen weichen die Elemente der Dimension deutlich auf. Das beginnt bei der reflektierten Haltung Herrn Chens zum Umweltschutz, der im Kontrast zum schonungslosen Umgang mit Ressourcen aufgrund wirtschaftlicher Interessen steht
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und den konfuzianischen Wert von »perserverance« (vgl. Hofstede: 236) konterkariert. Im Umkehrschluss würde Deutschland als kurzfristig orientiertes Land weniger investieren, weniger sparen und weniger langfristig planen – eine schwerlich verallgemeinerbare Aussage. Das Bewusstsein für nachhaltiges Wirtschaften lässt sich inzwischen nicht mehr entlang von Länder- sondern vielmehr von Unternehmensgrenzen definieren. Hier spielen viel zu stark Machstrukturen, das Ausmaß wirtschaftlicher Interessen und im mikrosozialen Bereich die Verankerung persönlicher Werte und Haltungen in die Gemengelage hinein. So kommt beispielsweise auch hinzu, dass nicht nur, aber besonders mittelständische Unternehmen auf dem chinesischen bzw. dem deutschen Markt gleichermaßen mit Qualität überzeugen müssen, wenn sie langfristig überleben wollen. Deutlich wird hier also eine kontinuierliche Veränderung bestehender Ordnungen. Damit verknüpft, wenn auch nicht durch die Kulturdimension abgebildet, ist auch das Beispiel der steigenden Innovationskraft Chinas. Das Bild vom (raub-) kopierenden Chinesen ist gerade im Wirtschaftskontext präsent, auch wenn der Prozentsatz betroffener Unternehmen laut Handelsblatt rückläufig ist (Handelsblatt vom 27.06.2012). Die Erklärung für die Kopierfreudigkeit suchen verschiedene Publikationen im traditionell ausgerichteten Bildungssystem Chinas, in dem Auswendiglernen und Imitation nach wie vor tonangebend sind. Nach einer im Spiegel zitierten Studie werden chinesische Unternehmen jedoch »zunehmend erfolgreicher bei der Entwicklung neuer komplexer Produkte« (WagnerNagy 2013 in Spiegel online vom 09.02.2013). Ob dies nun lediglich an wirtschaftlichen Erfordernissen oder der besseren persönlichen Entfaltung der Erfinder liegt, sei dahingestellt. Allerdings lassen sich bestimmte Entwicklungen kaum mehr in vorgegebene kulturelle Schubladen einordnen.
5.5 H ERZLICHKEIT UND D ISTANZ . D IE S UCHE NACH DEM VERBINDENDEN M ENSCHLICHEN In den Interviews fällt daher auch auf, dass die Inkommensurabilität der Unterschiede zumindest indirekt von einigen Akteuren wahrgenommen wird. Als Konsequenz suchen sie daher »Gemeinsamkeiten auf höherer Abstraktionsebene« (Cappai 2007: 97) und verleihen den gemachten Erfahrungen über »menschliche« Aspekte Sinn. Das geschieht zum einen auf der Ebene von ganz persönlicher Sympathie, die abgekoppelt ist von durchaus wahrgenommen Unterschie-
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den in Handlungspraxen oder Kommunikationsstilen. Frau Handke bemerkt dazu: »Na klar, das Menschliche ne. Also es gibt natürlich deutsche Kollegen, die ich lieber mag und Deutsche die ich weniger mag und das ist natürlich auf chinesischer Seite genauso, ne. Also, das ist, das ist klar, aber das hat also wirklich nichts damit zu tun, dass die einen Deutsche oder die anderen, also ich fühl mich nicht automatisch, weil jemand deutsch ist dem irgendwie näher verbunden oder so.« (Handke)
Frau Handke ist hier wieder in einer besonderen Ausgangslage, spricht sie doch fließend Mandarin und beschäftigt sich schon mehrere Jahrzehnte mit China. Während beispielsweise Herr Pfeiffer in diesem Kapitel weniger Mühe hatte, mit anderen Deutschen eine Beziehung aufzubauen (da der Umgang »kumpelhafter« als der mit den chinesischen Kollegen war), spielt dieser Aspekt bei Frau Handke gar keine Rolle, was aber sicher mit ihren besseren Kommunikationsmöglichkeiten, vielleicht auch mit einer »weiblicheren« Wahrnehmung in einer von Männern dominierten Arbeitsumgebung zu tun hat. Auch eine Form der Bündnisbildung mit anderen Deutschen, wie sie beispielsweise bei den Interviews mit deutschen Gesprächspartnern latent mitschwang, scheint hier außer Kraft gesetzt. Ganz ähnlich wie Frau Handke relativiert Herr Hong den nationalen Hintergrund seiner Kollegen und fokussiert stattdessen auf deren »Eigenschaften«, die sich im Arbeitsalltag offenbaren und einen Freund von einem bloßen Kollegen unterscheiden. Diese Differenzierung ist jedoch unabhängig von der nationalen Zugehörigkeit (»gibt’s auch gute Deutsche, gute Chinesen«) und beruht auf menschlichen Qualitäten: »Ja, generell gibt’s auch gute Deutsche, gute Chinesen. Das…die Sache in der Arbeit muss man lernen, muss man erkennen, welche Kollegen sind, kann…sein Freund. Manche habe ich nur eine Arbeitsbeziehung oder Arbeitskollegenbeziehung, manche kann man nachher behalten als einen guten Freund, wirklich. Weil durch die Arbeit sieht man, was sind die Eigenschaften von einem anderen. Ja, dann sieht man was.« (Hong)
Die Bedeutung, die er engen und freundschaftlichen Beziehungen auch außerhalb der Arbeitsumgebung beimisst, ist einmal über die bereits erwähnten renqing (im Sinne von »Mitmenschlichkeit« als Währung beim Aufbau von Beziehungen) erklärbar: »Das muss sich gut anfühlen. Wenn Sie immer so eine, ja, wie sagt man…ähm…ja, Freunde Herz zu Herz. Ja, wenn du mir was zeigst, dann zeig ich dir auch was. Wenn du
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100% mir bringst, dann finde ich du bist sehr gut. Dann denke ich mal an einen Freund. Deswegen, ich glaube das ist logisch überall.« (Hong)
Im Allgemeinen, aber besonders im Kontext von Arbeitsumgebungen, war diese sehr emotionale Färbung in der Beschreibung (»Herz zu Herz«) für mich recht ungewöhnlich. Auch die Bedingung der gegenseitigen Nutzbarmachung scheint hier besonders zu sein und eher mit der Idee von guanxi zusammenzufallen. Gleichzeitig betont Herr Hong erneut, dass dies »überall« »logisch« sei. Indirekt bestätigt wird dieser Erklärungsversuch von Herrn Müller, der auf die Frage, was er glaubt, was Chinesen sich von Deutschen in der Zusammenarbeit wünschen, antwortet: »Mehr Kommunikation, ähm,…mehr Austausch,…so die beiden Sachen hauptsächlich. Persönliches Kennenlernen. So Sachen.« (Müller) Nun ist der Wunsch nach »mehr Kommunikation« und »mehr Austausch« zum einen über die soziale Prägung interpretierbar, hinzu kommt aber besonders bei den befragten Chinesen, die in Deutschland leben und arbeiten, noch ein weiterer möglicher Aspekt. Denn häufig ist der Arbeitsplatz ein wichtiger Raum, um überhaupt soziale Beziehungen zu knüpfen. Zwar haben die interviewten chinesischen Arbeitnehmer in Deutschland auch dort studiert, sie sprechen Deutsch; allerdings ist der Freundes- und Bekanntenkreis meist ein chinesischer. Dasselbe lässt sich durchaus auch bei deutschen Expats in China beobachten, die oft gar keine Kontakte zu Chinesen haben, dafür jedoch – zumindest in den größeren Ballungsräumen – auf ein dichteres Netz an Angeboten zurückgreifen können. Da die Expansion chinesischer Unternehmen und damit chinesische Arbeitnehmer (bei Studenten sieht das etwas anders aus) in Deutschland noch wenig wahrgenommen werden, sind diese in höherem Maße auf sich gestellt. Hinzu kommt, dass chinesische Unternehmen häufig mehr Druck ausüben und dort Hierarchien stärker ausgeprägt sind, was wiederum die Atmosphäre der Firmen stark beeinflusst (mehr dazu in Kapitel 6.3). Und während deutsche Expats meist problemlos nach Deutschland zurückkehren können, ist es für chinesische Mitarbeiter in weniger hohen Positionen oft aus finanziellen und gesellschaftlichen Gründen deutlich schwerer kurzfristig wieder in ihrem Heimatland zu leben. Die soziale Situation, wie sie im Folgenden auch Herr Bach beschreibt, ist also angespannter, auch wenn meine chinesischen Gesprächspartner anders als im Beispiel nicht ganz »frisch aus China« kommen und deutsche Sprachkenntnisse besitzen: »Ich glaube eine Sache, die ein generelles Problem darstellt oder die ne generelle Gefahr darstellt, das ist tatsächlich die soziale Situation. Dass gerade Leute, die frisch aus China kommen, weil die sich hier nicht auskennen, die Sprache nicht sprechen, sowieso sehr viel
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im Büro gefordert sind, dass die, ganz salopp gesagt, in der Woche 50, 60 Stunden im Büro knechten und am Wochenende hocken die dann in der Butze. Und wenn’s hochkommt gehen die mit den Kollegen zum Karaokeabend, ja. Aber das war’s dann auch.« (Bach)
Dadurch wird auch das Anliegen verständlicher, auf einer menschlichen Ebene Anschluss zu finden. Im Endeffekt wird hier einerseits ein generelles Problem von Migranten in Deutschland exemplarisch sichtbar, die, wie meist gesellschaftspolitisch gewünscht, angepasst und beruflich integriert sind, aber eben immer noch als »anders« kategorisiert werden und Berührungsängste bestehen. So versucht Herr Luo auf seine deutschen Kollegen zuzugehen, er findet aber auch, dass Deutsche sich »mehr öffnen« und »nicht so zugeschlossen [lacht]« (Luo) sein sollten. Gleichzeitig betont Moosmüller (2007) bei seiner Untersuchung der »Lebenswelten von ›Expatriates‹« jedoch andererseits deren diasporische Lebensform. Er sieht darin die »verstärkte[…] Suche nach Ähnlichem, Gewohntem, ›Heimischen‹« (ebd.: 483), was Brah (1996) unter den Begriff »homing desire« fasst. Die daraus folgende Vernetzung mit der Diasporagemeinde schätzt er allerdings im Gegensatz zu den arbeitgebenden Unternehmen als nicht ausnahmslos negativ ein. Arbeitserfolg und Anpassung stehen demnach nicht zwangsläufig im Verhältnis zueinander (vgl. ebd.). Dass der Wunsch nach Austausch aber natürlich auch von deutscher Seite besteht und dabei durchaus auch Probleme auftreten können, zeigt das Zitat von Herrn Müller: »Mit China ist es nur oftmals so, dass sich viele Kollegen ja gar nicht trauen, einen persönlich anzusprechen, find ich, weil…bei Managern ist das egal. Als ich letztes Jahr in China war, war ich mit einigen Vertriebskollegen unterwegs und das war am Anfang sehr, sehr förmlich noch und am Ende war das, ging’s ums Klettern, um Gott, um…also in China muss man dazu sagen, um ähm, dass der chinesische Staat endlich vietnamesische Putzfrauen zulassen soll, weil die sehr viel gewissenhafter sind als die Chinesen vom Land. Haben Chinesen gesagt. Also ganz alltägliche, sag ich mal, Themen, ähm…, was ja die persönliche Bindung dann auch nur verstärkt hat, das merkt man schon, dass bei chinesischen Kollegen manchmal, ähm, dieser Mix privat und persönlich, äh Arbeit, nicht so extrem ist, oder dass da noch Hemmungen sind, find ich.« (Müller)
Im ersten Teil wird die Verbindung zu Herrn Müllers Einschätzung, dass sich Chinesen nämlich »mehr Austausch« wünschen, gut sichtbar. Allerdings ist die Zurückhaltung auf chinesischer Seite recht hoch, der Wunsch könnte also durchaus auch als eine Art Appell an die deutschen Kollegen gedeutet werden, die Initiative zum Austausch zu ergreifen. Dabei ist zu beachten, dass Herr Müller hier nicht mit Chinesen, die schon länger in Deutschland leben, zu tun hat, sondern
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als Ausländer in China wahrgenommen wird. Dabei spielt auch die Position von Herrn Müller eine Rolle, der selbst Manager ist und auf dieser Ebene auch keine Kommunikationsprobleme hat (»bei Managern ist das egal«). Seine hierarchisch höhere Position gegenüber den Vertriebskollegen kann damit zum »förmlichen« Verhalten der Chinesen beigetragen haben. Allerdings ist dann eine Wende feststellbar, bei der diese Förmlichkeit in eine lockere Gesprächsatmosphäre umschlägt, was Herr Müller anhand der besprochenen Themen illustriert. Das Ergebnis war, dass die »persönliche Bindung« »verstärkt« wurde. Dazu muss ergänzt werden, dass Herr Müller fließend Chinesisch spricht, was bei den meisten deutschen Managern, die eine berufliche Verbindung zu China haben, nicht der Fall ist. Dass ihm die »persönliche Bindung« ähnlich wichtig ist wie beispielsweise Herrn Hong, wird in einem weiteren Abschnitt deutlich: »Persönliche Bindung, also das ist alles, also…. Ein Kunde oder auch ein Kollege, zu dem ich geh und frag: ›Wie geht’s der Frau, dem Mann, dem Kind oder dem Auto, das ich auf Facebook gesehen habe‹ [lacht]. Keine Ahnung, das ist, das schafft halt ne Bindung, ja. Und dass man sich halt auch so näher...wie letzte Woche Vertriebsschulung, da trifft man dann Leute, mit denen man seit 2, 3 Jahren zusammenarbeitet und noch nie gesehen hat. Und davor, hört sich dumm an, aber kommt ne Email von der Person rein, mach ich später, kennt man die Person, hat ne Bindung zu der Person, was schreibt der. Und das zieht sich, zieht sich diese persönliche Bindung, durch Telefonate, Email, Chatverkehr alles […]. Und da, ähm, geht’s eigentlich nur um die persönliche Bindung. Sonst könnt ein Roboter meine Arbeit machen.« (Müller)
Die »persönliche Bindung« ist für Herrn Müller im Arbeitsalltag also nicht nur ein Asset, sondern ein ganz zentraler Bestandteil (»das ist alles«), der den menschlichen Aspekt betont (»Sonst könnt ein Roboter meine Arbeit machen.«). Dies gelingt vor allem über direkte Kontakte, durch die auch bereits bestehende virtuelle Verbindungen im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesicht und damit auch mehr Aufmerksamkeit erhalten. Allerdings nutzt Herr Müller anders als Herr Hong in diesem Zusammenhang nicht den Begriff der Freundschaft bzw. spricht von den Kollegen als Freunde. Die Beziehung erleichtert die Zusammenarbeit, sie schafft eine angenehmere Atmosphäre, es geht aber nicht in erster Linie darum, neue Freundschaften aufzubauen (die sich natürlich aber daraus entwickeln können). Hier hinein spielt natürlich das Konzept von Freundschaft, das in Deutschland meist stärker emotional besetzt ist und für kurzfristige Bekanntschaften und Arbeitskontakte eher nicht verwendet wird (vgl. Pohl 2004: 136). Während allerdings Hall (1990) in seiner Untersuchung der »German Culture« dies noch stark mit formalisierten und distanzierten Höflichkeitsstandards ver-
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bindet (vgl. ebd.: 48-49), spielt diese Art der Etikette im internationalisierten Unternehmen von Herrn Müller kaum eine Rolle bzw. manifestiert sich in anderen Umgangsformen. Auch in den anderen Interviews hat der Höflichkeitsaspekt seine Bedeutung verloren. Was in dieser Hinsicht jedoch wieder gängige Vorstellungen irritiert, ist die Bemerkung von Herrn Müller im ersten der beiden Zitate. Er erwähnt, dass »bei chinesischen Kollegen« »dieser Mix privat und […] Arbeit« »nicht so extrem« sei. Gerade das Konzept der guanxi und die aus der Dimension des Kollektivismus herangezogene Loyalität – auch zur eigenen Firma – lässt eigentlich vermuten, dass die Vermischung von Privat- und Berufsleben eher stärker ausgeprägt sein müsste als bei deutschen Kollegen, was in den gängigen Kulturstandards auch immer wieder so zu finden ist (vgl. z.B. SchrollMachl 2007: 73). So erlebt Frau Song, ganz anders als Herr Müller, bei ihren deutschen Kollegen tatsächlich eine stärkere Trennung von Berufs- und Privatleben, was sie auch für sich als angenehm empfindet. Chinesen würden diese Trennung jedoch häufig nicht respektieren, was wiederum für den »Mix privat und […] Arbeit« spicht: »I think first of all privacy is privacy, this is very clear in German people’s mind, privacy. They will not ask you private questions and don’t interfere and also respect your spare time, for example you have to take the overtime and you can spend if you have reasons or personal reasons, but here [in China, A.S.] sometimes this is not respected. Ähm, and I also miss the, we can discuss things quite open and direct. I like that.« (Song)
Die gegensätzlichen Beispiele von Herrn Müller und Frau Song machen im Vergleich deutlich, dass bestimmte Kontexte und Wahrnehmungen festgelegte Kategorien aufweichen können. Die Bedeutung der menschlichen Ebene lässt sich jedoch nicht nur in Bezug auf kollegiale und freundschaftliche Beziehungen im Berufsalltag ausmachen, sondern sie spielt auch bei der aktiven Gestaltung der Arbeitsumgebung eine Rolle. Herr Frei erzählt so im folgenden Abschnitt, wie die Rekrutierung eines Vertriebsmitarbeiters abgelaufen ist und auf welcher Grundlage er seine Entscheidung für einen bestimmten Kandidaten gefällt hat: »Ähm, also jetzt rein von der Firma her, wir hatten jetzt so…am Anfang Partnerschaft mit nem heutigen Wettbewerber von uns und der hat, das Vertriebssystem von dem ham wir genommen. Und da war am Anfang…hatten die vier gleichberechtigte Vertreter in ganz China, die sich aber eigentlich China hätten teilen sollen, aber sich immer gegenseitig bekriegt ham. Und da ham wir dann innerhalb von nem Jahr praktisch aus der Erfahrung raus, äh, rein menschlich erst mal einen abgeschöpft, wo wir gesagt haben, des ist eigent-
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lich der, der uns am sympathischsten ist, mal abgesehen davon, ob er jetzt der Beste oder der Schlechteste ist. Und ham dann gesagt, ok, den nehm wir und die andern nehm wir nimmer, weil die machen nur die Preise kaputt. Und das hat sich jetzt im Nachhinein als richtig gut rausgestellt, weil der ist wirklich gut. Und den ham wir auch heut noch, obwohl wir mit der Firma nix mehr arbeiten. Des war vielleicht so aus den Erfahrungswerten raus, die wir jetzt, gut hat vielleicht nix mit Kultur zu tun, aber was rein Menschliches, weiß nich, wie ich das genau erklären soll. Gibt ja auch doofe Deutsche [lacht].« (Frei)
Die kurze Erzählsequenz beginnt mit einem Problem: Aufgrund des Vertragspartners stehen vier mögliche Kandidaten als Vertriebsleiter zur Auswahl, die aber in einen Konkurrenzkampf verwickelt sind. Nach einer Beobachtungszeit fiel die Wahl schließlich auf denjenigen, der dem Leitungsteam »am sympathischsten« war – unabhängig von dessen fachlichen Qualitäten. Diese intuitive Entscheidung auf Basis ganz subjektiver Präferenzen war für die Firma letztendlich die richtige, die Zusammenarbeit mit dem Vertriebsmitarbeiter und dessen Leistungen sind zufriedenstellend. Für Herrn Frei war diese Erfahrung wiederum Teil eines Lernprozesses (»aus den Erfahrungswerten raus«). Das, was er als »rein Menschliches« beschreibt, scheint für ihn dabei einen besonderen Stellenwert einzunehmen. Er stellt dem beinahe entschuldigend voran, dass diese Erkenntnis »vielleicht nix mit Kultur zu tun« hat. Das ist sicherlich der Interviewsituation geschuldet, in der es ihm wichtig erschien, gerade die deutschchinesischen Reibungspunkte für mich aufzudecken, die in seinem Beispiel aber eigentlich gar keine Rolle spielen. Allerdings bleibt diese intuitiv geleitete Erfahrung schwer greifbar, so relativiert er sie durch das Adverb »vielleicht« und gibt an, dass er Schwierigkeiten hat, sie in Worte zu fassen (»weiß nich, wie ich das genau erklären soll«). Allerdings schiebt er einen bemerkenswerten Satz nach: »Gibt ja auch doofe Deutsche.« Damit versucht er erneut, die scheinbar naheliegende Annahme, »Kultur« sei verantwortlich für bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen, aufzubrechen und den Fokus zurück auf das »rein Menschliche[…]« zu legen, das eben auch für einen funktionierenden Arbeitsalltag bedeutsam ist. Metaperspektivisch betrachtet beschreibt Herr Frei hier eine besondere Fähigkeit, die es ihm erlaubt, von unterschiedlichen Handlungs- und Kommunikationspraxen zu abstrahieren bzw. gleichsam dahinter zu blicken. Das »rein Menschliche[…]« zeigt dann gewissermaßen eine kulturunabhängige Gemeinsamkeit. Umgangssprachlich könnte das damit ausgedrückt werden, dass hier zwischen zwei Arbeitsakteuren »die Chemie stimmt« und ähnliche Werte vorhanden sind, die dann im Einklang mit dem Verständnis einer guten Zusammenarbeit sind.
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Die Idee von der Verbindung auf einer basalen menschlichen Ebene wird auch virulent, wenn es darum geht, die Ursache von möglichen Konflikten im Arbeitsumfeld zu erklären. Das folgende Zitat von Herrn Seidel ist eigentlich Teil der Erläuterung seines Aufgabengebiets im Controlling. Er erklärt zunächst, dass die entsprechenden finanziellen Kontrollmaßnahmen strukturell vorgegeben sind, um die Vorstellung eines CFO im Sinne eines strengen »Aufpassers« abzuschwächen und damit Problemen vorzubeugen: »Denn, am Ende und das ist zutiefst menschlich und hat mit Chinesen und Deutschen nix zu tun, keiner kontrolliert sich ja gerne und er kann sich ja ned drauf verlassen, dass sein eigener Vertrieb sich schon kontrolliert, in den Sachen wo er schwach ist.« (Seidel) Die angedeutete Konfliktprävention begründet Herr Seidel mit der »zutiefst menschlich[en]« Abneigung gegen das Abverfolgen gerade von Schwachstellen. Das Adverb »zutiefst« illustriert die Vorstellung, dass es sich hier um etwas tatsächlich tiefliegend Verbindendes handelt. Sogleich ergänzt Herr Seidel dann auch, dass es hier eben nicht um nationengebundene Charakteristika geht (»hat mit Chinesen und Deutschen nix zu tun«). Dadurch macht er deutlich, dass er die Problematik selbst empathisch und emotional nachvollziehen kann. In einer weiteren Sequenz reflektiert er noch etwas genauer, hierbei spricht er Reibungen zwischen Mitarbeitenden aus verschiedenen Abteilungen an: »Des kann ich so ungeschützt behaupten, weil das wohl das Menschlichste per se ist. Die einfach des Empfinden ham, ich arbeite viel härter als der, der hat ne Allergie gegen Arbeit, das Empfinden gibt’s ja auch. Oder wo Leute denken, ah, der ist ned so arg qualifiziert. Das muss ned stimmen, aber das EMPFINDEN, ergo, man kann ned so gut miteinander. Oder aber, es gab mal in der Vergangenheit, rein fachlich verursacht, gab’s nur nen Disput und der wurd’ dann aber persönlich oder persönlich EMPFUNDEN, ja. Da kommt wieder der Gesichtsverlust ins Spiel. Geh’n Sie ned davon aus, dass der Logistikleiter glücklich darüber ist, dass man ihm vorgemacht hat, wie die Logistik auszusehen hat. Aber in Deutschland wär’ er’s auch ned.« (Seidel)
Interessant ist zunächst sein Eingangssatz im Zitat, in dem sich Herr Seidel gewissermaßen verbal aus der geschützten Zone politischer Korrektheit zurückzieht. Er bezieht sich demzufolge nicht auf Chinesen oder Deutsche, deren möglicherweise negative Charakterisierung als ethnozentrisch oder eben politisch inkorrekt ausgelegt werden könnte, sondern auf »das Menschlichste per se«, also etwas, das alle gleichermaßen betrifft und daher keine Auf- oder Abwertung des Eigenen oder des Anderen mit sich bringt. In den nächsten Zeilen legt Herr Seidel die Betonung auf das persönliche Empfinden von Personen, mit denen er beruflich zu tun hat. Konflikte entstehen demnach durch die subjektive Deutung
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von Sachverhalten oder die Vermischung von persönlicher und Sachebene. Nach dieser Meta-Reflexion geht er jedoch plötzlich auf die Möglichkeit des »Gesichtsverlust[es]« ein und meint damit implizit den chinesischen Logistikleiter, von dem er anschließend spricht. Er geht hier also nun doch auf eine chinesische Typik ein, die er dann aber gleich wieder relativiert. Denn auch ein deutscher Logistikleiter in der gleichen Lage würde wahrscheinlich ähnlich denken und reagieren (Herr Seidel meint m.E. mit dem Zusatz »in Deutschland« tatsächlich einen Deutschen). Letztendlich sind kulturelle Aspekte zwar identifizierbar, sie gehen nach Herrn Seidel allerdings in allgemein menschlichen Eigenschaften und Handlungspraxen auf.
5.6 K ULTUR
UND
N ATIONALITÄT . Z WISCHENFAZIT
In deutsch-chinesischen Arbeitsbeziehungen werden Unterschiede zunächst erwartungsgemäß entlang nationaler Grenzlinien wahrgenommen. Auch die etablierten Dimensionsmodelle lassen sich in den Interviewpassagen wiederfinden. Der Fokus auf nationalkulturelle Differenzen ist zum einen damit erklärbar, dass die Interviewsituation in Verbindung mit dem kommunizierten Forschungsanliegen eine solche Perspektive besonders nährte. Zum anderen spielt aber auch die genannte »Primordialität des Nationalgefühls« (Dreher 2005: 73) eine Rolle. Gerade im Kontext China/Deutschland, in dem Alterität ganz basal zuerst an physischen Merkmalen, dann aber auch an divergenten Standardisierungen bzw. Normalitäten deutlich wird, werden nationenbezogene Unterschiede leicht virulent. Trotz dieser scheinbar klaren Trennlinien sind die Wahrnehmungen der Akteure jedoch sehr viel komplexer. Das wurde an den verschiedenen Bewertungen deutlich, die sich auf durchaus gleich identifizierte Unterschiede als gemeinsame Eckpunkte bezogen. Die Erschütterungen bekannter Normalitäten werden dabei tendenziell zwar eher negativ bewertet, es tauchen aber auch positive Zuschreibungen des Anderen auf. Außerdem zeigen die oft konträren Selbst- und Fremdbilder sowohl unter den deutschen bzw. chinesischen Akteuren als auch bei der Gegenüberstellung deutscher und chinesischer Wahrnehmungen, dass die geäußerten Annahmen keinesfalls kohärent sind. Die Gründe dafür können in zwei Bereichen ausgemacht werden: Zunächst sind kulturelle Handlungspraxen immer einem Wandel unterworfen. Nicht erst seit dem »Bröckeln der Grundfeste essentialistischer Kulturbegriffe« (Bolten 2009a: 92) und der lauter werdenden Kritik an der starren »Container-Theorie der Gesellschaft« (Beck 1998a: 49) ist die Gleichzeitigkeit von Kultur und Prozesshaftigkeit sowie vor allem der Kon-
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textgebundenheit nationalkultureller Standardisierungen wissenschaftlicher Konsens. Nun war China bis zum Tod Mao Zedongs 1976 im Vergleich zu anderen Ländern durch seine politische Ausgangslage und die jahrzehntelange Abschottung sicherlich ein Sonderfall. Dem gegenüber steht die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes, mit der gesellschaftliche und individuelle Veränderungen kaum Schritt halten können (Stichwort moralisches Vakuum). Die daraus entstehende Desorientierung beschreibt die Soziologie unter dem Begriff der »Anomie« (vgl. Schultheis 2007: 59) – es fehlen »Koordinaten und Orientierungen« (ebd.), an denen die Akteure ihre »Erwartungen und Handlungen« (ebd.) ausrichten können. Trotz dieser komplexen Gemengelage sind kulturelle Entwicklungen doch auf einer allgemeinen, makrosozialen Ebene spürbar: »An den Persönlichkeiten merkt man’s bis jetzt noch nicht so viel, was man schon merkt ist einfach, ähm, dass sich einfach so bestimmte althergebrachte Verhaltensweisen, auf die man sich zum Teil auch ziemlich blind verlassen konnte, auflösen« (Bach). Obwohl Herr Bach Veränderungen auf individueller Ebene noch nicht deutlich ausmachen kann, was wiederum mit der erwähnten Diskrepanz wirtschaftlich-makropolitischer und individueller Entwicklungen zusammenhängen mag, zeichnen die Interviews ein etwas ausdifferenzierteres Bild. Ausgehend von der Idee, dass sich ein Kollektiv aus den »partielle[n] Gemeinsamkeit[en] der ihm zugeordneten Individuen« (Hansen 2009a: 27) konstituiert, vereint der Einzelne im Umkehrschluss mehrere Kollektivzugehörigkeiten in sich – Hansen (2009a) spricht hier von »Multikollektivität« (ebd.: 20). Dadurch rücken spezifische Konstellationen von Kollektiven aus der Perspektive einzelner Akteure ebenso in den Blick (vgl. dazu auch Bolten 2009a: 96). Neben den standardisierten Veränderungen sind also auch deren Ausprägungen auf individueller Ebene in Form unterschiedlicher Relevanzsysteme bzw. Bezugsrahmen spürbar. Dadurch gleicht auch keine »logic of construction« (Holy 1987: 12 zit. in Cappai 2007: 97) der anderen, auch wenn durch stabilisierende Kollektivnetzwerke Ähnlichkeiten durchaus auszumachen sind. Wahrnehmungen und Interpretationen müssen dann einerseits im Licht des jeweiligen Kontextes und andererseits in dem des jeweiligen Bezugsrahmens gedeutet werden. Dabei spielt die Variation deutscher Unternehmen in China und chinesischer Unternehmen in Deutschland zunächst keine vordergründige Rolle. Was aber in diesem Zusammenhang indirekt bedeutsam wird, ist die Vielfalt der Kollektivzugehörigkeiten und damit die persönlichen Erfahrungen der interviewten Akteure. So nimmt Herr Arendtmeyer als Deutscher in Deutschland ohne Chinaerfahrungen oder einem längerfristigen Kontakt mit Chinesen das für ihn Fremde eher als unangenehm und irritierend wahr. Ziel seiner Erzählungen ist daher, die »Beunruhigung des Fremden zu tilgen« (Ricken/Balzer 2007: 65), indem er es eher abwertet.
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Andere Interviewpartner wie Frau Handke, Herr Müller oder Herr Hong haben bereits mehr oder weniger stabile Anknüpfungspunkte an weitere Kollektive gefunden. Das heißt, dass das Fremde bereits als weniger bedrohlich und vielmehr als eine Erweiterung des Eigenen wahrgenommen wird. Differenzen werden zwar in ähnlicher Weise identifiziert, sie sind aber bereits vertraut(er) und Bestandteil einer wahrgenommenen Normalität (vgl. Rathje 2009a: 96). Dabei gibt es natürlich auch Anpassungsversuche, die partiell zu beobachten sind und bei den chinesischen Interviewpartnern stärker ausgeprägt erscheinen. So bestätigt Herr Chen: »[…] im Verhältnis, ich würde sagen meistens nach europäischer oder nach deutscher, äh, Methode richten« (Chen). Allerdings scheint sich die »europäische« bzw. »deutsche« »Methode« mit wirtschaftsrelevanten Handlungsroutinen zu überlagern. Das zeigte sich beispielsweise daran, dass sich Herr Müller und Herr Li für mehr Offenheit chinesischer Mitarbeiter aus Gründen unternehmerischer Effizienz aussprachen. Bei einigen Interviewpartnern verwässerten beobachtete Differenzen mitunter auch in der allgemein verbindenden Gemeinsamkeit des »Menschlichen«. Ricken/Balzer (2007) warnen in diesem Zusammenhang vor einer »Nivellierung und Bagatellisierung« (ebd.: 67) von Unterschieden. Angemessener sei eine »Differenzsensibilität« (ebd.), die Alterität anerkennt und damit konstruktiv umgeht. Den interviewten Akteuren waren Unterschiede in ihrem Arbeitsumfeld trotz ihres Bezugs zum »Menschlichen« durchaus bewusst, sie haben diese klar benennen können. Zudem reflektieren sie ihre Ansichten und können Unterschiede nebeneinander bestehen lassen, was wohl auch das Anliegen der »Differenzsensibilität« (ebd.) berücksichtigt. Die Passage aus dem Interview mit Herrn Seidel illustriert diesen Aspekt nochmals recht gut: »Dies hier ist CHINA. Und sicherlich, jeder von uns, ich inklusive, vergleicht, subkutan geht das schon los, beim Autofahrn oder im Restaurant, aber Sie müssen es einfach akzeptieren: Dies hier ist CHINA« (Seidel). Nach Cappai (2007) gehört zu einem angemessenen Umgang mit dem Anderen auch, die »Verglichenen« (vgl. Cappai 2007:99) in die Überlegungen zu wahrgenommenen Unterschieden einzubeziehen. Das allerdings ist in den Interviews schwer zu erkennen, auch wenn es indirekte Hinweise darauf gibt. So forderte beispielsweise Herr Müller, dass Deutsche und Chinesen gleichermaßen jeweils unbekanntes Verhalten gespiegelt bekommen, um dadurch das eigene Verhalten bewusst zu machen und zu reflektieren (Müller). Ein weiteres Indiz ist das Erlernen der jeweils anderen und jeweils nicht ganz leichten Sprache, das von Interesse an anderen Perspektiven zeugt. Allerdings – und das wird im Laufe der Arbeit noch deutlicher – ist eine solche reflektierte Haltung keine konstante und wird immer wieder auf die Probe gestellt. Moosmüller (2007) verweist da-
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rauf, dass der Umgang mit interkulturellen Irritationen bei Expats (aber auch bei Mitarbeitern in ausländischen Firmen) nicht nur von deren Charakter oder deren Kompetenzen abhängt, sondern ebenso von der Tagesform, von Stimmungslagen, der Situation und »tagespolitischen Konstellationen« (ebd.: 485). In summa nehmen die befragten Akteure bekannte, als national bezeichnete Unterschiede in der gleichen Weise wahr wie sie diese mitunter konterkarieren und durch verschiedene Relevanzsysteme gefiltert und kontextualisiert wiedergegeben. Dadurch entsteht ein Mosaik, das je nach Einstellung der Linse des Beobachters ein recht klares Bild oder eben scheinbar nicht zueinander passende bunte Teilchen erkennen lässt. Bei der Betrachtung der jeweiligen Mosaikausschnitte muss daher auch immer berücksichtigt werden, dass die Interviewpartner aus einer oder sogar aus mehreren Rollen ihres Bezugsrahmens heraus kommunizieren und – wenn auch nicht immer bewusst – implizite Absichten transportieren. Bei Herrn Arendtmeyer hatte ich so beispielsweise den Eindruck, dass er das Gespräch als Ventil nutzte, um seine angestaute Frustration zu mindern, sich aber gleichzeitig als kompetent im Umgang mit den Irritationen positionieren und mir Deutungen für seine Erfahrungen anbieten wollte. Generell war es den Interviewpartnern ein Bedürfnis, die von ihnen genannten Unterschiede nachvollziehbar zu machen und ihre persönliche Haltung im Gespräch zu transportieren. Bei den erfahreneren Gesprächspartnern mischte sich dabei das Interesse an der Thematik des Interviews und die Möglichkeit einer Selbstreflexion mit der Absicht, den Erfahrungsschatz und die damit verbundene Kompetenz sichtbar zu machen. Die jüngeren und vor allem chinesischen Interviewpartner neigten dazu, ihre Erfahrungen in Deutschland positiv zu färben, ohne dass ihnen abgesprochen werden soll, dass dies nicht ihrem Empfinden entspräche. Dabei wurden die Richtungen der Erzählungen natürlich auch mehr oder weniger bewusst von mir als Interviewerin gesteuert (vgl. dazu auch Cappai 2007: 98). Die Bestandsaufnahme der verschiedenen Wahrnehmungen und der Konstruktionen des Anderen (s. folgende Grafik) lässt bereits daraus entstehende Spannungsfelder in der alltäglichen Interaktion erahnen. Doch was passiert nun eigentlich, wenn unterschiedliche Deutungsmuster aufeinandertreffen und Normalität irritiert wird? Und wie gehen die involvierten Akteure damit um, das heißt, wie stellen sie Normalität für sich wieder her?
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Abbildung 2: Übersicht wahrgenommener Bruchlinien
Quelle: eigene Grafik
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6. Wenn Unterschiede zum Problem werden. Kommunikative und strukturelle Spannungsfelder
Im vorangegangenen Kapitel ging es darum, wahrgenommene Differenzen und die Bruchlinien von Normalitäten nachzuzeichnen (zur Übersicht s. vorangegangene Grafik). Je nachdem, wie diese Verwerfungen empfunden, bewertet und kontextualisiert werden, kann daraus ein mehr oder weniger großes Potential für kommunikative Spannungsfelder entstehen. In den Interviews bauen sich diese Spannungsfelder zum einen über direkte Kontakte, zum anderen aber auch über die beschriebene Wahrnehmung und Gefühlslage der Akteure auf. Dabei kommt es mitunter zu »Situationen partieller Unübersetzbarkeit« (Cappai 2007: 99), das heißt, dass die Diskrepanzen bei den unvermeidlichen Vergleichen nicht sinnhaft eingeordnet werden können, besonders wenn dabei auch noch starke Emotionen involviert sind. Verstehen gelingt dann nur mit Mühe oder gar nicht. Die wahrgenommenen Folgen dieser Irritationen sind allerdings weit aufgespannt und hängen von Persönlichkeit, Erfahrungshorizont, der Haltung und Tagesform, das heißt dem Bezugs- und Orientierungsrahmen der Akteure, ab. Im Folgenden werden nicht alle genannten Unterschiede wieder aufgenommen und teilweise kommen neue Aspekte hinzu, die hier zur Illustration der Spannungsfelder geeignet sind. Dabei spielen wieder nationalkulturelle Reibungspunkte eine Rolle, die aber um ganz andere Verwerfungslinien ergänzt werden und sich über berufliche, aber auch private Kontexte erstrecken. In den Erzählungen werden zudem bereits erste Handlungsoptionen für den Umgang mit den beschriebenen Spannungsfeldern skizziert.
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6.1 D ER INTERKULTURELLE K LASSIKER . S PANNUNGSFELD V ERHANDLUNGEN Eine besondere Form der beruflichen Interaktion sind Geschäftsverhandlungen. Sie sind an dieser Stelle insofern interessant, als dass sie besonders in der Ratgeberliteratur häufig als Critical incident zur Beschreibung »interkultureller Konfliktsituationen« herangezogen werden (vgl. Kinast 2003: 171). In den Interviews haben sich zu diesem Thema besonders die Erzählungen von Herrn Weiß herauskristallisiert. Sie unterscheiden sich allerdings von den konstruierten Ausgangssituationen in den Ratgebern. Denn Herr Weiß ist nicht China-unerfahren wie die gängigen Protagonisten der Critical incidents, die Irritationen aus Unkenntnis nicht sinnhaft einordnen können. Vielmehr lebt er bereits über zwei Jahrzehnte in China, ist dort verheiratet und spricht fließend Mandarin. Gerade deshalb sind seine Ausführungen jedoch besonders bedeutsam, denn hier zeigt sich, wie Normalität angesichts eines vergleichsweise langen, direkten Kontaktes konstruiert wird oder aber unter Umständen auch nicht. 6.1.1 Columbo auf dem Kunstledersofa. Verhandlungssettings Im ersten Zitat von Herrn Weiß erläutert er, wie eine Verhandlung mit chinesischen Geschäftspartnern in den Grundzügen abläuft. Dem setzt er allerdings voran, dass es trotz des immer gleich ablaufenden »Schema[s]« noch »viele Dinge« gibt, die er und seine Kollegen »nicht verstehen«: »Na gut, ich mein, wir versuchen da immer natürlich, in dem Sinne relativ vorsichtig ranzugehen, eben weil wir viele Dinge einfach nicht verstehen, jetzt mal unabhängig von der Sprache. Na gut wie läuft das ab, Verkaufsverhandlungen oder früher Einkaufsverhandlungen, man sitzt immer, ist immer der gleiche Ablauf, ist immer das gleich Schema, du kommst irgendwo rein in irgendein komisches Büro, sitzt auf irgendnem Kunstledersofa in der Runde, dann wird dir erstmal Tee angeboten, dann redeste erstmal übers Wetter, über alles Mögliche. Gut, das machste in Deutschland ja auch oft, aber, aber dann so, es wird nie richtig konkret. Es ist immer irgendwie, du redest immer im Kreis, aber kommst nie so richtig auf den Punkt. Ich mein, das ist dir vielleicht hier schon mal aufgefallen, wenn du hier auf den Markt gehst. Du wirst doch nie, du kriegst nie konkrete Antworten. Wenn du fragst: ›Was kostet das?‹ Du legst es hin, zeigst es. Du kriegst immer erstmal die Rückfrage: ›Zhe ge [Das hier, A.S.]?‹ Immer, grundsätzlich. Du wirst NIEMALS ne Antwort, ne direkte Antwort bekommen.« (Weiß)
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Zunächst scheint sich zu Beginn der Erzählung eine Diskrepanz aufzutun zwischen der vorsichtigen Herangehensweise der deutschen Delegation aus Gründen des Nicht-Verstehens und der dabei genauen Kenntnis des Ablaufs einer Verhandlung, die schon mehrfach in dieser Form durchexerziert wurde. Die Beschreibung lässt sogar auf eine gewisse Austauschbarkeit schließen, es ist »irgendein komisches Büro« und »irgend[ein] Kunstledersofa« – dass die Konnotation dabei durchaus etwas abfällig ist, deutet schon darauf hin, dass Herrn Weiß die Situation eher unangenehm ist. Die nachfolgenden Rituale, wie Tee trinken und Smalltalk betreiben, gehören ebenfalls noch zu vertrauten Handlungspraxen, wie der Verweis zeigt, dass dies in Deutschland »auch oft« gemacht werde. Dann allerdings zeichnet sich ein Bruch ab, wenn nämlich das Gespräch »nie so richtig auf den Punkt« kommt, es also zu keinem konkreten Ergebnis führt. Um diesen Aspekt weiter zu verdeutlichen, spricht Herr Weiß eine alltägliche Situation an, die sowohl Einheimische als auch Touristen kennen, nämlich das Verhandeln auf den zahlreichen chinesischen Straßenmärkten. Hier weichen die Händler »immer erstmal« der Frage nach dem Preis aus. Die Wortreihung von »immer, grundsätzlich« und schließlich das betonte »niemals« drückt einerseits aus, dass Herr Weiß hier mit einem als feststehend erlebten Kommunikationsmuster konfrontiert ist, das ihn andererseits jedoch zu frustrieren scheint. Auch die Anschlusskommunikation an einen solchen ersten Verhandlungsablauf gestaltet sich nach Herrn Weiß ganz anders als das in Deutschland der Fall wäre: »Und ich glaub, das hat mit Kommunikation zu tun, ich weiß es nicht, aber wenn du in Deutschland normalerweise fragst, gut, wir haben jetzt das und das besprochen, so oder so, dann sagste mir ja oder nein, aber man ist sich relativ schnell einig. Jetzt auch vielleicht nochmal ne kurze Kontrollfrage, dass auch alles verstanden ist, aber damit hat sich des. Aber hier, wenn das, äh, am nächsten Tag bespricht man das gleiche Thema wieder und ist alles anders.« (Weiß)
Die Fortführung der Verhandlung ähnelt auch im zweiten Zitat dem »im Kreis«Reden, gefühlte Abmachungen haben am nächsten Tag keine Bedeutung mehr. In Deutschland wäre das kaum möglich und würde wahrscheinlich mit Unzuverlässigkeit gleichgesetzt. Auch die Verhandlungsdramaturgie unterscheidet sich von deutschen Verhandlungsschemata. Herr Weiß vergleicht die chinesische Herangehensweise recht treffend mit »Columbo-Filme[n]« (Weiß). Die Kriminalserie lebt davon, dass sich der ermittelnde Kommissar Columbo gegenüber den Verdächtigen notorisch unwissend und unprofessionell gibt, um dann schließlich effektvoll mit ungewöhnlichen Fragen den Täter doch zu überführen. Auch die Verhandlungen bleiben gewissermaßen spannend bis zum Schluss,
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obwohl Herr Weiß die »Columbo-Strategie« bereits kennt und im Folgenden näher ausführt: »[…] wenn du zum Beispiel Verträge verhandelst, du kannst drei, vier Stunden handeln, das ist immer alles kein Problem, die wichtigen Sachen oder die Probleme, die kommen immer erst am Schluss, wenn du die Sachen eigentlich schon gepackt hast…und eigentlich am Gehen bist, immer noch, ah, eins, da war noch was, da war noch was. Das kommt immer, das kommt grundsätzlich, du kannst zwei Stunden, drei Stunden da sitzen, du weißt genau, das ist ALLES blabla. Da sitzt man dann da mit dem Verhandlungspartner zusammen, das ist alles kein Problem, wir sind doch alles Freunde und jaja, nein, ja das machen wir schon. Und so die richtig knallharten Sachen kommen dann immer am Schluss wenn du schon in der Tür stehst und eigentlich denkst, du willst jetzt gehen. Und da muss man sich von vornherein drauf vorbereiten und das unterschätzen wirklich viele, die hierherkommen, denken immer: ›Ja, ist alles schon gelaufen‹ und wenn du glaubst, du hast den Vertrag schon in der Tasche – noch LANGE nicht. Und das ist in Deutschland dann doch ein bisschen anders, du hast da bestimmte Abmachungen, ok, da gibt’s vielleicht am Schluss noch paar kleinere Sachen, paar Details, aber grundsätzlich hat man sich dann eigentlich schon geeinigt, aber hier? Nie, niemals.« (Weiß)
Bei den hier zitierten Verhandlungsepisoden scheinen also Konfliktpotentiale durch, die im vorigen Kapitel bereits angerissen wurden und so auch in den meisten Ratgebern bei der Auflösung der Critical incidents präsentiert werden: Die Bemühungen der chinesischen Seite, eine Beziehung aufzubauen verbunden mit einem indirekten Kommunikationsstil werden von den deutschen Verhandlungspartnern mit Langatmigkeit, ggf. Desinteresse und unzuverlässigem Verhalten gleichgesetzt (vgl. z.B. Liang/Kammhuber 2007: 182 oder Thomas/ Schenk 2001). Die Bedeutung mündlicher Absprachen ist meist hinfällig, mitunter wird dies in der Literatur als »Zermürbungstaktik« ausländischer Geschäftspartner und damit als eines von mehreren »Strategemen«, das heißt strategischen Listen, identifiziert (vgl. von Senger 1995, 2006 und Thomas/Schenk 2001: 63f.). Bei der Beleuchtung der chinesischen Sichtweise wird dann angeführt, dass das deutsche Gegenüber unhöflich und wiederum wenig interessiert an einer guten, das heißt auch persönlich fundierten Geschäftsbeziehung sei (vgl. z.B. Liang/Kammhuber 2007: 182 oder Thomas/Schenk 2001: 145f.). Auch Herr Weiß erlebt aus seiner Perspektive heraus durchaus vergleichbare Situationen. Allerdings sind hier zwei Aspekte zu beachten: Zum einen bewegt sich Herr Weiß innerhalb eines bestimmten Kreises von mittelständischen Unternehmen in einer bestimmten Branche. Hier sind die chinesischen Verhandlungspartner meist etwas älter, es bestehen lang gepflegte Netzwerke und die
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Verhandlungspraxen sind nicht generell mit Abläufen beispielsweise in großen multinationalen Firmen vergleichbar (mit einbezogen werden kann hier auch die Sichtweise von Herrn Li, der im vorigen Kapitel die Unterschiede im Geschäftsverhalten in verschiedenen Regionen in China expliziert hat). 6.1.2 Gesprächsprotokolle und Resignation. Unsicherheit und Vertrauensmangel Zum anderen ist von Bedeutung, dass Herr Weiß, wie bereits erwähnt, weder unerfahren in Verhandlungen ist, noch dass chinesische Kommunikationsstile neu für ihn sind. Sogar das Thema »Strategeme« war ihm geläufig (von deren Vermarktung und Relevanz er allerdings wenig hält). Es deutet sich also an, dass sich Normalität nicht zwingend entwickelt, auch wenn Zeitspanne und Erfahrungshorizont darauf hindeuten. Denn Verhandlungen mit Chinesen scheinen für Herrn Weiß nach wie vor »fremd« im genannten Sinn von »Unzugänglichkeit« und »Nicht-Zugehörigkeit« (Waldenfels 2006: 115, zit. in Ricken/Balzer 2007: 65) zu sein. Dieses Gefühl ist gegenüber chinesischen Verhandlungspartnern stärker ausgeprägt, Vertrauen scheint schwieriger aufzubauen zu sein. Die Vertrauensforschung definiert Vertrauen als »zuversichtliche positive Erwartung der vertrauenden Person an das kooperative Verhalten des jeweils anderen Partners« (Oswald 2010 mit Bezug auf Lewicki et al. 1998) in Verbindung mit der »Bereitschaft, sich verletzlich gegenüber dem anderen zu machen« (Oswald 2010: 64). Herr Weiß scheint allerdings nicht bereit zu sein, diesen Vertrauensvorschuss zu geben. Dafür hat wiederum die sich selbst als solche bezeichnende »interkulturelle Vertrauensforschung« eine Erklärung, die besagt, dass aufgrund der »Ambiguität interkultureller Interaktionssituationen« (Schwegler 2009: 2) dem Gegenüber »viel zu schnell die Vertrauenswürdigkeit abgesprochen und vorsichtiges Verhalten gezeigt« (Schwegler 2008, zit. in ebd.: 2) werde. Dadurch würde dann konsequenterweise ein »Schema des Misstrauens« (Bierhoff 1998, zit. in Schwegler 2009: 2) in Gang gesetzt, das sich nur schwer positiv umdeuten ließe (vgl. Schwegler 2009). In der Tat spricht Herr Weiß im Folgenden von »Unsicherheit« im Umgang mit den chinesischen Geschäftspartnern. Das rührt jedoch auch daher, dass Vertrauen immer ein »Gefühl« ist und eben auch enttäuscht werden kann. So hat auch Herr Weiß schon schlechte Erfahrungen gemacht (»wurde dann bitterbös enttäuscht«). Allerdings verallgemeinert und »vermenschlicht« er diese Tatsache (»passiert dir überall auf der Welt«) und akzeptiert sie dabei als unveränderliche Gegebenheit, mit der man zu Recht kommen muss (»is halt so«):
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»Naja, du kannst…in Deutschland täuschst du dich oft genauso oft in den Leuten, du hast vielleicht mehr das GEFÜHL, du kannst da jetzt vertrauen. Bis du hier sagst, hier ist es doch oft die Unsicherheit, ist das jetzt echt, kann ich dir vertrauen? Ich hab hier auch schon oft im Gefühl gehabt, ich kann jemand vertrauen und wurde dann bitterbös enttäuscht, aber das ist, ist halt so. Das passiert dir überall auf der Welt.« (Weiß)
Trotz der gerade angedeuteten akzeptierenden Haltung wandelt sich die Gefühlslage von Herrn Weiß angesichts der eigentlich bekannten, aber dennoch für ihn unangenehmen Verhandlungspraxen in Resignation. Im folgenden Beispiel nimmt er nochmals die Situation auf, in der eigentlich bereits die wichtigsten Punkte der Verhandlung festgelegt und abgestimmt wurden und schließlich und plötzlich doch wieder verworfen werden: »Manchmal sitz ich da, fang an zu weinen fast. Nein, dann müssen wir halt einfach, wenn’s gar nicht mehr geht müssen wir halt sagen: ›Ok, jetzt setzen wir uns nochmal alle zusammen und halten es schriftlich fest‹ und dann sagt jeder seine Meinung und dann ist es halt da, da kann keiner mehr hinterher…nur das ist eigentlich nicht mein Stil, ich kann…mir liegt das nicht, irgendwas zu besprechen und hinterher dann gleich wieder ein Gesprächsprotokoll zu schreiben und dies und jenes, obwohl das eigentlich wichtig ist hier, aber das mach ich viel zu selten. Da hab ich keine Lust, so viel Zeit damit zu verschwenden, einmal alles schriftlich zusammenzufassen, aber auf der anderen Seite brauch ich dann doch wieder die doppelte Zeit…um das wieder neu zu besprechen, weil ich es vielleicht doch nicht schriftlich habe…keine Ahnung.« (Weiß)
Hier drückt sich die Verzweiflung und Frustration aus, die bei Herrn Weiß in einer solchen Situation entsteht (»fang an zu weinen fast«). Um damit umzugehen, hat er sich eine bestimmte Handlungsstrategie zurechtgelegt, er hält nämlich die gemachten Aussagen schriftlich fest. Allerdings fühlt er sich auch mit dieser Vorgehensweise nicht wohl, sie sei nicht sein »Stil«. Er begründet das zunächst damit, dass ihm die Zeit für das Aufschreiben zu schade sei und er »keine Lust« dazu habe. Der Begriff des »Stils« im Sinne einer persönlichen Haltung scheint dem aber noch nicht gerecht zu werden. Hier spielt wahrscheinlich auch sein Bedürfnis nach einer vertrauensvollen, offenen Kommunikation hinein, die sich nicht unbedingt nur auf Verhandlungsgespräche beschränkt. Gleichzeitig muss Herr Weiß aber auch den ökonomischen Anforderungen entsprechen, schließlich handelt er als Beauftragter seines Unternehmens. Wenn sich Abmachungen ändern oder ausgehandelte Vereinbarungen nicht mehr zählen, ist das auch unabhängig von persönlichen Präferenzen aus professioneller Sicht problematisch. Auch hier reiben sich womöglich nationalkulturelle Prägungen, aber auch per-
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sönliche Umgangsformen mit internationalen Wirtschaftspraxen. Herr Li greift diese Annahme folgendermaßen auf: »To be honest, Chinese people is more difficult to deal with [schmunzelt]. It’s really difficult. But, also you know, the people with more internationalized background is much better, but if those people like secretary or some chief officers of institute, when you communicate with them for a HUNDRED times, you will never know, what they are really thinking about. And they always change. Ah, and so, so, so that’s why, if you get the word like this but actually the meaning is totally reversed direction.« (Li)
6.1.3 Verstehen als Ratespiel. Indirekte Kommunikation Es sind also nicht nur Deutsche und Chinesen, die die Pole für das skizzierte Spannungsfeld bilden; auch zwischen Chinesen mit einem unterschiedlichen Bezugsrahmen kann ein solches entstehen. Herr Li erläutert genauer, worin die Schwierigkeiten in der Kommunikation liegen: »In Chinese you have to, sometimes you have to GUESS. Guess the meaning behind. If you get information directly, this not true, cause it’s always like lied or something not real, so you can forget about it. But, but THIS information reflects very tiny information included, you have to TEST the words, then you can guess the meaning behind it.« (Li)
Dieses »Testen« und »Raten«, das Herr Li hier anspricht, deutet auf einen recht komplexen Prozess hin, der bereits von einem Chinesen – der immerhin mit solchen Kommunikationscodes aufgewachsen ist – viel Feingefühl erfordert. Für einen Ausländer ist dies schon aufgrund oft fehlender Sprachkenntnisse nahezu unmöglich. Hinzu kommen die bereits angedeuteten Unterschiede im Kommunikationsstil, die Herr Chen hier nochmals auf den Punkt bringt: »Deutsche Kollege ist ganz grad, wenn er sagt: 1 plus 1 ist 2, dann denke ich mal das ist 2. Aber manchmal die chinesisch Kollegen sagt 1 plus 1, aber sagte nicht, äh, 2. Und wir müssen mal überlegen, okay was [lacht] bedeutet das?« (Chen) Bei Deutschen entsteht angesichts dieses Unterschieds häufig der Eindruck der Unzuverlässigkeit oder gar Unehrlichkeit der chinesischen Seite, der sich im Gefühl von Unsicherheit niederschlägt und auch bereits im vorigen Kapitel angeklungen ist. Allerdings finden eben auch Chinesen diese Art zu kommunizieren mitunter schwierig, Herr Chen bemerkte ja bereits dazu, dass es ihm leichter fällt, mit deutschen als mit chinesischen Kollegen umzugehen. Das Spannungsfeld baut sich jedoch auch in umgekehrter Richtung auf, wenn nämlich nicht nur Deutsche Probleme haben, zu verstehen, sondern auch wenn es Chinesen ähnlich
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geht, sie das aber nicht so kommunizieren: »[…]ein Chinese sagt: ›Ja‹ heißt halt nicht ›Ja, ich verstehe‹, oder ›Ja ich stimme zu‹, sondern ›Ja, ich höre zu‹ [lacht]. Das heißt aber noch nicht mal, dass er‘s versteht.« (Müller) Die Bewertung normalisierter Kommunikationspraxen verschwimmt also mitunter zwischen nationalkulturellen, persönlichen und ökonomisch gedachten Grenzlinien. 6.1.4 Insider und Außenseiter. Kollektivgrenzen Zurück bei den erlebten Verhandlungen von Herrn Weiß zeigt sich jedoch, dass bestimmte Kollektive nur für einen bestimmten Kreis zugänglich sind und kaum Anknüpfungspunkte an andere Kollektive zulassen: »Und ich muss ehrlich sagen, wir als Ausländer, also Chinesen verhandeln untereinander schon anders. Und auch was wir immer reden über guanxi, über dies und anderes. In diesen KREIS kommen wir normalerweise gar nicht rein. Wir werden da immer außen, außen vor bleiben. Und ein Geschäftsverhältnis, was ein Chinese beispielsweise zu nem alten Kommilitonen hat oder sonst irgendwas, das ist ne Geschäftsbeziehung, da können wir das noch so lange, können wir über Freundschaft und gute Beziehung reden, auf dieses Level werden wir nicht kommen als Ausländer.« (Weiß)
Herr Weiß zieht hier eine scharfe Kollektivgrenze zwischen »Chinesen untereinander« und »wir als Ausländer« und unterscheidet damit deutlich zwischen »Wir« und den Anderen. Der »Kreis« der Anderen ist dabei nahezu hermetisch verschlossen, es gibt ein Außen und ein Innen, ganz ähnlich, wie auch die chinesische Bezeichnung der »äußeren« und »inneren« Personen (wai ren und nei ren) in unterschiedliche Kollektive einteilt. Das Konzept der guanxi scheint daher auch nur bedingt zu greifen. Beziehungen, die dazu berechtigen, dem »inneren Kreis« beizutreten, sind für Ausländer nahezu unmöglich aufzubauen. Selbst Konzepte wie »Freundschaft« oder »gute Beziehungen« reichen hier nicht aus, um in den Geschäftsbeziehungen das gleiche »Level« wie die chinesischen Geschäftspartner zu erreichen. Kommunikation führt demnach nicht immer uneingeschränkt zur Herausbildung von Normalität als Kultur im Sinne tatsächlich gemeinsam geteilter Handlungspraxen, Routinen etc., wenn damit auch die Teilhabe und Zugehörigkeit auf der Ebene von Kollektiven eingeschlossen werden soll (vgl. Rathje 2009a). Obwohl Herr Weiß als Wirtschaftsakteur in China privilegiert ist, bleibt er Mitspieler auf einem wirtschaftlichen Spielfeld, auf dem ihm systematisch der Zugang zu bestimmten Bereichen verwehrt wird – der Grund dafür liegt allein darin, dass Herr Weiß kein Chinese ist. Normalität als Kommunikationsprodukt kann, muss daher aber nicht als »Resultat […] des freien Wil-
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lens« (ebd.) entstehen – Herr Weiß kann sich noch so bemühen oder sich zum Ziel machen, mit Chinesen in der Art zu verhandeln, wie dies auch Chinesen miteinander tun, es wird ihm aber womöglich niemals gelingen. Daher ist es auch schwieriger, Vertrauen als Grundlage von »soziale[r] Kohäsion« (Schwegler 2009: 3) selbst bei einem angenommen »engen und wiederholten Austausch« (ebd.: 4) auszubilden. Und dennoch beschreibt Herr Weiß zumindest eine Form von Normalität: Trotz des präsenten Spannungsfeldes, trotz des mangelnden Vertrauens und der unangenehmen Gefühle, die damit verbunden sind, kann er sich immerhin darauf einstellen. Die Unterschiede zwischen ihm und den chinesischen Verhandlungspartnern sind bekannt, er weiß um die feststehenden Grenzen und die erwähnte besondere Verhandlungsdramaturgie (vgl. Rathje 2006: 13): »[…] grad bei so Verhandlungen; man muss es einfach wissen, dass alles, was da besprochen wird, am Ende nicht unbedingt…oder dass am Ende nicht unbedingt das rauskommt, was man grade schon besprochen hat und eigentlich auch vereinbart hat. Wie gesagt, das kommt immer fünf Minuten vor Schluss. Und das muss man wissen. Und sich nicht drauf verlassen: ›Ok, wir haben doch gestern das und das besprochen und das war doch alles schon klar‹ und dann: ›Nö, wieso gestern, weiß ich nicht, keine Ahnung.‹« (Weiß)
Dieses Wissen nährt sich wiederum aus einer langjährigen Erfahrung, auf die sich Herr Weiß verlassen kann und die somit gewissermaßen das fehlende Vertrauen in die Geschäftspartner abfängt. Nur so ist es für Herrn Weiß außerdem erst möglich, auch erfolgreich zu verhandeln, das heißt, einen für seine Firma angemessenen und vor allem trotz der skizzierten Unsicherheiten tragfähigen Abschluss (»Deal«) zu erzielen. Auf die Frage, ob er inzwischen seine Erfolgsaussichten einschätzen könne, antwortet Herr Weiß daher auch: »Naja, gut, das weiß man aus meiner Erfahrung her dann schon. Also wenn man dann auch einen Deal hat, dann wird auch, ja, dann wird auch mehr oder weniger dabei geblieben dann auch.« (Weiß) Verhandlungen zu führen gehört also einfach zum Job von Herrn Weiß und ist für ihn als Teil seiner beruflichen Alltagspraxis auch ein Stück Normalität angesichts von Differenzen (vgl. Bolten 2000a: 1). Dabei konnte er zudem Strategien entwickeln, um mit den Disparitäten umgehen zu können – ein völlig unerfahrener Verhandlungspartner könnte das wahrscheinlich nicht. Auch wenn es ihm manchmal schwer fällt, hat er zudem gelernt, die bestehenden Spannungen auszuhalten – in der Literatur würde ihm hier die Fähigkeit der »Ambiguitätstoleranz« zugeschrieben (vgl. z.B. Bolten 2007: 213). Aber auch diese Kompetenz ist abhängig von Faktoren wie beispielsweise der Tagesform – er sitzt eben auch »manchmal« da und »fängt an zu weinen fast«.
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6.1.5 Guanxi und Ganbei. Beziehungen Betont werden muss bei diesem Beispiel allerdings nochmals, dass es sich um ein Spannungsfeld innerhalb eines ganz bestimmten Kontextes, nämlich den von Geschäftsverhandlungen im Tätigkeitsbereich von Herrn Weiß handelt. Gerade hier spielen Beziehungen eine besonders große Rolle, es geht um Geld, um Einfluss und oftmals den Ausgleich unsicherer rechtlicher Rahmenbedingungen. Herr Li meint daher dazu: »But I think there is also something similar in German, but not that strong [schmunzelt]. In China, you really have to, to pay attention on that.« (Li ) Beziehungen im Bereich des Geschäftlichen spielen also in beiden Ländern durchaus eine Rolle, deren Gewichtung ist jedoch jeweils eine andere. Das Beispiel von Herrn Weiß zeigt, dass der Rat von Herrn Li, diesem Phänomen Aufmerksamkeit zu schenken, für einen Chinesen und einen Deutschen in derselben Situation jeweils etwas anderes als Handlungskonsequenz bedeuten kann. Das heißt auch, dass Versuche völliger Anpassung für Herrn Weiß nicht zielführend wären. Würde er beispielsweise auf schriftliche Protokolle verzichten, wäre sein Verhandlungserfolg womöglich hinfällig, da jeweils unterschiedliche Kategorien zählen (Chinese/Nicht-Chinese). Dass es aber auch hier unterschiedliche Sichtweisen auf einen Sachverhalt wie das hier skizzierte Spannungsfeld gibt, verdeutlicht das folgende Zitat von Herrn Frei. Er erzählt zwar von ähnlichen Problemen wie auch er Herr Weiß, allerdings scheint ihn das einerseits weniger zu belasten als Herrn Weiß; andererseits hat er aber auch positivere Erfahrungen gemacht, denn einige Kunden werden nach längerem Kontakt »offener«: »Das kommt ganz auf den Kunden an. Wir ham Kunden, die sind ganz offen und ehrlich und sagen, hier ich möchte des und des und des und dann gibt’s wiederum Kunden, die drucksen um alles rum, da werden auch Geheimnisse gemacht und dieses und jenes und…aber wir kommen eigentlich relativ gut mit beidem klar aber lieber ist mir natürlich, wenn er offen ist. Und je länger du die kennst, umso offener werden die auch, dann ist das auch nachher kein Problem, statt hundertmal übern Preis hin und her diskutieren…Aber bei Neukunden kommt das dann schon mal vor, dass das dann alles so bisschen kompliziert wird.« (Frei)
Beim Beispiel von Herrn Frei kristallisiert sich auch eine weitere Form von Normalität heraus. Es geht nicht mehr nur ausschließlich darum, Unterschiede auszuhalten, sondern auch Normalität als tatsächlich intersubjektives Verständnis, das als angenehm wahrgenommen wird, herbeizuführen (vgl. Kruse 2009).
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Dabei spielt die Dichotomie Chinese – Nicht-Chinese und die Ausgrenzung aus einem Kollektiv eine deutlich unbedeutendere Rolle. Wenn nämlich nach Herrn Frei »alles so bisschen kompliziert wird«, funktionieren die gleichen Handlungsstrategien wie bei Chinesen untereinander: »Was man immer macht: Essen gehen [lacht]. Essen und drei Mal ganbei und dann läuft’s gut. Also das funktioniert nach wie vor.« (Frei) Herr Frei nutzt hier eine eigentlich »typisch« chinesische Handlungsstrategie. Ein gemeinsames Essen, bei dem meist auch reichlich Alkohol serviert wird, wird im Rahmen von Geschäftsverhandlungen u.ä. als deren selbstverständlicher Teil betrachtet. Die Aussage »drei Mal ganbei« bezieht sich auf das Anstoßen, meist mit Schnaps. Ganbei bedeutet wörtlich übersetzt »alles trinken« und kann dem deutschen »Prost« gleichgesetzt werden. Sicherlich wirkt auch in einem rein deutschen Kontext ein gemeinsames Essen, bei dem auch noch Alkohol konsumiert wird, beziehungsfördernd und damit möglicherweise konfliktlösend. Meist bleiben die Themen hier in der Regel aber sachlich und werden erst nach längerem Kennenlernen privater. Dass Herrn Frei diese Form der Beziehungsarbeit aber recht leicht fällt, liegt wiederum an dessen persönlichem Bezugsrahmen. So habe ich Herrn Frei bei einem informellen Treffen von Expats in einem Shanghaier Restaurant als humorvoll und aufgeschlossen erlebt.
