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German Pages 645 [651] Year 2020
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 115
ARTI BUS INöäBsEN
Dirk A. Verse
Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften
Mohr Siebeck
Dirk A. Verse, geboren 1971; Studium der Rechtswissenschaften in Bonn, Regensburg, Singapur und Oxford (M. Jur.); 1998 Promotion; 2000-2002 Tätigkeit als Rechtsanwalt; 2006 Habilitation; Privatdozent an der Universität Mainz und Rechtsanwalt in Düsseldorf.
978-3-16-157963-9 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISBN 3-16-149074-6 ISBN-13 978-3-16-149074-3 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalhttp://dnb.d-nb.de bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. © 2006 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Garamond-Antiqua gesetzt, von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Der Grundsatz, Gesellschafter unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln, zählt seit langem zu den grundlegenden Prinzipien des deutschen und - seit der Kapitalrichtlinie aus dem Jahr 1976 - auch des europäischen Gesellschaftsrechts. Gleichwohl ist er seit der noch heute viel zitierten Habilitationsschrift von Götz Hueck
aus dem Jahr 1958 („Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung
im Privatrecht") hierzulande nur selten näher untersucht worden. Die vorliegende Arbeit versucht, diese Lücke für den Bereich des Kapitalgesellschaftsrechts zu schließen und zu einer Konkretisierung von Normzweck, Inhalt und Rechtsfolgen des Gleichbehandlungsgebots zu gelangen. Dabei greift sie auch auf die Erfahrungen anderer europäischer Rechtsordnungen zurück. Die Arbeit hat im Wintersemester 2005/2006 dem Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz als H a bilitationsschrift vorgelegen. Sie befindet sich im Wesentlichen auf dem Stand vom 30. Juni 2 0 0 6 ; einzelne neuere Entwicklungen konnten noch in den F u ß noten berücksichtigt werden. Mein D a n k gilt zuvörderst Herrn Prof. Dr. Mathias Habersack, der mich nach einigen Jahren in der Praxis zur Anfertigung der Habilitationsschrift ermutigt und die Entstehung der Arbeit in jeder Hinsicht vorbildlich begleitet hat. Ich werde die Zeit an seinem Mainzer Lehrstuhl stets in bester Erinnerung behalten. Gleichfalls danken möchte ich Herrn Prof. Dr. Peter O . Mülbert für das anregende, im Rekordtempo erstellte Zweitgutachten. Die Arbeit ist zu einem erheblichen Teil während eines ausgedehnten Aufenthalts am Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg entstanden. Möglich gemacht hat diesen Aufenthalt H e r r Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Reinhard Zimmermann, der mich schon seit Beginn meines Studiums auf jede erdenkliche Weise gefördert hat. Ihm sei hierfür auch an dieser Stelle sehr herzlich gedankt. Nicht zuletzt gilt mein D a n k der Deutschen Forschungsgemeinschaft, deren großzügige Förderung ich drei Jahre lang genießen durfte und ohne die diese Arbeit unmöglich entstanden wäre, sowie den Kollegen an der Mainzer Fakultät und am Hamburger Max-Planck-Institut, die mich auf vielfältige Weise unterstützt haben. F ü r ihre große moralische Unterstützung danke ich vor allem meiner Freundin Barbara Gierth. Düsseldorf, im September 2 0 0 6
D i r k Verse
Inhaltsübersicht Vorwort
V
Inhaltsverzeichnis § 1
IX
Einleitung
1 1. Kapitel
Bestandsaufnahme §2 §3
Historische Entwicklung und gegenwärtige Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
15
Beurteilung der bisherigen Entwicklung
51
2. Kapitel
Grundlagen des Gleichbehandlungsgrundsatzes §4
Teleologische Grundlagen
67
§5
Systematische Grundlagen
81
§6
Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen
§7
Rechtsvergleichende Grundlagen
94 114
3. Kapitel
Reichweite und Inhalt des Gleichbehandlungsgrundsatzes §8
Persönlicher Anwendungsbereich
171
§9
Sachlicher Anwendungsbereich
193
§ 10 Zeitlicher Anwendungsbereich
220
§11 Der Tatbestand der Ungleichbehandlung
228
§ 12 Sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen
252
§13 Rechtfertigung durch bloßen Vermögensausgleich?
308
§ 14 Verzicht auf Gleichbehandlung
320
§ 15 Besonderheiten im Konzern
331
VIII
Inhaltsübersicht
4. Kapitel
Rechtsfolgen und prozessuale Geltendmachung von Gleichbehandlungsverstößen § 16 Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Beschlüssen und sonstigen Rechtsgeschäften der Gesellschaft
355
§ 17 Ansprüche der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft
378
§ 18 Ansprüche der benachteiligten Gesellschafter gegen die Organwalter
423
§ 19 Ansprüche / Klagebefugnisse der benachteiligten Gesellschafter gegen die Mitgesellschafter
437
5. Kapitel
Anwendung und Konkretisierung der erarbeiteten Grundsätze in ausgewählten Fallgruppen § 20 Gleichbehandlung und Bezugsrecht
457
§ 21 Gleichbehandlung und eigene Anteile
474
§ 22 Informationelle Gleichbehandlung
509
6. Kapitel
Schluss § 23 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
557
Literaturverzeichnis
571
Sachregister
619
Inhaltsverzeichnis Vorwort
V
Inhaltsübersicht
§ 1
VII
Einleitung
1
I. Einführung und Ziel der Untersuchung II. Terminologie
1 3
1. Der Gleichbehandlungsgrundsatz als Schranke der Verbandsmacht 2. Weitere mögliche Bedeutungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes a) Der Gleichbehandlungsgrundsatz als Schranke der Privatautonomie der Verbandsmitglieder? b) Der Gleichbehandlungsgrundsatz als Ordnungsund Auslegungsprinzip
III. Themenbegrenzung
3 4 4 7
9
1. Abgrenzung zu kapitalmarktrechtlichen Gleichbehandlungsgeboten 2. Beschränkung auf das Kapitalgesellschaftsrecht IV. Gang der Untersuchung
9 10 11
1. Kapitel
Bestandsaufnahme § 2
H i s t o r i s c h e E n t w i c k l u n g u n d gegenwärtige B e d e u t u n g des G l e i c h b e h a n d l u n g s g r u n d s a t z e s I. Der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Rechtsprechung des R G 1. Anerkennung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und Vorgeschichte
15 15 15
Inhaltsverzeichnis
2. Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der reichsgerichtlichen Praxis a) Beschränkung auf formale Ungleichbehandlungen . . . . b) Gleichbehandlungsgrundsatz und Sittengebot c) Mögliche Gründe f ü r die restriktive Haltung des RG .
II. Der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Gesetzgebung 1. Keine Regelung im A k t G 1937 und A k t G 1965 2. Kapitalrichtlinie und § 53a A k t G 3. Transparenzrichtlinie und § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG . 4. Weitere Kodifizierungsbestrebungen III. Der Gleichbehandlungsgrundsatz in der neueren Rechtsprechung 1. Weiterhin restriktive Handhabung des Gleichbehandlungsgrundsatzes 2. Ausweichen auf konkurrierende Schranken a) b) c) d)
Die Lehre vom sachlichen G r u n d Treuepflicht der Gesellschafter untereinander Treuepflicht der Gesellschaft Sondervorteilsverbot (§ 243 Abs. 2 AktG)
IV. Fazit
Beurteilung der bisherigen Entwicklung I. Reaktionen im Schrifttum: Skepsis gegenüber dem Gleichbehandlungsgrundsatz II. Gründe f ü r eine Neuorientierung 1. Bedenken gegen die Lehre vom sachlichen Grund a) Ausgangspunkt b) Rückbesinnung auf die Grundlagen des Mehrheitsprinzips c) Ungleichbehandlung statt „Eingriff in die Mitgliedschaft" als Aufgreifkriterium der Inhaltskontrolle d) Keine gesetzliche Verankerung der Lehre vom sachlichen Grund
2. Bedenken gegen einen allzu bereitwilligen Rückgriff auf die Treuepflicht III. Fazit
Inhaltsverzeichnis
2. Kapitel
G r u n d l a g e n des Gleichbehandlungsgrundsatzes §4
Teleologische Grundlagen I. Ausgangspunkt II. Bisherige Begründungsansätze 1. Die Lehre von der einseitigen Verteilungsmacht (L. Raiser) 2. Die Lehre vom Gemeinschaftsverhältnis (G. Hueck) 3. Die Lehre vom Willen der Beteiligten (Cohn, Bydlinski) . . . . 4. Kritik III. Entwicklung des eigenen Begründungsansatzes 1. Begründung eines einheitlichen privatrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes? 2. Begründung des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes IV. Fazit
§5
Systematische Grundlagen I. Rechtsnatur II. Verhältnis zum verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz III. Verhältnis zur Treuepflicht 1. Ausgangspunkt 2. Bedenken gegen die Anerkennung einer Treuepflicht der Gesellschaft? 3. Unterschiedliche Grundgedanken von Gleichbehandlungsgrundsatz und Treuepflicht? 4. Gleichbehandlungsverstoß ohne gleichzeitige Treuepflichtverletzung? 5. Ergebnis und Folgerungen
§6
Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen I. Ausgangspunkt; Konkretisierungskompetenz des E u G H II. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben f ü r Reichweite, Inhalt und Rechtsfolgen des Gleichbehandlungsgrundsatzes . . . 1. Persönlicher Anwendungsbereich 2. Sachlicher Anwendungsbereich
XII
Inhaltsverzeichnis a) Betroffenheit in der Eigenschaft als Gesellschafter b) Gleichbehandlung n u r in denselben Verhältnissen aa) Statutarisch vorgesehene Ungleichbehandlungen bb) Gesetzlich vorgesehene Ungleichbehandlungen cc) B e d e u t u n g f ü r das deutsche K o n z e r n r e c h t
3. Ungleichbehandlung
107
a) Gleichbehandlungsmaßstab b) Formale u n d materielle Ungleichbehandlungen
107 107
4. Sachliche Rechtfertigung 5. Rechtsfolgen von Verstößen (Effektivitätsgebot)
109 111
III. Ausstrahlungswirkung außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinien
§7
99 99 99 100 101
Rechtsvergleichende Grundlagen I. Frankreich 1. Allgemeines 2. Der Tatbestand des abus de majorité a) G r u n d l a g e n b) Ungleichbehandlung (rupture d'égalité) c) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung im Gesellschaftsinteresse (intérêt social)
3. Sanktionen des abus de majorité 4. Fazit zum französischen Recht II. England 1. Allgemeines 2. Schutz vor Ungleichbehandlungen nach common law a) b) c) d)
„Bona fide for the benefit of the company as a whole" „Proper p u r p o s e " „Fraud on the m i n o r i t y " „Fairness as between different shareholders"
3. Der Tatbestand der unfairen Benachteiligung („unfair prejudice") nach sec. 459 C A 1985 a) b) c) d) e)
Grundlagen H a n d e l n oder Unterlassen der Gesellschaft Betroffenheit in der Eigenschaft als Gesellschafter Benachteiligung Unfairness
4. Sanktionen von Verstößen 5. Fazit zum englischen Recht III. Niederlande, Osterreich, Schweiz 1. Allgemeines
112
114 115 115 117 117 120 126
128 130 131 131 132 132 135 137 138
141 141 142 143 144 144
149 150 151 151
Inhaltsverzeichnis
XIII
2. Reichweite und Inhalt des Gleichbehandlungsgrundsatzes . 153 a) Persönlicher Anwendungsbereich b) Sachlicher Anwendungsbereich aa) Betroffenheit in der Eigenschaft als Gesellschafter bb) Gleichbehandlung nur in denselben Verhältnissen c) D e r Tatbestand der Ungleichbehandlung aa) Gleichbehandlungsmaßstab bb) Formale u n d materielle Ungleichbehandlungen d) Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen
3. Sanktionen von Verstößen 4. Verhältnis zu anderen beweglichen Schranken der Verbandsmacht 5. Fazit zum niederländischen, österreichischen und schweizerischen Recht IV. Fazit zur Rechtsvergleichung
153 153 153 155 156 156 156 158
161 163 165 166
3. Kapitel
Reichweite und Inhalt des Gleichbehandlungsgrundsatzes §8
Persönlicher Anwendungsbereich I. Die Gesellschaft als Normadressatin / Auswirkungen auf die Organwalter II. Einzelne Gesellschafter als Normadressaten? 1. 2. 3. 4.
171 172
Fragestellung Meinungsstand Stellungnahme Exkurs: Horizontale Gleichbehandlungspflichten aus anderen Rechtsgrundlagen
172 173 177
a) A u f t e i l u n g von Paketzuschlägen b) Sonderzahlungen an opponierende Gesellschafter
180 186
III. Einzelrechtsnachfolger / Gläubiger der Gesellschaft als Normadressaten?
§9
171
Sachlicher Anwendungsbereich I. Betroffenheit in der Eigenschaft als Gesellschafter 1. Ausgangspunkt 2. Dogmatische Begründung 3. Verallgemeinerung a) Geltung auch außerhalb des Individualrechtsverkehrs b) Geltung auch f ü r Benachteiligungen
179
189
193 193 193 194 196 196 197
XIV
Inhaltsverzeichnis 4. Präzisierung a) Bevorzugung in der Eigenschaft als Gesellschafter aa) Beweiserleichterungen bei Geschäften mit beherrschenden oder maßgeblich beteiligten Gesellschaftern . . . . bb) Unwiderlegliche Vermutung bei inhaltlich unausgewogenen Rechtsgeschäften? b) Benachteiligung in der Eigenschaft als Gesellschafter aa) Allgemeines bb) Die Abberufung / Änderungskündigung von Gesellschafter-Geschäftsführern im Besonderen
198 199 199 201 203 203 204
II. Gleichbehandlung nur „unter gleichen Voraussetzungen"
207
1. Statutarisch vorgesehene Ungleichbehandlungen / Unterschiedliche Anteilsgattungen 2. Gesetzlich vorgesehene Ungleichbehandlungen
207 208
a) Anerkannte Fallgruppen b) Problemfall: Nachträgliche Einführung eines Höchststimmrechts 3. Existenz weiterer Umstände, die z u m Entfallen gleicher Voraussetzungen führen?
208 210 214
III. Teleologische Reduktion des Gleichbehandlungsgrundsatzes . 216
§ 10 Zeitlicher Anwendungsbereich I. Bevorzugungen ehemaliger und künftiger Gesellschafter II. Benachteiligungen ehemaliger und künftiger Gesellschafter .
§11 Der Tatbestand der Ungleichbehandlung I. Gleichbehandlungsmaßstab 1. Unterschiedliche Maßstäbe für H a u p t - u n d Hilfsrechte 2. Änderung des Gleichbehandlungsmaßstabs II. Ungleichbehandlung
220 220 223
228 228 228 229 231
1. Formale Ungleichbehandlung
231
2. Materielle Ungleichbehandlung
232
a) Ausgangspunkt b) Bisherige Abgrenzungsversuche und Kritik aa) Unterscheidung zwischen in der Mitgliedschaft angelegten und persönlichen Verhältnissen bb) Unterscheidung zwischen rechtlicher und faktischer Betroffenheit cc) Einbeziehung von Missbrauchskonstellationen
232 234 234 237 238
Inhaltsverzeichnis c) Eigener Ansatz aa) Sondervorteile bb) Sondernachteile d) Fazit
3. Ungleichbehandlung durch Bevorzugung von Dritten (Zurechnungsregeln) a) G r u n d l a g e n b) Bevorzugung von Dritten, deren Vorteile dem Gesellschafter zugerechnet werden c) B e v o r z u g u n g von Dritten, die wirtschaftlich als Gesellschafter anzusehen sind
§12 Sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen I. Ausgangspunkt II. Das Gesellschafts- / Unternehmensinteresse als sachlicher G r u n d 1. Gesellschaftsinteresse a) Ableitung aus dem Verbandszweck b) Bindung an den Unternehmensgegenstand c) Bindung an das Formalziel der G e w i n n m a x i m i e r u n g / Marktwertmaximierung d) Bindung an ein Autonomieziel? e) Fazit
2. Unternehmensinteresse a) Meinungsstand u n d Kritik b) Unternehmensinteresse als Rechtfertigungsgrund f ü r Ungleichbehandlungen?
XV 239 240 242 244
244 244 246 250
252 252 253 253 253 255 256 259 263
264 264 268
3. Artikulation des Gesellschaftsinteresses durch die Gesellschaftsorgane - Ermessensspielraum und Ermessensentzug . 270 a) b) c) d)
Ausgangspunkt Entscheidungen der Geschäftsleiter Entscheidungen der Anteilseignerversammlung Fazit
270 272 274 278
III. Das Interesse einzelner Gesellschafter als sachlicher Grund? . 278 1. Fragestellung 278 2. Stellungnahme 279 3. (Fehlende) Beachtung durch den B G H 281 IV. Weitere Voraussetzungen der sachlichen Rechtfertigung
283
1. Verhältnismäßigkeitsprüfung oder bloße Rechtfertigung im Gesellschaftsinteresse (Willkürverbot)?
283
a) Meinungsstand b) Vorzugswürdigkeit einer differenzierenden Betrachtung
283 285
XVI
Inhaltsverzeichnis
2. Verhältnismäßigkeitsprüfung oder vollständiges Unterschiedsprinzip? a) Das vollständige Unterschiedsprinzip (Schockenhoff) b) Kritik
3. Erforderlichkeit der Ungleichbehandlung 4. Verhältnismäßigkeit (i.e.S.) der Ungleichbehandlung a) Schwierigkeiten und Gefahren der Verhältnismäßigkeitsprüfung b) Eingrenzung der abzuwägenden Interessen c) Gewichtung der widerstreitenden Interessen d) Abwägung der widerstreitenden Interessen und Kontrolle des Abwägungsergebnisses
V. Abgrenzung zur bloßen Missbrauchskontrolle VI. Fazit
§ 13 Rechtfertigung durch bloßen Vermögensausgleich? I. Meinungsstand 1. Die restriktive Haltung der h.M 2. Das Alternativkonzept von Mülbert II. Stellungnahme
288 288 290
292 293 293 295 298 301
304 306
308 308 308 310 312
1. Ausgangspunkt 312 2. Einschränkende Auslegung des § 243 Abs. 2 Satz 2 A k t G .. 313 a) Historische Regelungsintention b) Ausprägung eines allgemeinen Prinzips des reinen Vermögensschutzes?
3. Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht III. Ergebnis
§ 14 Verzicht auf Gleichbehandlung I. Verzicht auf Gleichbehandlung in Einzelfällen 1. Dogmatische Begründung 2. Erklärung und Wirkung des Verzichts 3. Einstimmigkeitserfordernis des Verzichts? a) Meinungsstand b) Gleichbehandlungsverzicht durch gesetzlich vorgesehene Sonderbeschlüsse c) Gleichbehandlungsverzicht außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Sonderbeschlüsse
II. Unwirksamkeit des Generalverzichts
314 315
318 319
320 320 320 321 323 323 324 327
329
Inhaltsverzeichnis
§ 15 Besonderheiten im Konzern I. Gleichbehandlung in der konzernabhängigen Gesellschaft 1. Beherrschungsvertrag
XVII
331 332 332
a) Abschluss des Beherrschungsvertrags 332 b) Ungleichbehandlungen aufgrund verbindlicher Weisungen . . . 333 c) Veränderung des Prüfungsmaßstabs auch im weisungsfreien Bereich? 334 aa) Meinungsstand bb) Stellungnahme
2. Gewinnabführungsvertrag 3. Faktischer Konzern und bloße Abhängigkeit
335 337
339 340
a) Einschränkungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die §§ 311 ff. A k t G aa) Allgemeine Auswirkungen bb) Auswirkungen auf das Informationsrecht im Besonderen (§ 131 Abs. 4 A k t G ) b) Einschränkungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch im Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung?
340 340 342 345
4. Konzerneinbindung als Sachgrund für Differenzierungen? .. 347 II. Gleichbehandlung mehrerer konzernabhängiger Gesellschaften durch das herrschende Unternehmen 348 1. Übertragbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Ebene des Konzerns? 2. Gleichbehandlungspflichten aus anderen Rechtsgrundlagen
349 350
4. Kapitel
Rechtsfolgen und prozessuale Geltendmachung von Gleichbehandlungsverstößen § 16 Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Beschlüssen und sonstigen Rechtsgeschäften der Gesellschaft I. Beschlüsse der Anteilseignerversammlung 1. Anfechtbarkeit des Beschlusses 2. Nichtigkeit der einzelnen Stimmen 3. Besonderheiten des Anfechtungsprozesses a) Analogie zu § 245 Nr. 3 A k t G ? b) Beschränkung der Anfechtungsbefugnis auf die benachteiligten Aktionäre?
355 355 355 357 358 359 360
XVIII
Inhaltsverzeichnis
II. Rechtsgeschäfte der Verwaltung 1. Ausgangspunkt 2. Nichtigkeit gemäß § 134 BGB a) Der Gleichbehandlungsgrundsatz als Verbotsgesetz i.S. des § 134 BGB b) Einwände gegen die Nichtigkeitsfolge bei zweiund mehrseitigen Rechtsgeschäften c) Nichtigkeit bei einseitigen Rechtsgeschäften d) Nichtigkeit beim Erwerb eigener Aktien
362 362 363 364 365 366 367
3. Schwebende Unwirksamkeit 369 4. Erstreckung der Unwirksamkeit auf das Verfügungsgeschäft? 370 5. Erstreckung der Unwirksamkeit auf Geschäfte mit Beteiligung Dritter? 371 6. Konkurrierende Unwirksamkeitsgründe 372 7. Rückgewähr gleichbehandlungswidrig erlangter Vorteile .. 373 8. Vorrang der Beschlussanfechtung 376 9. Fazit 377
§ 1 7 Ansprüche der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft I. Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes 1. Allgemeiner Anspruch auf gesetzes- und satzungsgemäßes Verhalten der Gesellschaft? 2. Der Gleichbehandlungsgrundsatz als Grundlage des Beseitigungsanspruchs a) Partielle Anerkennung durch die h.M b) Weiterentwicklung zu einem umfassenden Beseitigungsanspruch bei Gleichbehandlungsverstößen c) Anspruchsberechtigte; Abgrenzung zu anderen Anspruchsgrundlagen
3. Inhalt des Beseitigungsanspruchs: Vorgehen gegen den Begünstigten oder aktive Gleichbehandlung der Benachteiligten?
378 379 379 381 381 382 388
389
a) Aktive Gleichbehandlung 389 b) Vorgehen gegen den Begünstigten 392 c) Wahlrecht zwischen mehreren Möglichkeiten der Beseitigung . 393
4. Schranken der Geltendmachung des Beseitigungsanspruchs 5. Ergebnis II. Schadensersatz
397 398 399
Inhaltsverzeichnis
1. Ausgangspunkt und Anspruchsgrundlage 2. Anwendung des § 31 BGB auch auf Ansprüche der Gesellschafter 3. Ausscheidung von Reflexschäden 4. Verschuldensmaßstab 5. Vorrang des Gläubigerschutzes a) Z u m Konflikt zwischen Schadensersatz u n d Kapitalerhaltung b) Anderweitiger Schutz des benachteiligten Gesellschafters . . .
6. Schranken der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs 7. Ergebnis III. Unterlassung des Gleichbehandlungsverstoßes 1. Anerkennung und Grundlagen des Unterlassungsanspruchs a) Meinungsstand b) Mögliche Einwände gegen die A n e r k e n n u n g des U n t e r lassungsanspruchs c) Rechtsgrundlage u n d Voraussetzungen des U n t e r lassungsanspruchs
2. Geltendmachung im Eilverfahren 3. Ergebnis
§18 Ansprüche der benachteiligten Gesellschafter gegen die Organwalter I. Deliktsrechtliche Ansprüche
XIX 399 401 403 404 405 405 409
411 412 412 413 413 415 418
419 421
423 423
1. Ansprüche gegen die Organwalter aus § 823 Abs. 1 BGB? .. 424 2. Ansprüche gegen die Organwalter aus § 823 Abs. 2 BGB? .. 425 a) Begründungsdefizite b) Einwände gegen eine H a f t u n g der O r g a n w a l t e r aus § 823 Abs. 2 BGB c) Ergebnis
II. Ansprüche aus Sonderverbindung
426 427 431
431
1. Begründungsansätze im Schrifttum 2. Kritik 3. Ergebnis
431 432 436
§ 19 Ansprüche / Klagebefugnisse der benachteiligten Gesellschafter gegen die Mitgesellschafter
437
I. Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes 1. Vorgehen aus eigenem Recht?
437 438
XX
Inhaltsverzeichnis a) Z u e r k e n n u n g eigener A n s p r ü c h e als Alternative z u r actio p r o socio b) Kritik
2. Actio pro socio
438 439
441
a) G m b H b) A G
441 442
3. Ergebnis
447
II. Schadensersatz 1. Ausgangspunkt; praktische Bedeutung 2. Treuepflichtverletzung gegenüber den benachteiligten Mitgesellschaftern 3. Verschuldensmaßstab a) A G b) G m b H
448 448 449 449 450 452
4. Verhältnis zur H a f t u n g der Gesellschaft; Ergebnis III. Unterlassung des Gleichbehandlungsverstoßes
453 454
5. Kapitel
Anwendung und Konkretisierung der erarbeiteten Grundsätze in ausgewählten Fallgruppen § 20 Gleichbehandlung und Bezugsrecht I. Anwendungsbereich / Betroffenheit als Gesellschafter II. Ungleichbehandlung 1. Allgemeines 2. Auswirkungen der §§ 186 Abs. 3 Satz 4, 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 A k t G III. Sachliche Rechtfertigung
457 458 459 459 461 465
1. Sachkapitalerhöhung 2. Barkapitalerhöhung
465 467
IV. Rechtsfolgen von Verstößen
468
1. Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Kapitalerhöhung .. 469 a) Reguläre Kapitalerhöhung b) Genehmigtes Kapital
2. Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche
469 471
471
Inhaltsverzeichnis
§ 2 1 Gleichbehandlung und eigene Anteile I. Erwerb und Veräußerung über die Börse 1. Vereinbarkeit des § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 A k t G mit dem Gemeinschaftsrecht 2. Restriktion des § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 A k t G II. Erwerb und Veräußerung im Wege des öffentlichen Angebots 1. Aktienrechtliche Gleichbehandlung
XXI
474 475 475 477 478 478
a) Publizität 478 b) Preisgestaltung 479 c) Repartierung bei Uberzeichnung 482 aa) Maßgeblichkeit der Beteiligungsquoten 482 bb) Berücksichtigung von Andienungs- und Erwerbsrechten . 483 cc) Abweichende Regelungen 485 d) Quotales Angebot 487
2. Kapitalmarktrechtliche Gleichbehandlung a) Anwendbarkeit des W p U G auf Erwerbsangebote für eigene Aktien b) Verhältnis der übernahmerechtlichen Gleichbehandlungsgebote zu § 53a A k t G c) Sonderkonstellationen
III. Pakethandel 1. 2. 3. 4.
Grundlagen Anwendungsbereich / Betroffenheit als Gesellschafter Ungleichbehandlung Sachliche Rechtfertigung
IV. Sonderkonstellationen 1. Mehrere Aktiengattungen 2. Put- und Call-Optionen auf eigene Aktien V. Rechtsfolgen von Verstößen 1. Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte der Gesellschaft 2. Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche
§ 22 Informationelle Gleichbehandlung I. Gleichbehandlungsgrundsatz und § 131 Abs. 4 A k t G 1. Gleichbehandlungsverstoß als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 131 Abs. 4 A k t G 2. § 131 Abs. 4 A k t G als zusätzliche Legitimation für Ungleichbehandlungen?
488 488 491 494
495 495 496 497 498 500 500 502 505 505 507
509 510 510 512
XXII
Inhaltsverzeichnis
3. Abschließender Charakter des § 131 Abs. 4 A k t G Nachinformation nur in der Hauptversammlung? 4. Auskunft wegen seiner Eigenschaft als Aktionär / Verhältnis zum Konzernrecht 5. Zulässigkeit von Ausforschungsfragen? 6. Schranken der aktiven Gleichbehandlung
513 516 518 519
a) Auskunftsverweigerungsrechte im R a h m e n des § 131 Abs. 4 A k t G 519 b) Auskunftsverweigerungsrechte im R a h m e n des § 53a A k t G . . . 524
7. Fazit II. Gleichbehandlungsgrundsatz und kapitalmarktrechtliche Vorgaben 1. Das insiderrechtliche Weitergabeverbot (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG)
524 525 526
a) Allgemeines 526 b) Weitergabeverbot u n d Selbstbefreiung (§ 15 Abs. 3 W p H G ) . . . 528
2. Ad-hoc-Publizitätspflicht nach befugter Weitergabe von Insiderinformationen (§ 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG) III. Einzelne Problemkreise 1. Gleichbehandlung und investor relations
530 532 532
a) A n a l y s t e n k o n f e r e n z e n 533 b) Selektive I n f o r m a t i o n wesentlich beteiligter Gesellschafter . . . 534 aa) Vorausinformation wesentlich beteiligter Gesellschafter bei zustimmungspflichtigen M a ß n a h m e n 535 bb) Generelle Sonderbehandlung wesentlich beteiligter Gesellschafter? 536 cc) Weitere Fallgruppen 538
2. Gleichbehandlung und due diligence a) A u s g a n g s p u n k t u n d Uberblick über den Meinungsstand b) Kapitalmarktrechtliche Gleichbehandlung c) Aktienrechtliche Gleichbehandlung aa) Betroffenheit in der Eigenschaft als A k t i o n ä r bb) Sachliche Rechtfertigung d) Sonderproblem: Bietergleichbehandlung im U b e r n a h m e r e c h t .
IV. Rechtsfolgen von Verstößen
539 539 542 546 546 547 549
552
XXIII 6. Kapitel
Schluss § 23 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse I. Plädoyer für eine stärkere Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes II. Wesentliche Einzelergebnisse in Thesen
557 557 560
1. Grundlagen des Gleichbehandlungsgrundsatzes 560 2. Reichweite und Inhalt des Gleichbehandlungsgrundsatzes . 562 3. Rechtsfolgen und prozessuale Geltendmachung von Gleichbehandlungsverstößen 565 4. Anwendung und Konkretisierung der erarbeiteten Grundsätze in ausgewählten Fallgruppen 568 Literaturverzeichnis
571
Sachregister
619
§ 1 Einleitung I. Einführung und Ziel der Untersuchung Der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt, dass jedes Mitglied einer Gesellschaft unter gleichen Voraussetzungen ebenso behandelt werden muss wie die übrigen Mitglieder. Der Grundsatz schützt auf diese Weise die Gesellschafter vor einer willkürlichen, d.h. sachlich nicht gerechtfertigten Ubervorteilung durch die Gesellschaft und ihre Organe. Schon ab dem ausklingenden 19. Jahrhundert hat ihn das Reichsgericht rechtsformübergreifend anerkannt 1 und alsbald sogar als „beherrschenden" und „obersten Grundsatz" bezeichnet 2 , obwohl er zunächst nicht kodifiziert war. Spätestens seit dieser Zeit zählt der Gleichbehandlungsgrundsatz zum gesicherten Bestand des Gesellschaftsrechts im Allgemeinen und des Kapitalgesellschaftsrechts im Besonderen. Die Zweite Gesellschaftsrechtliche Richtlinie (KapitalRL) aus dem Jahr 1976 und die Börsenzulassungs-RL aus dem Jahr 1979 haben ihm im Bereich des Aktienrechts sogar zu gemeinschaftsrechtlichem Rang verholfen 3 . Die Umsetzung der Kapital-RL nahm der deutsche Gesetzgeber zum Anlass, die Geltung des Grundsatzes in § 53a AktG ausdrücklich klarzustellen 4 ; die neue Vorschrift trat am 1.7.1979 in Kraft 5 . Eine ähnliche gesetzliche Regelung erfolgte für börsennotierte Gesellschaften wenig später in Umsetzung der Börsenzulassungs-RL in § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG (= § 44 Abs. 1 Nr. 1 BörsG a.F.) 6 . Auch wenn die Kodifizierung hierauf beschränkt blieb, ist der Grundsatz auch bei den übrigen Rechtsformen im Wege richter1 Beginnend mit RGZ 38, 14 (16) (Genossenschaft); RGZ 41, 97 (99) (AG); RGZ 49, 195 (198) (VVaG); RGZ 68,210 (213) (GmbH). 2 RGZ 52,287 (293f.) (AG). 3 Art. 42 der Richtlinie 77/91 EWG (Kapital-RL) vom 13.12.1976, ABl. L 26 vom31.1.1977, S. 1; Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Schema C, Ziff. 2 a) der Richtlinie 79/279 EWG (BörsenzulassungsRL) vom 5.3.1979, ABl. L 66 vom 16.3.1979, S.21. Die Börsenzulassungs-RL ist zwischenzeitlich durch die Börsenrechts-RL des Jahres 2001 und die Transparenz-RL des Jahres 2004 ersetzt worden; näher dazu unten §2 II 3. Vgl. auf internationaler Ebene auch Art. III A der OECD Principles of Corporate Governance; dazu U. H. Schneider, AG 2004,429 (433). 4 Vgl. Art. 1 Nr. 10 Zweites Gesellschaftsrechtliches Koordinierungsgesetz (2. KoordG), BGBl. 19781,1959. 5 Art. 5 2. KoordG. 6 In Umsetzung der Transparenz-RL soll § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG gestrichen und in einen neuen § 30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG überführt werden; dazu unten § 2 II 3.
2
§1
Einleitung
licher Rechtsfortbildung allseits anerkannt. Inzwischen wird man bereits von gewohnheitsrechtlicher Geltung sprechen dürfen. Obwohl der Gleichbehandlungsgrundsatz zu den „zentralen Rechtssätzen des Gesellschaftsrechts"7 gezählt wird, ist er in den letzten Jahrzehnten - von Darstellungen in Kommentaren und Lehrbüchern abgesehen - hierzulande8 kaum einmal näher untersucht worden9. Seitdem G. Hueck seine grundlegende Monographie zum Gleichbehandlungsgrundsatz im Privatrecht vorgelegt hat10, ist fast ein halbes Jahrhundert vergangen. Dass das Gesellschaftsrecht und insbesondere das Kapitalgesellschaftsrecht in dieser Zeit eine rasante Entwicklung durchschritten haben, bedarf nicht vieler Worte. Mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz folgenschwer war vor allem die Entwicklung weiterer generalklauselartiger, „beweglicher" Schranken der Verbandsgewalt11, die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz konkurrieren. Zu nennen sind hier die Lehre vom sachlichen Grund 12 sowie der „Siegeszug"13 der Treuepflicht in den letzten dreißig Jahren, insbesondere die Erstreckung der Treuepflicht auf das Verhältnis der Kapitalgesellschafter untereinander14, aber auch die stärkere Beachtung von Treubindungen der Gesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern15. Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass neben ihnen der Gleichbehandlungsgrundsatz vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Die vorliegende Untersuchung will dazu beitragen, diesem Manko abzuhelfen. Sie versucht, die Rolle des Gleichbehandlungsgrundsatzes in dem veränderten Umfeld verschiedener konkurrierender Generalklauseln näher auszuloten und zu einer deutlich über das bisher erreichte So statt vieler Ulmer, in: MünchKomm. B G B , § 705 Rdn.244. Für die Schweiz s. dagegen die Habilitationsschrift von Huguenin Jacobs, Das Gleichbehandlungsprinzip im Aktienrecht (1994). 9 Eine Ausnahme bildet die Dissertation von Hütte, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im deutschen und franzosischen Recht der Personengesellschaften (2003). Zur Gleichbehandlung speziell in Übernahmesituationen - allerdings inzwischen durch das WpUG zumindest in Teilen überholt - s. auch Reul, Die Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre bei privaten Kontrolltransaktionen (1991). 10 G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht (1958). S. auch die fast zeitgleich erschienene Dissertation von Grüter, Gleichbehandlung im Gesellschaftsrecht (1959). 11 Zur Einteilung in „starre" Schranken, die tatbestandlich klar fixiert sind, und „bewegliche" Schranken, die generalklauselartig gefasst sind und eine Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls ermöglichen, grundlegend Zöllner, Schranken, S. 97 ff. 12 Grundlegend B G H Z 71, 40 (44ff.). 13 Immenga, FS 100 Jahre GmbHG, S. 189 (189). 14 B G H Z 65,15 (18 f.) (GmbH); B G H Z 103,184 (194f.) (AG). 15 B G H ZIP 1991, 1584 (1585) (GmbH); B G H Z 127, 107 (111) (AG). Dass zwischen den Gesellschaftern und ihrer Gesellschaft Treuepflichten bestehen, war auch für die Kapitalgesellschaften schon lange anerkannt. Früher stand aber ausschließlich die Treuepflicht der Gesellschafter gegenüber ihrer Gesellschaft im Vordergrund, während nunmehr auch die Treuepflicht in der umgekehrten Richtung Beachtung findet. 7 8
§ 1 Einleitung
3
Maß hinausgehenden Konkretisierung seines Normzwecks, seiner Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen zu gelangen.