6.2 L OST IN T RANSLATION ? S PANNUNGSFELD K OMMUNIKATION
UND
S PRACHE
6.2.1 Chinesisch, Englisch, Deutsch. Bedeutung von Fremdsprachenkenntnissen Trotz aller Spannungen in den Verhandlungen kommt Herrn Weiß und auch Herrn Frei vor allem eine Fähigkeit in besonderem Maße zu Gute – sie verstehen und sprechen Mandarin, die Sprache ihrer Verhandlungspartner. Denn dass fehlende Sprachkenntnisse durchaus ein Spannungsfeld erzeugen können, erläutert Herr Frei: »Also hilfreich ist auf jeden Fall, dass man mal bisschen die Sprache spricht, weil das können die anderen auch ned und dann ist schon immer irgendwie so ne…so ne Sperre da, so kann man dann auch mal irgendwie…oder wenn sie dann meinen, man versteht’s ned, dann sagt man [lacht]…aber ich denke, das hilft schon…unwahrscheinlich.« (Frei)
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Herr Frei beschreibt dieses Spannungsfeld als »Sperre«, die es einerseits natürlich erschwert, zu kommunizieren, andererseits aber vielmehr den Aufbau einer Beziehung behindert. Denn meist ist die Verständigung mittels des Englischen in den meisten Arbeitskontexten problemlos möglich, in einem internationalen Umfeld wird dies als selbstverständlicher Standard vorausgesetzt. Gerade in mittelständischen Betrieben sind die Englischkenntnisse der Mitarbeiter oder Lieferanten mitunter jedoch weniger gut. Damit können die Interviewpartner, die nicht Chinesisch sprechen, zunächst recht problemlos umgehen, wie Herr Seidel zeigt: »Also, bei Chinesen, die jetzt nicht so gut Englisch sprechen, dann muss ich jetzt rein TECHNISCH nen anderen Umgang wählen, da nehm ich dann mitunter meine Assistentin auch dazu und lass die des übersetzen, um zu verhindern, dass Missverständnisse zurückbleiben.« (Seidel)
Allerdings ist der rein »technisch[e]« Aspekt einer Übersetzung auch immer gekoppelt an eine Vermittlung auf der Beziehungsebene, bei der jedoch eine andere Person »zwischengeschaltet« ist. Bei einfacheren Anweisungen oder im Rahmen von bekannten Arbeitsroutinen funktioniert das sicherlich im Allgemeinen gut. Hier geht es um zunächst leicht nachprüfbare Informationsübertagung, die Herstellung oder Pflege einer Beziehung ist dabei weniger wichtig. Aber auch die Unternehmensstrukturen und -vorgaben oder der Aufgabenbereich beeinflussen den Umgang mit den verschiedenen Sprachen. In der Firma von Herrn Seidel wird »drauf geachtet«, dass die »Whitecollars«, also hauptsächlich die Mitarbeiter, die auch eng und häufig mit deutschen Kollegen interagieren müssen, ein entsprechendes Sprachlevel im Englischen beherrschen (was ja auch für die deutschen Mitarbeiter vorausgesetzt wird). Herr Seidel braucht also im Arbeitsalltag keine Chinesischkenntnisse. Von den chinesischen Mitarbeitenden, die eher zu den »Bluecollars« gehören, wird ein deutlich geringeres Sprachlevel gefordert (»passabel«), hier setzt Herr Seidel, wie erwähnt, aber mitunter auch Übersetzer ein: »Deutsch ist bei uns kein Einstellungskriterium. Da bei [Unternehmensname] die corporate language Englisch ist. Insofern…also wir ham hier auf der MD-Ebene [Management Divison, A.S.] drei Assistentinnen und nur ZUFÄLLIG versteht die eine relativ viel deutsch und sie kann auch etwas, auch wenn sie behauptet, sie würde es nicht. Aber des is Zufall, das war kein Einstellungskriterium. Englisch, ah, sprechen die, von denen es gebraucht wird, also wird schon drauf geachtet. Und des heißt, fast alle Whitecollars können gut genug Englisch, im Einzelfall sogar sehr gut Englisch. Des wird schon erfordert. Is auch in der Produktion, also führende Positionen in der…Fertigung im Lager, also von so
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nem Teamleader et cetera, die sollten schon passabel Englisch können, PASSABEL, dass man sich verständigen kann.« (Seidel)
Anders sieht das beispielsweise bei Herrn Frei, Herrn Weiß oder Herrn Schneider, der gleich noch zu Wort kommt, aus, zu deren Aufgaben die Kundengewinnung und -bindung, der Vertrieb, aber auch das Alltagsgeschäft mit den Angestellten gehören. Selbst wenn die chinesischen Geschäftspartner, Mitarbeitende oder Kunden die englische Sprache beherrschen, besteht doch immer die gefühlte »Sperre«, nicht in der Muttersprache zu kommunizieren und das Gefühl der Fremdheit dem »Ausländer« gegenüber ist entsprechend größer. Besonders in den Geschäftsbereichen, in denen »Beziehungsarbeit« und damit immer auch ein Stück »Normalisierungsarbeit« (Kettner 2008: 21) gefragt ist, zeugt die Beherrschung der Landessprache durch die deutschen Geschäftspartner von besonderem Interesse und auch Respekt gegenüber den chinesischen Geschäftspartnern. Obwohl von chinesischer Seite bereits erste Bemühungen im Verstehen und Sprechen von Mandarin honoriert werden, sind in den Tätigkeitsfeldern der drei genannten Interviewpartner durchaus schon sehr fortgeschrittene Sprachkenntnisse erforderlich und auch vorhanden. Das erfordert aber auch eine hohe Motivation, wie Herr Schneider bestätigt, der sich in die Sprache »reinbeißen« musste und dafür viel Zeit investiert hat. 6.2.3 Genau das Gegenteil. Übersetzungen In komplexeren Kommunikationssituationen werden Übersetzungen – sei es während des Sprechens und Verstehens einer Fremdsprache oder mit Unterstützung eines Dritten – deutlich herausfordernder. Es können dann Spannungsfelder einerseits aufgrund von Schwierigkeiten bei der intendierten inhaltlichen, der »technischen«, Übertragung, andererseits bei der damit verbundenen Interpretation dieser »technisch« vermittelten Inhalte entstehen. Ersteres wird sehr eindrücklich beim folgenden Zitat von Herrn Weiß deutlich, der während Verhandlungen gern mit Dolmetschern arbeitet, um sich besser auf das Verhandlungsgeschehen konzentrieren zu können. Dabei versteht er natürlich, was übersetzt wird und sagt dazu: »Genau das ist das Schöne ja für mich, weil ich kann dann oft eingreifen, weil oft übersetzen sie auch genau das Gegenteil, äh, was ich jetzt gerade gesagt hab. Das passiert SO OFT.« (Weiß) Tatsächlich übersetzten Dolmetscher demnach häufig gar nicht das, was der Verhandelnde meint und liegen dann nicht nur leicht neben dem intendierten Inhalt, sondern übersetzen gar »genau das Gegenteil«. Herr Weiß kann dann »eingreifen« und berichtigen; hier zeigt sich aber, dass Verhandlungen in Fremd-
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sprachen, noch dazu im Rahmen einer für Deutsche ungewohnten Verhandlungsform, auch mit Unterstützung von Dolmetschern gravierende Unsicherheiten in sich bergen. Ein Grund dafür ist, dass besonders in kleineren Unternehmen die Übersetzungsleistungen nicht von ausgebildeten Dolmetschern, sondern meist von anderen Mitarbeitern, die beide Sprachen mehr oder weniger gut beherrschen, erbracht werden. Erschwert wird der Prozess des Übersetzens zusätzlich dadurch, dass diese Form der Kommunikation auch für einige Verhandlungspartner eher ungewohnt ist. Aus dieser Gemengelage entstehen dann mitunter folgende Situationen, die wiederum Potential für kommunikative Spannungen und Missverständnisse mit sich bringen: »Ja genau, nee, weil das ist auch ein Fehler, den viele machen, ich weiß auch nicht warum. Die verlassen sich zu 100% auf ihre Dolmetscher und du siehst immer, die ringen richtig, auf Deutsch, die halten irgendwie ne Ansprache, ringen um die eigenen Worte, um zu erklären, was sie eigentlich wollen, aber der Dolmetscher der übersetzt das EH ganz anders. Das wär also, wie gesagt wichtig ist, dass es inhaltlich richtig ist, aber selbst das stimmt oft nicht. Und ich hab auch jetzt grad wieder…war der Bürgermeister von München hier, hat da irgendwie so ne Galerie eröffnet und die Dolmetscherin hat was GANZ ANDERES übersetzt als der. Naja [lacht]. Das hat damit gar nichts zu tun gehabt.« (Weiß)
Da Herr Weiß dieses Problem aber immerhin erkennen und dem dann entgegensteuern kann, nimmt er die Hilfe von Dolmetschern trotzdem gern in Anspruch. Er begründet das u.a. damit, dass bei der Kommunikation mit seinen Verhandlungspartnern eben nicht nur eine stimmige inhaltliche Übersetzung von Bedeutung ist: »[…] ich selber find das sehr angenehm, weil auf der einen Seite kann ich überprüfen, ob das stimmt, inhaltlich, aber der Chinese drückt sich dann halt besser aus. Wenn ich das auf chinesisch sag, dann ist es vielleicht doch nicht so freundlich oder hört sich vielleicht doof an oder…und von daher der Chinese übersetzt das dann inhaltlich richtig, drückt’s aber schöner aus, das kann ich ja kontrollieren, hab aber in der Zeit, oder wenn dann der Verhandlungspartner antwortet, ich versteh ja schon, was der sagt, während meine Dolmetscherin übersetzt, kann ich schon drauf, kann ich mir schon überlegen, was ich jetzt antworte, ich muss nicht so spontan; für die Verhandlung ist das, find ich wesentlich besser.« (Weiß)
Abgesehen davon, dass Herr Weiß durch die Übersetzung mit Hilfe einer dritten Person die Möglichkeit hat, überlegter zu kommunizieren, schätzt er auch die Anpassung der semantischen Ebene. Denn trotz einer korrekten inhaltlichen
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Formulierung »ist es vielleicht doch nicht so freundlich oder hört sich vielleicht doof an«, es geht hier also auch um eine angemessene Art, Inhalte zu vermitteln. Bachmann-Medick (2010) knüpft daran ausführlicher an: »Übersetzung betrifft also keineswegs nur die Repräsentationssphäre der Zeichen- und Symbolzirkulation, sondern auch soziale Versuche, in andersartige institutionelle Systeme einzurücken und dabei zugleich die materielle Seite von Austauschbeziehungen zu berücksichtigen« (ebd.: 249). Weiter aufgespannt schließt das noch mehr Aspekte ein als Gemeintes »schöner« auszudrücken, beispielsweise auf welche Art und Weise interkulturelle Fremdheitserfahrungen oder auch bereits bekannte Herausforderungen gemeistert werden (vgl. Wagner 2009: 1). Gerade in Situationen, die eine kulturelle Übersetzung erfordern, ist Verstehen mehr als nur ein Mechanismus, der hilft, den Alltag zu meistern. Vielmehr wird Verstehen hier zu einer zentralen Kompetenz, die bewusster eingesetzt wird. Dabei spielt eben nicht nur Sprache als Zeichensystem eine Rolle, sondern auch die von Bachmann-Medick (2010) angesprochenen Aspekte im oben genannten Zitat. An dieser Stelle liegt der Fokus jedoch zunächst auf nur einer Situation aus dem Alltag von Herrn Weiß, in der gemeinter Sinn während einer Übersetzung anders als intendiert vermittelt wird: »Gibt zum Beispiel auch Dolmetscher, oder was heißt Dolmetscher, meine Frau zum Beispiel. Wenn ich sag, übersetz mal was für mich, sie hat nie übersetzt, was der andere sagt oder was ich gesagt hab, sie hat dann immer übersetzt, was sie MEINT, was der andere denn denkt. Nicht was er gesagt hat, sondern was sie denkt, was er eigentlich meint. Und wenn ich dann geantwortet habe, hat sie übersetzt, was ich hätte antworten SOLLEN, aber nich, was ich…artet dann in so ne Art Selbstgespräch aus.« (Weiß)
Dass (hier mündlich übertragene) Texte potentiell mehr als nur eine Botschaft vermitteln können, sich dabei aber normalerweise entlang kultureller Standardisierungen bewegen, ist keine neue Einsicht (vgl. dazu bspw. Barthes 2000). Professionalisierte Übersetzungen gelten jedoch als »zielgerichtete Interpretationen« durch einen Dritten (Poerner 2009: 165). Welches Ziel dabei angemessen ist, hängt wiederum vom Kontext – einschließlich der erwähnten Standardisierungen – und der Textart ab (vgl. Reinart 2009). Im Beispielzitat lässt sich recht gut beobachten, wie sich durch die Verfolgung unterschiedlicher kommunikativer Ziele ein Spannungsfeld aufbaut. Herr Weiß scheint zum einen vergleichsweise direkt zu sagen, was er meint und möchte das eigentlich auch gerne so vermittelt wissen. Bis zu einem gewissen Grad ist ihm dabei jedoch bewusst, dass er dann weniger »freundlich« formuliert oder sich Gesagtes »doof« anhört, wie er in einem vorangegangenen Zitat erwähnte. Die Übersetzung dessen, was
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er »hätte antworten sollen«, also eine Anpassung an einen anderen Standard oder einen anderen Bezugsrahmen, die von der Dolmetscherin als jeweils angemessener empfunden werden, geht ihm dann aber doch zu weit. Wenn dann auch die verbalisierten Inhalte des Gegenübers bereits durch die Dolmetscherin gefiltert und modifiziert weitergegeben werden, erscheint Herrn Weiß eine Unterhaltung nur noch als »Selbstgespräch« der Dolmetscherin, die die Interpretation eben auch nach ihrer Zielvorstellung der Unterhaltung gestaltet. Andererseits greifen dabei seitens der chinesischen Dolmetscherin womöglich andere kulturelle Standardisierungen: Im vorherigen Kapitel wurden von den Interviewpartnern Unterschiede in der Direktheit der Kommunikation wahrgenommen. Die Intention der Dolmetscherin ist daher womöglich vielmehr die, eher ein harmonisches als ein faktenbasiertes Gespräch zu gewährleisten. Auch die Äußerung von Herrn Li, der davon sprach, dass die Bedeutung von Gesagtem mitunter erraten (»guess«) werden müsse, mag hier Gewicht haben – die Dolmetscherin versucht möglicherweise, die gemeinte Bedeutung der Gesprächspartner bereits zu »erraten« und erst dann weiterzugeben. Hinzu kommt, dass die hier erwähnte Dolmetscherin keine professionell ausgebildete ist, sondern die chinesische Ehefrau von Herrn Weiß. Die private Ebene mag hier Einfluss auf die Erzählung von Herrn Weiß haben, da er aber Ähnliches auch bei anderen Dolmetschern erlebt hat, kann diese Besonderheit hier vernachlässigt werden. 6.2.4 Ich verstehe, also bin ich. Sprache und Macht Zu Beginn dieses Kapitels sprach Herr Frei von einer »Sperre«, die sich ergäbe, wenn er als deutscher Geschäftsführer in China kein Mandarin beherrschen würde. Es bereitete ihm allerdings auch merklich Freude, als er mir lachend erzählte, dass Chinesen dann »meinen, man versteht’s ned«, was aber wiederum die erwähnte »Sperre« aufzuheben schien. Eine ähnliche Erfahrung machte Herr Pfeiffer in einem chinesischen Unternehmen in Deutschland; bei deren genauerer Betrachtung wird der Hintergrund des Zitats von Herrn Frei noch etwas klarer. Zunächst fiel Herrn Pfeiffer in seiner Arbeitsumgebung auf, dass »eigentlich […] natürlich Englisch Geschäftssprache [ist,] aber am Ende reden sie doch alle chinesisch« (Pfeiffer 715-716). Dadurch wird verständlich, dass im Unternehmen vorab natürlich bereits all jene Mitarbeiter ausgeschlossen werden, die nicht Chinesisch sprechen. Den chinesischen Mitarbeitern ist dies zwar bewusst, gleichzeitig ist aber durchaus nachvollziehbar, dass sie ihre Muttersprache benutzen, besonders da etwa 80 Prozent der Belegschaft Chinesen sind. Nun ist aber Herr Pfeiffer durch sein Studium in der Lage, Chinesisch zu verstehen und auch zu sprechen. Die »Sperre«, die durch das Nicht-Verstehen gegenüber den
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chinesischen Kollegen da wäre und von diesen durchaus auch hingenommen wird, durchbricht Herr Pfeiffer jedoch mit »strategischem« Bewusstsein: »Also am Anfang hab ich’s nicht so viel benutzt [Chinesisch, A.S.], weil da war ich so bisschen raus. Und da konnte ich vor allem verstehen, was die sagen. Und das hab ich natürlich schon strategisch angewandt. Weil die meinen halt, ist ja wie in China, man sagt so, man redet so Chinesisch und die meinen so, man kann dann so ni hao [Guten Tag, A.S.] und das war’s dann auch. Oh toll, der Ausländer kann so paar Wörter. Und wenn man dann hört, was die so hinter einem Rücken reden oder dann so absprechen wolln, da sag ich dann, das ist jetzt nicht so passend, die sollen das so und so machen und dann: Oh! [lacht] Da hat man dann eigentlich gewonnen nach dem ersten Schock dann, oh, der hat uns jetzt verstanden, hat man dann natürlich in dem Moment gewonnen, von daher kann man das so bisschen strategisch anwenden. Weil selbst danach irgendwie, dieses, äh, da stehen sie und meinen, dass man viele Sachen trotzdem nicht versteht.« (Pfeiffer)
Mit dem Überraschungseffekt, den Herr Pfeiffer hier nutzt und den auch Herr Frei angedeutet hatte, bricht er das Spannungsfeld auf, das sich ergibt, wenn deutsche und chinesische Mitarbeiter mit einer sprachlichen Barriere konfrontiert sind: Auf der einen Seite wissen die chinesischen Mitarbeiter, dass ihre deutschen Kollegen sie nicht verstehen, auf der anderen Seite ist den deutschen Mitarbeitern bewusst, dass sie zumindest kommunikativ ausgegrenzt werden. Herr Pfeiffer irritiert nun diese Konstellation, indem er in den eigentlich geschützten Sprachraum seiner chinesischen Kollegen eindringt und die schützende »Sperre« überwindet. Dadurch entsteht ihm ein Vorteil, den er dann auch nutzt – z.B. sind ihm so besondere Informationen zugänglich und er ist zumindest kurzzeitig in einer höheren Machtposition, wenn er Kollegen damit konfrontiert, dass er Gesagtes, das eigentlich nicht für seine Ohren bestimmt war, verstanden hat. Während hier die strategische Nutzung der Chinesischkenntnisse auf beiden Seiten den Beigeschmack von – wenn auch nicht immer ganz ernst gemeinten – Machtspielen hat, ist die Überwindung sprachlicher Barrieren in anderen Kontexten eher auf Kommunikation im Sinne von (alltagsdienlichem) Verstehen ausgerichtet: »Und später hab ich halt mehr und mehr, weil ich da Chinesisch-Kurse gemacht habe abends, ähm, ja – die nicht von der Firma bezahlt werden [lacht] – das auch mehr benutzt habe, dass ich den Leuten auf Chinesisch zum Teil dann gesagt habe, was sie machen sollen oder so. Weil ich gemerkt habe, dass manche mit dem Englisch schon auch Probleme hatten und ich sag auf Chinesisch: ›Mach mal das und das oder es läuft so und so‹, dann…ähm, dann wird das nicht so ausgefiltert. Bei manchen, wenn man mit denen Eng-
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lisch redet oder deutsch, hab ich das Gefühl, es ist so bisschen white noise [lacht], geht so der Filter rein, äh, und dann kommt hinten so ein chinesisches Signal raus, wo halt die deutsche oder englische Stimme nicht mehr drin ist. Bei den chinesischen Kollegen. Von daher, wenn man chinesisch kann, lohnt es sich, das auch beizubehalten, das auch zu benutzen.« (Pfeiffer)
Die chinesischen Kollegen von Herrn Pfeiffer konstruieren also nicht nur ein Spannungsfeld, weil sie unter sich bleiben möchten und ihre deutschen Kollegen systematisch ausschließen wollten. Oft fehlen einfach ausreichende Kenntnisse des Englischen oder Deutschen und so bleibt die genannte »Sperre« auch durchaus ungewollt bestehen. Herr Pfeiffer spricht hier von »white noise«, das heißt, seine chinesischen Mitarbeiter nehmen Anweisungen zwar wahr, verarbeiten sie seiner Ansicht nach aber nur in ihrer Muttersprache. Die Zusammenarbeit und die Herausbildung von Handlungsroutinen scheinen demnach besser zu funktionieren (»lohnt es sich, das auch beizubehalten«), wenn Herr Pfeiffer sich sprachlich anpasst. Dafür bildet er sich aus eigener Motivation weiter und besucht Sprachkurse. Hinzu kommt, dass der Kontakt zur Mutterfirma in den chinesischen Unternehmen recht intensiv ist. Wenn dann Sprachkenntnisse fehlen, kommt es auch hier zu Spannungen, da zwangsläufig die direkte Kommunikation all jene Mitarbeiter ausschließt, die wie im folgenden Beispiel nicht Chinesisch sprechen – umgekehrt ist die Problematik sicherlich ähnlich, allerdings wurde in den untersuchten deutschen Unternehmen in China deutlich intensiver mit Übersetzern gearbeitet oder es besteht eine andere Sprachpolice. So ist auch im Unternehmen von Herrn Seidel in China Englisch die Unternehmenssprache. Zwar sprechen die chinesischen Mitarbeiter untereinander durchaus Chinesisch (und die deutschen Kollegen miteinander deutsch), allerdings ist dies mit mehr Achtsamkeit verbunden, wie Herr Seidel berichtet: »Wie gesagt, wir sind ein chinesisches Unternehmen, aber sobald dann einer mit nem anderen kulturellen Hintergrund dazukommt, springt man automatisch um.« (Seidel) In den chinesischen Unternehmen ist dies nicht zwangsläufig selbstverständlich und so berichtet Herr Luo, selbst Chinese, von Kommunikationsproblemen mit Kollegen aus dem chinesischen Headquarter, die eben nicht für die deutschen Mitarbeiter ins Englische wechseln. Dass Herr Pfeiffer in seinem Unternehmen also trotz der wichtigen Funktion, die er mit Hilfe seiner besonderen Sprachkenntnisse erfüllt bzw. die er auch noch ausbauen könnte, anders als beispielsweise Herr Schneider (»ist von meinem damaligen Arbeitgeber weiter gefördert worden«) keine Unterstützung von seiner Firma erhält, ist eines von verschiedenen strukturellen Problemen in den Unternehmen, die wiederum zu Spannungsfeldern führen können.
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6.3 C ORPORATE C ULTURES . S PANNUNGSFELD U NTERNEHMENSSTRUKTUREN UND H IERARCHIEN Bei den Spannungsfeldern, die aufgrund von strukturellen Bedingungen in den Unternehmen einschließlich des hierarchischen Aufbaus entstehen, wird, anders als bei den skizzierten Unterschieden im vorangegangenen Kapitel, deutlich, dass der Kontext der Arbeitsumgebung einen merklichen Einfluss auf die Art der Spannungsfelder hat. Deutsche Unternehmen in China agieren anders als die chinesischen Unternehmen in Deutschland, obwohl hier jeweils Deutsche und Chinesen zusammenarbeiten. Hier spielen also die Standardisierungen der Unternehmenskollektive eine vordergründige Rolle, die jedoch durchaus von den beschriebenen und als nationalkulturell wahrgenommenen Besonderheiten von Deutschen und Chinesen zusätzlich beeinflusst werden. 6.3.1 Mitarbeiter als Ressource. (Fehlende) Unternehmensverantwortung und ökonomischer Druck Bei Herrn Pfeiffer kam soeben die mangelnde Unterstützung seines Unternehmens zur Sprache, was sich auch darin wiederfinden lässt, dass sowohl Herr Pfeiffer als auch Herr Arendtmeyer bereits die fehlende Anerkennung hauptsächlich durch Vorgesetzte thematisierten. Dabei werden gleichzeitig die Arbeitslast und der geforderte Einsatz in den chinesischen Unternehmen in Deutschland verglichen mit den einheimischen Firmen als relativ hoch wahrgenommen. So erzählt Herr Hong: »Unser Chef hat eine Energie oder Power, wir ändern das so oft, nicht wie Deutsche, sie machen vielleicht eine planmäßige Änderung, aber wir machen das immer. Für mich daher immer Überstunden, das war sehr schwer. Das war anders mit den Deutschen. Sie arbeiten pünktlich und zum Schluss Feierabend. Wir machen viele Ausnahmen, ExtraArbeiten, wir ändern das Arbeitsziel so oft, weil der Markt oder die Kundenwünsche irgendwas geändert, dann ändern wir so schnell wie möglich. Ich glaube, wir verdienen auch nicht so eine gute Prozent. Aber wir arbeiten mit einer großen Menge und der Service, ich glaube, das ist der Unterschied.« (Hong)
Für Herrn Hong bedeuten die durchgreifende Art und die Flexibilität seines chinesischen Vorgesetzten deutlich anstrengendere Arbeitsbedingungen. Die daraus
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resultierenden Überstunden und sich häufig verändernden Arbeitsziele sind dabei der Situation chinesischer Unternehmen in Deutschland geschuldet. Sie sind meist einer starken Konkurrenz durch einheimische Firmen ausgesetzt und können Kundenwünsche und Marktmechanismen auf dem meist noch weniger gut bekannten Terrain schlechter einschätzen bzw. müssen aufgrund der Konkurrenzsituation in besonderem Maße darauf reagieren. Auf diese Weise versuchen die chinesischen Unternehmen die Vorteile der auf dem Heimatmarkt gefestigteren deutschen Unternehmen auszugleichen. Konsequenterweise nehmen sie – häufig im ökonomischen Überlebenskampf – weniger Rücksicht auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter, was Frau Handke bestätigt: »Also, ähm, soziale Verantwortung des Unternehmens für den Mitarbeiter ist also nur begrenzt da, ne! Und, ähm…also da, da geht es manchmal, finde ich geht es da auch ganz schön knallhart zu, ne!« (Handke) Das führt dann mitunter zu solch großen Spannungen, dass Mitarbeiter wie Herr Hong erwägen, in ein deutsches Unternehmen zu wechseln, da sie sich dort bessere Arbeitsbedingungen versprechen. Dabei spielt die persönliche Situation ein wichtige Rolle: Herr Hong möchte zum einen seine Karrierechancen verbessern, zum anderen hofft er aufgrund seiner neuen familiären Situation auf angenehmere, das heißt stressfreiere und »planmäßigere« Bedingungen: »Vielleicht gehe ich in einem Jahr, dann wollt ich mal nachdenken eine deutsche Firma zu nehmen und keine chinesische, das war viel Stress. Im September werde ich auch Papa, ja mein Kind kommt. Deswegen Familie für mich ist wichtiger. Dann wollte ich mal, ich kann doch auch wie immer fleißig arbeiten, aber in einer chinesischen Firma ist Überstunden machen ganz normal und ich wollte mal so pünktlich und alles so schriftlich und planmäßiger. Deswegen wollte ich gerne in eine deutsche Firma, ja genau.« (Hong)
Zwar mag die in den Zitaten angedeutete ausgeprägte Flexibilität ein Merkmal eines »chinesischen« Wirtschaftsstils sein, allerdings verschwimmt dieser mit den genannten strukturellen Herausforderungen, die vielmehr einem wirtschaftlichen Druck geschuldet sind. Obwohl so beispielsweise Frau Handke in ihrem Unternehmen die Atmosphäre als »angenehm« wahrnimmt, sind auch hier der wirtschaftliche Druck und die daraus resultierenden Anforderungen stark spürbar: »[…] im Augenblick ist es also wirklich, ist sehr angenehm, aber, ähm, es besteht auch ein ganz, ganz hoher Druck. Aber das ist glaub ich bei vielen Unternehmen zur Zeit so, weil, äh, ja also diese, diese Wirtschaftsbedingungen sind immer noch nicht optimal und äh, ja jeder hat, wie ich schon sachte, seine Vorgaben ne und es gibt schon einige Leute die
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wirklich sehr, sehr hart arbeiten. Am schlimmsten unser armer Chef, ne. Der wird so zugedeckt und zugeschüttet mit Arbeit. […] wir machen uns alle Sorgen, [lacht] dass er das gesundheitlich nicht lange aushält, ne. Also es wird schon sehr hart in unserer Firma gearbeitet, da sitzt keiner und dreht Däumchen irgendwie.« (Handke)
Am Arbeitsplatz von Frau Handke ist dabei eine gewisse Achtsamkeit erkennbar, die Belegschaft sorgt sich um den chinesischen Chef in Deutschland (»unser armer Chef«, »wir machen uns alle Sorgen«), der vom Headquarter in China stark gefordert wird. Allerdings fällt auf, dass in den anderen untersuchten chinesischen Firmen eine solche Fürsorge eher fehlte. Die dort wahrgenommene mangelnde Aufmerksamkeit gegenüber den Bedürfnissen der Mitarbeiter wurde hingegen in den deutschen Unternehmen in China von den Interviewpartnern zumindest nicht thematisiert oder aber sogar gegenteilig dargestellt. So berichtet die chinesische Marketing-Managerin Frau Song, dass deutsche Unternehmen »more money on people’s side« investieren. Frau Song hebt diese Aufmerksamkeiten seitens der Firma gerade im Vergleich mit anderen Unternehmen, in denen dies nicht so ist, besonders hervor. Dadurch wird eine Form der Anerkennung vermittelt, die Herrn Hong im Arbeitsalltag fehlt. 6.3.2 Hedonismus und Hierarchie. Einengung von Gestaltungsspielräumen im Arbeitsalltag Im Unternehmen von Herrn Hong geht es vielmehr um eine schnelle Umsetzung von Vorgaben, die meist direkt von der chinesischen Mutterfirma über den chinesischen Chef vor Ort in Deutschland kommen. Das strukturelle Problem besteht dabei darin, dass keine »Übersetzung« in die lokalen Gegebenheiten stattfindet, obwohl ausreichend Expertise dazu vorhanden wäre. Das beginnt bei relativ banalen Aspekten wie der Bedeutung von Verträgen, die Herrn Hong scheinbar vertrauter ist als dem chinesischen Vorgesetzten: »Immer bringt er den Stress: ›Das MUSS man so tun‹, aber es gibt keine Ausnahme bei Deutschen, wenn das nicht im Vertrag steht.« (Hong) Die Ursache für die ausbleibende Anpassung an deutsche juristische Standards bzw. das fehlende Verständnis für deren Bedeutung liegt zunächst und allgemein in einem Kommunikationsdefizit. Dem zugrunde liegt aber nicht unbedingt nur ein unzureichendes Wissensmanagement oder ähnliches, sondern hier scheint die hierarchische Position der Akteure ausschlaggebend zu sein. Denn die »andere Meinung, chinesische Meinung«, die Herr Hong seinem Chef zuschreibt, ist zumindest für den Tätigkeitsbereich von Herrn Hong kontraproduktiv – die »beste Lösung« von Herrn Hong findet sein Vorgesetzter »nicht so
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gut«. Herr Hong begründet dies damit, dass er und sein Chef in jeweils »eigene[n] Welt[en]« leben. Zwar sind beide Chinesen, die nationalen Kategorien sind jedoch zugunsten neuer Normalitätskonstruktionen von Herrn Hong verwaschen, er selbst sieht sich wie »so allgemeine Deutsche«. Es zählen daher auch jeweils unterschiedliche Standardisierungen und zwischen Herrn Hong und seinem Chef hat sich damit eine interkulturelle Situation ergeben, die von Fremdheit geprägt ist. Normalisierungsarbeit würde aber nur durch Kommunikation und Beziehungsarbeit gelingen. Aufgrund der niedrigeren hierarchischen Position von Herrn Hong bleibt er jedoch nur Empfänger von Anweisungen (»das MUSS man so tun«), wobei kaum eine Möglichkeit besteht, eigene Ideen oder Erfahrungen einzubringen. Einsichten aus der Forschung zum Diversity-Management bestätigen die damit verbundene verpasste Chance: »Belegschaften können noch so heterogen sein – wenn nicht reflektiert und mutig an den Beziehungen und an einer Kultur des Diskurses gearbeitet wird, wird das Potential kultureller Vielfalt verschenkt« (Kaduk/Osmetz/Förster 2009: 70, zit. in Bolten 2011a: 30). Sicherlich ist die stark ausgeprägte Hierarchie nicht überall und zwangsläufig Auslöser dieses Problems, sie birgt allerdings Potential für weitere Reibungsflächen, wie Herr Pfeiffer erläutert. Denn durch den streng hierarchischen Aufbau seines Unternehmens sind Formalia aufwändig und langwierig, was wiederum eine längerfristige Planung erschwert: »Und dementsprechend aber von dieser Herangehensweise, dass man eigentlich LANGfristig arbeiten möchte, ging das halt gar nich, weil man kann ja nichts organisieren ohne von 50 Leuten ne Unterschrift zu haben wegen Budget oder so. Und das geht dann halt nicht sechs Monate zuvor, das geben die auf den letzten Drücker. Und dadurch geht da zum Beispiel grad meine Arbeit, was im Nachhinein frustrierend ist, viele gute Möglichkeiten natürlich verloren, weil man ja, äh, das nicht langfristig planen kann. Oder man muss dafür lobbyieren, aber es ist sehr schwierig, das durchzukriegen.« (Pfeiffer)
Die wahrgenommene Differenz zwischen Langfrist- und Kurzfristorientierung kam schon im letzten Kapitel zur Sprache und scheint sich in diesem speziellen Fall zu bestätigen. Das Unternehmen kann bei Bedarf zwar flexibel reagieren, das setzt aber gute Verbindungen zur Leitungsebene voraus bzw. wird überhaupt erst von dieser initiiert. Eine nachhaltigere Strategie, die bottom-up angeregt wird, ist hingegen schwer durchsetzbar. Allerdings bleibt hier offen, inwieweit sich nationalkulturelle Charakteristika und ökonomische Überlegungen und Vorgaben überlagern. Ähnliche Strukturen sind so sicherlich branchenabhängig auch bei deutschen Unternehmen zu finden. Dabei arbeitet ein anderes untersuchtes chinesisches Unternehmen von ähnlicher Größe deutlich stärker im Stile
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internationaler Business-Vorgaben mit flacheren Hierarchien und strukturell vorgegebenen Möglichkeiten des Austauschs über verschiedene Hierarchieebenen hinweg. Was allerdings querschnittartig über die verschiedenen Unternehmen in Deutschland zu beobachten war, war der tiefsitzende Respekt oder vielmehr die deutlich devote Haltung gegenüber dem oder den Vorgesetzten seitens der chinesischen Mitarbeiter. Das zeigt sich beispielhaft in der Firma von Herrn Luo. Dort scheinen sich die chinesischen von den deutschen Kollegen genau darin zu unterscheiden: »Einzige Unterschied die chinesische Firma macht nur Arbeit, ja also folgen nur dieser Leitung, also was der Chef sagt und folgen das, aber deutsch Kollegen manchmal macht Spaß, ja er will so die Zeit geniessen und die Arbeit nur so machen. Ja das ist unser einziger Unterschied.« (Luo)
Das Bild vom hedonistischen deutschen Kollegen lässt nun noch kein Spannungsfeld entstehen, allerdings zeugen die weiteren Ausführungen von Herrn Luo davon, dass nicht nur hierarchische Kommunikationsbarrieren, sondern auch solche zwischen deutschen und chinesischen Mitarbeitern konstruiert werden. 6.3.3 Spaß und Spione. Oberflächlichkeit und Misstrauen Die Gründe dafür liegen aber nicht ausschließlich in nationalkulturellen Unterschieden, auch die Unternehmensstruktur hat damit zu tun. So bleiben die Gespräche mit den deutschen Kollegen oft deshalb auf einem »spaßigen«, aber auch oberflächlichen Niveau, weil sie als Vertriebsmitarbeiter vergleichsweise selten vor Ort im Unternehmen sind. Unter den chinesischen Kollegen im Büro entsteht hingegen ein intensiver Austausch – beispielsweise über gemeinsame Strategien, wie sie dem Chef in China gegenübertreten: »Das liegt an unserer Firmenstruktur, also wegen, die meisten Leute sind im Vertrieb, also Außendienst, ja und sind nicht so oft in unserem Büro. Also deswegen, wir haben allgemein nur ein Tag oder zwei Tage in unserem Büro, also deswegen [lacht]. Mit deutschen Kollegen zu sprechen, nur diesen Spaß, welche Kleidung kaufen wir, was planst du für den Fasching? Für nächste Woche können wir so Bowlen gehen. Aber mit den Chinesen denken wir immer auch so an die Arbeit, also, ja, was haben wir vor in dieser Zeit, also, wir haben ein Videomeeting mit dem Chef, was können wir sprechen, so, aber, wie gesagt, mit den Chinesen mehr Arbeit, mit deutsch Kollegen mehr so Spaß.« (Luo)
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Die deutschen Kollegen sind von solchen für die Zusammenarbeit durchaus wichtigen Überlegungen dann ausgeschlossen, wodurch wiederum ein Nährboden für Stereotype und negative Wertungen entsteht. Das zeigte sich beispielhaft an den Zitaten von Herrn Arendtmeyer, der ja bereits schon öfter zu Wort gekommen und im gleichen Unternehmen wie Herr Luo als deutscher Vertriebsmitarbeiter tätig ist. Ein anderes Beispiel bringt Herr Luo selbst zur Sprache. Im folgenden Zitat bezieht er sich auf den früheren, aus England stammenden Geschäftsführer der chinesischen Niederlassung in Deutschland: »Ich gehöre nicht nur zur deutschen GmbH, ich gehöre zur Hauptniederlassung, also finde ich, ich denke mal, mein Chef denkt, ich bin eine KONTROLLE. ER sitzt hier, manchmal kam er zu mir, aber ein Tag nur so halbe Stunde, also dazwischen nur ab und zu, aber wie gesagt, ich kann so verstehen, ich bin nicht so Spion, deswegen, ich langsam meine Meinung so öffnen zu meinem Chef, also was denke ich, was können wir mit den Chinesen tun, was können wir mit unseren Kollegen in Europa machen? Also dann, langsam, langsam können wir zusammen arbeiten, ja. Aber in eine chinesische Firma in Deutschland arbeiten nicht so einfach, wegen diese Personalwechsel, mein früherer Geschäftsführer ist nach einem halben Jahr schon weg, er hatte einen neuen Job gefunden. Dann nächsten Monat kommt ein neuer Geschäftsführer, das muss sich dann nochmal zeigen [lacht]. Nicht so, nicht so stabil. In unserer Firma wir sind sehr jung, nur zwei Jahre in Deutschland, ja.« (Luo)
Aufgrund der verzweigten Zugehörigkeiten der Unternehmenssparten und der scheinbar von Misstrauen und fehlenden Informationen geprägten Kommunikation kommt es zu einem Missverständnis: Der englische Geschäftsführer hält den von der Mutterfirma beorderten Nachwuchsmitarbeiter für Auge und Ohr der chinesischen Zentrale. Dabei haben womöglich gesellschaftlich fest verankerte Stereotype einen Anteil an dieser Vermutung, wird das Negativ-Bild vom schwer durchschaubaren und spionierenden Chinesen doch medial immer wieder bedient. Gleichzeitig befeuert die Unternehmenspolitik durch intransparente Strukturen und damit verbunden den fehlenden Informationen über die Aufgabe von Herrn Luo dieses Vorurteil noch zusätzlich. Herr Arendtmeyer führt diese verschiedenen Aspekte zusammen indem er feststellt: »Es gibt eine Kontrolle, es gibt eine Kontrolle in einem chinesischen Unternehmen, sag ich jetzt mal.« (Arendtmeyer) Aus einer solchen Gemengelage folgt dann im Beispiel von Herrn Luo, dass der Geschäftsführer Herrn Luo eher meidet und sich gegenüber Herrn Arendtmeyer negativ über die chinesischen Mitarbeiter äußert (von ihm stammte auch das bereits angeführte Beispiel zur fehlenden Arbeitsmoral der Chinesen – Stichwort: Ein Blatt hin und her schieben). Die Stereotype führen
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dann wiederum zu eher negativ konnotierten Erwartungen »hinsichtlich der Motive, Einstellungen, Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten« (Schwegler 2009: 6) an die chinesischen Mitarbeiter. Herr Luo antizipiert jedoch die verdichteten Befürchtungen seines Chefs, dass er ein »Spion« sei und zeigt sich verständnisvoll. Er versucht, dem Vorurteil entgegenzuwirken und macht offensive Kommunikationsangebote. Kühlmann (2005) konnte ganz ähnliche Verhaltensweisen in deutsch-mexikanischen Kooperationen beobachten. Hier bemühten sich die involvierten Akteure jeweils besonders stark darum, den Stereotypen, von denen sie annahmen, dass ihre Partner sie von ihnen hatten, nicht zu entsprechen und sie damit zu widerlegen (vgl. Kühlmann 2005 in Schwegler 2009). Im vorliegenden Beispiel versucht Herr Luo, das Heterostereotyp des undurchsichtigen und spionierenden Chinesen dadurch aufzuweichen, dass er den Geschäftsführer konsequent an seiner »Meinung«, das heißt, seinen Gedankengängen teilhaben lässt und ihn um Rat fragt (»was können wir mit den Chinesen tun, was können wir mit unseren Kollegen in Europa machen?«). So war es dann »langsam, langsam« möglich, eine funktionierende Zusammenarbeit zu gewährleisten. Hier bildete sich also durch Kommunikation eine Form von Normalität heraus. Dazu gehörte sicher auch, dass sich während dieses Prozesses Vertrauen durch »reziproke[…], sich selbst verstärkende[…] Schleifen« (Schwegler 2009: 4 mit Bezug auf Zand 1977) entwickeln konnte. Unterstützend wirkte sich womöglich auf die Vertrauensbildung aus, dass Herr Luo von seinem Chef als atypisch für die stereotypisierte Gruppe der Chinesen wahrgenommen wurde, wie Schwelger (2008) in einer Studie zu Vertrauen im deutsch-indonesischen Kontext herausgearbeitet hat. Allerdings wurde der Prozess der Normalisierung dadurch abgebrochen, dass der Geschäftsführer nach kurzer Zeit das Unternehmen bereits wieder verließ. Zum Zeitpunkt der Interviews mit Herrn Luo und Herrn Arendtmeyer fehlte noch immer ein Nachfolger. Das wirkte sich zum einen so aus, dass beide Interviewpartner den Zustand des Unternehmens als »nicht so stabil« charakterisierten und zum anderen, dass durch den Führungswechsel in naher Zukunft womöglich erneut mit einer Normalisierungsarbeit begonnen werden muss. Während hier vorschnell die Wahrnehmung von Herrn Pfeiffer herangezogen werden könnte, dass chinesische Unternehmen nämlich »bisschen chaotisch« seien, spielen in diesem Zusammenhang aber vornehmlich grundlegendere strukturelle Probleme in der Firma eine Rolle. Inwieweit die chinesische Leitungsebene dabei involviert war, konnten die Interviews allerdings nicht zeigen.
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6.3.4 German Gründlichkeit? Struktur und Flexibilität Einen Kontrast stellt – aufgrund der Vorannahmen zu deutschen Unternehmen fast zu erwarten – die Erzählung von Frau Song dar, die in einem deutschen Unternehmen in China arbeitet: »What I found was a very good side is, because from the very first job I did is, äh, after my graduation is in a German company. So I really learned a good working process I think. Like every day after meeting you have memos, it’s, it’s different form here, no memos and also the memos is a TOOL to help the things to be executive, so how to write memo and how to make this memo functional, you should write who is responsible for that and what is the responsibility and DEADline, all these things, I think it’s a work in process, ähm, I learned a lot. I think it is, I am not sure if this is a French style, German style, I think it’s a German style.« (Song)
Der »German style«, den Frau Song hier näher ausführt, entspricht weitestgehend den etablierten und eher positiv konnotierten Vorurteilen: In einem deutschen Unternehmen gibt es festgelegte Arbeitsprozesse, Meetings werden dokumentiert, Verantwortlichkeiten und Deadlines sind wichtig. Diese Strukturen empfindet Frau Song als angenehm und zumindest im Arbeitsleben wendet sie sie routiniert an (»I really learned a good working process«). Das geht sogar so weit, dass ihre Kollegen sie als »German mind« (Song) bezeichnen. Dass die ausgeprägte Strukturierung auch in weiteren der untersuchten Unternehmen zur Konstruktion von Normalität beiträgt, wird in Kapitel 7.3.1 noch deutlicher herausgearbeitet. Gleichzeitig ist dies in deutschen Unternehmen nicht zwangsläufig die Regel. In den vorangegangen Ausführungen kam immer wieder das Thema der »Flexibilität« zur Sprache, die chinesische, aber auch deutsche Akteure als andere Seite des als »chaotisch« wahrgenommenen Wirtschaftsstils konstruiert haben. Die deutschen Unternehmen erscheinen dann schnell als ein deutlich stärker durchstrukturiertes Gegenbeispiel. Wenn die ungewohnten Gegebenheiten des chinesischen Marktes (informelle Strukturen, Rechtsunsicherheit, etc.) auf Unsicherheiten in den deutschen Mutterfirmen treffen, sieht dies aber unter Umständen auch anders aus. So berichtet Herr Frei: »Gut, im ersten Jahr, sag ich mal, wo ich hier war, war hier alles noch ziemlich hemdsärmelig noch, das war also im Gegensatz zu Deutschland, da ging`s dann schon wirklich, man muss alles genau dokumentieren, aber hier is mer halt einfach rein und hat drauf los gemacht, ne. Das hat sich aber auch in den letzten Jahren geändert, also wir haben jetzt auch SAP [Softwarepaket für Unternehmen, A.S.] bekommen, also jetzt wird auch alles
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kleinstdokumentiert. Aber am Anfang war das wirklich, du kamst hier an…und Chef hat auch in Deutschland gesagt: ›Jetzt mach halt mal.‹ Dann haben wir halt mal gemacht. Dann ham wir angefangen und war halt hier mein eigener Herr von Anfang an, es hat mir keiner irgendwie gesagt: ›Du musst des und des machen‹, sondern einfach nur, ›das Ergebnis muss stimmen und wenn’s am Ende stimmt, mach, was du willst.‹« (Frei)
Herrn Frei wurden von der deutschen Mutterfirma beim Aufbau der Dependance in China deutlich mehr Freiheiten gelassen als dies in Deutschland der Fall gewesen wäre. Die Umsetzung der Unternehmensziele konnten von Herrn Frei daher flexibel in Angriff genommen werden, was von einem großen Vertrauen in die professionellen, aber auch intuitiven Fähigkeiten des Managers zeugt. Das ist durchaus nicht bei jeder Unternehmensführung die Regel und ist äußerst personenabhängig. Allerdings wurden die anfänglichen Freiheiten in engere Strukturen überführt, als sich die Tochterfirma etabliert hatte und sich Arbeitsprozesse normalisiert hatten. Interessant dabei ist, dass Herr Frei die Möglichkeiten, diese Arbeitsprozesse zu Beginn frei zu gestalten und dabei äußerst selbstbestimmt zu arbeiten als »ziemlich hemdsärmelig« beschreibt und erst dadurch, dass »alles kleinstdokumentiert« wurde, eine Professionalisierung für ihn stattgefunden hat. Gerade für die Mutterfirma scheint der etablierte deutsche Wirtschaftsstil von Bedeutung zu sein, für Herrn Frei hingegen ist es nach wie vor wichtiger, sein »eigener Herr« zu sein und zu bleiben und trotz der verengten Strukturen selbstbestimmt zu arbeiten. Die Spannung, die dabei mitunter zwischen Mutterfirma und der Tochter in China entsteht, wird in diesem Kapitel noch thematisiert (vgl. Unterkapitel 6.5). Die Gefahr hier besteht jedoch darin, dass eine starke Strukturierung (die so in der Regel vom Stammhaus vorgegeben wird) zu weniger Beweglichkeit der Firma führt, die damit aufgrund ihrer besonderen Disposition eben nicht nur eine Form von Sicherheit verstärkt, sondern eben auch beispielsweise Reaktionszeiten verlängert. 6.3.5 Emails, Telefonate oder Face-to-face? Auswirkungen der Unternehmensstrukturen auf die Art der Kommunikation Die Firmenstruktur bestimmt aber auch die Art der Kommunikation und so letztendlich die Art der Normalisierungsarbeit mit. Klarer wird das, wenn Herr Wang zunächst unterschiedliche Kommunikationspräferenzen auf persönliche Vorlieben und die Zeitverschiebung zwischen China und Deutschland zurückführt, dann aber deutlicher werden lässt, dass dies (auch) mit den vorherrschenden strukturellen Bedingungen zu tun hat:
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»As manager you have a responsibility, you have to be kind of COVERED, that means whatever action you are taking must be approved or must be agreed, must be, let’s say ok’ed by the counterpart in Germany. But, if it is only done orally, then you may have a problem in the future, that means: ›Who told you to do this and who has given you this function to do this?‹ Then you have no proof. So actually the communication has also to do with, you know, the way how the organization is, is established, ya, it’s organized. So, basically people communicate in writing because they want to have a very clear understanding because there is a difference of time zones and also because CEO structure and this distinct responsibility that is in your pyramid.« (Wang)
Der von Herrn Wang angesprochene Konfliktherd zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation wird immer dann virulent, wenn hierarchische Strukturen bedeutsam werden. Im Unternehmen von Herrn Wang wird von der deutschen Mutter noch stärker als in der Firma von Herrn Frei nachverfolgt, was in der Tochterfirma passiert. Daher klingt bei Herrn Wang auch die Präferenz zu schriftlicher Kommunikation durch – dadurch kann den Kontrollmechanismen und dem damit verbundenen Rechtfertigungsdruck besser entsprochen werden. Auch hier deuten sich Konfliktfelder zwischen Mutter und Tochter an, ein Spannungsfeld kann aber auch anderweitig entstehen. Denn wenn bestimmte persönlichere Kommunikationsformen wie ein Telefongespräch oder sogar Face-toface-Kontakte seltener genutzt werden, weil sich womöglich daraus ein Nachteil ergibt, können zum einen schneller Missverständnisse entstehen, zum anderen werden vielleicht mitunter Möglichkeiten zum Aufbau einer Beziehung vernachlässigt (was dann möglicherweise wieder durch die engmaschigen Strukturen aufgefangen würde). Obwohl im Zitat oben direkte Kontakte nicht erwähnt werden, spielen sie für die Beziehungsarbeit eine bedeutende Rolle, die sich auch unmittelbar auf die Art der Zusammenarbeit auswirkt. Das wird bei Herrn Müller sichtbar, der in einem größeren chinesischen Unternehmen in Deutschland angestellt ist. So bearbeitet er Mails von Personen, die er persönlich kennt, bevorzugt: »Und dass man sich halt auch so näher…wie letzte Woche Vertriebsschulung, da trifft man dann Leute, mit denen man seit zwei, drei Jahren zusammenarbeitet und noch nie gesehen hat. Und davor, hört sich dumm an, aber kommt ne Email von der Person rein, mach ich später, kennt man die Person, hat ne Bindung zu der Person, was schreibt der.« (Müller)
Anders als Herr Wang präferiert er zudem mündliche Kommunikationsformen, da er die oben bereits angedeuteten Vorteile schätzt:
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»Also, ähm, es ist einfach, dass das in der Geschäftswelt, dass die Taktfrequenz sehr viel höher geworden ist und gestern mit nem Kunden fünf Emails hin und her geschrieben bis wir das hinhatten. Wo ich mir auch gesagt hab, wieso mach ich nicht das, was ich mir eigentlich zurechtlege, nämlich ich nehm mir den Telefonhörer. Und das ist das, was ich mir zurechtgelegt habe, dass heutzutage werden ja Emails als…eine schnelle Art der Kommunikation, ohne Rechtschreibung alles und ein Satz und dann wird fünf Emails, um zu klären, was meint der jetzt damit, dass das viel vergessen wird einfach zu telefonieren und dass man das, was ich oft mache, ist, dass ich die Person, das ist aber in meinen Augen unabhängig davon, ob der in Deutschland sitzt, weil der Kunde, der saß in Deutschland, und dass es schon Missverständnisse innerhalb [lacht] 300km Entfernung, ähm und dass ich das oft so mache, dass, dass per Telefon und dann vielleicht per Email vielleicht nochmal. Das ist nicht chinaspezifisch, schließt aber China mit ein […].« (Müller)
Herr Müller scheint allerdings auch deutlich weniger als Herr Wang einem externen Druck ausgesetzt zu sein. Obwohl er hierarchisch auf einer ähnlichen Position angesiedelt ist wie Herr Wang, hat er einen größeren Spielraum für eigene Entscheidungen und kann dadurch selbstbestimmter arbeiten. Gleichzeitig lässt die gewählte Kommunikationsform nur eingeschränkt Rückschlüsse auf das Zusammenspiel unterschiedlicher Hierarchieebenen zu. Was hier bedeutsamer scheint, ist der Einfluss der Unternehmenskultur in den beiden Firmen. Dass dabei in chinesischen Firmen der hierarchische Druck durch den jeweils höheren Vorgesetzten und die Führungsebene in China besonders hoch ist, ist nicht immer stimmig, was auch an anderen Stellen im Interview mit Herrn Müller zu beobachten ist. Zu beachten ist dabei allerdings, dass das Unternehmen von Herrn Müller internationaler ausgerichtet ist und durch ein ganz anderes Produktportfolio zum Beispiel auch andere Formen der Zusammenarbeit ausgebildet hat. Herr Wang hingegen ist in eine stark strukturierte deutschstämmige Unternehmenskultur eingebunden. Bei den hier ausgewählten Beispielen zeigt sich zusammenfassend, dass Kommunikationsprozesse und mögliche kommunikative Spannungsfelder von mehreren Kollektivstandardisierungen beeinflusst werden. Es sind nicht immer nationalkulturelle Bruchlinien, die Missverständnisse auslösen können, was noch einmal im unteren Abschnitt des letzten Zitats von Herrn Müller deutlich wird, der Verständnisprobleme mit einem ebenfalls deutschen Kunden ansprach. Gleichzeitig sind Hierarchien in vielen der untersuchten chinesischen Unternehmen stark ausgeprägt, was durchaus mit der historisch-kulturellen Entwicklung Chinas in Verbindung stehen kann (vgl. dazu z.B. Liang/Kammhuber 2007: 174175). Dort hinein spielen aber auch immer unternehmensindividuelle Strukturen, die abhängig sind von den handelnden Akteuren und deren Bezugsrahmen, der
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Beziehung zur Mutterfirma, den gewählten Kommunikationsformen und letztendlich auch Faktoren wie der Marktsituation oder der Branche des jeweiligen Unternehmens.
6.4 S TOLZ UND V ORURTEIL . S PANNUNGSFELD B USINESS -V ERHALTEN 6.4.1 Optimierung und Unachtsamkeit. Interne Kommunikation Eng verknüpft mit der Unternehmensstruktur sind wahrgenommene Bruchlinien, die entlang unterschiedlicher Erwartungen und Vorstellungen laufen, wie sich jeweils andere Akteure im Arbeitskontext verhalten müssten. Solche Irritationen müssen nicht zwangsläufig negativ konnotiert sein, wie das folgende Beispiel von Frau Song deutlich macht. Hierbei taucht das Thema Hierarchie erneut auf, diesmal aber bezogen auf ein deutsches Unternehmen. Daraus ergibt sich zunächst noch kein Spannungsfeld, Frau Song beschreibt eher den deutschen »working style« bzw. den ihrer »Gruppe« mit flachen Hierarchien und regem Austausch über alle Ebenen hinweg. Das trägt wiederum zu einer angenehmen Arbeitsatmosphäre bei, Frau Song mag diese Form der Zusammenarbeit: »I think, the people I deal with from Germany, my German colleagues are all very friendly, I would say friendlier than friendly. If you have problems or things, we TALK – I don’t feel much hierarchy, but it’s different, maybe it’s from my group, it’s consumer goods, because I know from OTHER groups maybe they still have hierarchies or, you have no chance to talk to the big boss and you have lots of reporting, but from my group I feel, I quite like this, äh, working STYLE. We can discuss everything, assistant or director, if you have your own idea, we just put on a table and we discuss. If you have REASON, then, äh, you can be the DECISION.« (Song)
In den chinesischen Unternehmen in Deutschland ist die Art der Zusammenarbeit hingegen deutlich stärker hierarchisiert. Obwohl Herr Luo beispielsweise durchaus motiviert ist und Verbesserungsvorschläge für seinen Chef hätte – das zeigt im nächsten Zitat die starke Betonung der Worte »wollen« und »freiwillig« – findet eine »Optimierung« erst dann statt, wenn Schwierigkeiten während des von der Leitungsebene vorgegebenen Arbeitsprozesses auftreten. Von den Mitarbeitenden wird lediglich erwartet, dass sie die Aufgaben erfüllen und nicht, dass sie sich an deren Gestaltung beteiligen. Herr Luo schreibt diesen Arbeitsstil den »Chinesen« zu, die diskursorientierte Arbeitsweise den »Deutsche[n]«:
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»Mein Chef sagt: ›Du musst so, so, so machen‹, aber Vorschlag, natürlich gibt’s, aber nur wenig, also zuerst, die Arbeit fertig, dann: Optimierung. Aber, die Deutsche so, die machen die Optimierung vorher, die denken, Erfahrung dabei, ich hab’s so gemacht, das ist vielleicht nicht so toll, aber ich kann einen Vorschlag machen.« (Luo)
Obwohl bei Herrn Luo und Frau Song der »deutsche« Arbeitsstil als angenehmer attribuiert wird, stehen den positiven Aspekten jedoch auch negative gegenüber, wie Frau Song dann weiter ausführt. Auf den ersten Blick scheinen die negativen Aspekte eher einem strukturellen Reibungspunkt geschuldet zu sein, nämlich dem, dass die deutschen Kollegen in der Sommerferienzeit oder generell während eines Urlaubs nicht erreichbar sind: »So this is the good side, ähm…bad side I would say, SOMETIMES the decision making root is quite long. Especially something related to our German colleagues, especially in summertime when lots of vacation taking, so no way for overwork or during the vacation; stop it, stop it, you cannot get any RESPONSE.« (Song)
Obwohl Frau Song betont, dass dies keine Regel sei (»SOMETIMES«), stört sie dieser Aspekt doch merklich. So änderte sich ihre Stimmlage und das wiederholte »stop it, stop it« könnte salopp mit »lass es einfach« übersetzt werden, was ihren Unmut nochmals unterstreicht. Sie erwähnt dabei nicht, was genau es ist, was sie verärgert. Naheliegend ist, dass natürlich ihre eigenen Arbeitsprozesse verlangsamt oder unterbrochen werden. An anderer Stelle im Interview erwähnte sie jedoch, dass »European companies […] enjoy the life more than Chinese people (Song). Das drückt zunächst nichts Negatives aus, deutet aber zusammen mit der Aussage oben an, dass für Frau Song ihre deutschen Kollegen weniger achtsam gegenüber anderen sind, wenn es um deren persönliche Freizeit geht. Dort hinein spielt auch, dass Frau Song diese Kollegen auch in anderen Bereichen als selbstgefällig, wenig sensibel und sogar als herablassend wahrnimmt, wie sie im Folgenden ausführt: »Ähm…also ähm…I feel STILL some German people are very proud, äh…because we are colleagues, so the communication is ok, but sometimes when they communicate with our clients, ähm, maybe they don’t sense it, but for us we feel the manners sometimes, show a bit like you are the bigger…even when doing sales you know, we […] organizers we try to SELL our products to a company, so we are doing SALES. But even at this position, maybe still feel, äh, it’s like we are offering you a lot of things. So this is, äh, something very hard to say. Maybe German in…all companies not this way, but in China I would be very friendly, I can feel that.« (Song)
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6.4.2 Würstchen als Kaiser. Neo-kolonialer Habitus deutscher Expats Die ethnozentrisch-fordernde Haltung von deutschen Expats, die in China arbeiten und entsprechend auftreten, beschreibt ähnlich wie Frau Song auch Herr Seidel: »Ich sage Ihnen jetzt – so unglaublich des klingt – es gibt durchaus Unternehmen, wo des, weil halt die Expats sagen: [verstellt die Stimme tiefer] ›Was? Ich komm doch hier aus Deutschland! Und in Deutschland hab ich den Anspruch! Also hab ich des hier auch!‹« (Seidel) Herr Schneider wird sogar noch expliziter und liefert auch eine mögliche Erklärung für das Verhalten dieser Gruppe von Expats, die er vor allem in deren persönlicher (bzw. gar »genetisch vorbedingte[n]«) Disposition sieht: »Ein Problem, was ich feststelle oder meiner Meinung nach, also, wenn man in Deutschland schon oft Probleme hatte, den eigenen Ort, äh, zu verlassen und sich schwer damit getan hat, spontane Sachen zu unternehmen, dann glaube ich, dass man, dass sowas genetisch vorbedingt ist, dass einem das UMSO schwerer hier fällt und dass das gerade die Basis legt für Leute, die dann hier ausflippen oder den Status als…reicher Europäer ausleben, indem sie dann…Shanghai kann da mehrere Beispiele liefern, im Nachtleben ausflippen oder sich den Mitarbeitern gegenüber vollkommen schräg und überheblich benehmen, äh, so, so, so nen, Kaiser im Ausland und im Inland…ein Würstchen.« (Schneider)
Bei den Interviewpartnern wird durch die Art, wie sie diese Mitarbeiter beschreiben, recht deutlich, dass sie diesen Habitus durchaus nicht billigen. Frau Song distanziert sich in ihrem letzten Zitat daher von diesem Verhalten, indem sie »some German people« als Andere und sich und ihre Gruppe (sie nennt hier nicht explizit andere chinesische Mitarbeiter, meint wohl aber diese) als »Wir« konstruiert (»for us we feel[…]«). 6.4.3 Anforderungsprofile und Zwickmühlen. Kundenbeziehungen Das Spannungsfeld, das durch das Verhalten der deutschen Mitarbeiter entsteht, betrifft aber nicht nur das persönliche Werteset von Frau Song, sondern hat auch potentiell negative Auswirkungen auf ökonomisch relevante Aspekte. Gerade im Verkauf, den Frau Song als Beispiel anführt, sieht sie durch das beschriebene Auftreten Risiken. Sie empfindet die deutschen Verkäufer als zu wenig kundenorientiert (da sie die Kunden vielmehr als Bittsteller wahrnehmen), gerade im Hinblick auf den chinesischen Markt (»but in China I would be very friendly«).
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Die Auswirkungen benennt sie zwar nicht konkret, allerdings hat sie ein Gefühl dafür (»I can feel that«), dass ein solches Verhalten nicht positiv aufgenommen wird und daher im professionalisierten Kontext des Unternehmens nicht funktioniert. Hinzu kommt, dass die intuitive Wahrnehmung von Frau Song trotz der eigentlich flachen Hierarchien und des Austauschs oft nicht ausreichend wertgeschätzt werden, wie das Kapitel zu den kulturellen Mittlern – zu denen auch Frau Song gehört – noch zeigen wird (vgl. Kapitel 7.4.5). Frau Song deutete an, dass sie in China »sehr freundlich« sein würde und bezog sich damit vor allem auf chinesische Kunden, die scheinbar noch mehr als deutsche Kunden besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Für Deutsche ergeben sich daraus oft ungewohnte Situationen im Arbeitsalltag. Während die Kollegen von Frau Song die Bedürfnisse der chinesischen Kunden scheinbar noch nicht erfasst haben, hat Herr Frei durch den häufigen und direkten Kundenkontakt bereits bestimmte Muster erkannt und hat gelernt, damit umzugehen. Allerdings klingt in seiner folgenden Erzählung durch, dass er davon doch ab und zu – um es umgangssprachlich auszudrücken – etwas genervt ist. Das ist an seiner Wortwahl (»tut’s ned die Lucy allein«, »ich muss da aufkreuzen«) und einer Lautäußerung (»pfft«) erkennbar. Er spricht im Folgenden von der alltäglichen Beziehungspflege mit seinen Kunden, die auch abseits geschäftlicher Termine wichtig ist. Als Geschäftsführer muss er mit diesen Kunden auch persönlich Kontakt halten, obwohl er mit seiner Assistentin Lucy, einer Chinesin, eine zuverlässige und kompetente Mitarbeiterin hat, die seine Aufgaben problemlos erledigen könnte. Dabei spielt durchaus nicht nur seine hierarchische Stellung eine Rolle, sondern auch sein Ausländerstatus – Chinesen benennen Europäer wegen der deutlichen physischen Abweichung zu asiatischen Gesichtszügen »Langnasen«, was aber hier eher scherzhaft-freundlich konnotiert ist: »Die [Kunden, A.S.] ham eigentlich gar nix zu besprechen, die woll’n einfach, dass ich vorbeikomm. Und dann tut’s auch ned die [Lucy] allein, da muss ich dabei sein, weil ich die Langnase bin. Ob das jetzt die [Lucy] allein genauso gut macht oder pfft, das ist egal, also ich muss da aufkreuzen. Und es hat, ist auch oft ein Türöffner. Also ich hab oft, dass äh, ich Vertriebsleute hab’, die sagen, wir kommen bei den Kunden gar ned rein. Dann wird halt angekündigt, die Langnase kommt mit und dann geht’s auf einmal. Das ist also wirklich häufig.« (Frei)
Die Erfahrung von Herrn Frei, dass die bloße Tatsache, eine »Langnase« zu sein, ihm bevorzugt Zugang zu chinesischen Kunden ermöglicht, hängt auch mit dem
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Bild von deutschen Unternehmen in China zusammen.1 Das Kapitel zur Situation der Unternehmen in China (2.2.1) umreißt die positiv konnotierten Vorurteile, die im Zitat von Herrn Chen grob zusammengefasst werden: »Gute Qualität. Das ist der erste Eindruck und die Deutschen machen Arbeit vernünftig und deutsche Mentalität ist immer geradeaus. Okay, das ist mein erster Eindruck und auch meine Erwartung…und ich glaube, zu 90% passt das [lacht].« (Chen) Die scheinbaren Vorteile guter Qualität und »vernünftig[er]« Arbeit gehen allerdings auch mit besonders hohen Anforderungen chinesischer Kunden und Geschäftspartner an das deutsche Gegenüber einher. Einerseits bemerkt Herr Frei das daran, dass er nach wie vor als Kontaktperson gefordert ist, andererseits werden auch an die Produkte und Leistungen besondere Maßstäbe angelegt: »Weil, deutsche Firma, da muss alles 200%ig stimmen, also wenn es chinesische Produkte sind, sind sie mit 40% zufrieden, bei uns reichen eigentlich 120% nicht aus.« (Frei) Herr Frei agiert demnach zumindest im Kundenkontakt in der Rolle des Ausländers und kommt den damit verbundenen Erwartungen nach. Gleichzeitig ist ihm diese Rolle aus ökonomischen Gründen auch aufgezwungen – er füllt sie aus, um Kunden zu gewinnen und zu halten. Dass er dabei leicht »genervt« scheint, lässt zumindest ein schwaches Spannungsfeld vermuten. Es gelten andere Normalitätserwartungen als beispielsweise in Deutschland, die aber in anderen deutschen Unternehmen in China durchaus nicht gleich gehandhabt werden. Das zeigt die Perspektive von Herrn Seidel, der ebenfalls in einem deutschen Unternehmen in China tätig ist. Zunächst unterscheidet sich die folgende Erzählung von Herrn Seidel nicht grundlegend von den Erfahrungen, die auch bei Herrn Frei immer wieder anklingen: Aufgrund der Besonderheiten des chinesischen Marktes ist Flexibilität im Arbeitsleben gefragt. Herr Seidel würde sich das zwar anders »wünschen«, er nimmt die Gegebenheiten jedoch als unveränderlich hin. Aus diesem Grund ist es für ihn nicht mehr gänzlich ungewöhnlich, dass Geschäftsanbahnungen über persönliche Beziehungen entstehen: »Da China so schnell wächst, so schnell expandiert, muss man hier einfach auch schnell sein, das heißt, manchmal kann man gar nicht so formal sein, wie man das in Deutschland vielleicht WÄRE, weil dort alles irgendwo langsamer und auch strukturierter zugeht, hier geht es ned immer so strukturiert zu, auch wenn man sich das vielleicht wünschen würde, aber muss man einfach flexibel sein, hier kommts auch mal vor, dass ein deutscher Kunde
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So hat Herr Frei durch seine bloße Erscheinung schon »ganze Stickereien lahmgelegt« (Frei).
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oder ein potentieller Neukunde einfach mit MIR sprechen will oder MICH zumindest im…ersten Durchgang kontaktiert, weil er MICH halt kennt oder weil ICH ihn irgendwo zufällig kennengelernt und getroffen hab.« (Seidel)
Wie auch bei Herrn Frei ist der Kontakt zu Kunden oder Geschäftspartnern an die jeweilige Person gebunden und wie bei Herrn Frei erscheint Herrn Seidel dies als eine Praxis, die in einem deutschen Kontext weniger gängig, in China aber deutlich akzeptabler ist. Dabei spielt es durchaus auch eine strategische, wenn auch flexibel gehandhabte, Rolle, wer von seinen Kollegen mit welchem Kunden in Kontakt steht, wie Herr Seidel im Folgenden gleich ausführt (»und auch flexibel entscheiden, wer machts jetzt«). Hierin besteht dann jedoch der gravierende Unterschied zur Arbeitspraxis von Herrn Frei: Herr Seidel ist im anschließenden Erzählabschnitt überzeugt, dass chinesische Kunden »nur« von Chinesen kontaktiert und betreut werden können, »westliche« und darin eingeschlossene deutsche Kunden jedoch bevorzugt von einer »deutsche[n] Gruppe«: »Und des gilt für meine Kollegen genauso, also es gibt das OP-Chart [Organigramm, das Zuständigkeiten festlegt, A.S.] und dann gibt es darüber hinaus noch Tätigkeiten, wo man einfach…einander…unterstützen und auch flexibel entscheiden, wer macht’s jetzt. Es ist nunmal so, dass wenn Sie einen chinesischen Kunden angehen woll’n, das nur ein Chinese machen kann, wenn es ein westlicher und gerade auch deutscher Kunde ist, ist es oftmals so, dass eben das Erstgespräch oben von der CEO-Ebene, wenn Sie dort als deutsche Gruppe gehen, ham sie ein leichteres Entree.« (Seidel)
Nun sind die Voraussetzungen in den Firmen der beiden Interviewpartner nicht identisch: Zum einen hat Herr Frei die Dependance seines Unternehmens selbst aufgebaut, es war also auch seine Aufgabe, Kunden zu generieren. Dabei vereint er als Geschäftsführer eine hohe hierarchische Position mit seiner Fremdsprachkompetenz. Herr Seidel wurde hingegen eingesetzt, um Prozesse in seinem Unternehmen zu »verdeutsch[en]« (Seidel), ihm fehlt trotz seiner »guten Menschenkenntnis« (off record) die Fähigkeit, Mandarin zu sprechen (was für seine Arbeit allerdings auch nicht unbedingt relevant ist). Allein aus diesen unterschiedlichen Vorzeichen ergibt sich eine jeweils andere Perspektive. Aus dieser Konstellation entsteht kein direktes Spannungsfeld – Herr Frei arbeitet nicht für Herrn Seidel oder umgekehrt – es wird aber deutlich, dass aufgrund verschiedener Erfahrungen und kontextualer Bedingungen Normalitätsarrangements auch in auf den ersten Blick ähnlichen Settings (zwei Deutsche in ähnlicher Position in deutschen Unternehmen in China) deutlich variieren können. Allerdings lässt sich aus beiden Interviewauszügen wiederum die gefühlte und nur indirekt for-
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mulierte (An-)Spannung herauslesen, die diese erst in China etablierten Arrangements bei den Akteuren hervorrufen. Bei den chinesischen Unternehmen in Deutschland liegt der Grund für Spannungen mit den Kunden eher im negativen Image der Firmen, da potentielle Kunden schlechte Qualität und Kommunikationsschwierigkeiten erwarten. Herr Chen »kämpft« daher nicht nur mit seinen Kollegen in China, sondern muss sich auch für seine Firma bei den deutschen Kunden einsetzen: »Es ist […] ein bisschen schwer für eine chinesische Firma mit Deutschen zu kämpfen.« (Chen) Trotz der langen Zeit, die Herrn Chens Unternehmen bereits in Deutschland tätig ist, ist es für ihn immer noch notwendig, steigende Preise zu rechtfertigen und die Qualität seiner Produkte immer wieder aufs Neue zu garantieren. Während Herr Chen aber nur mit Image-Problemen »kämpft«, fehlt bei jungen chinesischen Unternehmen oft noch ganz und gar die Verbindung zum Kunden. Nach Herrn Luo ist oft noch nicht klar, »was der Kunde braucht« (Luo). Umso bedeutsamer ist daher die Verbindung zwischen den oft in China ansässigen Entscheidern und den Gegebenheiten der Kundenseite vor Ort: »Ich bin wie gesagt so eine Brücke, ja, so zwischen Deutschland, zwischen Europa und China, zwischen technische Seite und meinen Kunden, ja.« (Luo) Dabei ist Herr Luo auch dafür zuständig, den Kunden dabei zu helfen, die technisch anspruchsvollen Produkte seiner Firma anzuwenden. Das ist für ihn insofern schwierig, als dass er von Kundenseite mitunter auf Unverständnis trifft und mit Sprachproblemen konfrontiert ist oder die Kundenbeziehung über deutsche Kollegen läuft, die wiederum von den Kunden bedrängt werden, wenn Irritationen auftreten, die auf den Arbeitsstil der Kollegen in China zurückzuführen sind. So kommt es zum Beispiel immer wieder zu Verzögerungen bei Lieferterminen. Zwar wissen die deutschen Mitarbeiter, wo die Problemursache liegt, müssen sich aber auch vor den Kunden rechtfertigen. Um solche Situationen zu vermeiden, setzt Herr Arendtmeyer, Vertriebsmitarbeiter im gleichen Unternehmen wie Herr Luo, auf eine besondere Handlungsoption und gibt beispielsweise den Kunden zu ihren Gunsten einen späteren Liefertermin an als den, den sein Unternehmen festlegt: »Und oft ist es so, ähm,…man ist zwischen der, also für mich ist es so, ich bin zwischen, ich sitz zwischen dem Kunden und meinem Unternehmen. Und wen lüg ich jetzt an? Lüg’ ich den Kunden an oder lüg’ ich mein Unternehmen an? Eigentlich ist es besser, logischerweise mein Unternehmen anzulügen, damit ich meinen Kunden glücklich mache, weil ich möchte glückliche und zufriedene Kunden haben, ja.« (Arendtmeyer)
Diese Praxis des »Anlügens« ist für Herrn Arendtmeyer jedoch keine ideale Lösung. Im Interview wurde durch seinen Tonfall und seine Körpersprache deut-
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lich, dass ihm diese Erzählsequenz merklich Unbehagen bereitete. Beide Wahlmöglichkeiten, nämlich das Anlügen des Unternehmens oder der Kunden, sind für ihn schlecht und eigentlich ungewollt. In seiner Position als Vertriebsmitarbeiter, der Produkte verkaufen und Kunden binden soll, erscheint aber die fehlende Ehrlichkeit gegenüber dem Unternehmen als kleineres von zwei Übeln. Er vermittelt so zwar zwischen Unternehmen und Kunden – indem er den Liefertermin für seine Kunden anders kommuniziert, muss er mögliche Verzögerungen nicht rechtfertigen und seine Kunden reagieren nicht verärgert auf sein Unternehmen – allerdings fühlt er sich in dieser Rolle nicht wohl und erhält damit nur eine scheinbare Normalität aufrecht. Ihm fehlen jedoch mögliche Handlungsalternativen, da er selbst Probleme hat, die Normalitäten der chinesischen Kollegen und des chinesischen Managements nachzuvollziehen. Zudem hat er kaum Möglichkeiten, die chinesische Seite zu kontaktieren oder ihr seine Sicht der Dinge zu übermitteln. Das funktioniert wiederum nur über Herrn Luo, dessen niedrige Machtposition es jedoch verhindert, auch entsprechend Gehör auf höherer Ebene zu finden. Die deutsche und die chinesische Seite arbeiten eigentlich aneinander vorbei, was im Unterkapitel 6.5.2 näher beleuchtet wird. 6.4.4 Smileys und Hello Kitty. Ungewohnte Kommunikationspraxen im Arbeitsalltag Kommunikationsbezogene Spannungsfelder lassen sich auch in weiteren Arbeitskontexten finden. Ähnlich wie Herr Frei hat auch Herr Müller weitreichende Erfahrungen in China und spricht Mandarin. Als Manager in einem chinesischen Unternehmen in Deutschland hat er häufig auch schriftlichen Kontakt mit chinesischen Kollegen sowohl in Deutschland als auch in China bzw. ist in diesen eingebunden. Dabei ist ihm Folgendes aufgefallen: »Wenn ich chinesische Emails sehe, äh, ist das Chatfunktion mit Smileys ohne Ende, viel schlimmer als wir’s machen. Des sind aber auch Mätzchen von Chinese zu Chinese, was er mit Deutschen, die in China sitzen, nicht machen kann.« (Müller) Die Emails der chinesischen Kollegen und Mitarbeiter erscheinen Herrn Müller also als unangebracht. Er empfindet die häufige Verwendung von elektronischen Icons als »schlimmer als wir’s machen« und damit als negativ. Hinzu kommt, dass Emails als »Chatfunktion« genutzt werden, das heißt, dass mehrere Nachrichten mit knappem Inhalt in kurzer Zeit hin und her gesendet werden. Generell verwenden Chinesen nach Auskunft von Herrn Müller das Kommunikationsmittel Email anders als er dies tut bzw. als Deutsche (die er unter dem Begriff »wir« fasst) dies tun würden. Er gesteht Chinesen diese Art der Kommunikation jedoch zu, auch wenn er sie belächelt (»es sind aber auch Mätzchen von Chinese zu Chine-
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se«). Gleichzeitig ist er überzeugt, dass diese Kommunikationsform nicht zwischen Chinesen und Deutschen funktionieren könne. Die dabei verwendete Formulierung, dass Chinesen dies mit Deutschen »nicht machen« könnten, illustriert seine recht deutliche Ablehnung, die mit einem Machtungleichgewicht verbunden ist: Chinesen können es sich nicht erlauben, solche Mails an Deutsche zu schreiben. Dabei schwingt wieder die Vorstellung einer allgemeingültigen, internationalen Business-Etikette mit, die den deutschen Gewohnheiten eher entspricht als den beschriebenen chinesischen. Mails haben hier sicherlich einen informelleren Status als analoge schriftliche Unterlagen, im Geschäftsleben ist der Ton jedoch sachlich. Emails dienen dann weniger dazu, eine Beziehung zu unterhalten, was über die Emoticons leichter zu bewerkstelligen ist, sondern vielmehr dazu, Informationen auszutauschen. Dass dabei natürlich auch immer eine Beziehungsebene adressiert werden kann, bleibt unwidersprochen; es steht aber nicht als Kommunikationsziel im Vordergrund. Das scheint zunächst die Aussage von Herrn Luo weiter vorn in diesem Kapitel zu konterkarieren, der festhielt, dass es »mit den Chinesen mehr [um] Arbeit, mit deutschen Kollegen mehr so [um] Spaß« (Luo) gehe. Allerdings adressiert er hier eine andere Arbeitsebene, es sind keine direkten Vorgesetzten oder hierarchisch höher gestellten Manager, bei denen der Spaßaspekt virulent wird, sondern Kollegen auf gleicher Ebene. Hinzu kommt, dass beispielsweise Herr Arendtmeyer als ein deutscher Kollege von Herrn Luo seine Arbeit sehr ernst nimmt und das, was Herr Luo als »mehr so Spaß« bezeichnet, zwar im Berufsalltag auslebt, aber dennoch zwischen den »spaßig«-kollegialen und anderen arbeitsweltlichen Bereichen trennt (vgl. Schroll-Machl 2007: 79). Er deutet daher bestimmte Verhaltensweisen chinesischer Kollegen als ähnlich unprofessionell wie Herr Müller die EmailKommunikation: »Was mir auch aufgefallen ist,…und das ist auch meiner Kollegin aufgefallen, bei den Frauen glaub ich [spricht deutlich leiser] ein kindisches…Verhalten teilweise manchmal. Im Berufsleben. Ja. Wo ich mir denke: ›Und die Person ist zuständig für paar Millionen Euro? Nee, oder? Das versteh ich jetzt nicht ganz‹, ja. Und das ist wirklich so. Und da denkt man und dann sieht man und also, wirklich so: Ja! Stelln Sie sich vor, ich würde mich jetzt ausstrecken und gähnen und hahahihihi und Hello-Kitty-mäßig und keine Ahnung, ja. Und dann denkt man sich, ja, das kann doch nicht sein. Also wir sind irgendwo im Geschäftsleben hier, ok, und nicht auf der Spielwiese und tun grade im Sandkasten Bäumchen bauen oder was weiß ich.« (Arendtmeyer)
Bedeutsam ist bei diesem Interviewauszug, dass sich Herr Arendtmeyer nicht auf chinesische Kollegen allgemein, sondern auf weibliche chinesische Mitarbeite-
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rinnen bezieht. Er attestiert diesen Frauen ein »kindisches Verhalten«, das er dann versucht, genauer zu explizieren. Es ist ihm sichtlich unangenehm, dass seine Kolleginnen ihre Körperlichkeit und damit eine unterschwellige Sexualität so offen zeigen: Sie kichern viel (»hahahihihi«) und unterdrücken Bedürfnisse wie Gähnen und Sich-Dehnen nicht. Mit dem Ausdruck »Hello-Kitty-mäßig« rekurriert er auf eine in Japan entwickelte stilisierte weiße Katze mit einer pinken oder roten Schleife, die den Markennamen »Hello Kitty« visualisiert und auf zahlreichen Produkten weltweit vertrieben wird. Die Figur wird der japanischen Kawaii-Kultur zugeordnet, die sich vom gleichnamigen Begriff herleitet, der so viel bedeutet wie »niedlich«, »kindlich«, aber auch »attraktiv« (vgl. Nittono et al.: 2012). Während in Deutschland »Hello-Kitty«-Produkte mehrheitlich als für Kinder bestimmt wahrgenommen werden, bezeugen besonders in asiatischen Ländern wie Japan, Südkorea und China auch erwachsene Frauen ihre Vorliebe für Produkte mit Kawaii-Ästhetik. Hier mischt sich Kindliches und Frauliches, was gerade im Berufsalltag für Herrn Arendtmeyer eine explosive Mischung zu sein scheint. Auch Herr Weiß ist mit diesem Phänomen konfrontiert: »Ja, dieses Verkitschen. Selbst Frauen, na gut, was zählt in China als Frau. Die jüngste, so 22, 23, das zählt in Deutschland, da ist das ne Frau. Aber hier ist das ein kleines Mädchen. Aber selbst mit 35, die hängen da noch ihre rosa Püppchen da.« (Weiß) Beiden Männern sind die Verhaltensweisen ihrer chinesischen Kolleginnen und Mitarbeiterinnen jedoch hochgradig unangenehm. Herr Arendtmeyer versteht dies »jetzt nicht ganz« und statuiert fast empört, dass dies »doch nicht sein« könne. Herr Weiß nutzt den eher negativ konnotierten Begriff des »Verkitschen[s]« und spricht den Chinesinnen gar ab, Frauen zu sein. Vielmehr sieht er sie als »kleine[…] Mädchen«. Dabei kulturalisiert Herr Weiß diese Infantilisierung: Er formuliert nicht, dass er die Frauen als Mädchen wahrnimmt, sondern dass das »hier«, also in China, anders als in Deutschland, einfach so sei. Beiden stößt das damit verbundene Verhalten zunächst einmal besonders auf, da es sich im »Berufsleben« abspielt, worauf Herr Arendtmeyer konkret hinweist. Wenn Herr Weiß sagt »die hängen da noch ihre rosa Püppchen da«, meint er die Gestaltung der Schreibtische seiner Mitarbeiterinnen im Unternehmen. Zum einen geht es hier also um eine abweichende Normalität im abstrakten Kollektiv von Unternehmen mit internationalen Business-Standards. In Deutschland verhalten sich Frauen im Arbeitsleben anders, Herr Arendtmeyer verweist so bereits am Anfang seines Zitats darauf, dass dies selbst seiner (deutschen) »Kollegin aufgefallen« sei. Er versucht also einerseits, den Unterschied allein mit nationalkulturellen Spezifika zu erklären, das Geschlecht scheint eine kaum merkliche Rolle zu spielen. Andererseits scheint der Verweis auf die Kollegin auch damit erklärbar zu sein, dass ihm selbst bewusst ist, dass bei seiner Ausführung eine recht
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deutliche Sexualisierung der chinesischen Kolleginnen erkennbar ist, die er aber wiederum besonders im Berufskontext unbedingt vermeiden will. Die andere Kollegin dient hier auch als Schutzmechanismus, indem sie als weibliche Verbündete auftritt, die Herrn Arendtmeyers Perspektive teilt. Ein solcher Mechanismus greift auch, wenn Herr Arendtmeyer plötzlich leiser spricht und damit indirekt ausdrückt, dass ihm die Situation, von der er erzählt, peinlich ist. Da solche Untertöne am Arbeitsplatz in der Vorstellung von beiden Männern nicht angemessen sind, setzen sowohl Herr Arendtmeyer als auch Herr Weiß das Verhalten ihrer chinesischen Kolleginnen mit fehlender Professionalität und Verantwortungslosigkeit gleich: Herr Weiß sieht in den erwachsenen Frauen Kinder, Herr Arendtmeyer drückt mit den Sätzen: »[…] und die Person ist zuständig für paar Millionen Euro? Nee, oder?« etwas Ähnliches aus. Das daraus entstehende Spannungsfeld ist daher nicht nur eines, das allein aufgrund nationalkultureller Bruchlinien entsteht. Auch die unterschiedlichen Standardisierungen in den Kollektiven »Männer bzw. Frauen im Arbeitskontext« und »Privat- bzw. Berufsleben« mischen sich unter die Wahrnehmungen und Bewertungen. Tienari und Nentwich (2012) geben angesichts dieser Dichotomisierung aber zu bedenken, dass der Genderaspekt durch »particular actions« (ebd.: 130) in Organisationen verstärkt wird – ähnlich also wie auch die nationalkulturell attribuierten Eigenschaften. Dadurch werden Ungleichgewichte und Machtgefälle immer wieder reproduziert (vgl. ebd.: 130). Dabei spielt sicherlich eine Rolle, dass die untersuchten Arbeitskontexte generell stark von Männern dominiert und damit geprägt sind. Das klang beispielsweise im vorigen Kapitel an, als Herr Pfeiffer vom »kumpelhaften« Umgang mit seinen Kollegen wie unter »Bauarbeitern« erzählte, wird aber vor allem an der geringen Anzahl weiblicher Interviewpartner im Sample sichtbar. Sicherlich haben auch sowohl die wenigen Frauen in diesem Bereich als auch die meisten deutschen Frauen im Berufsleben ein anderes Selbstbild als die beschriebenen chinesischen Frauen. Gleichzeitig passen sie sich einer gewünschten Außendarstellung und einem damit verbundenen Habitus an. Ein Extrembeispiel sind »Business-Knigge«-Bücher, die sich explizit an Frauen richten und ähnlich typischer interkultureller Ratgeber, die sich jedoch auf nationale Unterschiede konzentrieren, Fallstricke und Benimmregeln für das Verhalten von Frauen im Arbeitskontext erörtern (vgl. z.B. Quittschau/Tabernig 2005). Kelan (2010) zeigt anhand von empirischem Material aus einer technikintensiven Branche in Deutschland, dass sich Frauen bewusst als so neutral wie möglich darstellen. Eine der Interviewpartnerinnen sieht sich nach Kelan (2010) »as a gender-neutral worker, not as a woman at work. If gender is not invoked there are no gender problems« (ebd.: 185).
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Die Reduktion der als »weiblich« wahrgenommenen Verhaltensweisen ist für beide Männer eigentlich eine organisationale Standardisierung, die hier tiefgreifend und für beide unangenehm irritiert wird. Da sich die chinesischen Frauen nicht bewusst zu sein scheinen, wie sie auf die Männer wirken, entsteht ein Spannungsfeld, das zwar oberflächlich an nationalkulturellen Verwerfungslinien entsteht, aber bei genauerer Betrachtung durch weitere und deutlich wirkmächtigere Reibungspunkte aufrecht erhalten wird. 6.4.5 Micromanagement und Pietät. Eigenverantwortung und Qualifikationslevel von chinesischen Mitarbeitern Ein ganz anderes, aber zentrales Spannungsfeld im Arbeitsleben ergibt sich aus den Erwartungen der deutschen Akteure mit Personalverantwortung und der Performance der jeweiligen chinesischen Mitarbeiter in Bezug auf eigenverantwortliches Arbeiten. Herr Schneider nimmt diesen Aspekt wie folgt wahr: »Ein Problem definitiv hier ist das EIGENständige Arbeiten der Mitarbeiter, um einen wirklich WESENTLICHEN Punkt zu nennen. Das kann phasenweise wirklich gut funktionieren und äh, das sind dann Hochgefühle, die das auslöst [lächelt], äh, aber man merkt relativ schnell, dass es auch wieder nen Knick kriegt. Und wenn man nicht KONSTANT diese Sachen bis ins Detail kontrolliert, laufen sie einem aus dem Ruder. Ähm, das möchte ich nicht beklagen, das ist ein Grund, warum ich hier bin. Ähm, kenn’ ich in der Form aus Deutschland nicht, da ist eigenständigeres Arbeiten da.« (Schneider)
Herr Schneider beschreibt dieses Spannungsfeld für sich als ein Auf und Ab (»kann phasenweise wirklich gut funktionieren«). Das Hoch zeigt sich dabei als kurzes Intermezzo, was sich immer wieder »relativ schnell« in ein Tief wandelt. Dieser Unregelmäßigkeit begegnet Herr Schneider, indem er »konstant« die Aufgaben und Projekte seiner Mitarbeiter begleitet und Zwischenziele wie auch Ergebnisse kontrolliert. Ansonsten würden sie »einem aus dem Ruder laufen«, was so interpretiert werden kann, dass Handlungsroutinen gestört sind, Ziele nicht erreicht werden bzw. in anderer Form bestehende Normalität irritiert wird. Diese bestehende Normalität ist zunächst kongruent mit einem deutschen Verständnis: Aufgaben werden dort in der Regel selbstständig von den Mitarbeitern erledigt. Die Arbeitsweise in China ist davon allerdings eine Abweichung (»kenn ich in der Form aus Deutschland nicht«). Gleichzeitig ist sich Herr Schneider der stets latent vorhandenen Unsicherheit in Bezug auf die Arbeitsleistung der Mitarbeitenden bewusst. Sie ist dadurch selbstverständlicher Teil des Normalitäts-
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konstrukts, in dem Herr Schneider selbst als normalitätsstiftende Kraft fungiert (»das möchte ich nicht beklagen, das ist ein Grund, warum ich hier bin«). Auch Herr Seidel, der sein Unternehmen »bissl verdeutsch[en]« (Seidel) sollte, kennt diese Herausforderung: »China erfordert unverändert viel Micromanagement. Wenn Sie hier oben sitzen, natürlich delegieren wir und wir bemühen uns, auch mehr zu delegieren, teilweise im Sinne von Personalentwicklung, ja, dass wir Leute fördern durch Fordern. Und dennoch: Sie müssen hier sehr eng abverfolgen…Und ich bin jetzt 10 Jahre hier, eben WEIL ich jetzt 10 Jahre da bin und das jeden Tag seh’, tu’ ich mich schwer zu sagen, ob sich das gebessert hat, geändert hat, weil die Chinesen sich im Einzelfall entwickeln oder nicht. Was ich sicher weiß, ist, Sie müssen immer noch sehr viel Micromanagement machen. Und des ist ein Urteil, das teil ich mit praktisch allen Expats und ich hab’ hier relativ viel Bekannte und Freunde in verschiedensten Unternehmen, das werden die Ihnen alle sagen, da bin ich sicher. Sie MÜSSEN es einfach abverfolgen und sicherstellen. Weil anders als in der westlichen Welt haben Sie nicht unbedingt in den jeweiligen Fachabteilungen Leute, die per se so stark sind, von der Qualifikation, DANN aber auch die EIGENinitiative zeigen…um Delegiertes durchzuziehen, so dass es zum Schluss Ihnen fertig wieder zurückgegeben wird. Das ist in China nicht der Fall.« (Seidel)
Das Zitat von Herrn Seidel fügt sich fast lückenlos an die Erzählung von Herrn Schneider an. Herr Seidel hat für seine Normalisierungsarbeit allerdings einen eigenen Namen: Er betreibt »Micromanagement«. Während Herr Schneider etwas Ähnliches seit etwa drei Jahren in seiner Firma anwendet, ist Herr Seidel mit zehn Jahren schon deutlich länger dabei, die Arbeit der Angestellten »ab[zu]verfolgen und sicher[zu]stellen«. Allerdings scheint sich keine Normalisierung in dem Sinne einzustellen, dass die Mitarbeiter letztendlich »EIGENinitiative zeigen…um Delegiertes durchzuziehen, so dass es zum Schluss Ihnen fertig wieder zurückgegeben wird«. Es bleibt eine Standardisierung der »westlichen Welt« (auch hier gibt es natürlich Ausnahmen), was laut Herrn Seidel auch andere Expats in China bestätigen. Allerdings ist dieser Unterschied eben ein bekannter und kann daher innerhalb der Normalitätskonstruktion in den Unternehmen (zumindest denen von Herrn Schneider und Herrn Seidel) bestehen. Dabei hilft sicher auch, dass Herr Seidel Erklärungen für die fehlende Eigeninitiative gefunden hat: »Der eine Grund ist, dass das Qualifikationslevel nicht immer dem entspricht, was wir in Westeuropa kennen, oder in Nordamerika, das ist der eine Grund. Wenn Sie sehr, sehr viel Geld ausgeben, bekommen Sie gute Leute, nur dann ist der Kostenvorteil weg.« (Seidel) Dabei folgt er jedoch vorerst einem ökonomisch-rationalen Erklärungsmuster. Die chinesischen Mitarbeiter sind ein-
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fach zu wenig gut ausgebildet und wenn sie es doch durch den Einfluss des »westlichen« Auslands sind, können sich Unternehmen mittlerer Größe solche Mitarbeiter nicht mehr leisten. Das sind durchaus weit verbreitete Probleme deutscher Unternehmen in China, wie sowohl der Bericht der Außenhandelskammer als auch Herr Seidel im Kapitel zu den Bedingungen deutscher Unternehmen in China bereits bestätigt haben (vgl. 2.2.1). Als er das Thema im Interview jedoch weiter ausführte, kam für ihn auch ein weiteres Erklärungsmuster in Frage, das kulturell begründbar ist. Dieses wurde für ihn deshalb relevant, weil er die Problematik fehlender Eigeninitiative nicht nur auf selbstständiges Arbeiten bezieht, sondern auch auf den persönlichen Umgang zwischen seinen Mitarbeitern. Er erzählt dazu Folgendes: »Ähm, und des führt dann halt dazu, dass…die BEREITSCHAFT, EIGENINTIATIV mit anderen Abteilungen zu kommunizieren, noch dazu dann hier über EMPFUNDENE Grenzen hinweg, die ist äußerst gering. Ich sag‘s ja oft zu Mitarbeitern, von mir aus auch im sogenannten Mittelmanagement: ›Ja, warum sprichst denn du ned mal mit ihm oder mit ihr? Ihr seid doch beide Chinesen, muss ich da jetzt wieder als Übersetzer dazwischen, ich kann doch gar kein Chinesisch!‹ Ich meine, nicht ganz subtile Ironie, ich sag das denen oft. Man muss die dann TREIBEN, sagen: ›Mensch, red doch mal mit dem. Dann sagst du mir, was irgendwie‹…Und das führt dann im Ergebnis zu diesem Micromanagement, das Sie vornehmen müssen,…bei vielen noch. Gut, ich mein, der Konfuzianismus äußert sich halt darin, dass äh, man den Chef, vor allem wenn’s ein Chinese ist, als das Oberhaupt schlechthin ansieht und sich entsprechend verhält. Vorauseilender Gehorsam. Also wohlgemerkt vorauseilend annehmend, was der wohl will und mag.« (Seidel)
Was Herr Seidel hier anspricht, ist ein unzureichendes Konfliktlösungsverhalten oder zumindest zunächst ein geringes Kommunikationspotential seiner Mitarbeitenden. Anders als er scheinen sie »EMPFUNDENE Grenzen« nicht als solche identifizieren zu können, vielmehr lassen sie diese als tatsächliche Grenzen bestehen. Herr Seidel sieht sich dann ungewollt in einer Mittlerfunktion, er verwendet den Begriff des »Übersetzer[s]«, der in diesem Kapitel bereits unter dem Stichwort des Spannungsfelds Sprache aufgetaucht ist. Da Herr Seidel nun aber nicht die Sprache der eigentlich in einen Konflikt involvierten Akteure spricht (»[…] ich kann doch gar kein Chinesisch!«), spielt er hier eher darauf an, dass er eine Aufgabe als Mediator und Motivator erfüllen muss (»Man muss die dann TREIBEN […]«). Der Hinweis, dass er dies mit »nicht ganz subtile[r] Ironie« tue, deutet auf einen direkten und damit vergleichsweise »deutschen« Kommunikationsstil hin. Sowohl die Mediationsaufgabe als auch deren kommunikative Umsetzung gehören nach Angabe von Herrn Seidel zum bereits erwähnten
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»Micromanagement«, das dazu beiträgt, eine funktionierende Arbeitsumgebung aufrecht zu erhalten. Da die »BEREITSCHAFT, EIGENINTIATIV mit anderen Abteilungen zu kommunizieren […] äußerst gering« ist, fühlt sich Herr Seidel verantwortlich, dieses Defizit (als solches wird es von ihm wahrgenommen) auszugleichen. Die Kommunikationsdefizite seiner Mitarbeitenden sieht er in diesem Spannungsfeld durch deren konfuzianistische Haltung begründet. Denn sobald eine der Konfliktparteien hierarchisch niedriger gestellt ist als die andere, scheint die Kommunikation aus Gründen der Pietät blockiert zu sein. Liang/Kammhuber (2007) führen dies genauer aus: So hat im chinesischen Gesellschaftssystem jeder Einzelne einen zugewiesenen Platz. Grundlage dessen sind »fünf Kardinalbeziehungen« (ebd.: 174), die bis auf eine freundschaftliche Verbindung ungleichwertig sind. Die jeweilige gesellschaftliche Stellung innerhalb dieses Gefüges bestimmt dann auch die Kommunikationskonventionen (vgl. ebd.: 174). Herr Seidel beobachtet das ähnlich in seiner unmittelbaren Arbeitsumgebung (»dass äh, man den Chef, vor allem wenn’s ein Chinese ist, als das Oberhaupt schlechthin ansieht und sich entsprechend verhält«). Der Hinweis auf einen »vorauseilenden Gehorsam« der hierarisch niedriger gestellten Partei beinhaltet jedoch auch eine Wertung, die die Zuschreibung »gehorsam« negativ färbt (»Also wohlgemerkt vorauseilend annehmend, was der wohl will und mag«). Auch hier greift ein Aspekt, der bereits im Spannungsfeld der Sprache eine Rolle gespielt hat: Das Bemühen, eine harmonische Ordnung beizubehalten und Konflikte zu vermeiden, geht mit einer indirekten Kommunikationsweise einher, die mitunter auch angepasste Interpretationen oder Vorannahmen einschließt. Herr Seidel nimmt dies erst einmal so hin (»Gut, ich mein, der Konfuzianismus äußert sich halt darin […]«). Wie bereits im vorigen Kapitel erörtert wurde, reichen ihm solche typischen, kulturellen Gründe als Erklärung jedoch nicht aus. So erwähnte er bereits, dass bei zu offensichtlicher Kritik oder einem Disput die Gefahr des »Gesichtsverlust[s]« bestünde. Gleichzeitig verknüpft er diese Erklärung mit allgemeingültigen, menschlichen Verhaltensweisen, die nicht nur in China, sondern auch in Deutschland Potential für Spannungen in sich bergen: »Geh’n Sie ned davon aus, dass der Logistikleiter glücklich darüber ist, dass man ihm vorgemacht hat, wie die Logistik auszusehen hat. Aber in Deutschland wär’ er’s auch ned.« (Seidel)
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6.4.6 Schweigen ist Gold? Diskrepanzen zwischen direkten und indirekteren Kommunikationsarten Probleme aufgrund indirekter und direkter Kommunikationspräferenzen ergeben sich auch in den chinesischen Unternehmen in Deutschland. Frau Handke adressiert im nächsten Erzählausschnitt »Missverständnisse« zwischen chinesischen und deutschen Kollegen: »Also die chinesischen Kollegen sagen halt nicht immer ganz genau,…wenn sie irgendwie was zum Beispiel nicht gut finden oder so was. Sondern die schweigen dazu und äh, dadurch entstehen, also grade auch im Umgang mit den deutschen Kollegen entstehen oft Missverständnisse. Die deutschen Kollegen halten sich für zu sehr im Recht oder, ja die Chinesen denken einfach, genau, die deutschen Kollegen denken immer sie machen alles richtig, weil die Chinesen zu manchen Dingen nichts sagen und in Wirklichkeit denken die Chinesen aber, äh: ›Ich find’ das überhaupt nicht richtig‹ oder so, aber sie sagen nichts und dann bauen sich gewisse Dinge auf und dann plötzlich kommt dann so’n Knall, dann sitzt dann plötzlich der chinesische Chef vor dem deutschen Kollegen und sagt: ›Hör mal‹, ähm also nicht unbedingt er muss gehen, aber irgendwie kriegt der so voll einen vor'n, vor’n Bug und dann ist der auch völlig verdattert und sagt: ›Aber ich hab das und das mit dir abgesprochen, ich hab dir doch gesagt ich will das so machen und du hast nichts dagegen gesagt und jetzt sagst du mir plötzlich es ist alles falsch und so, das find’ ich auch unfair‹, ne. Also, äh, also die Kommunikation ist manchmal, also grade im Geschäftsbereich ist sehr, ist sehr schwierig manchmal, ne!« (Handke)
Da Frau Handke die chinesische und die deutsche Seite gleichermaßen nachvollziehen kann, wird relativ klar deutlich, was die Gründe für die »Missverständnisse« sind. Auf der einen Seite halten sich chinesische Mitarbeiter mit Kritik zurück, während sich die deutschen Kollegen auf der anderen Seite vergleichsweise offen äußern. Spannung entsteht aber erst dadurch, dass beide Seite das Verhalten der jeweils anderen lediglich aus ihrem eigenen Bezugsrahmen heraus deuten. So fühlen sich die deutschen Mitarbeiter bestätigt, wenn sie nicht kritisiert werden; ihre chinesischen Kollegen scheuen sich aber viel mehr, vorhandene Kritik zu äußern und ärgern sich unausgesprochen darüber, dass sich ihr deutsches Gegenüber stets im Recht zu sehen scheint. Dadurch baut sich bei den chinesischen Mitarbeitern ein innerer Druck auf, der sich dann abrupt Raum verschafft (»plötzlich kommt dann so’n Knall«): Für den deutsche Mitarbeiter unerwartet wird er beispielsweise vom chinesischen Vorgesetzten gemaßregelt (»irgendwie kriegt der so voll einen vor’n, vor’n Bug«), was den Deutschen rat-
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los zurücklässt – schließlich deutete für ihn nichts auf solch harsche Kritik hin. Konsequenterweise fühlt sich der so Adressierte dann ungerecht behandelt (»das find ich auch unfair«). Dabei blitzt erneut die Bedeutung des tief verankerten Wertes der Gerechtigkeit auf, den Frau Handke bereits bei sich und nun auch bei ihren deutschen Kollegen bemerkt hat. Dieser kollidiert nun mit dem angestauten Ärger von chinesischer Seite, die über längere Zeit das Harmonieprinzip verletzt sah – es kommt zu einer recht klassischen »interkulturellen« Konfliktsituation. Hinzu kommt der tägliche ökonomische Druck, den Frau Handke an anderer Stelle in ihrem Unternehmen durchaus als stark wahrnimmt und sie zur Aussage bewegt, dass Kommunikation »eben im Geschäftsbereich […] sehr schwierig« sein kann. Auch Herr Frei hatte zu Beginn seiner Arbeit in China Probleme mit der Zurückhaltung seiner chinesischen Mitarbeiter, wenn auch in einer etwas anderen Ausprägung: »Anfangs, die größten Probleme war eigentlich die Angst der Leute vor mir irgendwie, also das war komisch, alle ganz verschlossen, alle immer ganz ruhig da gesessen. Und alle irgendwie ne Heidenangst gehabt. Aber das hat sich dann schnell gelegt und das sieht man auch da dran, dass die…Also wir ham mit drei Leuten plus mir gestartet und die drei Leute sitzen noch alle da, also die sind immer noch hier, sind nicht abgehauen [lacht]. Also ganz schlimm kann’s ned gewesen sein, aber das war so am Anfang die Schwierigkeit […].« (Frei)
Herr Frei interpretiert das Verhalten seiner Mitarbeitenden damit, dass sie eine »Heidenangst« vor ihm hatten. Das mag daran gelegen haben, dass Herr Frei gleichzeitig als Chef und als Ausländer wahrgenommen wurde. Da die Beziehung zum Vorgesetzten bei Chinesen von einer devoten Haltung geprägt sein kann und ein zudem ausländischer Chef womöglich schwer einzuschätzen ist, ist die verunsicherte Reaktion der Mitarbeiter auf Herrn Frei nachvollziehbar. Herr Frei empfand diese Situation als »komisch«, das heißt, er hatte scheinbar nicht mit einem solchen Verhalten gerechnet und war überrascht. Zudem war ihm die Situation vermutlich unangenehm, er verbindet sie schließlich mit den »größten Probleme[n]« bei seinem Einstieg. In diesem Beispiel sind für das noch sehr junge Unternehmenskollektiv also noch keine gemeinsamen Standardisierungen festgelegt, es gibt keine »Gebrauchsanweisungen« (Schütz/Luckmann 1975: 32) dafür, wie man miteinander umgehen soll. Dass es Herrn Frei gelungen ist, einen Prozess der Normalisierung zu initiieren, zeigt sein Hinweis, dass sich die Angst der Mitarbeiter »schnell gelegt« habe. Wie er das erreicht hat, zeigen u.a. die Kapitel 7.4.2 und 7.6.1.
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6.4.7 Morgen, morgen, nur nicht heute? Unterschiedliche Bewertungen von Verbindlichkeiten und Qualität Frau Handke hatte bereits bemerkt, dass Kommunikation »eben im Geschäftsbereich […] sehr schwierig« sein kann. Das umfasst auch noch weitere Spannungsfelder, die konfligierenden Verhaltensweisen im Berufsleben zugeordnet werden können. In Kapitel 5 zu den Selbst- und Fremdbildern attestierte Herr Arendtmeyer »den Chinesen« eine »phlegmatische Grundhaltung«. Diese Bemerkung gründete hauptsächlich darauf, dass Herr Arendtmeyer die Arbeitsweise seiner chinesischen Kollegen – entgegen deren Selbstwahrnehmung – als wenig selbstständig und effizient betrachtete. Auch deutsche Mitarbeitende im Unternehmen von Frau Handke sehen das ähnlich. Problematisch ist dabei, dass ihnen Strategien zu fehlen scheinen, mit dieser Diskrepanz umzugehen: »Es ist halt oft auch so, dass sie eben mit dieser nicht sehr effizienten Arbeitsweise der chinesischen Seite, also auch irgendwie sagen, sie kommen nicht klar, ne.« (Handke) Herr Schneider äußert sich ähnlich, bei ihm geht es jedoch um abweichende Vorstellungen von »Zeitvorgaben«. Während beispielsweise Liefertermine in Deutschland als verbindlich gelten, werden diese in China oft weniger genau eingehalten. Das ist laut Herrn Schneider »für nen Deutschen gar nicht nachvollziehbar« und er illustriert, wie schwer es sein kann, aus dem eigenen Relevanzsystem heraus eine solch andere Normalität zu verstehen: »Ähm, ZEITvorgaben werden hier auch anders interpretiert. Dieses chinesische chabuduo (
) oder dagai (
), also so in etwa, vielleicht dann und dann, plus/minus, und das
spielt sich immer noch in nem Zeitraum von ner Woche oder zwei ab, die sind für nen Deutschen gar nicht nachvollziehbar. Ähm,…also das sind konkrete Beispiele aus dem Alltag, die kennt man so in Deutschland nicht, wenn da ne Zeitvorgabe genannt wird, dann wird die nach ner Uhrzeit fast eingehalten. Da geht’s vielleicht mal um VORmittag oder NACHmittag, aber nicht mehr.« (Schneider)
Der Zeit-Aspekt wird bei der Gegenüberstellung kultureller Unterschiede zwischen den beiden Ländern recht häufig als Spannungsfeld genannt. So schreibt Schroll-Machl (2007), Deutsche seien auf »zeitliche Planungen geradezu versessen und auf Termineinhaltung pochend« (ebd.: 76). Nach Hall (1989b) richten sich Deutsche nach einem monochronen Zeitverständnis, das heißt, dass sie Zeit als knappes Gut sehen, das linear abläuft und eingeteilt werden kann. Termine sind daher verbindlich, wird dies in irgendeiner Form verletzt, kommt es zu Verärgerung (vgl. Schroll-Machl 2007: 77). Chinesen hingegen gehören nach Hall
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(1989b) zu der Gruppe, die sich an einem polychronen Zeitverständnis orientiert. Es geht hier also vorrangig um persönliche Beziehungen und weniger um das strikte Einhalten eines Planes. Zeit steht jeden Tag neu zur Verfügung und Aufgaben werden tendenziell parallel und nicht aufeinanderfolgend erledigt. Termine werden als flexibel und eher als Anhaltspunkt gedeutet. Bei einer solchen vereinfachten Gegenüberstellung ist es leicht nachvollziehbar, dass hieraus Spannungsfelder entstehen können (aber nicht müssen, wie beim Umgang mit solchen potentiellen Konfliktsituationen im folgenden Kapitel gezeigt werden kann). Angenommen, diese Prägungen sind so vorhanden, scheinen sie sich im Arbeitsalltag jedoch nicht immer ganz gleich in den Praktiken der Akteure auszuwirken. Denn obwohl auch Herr Schneider im Bezug auf China verallgemeinert, zeigt doch seine Aussage im vorigen Kapitel, dass solche homogenen Zuschreibungen auch immer wieder durchbrochen werden können. Dort formulierte er, dass chinesische Lieferanten »bemüht« und »verlässlich« seien und verwendet den Begriff der »Schnelligkeit«, um die Kommunikation mit seinen Lieferanten zu beschreiben (vgl. Schneider). Dennoch ergeben sich nach wie vor Spannungen auch mit Lieferanten, beispielsweise was die Qualität der Lieferprodukte anbelangt. Herr Li erklärt hier die Ursachen für das unterschiedliche Qualitätsverständnis mit Hilfe sprachlich-kultureller Aspekte: »I have to say, because, you know, our language is very blurred, it’s not like English or German, Western languages very precise. So that is why our painting, our words is more like abstract things. But your language, your painting or your artwork is very logical, detail-oriented. This is different culture. So applied to the work, they didn’t work, especially in the quality. So sometimes we thought that is ok, but in German side that is not ok.« (Li)
Hier wird deutlich, wie eine bestimmte, eigentlich auf den ersten Blick rein wirtschaftlich motivierte Unstimmigkeit kulturell gerechtfertigt wird. Sie wird nicht damit begründet, dass beispielsweise Zeit im Produktions- oder Beschaffungsprozess fehlte, die Herstellungstechnik nicht ausgereift ist oder die bisherige Qualität einfach für die bis dahin belieferten Kunden ausreichte. Vielmehr wird ein Bogen bis hin zur Auswirkung von Sprache auf Handlungspraxen geschlagen. Das kann durchaus ein gewichtiger Aspekt für das empfundene Qualitätsmanko sein; interessant ist aber, dass es in der Wahrnehmung von Herrn Li als einziges Kriterium genannt und elaboriert wird. Es scheint also in der Reihenfolge möglicher Erklärungsmuster ganz vorn zu stehen. Unabhängig davon, wie die oben genannten Differenzen erklärt werden, bleibt bei den deutschen Akteuren bzw. den Akteuren in deutschen Firmen in den Interviews mitunter das Gefühl bestehen, sich nicht auf die chinesische Seite
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verlassen zu können. In Frau Handkes Beispiel sind deutsche Mitarbeitende von Kritik überrumpelt, Herr Schneider muss sich auf verspätete Lieferungen einstellen, die nach Herrn Li womöglich für die Firma eine unzureichende Qualität aufweisen und Herr Pfeiffer erzählt Folgendes: »Also mit deutschen Kollegen…da kann man dann sagen: ›So, hier, du verteilst das oder du machst jetzt den Stand, wenn die kommen, du setzt dich mit Leuten, die halt mehr reden wollen da vorne an Tisch und guckst dir die Lebensläufe an und der nächste geht halt rum und kuckt mal, was die Konkurrenz macht‹. Da war ganz klar, Aufgaben verteilt, das machen wir so, ne und äh…mit den Chinesen kann halt sein, der macht einfach was anderes.« (Pfeiffer)
In Abgrenzung zu seinen deutschen Kollegen attribuiert Herr Pfeiffer die »Chinesen« ebenfalls – wenn auch indirekt – als unzuverlässig. Chinesische Kollegen handeln nicht nach Anweisung bzw. legen Aufgaben womöglich anders aus – im Ergebnis ist deren Tun für Herrn Pfeiffer jedoch unvorhersehbar und nicht planbar. Dabei differenzieren die deutschen Akteure durchaus zwischen den nationalen und weiteren Kollektiven. Im letzten Kapitel wurde so der Unterschied zwischen den Generationen in China genannt; hier zeigt sich, dass daraus aus deutscher Sicht Spannungen entstehen können. Diese bleiben im folgenden Zitat von Herrn Weiß zwar zunächst unspezifisch, allerdings macht er die Ursache dafür unmissverständlich klar: Die jungen Chinesen sind »verzogen«, der Umgang mit ihnen ist »wahnsinnig schwierig«. Das liegt, so Herr Weiß, wiederum an der Diskrepanz zwischen deren Ansprüchen und ihren tatsächlichen Fähigkeiten: »Ja weil du halt einfach, das ist, die kommen aus dieser jungen, verwöhnten Generation, die alles hinterhergeschmissen bekommen haben und auf einmal, äh, ja, kommen sie ins Berufsleben und da wird auf einmal was verlangt von denen und das ist unheimlich schwierig. Weil du stellst viele Leute ein, die sind erstmal der Meinung, du müsstest denen jetzt erstmal, äh, erstmal was bieten. Und äh, das hört sich auch doof an, aber diese verzogene, diese Ein-Kind-Politik da, und das ist wahnsinnig schwierig. Wenn die grad von der Uni kommen, hier aber erstmal richtig, dich als Firma, haben die erstmal richtig hohe Ansprüche. Wenn du die nicht erfüllst, dann naja.« (Weiß)
In anderen Interviews wird das unspezifische »dann naja« etwas näher ausgeführt. So berichtete Herr Seidel bereits über die Probleme, qualifiziertes Personal zu finden und zu halten; Herr Weiß beklagte sich über falsche Angaben in Lebensläufen (vgl. Kapitel 2.2.1). Herr Weiß bezieht sich aber explizit auf die »Ein-Kind-Politik«, also mehr eine politische denn eine nationalkulturelle Ei-
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genheit, die er dann auch nur der »jungen, verwöhnten Generation« und nicht dem Gesamtkollektiv der Chinesen zuschreibt. Auffällig ist bei diesem Unterkapitel, dass Spannungsfelder im BusinessVerhalten in den Interviews mit deutschen Gesprächspartnern deutlich häufiger – und dann recht scharf – geäußert wurden als das die chinesischen Interviewpartner taten. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass die deutschen Akteure besonders auf die Irritation von bekannten Strukturen im Berufsalltag reagierten, die relativ ökonomisch-technisierte Aspekte betreffen: Es geht um Lieferzeiten, um sachliche und schnelle Kommunikation, um eine selbstständige und effiziente Arbeitsweise, um persönliche Zurückhaltung, die sich auch im Kleidungsstil widerspiegelt. Das heißt nicht, dass hier keine Emotionen mitschwingen würden – ganz im Gegenteil – sie werden nur vermutlich anders angesprochen. Denn die chinesischen Interviewpartner legten den Fokus auf andere Spannungsfelder, wie z.B. Probleme in der Arbeitsbeziehung, da sie ein aus deutscher Perspektive »korrektes« Verhalten im Business-Alltag scheinbar weniger beschäftigte. Hinzu kommt, dass sich die hier genannten Themen mit einem Aspekt überschneiden, der ebenfalls Verhaltensweisen im Alltagsgeschäft betrifft und eine prominente Stellung in den Erzählungen einnimmt. Dabei steht die Beziehung mit der jeweiligen Mutterfirma im Zentrum, die immer wieder in den Interviews als ein Spannungsfeld auftaucht. Die nationalen Kategorien rücken in diesem Zusammenhang als Spannungspole deutlich in den Hintergrund. Dadurch verliert die Spannung aber keinesfalls an Intensität.
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ZUR
F IRMENLEITUNG
IM
6.5.1 Deutsche Stammhäuser und Töchter in China Herr Frei erläuterte bereits in der Einleitung, dass die »größten Schwierigkeiten« die »Anforderungen von Deutschland« seien, da die deutsche Zentrale nicht versteht, »was hier läuft«. Dieses Unverständnis rührt generell daher, dass das institutionelle Relevanzsystem des Stammhauses (bzw. die Bezugsrahmen der verantwortlichen Mitarbeitenden) beschränkt zu bleiben scheint (bzw. scheinen). Herr Frei zeichnet das mit Hilfe eines konkreten Beispiels nach:
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»Aber du weißt wahrscheinlich selbst, du musst chinesischen Kunden, wenn du da zum ersten Mal hinrennst, musst du froh sein, wenn der dir die Tür aufmacht und dann musst du wiederkommen, wiederkommen, wiederkommen und beim fünften Mal vielleicht dann kauft der was. Es sei denn, du schenkst dem irgendwas für, für Testzwecke [lacht], aber da sind wir wieder Schwaben, das wollen die ja nicht. Ja, und das sind halt immer so die kleinen Kabbeleien mit Deutschland, das ist eigentlich das Schwierigste.« (Frei)
Trotz des einstweiligen Vorteils durch den Ausländerstatus von Herrn Frei gilt es dennoch, Kunden auch durch Hartnäckigkeit zu überzeugen. Die Wahrscheinlichkeit eines Geschäftsabschlusses würde nach Herrn Frei etwas höher sein, wenn den potentiellen Kunden »irgendwas« als Geschenk angeboten würde. Ihm ist dabei durchaus bewusst, dass es dabei nicht um die erwähnten »Testzwecke« geht – das lässt sein Lachen vermuten – sondern um eine verkaufsfördernde Aufmerksamkeit. Solcherlei Geschenke sind in China üblicher als in Deutschland und werden mitunter sogar erwartet. Das Thema hat sicherlich Potential für eine weitere Diskussion um wirtschaftsethische Dilemmata, allerdings verfolgte Herr Frei im Interview einen anderen Erzählstrang. Er illustriert nun die »kleinen Kabbeleien mit Deutschland« damit, dass die Zentrale eben nicht bereit ist, solche Geschenke zu gewähren. Den Grund dafür verpackt Herr Frei in ein Stereotyp: Da die Firma in Schwaben ansässig ist, sind die schwäbischen Entscheidungsträger demnach zu sparsam oder gar zu geizig für derlei Extras. Interessant dabei ist, dass er sich zunächst dieser Gruppe selbst zurechnet (»aber da sind wir wieder Schwaben«). Er fühlt sich seiner Unternehmung als Ganzes also durchaus zugehörig. Wenn es allerdings um eine für ihn relevante Entscheidung geht, distanziert er sich auch sprachlich von der Gruppe in Deutschland (»das wollen die ja nicht«). Während bei Herrn Frei die wirtschaftlichen Folgen dieser »Kabbeleien« nur vermutet werden können, zeigt das Beispiel von Frau Song, die im Marketing eines deutschen Unternehmens in Shanghai tätig war, wie sich eine solche Bruchlinie konkret auswirken kann. Sie und ihre chinesischen Kollegen waren mit der bereits umgesetzten Neugestaltung der Firmenwebsite konfrontiert; die Idee dazu stammte vom Marketingteam der Firmenleitung in Deutschland und wurde vom deutschen Geschäftsführer in China unterstützt. Noch vor der Freischaltung war den chinesischen Mitarbeitenden bewusst, dass die für Deutschland und China standardisierte Seite so in China allerdings nicht funktionieren würde: Beispielsweise waren sie sich sicher, dass die dominierende Farbe schwarz, die von den Deutschen als »edel« empfunden wurde, bei den chinesischen Kunden nicht gut ankommen würde. Für die Produktpalette und Angebote der Firma erschien sie einfach zu dunkel. Dieses Empfinden dann aber mitzutei-
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len und bei den Entscheidern Gehör zu finden, war für Frau Song schwierig: »At that time it is really hard. Because this is not something you can calculate, you only say, we FEEL this is not suitable, this is really, depends if they trust you, they believe you or…or not. (Song) Frau Song ist also abhängig vom Vertrauen ihrer deutschen Vorgesetzten, sind die Einwände doch nicht klar zu benennen und nur gefühlsmäßig begründbar. Solche Intuitionen sind im Arbeitsalltag jedoch besonders von Bedeutung. So bedient sich auch der chinesische Geschäftsführer Herr Li eben dieser Fähigkeit, um den Arbeitsalltag zu gestalten und Normalität aufrecht zu erhalten: »Mmh, yes I know, because it’s really hard to say, it’s a kind of FEELING that we know the way we communicate in this way.« (Li) Allerdings ist es ihm durch seine leitende Position möglich, diese Intuitionen auch tatsächlich anzuwenden und wirken zu lassen. Frau Song hingegen musste warten, bis sich nach der Publikation der Website chinesische Kunden negativ über die neue Seite äußerten, die Anzeigen ausblieben und die Intuition sich so in messbaren Fakten manifestierte. Dass eine leitende Position den Umgang mit der Firmenleitung jedoch keinesfalls in allen Bereichen erleichtert, wurde bereits bei Herrn Frei deutlich und zeigt sich abschließend auch bei Herrn Wang, der in einer ähnlichen Position und ebenfalls in einer deutschen Firma in China tätig ist. Denn trotz seiner Stellung als Geschäftsführer obliegt es ihm mitunter nur, die Vorgaben der Firmenleitung in der Niederlassung umszusetzen. Dabei stößt er dann durchaus auf Widerstand bei den Mitarbeitenden in China, die die Entscheidungen aus Deutschland nicht nachvollziehen können: »We communicated already with the head office, ok, we know, what is required and then we have to tell our local people what they have to do and sometimes we have lots of discussions because they don’t see the necessity of this change or they don’t understand the decision from the head office.« (Wang)
6.5.2 Chinesische Stammhäuser und Töchter in Deutschland Solche sich rückkoppelnden Spannungen tauchen aber nicht nur in Bezug auf deutsche Stammhäuser auf, sondern wurden auch immer wieder von Gesprächspartnern in chinesischen Unternehmen in Deutschland angesprochen. So schien im Interview mit Herrn Hong bereits eine tiefe Frustration durch. Er kennt die rahmenden Bedingungen des deutschen Marktes, also zum Beispiel, dass Änderungen einmal vertraglich festgelegter Klauseln meist unmöglich sind. Gleichzeitig geht sein Chef von den flexibleren Voraussetzungen in China aus und verlangt von Herrn Hong entsprechendes Handeln. Er sitzt konsequenterweise
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sprichwörtlich zwischen den Stühlen. Verschärft wird diese Situation durch seine hierarchisch niedrigere Position, anders als es beispielsweise bei Herrn Frei und Herrn Wang der Fall ist. Ähnlich wie auch die deutschen Führungskräfte in China berichteten, bringen die Stammhäuser eben oft kein oder wenig Verständnis für die Situation vor Ort auf, weil die Verhältnisse dort schlichtweg unbekannt sind und nicht nachvollzogen werden können. So muss auch Herr Chen als eine Art Mittler agieren, wenn er versucht, für die fristgerechte Materiallieferung aus China eine schriftliche Bestätigung zu erhalten, die für den Produktionsplan in Deutschland unabdingbar ist. Obwohl bei Herrn Chen zu beachten ist, dass er Deutsch als Fremdsprache spricht und sein Wortschatz eingeschränkter ist, wird im folgenden Zitat mit seiner Wortwahl die Art der Verhandlung deutlich – es ist nämlich ein Kampf: »Wegen dieser schriftlichen Bestätigung [lacht] habe ich ungefähr zwei Wochen mit chinesischen Kollegen in Peking gekämpft.« (Chen) Während Herr Chen hier zwar auf Probleme stößt, aber eigenverantwortlich handeln kann, ist Herr Hong zusätzlich von seinem Chef abhängig. Da Herr Hong noch relativ jung und neu in der Firma ist, steckt er so oft in einer Dilemmasituation: »[…] weil die 40 Kollegen mit der hohen Stelle, die sind alle aus China, die haben meistens Meinung, die denken nicht wie wir, die Deutschen. Sie denken, alle denken so wie Chinesen. Aber wenn ich mit Deutschen und sage: ›Das geht nicht‹, dann: ›DOCH! Das gibt’s doch nicht!‹ Der Chef sagt: ›Ja das musst du so machen!‹ Aber in Deutschland geht das nicht, ja.« (Hong)
Herr Hong steht hier zwischen seinem direkten Vorgesetzten und seinen hierarchisch höher gestellten Kollegen, die entweder neu aus China nach Deutschland gekommen sind oder noch in China sitzen, auf der einen und seiner Intuition sowie seinem Wissen über den deutschen Markt auf der anderen Seite. Er wird gezwungen, den Weisungen des Chefs zu folgen, auch wenn diese entgegen seinen Erfahrungswerten laufen. Die Ursache für diese Diskrepanz sieht Herr Hong in den unterschiedlichen Denkweisen von Deutschen und Chinesen. Besonders interessant ist dabei, dass er sich selbst trotz seiner chinesischen Herkunft der Gruppe der Deutschen zuordnet. Das passiert auch in den Interviews mit anderen chinesischen Akteuren, die bereits lange in Deutschland leben und dort meist auch studiert haben oder ausgebildet wurden. Anders als die Führungskräfte in den deutschen Unternehmen in China kann er dieses Wissen jedoch schwerlich in einem Verstehensbildungsprozess zur Anwendung bringen. Ihm fehlt die dafür nötige Machtposition und er wird so nicht gehört.
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Herrn Luo, der in einer ähnlichen Position wie Herr Hong arbeitet, fällt allerdings das Übersetzen von der einen zur anderen Seite nicht nur im Umgang mit seinen Vorgesetzten, sondern auch im Arbeitsalltag mit Kollegen schwer. Das liegt nach seiner Aussage im folgenden Zitat daran, dass die semantische Übertragung von Inhalten zwischen den Parteien auch Zeit in Anspruch nimmt, die im stressigen Berufsalltag jedoch nur spärlich vorhanden ist. Dadurch gehen Informationen und Sinngehalte verloren. Hinzu kommt, dass er sich zum Zeitpunkt des Interviews noch in einer fachlichen Orientierungsphase befunden hat und Arbeitsabläufe für ihn noch nicht routinisiert waren: »Also ich glaube von meiner Seite verstehe ich meine Kollegen, also, das ist eine Schwierigkeit bei mir, also ich versteh’ die deutschen Kollegen, also was denkt Kollege oder ich versteh’ auch so, was denkt der chinesische Kollege. […] Also, zuerst übersetze ich Kollege diese Verständnis von Chinese zu meine deutsche Kollegen und dann muss ich auch, aber diese…eigentlich muss ich sofort die Information zu meine Kollegen geben, […] aber das, also wegen dieser Mischung, das gibt immer viel [Ver]Spätung, also das ist die Schwierigkeit von meiner Arbeit.« (Luo)
Die Probleme, die das Mittlersein für Herrn Hong und Herrn Luo mit sich bringen – zum einen die fehlenden Durchsetzungs- und Anwendungsmöglichkeiten des besonderen Wissens, zum anderen die Herausforderung des Übersetzens im anstrengenden Arbeitsalltag – lassen beide an ihrer Rolle zweifeln. Das zeigt sich besonders im folgenen Zitat von Herrn Luo, dem es (noch) nicht gelingt, diese Aufgabe vollends auszufüllen: »Ja, ich denke, so echte BRÜCKE kann man nicht sagen, ja, so, aber muss ich mit Übersetzung und so, was denken meine chinesische Kollegen oder was denken meine deutschen Kollegen oder Europa-Kollegen, also muss ich übersetzen. Das ist so ja. Aber echte Brücke, also zur Zeit, kann man nicht so sagen [lacht].« (Luo)
Während also die Aufgabe der Kommunikationsvermittlung zwischen chinesischen und deutschen Kollegen von Herrn Luo als schwierig wahrgenommen wird, fällt ihm der direkte Kontakt zu seinen Kollegen in China hingegen leicht. Das liegt zum einen daran, dass er noch Probleme hat, in der Fremdsprache Deutsch zu kommunizieren und ihm daher der Austausch in seiner Muttersprache entsprechend leichter fällt. Hinzu kommt zum anderen, dass hierbei die Verwerfung zwischen lokalen Verhältnissen in der Niederlassung und dem dominanten Mutterunternehmen keine Rolle zu spielen scheint. Denn in China kommuniziert Herr Luo mit Kollegen, die wie er Techniker sind. Er teilt mit
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ihnen daher ein gemeinsames Kollektiv, das fast noch mehr als die gemeinsame nationale Zugehörigkeit verbindet und in dem Hierarchien und damit Machtungleichgewichte keine große Rolle spielen. Die Schwierigkeit liegt dann also vielmehr darin, diese leicht zu verstehenden Vorgaben an die deutschen Kollegen weiterzuvermitteln, die zum einen eine andere Sprache sprechen und zum anderen aus ganz anderen Arbeitsbereichen kommen. Sie legen dann den Maßstab ihrer Erfahrungen, beispielsweise welche Anforderungen Kunden in Deutschland an den Vertrieb stellen, an die Informationen und die Arbeitsweise von Herrn Luo an. Da sie aber weder das vertraute Techniker-Kollektiv teilen, noch den anderen Arbeitsstil der chinesischen Kollegen gänzlich nachvollziehen können, ergeben sich Schwierigkeiten für Herrn Luo, der zwischen diesen Positionen platziert ist: »Für mich zur Zeit, ja, also, mit den chinesischen Kollegen zusammenarbeiten ist einfacher. Also zuerst so Sprache, zuerst, zweite, die Kenntnis, ja also, meisten meiner Ansprechpartner in China sind Techniker, also wir können gut, gut passen, was sprechen wir, was wollen wir, so, welche Schwierigkeiten bei unserer Arbeit, ja, so. Aber mit diese deutsch Kollegen oder die Leute in Deutschland, Europa arbeiten, also find ich, zur Zeit, die Arbeitsgebiete nich so, meine Kollegen sind meistens Vertrieb, also, die wollen natürlich sofort die Anforderungen anpassen, ja, so Produktion, Qualität und Belieferungszeit, Genauigkeit, er kann nicht so verstehen, in China gibt es da Unterschied, unterschiedliche Arbeitsbeziehungen, also in China, also wir sind nicht die eigentliche Produktion, wir haben nur die Partner so, dass man so vorher organisieren, also nich so sagen also, du musst das, dann können wir sofort, dies anbieten. Also find ich jetzt zur Zeit ist unsere Schwierigkeit, so mit die, die deutschen Kollegen das so zu sprechen.« (Luo)
6.5.3 Houston, du bist das Problem. Kommunikationsdefizite und unterschiedliche Erwartungen Zusammenfassend sind sowohl bei den deutschen als auch bei den chinesischen Unternehmen ähnliche Ursachen für das Spannungsfeld zwischen Niederlassung und Firmenleitung auszumachen. Zunächst bestätigt Moosmüller (2007), dass diese Konstellation »naturgemäß zahlreiche Interessenunterschiede« (ebd.: 484) hervorruft, also auch in anderen nationalen Kontexten auftritt. Dadurch, dass besonders Expats in leitenden Funktionen beiden Seiten verpflichtet sind, besteht unabhängig von deren Verhalten immer auch »die Gefahr, dass dies von einer Seite für schlecht befunden wird« (ebd.), was aber auch bei Mitarbeitern ohne Leitungsfunktion sichtbar wird (bspw. bei Herrn Hong und Herrn Luo). Diese
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Ambivalenz rührt den Interviews nach daher, dass die Firmenleitung Schwierigkeiten hat, aus ihrem Bezugsrahmen heraus die Bedürfnisse und Verhältnisse der Niederlassung nachzuvollziehen. Dass sie sich zudem nur selten bemüht, dieses Defizit auszugleichen, liegt wiederum an deren Selbstzuschreibung. So ist es nach Gertsen (2012) besonders für größere Unternehmen selbstverständlich, dass Lernprozesse »from headquarters to subsidiaries« (ebd.: 219) verlaufen und selten in umgekehrte Richtung. In mittleren und kleinen Unternehmen beobachtet sie zwar durchaus, dass die Befragten bereitwillig auch von den Niederlassungen lernen, beispielsweise was »working habits, harmonious communication and market-specific knowledge« (ebd.) angeht. Allerdings bezieht sich diese Beobachtung sowohl bei Gertsen (2012) als auch bei den hier befragten Interviewpartnern auf die Akteure in den Tochterfirmen und nicht auf die Leitung im Ursprungsland. Um die Ursachen dafür besser zu verstehen, müssten Akteure in der Mutterfirma befragt werden, was aber den Rahmen der Untersuchung sprengen würde. Einige der hier präsentierten Probleme lassen sich allerdings recht anschaulich mit einem zwar deutlich überspitzten, aber dafür als Illustration geeigneten Fall untermauern, nämlich der Mission der Apollo 3 (vgl. Weick 1977). Deren bereits im All befindliche Crew trat im Dezember 1973 in einen Streik. Grund war das Verhalten der Bodenstation in Houston, die den Astronauten einen nahezu mechanistischen Ablaufplan für Experimente etc. vorgegeben hatte, der den Bordmitgliedern keine Möglichkeit zu einer flexibleren Gestaltung ihrer Aufgaben ließ. Das lag auch daran, dass sich das Team der Bodenstation als »the planners« (Weick 1977: 35) sah und die Crew hingegen als »the implementers« (ebd.) definierte. Weick (1977) zieht dabei eine ausdrückliche Parallele zu Spannungsfeldern zwischen »headquarters and branches« (ebd.: 36), an deren Wirkkraft sich trotz des Alters des Artikels nicht viel geändert zu haben scheint. Obwohl beispielsweise Herrn Frei deutlich mehr Freiheiten von der Firmenleitung zugesprochen wurden (anders als z.B. bei Herr Wang), scheinen die Zuschreibungen der Firmenleitung noch immer zu Verständnisproblemen zu führen. Auch die deutlich verbesserten technischen Kommunikationsmöglichkeiten schaffen es scheinbar nicht, daran grundsätzlich etwas zu ändern. Das mag einerseits daran liegen, dass die Interviewpartner immer wieder betont haben, wie wichtig direkte persönliche Bindungen und das Erleben der Arbeitswelt vor Ort sind. Das setzt wiederum Vertrauen, Respekt und Offenheit (sowie die finanziellen Mittel) seitens der Firmenleitung, aber auch der Niederlassung voraus (vgl. Moosmüller 2007: 484). Andererseits sind auch die neusten technischen Mittel angesichts von Zeitverschiebungen und Nutzungsgewohnheiten immer wieder störanfällig und scheinen eine enge persönliche Zusammenarbeit nur teilweise ersetzen zu können.