II. Terminologie Häufig wird übersehen, dass mit dem Begriff „Gleichbehandlungsgrundsatz" oder (synonym) „Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung"16 im Gesellschaftsrecht je nach Sachzusammenhang ganz Unterschiedliches gemeint sein kann. Deshalb sind vorab einige Bemerkungen zur Terminologie unumgänglich. 1. Der Gleichbehandlungsgrundsatz
als Schranke der
Verbandsmacht
In seiner gebräuchlichsten Wortbedeutung enthält der Gleichbehandlungsgrundsatz eine Schranke der Handlungsbefugnisse der Gesellschaft oder - verbandsrechtlich gesprochen - des Verbands; man mag dies als Schranke der „Verbandsmacht"17 oder Schranke der „Verbandsautonomie"18 bezeichnen. Damit ist nichts anderes gemeint, als dass der Verband, handelnd durch seine Organe, keine Maßnahmen treffen oder Beschlüsse fassen darf, die einzelne Mitglieder gegen ihren Willen und ohne sachliche Rechtfertigung benachteiligen und andere bevorzugen. Die Mitglieder, die mit der betreffenden Maßnahme nicht einverstanden sind, werden auf diese Weise vor willkürlichen Ubervorteilungen geschützt. Die Frage nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz als Schranke der Verbandsmacht stellt sich nur, sofern dem Verband überhaupt Verbandsmacht zusteht, d.h. der Verband in der Lage ist, auch gegen den Willen einzelner Mitglieder verbindliche Entscheidungen mit Wirkung für und gegen alle Mitglieder zu treffen. Auszuklammern sind daher Entscheidungen des Verbands, die dem Einstimmigkeitsprinzip unterliegen und damit der Zustimmung aller Mitglieder bedürfen. Entscheidungen gegen den Willen eines Mitglieds sind in diesem Fall per se rechtswidrig, ohne dass es auf eine mögliche Ungleichbehandlung ankommt. Die Frage nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz als Schranke der Verbandsautonomie stellt sich somit von vornherein nur bei Mehrheitsentscheidungen der Mitgliederversammlung sowie bei Maßnahmen der Verwal16
Fn.2.
Zur Austauschbarkeit der Begriffe schon G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 174
17 So etwa Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 185. Andere sprechen von einer Schranke der „Verbandsgewalt", z.B. Grüter, Gleichbehandlung, S. 5 ff., 16 ff. 18 So H. Winter, in: Scholz, GmbHG, §14 Rdn.41; ähnlich Cohn, AcP 130 (1932), 129 (135) („Beschränkung der Autonomie der Vereinigung"); Ulmer, in: MünchKomm. B G B , § 705 Rdn. 136 f. („Grenze der Gesellschaftsautonomie").
§1
4
Einleitung
tungsorgane (Geschäftsführung/Vorstand, Aufsichtsrat), denen die benachteiligten Mitglieder nicht zugestimmt haben. Im ersten Fall (Mehrheitsentscheidungen der Mitgliederversammlung) bildet der Gleichbehandlungsgrundsatz ein Instrument des Minderheitenschutzes. Im zweiten Fall (Handeln der Verwaltungsorgane) steht ebenfalls der Minderheitenschutz im Mittelpunkt. Da der Grundsatz aber auch in dem - freilich seltenen - Fall eingreift, dass ein Mehrheitsgesellschafter durch die Verwaltung gegen seinen Willen benachteiligt wird, geht es nicht ausschließlich um Minderheitenschutz, sondern darüber hinaus generell um den Schutz der Mitglieder vor diskriminierender Behandlung durch den Verband19. Wenn vom gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz die Rede ist, wird zumeist ohne weitere Diskussion das vorbeschriebene Verständnis des Grundsatzes als Schranke der Verbandsmacht zugrunde gelegt20. Auch die vorliegende Untersuchung geht von diesem Verständnis aus; sie beschränkt sich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz in dem soeben skizzierten Sinn. Mit demselben Begriff werden indes mitunter noch weitere Wortbedeutungen verbunden, die es von der Gleichbehandlung als Schranke der Verbandsmacht sorgfältig zu unterscheiden gilt. 2. Weitere
mögliche
Bedeutungen
a) Der Gleichbehandlungsgrundsatz der Verbandsmitgliederf
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
als Schranke der
Privatautonomie
Bisweilen wird der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur als Schranke der Verbandsautonomie, sondern zugleich als „Einschränkung gesellschaftsvertraglicher Privatautonomie" angesehen21. Danach soll der Gleichbehandlungsgrundsatz in gewissem Umfang auch zur Uberprüfung von ungleichmäßigen Satzungsbestimmungen herangezogen werden können, denen sich alle Mitglieder - sei es durch einvernehmliche Vereinbarung anlässlich der Gründung, sei es durch späteren Beitritt - freiwillig unterworfen haben. So verbiete es der Gleichbehandlungsgrundsatz, die Rechtsposition einzelner Mitglieder (auch 19 Vgl. Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn.7; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 26. 20 Insbesondere die Rechtsprechung geht, soweit ersichtlich, ausnahmslos von diesem Verständnis aus. Die Entscheidung BGHZ 116, 359 (373) enthält nur scheinbar eine Ausnahme; s. unten Fn. 24. Aus der Literatur vgl. statt vieler Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 4; H ü f f e r , AktG, § 53a Rdn. 4; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm., § 53a Rdn. 5, 25; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §16 II 4 b aa (S.462f.). Zur abweichenden Terminologie in Teilen des Schrifttums unten Ziff. 2. 21 Habermeier, in: Staudinger, BGB, §705 Rdn. 53; ferner etwa Mayen, in: Ebenroth/ Boujong/Joost, HGB, §109 Rdn. 27; Weick, in: Staudinger, BGB, §35 Rdn. 14, 16. Vgl. auch die Diskussion bei Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 35 ff.
§1
Einleitung
5
mit deren Z u s t i m m u n g ) in der S a t z u n g so nachteilig auszugestalten, dass deren M i t g l i e d s c h a f t i m K e r n b e r e i c h b e t r o f f e n sei 2 2 . B i s w e i l e n ist sogar z u lesen, dass der G l e i c h b e h a n d l u n g s g r u n d s a t z jede u n g l e i c h m ä ß i g e R e g e l u n g in der S a t z u n g verbiete, die nicht sachlich gerechtfertigt sei 2 3 . R e c h t s p r e c h u n g u n d h . L . h a b e n den B e g r i f f G l e i c h b e h a n d l u n g s g r u n d s a t z j e d o c h bislang nicht in diesem S i n n e v e r w e n d e t 2 4 , u n d dabei sollte es auch bleib e n 2 5 . I m Z u s a m m e n h a n g mit allseits k o n s e n t i e r t e n S a t z u n g s b e s t i m m u n g e n von der G e l t u n g eines G l e i c h b e h a n d l u n g s g r u n d s a t z e s z u sprechen ist z u m i n dest m i s s v e r s t ä n d l i c h , ja sogar i r r e f ü h r e n d . E i n e n „ G r u n d s a t z " des I n h a l t s , dass die M i t g l i e d e r ungleiche R e c h t e u n d P f l i c h t e n in der S a t z u n g n u r vereinbaren dürfen, w e n n d a f ü r eine sachliche R e c h t f e r t i g u n g besteht, gibt es n ä m l i c h nicht; er w ä r e m i t d e m G r u n d s a t z der Vertragsfreiheit u n v e r e i n b a r 2 6 . I m G e genteil steht es den M i t g l i e d e r n g r u n d s ä t z l i c h frei, e i n v e r n e h m l i c h auch u n gleichmäßige R e c h t e u n d P f l i c h t e n in der S a t z u n g v o r z u s e h e n . S o ist es den G r ü n d e r n u n b e n o m m e n zu vereinbaren, dass m a n c h e G e s e l l s c h a f t e r B a r e i n l a gen, andere aber Sacheinlagen e r b r i n g e n m ü s s e n , dass die D i v i d e n d e n v e r t e i l u n g nicht p r o p o r t i o n a l z u r B e t e i l i g u n g s q u o t e erfolgen soll, dass b e s t i m m t e A n t e i l e s t i m m r e c h t s l o s sind usw. A l l dies k a n n durchaus w i l l k ü r l i c h erfolgen; ein Habermeier, in: Staudinger, B G B , § 705 Rdn. 53. Vgl. Mayen, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 109 Rdn. 27 („Die Gewährung unterschiedlicher Rechte im Gesellschaftsvertrag muss sachlich berechtigt sein ..."); ferner Weick, in: Staudinger, B G B , §35 Rdn. 14, 16 (unter Verweis auf KG N J W 1962, 1917; diese Entscheidung betraf jedoch keine anlässlich der Gründung vereinbarte Satzungsbestimmung, sondern eine nachträglich gegen den Willen einzelner Mitglieder beschlossene Satzungsänderung). 24 Missverständlich allerdings B G H Z 116, 359 (373): „die Gewährung unterschiedlicher Rechte im Gesellschaftsvertrag ... muss sachlich berechtigt sein und darf nicht den Charakter von Willkür tragen". Diese Formulierung erweckt den Anschein, als wolle der B G H den Gleichbehandlungsgrundsatz generell als Prüfungsmaßstab für Satzungsbestimmungen heranziehen, auch wenn diese bei der Gründung oder durch späteren Beitritt von allen Gesellschaftern akzeptiert worden sind. In diesem Sinne wird die Entscheidung denn auch verschiedentlich aufgefasst, etwa von Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13 Rdn. 61; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 II 4 b aa (S. 463); und Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 36. Die beiden Erstgenannten kritisieren die Entscheidung deshalb unter Hinweis auf den Vorrang der Vertragsfreiheit. Der in B G H Z 116, 359 (360 f.) mitgeteilte Sachverhalt zeigt jedoch, dass die Entscheidung den Fall einer mehrheitlich beschlossenen nachträglichen Satzungsänderung betraf, der die Kläger nicht zugestimmt hatten. Es ging also um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in seiner herkömmlichen Bedeutung als Schranke der Verbandsmacht und nicht um die Beschränkung der Privatautonomie der Verbandsmitglieder bei Abschluss des Gesellschaftsvertrags. 2 5 Insbesondere zwingt auch das Gemeinschaftsrecht nicht zu einem anderen Begriffsverständnis; s. dazu unten § 6 II 2 b aa. 2 6 Sehr deutlich dazu schon G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 252 f.; L. Raiser, Z H R 111 (1948), 75 (92f.); Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S.74; ferner etwa K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 II 4 b aa (S. 463); G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 14 Rdn. 14; Meyer-Landrut, in: Meyer-Landrut/Miller/Niehus, GmbHG, § 14 Rdn. 19; Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 121. 22
23
§ 1 Einleitung
6
Zwang zur sachlichen R e c h t f e r t i g u n g besteht im R a h m e n der Privatautonomie auch sonst nicht. Freilich ist die Privatautonomie nicht grenzenlos, und es k a n n deshalb nicht jede erdenkliche ungleichmäßige Regelung in die Satzung aufgenommen w e r den 2 7 . S o k ö n n e n zwingende V o r s c h r i f t e n des Gesellschaftsrechts einer ungleichen Regelung entgegenstehen, was vor allem im A k t i e n r e c h t wegen der dort zu beachtenden Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 A k t G ) relevant w i r d 2 8 . D a n e b e n sind die allgemeinen S c h r a n k e n der Privatautonomie zu beachten. Zu denken ist insbesondere an das G e b o t der guten Sitten (§ 138 B G B ) , das in äußersten Fällen, namentlich bei E i n g r i f f e n in den K e r n b e r e i c h mitgliedschaftlicher R e c h t e , z u r Nichtigkeit allzu einseitiger Satzungsbestimmungen f ü h r e n k a n n 2 9 . N i m m t die Ungleichheit in der Verteilung von R e c h t e n und Pflichten solche A u s m a ß e an, dass sogar nicht m e h r von einer gemeinsamen Zweckverfolgung der G e s e l l schafter die R e d e sein k a n n , fehlt es darüber hinaus schon an einem nach § 705 B G B erforderlichen W e s e n s m e r k m a l der Gesellschaft; eine solche „Gesellschaft" wäre nicht eintragungsfähig 3 0 . Bestehen mithin gewisse äußerste G r e n z e n für eine ungleichmäßige Verteilung von Rechten und Pflichten in der Satzung, so rechtfertigt dies jedoch nicht, in B e z u g auf einvernehmlich vereinbarte oder durch späteren Beitritt akzeptierte Satzungsbestimmungen von der Geltung eines Gleichbehandlungsgrundsatzes zu sprechen. D e r Grundsatz besteht umgekehrt nach wie vor darin, dass ungleiche Regelungen zulässig sind; nur in den genannten Ausnahmefällen gilt anderes. Greift eine solche Ausnahme ein, ist die Satzungsbestimmung nicht wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes angreifbar, sondern wegen Verstoßes gegen die einschlägige zwingende Vorschrift des Gesellschaftsrechts, wegen Verstoßes gegen die guten Sitten usw. Von einem Gleichbehandlungsgrundsatz, der die Mitglieder in der einvernehmlichen privatautonomen Gestaltung von Satzungsbestimmungen einschränken würde, kann somit keine Rede sein.
27 Monographisch zuletzt Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken (2004). 28 Man denke etwa an das Verbot von Mehrstimmrechten (§ 12 Abs. 2 AktG) oder die Beschränkung der Zulässigkeit von Höchststimmrechten auf die nicht-börsennotierte AG (§ 134 Abs. 1 Satz 2 AktG). 29 Vgl. dazu Ulmer, in. MünchKomm. BGB, §705 Rdn.134; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §5 III l b (S.llOf.) m.w.Nachw. Unzulässig wäre insbesondere auch eine pauschale Abbedingung des Gleichbehandlungsgrundsatzes selbst; dazu näher unten § 14 II. 30 Insoweit ist allerdings Zurückhaltung geboten. Wie die Diskussion um die societas leonina gezeigt hat, muss selbst der vollständige Ausschluss einzelner Mitglieder von der Erfolgsbeteiligung für sich genommen noch nicht bedeuten, dass kein gemeinsamer Zweck vorliegt; vgl. statt vieler Ulmer, in: MünchKomm. B G B , § 705 Rdn. 149 ff.; Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 63 f. m.w.Nachw.
5 1 Einleitung
b) Der Gleichbehandlungsgrundsatz
als Ordnungs-
7
und
Auslegungsprinzip
Die grundlegende Arbeit von G. Hueck unterscheidet von der eingangs erwähnten Funktion einer Schranke der Verbandsmacht noch eine weitere Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes: die Gleichbehandlung als „Ordnungs- und Auslegungsprinzip" 31 . Ausgangspunkt ist der Befund, dass der Gesetzgeber die Rechtsstellung der Gesellschafter in einer Reihe von (zumeist dispositiven) Einzelvorschriften nach dem Grundgedanken der Gleichheit ausgestaltet hat. Die Gleichheit ist dabei meist eine relative, d.h. auf den Umfang der Kapitalbeteiligung bezogen. Beispiele aus dem Kapitalgesellschaftsrecht bilden die Vorschriften über die Gewinnverteilung (§ 29 Abs. 3 GmbHG, § 60 Abs. 1 AktG), das Stimmrecht (§47 Abs. 2 GmbHG, §§ 12, 134 Abs. 1 AktG), das Bezugsrecht (§ 186 Abs. 1 AktG), die Zuteilung von Anteilen aus einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§ 57j GmbHG, § 212 AktG) und die Vermögensverteilung im Rahmen der Liquidation (§ 72 GmbHG, § 271 Abs. 2 AktG). Dagegen ist für die sog. Hilfsrechte absolute Gleichheit nach Köpfen vorgesehen, so für das Recht zur Teilnahme an der Anteilseignerversammlung, das Informationsrecht (§ 51a GmbHG, § 131 AktG) und das Recht, Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage zu erheben (§ 245 AktG). Aus der Vielzahl dieser vom Grundgedanken der Gleichheit getragenen Vorschriften entnimmt Hueck, dass es sich um ein allgemeines gesetzgeberisches Ordnungsprinzip handelt. Da die einschlägigen Vorschriften überwiegend disponibel sind, entfalte das Ordnungsprinzip allerdings regelmäßig nur Wirkungen, wenn keine Anzeichen für einen abweichenden Willen der Gesellschafter vorlägen. Immerhin bleibe der Gedanke der Gleichbehandlung aber auch in diesen Fällen insoweit von Bedeutung, als unklare oder unvollständige Satzungsbestimmungen i.S.der Gleichheit auszulegen seien. Insoweit lasse sich von einem Auslegungsprinzip der Gleichbehandlung sprechen 32 . Dass Hueck auch das so verstandene Ordnungs- und Auslegungsprinzip mit dem Etikett Gleichbehandlungsgrundsatz versieht, darf nicht darüber hinwegtäuschen - und darauf weist auch Hueck deutlich hin - , dass es sich dabei um etwas (ganz) anderes handelt als bei der zumeist betonten Funktion der Gleichbehandlung als Schranke der Verbandsmacht 33 . Bei letzterer geht es um die Frage, inwieweit der Verband nachträglich (also nach Gründung des Verbands bzw. nach Beitritt des betroffenen Mitglieds) Maßnahmen ergreifen kann, die sich ungleich auf die Mitglieder auswirken und damit das zuvor bestehende 31 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 278 ff.; zustimmend Habermeier, in: Staudinger, BGB, §705 Rdn.54; Ulmer, in: MünchKomm. BGB, §705 Rdn.248; ders., in: Großkomm. HGB, § 105 Rdn. 257; H. P. Westermann, in: Erman, BGB, § 705 Rdn. 37. 32 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.278; auch insoweit zustimmend die in Fn.31 Genannten. 33 Letztere bezeichnet G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 287ff., als „Gleichbehandlung bei innergemeinschaftlichen Maßnahmen".