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6.6 F REMDE H EIMAT . S PANNUNGSFELD P RIVATLEBEN 6.6.1 Der offensichtlich Fremde Herr Frei hatte in diesem Kapitel bereits erzählt, dass er es im beruflichen Kontext bei Werksbesichtigungen oder Kundengesprächen als äußerst unangenehm erlebt hat, als Ausländer im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Genau das ist ihm allerdings auch außerhalb des Berufsumfelds passiert. In der folgenden Anekdote aus seiner Anfangszeit in China kommen dabei noch weitere Aspekte hinzu, die für Deutsche hochgradig ungewöhnlich sind. Das zeigt sich auch darin, dass Herr Frei während des Erzählens mehrmals lacht und damit die gefühlte Absurdität der Situation ausdrückt: »Dann das ganze Reisen, die ganzen Kunden kennenlernen, erst mal sehen. Und dann auch hier in der Stadt bis man sich mal an alles gewöhnt hatte, vor allem dieses Angegafftwerden, das war, des war ein Riesenproblem am Anfang [lacht], weil ich, wie gesagt, so ziemlich der einzige Ausländer war hier, da konnt ich ja nirgends hingehen, ohne dass 20 Leute drum rum standen. Ich hab mal versucht, hier nen Fernseher zu kaufen, das ist dann damit geendet, dass, dass mindestens 50 Leute um mich rumstanden und mir bei dem Fernseherkauf zugeguckt haben [lacht]. Und da hatt’ ich ne Kreditkarte, die war jetzt neu…und, weil sie so neu war, hat ich irgendwie noch keine PIN, ich weiß auch ned wie, und ich bin da reingelaufen und die [Lucy] hat mir erzählt, das geht, ohne PIN. Und das ging dann natürlich ned, und dann ham die da angerufen auf der Bank und wollten meine PIN wissen, die die natürlich ned rausgerückt ham [lacht] und drum rum immer 50 Leute, die da zugeguckt ham und ich bin dann nachher dann so raus ohne Fernseher [lacht]. Am ganzen Körper geschlackert. Irgendwann stand ich mal da drin, dann schrien die dann da rum, ja die Geheimnummer, dann hat sie gesagt: ›Die ham mir gerade die Geheimnummer gegeben‹, sag ich: ›Die Bank hat dir garantiert die Geheimnummer NICHT gegeben.‹ ›Doch, doch, wir gehen jetzt zum Automaten und ziehen Geld.‹ Und dann sind wir zum Automaten gegangen und 50 Leute hinten dran her. Karte in Automat und hat natürlich ned funktioniert, weil das halt im Leben ned die Geheimnummer war, weiß der Teufel, was die denen gegeben ham. Und so ging das dann hin und her und da war ich am Schluss wirklich…bin heim, ohne Fernseher [lacht].« (Frei)
In der Erzählung von Herrn Frei wird eine recht harmlose und alltägliche Situation – die eines Fernseherkaufs – zu einer Art Spektakel, in dem sich Herr Frei als unfreiwilliger Protagonist befindet, der noch dazu in seinen Handlungsentscheidungen eingeschränkt wird. Das Unbehagen geht dabei so weit, dass es sich bereits physisch äußert (»Am ganzen Körper geschlackert«). Am Ende schließ-
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lich muss er sogar unverrichteter Dinge aus der Situation heraustreten – es war unmöglich, einen Fernseher zu kaufen. Hier verdichten sich verschiedenste Aspekte einer interkulturellen Situation: Es geht um deutliche Alterität, um unbekannte Handlungsoptionen, um Ohnmacht und um die Irritation eigentlich bekannter Strukturen. Das führt verständlicherweise zu irgendeiner Form von Verwirrung und Frustration. 6.6.2 Partnerschaft und Freundschaften in der Fremde Von negativ besetzten Gefühlen berichtet auch Herr Schneider, der allerdings nicht nur selbst betroffen ist, sondern auch mit den Fremdheitsgefühlen seiner Lebensgefährtin zurechtkommen muss, die ihn nach China begleitet hat. Dabei nimmt auch das direkte Lebensumfeld einen entscheidenden Part ein: »Meine Lebensgefährtin hab’ ich damals mitgenommen, um sie von dem Vorhaben, nach China zu gehen, zu überzeugen. Sprich, mein damaliger Aufenthaltsort wäre und mein Arbeitsort wäre und ist Shanghai gewesen. Sprich, ich hab sie mitgenommen auf einen Look-and-see-Trip und wir ham uns in Shanghai aufgehalten. Ich hab sie aber bewusst auch mit in Anführungszeichen sehr dreckige Gassen genommen, also wo’s einfach stinkt, die Toilette offen liegt und, äh, Tiere auf der Straße geschlachtet wurden. Ähm…sie hat das gesehen, hat das…realisiert, aber in Anbetracht der viel häufigeren Einflüsse: modern, schick, schön, eher, eher verdrängt. Letztendlich hier an den Ort zu kommen war für sie dann sehr, sehr schwer, weil eben [Stadtname] nicht Shanghai ist. Es ist 2007 nicht so modern gewesen, es gab nicht so viele westliche Restaurants, Geschäfte, wo man…westlich einkaufen konnte, bessere Lebensmittel, äh, draußen sitzen und Kaffee trinken, das, was so bisschen zu unserer Kultur gehört, das war 2007 nicht möglich. Erst dann sind so ganz grau die Bilder aus Shanghai wieder wach geworden, die vorher einfach verdrängt worden sind. Also diese Einflüsse speichert man ab und wenn man sich dann umstellen MUSS und zu einem gewissen Frustrationsgrad nicht bereit ist, dann kann das richtig, richtig schwer werden.« (Schneider)
Obwohl China inzwischen zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen ist, kann das Land bei Weitem noch nicht für alle einen höheren Lebensstandard garantieren. Und das ist selbst in den hochmodernen Städten, allen voran Shanghai, sichtbar. In der Stadt, in die Herr Schneider dann letztendlich mit seiner Lebensgefährtin beordert wurde, waren die im Vergleich zu Deutschland schlechteren Lebensverhältnisse deutlich präsenter als in der Metropole Shanghai. Andere Expats berichteten mir während eines informellen Abends, dass dies deshalb problematisch sei, da sie natürlich den gewohnten Lebensstandard bei-
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behalten wollen und sich dann in einer Art Parallelwelt befinden, die kaum mit dem Alltagsgeschehen verbunden ist. Das bestätigt auch Herr Weiß, der neben chinesischen Freunden vor allem mit anderen Expats befreundet ist: »Man hat dann ja so nen Freundeskreis, auch alle schon lange hier und man bewegt sich immer so auch nur in der eigenen Welt.« (Weiß) Zu diesem anderen Lebensumfeld gehört auch, dass bestimmte Selbstverständlichkeiten in der Freizeit plötzlich wegfallen. Herr Schneider nennt hier fehlende Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants und Cafés im gewohnten Stil. Das war vor allem für seine Lebensgefährtin schwierig, da sie sich dessen zwar mehr oder weniger bewusst war, die Umstände aber »verdrängt« hatte und sich so erst auf die Situation in der wesentlich weniger modernen Hafenstadt einstellen musste. Das wiederum birgt zwar kein direktes Spannungsfeld für die berufliche Tätigkeit von Herrn Schneider, im Privatleben ist das jedoch anders: »Also, man muss sich einfach bewusst sein, dass so ne Auslandsentsendung oder jetzt meine Entsendung, wenn ich meinen Vertrag verlängere, äh…Potential mit sich bringt, was so ne, so ne Beziehung beispielsweise auf’s Spiel stellen kann, das ist ein Thema, darüber muss man sich bewusst sein.« (Schneider)
Berufs- und Privatleben sind also in einer offensichtlich fremden Umgebung noch enger miteinander verknüpft, als das beispielsweise im europäischen Ausland mit ähnlichen Freizeitangeboten der Fall wäre. Aus diesem Grund ist für Herrn Schneider der Antrieb für seinen Auslandsaufenthalt auch kein monetärer. Die Motivation ist vielmehr eine intrinsische, die sich auch der negativen Seiten bewusst ist. Ansonsten führt die anhaltende Spannung dazu, dass ein Expat nicht längerfristig »glücklich« sein kann. Dafür sind auch soziale Beziehungen, ob nun zur Lebensgefährtin oder zu Freunden, ähnlich wichtig wie ein funktionierendes Arbeitsumfeld. Fehlen solche Kontakte, stellt sich ein Gefühl der Einsamkeit ein, dass ein schon bestehendes Fremdheitsgefühl noch verstärken kann, wie Herr Frei schildert: »[…] für mich persönlich die größte Schwierigkeit war, [Stadtname]…als ich hier ankam war’s noch’n Nest, das war nur halb so groß wie es heute ist oder weniger. Wir waren wie gesagt die erste Firma und das sollte dann zu diesem Zeitpunkt auch noch ne Zeit lang so bleiben, ich war so ziemlich der einzige Ausländer hier. Und die Anbindung nach Shanghai war, um die drei Stunden hab ich gebraucht für nach Shanghai zu kommen mit dem Auto. Weil die Autobahn war noch nicht fertig und die Hauptstraße ham sie grade ausgebaut zu dem Zeitpunkt. Und da waren immer irgendwelche Sperrungen und Ampeln und weiß der Teufel was, also hab’ ich wirklich drei Stunden gebraucht bis Shanghai rein. Und
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dann kam ich mir hier am Anfang schon ziemlich einsam vor, sagen wir mal so. Das war schon schwer.« (Frei)
Für Herrn Frei manifestierte sich diese Einsamkeit gleich durch mehrere Umstände: Die abgeschiedene räumliche Situation, sein exklusiver Ausländerstatus und die generell fehlenden Kontakte in einer neuen Stadt. Damit hatte Herr Frei durchaus »Schwierigkeit[en]«. Heute sieht seine Situation ganz anders aus, er hat eine Familie in China und hat Freundschaften zu Chinesen und anderen Expats aufbauen können. Nichtsdestotrotz sind der Aufbau und die Pflege von Beziehungen für deutsche Expats wie Herrn Seidel eine immer wiederkehrende Herausforderung: »Ich persönlich hab Freunde hier, ich hab Freunde gefunden. Das Traurige ist, dass viele Expats oft nur drei Jahre bleiben. Also, wenn ich jetzt von Freunden als Expats oder Expats als Freunden spreche. Beispielsweise jetzt am Dienstag fliegt dann einer…dauerhaft zurück nach Deutschland, der wird dann nur gelegentlich hierher kommen. Also, JA, das gibt es, genauso wie in Deutschland auch, denk ich. Hatt’ ich damals genauso. Und ich hab auch sehr gute, belastbare, persönliche Verhältnisse oder im Prinzip, ich würde sagen, ned Verhältnisse, mit chinesischen Mitarbeitern, wo man auch mal ein privates Wort spricht. Was ich jetzt nicht…na, was ich kaum mach’, nahezu kaum, kann man fast sagen NICHT mach’, dann mit den chinesischen Kollegen abends mal so zu zweit oder zu viert oder wie auch immer, Familie, Familie, des eigentlich nicht. Das mach ich nie.« (Seidel)
Zunächst spricht Herr Seidel im Zitat einen strukturellen Grund an, Expats sind eben in der Regel nur für einen befristeten Zeitraum im Ausland – und damit ist auch eine mögliche Freundschaft zumindest in ihrer Intensität befristet. Dennoch sind Freundschaften möglich, Herr Seidel sieht das bis auf die zeitliche Beschränkung ähnlich »wie in Deutschland auch«. Allerdings gilt das nicht für chinesische Kollegen. Zwar hat er zu einigen von ihnen »sehr gute, belastbare, persönliche« Beziehungen, die er selbst jedoch nur mit Mühe umschreiben kann und die sich scheinbar von denen zu den anderen Expats unterscheiden. Diese Form der Beziehung wird zwar von privaten Themen mitgetragen, allerdings besteht sie nur innerhalb des Arbeitsumfeldes und wird nicht ins Privatleben ausgedehnt. Herr Seidel stolpert in diesem letzten Abschnitt des Erzählens hin und wieder sprachlich, hier wird deutlich, dass er selbst Schwierigkeiten hat, diese Art des Miteinanders zu konkretisieren. Allerdings kann er gut begründen, warum die Beziehung zu den chinesischen Kollegen so ist wie sie ist:
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»Ich habe das Gefühl, dass das denen oftmals unangenehm ist, weil die ned wissen, die WISSEN ned, wie SIE ihrerseits damit umgehen soll’n. Und insofern betreib’ ich da fast ne Art Selbstzensur, indem ich sage, ich will die ned in diese unangenehme Situation, für SIE unangenehme oder VIELLEICHT unangenehme Situation bringen. Aber, es gibt ja auch unter den chinesischen Kolleginnen und Kollegen viele, die…was miteinander unternehmen. Von mir aus zwei Kolleginnen, die dann abends Essen gehen oder ganze Abteilungen, die dann KTV [Karaoke, A.S.] singen und so, das ist gemeinhin bekannt. Ich mein’, wie ich vorhin schon gesagt hab, da gibt’s welche, die einfach sehr gut miteinander können, wo die Chemie stimmt. Jetzt wieder andere…die sind einfach nur Kollegen [lacht leise]. GENAU wie in Deutschland.« (Seidel)
Herr Seidel scheint im Abschnitt oben deswegen verunsichert gewesen zu sein, weil er seine chinesischen Kollegen selbst schwer einschätzen kann. Er lässt sich nur von seinem Gefühl leiten, dass die Kollegen eine zu vertrauliche Beziehung als »unangenehm« empfinden könnten. Das geht soweit, dass er eine »Art Selbstzensur« betreibt. Er vermutet, dass die Kollegen nicht wissen »wie SIE ihrerseits damit umgehen solln«. Allerdings spezifiziert er nicht, was denn nun genau an der Beziehung unangenehm ist. Ein möglicher Hinweis findet sich im Interview mit Herrn Weiß, der es vermeidet, beispielsweise beim Mittagessen bei seinen Mitarbeitenden zu sitzen: »Aber ich hab das selten gemacht, dass ich mich da dazugesetzt hab, einfach nur, weil den Mitarbeitern denen PASST das überhaupt nicht. Die sollen, die sollen die halbe Stunde wenigstens ihre RUHE haben, weil ich merk’ das immer, du kommst dann rein und schlagartig brechen alle Gespräche ab. Das ist nicht gut, die sollen auch ruhig ne halbe Stunde über mich lästern oder mal…ja. Und das hat jetzt nix damit zu tun, dass ich da nicht mit meinen Mitarbeitern sitzen will oder sonst irgendwas, es ist für die einfach nicht, isses nicht gut.« (Weiß)
An der Reaktion der Mitarbeiter wird in der Tat recht klar, dass Herr Weiß fast schon als einschüchternd wahrgenommen wird. Das liegt aber auch darin begründet, dass er in seiner hierarchisch höheren Position an bestimmten Themen nicht teilhaben soll und ihm besonderer Respekt entgegengebracht wird (was nicht zwangsläufig »chinesisch« ist, sondern auch in einem rein deutschen Setting so denkbar wäre, was Herr Seidel im letzten Satz seines Zitates anklingen lässt). Er kann das allerdings durchaus nachvollziehen und empfindet diese Abgrenzung als wichtig für ein angenehmes Betriebsklima. Ähnliche Überlegungen können bei Herrn Seidel mitschwingen, der bewusst Grenzen zieht, um seinen Kollegen damit Freiheiten zu geben. Beide Männer nehmen sich in Kontexten
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privater Natur also bewusst zurück und schränken ihre Kommunikation damit ein, um wiederum in beruflichen Situationen bessere Voraussetzungen für gelungene Kommunikation herzustellen. 6.6.3 Heimweh und Unverständnis in der Heimat Private und berufsbezogene Kollektive werden in den Erzählungen zwar recht strikt voneinander getrennt, beeinflussen sich aber. In Deutschland zeigte sich das daran, dass Chinesen im Privaten meist unter sich blieben. Die enge Bindung an die chinesische Community ist zum Großteil emotional begründbar. Ein bedeutender Faktor ist das Gefühl von Heimweh, das noch dadurch verstärkt wird, dass besondere chinesische Standardisierungen in Deutschland eher untergehen und nicht oder nur wenig ausgelebt werden können. So erzählt Herr Chen: »[…] weil ich vermiss’ meine Heimatland sehr. Weil zum Beispiel wir haben ganz verschiedene ähm Feste…in China. Wir haben keine Chance hier Großes zu machen, aber wir machen trotzdem. Ähm, aber im Verhältnis, ich würde sagen, meistens nach europäischer oder nach deutscher, äh, Methode richten.« (Chen)
Solche Standardisierungen beginnen bei bestimmten Festen, die dann weniger groß gefeiert werden können als das in China der Fall wäre. Wenn Herr Chen aber davon spricht, dass er sich »meistens nach europäischer oder nach deutscher […] Methode richten« würde, weiten sich das Andere und damit womöglich auch das Heimweh aus. Denn diese Anpassung bezieht er nicht eindeutig nur auf das Privatleben, sie scheint auch im Arbeitsalltag auf: »[…] wenn ich was mache, dann mach ich zuerst einen Plan. Und äh, mach ich zuerst auch einen Termin. Bevor dieser Termin, ein oder zwei Tage werde ich eine Email schreiben oder anrufen, um diesen Termin nochmal, noch einmal zu bestätigen. Und äh, das ist eine typisch deutsche Methode, in China macht man nie oder wenn ich ein Flugticket kaufe, will ich immer schriftliche Bestätigung und auch diese...äh...wie heißt das...äh Sitzplatzreservierung und auch schriftlich besser [lacht]. Und damit, okay ich bin erleichtert, wenn ich diese Papier in der Hand habe.« (Chen)
Nun beschreibt Herr Chen hier kein Spannungsfeld, das sein Privatleben direkt betrifft, allerdings nimmt er diese »typisch deutsche Methode« mit in ein Kollektiv, in dem diese unterhaltsam anmutet. So berichtet er von seinen Heimaturlauben bei seinen Eltern: »Wenn ich jetzt Urlaub zurück nach China mit meiner Mama oder Papa zusammen bin und wenn ich solche Dinge mache und äh, mein
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Vater und Mutter kaputtgelacht. Zu viele Gedanken [lacht].« (Chen) Herr Chen erlebt hier einen interessanten Twist: Durch seinen langen Deutschlandaufenthalt sind für ihn bestimmte Standardisierungen normal geworden, die aber in seiner Heimat auf Gelächter stoßen. Die Eltern drücken dadurch aus, dass sie von den Verhaltensweisen des Sohnes irritiert sind, der für sie zu kopflastig agiert. Das ähnelt den Erfahrungen von anderen Migranten, die im Gast- und im Heimatland als fremd wahrgenommen werden, weil sie sich nicht genug bzw. zu viel verändert haben. Das Fremdheitsgefühl bleibt dann latent und längerfristig bestehen, was durchaus zu emotionalen Schwierigkeiten führen kann. Goffman (1992) nutzt in diesem Zusammenhang den Begriff des »Stigmas«. Eine Person ist stigmatisiert, wenn sie von gesellschaftlicher Normalität abweicht und »nicht vollständig den Status eines normalen Mitglieds der Gesellschaft erreicht« (Münch 2002: 301 mit Bezug auf Goffman 1992). Das klingt relativ dramatisch und trifft zumindest auf den ersten Blick für die Interviewpartner nur partiell zu. Der Anpassungsdruck, die Spiegelung von Fremdheit in der »alten« Heimat und der Rückzug in diasporische Gemeinschaften zeugen aber von einer Belastung, die durchaus als Stigma empfunden werden kann.
6.7 I NTERKULTURELLER A LLTAG . Z WISCHENFAZIT Viele der in diesem Kapitel skizzierten Spannungsfelder beruhen nur auf den ersten Blick ausschließlich auf typisch nationalkulturellen Polen. Es wäre aber zu kurz gegriffen, deren Einfluss zu bagatellisieren. Dafür sind sie für die Akteure zu präsent bzw. werden überhaupt erst als Ursache für Spannungen betrachtet. Gerade deswegen kommt es aber mitunter zu Verwischungen. Dabei überlagern sich unterschiedliche Spannungsfelder, die aber mitunter trotz ihrer Wirkmächtigkeit in einer bestimmten Situation nicht erkannt werden. Dadurch werden in einigen Beispielen beobachtete Differenzen nationenbezogen kulturalisiert, auch wenn eigentlich Unterschiede oder fehlende Anknüpfungspunkte zu ganz anderen Kollektivstandardisierungen gerade zu Irritationen führen. Lau und Murningham (2005) sprechen in diesem Zusammenhang von »faultlines«, die sich entlang demografischer Merkmale ausbilden und sich durch Summierung verstärken können (wenn bspw. eine junge chinesische Frau mit einem älteren deutschen Mann interagiert). Doch selbst wenn Differenzen von den betroffenen Akteuren ohne diese Verschiebungen und damit klarer identifiziert und sogar erklärt werden können – beispielsweise mit Hilfe von »native terms« (Zorzi 1999: 279) wie guanxi – bedeutet das nicht, dass der Andere auch verstanden wird oder der- bzw. diejenige nicht irritiert wäre. Denn sowohl bei differenzorientierten
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Charakteristika von Spannungsfeldern wie auch bei denen, die universellmenschliche Aspekte aufweisen, ist deren Ausgangspunkt zunächst das Gefühl, dass etwas anders ist als das Gewohnte und Akteure plötzlich wieder vor Fragen gestellt werden, die ihnen im Rahmen ihrer bekannten Normalitätskonstruktionen gewissermaßen erspart bleiben: »Was kommt denn nun wieder auf mich zu? Was ist hier eigentlich wieder los? Was mach ich da jetzt wieder draus?« (Hitzler 1992: 451, zit. in Zorzi 1999: 47). Hitzler bezieht sich hier auf die Goffmanschen Leitfragen, die sich nach dessen Ansicht zunächst jeder Akteur in jeder Situation mehr oder weniger bewusst stellt, die aber bei Irritationen deutlich in den Vordergrund rücken. Die Welt wird für den Akteur plötzlich wieder neu »interpretationsbedürftig« (Zorzi 1999: 48). Das ist anstrengend und angesichts des im Geschäftsleben herrschenden ökonomischen Drucks, der ein funktionierendes Zusammenleben und damit auch -arbeiten erfordert, retten sich die Akteure mitunter in einen »Arbeitskonsensus, der jedoch keineswegs mit wirklicher, tief empfundener Übereinstimmung zu verwechseln« (Zorzi 1999: 49 in Bezug auf Goffman 1996) ist. Um einen solchen Zustand aufrechtzuerhalten, müssen sich die Interaktionspartner zueinander positionieren. Dabei konstruieren die Akteure beständig ein Bild vom Anderen, aber auch von sich selbst. Das wurde im vorangegangenen Kapitel zu den Fremd- und Selbstbildern sichtbar, aber auch in der methodischen Auseinandersetzung als Interviewer in Bezug zu den Gesprächspartnern und deren Erzählungen. Dort tauchte der Begriff des »Images« von Goffman (1971) auf, der auch auf die sprachlich vermittelten und eben mitunter spannungsgeladenen Interaktionen der Akteure übertragen werden kann. Image definiert Goffman (1971) als »positive[n] soziale[n] Wert […], den man für sich durch die Verhaltensstrategie erwirbt, von der die anderen annehmen, man verfolge sie in einer bestimmten Interaktion« (ebd.: 103). Das Gefühl von Fremdheit bei den Akteuren erschwert jedoch die eigene und damit auch die gegenseitige Positionierung und Interaktionssituationen werden noch unvorhersehbarer – wenn auch nicht gänzlich unberechenbar – als innerhalb eines gemeinsamen Normalitätsrahmens. Für Goffman (1996) ist jedoch zunächst einmal jede Alltagssituation »eine brüchige Angelegenheit« (Zorzi 1999: 49 in Bezug auf Goffman 1996). Wenn natürlich, wie hier geschehen, gerade Spannungsfelder dargestellt werden, fällt das besonders ins Auge, auch weil sich die Akteure in den skizzierten Situationen unangenehm berührt, verärgert oder ausgegrenzt fühlen, sie Schwierigkeiten haben eine passende Anschlusskommunikation zu gewährleisten oder Handlungsoptionen zu sondieren. Daher ist es trotz der anfangs festgestellten Bedeutung von nationalkulturellen Differenzen unangebracht, allein solche Spezifika mit ihren ex- und impliziten Regeln als Ursache für die Spannungen heranzuziehen. Hinzu kommt, dass ein jeweils betroffener Akteur
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anders als Hofstedes Idee einer »software of the mind« (Hofstede 2010: xii) suggeriert, »kein von Kultur bzw. Verkehrsregeln determinierter Automat [zu sein], sondern er weiß mit diesen Regeln umzugehen, mit ihnen zu spielen, sie zu umgehen« (Zorzi 1999: 49). Goffman geht also vielmehr von einem kompetenten Akteur aus, der ein solches Repertoire beherrscht und einsetzen kann. Einem solchen Akteur ist dabei bewusst, dass unterschiedliche Situationen und Kontexte unterschiedliche Lösungsansätze erfordern (vgl. Zorzi 1999: 48). Gleichzeitig zeichnet er sich nicht durch ein ausschließlich bewusst-strategisches Rationalchoice-Verhalten aus, was auch Manager und andere Wirtschaftsakteure mit einschließt (vgl. Flam 2002: 178-179). So wirkt nach von Scheve (2009) ein Wechselspiel von Emotionen und Kognition in den und durch die Akteure, was aber wiederum »immer schon Ergebnis der Interaktion des Akteurs mit seiner sozialen Umwelt« (ebd.: 200) ist. Dabei beeinflussen auch andere Kollektivzugehörigkeiten (bspw. die private Situation), die Tagesform u.ä. die persönlichen Handlungsmuster. In diesem Kapitel zeigte sich zunächst, welche Spannungsfelder die verschiedenen Interviewpartner wie wahrnehmen. Allerdings konnte es nur indirekt oder ansatzweise darstellen, wie sie nun angesichts dieser Spannungsfelder ihren Alltag bewältigen. Im Folgenden soll eben das getan werden, wobei es sowohl darum geht, erst einmal überhaupt zu zeigen, welche Handlungsstrategien die Akteure für sich als sinnvoll erachten, als auch inwieweit sie dabei von externen Faktoren und individuellen Merkmalen beeinflusst werden. Obwohl noch nicht im Fokus des Interesses, scheint dabei jedoch bereits durch, ob sie dies als kompetente Akteure in dem Sinne schaffen, dass sie die Goffmanschen »Techniken der Imagepflege« (Goffman 1971: 18) gekonnt einsetzen und dabei die Fähigkeiten, aber auch die Befähigung dazu haben, »Situationen partieller Unübersetzbarkeit zu überwinden« (Cappai 2007: 99).
7. Umgang mit Spannungsfeldern. Konstruktion von Normalität(en)
Die Akteure mit ihren unterschiedlichen Orientierungs- und Bezugsrahmen sehen sich im Arbeitsalltag in oftmals interdependente Spannungsfelder verstrickt, die für sie eine mehr oder weniger große Rolle spielen und die sie mitunter verschieden wahrnehmen. Ohne einen Anspruch auf potentielle Vollständigkeit zu erheben, geht es nun darum, zu zeigen, welche normalitätsstiftenden Handlungsoptionen und Arrangements die Akteure in ihren Erzählungen angesichts der skizzierten Spannungsfelder für situativ relevant erachten. Dabei spielt auch der eben erläuterte Image-Begriff Goffmans im Rahmen des Zusammenspiels von Kollektivstandardisierungen und der individuellen Disposition der handelnden Akteuren eine wichtige Rolle. So verfügt zunächst ganz allgemein jedes Kollektiv über solche Standardisierungen oder »Verkehrsregeln für den Umgang mit Interaktionsteilnehmern« (Zorzi 1999:48). Gerade in komplexeren Kollektiven, wie einer deutsch-chinesisch geprägten Organisation mit unterschiedlichen Hierarchieebenen und Persönlichkeiten, die womöglich noch von der weit entfernten Firmenleitung beeinflusst wird, herrscht »nicht nur Vielfalt, sondern Diversität, Heterogenität, Divergenzen und Widersprüche« (Hansen 2000: 182, zit. in Rathje 2006: 12). Das heißt, dass es neben klar umrissenen eben auch auseinanderklaffende oder mitunter nicht leicht auszumachende »Verkehrsregeln« gibt. Das beginnt bei Geschäftsverhandlungen und reicht bis zur Essensetikette. Aus diesem durchmischten, aber begrenzten »Vorrat« (Rathje 2006: 12) unterschiedlicher Standardisierungen bedienen sich die Interaktionsteilnehmer nun auf ganz unterschiedliche Weise, was wiederum mit den individuellen Bezugsrahmen der Akteure zusammenhängt. Rathje (2006) vergleicht das recht treffend mit »Substanzen eines Chemielabors, die im Reagenzglas zusammengemischt ihr dynamisches Potential entwickeln« (Rathje 2006: 12). Das Konglomerat dieser »Substanzen« besteht allerdings nicht nur aus unterschiedlichen Kommunikations- und Handlungsstandards, sondern hält auch ein »Reper-
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toire an Praktiken zur Wahrung des Images« (Zorzi 1999: 49) bereit. Solche Praktiken unterstützen den Aufbau und die Pflege von Normalität. Allerdings ist dabei entscheidend, wie diese »Techniken der Imagepflege« (Goffman 1971: 18) zum Einsatz kommen. Ein angemessener Umgang damit setzt zunächst einmal voraus, dass ein Akteur sich bewusst ist, wie seine Handlungen von anderen interpretiert werden können und wie er wiederum deren Handlungen interpretieren kann (vgl. Zorzi 1999: 49). Dafür ist jedoch ein situatives und individuelles Geschick nötig, denn insbesondere bei Interaktionen, die durch fehlende Normalität geprägt sind, ist eine »permanente Konstruktions- und Interpretationsarbeit« (ebd.: 50) notwendig. Das ist einerseits damit begründbar, dass Akteure besonders bei Erstkontakten auch die dazu nötigen Fähigkeiten des Gegenübers mit einschätzen müssen, andererseits wirken bei den interviewten Akteuren dann mitunter Fremdheitsgefühle und weitere Unsicherheiten in diese Gemengelage hinein. Hier sind also besondere Fähigkeiten gefragt, die aber immer auch eine politische Ebene umfassen. Das heißt, dass jeder Interaktionsteilnehmer aus der gegebenen Situation für sich das Beste machen möchte und mehr oder minder eigene Interessen verfolgt. Zorzi (1999) fasst das mit Verweis auf Hitzler (1992) so zusammen, dass die Akteure versuchen, »[d]ie eigenen Vorstellungen (vom Zusammenleben) gegenüber Alternativen zu realisieren« (Zorzi 1999: 55-56). Besonders im Arbeitsalltag wirken dabei nicht nur persönliche, sondern vor allem auch ökonomische Interessen ein. In der Interkulturalitätsforschung werden solche Interaktionssituationen häufig mit einem »Aushandlungsprozess« (bspw. Bolten 2007: 139) umschrieben, was in diesem Zusammenhang recht treffend ist. Im Verlauf eines solches Prozesses kann sich idealerweise Normalität herausbilden, die allerdings nicht zwangsläufig eine gleichberechtigte ist. Denn wenn es um die Durchsetzung von Interessen geht, seien es die eigenen oder die stellvertretend wahrgenommenen, ist Macht ein ganz zentraler Aspekt. Macht bedeutet in der Definition von Weber (1980), »jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht« (ebd. 28 zit. in Zorzi 1999: 56) . Diese Annahmen zeichnen konsequenterweise ein eher negatives Bild von Interaktionen, das geprägt ist von Machtspielen, wobei auch Kontrolle und Ungleichheit, kurz also vielmehr ein Gegen- denn ein Miteinander, mitgedacht werden müssen. Das mutet anstrengend und durchaus dramatisiert an. Inwiefern diese Sichtweise situativ an Relevanz gewinnt, hängt stark vom Bezugsrahmen und damit eng verwoben der Haltung und dem Selbstverständnis der Akteure ab. Auch hier bewegen sich die gewählten Handlungsoptionen der Akteure auf einem Kontinuum. Es kann vordergründig um Eigeninteressen gehen; das kann, muss aber wiederum nicht heißen, dass diese um jeden Preis und in jeder Situa-
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tion unbedingt durchgesetzt werden. Hinzu kommt, dass beispielsweise kollektive Ziele, wie eine angenehme Arbeitsatmosphäre oder der bereits erwähnte »Arbeitskonsensus« (Zorzi 1999: 49 in Bezug auf Goffman 1996) etc., über diesen Eigeninteressen stehen. Auch eine unterstützende Einstellung ist bei einigen Akteuren so immer wieder zu beobachten. Im Folgenden sind daher unterschiedliche Schattierungen erkennbar: Zunächst im Umgang mit konkreten Spannungsfeldern, aber auch bei dem Bemühen, ein Gerüst aus Verbindlichkeiten, das heißt Normalitätsarrangements, zu schaffen, noch bevor sich konfliktgeladene Situationen ergeben. Eines ist dabei aber zu beachten: Obwohl es hier auch um Handlungsstrategien, um das Wahren von Gesicht, Emotionsarbeit, das Management von Interessen und damit auch um »Techniken der Imagepflege« (Goffman 1971: 18) geht, setzt Goffman nicht bei einer Psychologisierung des Einzelnen an, sondern vielmehr bei beobachtbaren Inszenierungen in Interaktionssituationen (vgl. Hitzler 1992: 452 in Zorzi 1999: 57). Die hier aufgeführten Erzählungen der Interviewpartner geben allerdings nur deren Wahrnehmung von solchen Interaktionssituationen wieder und sind nicht das Ergebnis einer Beobachtung. Dabei wird jedoch im Sinne der Forschungsfrage schlaglichtartig deutlich, nach welchen Logiken die Akteure Handlungsoptionen in Betracht ziehen und umsetzen. Eng verknüpft damit sind Bezugsrahmen und Haltung der Akteure, die ebenfalls rekonstruiert werden. Diese vermischen sich wiederum mit Faktoren, die von außen einwirken. Im Berufskontext sind dabei beispielsweise der Einfluss der spezifischen Unternehmenskulturen und Vorgaben der Firmenleitung besonders relevant. Hinzu kommt die Bedeutung privater Aspekte, die nicht zu vernachlässigen sind.
7.1 U MGANG MIT DEM S PANNUNGSFELD V ERHANDLUNGEN 7.1.1 Vorkasse und Intuition. Festgelegte Handlungsoptionen Da Interaktionen auch immer ein Aushandeln zwischen verschiedenen Parteien sind, ist der Brückenschlag zu Geschäftsverhandlungen naheliegend. Herr Weiß geht mit den dort angesiedelten Spannungen vergleichsweise strategisch um: Er hält die Inhalte von Verhandlungsgesprächen schriftlich fest, auch wenn es nicht seinen persönlichen Interessen entspricht. Lieber würde er in einer offenen Atmosphäre verhandeln, allerdings besteht zu wenig Vertrauen zu den Verhandlungspartnern, was maßgeblich damit begründbar ist, dass er keinen Eingang in
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das Kollektiv chinesischer Verhandlungspartner findet (vgl. Kapitel 6.1.4). So passt auch das folgende Zitat zu den Zahlungsmodalitäten in diesen Rahmen; dabei antwortet Herr Weiß auf die Frage, ob er im Zweifel Verhandlungen abbrechen würde: »Nö, nich abbrechen, aber sagen: ›Ok, das sind unsere, wir können über alles reden, aber nicht über Zahlungs…äh‹, ›Ok du zahlst Vorkasse und kriegst dafür ein Stück Rabatt oder sonst irgendwas, aber Vorkasse MUSS sein.‹ Nach all den Jahren hier, wenn’s nicht, also in absoluten Sonderfällen, würd ich da auch niemals von abweichen.« (Weiß)
Herr Weiß hat für sich sehr klare, auch durchaus ökonomisch begründbare Leitlinien gefunden, die ihm Orientierung in unsicheren Situationen bieten können: Vorkasse ist Pflicht und nicht verhandelbar. Da eine solche Rigorosität aber eigentlich nicht völlig kongruent mit seinem Selbstverständnis verläuft (er selbst nannte es in Bezug auf die schriftliche Fixierung »Stil«, vgl. Kapitel 6.1.2), verfolgt er für sich neben der Verantwortung für seine Firma eine weitere Logik: »Ja, also ich mach mir dann gar nicht mehr so viel Gedanken, was kann ich jetzt richtig oder falsch machen oder, ich mach einfach so, wie ich’s denk. Aus der Situation heraus, weil sonst sitzt du immer da und überlegst und überlegst und dann machst du’s noch falscher als, ja als du’s eigentlich gelernt hast. Ich find das ist das Wichtigste, jeder soll einfach authentisch bleiben. Egal, ob du jetzt Chinese oder Deutscher oder sonst was bist. […] Das kommt ja immer so, ja Zahlungsziele, ja Zahlungsziele, nee Vorkasse. Und da kommt dann immer: ›Nee, du vertraust uns nicht.‹ Und äh, Chinesen untereinander, klar, die geben sich dann Zahlungsziele, die zahlen dann zwar auch nicht, aber irgendwie kommen die dann schon miteinander klar. Aber beim Ausländer, wenn der Chinese jetzt nicht zahlen will, dann ist ihm das einfach EGAL, letztendlich. Bei den Chinesen untereinander, da ist ihm das nicht egal, Gesichtswahrung oder sonst was spielt da alles schon doch noch ne Rolle. Aber Ausländern gegenüber spielt es eben keine Rolle.« (Weiß)
Im ersten Teil des Zitats erklärt Herr Weiß, wie er für sich Komplexität in Interaktionssituationen reduziert: Er verlässt sich auf seine Wahrnehmung und Intuition. Im Kapitel vorher verwies er auf seine »Erfahrung«, auf die er auch hier zurückzugreifen scheint, ohne sich »so viel Gedanken« machen zu müssen. Ansonsten bestünde in diesem Sinne die Gefahr, dass die Frage »Was geht hier eigentlich vor?« (Hitzler 1992: 452, zit. in. Zorzi 1999: 48) so dominiert, dass sie keinen Raum mehr ließe, um in einer sowieso bereits »brüchige[n]« (Zorzi 1999: 49 in Bezug auf Goffman 1996) Interaktionssituation zumindest möglichst nahe an eine angemessene Kommunikation und ein angemessenes Handeln heranzu-
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kommen. Dabei spielt auch der Einfluss von »interkulturelle[m] Rezeptwissen« (Poerner 2011: Titel) eine Rolle, das beispielsweise durch Trainings oder Ratgeber vermittelt wird (vgl. dazu Kapitel 8.2). Kurz vorher war dies ein Thema im Interview mit Herrn Weiß, der sich dazu kritisch geäußert hat. Diese Kritik scheint auch dann wieder durch, wenn er davon spricht, ansonsten ständig überlegen zu müssen, was er »jetzt richtig oder falsch« machen könnte. Denn erst dadurch entstünde eine weitaus unüberschaubarere Situation, in der »du’s noch falscher als, ja als du’s eigentlich gelernt hast [machst]«. Die Erfahrung und die daraus resultierende Fähigkeit, Situationen eher intuitiv zu bewältigen, würde danach von einem Zuviel an Information überlagert werden. Die Konsequenz daraus und gleichzeitig die Empfehlung von Herrn Weiß ist, unabhängig von der nationalen Zugehörigkeit »authentisch« zu bleiben. Das setzt natürlich eine gewisse persönliche soziale Kompetenz voraus, allerdings nicht um jeden Preis. Denn für Herrn Weiß bedeutet diese Form der Kompetenz eben keine völlige Anpassung im Sinne von Assimilation. Diese ist zudem sowieso nicht vollumfänglich möglich, wie der zweite Abschnitt des Zitates illustriert. Denn für Ausländer gelten andere Spielregeln, die wiederum auf der fehlenden Zugehörigkeit zu dem Kollektiv beruht, das chinesische Geschäftspartner miteinander teilen. Aus diesem Grund ist es für Herrn Weiß wichtig, anfängliche Interessen nicht unbedingt durchzudrücken, sondern im Zweifelsfalle Ziele eben auch zu ändern. Dabei greift er auf seine selbstdefinierten und klaren Handlungsoptionen zurück, die er aus seiner Erfahrung heraus entwickelt hat. Das heißt für das Beispiel der Zahlungsmodalitäten, dass Verhandlungen letztendlich ohne das eigentlich intendierte Ergebnis beendet werden: »Und wenn dann der Deal aufgrund dessen nicht zustande kommt, ok. Isses schade, aber…kannste mit jedem hier sprechen, sobald du Zahlungsziele gibst, dann, äh, 80% deiner Zeit dann verwendest, dem hinterherzurennen und siehste sowieso nie wieder.« (Weiß)
7.1.2 Essen gehen und Themenwechsel. Beziehungsarbeit I Während Herr Weiß in einem solchen Fall einen anderen Vertragspartner suchen und neu verhandeln kann, sieht die Situation anders aus, wenn bereits eine geschäftliche Beziehung besteht, die aber von Spannungen durchzogen ist. Herr Frei berichtet im folgenden Ausschnitt vom Prozess seiner Normalisierungsarbeit mit einem Geschäftspartner: »Ja, grad bei dem Kunden, wo ich erzählt hab, äh, der Vertreter, der sehr gut ist. Der war am Anfang sowas von kompliziert. Der hat, da saßen wir stundenlang zusammen und ham
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um den heißen Brei herumgeredet. Und dann fünfmal Essen gegangen, dann wurd’s besser [lacht]. Es ist wirklich so. Aber hab ihn dann auch mal eingeladen, hierher zu kommen, bin dann nochmal mit ihm, hab ihm was von Shanghai gezeigt und das sind dann alles so Sachen, denk ich, die einfach helfen, wenn du persönlichen Kontakt suchst. Das auch ein gewisses Vertrauen da ist, ich denk, wenn das Vertrauen vorher ned da ist oder ned richtig da ist, wusste ja auch am Anfang ned, mit wem hab ich’s da zu tun? Immer Vorsicht, weil, weißt ja ned, wie sehr ziehen sie dich jetzt über’s Ohr? Weil wenn der jetzt übern Preis jammert, ist es wirklich so schlimm oder will der wieder was rausholen, drei Prozent für sich? Und des dann, das war am Anfang schon schwer, das rauszufinden, weil die ham ja alle drei immer gejammert, ne. Und teilweise war’s berechtigt und teilweise war’s halt NICHT berechtigt, weil da ging’s nur drum, wieder paar Prozent für sich selbst rauszuschlagen. Und des war am Anfang wirklich schwierig, bis man die da mal so einschätzen konnte, dass man sagt: ›Ok, jetzt weiß ich, jetzt macht der wieder nur Show‹ oder ›Nee, das muss jetzt wirklich so sein.‹« (Frei)
Zu Beginn der Beziehung durchlaufen beide Akteure eine Phase des Austestens und der gegenseitigen Positionierung. Die Gespräche bleiben unkonkret, es fehlt gegenseitiges Vertrauen. Herr Frei nutzt daraufhin erneut die Strategie, die er auch im letzten Kapitel schon transparent machte: Er geht gemeinsam mit dem Geschäftspartner essen. In China ist diese Praxis ein Zeichen für das Interesse am Aufbau einer Beziehung, noch mehr als es das in einem deutschen Kontext ist. Als das sogar mehrmals wiederholt wurde, stellte sich nach Herrn Freis Empfinden eine Besserung der Beziehung ein – was ihn sichtlich erleichterte, auch wenn er ein etwas verwundertes »Es ist wirklich so« nachschiebt. Weiter ausbauen konnte Herr Frei eine vertrauensvollere Basis dann durch eine Einladung nach Shanghai, auch hier ging es ihm vornehmlich darum, eine Möglichkeit zu schaffen, durch »persönlichen Kontakt« eine stabile Positionierung und damit mehr Sicherheit zu schaffen. Für Herrn Frei wurde der Umgang insofern vereinfacht, als dass er den Geschäftspartner im Beispiel, aber auch andere Akteure, so besser »einschätzen« kann. Das lässt vermuten, dass er dadurch Entscheidungen souveräner treffen und seine Interessen in seinem Sinne vertreten kann. Das bedeutet wiederum, dass er ein Stück weit Normalität für sich herstellen konnte. Das ist allerdings kein linearer und sich abschließender Prozess, wie das folgende Beispiel von Herrn Weiß zeigt. Dabei beantwortet er die Frage, wie er denn mit Konfliktsituationen umgeht. Da das vorhergehende Thema Humor war, bezieht er sich im Zitat auch darauf: »Normalerweise, wenn du gar nicht mehr weiterkommst, wechselst du halt das Thema, das ist hier auch nicht anders als bei uns. Ich sitz hier manchmal mit Mitarbeitern zusam-
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men und komm so an nen Punkt, wo du sagst: ›Nee, das geht jetzt so nicht weiter‹ oder du kommst in ne Situation wo es für beide Seiten unangenehm wird und da hab ich, also Humor war da noch nicht die Waffe, über die ich nachgedacht hab [lacht]. Das ist jetzt für mich der wesentliche Unterschied zu China, weil ich hab eigentlich auch, wenn ich mit Deutschen zusammen oder mit Westlern zusammen bin, ich benutz’ oft Ironie, benutz’ ich relativ oft. Die meisten, die mich kennen, die verstehen das auch, aber wie gesagt, das ist, wenn man da nicht aufpasst, da kann sehr schnell was danebengehen. Aber ich hab auch selten gehört, dass Chinesen auf ihre Art ironisch sind.« (Weiß)
Während Herr Weiß zunächst von einem Mechanismus spricht, der seinem Dafürhalten nach auch in Deutschland funktioniert – eine unangenehme Situation wird entschärft, indem ein thematischer Neustart unternommen wird – ist der Humoraspekt für ihn weniger universell. Das zeigt sich vor allem daran, dass er Humor als Kommunikationsmittel gar nicht erst in Erwägung zieht. Der Grund dafür liegt darin, dass er zwar in der Interaktion mit »Deutschen […] oder mit Westlern« häufig Ironie verwendet, er aber deren Wirkung bei Chinesen deutlich schwerer einschätzen kann (»da kann sehr schnell was danebengehen«). Obwohl auch andere Interviewpartner an Chinesen eine andere Art von Humor beobachten (wie im Folgenden Herr Schneider), kann Humor als Mittel zu Stiftung von Normalität im Sinne einer gemeinsamen, verbindenden Kommunikationsbasis eingesetzt werden, was wiederum auch mit dem Umgang mit Sprache zusammenhängt.
7.2 U MGANG MIT DEM S PANNUNGSFELD KOMMUNIKATION UND S PRACHE 7.2.1 Wetterfrösche und Sprachfehler. Humor Herr Schneider berichtet anhand eines recht konkreten Beispiels, wie Humor generell verbindend wirken kann: »Dieses Witzeln beispielsweise, wir haben, äh, ne Kollegin, die aus den Randgebieten hier [Stadtname] kommt, ländliche Region…und in dieser Region achtet man sehr, sehr noch auf Wetterbedingungen zum Beispiel. Also, überqueren die Frösche nicht die Straße, kann das ein Zeichen auf das nächste Erdbeben – und diese hat’s hier tatsächlich gegeben in der Umgebung vor zwei Jahren – und, äh, diese Frau sagt das dann natürlich auch im Spaß und das wird dann von den Kollegen natürlich, STÄDTISCHEN Kollegen, sofort als
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Landei-Verhalten aufgegriffen, und äh, solche Sachen greif’ ich dann auf und versuch’ dann eben einzusteigen, mitzumachen. Diese Frau gibt dann auch ziemlich genau vor, wann es halt eben den nächsten Wetterumschwung gibt, bis auf die Uhrzeit genau, und das wird natürlich immer sehr genau aufgefasst. Also das ist vielleicht ein anderer Humor, als man ihn in Deutschland hat, aber da necken die sich unternander mit.« (Schneider)
Herr Schneider empfindet die Art des Humors zwar anders »als man ihn in Deutschland hat«. Allerdings beobachtet er, dass sich seine Mitarbeiter damit »necken« und so in eine positiv konnotierte Beziehung miteinander treten. Er versucht daraufhin, »einzusteigen, mitzumachen«. Dadurch hat er Anteil an einer besonderen Form der Kommunikation und pflegt somit die Beziehung (ganz im etymologischen Sinne von »Kultur«) zu seinen chinesischen Mitarbeitern. Obwohl es also nicht seine präferierte Art von Humor ist, die hier praktiziert wird, ist er sich der normalitätsfördernden Wirkung bewusst und nimmt aktiv an der Interaktion teil. Das ist natürlich nur möglich, weil er die Sprache seiner Mitarbeiter spricht. Damit gerät er sogar selbst ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Während seine Mitarbeiterin sich aufgrund ihres Verhaltens als »Landei« inmitten städtischer Kollegen im Spaß behaupten muss, ist Herr Schneider der »Ausländer« inmitten von chinesischen Einheimischen. Sein Anderssein wird dann an seinen Fremdsprachenkenntnissen und »deutsch-chinesischen Unterschieden« festgemacht: »Also kurzum, mich ziehen se mit meiner Sprache auf [schmunzelt], mich ziehen se, wo ziehen se mich mit auf…mit ganz klar Europa…deutsch-chinesischen Unterschieden einfach. Also dieses, äh, dieses, äh, vorein-, das heißt nicht voreingenommen, nee, diese vermeintlichen Vorurteile, die man gerne PFLEGT. Ähm, und die werden natürlich – sehr SACHTE - von chinesischer Seite mit angebracht. Und, äh, nicht vorwurfsvoll, so dass man dann letztendlich, letztlich gemeinsam dann drüber lachen kann.« (Schneider)
Der Mechanismus der hier wirkt, ist also ganz ähnlich dem, der bei den chinesischen Mitarbeitern untereinander funktioniert: Vorurteile werden humoristisch aufbereitet und bewusst reproduziert, um eine gemeinsame Kommunikationsbasis zu schaffen. Die Sprachunterschiede oder möglicherweise kleinen sprachlichen Fehler scheinen dabei lediglich der Aufhänger zu sein. So versucht Herr Schneider seinen Worten auch die Schärfe zu nehmen, wenn er von diesen Vorurteilen spricht: Er korrigiert seine Wortwahl von »voreingenommen« zu »vermeintlich[…]«, zudem würden diese Vorurteile »sehr sachte« und »nicht vorwurfsvoll« verwendet. Die Angestellten wahren also das Gesicht des Chefs bzw. im Zitat vorher das der Chinesin vom Land, so dass diese mit ihnen »drüber la-
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chen« können. Es sind hier also gerade die Unterschiede, die als ein verbindendes Element herangezogen werden. Deutlich wird das auch daran, dass Herr Schneider hier tatsächlich das Verb »pflegt« in Bezug auf das Spiel mit den Vorurteilen benutzt und betont. Denn gerade diese Interaktionen sind wichtig für die Normalisierungsarbeit im Büro von Herrn Schneider. Gleichzeitig mag der humoristische Umgang mit Differenzen gleichsam einen geschützten Raum bieten, in dem wahrgenommene oder stereotype Unterschiede zur Sprache gebracht und somit entmystifiziert werden können. Da Herr Schneider sowohl der einzige Deutsche in der Dependance und gleichzeitig der Geschäftsführer und damit Chef der chinesischen Mitarbeiter ist, erfüllt er zudem die Charakteristika eines »Repräsentanten« (Zorzi 1999: 50) mit einem in der Regel positiven Image, das es stets zu erhalten gilt. Für ihn ist eine große »soziale[…] Geschicklichkeit« (ebd.) unabdingbar, die er beispielhaft im hier skizzierten Kontext beweist: So beteiligt er sich einerseits an den informellen Praktiken der Mitarbeiter und schließt sich nicht aus, wenn er selbst im Zentrum steht. Andererseits tut er dies nicht aus reiner Lust oder reinem Zeitvertreib, sondern er nimmt vielmehr die Bedeutung dieser Interaktionen für eine gelingende Zusammenarbeit auch auf professioneller Ebene wahr. Frau Song bestätigt auch aus chinesischer Perspektive den positiven Einfluss von Humor, obwohl sie, wie Herr Schneider und Herr Weiß, Differenzen im »laughing point« feststellt: »Oh, people will say, German people are very serious, but I have different thinking [lacht]. All my German colleagues are very funny, maybe doing sports or I am not sure. So I think keep a humour, this is very easy to get closer, get closer, because Chinese people, maybe in your mind is very serious, don’t make fun, cannot, äh, joking or, of course there is some cultural difference. The joking may be the, the laughing point is different. But I believe when you take it easy, it’s easy. This is humour.« (Song)
Zunächst bricht Frau Song mit scheinbar eingeschliffenen Vorstellungen und das auf beiden Seiten. So hält sie sowohl der chinesischen Meinung entgegen, Deutsche seien ernst; gleichzeitig versucht sie das Bild vom ernsten und humorfreien Chinesen zu widerlegen, das ihrer Meinung nach bei Deutschen besteht. Dabei kommt es ihr aber gar nicht so sehr auf den Inhalt oder den gleichen Sinn für Humor an. Es scheint, als sei ihr die Haltung, die mit dem gemeinsamen »joking« verbunden ist und mit Gelassenheit umschrieben werden kann, viel wichtiger. Dadurch werden Situationen in dem Sinne entschärft, dass Interaktionen die Schwere genommen wird (»when you take it easy, it’s easy«).
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7.2.2 Die Kantine als Klassenzimmer. Imagepflege durch Sprachkompetenz Eine Form von Normalität mit Hilfe von Sprache schafft Herr Pfeiffer. Das gelingt ihm, indem er für sich ein positives Image als freiwilliger Deutschlehrer für seine chinesischen Kollegen aufbaut und somit auch positive Erlebnisse in Interaktionen generieren kann: »Aber an sich so vom Zusammenkommen her war es immer ganz lustig, weil man kannte ja irgendwann viele Leute und da ich ja zwischendurch, quasi in meiner Freizeit neben dem ganzen andern Stress, den ich gehabt habe, noch die Expats, die das wollten, Deutsch beigebracht habe in der Kantine da, war ich irgendwann auch bekannt wie so ein bunter Hund und äh…weil ich dann halt, ja: ›Lehrer, Lehrer!‹ Das konnten sie dann irgendwann alle und dementsprechend halt war’s halt ganz wichtig und dementsprechend ist man dann auch bekannt. Und die anderen kennen einen dann vielleicht beim Zusammenarbeiten oder weil man halt auffällt, die paar Deutschen, die sehen sie dann ja immer.« (Pfeiffer)
Herr Pfeiffer hat sich über den Sprachunterricht soziales und damit einhergehendes symbolisches Kapital im Bourdieuschen Sinne aufbauen können. Er ist bekannt, anerkannt und beliebt und überträgt den daraus gewonnen Nutzen auch auf die berufliche Zusammenarbeit. In den vergangenen Kapiteln wurde deutlich, dass Herrn Pfeiffer gerade von seinen Vorgesetzten Anerkennung fehlt und er sich mitunter allein gelassen fühlte (vgl. Pfeiffer). Durch seine sprachlichen Fähigkeiten und seine freiwillige Initiative gleicht er diese Irritation jedoch aus. Der Kontext und die Herangehensweise sind zwar anders als im eben angeführten Beispiel von Herrn Schneider, allerdings lassen sich durchaus Parallelen ziehen. Beide haben ihr Anderssein positiv umgedeutet. Dafür bringen sich beide auf unterschiedliche Arten in Kommunikationsabläufe ein bzw. initiieren diese sogar. Der etymologische Ursprung von Kommunikation im Sinne von etwas »gemeinschaftlich machen« trifft dann recht gut die Auswirkungen dieser Anstrengungen: Es entsteht tatsächlich etwas Verbindendes angesichts von Unterschieden (vgl. Bolten 2000b: 1). Dabei ist in den beiden Beispielen Sprache ein bedeutsamer Aufhänger, allerdings lassen sich ähnliche Mechanismen auch noch an anderen Stellen und im Laufe dieses Kapitels wiederfinden. 7.2.3 Vertraute Praxen in (kulturellen) Übersetzungen Im Kapitel zu den Spannungsfeldern wurden Übersetzungen als ein solches klassifiziert (vgl. Kapitel 6.2.3). Und tatsächlich sorgten besonders bei beziehungsin-
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tensiven Interaktionen wie Verhandlungen besonders die Breite der Interpretationen, aber auch technische Fehler beim Dolmetschen für kommunikativen Zündstoff. Herr Weiß hatte den Vorteil, dass er Dolmetscher nutzen, aber gleichzeitig deren Übersetzungen verstehen und notfalls korrigieren konnte. Schwieriger für Herrn Weiß war das bei allzu selbstständig interpretierten Übersetzungen des Dolmetschenden. So präferiert er vielmehr eine direkte Kommunikation, die dann aber gewissermaßen ausgewaschen und gefiltert transportiert wird. Wenn er also nicht von Dolmetschern abhängig ist oder in die Kommunikation eingreift, behält er sich diese Direktheit vor, wenn auch nicht uneingeschränkt: »Also ich bin da relativ direkt. Und ich denk, das ist auch kein Problem. Solange man, solang man nicht offen, in der Öffentlichkeit, also ich hol die Leute schon zu mir. Grad wenn man so zusammensitzt, kann man relativ viel, auch mit Chinesen, Gesichtwahren und Vorsicht, ich glaub, weiß ich nicht, ich mach das relativ direkt. Was schwierig, was wirklich schwierig ist, wenn du vor allen Leuten jemanden zusammenstauchst, das ist SEHR problematisch.« (Weiß)
Herr Weiß bleibt also zunächst bei seinem vertrauten und dem ihm angenehmeren Kommunikationsstil. Allerdings passt er sich dann kontextbezogen an andere Kommunikationsstandards an. Er wertet es als »schwierig« und »SEHR problematisch«, Kritik direkt zu äußern, wenn dies nicht unter vier Augen geschieht. Auf die Nachfrage, ob das nicht auch in einem rein deutschen Kontext so wäre, antwortet er: »Ja, aber trotzdem, nee, das ist wirklich anders, das DARF man nicht machen« (Weiß). Mit der Betonung auf »das DARF man nicht« macht er klar, dass es hier um mehr geht als bloß um eine Unhöflichkeit. Er spürt, dass er damit eine Grenze überschreiten und damit tiefer liegende Wertvorstellungen verletzen würde. Das wird auch an der sarkastisch-harschen Bemerkung im nächsten Zitat erkennbar, in dem er öffentliche Kritik als Mittel nennt, beispielsweise einen unliebsamen Mitarbeiter zu entlassen. Die Verwerfung wäre also so stark, dass eine weiterführende Kommunikation und damit Zusammenarbeit unmöglich wäre: »So im privaten Gespräch kann man schon harte Kritik äußern, da kann der andere…ja, weiß nicht, kann sich halt zu äußern. Aber so in der Gruppe hat er quasi keine Chance mehr. Obwohl man das wiederum durchaus benutzen kann, wenn man jemanden loswerden will, ne.« (Weiß)
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Der Grund dafür liegt im Gesichtsverlust des Betroffenen vor der Gruppe, hier würde also wieder die Kategorie des Kollektivismus greifen. Allerdings zeigt die Aussage von Herrn Weiß eben auch, dass es trotzdem möglich ist, direkt mit einem chinesischen Mitarbeiter zu kommunizieren, wenn der Rahmen ein angemessener, das heißt vertraulicher ist. Im Interview wurde erkennbar, dass Herr Weiß durchaus mit den Kategorien Kollektivismus und Individualismus vertraut ist. Ob er diese mit dem hier skizzierten Kommunikationskontext verbindet, ist nicht eindeutig. Während es aber die gängige Ratgeberliteratur meist versäumt, mehr als nur schnittmusterartige Konsequenzen für Interaktionssituationen zu skizzieren (was aufgrund der Vielzahl an Variationsmöglichkeiten von u.a. Kontexten auch nur schwer möglich ist), veranschaulicht Herr Weiß, was das für das konkrete Beispiel der Äußerung von Kritik heißen kann: nämlich eine flexible und situationsgerechte Auslegung von statischen Kategorien. Während hier die kulturelle Übersetzung in den Vordergrund getreten ist, weil bei Herrn Weiß nur geringe sprachliche Hürden bestehen, gewinnt die klassische, sprachliche Übersetzung vor allem dann an Bedeutung, wenn chinesische Sprachkenntnisse fehlen. In diesem Fall ist es nämlich nicht möglich, in Übersetzungen einzugreifen oder diese zu kontrollieren, wie das bei Herrn Weiß funktioniert hat. Schwierig kann das dann sein, wenn beispielsweise ein Austausch mit der Firmenleitung in Deutschland notwendig ist. Das wird beim Unternehmen von Herrn Frei deutlich, der selbst zwar Mandarin beherrscht, aber Kommunikationsaufgaben mitunter auch abgeben will. Da er besonders junge chinesische Mittelschulabsolventen eingestellt hat, die kein oder nur unzureichendes Englisch sprechen, machte er den Spracherwerb mit einer Ausnahme zum Einstellungskriterium: »Hab denen dann aber auch gesagt, müssen Englisch lernen, vor allem wegen der Kommunikation mit Deutschland und das müssten sie schnell und das hat auch jeder gemacht bis auf einen, der ist jetzt einfach zu alt. Den haben wir von nem Wettbewerber abgeworben, weil er einfach im Verkauf gut ist. Aber alle anderen haben dann wirklich Englisch gelernt.« (Frei)
Der Erfolg dieser Maßnahme ist u.a. damit begründbar, dass in China Mittelschulabsolventen sehr selten solch vergleichsweise gut bezahlten und ausbildungsintensiven Stellen angeboten bekommen und etwaige Bedingungen dann gern erfüllen. Für Herrn Seidel sind seine fehlenden Chinesischkenntnisse generell kein Problem, weil chinesische Kollegen und Mitarbeiter in seinem Bereich sehr gut ausgebildet sind und Englisch bereits auf hohem Niveau sprechen. Im Zweifel
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hilft er sich mit einer chinesischen Assistentin, die für ihn übersetzt (vgl. Seidel). Meist handelt es sich dann um weniger komplizierte Anweisungen. Dennoch ist er sich der damit verbundenen Schwierigkeiten bewusst. Denn oftmals liegt das Übersetzungsproblem auch schon beim Originaltext, wie Herr Weiß im letzten Kapitel andeutete: »Die verlassen sich zu 100% auf ihre Dolmetscher und du siehst immer, die ringen richtig, auf deutsch, die halten irgendwie ne Ansprache, ringen um die eigenen Worte, um zu erklären, was sie eigentlich wollen.« (Weiß) 7.2.4 Micromanagement. Feinmaschige Strukturvorgaben Daher ist es Herrn Seidel wichtig, »klar zu kommunizieren, also MISSverständnisse, also auch sprachlich bedingte Missverständnisse, zu vermeiden« (Seidel). Gleichzeitig hat er aber auch noch weitere Handlungsschritte für sich festgelegt, um die Gefahr von Missverständnissen zu minimieren. Dabei nimmt er beispielhaft Bezug auf die Teamarbeit in seinem Unternehmen: »Dann, ganz wichtig, die Auswahl der Teammitglieder. Wen hol’ ich da rein. Und dann im nächsten Schritt in der Division of works, zu, zu delegieren, dass jeder weiß, was er oder sie zu tun hat, ja. Und zwar so viel wie möglich zu delegieren und dann, zumindest in meinem Fall…immer abverfolgen, also dafür bin ich notorisch bekannt, ich will dann schon wissen, wo wir stehen und ich ruf’ dann ned jeden Tag DREI Mal an, aber ich weiß sehr genau, wer hat was zu tun und wann sind die Deadlines und dann will ich’s auch WISSEN. Gut, das wissen die bei mir, dass ich das klar wissen will, das muss ich denen das nächste Mal ja ned mehr mitteilen.« (Seidel)
Durch die Möglichkeit, die Teammitglieder projektbezogen auszuwählen, kann Herr Seidel bei der Zusammenstellung auf die Arbeitsweise und Persönlichkeit seiner Mitarbeiter achten (was wiederum voraussetzt, dass er sie gut kennt und einschätzen kann). Anschließend verteilt er klare Aufgaben, so dass Zuständigkeiten im Arbeitsprozess geregelt sind. Diese überprüft er wiederum in regelmäßigen Abständen, um sicherzustellen, dass die Projektarbeit wie geplant vorangeht und Zwischenergebnisse ggf. korrigiert werden können. Er kompensiert also mögliche Unsicherheiten, die auch durch sprachliche Hürden entstehen können, mit Hilfe von engmaschigen Strukturen und einem umfassenden Informationsmanagement. Mit der Bemerkung, dass er für dieses Vorgehen »notorisch bekannt« sei, deutet er an, dass dies schematisch und generell nicht verhandelbar ist. Dadurch schafft er jedoch klare Verhältnisse, die seinen Kollegen und Mitarbeitern bekannt sind und die aufgrund seiner hierarchischen Position auch akzep-
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tiert werden. Es entsteht eine Routine, von der auszugehen ist, dass sie nicht nur für Herrn Seidel, sondern auch für die anderen Akteure zur Konstruktion von Normalität beiträgt (»das muss ich denen das nächste Mal ja ned mehr mitteilen«). Dabei sind solche strukturierten Handlungspraxen wie im Beispiel von Herrn Seidel auch eine Konsequenz anderer Umstände bzw. Spannungsfelder. Beim Thema »Business-Verhalten« fiele auch die als gering ausgeprägt wahrgenommene Eigeninitiative chinesischer Mitarbeiter unter diese Handlungsstrategie. Diese ist wiederum eng verzahnt mit der Unternehmenskultur und -struktur.
7.3 U MGANG MIT DEM S PANNUNGSFELD U NTERNEHMENSSTRUKTUREN UND H IERARCHIEN 7.3.1 Strukturierung und Flexibilität Der Einfluss von Unternehmenskultur und -struktur ist vor allem in Bezug zu ihrem jeweiligen Kontext interessant. So werden in der Firma von Herrn Wang sehr strukturierte Vorgehensweisen, ähnlich wie die von Herrn Seidel, besonders gefördert. Herr Wang beschreibt im nächsten Zitat sein Unternehmen als »very strict company« mit deutlichen Vorgaben und nahezu starren Richtlinien. Das wird auch an der Wortwahl von Herrn Wang deutlich, der dafür illustrative Begriffe wie »rigor«, »rules and policies« oder »indoctrinate« verwendet. In einem für eine deutsche Firma vergleichsweise unsicheren Markt wie dem chinesischen ist das so nachvollziehbar wie ungewöhnlich: Denn nur sehr wenige Firmen können sich angesichts informeller Praxen und Konkurrenzdruck eine solch strikte Policy auch tatsächlich erfolgreich leisten (»perhaps [Firmenname] is one of the FEW companies which can really put through, push through this policy«). Konkret heißt das, dass beispielsweise keine Ausnahmen bei Zahlungsfristen gemacht werden und neue Mitarbeiter sehr bestimmt dazu angehalten werden, diesem Stil zu folgen. Konsequenterweise bedeutet das aber, dass ein flexibles Agieren der Firma schwerer möglich ist, was in China durchaus Nachteile mit sich bringen kann. Aus diesem Grund ist es dann doch ab und zu möglich, beweglicher zu reagieren (»so we try to be more flexible as well«): »[Firmenname] IS very strict company, we have rules and policies, they’re very strict, even to our customers, yeah. For example, down payment must be, you know, done before that, before our customers placing orders, before they pick up the cargo, they pick up the cargo, they don’t deliver, but they come and pick up the cargo. They have to pay cash on
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the table, 100%. And this is a very, very strict rule. And perhaps [Firmenname] is one of the FEW companies which can really put through, push through this policy. And you really need a lot of, you know, rigor, rigor to…let’s say carry out such a policy. People joining [Firmenname] from day one, you know, we try to, let’s say, indoctrinate them to understand, this is our way of doing business here in China, we do not, äh, let’s say, give any credit term, äh, but you know we try to do things differently, of course we can give less credit term provided those customers, those customers are ENSURED by credit, ensured for some, so we try to be more flexible as well, but in the beginning was very, very strict, you know, cash on the table before you even get anything, you know, picked up from our warehouse.« (Wang)
Was hier scheinbar gut funktioniert – die Firma ist schon längere Zeit auf dem chinesischen Markt erfolgreich – ist jedoch auch anders möglich. So beschrieb Herr Frei im letzten Kapitel eine umgekehrte Situation: Während ihm zu Beginn des Chinaengagements nahezu freie Hand gelassen wurde, wurden nach der Etablierung des Unternehmens Prozesse und Vorgaben zunehmend strukturiert und reguliert, wenn auch deutlich weniger als im Beispiel von Herrn Wang. Die strukturellen Vorgaben eines Unternehmens können demnach in ganz unterschiedlicher Weise zur Herausbildung von Handlungsroutinen und Orientierungssicherheit beitragen. Das setzt in beiden Fällen jedoch immer auch hierarchische Modelle voraus: Entweder werden über das Stammhaus Kontrollmechanismen durchgesetzt oder es wird – wie im Fall von Herrn Frei – ein Geschäftsführer mit einer Position ausgestattet, in der ihm eine selbstständige Gestaltung möglich ist. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten bewegen sich auch die anderen untersuchten deutschen Unternehmen. In den untersuchten chinesischen Unternehmen sind Hierarchien nicht nur in Bezug zur Firmenleitung häufig noch deutlicher ausgeprägt als in den deutschen Firmen. Das fällt vor allem daran auf, dass Top-down-Prozesse die Gestaltung des Unternehmens in umgekehrte bottom-up Richtung kaum zulassen. Ein solches Unternehmen ist dann zwar insofern flexibel, als dass die Führungsebene innerhalb ihres Gefüges flexibel entscheiden kann. Sobald aber Mitarbeiter eigenständiger agieren wollen, ist das nur mit großen Anstrengungen und langwierigen Prozessen möglich. Interviewpartner in den chinesischen Unternehmen hatten damit verbundene Probleme (die hier explizit neben positiven Aspekten bestehen) bereits angesprochen: Sie fühlen sich mitunter zu stark gefordert, zu wenig anerkannt, alleingelassen und unter Druck gesetzt. Deutsche Kollegen können dabei in die Bredouille geraten, weil sie dies offen ansprechen oder zu forsch agieren. Dabei fühlen auch sie sich in ihrer Arbeit zu wenig anerkannt und motiviert. Gerade die jüngeren chinesischen Mitarbeiter sind ihren Vorge-
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setzten gegenüber zwar devoter als ihre deutschen Kollegen, haben aber womöglich innerlich gekündigt, wie beispielsweise Herr Hong, oder fühlen sich von den strengen Vorgaben überfordert. Frau Handke fasst das im folgenden Zitat nochmals zusammen, gleichzeitig spricht sie aber auch Veränderungen im Management an, die diese Situation entschärfen: »Und in einem chinesischen Unternehmen ist es so, dass, also ich möchte jetzt nicht sagen, dass wenn Klopapier gekauft werden muss, dass der oberste Boss gefracht werden muss, ob man jetzt Klopapier kaufen darf, aber es ist ein bisschen so. JEDE kleine Frage, die Leute trauen sich irgendwie nicht, selber Entscheidungen zu treffen, sondern alles muss von Oben abgesechnet werden, was zum Teil Abläufe UNGEHEUER langsam macht und ungeheuer kompliziert und äh, ja und dazu kommt auch äh, dieses, äh, im Chinesischen ist es ja so, dieses konfuzianische Denken, dass man dem, der über einem steht, das man dem einfach gehorchen muss, das man dem nicht widerspricht, also es gibt bis jetzt auch, aber es wird auch anders. Also wir kriegen auch jetzt mittlerweile also Leute, die sagen: ›Ich möchte über Dinge diskutieren, also ich möchte auch deine offene Meinung hören auch wenn das für mich vielleicht nich so angenehm ist, aber ich möchte trotzdem wissen, was du zu irgendwie irgend so nem Problem denkst‹ oder so was.« (Handke)
7.3.2 Interaktionspolitik I: Initiative, Respekt und Diplomatie Dort, wo trotz dieser allmählichen Veränderungen noch straffe hierarchische Vorgaben an der Tagesordnung sind, haben die Mitarbeiter Strategien entwickelt, um damit für sich angemessen umzugehen. Zunächst kommt dazu noch einmal Frau Handke zu Wort, die aus ihrer Erfahrung heraus umreißt, was für Mitarbeiter im Umgang mit daraus potentiell entstehenden oder bereits existierenden Spannungsfeldern in einem chinesischen Unternehmen hilfreich wäre: »Also was sehr, sehr wichtig ist, dass er Eigeninitiative hat. Er müsste also, wenn er sich hinsetzt und erwartet, dass er von der chinesischen Seite Sachen beigebracht bekommt, dann ist er verloren. Es ist sehr wichtig, dass er ein Gespür dafür hat, was er selber will und so, dass er genug schon mitbringt, dass er schon weiß, wie er sich entwickeln kann. Also, weil bei Chinesen ist es halt eben immer so, wenn man dann Fragen stellt und sagt oder am besten, wenn er viele Sachen dann auch selber in Eigenregie sich dann irgendwie erarbeitet, ne. Also auch ich habe letztendlich nie irgendeine Unterstützung bekommen, also mein ganzes Personal-, ähm, Wissen und alles, ich habe mir das alles selber angeeignet und äh, das halte ich für sehr, sehr wichtig, ne. Und das Zweite ist eben halt zu wissen, wie man, ähm, Dinge rüberbringt, wie man kommunizieren kann. Also nicht, nicht sich ir-
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gendwie ereifern und da irgendwie überreagieren, sondern zu wissen, wie man einfach diplomatisch, aber trotzdem klar irgendwie sein Anliegen irgendwie rüberbringt ohne Andere irgendwie so zu verletzen. Da sind die Chinesen ja auch sehr empfindlich, mit diesem Gesichtsverlust und so, ne. Also das zu vermeiden, der anderen Seite, vor allem, wenn man noch vielleicht jung ist, nicht der anderen Seite das Gefühl zu geben: ›Ich weiß alles besser als du‹, irgendwie trotzdem Respekt für die andere Seite zeigen und sie trotzdem davon überzeugen, ähm, ja, das könnte man doch mal ändern, das wäre doch von Vorteil, ne.« (Handke)
Frau Handke geht in ihrem Zitat zwar von sich und ihren Erfahrungen als deutscher Mitarbeiterin aus, es können sich jedoch durchaus Kollegen beider Nationalitäten durch ihre Hinweise angesprochen fühlen. Denn wenn klare Anweisungen fehlen oder diese sich dann wieder sehr streng lediglich in einem engen Rahmen bewegen und es an Personalentwicklungsmaßnahmen fehlt, kann sich ein Mitarbeitender dennoch wohlfühlen und hat die Möglichkeit, beruflich weiterzukommen: Wichtig ist dafür ein besonderes Maß an »Eigeninitiative«. Diese unterscheidet sich auch noch etwas von der Eigeninitiative, die nach Ansicht der deutschen Interviewpartner den chinesischen Mitarbeitern fehlt. Zwar geht es jeweils um umsichtiges und vor allem proaktives Handeln. Allerdings sind in den untersuchten chinesischen Unternehmen beispielsweise Strukturen für neue Mitarbeiter, für Feedback und andere unterstützende Maßnahmen eben häufig gar nicht vorhanden und müssen von den Mitarbeitern kompensiert werden. Sie müssen selbst aktiv werden und dabei auch durchaus Risiken eingehen, wie später noch Herr Pfeiffer erläutern wird. Als zweiten wichtigen Punkt nennt Frau Handke die Fähigkeit »zu wissen […] wie man kommunizieren kann«. Das hängt vor allem mit den bestehenden und ausgeprägten Hierarchien zusammen. Gerade wenn deutsche Mitarbeiter das Gefühl haben, etwas sei ungerecht oder sie entweder von ungewohnten Praxen und Verhaltensweisen oder durch hohe Belastungen aufgrund ökonomischen Drucks einfach überfordert sind, besteht die Gefahr, dass sie »sich irgendwie ereifern und da irgendwie überreagieren«. Einige Interviewpartner brachten das bereits mit dem Gefühl der »Frustration« in Verbindung, weitere Einflussfaktoren sind natürlich auch immer die jeweilige Persönlichkeit und die Tagesform. Als hilfreiche Alternative führt Frau Handke an, »diplomatisch, aber trotzdem klar« zu kommunizieren. Ihr erscheint das in Bezug zu chinesischen Mitarbeitern und vor allem Vorgesetzten als bedeutend, da so das Gesicht gewahrt wird – was bei Chinesen wichtiger sei als bei Deutschen (»Da sind die Chinesen ja auch sehr empfindlich«). Das heißt, dass der- oder diejenige beispielsweise trotz des Gefühls im Recht zu sein oder trotz Irritationen einen solchen diplomatischen
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Kommunikationsstil aufrechterhält. Herr Schneider geht sogar so weit zu sagen: »[…] also wenn Sie das nicht können, dann sind Sie hier falsch« (Schneider). Dabei bezieht er sich zwar auf deutsche Expats in China; deutsche Mitarbeiter in einem chinesischen Unternehmen sind jedoch im Berufsalltag meist vor ganz ähnliche Herausforderungen gestellt. Zur Diplomatie gehört nach Frau Handke dann auch, hierarchisch höhergestellten Personen Respekt entgegenzubringen. Das heißt insgesamt aber nicht, dass Prozesse unveränderlich wären oder eine völlige Anpassung notwendig wäre. Diplomatie lebt immer auch von Kompromissen und einem Gespür dafür, seine Ziele trotz Hindernissen zu erreichen. So ordnet auch Goffman (1971) Diplomatie explizit den »Techniken der Imagepflege« (ebd. 18) zu (vgl ebd.: 19). Diese Fähigkeit und Haltung ist bei Führungskräften daher mindestens genauso bedeutend, oft muss sie sogar umfassender eingesetzt werden und spielt nicht nur im Büroalltag, sondern auch in der Kommunikation zur Firmenleitung im Ausland eine Rolle (vgl. dazu auch Kapitel 7.5.1). Herr Wang hat als Geschäftsführer eines deutschen Unternehmens in China diplomatisches Geschick sogar tatsächlich professionalisiert und ein ganz besonderes Training in Form einer diplomatischen Ausbildung absolviert: »So you have to be a diplomat here in order to survive. And not only to survive, but also to play a role fully. […] sometimes you really need to have certain compromise, yeah. And this compromise is not easy to achieve. If, let’s say, ähm, you don’t have this socalled diplomatic skills, I started in the diplomatic academy in Vienna. So, äh, my career was actually oriented more towards the diplomacy of foreign service, if you want, and finally I end up in this private sector […].« (Wang)
Durch diese intensive Vorbereitung und Erfahrung steht für Herrn Wang die Fähigkeit zur Diplomatie in seinem Arbeitskontext im Zentrum und ist unabdingbar – würde sie fehlen, wäre es nicht möglich zu »überleben«. Dabei füllt er die Rolle des Diplomaten gänzlich aus und geht in ihr auf. Dass er das auch so formuliert (»to play a role fully«), macht deutlich, dass er das damit verbundene Image reflektieren und dieses bewusst wahrnehmen kann. Es geht ihm anders als den meisten deutschen Managern nicht vordergründig darum, »authentisch« zu sein, sondern eher darum, auf der Unternehmensbühne zu einem guten Stück beizutragen, wobei er als Geschäftsführer und »Repräsentant« die Hauptrolle übernimmt (vgl. dazu auch Goffman 2005). Auch Herr Seidel muss im Unternehmensalltag diplomatisch agieren. Er setzt dabei einerseits auf Intuition und andererseits auf Kontrolle. Und so betont er seine ganz persönliche, intuitive »Menschenkenntnis« (off record), zusätzlich verlässt er sich aber auf die regulie-
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rende Wirkung der Unternehmenskultur seiner Firma, hier heißt sie einfach XYZ. Die »[XYZ]-Welt« (Seidel), die hauptsächlich von der Managementebene des Unternehmens gestaltet und formuliert wurde, enthält beispielsweise eine »Wir sind alle gleich«-Policy, sie legt die Unternehmenssprache Englisch fest und hält verschiedene Bindungsmechanismen für die Mitarbeiter bereit, die sich so verstärkt mit dem Unternehmen identifizieren sollen (vgl. Seidel). Zudem ist es beispielsweise nicht gern gesehen, wenn die Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze selbst dekorieren (auch wenn Herr Seidel das für übertrieben hält, wie er mir mit vorgehaltener Hand weitergab). Dabei ähnelt sich die »[XYZ]-Welt« an verschiedenen Standorten, auch wenn lokale Gegebenheiten berücksichtigt werden – so formuliert Herr Seidel: »Vielleicht klingt des jetzt lächerlich, aber…bei uns in der Kantine gibt es nen chinesischen Koch und es gibt chinesisches ESSEN. Ich kann sagen, es gibt hier genügend Unternehmen, die ham noch jeden Tag ein westliches Essen. Und, so, so lächerlich des vielleicht klingt, des steht für mich überhaupt ned zur DEBATTE, schon aus Prinzip ned. Weil ich sag, wir sind hier ein chinesisches Unternehmen in China und…allen Expats hier muss des klar sein.« (Seidel)
Der lokale Anspruch – Herr Seidel betitelt das aus Deutschland stammende Unternehmen als chinesisch – offenbart sich aber eher in einer respektvollen Haltung (die sich eben beispielsweise in einem nach außen hin leicht sichtbaren, aber nebensächlichen Aspekt wie dem des Kantinenessens niederschlägt) als in den beobachtbaren, sehr klar vorgegebenen und strukturierten Praxen. Denn was Herr Seidel im Folgenden als Sinisierung beschreibt, ist das Ergebnis einer strategischen Planung des Managements, das zwar in der Tat versucht hat, für die chinesische Tochterfirma Koordinaten für die Zusammenarbeit festzulegen, diese allerdings so allgemein gehalten hat, dass nicht recht klar ist, was denn nun »sinisiert« tatsächlich heißt: »Ja, in Deutschland und USA, und dann ham wir die sinisiert. Ähm, und ham uns dann in vielen Runden zusammengesetzt als Management und ham versucht zu definieren, was macht uns aus, ja. Teamwork, Kooperation, Kommunikation, Offenheit, Transparenz, Miteinander im betrieblichen Umgang; ham des dann…in Papier gegossen, gedruckt, ähm, aktualisieren des von Zeit zu Zeit, was dann gewisse Zahlen angeht oder auch die Fotos, wenn sich im Management was ändert.« (Seidel)
Mit diesen Vorgaben gelingt es jedoch einerseits für Strukturen vor Ort Verständnis und Legitimität zu generieren sowie Handlungsroutinen zu etablieren,
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andererseits besteht durch eben jene Strukturen für die deutsche Seite fernab des Geschehens ein orientierungsgebender Rahmen. So sind die Gegebenheiten zumindest in den Grundzügen nachvollziehbar und schaffen auch dort Normalität – die Mutter weiß, wie es bei der Tochter aussieht, welche Kommunikationswege genutzt werden, dass auf den CFO Verlass ist, etc. Gleichzeitig ist sich Herr Seidel bewusst, dass die verschriftlichten Vorgaben nicht zwangsläufig auch die gelebten sind und so fährt er fort: »Wobei das ist natürlich jetzt Papier. Entscheidend ist aus meiner Sicht immer wieder, DASS sie’s leben und WIE sie’s leben. Wir räumen…gewisse Freiräume ein……Ja, wir wollen, wir sind kein STAATSbetrieb. Und des äußert sich dann, da kommt viel, so vieles zusammen, also wir sind keine, von eight, nine to five Job. Und base salary, wir sagen, wir wollen dreihundert Unternehmer hier haben, wenn wir eben vierhundert Mitarbeiter hier haben, sind wir VIERhundert Unternehmer. Wir lassen die Mitarbeiter…oder wir FORDERN von ihnen Kreativität, Eigeninitiative, wir beteiligen sie sehr unmittelbar am Ergebnis. Aber in beide Richtungen: Wenn das Ergebnis hochgeht, dann spürn sie’s und sind alle happy, immer so am zweiten, dritten des Folgemonats, weil dann kriegen sie das schon unmittelbar mit, was das für den Vormonat ausmachte und wenn des Ergebnis ned so gut ausfällt, dann spürn sies auch, aber dann spürn sie’s alle GLEICH.« (Seidel)
Trotz der Vorgaben räumt Herr Seidel den Mitarbeitern also »gewisse Freiräume« im Sinne einer liberalen Unternehmenspolitik ein, die sich von der eines »STAATSbetrieb[s]« unterscheidet. Leistung wird dabei belohnt. Dadurch soll wiederum die Eigeninitiative der Mitarbeiter gefördert und gefordert werden. Sinisierung bedeutet dann allerdings nichts anderes als eine ökonomisch motivierte Strategie, die auch in nicht-chinesischen Kontexten wirksam angewendet werden könnte. Die Verknüpfung dieser verschiedenen Aspekte im Unternehmen fasst Herr Pfeiffer treffend zusammen. Hierbei spricht er zwar von seinem chinesischen Unternehmen, allerdings ist die Einsicht auch auf das eben gebrachte Beispiel anwendbar: »Also die WIRKLICHE Corporate Culture ist dann schon so ein Mischmasch aus vielen Einflüssen.« (Pfeiffer ) 7.3.3 Interaktionspolitik II: Geduld, Manipulation und Flexibilität Je weniger ausgeprägt klare Strukturen sind – wie sie im Beispiel von Herrn Seidels Unternehmen vorhanden sind – und auch je weniger persönlicher Einfluss einem Akteur möglich ist, umso bedeutender werden andere Strategien, die die gerade genannten ergänzen oder sogar in den Vordergrund treten. Besonders geschickt in deren Anwendung ist Herr Pfeiffer, der im Folgenden gleich mehrere
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Strategien für sich entdeckt hat und davon berichtet. Etwas verkürzt fasst er diese so zusammen: »Da muss man dann so ein bisschen Geduld haben und weiß nicht, diplomatisch sein, nicht unbedingt manipulativ, aber auch [lacht].« (Pfeiffer) Und so antwortet er auch auf die Frage im Interview, wie er denn mit den von ihm skizzierten Spannungsfeldern (Stichwort: Folgen von festgefahrenen und gleichzeitig »chaotischen« Unternehmensstrukturen) umgeht, zunächst so: »Sitzfleisch [lacht]. Ja, man muss schon so ein gewisses Durchhaltevermögen haben und ähm, ansonsten…also ich hab, glaub ich, schon recht gut verstanden…wie die Kollegen so getickt haben. Mhh, ich kann dann da sehr diplomatisch sein, dass man halt dahin kommt, wohin man möchte. Und was man halt vor allem auch braucht ist…ja, wir ham, äh, so gewitzelt, die chinesischen Kollegen sind auf der einen Seite beratungsresistent und auf der anderen Seite sehr hörig. Also auf der einen Seite, wenn man denen was Neues beibringen will, dann ist das schon mal schwierig, dass die das annehmen. Aber wenn man das auch genug sagt oder denen das halt irgendwie so zeigt, dann ging das halt schon. Klingt jetzt böse, aber so ein bisschen wie bei nem kleinen Kind, ne. So [verstellt die Stimme]: ›Ja, komm mit, der Papa zeigt dir mal wie das geht.‹« (Pfeiffer)
Neben den Fähigkeiten, sich immer wieder neu motivieren und auch »mal zurückstecken« (Schneider) zu können, die beispielsweise Herr Schneider als essentiell betrachtet, erwähnt Herr Pfeiffer einen weiteren, für ihn besonders wichtigen Mechanismus: Er habe »verstanden…wie die Kollegen so getickt haben« – und drückt dadurch eine Art Wissensvorsprung aus, durch den er Handlungen voraussehen und steuern kann. Denn zu wissen, wie jemand »tickt« ähnelt der Kenntnis eines mechanischen Uhrwerks, das nach einer regelhaften Systematik läuft. Herr Pfeiffer bezieht sich dabei auf seine Kollegen mit einer ähnlichen Position. Er unterscheidet allerdings klar zwischen deutschen und chinesischen Kollegen, wobei er erstere Gruppe, zu der er auch selbst gehört, als mächtiger konstruiert als die der chinesischen Mitarbeiter. Die chinesische Gruppe scheint er auch zu adressieren, wenn es darum geht, Verhaltensweisen vorherzusagen und in seinem Sinne zu regulieren. Das wird an der »Vater-Kind«-Metapher am sichtbarsten. Die chinesischen Kollegen verhalten sich hier seiner Meinung nach wie kleine Kinder, die auf repetitive und nachzuahmende Vorgaben der deutschen Kollegen reagieren und so zu einem bestimmten, von den Deutschen erwünschten Verhalten zu bewegen sind. Auf der einen Seite witzelt er mit seinen deutschen Kollegen darüber, auf der anderen Seite ist es ihm aber durchaus bewusst, dass das »jetzt böse« klingt, also die chinesischen Mitarbeiter pauschal auch abwertet. Nichtsdestotrotz nimmt er das zugunsten seiner eigenen Interessen und der Stabilisierung seines Images hin. Dabei agiert er im nächsten Ab-
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schnitt bereits wie ein »Abteilungsleiter«, der deutlich über seiner eigenen, jetzigen Position angesiedelt ist. Das ist möglich oder vielleicht sogar nötig, da in verschiedenen Arbeitsprozessen häufig nicht eindeutig klar ist, was wie zu tun ist. Herr Pfeiffer füllt diese Lücke, indem er Orientierung durch eine eindeutige Aufgabenverteilung schafft. Gleichzeitig muss er seine tatsächlich fehlende hierarchisch legitimierte Durchsetzungskraft mit anderen Mitteln ausgleichen: »[…] da so ein Abteilungsleiter, der weiß ich nicht, visuell gesehen jetzt, fünf Stufen über mir wäre, hätte gesagt: ›So, du machst jetzt das und das für irgend ne Veranstaltung.‹ Und dann ham die meistens, weil die nicht wussten, was sie machen sollen, ich hab das halt nett gesagt, aber der wusste halt so, das ist jetzt meine Aufgabe, ähm, und das ham die dann gemacht. ›Um das jetzt alles gut durchzulaufen, du musst jetzt mal das und das, das und das machen. Und du bist ja auch voll wichtig, am besten du machst das.‹ Also das halt so bisschen, bisschen Weihrauch dabei und das hat auch immer ganz gut geklappt. Kommt natürlich auf den Typ an. Also manche, die lassen sich halt gar nicht sagen, da muss man nur das bisschen so verhandeln, bis die glauben, dass das, was man denen sagt, was die vielleicht machen könnten, das ist, was die machen wollen [lacht]. Wie Außenpolitik oder so, ne. Und bei manchen hab ich einfach gesagt: ›Ja, du mach mal das und das‹ und dann ging das auch. Und dann hat auch mal so ein Abteilungsleiter, ja weiß nicht, Flyer verteilt oder so [lacht].« (Pfeiffer)
Herr Pfeiffer nutzt also zwei strategische Möglichkeiten, die er an den »Typ« anpasst, mit dem er es gerade zu tun hat. So reagieren einige Mitarbeiter einfach auf Anweisungen, die allerdings »nett gesagt« und mit »bisschen Weihrauch dabei« vorgetragen werden. Herr Pfeiffer gibt ihnen dabei das Gefühl, besonders »wichtig« zu sein. Andere Mitarbeiter wiederum sind nur dann von den Interessen zu überzeugen, wenn sie letztendlich meinen, es seien ihre eigenen. Herr Pfeiffer vergleicht sein Vorgehen in diesem Fall mit »Außenpolitik«. Die eingangs angesprochene politische Ebene in Interaktionen (vgl. dazu Zorzi 1999: 55) findet hier sogar ihre verbale Ausprägung. Herr Pfeiffer beweist ausgeprägtes Geschick darin, die Reaktionen seiner Interaktionspartner zu antizipieren und sein Verhalten entsprechend anzupassen. Dafür hat er aber durchaus einen Lernprozess durchlaufen, der aufgrund der Gegebenheiten im Unternehmen für ihn unabdingbar war. So hängen seine diplomatisch-manipulativen Fähigkeiten auch daran, besonders flexibel agieren zu müssen. Im folgenden Zitat greift er die Notwendigkeit, eigeninitiativ zu handeln wieder auf, die auch bereits Frau Handke als zentral genannt hat:
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»Also eine der wichtigsten Sachen ist, dass man selber, man muss initiativ sein, um die Sachen rauszufinden. Und derjenige sollte sich bewusst sein, dass sie flexibel sein müssen. Weil es nicht, weiß ich nicht, wie in nem deutschen Unternehmen, wo halt die Stellenbeschreibung sagt, ja, du machst das und das und das und das und dann kann man sagen so: ›Nee, das mach ich jetzt nicht, das steht da nicht drin.‹ So. Man muss da einfach flexibel sein und lernwillig…und…ja, sag mer mal, wenn man sich selbst als sehr deutsch klassifizieren würde, muss man einfach mal bereit sein, das zu umschiffen. Halt zu lassen. […] Und halt, dass man alle Leute kennt. Immer wichtig, bei chinesischen Firmen noch mehr, weil man muss im Notfall wissen, wen man fragen kann, wenn es keinen offiziellen Ablauf gibt, dann muss man quasi einen inoffiziellen schaffen. Und dafür muss man halt wissen, wen man dafür, ich sag jetzt mal so salopp, umgarnen muss. Ähm, ja. Also es ist schon sehr wichtig, dass man dann so die Kontakte hat und dass man selber aktiv ist und herausfindet, weil es sonst sehr schnell frustrierend sein kann, weil man ja eigentlich nicht weiß, wie man seine Arbeit machen soll. Ähm, der Vorteil ist aber, dass manchmal auch die Chinesen nicht wissen, wie du deine Arbeit machen sollst und dann machste einfach irgendwas, was gut ist und denken die: ›Ist aber toll.‹« (Pfeiffer)
Flexibilität ist hier in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen heißt das für Herrn Pfeiffer, sich nicht allein auf Erfahrungen oder Annahmen blind zu verlassen, sondern vielmehr darüber hinaus zu gehen. Dazu gehört auch, wenn nötig, den eigenen Bezugsrahmen zu erweitern. Er spielt dabei auf Autostereotype an, die er bereits an sich selbst festgestellt hat und mit Organisation und Planung verbindet. Diese inkorporierten Aspekte »zu umschiffen« bzw. zunächst dazu bereit zu sein, sei wichtig, um sich innerhalb der »bisschen chaotisch[en]« (Pfeiffer) Unternehmensstrukturen zurechtzufinden. Das heißt zum anderen, sich neue Strategien zurechtzulegen und vor allem Informationen zu generieren. Dafür ist es wiederum äußerst wichtig, Beziehungsarbeit zu betreiben, das heißt, Kontakte aufzubauen und zu pflegen. Ein Beispiel dafür war der freiwillige Sprachunterricht in der Kantine. Im Zitat oben spricht er zusätzlich davon, dass es wichtig sei, zu wissen, wen man »umgarnen« müsse. Mit der Verwendung gerade dieses Begriffs wird der strategische oder fast manipulative Charakter der Kommunikation aufgedeckt, der aber für Herrn Pfeiffer wiederum nötig ist, um mit den Bedingungen im Unternehmen angemessen umzugehen. So hilft die Beziehungsarbeit dann u.a. dabei, Strukturen zu schaffen, wo eigentlich keine sind (»wenn es keinen offiziellen Ablauf gibt, dann muss man quasi einen inoffiziellen schaffen«). Es ist zudem eine Möglichkeit, an Informationen zu kommen, die grundlegend dafür sind, »wie man seine Arbeit machen soll«. Hier fehlen einfach oft entsprechende Vorgaben. Umso wichtiger ist es, »aktiv« zu sein und einerseits auf eigene Initiative und dann entsprechend nach eigenem Gusto zu
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handeln. Wenn das Ergebnis so wie bei Herrn Pfeiffer erfolgreich ist, erhält er dann auch durchaus Zuspruch (»denken die: ‚Ist aber toll‘«). Dafür muss er andererseits Risiken eingehen: »[…]weil’s kein richtiges On-the-job-Training gibt, ähm, muss man sowieso viel learning by doing und dann…da muss man halt Risiken eingehen, dadurch, dass ich keine Angst hab, Risiken einzugehen, dann hab ich die Sachen, die ich am Anfang dann halt gemacht habe, ähm, hatt ich halt dann auch, weiß nicht, vielleicht auch Glück, weil ich’s halt richtig gemacht habe oder hatte ich den richtigen Riecher für und dementsprechend hab ich halt sehr schnell dann auch, ähm, Respekt gehabt, weil halt die Sachen, die ich gemacht habe, war’n halt sehr gut. Ähm, und dementsprechend dann…ja. War das sonst halt schon respektvoll miteinander. So vom Persönlichen her.« (Pfeiffer)
Herr Pfeiffer nimmt also Risikobereitschaft in den Kanon wichtiger Aspekte für die Arbeit in einem chinesischen Unternehmen auf. Er sieht sich in dieser Hinsicht selbst als mutig (»dass ich keine Angst hab, Risiken einzugehen«) und hat damit immer gute Erfahrungen gemacht. Diese führt er »auch« darauf zurück, »Glück« gehabt zu haben – er nennt hier also nicht besondere Kenntnisse oder Fertigkeiten. Doch auch seine Intuition spielt eine wichtige Rolle (»hatt ich den richtigen Riecher«). Dadurch ist es Herrn Pfeiffer wiederum gelungen, Respekt aufzubauen und sein Sozialkapital in Form von Wertschätzung zu mehren (vgl. dazu Schultheis 2008: 30). Für ihn ist das besonders bedeutend, da er in seinem Interview die fehlende Anerkennung besonders von Vorgesetzen in seinem Unternehmen als unangenehm empfand. Die Erfolgserlebnisse durch seine Handlungsstrategien, die ihm positiv gespiegelt wurden, füllen nun diese Lücke zumindest teilweise aus. Interessant dabei ist hier, dass er, nachdem er dieses Thema verbalisiert hat, betont, dass die Interaktionen »schon respektvoll miteinander« waren. Er schließt sich also in das Miteinander ein und tariert damit das vorher aufgebaute Machtungleichgewicht etwas aus (Stichworte: Manipulation und »Vater-Kind«-Metapher). Er fügt allerdings an, dass der gegenseitige Respekt auf persönlicher Ebene wirkt (»So vom Persönlichen her«). Herr Pfeiffer unterscheidet also zwischen einer beruflichen Ebene, die deutlich von Eigeninteressen und einer gefühlt höheren Machtposition geprägt ist und einer nahezu verbindend menschlichen, die es dabei zu wahren gilt. 7.3.4 Beziehungsarbeit II Und so scheint bei Herrn Pfeiffer auch immer wieder ein pragmatischer und fast selbstironischer Ton durch: »So bisschen…Gemauschel ist immer. Man muss
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halt einen finden, der’s kennt und keiner weiß genau, wie’s geht. Oder man macht halt irgendwas und sagt halt einfach am Ende, das fand ich, war ne gute Idee. Und dann ist das halt ok, ne.« (Pfeiffer) So sieht er die notwendige Beziehungsarbeit als »Gemauschel« und vermittelt mit den Einschüben »so bisschen«, dem häufigen »halt« und dem salopp austauschbaren »irgendwas«, dass die ganze Angelegenheit eigentlich nicht ganz ernst zu nehmen sei. Diese gelassene Haltung ist auch Ergebnis eines Lernprozesses: »Und das ist halt auch ne Sache, was ich auf jeden Fall bei [Firmenname] gelernt habe, ist improvisieren. Und halt so, dass man so cool bleibt. Ja. ›Ja, ich hab den Vietnamkrieg gesehen, so ne kleine Straßenschlacht, die kann mir nix mehr.‹ Ja, jetzt übertrieben gesagt, aber schon so…flexibel auf Sachen reagieren. Ja, klappt nicht, machen wir was andres [lacht].« (Pfeiffer)
Die sehr ausladenden Vergleiche von Herrn Pfeiffer (»Vietnamkrieg«, »Straßenschlacht«) sind dabei nach dessen Auskunft zwar »übertrieben«, spiegeln aber dennoch die angespannte Situation im Unternehmen wider. Denn trotz aller Gelassenheit und funktionierender Handlungsstrategien stößt auch Herr Pfeiffer auf Kollektivgrenzen, die auch schon Herr Weiß bei chinesischen Verhandlungspartnern bemerkt hat. So fährt Herr Pfeiffer fort: »Leute, die dann, äh…die richtigen Connections hatten, die sind halt weitergekommen. Also da war einer, sein Opa war noch in der Volksarmee als General und ist da mitmarschiert oder so, keine Ahnung, beim großen Marsch.« (Pfeiffer) Obwohl also Herr Pfeiffer intensive Beziehungsarbeit leistet, gerät er angesichts von lang etablierten Verbindungen (hier passt der guanxi-Begriff) in Sackgassen, wie z.B. hier in Bezug auf die eigene Karriere. Die Ursache dafür, dass bestimmte Mitarbeiter von der chinesischen Leitungsebene bevorzugt werden, liegt für Herrn Pfeiffer in einer informellen Hierarchisierung der Mitarbeiter im Unternehmen, bei der er als Ausländer (im Chinesischen »Laowei«) auf unterster Ebene steht: »[…]dass dann grade bei den Chinesen vor allem, ist nochmal ein großer Unterschied zwischen den Leuten, die halt, den Expats aus [Stadtname in China und Sitz der chinesischen Mutterfirma] und den Leuten, die halt in Deutschland eingestellt wurden. Das sind so bisschen so drei Klassen, und dann sind dann halt die, die dritte Klasse, sag ich mal, das sind halt die, die Laoweis [Ausländer, A.S.] oder die Nicht-Chinesen.« (Pfeiffer)
Diese Klassifizierung scheint er jedoch als unveränderlich hinzunehmen, was wiederum die vielen Einschübe von »halt« unterstreichen. Daher überzeichnet und banalisiert er dabei womöglich auch die weiter oben angedeutete historisch-
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politische Verbindung zum Langen Marsch. Dadurch versucht er zumindest, die genannten Grenzen für sich erträglicher zu machen. Nichtsdestotrotz hat Herr Pfeiffer Wege für sich gefunden, mit diesen Bedingungen für sich bestmöglich umzugehen. Äußerst auffällig ist jedoch bei der generellen Bearbeitung dieses Themas, dass deutsche Gesprächspartner deutlich detailreicher und ausführlicher erzählten. Bei den chinesischen Gesprächspartnern stand vor allem die Beziehungsarbeit im Fokus, die aber im Tenor der Erzählungen deutlich zurückhaltender geäußert wurde. Auch die Konstruktion von Machtunterschieden war zumindest nicht ersichtlich (was nicht ausschließt, dass dem doch so wäre). So erzählt Herr Hong, der im gleichen Unternehmen tätig ist wie Herr Pfeiffer: »Am Anfang war es bisschen schwer, aber ich glaube, nicht so lange Zeit. Ein, zwei Monate. Weil ich habe immer fleißig gearbeitet und wenn die um Sache gebittet haben, mich um Unterstützung, obwohl das nicht mein Bereich war, ich habe den anderen bisschen geholfen oder mache die komplette Aufgabe fertig. Dann ja, habe ich viele deutsche Freunde, ich finde die arbeiten sehr, sehr fleißig und sehr gut. Man sieht was. Braucht man nicht so viel zu sagen, ja. Inzwischen sieht man das.« (Hong)
Herr Hong war zwar gerade zu Beginn seiner Tätigkeit im Unternehmen ebenso aktiv wie Herr Pfeiffer, allerdings wird in seiner Erzählung nicht ganz klar, wie genau er die geknüpften Kontakte nutzt. Er spricht aber auch hier wieder von »Freunde[n]«, was bereits in den Unterkapiteln 5.2 und 5.4. zu den Selbst- und Fremdbildern aufgefallen ist. Dort wurde das Konzept von renqing, also Mitmenschlichkeit und gegenseitiger Hilfe, virulent. Er lobt die deutschen Kollegen für ihren Arbeitsstil und vermischt dabei aus deutscher Sicht berufliche Performance und Freundschaft. Genau das scheint Herrn Hong aber wichtig zu sein. Dabei hat die Beziehungsebene einen besonders hohen Stellenwert, der über dem der Erfüllung von Aufgaben im Berufsalltag steht: »[…] die Beziehung mit dem Chef, mit den Kollegen oder mit den Kunden, das ist wichtig für eine Arbeit. Andere Arbeit kann jeder lernen, das ist nicht so schwer.« (Hong) Herr Hong ist daher äußerst hilfsbereit und fast aufopfernd. Sein Ziel ist, eine Atmosphäre zu schaffen, die dem Konzept, aber auch dem Gefühl von renqing gerecht wird und auch ihm letztendlich Nutzen in Form kumulierten Sozialkapitals bringt. Herr Hong agiert also keinesfalls aus rein altruistischen Motiven, sondern hat höchstwahrscheinlich ebenfalls eigene Interessen, auch wenn er diese nicht explizit nennt. Die Herangehensweisen von Herrn Pfeiffer und Herrn Hong unterscheiden sich also durchaus voneinander, die Ziele ähneln sich jedoch wiederum. Wenn das angesichts der Unternehmensstrukturen jedoch nur teilweise und nicht
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zufriedenstellend gelingt, kann die letzte Konsequenz aber auch der Wechsel des Unternehmens sein, wie Herr Hong im Unterkapitel 6.3.1 zu den Spannungsfeldern angedeutet und es Herr Pfeiffer zum Zeitpunkt des Interviews bereits getan hat. Obwohl Herr Chen sich im folgenden Zitat gegen einen Unternehmenswechsel ausspricht, läuft das der Haltung von Herrn Hong nicht vollkommen entgegen. Denn beiden geht es darum, durch persönliche Beziehungsarbeit bestmöglich mit bestehenden Strukturen zurechtzukommen. Herr Chen spricht im Folgenden davon, dass man sich an die Gegebenheiten im Unternehmen »gewöhnen« müsse, auch wenn man nicht unbedingt zufrieden sei. Vielmehr geht es darum, sich selbst zu verändern und anzupassen. Ganz falsch wäre es seiner Ansicht nach, auf eigene Faust »gegen [die] ganze Firma« zu handeln, was wiederum auf die Idee von »Harmonie« zurückzuführen sein könnte. Wenn allerdings eine Änderung der »Atmosphäre« von allen gewünscht wird und sich alle dahingehend verändern, ist das für ihn durchaus legitim: »Man kann die Firma nicht verändern, sondern man muss selbst verändern. Und äh, zu gewöhnen diese Arbeitsmethode oder Arbeitatmosphäre. Sonst, äh, wenn mit der Firma nicht zufrieden oder schnell an andere Stelle wechseln, werde für die nächste Stelle auch nicht zufrieden. Deswegen ich würde, man besser ändern sich, aber nicht vielleicht, wenn ALLE ändern sich, dann können diese Firma, diese ganz Firma die Atmosphäre auch geändert werden. Aber nicht eine Person gegen ganze Firma, das ist nicht gut, das ist nicht gut.« (Chen)
Gerade die bestehenden Unternehmensstrukturen können den Akteuren einiges an Normalisierungsarbeit abverlangen; nicht immer verläuft sie für sie zudem erfolgreich. Natürlich fallen dabei besonders nationalkulturelle Differenzen ins Auge, wenn beispielsweise ein Deutscher über seine Arbeit in einem chinesischen Unternehmen spricht oder ein Chinese von einer Deutschen interviewt wird (vgl. dazu Kapitel 4.2.4). Zudem sind hier Akteure aus einem chinesischen Unternehmen herangezogen worden, das in besonderem Maße Eckpunkte wie eine starke Hierarchie bei fehlenden internen Strukturen sowie scheinbar unzureichende Personalentwicklungsmaßnahmen aufweist und dazu unter einem hohen Wettbewerbsdruck steht. Hinzu kommt die besondere Bedeutung von Beziehungsarbeit und informellen Praktiken. Es sind also durchaus »typisch chinesische« Aspekte im Unternehmen zu beobachten. Nichtsdestotrotz könnten ähnliche Spannungsfelder und ähnliche mögliche Handlungspraxen auch in einem rein deutschen Unternehmen auftreten, sie würden dann aber wohl anders thematisiert und mit einer etwas anderen Logik versehen werden. Die Verbindung zu
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einem chinesischen Unternehmen rührt eher daher, dass das untersuchte Unternehmen selbst seine »Chineseness« forciert, beispielsweise durch die Gestaltung der Räumlichkeiten, das Essensangebot in der Kantine, die große Anzahl chinesischer Mitarbeiter u.ä. Das veranschaulicht besonders das folgende Zitat von Herrn Hong: »Genau, wenn der [ein Deutscher, A.S.] arbeitet in einer chinesischen Firma, die lernen, die internen Beziehungen zu verbessern, die lernen unsere Methoden, genau. Oder lernen unsere Kultur, würd ich mal sagen. Das war komisch, ich wohne in Deutschland, arbeite in einer chinesischen Firma, trotzdem ich lerne, die deutsche Kultur. Aber wenn ein Deutscher, der in [Unternehmensname] arbeitet, die lernen unsere chinesische Kultur [lacht].« (Hong)
Deutsche Mitarbeiter »lernen« nach Herrn Hong »unsere chinesische Kultur«, was er als »komisch« empfindet und das durch ein Lachen verstärkt. Sie werden also stark von den Vorgaben des Unternehmens geprägt bzw. sind gezwungen, sich diesen zumindest nach außen hin anzupassen. Die Firma könnte als chinesischer Mikrokosmos beschrieben werden, der sich klar von der deutschen Außenwelt abgrenzt. Dadurch ist es auch naheliegend, dass deutsche Akteure wie Herr Pfeiffer Verbindungen ziehen zwischen ihren Erfahrungen und der Tatsache, dass sie diese in einem chinesischen Unternehmen machen. Diese Verbindung – ob konstruiert oder nicht sei dahingestellt – beeinflusst freilich auch das Image des gesamten Unternehmens. 7.3.5 Unternehmensverantwortung und Mitarbeiterbindung Dessen ist sich Herr Schneider bewusst, der die positiven Stereotype von deutschen Unternehmen in China mit der Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern verbindet. Denn anders als Herr Pfeiffer, Herr Hong oder andere Angestellte hat er als Geschäftsführer einen erheblich größeren Spielraum, Strukturen zu schaffen oder zu ändern und hat damit auch die Möglichkeit, die Grundlage für eine bestimmte »Atmosphäre«, wie Herr Chen es nannte, zu legen. Herr Schneider selbst attribuiert eine solche, von ihm positiv wahrgenommene Atmosphäre als »deutsch« in Abgrenzung zu einer »typisch CHINESISCHE[N] Produktion«, die durch negativ konnotiertes Vokabular (»dunkel, dreckig, nasskalt […]«) als anderes Ende des Spektrums konstruiert wird: »Dann, Sie sehen dieses Büro, es hat schon bessere Zeiten gesehen, ähm, wir werden in Kürze auch umziehen, das hat damit zu tun, dass wir sagen, ok, wir wollen eben ne gewis-
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se deutsche Atmosphäre mit reinbringen, deutsche Arbeitsbedingungen, um halt eben auch Mitarbeiter zu binden. Wenn Sie in die Produktion da teilweise rausgehen und, äh, da die typisch CHINESISCHE Produktion sehen: dunkel, dreckig, nasskalt, feucht, kalt. Ähm, keine vernünftigen Stühle, man sitzt auf dem Boden oder Ähnliches. Und das sind nicht Lieferanten, die wir haben wollen und zum zweiten ist das keine Arbeitsatmosphäre. Also damit versuchen wir schon Werbung für unser deutsches Unternehmen zu machen. Im Umgang mit…und das wird wertgeschätzt, im Umgang und Kontakt mit Lieferanten, ähm, haben wir grade hier in [Unternehmensstandort] ein sehr, sehr gutes Standing […]. Deutsche Qualität ohneHIN. Made in Germany ist hier überall bekannt und viele Lieferanten, die sich an deutschen Produkten MESSEN wollen.« (Schneider)
Herr Schneider denkt hier an zwei Dinge: Erstens ist es ihm wichtig, durch angenehme Arbeitsbedingungen Mitarbeiter zu binden und dies zweitens auch nach außen sichtbar zu machen. Dabei liegen ihm aber auch andere Aspekte des Kerngeschäfts wie eine angemessene Supply Chain am Herzen, das heißt, er achtet auch auf die Arbeitsbedingungen, die bei seinen Lieferanten herrschen. Hinzu kommt, dass er auf die Qualität der Produkte achtet und eine gute Beziehung zu den ausgewählten Lieferanten pflegt. All das fasst er unter dem Slogan »Made in Germany« zusammen und wird damit gleichzeitig den positiven Heterostereotypen der chinesischen Stakeholder gerecht. Dadurch entsteht nach Herrn Schneider ein Vorteil im Wettbewerb um geeignete Mitarbeiter. Denn besonders die Rekrutierung von qualifizierten Mitarbeitern auf dem chinesischen Markt ist schwierig, genau wie diese zu halten (vgl. dazu auch Herr Seidel, der sich dazu bereits in Kapitel 2.2.1 geäußert hat). Dafür investiert er beispielsweise durch neue Räumlichkeiten und ein positives Unternehmensimage in die »deutsche Atmosphäre«. Dass sich das auszahlen kann, zeigt das Beispiel von Herrn Seidel: »[…] die Kultur, die hier gelebt wird, ist angenehm. Und, ich denke, allein der Umstand, dass unsere Fluktuationsrate so niedrig ist, spricht Bände. Letztendlich können Sie’s dann doch immer wieder an harten Zahlen festmachen: Wenn Fluktuation sehr, sehr niedrig ist, viel niedriger als…bei irgendwelchen Benchmarks in Ihrer Peergroup, ja, das heißt gleiche Branche, gleiche Location hier…dann muss ja was gut sein. Und des Geld alleine ist es letztendlich ned. Und Sie können den Leuten noch so viel bezahlen, wenn’s ihnen ned gefällt, dann geh’n se WEG.« (Seidel)
Auch in seinem Unternehmen spielt eine »angenehm[e]« »Kultur« eine wichtige Rolle für die Bindung der Mitarbeiter. Denn monetäre Anreize allein reichen inzwischen nicht mehr aus, um gut ausgebildete Mitarbeiter im Unternehmen zu
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halten. Die »Kultur«, die Herr Seidel hier anspricht, umfasst aber nicht nur eine angenehme Atmosphäre, sondern oft auch eine besondere Markenphilosophie. Herr Wang fasst das folgendermaßen zusammen: »Yeah, the corporate culture, I should say that first of all people working at [Unternehmensname] are very proud people, you know, because we are aware of our brand.« (Wang) Bei Herrn Seidels und Herrn Wangs Unternehmen wirkt diese starke Markenbotschaft bindend, die Mitarbeiter sind im letzten Zitat »stolz« darauf, im Unternehmen zu arbeiten. Bei den beiden Beispielen von Herrn Seidel und Herrn Wang mag die Tatsache, dass die Firmen deutschen Ursprungs sind, zwar mitwirken, sie wird von den Akteuren aber anders als bei Herrn Schneider nicht in den Vordergrund gestellt. Hier zählt für die relevanten Stakeholder das Unternehmen als solches. Während dort jeweils von den Mutterunternehmen recht strenge Vorgaben für die Corporate Identity gemacht werden und es um eine Verbindung der Mitarbeiter mit einer Marke geht, auf die sie stolz sind, nutzt Herr Frei in seinem Unternehmen andere Strategien: »[…] hab gesagt [zur Mutterfirma in Deutschland, A.S.], dass ich einfach ne Maßnahme einfach um auch die Leute an die Firma zu binden, dass man sie hin und wieder auch mal wo hinbringt, wo sie auch mal Spaß haben. […] Und was ich noch gemacht habe, wir haben noch zwei Leute in Südchina, die ham ein eigenes Büro, denen hab ich…dem einen zumindest bisher, dem hab ich ermöglicht, dass er ein Haus kauft und wir…praktisch, äh, des als Büro nehmen und ihm dann jeden Monat ne Miete für das Büro geben. Was dann praktisch in sein eigenes Haus fließt. Des sind so Anreize, die man geben kann, aber ansonsten wüsste ich nicht, was ich so toll oder überhaupt anders mache als andre.« (Frei)
Herr Frei engagiert sich aus eigener Motivation heraus für seine Mitarbeiter und handelt so beispielsweise mit der Mutterfirma ein Budget für Firmenausflüge aus. Zudem ist er offen für eigentlich private Angelegenheiten der Mitarbeiter und hilft, wenn nötig; im Beispielzitat tut er das durch die Finanzierung eines Wohnhauses. Generell scheint im Interview von Herrn Frei häufig ein nahezu väterlicher Habitus durch. Das zeigt sich aber beispielsweise auch gut in Abgrenzung zu Herrn Schneider, der zwar auch ein gutes Verhältnis zu seinen Mitarbeitern pflegt, aber dennoch mehr Abstand wahrt als Herr Frei: »Mmmh…was ich hier gut finde, ist, dass ich bis dato relativ wenig zu tun hatte mit…so persönlichen Befindlichkeiten der Mitarbeiter. Mag aber vielleicht auch damit zu tun haben, dass man aufgrund der Position, die man inne hat - in dem Fall als Geschäftsleiter, wenn auch nur für ein kleines Büro – vielleicht mit sowas nicht BELASTET wird oder
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dass vielleicht…von der HIERARCHIE gar nicht dazu kommt, dass man sich zu sehr damit beschäftigt.« (Schneider)
Herr Schneider empfindet die »persönlichen Befindlichkeiten«, die er allerdings nicht genauer spezifiziert, vielmehr als Belastung und ist froh, dass ihm seine hierarchisch hohe Position eine Art Hemmschwelle für seine Mitarbeiter gewährleistet. Obwohl hier natürlich unterschieden werden kann zwischen der Art der »Befindlichkeiten« scheinen diese für Herrn Frei kein Rückzugsgrund zu sein – er sorgt sich vielmehr um das Wohlergehen der Mitarbeiter auch außerhalb des Firmengeländes. Die väterliche Haltung wird zudem transparent, wenn er seine weiblichen Angestellten im Interview konsequent als »Mädels« (Frei) bezeichnet. Das erinnert zunächst an die Genderproblematik, die als ein Spannungsfeld im letzten Kapitel aufgeworfen wurde (Stichwort: »Verkitschen«). Allerdings geht es hier kaum um eine Sexualisierung jüngerer Chinesinnen, sondern es drückt sich in der Bezeichnung eher eine Art Beschützerinstinkt aus. Denn gleichzeitig überträgt Herr Frei beispielsweise seiner Assistentin Lucy verantwortungsvolle Aufgaben und so zeugt der Ausdruck nicht zwangsläufig von mangelndem Respekt. Er scheint für Herrn Frei vielmehr die freundschaftlichen Umgangsformen im Unternehmen zu unterstreichen. Neben den genannten sehr fürsorglichen »Anreize[n]« möchte er sich im Zitat oben jedoch nicht besonders hervortun; so wechselt er vom bestimmten »ich« zum unbestimmten »man«. Allerdings lässt gerade die letzte Äußerung vermuten, dass er sich durchaus bewusst ist, dass er seinen Mitarbeitern gegenüber großzügig ist und ganz besondere Mittel zur Bindung an das Unternehmen einsetzt. Er gibt der Atmosphäre im Unternehmen damit eine sehr persönliche Note. Bei allen vier Managern, Herrn Schneider, Herrn Seidel, Herrn Wang und Herrn Frei, wirken parallel verschiedene Mechanismen, die sie aber unterschiedlich stark betonen. So sind alle in deutschen Unternehmen tätig, die durch ihre Herkunft, aber auch die Produkte einen guten oder gar ausgezeichneten Ruf bei den relevanten Stakeholdern genießen. Alle vier befinden sich außerdem in hierarchisch hohen Positionen, die ihnen einen besonderen Gestaltungsspielraum ermöglichen. Sie sind daher immer auch »Repräsentanten«. Unterschiede bestehen allerdings in den Vorgaben durch die Mutterfirma und auch die Größe der Dependancen. So haben Herr Frei und Herr Schneider in den vergleichsweise kleinen Firmen einen viel unmittelbareren Einfluss und haben zudem mehr strukturelle Freiheiten als Herr Wang oder Herr Seidel. Und so verlassen sich diese beiden auf die Marke und die strukturellen Leitlinien ihrer Unternehmen, während Herr Schneider als Vertreter des Images »Made in Germany« mehr auf dieses Label achtet. Dabei kommt durchaus auch deren persönliche Haltung zum
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Ausdruck, die allerdings immer eng an das Unternehmen geknüpft erscheint. Herr Frei hingegen setzt ganz auf seine Persönlichkeit, mit der er die Unternehmensstrukturen und vor allem die »Atmosphäre« so weit wie möglich bestimmt und nicht umgekehrt. Er agiert als Pater familias seiner »Unternehmensfamilie«, der sich um die Geschicke seiner Mitarbeiter sorgt und kümmert. Dabei spielt der hierarchische Aspekt bei Herrn Frei allerdings nur in letzter Konsequenz eine Rolle, er lässt sich vielmehr mit einem modernen Familienvater denn einem gestrengen Oberhaupt vergleichen. Was allerdings alle Manager wieder verbindet, ist die Einsicht, die Herr Wang aus Sicht aller Mitarbeiter und Vorgesetzen zusammenfasst: »But basically everybody wants to be in a good environment, to deliver a good work, I think this is, this is common, in common for the German and Chinese.« (Wang)
7.4 U MGANG MIT DEM S PANNUNGSFELD B USINESS -V ERHALTEN Neben den Spannungsfeldern, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Unternehmensstrukturen und der damit oft einhergehenden Atmosphäre oder Unternehmenskultur stehen, haben sich im letzten Kapitel auch solche Verwerfungslinien identifizieren lassen, die aus divergenten und so mitunter jeweils irritierenden Handlungs- und Kommunikationspraxen im Kontext des Berufsalltags entstanden sind. Dazu gehören abweichende Vorstellungen von Zeit- oder Qualitätsvorgaben, bestimmte Handlungsetiketten, aber auch, was es bedeuten soll, eigenständig zu arbeiten. Vertieft werden diese Verwerfungslinien, wenn bestimmte Handlungsoptionen der Akteure von emotionaler Frustration oder einem inkorporierten Über- oder Unterlegenheitsgefühl geleitet werden. Dabei sind dann nicht nur unternehmensinterne Stakeholder wie Mitarbeiter oder Manager betroffen, sondern auch beispielsweise Lieferanten und Kunden. 7.4.1 Internationalität und Professionalisierung Bei den folgenden Beispielen ist außerdem wieder ausschlaggebend, inwieweit diese verschiedenen Akteure einem internationalisierten Business-Stil folgen oder nicht. Herr Li greift dafür ein Beispiel aus seiner Erfahrung mit Kunden heraus:
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»So, because international clients they understand. Ok, these products are very good, also they never experienced. But if they believe and if they accept the, the price, maybe if they want to take the quality, they have to accept the price. But in Chinese [you] know, they say: ›We have to, to verify the quality, then we accept it, the price.‹ Maybe it’s, äh, very extreme, extreme case for, for understanding but it’s really true.« (Li)
Hierbei baut sich Spannung zwischen Kunden auf, die entweder einen internationalen oder eben chinesischen Wirtschaftsstil vertreten. Während internationale Kunden auf die Qualität der Produkte vertrauen und den Preis daher nicht anzweifeln, wollen sich chinesische Kunden vorab selbst von der Qualität überzeugen, bevor sie bereit sind, den geforderten Preis zu zahlen. Herr Frei merkte dazu bereits an, dass für eine deutsche Firma in China ein besonderer Qualitätsdruck herrscht, gleichzeitig aber das institutionalisierte Vertrauen sehr gering ist. Es wird viel erwartet, aber eben auch nachgeprüft. International ausgerichtet sind aber eben auch chinesische Wirtschaftsakteure, die, wie im Fall von Herrn Lis Selbstbeschreibung, noch ein besonderes Persönlichkeitsdispositiv mitbringen: »Äh, for my personality, I always respect the others, the other cultures. Of course, some people’s personality is different. But my feeling is, the style, the way, the style of their working is very similar. Because all they behave very professional. I mean the professionality is quite similar. Of course, in the daily life they will be a little bit different. But when dealing with a special case or when they are doing business, all they communicate is with the clients or the internal life is all very similar.« (Li)
Durch das gemeinsam geteilte Verständnis davon, was »professionell« ist, lösen sich scheinbar Spannungsfelder auf, die dann entstehen, wenn eigentlich gefühlt Uneinigkeit herrscht – beispielsweise eben wenn Qualität und Preisvorgaben infrage gestellt werden, wie Herr Li es ganz oben anspricht. Diese »Professionalität« schwingt auch immer wieder bei den Handlungsstrategien bzw. deren dahinterliegenden Logiken mit, die die interviewten Akteure wählen. 7.4.2 Gelassenheit und Verbindlichkeit Eine solche Handlungsstrategie nutzt Herr Schneider aus einer bestimmten Haltung heraus. Ihm ist es zwar wichtig, die Ansprüche seiner Firma in Bezug auf die Produktqualität bei den Lieferanten nicht zu senken, gleichzeitig ist ihm aber bewusst, dass gewohnte Qualitätsstandards in China eben mitunter keine Selbstverständlichkeit sind. Aus diesem Grund zeigt er Verständnis besonders für Lie-
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feranten, die vorher noch keinen Kontakt zu ausländischen Firmen und deren Standards hatten: »Ähm, man sieht sich immer zwei Mal im Leben. Das ist auch meine Vorgehensweise hier in China. Also so jemandem beizubringen, dass er in seinen Produkten Fehler hat, dass man niemals bis dato möglicherweise sieht, dass man der erste europäische Kontakt für ihn ist, ähm, das kann für Frust auf der gegenüberliegenden Seite und grade dann auch für GESICHTSverlust sorgen. Das ist ne Sache, wo ich den Büchern Recht gebe. Das an Jüngere kommuniziert, auch nur mit Vorsicht, aber dann eher nach dem Motto: Du bist schon mal in Deutschland gewesen, du bist schon mal, noch nich mal in Deutschland, du bist schon mal in Europa gewesen, da sind Punkte, die vorsichtig sind, ich geh davon, oder dass man da eher davon ausgehen kann, das man das nachvollziehen kann. Mit einer lockeren Herangehensweise.« (Schneider)
Herr Schneider versucht also so zu kommunizieren, dass er einen »Gesichtsverlust« beim chinesischen Gegenüber vermeidet. Wenn er in diesem Kontext davon spricht, dass er »den Büchern« Recht gibt, meint er einschlägige Ratgeber, die im deutsch-chinesischen Kontakt immer wieder auf das Konzept des »Gesichts« aufmerksam machen. Er weiß also um dessen Bedeutung und respektiert das auch so. Der Ausdruck, dass man »sich immer zwei Mal im Leben« sähe, deutet darauf hin, dass ihm besonders eine respektvolle Interaktion am Herzen liegt. Das gilt auch für die jüngeren Chinesen, die er von den gänzlich auslandsunerfahrenen Geschäftspartnern unterscheidet. Da sie eventuell bereits Erfahrungen außerhalb Chinas gemacht haben und auch seinen Standpunkt kennen, scheint er mit ihnen direkter, wenn »auch nur mit Vorsicht« zu kommunizieren. Was er hier noch recht allgemein als »lockere[…] Herangehensweise« beschreibt, konkretisiert er an anderer Stelle. Hier geht es zwar nicht um abweichende Qualitätsansprüche, sondern um unterschiedliche Vorstellungen von Zeitvorgaben, die kommunikative Herausforderung ist dabei aber sehr ähnlich. Herr Schneider stellt sich dieser folgendermaßen: »Also fernab jeglicher Schulbuch, äh -vorgehensweise, versuch ich das so zu halten, wie ich es in Deutschland auch täte. Sprich, ein offenes, klärendes Gespräch, ein Aufmerksammachen auf beispielsweise diese Zeitfrist, die da überschritten worden ist und die Bitte, das halt eben nachzureichen. Das alles in nem vernünftigen und offenen, freundlichen Ton, wirkt auch HIER. Also sprich, geh’n Sie hier auf die Kollegen zu, werden Sie da auch niemals in die Verlegenheit kommen, dass das Gegenüber dicht macht und sich auf den Schlips getreten fühlt, weil Sie aber in der Aussage verbindlich sind.« (Schneider)
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Zunächst bemerkenswert ist die Einleitung von Herrn Schneiders Zitat: Er distanziert sich dort von einer festgelegten theoretischen Herangehensweise, indem er sich auch in China an seine vertraute Kommunikationspraxis hält. Er spielt dabei wieder auf die interkulturellen Ratgeber an, denen er im vorherigen Zitat zwar in Bezug auf beobachtbare Praxen bzw. Konzepte zustimmt, scheinbar aber nicht den Vorschlägen zur Lösung der daraus entstehenden Spannungsfelder. Er geht zwar nicht näher auf die Art dieser Vorschläge ein, allerdings scheinen diese nicht kongruent mit seinen persönlichen Handlungsoptionen zu sein. Herr Schneider bleibt vielmehr bei solchen Praxen, die seinem persönlichen Werteset entsprechen. Das bietet wiederum den Vorteil, dass Herr Schneider so genuin »verbindlich« sein kann, es ihm also leichter fällt, tatsächlich eine Verbindung zum Gegenüber herzustellen. Ihm gelingt es, die Kommunikation aufrechtzuerhalten und den Gesprächspartner nicht zu verletzen, indem er ihn in einem »vernünftigen und offenen, freundlichen Ton« adressiert. Auch die Form des Gesprächs attribuiert er als »offen[…]« und »klärend[…]«. Er passt sich also nicht an chinesische Kommunikationsstandards wie beispielsweise Indirektheit an, die wahrscheinlich auch in den Ratgebern genannt wird. Und dennoch scheint die Kombination von Freundlichkeit und einer offenen – im Sinne einer ehrlichen und direkten – Ansprache erfolgreich zu sein (»[…] wirkt auch HIER«). Bedeutend scheint hier vor allem, dass sich Herr Schneider zudem nicht von Tageslaunen oder möglicherweise frustrierenden, da ungewohnten Erlebnissen leiten lässt, sondern stattdessen Gelassenheit als eine »Technik[…] der Imagepflege« (Goffman 1971:18) anwendet und sein Gesicht als Geschäftsführer und Repräsentant der deutschen Firma aufrechterhält. Dadurch etabliert er wiederum Legitimität und Vertrauen. Eine ähnliche Strategie verfolgt Herr Frei in Bezug auf seine chinesischen Mitarbeiter. Auch er verwendet den Begriff »locker«, um zu verdeutlichen, wie er gerade zu Beginn seines Engagements in China seinen Mitarbeitern begegnet ist: »Also das erste…hab halt versucht…so locker wie möglich rüberzukommen und was auch war, wenn mal irgendwas schief gelaufen ist, hab ich sie jetzt nicht gleich verprügelt, sondern, ok, war halt so, das nächste Mal wird’s besser.« (Frei) Herr Frei reagiert damit auf das bereits skizzierte Spannungsfeld, in dem er als Geschäftsführer einerseits ein funktionierendes Arbeitsumfeld gestalten wollte, das gleichzeitig aber nach seinen persönlichen Vorstellungen von Offenheit und unkomplizierten Strukturen geprägt sein sollte und in dem andererseits die chinesischen Mitarbeiter dem ausländischen Vorgesetzten nicht verschlossen und sogar verängstigt begegnen sollten. Wenn er also im Zitat davon spricht, dass er versucht habe, »so locker wie möglich rüberzukommen«, verbirgt sich dahinter nicht unbedingt ein erzwungenes und selbstauferlegtes Handeln. Denn im Interview spiegelt sich immer wieder, dass
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die Lockerheit ein prägender Bestandteil in Herrn Freis persönlichem Bezugsrahmen ist. Die Formulierung entspringt vielmehr einer Unsicherheit, da Herr Frei nicht wissen konnte, wie die Mitarbeiter auf ihn reagieren, ob sie die Scheu fallen lassen usw. Es bestand eine typische interkulturelle Situation, in der noch keine gemeinsamen Normalitätsarrangements ausgebildet waren. Auch die Positionierung der beteiligten Akteure war unklar und musste ausgehandelt werden. In diesem Prozess testete Herr Frei gewissermaßen die Option der Lockerheit bzw. Gelassenheit. Dabei bezieht sich Herr Frei im Beispiel auf Situationen, in denen »irgendwas schief gelaufen ist«. Gerade dann scheint die gelassene, lockere Haltung besonders herausgefordert zu werden, weil zur genannten Unsicherheit und dem Fremdheitsgefühl noch konkrete, ökonomische Herausforderungen hinzukommen. In einem solchen Fall verliert Herr Frei dann nicht die Fassung, wie er mit der überspitzten Formulierung »hab ich sie jetzt nicht gleich verprügelt« ausdrückt, sondern er zeigt sich verständnisvoll und gibt die Möglichkeit zur Verbesserung. Diese Strategie hat die Atmosphäre im Unternehmen auch maßgeblich beeinflusst, denn nach mehr als zehn Jahren beschreibt Herr Frei die Zusammenarbeit so: »[…] des läuft halt bei uns wie gesagt alles auf freundschaftlicher Basis.« (Frei) Hierarchische Strukturen sind dabei fast abgeschafft, so sieht Herr Frei den »einzige[n] Unterschied« zwischen sich und seinen Mitarbeitern darin, dass er in einem eigenen Büro sitzt. Seine Rolle als Chef wird nur dann virulent, wenn eine Richtung vorgegeben werden muss oder beispielswiese Unstimmigkeiten geklärt werden müssen. Hier zeigt sich wieder das Bild vom modernen Pater familias, der seiner »Unternehmensfamilie« viele Freiheiten lässt, im Zweifel aber ein Machtwort sprechen kann (was wieder an die »VaterKind«-Metapher von Herrn Pfeiffer erinnert). Diese Mischung beschreibt er im folgenden Zitat: »Wenn einer wirklich ganz was Blödes gemacht hat, dann wird’s schon mal laut, aber das geht dann ganz kurz. Der kriegt dann eine abgewischt und dann war’s des. Und da sag ich dann auch nix. Da ist der Fall für mich auch erledigt. Solange es natürlich nicht so oft passiert, aber das tut’s nicht, also wirklich, das ist ganz selten, dass da mal Streit aufkommt. Und der ist dann auch nachher wieder geregelt und dann wird ein Eis gekauft und dann war’s das [lacht].« (Frei)
Gerade diese Herangehensweise scheint aber ein Normalitätsgefüge zu schaffen, dass für alle beteiligten Akteure als angenehm wahrgenommen wird. Das zeigt sich auch daran, dass beispielsweise die Bezahlung der Mitarbeiter bei der Entscheidung, im Unternehmen zu bleiben, eine untergeordnete Rolle spielt:
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»Ich denk, dass, äh, also am Anfang bleiben sie einfach mal, weil sie mehr verdienen, als sie sonst irgendwo kriegen würden. Nachher, denk ich, verdienen sie immer noch ned schlecht, aber sie könnten mit Sicherheit irgendwo besser verdienen, aber ich lass eigentlich jedem hier freie Fahrt. Solang alles funktioniert. Ich halts da so, wie’s Deutschland mit mir hält, so lang alles funktioniert, klopft bei mir keiner an. Und genauso mach ich das, und wenn mal einer kommt und sagt, er hat heut Mittag was vor, dann sag ich: »Dann geh.« Ja, wenn, solang’s läuft, können die machen, was sie wollen. Kommen und gehen [lacht].« (Frei)
Während sich im Beispiel von Herrn Frei die Gelassenheit auf das gesamte Unternehmenskollektiv ausgeweitet zu haben scheint, ist diese Haltung bei Herrn Arendtmeyer ein noch nicht erreichtes Ziel. Wenn er im folgenden Zitat seine Kunden anspricht, bezieht er sich auf eine für ihn unangenehme Mittlerposition zwischen dem chinesischen Unternehmen, in dem Zeitfristen keine verbindliche Vorgabe sind und den deutschen Kunden, die aber Genauigkeit erwarten. Da er für sich keine Lösung finden konnte, die an den Unternehmensstrukturen oder anderweitig systematisch ansetzt, versucht er nun, sich selbst zu ändern (ähnlich wie Herr Chen das bereits ansprach): »Nimm’s so wie’s kommt und wenn’s nicht kommt, ist es auch nicht schlimm, ja. Ruhiger, lockerer werden, die Sachen doch nicht so ernst zu nehmen, ok, dann kann ich halt mal nen Kunden nicht so zufriedenstellen oder, äh, ich mach, ich arbeite weniger…als jetzt zu viel, weil man kann mir ja in diesem Tempo sowieso nicht folgen, wenn ich mich wirklich zu 120% einsetze.« (Arendtmeyer)
Allerdings schwingt im Zitat von Herrn Arendtmeyer auch etwas Resignation und beinahe Trotz mit, wie der zweite Teil des Zitats durchscheinen lässt. Darin spielt er auf das für ihn langsame Arbeitstempo seiner chinesischen Kollegen an. Denn wenn er sein Leistungspotential voll ausschöpfen würde, könnten die Kollegen ihm »sowieso nicht folgen«. Er diskreditiert damit, wenn auch indirekt, seine chinesischen Kollegen und deutet an, dass er sich gewissermaßen auf deren niedrigeres Niveau begeben müsse, um eine funktionierende Zusammenarbeit zu gewährleisten. Die gelassene Haltung, die er anfangs beschreibt, ist also weniger eine genuine Grundlage für ein nahezu gleichberechtigtes Miteinander wie bei Herrn Frei, sondern eher ein Abwehrmechanismus, der beinahe wie ein Notpflaster auf einer tieferliegenden Irritation wirkt. Allerdings schwächt Herr Arendtmeyer das implizit negative Bild wieder ab, indem er direkt im Anschluss so fortfährt:
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»Ja. Das dann, was die Chinesen angeht, sehr lieb, freundlich, nett, ja, äh…niemals, was natürlich von der anderen Seite ziemlich gut ist, niemals ein schlechtes Wort, ähm, höflich, freundlich, es gibt niemals jemand, der irgendwo auf den Tisch haut, egal in welcher Hierarchie es ist. Also, zuvorkommend, nett, freundlich und ja, das ist natürlich also irgendwo das schöne Arbeitsumfeld.« (Arendtmeyer)