8
§ 1
Einleitung
Kräfteverhältnis zwischen den Mitgliedern in der einen oder anderen Richtung verschieben. Bei der Gleichbehandlung i.S. eines Ordnungs- und Auslegungsprinzips geht es dagegen um die vorgelagerte Frage, welche Rechte den einzelnen Mitgliedern nach Gesetz und Satzung a priori (d.h. vorbehaltlich späterer Eingriffe durch den Verband) zustehen. Das Verhältnis beider Seiten der Gleichbehandlung lässt sich am besten in einem Stufenverhältnis beschreiben: Das Ordnungs- und Auslegungsprinzip der Gleichbehandlung hilft auf einer ersten Stufe dabei, den Verteilungsmaßstab zwischen den Gesellschaftern zu ermitteln. Beim Fehlen einer abweichenden Vereinbarung führt es im Zweifel zu einer gleichmäßigen, also bei den Hauptrechten nach der Beteiligungsquote und bei den Hilfsrechten nach Köpfen bemessenen Verteilung. Die Gleichbehandlung als Schranke der Verbandsmacht verpflichtet anschließend auf einer zweiten Stufe die Verbandsorgane dazu, von diesem Verteilungsmaßstab (Gleichbehandlungsmaßstab) nicht einseitig zulasten einzelner Gesellschafter abzuweichen, sofern sich hierfür nicht hinreichende sachliche Gründe finden lassen oder die benachteiligten Gesellschafter zustimmen. Anwendungsschwierigkeiten bereitet in aller Regel erst diese zweite Stufe. Dass Ordnungs- und Auslegungsprinzip einerseits und Schranke der Verbandsmacht andererseits unterschiedliche Ebenen betreffen, ist seit Einführung des § 53a A k t G noch augenfälliger geworden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz als Schranke der Verbandsmacht lässt sich auf die Rechtsgrundlage des §53a A k t G stützen. Das Ordnungs- und Auslegungsprinzip folgt dagegen nicht oder jedenfalls nicht in erster Linie aus § 53a AktG, sondern ergibt sich aus den genannten Einzelvorschriften, die die Rechtsstellung der Gesellschafter i.S. der Gleichheit näher ausgestalten 34 . In der Rechtsprechung hat die Terminologie von Hueck, auch das Ordnungsund Auslegungsprinzip als Gleichbehandlungsgrundsatz zu bezeichnen, keinen Zuspruch gefunden. Die Gerichte haben den Begriff vielmehr - soweit ersichtlich - ausschließlich i.S. einer Schranke der Verbandsmacht verwendet. Im Interesse terminologischer Klarheit ist das zu begrüßen. Die von Hueck unterschiedenen Seiten der Gleichbehandlung betreffen, wie dargelegt, verschiedene Ebenen. Dem sollte man auch sprachlich Rechnung tragen und mit dem Begriff Gleichbehandlungsgrundsatz wie die Rechtsprechung nur die Schranke der 34 Ein Beispiel mag das Gesagte verdeutlichen: Wenn die Hauptversammlung einer AG eine Kapitalerhöhung um 1.000 Aktien beschließt, hat der mit 10 % des Grundkapitals beteiligte Aktionär X ein Bezugsrecht auf 100 der jungen Aktien. Dieses Ergebnis ergibt sich unmittelbar aus § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG und ist in der Terminologie von Hueck Ausdruck des Ordnungsprinzips der Gleichbehandlung (Bezugsrecht für alle gleich, jeweils relativ zur Beteiligungsquote). Einer Anwendung des § 53a AktG bedarf es hierfür nicht. Auf diese Vorschrift und den in ihr kodifizierten Gleichbehandlungsgrundsatz i.S. einer Schranke der Verbandsmacht kommt es erst an, wenn die Hauptversammlung der AG mit qualifizierter Mehrheit (§186 Abs. 3 AktG) beschließen würde, einzelne Aktionäre vom Bezugsrecht auszuschließen.
§1
9
Einleitung
Verbandsmacht bezeichnen. Ohnehin ist die Bezeichnung für das Ordnungsund Auslegungsprinzip nicht recht passend; denn es geht auf dieser Ebene nicht um die Abwehr einer „Behandlung" durch den Verband, sondern schlicht um die Ermittlung des Verteilungsmaßstabs anhand des Gesetzes und der Satzung. Schon Cohn hat deshalb vorgeschlagen, insoweit nicht von einem Grundsatz der Gleichbehandlung, sondern von einem Prinzip der Gleichberechtigung der Gesellschafter zu sprechen 35 .
III. Themenbegrenzung 1. Abgrenzung zu kapitalmarktrechtlichen
Gleichbehandlungsgeboten
Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Weitgehend ausgeblendet bleiben daher die diversen kapitalmarktrechtlichen Gleichbehandlungsgebote 36 , die sich insbesondere im WpUG und im WpHG finden und vom gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz streng zu unterscheiden sind. Auf sie wird nur punktuell dort einzugehen sein, wo sich Berührungspunkte und Überschneidungen mit Fragen des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ergeben 37 . Was zunächst die Gleichbehandlungsgebote des WpUG, namentlich § 3 Abs. 1 WpUG und seine verschiedenen Sonderausprägungen (insbes. §§ 19, 31, 32 WpUG), anbetrifft, so dienen diese zwar auch dem Schutz der Aktionäre und berühren sich in diesem Schutzanliegen mit dem gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Verbesserung der rechtlichen Stellung gerade von Minderheitsaktionären bei Unternehmensübernahmen gehört sogar zu den erklärten Hauptzielen des WpUG 38 . Gleichwohl bestehen fundamentale Unterschiede zwischen dem gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und den kapitalmarktrechtlichen Gleichbehandlungsgeboten des WpUG. Letzteren geht es nicht darum, eine Schranke der Verbandsmacht zu errichten. Adressat der Gleichbehandlungsgebote des WpUG ist nicht die Gesellschaft, sondern ausschließlich der Bieter 39 . Geschützt werden anders als beim gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur die Gesellschafter, Cohn, AcP 130 (1932), 129 (133). Zu ihnen zuletzt Bachmann, ZHR 170 (2006), 144 ff. 37 S.unten §8 II 4 a, §21 II 2, §22 II, III. 38 Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 28 re. Sp. 39 So die wohl h.M., vgl. Baums/Hecker, in: Baums/Thoma, WpUG, §3 Rdn. 5; A Möller, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, §3 Rdn. 8; Versteegen, in: Kölner Komm. WpUG, §3 Rdn. 16; wohl auch Hopt, ZHR 166 (2002), 383 (399); in der Tendenz xachNoack, in: Schwark, KMRK, § 3 WpÜG Rdn. 4 f.; Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 3 Rdn. 3 („in erster Linie" der Bieter); abweichend aber Schwennicke, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, §3 Rdn. 11 ff.; Wackerbarth, in: MünchKomm. AktG, § 3 WpÜG Rdn. 5. 35
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Einleitung
sondern auch sonstige Wertpapierinhaber wie z.B. Inhaber von Wandelschuldverschreibungen oder zum Bezug von Aktien berechtigenden Optionsscheinen (§ 2 Abs. 2 AktG). Ferner wird § 3 Abs. 1 WpÜG im Unterschied zum gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz häufig als striktes Gebot in dem Sinne verstanden, dass selbst aus sachlichen Gründen nicht zwischen den Aktionären differenziert werden darf 4 0 . Eine weitere Abweichung besteht schließlich darin, dass das allgemeine übernahmerechtliche Gleichbehandlungsgebot nur innerhalb derselben Wertpapiergattung gilt (§ 3 Abs. 1 WpÜG, vgl. auch § 3 Satz 3 WpÜG-AngVO), während der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz mit gewissen Einschränkungen auch gattungsübergreifend zu beachten ist 41 . Erhebliche Unterschiede zeigen sich auch im Vergleich mit den Gleichbehandlungsgeboten des WpHG. Zu denken ist dabei in erster Linie an die Vorschriften über die Geheimhaltung von Insiderinformationen sowie die ad-hocPublizität (§§ 12 ff. WpHG), mit denen die informationelle Gleichbehandlung der Anleger angestrebt wird. Während der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz an die Sonderverbindung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter anknüpft, begründen die genannten kapitalmarktrechtlichen Vorschriften Verhaltenspflichten weit über diese Beziehung hinaus: So zählen zum verpflichteten Personenkreis nicht nur Gesellschaftsorgane, sondern auch weitere Insider (vgl. § 14 Abs. 1 WpHG). Ferner zielen die §§ 12 ff. W p H G auf die informationelle Gleichbehandlung nicht nur der gegenwärtigen Aktionäre, sondern aller Marktteilnehmer und damit auf die Funktionsfähigkeit und Integrität des organisierten Kapitalmarkts insgesamt 42 .
2. Beschränkung auf das Kapitalgesellschaftsrecht Innerhalb des Gesellschaftsrechts beschränkt sich die Untersuchung auf das Äi^z'ta/gesellschaftsrecht. Hier ist der Gleichbehandlungsgrundsatz als Schranke der Verbandsmacht in der Rechtsprechung wesentlich mehr in Erscheinung getreten als im Personengesellschaftsrecht. Nach dem eingangs Gesagten ist dies nicht sonderlich überraschend: Wie dargelegt wird der Gleichbehandlungsgrundsatz als Schranke der Verbandsmacht dort relevant, wo Mehrheitsentscheidungen der Mitgliederversammlung oder Entscheidungen der Verwaltungsorgane getroffen werden, denen die benachteiligten 4 0 Vgl. Baums/Hecker, in: Baums/Thoma, WpÜG, §3 Rdn. 11; Paefgen, ZIP 2002, 1509 (1517); Steinmeyer/Häger, WpÜG, §3 Rdn. 7; Wersteegen, in: Kölner Komm. WpÜG, §3 Rdn. 14; anders aber (Ungleichbehandlung bei sachlicher Rechtfertigung zulässig) Noack, in: Schwark, K M R K , § 3 WpÜG Rdn. 7; Schuppen, in: Frankfurter Komm. WpÜG, § 3 Rdn. 6. 41 Näher unten §9 II 1. 42 Vgl. statt vieler Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 14 Rdn. 6 ff.; Schwark, in: Schwark, K M R K , vor § 12 WpHG Rdn. 8.
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Einleitung
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Mitglieder nicht zugestimmt haben. Diese Konstellation liegt im Kapitalgesellschaftsrecht wegen des dort (fast) ausnahmslos geltenden Mehrheitsprinzips und der Zulässigkeit der Fremdorganschaft deutlich häufiger vor als im Personengesellschaftsrecht. Hinzu kommt, dass die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, vor deren Hintergrund der Gleichbehandlungsgrundsatz im Folgenden betrachtet werden soll, ausschließlich das Kapitalgesellschaftsrecht (genauer: das Aktienrecht) betreffen. Dies mag es rechtfertigen, die Untersuchung auf die Kapitalgesellschaften zu konzentrieren. Unbeschadet dessen werden sich viele der im Verlauf der Untersuchung gefundenen Ergebnisse auf die Personengesellschaften sinngemäß übertragen lassen. Dies gilt namentlich für die Aussagen zur teleologischen Begründung und systematischen Einordnung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§§ 4-5) sowie die Ausführungen zum Anwendungsbereich, zum Tatbestand der Ungleichbehandlung, zur sachlichen Rechtfertigung und zum Gleichbehandlungsverzicht (§§ 8-12, 14). Dagegen ergeben sich bei den Rechtsfolgen und der prozessualen Geltendmachung von Gleichbehandlungsverstößen (§§ 16-19) teilweise erhebliche Unterschiede zu den hier behandelten Kapitalgesellschaften. Diese resultieren insbesondere daraus, dass die §§ 241 ff. AktG im Personengesellschaftsrecht nach h.M. nicht entsprechend anzuwenden sind 43 , dass durch Gleichbehandlungsverstöße ausgelöste Ansprüche der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft nicht unter dem Vorbehalt der Kapitalerhaltungsregeln stehen, und dass die Haftung der Gesellschafter und Gesellschafter-Geschäftsführer gegenüber ihren Mitgesellschaftern anderen Regeln folgt als im Kapitalgesellschaftsrecht (Anwendung des §708 BGB; Bestehen rechtsgeschäftlicher Bindungen zwischen Organwaltern und Gesellschaftern wegen des Grundsatzes der Selbstorganschaft).
IV. Gang der Untersuchung Der Gleichbehandlungsgrundsatz und seine Stellung im System der Schranken der Verbandsgewalt sind historisch gewachsen und nur aus dem geschichtlichen Kontext heraus verständlich. Im ersten Kapitel ist daher zunächst die historische Entwicklung in groben Zügen nachzuzeichnen und eine kritische Bestandsaufnahme des bisher erreichten Entwicklungsstands zu leisten. Im Anschluss daran sollen im zweiten Kapitel die bisher in verschiedener Hinsicht nur unzureichend geklärten teleologischen, systematischen und gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen und Vorgaben des Gleichbehandlungsgrundsatzes her43 Vgl. etwa BGH N J W - R R 1990, 474 (475); N J W 1999, 3113 (3114); Goette, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 119 Rdn. 68 ff.; Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 119 Rdn. 31; a.A. namentlich K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 15 II 3 (S. 447ff.), § 47 V 2 c (S. 1396 f.), § 56 IV 2 a (S. 1648); ausführlich dazu Noack, Beschlüsse, S. 169 ff.
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§1
Einleitung
ausgearbeitet werden. Dabei werden auch die Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten mit in den Blick genommen. Auf dieser Basis gilt es, im dritten und vierten Kapitel Tatbestand und Rechtsfolgen des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Einzelnen näher auszuformen und zu konkretisieren. Die gefundenen Ergebnisse sind anschließend im fünften Kapitel auf ausgewählte Fallgruppen, in denen Gleichbehandlungsfragen in der Praxis besondere Bedeutung erlangt haben, zu übertragen und weiter zu präzisieren. Den Abschluss der Untersuchung bildet eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse.
1. Kapitel
Bestandsaufnahme
§ 2 Historische Entwicklung und gegenwärtige Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes I. D e r Gleichbehandlungsgrundsatz in der Rechtsprechung des R G 1. Anerkennung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und Vorgeschichte Die Anerkennung des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geht auf eine aktienrechtliche Entscheidung des R G aus dem Jahr 1898 zurück 1 . Die Generalversammlung und die Versammlung der Vorzugsaktionäre einer A G hatten beschlossen, auf alle Vorzugsaktien eine Nachzahlung zu erheben, die der finanziell angeschlagenen Gesellschaft darlehensweise zur Verfügung gestellt werden sollte. Vorzugsaktionäre, die zu der Nachzahlung nicht bereit waren, sollten ihre Vorzüge verlieren und überdies ihre Vorzugsaktien im Verhältnis 3:1 gegen Stammaktien im selben Nennbetrag eintauschen müssen. Das R G ließ offen, ob diese Beschlüsse nicht bereits deshalb unzulässig waren, weil sie mittelbar einen Zwang zur Nachschussleistung begründeten 2 . Für entscheidend hielt das Gericht vielmehr, dass die nicht nachschusswilligen Vorzugsaktionäre gegenüber den Stammaktionären benachteiligt wurden, indem sie nicht nur ihre Vorzüge verloren, sondern darüber hinaus auch eine Zusammenlegung ihrer Aktien im Verhältnis 3:1 hinnehmen sollten. Dies verstoße gegen den „Grundsatz gleichmäßiger Behandlung der Aktionäre" 3 . 1 R G Z 41, 97. D e r Sache nach lässt sich bereits die aus dem J a h r 1881 stammende Entscheidung R G Z 3 , 1 2 3 (136) auf den Gleichbehandlungsgrundsatz zurückführen. D o r t hob das Gericht den Beschluss der Generalversammlung einer A G u.a. deshalb auf, weil dieser „eine unzulässige Bevorzugung eines Teiles der Aktionäre vor den übrigen" zur Folge hatte. Den nahe liegenden Hinweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz unterließ das Gericht jedoch. Die ausdrückliche Anerkennung des Grundsatzes blieb somit R G Z 41, 97 vorbehalten. 2 Vgl. Art. 219 Abs. 1 A D H G B in der Fassung der Aktienrechtsnovelle 1884. Die Vorschrift entspricht dem heutigen § 5 4 Abs. 1 A k t G (Begrenzung der Einlagepflicht auf den Ausgabebetrag). 3 R G Z 41,97 (99). Die Entscheidung ist im Ergebnis nicht unbedenklich, da die benachteiligten Vorzugsaktionäre mit qualifizierter Mehrheit der Benachteiligung zugestimmt hatten,
16
1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
Der Gleichbehandlungsgrundsatz war damals im Gesellschaftsrecht nirgends als allgemeines Prinzip kodifiziert. Weder das ADHGB, später das HGB noch das GmbHG kannten - und kennen bis heute - eine entsprechende Vorschrift. Dies hinderte das RG jedoch nicht daran, das Gleichbehandlungsgebot alsbald auch im GmbH-Recht anzuerkennen 4 . Sehr bald zählte der Grundsatz bereits zum festen Bestand der reichsgerichtlichen Praxis. Schon 1902, nur vier Jahre nach der ersten Entscheidung, erhob ihn das RG zu einem das gesamte Rechtsverhältnis der Gesellschafter „beherrschenden Grundsatz" und sprach sogar vom „obersten Grundsatz der Gleichberechtigung der Aktionäre" 5 . Wenig später wurde der Anwendungsbereich des Grundsatzes neben Beschlüssen der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung auch auf Maßnahmen der Verwaltung erstreckt 6 . Was auf den ersten Blick als beherzte und kühne Neuschöpfung des RG erscheinen mag, war schon aus damaliger Sicht im Grunde eine Selbstverständlichkeit. Die Tradition eines verbandsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes lässt sich bis in das kanonische Recht zurückverfolgen 7 . Von den frühen neuzeitlichen Kodifikationen war es insbesondere das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794, das den Grundsatz klar und bestimmt zum Ausdruck brachte. Nach II 6 § 69 ALR waren Mehrheitsbeschlüsse einer „Corporation" 8 unzulässig, „wenn nicht allen, sondern nur Einem oder etlichen Mitgliedern neue Lasten oder Verbindlichkeiten aufgelegt werden" sollten 9 . Unter Berufung auf diese Vorschrift war der Gleichbehandlungsgrundsatz im 19. Jahrhundert auch über die Grenzen des preußischen Rechts hinaus als verallgemeinerungsfähiges verbandsrechtliches Prinzip anerkannt 10 , auch wenn man dies selten so dass sich die Frage eines wirksamen Verzichts auf Gleichbehandlung stellte; dazu näher unten §14 13. 4 RGZ 68, 210 (213); ferner RGZ 80, 385 (390). 5 RGZ 52, 287 (293 f.). Die Bezeichnung als „beherrschender Grundsatz" kehrte in späteren Entscheidungen wieder; vgl. etwa RGZ 113,152 (156); 119, 220(228). 6 RGZ 85, 366 (367) (gleichmäßige Einforderung ausstehender Einlagen durch den Vorstand der AG). 7 Vgl. Gottl. Bachmann, Sonderrechte, S.51; Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S.74, unter Verweis auf die Dekretale c. 6 X de const. I 2. 8 Als Corporationen galten im ALR nur gemeinnützige Vereinigungen, denen der Staat diesen Status ausdrücklich verliehen hatte (II 6 §25 ALR); näher dazu M. Emmerich, Beschlussverfahren, S.76 m.w.Nachw. Eine dem II 6 §69 vergleichbare Kodifizierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch für Handelsgesellschaften enthielt das ALR dagegen nicht. 9 Zu II 6 §69 ALR vgl. ROHG 8,180 (189 f.), sowie C.F. Koch, ALR III, S. 539, Anm. 45 a.E. Koch aaO. erweiterte den Grundsatz bereits über den Wortlaut des II 6 § 69 ALR hinaus, indem er nicht nur die ungleiche Auferlegung von Lasten, sondern auch die ungleiche Verteilung von Vorteilen als unzulässig ansah. 10 Vgl. insbesondere Laband, Annalen des Deutschen Reichs 1874, Sp. 1487 (1503 f.) m. w.Nachw.; ferner v. Gierke, Genossenschaftsrecht II, § 10, 2 (S.231); ders., Genossenschaftstheorie, S. 237,258 f.