Die Art und Weise, wie ihm die chinesischen Kollegen begegnen, nämlich »sehr lieb, freundlich, nett«, trägt für Herrn Arendtmeyer zu einem »schöne[n] Arbeitsumfeld« bei. Dieser Aspekt scheint also auch in seine Entscheidung mit hineinzuspielen, eine gelassenere Haltung zu entwickeln und hat eine fast besänftigende Wirkung auf ihn. Die Logik hinter einer Erklärung wie der von Herrn Arendtmeyer muss also nicht zwangsläufig in sich völlig kohärent sein. Oftmals spielen komplexere Überlegungen eine Rolle, was angesichts der vielschichtigen Erfahrungen und Bedingungen auch nicht allzu überraschend erscheint. So verweist auch Mahadevan (2009) bereits in Kapitel 4.1 darauf, dass Sinnkonstruktionen innerhalb eines Bezugsrahmens durchaus »polyphonic, contested and disharmonious« (ebd.: 5) sein können. 7.4.3 Pragmatismus angesichts von Unterschieden Gelassenheit geht auch damit einher, dass sich Akteure nicht gänzlich von den beobachteten oder gefühlten Differenzen vereinnahmen lassen und eher pragmatisch damit umgehen. Frau Song bringt es auf den Punkt: »First position is you understand this is the cultural difference. So I don’t think there is an answer to everything.« (Song) Es ist nach Frau Song zwar grundlegend, zu wissen, dass kulturelle Unterschiede bestehen, allerdings ist es nicht immer von Bedeutung, diese unbedingt erklären und durchdringen zu müssen. Oftmals bleiben Irritationen oder Fremdheitsgefühle bestehen, das hat beispielsweise der Fall von Herrn Weiß gezeigt, der in Verhandlungen auch nach Jahrzehnten noch kulturelle Grenzen spürt. Umso wichtiger ist es, alternative Handlungsoptionen zu finden, die dazu beitragen, Normalität zu gestalten, ohne Differenzen gänzlich aufzulösen. So besteht Herr Weiß auf schriftliche Reports, was sich auch bei anderen Akteuren als verlässliche Praxis herausgestellt hat, die sie ganz pragmatisch handhaben, wie Herr Müller berichtet: »[…] bis man sich eingearbeitet hat und das ist mehr so ein Trial und Error sag ich mal, ähm, was wir hier so praktizieren und jeder der dann lang genug dabei ist weiß, ok, so jetzt mit China das fasse ich jetzt nochmal schriftlich zusammen und hol mir die Bestäti-
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gung ein. Das ist aber eher – hat vielleicht auch mit Mentalität zu tun – aber viel auch mit Verständnis.« (Müller)
Diese Handlungsoption ist nach Herrn Müller (und nach Herrn Weiß) allerdings nicht die logische Folge eines durchdachten Prozesses, sondern steht als eine Möglichkeit am Ende einer »Trial and Error«-Versuchsreihe, die sich erfahrungsgemäß als erprobt und praktikabel erwiesen hat. Herr Müller sieht dabei auch den Einfluss der »Mentalität« als eher zweitrangig an. In diesem Kontext meint er womöglich eine »deutsche« Herangehensweise, die auf schriftliche Fixierung besteht. Das steht aber nicht im Vordergrund, sondern vielmehr »Verständnis« dafür, dass Verbindlichkeiten unterschiedlich interpretiert werden können und dafür im Arbeitsalltag eine pragmatische Lösung gefunden werden muss. Ähnlich geht auch Herr Pfeiffer vor, wenn er das Thema Pünktlichkeit anspricht. Abweichende Zeitvorgaben wurden bereits als Spannungsfeld in Bezug auf Lieferfristen skizziert, sie wirken sich aber auch auf persönliche Kontakte aus: »Ähm, ja, was natürlich auch noch ne Sache ist mit der Pünktlichkeit, da war ich natürlich früher auch mal sehr deutsch, ähm…kann sich je nachdem, wenn ich gewusst hab, welcher Chinese das ist, den ich treffe, dann relativiert sich das halt, ne [lacht]. Wo ich wusste, die sind auch nie pünktlich. Und ich hatte dann auch was Wichtiges zu tun dann. Da hab ich halt auch gesagt: ›So, bin ich halt später als er‹ und: ›Oh sorry, musst noch Recruiting machen für euch du‹, dann: ›Oh ja, ok, ok, ok!‹ Ja, hätt ich halt sonst auch nicht gemacht. Sonst immer: Ich bin pünktlich!« (Pfeiffer)
Bei Herrn Pfeiffer wird im Zitat ein Wandlungsprozess deutlich: Während er früher »sehr deutsch« reagierte, das heißt, dass er viel Wert auf Pünktlichkeit legte und sich selbst daran hielt, hat er sein Verhalten für die chinesischen Kollegen im Laufe der Zeit geändert. Das geht sogar soweit, dass er mitunter später kommt als seine chinesischen Kollegen, den Grund dafür aber auch nennt und wiederum auf Verständnis trifft. Mit dem Ausruf am Ende des Zitats macht Herr Pfeiffer allerdings deutlich, dass ihm Pünktlichkeit nach wie vor am Herzen liegt, er diese aber gewissermaßen kontextgebunden variiert. Sein Verständnis davon »relativiert« sich angesichts anderer implizit regelhafter Zeitkonzepte. Hier wird recht gut deutlich, wie er »weiß mit diesen Regeln umzugehen, mit ihnen zu spielen« (Zorzi 1999: 49, Hvh. im Original). Das Spielerische tritt vor allem in der Art, wie Herr Pfeiffer erzählt, hervor. So lacht er häufig, nutzt die wörtliche Rede vergleichsweise blumig und lässt so eine Form von Gelassenheit durchscheinen. Gleichzeitig schwingt bei ihm aber auch wieder, wenn auch nur
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sehr unterschwellig, ein Überlegenheitsgestus mit, der bereits an anderen Interviewstellen stärker hervortrat (vgl. z.B. bei der »Vater-Kind«-Metapher). So ist beispielsweise nicht ganz klar, ob Herr Pfeiffer tatsächlich unbeabsichtigt noch später eintrifft als sein chinesischer Kollege oder ob es hier nicht schon um ein kleines Machtspiel geht. Obwohl Herr Seidel im nächsten Beispiel auch auf Unterschiede eingeht, die er als »typisch chinesisch« benennen würde, ist es ihm vielmehr wichtig, dabei nicht die Person, mit der er zu tun hat, aus den Augen zu verlieren. So merkt er zunächst an: »Sie müssen die Leute einfach KENNEN und wissen, wo Sie sie abzuholen haben. Und die müssen wiederum wissen, dass Sie se…auch so wollen, wie sie sind. Dass sie, dass sie sich völlig auf Sie verlassen können, ja.« (Seidel) Herr Seidel akzeptiert, dass jeder seiner Mitarbeiter anders ist. Dabei denkt er sowohl persönliche, als auch als kulturell gelabelte Besonderheiten mit. Für den alltäglichen Umgang bedeutet das, dass er seine Mitarbeiter »KENN[T]«. Er weiß also um diese Besonderheiten und so sind ihm auch Differenzen (zu sich und zu anderen) vertraut (vgl. Rathje 2006). Das hilft ihm wiederum dabei, herauszufinden, wo er seine Mitarbeiter »ab[…]holen« kann, das heißt, welche Kommunikations- und Umgangsformen er wählen sollte, um den Besonderheiten im Kontext eines funktionierenden und angenehmen Arbeitsalltags, aber auch einer angemessenen Firmenstrategie gerecht zu werden. Herr Seidel bringt dafür ein Beispiel, in dem er allerdings wieder in eine Stereotypisierung zurückfällt. Er verallgemeinert die von ihm scheinbar häufig beobachtete Tendenz der chinesischen Mitarbeiter, sich stark von monetären Anreizen leiten zu lassen. Allerdings wertet er diese Beobachtung zunächst nicht, sondern behandelt sie eher als Tatsache, die er respektiert und mit der er umgehen muss: »[…] der Chinese ist sehr stark pekuniär getrieben, […], aber wenn`s so ist […]: Respektieren Sie`s doch einfach, die sind so und…warum woll`n Sie die ändern? Holen Sie die DA ab, wo sie sind, ja, die sind stark pekuniär getrieben, wunderbar, dann beteiligen Sie se am Ergebnis, sind alle glücklich.« (Seidel)
Im zweiten Teil des Zitats bleibt er jedoch nicht nur wertfrei, er deutet die Wahrnehmung, dass »der Chinese […] sehr stark pekuniär getrieben« sei, sogar positiv – er findet das »wunderbar«. Somit ist es für Herrn Seidel möglich und aus ökonomischer Perspektive sogar sinnvoll, ein leistungsbezogenes Gehaltssystem mit Umsatzbeteiligung zu nutzen. Während hierbei konsequenterweise eine Win-win-Situation möglich ist – die Mitarbeiter leisten mehr, um auch mehr zu verdienen – ist das bei anderen Aspekten weniger leicht umsetzbar. So berichtete Herr Seidel bereits von der Notwendigkeit des »Micromanagements«, um
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beispielsweise bei Projekten die von ihm als fehlend wahrgenommene Eigeninitiative der chinesischen Kollegen auszugleichen. Dabei entsteht auch vielmehr der Eindruck, dass Herr Schneider das beständige Nachverfolgen, wofür er gar »notorisch« bekannt ist, als unausweichliche Notwendigkeit sieht, die er allerdings als weniger fruchtbar wahrnimmt als das im Beispiel oben der Fall ist. Nichtsdestotrotz gehören diese Besonderheiten für Herrn Seidel bei einem Engagement in China einfach dazu. Das wird ganz besonders im Folgenden deutlich, wenn er die Fähigkeit, Unterschiede zu respektieren, als essentiell für die Arbeit und das Leben in China hervorhebt: »Ich denk’, ganz wichtig ist, aus meiner Sicht, der Respekt vor dem anderen Land, seiner Menschen und seiner Kultur. Sie müssen für sich ganz einfach eines respektieren: Dies hier ist CHINA. Und sicherlich, jeder von uns, ich inklusive, vergleicht, subkutan geht das schon, beim Autofahrn oder im Restaurant, aber Sie müssen es einfach akzeptieren: Dies hier ist CHINA. Wenn Sie selbiges ned akzeptieren können oder WOLLEN, dann möchte ich eigentlich empfehlen, Ihr Arbeitsverhältnis hier zu beenden und auch den Aufenthalt. Weil dies hier ist CHINA. Und wenn Sie in die USA gehen, ist das nunmal die USA. Und auch wenn Sie nach Spanien gehen, was geografisch deutlich näher ist an Deutschland, is halt SPANIEN. Und gewisse Dinge sind anders und da müssen Sie nach den Regeln, den geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, dort nun mal LEBEN.« (Seidel)
Die kommunizierte, fast bedingungslose Akzeptanz, die Herr Seidel hier absteckt, erfordert auf der einen Seite sicherlich eine besondere persönliche Haltung. Dass sich diese nicht automatisch einstellt, zeigt sein Einschub, dass er nach wie vor im Alltag stets »vergleicht«. Dabei impliziert er eine Wertung des Vergleichshorizonts, was wiederum daran deutlich wird, dass er auf diese Feststellung ein »aber« folgen lässt, um den Bogen zur Akzeptanz zu schlagen (»aber Sie müssen es einfach akzeptieren«). Akzeptanz kann deswegen nicht damit gleichgesetzt werden, dass Herr Seidel wahrgenommenen Unterschieden gleichgültig gegenübersteht. Vielmehr versteht er Akzeptanz als eine immer wieder neu auf die Probe gestellte Fähigkeit, die das Leben in China überhaupt erst möglich macht. Gleichzeitig entlastet diese Fähigkeit auf der anderen Seite aber auch vor anstrengender Interpretationsarbeit. Es geht nach Herrn Seidel vielmehr darum, nach »den geschriebenen und ungeschriebenen Regeln« des Landes, in dem man zu Gast ist, zu leben – in seinem Fall ist das eben China. Diese Regeln sind gesetzt und durch den einzelnen unveränderbar, wie Herr Seidel mit den Füllwörtern »halt«, »nun mal« oder »einfach«, aber auch mit der Betonung der Länder ausdrückt. Daher ist es nicht nur hilfreich oder wählbar, diese Gegebenheiten zu akzeptieren, für Herrn Seidel ist das unverhandelbar: So ver-
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wendet er nicht nur das Verb »müssen«, um die Bedeutung zu transportieren, er empfiehlt sogar, das »Arbeitsverhältnis hier zu beenden«, wenn es nicht möglich oder aber nicht gewollt ist, diese Haltung bzw. Fähigkeit zu leben. Ganz ähnlich argumentiert auch Herr Hong, der es für wichtig hält, eine »andere Meinung [zu] akzeptieren« (Hong). Er fügt dabei noch wichtige Aspekte hinzu, die bei Herrn Seidel nur implizit mitschwangen: Um zu akzeptieren, ist es wichtig »nach[zu]denken«, aber auch, »sich selber bisschen [zu] ändern«. Obwohl Akzeptanz auch eine Entlastung sein kann, ist es doch nicht immer ganz einfach, diese Haltung aufzubauen oder auch beizubehalten. Das hat Herr Seidel eben deutlich gemacht. Die Einstellung hängt an verschiedenen Faktoren wie der aktuellen persönlichen Verfassung, der Situation etc. Wenn Herr Hong von »nachdenken« spricht, scheint er aber eher auf einen persönlichen Reflexionsprozess zu verweisen, der nötig ist, um sich beispielsweise von den Auswirkungen des nahezu automatisch ablaufenden Vergleichens lösen zu können. Weitergedacht bedeutet das, dass so der eigene Bezugsrahmen erweitert wird, dessen Gesamtgefüge sich dadurch natürlich etwas verändert. Bei diesen Überlegungen von Herrn Hong spielt gerade im Arbeitskontext aber auch noch etwas anderes eine Rolle. Er spricht hier wie bereits im früheren Kapitel 5.1.4 von »Meinung[en]«, die er dort auf einer rationalen Ebene ansiedelte. Das »Herz«, das für tieferliegende Emotionen und festverankerte Werte steht, kann davon durchaus unberührt bleiben. Sicherlich sind beide Ebenen niemals ganz voneinander zu trennen, allerdings entspricht diese Sichtweise dem bereits erwähnten »Arbeitskonsensus, der jedoch keineswegs mit wirklicher, tief empfundener Übereinstimmung zu verwechseln« (Zorzi 1999: 49 in Bezug auf Goffman 1996) ist, was nicht heißt, das dem nicht doch so sein kann. Auch Herr Müller rahmt seine Erfahrungen ähnlich. Ihm geht es im folgenden Zitat nicht um Übereinstimmung sondern um gegenseitige »Awareness«, was hier am besten mit Achtsamkeit zu übersetzen ist. Denn auch Herr Müller nimmt an, dass keiner der involvierten Interaktionspartner sein Verhalten »großartig« ändern wird, die »Grundmuster« blieben bei jedem bestehen. Die Lösung für eine gelungene Interaktion sieht er daher in eben jener Achtsamkeit und einem Verständnis, das einerseits dazu führt, das eigene Verhalten »zu steuern« und andererseits immer wieder auftretende Verhaltensunterschiede (die womöglich als störend empfunden werden) dem Gegenüber »nicht übel« zu nehmen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass jeweils abweichende Verhaltensweisen gespiegelt werden. Da Herr Müller sowohl in einer Chefposition ist und bei chinesischen Mitarbeitern zunächst auch den »Deutschen« repräsentiert, dem schnell neo-koloniales Verhalten vorgeworfen werden könnte, ist ihm auch wichtig zu betonen, dass es dabei nicht um eine
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»Belehrung der Chinesen« geht, sondern um ein beidseitiges Kennenlernen von Besonderheiten: »Also ich würd das jetzt nicht als Belehrung der Chinesen einfach sehen, ich würd das jetzt vielmehr…so, dass man es schafft, ein gegenseitiges Awareness bei beiden Parteien schafft. Wie, wenn du das machst, kommt das so bei dem an oder bedeutet in dem Kulturkreis das und das. Und genauso muss der andere wissen, wann er, weil…keiner von beiden ändert sich ja, in meinen Augen, unser Verhalten großartig. Man ist vielleicht, hat nicht mehr die Scheuklappen und, und hat mehr ein Verständnis dafür, dass es dort anders aufgenommen wird oder dass, man schaut vielleicht dann doch mal genauer. Aber keiner wird sich in meinen Augen ändern, die Grundmuster bleiben die gleichen, ist einfach nur, wenn jemand weiß, wie komm ich beim anderen an, kann man das ja nur ein bisschen steuern. Und wenn der andere das auch weiß, dann nimmt er das vielleicht auch nicht übel, wenn der das oft mitmacht.« (Müller)
7.4.4 Keine Extrawürste. Ausgleich von Machtunterschieden Bemerkenswert bei diesem Beispiel von Herrn Müller ist, dass er versucht, das Machtungleichgewicht durch eine selbstinitiierte Annäherung auf Augenhöhe auszutarieren, das durch Vergleiche der Kategorien Chinese/Deutscher und damit einer fast automatisierten negativen Gegenidentifikation des Anderen einhergeht (vgl. Cappai 2007: 94). Bei anderen deutschen Akteuren (beispielsweise bei Herrn Pfeiffer oder Herrn Arendtmeyer) ist hingegen ein mehr oder weniger deutlicher Überlegenheitsgestus spürbar, der bei anderen Expats, die nicht Teil des Interviewsamples waren, noch deutlicher ausgeprägt sein kann. Davon berichtete Frau Song, die einen in Kundenbeziehungen unangebrachten »Stolz« ihrer deutschen Kollegen wahrgenommen hat oder Herr Seidel, der sich über das unangemessene, neo-koloniale Verhalten anderer Expats ärgerte (vgl. Kapitel 6.4.2). Obwohl die Akteure beider Nationalitäten, die im Folgenden zu Wort kommen, alle in einer hierarchisch höher gestellten Position sind, ist es ihnen wichtig, die damit verbundenen Machtunterschiede nicht für Mitarbeiter und andere Stakeholder so zu repräsentieren, dass sie als negativ empfunden werden. Da Deutschland in China trotz aller positiven Stereotype auch noch die Konnotation einer (Neo-) Kolonialmacht anhängt und das von einigen Deutschen nach wie vor in diesem Sinne gelebt wird, möchte Herr Seidel gerade diese Verbindung bei seinem deutschstämmigen Unternehmen vermeiden. Im folgenden Zitat spricht er deswegen auch von einem »chinesische[n] Unternehmen«. Damit knüpft er an seine Haltung im oben genannten Zitat an, die durch Akzeptanz der Situation und den Erfordernissen vor Ort geprägt ist. Und so erzählt er:
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»Weil ich sag, wir sind hier ein chinesisches Unternehmen in China und…allen Expats hier muss des klar sein. Und ich vermeide, wo immer möglich, das Braten von Extrawürsten. Es gab hier und da auch schon ein Ansinnen von Expats nach diesem oder jenem, wenn Sie sich unsere Firmenwagen angucken, die sind auch ziemlich bescheiden. Ich mein, die sind zwar…rein geografisch, äh, rein von Abmessungen her groß,…also mein Kollege fährt den schwarzen Passat und ich fahr diesen groß aussehenden Buick, aber ich glaub, ich muss Ihnen jetzt ned viel erzählen, was von einem amerikanischen JMB zu halten ist made in China; wenn ich des VERGLEICHE mit Autos wie se…in anderen Unternehmen hier gefahren wird von Leuten unserer Position, des ist ziemlich bescheiden und des is Vorsatz, des is ganz bewusst. Weil,…weil wir sind jetzt als Expats schon ned preiswert, aber da noch gewisse Extrawürste uns hier zu braten, das vermeiden wir tunlichst. Und unsere Reisekostenrichtlinie gilt für alle, nicht DISKRIMINIEREND. Und ich glaube, das ist sehr wichtig im Prägen einer Firmenkultur, nämlich dass wir ALLE gleich sind. Ja, zugegebenermaßen, wir sind etwas teurer. Aber da sag ich nur noch, wenn des jemand thematisiert, sag ich: ›Schau, jetzt nehm’ wir mal an, wir würden ne Dependance in Vietnam eröffnen und ich entsende DICH als Chinesen nach Vietnam, da würdest du NICHT für ein vietnamesisches Gehalt arbeiten, stimmt’s? Sondern du willst deinen hiesigen Status erhalten, willst 10, 20 Prozent mehr für die Trennung‹…und zieht er des auch durch die Hirnwindungen, ist akzeptiert. Aber man muss es ja ned übertreiben.« (Seidel)
Im ersten Abschnitt des Zitats erläutert Herr Seidel anhand zweier Beispiele, wie er »das Braten von Extrawürsten«, das heißt die Betonung einer Sonderstellung deutscher Expats in China, vermeidet. So fahren er und seine Kollegen in einer ähnlich hohen Position im Vergleich zu Mitarbeitern anderer ausländischer Firmen moderate Firmenwagen. Zudem verfolgt sein Unternehmen eine nicht »DISKRIMINIEREND[E]« Reisekostenpolitik, durch die – wie Herr Seidel an anderer Stelle näher erläuterte – beispielsweise die Wahl der Hotelkategorie eingeschränkt ist oder Mitarbeiter und Vorgesetzte keine unterschiedlichen Zimmertypen beziehen. Herr Seidel fasst diese »ganz bewusst[en]« strategischen Maßnahmen unter einer Firmenphilosophie zusammen, die davon geprägt ist, »dass wir ALLE gleich sind« (vgl. dazu auch Kapitel 7.3.2). Die Einebnung von sichtbaren Machtunterschieden wird zum zentralen Konzept der Unternehmenskultur und wird auch von Herrn Seidel persönlich mitgetragen. Im zweiten Abschnitt muss er sich allerdings erklären, wenn es um die höheren Gehälter der deutschen Expats im Vergleich zu den chinesischen Kollegen geht (»Ja, zugegebenermaßen, wir sind etwas teurer«). Wenn das von chinesischer Seite aus zur Sprache kommt, muss Herr Seidel sich nun rechtfertigen, um das ausbalancierte Machtgefüge nicht wieder in Schieflage zu bringen. Dafür verlagert er die Perspektive für die chinesischen Kollegen auf Vietnam, da ihm das Verhältnis
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Deutschland-China vergleichbar mit dem von China-Vietnam erscheint, zumindest was das Lohnniveau und den Auslandsstatus angeht. Dadurch – so hofft Herr Seidel – kann der Kollege nachvollziehen, dass es für deutsche Expats von Bedeutung ist, den Lebensstandard beizubehalten und Auslandszulagen als private Aufwandsentschädigung zu beziehen. Wenn Herr Seidel das klar gemacht hat, wird das aus seiner Sicht auch akzeptiert. Die dazu gefallene etwas flapsige Bemerkung »dann zieht er des auch durch die Hirnwindungen« mag zwar etwas großspurig oder sogar abwertend daherkommen, im Kontext des Interviews scheint dies aber nur eine fast kollegiale Formulierung zu sein, wie sie sich in den Erzählungen von Herrn Seidel immer wieder finden lässt und auch eine gewisse Lockerheit mir gegenüber demonstrieren sollte. Trotz dieser Erklärung, mit der Herr Seidel auch sich selbst ein Stück weit beruhigt, fügt er fast schuldbewusst hinzu, dass diese Sonderstellung jedoch nicht überstrapaziert werden sollte, gerade was auch die Darstellung nach außen betrifft. Mit Hilfe dieser auch institutionell verankerten Prozesse lenkt Herr Seidel, befähigt durch seine Führungsposition, die Herausbildung von Normalitätsarrangements in eine bestimmte Richtung. Normalität zeichnet sich demnach durch eine Repräsentation flacher Hierarchien, Leistung (s. Gehaltssystem) bei gleichzeitig straffer organisationaler Strukturierung aus, die die ersten beiden Aspekte unterstützt und gewährleistet. Solche Bemühungen um einen Machtausgleich seitens deutscher Unternehmen und ihrer Repräsentanten in China sind aufgrund der mitunter neo-kolonial geprägten Selbst- und Fremdwahrnehmung sicherlich angemessen. Allerdings sind auch die chinesischen Akteure gefordert. Und so empfiehlt der chinesische Manager einer deutschen Niederlassung gerade jungen chinesischen Berufsanfängern folgendes: »[…] they should be modest to learn or whatever good experience or bad experience they have, it definitely will be very helpful for their future. Cause you can learn quite a lot from both, good things and bad things, this is my opinion. And they should forget the nationality. Because some, not sometimes, it is quite often in China, the Chinese companies and the Chinese students they always think, all we Chinese we are not treated very good by foreigners or by something like that. But definitely I think this is not a very good attitude to get in touch with the people. So, maybe they should forget about, a little bit about the nationality, not YOU Chinese, THEY German or THEY American. They are all human being and you have to learn their advantages and learn the way they’re doing.« (Li)
In der Regel spiegeln die Ratschläge an junge Arbeitnehmer auch die eigene Haltung der interviewten Akteure wider. Da Herrn Li Offenheit wichtig ist,
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möchte er diese Einstellung auch weitergeben und sieht für den Unternehmensnachwuchs eine breite Lernbereitschaft als »helpful for their future«. Eine Konsequenz dieser Offenheit sollte dann die sein, der nationalen Zugehörigkeit keine oder zumindest weniger Beachtung zu schenken. Denn aus chinesischer Perspektive wird das Stereotyp vom überlegenen Deutschen oder auch Amerikaner häufig einfach reproduziert (wie das generell bei Stereotypen häufig der Fall ist und sie erst zu feststehenden Bildern macht). Dadurch wird scharf zwischen Eigenem und Fremden unterschieden und letzteres als negativ und hier auch als vereinnahmend konstruiert, es entsteht ein Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit und einer Übermacht des Anderen. Das wirkt sich wiederum auf die Einstellung aus, mit der diese jungen Chinesen auf Ausländer zugehen. Nach Herrn Li ist diese »not […] very good«, weil die Haltung dann deutlich weniger offen ist. Er zieht es vor, zunächst alle Begegnungen möglichst unvoreingenommen auf einer menschlichen Ebene anzugehen. Wenn negative Bilder nicht im Vordergrund stehen und ein Gleichgewicht zumindest bezogen auf die nationale Herkunft gedacht wird, ist es erst möglich, zu lernen. Dazu gehört nach Herrn Li, positive Eigenheiten, aber auch andere und neue Handlungsoptionen kennenzulernen. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil das Qualifikationslevel aus praktischer Sicht bei den jungen Arbeitnehmern für die Verhältnisse in den ausländischen respektive deutschen Firmen relativ gering ist (vgl. dazu auch Kapitel 2.2.1). Die Bedeutung, die hier indirekt der Nationalität von Interaktionspartnern zukommt, verdeutlicht auch, wie wichtig es ist, aktiv zu versuchen, die damit verbundenen Denkbarrieren aufzubrechen. Das allein über die Einstellung der sich unterlegen Fühlenden ausrichten zu wollen, reicht nicht aus. Auch oder vielmehr gerade die Repräsentanten der Nation oder des Unternehmens tragen dabei eine besondere (Mit-) Verantwortung. Sicherlich gehört dazu ebenfalls eine entsprechend offene, respektvolle und akzeptierende Haltung; nicht zu vernachlässigen sind aber erneut auch hier die »Techniken der Imagepflege« (Goffman 1971: 18), unter die Goffman (1971) u.a. auch »Geschicklichkeit und Wahrnehmungsvermögen« (ebd. 19) fasst. So schreibt er: »Vermutlich werden soziale Geschicklichkeit und Wahrnehmungsvermögen in solchen Gruppen stark sein, deren Mitglieder häufig als Repräsentanten von größeren sozialen Gruppen, von Stämmen oder Nationen handeln, da der Spieler hier mit einem Image spielt, an das die Gefühle vieler Leute gebunden sind« (ebd.). Ähnliches beobachtet er auch bei »hochgestellten Leuten« (ebd.). Der Begriff des Spielers bezieht sich dabei auf Interaktanten, die angesichts von situativen Unsicherheiten stets bemüht sein müssen, ihre Handlungen und Kommunikation »in Übereinstimmung mit [ihrem] Image zu bringen« (ebd.). Je besser dabei ein solches Image ist, »desto größer ist die Zahl der Ereignisse, die unvereinbar mit [ihrem] Image sein könnten, und daher ist soziale
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Geschicklichkeit um so erforderlicher, um solchen Inkonsistenzen zuvorzukommen oder entgegenzutreten« (ebd.). Besonders Manager und Mitarbeitende mit Führungsaufgaben repräsentieren neben ihrem Unternehmen auch die Nation aus der sie stammen und müssen sich mit den Goffmanschen Überlegungen in der Praxis (mehr oder weniger bewusst) auseinandersetzen. Das wurde eben bei Herrn Seidel, aber auch bereits bei Herrn Pfeiffer oder Herrn Schneider deutlich, der auch im nächsten Zitat nochmals zu Wort kommt. Dabei veranschaulicht er nicht nur, wie er sein Image aufrechterhält, sondern auch, was passiert, wenn dies nachhaltig irritiert wird. Dabei verweist er auf seinen Vorgänger in der Geschäftsführerposition, der in der Interaktion mit Kollegen und Mitarbeitern nicht erfolgreich war: »Ähm, und gleichzeitig hat eben auch ein Führungswechsel stattgefunden von dem, was ich grade geschildert habe, äh, Schreibold, zu ja, ner etwas ruhigeren, aber dennoch dezidierten, klaren Kurs, das merkt man. Ja, und dieser Wechsel hat tatsächlich stattgefunden, also ich empfinde das, persönliche Sichtweise, als, äh, starke Errungenschaft und wird auch durch die Mitarbeiter gespiegelt. Also ein ruhigeres, vertrauensvolleres, das heißt, ich merke das daran, wenn tatsächlich Probleme auftauchen, das halt das nicht chinesisch TOTgeschwiegen wird bis zum letzten Moment, sondern, bin ich halt stolz drüber, dass relativ schnell der Kontakt gesucht wird.« (Schneider)
Der »Führungswechsel« zu Herrn Schneider lag nicht in den mangelnden Fachkenntnissen seines Vorgängers begründet. Als »Schreibold« charakterisiert, kam er nach Herrn Schneider vielmehr nicht mit der angestauten Frustration im chinesisch geprägten Alltag zurecht. Aufgrund von Differenzen im Verhalten und der Kommunikation, die er bei chinesischen Mitarbeitern und Mitmenschen erlebte, verlor dieser Chef scheinbar die Fassung, wurde »UNgerecht« und »aggressiv« (Schneider). Das führte zum Gesichtsverlust vor den chinesischen Mitarbeitern bzw. zu einem irreparablen Imageschaden und damit zur sozialen Enthebung aus der Stellung eines angemessenen Repräsentanten. Herr Schneider kann diese Gefühlslage durchaus nachvollziehen und erklärt, dass man »selbst sehr dran arbeiten muss« (Schneider). Wenn dies aber nicht gelänge, sei man »hier falsch« (Schneider). Es sind für einen solchen Akteur also auch die Motivation und der Wille notwendig, »seine Wahrnehmungsfähigkeit und seine Geschicklichkeit zu üben; kurz, er muss stolz und rücksichtsvoll sein« (Goffman 1971: 19). So besitzt und beherrscht Herr Schneider in Interaktionen sowohl »eine defensive Orientierung im Hinblick auf die Wahrung des eigenen Images und eine protektive im Hinblick auf die Wahrung des Images anderer« (Goffman 1971: 19). Das gelingt ihm durch einen »ruhigeren, aber dennoch dezidierten,
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klaren Kurs«, der wiederum Vertrauensbildung und damit eine offenere Kommunikation mit den Mitarbeitern ermöglicht. Dieser Führungsstil trägt nach Herrn Schneider auch dazu bei, dass sich eine ganz eigene Form von Normalität herausbilden konnte, bei der Probleme »nicht chinesisch TOTgeschwiegen« werden, aber dennoch kein neo-koloniales Machtgehabe notwendig ist, um ein ökonomisch sinnvolles und angenehmes Zusammenarbeiten zu gewährleisten. Darauf ist Herr Schneider selbst »stolz«, was wie oben gezeigt wurde, auch Quelle für die Motivation zur beständigen Imagepflege und Normalisierungsarbeit ist. Ähnliche Fähigkeiten bringt auch Herr Müller mit, der zwar in einem chinesischen Unternehmen in Deutschland arbeitet, aber geschäftlich auch immer wieder in China unterwegs ist. Für die chinesischen Kollegen vor Ort wird auch er als deutscher Repräsentant der Firma, der noch dazu hierarchisch hoch positioniert ist, wahrgenommen. Dabei wird sogleich eine klare Machtverteilung konstruiert, die sich in der Verhaltensweise der chinesischen Akteure widerspiegelt. Sie agieren förmlich und entsprechend inkorporierter Regeln, wie mit einer solchen Person wie Herrn Müller umzugehen sei. Herrn Müller hingegen ist ein informelleres und offeneres Klima lieber, auch wenn er meist nur kurz in China zu tun hat. Dafür muss er aber das vorab konstruierte Machtungleichgewicht ausbalancieren, was ihm wie folgt gelingt: »Es fing damit an, dass ich da angekommen bin und nen Termin hatte am nächsten Tag und dass ich einfach früher hingeh, die Leute anspreche…und…ich mein, ich könnt mich auch an meinen Schreibtisch setzen und meine Arbeit machen, weil ich bin ja da nur einmal im Jahr oder so, und dass man da die Leute einfach anspricht und sage: »Darf ich euch heute Abend zum Essen einladen?« [verstellt die Stimme] »Nee, nee, nee, du bist Gast« und so weiter und dann ist man aber wieder bei diesem Förmlichen, aber es ist halt irgendwie nie zu gekommen, dass man ein informelles Treffen hat und einmal…bei mir ist das echt einfach: Ich war schonmal in China, ich hab in China studiert und gearbeitet, dann heißt’s: »Ach, dann kannste ja Chinesisch«, dann hat man schon ne halbe Stunde Gesprächsstoff und Sachen zum Lachen, über das, was ich nicht kann, äh, dann bin ich mit ner chinesischen Frau verheiratet, also das ist easy…. « (Müller)
Im Zentrum der Bemühungen von Herrn Müller steht wieder intensive Beziehungsarbeit. Interessant ist hierbei, dass wieder das Thema Sprache als Einstieg funktioniert. Auch bei Herrn Schneider bildeten im Unterkapitel 7.2.1 die (mankobehafteten, wenn natürlich ausgeprägten) Sprachfähigkeiten des Ausländers einen Anknüpfungspunkt für informellere Gesprächsthemen, aber auch für eine Möglichkeit, hierarchisch begründete Barrieren aufzuweichen. Dieses soziale
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»Spiel« fällt Herrn Müller leicht. Das mag zum einen an seiner persönlichen Konstitution und seinen Sprachkenntnissen liegen, aber sicher auch daran, dass ihm die zunächst nicht gleich erkennbaren Logiken hinter dem Verhalten seiner chinesischen Interaktionspartner bekannt sind. Dieses Wissen gepaart mit »sozialer Geschicklichkeit und Wahrnehmungsfähigkeit« (Goffman 1971: 19) lässt sich bei mehreren Interviewpartnern finden, die so freiwillig, aber auch situationsbedingt oder gar unbewusst die Rolle von kulturellen Mittlern einnehmen. 7.4.5 Brücken und Schmieröl. Kulturelle Mittler I Die Verankerung dieser Rolle im Bewusstsein hängt wiederum stark von der Position und damit der Befähigung zusammen, Änderungs- oder Vermittlungsprozesse einzuleiten und zu gestalten. In der Regel sind es daher Positionen wie die der interviewten Manager und Geschäftsführer, die für eine solche Funktion prädestiniert sind. Das ist vor allem im Kontakt mit der Firmenleitung im Ausland von Bedeutung, wie das nächste Unterkapitel zeigen wird (7.5.1). Gerade im Berufsalltag, wenn disparate Verhaltens- oder Kommunikationspraxen besonders sichtbar werden, übernehmen aber auch Mitarbeiter in weniger hohen Positionen diese Mittler-Rolle, die durchaus nicht ganz einfach ist. Eine in diesem Sinne ganz klassische Mittlerin ist Frau Handke, die bereits seit über 25 Jahren in einem chinesischen Unternehmen in Deutschland arbeitet und dort zunächst als Sprachmittlerin, das heißt als Übersetzerin und Dolmetscherin, begann: »Mein Chef konnte keine Fremdsprache sprechen und es war also sehr wichtig, dass man, dass er um zu kommunizieren jemand hatte, der für ihn übersetzen konnte.« (Handke) Als diplomierte Sinologin war sie damals in einer Sonderposition. So galt Sinologie zur Zeit, zu der Frau Handke studierte, noch als »Orchideenfach« und auch heute sprechen trotz des stark gestiegen Interesses an China nur wenige Ausländer so fließend chinesisch, dass sie auch im Bereich wirtschaftlicher und rechtlicher Zusammenhänge übersetzen können. Die intensive und interessierte Beschäftigung mit China und der damit verbundene Status ergaben eine Mischung, die Frau Handke durchaus genoss: »[…] ich war natürlich, war vielleicht auch ein bisschen eitel, aber ich war natürlich schon ein bisschen was Besonderes. Die Deutsche unter den Chinesen, mit der man sich über alles unterhalten konnte, die alles verstand und so und äh, und vielleicht ja, ich lebe gerne in einer chinesischen Umwelt.« (Handke)
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Im Laufe der Zeit und der Entwicklung ihrer Firma vom behördenähnlichen Exportbetrieb in Staatsbesitz zu einem kapitalistischen Unternehmen, dass sich mit Existenz-Problemen und steigender Konkurrenz konfrontiert sehen musste, hat sich auch die Rolle von Frau Handke gewandelt. Neben den Übersetzungsaufgaben wurde sie zusätzlich mit administrativen Aufgaben und neuen Themenfeldern betraut, die sie inzwischen zur wichtigen Mitarbeiterin der Geschäftsleitung machen. Das ist nicht nur mit ihren Fachkenntnissen zu begründen, sondern auch damit, dass sie den Platz einer »Vertrauensperson« einnimmt, die sie ähnlich einer Mediatorin agieren lässt: »Ja, ich bin natürlich einfach aufgrund meiner langen Zeit, wo ich hier bei der Firma bin und äh, auch vielleicht, weil ich eben auch eben Chinesisch spreche, ich bin halt schon irgendwie so ne Vertrauensperson…für beide Seiten irgendwie, ne! Und äh, also, ich, ich bemühe mich also immer sehr auch irgendwie den Wind allen wieder aus den Segeln zu nehmen.« (Handke)
Der Bedarf, »den Wind allen wieder aus den Segeln zu nehmen« ist dann gegeben, wenn ein Spannungsfeld sich entlädt oder sich unmittelbar zu entladen droht. Als Beispiel nannte Frau Handke Situationen, in denen die Diskrepanz zwischen dem Harmoniestreben der chinesischen Mitarbeiter und dem ausgeprägten Gerechtigkeitsempfinden der deutschen Kollegen sichtbar wurde. Das bewegt sie auch durchaus selbst, ist doch der Wert der Gerechtigkeit bei ihr tief verankert, wie auch in Kapitel 5.1.2 schon angedeutet wurde. In einem solchen Fall versucht sie dann Folgendes: »Und wenn ich also merke, äh, dass also Dinge ungerecht werden, dann je nach dem wo ich das Gefühl habe, also es gibt Situationen wo ich voll auf chinesischer Seite stehe und wirklich total sauer auf die deutsche Seite bin, aber es ist auch umgekehrt, ne! Wo ich also wirklich sage, also da, da wird der deutschen Seite Unrecht getan und versuche das dann also, ja also auch wirklich klar zu machen. Da hab ich jetzt vielleicht wirklich so ein Sonderstatus, ne, weil ich eben halt auch aufgrund meines Alters schon, dass ist ja für Chinesen auch wieder wichtig und meiner langen Firmenzugehörigkeit und vielleicht auch weil man mich mag, ne, also kann ich mir eigentlich leisten, also jedem da so ein bisschen zu sagen, also das finde ich zum Beispiel gut und das finde ich nicht gut, ne und manchmal hört man auch drauf [lacht].« (Handke)
Der durch das Gerechtigkeitsempfinden verursachte innere Druck lässt Frau Handke in kritischen Situationen also Partei ergreifen; sie tut dies allerdings sowohl für die deutsche als auch die chinesische Seite, wenn dies notwendig ist.
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Sie verhält sich nach ihrer Einschätzung also in dieser Situation »typisch deutsch«, nutzt diesen Aspekt jedoch nicht nur zum Vorteil anderer Deutscher. Der Gerechtigkeitsanspruch ist vielmehr universeller Natur. Während ein anderer gerade in einem chinesischen Unternehmen aufgrund von Hierarchien oder des Vorwurfs, das Harmoniestreben der chinesischen Kollegen nicht anzuerkennen, mit diesem Vorgehen scheitern könnte, hat sich Frau Handke als »Vertrauensperson« etabliert, auf die man »hört«. Sie erklärt das wiederum mit ihrem »Sonderstatus«, der auf einer langen Firmenzugehörigkeit, ihrem Alter und der ihr entgegengebrachten Sympathien, das heißt ihrem sozialen und damit verbundenem symbolischen Kapital, beruht (vgl. Schultheis 2008: 33). Der Altersunterschied zu den jüngeren Mitarbeitern lässt deren mitunter hierarchisch höhere Position in den Hintergrund treten. Da sie die Entwicklung der Firma von Anfang an begleitet hat und zudem ausgezeichnet Chinesisch spricht, wird ihr zusätzlich nicht nur Erfahrung, sondern auch Interesse und ein gewisses Verständnis für die chinesischen Positionen zugetraut und zugeschrieben, was sie damit beweist, dass sie eben auch für die chinesische Seite Stellung bezieht. Dass Frau Handke bei den Kollegen zudem beliebt ist verwundert wenig; während des Interviews und der Korrespondenz habe ich sie als eine angenehm unaufgeregte, empathische und humorvolle Frau erlebt, die bescheiden auftritt, die aber sich selbst und ihre Fähigkeiten gut einschätzen und vor allem einsetzen kann. Aufgrund ihrer Haltung und langjährigen Erfahrung im konkreten Kontext eines deutschchinesischen Unternehmens konnte sie ihre »Wahrnehmungsfähigkeit« entsprechend »üben« (Goffman 1971: 19) und kennt die besonderen Standardisierungen in diesem Kollektiv. Durch das Zusammenspiel dieser Aspekte gelingt es Frau Handke, die Atmosphäre im Unternehmen positiv zu beeinflussen. Das attestiert ihr und einer weiteren Kollegin auch der chinesische Logistikleiter Herr Chen: »[…] wir haben auch Frau [Name der Kollegin], die spricht auch sehr gut Chinesisch und [Caro] [Frau Handke, A.S.] ist auch von Anfang an mit dieser Firma dabei und ähm, natürlich die beide Frauen spielen als Schmieröl in diese Firma. Zwischen Deutsche und Chinesen, das war auch sehr wichtig, weil die beide kennen unsere Kultur. Und können auch die deutsche Kultur mit der chinesisch Kollegen erzählen und natürlich, das ist ideal. Man braucht immer solche Brücke [lacht].« (Chen)
Herr Chen geht hier nochmals auf die verbindende Wirkung von Frau Handke ein, er verwendet den Begriff »Schmieröl« – Frau Handke verringert also im wahrsten Sinne des Wortes kommunikative Reibungen zwischen den Mitarbeitern. Ganz ähnlich wie die Führungskräfte in den deutschen Unternehmen in China kann sie sich in mehreren Kollektiven bewegen und übersetzt dann nicht
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nur rein sprachlich, sondern auch kulturell. Herr Wang aus dem deutschen Unternehmen in China bezeichnete diese Art der Mittler als »translators«, Herr Chen findet als Verbindungs-Metapher den Begriff »Schmieröl«, Herr Luo vergleicht Mittlerpositionen mit einer »Brücke«. Frau Handke bringt Chinesen und Deutschen so die »Kultur« der jeweils anderen näher. Dadurch entsteht in der Belegschaft »Verständnis« für andere Verhaltensweisen, was auch damit zu tun hat, dass die Firma schon lange in Deutschland besteht und viele der Mitarbeitenden bereits mehrere Jahre dort arbeiten. Dadurch sind Differenzen bekannt, was zu Normalität und damit einem »schönen« Arbeitsklima beiträgt, wie Herr Chen bereits weiter oben in diesem Kapitel bestätigte. Frau Handke hilft bei ihrer Mittlerfunktion ihr soziales Kapital, das u.a. Seniorität, Erfahrung und Sympathie umfasst und damit die hierarchisch niedrigere Position ausgleicht. Schwieriger ist das bei jüngeren Kollegen, die weniger Erfahrung und ein geringeres Standing besitzen als Frau Handke. Bei der Betrachtung der Spannungsfelder zeigte sich das bei Frau Song, die Schwierigkeiten hatte, ihr Wissen bei den deutschen Chefs fruchtbar einzubringen oder auch bei Herrn Luo, dessen niedrige Position im Unternehmen verhinderte, bei der Firmenleitung und den hierarchisch höhergestellten Kollegen in China entsprechend Gehör zu finden. Bei Herrn Luo greift dabei einerseits das Spannungsfeld, das aus der Kommunikation zu den Chefs in China heraus entsteht und nachfolgend noch thematisiert wird. Andererseits hat Herr Luo nicht nur mit Vorgesetzten, sondern eben auch mit Kollegen auf gleicher Ebene zu tun und spürt dabei Spannungen. Diese ergeben sich aus einer Mischung von strukturellen Problemen durch die Aufteilung des Unternehmens nach Regionen (wie er am Ende des folgenden Zitats betont) und dem mangelnden Verständnis der Kollegen für die Situation von Herrn Luo vor Ort. Das liegt wiederum an unzureichenden Informationsflüssen, aber möglicherweise auch an einer anderen Arbeitseinstellung (die weniger effektiv sei, wie mir Herr Luo off record andeutete). Herr Luo erachtet es daher als wichtig, dass sich beide Seiten durch verstärkte Beziehungsarbeit näher kommen und damit die professionelle Zusammenarbeit verbessert wird. Am besten würde das durch direkte Kontakte gelingen: »Ich meine, also, das muss man so mehr verstehen, ich glaube also, Deutsche müssen, zur Zeit also das ist neue Kollegen in deutsch GmbH, ich hoffe, da kann man so ein-, zweimal nach China fliegen und die Kollegen kennenlernen, also zuerst kennenlernen, ja, so, und ein bisschen verstehen, was arbeiten die in China, welche Schwierigkeiten gibt es in China, so, ja. Und zwar diese chinesische Kollegen kann man so mit einem deutsch Kollegen oder Europa-Kollegen so zu unterhalten, also zu verstehen, also, was wollen die Kollegen in Europa, wollen, so und dann kann man sofort die Information umtauschen und das so-
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fort an die Anforderungen von Europa anpassen. Das finde ich, zuerst verstehen, teilweise, ja finde ich zur Zeit, gibt es deutsch System oder Europa-System, aber China macht anders, ja. Ja. Eigentlich unsere Hauptniederlassung liegt in China, aber zur Zeit finde ich China kontrolliert nur chinesische Kollegen und Europa kontrolliert nur Europa, da gibt es nichts Allgemeines.« (Luo)
Der Vorschlag, sich vermeht mit Kollegen und Kolleginnen aus anderen Niederlassungen auszutauschen, wäre zwar für Herrn Luo eine angemessene Möglichkeit mit den aufgeworfenen Problemen umzugehen, allerdings muss er damit zunächst noch hypothetisch bleiben. Mit dieser Umsetzungsschwierigkeit hat auch Herr Arendtmeyer zu kämpfen. Ihm fällt es generell bereits schwer, Normalität im deutsch-chinesischen Berufsalltag herzustellen. Zudem findet er sich als unfreiwilliger Mittler zwischen seinem Unternehmen und dessen deutschen Kunden wieder. Auch hier könnten seiner Meinung nach Formen der Beziehungsarbeit helfen, ganz einfach, um auch Differenzen vertraut zu machen. Dazu gehört beispielsweise die Auseinandersetzung mit der chinesischen Sprache, für die er durchaus Interesse zeigt: »[…] was ich mir auch vorgestellt habe, vielleicht, dass, dass die Firma selber das anbietet, dass man sagt, ok, jeden Montag gibt’s ne halbe Stunde Chinesisch, huh, is ok, wieso nicht?« (Arendtmeyer) Sicherlich könnte Herr Arendtmeyer auch privat Unterricht nehmen, allerdings scheint es ihm hier vielmehr um eine Zuwendung als Zeichen der Bemühung und Anerkennung von Seiten des Unternehmens zu gehen. Da diese oder ähnliche Maßnahmen bislang nicht möglich gemacht werden, weicht er auf eine andere Handlungslogik aus. Er stellt dabei nicht mehr die Beziehungsarbeit und den Aufbau gelingender Interaktionssituationen in den Vordergrund, sondern die Arbeit an sich. Wenn diese letzte Bastion der Liebe zum Job allerdings nicht mehr gegeben wäre, so würde er als Konsequenz »nen Schlussstrich ziehen«. Damit geht er noch nicht so weit, zu kündigen, allerdings wäre er dann bereit für eine Konfrontation: »Gott sei Dank, ich liebe meinen Job, ich liebe meinen Job, ich liebe das, was ich tue. Äh, sonst ist natürlich auch schwierig [lacht], aber ähm, dann würd ich nen Schlussstrich ziehen, würd ich mit meinem Vorgesetzten reden und sagen, so und so geht’s nicht weiter und äh, ist schonmal passiert, ok. Wo ich mal gesagt habe, ok, aber nicht von einem chinesischen Kollegen, sondern eigentlich von einer deutschen Kollegin, wo ich gesagt habe: ›Das geht auf keinen Fall!‹ Und das hab ich dann erstmal auf Englisch übersetzt, hab ich’s denen geschickt, haben die gesagt: ›Was ist das?‹ Und dann wurde gesagt: ›Wir klären das‹, in nem ruhigen, in sicherem Ton. Also nicht zu viel Wirbel, nicht zuviel Wind.« (Arendtmeyer)
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Wie Herr Arendtmeyer berichtet, hat solch eine Konfrontation sogar bereits stattgefunden – wenn auch nur in abgeschwächter Form und nicht im direkten Kontakt mit chinesischen Kollegen bzw. Vorgesetzten. Von deren Reaktion scheint er im Interview jedoch fast überrascht: Der »ruhige[…], […] sichere[…] Ton« imponiert ihm fast, gleichzeitig schwingt in der anschließenden Bemerkung »nicht zu viel Wirbel, nicht zuviel Wind« auch mit, dass Herr Arendtmeyer das Gefühl hat, hier solle etwas unter den Teppich gekehrt werden. Darin spiegeln sich erneut die Machtlosigkeit und die dadurch fehlende Gestaltungskraft wider, die auch bei anderen interviewten Mitarbeitern in niedrigeren hierarchischen Positionen zum Tragen kamen (z.B. bei Herrn Luo oder Herrn Hong). Dabei werden sie von der Unternehmensführung allein gelassen oder unzureichend unterstützt. Ihnen fehlt entweder die Macht, Wissen in Entscheidungen zu überführen, oder aber es fehlt der Zugang zu Wissen, das Verstehen ermöglichen oder verbessern kann. Die Mittlerrolle wird dann zum Zwang, zur ungewollten Aufgabe, die nicht richtig ausgefüllt werden kann und im Arbeitsalltag nicht als tatsächlich wirksame Fähigkeit wahrgenommen wird. Gleichzeitig übernehmen diese Mittler jedoch bereits wichtige Funktionen im Umgang mit Spannungsfeldern, die im Unternehmensalltag eigentlich unverzichtbar sind, die allerdings wenig gewürdigt und unterstützt werden. Dadurch wird unweigerlich Potential verschenkt. Anders sieht das bei den Mittlern in Führungspositionen aus, die deutlich mehr Freiraum und Durchsetzungsmacht besitzen. Dazu gehören besonders Herr Schneider und Herr Frei, die anders als beispielsweise Herr Wang oder Herr Seidel dazu noch kaum durch strukturelle Vorgaben eingeschränkt sind: »Die interessante Geschichte daran ist halt eben, dass man hier das Schiff vollkommen alleine segelt.« (Schneider) In der nautischen Metapher von Herrn Schneider übernimmt er als Geschäftsführer gleichsam die Rolle des Kapitäns im Unternehmensschiff. Er bestimmt den Kurs, er verteilt die Aufgaben und prägt mit seiner Haltung das Unternehmen. Die ausgedehnte Eigenverantwortung ist dabei genau das, was ihn reizt, es macht seine Funktion zur »interessante[n] Geschichte«. Für Herrn Frei ist die Führungsrolle allerdings nicht nur interessant, sie erleichtert im Zweifel auch die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern. Denn trotz des freundschaftlichen Umgangs im Unternehmen von Herrn Frei und dem gewollten Ausgleich von Machtunterschieden obliegt ihm jederzeit die Möglichkeit, das letzte Wort zu sprechen. Gleichzeitig ist das in entscheidungsintensiven Situationen notwendig, da, anders als in anderen Unternehmen, keine starken Strukturen vorgegeben sind, die regulierend wirken könnten. Und so statuiert Herr Frei sehr ehrlich: »Ich sag mal, für mich isses auf jeden Fall einfacher, weil ich hier der Chef bin [lacht].« (Frei)
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7.5 U MGANG MIT DEM S PANNUNGSFELD B EZIEHUNG ZUR F IRMENLEITUNG IM S TAMMHAUS 7.5.1 Kulturelle Mittler II: Führungspersonen in deutschen Tochterunternehmen in China Während es für die Mitarbeitenden ohne Führungsrolle im Berufsalltag also oftmals schwierig ist, tatsächlich als Mittler agieren zu können, ist diese Funktion für Führungskräfte in ihrem Aufgabenspektrum eine ganz zentrale. Das lässt sich gut an den verschiedenen Geschäftsführern deutscher Unternehmen in China illustrieren – Herrn Schneider, Herrn Wang, Herrn Li, Herrn Seidel und Herrn Frei. Die Mittelmanager aus verschiedenen Bereichen bilden schon qua Stellenbezeichnung die Verbindung zwischen dem oberen Management und der Mitarbeiter-Basis. Besonders ist allerdings, dass Stammhaus und Dependance in sehr unterschiedliche lokale Gegebenheiten eingebettet sind und die MittlerAufgaben der Manager daher an Bedeutung gewinnen. So berichtet zunächst Herr Schneider über den Austausch mit seinen Vorgesetzten und Kollegen in der deutschen Zentrale: »Das ist die Geschichte, die meine Position hier rechtfertigt. Die Kommunikation funktioniert DANN gut, wenn halt eben die Kriterien, die ich eben beschrieben habe, zutreffen, sprich Verständnis dafür da ist, dass halt eben China VOLLKOMMEN anders funktioniert als Deutschland.« (Schneider)
Die Kommunikation mit Deutschland ist für Herrn Schneider ein – wenn nicht das zentrale – Handlungsfeld, sieht er seinen Job doch in dieser Aufgabe »gerechtfertigt«. Dabei geht es nicht um bloße Berichterstattung oder die Ausführung von Anweisungen, sondern darum, »Verständnis« herzustellen. Das bedeutet hier konkret, die deutlichen Differenzen im Arbeitsalltag vor Ort in China und der Zentrale in Deutschland zu vermitteln und bekannt zu machen. Es ist wichtig, dass die Kollegen »um die Probleme wissen« (Schneider). Das ist für ihn dann gegeben, wenn jemand bereits vor Ort war und die Gegebenheiten kennt. Denn sonst sind die Erfahrungen in China – auch außerhalb des Berufsalltags – so besonders, dass eine Vermittlung oft schwierig ist: »[…] wo man entweder sich tierisch ärgert und im Nachhinein drüber lacht oder wo man sagt, meine Güte, das glaubt dir eh keiner in Deutschland, berichtet’s dann in Deutschland
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und es findet genau das statt: Es glaubt einem keiner und man sagt: ›Warum hast du das überhaupt erzählt?‹« (Schneider)
Gerade diese besonderen, außeralltäglichen Erfahrungen lassen Herrn Schneider zunächst isoliert zurück, wie in seiner rhetorischen Frage zum Ausdruck kommt. Bemerkenswerterweise frustriert ihn das jedoch nicht, wie er unmittelbar im Anschluss formuliert: »Also des ist, ist interessant« (Schneider). Die positive Einstellung gegenüber den vielgestalten Erfahrungen in China, die bei ihm gar nicht unmittelbar an den Beruf gebunden sind, trägt dann wiederum dazu bei, dass Herr Schneider auch im Arbeitsalltag nicht nur für die deutsche Seite, sondern auch für die lokal vorherrschende Lebenswelt Verständnis aufbringen kann. Hier beeinflusst die Kenntnis eines außerberuflichen Kollektivs die Wahrnehmung im beruflichen Kontext (vgl. Hansen 2009a: 49f.). Das äußert sich zum einen darin, dass er während seiner Tätigkeit in China »mehr Vertrauen seitens des Stammhauses« (Schneider) gewinnen konnte, zum anderen aber auch darin, dass er die Perspektive auf einen Sachverhalt verändern kann, je nachdem, ob er mit chinesischen und deutschen Mitarbeitern oder aber Vertragspartnern interagiert: »Und da geh’ ich mit ner anderen Gelassenheit und Erwartungshaltung, äh, in meiner Kommunikation auch nach Deutschland. Also ganz klar ne Differenzierung der Erwartungshaltung.« (Schneider) Er bezieht sich hierbei beispielsweise auf Fristen, Qualitätsstandards und ähnliches, die in Deutschland strenger und formeller gehandhabt werden als in China. Er pendelt dann gewissermaßen zwischen den Ansprüchen und Möglichkeiten beider Seiten hin und her. Diese besondere Stellung fasst Herr Wang, chinesischer Geschäftsführer in einer sehr ähnlichen Situation, in folgendem Abschnitt gut zusammen: »Because Germans say: ›What do you mean by this, you know, why you say this? Is this different than we have here in Germany?‹ SO MANY QUESTIONS, you know, then you have question after question, then it takes actually more time. But, to be effective really need someone to TRANSLATE what they want to say. […] It’s really this, this, you know…someone in between.« (Wang)
Herr Wang beschreibt hier zunächst, wie die deutsche und chinesische Seite tatsächlich aneinander vorbeireden, was dann wiederum zu Unklarheiten und letztendlich zu Verstehensdefiziten führt. Seine Aufgabe ist nun die eines Übersetzers, allerdings nicht nur in sprachlicher Hinsicht, sondern auch gekoppelt an die Gestaltung eines Prozesses, der Verstehen für beide Seiten ermöglicht. Mit dieser Position zwischen den Parteien geht er ähnlich um wie Herr Schneider, er
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passt sich nämlich an seine jeweiligen Gesprächspartner an – wenn auch nicht explizit in der Erwartungshaltung, so aber im Kommunikationsverhalten: »[…] this is actually the moment where we have to, äh, use different way of turn the communication. […] I do have different style, different styles, because with Germans you have to be, you know, more precise. You have to be faster to the point. When dealing with the Chinese people it’s not that precise and often you have to, I would say, describe the problem, you know, from the very beginning and, you know, taking a lot of, let’s say, äh, detours before coming to the point, ya.« (Wang)
Das setzt natürlich genauso wie bei Herrn Schneider voraus, dass er Verständnis für beide Seiten aufbringen kann. Er nimmt als Mittler daher eine Art MetaPosition ein, die es ihm ermöglicht, zwei oder gar mehrere divergierende Standpunkte zusammenzuführen, ohne dabei eine Seite merklich zu übervorteilen. Die Fähigkeit, im Sinne eines Mediators zu agieren, hat sich bereits fest in seiner Persönlichkeit verankert, so dass diese vermittelnde Aufgabe für ihn keiner besonderen Anstrengung bedarf. Er selbst bewegt sich so sicher in verschiedenen Kollektiven, dass er sich zumindest in der Mittlerrolle selbst keiner Nationalkategorie zuordnet – er agiert im Dazwischen: »[…] I can see this as my assets to be in two cultures. I understand European culture and I understand also the Chinese culture. So for me, äh, I do not need to make SPECIAL effort to adapt, you know, my styles of communication. But if you ask me which way is easier, you know, which way is easier, I think, perhaps…[…] the way in the middle could be better in order to bring these two parties together.« (Wang)
Dabei sieht er Verständnis überhaupt als Grundlage einer gelingenden Kommunikation und damit aller folgenden Handlungen: »In order to really get the understanding, let’s say, in the right place, because if you do not understand the other side, you, it’s quite difficult, I’m not saying it’s impossible, but it’s very difficult to communicate with the other side.« (Wang) Seiner Ansicht nach werden daher Menschen gebraucht, die eine ähnliche Rolle wie er, nämlich die eines Übersetzers im weiteren Sinne, übernehmen können und wollen: »That’s why we need lot of translators« (Wang). Damit hebt er die Bedeutung von Übersetzern im Sinne von kulturellen Mittlern hervor, die letztendlich maßgeblich an der Herstellung von Routinen und Orientierung, also Normalität, beteiligt sind, machen sie so doch einen funktionierenden Arbeitsalltag überhaupt erst möglich. Bei den »Übersetzern« mit einer Führungsaufgabe sind die durch sie angeregten Verstehensbildungsprozesse daher nicht nur auf deren Altruismus zurückzufüh-
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ren, sondern immer auch strategische Notwendigkeit. Auch Herr Li ist ein solcher »Übersetzer«, dem genau wie den anderen Mittlern sowohl für die deutsche als auch die chinesische Seite das gegenseitige Verstehen wichtig. Wie Herr Wang passt er dafür sein Kommunikationsverhalten an. Er geht dabei allerdings noch einen Schritt weiter, indem er nicht nur je nach Person oder Personengruppe, sondern auch nach dem jeweiligen Zweck unterscheidet: »So, sometimes we, äh, it depends on what kind of thing you are trying to get. If you want to, ähm, more benefits from Chinese side, then we will have to take the way of communication with Chinese partner. But if the Chinese, mmh, people come to us in order to get more, mmh, how can I say, get cooperation, deal with us, then maybe if we think it is valuable, we will find another way to communicate with the German people.« (Li)
Wenn Chinesen also als Investoren auftreten, geht Herr Li deutlich stärker auf deren Bedürfnisse und Kommunikationsgewohnheiten ein, als wenn sie als bloße Interessenten an das Unternehmen herantreten. Kommunikation wird hier sehr pragmatisch gestaltet, wie sich auch in einem weiteren Interviewabschnitt zeigt. Herr Li bezieht sich darin auf den chinesischen Kommunikationsstil, den er als langwierig betrachtet. Das wiederum passt nicht zu einer schnellen und effizienten Kommunikation, die das Unternehmen anstrebt: »Because Chinese don’t know what’s the standard, what’s the request on the German side, it’s lot of repeated communication and describing a lot very tiny thing. So, äh, of course, you can make it, but normally it takes a very long time. This is not our target.« (Li)
Wenn er hier von »our target« oder im Ausschnitt vorher von »deal with us« spricht, beschreibt er mit den Pronomen das Unternehmen, aus dessen Perspektive er die chinesische oder die deutsche Seite adressiert. Das Unternehmen nimmt er also als Gruppe oder Einheit wahr, in die er sich selbst miteinbezieht und die als Ganzes zwischen den nationalen Kategorien steht. Sie ist weder der einen noch der anderen eindeutig zuzuordnen. Diese Auffassung spiegelt sich auch in konkreten Maßnahmen innerhalb der Unternehmen wider, wie beispielsweise der »Wir sind alle gleich«-Policy bei Herrn Seidel. Die Mittler selbst versuchen zwar, aus ihrem Selbstverständnis heraus die nationale Kategorie für sich nicht vordergründig gelten zu lassen, setzen sie aber nichtsdestotrotz strategisch ein. Das hat bereits das Beispiel von Herrn Li gezeigt, der zwar jungen Arbeitnehmern rät, die nationale Herkunft ganz zu vergessen, gleichzeitig aber bewusst als national deklarierte Kommunikationsstile situativ anpasst. Herr Seidel übernimmt sogar einen Kanon typisch deutscher Stereotype für sich. Gerade in sen-
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siblen Bereichen wie den Unternehmensfinanzen wird dadurch für die deutsche Mutter ein Sicherheitsbedürfnis befriedigt, das angesichts der weit entfernten und schwer kontrollierbaren Tochter wichtig wird. Herr Seidel als Chief Financial Officer (CFO) bemerkt dazu mit einer durchaus selbstironischen Färbung: »[Da] brauchte man nen CFO, der das ganze so bissl…verdeutscht [schmunzelt hörbar], ja also man wollte jetzt das angenehme Gefühl haben, jetzt sind wir mal…Herr der Lage. Ich denk so darf ich das formulieren. Ja, man wollte sicherstellen, dass gewisse deutsche, westliche Standards eben in Berichten, im Reporting, Zahlen et cetera, dass die hier Einzug halten, verlässlich.« (Seidel)
Das Ausfüllen dieser Vorstellung durch Herrn Seidel stellt für das deutsche Stammhaus daher Normalität in Form von gewohnter Verlässlichkeit, von Sicherheit und fixen Anhaltspunkten her. Herr Seidel in seiner Position als Mittler muss die damit verbundenen Handlungsvorgaben aber auch im Unternehmen vor Ort »durchsetzen«. Um das zu ermöglichen, begründet er die vorgegebenen Topdown-Prozesse für sich folgendermaßen: »Sie müssen für sich diese Balance austarieren, gerade jetzt auch im Berufsleben, das ist ein deutsches Unternehmen und da gelten gewisse Standards und die werden von Deutschland auch so vorgegeben, die sind im Einzelfall sogar von dritten Institutionen vorgegeben, wie in unserem Fall, wir sind börsennotiert, also Börsenaufsicht et cetera pp, JA. Und da gibt’s auch kein Pardon, das gilt eins zu eins, schwarz und weiß. Da müssen Sie dann wirklich sehr deutsch Deutsches oder Westliches implementieren, durchsetzen. Aber gleichwohl, das in ner Form tun, dass es auch VERSTANDEN und nachvollzogen wird von den Einheimischen, dass die sehen, warum ist das so. Das ist jetzt ned ein Mangel an Respekt vor uns, aber es ist so. Es wäre genauso, wenn ein chinesisches Unternehmen in Deutschland investiert, die werden dort gewisse Dinge definieren, weil sie nunmal in chinesischem Besitz sind und weil des aus China kommt. Aber, aus meiner Sicht, das ist das WICHTIGSTE schlechthin, dass man das einfach mal respektiert.« (Seidel)
Hier erklärt sich Herr Seidel sehr ähnlich wie Herr Wang, der von »convincing« spricht, wenn er Anordnungen des Stammhauses in der Dependance umsetzen muss. Auch ihm ist es dabei aber wichtig, Verstehen zu ermöglichen, auch wenn dieser Prozess »very long and very tiring« (Wang) sein kann. Das gebietet für beide der Respekt und damit verbunden die Aufgabe, eine funktionierende Zusammenarbeit zu gewährleisten. Denn wenn die Vorgaben nicht zu ändern sind, so sind die Mittler dennoch frei, deren Implementierung entsprechend zu gestalten. Diese Freiheit ist zwar durchaus unterschiedlich weitreichend, sie ist aber
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eng an die Stellung der Mittler gekoppelt. Denn zunächst sind für ihre Aufgabe eine Befähigung und ein Standing, also eine ausreichend hohe Machtposition, notwendig. Begrenzt wird der jeweilige Spielraum für die Mittler meist nur durch eine relativ enge Kontrolle und Regulierung des Mutterunternehmens: »[…] because we have got the so-called DECISIONS from the German headquarter we have to really put into action or into practice. […] So very strong, let’s say hand-hold by the German headquarter.« (Wang) Dass eine solch straffe Observation und Strukturierung durchaus nicht für alle untersuchten Unternehmen gilt, haben bereits die Beispiele von Herrn Frei und Herrn Schneider gezeigt. Beide haben wesentlich größere persönliche Spielräume. Das heißt allerdings nicht, dass dort Willkür und Improvisation an der Tagesordnung wären. Auch für diese Manager war es wichtig, Strukturen einzuführen. Die Gründe dafür erläutert Herr Schneider genauer und zeichnet dabei auch die Veränderungen nach, die er seit seinem Arbeitsbeginn vor wenigen Jahren beobachtet: »Dadurch, dass wir ganz klare Strukturen vorgegeben haben, in Form von Plänen, die abzuarbeiten sind, ähm…immer wiederkehrende Meetings, äh, eingeführt haben, um einfach einen Status zu erfassen und halt ein Problem zu erkennen, die Deutschland niemals nachvollziehen könnte. Und, aber auch gerade meine Position rechtfertigen, indem ich halt eben vermittle zwischen dem, was hier passiert und Deutschland, wir haben grad eben Rücksprachen, weil Deutschland gar nicht nachvollziehen kann, was hier abgeht. Ähm…diese Strukturen HELFEN, ganz klar, das heißt man bewegt sich da in ner, in ner GEWISSEN Sicherheit, aber grade dann, wenn’s ins Detail geht und das kann ja einem mal auch ganz schnell das Genick brechen, ähm, da ham wir halt nach wie vor noch viel nachgehalten, ja. Aber mit dem, mit diesem ProblemBEWUSSTsein, was man ja immer wieder – so nach dem Motto steter Tropfen höhlt den Stein – versucht, den Mitarbeitern mitzugeben, KLAR merkt man da, da Unterschiede, und so soll’s ja auch sein. Aber der Unterschied ist meiner Meinung definitiv da, also das Problembewusstsein, äh, und dieses selbstständige Arbeiten.« (Schneider)
Im letzten Abschnitt des Zitats spricht Herr Schneider nochmals vom Unterschied im »selbstständige[n] Arbeiten« seiner chinesischen Angestellten im Vergleich zu deutschen Mitarbeitern. Dieser Unterschied ist nach wie vor da, hat sich allerdings in seinem Sinne auch verändert, obschon nach wie vor ein »Problembewusstsein« von seiner Seite notwendig ist. Um die damit verbundenen anderen Arbeitsprozesse in der chinesischen Dependance für die deutsche Firmenleitung überhaupt nachvollziehbar zu machen und, ähnlich wie bei Herrn Wang und Herrn Seidel, ein Gefühl von Sicherheit bzw. eine Absicherung zu gewährleisten, hat Herr Schneider Strukturen »in Form von Plänen, die abzuarbeiten
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sind« und »immer wiederkehrende[n] Meetings« etabliert. Gleichzeitig behält er sich jedoch vor, diese Strukturen bei detaillierteren Fragen (dazu könnten bürokratische Hürden und Zeitfristen gehören) aufweichen zu können. Wären sie gänzlich unflexibel, bestünde ansonsten für die Niederlassung die Gefahr, sich »ganz schnell das Genick zu brechen«, das heißt, dem Alltagsgeschäft nicht wie erforderlich nachgehen zu können. Die hierarchisch legitimierte Machtstellung der hier vorgestellten Mittler bildet also neben der persönlichen Haltung und den »Techniken der Imagepflege« (Goffman 1971: 19) einen unterstützenden Rahmen, der durchaus wesentlich für eine funktionierende Kommunikation mit der Firmenleitung im Ausland ist, sich aber auch auf Interaktionen mit den Mitarbeitern vor Ort positiv auswirkt. Nicht nur die Fähigkeit, sondern auch die Befähigung spielt hier also eine bedeutende Rolle, das hat die Gegenüberstellung mit den Mitarbeitern in weniger hohen Positionen gezeigt. Ein bloßes Ausspielen dieser Position trägt für die Führungskräfte jedoch nicht zu einem funktionierenden Arbeitsumfeld bei. Ein solches stellen sie erst durch ihre Rolle als Mittler her. Diese Rolle basiert wiederum darauf, dass sich die Führungskräfte sicher in mehreren Kollektiven bewegen können. Die Sicherheit, die besonders auf der Kenntnis von Differenzen (beispielsweise im Habitus, in bestimmten Konventionen etc.) basiert, konnten sich die Mittler durch ein meist bereits langjähriges Interesse an den jeweils anderen Lebenswelten und den damit verbundenen prägenden Erfahrungen aufbauen. 7.5.2 Anpassung oder Abbruch: Optionen von Angestellten in Tochterunternehmen in Deutschland und China Dass der Umgang mit Spannungsfeldern allerdings nicht immer dazu führt, dass die Akteure Interaktionen und Normalitätsarrangements aktiv gestalten, sondern aus einer passiven Stellung heraus Alternativen für eigentlich bevorzugte Handlungs- und Kommunikationsoptionen finden müssen, wurde bereits immer wieder bei den Mitarbeitern ohne Führungsposition angedeutet. Nicht immer geht es dabei um direkte Zerwürfnisse mit der Firmenleitung, sondern eher mit den Mitarbeitern oder Vorgesetzten im Unternehmen vor Ort. Letztendlich ist aber das Gefüge aus fehlenden Informationen, Fremdheitsgefühlen und dem Gefühl, allein nichts daran ändern zu können, auf die Gesamtsituation der jeweiligen Tochterfirma zurückzuführen. Das wiederum fällt durchaus auch auf die Firmenleitung zurück. Nun konnten in den untersuchten Unternehmen in Deutschland aus forschungspraktischen Gründen lediglich ein Interviewpartner in einer Managerposition (Herr Müller) und ein Mitarbeiter mit leitender Funktion (Herr Chen) bzw. bei Frau Handke in einer besonderen Stellung gewonnen werden.