§2 Historische
Entwicklung
und gegenwärtige
Bedeutung
17
ausführlich thematisierte. In einem viel zitierten Aufsatz aus dem Jahr 1874 vermutete Laband, dass lediglich „die natürliche Billigkeit und Selbstverständlichkeit" des Gleichbehandlungsgrundsatzes der Grund sei, warum er so selten ausdrücklich ausgesprochen werde11. Dass man die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für selbstverständlich hielt, bildete offenbar auch den entscheidenden Beweggrund für den Gesetzgeber, davon abzusehen, den Grundsatz im H G B oder im GmbHG zu kodifizieren. Nachdem die Aktienrechtsnovelle von 1884 und das GmbHG von 1892 das Mehrheitsprinzip auch für Satzungsänderungen festgeschrieben hatten 12 , hätte es an sich nahe gelegen, dem Gleichbehandlungsgrundsatz als Schranke des Mehrheitsprinzips besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Dem Gesetzgeber erschien eine ausdrückliche Regelung gleichwohl entbehrlich. In der amtlichen Begründung zu § 54 G m b H G - E (jetzt § 53 GmbHG) heißt es hierzu wörtlich: „Auch ohne eine besondere Bestimmung des Gesetzes versteht es sich ferner, daß das auf dem Gesellschaftsvertrage beruhende Rechtsverhältnis der Gesellschafter nicht ausschließlich zum Nachtheil eines Theiles derselben durch Mehrheitsbeschluß abgeändert werden kann, denn mangels einer entgegenstehenden Vorschrift des Gesellschaftsvertrages wird davon auszugehen sein, daß die Unterwerfung des Einzelnen unter den Willen der Mehrheit stets zur Voraussetzung hat, daß es sich dabei um eine Angelegenheit der Gesellschaft als solcher, d.h. der Gesammtheit aller Gesellschafter handelt (...). Man wird hier vielmehr an dem Grundsatz festhalten müssen, daß im Zweifel kein Gesellschafter sich eine Änderung des Gesellschaftsvertrages gefallen zu lassen braucht, welche eine Beeinträchtigung seiner etwaigen Sonderrechte oder eine nicht alle Mitglieder gleichmäßig treffende Schmälerung seiner allgemeinen Mitgliedschaftsrechte zum Gegenstand hat." 1 3
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass das RG nie den Versuch unternommen hat, den als selbstverständlich empfundenen Grundsatz ausführlich zu begründen. Im GmbH-Recht begnügte sich das Gericht mit einem Hinweis auf die soeben erwähnte Passage der amtlichen Begründung 14 , im Aktienrecht mit einem knappen Hinweis auf § 185 HGB 1 5 . Diese Vorschrift sah in ihrer damaligen Fassung vor, dass die Satzung für einzelne Gattungen von Aktien verschiedene Rechte festsetzen dürfe (vgl. heute § 11 AktG). Daraus fol-
11 Laband, Annalen des Deutschen Reichs 1874, Sp. 1487 (1504). Ebenso Gottl. Bachmann, Sonderrechte, S. 51; ferner M. Hirsch, Gleichberechtigung, S. 27. 12 Vgl. Art. 215 Abs. 2 A D H G B i.d.F. der Aktienrechtsnovelle 1884 sowie §53 Abs. 2 G m b H G . Die Frage war zuvor lebhaft umstritten gewesen; vgl. Wieland, Handelsrecht II, S. 191 f. m.w.Nachw. 13 Begründung zu § 54 G m b H G , Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, V I I I . Legislaturperiode, 1. Session 1890/92, Nr. 660, S.3715 (3753) (Hervorhebung vom Verf.). 14 R G Z 68, 210 (213). 15 R G Z 52, 287 (293 f.); 80, 81 (85). Die Ausgangsentscheidung R G Z 41, 97 hatte noch gar keine Begründung für die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes enthalten.
18
1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
gerte das R G offenbar im Wege des U m k e h r s c h l u s s e s , dass bei Fehlen einer solchen Festsetzung alle A k t i e n gleich zu behandeln seien.
2. Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der reichsgerichtlichen Praxis I m geltenden Kapitalgesellschaftsrecht k o n k u r r i e r t der Gleichbehandlungsgrundsatz mit einer R e i h e weiterer generalklauselartiger, d.h. „beweglicher" S c h r a n k e n der Verbandsmacht 1 6 , namentlich der L e h r e v o m sachlichen G r u n d 1 7 , den verschiedenen Ausprägungen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht s o wie dem V e r b o t der unzulässigen Verfolgung von Sondervorteilen (§ 243 A b s . 2 A k t G ) . Als das R G im J a h r 1898 den Gleichbehandlungsgrundsatz im A k t i e n recht anerkannte, w a r die Situation grundlegend anders. N e b e n der G l e i c h b e handlung war lediglich das G e b o t der guten Sitten (§§ 138, 826 B G B ) als allgemeine S c h r a n k e der Verbandsmacht anerkannt. D a n e b e n suchte das R G ein gewisses M a ß an Minderheitenschutz dadurch zu gewährleisten, dass es den B e g r i f f der unentziehbaren Sonderrechte ( § 3 5 B G B ) weit auslegte und hierunter nicht nur besondere Vorrechte einzelner Mitglieder, sondern in b e s t i m m ten Fällen auch allgemeine Mitgliedschaftsrechte subsumierte 1 8 . Auch mit dieser - im E i n z e l n e n schwankenden und überaus umstrittenen 1 9 - A u s d e h n u n g b o t e n die Sonderrechte freilich von A n f a n g an nur punktuellen Schutz 2 0 . D i e s Zu dieser von Zöllner geprägten Begrifflichkeit s. bereits oben § 1 Fn. 11. Damit sind die in B G H Z 71, 40 („Kali und Salz") zur Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss entwickelten Grundsätze der sachlichen Rechtfertigung von Mehrheitsbeschlüssen gemeint; näher unten Ziff. III 2 a. 18 Vgl. etwa RGZ 62, 56 (60) (Sonderrecht auf Liquidationsquote); RGZ 68, 210 (212) (Sonderrecht auf Veräußerlichkeit von GmbH-Anteilen); RGZ 136, 185 (190) (Sonderrecht auf Liquidation und Auskehrung der Liquidationsquote). Auch das „Recht auf Gleichbehandlung" wurde in einigen Entscheidungen als Sonderrecht bezeichnet; vgl. RGZ 49, 195 (198) (VVaG); RGZ 57, 169 (174) (e.V.); ebenso die amtliche Begründung zu §50 des österr. GmbHG von 1906, abgedruckt bei Kalss/Eckert, Zentrale Fragen, S. 581. Zur parallelen Entwicklung in Frankreich im frühen 20. Jahrhundert Zechlin, Minderheitenschutz, S. 175 ff. 19 Schon im gemeinen Recht war die Frage nach der Reichweite der „iura singulorum" viel diskutiert und umstritten; vgl. die Nachw. in ROHG 8,180 (189). Nachdem die Verfasser des BGB die umstrittene Begriffsbestimmung ausdrücklich Wissenschaft und Praxis überlassen hatten (Mot. I, 109 = Mugdan I, 410; Prot. I, 530 = Mugdan I, 623), erlebte die Diskussion im frühen 20. Jahrhundert einen neuerlichen Höhepunkt; vgl. aus der Literatur vor und nach der Jahrhundertwende etwa K. Lehmann, ArchBürgR 9 (1894), 297 ff.; Regelsherger, SeuffBl 60, 1 ff.; Gadow, Gruchot 66 (1923), 514 ff.; ferner die Dissertationen von Alexander, Sonderrechte (1892); Markowitsch, Sonderrechte (1910); A. Wolff, Sonderrechte (1913); jeweils m.w.Nachw. auf das nahezu unüberschaubare Schrifttum. Die Einzelheiten der Diskussion sind heute nur noch von historischem Interesse; Zusammenfassung bei Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 711 a (S. 358 ff.); Grüter, Gleichbehandlung, S. 25 ff.; Roitzsch, Minderheitenschutz, S. 25 ff.; Aker, Sonderrechte, S. 19 ff. 20 Vgl. Mestmäcker, Verwaltung, S. 10; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 7 11 a (S. 360), § 8 1 2 (S.409). 16 17
§ 2 Historische
Entwicklung
und gegenwärtige
Bedeutung
19
galt erst recht, nachdem das RG dazu überging, den Sonderrechtsbegriff wieder auf seine natürliche Wortbedeutung zurückzuführen und entsprechend der heute üblichen Terminologie nur noch besondere Vorrechte einzelner Mitglieder als Sonderrechte zu qualifizieren 21 . Man sollte meinen, dass dem Gleichbehandlungsgrundsatz in dieser Situation große Bedeutung für den Minderheitenschutz zukam. Eine Betrachtung der reichsgerichtlichen Praxis lehrt indes das Gegenteil. a) Beschränkung
auf formale
Ungleichbehandlungen
Trotz der wohlklingenden Proklamationen vom „obersten" und „beherrschenden Grundsatz" der Gleichbehandlung bejahte das RG nur äußerst selten eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Dies lag vor allem daran, dass das RG seiner Rechtsprechung ein sehr enges Verständnis des Grundsatzes zugrunde legte und sich auf eine Überprüfung von formalen Ungleichbehandlungen beschränkte, also von Maßnahmen, die bereits ihrer äußeren Form nach eine Differenzierung zwischen bestimmten Gesellschaftern oder Gesellschaftergruppen enthalten22. Materielle Ungleichbehandlungen blieben dagegen von Anfang an ausgeklammert. Ihren Anfang nahm diese rein formale Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der Entscheidung RGZ 68, 210, in der das RG die Änderung eines GmbH-Gesellschaftsvertrags passieren ließ, mit der gegen die Stimmen der Minderheit das Quorum für Einberufungsverlangen (§ 50 Abs. 1 GmbHG) von 10 % auf 20 % des Stammkapitals angehoben wurde. Diese Änderung war ersichtlich gegen die Minderheitsgesellschafter gerichtet, die knapp 12,5 % des Stammkapitals hielten. Gleichwohl verneinte das RG eine Ungleichbehandlung, da hierbei „von den rein zufälligen Verhältnissen der Gesellschaft und der Gesellschafter" abgesehen werden müsse. Ein Beschluss sei nur dann unzulässig, wenn er „schon seinem Inhalt nach, ohne Rücksicht auf besondere Umstände, die einzelnen ungleich treffe."23 Zu der Frage der sachlichen Rechtfertigung der Satzungsänderung drang das RG von diesem Ansatz aus nicht vor. Eine Begründung für die formale Betrachtungsweise gab das Gericht allerdings nicht, auch nicht in späteren Entscheidungen.
21 Vgl. RG WarnR 1918 Nr. 133, S.201 (202); RGZ 104, 253 (255f.); RG J W 1938, 1329 Nr. 32. Aus neuerer Zeit statt aller Hadding, in: Soergel, BGB, § 35 Rdn. 3 ff. 22 Näher zum Begriffspaar formale/materielle Ungleichbehandlung unten § 11 II. 23 RGZ 68, 210 (213). Die heute h.M. würde den Fall anders entscheiden. Sie beruft sich dabei allerdings nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz, sondern auf den zum Schutz der Minderheit (halb-) zwingenden Charakter des §50 Abs. 1 GmbHG. Das Quorum darf nur gesenkt, nicht aber erhöht werden; vgl. etwa K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 50 Rdn. 6; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 50 Rdn. 2.
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1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
In gleicher Weise entschied RGZ 80, 385 den Fall einer Satzungsänderung, durch die „allen" Gesellschaftern, die ein Konkurrenzunternehmen betrieben, die persönliche Teilnahme an den Gesellschafterversammlungen untersagt wurde. Obwohl davon nur ein Gesellschafter aktuell betroffen war, verneinte das RG auch hier das Vorliegen einer Ungleichbehandlung. Formal seien schließlich alle Gesellschafter gleichermaßen betroffen; ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz scheide daher aus 24 . In der zu einem ähnlichen Sachverhalt ergangenen Entscheidung RGZ 88, 220 wurde der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht einmal mehr erwähnt. Deutlich zum Ausdruck kam die formale Betrachtungsweise des RG auch in seinen Entscheidungen zur Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts. Die zu entscheidenden Sachverhalte, allen voran der berühmt-berüchtigte „Hibernia"-Fall 25 , betrafen regelmäßig Bezugsrechtsausschlüsse, die sich zwar formal auf alle Gesellschafter erstreckten, die aber der Sache nach die Mehrheit begünstigten, indem die jungen Aktien bzw. Geschäftsanteile - zumeist unter Hinweis auf eine (angeblich) drohende Überfremdung - Dritten zugewandt wurden, die der Mehrheit als verbundenes Unternehmen oder auf andere Weise nahe standen. Von einer einzigen Ausnahme abgesehen 26 sah das RG den Gleichbehandlungsgrundsatz in keinem dieser Fälle als berührt oder gar verletzt an 27 . Soweit Kapitalerhöhungsbeschlüsse aufgehoben wurden, geschah dies regelmäßig nicht unter Hinweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz, sondern unter Berufung auf besondere Umstände, die den jeweiligen Beschluss als sittenwidrig erscheinen ließen 28 . In den meisten dieser Entscheidungen wurde der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht einmal angesprochen. Die - soweit ersichtlich - einzige Entscheidung zum Bezugsrechtsausschluss, die einen Gleichbehandlungsverstoß bejahte, erwähnte diesen nur beiläufig; die Sittenwidrigkeit stand auch in diesem Fall ganz im Vordergrund 29 . RGZ 80, 385 (390). RGZ 68, 235 mit folgender, berühmt gewordenen Formulierung (auf S. 245 f.): ,,[D]ie in den Angelegenheiten der Gesellschaft mit der erforderlichen Stimmenzahl gefaßten Beschlüsse der Mehrheit [sind] für die Minderheit auch dann maßgebend, wenn sie dieser als verkehrt, wirtschaftlich nachteilig und die Bestrebungen der Minderheit schädigend erscheinen. Dies ist eine unabwendbare Folge des im Gesetz zur Anerkennung gelangten Grundsatzes, daß die Mehrheit des Aktienbesitzes über die Verwaltung der Gesellschaft und darüber entscheidet, was im Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre zu tun und zu lassen ist." 26 Dazu sogleich Fn. 29. 27 Vgl. RGZ 68, 235; 105, 373; 107, 67; 108, 322; 113, 188; 119, 248. In all diesen Entscheidungen wurden die Anfechtungsklagen abgewiesen. 28 Vgl. RGZ 107, 72 (75); 122,159 (165 f.); 132,149 (160 ff.). Die besonderen Umstände, die zum Verdikt der Sittenwidrigkeit führten, lagen oft darin, dass die neuen Aktien bzw. Geschäftsanteile zu einem unangemessen niedrigen Ausgabekurs ausgegeben wurden; so in RGZ 107, 72 (75); 122, 159 (165 f.). Es handelte sich also um Fälle, die man heute über §255 Abs. 2 AktG lösen würde. 29 RGZ 112, 14 (18 f.). Anklänge an den Gleichbehandlungsgrundsatz finden sich auch in 24 25
5 2 Historische Entwicklung und gegenwärtige Bedeutung
21
Spätestens die E n t s c h e i d u n g R G Z 1 2 2 , 1 5 9 stellte u n m i s s v e r s t ä n d l i c h klar, dass das R G den G l e i c h b e h a n d l u n g s g r u n d s a t z nicht als den richtigen A n k n ü p f u n g s p u n k t f ü r die K o n t r o l l e materieller U n g l e i c h b e h a n d l u n g e n ansah. O b w o h l gerade in diesem Fall die ungleiche A u s w i r k u n g m i t H ä n d e n zu greifen w a r - es handelte sich u m eine Kapitalerhöhung, bei der n u r die T o c h t e r g e sellschaft des Mehrheitsgesellschafters z u r Ü b e r n a h m e der neuen S t a m m e i n lage zugelassen w u r d e - , verneinte das G e r i c h t o h n e viel A u f h e b e n s eine U n gleichbehandlung, da die NichtZuteilung der neuen A n t e i l e an die bisherigen G e s e l l s c h a f t e r diese „ f o r m e l l " gleichmäßig treffe 3 0 . N o c h f o r m a l e r hatte zuvor R G Z 118, 67 a r g u m e n t i e r t : D a n a c h sollte sogar ein selektiver B e z u g s rechtsausschluss, der die Zuteilung der neuen A k t i e n direkt an einen b e s t i m m ten G r o ß a k t i o n ä r vorsah, nicht am G l e i c h b e h a n d l u n g s g r u n d s a t z zu messen sein. U m zu diesem E r g e b n i s zu gelangen, teilte das G e r i c h t den angegriffenen B e s c h l u s s der H a u p t v e r s a m m l u n g in zwei gedankliche S c h r i t t e auf: Z u n ä c h s t sei allen A k t i o n ä r e n das gesetzliche B e z u g s r e c h t e n t z o g e n w o r d e n ; h i e r m i t sei jegliches A n r e c h t der A k t i o n ä r e auf die neuen A k t i e n beseitigt w o r d e n . A n schließend sei es daher m ö g l i c h gewesen, die neuen A k t i e n - in den G r e n z e n der §§ 138, 8 2 6 , 2 2 6 B G B - beliebig an D r i t t e zu verteilen, also auch an einzelne A k t i o n ä r e „als D r i t t e " 3 1 . D a s vielleicht prominenteste Beispiel für das formale Gleichbehandlungsverständnis des R G ist aber wohl die Entscheidung R G L Z 1914,273 zur Kapitalherabsetzung durch Zusammenlegung von Aktien (im Verhältnis 45:1). D a der einzige Minderheitsaktionär weniger als 45 Aktien hielt, musste er gegen seinen W i l len aus der Gesellschaft ausscheiden; die auf ihn entfallenden Teilrechte wurden für seine Rechnung verwertet. Ein dringendes Bedürfnis für die Kapitalherabsetzung, etwa aus Anlass einer Sanierung, bestand nicht. Das R G billigte die M a ß nahme gleichwohl, ohne den Gleichbehandlungsgrundsatz auch nur anzusprechen. F o r m a l waren schließlich alle Aktien gleich behandelt worden 3 2 . Insgesamt findet sich im Kapitalgesellschaftsrecht - soweit ersichtlich - lediglich ein halbes D u t z e n d Entscheidungen, in denen das R G überhaupt einen Gleichbehandlungsverstoß bejahte 3 3 . M i t der bereits genannten A u s n a h m e z u m RGZ 108,41 (43): Verstoß gegen das „Gebot einer billigen und gerechten Behandlung der Aktionäre". 30 So ausdrücklich RGZ 122,159 (163). 31 RGZ 118, 67 (71). Mit Recht ablehnend gegenüber diesem „Kunstgriff der Konstruktion" G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 337; ferner Lutter, in: Kölner Komm., AktG, § 186 Rdn. 65 („barer Formalismus"). Richtigerweise lag hier eine formale Ungleichbehandlung vor, so dass auch nach der engen, formalen Auffassung des RG eine Ungleichbehandlung zu bejahen gewesen wäre. 32 Das RG prüfte stattdessen das Vorliegen eines Sittenverstoßes, verneinte einen solchen jedoch. 33 RGZ 41,97 (99); 52,287 (293 f.); 80, 81 (85); 112,14 (18 f.); 170,358 (377 f.); J W 1916, 575 (576). Wietbölter, Interessen, S. 108 ff., 121 zählt sogar nur vier Entscheidungen, übersieht dabei aber RG J W 1916, 575 und klammert RGZ 170, 358 m.E. zu Unrecht aus. Bisweilen
22
1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
Bezugsrechtsausschluss 3 4 handelte es sich stets u m Fälle formaler U n g l e i c h b e handlungen, die sich bereits u n m i t t e l b a r aus dem Beschlussinhalt ergaben 3 5 .
b) Gleichbehandlungsgrundsatz
und
Sittengebot
Z u m zentralen I n s t r u m e n t des Minderheitenschutzes im Kapitalgesellschaftsrecht entwickelte sich in der Rechtsprechung des R G stattdessen das G e b o t der guten Sitten (§§ 138, 826 B G B ) , dessen Bedeutung im Z u s a m m e n h a n g mit den Bezugsrechtsfällen bereits angeklungen ist. A n f a n g s n o c h sehr z u r ü c k h a l t e n d gehandhabt - m a n denke nur an „ H i b e r n i a " 3 6
dehnte das R G , beginnend mit
R G J W 1 9 1 6 , 5 7 5 , das Sittenwidrigkeitskriterium in einer umfangreichen K a s u istik i m m e r weiter aus 3 7 . D a b e i bildete sich nach und nach die in verschiedenen Variationen wiederkehrende F o r m e l heraus, sittenwidrig sei die bewusste „einseitige Verfolgung der eigenen Interessen auf K o s t e n der Minderheit o h n e gleichzeitige F ö r d e r u n g der Interessen der G e s e l l s c h a f t " 3 8 . M i t dieser F o r m e l verließ das R G den angestammten Bereich des Sittengebots 3 9 : E s ging nicht mehr allein u m die Verwerflichkeit der Motive der Mehrheit und die Feststellung eines moralischen U n w e r t u r t e i l s , sondern um eine - anfangs n o c h recht weitmaschige - Beschlusskontrolle daraufhin, ob die Mehrheit auf das Interesse der Gesellschaft und der Minderheit R ü c k s i c h t g e n o m m e n hatte. I h r e n H ö h e p u n k t erlebte diese E n t w i c k l u n g im J a h r 1931 in der b e r ü h m t e n „ V i c t o r i a " - E n t scheidung, in der das R G aus der B e f u g n i s , im Wege des Mehrheitsbeschlusses zugleich auch f ü r die Minderheit zu beschließen, „die gesellschaftliche Pflicht der M e h r h e i t " ableitete, „im R a h m e n des Gesamtinteresses auch den berechwird als weitere Entscheidung RGZ 76, 155 (158 ff.) genannt. Entscheidungsgrundlage ist dort jedoch allein der Verstoß gegen § 53 Abs. 3 GmbHG; insofern zutr. Wiethölter, Interessen, S. 111. 34 RGZ 112,14; dazu oben bei Fn. 29. 35 RGZ 41,97 (Zusammenlegung nur bestimmter Aktien); ähnlich RGZ 52,287 und RGZ 80, 81; ferner RG J W 1916, 575 (576) und RGZ 170, 358 (377f.) (bevorzugte Beteiligung der Gesellschafter-Geschäftsführer am Gewinn durch Erhöhung der Geschäftsführerbezüge). 36 RGZ 68,235 (oben Fn. 25). 37 Vgl. zu dieser Entwicklung auch A. Hueck, RG-Festgabe IV, S. 167ff.; Wieland, Handelsrecht II, § 110 (S. 203 ff.); Bodenheimer, Gleichheitsprinzip, S. 49 ff.; Zöllner, Schranken, S. 288 ff.; T. Raiser, Unternehmen, S. 41 ff.; sowie aus neuerer Zeit Hirte, Bezugsrechtsauschluss, S. 11 ff.; M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 29ff.; Stelzig, Treuepflicht, S. 31 ff. 38 So die Formulierung in RGZ 112, 14 (19). Ähnlich zuvor schon RG J W 1916, 575 (576); RGZ 107, 72 (75); 107, 202 (204); ferner RGZ 113, 188 (193) (Verstoß gegen die guten Sitten, „wenn die Mehrheit bei ihrem Vorgehen ohne Rücksicht auf das Wohl der Gesellschaft eigensüchtige Zwecke auf Kosten der Minderheit verfolgt"); ähnlich RGZ 119, 97 (104) (für die Genossenschaft); RGZ 119,248 (255); RG J W 1927, 2986 (2989); RGZ 142,219 (222). 39 Dies ist schon damals klar erkannt worden; vgl. etwa Wieland, Handelsrecht II, § 110 (S. 207): „Damit wird aber, bei Lichte betrachtet, die Grenze des Sittlichen im engeren eigentlichen Verstände überschritten..."
5 2 Historische
Entwicklung
und gegenwärtige
Bedeutung
23
tigten Belangen der Minderheit Berücksichtigung angedeihen zu lassen und deren Rechte nicht über Gebühr zu verkürzen."40 Das liest sich wie eine moderne Beschreibung der Treuepflicht, nur unter dem Etikett des Sittengebots41. Robert Fischer hat dazu einmal festgestellt, dass damit ein Standard gesellschaftsrechtlicher Treubindung erreicht war, der erst wieder im „ITT"-Urteil des BGH 42 erreicht worden sei43. Allerdings bestand das RG noch durchweg auf dem Vorsatzerfordernis, sanktionierte also nur die bewusste Verfolgung von Sondervorteilen auf Kosten der Minderheit44. Die Ausdehnung des Sittengebots blieb nicht ohne Auswirkungen auf den Gleichbehandlungsgrundsatz. Zum einen ermöglichte sie dem RG, an dem formalen Gleichbehandlungsverständnis festzuhalten, ohne dass sich dadurch allzu unbefriedigende Ergebnisse einstellten; notfalls ließ sich mit dem erweiterten Sittenwidrigkeitskriterium Abhilfe schaffen. Zum anderen war zu beobachten, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz selbst in dem relativ schmalen Anwendungsbereich, der ihm nach dem formalen Gleichbehandlungsverständnis des RG noch zukam, an Bedeutung einbüßte. In den ersten Entscheidungen zum Gleichbehandlungsgrundsatz, in denen das RG das Sittengebot noch nicht fortentwickelt hatte, war der Grundsatz als Prinzip von eigenständiger Bedeutung in Erscheinung getreten45. Nunmehr, im Zuge der Ausdehnung des Sittengebots, neigte das RG dazu, den Gleichbehandlungsverstoß nur noch beiläufig neben dem Sittenverstoß zu erwähnen, so dass als tragende Entscheidungsgrundlage ausschließlich das Sittengebot erschien. Das Gleichbehandlungsprinzip wurde zunehmend nur noch als Unterfall des Sittengebots behandelt46. Mit Recht hat deshalb schon L. Raiser eine „gewisse Unsicherheit" in der Rechtsprechung des RG konstatiert und darauf hingewiesen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz in einer Reihe reichsgerichtlicher Entscheidungen bloß programmatischen Charakter habe, während der tragende Gesichtspunkt meist in der Sittenwidrigkeit begründet sei47. RGZ 132,149 (163). Anschaulich M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 32: „Die §§138, 826 BGB funktionierten so, rückblickend gesehen, wie eine Art Kokon, innerhalb dessen sich gesellschaftsrechtliche Treubindungen als ein eigenständiges gesellschaftsrechtliches Rechtsinstitut entfalten konnten." 42 BGHZ 65,15; dazu unten Ziff. III 2 b. 43 Fischer, in: Pro GmbH, S. 137 (159f.). Ebenso M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 31 f. 44 Vgl. etwa RGZ 107, 72 (75) („unter bewußter Hintansetzung des Wohls der Gesellschaft"; Hervorhebung vom Verf.). Zum Vorsatzerfordernis vgl. auch A. Hueck, RG-Festgabe IV, S. 167 (176); Hayum, Mehrheitsherrschaft, S. 66 f. 45 Vgl. RGZ 41, 97 (99); 52, 287 (293 f.). 46 Bezeichnend RG J W 1916,575 (576) („In dieser Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung durfte ein Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden erblickt werden."); ähnliche Verquickung in RGZ 107,12 (18 f.); 111,26 (29). 47 L. Raiser, Z H R 111 (1948), 75 (83); zustimmend G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, 40 41
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1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
c) Mögliche Gründe für die restriktive Haltung des RG Rückblickend fragt man sich, w a r u m das RG den Gleichbehandlungsgrundsatz eng, das Sittengebot aber vergleichsweise weit ausgelegt hat. Hätte es nicht näher gelegen, das formale Gleichbehandlungsverständnis aufzuweichen und zunehmend auch materielle Ungleichbehandlungen dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu unterstellen, als auf das allgemeine Prinzip der guten Sitten auszuweichen? Das RG selbst hat seine formale Auffassung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nie näher begründet. Es liegt aber nahe, einen entscheidenden Grund darin zu sehen, dass die Weichen für diese Rechtsprechung zu Beginn des 20. Jahrhunderts gestellt wurden 48 , also zu einer Zeit, als man - geleitet von liberalistischen Anschauungen der Verbandsautonomie aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert dem Minderheitenschutz generell deutlich zurückhaltender gegenüberstand als heute 49 . Urteile wie „Hibernia" legen von dieser Einstellung beredtes Zeugnis ab 50 . Mit dieser (Uber-) Betonung der Verbandsautonomie und des Mehrheitsprinzips wäre es schwerlich vereinbar gewesen, auf der Grundlage eines - noch dazu ungeschriebenen - Gleichbehandlungsgrundsatzes eine Beschlusskontrolle auch im Hinblick auf versteckte materielle Ungleichbehandlungen einzuführen. Aus Sicht des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, das bekanntlich auch in anderen Bereichen durch ein formales Verständnis der Privatautonomie und eine zurückhaltende Grundhaltung gegenüber richterlicher Inhaltskontrolle gekennzeichnet war 51 , lag es vielmehr näher, die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf formale und damit offensichtliche Ungleichbehandlungen zu beschränken und im äußersten Fall durch die allgemeine Schranke des Sittengebots Abhilfe zu schaffen. Das soeben Gesagte erklärt indes noch nicht, w a r u m das RG nicht wenigstens nach dem Ersten Weltkrieg, als sich - nicht zuletzt infolge der rasch voranschreitenden Konzernierung 5 2 - allmählich ein Anschauungswandel zugunsten des Minderheitenschutzes durchsetzte 53 , versucht hat, den Gleichbehandlungsgrundsatz stärker zur Geltung zu bringen. Auch dies lässt sich wohl nur aus der historischen Situation erklären. Zum einen ist zu beachten, dass die uns heute insbesondere aus dem Arbeitsrecht und dem Europarecht geläufige Erstreckung S. 114; Dettling, Entstehungsgeschichte, S.74; vgl. auch Filbinger, Mehrheitsherrschaft, S. 62 f. 48 Vgl. RGZ 68,210 (213); 80, 385 (390). 49 Vgl. dazu auch Fischer, Minderheitenschutz, S. 59 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 12 (S. 408 ff.); Roitzsch, Minderheitenschutz, S. 25 ff. 50 RGZ 68,235 (oben Fn. 25). 51 Vgl. etwa die parallele Entwicklung im Bereich der Inhaltskontrolle von AGB; dazu L. Raiser, AGB, S. 303 ff.; aus neuerer Zeit etwa Habersack, Vertragsfreiheit, S. 155 f. 52 Zu der u.a. durch die Inflation begünstigten Zunahme der Unternehmenskonzentration in der Weimarer Republik näher Dettling, Entstehungsgeschichte, S. 57 ff. 53 Vgl. die oben lit. b geschilderte Entwicklung von RG J W 1916, 575 bis RGZ 132,149.
§2 Historische Entwicklung
und gegenwärtige
Bedeutung
25
von Gleichbehandlungsgeboten auf materielle Ungleichbehandlungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch keine Verbreitung gefunden hatte 54 . Es entsprach daher zunächst einmal der natürlichen Intuition, den Gleichbehandlungsgrundsatz nur bei ausdrücklichen, formalen Differenzierungen heranzuziehen. Zum anderen stand das RG vor der Alternative, mit der formalen Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu brechen und sich damit erkennbar in Widerspruch zu seiner früheren Rechtsprechung zu setzen oder aber unter dem äußeren Anschein der Kontinuität die Schranke des Sittengebots nach und nach auszudehnen. Es ist verständlich, dass das RG in dieser Situation der letzteren Variante den Vorzug gab. Zudem mag es das RG als Vorteil angesehen haben, dass das im Rahmen der §§ 138, 826 BGB geltende Vorsatzerfordernis ein gewisses Korrektiv bildete, um althergebrachte Bedenken gegen eine als allzu weitgehend empfundene Beschlusskontrolle zu zerstreuen.