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Während diese drei, ähnlich wie auch die Manager in China, für sich wirksame Arrangements treffen konnten, fiel das den anderen Interviewpartnern schwerer. So war Herr Hong bereits gedanklich in eine andere Firma gewechselt, Herr Luo und Herr Arendtmeyer befanden sich noch in einem Prozess des Austarierens und Kennenlernens, was sich aber schwierig gestaltete. Herr Pfeiffer hatte für sich zwar wirksame Mechanismen für die täglichen Interaktionen finden können, allerdings führten die mangelnden Aufstiegschancen zum Abbruch seiner Tätigkeit im Unternehmen. Diese Beispiele sollen jedoch keinesfalls als repräsentativ für chinesische Unternehmen in Deutschland stehen, sondern vielmehr für die Einschränkungen, die eine fehlende Mitsprache oder geringe Gestaltungsmöglichkeiten selbst im Kleineren umfassen. So hat auch Frau Song als immerhin höher positionierte Mitarbeiterin in einem deutschen Unternehmen in China Schwierigkeiten in der Kommunikation mit ihren Vorgesetzten angedeutet. Ihr blieb dann lediglich die Anpassung an bestehende Strukturen, was aber wiederum eine Weiterentwicklung und Verbesserung von Maßnahmen im Unternehmen behinderte (wie das Beispiel der Webseitengestaltung in Kapitel 6.5.2 verdeutlicht hat). Für all diese Verwerfungslinien ist in letzter Instanz eben auch die Firmenleitung verantwortlich, sei es im Einsatz von Personal, der Etablierung angemessener Unternehmensstrukturen und dem Willen, selbst Verständnis für abweichende Arbeitsstile etc. aufzubringen. Wenn das nicht gelingt, kann das für Mitarbeiter eben auch heißen, das Unternehmen ganz zu verlassen, was neben den bereits genannten Akteuren Herrn Hong und Herrn Pfeiffer auch Herr Arendtmeyer in Erwägung zieht: »Aber ich würde, ich würde, wenn ich wirklich…Ich bin ein freiheitsliebender Mensch und wenn das wirklich soweit gehen würde, dass ich sage: ›Nein! Das geht mir total gegen den Strich‹, dann würd ich sagen, dann würde ich anfangen, wahrscheinlich mich woanders zu bewerben, dass ich sage: ›Gut, ich bewerb mich jetzt woanders und schau nach nem andern Job.‹« (Arendtmeyer)
Der Druck, der sich für Herrn Arendtmeyer hierbei aufbauen müsste, ist sicherlich einerseits den Umständen im Unternehmen und damit den Schwierigkeiten bei der Konstruktion von Normalität geschuldet. Andererseits sind die Mitarbeiter trotz ihrer Einschränkungen auch selbst gefordert. Wenn es ihnen aus persönlichen Gründen nicht möglich ist, beispielsweise andere Verhaltensweisen zu akzeptieren oder sie keine passenden Handlungsoptionen für klassisch interkulturelle Situationen im Arbeitsalltag finden, ist ein Job in einem solchen Kontext einfach nicht passend. Es bedarf scheinbar auch einer bestimmten Haltung, um in einer solchen Arbeitsumgebung erfolgreich zu sein, das heißt, für alle Betei-
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ligten zufriedenstellende Normalitätsarrangements zu finden bzw. dazu beizutragen. Das gelingt durchaus, wie beispielsweise Frau Handke langes Engagement zeigt, allerdings tritt auch häufig das Gegenteil ein: »[…] wenn es zu solchen Punkten [Streitgespräche mit Vorgesetzten, A.S.] kommt, dann kommt es meistens auch immer schon zur Trennung oder so was, ne. Also dann gehen, dann gehen eigentlich auch die Deutschen normalerweise. Also es hat auch schon personalmäßig auch schon einige Änderungen gegeben, ne. Also wenn ich mal überlege, von den deutschen Mitarbeitern, die mal hier gearbeitet haben, ähm, also wirklich von den Verkäufern ist eigentlich noch keiner länger als ja... vielleicht ich glaub sechs Jahre war das Längste. Also viele gehen nach drei Jahren oder zwei Jahren, gehen die wieder, ne, weil, weil's eben doch, äh, ja manchmal sind sie selber Schuld finde ich.« (Handke)
Frau Handke sucht die Ursache für eine solche Trennung nicht nur beim Unternehmen, sondern auch bei den Betroffenen selbst. Ihrer Meinung nach war es ihnen nicht möglich, beispielsweise Respekt zu zeigen, diplomatisch zu agieren oder Ähnliches. Dazu gehört auch, sich nicht über Irritationen, die durch ungewohnte Kommunikationsstile etc. entstehen, zu ereifern und Differenzen bestehen lassen zu können.
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MIT DEM
S PANNUNGSFELD P RIVATLEBEN
Das Kapitel zu den Spannungsfeldern im Privatleben begann damit, dass Herr Frei zu Beginn seines Chinaaufenthaltes nicht nur ein Unternehmen neu aufbauen sollte, sondern auch in einer für ihn noch fremden Umwelt zurechtkommen musste. Das hat sich mittlerweile zum Teil geändert und so antwortet Herr Frei auf die Frage, was er heute als ungewohnt bzw. als normal empfindet, wie folgt: »Das betrifft aber meistens die Firma nich. Also in der Firma, sag ich mal, da ist jetzt selten, dass mir da mal was passiert, wo ich sag: ›Ok, das ist jetzt was ganz Komisches.‹ Aber wenn ich halt draußen über die Straße geh, dann…dann sind halt immer Sachen, die [lacht]. Also Firma das ist eingefahren jetzt, das, das läuft, da is jetzt nix mehr groß, wo ich sag, reißt mich jetzt vom Stuhl.« (Frei)
Nach fast fünfzehn Jahren in China und als Geschäftsführer der Niederlassung hat sich die Arbeitswelt für Herrn Frei normalisiert. Er konnte Handlungsroutinen etablieren, er kennt seine Mitarbeiter und die Besonderheiten, auf die er im Berufsalltag treffen kann. Überraschungen ergeben sich aber nach wie vor au-
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ßerhalb dieses abgesteckten Rahmens. Gerade diese alltagsweltlichen Irritationen sind für Herrn Frei jedoch ein Grund, weshalb er nach wie vor in China lebt und arbeitet – sie wirken wie Attraktionen, die das Leben bunter machen: »Also ich bin gern in China, weil’s halt einfach so anders is. Weils jeden Tag siehste irgendwas Neues, was du in Deutschland ned siehst, in Deutschland war’s mir irgendwann mal langweilig, ohne dass Deutschland SCHLECHT ist. Also mit Sicherheit NICH. Aber wenn du hier über die Straße gehst, dann denkste du hast alles gesehen und dann kommt wieder einer und zeigt dir, dass du noch ned alles gesehen hast [lacht] und das ist dann wieder so ein Erlebnis, wo du sagst, es lohnt sich einfach doch hier zu sein.« (Frei)
Ein weiterer Grund, weshalb sich Herr Frei in China wohlfühlt, ist sicherlich auch der, dass er dort mit einer Chinesin verheiratet ist und eine Familie gegründet hat. Nicht ganz unerheblich ist auch, dass er ein deutsches Gehalt bezieht und sich in China dadurch einen entsprechend gehobenen Lebensstandard für sich und seine Familie leisten kann. Hinzu kommt, dass Ausländer in den großen chinesischen Städten inzwischen kaum mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Als sich Herr Frei aber noch »alleine« fühlte und ihm sein Anderssein deutlich gespiegelt wurde (Stichwort: Fernseherkauf), haben seine Mitarbeiter die Rolle von Freunden und Familie weitestgehend übernommen. 7.6.1 Eisessen und Klüngeln. Die Firma als Familie Das war natürlich nur möglich, weil die Hilfsbereitschaft der Mitarbeiter auf die offene Art von Herrn Frei stieß (besonders angesichts der Tatsache, dass sie sich anfangs gar vor ihm gefürchtet haben). Herr Frei leistete also aktiv Beziehungsarbeit, die zwar beruflich angesiedelt war, sich aber positiv auf sein Privatleben auswirkte: »[…] dadurch, dass ich auch das erste anderthalbe Jahr hier grad um die Ecke gewohnt hab und auch ziemlich alleine war, ham wir dann auch irgendwann abends, sind zum Essen gegangen und…dies zusammen gemacht. Und am Anfang warn wir irgendwo, so nen Tag frei gemacht mit allen zusammen und dann in so nen Vergnügungspark gefahren und das hat dann schon alles geholfen. Dann ging das relativ schnell…Und grad in der Anfangszeit, die Mädels ham mir sehr viel geholfen und ham mich sehr viel unterstützt, das hat mir auch sehr viel geholfen, das hat richtig Spaß gemacht.« (Frei)
Die zwanglose Interaktion mit den Mitarbeitern führte daher nicht nur zur Herausbildung eines angenehmen Arbeitsklimas, sondern unterstützte auch die
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Normalisierungsarbeit außerhalb des Berufsalltags (das heißt, dass beispielsweise Irritationen zwar da, aber erwartbar sind und durchaus positiv bewertet werden). Und obwohl sich das Privatleben von Herrn Frei durch seine Familie inzwischen deutlich stabilisiert hat, ist der Zusammenhalt der Unternehmensfamilie nach wie vor spürbar. So beschrieb Herr Frei den Umgang miteinander bereits als »freundschaftlich«, was in kleinen Sequenzen wie der folgenden immer wieder sichtbar wird: »Oder was wir auch machen, wir wetten viel und wer verliert, muss Eis holen. Jetzt im Sommer [lacht].« (Frei) Eine solche »Ersatzfamilie« bieten aber auch größere chinesische Unternehmen in Deutschland. Denn häufig sind auch die chinesischen Mitarbeiter direkt aus China in das für sie fremde Deutschland beordert worden und sind ähnlich wie anfangs Herr Frei mit Einsamkeit oder Frustration konfrontiert. Da das Unternehmen von Herrn Pfeiffer und Herrn Hong »schon so bisschen chinesisch« geprägt ist, bietet es Vertrautheit und Kontaktmöglichkeiten: »[…] die sagen bei [Unternehmensname] immer, ja, ist so ne große Familie und bis zu nem gewissen Grad stimmt das auch, weil es ja schon so bisschen chinesisch ist, dass…ja, die auch so ein bisschen, die klüngeln ja auch viel dann und grade weil dann auch viele von denen aus China rüberkommen, SIND ja auch teilweise die einzige Familie, die die vor Ort haben oder so. Und dementsprechend ist das schon so, dass zu nem gewissen Grad gibt es schon ein sehr familiäres Verhältnis dadurch, also dass man, wie die miteinander umgehen oder dass es halt relativ locker ist.« (Pfeiffer)
Dass Herr Pfeiffer im Zitat von »denen« und »die« spricht und sich dadurch selbst ausgrenzt, zeigt aber, wie stark eine »Chineseness« in einer Art unternehmerischem Mikrokosmos reproduziert und gepflegt wird. So hat auch Herr Hong bereits bemerkt, dass deutsche Mitarbeiter in der Firma vielmehr die chinesische Kultur »lernen« würden (vgl. Hong). 7.6.2 Kollegen oder Freunde? Beziehungsarbeit III Besonders den chinesischen Mitarbeitern, die bereits länger und nicht nur aus beruflichen Gründen in Deutschland leben, ist aber auch der private Austausch mit anderen Deutschen wichtig: »[…] am besten einen guten deutschen Freund kennenlernen, das ist wichtig. Wenn Sie einfache Fragen stellen, die Leute haben keine Lust mehr und schimpfen. Aber ein guter Freund, wenn etwas nicht geklappt hat, dann hilft er dir. Für Deutsche ist es auch interes-
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sant mit chinesische oder asiatische Kultur, dann ist es perfekt. Dann beide Seiten sind mit den anderem interessiert, dann ist das gut. Ja. Das hilft sehr.« (Hong)
Hierbei verwischen Kontakte, die aus deutscher Sicht als entweder kollegial oder privat-freundschaftlich bewertet würden, was in diesem Kapitel bereits zur Sprache kam. Das bringt Herrn Hong zwar Vorteile im Sinne des guanxi-Prinzips, allerdings wäre es etwas kurz gegriffen, die Bedeutung sozialer Kontakte für Chinesen nur auf diesen Nenner zu verkürzen. Für ihn ist ein gegenseitiges Interesse und damit implizit eine gegenseitige Wertschätzung von Bedeutung. Herr Luo ist sogar beispielsweise bereit, sich selbst anzupassen oder wie er formuliert »Kritik« von Deutschen anzunehmen: »Meistens lebte ich mit meinen chinesischen Kollegen oder chinesische Mitarbeiter, also ja zusammen. Vielleicht gibt es auch so eine Gemeinschaft, Deutsche denken dann, ich wollen nur mit den Chinesen zu sprechen oder da gibt es Geheimnis dabei, so. Aber, zuerst ich wollen gerne zu Deutschen gehen, aber ich wollen auch so, Deutsch mehr zu MIR gehen, also ich sag mal so, was passt mir nicht, auch so Kritik für mich.« (Luo)
Ihm ist es wichtig, seine Beziehungen auszuweiten und weitere Kollektive zu den bereits bestehenden hinzuzufügen. Rathje (2009a) sieht mit Verweis auf Hansen (2000: 196f.) in der »Mehrfachverortung des Einzelnen« (Rathje 2009a: 12) in mehreren Kollektiven die Voraussetzung für »netzwerkartige Stabilität größerer Gruppenzusammenhänge« (ebd.) und damit letztendlich für soziale Kohäsion, die Normalitätsarrangements ermöglicht. Herr Hong ist dabei offen, Neues zu lernen und sich selbst weiterzuentwickeln, was sich wiederum positiv auf seine berufliche und private Situation auswirkt. 7.6.3 Motivklärung und Einbindung des Partners Wenn allerdings nicht nur der Einzelne selbst vor der Herausforderung steht, neben dem Berufsalltag auch im Privatleben Normalität herzustellen bzw. wenn der jeweilige Partner beispielsweise nicht aus dem Gastland stammt (und dadurch Standardisierungen bereits bekannt sind), wie das bei Herrn Frei oder Herrn Weiß der Fall ist, werden zusätzliche Fragen aufgeworfen. Wie gelingt es zum Beispiel dem Partner, in einem fremden Land zurechtzukommen, oftmals auch ohne Arbeit oder soziale Kontakte? Wie wirkt sich das wiederum auf die Beziehung aus und was bedeutet das für die Motivation und Tagesform für den Expat am Arbeitsplatz? Diese Fragen musste auch Herr Schneider für sich und seine Partnerin beantworten. Er setzt sich daher für (von der Firma organisierte
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und bezahlte) »Look-and-see-trips« ein, bei denen der Expat, aber auch dessen Familie die Möglichkeit erhält, das noch fremde Land zumindest etwas besser kennenzulernen: »Wichtig wär mir, dass diese sogenannten Look-and-see-trips dabei rumkommen, also ich hab dann in Eigeninitiative meine damalige Lebensgefährtin mit eingepackt, weil für die spielte das natürlich auch ne Rolle, weil sie lebt zur Zeit, oder was heißt zur Zeit, sie LEBT eigentlich seit 2007 mit mir hier vor Ort. Also, man muss sich einfach bewusst sein, dass äh, so ne Auslandsentsendung oder jetzt meine Entsendung, wenn ich meinen Vertrag verlängere, äh…Potential mit sich bringt, was so ne, so ne Beziehung beispielsweise auf’s Spiel stellen kann, das ist ein Thema, darüber muss man sich bewusst sein. Sprich dieser private Teil muss ein wesentlicher Grund sein, man muss sich bewusst sein…Ich kenn bisher keinen, der mit dem Fokus hier rüber gekommen is, das große Geld zu verdienen im Rahmen so ner Entsendung mit Auslandspauschalen und Ähnlichem…und nach ein bis zwei Jahren immer noch hier ist oder GLÜCKLICH ist. Also darüber sollte man sich, meiner Meinung nach, von vornherein bewusst sein.« (Schneider)
Für Herrn Schneider ist der »private Teil« sogar ein »wesentlicher Grund« bei der Entscheidung für oder gegen eine Auslandsentsendung. Denn eine solche birgt durchaus Gefahren für bestehende Beziehungen, was Konsequenzen auch für die allgemeine Zufriedenheit des Expats im Ausland hat. So hat Herr Schneider regelmäßige Reisen als »zentrale Verabredung« mit seiner Frau festgelegt. Der Einfluss des Privatlebens auf den Arbeitsalltag wird auch am Beispiel von Herrn Hong sichtbar. Im Kapitel zu den Spannungsfeldern sprach er bereits an, dass die Anforderungen in dem chinesischen Unternehmen in Deutschland, in dem er derzeit tätig ist, nicht mit seiner Rolle als Ehemann und baldigem Vater vereinbar sind. In letzter Konsequenz bedeutet das für ihn, sein Arbeitsverhältnis zu beenden und eine Stelle zu finden, bei der berufliches und privates Kollektiv besser miteinander harmonieren. Es geht also nicht nur darum, möglichst viele Kollektivzugehörigkeiten zu sammeln, sondern diese auch dem aktuellen Bezugsrahmen anzupassen. Das heißt mitunter eben auch, Zugehörigkeiten aufzulösen und andere einzugehen.
7.7 Z ENTRALE S TRATEGIEN UND E INFLUSSFAKTOREN BEIM U MGANG MIT S PANNUNGSFELDERN Über die verschiedenen Spannungsfelder hinweg lassen sich bei den Akteuren Handlungsoptionen und Erklärungslogiken rekonstruieren, die jeweils vom Zusammenwirken mehrerer Aspekte abhängen. Sie stehen daher auch nicht losge-
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löst nebeneinander, sondern greifen vielmehr ineinander. Dabei treten sie je nach Situation und Bezugsrahmen der Akteure schlaglichtartig entweder mehr in den Vorder- oder aber in den Hintergrund, mitunter laufen sie die ganze Zeit parallel mit, sind extern vorgegeben oder im Individuum verankert. 7.7.1 Externe Faktoren: Alltag im Unternehmen und Zuhause Einen zentralen und unmittelbaren Einfluss auf berufsalltägliche Interaktionen haben die Unternehmensstrukturen, die als institutionelle Ordnung die Arbeitsatmosphäre prägen. Das Zusammenspiel von Strukturen und Atmosphäre wird von den Interviewpartnern meist unter dem Begriff der Unternehmenskultur gefasst, wobei hier zwischen vom Management intendierter und gelebter Unternehmenskultur unterschieden wird: »Ja, jede Firma hat da bestimmte Werte und Regeln, nach denen sie VERSUCHEN auch zu arbeiten, aber in den meisten Fällen, die ich kenne, hat die offizielle corporate culture mit dem was nachher tatsächlich gelebt wird nicht unbedingt was zu tun, weil die corporate culture das ist die offizielle, irgendwas von oben, ist was von oben Vorgegebenes und letztendlich sind es ja doch die Leute, die da arbeiten, die nachher, die Kultur, die corporate culture ausmachen und bilden.« (Weiß)
Die Trennung zwischen der vorgegebenen »corporate culture« und einem generisch gewachsenen Miteinander im Unternehmen wirkt sich auch auf die Art der Handlungsoptionen aus. In den vorliegenden Fällen gleicht Flexibilität und intensive Beziehungsarbeit eine undurchsichtige Strukturierung in einigen chinesischen Unternehmen in Deutschland aus. Probleme ergeben sich jedoch in allen Unternehmen in der Kommunikation mit der Firmenleitung im Ausland, die die bestehenden lokalen Verhältnisse nur schwer nachvollziehen kann. Sowohl in den angesprochenen chinesischen als auch in den deutschen Unternehmen übernehmen kulturelle Mittler die Aufgabe angesichts dieser Problemlagen ein funktionierendes Arbeitsumfeld zu schaffen. Mittler mit Führungsfunktion stehen dann entweder vor der Herausforderung, vergleichsweise strenge Vorgaben des Stammhauses in der Dependance umzusetzen und nachvollziehbar zu machen oder aber sie handeln Freiheiten aus, um deutlich selbstbestimmter, aber auch weniger abgesichert Normalitätsarrangements zu etablieren und aufrechtzuerhalten. Dabei bewegen sich die Manager auf einem Kontinuum zwischen Strukturierung und Flexibilität, um den kontextuellen Anforderungen im Unternehmensalltag gerecht zu werden. Je weniger Strukturen allerdings bestehen, umso bedeutsamer wird die Unternehmerpersönlichkeit. Denn obwohl alle Manager
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und Geschäftsführer ähnliche Werte wie Respekt oder Wertschätzung vertreten, prägen die Manager in Unternehmen mit geringen Vorgaben die Normalitätsarrangements deutlich stärker durch ihren individuellen Bezugsrahmen und weniger als Repräsentanten einer Unternehmensmarke (wie beispielsweise Herr Seidel oder Herr Wang). Sie repräsentieren vielmehr den Mix eines paternalistischfreundschaftlichen Führungsstils (wie z.B. Herr Schneider und Herr Frei). Dabei sind Sprachkenntnisse nahezu unerlässlich, weil die erforderliche Beziehungsarbeit sonst nicht in der erforderlichen Intensität möglich wäre. Die Qualität des beruflichen, aber auch des privaten Umfelds gewinnt also besonders dann bei der Konstruktion von Normalität an Bedeutung, wenn der Berufsalltag von besonderen Unsicherheiten geprägt ist. Wenn Berufliches und Privates beispielsweise nicht miteinander vereinbar sind, führt das in der Regel zum Abbruch der Arbeitsbeziehungen, was am Beispiel von Herrn Hong deutlich und von Moosmüller (2007) bestätigt wurde: Der Großteil von Engagements im Ausland scheitert aufgrund familiärer Probleme (vgl. ebd.: 480). Ein stabiles Privatleben, wie es bei beispielsweise bei Herrn Frei gut zu beobachten war, trägt hingegen nicht nur zum persönlichen Wohlbefinden sondern auch zu erhöhter Leistungsfähigkeit im Beruf bei (vgl. dazu Thomas 2012: 21). 7.7.2 Akzeptanz, Imagepflege und Einflussbereich Neben den externen Einflussfaktoren spielen daher auch der persönliche Bezugsrahmen und die damit verbundene Haltung eine große Rolle. Herr Schneider greift wichtige Grundzüge davon auf: »Mmmh, generell ne Offenheit den Leuten gegenüber und letztendlich auch eine gewisse Strapazierfähigkeit den eigenen Nerven gegenüber.« (Schneider) Unter dem in den Interviews häufig gefallenen Schlagwort »Offenheit« sammelt sich zum einen die persönliche Disposition, Fremdes nicht zwangsläufig als negativ zu bewerten und tatsächlich »offen« für Neues zu sein. Daraus kann sich wiederum Akzeptanz von wahrgenommenen Differenzen als ein weiteres zentrales Konzept beim Umgang mit Spannungsfeldern herausbilden. Herr Weiß bringt deren wesentliche Merkmale nochmals auf den Punkt: »[…] einfach offen für die andere Seite sein, einfach auch die Verschiedenheiten akzeptieren. […] Dass man einfach auch sagt, es gibt kein richtig und falsch. Gibt halt anders.« (Weiß) Zum anderen fällt Offenheit auch mit der Fähigkeit zusammen, auf andere zuzugehen und aktiv Beziehungsarbeit zu leisten. Deren Gestaltung hängt dann davon ab, welche »Techniken der Imagepflege« die Akteure beherrschen. Diese Techniken reichen vom gezielten Einsatz von Sprache und diplomatischen Fähigkeiten über eine gelassene oder aber respektvolle Haltung gegenüber Interaktionspartnern bis hin zu deren manipulativer
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Ausnutzung. Solche manipulativen Züge sind vor allem dann zu beobachten, wenn es den Akteuren für die Erreichung ihrer Ziele an Einfluss fehlt und Handlungsspielräume eingeschränkt sind, sei es durch die hierarchisch vergleichsweise niedrige Position und bzw. oder vorgegebene Unternehmensstrukturen. Denn auch die Befähigung zu zufriedenstellender Normalisierungsarbeit in Form von hierarchisch legitimierter Handlungsfreiheit ist ein nicht zu vernachlässigender Aspekt beim Umgang mit Spannungsfeldern (was nicht heißt, dass Personen in höheren Position nicht auch manipulativ agieren würden, ihnen stehen allerdings noch Alternativen zur Verfügung). 7.7.3 Erfahrung, Tagesform und Authentizität Als ausschlaggebend für den angemessenen Umgang mit Spannungsfeldern nennen alle Akteure die Bedeutung von »Erfahrung«. Diese Ansammlung erlebter Interaktionen und Gefühlslagen trägt dazu bei, Normalität zu schaffen und beizubehalten. Herr Frei beschreibt diesen Prozess mit dem Begriff des »Einpendelns«. Dazu gehört auch, »Fehler« und wahrgenommene Irritationen aller beteiligten Interaktionspartner zuzulassen: »[…] also in beide Richtungen gab’s da…Fehler. Aber das hat sich dann nachher eingependelt.« (Frei) Ein Hinweis darauf, dass sich Normalität tatsächlich etabliert hat und auch aufrecht erhalten werden kann, verdeutlicht Herr Frei, wenn er sagt: »Puh [lacht]. Für mich ist das schon alles so normal hier[…]. Ansonsten…ich weiß nicht, das ist schon so lang her, ich, ich…hab das vergessen jetzt eigentlich, was mir am Anfang so schwer fiel.« (Frei) Nun kann diese Aussage auch als ein Versuch der Verdrängung gelesen werden, allerdings erscheint der Ausschnitt im Kontext des gesamten Interviews eher so, als ob anfängliche Probleme nicht mehr bedeutsam erscheinen und durch eine generelle Zufriedenheit ersetzt werden konnten. Nichtsdestotrotz ist das nicht zwangsläufig ein gefestigter Zustand. Erfahrung fällt so bei Herrn Weiß zwar beispielsweise auch mit Akzeptanz zusammen, wie er bereits weiter oben erwähnte. Allerdings wird diese Haltung selbst nach mehr als zwanzig Jahren in China immer wieder auf die Probe gestellt. So begeht Herr Weiß nach wie vor Fehler oder hat keinen Zugang zu bestimmten Kollektiven (Stichwort: Verhandlungen mit Chinesen). Herr Weiß erzählt im Folgenden außerdem von unterschiedlichen Phasen, bei denen auch immer wieder solche dabei sind, in denen eine akzeptierende, offene Haltung vollkommen ins Gegenteil umschlägt. Diese emotionalen Bewegungen empfindet er jedoch wiederum als »normal«: »Auch heute noch, ich bin so lang hier, ich mach immer noch…bestimmte Fehler oder dass ich dann meinen Gesprächspartner falsch einschätze oder dies und jenes, das passiert
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halt, das kannste auch nicht ändern. Ich mein, die meisten die herkommen, das sind ja immer so die typischen Phasen, die halt jeder durchlebt. Am Anfang ist jeder enthusiastisch, findet alles ganz toll und alle Chinesen ganz nett und interessant und irgendwann kommste dann halt in die Phase, wo du halt jeden Chinesen hasst, kein Wort mehr hören kannst, kannste denen um die Ohren hauen und irgendwann, ja, kommste in so ne Phase, wo du’s halt einfach akzeptierst. Aber auch heute noch, nach so langer Zeit hab ich meine Phasen, wo ich sage, ich kann keinen Chinesen mehr sehen, hab ich heut auch noch, aber ich glaub, das ist auch normal.« (Weiß)
Herrn Weiß ist es vielmehr wichtig, authentisch zu bleiben und sich auf die eigene Intuition zu verlassen – auch das bedeutet für ihn Akzeptanz. Obwohl auch die anderen deutschen Manager Authentizität und die Idee »man selbst zu bleiben« ex- oder implizit transportieren, ist Herr Weiß ein Sonderfall in dem Sinne, als dass er von allen am wenigstens auf seine Rolle als »Repräsentant« im Sinne Goffmans achtet und seinen Orientierungsrahmen nicht danach ausrichtet (was auch im Tenor des nachfolgenden Zitats spürbar wird). Er verletzt in vollem Bewusstsein sein Image, allerdings nicht, ohne das im Anschluss wiederum zu reflektieren: »[…] ich hab auch meine Launen. Ich bin manchmal auch zu Leuten einfach UNFREUNDLICH. Und da bin ich vielleicht auch interkulturell völlig inkorrekt, wenn ich hier jemanden zusammenscheiß‘, das würd ich aber zu Hause auch in dem Augenblick machen, weil ich einfach schlechte Laune hab und die Person vielleicht einfach Pech hat, dass sie jetzt zu dem Zeitpunkt ausgerechnet…da mir gegenübertritt und auch nochmal Scheiße baut. Gott, das ist halt so. Und ich glaub, je länger man da ist, desto…vielleicht dass man sich damit einfach gar nicht mehr beschäftigt. Deswegen find ich’s immer gut mit Leuten wieder mal zu reden einfach so und selber sich mal wieder zu oder selbst sich mal wieder hinterfragt, was man da eigentlich tut.« (Weiß)
Während Herr Weiß im ersten Teil fast etwas trotzig argumentiert und die eigenen »Launen« gewissermaßen verteidigt, kommt er im zweiten Teil zu der Erkenntnis, dass er dieses Verhalten selbst gar nicht mehr hinterfragt. Das begründet er wiederum mit der Länge der Aufenthaltsdauer. Demzufolge erstarren bestimmte Verhaltensmuster zu einer Art sklerotischer Normalität, weil sie nicht mehr irritiert und aktiv herausgefordert werden. Dem begegnet er durch den Austausch mit anderen »Leuten«, um die gemachten Erfahrungen in Folgeinteraktionen bewusst weiterentwickeln zu können.
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7.7.4 Anpassung und Imitation Wenn Erfahrung fehlt, was meist mit einem unzureichenden Zugang zu Informationen und einem geringeren Einflussbereich einhergeht, tendieren die Akteure dazu, sich verstärkt an bestehende Strukturen anzupassen. Dabei ist Anpassung als Handlungslogik per se keinesfalls negativ zu bewerten. Angesichts neuer und noch ungewohnter Bedingungen und Erfahrungen im Arbeits- und Berufsleben ist Anpassung nicht umsonst auch ein Kriterium zur Messung des Erfolgs eines Einsatzes im Ausland (vgl. Deller/Albrecht 2007: 743). Gerade wenn sich Anpassung in der Fähigkeit zur Neujustierung und einer reflexiven Imitation äußert, das heißt einer überlegten oder sogar diskursiv abgestimmten Nachahmung bestimmter Verhaltens- und Kommunikationsweisen, steht sie nach Deller/Albrecht (2007) zudem in direktem Zusammenhang mit persönlichem Wohlbefinden (beispielsweise wenn Herr Frei bei Verstimmungen seine chinesischen Kunden mehrmals zum Essen einlädt oder Herr Schneider das »Witzeln« mit seinen Mitarbeitern an deren Humorverständnis angleicht). Herr Seidel unterstreicht damit gar seine Befähigung zum Expat-Manager: »[…] im Allgemeinen sagt man mir nach, dass ich eine sehr hohe kulturelle Anpassungsfähigkeit BESÄßE. Ich hab auch schon in anderen Ländern gearbeitet, auch in Asien, also das sagt man mir allgemein nach.« (Seidel) Problematisch wird Anpassung dann, wenn damit verbundene Verhaltensweisen aufgezwungen werden und in Form von Assimilation als einzige Strategie im Umgang mit Differenz genutzt wird bzw. nur genutzt werden kann (als Beispiele: Der Chef von Herrn Luo gibt ihm starre Handlungsanleitungen vor, die Herr Luo trotz gegenteiligen Wissens umsetzen muss; Herr Arendtmeyer versucht, Erlebtes mit ungenauen historischen Fakten für sich erklärbar zu machen und somit seinem Bezugsrahmen anzupassen). Dann besteht die Gefahr, dass das Gefühl erwächst, als Person im Unternehmen nicht wichtig zu sein. Dieses Gefühl kann schlimmstenfalls in eine völlige Verweigerung oder Abwehr kippen, die versteckt oder in letzter Konsequenz offen zum Ausbruch kommt. Mit dieser instabilen Lage scheint sich auch Herr Arendtmeyer auseinandersetzen zu müssen. So versucht er, dem Gefühl von Fremdheit und der daraus wachsenden Frustration damit zu begegnen, zunächst Akzeptanz gegenüber den Dingen, die er scheinbar nicht versteht, zu zeigen. Im Vergleich zu den Managern, die Akzeptanz bereits als wichtiges Konzept für sich anwenden, scheint er aber noch in einer Phase des Suchens zu sein. Fast mantra-artig kämpft er im Folgenden gegen die »Verzweiflung« an, die in der Interaktion mit chinesischen Kollegen und Vorgesetzten immer wieder auftaucht: »Nehme Dinge so hin, die du nicht ändern kannst‹, ja. [wieder lauter] Ist aber schwierig. Man muss lernen,
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damit umzugehen [lacht]. Genau.« (Arendtmeyer) Allerdings ist eine solche Form der Anpassung eher als Weg des geringsten Widerstands oder gefühlt einzige Handlungsalternative konnotiert, den bevorzugt Mitarbeiter in hierarchisch niedrigeren Positionen wählen. Solche Akteure sind dann häufig auch mehr oder minder unfreiwillige Mittler, die ihr Potential nicht vollständig ausschöpfen können und sich resigniert in eine »desinteressierte Perspektivenübernahme« (Zorzi 1999: 280) zurückziehen. In Bezug auf Anpassung berichtet so Frau Song: »We, in Chinese we have a saying, it’s ruxiangsuisu (
), do you know this? That
means in English do as Romans do. So if you come from somewhere you learn the culture, you understand the culture and you try to adjust, not totally adjust, but when I say ruxiangsuisu it will be EASIER.« (Song)
Allerdings sind auch hier durchaus Graustufen auszumachen. Obwohl Frau Song Anpassungsfähigkeit sogar kulturhistorisch mit einem chengyu, also einem chinesischen Sprichwort, erklärt, schränkt sie diese doch sogleich auch wieder ein (»not totally adjust«). In einem anderen Zitat wird sie noch deutlicher und erklärt: »[…] it’s not really necessary to ACT EXACTLY the same as Western people« (Song). Anpassung ist also eine situativ gekoppelte Strategie, die zudem graduell zwischen vollkommener Authentizität und Image-relevanten sowie strategisch-machtpolitischen Überlegungen pendelt. Je näher sie sich an letzterem bewegt, umso »EASIER« sind nach Frau Song jedoch die Interaktionen im Unternehmensalltag. Durch Anpassung eckt man in der Regel nicht an und kann zwar einerseits wenig verändern oder muss zurückstecken, hat aber andererseits die Gewissheit eines Arbeitsalltags ohne allzu große Hindernisse. Das gelingt jedoch auch mit einer emanzipierteren Form von Anpassung, beispielsweise bei besonderen Ritualen wie dem gemeinsamen Essen und Trinken zur Konfliktbewältigung, der »Sinisierung« des Unternehmens von Herrn Seidel oder aber bei Regelwerken, die im jeweiligen Land oder der Firma vorgegeben sind. Anpassung kann also durchaus auch pragmatische Züge haben und lebt nicht zwangsläufig von Akzeptanz. 7.7.5 Toleranz, Ablehnung und Rückzug Wenn Akzeptanz nicht ausreicht, um Handlungsoptionen zu erklären, tritt in der Regel Toleranz an deren Stelle. Allerdings hat Toleranz nach Forst (2013) nichts mit »urteilsloser Beliebigkeit oder Gleichgültigkeit« (Forst 2013: 34) zu tun – denn etwas, das toleriert wird, wird nicht als indifferent betrachtet, sondern wird
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zunächst einmal abgelehnt. Das bestätigt auch Herr Weiß, wenn er meint: »Toleranz, tolerieren hört sich immer so, ja ich verstehe schon, aber tolerieren heißt immer so, ja, eigentlich bin ich ja doch besser.« (Weiß) Damit eine solche Negativwertung und Ablehnung aber nicht einfach Ablehnung bleibt, muss begründet werden, warum es denn nun wichtig wäre, diese in Toleranz zu überführen (vgl. Forst 2013). Woran sich diese Gründe orientieren und ob sie gegebenenfalls zurückgewiesen werden und wieder in Ablehnung und damit in eine verfestigte Verweigerungshaltung als Handlungslogik umschlagen oder nicht, ist allerdings ganz unterschiedlich. Allgemein kann das von religiösen, politischen und ganz persönlichen Werten und Überzeugungen abhängen (z.B. dem Gerechtigkeitssinn von Frau Handke oder dem Harmoniebedürfnis chinesischer Kollegen) und unterschiedlichste Lebensbereiche umfassen, aber auch etwas harmloser von der Tagesform (z.B. der gelegentlich schlechten Laune von Herrn Weiß) oder ökonomischen und rechtlichen Überlegungen sowie strategischen Vorgaben (beispielsweise von Prinzipien wie Vorkasse, Arbeitsschutz etc.). In Bezug auf Arbeitsumgebungen ist Toleranz jedoch wichtig, da sie hilft, Auseinandersetzungen zu vermeiden und dadurch wiederum dazu beiträgt, Routinen zu etablieren, aufrechtzuerhalten und ökonomische Ziele zu erreichen. Wenn es nicht gelingt oder auch nicht gewollt ist, Toleranz oder im Folgeschritt Akzeptanz zu etablieren, dann bleibt als konsequente Handlungslogik oft nur noch der Rückzug, der vollständig ausgeführt zum Abbruch des Arbeitsverhältnisses führt. Allerdings kann Rückzug im Sinne eines Innehaltens und SichZurücknehmens auch eine Möglichkeit zur Beobachtung und zur Reflexion dieses Beobachteten bieten, durch die dann andere Handlungslogiken in Betracht gezogen oder erst als sinnvoll konstruiert werden (z.B. durch den Austausch außerhalb des Arbeitskontextes, der zudem das »homing desire« befriedigt oder die Zeit, die sich Herr Li nimmt, um im Alltag für die Herausforderungen im Arbeitsleben zu lernen). 7.7.6 Anerkennung von Unterschieden Beim Großteil der interviewten Akteure und dabei besonders den kulturellen Mittlern in höheren Positionen fielen immer wieder die Begriffe »verstehen« bzw. »understanding«, aber auch »Verständnis«, wenn es um die Gestaltung von Interaktionen ging. Das kann heißen, beobachtbare Differenzen zu kennen und nicht zu verurteilen, was ja bereits im Konzept der Akzeptanz deutlich wurde. So achtet Herr Schneider auf seine Kommunikation mit Lieferanten, die nicht die gewünschte Qualität oder außerhalb der vereinbarten Fristen liefern. Herr Wang beispielsweise muss nicht nur die Forderungen des Stammhauses in Deutschland
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nachvollziehen können, sondern auch seinen Mitarbeitern so vermitteln, dass diese das wiederum ebenfalls können. Dabei vermischen sich mitunter die Bedeutungen von »Verstehen« und »Verständnis«. Wie in Kapitel 4 schon erwähnt, heißt Verstehen zunächst, einem Ereignis Sinn zu verleihen (vgl. Hitzler 1993: 223f. zit. in Kruse 2010: 19). Dabei wird es von den Akteuren pragmatisch als Verständnis im Sinne von Anerkennen oder Akzeptanz verwendet (beispielsweise bei Herrn Seidel, der seine Wahrnehmung, Chinesen seien »pekuniär« getrieben, an die Gehaltsstrukturen koppelt). Anders als bei Verstehensprozessen in den Sozialwissenschaften geht es hier weniger darum, Irritationen hervorzuheben und für die Interpretation sichtbar zu machen, sondern darum, angesichts dieser Irritationen Normalität herzustellen. Allerdings wenden die Mittler durchaus Methoden an, die auch wissenschaftlich verwertet werden. So versuchen sie, den eigenen Bezugsrahmen zu befremden und sich in andere hineinzuversetzen, also tatsächlich zu ver-stehen. Dabei besteht allerdings sowohl für den Wissenschaftler als auch den interviewten Praktiker die Gefahr »zu meinen, man spreche vom Fremden, dabei spricht man zwingenderweise vom Eigenen« (Zorzi 1999: 541). Denn das Fremde ist nur in eigenen Kategorien, Beschreibungen etc. begreifbar und somit nie ganz zu verstehen. Das macht Herr Weiß mit seiner langjährigen China-Erfahrung eindrucksvoll deutlich. So antwortet er auf die Frage, was er als »typisch chinesisch« erlebt, folgendermaßen: »Typisch Chinesisch? Das weiß ich eigentlich nicht [lacht]. Ich mach das Ganze jetzt schon fast 20 Jahre oder beschäftige mich seit 20 Jahren mit China oder wie man’s auch immer nennen will. Und ich muss ehrlich zugeben, ich versteh’ das meiste bis heute noch nicht, das ist jetzt nich so, dass, weil immer viele sagen: ›Ja du hast jetzt so viel Erfahrungen‹ und wenn man dann so andere immer hört oder wenn man Bewerbungen liest, naja, fließend Chinesisch und äh, vertraut mit allen Facetten in China. Meiner Meinung nach ist das Quatsch. Ausländer werden niemals 100% verstehen, was hier wirklich passiert.« (Weiß)
Das Anerkennen von Differenzen anstelle einer »desinteressierten Perspektivenübernahme« (Zorzi 1999: 280) scheint im Praxiskontext für die Konstruktion von Normalität daher vielversprechender zu sein. Anerkennung definiert Honneth (2010) dabei als »die wechselseitige Beschränkung der eigenen, egozentrischen Begierde zugunsten des jeweils Anderen« (ebd.: 32), positiv formuliert aber auch als »wechselseitiges Verhältnis der Zustimmung oder der Affirmation des jeweils Anderen« (Honneth 2008: 1). Wichtig ist dabei, dass »gegenseitige Anerkennung«, auf die auch Goffmans »Arbeitskonsensus« beruht, eben nicht mit »tief empfundener Übereinstimmung« (Goffman 1996: 16, zit. in Zorzi
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1999: 49) zusammenfallen muss. Anerkennung als reziproke Beziehung ist im Arbeitsalltag sogar so stark von Bedeutung, dass rein ökonomisch-utilitaristisch geleitete Handlungsmotive für die Akteure zumindest nicht die ausschließliche Triebfeder ihrer Handlungslogiken sind. Das zeigt sich beispielhaft bei Herrn Schneider, der sein Engagement in China nicht allein aufgrund finanzieller und statusbezogener Anreize vorantreibt: »[…] wenn man hier herkommt, dass man das des Geldes wegen macht und karrieremäßig vorankommt, da wird man nach meinem Dafürhalten relativ schnell unglücklich oder scheitert.« (Schneider) Dass fehlende Anerkennung hingegen höchst problematisch ist, wurde wiederum bei Herrn Arendtmeyer oder Frau Song deutlich, die sich von den Vorgesetzten nicht wertgeschätzt fühlten und daraus ihre Konsequenzen zogen: Frau Song durch eine berufliche Neuorientierung und Herr Arendtmeyer durch seinen noch andauernden Kampf um eben jene Anerkennung, der sich oftmals auch darin verkehrt, die als die »Anderen« wahrgenommenen Akteure abzuwerten.
7.8 V ERSTÄNDNIS
STATT
V ERSTEHEN . Z WISCHENFAZIT
Beim Blick auf die hier dargestellten Fälle zeigt sich, dass sich zwar die Aspekte ähneln, die zu einem gelingenden Umgang mit Spannungsfeldern beitragen, sie aber auf keinem regelhaft-linearen und leicht reproduzierbaren System beruhen. Das liegt an den verschiedenen Orientierungs- und Bezugsrahmen der Akteure, die aus unterschiedlichen Erfahrungsvorräten schöpfen, ganz persönliche Eigenheiten mitbringen und in vergleichbaren Situationen unterschiedliche Ausschnitte betrachten, beispielsweise, weil sie sich in unterschiedlichen Positionen befinden oder in bestimmte Strukturen eingebunden sind. Hinzu kommt, dass diese Akteure in Interaktionen wiederum auf individuelle Bezugs- und Orientierungsrahmen treffen. In solchen komplexen Situationen kann es helfen, bestimmte Charakteristika, die in der interkulturellen Managementforschung identifiziert wurden, zu kennen. So lassen sich einige zu beobachtende Verhaltens- oder Kommunikationsweisen möglicherweise herleiten, beispielsweise, dass Chinesen Beziehungen sehr wichtig sind und Deutsche tendenziell sehr direkt kommunizieren (vgl. Kapitel 5). Solche regelhaften Charakteristika oder Dimensionen bzw. Kulturstandards sollen in der Tat auch Gruppen und nicht Individuen beschreiben und daher lediglich als Orientierungshilfe dienen. Zudem wurde in diesem Kapitel deutlich, dass die Bekanntheit von Differenzen dabei hilft, in Interaktionen handlungsfähig zu bleiben. Allerdings heißt das nicht zwangsläufig, dass ein Akteur sein deutsches oder chinesisches Gegenüber dann innerhalb eines konkreten
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Kontexts, angesichts einer variierenden Tagesform und eines Bündels an Eigeninteressen im Hinterkopf tatsächlich verstehen muss. Es heißt ebenso wenig, dass aufgrund dieses Wissens eine Interaktionssituation vorab gestaltet werden könnte bzw. immer gleiche Verhaltensschemata zu einer immer gleichen, intendierten Reaktion führten. Vielmehr geht es darum, in einer konkreten Situation kompetent zu agieren. Wie bei der Beschäftigung mit den Spannungsfeldern und zu Beginn dieses Kapitels bereits skizziert, knüpft Goffman (1971) eine solche Kompetenz daran, dass ein Akteur relevante »Techniken der Imagepflege« (ebd.: 19) beherrscht. Er sei dann eben »kein von Kultur bzw. Verkehrsregeln determinierter Automat, sondern er w[isse] mit diesen Regeln umzugehen, mit ihnen zu spielen, sie zu umgehen« (Zorzi 1999: 49 mit Bezug zu Goffman 1971, Hvh. im Original). Dabei erfordern unterschiedliche Situationen und Kontexte unterschiedliche Lösungsansätze (vgl. Zorzi 1999: 48), gleichzeitig müssen diese spielerischen und ausweichenden Manöver allerdings auch im Einklang mit dem jeweiligen Image sein, so Goffman (vgl. ebd. 1996: 16f. in Zorzi 1999: 49). Das kontextbezogene Image kann im Berufsalltag auf die Hierarchieebene, die Herkunft, aber auch auf eine besondere Persönlichkeit an sich verweisen. Besonders »Repräsentanten«, die mit ihrem Image mehrere Menschen beeinflussen, treten bei der Anwendung dieser Techniken in den Vordergrund. Dabei wirken sie in besonderer Weise auf ihre Organisationen ein, die selbst soziale Gebilde bzw. Kollektive sind und sich mit Hilfe reziproker Kommunikations- und Interaktionsprozesse immer wieder reproduzieren, aber auch weiterentwickeln. Dadurch entsteht eine ganz eigene Form der Normalität, die sich in Verhaltens- und Kommunikationsregeln, einer Firmengeschichtlichkeit und selbstverständlichen Handlungsroutinen ausdrückt. Um dabei die rahmende institutionelle Ordnung aufrechtzuerhalten, sind solche Repräsentanten sowie die Verteilung anderer Rollen notwendig. In den Interviews wurde das vor allem dadurch deutlich, dass mir die Gesprächspartner in stark strukturierten Unternehmen bei der Frage nach den Beziehungen im Unternehmen zunächst einmal das Organigramm der Firma skizzierten (ich bat die Interviewpartner darum, ihre wichtigsten Beziehungen im Unternehmen zu visualisieren). Dadurch werden natürlich Machtverhältnisse, aber auch deren Legitimation sichtbar (Knoblauch 1997 in Zorzi 1999: 124). Das Verhältnis zwischen Unternehmen bzw. Organisation und den Repräsentanten (hier Manager und Geschäftsführer) ist allerdings unterschiedlich: Während einige Akteure hauptsächlich die bestehende Struktur stützen und Veränderungen entlang dieser Vorgaben etablieren, haben andere diese Strukturen überhaupt erst geschaffen und prägen sie dadurch persönlich mit. Wieder andere bewegen sich auf dem Kontinuum zwischen diesen beiden Möglichkeiten. Allen gelingt es in der Regel jedoch, kompetent mit Spannungsfeldern umzugehen, das heißt, ihr
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Orientierungsrahmen und ihre gewählten Handlungsoptionen erscheinen kohärent. Dazu kann auch gehören, dass eigentlich wirksame Mechanismen wie Respekt, Geduld, Gelassenheit etc. situativ außer Kraft gesetzt werden; das Beispiel von Herrn Weiß hat das verdeutlicht. Deutlich schwerer als diese hierarchisch höhergestellten Akteure und Repräsentanten haben es Akteure, die weniger Möglichkeiten haben, passende Handlungsoptionen umzusetzen und auf Alternativen ausweichen müssen oder aber, wie bspw. Herr Arendtmeyer, noch auf der Suche nach solchen sind. Die Konsequenz ist dann, dass Normalität entweder gar nicht oder wenn, dann nicht zufriedenstellend konstruiert werden kann. Dadurch sind die Akteure anhaltend frustriert, ziehen sich zurück oder brechen sogar die Arbeitsbeziehung ab. Ausnahmen bilden hier jedoch Akteure wie Frau Handke, die durch ihr soziales Kapital und besondere Fähigkeiten Machtunterschiede leicht ausgleichen können. Das nächste Kapitel widmet sich in Anlehnung an diese Erkenntnisse genauer der Idee eines »kompetenten Akteurs«, die hier zunächst nur angerissen wurde. Es ist deutlich geworden, dass es hierbei nicht nur eine einzige Möglichkeit geben kann, kompetent zu agieren. Wie erfolgreich diese verschiedenen Möglichkeiten sind, hängt allerdings von den Umständen ab, in die sie eingebettet sind. Unter welchen Bedingungen funktionieren also welche Handlungsstrategien? Wie können diese in der Wahrnehmung der Akteure besser gestaltet werden? Welche Aspekte sind übergreifend hilfreich? Angesichts dieser Fragen rückt auch das Thema interkultureller Vorbereitungsmaßnahmen wie Ratgeberbücher, Trainings und Seminare unweigerlich ins Blickfeld. Es wird aus Sicht der Akteure daher zunächst auch näher beleuchtet und durch weitere Überlegungen aus der Managementforschung ergänzt.
8. Interkulturelle Kompetenzentwicklung im Unternehmenskontext
8.1 W AS
IST EIN KOMPETENTER
A KTEUR ?
Kompetenz und Erfolg sind selbst mit der Einschränkung des vorliegenden Themas Begriffe, die erst befüllt werden müssen, um nicht der Beliebigkeit anheim zu fallen. Eine Definition, die konkret für Arbeitskontexte hilfreich ist, schlagen Deller/Albrecht (2007) vor. Kompetenz hängt dabei zunächst davon ab, was als Erfolg festgelegt und wahrgenommen wird. Als Merkmale für Erfolg nennen die Autoren Arbeitsleistung und Wohlbefinden. Letzteres beziehen sie auf den Begriff der Anpassung bzw. des »adjustment«, meinen hier aber tatsächlich Zufriedenheit als »einen angenehmen oder positiven emotionalen Zustand« in Bezug auf die Lebensbedingungen, Arbeitsprozesse und die Interaktionen mit den Einheimischen (vgl. ebd.: 743). Diese Konnotation von Anpassung im Sinne einer Neujustierung entspricht allerdings nicht einer vollständigen Akkulturation, die mitunter auch als Erfolgsfaktor angegeben wird (vgl. ebd.: 742). Denn dass eine bloße Übernahme von als anders wahrgenommenen Verhaltensweisen nur bedingt hilfreich ist, wurde bereits im letzten Kapitel deutlich. Bei Goffman (1996) ist ein Akteur in Interaktionen vielmehr dann kompetent, wenn er sein Image und das anderer involvierter Akteure wahren kann. Kompetenz hängt dann damit zusammen, wie wirksam die Techniken der Imagepflege eingesetzt werden können (was wiederum dazu beiträgt, Kommunikation aufrecht zu erhalten). Arbeitsleistung und Wohlbefinden sind im Rahmen der Untersuchung jedoch nur aus den Interviews und Beobachtungen ableitbar, andere Möglichkeiten der Messung waren nicht vorhanden. Allerdings ist es möglich, sich an sogenannten Prädikatoren zu orientieren, also Merkmalen, durch die versucht wird, die jeweiligen Erfolgsaussichten präziser einzuschätzen. Für die Arbeitsleistung nennen
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Deller/Albrecht (2007) kognitive Fähigkeiten wie Intelligenz und zudem Persönlichkeit als »relativ stabile und zeitlich überdauernde Verhaltensanlage« (ebd.: 745). Während relevante kognitive Fähigkeiten bei den Interviewpartnern in ausreichendem Maß als vorhanden angenommen werden können (bzw. hier auch nicht einzuschätzen sind), ist die Ausdifferenzierung des Merkmals Persönlichkeit weitaus interessanter. Ones/Viswesvaran (1997) haben in diesem Bereich die »Big five« herausgearbeitet, also fünf Faktoren, die mit Auslandserfolg in Verbindung gebracht werden und auf die sich die Literatur immer wieder mit unterschiedlichem Fokus bezieht. Dazu gehören »[e]motionale Stabilität, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit« und »Gewissenhaftigkeit« (zit. in Deller/Albrecht 2007: 746). Auch Eigenschaften und »weiche« Faktoren, die die Interviewpartner an sich oder anderen beobachtet haben, stimmen mit dieser Sammlung überein. Ergänzend nennen die beiden Autoren »Fachwissen und Erfahrung« (ebd.: 746), die abgesehen von den genannten weichen Faktoren essenziell für einen erfolgreichen Arbeitseinsatz im Ausland seien. Einen Hinweis darauf kann die Dauer des beruflichen Aufenthalts zumindest bei den älteren Akteuren, die meist noch in Führungspositionen sind, geben. Wenn das jeweilige Unternehmen die Performance, das heißt das Handeln in Bezug zur Arbeitsleistung, als weniger gut einschätzen würde, wäre vermutlich auch das Arbeitsverhältnis abgekürzt worden. Sicherlich könnten zudem noch andere ökonomische Kennzahlen herangezogen werden, was jedoch nur bedingt möglich ist. Zudem sagen selbst aus betriebswirtschaftlicher Perspektive positiv gewertete Zahlen zunächst nichts über die Kopplung mit dem zweiten Erfolgsfaktor des psychologischen Wohlbefindens bzw. der Zufriedenheit aus. Dieser kann wiederum aus den Interviews rekonstruiert werden und schließt sowohl arbeitsweltliche als auch private Aspekte mit ein. Ein kompetenter Akteur wäre demzufolge dann jemand, dem es gelingt, sowohl Arbeitsleistung als auch persönliches Wohlbefinden für sich kohärent zu verbinden, das heißt, Normalitätsarrangements zu schaffen, die für ihn und in der Interaktion mit anderen kontextual angemessen sind. Hier greift dann auch wieder die genannte Goffmansche Definition: Kontextual angemessen wären nach ihm Interaktionen immer dann, wenn darin die Images aller Beteiligten gewahrt werden. Nicht zu vernachlässigen ist dabei, dass hier stets eigene und ökonomisch motivierte Interessenslagen querverlaufen.
I NTERKULTURELLE K OMPETENZENTWICKLUNG
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8.2 E INFLUSS
UND B EWERTUNG VON KOMMERZIELLEN INTERKULTURELLEN W EITERBILDUNGSMASSNAHMEN
An der Schnittstelle von persönlichen Motiven und ökonomischen Zielen kommt der Markt interkultureller Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen einschließlich verschiedener Testverfahren zur Eignung für Auslandseinsätze ins Spiel. Die vielfältigen Angebote sind inhaltlich und qualitativ weit ausdifferenziert und reichen von Ratgeberbüchern über Trainings und Seminare bis hin zu integrierten Coachingmaßnahmen »on the job«. Die angepriesenen Ziele umfassen beispielhaft »Effizienzsteigerung«, »Zeitersparnis« durch »[a]bgestimmte Prozesse und effiziente landesübergreifende Kommunikation« und »[d]eutliche Reduktion von Stress und Frustration der Mitarbeiter« (Global Cultures, abgerufen am 26.06.2013). Es geht also um die Stärkung der erläuterten Verbindung von Arbeitsleistung und Wohlbefinden der Mitarbeitenden, die letztendlich den Unternehmenserfolg garantieren soll. Anders als in den meisten großen multinationalen Unternehmen, in denen breit ausdifferenzierte HR-Abteilungen oder eigens geschaffene Bereiche für die Entsendung und Wiedereingliederung von Expats vorhanden sind, fehlt in den hier untersuchten Firmen in der Regel allerdings eine solch unterstützende Struktur (vgl. dazu auch Gertsen 2012: 209). Die Akteure müssen sich also umso mehr auf ihre Kompetenzen verlassen und haben nur vereinzelt und punktuell an verschiedenen interkulturellen Bildungsmaßnahmen teilgenommen. 8.2.1 »Ratgeber-Business-Handbookblablabla«. Negative Wahrnehmungen von interkulturellen Weiterbildungsmassnahmen Diese Maßnahmen werden dann jedoch eher negativ bewertet, was beispielsweise Gertsen (2012) auch bei dänischen Expats in SMEs nachgewiesen hat (vgl. ebd.: 209). Am deutlichsten drückt das Herr Seidel aus, dessen zentrale Kritik an Ratgebern und »Wochenendseminare[n]« die ist, dass beide Maßnahmen jeweils »nutzlos« seien: »Ich überspitz’ des immer: Bevor man das erste Mal nach China oder nach Asien kommt, dann liest man diese Bücher und geht auf solche nutzlosen Wochenendseminare für viel Geld, um sich erklären zu lassen wie das alles hier ist, VERMEINTLICH ist. Und da heißt’s ja dann, das ist das schlagende Beispiel: Sie dürfen nie Ihre Stimme erheben und ned laut werden und so. Und dann sind Sie das erste Mal hier und nach mindestens 48
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Stunden ham Sie mehrfach erlebt, wie zwei Taxifahrer sich anbrüllen oder wie auch andere Leute sich anbrüllen, also wüst anbrüllen und dann wundern Sie sich und denken sich: ›Was hab ich eigentlich in den ganzen Seminaren gelernt [lacht verhalten] oder was hab ich eigentlich in diesen Reiseführern gelesen?‹ Isses ned so?!« (Seidel)
Den Grund für die Nutzlosigkeit sieht Herr Seidel darin, dass die vermittelten Inhalte der Bücher und Seminare nicht mit dem übereinstimmen, was er selbst in China beobachtet und erlebt hat. Das sagt er zwar so nicht direkt, sondern er bleibt beim neutralen »man«. Allerdings betont er, dass eben nur wiedergegeben wird, »wie das alles hier ist, VERMEINTLICH ist« und impliziert dabei einen Wissensvorsprung, den er sogleich anhand eines Beispiels illustriert, das diese Diskrepanz sichtbar macht: Die Informationen über die indirekte Kommunikation und Harmoniebedürftigkeit in China stimmen nicht mit den mitunter rauen Umgangsformen im Alltag überein. Die Irritation ist dann entsprechend groß. Dabei wechselt Herr Seidel in die direkte Ansprache von mir als Gegenüber, aber damit auch indirekt von sich selbst (»Was hab ich eigentlich in den ganzen Seminaren gelernt […]?«). Zusammen mit der rhetorischen Frage am Ende holt er sich so eine Art Legitmiation und Bestätigung seiner Einschätzung ein. Allerdings ist seine Interpretation etwas schief, weil auch Herr Seidel selbst Kontexte außer Acht lässt. Denn unabhängig von den Inhalten der genannten Maßnahmen, die hier nicht eingeschätzt werden können, zieht er nicht in Betracht, dass der Alltag auf der Straße und im Privaten oder im Beruf jeweils anders aussehen kann (vgl. dazu Kapitel 5.2.2). Nichtsdestotrotz sind die Bedenken von Herrn Seidel nicht zu vernachlässigen, denn auch Herr Frei äußert sich ähnlich: »Also ich war mal bei so nem…so nem Vorbereitungskurs, das war mehr aus Spaß und dann lernt man da halt oder kriegt gesagt, geht’s beim Essen los, äh, ja das da immer so viel zu Essen kommt und dass man da ned einfach liegen lassen kann oder weiß der Teufel was. Ja, ich fand das damals auch, ich wusst’s ja jetzt vom Studium, aber…ich hab zum Beispiel ne Kollegin dabei gehabt, die fand das sehr interessant. Ich wusst jetzt halt vom Studium, ich denk, für jemand, der des ned weiß, sind solche kleinen Hints vielleicht wirklich ganz interessant. Aber ob’s wirklich was hilft, wenn du hierherkommst, das…bezweifel ich eigentlich. Weil dafür sind’s ja ned die Chinesen, die ham ja auch alle ihre eigenen Macken oder ihren eigenen Kopf und…unser Vertreter in Südchina zum Beispiel, der pflanzt dir dauernd was auf den Teller und dann musst wirklich essen, essen, essen, geh ich zu nem andern Kunden, dem ist des völlig wurscht, ob ich da was ess jetzt oder ned. Also ich weiß ned, ob man das alles über einen Kamm scheren kann…Also von daher, ich glaub, so arg viel helfen tut sowas nicht.« (Frei)
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Auch Herr Frei bezweifelt in Bezug auf einen »Vorbereitungskurs«, »ob’s wirklich was hilft, wenn du herkommst«. Dabei stößt ihm weniger auf, dass scheinbar Inhalte und Erlebnisse nicht übereinstimmen würden, sondern dass seinem Empfinden nach eine Verallgemeinerung kaum möglich sei und somit auch keine adäquaten Handlungsprognosen gemacht werden könnten. So sieht er »kleine Hints« wie die Etikette beim Essen für gänzlich China-Unerfahrene zwar als »ganz interessant« an. Für gelebte Interaktionen sind diese allerdings nach Herrn Frei nur bedingt hilfreich, da sie immer noch situativ, aber auch entsprechend des jeweiligen Bezugsrahmens des Gegenübers angepasst werden müssen. Auch hier wird zumindest das erlebte interkulturelle Vorbereitungsseminar als nicht hilfreich eingeschätzt und hatte scheinbar auch keinen nachhaltigen Effekt: »Wie gesagt, das ist schon so lang her, für mich ist das alles normal, ich weiß jetzt wirklich gar ned mehr, was die alles erzählt hat, mit dem Essen kann ich mich erinnern, da ist sie so lang drauf rumgeritten.« (Frei) Interessant ist hier vielmehr, dass Herr Frei inzwischen einen Zustand von Normalität erreicht hat, indem die Variation der Differenzen (nämlich die unterschiedliche Auslegung seiner chinesischen Kunden beim Thema Essensetikette) für ihn »normal« und damit fraglos ist. Konstruierte Differenzen wie im Seminar spielen bei ihm daher keine Rolle und sind sogar irrelevant geworden. So hat er das Seminar auch »mehr aus Spaß« besucht, ohne tatsächlich eine Form der Weiterentwicklung zu erwarten. Dorthinein spielt aber sicherlich auch seine vorangegangene Studienerfahrung in einem chinaspezifischen Fach. Ähnlich geht es Herrn Schneider, der sich bereits intensiv mit der chinesischen Sprache und dem Land beschäftigt hat und dem das interkulturelle Training keinen »richtigen Mehrwert« bringen konnte. Zwar wertet er es als positiv, dass dadurch überhaupt der Anreiz gegeben wird, sich mit dem Ausland zu beschäftigen, allerdings ersetzt das nicht die konkrete und unmittelbare Erfahrung vor Ort. Selbst virtuelle Übertragungsmöglichkeiten garantieren dann kein Verständnis für die Situation in China (ein Problem, mit dem er auch als Mittler zur Firmenleitung in Deutschland konfrontiert ist). Scheinbar schaffen es diese Trainings nicht, die Erfahrungen so zu simulieren, dass ein Nachvollziehen und damit ein angemessener Umgang mit konkreten Alltagssituationen im Beruf ermöglicht werden: »Dieses interkulturelle Training hab ich nach…drei Jahren intensivem Chinesischunterricht gemacht, daher ist es, weitaus, also wirklich der größte Teil ist vorher schon gelaufen. Ähm, nen richtigen Mehrwert hatte das dann gegen Ende nicht mehr. Ähm…was halte ich davon?… …Ich find’s immer gut, wenn man sich mit dem Ausland beschäftigt, grade dann, wenn man da hingeh’n möchte. Allerdings, ich merk’s im alltäglichen Leben: Ich kann von hier aus Bilder schicken, Makroaufnahmen, Detailaufnahmen von Produkten
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oder irgendwelchen Umständen. Ich kann’s parallel dazu telefonisch erklären und mein Gegenüber kann’s immer noch nicht…verstehen. WIE soll das dann jemand verstehen, der an einem Tag so nen Schnellkurs macht und dann meinetwegen auch ne Woche Training kriegt? So lang man nicht hier gewesen ist, funktioniert das nicht.« (Schneider)
Einen Grund für die bereits angedeutete Diskrepanz zwischen Inhalten der Trainings bzw. Ratgeber und der unmittelbaren Erfahrung nennt Herr Müller. Denn statt »Toleranz« und »Verständnis« zu vermitteln, beschränkten sich die Maßnahmen seiner Meinung nach auf »Äußerlichkeiten« im Sinne oberflächlich betrachteter und als fremd konstruierter Verhaltensweisen: »Toleranz, einfach Verständnis durch Bildung auch vielleicht oftmals in den Hintergrund gedrängt wird und es reduziert wird auf ›Wie proste ich zu‹ und was bedeutet ›ganbei‹ und ›Wie überreich’ ich eine Visitenkarte‹. Auf die Äußerlichkeiten wird’s reduziert und weniger auf darauf, wie man Brücken bauen kann, das ist so der Hauptpunkt.« (Müller)
Seine tatsächliche Abneigung gegenüber dieser Form von Weiterbildung tritt besonders hervor, wenn er davon als »typischen landestypischen RatgeberBusiness-Handbook blablabla« (Müller) spricht, der für Herrn Müller eben diese vereinfachten Differenzkonstruktionen versinnbildlicht. Bei den Bewertungen aller drei Manager wird recht eindrücklich der bereits erwähnte Gegensatz erkennbar, den Ooi (2007) zwischen »lived culture« und »packaged culture« (ebd.: 127) zieht. Ihm geht es zwar um die wissenschaftliche Auseinandersetzung und Aufbereitung des Themas Kultur, allerdings fließen ja gerade auch wissenschaftliche Erkenntnisse in die Gestaltung von Ratgebern und Trainings mit ein. Zudem prägen auch oder sogar besonders praxisnahe Maßnahmen Selbst- und Fremdbilder und können Stereotype bilden, verstärken oder auch dekonstruieren. In den Beispielen der drei Manager liegt die Kritik vor allem darin, dass für sie eine Vorstellung von »Kultur« kondensiert und in bestimmter Weise präsentiert, eben »verpackt« wird, die sie gar nicht oder nur bruchstückhaft in ihrer »gelebten« Erfahrung wiederfinden. Dabei sind natürlich auch die Manager selbst nicht davor gefeit, auf persönlicher Ebene und aufgrund individueller Erlebnisse ein bestimmtes Kultur-Paket zu schnüren. Dabei stört sie weniger, dass selbstverständlich unterschiedliche Normalitäten konstruiert werden und beobachtbare Verhaltensweisen unterschiedlich eingeordnet werden können. Das Problem liegt vielmehr gerade in der Uniformisierung von vorab festgelegten Differenzen, die in jenem »landestypischen Ratgeber-BusinessHandbook blablabla« kulminieren.