II. Der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Gesetzgebung 1. Keine Regelung im AktG 1937 und AktG 1965 a) Angesichts seiner ohnehin unbestrittenen Geltung, aber auch angesichts der bescheidenen praktischen Bedeutung, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz in der Rechtsprechung des RG zukam, überrascht es nicht, dass der Gesetzgeber zunächst keinen Anlass sah, den Grundsatz zu kodifizieren. Das Augenmerk des Gesetzgebers des A k t G 1937 war vielmehr darauf gerichtet, die in der Rechtsprechung zum Sittengebot entwickelte, oben wiedergegebene Formel des Mehrheitsmissbrauchs in einen eigenen Anfechtungstatbestand zu überführen. Das Ergebnis war die nach einer langen Reformdiskussion geschaffene Vorschrift des § 197 Abs. 2 A k t G 1937, Vorläuferin des heutigen §243 Abs. 2 A k t G , die im Wesentlichen die bisherige Rechtsprechung fortschrieb. Danach sollten Beschlüsse der Hauptversammlung anfechtbar sein, wenn „ein Aktionär mit der Stimmrechtsausübung vorsätzlich für sich oder einen Dritten gesellschaftsfremde Sondervorteile zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre zu erlangen sucht und der Beschluss geeignet ist, diesem Zweck zu dienen." 55 Ziel dieser Regelung war es, das Sondervorteilsverbot aus seinem Zu54 Als Ausgangspunkt der Entwicklung im Arbeitsrecht wird die „disparate impact"Rechtsprechung des U.S.Supreme C o u r t angesehen, die erst 1971 einsetzte; dazu Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 31 ff.; Wisskirchen, Mittelbare Diskriminierung, S. 29 ff. 55 Anderes sollte allerdings gelten, wenn der Sondervorteil „schutzwürdigen Belangen" diente (§§ 197 Abs. 2 Satz 2,101 Abs. 3 A k t G 1937). Mit dieser sog. Konzernklausel sollte eine Abwägung der Interessen der Mehrheit, insbesondere Konzerninteressen, mit den Interessen der Minderheit ermöglicht werden; vgl. amtliche Begründung vor §§ 100, 101 A k t G , abgedruckt bei Klausing, A k t G 1937, S. 87. Auch dies knüpfte an die bisherige Rechtsentwicklung an: Das RG hatte bereits zuvor anerkannt, dass es schutzwürdige Belange gebe, welche die
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1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
sammenhang mit dem Sittengebot herauszulösen, u m einerseits dem Richter das psychologische H e m m n i s abzunehmen, „angesehene Kaufleute (...) mit dem Stigma des Handelns gegen die guten Sitten belasten zu müssen" 56 , und andererseits die Rechtsfolge eindeutig auf Anfechtbarkeit (statt Nichtigkeit) zu beschränken 5 7 . Eine Aussage über das Verhältnis der neuen V o r s c h r i f t z u m Gleichbehandlungsgrundsatz w u r d e in den Gesetzesberatungen dagegen nicht getroffen. Im S c h r i f t t u m setzte sich alsbald die A u f f a s s u n g durch, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz durch die Neuregelung in keiner Weise b e r ü h r t werde 5 8 . Mit Rücksicht darauf, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz im J a h r 1937 längst anerkannt war, w i r d in neuerer Zeit die A u f f a s s u n g vertreten, dass das Sondervorteilsverbot des § 197 Abs. 2 A k t G 1937 „eigentlich schon weitgehend überholt" gewesen sei, als es in das Gesetz aufgenommen w u r d e 5 9 . Diese Einschätzung beruht auf der Prämisse, dass das Erstreben eines gesellschaftsfremden Sondervorteils stets auch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes beinhaltet. Diese durchaus nahe liegende A n n a h m e entsprach jedoch nicht der Rechtsprechung des R G , die den Begriff der Gleichbehandlung - wie dargelegt - sehr formal auslegte und materielle Ungleichbehandlungen nicht dem Gleichbehandlungsgrundsatz, sondern dem aus der Sittenwidrigkeit abgeleiteten Sondervorteilsverbot unterstellte. Das Sondervorteilsverbot w a r damit zumindest aus Sicht der damaligen Gerichtspraxis neben dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht obsolet, sondern im Gegenteil erheblich bedeutender als dieser. Verfolgung von Sondervorteilen rechtfertigen könnten (vgl. etwa RGZ 108, 322 [327]), und namhafte Stimmen aus der Literatur hatten dies gerade auch auf Konzerninteressen erstreckt; vgl. namentlich Haußmann, Bank-Arch. 31 (1931/32), 486 (489); Hachenburg, Enquete-Bericht, S.44 (50); Geiler, Enquete-Bericht, S.52 (82); Wieland, Handelsrecht II, §123 II 1 (S. 378); zum Ganzen auch Zöllner, Schranken, S. 86 f. m.w.Nachw. auch zur Gegenansicht. 56 Aktienrechtskommission, Bericht, S. 29; ferner Quassowski, Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Aktienrecht der Akademie für deutsches Recht vom 25.10.1934, S. 35; abgedruckt in: Schubert, Akademie für deutsches Recht I, S. 265. 57 Bei Verstößen gegen das Sittengebot hatte das RG zunächst grundsätzlich Nichtigkeit angenommen, was dazu führte, dass die betreffenden Generalversammlungsbeschlüsses auch noch nach Jahr und Tag angegriffen werden konnten. Mit zunehmender Ausdehnung des Begriffs der Sittenwidrigkeit war das RG zwar immer mehr von der Nichtigkeit abgerückt, doch blieb diese Rechtsprechung insgesamt schwankend und dogmatisch angreifbar. Näher dazu Zöllner, Schranken, S. 380 f. mit Fn. 28. 58 Vgl. Schlegelberger/Quassowski, AktG, § 197 Rdn.4; Weipert, in: Großkomm. AktG, 1. Aufl., § 197 Anm. 5; Godin/Wilhelmi, AktG, 1. Aufl., § 197 Anm. 2, die jeweils den Gleichbehandlungsgrundsatz weiterhin neben § 197 Abs. 2 AktG 1937 als möglichen Anfechtungsgrund anführen. Abweichend allerdings Fechner, Treubindungen, S. 100: Im Bereich der Stimmrechtsausübung werde der Gleichbehandlungsgrundsatz durch § 197 Abs. 2 AktG 1937 als speziellere Norm verdrängt; ebenso später auch Mestmäcker, Verwaltung, S. 345; ders., BB 1961, 945 (946); Wiethölter, Interessen, S. 107 Fn. 71. 59 Geßler, FS Barz, S. 97 (102); zustimmend Flume, AT 1/2, § 7 III (S. 213); K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §243 Rdn.51.
§2 Historische
Entwicklung
und gegenwärtige
Bedeutung
27
b) Nicht viel anders stellte sich die Ausgangslage im Vorfeld des AktG 1965 dar. In Fortführung der Rechtsprechung des RG hatte auch der B G H den Gleichbehandlungsgrundsatz zunächst im Vereins- und Personengesellschaftsrecht schon früh ausdrücklich anerkannt 6 0 . Im Jahr 1960 stellte die zum Bezugsrechtsausschluss ergangene „Minimax II"-Entscheidung des B G H die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch für das Kapitalgesellschaftrecht unmissverständlich klar 6 1 und trat damit Stimmen aus der aktienrechtlichen Literatur entgegen, die schon vermeldet hatten, der Gleichbehandlungsgrundsatz sei im Aktienrecht „im Laufe der Zeit untergegangen." 62 Ein signifikanter Bedeutungszuwachs im Vergleich zur Rechtsprechung des RG war dem Gleichbehandlungsgrundsatz in der Zwischenzeit jedoch nicht beschieden, so dass er auch in den Beratungen des AktG 1965 nicht für regelungsbedürftig gehalten wurde und nur am Rande Beachtung fand. Immerhin wurde in § 131 Abs. 4 AktG 1965 die neue Regelung aufgenommen, dass außerhalb der Hauptversammlung erteilte Auskünfte auf Verlangen in der nächsten Hauptversammlung auch allen anderen Aktionären zugänglich zu machen sind. Zur Begründung hieß es, dies erfordere „der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung." 63 Diese Passage belegt, dass auch der Gesetzgeber des A k t G 1965 die Geltung des Grundsatzes als selbstverständlich vorausgesetzt hat. Nähere Anhaltspunkte zum Inhalt des Grundsatzes lassen sich den Materialien des AktG 1965 indes nicht entnehmen.
2. Kapitalrichtlinie
und $ 53a AktG
Es bedurfte eines Anstoßes von außen, u m die A u f n a h m e des Gleichbehandlungsgrundsatzes in das A k t G herbeizuführen. Diesen Anstoß gab im J a h r 1976 die Zweite Gesellschaftsrechtliche Richtlinie (Kapital-RL) 6 4 . Art. 42 Kapital-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten, im Anwendungsbereich der Richtlinie die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherzustellen, die sich in gleichen Verhältnissen befinden 6 5 . Eine A n t w o r t auf die Frage, welche Gründe f ü r 60 BGH LM § 39 BGB Nr. 2 (e.V.); BGHZ 16, 59 (70) (GbR); 20, 363 (369) (KG). Vgl. auch OGH BrZ N J W 1950,427 (430) (Gleichbehandlung der Mitglieder einer Pensionskasse). 61 BGHZ 33, 175 (186 ff.) =LM Nr. 1 zu §11 AktG mit Anm. Fischer. Die denselben Rechtsstreit betreffende Entscheidung BGHZ 21, 354 (357f.) („Minimax I") hatte sich noch auf § 197 Abs. 2 AktG 1937 und das Sittengebot gestützt, den Gleichbehandlungsgrundsatz dagegen unerwähnt gelassen. Vgl. aber auch schon OLG Stuttgart JR 1955,463 (464) mit zust. Anm. Scholz, wo der Gleichbehandlungsgrundsatz als Prüfungsmaßstab für die Kapitalerhöhung einer GmbH herangezogen wird. 62 Wiethölter, Interessen, S. 121. 63 Begr. RegE zu §131 AktG bei K r o p f f , AktG 1965, S.187. Ansätze zu einem auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gestützten Nachinformationrecht gab es im Schrifttum auch schon vorher; vgl. etwa W. Schmidt/Meyer-Landrut, in: Großkomm. AktG, 2. Aufl., §112 Rdn.5. 64 Richtlinie 77/91 EWG vom 13.12.1976, ABl. L 26 vom 31.1.1977, S. 1. 65 Art. 42 lautet: „Für die Anwendung dieser Richtlinie müssen die Rechtsvorschriften
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1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
diese - in den Beratungen der Kapital-RL offenbar kontrovers diskutierte 66 Regelung den Ausschlag gaben und wie der Gleichbehandlungsgrundsatz zu konkretisieren ist, sucht man in den Erwägungsgründen der Richtlinie und den zugehörigen Materialien 67 allerdings vergeblich. Den Erwägungsgründen lässt sich insoweit nur die allgemeine Zielsetzung entnehmen, beim Schutz der Aktionäre innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ein Mindestmaß an Gleichwertigkeit zu gewährleisten 68 . Aus den Materialien erhellt ferner, dass der ursprüngliche Entwurf der Kapital-RL den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht als allgemeines Prinzip formulierte, sondern nur an einzelnen Stellen im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien und bestimmten Fällen der Kapitalherabsetzung erwähnte 69 . Diese ursprüngliche Regelung war möglicherweise durch das französische Recht inspiriert, das eine ausdrückliche Regelung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nur an zwei Stellen des Gesellschaftsrechts kennt; eine davon betrifft gerade die Kapitalherabsetzung (Art. L. 2 2 5 - 2 0 4 Abs. 1 Satz 2 code com.) 70 . Erst die Endfassung der KapitalR L erstreckte das Gleichbehandlungsgebot auf den gesamten Anwendungsbereich der Richtlinie. Die Vorgabe des Art. 42 Kapital-RL nahm der deutsche Gesetzgeber zum Anlass, den Gleichbehandlungsgrundsatz mit Wirkung zum 1. Juli 1979 in § 53a A k t G ausdrücklich im Gesetz zu verankern 71 . Er ging dabei über die Anforderungen der Kapital-RL insofern hinaus, als diese nur bestimmte Regelungsmaterien (Kapitalaufbringung und -erhaltung, Kapitalmaßnahmen und Erwerb eigener Aktien) umfasst, während § 53a AktG für das gesamte Aktienrecht gilt. Da die Kapital-RL ausschließlich Aktiengesellschaften betrifft (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie), beschränkte sich die Kodifizierung auf das AktG. Für die übrigen Rechtsformen blieb es bei einem ungeschriebenen Rechtsgrundsatz.
der Mitgliedstaaten die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherstellen, die sich in denselben Verhältnissen befinden." 66 Dies berichtet Ganske, DB 1978, 2461 (2462). 67 Vgl. Erläuterungen der Kommission zum Entwurf der Zweiten Richtlinie, ABl. C 48 vom 24.4.1970, S. 8 ff. (insbes. Erläuterungen zu Art. 22,27 und 28); Entschließung des Europäischen Parlaments, ABl. C 11 vom 11.11.1971, S. 18 ff. (insbes. zu Ziff. 5); Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. C 88 vom 6.9.1971, S. 1 ff. 68 2. Erwägungsgrund der Kapital-RL. 69 Vgl. Art. 18 Abs. 1 lit. a (Erwerb eigener Aktien) und Art. 34 (Kapitalherabsetzung) des von der Kommission vorgelegten Entwurfs der Zweiten Richtlinie, ABl. C 48 vom 24.4.1970, S. 19,22. 70 Zum französischen Recht näher unten § 7 I. Mit der im Text geäußerten Vermutung stimmt die nicht näher belegte Aussage von Henn überein, die Regelung der Richtlinie habe einem französischen Rechtsanliegen Rechnung tragen wollen; vgl. Henn, Aktienrecht, Rdn.21; ders., AG 1985,240 (242). 71 Vgl. Art. 1 Nr. 10 und Art. 5 Zweites Gesellschaftsrechtliches Koordinierungsgesetz (2.KoordG), BGBl. 1978 1,1959.
§2 Historische
Entwicklung
und gegenwärtige
Bedeutung
29
Die Regierungsbegründung zu § 53a AktG begnügte sich damit, die KapitalR L in Bezug zu nehmen und darauf hinzuweisen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz im deutschen Recht bereits „durch zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen anerkannt" sei 72 . Es folgt der schwer verständliche Hinweis, dass Art. 42 Kapital-RL an diese Rechtsprechung sowie an diejenige des BVerfG zum Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 G G angelehnt sei 73 . Die Einführung des § 53a A k t G diene im Ergebnis lediglich dazu, auch im Wortlaut des Aktiengesetzes der Richtlinie zu entsprechen. Eine sachliche Änderung des geltenden Rechtszustands sei dagegen nicht beabsichtigt 74 . Daraus hat man in der Literatur geschlossen, dass § 53a A k t G im Grunde überflüssig sei 75 . Einzuräumen ist, dass auch andere Mitgliedstaaten, namentlich Frankreich und das Vereinigte Königreich 76 , von einer vergleichbaren Ausführungsbestimmung abgesehen haben 77 . Immerhin bedeutet die Kodifizierung trotz der Unschärfe, die mit der Formulierung eines allgemeinen Grundsatzes zwangsläufig verbunden ist, einen gewissen Zugewinn an Transparenz 78 . Mit Rücksicht auf die inzwischen ständige Rechtsprechung des EuGH, die den Mitgliedstaaten die Pflicht auferlegt, Richtlinien möglichst klar und eindeutig umzusetzen 79 , ist dieser Gesichtspunkt nicht nur von rein kosmetischer Bedeutung. Zudem weist die Umsetzung der Richtlinie in einer gesonderten Vorschrift auf deren gemeinschaftsrechtliche Herkunft hin und erinnert so daran, die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nicht aus dem Blick zu verlieren. Richtig ist aber, dass die sehr allgemein gehaltene Formulierung in § 53a A k t G für sich genommen keines der bestehenden Anwendungsprobleme gelöst hat 80 . Während Art. 42 Kapital-RL den Gleichbehandlungsgrundsatz nur sehr abstrakt formuliert, ist in dem unlängst vorgelegten Kommissionsvorschlag zur Änderung der Kapital-RL vorgesehen, speziell in Bezug auf den Erwerb und BT-Drucks. 8/1678, S. 13, re. Sp. BT-Drucks. 8/1678, S. 13, re. Sp. Schwer nachvollziehbar ist dies deshalb, weil keine Anzeichen dafür ersichtlich sind, dass sich der europäische Gesetzgeber gerade an der deutschen Rechtsprechung orientieren wollte. 74 BT-Drucks. 8/1678, S. 13, re. Sp. 75 Lutter, FS Ferid, S.599 (606); ders., Europäisches Unternehmensrecht, S. 111; Hüffer, N J W 1979, 1065 (1068); M. Fritzsche, WM 1984, 858 (859); Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 632. 7 6 Näher dazu unten §71, II. 77 Dem § 53a AktG vergleichbare Bestimmungen finden sich dagegen z.B. in den Niederlanden (art. 2:92 Abs. 2,2:201 Abs. 2 BW), Österreich (§ 47a österr. AktG) und - außerhalb der EU - in der Schweiz (Art. 706 Abs. 2 Nr. 3, 717 Abs. 2 OR); näher dazu unten § 7 III. 78 Wie hier Bungeroth, in: Münch. Komm. AktG, §53a Rdn. 2; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 5 f.; Hüffer, AktG, § 53a Rdn. 1; abweichend M. Fritzsche, WM 1984, 858 (859). 79 Vgl. etwa EuGH Rs. 29/84, Slg. 1985, 1661, Rdn. 23; Rs. C-365/93, Slg. 1995, 1-499, Rdn. 9; Rs. C-144/99, Slg. 2001,1-3541, Rdn. 17. 80 Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 2 a.E.; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 4. 72 73
30
1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
die Veräußerung eigener Aktien eine konkretisierende Regelung zu treffen und ausdrücklich klarzustellen, dass der Grundsatz bei Erwerb oder Veräußerung über die Börse als gewahrt anzusehen ist 8 1 . Für das deutsche Recht ist damit keine Neuerung verbunden, da das A k t G in § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 bereits seit dem K o n T r a G 8 2 aus dem J a h r 1998 eine entsprechende Klarstellung vorsieht 8 3 .
3. Transparenzrichtlinie und §39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG Neben der Kapital-RL sieht auch die 2004 erlassene neue Transparenz-RL 8 4 in Art. 17 Abs. 1 vor, dass „ein Emittent von Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, (...) allen Aktionären, die sich in der gleichen Lage befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen" muss. Ähnliche, nunmehr durch Art. 17 Abs. 1 Transparenz-RL ersetzte Regelungen enthielten bereits die 1979 erlassene Börsenzulassungs-RL 8 5 und die Börsenrechts-RL aus dem Jahr 2001 8 6 . Die Reichweite dieses Gleichbehandlungsgebots ist teils enger, teils weiter als das der Kapital-RL: Enger ist es insofern, als erstens nur börsennotierte Gesellschaften betroffen sind, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt 8 7 zugelassen sind, und zweitens nur die informationelle Gleichbehandlung angesprochen wird 8 8 . Letztere Einschränkung ist neu; die inzwischen aufgehobenen 8 9 Vorgängervorschriften der Börsenzulassungs-RL 1979 und der Börsenrechts-RL 2001 enthielten noch keine Beschränkung auf den Bereich der Informationserteilung. Weiter ist das Gleichbehandlungsgebot der Transparenz-RL im Vergleich zur Kapital-RL dagegen insofern, als es sich nicht auf die Regelungsmaterien der Kapital-RL beschränkt, sondern auch für Informationen über nicht kapitalrelevante Maßnahmen gilt. Ferner erstreckt es sich neben der börsennotierten A G auch auf die börsennotierte K G a A . Eine nähere Präzisierung des 81 Vgl. Art. 1 Ziff. 3 (Neufassung des Art. 19 Abs. 1 lit. d Kapital-RL) des Vorschlags der Kommission zur Änderung der Kapital-RL, K O M (2004) 730 endg. v. 21.9.2004; dazu Maul/ Eggenhof er/Lanfermann, B B 2004, Beil. 6, 5 (6); Maul, B B 2005, Beil. 2,2 (13). 8 2 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27.4.1998, B G B l . 1786. 83 Ebenso § 65 Abs. lb Satz 1 österr. A k t G . 8 4 Richtlinie 2 0 0 4 / 1 0 9 / E G vom 15.12.2004, ABl. L 390 vom 31.12.2004, S. 38. 8 5 Vgl. Schema C Ziff. 2 lit. a der Richtlinie 79/279 E W G des Rates vom 5.3.1979, ABl. L 66 vom 16.3.1979, S. 21 (abgedruckt bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, S. 532 ff.). 8 6 Vgl. Art. 65 Abs. 1 der Richtlinie 2 0 0 1 / 3 4 / E G vom 28.5.2001, ABl. L 184 vom 6.7.2001, S.l. 8 7 Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit.c Transparenz-RL i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 der Richtlinie 2 0 0 4 / 3 9 / E G vom 21.4.2004, ABl. L 145 vom 30.4.2004, S. 1. 88 Letzteres ergibt sich aus der Überschrift des Art. 17 und des Abschnitts II der Transpar e n z - R L . Die Vorgängervorschriften in Schema C Ziff. 2 lit.a Börsenzulassungs-RL 1979 und Art. 65 Abs. 1 Börsenrechts-RL 2001 enthielten diese Einschränkung noch nicht. Beide Vorgängervorschriften sind jedoch inzwischen außer Kraft getreten, 8 9 Vgl. Art. 111 Börsenrechts-RL 2001 und Art. 32 Nr. 5 Transparenz-RL.