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Das führt dann nach der Beobachtung von Herrn Weiß zu einer Überanpassung, die er als »lächerlich« empfindet. Ihm geht es vielmehr um Authentizität, die er wiederum an der Persönlichkeit festmacht. Dabei steht er »Seminare[n] an sich« nicht ablehnend gegenüber, sondern eher den daraus gezogenen Verhaltenslehren der Teilnehmenden: »Nein, was heißt, was ich nicht gut finde, des ist, nein, die Seminare an sich, das ist ja schon ganz gut. Nur, dass die Leute dann immer hinterher versuchen, chinesischer zu sein als die Chinesen, das is’, äh, blöd. Du siehst das so oft, dass auch in Deutschland gestandene Manager, die kommen dann auf einmal hierher und benehmen sich völlig lächerlich. Irgendwie ganz unsicher und, äh, am Schalter stehen sie und hihihi, ganz, sieht einfach lächerlich aus. Auch in bestimmten Verhandlungen, ich sag immer, sei einfach, jeder soll einfach so bleiben, wie er ist, weil wenn man in Deutschland, sag mal wenn du in Deutschland ein einigermaßen netter, freundlicher Mensch bist und bist’s hier auch und des wird hier auch akzeptiert. Ich meine, wenn du in Deutschland ’n Arsch bist, biste hier auch ein Arsch, dann bleibste auch ein Arsch, dann kannste noch so viel interkulturelles Management machen. Da jetzt zu lernen, ob man die Karte so rum gibt oder so rum, wer beim Geschäftsessen wo sitzt, ja, gut, is gut zu wissen, aber…auch umgekehrt, wenn jetzt Chinesen nach Deutschland kommen, die scheren sich ’nen Scheiß um interkulturelles Management, die benehmen sich, wie sie sich halt immer benehmen.« (Weiß)
Auch für Herrn Weiß bleiben Trainingsinhalte also oberflächliche Maßnahmen, die nichts an der individuellen Haltung und an bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen ändern können. Wenn jedoch die Vorbedingung einer angemessenen Persönlichkeit nicht gegeben ist (»Arsch« statt »netter, freundlicher Mensch«), nützt auch »interkulturelles Management« nichts. Der Fokus auf solche eher menschlichen Aspekte kam bereits in Kapitel 5.5 zum Tragen und zeigt sich auch in anderen Forschungsarbeiten. Beispielsweise beschreibt Gertsen (2012) bei erfahrenen dänischen Expats in Malaysia, dass diese nach eigenen Angaben nur noch »human beings and their underlying abilities« (ebd.: 212) wahrnehmen würden. Auch Frau Handke legt im folgenden Abschnitt den Schwerpunkt auf menschliche Kommunikation allgemein. Nationalkulturelle Unterschiede, die für sie bereits zum »Klischee« erstarrt sind, verlieren an Bedeutung. Kompetenz heißt daher vor allem auch »zu lernen, zu kommunizieren« und sollte daher bei Trainings eine zentrale Rolle spielen, allerdings aber eben ohne die vordergründige Spezifizierung deutscher bzw. chinesischer Kategorien: »Also ich, ich glaube, dass auf der einen Seite, ähm, diese Unterschiede immer unwesentlicher werden. Also diese, dieses Klischee, Unterschiede, Chinesen sind so und Deutsche
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sind so. Ähm, das wird aussterben, das wird es nicht mehr lange geben und äh, was es auf jeden Fall geben muss und was also sehr wichtig ist, ist zu lernen, zu kommunizieren. Aber ich glaube, das ist vielleicht gar nicht mal unbedingt nur chinesisch-deutsch. Ich glaube, es ist ein menschliches Problem irgendwie. Also gut kommunizieren zu können ohne zu viel Emotionalität und ohne dieses Rechthaberische, sondern wirklich offen für die andere Seite sein, ähm, das könnte man wahrscheinlich auch in einer rein deutschen Firma oder ich weiß nicht was anbieten, ne. Aber das ist für mich auf jeden Fall irgendwie so ein Grundthema, was ich auch auf jeden Fall natürlich auch im interkulturellen Training sehr hervorheben würde, aber vielleicht auch mit diesem Zusatz, ähm, dass es vielleicht immer weniger kulturspezifisch ist, ne.« (Handke)
Obwohl sich die Ansätze von Frau Handke und Herrn Weiß in der Betonung menschlicher Charakteristika ähneln, bleibt Herr Weiß jedoch teilweise in der Dichotomisierung Deutsche/Chinesen stecken. So fällt beim Blick zurück auf das Zitat von Herrn Weiß auf, dass er im letzten Abschnitt die Perspektive auf Authentizität umkehrt, die sich aber nach wie vor an den nationalen Kategorien orientiert: Denn auch chinesische Manager würden sich in Deutschland nicht anpassen. Es wird dabei nicht ganz klar, wie er das wertet, die harsche Formulierung »scheren sich ’nen Scheiß um interkulturelles Management« wirkt jedoch etwas trotzig und scheint auch eine Legitimation für die eigene (partielle) Ablehnung anderer und damit implizit chinesischer Handlungsmuster zu sein. Gleichzeitig sieht Herr Weiß Authentizität im Sinne einer Orientierung am vertrauten Bezugsrahmen als für sich geeignete Handlungsstrategie, die erst die Kombination aus Arbeitsleistung und Wohlbefinden, das heißt kompetentes Agieren im Arbeitsalltag, möglich macht. Dabei ist ihm aber klar, dass dies nur dann funktioniert, wenn diese Authentizität mit dem erwähnten »nette[n], freundlich[en] Mensch[en]« zusammenfällt. Hierbei schließt sich wiederum der Kreis zu Frau Handke, die Wert darauf legt, weniger emotional und rechthaberisch zu kommunizieren. Obwohl die gewählten Ausdrücke von Herrn Weiß und von Frau Handke dabei nicht deckungsgleich sind, lässt sich durchaus ein Zusammenhang herstellen: Es geht um offene, ausgeglichene Interaktionsteilnehmer, die dann in den Worten von Herrn Weiß eben kaum »ein Arsch« sein können. Zutreffender ist dann, dass sie »nett und freundlich« agieren und kommunizieren.
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8.2.2 Face-to-Face und Sensibilisierung. Positive Bewertungen erfahrungsbasierter Trainings Um Mitarbeitende bei interkulturellen Herausforderungen zu unterstützen und damit auch ökonomischen Erfolg zu gewährleisten, versuchten einige der untersuchten Unternehmen eigene Weiterbildungsmaßnahmen in den Arbeitsalltag zu integrieren. Der Erfolg solcher Maßnahmen wurde von den Akteuren recht unterschiedlich bewertet. Schriftliche Erläuterungen per interner Email, die gleichzeitig mit der strategischen Gestaltung der Corporate Identity einhergehen, sind nach Herrn Müller beispielsweise deutlich weniger effektiv als beziehungsfördernde Face-to-face-Veranstaltungen: »[…] die Kommunikationsvehikel Email, wie soll ich sagen, [ist] inzwischen total, völlig ungeeignet […][lacht]. Ich muss halt mit meinen Kunden noch so kommunizieren, aber alles intern, das ähm…ich mein, wer liest schon eine Email, die drei Din A4 Seiten lang ist und dann irgendwie drüber redet, wie toll die Firma ist und multicultural blablabla. Die Zeit hab ich nicht. Also ganz ehrlich. Hat keiner. Und das wird halt anders in Form von solchen Events dann anders gemacht, wenn immer unsere Chefs da sind, die sitzen nicht auf ner Bühne und wir woanders, sondern da gibt’s dann personal meetings mit, ausgelost mit, du hast jetzt oder ihr habt jetzt Frühstück mit dem CEO. Und dann fragt der uns über deutschen Fußball aus, also keine Ahnung. Alles schon erlebt, und das finden wir schon ganz gut.« (Müller)
Relevant sind hier zwei Dinge: Zunächst zeigt das Zitat die Bedeutung von Kommunikationsformen nicht nur als Gegenstand interkultureller Maßnahmen sondern auch als deren Mittel. Persönliche Treffen mit den chinesischen Vorgesetzten des Unternehmens schaffen einerseits eine Bindung auf informeller Ebene, was andererseits auch das Interesse an den Mitarbeitern und zudem deren Bezugsrahmen zeigt (beispielsweise wenn es um »deutschen Fußball« geht). Das wird von Herrn Müller und seinen Kollegen deutlich positiver bewertet als eine einseitige Kommunikationsform ohne Interaktionsmöglichkeit. Zwar ist das Unternehmen von Herrn Müller im Vergleich zu denen von beispielsweise Herrn Frei und Herrn Schneider in China oder Herrn Luo in Deutschland deutlich größer und so finden bei diesen Akteuren in dem Stil keine ähnlichen Events statt. Sie werden allerdings beispielsweise bei Herrn Freis Unternehmen ersetzt durch gemeinsame Ausflüge; auch wenn dann anders als bei Herrn Müller Vertreter aus der Firmenleitung fehlen. Allerdings sind derlei Events auch in vergleichbar großen (und ebenfalls chinesischen) Unternehmen keine Selbstverständlichkeit. Gerade für Mitarbeiter, die keine Erfahrung in »ausländischer Unternehmensar-
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beit« haben oder auch erst wenig Kontakte ins Ausland hatten, sei nach Herrn Pfeiffer ein »interkulturelles Training« jedoch »total wichtig«: »Ja, Leute, die überhaupt keine Erfahrung damit haben, also zum Beispiel in ausländischer Unternehmensarbeit, ist ja nicht nur beim chinesischen, amerikanisches Unternehmen ist ja auch anders zum Beispiel. Zum Beispiel solchen Leute würd’ ich nahe legen, sich vielleicht mal so ’nen Ratgeber durchzulesen, weil ich grade sagen muss, dass die Erfahrung damit vorher, dass ich dann zum Beispiel durch’s Studium öfter mit Leuten aus dem Ausland zu tun hatte und im Ausland war und so, das war schon sehr wichtig. Dass man einfach so weiß, ja man kann halt nicht…erwarten, dass die jetzt genauso denken wie ich. Ich denke, dass…eigentlich müsste man gerade auch bei [Unternehmensname] viel mehr interkulturelles Training machen, so dass man hingeht und so nen halben Tag mal interkulturelles Training macht. Warum sagt der Chinese ›ja‹ und meint ›nein‹ zum Beispiel, jetzt mal so übertrieben. Würd’ ich total wichtig finden.« (Pfeiffer)
Herr Pfeiffer schlägt hier gewissermaßen eine Vorstufe zum Event von Herrn Müller vor, der ja bereits breite Erfahrung in internationalen Arbeitskontexten hat; auch Herr Pfeiffer wäre mit seiner Studienerfahrung nicht mehr vordergründige Zielgruppe eines solchen Trainings. Ihm geht es sowohl bei deutschen als auch bei chinesischen Kollegen um Folgendes: »Mmmh, also ich glaub, man kann denen ja nicht alles so perfekt beibringen. Aber ich denke, dass einfach die Leute so, was dahinter steckt so ein bisschen lernen oder einfach, ähm, dass man die sensibilisiert, ähm, einfach, dass die wissen, dass halt Leute aus anderen Kulturen anders denken und dass man vielleicht mal so nen, so ein bisschen das spielerisch angeht, das kann man auch mit Erwachsenen machen ohne dass das jetzt albern ist.« (Pfeiffer)
Wenn Herr Pfeiffer zu Beginn des Zitats davon spricht, »denen ja nicht alles so perfekt beibringen« zu können, grenzt er sich zwar von den unerfahreneren Kollegen ab und konstruiert sich damit eben selbst als erfahren. Allerdings macht er aber auch deutlich, dass eine gänzliche Anpassung zu erwarten (»alles so perfekt beibringen«), nicht möglich und vielleicht auch nicht wünschenswert ist. Ähnlich hatte das bereits Herr Weiß angesprochen, der den Trainingseffekt bei deutschen Managern, die sich dann »chinesischer als die Chinesen« verhielten, äußerst negativ einschätzte. Von Bedeutung ist für Herrn Pfeiffer daher vielmehr eine Sensibilisierung für mögliche Besonderheiten. Was das heißen kann, verdeutlicht er beispielhaft an der Annäherung an die jeweils andere Sprache (und
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empfindet es dabei als bedauernswert, dass diese Möglichkeit von seiner Firma nicht mehr angeboten wird): »Und, ähm, deswegen fand ich ganz gut, es ist leider eingestellt worden, bevor ich gekommen bin, da gab’s halt für die Kollegen, die kein Chinesisch konnten, auch so Chinesischkurse. Und das war schon gut, dass man so bisschen merkt, man merkt so, ja, was sagen die denn, also jetzt zum Beispiel auch ›hao‹ kommt aus Frau und Kind, heißt halt zusammen ›gut‹. Ja erstmal, ah ja, Chinesen wertschätzen die Familie oder so.« (Pfeiffer)
Die Forderung nach Sensibilisierung zusammen mit dem Vorschlag, diese »spielerisch« umzusetzen, findet sich in den Erfahrungen von Herrn Wang wieder. Er greift zunächst die Problematik aus Kapitel 5 zu den Selbst- und Fremdbildern auf, die meist mit der Wahrnehmung von Unterschieden einhergeht: Tendenziell wird das Andere im Vergleich zum Eigenen und Vertrauten als »very negative« bewertet. Aus diesem Grund hält er es für wichtig, die andere Seite zu verstehen (»UNDERSTANDING of the other side«). Damit geht er noch einen Schritt weiter als Herr Pfeiffer, weil ihm nicht nur die Vertrautheit von Differenzen bedeutsam erscheint, sondern einerseits auch, dass die negativen Effekte des Vergleichens erkannt werden und andererseits vielleicht sogar eine positive Umdeutung des wahrgenommenen Anderen möglich wird. Das zeigt sich besonders am Ende des Zitats, wenn Herr Wang den Wandel Chinas aufgreift, der die vorhandenen Stereotype gerade überholt. Das spielerische Element in der Umsetzung eines solchen Anspruchs in Trainingsform erläutert Herr Wang dann anhand eigener Erlebnisse in einem »cross-cultural seminar«, das er »interesting« fand. Dabei wurden die Teilnehmenden per Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt und bekamen jeweils verschiedene, fiktive und nicht sofort selbsterklärende Verhaltens- und Kommunikationsarten vorgegeben, die sie innerhalb ihrer Gruppe praktizierten. Anschließend wurde aus jeder Gruppe ein Beobachter in die andere Gruppe geschickt und sollte dann von seinen Erlebnissen berichten. Diese Einschätzungen waren stets negativer als die Bewertungen der eigenen Gruppen und veranlassten Herrn Wang so sicher auch zu seiner Aussage: »I think the most important thing is the UNDERSTANDING of the other side, yeah. If you do know the culture, you tend to be very negative. Because you compare, because your reference point is your HOME country, your HOME culture and äh, you consider all the other cultures as primitive, as bad, as inflexible or too flexible and, you know, all sort of negative things. This is actually what we have learned as well. I went through a crosscultural seminar as well…ähm, which was very interesting […] And this shows the same thing like in our daily, let’s say, communication. Äh, in the past, not in the past only, äh,
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just recent years in Europe I think there was a negative feeling about China, you know, because a lot of, äh, let’s say information on how bad the weather is in Beijing, how polluted the air is here and so on. So people have very, let’s say gloomy impression about Beijing, about China. Chinese quality is VERY bad, maybe in China like just, you know, poor quality, so equals poor quality. But I think things are CHANGING now.« (Wang)
Interkulturelle Trainingsmaßnahmen können nach Einschätzung von Herrn Wang und Herrn Pfeiffer also durchaus dazu beitragen, Selbstreflexion anzuregen und den Bezugsrahmen zu erweitern, wenn sie nicht nur auf etablierte und oberflächliche Differenzkonstruktionen zurückgreifen.
8.3 K OMPETENZENTWICKLUNG ALS PERSÖNLICH INDIVIDUELLE A UFGABE : B EDÜRFNISSE UND A NSPRÜCHE VON M ANAGERN UND M ITARBEITENDEN Positive Bewertungen von Trainingsmaßnahmen sind kein Garant dafür, dass sie auch als praxistauglich und hilfreich eingeschätzt werden. So zeigt sich Herr Li auf die Frage, ob er bereits ein interkulturelles Training oder Ähnliches besucht habe, beinahe amüsiert und verstärkt die Negation des »never« durch ein Lachen. Denn einen Lerneffekt erzielt er nicht durch angeleitete Trainings, sondern durch Achtsamkeit im Alltag: »No, never [lacht]. Because you can learn it from everywhere. From metro, from television, from movie, from everywhere. But most of such kind of thing is being ignored. But if you pay attention to everything, you learn from minute to minute. I, I, this is my feeling.« (Li)
Herr Li gibt hier die Verantwortung dafür, ein »kompetenter Akteur« zu sein, an das Individuum zurück. Auch die anderen hier aufgetretenen Akteure sehen in diesem Zusammenhang Achtsamkeit, die wiederum mit Offenheit, Respekt etc. verbunden ist, als bedeutend für kompetentes Agieren an (vgl. dazu bspw. Kapitel 7.4). Allerdings scheinen professionalisierte Maßnahmen vom Ratgeber bis zum Training für sie nur bedingt für ein solches Ziel geeignet zu sein. Diese Einschätzung beruht auch auf deren langjähriger Erfahrung im Kontakt mit Chinesen bzw. Deutschen. Dadurch sind Maßnahmen, die sich auf oberflächliche Do’s und Dont’s beschränken, einerseits nicht mehr interessant, andererseits stimmen sie nicht oder nur teilweise mit der Vielfalt der erlebten Erfahrungen überein. Da
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in der Regel zudem solche Maßnahmen bei den kleineren Unternehmen nicht in den Arbeitsalltag integriert sind und sich die Akteure tendenziell als Praktiker verstehen, laufen die Trainings etc. womöglich auch ihrem Selbstverständnis als »Macher« und gestandene Persönlichkeiten entgegen. Das zeigt sich ganz besonders bei Herrn Weiß, der klar zwischen Theorie und Praxis unterscheidet: »Ein ehemaliger Kollege von mir, der hat auch ne Doktorarbeit über genau das Thema interkulturelle Kommunikation geschrieben; das Buch, das hab ich in die Ecke geschmissen, weil erstmal isses langweilig und auch so theoretisch, ne Arbeit muss vielleicht schon nen bestimmten Aufbau haben, aber wenn man dann NUR in Modellen das Ganze versucht zu erklären und NUR durch die Theorien… [schüttelt den Kopf].« (Weiß)
Nichtsdestotrotz wird die Idee von einer begleiteten Sensibilisierung und damit auch der erfahrungsbasierten Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit durchaus begrüßt, was bei Herrn Wang sichtbar wurde, der sich ja sehr positiv über sein »cross-cultural seminar« äußerte. Dabei treten konkrete Aspekte dessen, was als deutsch oder chinesisch gelabelt wird, immer mehr in den Hintergrund; die Herausforderung menschlicher Kommunikation ganz allgemein wurde ja schon von Frau Handke betont und schien auch in anderen Interviews immer wieder durch. Aus diesem Grund wurden von den Akteuren auch andere Ansätze genannt, wie Kompetenz im vorliegenden Kontext gefördert werden kann. So empfand Herr Seidel eine mehrtägige Veranstaltungen mit anderen Managern und auch Kollegen als hilfreich, »die in ihrem Ergebnis immer wieder auf eines abzielten, um als Team zusammen zu wirken und zu erkennen, dass ich als Team gemeinsam mehr erreichen kann« (Seidel 394-396). Herr Schneider wiederum würde sich dafür einsetzen, dass ein Unternehmen »Look-and-seeTrips« für die Familie ermöglicht, um so auch für eine Stabilisierung der privaten Verhältnisse vorzusorgen. Er selbst musste seine Partnerin noch auf Eigeninitiative vor seiner Entscheidung für China dorthin mitnehmen. Indirekt empfiehlt er solche Vorab-Reisen auch für die (zukünftigen) Expats selbst: »Dann ist es zuträglich, wenn vorher schon mal gereist worden ist, das Land vorher besucht worden ist. Und, das kann man nicht für alle jungen, äh, in Deutschland voraussetzen, unabhängig von dem aktuellen Unternehmen, das ist in allen Unternehmen beziehungsweise in unserer Community Gang und Gäbe, ähm…dass die Kommunikation dann einfach ist, wenn die Leute hier schon mal gearbeitet haben und um die Probleme wissen […].« (Schneider)
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Auch wenn also nicht für alle, vor allem noch »junge[…]« Expats gleichermaßen vorausgesetzt werden kann, den Arbeitsalltag und die spezifischen Probleme durch eigene Erfahrungen nachvollziehen zu können, ist es doch zumindest »zuträglich«, selbst durch Reisen das Zielland unmittelbar zu erleben. Und obwohl das Leben und Arbeiten nach einer Entsendung immer noch herausfordernd und überraschend sind, war für Herrn Schneider auch der Kontakt und Austausch mit den Kollegen vor Ort hilfreich. Gerade solche Möglichkeiten waren jedoch beispielsweise im Unternehmen von Herrn Schneider nicht selbstverständlich, was so wiederum eigenverantwortliches Handeln erforderte, wie Herr Schneider auf die Frage nach seiner Vorbereitung für den Einsatz in China antwortet: »Hätt’ ich nicht selbst dafür gekämpft, wär da in der Richtung ein Schmalspurprogramm gelaufen. Also, ja, es hat Vorbereitung gegeben, aber der größte Teil der Vorbereitung ist in Eigeninitiative, hat da stattgefunden. Auch damals als Student, die Ansage, dass ich…äh, mir die Freigabe im damaligen Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern geholt hab’, die Freigabe selbst geholt hab’, diese Reise zu erleben, einmal als Urlaubsplanung und ob was dagegen spricht, mich im BÜRO einfach mal zu melden und Kontakt mit den Leuten aufzunehmen, also da ham sie erstmal ein bisschen geschaltet, dass da bisschen Interesse da ist.« (Schneider)
Dass auch größere Unternehmen oftmals gar nicht wahrnehmen und wissen, was für ihre Mitarbeiter im Ausland hilfreich wäre, die eben noch keinen Strauß an Erfahrungen mitbringen, zeigt auch nochmals das Beispiel der chinesischen Firma, in der Herr Hong und Herr Pfeiffer tätig sind bzw. waren. Obwohl beispielsweise die Bedürfnisse neuer Mitarbeiter sehr unterschiedlich sind – so arbeiten dort beispielsweise sowohl frisch aus China entsandte sowie bereits länger in Deutschland lebende Chinesen als auch Deutsche mit mehr oder weniger China-Erfahrung – ist die Unterstützung beim Einstieg, aber auch bei den Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt. Das deutete bereits Herr Pfeiffer an und auch die Antwort von Herrn Hong auf die Frage nach Angeboten der Firma für neue Mitarbeiter fällt vergleichsweise schmal aus: »Wir haben eine interne, eine, äh, Einführung. Da kann man selber lesen, wie sind die Arbeitszeiten, was zum Anziehen von Montag bis Freitag und was soll ich machen mit dem Datenschutz, Störungen, also da haben wir eine Einführung, ich glaube, Chinesisch und Englisch, meistens nur in den beiden Sprachen.« (Hong)
Die erwähnte Vorbereitung oder »Einführung« bleibt auf einer sachlichoberflächlichen Ebene, die zwar Eckpunkte für Normalitätsarrangements bereit-
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hält, aber unbelebt bleibt. Möglichkeiten für die Auseinandersetzung mit wahrgenommen Unterschieden gibt es sonst von Seiten der Firma nicht. Die einzige Möglichkeit, Unterschiede zu adressieren und einen internen Chinesischkurs zu besuchen, wurde nach Auskunft von Herrn Pfeiffer eingestellt (der, wie geschildert, stattdessen dann ja informell einen Deutschkurs mit großer Nachfrage und Erfolg anbot). Auch der Wunsch nach mehr persönlichem Austausch, der bei Herrn Müllers Firma durch größere Events auch mit den chinesischen Vorgesetzten realisiert wird, fehlt im Unternehmen und zum Leidwesen von Herrn Luo, dessen Probleme als unfreiwilliger kultureller Mittler bereits zur Sprache kamen. So sagt er: »Ich denke, muss man MEHR mal mit den chinesischen Kollegen sprechen. Also natürlich haben wir Email dabei, sie können mit Email einen Kollegen in China schicken, aber immer nur schreiben, muss man mehr unterhalten, ja.« (Luo) Besonders die Möglichkeit zum Austausch scheint ein Bedürfnis der Akteure zu sein, und das auf verschiedenen Ebenen. Während die kulturellen Mittler hoffen, dass dadurch Arbeitsabläufe etc. nachvollziehbarer werden und damit reibungsloser funktionieren, empfindet es beispielsweise Herr Weiß als hilfreich, sich mit anderen »Leuten« auszutauschen um dadurch eine Selbstreflexion anzustoßen. Allerdings vermisst Herr Weiß sonstigen Austausch in dieser Hinsicht, denn auch in Expatclubs und unter Freunden unterhält man sich »trotzdem nur…über die, über’n Markt oder sonst irgendwas oder wo kaufste jetzt ein Haus, wo kaufste dies, wo machste das. Aber das Ganze mal GRUNDSÄTZLICH zu hinterfragen…was mach ich hier eigentlich? Warum bin ich eigentlich noch hier?« (Weiß) Herr Weiß wünscht sich also die Möglichkeit eines weniger oberflächlichen Austauschs. Solche Meta-Interaktionen scheinen daher weniger dafür bedeutend zu sein, dass Normalität etabliert und weiterentwickelt wird. Sie helfen vielmehr dabei zu verhindern, dass Normalität in eine Sklerose zurückfällt und Handlungsoptionen unbrauchbar oder unangemessen werden. Für Herrn Arendtmeyer wirkt Austausch hingegen als Coping-Strategie angesichts einer noch sehr instabilen Normalität. Gespräche mit anderen deutschen und europäischen Kollegen im gleichen chinesischen Unternehmen dienen dann mehr dem Frustrationsabbau als einer Selbstreflexion, wie sie Herr Weiß anstrebt: »Mit Kollegen reden, mit deutschen, mit europäischen Kollegen reden, zu sagen, dass die alle im selben Boot hocken. Mir geht’s genauso scheiße wie dir, ich versteh dich vollkommen. Das isses.« (Arendtmeyer) So scheinen diese Gespräche Herrn Arendtmeyer zumindest temporär zu helfen, mit fehlenden Normalitätsarrangements umgehen zu können und immerhin im Kreise der Kollegen eine übergeordnete Normalität zu konstruieren. Er fühlt sich verstanden und kann irritierenden Erfahrungen Sinn verleihen. Hierbei entsteht eine Art »Notfall-Kollektiv«, das sich aus der Unzufriedenheit von Mitarbeitern speist.
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Dabei macht er die besprochenen Probleme ganz klar an den Reibungen zwischen den Kategorien »deutsche bzw. europäische Verhaltensweisen« und »chinesische Verhaltensweisen« fest, da er sich ja explizit nur mit deutschen und europäischen Kollegen austauscht. Natürlich betreibt er damit eine Symptombekämpfung, die Ursache der dabei durchscheinenden Unzufriedenheit und des mangelnden Wohlbefindens bleibt bestehen und liegt auch in den Unternehmensstrukturen und Kommunikationsdefiziten (vgl. Kapitel 6.3). Dies scheinen auch die Bemühungen von Herrn Arendtmeyer, in Ratgeberbüchern Hilfe zu finden, nicht ausgleichen zu können; zudem fehlen strukturierte, begleitende Maßnahmen wie eben interkulturelle Trainings o.ä. von Seiten des Unternehmens. Alle stellvertretenden Beispiele von Herrn Schneider, Herrn Hong, Herrn Weiß und Herrn Arendtmeyer machen potentielle Ansatzpunkte für Maßnahmen sichtbar, die die Akteure in den unterschiedlichen Phasen ihres Arbeitslebens beim Aufbau oder der Erhaltung von Kompetenz im hier gemeinten Sinn unterstützen. Ob das nun unternehmensintern fest etablierte oder extern dazugekaufte Leistungen sind, ist dabei unwesentlich; bedeutender ist die Einsicht, dass Kompetenz nicht einmal abschließend erworben wird, sondern immer wieder sowohl irritiert und geschwächt als auch weiterentwickelt und gestärkt werden kann. Die Ursachen dafür sind freilich vielgestalt und so geht schon seit einigen Jahren der Trend bei vielen Anbietern der sogenannten interkulturellen Dienstleistungen hin zu begleitenden und individualisierten statt oder zusätzlich zu punktuellen und allgemeingehaltenen Angeboten, wie Coachings und unternehmensinternen Beratungen zum Umgang mit Vielfalt (vgl. z.B. Bolten 2001). Der Knackpunkt bei den vorliegenden Fällen liegt jedoch darin, dass die Nachfrage bzw. die Notwendigkeit für zusätzliche Unterstützung der Mitarbeitenden von den Verantwortlichen nicht erkannt oder nicht gewollt wird, oftmals spielen auch die damit verbundenen hohen Kosten und der Zeitaufwand eine Rolle. Dadurch wird die Verantwortung für kompetentes Agieren besonders in den SMEs größtenteils an die Akteure selbst zurückgegeben. 8.3.1 Entwicklung strategischer Agilität als zentraler Bestandteil individueller Kompetenz Gerade wenn Manager und Mitarbeiter in besonders ausdifferenzierten Arbeitsumgebungen auf sich allein gestellt sind, treten persönliche Merkmale bei der Konstruktion von Normailtät verstärkt in den Vordergrund. Die vorangegangen Kapitel haben gezeigt, dass unterschiedliche Kombinationen solcher Merkmale in verschiedenen Kontexten die Akteure als kompetent auszeichnen. So haben beispielsweise Herr Wang und Herr Frei unterschiedliche Managementstile
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und arbeiten in verschiedenen Unternehmensumwelten, beide können jedoch Erfolg und persönliches Wohlbefinden für sich kohärent verbinden. Die bis hierher lose genannten Aspekte wie Offenheit, Anpassungsfähigkeit, aber auch Verweigerungsmechanismen fasst die Theorie unter dem Begriff »strategic agility« (Lewis et al. 2014) zusammen. Der Terminus zielt vorrangig auf »leadership« ab, kann aber auch für Mitarbeitende ohne Führungsaufgaben geltend gemacht werden. Lewis et al. (2014) definieren strategische Agilität als »flexible, mindful responses to constantly changing environments« und charakterisieren sie dabei als »inherently contradictory« (ebd.: 58). Im Zentrum ihrer Überleugungen steht dabei, wie Unternehmensakteure angemessen mit Spannungen und Paradoxien umgehen und diese zudem als wichtige Ressourcen wertschätzen. Solche Spannungen und Paradoxien beziehen sich beispielsweise auf Planungssicherheit und Routine versus Innovation und Wandel, globale versus lokale Bedingungen, finanzielle versus soziale Überlegungen oder Anpassung versus Durchsetzung. Unternehmensakteure sollten daher Mut zum und Lust am »paradoxical thinking« aufbringen, das an den »fuzzy culture«-Ansatz in der Theorie erinnert: Es darf je nach Kontext demnach nicht nur »Sowohl-als-auch-Entscheidungen« geben, die Pardoxien in Einklang zu bringen scheinen, sondern durchaus auch »Entweder-oder-Ansätze« (Lewis et al. 2014: 59-60). Das ist insofern wichtig, als dass auch Kompromisse und Tradeoffs als Lösungsmöglichkeiten für bestimmte Situationen in Frage kommen (vgl. Lewis et al. 2014: 61). Konkret werden diese Überlegungen in der Empirie. So sieht Zorzi (1999) in seiner empirischen Studie zu Schweizer Expats in Japan all jene Akteure als kompetent an, denen es gelingt, die Spannung auszuhalten, die mit einem »andauernden Entscheiden[…] zwischen Akzeptanz und Ablehnung« (ebd.: 542) einhergeht und die sich nach wie vor wundern können und sich ihr nur eingeschränktes Verstehen eingestehen, ohne damit zu hadern. Das hat hier sehr eindrücklich Herr Weiß bewiesen, der selbst oder vielmehr gerade nach 20 Jahren in China zugibt, »das meiste bis heute noch nicht« verstanden zu haben und sich damit ständig in für ihn paradoxen Situationen wiederfindet. Die Fähigkeit, aber vor allem die Lust und Freude daran, sich immer wieder dem oben genannten Entscheidungsdruck auszusetzen, machen beispielhaft Herr Frei und Herr Schneider deutlich. Für sie ist die Anwesenheit des Fremden gerade der Grund dafür, überhaupt und noch immer in China zu leben und zu arbeiten: »Also ich bin gern in China, weil’s halt einfach so anders ist« (Frei); »[…] weil China jeden Tag die Möglichkeit gibt, was anderes zu entdecken.« (Schneider) Herr Seidel schätzt zudem die Freiheiten, im Arbeitskontext trotz aller Herausforderungen Freiheiten ausschöpfen zu können, die ihm eine gesättigte Marktwirtschaft wie die deutsche nicht bieten könnte. Auch hier scheint eine Mischung aus
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Abenteuerlust und Ehrgeiz durch, sich mit dem wie auch immer gearteten Anderen auseinandersetzen zu wollen: »Die Gestaltungsmöglichkeiten sind hier einfach sehr viel mehr. Das find ich für mich persönlich ganz spannend. Dazu bin ich noch jung genug, dass mich des reizt.« (Seidel) Bei diesen Beispielen wird deutlich, dass es eben nicht nur von Bedeutung ist, Spannungen auszuhalten, sondern sie proaktiv zu suchen und deren Potential auszuschöpfen (vgl. Lewis et. al. 2014: 68). Was sich hier nach Management-Jargon anhört, kann in der Praxis allerdings schon im Kleinen realisiert werden, wie Herr Pfeiffer es anschaulich beschreibt: »Ich glaube, jeder Mensch ist halt ein Gewohnheitstier und wir erwarten halt, dass viele Sachen so laufen, wie, vielleicht nicht bewusst, aber unbewusst erwarten wir, dass alles so läuft wie immer, wie man das kennt. Aber da muss man eigentlich so ein bisschen, glaub ich, sich eigentlich aktiv schon dran erinnern, dass es auch anders sein kann.« (Pfeiffer)
Offen bleiben muss an dieser Stelle, inwieweit ein solches Mindset individuelle Disposition, erlernbare Fähigkeit oder eine Kombination von beidem ist. Diese interessante Frage fällt bereits in den Bereich kognitiver Psycologie und kann hier daher nur angedeutet werden. 8.3.2 Der Einfluss ökonomischer Macht- und Interessensstrukturen auf kompetentes Handeln Die vielschichtigen individuellen Motive von Mitarbeitern und Managern sind in kompetitiven Arbeitskontexten auch immer mit Machtstrukturen, ökonomischen Interessen und dem »neuen Geist des Kapitalismus« verknüpft. Dieser »neue Geist« ist eng verquickt mit dem »radikale[n] Wandel« (Schultheis 2006: 132), der sich in Konzepten wie Globalisierung, Neoliberalismus und postindustrieller Gesellschaft niederschlägt (vgl. ebd.) und mit dem sich auch die hier vorgestellten Akteure auseinandersetzen müssen. Boltanski und Chiapello (2003) zeichnen anhand der Analyse von einschlägiger Managementliteratur den dabei »geforderte[n] und geförderte[n] ökonomische[n] Habitus des marktfähigen Arbeitnehmers« (Schultheis 2009: 220) im Kapitalismus nach, der sich einerseits durch eine »Kapitalakkumulation als Selbstzweck« (Boltanski/Chiapello 2003: 58) immer wieder reproduziert und sich dabei andererseits die an ihm geäußerte Kritik in einem Akkulturationsprozess einzuverleiben scheint (vgl. ebd.: 59). So herrschte bis Mitte der 1970er die »Sozialkritik« vor, die sich gegen Unterdrückung, Ausbeutung und soziale Ungleichheit wandte. Als die dringlichsten Missstände durch die Gründung von Gewerkschaften, Lohnerhöhungen und andere
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soziale Kompromisse verschwanden (wohlgemerkt tauchen diese aber immer wieder auf, wenn auch in ihrer ursprünglichen Massivität inzwischen in anderen Teilen der Welt oder aber in veränderter Form), trat die sogenannte »Künstlerkritik« auf den Plan. Diese orientierte sich am idealtypischen Modell des Künstlers, der sich durch Selbstbestimmung, Kreativität und Freiheit auszeichnete. Um u.a. die Motivation von Mitarbeitern zu steigern, fiel auch diese Kritik als Anregung auf fruchtbaren Boden (vgl. Boltanski/Chiapello 2003: 79-84). Vereinfacht und kondensiert heißt das, dass als Reaktion auf die Künstlerkritik die Marktteilnehmer »Sicherheit gegen Autonomie« (ebd.: 243) tauschten, die aber weiterhin im Dienste eines »entfesselten Kapitalismus« stand. Der Idealtypus des darin erfolgreichen »employable man« ist jedoch ein elitärer, der materiell und sozial auch dazu befähigt ist, den Maximen und Spielregeln in der Arena des Kapitalismus frei zu folgen (vgl. Schultheis 2009: 222). Und tatsächlich lassen sich einige der dabei geforderten Merkmale und Kompetenzen auch bei den privilegierten Akteuren mit breitem Einflussradius und Machtspielraum nachzeichnen. Dazu gehören »Kommunikationsfähigkeit, Neugierde, Offenheit, Risikobereitschaft, Soziales Kapital schöpfen, Toleranz, Vermittlerrolle, Vernetzung« (Schultheis 2009: 220-221). Auch die Spannung zwischen Freiheit und ökonomischen Anforderungen wird dort sichtbar, beispielsweise im Zitat von Herrn Müller: »[…] das ist bei uns normal, dass man sehr viel Druck aber auch sehr viel Gestaltungsspielraum hat.« (Müller) Sehr deutlich wird auch bei Herrn Seidel, dass er die »employability« seiner Mitarbeiter im Sinne des »neuen Geistes« forciert: »[…] wenn wir eben vierhundert Mitarbeiter hier haben, sind wir VIERhundert Unternehmer. Wir lassen die Mitarbeiter…oder wir FORDERN von ihnen Kreativität, Eigeninitiative, wir beteiligen sie sehr unmittelbar am Ergebnis.« (Seidel) Allerdings wäre es einseitig und unberechtigt, die Akteure deswegen als blinde Anhänger einer neoliberalen Marktlogik zu kategorisieren. Vielmehr pendeln sie zwischen ökonomisch-strategischer Pflichterfüllung und der Bewahrung einer sehr menschlichen Komponente. Ohne diese Balance wäre der aus ökonomisch-utilitaristischen Motiven herrührende »Stress« im Berufsalltag auch nicht zu bewältigen, wie Herr Müller berichtet: »[…] egal wieviel Stress, die Leute, die es überleben, sind die Leute, die sich halt auch die Zeit nehmen und die eben nicht sagen: ›Nö, das ist nich mein Job.‹ Das ist also in meinen Augen, grad auch bei dem Interkulturellen... Also ich persönlich hab’s in meiner alten Firma so satt gehabt, grade wenn’s ums Internationale geht: ›Das ist nicht mein Job, dir zu erklären, wie du das in Europa machst‹, ja. Sondern ich finde, dass man gegenseitig sich die Hand hält, ja, Händchen halten. Sich gegenseitig hilft, ja. Und im Notfall…ich weiß
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nicht…mal anruft…dieses…wie nennt man das bei uns…dieses dedication, dieses go the extra mile, fallen mir jetzt nur englische Begriffe ein, weil wir alles in Englisch machen. Also diese Kleinigkeiten, wo man jemand glücklich machen kann oder helfen kann, indem man halt…sagt: ›Ok, da fahr ich jetzt 10 Minuten später nach Hause, ich helf dir jetzt noch.‹ Also darum geht’s. Weil BWL und Verkauf das können alle, sag ich mal.« (Müller)
Interessant ist hier, dass Herr Müller zwar typische anglizistische Vokabeln und Floskeln wie »dedication« und »go the extra mile« verwendet, die eben jenem Weltbild aus den »Chefetagen der Unternehmen und den Consulting-Agenturen« (Schultheis 2009: 222) entspringen. Damit beschreibt er aber entgegen der zu erwartenden Konnotation ökonomischen Wachstums, wie er Kollegen »glücklich« macht oder ihnen »hilft«. Der daraus resultierende ökonomische Erfolg scheint daher fast nur noch Nebenprodukt zu sein. Und wie auch bereits für Herrn Schneider und Herrn Frei ist für ihn eine intrinsische Motivation wichtig, die über finanzielle und statusbezogene Vorteile hinaus geht: »Kollegen, die im Vertrieb Geld verdienen wollen, also NUR Geld, die verrennen sich irgendwo.« (Müller) Diese zusätzliche Motivation umschreiben die Akteure mit Spaß am Beruf, sie finden ihre Tätigkeit »spannend« und erhalten Bestätigung bzw. Anerkennung (beispielsweise darüber, dass ihre Mitarbeiter sich wohlfühlen wie bei Herrn Frei oder dass Herrn Seidels kulturelle Anpassungsfähigkeit und Menschenkenntnis gelobt werden usw.). Dabei hat das Privatleben häufig eine wichtige Stützfunktion: Wohlbefinden im Berufsleben setzt meistens ein funktionierendes Privatleben voraus. Auch dabei könnte den Akteuren ein Selbstoptimierungsdrang nachgesagt werden, die tatsächliche Motivation kann jedoch aus den Interviews nicht eindeutig zugunsten oder entgegen dieser Vermutung rekonstruiert werden. Die Schwierigkeiten, die der »neue Geist des Kapitalismus« mit sich bringt, treten allerdings konturierter auf, wenn die Akteure mit weniger Machtspielraum und teilweise deutlich weniger Erfahrung ins Blickfeld kommen. Einige versuchen, ökonomischen Druck mit Hilfe des skizzierten Kanons an Fähigkeiten abzumildern, gleichzeitig erhalten sie dafür Anerkennung, stoßen aber auch an Grenzen. Andere werden hingegen als entpersonifiziertes »Humankapital« gesteuert und müssen sich durch Beziehungsarbeit erst ein menschliches Antlitz verdienen. Für sie ergibt sich dann viel eher eine anomische Situation, das heißt ein Mangel an Normalität, der wiederum durch die Diskrepanz zwischen dem jeweiligen Habitus und den vorherrschenden Rahmenbedingungen, beispielsweise im Unternehmen, entsteht (vgl. Schultheis 2009: 220). Allerdings sind auch diese Akteure keine gänzlich ausgelieferten Opfer neoliberaler Marktlogik und
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können sich beispielsweise einen Rückzug leisten, weil sie genügend relevante Fähigkeiten und Sozialkapital ansammeln konnten. Das veranschaulichte das Beispiel von Herrn Hong, der als baldiger Vater bürokratischere Arbeitsverhältnisse mit mehr Sicherheit seinen jetzigen Bedingungen vorzieht, weil sie besser in seinen Lebensplan passen – freilich ohne das kapitalistische System und dessen Währung zu verlassen. Und so sind alle Akteure gleichzeitig in das Spiel einer kapitalistischen, sich selbst bezweckenden Wachstumsprämisse und persönlicher Vorstellungen von einem guten (Privat- und Berufs-)Leben verstrickt und konstruieren auch danach die Form von Normalität, mit der sie am besten zurechtkommen und der sie kohärent Sinn verleihen können. Wenn auch nur ansatzweise, wird dabei jedoch deutlich, dass die Akteure sich diesem Spiel zwar nicht entziehen können oder wollen, dieses aber wohl mitgestalten können.
8.4 G ELEBTE
UND KONSTRUKTE .
» VERPACKTE « N ORMALITÄTS Z WISCHENFAZIT
Unbedingt mitgedacht werden muss bei den zahlreichen genannten Beispielen und Erzählungen, dass es sich ähnlich wie beim Gegenstand Kultur um die »Verpackung« gelebter Normalität im Arbeitskontext handelt. Den Akteuren selbst geht es im Alltag nicht darum, erlebte Normalität und deren Irritationen zu durchdringen und im sozialwissenschaftlichen Sinne zu verstehen – auch wenn der Begriff häufig verwendet wird. Vielmehr ist es ihnen vordergründig wichtig, ihre Ziele und Interessen durchsetzen zu können, sich persönlich weiterzuentwickeln und ihre Sorgen und Probleme zu bewältigen. Wenn das nicht gelingt, kann eben auch die gelebte Normalität als nicht zufriedenstellend empfunden werden, weil sie beispielsweise bruchstückhaft bleibt oder unangenehme Emotionen auslöst. Was das hier geschnürte wissenschaftliche »package« und die als solche erlebte Wirklichkeit der Akteure verbindet, ist die Art des Umgangs mit wahrgenommener Differenz: Kompetent ist sie immer dann, wenn Differenz nicht vollkommen eingeebnet wird. Ricken/Balzer (2007) warnten bereits vor einer »Nivellierung und Bagatellisierung« (ebd.: 67) von Unterschieden und forderten stattdessen eine »Differenzsensibilität« (ebd.). Und Zorzi (1999) formuliert zugespitzt: »Die vollständige Auflösung von Differenz ist zweifellos kein kompetenter Umgang mit ihr, sondern weist eher auf eine ungenügende Anschlussfähigkeit interkulturellen Handelns im Sinne einer Unfähigkeit eines kompetenten Umgangs mit Differenz hin« (Zorzi 1999: 542). Unterstützt wird dieser Ansatz
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mit den theoretischen Überlegungen zu strategischer Agilität und der Fähigkeit, Paradoxien auszuhalten und als Ressource anzuerkennen. In diesem Sinne entsteht nach Rathje (2006) »kulturelle Stabilität« (ebd. 13) angesichts von erlebten Differenzen und Paradoxien dann aus deren »Bekanntheit und Normalität« (ebd.), nicht aus deren Nivellierung. Hansen (2000) bemerkt dazu: »Wir kennen [...] [die divergenten] Standpunkte, und wenn wir sie hören, wissen wir, dass wir zu Hause sind. [...] So viele es gibt und so divergierend sie sind, fügen sie sich dennoch in einen Rahmen des Üblichen« (ebd.: 232). Dieser »Rahmen des Üblichen« definiert Selbstverständlichkeiten der Alltagswelt oder »Spielräume des Angemessenen« (Malmendier 1995: 133). Er hilft durch »sozial gültige Regeln« (ebd.) und geteiltes Wissen Orientierung zu finden und damit die Anstrengung ständiger Interpretationsarbeit zumindest zeitweilig nicht auf sich nehmen zu müssen. Normalität ist hier positiv konnotiert und beim Gedanken daran, welche Bedeutung den Normierungen von Arbeitsabläufen beispielsweise in der technikintensiven Produktion eines Unternehmens oder der Ritualisierung von Verhandlungsabläufen zukommt, ist Normalität unabdingbar. Nun ist aber zumindest nach Canguilhem (1974), auf den sich Waldenfels (1998) bezieht, der »Begriff des Normalen nicht ein statischer und friedlicher, sondern ein dynamischer und polemischer Begriff« (Waldenfels 1998: 11). Und so hält er fest: »Eine Norm, ein Richtmaß dient dazu, geradezumachen, zu richten und wieder aufzurichten. Normieren und normalisieren, das bedeutet: einem Daseienden, Gegebenen eine Forderung aufzuzwingen, von der aus sich Vielfalt und Disparatheit dieses Gegeben als ein nicht bloß Fremdes, sondern feindliches Unbestimmtes darstellen.« (Canguilhem 1974: 163, zit. in: Waldenfels 1998: 12)
Dieser nahezu gewaltsame Normalisierungsakt hat nach Waldenfels zwei Varianten: Einmal äußert er sich im Passendmachen und der Unterwerfung bestehender Verhältnisse: »Normen würden ‚geltend gemacht‘, sie würden nicht gültig gemacht« (Waldenfels 1998: 11). Die zweite Variante von Normalität wird erst im Akt der Normalisierung hervorgebracht. Es entsteht etwas radikal Neues. Allerdings konstruiert Waldenfels das nicht als einen diskursiven, sondern als übergriffigen Vorgang, der beispielsweise bei technischen oder politischen Revolutionen auftritt (vgl. Waldenfels 1998: 12). Beide Varianten sind also stark an Machtverhältnisse gekoppelt. Denn wer passt sich an wen an? Welche subjektive Normalität wird zur herrschenden? Wenn Normalität zu einem solchen Absolutheitsanspruch verkommt, wirkt sie nicht mehr als Orientierung, sondern als Zwang. Eine Normalität von Differenzen im Sinne Rathjes und die Überführung einer »strukturellen« oder gar »radikalen« Fremdheit in eine »alltägliche und
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normale« (Waldenfels 1997: 35-36), wäre dann nicht möglich, weil Differenzen in dem Fall gar nicht zulässig wären. Normalität und der Prozess des Normalisierens brauchen also Grenzen (vgl. Waldenfels 1998) bzw. vielmehr eine Offenheit für »Anormales«. Ansonsten erstarrt Normalität und bremst gerade in Situationen mit einem erhöhten »Fremdheitspotential« wie eben in einem anderen Land oder einem Unternehmen aus einem solchen, die Bemühungen, kompetent zu agieren aus – denn das heißt ja, Differenzen eben nicht anzugleichen und aufzulösen oder durch Vergleiche und damit durch »eigene Begrifflichkeiten, Konstrukte, Typisierungen und Relevanzen« (Zorzi 1999: 541) um jeden Preis im Sinne eines Eigenen umfassend verstehen zu wollen. Das heisst nicht, dass der Versuch zum Verstehen gar nicht erst gestartet werden sollte, sondern vielmehr, dass dabei die Einsicht nicht verloren geht, dass es immer nur ein Verstehen »bis auf weiteres« (Schütz/Luckmann 1975: 27) sein kann.
9. Ergebnisse und abschließende Überlegungen
9.1 E XPLODIERENDE G EWISSHEITEN : Z USAMMENFASSUNG ZENTRALER E RKENNTNISSE Normalität ist die »Fraglosigkeit« (Schütz/Luckmann 1975: 27) im Rahmen einer »vertrauten Wirklichkeit« von »bereits Ausgelegtem« (beides ebd.: 26). Sie hält »Gebrauchsanweisungen« (ebd.: 32) bereit, die dabei helfen, Lösungen für alltägliche Probleme zu finden. Das setzt jedoch voraus, dass die als problematisch wahrgenommene Erfahrung in die Typik vorangegangener Erfahrungen hineinpasst. Nur dann können auch neue Erfahrungen »routinemäßig« (ebd.: 28) entproblematisiert und in den bestehenden Bezugsrahmen als fraglos eingegliedert werden. So wirken sich auch Differenzen, wenn sie denn bekannt und vertraut sind, nicht als tiefgreifende Erschütterungen aus. Schließlich gibt es fertige Lösungsmodelle, wie mit diesen Unterschieden umzugehen ist. Nun ist aber eine solche Lebenswelt »umgeben von Unbestimmtem« (ebd.: 27). Dieses Unbestimmte tritt immer dann ins Bewusstsein, wenn eine Erfahrung sich nicht in das Sammelsurium des vorhandenen Typischen einfügen lässt. Schütz/Luckmann (1975) verwenden für solche Vorkommnisse ein passendes Bild: Die Fraglosigkeit »explodiert« (ebd.: 29). Auch in deutsch-chinesischen Arbeitskontexten, so die grundlegende Annahme der Untersuchung, treten solche »Explosionen« auf. Das ist einmal der nationalkulturellen Variation geschuldet, die als besonders tiefgreifend wahrgenommen wird. Dazu kommen Reibungspunkte, die generell in Arbeitswelten auftreten können, aber durch den Zusatz »deutsch-chinesisch« besonders leicht entzündlich sein können. Die scheinbar vordringlichsten und sichtbarsten Unterschiede in Bezug auf Charakteristika, die der nationalen Angehörigkeit zugeschrieben werden, sind in
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mehreren etablierten Studien gut dokumentiert. Diesen Unterschieden nachzuspüren, war jedoch nur eine Vorbedingung für das eigentliche Forschungsinteresse der Untersuchung: Denn was passiert nach dieser Diagnose? Wie (das heißt nach welchen Logiken) schaffen es die befragten Akteure, für sich Normalität angesichts von Unterschieden kompetent (wieder-)herzustellen? Zur Beantwortung dieser Fragen hat sich das Buch in mehreren aufeinander aufbauenden Schritten mit empirischem Material aus Interviews und dokumentierten Beobachtungen auseinandergesetzt. Zunächst hat Kapitel 5 zur Konstruktion von Selbst- und Fremdbildern gezeigt, dass die erwähnten Unterschiede von den Akteuren tatsächlich vordergründig entlang nationaler Kategorien konstruiert wurden, wobei durchaus die etablierten Dimensionen von beispielsweise Hofstede (z.B. 2010) oder Hall (z.B. 1990) sichtbar wurden. Genauso ließen sie sich aber an anderen Beispielen widerlegen. Zudem variierten oder widersprachen sich die Zuschreibungen und Bewertungen des Eigenen und des Fremden. Dabei reichte das Spektrum von Ablehnung bis hin zu Bewunderung, von der Nennung konkreter Besonderheiten bis zu deren Auflösung in menschlichen Gemeinsamkeiten. Immer wieder führten die Interviewpartner aber auch Unterschiede an, die in Hinblick auf andere als die nationalen Kollektive konstruiert wurden, beispielsweise über Hierarchien, Geschlecht oder die regionale Herkunft. Deutlich wurde in diesem Kapitel außerdem, dass wahrgenommene Differenzen nicht statisch feststehen, sondern sich verändern, sich auflösen oder an Bedeutung verlieren. Dass Unterschiede als solche wahrgenommen werden und die Akteure mehr oder weniger irritieren, sagt aber noch nichts über die damit verbundenen Folgen aus. Bedeutsam werden Unterschiede erst, wenn es dadurch zu intersubjektiven Verwerfungen kommt. Kapitel 6 hat daher die aus den wahrgenommenen Differenzen entstehenden Spannungsfelder in Interaktionen herausgearbeitet, so zum Beispiel im Business-Verhalten, in der Zusammenarbeit mit der Firmenleitung, aber auch im Privatleben. Wie bei der Wahrnehmung von Differenzen spielten Reibungen aufgrund national gelabelter Unterschiede auch hier eine Rolle, sie durchmischten sich jedoch mit strukturellen und individuell-persönlichen Bruchlinien, die sich nicht nur auf das Arbeits- sondern auch auf das Privatleben bezogen. Kritisch wurden solche Bruchlinien vor allem immer dann, wenn sie sich summierten oder in besonderen Kontexten auftraten. Um die Folgen der »Explosionen« zu mildern und die daraus entstandenen Spannungen zu lösen oder zumindest zu lockern, müssen die Akteure nach Schütz/Luckmann (1975) den eigenen Erfahrungshorizont weiter auslegen, bis eine pragmatische Lösung gefunden ist. Eine solche Lösung muss nicht unbedingt logisch sein, wie das für den Wissenschaftler von Bedeutung ist, sondern
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vor allem alltagstauglich (vgl. ebd.: 31). Kapitel 7 hat zunächst die Erklärungsmuster und gewählten Handlungsoptionen der Akteure im Umgang mit den zuvor skizzierten Spannungsfeldern aufgedeckt. Dazu gehören Akzeptanz und Toleranz, Verweigerung in reflexiver und spontaner Form, Rückzug als Ausbruch und Möglichkeit des Innehaltens, aber auch Anpassung in Form von Assimilation und Imitation. Abhängig von individuellen und unternehmensspezifischen Vorbedingungen changieren diese Logiken, treten also in den Vorder- oder Hintergrund, sind gerade bedeutsam oder weniger relevant. Den damit verbundenen Balanceakt zwischen verschiedenen potentiellen Handlungsalternativen angemessen auszuführen, gelingt vorrangig den Akteuren, die sich durch einen hohen Einflussbereich, ein kohärentes Image und dessen geschickte Pflege, meist verbunden mit Erfahrung und sozialer Stabilität, auszeichnen. Wenn diese Aspekte fehlen oder eingeschränkt werden, nehmen auch die Wahlmöglichkeiten der Logiken ab und Mitarbeitende erscheinen unzufriedener und unsicherer. Kapitel 8 knüpfte an diese Beobachtungen an und stellte die Frage, was im vorliegenden Kontext eigentlich einen kompetenten Akteur ausmacht. In Wirtschaftskontexten tritt dabei die Arbeitsleistung, aber auch das Wohlbefinden der Akteure in den Vordergrund (vgl. Deller/Albrecht 2007). Beides kann jedoch nur angemessen ausgefüllt werden, wenn angesichts der wahrgenommenen Differenzen wieder Fraglosigkeit konstruiert werden kann. Dazu gehört, dass Images gewahrt werden und es möglich ist, anschlussfähig zu kommunizieren. Zusammengefasst werden können solche Eigenschaften unter dem Begriff der strategischen Agilität. Dahinter stehen natürlich die Aufgabe und das Ziel, ökonomische Interessen der jeweiligen Firma umzusetzen und für sich selbst einen Lebensunterhalt zu verdienen. Das allein ist jedoch zu kurz gegriffen. Vielmehr kreisen die Anstrengungen der Akteure und deren dahinterliegende Logiken darum, Anerkennung zu erhalten, für sich zu erzeugen und dafür auch an andere weiterzugeben. Das scheint immer dann zu gelingen – und damit ist die eingangs gestellte Forschungsfrage ausgeleuchtet – wenn dafür Differenz nie ganz ausgeglichen wird, ohne dabei die aufgebaute Normalität aufs Spiel zu setzen. Interkulturelle Weiterbildungsmaßnahmen, wie sie die Akteure erlebt haben, unterstützen nur punktuell beim Aufbau und der Pflege von Kompetenz. Sie werden dann als hilfreich wahrgenommen, wenn sie sich nicht ausschließlich auf nationalkulturelle Vergleichsmodelle stützen, sondern auch an persönliche Erfahrungen anknüpfen.
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9.2 T HEORETISCHE
UND EMPIRISCHE
F UZZINESS
Mit Blick zurück auf die zu Beginn formulierten theoretischen Vorannahmen hat sich besonders der Ansatz der Fuzzy-Logik in Bezug auf die untersuchten Phänomene bewährt. Ein Mehrwert hat sich vor allem dadurch ergeben, dass das Konzept mehrere (kultur-)theoretische Annahmen nebeneinander bestehen lässt und Widersprüchlichkeiten nicht einebnet. Diese theoretische Haltung hat sich immer wieder in den verschiedenen Kapiteln gezeigt, beispielsweise bei der Darstellung der Konstruktion von Selbst- und Fremdbildern, wenn Akteurslogiken widersprüchlich und kontextabhängig in Erscheinung traten oder wenn kulturelle Mittler die Fähigkeit des »Changierens« unter Beweis stellten. »Fuzziness« hat jedoch nichts mit Beliebigkeit oder der Auswaschung von Theorie und Empirie zu einem farblosen Allerlei zu tun. So sind bei näherer Betrachtung und einer Einengung von Kontexten klare theoretische Konturen erkennbar. Da die Studie jedoch davon ausging, dass Individuen gleichzeitig in mehrere Kollektive eingebunden sind und dass Kommunikation stets kontingent ist, wäre eine solche Verengung angesichts der lebensweltlichen Komplexität, in die die Akteure verstrickt sind, unangebracht. Das illustrierte immer wieder auch das vielschichtige Forschungsfeld aus chinesischen und deutschen Unternehmen im jeweils anderen Land. Einerseits waren hier klare Unterschiede sichtbar, beispielsweise die zwischen der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Unternehmen auf den verschiedenen Märkten, zwischen der Schwere der damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen und dazwischen, wie Mitarbeiter motiviert und in ihrer Arbeit anerkannt werden. Andererseits gingen die Wahrnehmungen der Akteure beider Nationalitäten oftmals ineinander über und es war nicht sofort ersichtlich, wer in welchem Unternehmen in welchem Land tätig war. Hinzu kam, dass sich selbst vergleichbare Firmen in den jeweiligen Ländern deutlich voneinander unterscheiden konnten.
9.3 N ORMALITÄT ALS ANSCHLUSSFÄHIGES F ORSCHUNGSKONZEPT Wie bei jeder empirischen Studie gibt es auch bei der vorliegenden blinde Flecken und Themen, die nicht mehr ausführlich behandelt werden konnten oder gar nicht erst das Blickfeld erreichten. Dazu gehört, dass die Rezeption Chinas in Deutschland stark von der Politik und damit Themen wie Menschenrechten, Umweltschutz usw. geprägt ist, was aber bei den deutschen Unternehmen in China keine Rolle zu spielen schien. Politische Aspekte wurden nur in Bezug auf
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bürokratische Hindernisse adressiert. Die Ursachen für die Ausklammerung liegt sicherlich in der Interviewsituation, die auf eine Reflexion des Arbeitsalltags fokussierte, in dem »heikle« politische Fragestellungen keine unmittelbare Rolle spielten oder aber vermutlich bewusst ausgespart wurden. Interessanterweise sprachen aber chinesische Gesprächspartner in Deutschland Probleme wie Umweltzerstörungen und soziale Probleme in ihrem Heimatland an. Zu Produktionsbedingungen und möglichen staatlichen Kooperationen ihrer Firmen in China äußerten sie sich verständlicherweise jedoch nicht. Aber auch das Verhalten deutscher Firmen in China wurde lediglich peripher touchiert. So ging Herr Schneider am Rande auf die Arbeitsbedingungen in der Produktion ein, die aber in seinem Unternehmen anders als in chinesischen Firmen deutlich besser seien, was ihm wiederum als Geschäftsführer am Herzen lag. Ob andere deutsche Firmen ähnlich wie die von ihm genannten chinesischen ebenfalls weniger Wert auf angemessene Arbeitsbedingungen legen, blieb dabei jedoch ungeklärt. Die Ursachen für die Zurückhaltung an dieser Stelle sind damit erklärbar, dass die Niederlassungen in China recht überschaubar sind und Kontrollen, die auch die Lieferkette umfassen, leichter möglich sind als das bei sehr großen Konzernen der Fall ist. Mitunter wurden Fertigungsteile sogar in Deutschland produziert und in China nur zum Endprodukt zusammengefügt. Daher liegen die Produktionen meist direkt neben der Niederlassung. Dort werden deutsche Arbeitsstandards befolgt und die Produktionshallen waren in einigen Fällen sogar für mich zugänglich. Eine fehlende Reflexion über weitere kritische Themen auf einer Meta-Ebene war daher im Kontext der Gespräche nicht relevant. Interessant wäre daher, zu untersuchen, inwieweit Wirtschaftsentscheidern diese Themen bewusst sind und wie sie diese in Bezug zu ihrer Rolle sehen. Dabei beschränkten sich die Interviews natürlich nur auf vergleichsweise erfolgreiche Unternehmen in weniger problematischen Branchen, die Interviewpartner sprachen freiwillig und scheinbar auch gern mit mir. Forschungspraktisch herausfordernder, aber sicher wertvoll, wären daher auch Gespräche mit Akteuren, die mit ihrer Unternehmung gescheitert sind. Zudem fehlten die Sichtweisen von Akteuren in höheren Managementpositionen in den chinesischen Unternehmen. Überhaupt ist das Forschungsfeld chinesischer Unternehmen in Deutschland noch wenig ausgeleuchtet und bietet gerade in der Soziologie und der Interkulturellen Wirtschaftskommunikation interessante Forschungsbereiche. Ein weiterer Aspekt, der nur angerissen werden konnte, ist die Frage nach der Rolle von Frauen und Männern im deutsch-chinesischen Arbeitskontext. So war einerseits die Rate von Frauen in Führungspositionen verschwindend gering, andererseits wirft genau diese Tatsache Fragen nach möglichen Unterschieden im Führungsstil und der Konstruktion von Normalität auf. Auch der Umgang
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von Männern und Frauen miteinander könnte als Untersuchungsgegenstand bedeutend sein. Das haben beispielhaft die Episoden gezeigt, in denen deutsche Interviewpartner Schwierigkeiten hatten, mit dem für sie mädchenhaften Verhalten chinesischer Mitarbeiterinnen umzugehen. Was das Buch leisten konnte, ist nachzuvollziehen, wie Akteure in vergleichbaren deutsch-chinesischen Arbeitskontexten angesichts von Unterschieden Normalität konstruieren. Die dahinterliegenden Logiken sind freilich auf das Sample beschränkt und könnten in anderen Kontexten (bezogen auf Länder, Branchen, Unternehmensformen, Arbeitsbereiche etc.) Gegenstand zusätzlicher empirischer Forschungen sein. In Form von Organisationsethnografien wäre es zudem möglich, direkt zu beobachten, wie Normalität in Interaktionen hergestellt wird und welche Rolle andere Akteure, Artefakte, Kommunikationswege usw. dabei einnehmen. Letztendlich spiegelt die Fähigkeit, Normalität tragfähig zu gestalten, einen kompetenten Umgang mit Differenz wider, der auch außerhalb des Wirtschaftskontexts von Dringlichkeit und Bedeutung ist. Was Giddens (1995) und Krotz (2005) auf der höheren Ebene der Globalisierung als gleichzeitige »Entbettung« und »Vernetzung« beschrieben haben, trifft auch zu, wenn es weiter heruntergebrochen wird: Trotz einer zunehmenden gesellschaftlichen Verflechtung und verstärkten Abhängigkeiten vergrößern sich die Regionen des Nicht-Wissens und »das ›Normale‹ erweist sich zusehends als krisenhaft« (Leggewie/Zifonun 2011: 381). Es müssen also weitere und andere »Formen der Normalität« (ebd.) gesucht und ausprobiert werden. Relevant wird das vor allem bei Fragen zu Migration und Integration, dem Zugang und der Verbreitung von Wissen oder zu digitalen Räumen. Das birgt zwar unumwunden Risiken für Konflikte, für Unsicherheiten und Misstrauen, aber eröffnet eben auch Chancen für positive Entwicklungen. Denn »Neues entsteht nicht, wo Verständigung reibungslos funktioniert und kulturelle Muster uns die Orientierung im Alltag erleichtern. Es entsteht, wo wir nicht unmittelbar verstehen und unsere Ordnungsmuster versagen« (Lotman et al. 2000: 2).
Literatur
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Anhang
Transkriptionsregeln ...
Pause oder Satzabbruch
……
sehr lange Pause
[…]
Auslassung
DOCH!
besondere Betonung
[lacht]
parasprachliche Äußerungen
[Lucy] [Stadtname]
Anonymisierungen, konkrete Namen sind jeweils geändert
[schiebt ein Blatt Papier hin und her, A.S.]
Übersetzungen oder Beschreibungen von Handlungen und Geschehnissen während des Interviews als Anmerkung der Autorin A.S. (=Anne Schreiter)
Gesellschaft der Unterschiede Tina Denninger, Silke van Dyk, Stephan Lessenich, Anna Richter Leben im Ruhestand Zur Neuverhandlung des Alters in der Aktivgesellschaft April 2014, 464 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2277-5
Reimer Gronemeyer, Gabriele Kreutzner, Verena Rothe Im Leben bleiben Unterwegs zu demenzfreundlichen Kommunen März 2015, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2996-5
Hannes Krämer Die Praxis der Kreativität Eine Ethnografie kreativer Arbeit August 2014, 422 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2696-4
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Gesellschaft der Unterschiede Oliver Marchart Die Prekarisierungsgesellschaft Prekäre Proteste. Politik und Ökonomie im Zeichen der Prekarisierung 2013, 248 Seiten, kart., 22,99 €, ISBN 978-3-8376-2192-1
Oliver Marchart (Hg.) Facetten der Prekarisierungsgesellschaft Prekäre Verhältnisse. Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Prekarisierung von Arbeit und Leben 2013, 224 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2193-8
Monika Windisch Behinderung – Geschlecht – Soziale Ungleichheit Intersektionelle Perspektiven Oktober 2014, 232 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2663-6
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2013, 538 Seiten, kart., 42,99 €, ISBN 978-3-8376-2242-3
Christoph Hoeft, Johanna Klatt, Annike Klimmeck, Julia Kopp, Sören Messinger, Jonas Rugenstein, Franz Walter Wer organisiert die »Entbehrlichen«? Viertelgestalterinnen und Viertelgestalter in benachteiligten Stadtquartieren April 2014, 290 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2731-2
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Carolin Kölzer »Hauptsache ein Job später« Arbeitsweltliche Vorstellungen und Bewältigungsstrategien von Jugendlichen mit Hauptschulhintergrund
April 2015, ca. 320 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2088-7
Nancy Richter Organisation, Macht, Subjekt Zur Genealogie des modernen Managements 2013, 344 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2363-5
Katharina Scherke (Hg.) Spannungsfeld »Gesellschaftliche Vielfalt« Begegnungen zwischen Wissenschaft und Praxis Juni 2015, ca. 250 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2964-4
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