§ 2 Historische
Entwicklung
und gegenwärtige
Bedeutung
31
Gleichbehandlungsgrundsatzes enthalten die Transparenz-RL und die ihr vorausgehenden Richtlinien indes ebenso wenig wie die Kapital-RL. Der deutsche Gesetzgeber hat auf die ursprünglich in der Börsenzulassungs-RL enthaltenen Vorgaben mit der Vorschrift des § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG ( = § 4 4 Abs. 1 Nr. 1 BörsG a.F.) reagiert 90 , die den Emittenten zur Gleichbehandlung der Wertpapierinhaber verpflichtet. Gemäß § 54 BörsG (= § 76 BörsG a.F.) findet die Vorschrift nicht nur im amtlichen Handel, sondern auch im geregelten Markt Anwendung. Eigenständige Bedeutung hat sie insoweit, als sie die Gleichbehandlung auch auf die - hier nicht weiter interessierenden - ausschließlich Gläubigerrechte verbriefenden Wertpapiere (insbesondere Schuldverschreibungen) erstreckt 91 . Was die Gleichbehandlung der Aktionäre anbetrifft, geht man dagegen allgemein davon aus, dass § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG lediglich die Anforderungen des § 53a A k t G inhaltsgleich wiedergibt 92 . Neben § 53a A k t G wird dem börsengesetzlichen Gleichbehandlungsgebot deshalb - in Bezug auf Aktionäre - keine praktische Bedeutung beigemessen 93 . Etwas anderes gilt nur in Bezug auf ausländische Emittenten, deren Aktien hierzulande zugelassen sind: Diese Emittenten sind nicht an das deutsche Gesellschaftsrecht und mithin nicht an § 53a A k t G gebunden, wohl aber an § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG 9 4 . In Umsetzung der bis zum 20. Januar 2007 umzusetzenden Transparenz-RL ist nunmehr beabsichtigt, die bisher in § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG enthaltene Regelung zu streichen und in einen neuen § 30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG zu überführen 95 . Die neue Vorschrift soll für alle Emittenten gelten, für die Deutschland der „Herkunftsstaat" ist 96 . Verfahrenstechnischer Hintergrund dieser Änderung ist die gemeinschaftsrechtliche Vorgabe, dass gemäß Art. 24 Abs. 1 Transparenz-RL die Verpflichtungen aus der Richtlinie in jedem Mitgliedstaat von einer zentralen Behörde zu überwachen sind. In Deutschland ist dies die BAFin. Die Einhaltung der Vorschriften des BörsG untersteht jedoch der BörsenaufEingeführt durch das Börsenzulassungsgesetz, BGBl. 1986 1,2478. Auch dies beruht auf gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben; vgl. Art. 18 Abs. 1 Transparenz-RL (früher Schema D lit. A Ziff. 1 a, lit. B Ziff. 1 a Börsenzulassungs-RL; Art. 78 Abs. 1 Börsenrechts-RL). 92 Groß, Kapitalmarktrecht, § 39 BörsG Rdn. 3; ders., in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, BankR I X , Rdn. 159; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 14; U. Hamann, in: Schäfer, WpHG/BörsG/VerkProspG, §44 BörsG Rdn. 6; Schäfer, ZIP 1987, 953 (956); Heidelbach, in: Schwark, K M R K , §39 BörsG Rdn. 3. 93 Nachw. wie vor. 94 Vgl. den Hinweis bei St. Weber, Kapitalmarktrecht, S. 361 mit Fn. 45. 95 Vgl. Art. 1 Nr. 19 und Art. 3 Nr. 2 a des Regierungsentwurfs eines Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 28.6.2006. 9 6 Damit sind nach näherer Maßgabe des §2 Abs. 6 WpHG in der Fassung des Regierungsentwurfs zum Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz neben Emittenten mit Sitz in Deutschland auch bestimmte ausländische Emittenten angesprochen, die einen Bezug zum deutschen Kapitalmarkt haben. 90
91
32
1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
sieht der Länder. Aus diesem Grund soll das Gleichbehandlungsgebot vom BörsG in das WpHG überführt werden. Wie Art. 17 Abs. 1 Transparenz-RL soll auch § 30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG-E nur noch für den Bereich der Informationserteilung gelten 97 .
4. Weitere
Kodifizierungsbestrebungen
Nur am Rande sei erwähnt, dass auf europäischer Ebene weitere Kodifikationsbestrebungen bestehen. So soll nach einem im Januar 2006 vorgelegten Kommissionsvorschlag der Gleichbehandlungsgrundsatz künftig auch in die geplante EU-Richtlinie zur Stimmrechtsausübung der Aktionäre aufgenommen werden 98 . Art. 4 des Vorschlags lautet: „Der Emittent gewährleistet die Gleichbehandlung aller Aktionäre, die in Bezug auf die Teilnahme und die Stimmrechte auf den Hauptversammlungen gleichgestellt sind." Da § 53a AktG auch für das Teilnahme- und Stimmrecht gilt, wird diese Vorschrift keinen zusätzlichen Umsetzungsbedarf in Deutschland auslösen. Eine Kodifizierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes war zunächst auch im Verordnungsvorschlag für das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) vorgesehen 99 . In die im Oktober 2001 verabschiedete Endfassung des Statuts (SE-VO)100 wurde diese Regelung jedoch nicht übernommen. Diese Entscheidung beruhte aber augenscheinlich nicht auf Bedenken gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, sondern darauf, dass das Statut insgesamt in viel weitergehendem Umfang auf die Schaffung von Einheitsrecht verzichtet als die Vorentwürfe 101 . Für die SE mit Sitz in Deutschland findet über die Verweisung in Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO die Vorschrift des § 53a AktG Anwendung.
97 Vgl. die im Regierungsentwurf vorgesehene Überschrift des neuen Abschnitts 5a des WpHG („Notwendige Informationen für die Wahrnehmung von Rechten aus Wertpapieren"). 98 Vgl. Art. 4 des Vorschlags vom 5.1.2006 für eine Richtlinie über die Ausübung der Stimmrechte durch Aktionäre von Gesellschaften, die ihren eingetragenen Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, sowie zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG, KOM (2005) 685; näher dazu Noack, NZG 2006,321 ff. 99 Dritter geänderter Vorschlag für das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft, ABl. C 176 vom 8.7.1991, S. 1 (abgedruckt bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, S. 724 ff.), Art. 40: „Alle Aktionäre, die sich in gleicher Lage befinden, werden gleich behandelt." Speziell zur informationellen Gleichbehandlung der Aktionäre s. auch Art. 89 des Verordnungsvorschlags. 100 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 vom 8.10.2001, ABl. L 294 vom 10.11.2001, S. 1. 101 Vgl. nur Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 393.
§2 Historische Entwicklung
und gegenwärtige
Bedeutung
33
III. Der Gleichbehandlungsgrundsatz in der neueren Rechtsprechung 1. Weiterhin restriktive Handhabung
des
Gleichbehandlungs-
grundsatzes Als maßgeblicher Grund, weshalb der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Judikatur des R G keine große Bedeutung erlangte, ist eingangs angeführt worden, dass das R G seiner Rechtsprechung ein restriktives, formales Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes zugrunde legte. Der B G H ließ dagegen in der viel diskutierten „Mannesmann"-Entscheidung 102 aus dem Jahr 1977 zumindest die grundsätzliche Bereitschaft erkennen, auch materielle Ungleichbehandlungen am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen. Zu entscheiden war über die nachträgliche Einführung eines Höchststimmrechts. Nach der Rechtsprechung des R G wäre in diesem Fall bereits das Tatbestandsmerkmal der Ungleichbehandlung zu verneinen gewesen, da ein allgemein gefasstes Höchststimmrecht formal alle Aktionäre gleich trifft. Der B G H räumte dagegen ein, dass die Einführung des Höchststimmrechts diejenigen Aktionäre, die Aktien über die Höchstquote hinaus hielten, ungleich schwerer belastete als die übrigen Aktionäre 103 . Er überprüfte die Maßnahme daher am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes und verneinte einen Verstoß nur deshalb, weil der Gesetzgeber mit der detaillierten Regelung des § 134 Abs. 1 A k t G (a.F.) die Interessenabwägung bereits vorweggenommen habe, so dass die Einführung von Höchststimmrechten und die damit verbundene Ungleichbehandlung ohne weiteres als sachlich gerechtfertigt anzusehen sei 104 . Auch einzelne Instanzgerichte haben dem Gleichbehandlungsgrundsatz Fälle unterstellt, in denen zwar formal eine Gleichbehandlung, materiell aber eine Ungleichbehandlung vorlag. Als gleichbehandlungswidrig wurde etwa die Kapitalerhöhung einer GmbH angesehen, zu der - insoweit formal gleichmäßig - keiner der Gesellschafter zugelassen wurde, wohl aber eine dritte Gesellschaft, an der die Mehrheitsgesellschafter der GmbH mit 90 % des Kapitals beteiligt waren105. Ebenfalls beanstandet wurde die Abwicklung eines mittelbaren Bezugsrechts über die Tochtergesellschaft des Großaktionärs, die so ausgestaltet war, B G H Z 70,117 (121 ff.). B G H Z 70,117 (121). Entgegen der Darstellung bei Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm., AktG, §53a Rdn. 11, und Henze, DStR 1993, 1863 (1867), bejaht die „Mannesmann"-Entscheidung also durchaus das Vorliegen einer Ungleichbehandlung. Wie hier Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 99; Zeißig, Höchststimmrechte, S. 86. 104 B G H Z 70, 117 (121 ff.). Zur Kritik an dieser Begründung unten §9 II 2 b. 105 Vgl. - in unverkennbarem Gegensatz zu RGZ 122, 159 (163) (oben bei Fn. 30) - O L G Stuttgart J R 1955, 463 (464) mit Anm. Scholz. 102
103
34
1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
dass die Aktien, auf die kein Bezugsrecht ausgeübt wurde, bei der Tochtergesellschaft des Großaktionärs verblieben 106 . Hervorzuheben ist schließlich eine Entscheidung des BezG Dresden, in der ganz allgemein formuliert wurde: „Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist auch dann verletzt, wenn der Beschluss zwar äußerlich gleichmäßig erscheint, in Wahrheit aber dazu führt, gerade einzelne Gesellschafter im Vergleich zu den übrigen rechtlich zu benachteiligen." 107 Die genannten Entscheidungen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rechtsprechung nach wie vor nur selten materielle Ungleichbehandlungen einer Uberprüfung am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes unterzieht. Betrachtet man die wesentlichen Fallgruppen, zu deren Bewältigung die Rechtsprechung den Gleichbehandlungsgrundsatz heranzieht, stellt man fest, dass es sich - von „Mannesmann" und den genannten instanzgerichtlichen Entscheidungen abgesehen - durchgehend um Fälle formaler Ungleichbehandlung handelt. Folgende Fallgruppen lassen sich ausmachen: - verdeckte Gewinnausschüttungen oder genauer: Vermögenszuwendungen 108 an einzelne Gesellschafter (dies ist die häufigste Fallgruppe in der Rechtsprechung) 109 ; - ungleichmäßige Einforderung rückständiger Einlagen 110 ; - selektive Zustimmung zur Aufhebung von Vinkulierungen 1 n ; - Einführung von Mehrstimmrechten für einzelne Gesellschafter 112 ; - Veräußerung eigener Aktien nur an einen bestimmten Aktionär 113 ; - Differenzierungen zwischen Stamm- und Vorzugsaktien 114 . 106 LG Kassel AG 1989,218 (219) (allerdings unter Vermengung von Gleichbehandlungsgrundsatz und §243 Abs.2 AktG) = EWiR 1989,219 mit zust. Anm. Timm. 107 BezG Dresden GmbHR 1994, 123 (125). Der Fall betraf die Aufhebung eines im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Vorerwerbsrechts. Hierdurch wurde einer der Gesellschafter besonders belastet, da ihm die Möglichkeit genommen wurde, durch Ausübung des Vorerwerbsrechts seine Beteiligung zu einer Sperrminorität aufzustocken. Alle übrigen Gesellschaftern verfügten bereits über eine Sperrminorität und hatten daher kein vergleichbares Interesse an dem Vorerwerbsrecht. 108 Zur Terminologie T. Bezzenberger, Kapital, S. 210 f. 109 BGH LM §29 GmbHG Nr.2 =BGH W M 1972,931 (932f.); BGH N J W - R R 1990,290 (292); BGHZ 111, 224 (227); OLG München BB 1997, 2341; OLG Köln NZG 1999, 1112 (1114); NZG 1999, 1228 (1229). Unter diese Fallgruppe fällt auch der Abkauf von Anfechtungsrechten zu überhöhten Preisen; dazu LG Köln AG 1988, 349 (350) (insoweit von OLG Köln AG 1988, 351 nicht beanstandet). 110 OLG Köln N J W - R R 1988, 356 (356 ff.); OLG Hamm N J W - R R 2001, 1182 (1182f.); vgl. auch BGH N J W 1980,2253. 111 OLG Karlsruhe, Urt.v. 7.11.1984,1 U 55/84 (unveröffentlicht; zitiert nach Lutter, AG 1992,369); OLG Hamm NZG 2000,1185 (1187); LG Aachen AG 1992,410 (411f.). 112 OLG Frankfurt a.M. GmbHR 1990, 79 (80f.). 113 OLG Oldenburg AG 1994,415 (416), und AG 1994,417 (418). 114 OLG Köln ZIP 2001,2049 (2051 f.). Nach OLG Düsseldorf BB 1973,910 (912) soll der Gleichbehandlungsgrundsatz dagegen nur innerhalb derselben Aktiengattung gelten. Näher dazu unten §9 II 1.
§2 Historische Entwicklung und gegenwärtige Bedeutung -
35
I m Anschluss an die „ M i n i m a x I I " - E n t s c h e i d u n g des B G H 1 1 5 war als weitere Fallgruppe der Bezugsrechtsausschluss zugunsten einzelner A k t i o n ä r e zu nennen. I n dieser Fallgruppe hat der Gleichbehandlungsgrundsatz allerdings stark an B e d e u t u n g verloren, seitdem der B G H für den B e z u g s r e c h t s ausschluss ein generelles G e b o t der sachlichen R e c h t f e r t i g u n g eingeführt hat (s. unten Ziff. 2 a).
Diese Fallgruppen eint, dass sie Sachverhalte betreffen, in denen bereits äußerlich eine Ungleichbehandlung vorliegt: N u r ein Gesellschafter erhält die verdeckte Vermögenszuwendung; nur von einem Gesellschafter wird die rückständige Einlage eingefordert; nur b e s t i m m t e n A k t i o n ä r e n werden die jungen A k t i e n zugeteilt etc. D e r bei weitem überwiegende Teil der Fälle, in denen der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Entscheidungspraxis A n w e n d u n g
findet,
besteht also nach wie vor aus Fällen formaler U n g l e i c h b e h a n d l u n g 1 1 6 . M a t e rielle Ungleichbehandlungen werden zwar i m Unterschied zur R e c h t s p r e c h u n g des R G nicht m e h r ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des G l e i c h b e handlungsgrundsatz ausgegrenzt. Tatsächlich werden solche Fälle aber weiterhin meist anhand anderer beweglicher S c h r a n k e n ü b e r p r ü f t , ohne den Gleichbehandlungsgrundsatz auch nur zu e r w ä h n e n 1 1 7 . Diese Praxis steht in auffälligem Widerspruch zu der Tatsache, dass in der Literatur zunehmend - wenn auch mit gewissen Einschränkungen - die Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch auf materielle Ungleichbehandlungen bejaht wird 1 1 8 . I m H i n b l i c k darauf hätte man eigentlich erwarten können, dass die Rechtsprechung den Gleichbehandlungsgrundsatz verstärkt auch zur U b e r p r ü f u n g von materiellen Ungleichbehandlungen nutzt oder zumindest in Erwägung zieht. Offensichtlich sieht die Rechtsprechung hierfür jedoch kein B e dürfnis, da für solche Fälle andere Schranken zu G e b o t e stehen.
2. Ausweichen auf konkurrierende
Schranken
D a s s die R e c h t s p r e c h u n g die A n w e n d u n g des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht weiter ausgedehnt hat, sondern sich weitgehend auf formale U n g l e i c h b e handlungen und ausschließlich auf das Verhältnis zwischen Gesellschaft und BGHZ 33,175 (186ff.). S. neben den Nachw. in Fn. 109-115 auch noch O L G Hamm GmbHR 1996,768 (769 f.) (Herabsetzung der Vergütung nur eines von mehreren Gesellschafter-Geschäftsführern); O L G Oldenburg AG 1997,424 (427 f.) (Kapitalerhöhung; Mehrheitsaktionär erbringt angeblich überbewertete Sacheinlage, Minderheitsaktionäre Bareinlagen); LG Köln BB 1980,1288 (1289f.) (Ausschüttung unterschiedlich hoher Dividenden); LG München I AG 2000, 139 (Redezeitbeschränkung in der Hauptversammlung führt dazu, dass einzelne Aktionäre ihre Fragen nicht mehr stellen können). 117 Dazu sogleich unter Ziff. 2. »8 ygi vorerst nur Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 62,64 ff.; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 11 f.; w.Nachw. unten § 11 Fn.26. 115
116
36
1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
Gesellschafter beschränkt hat, bedeutet nicht, dass sie jenseits dieser Grenzen keinen Schutz vor Ungleichbehandlungen gewähren würde. Nur wird dieser Schutz nicht durch den Gleichbehandlungsgrundsatz, sondern durch andere bewegliche Schranken gewährleistet. Dies erinnert an die Rechtsprechung des RG, die materielle Ungleichbehandlungen nicht anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes, sondern mithilfe des Sittengebots überprüfte. Während aber in der Rechtsprechung des R G das aus dem Sittengebot entwickelte Sondervorteilsverbot im Mittelpunkt stand, hat die hieraus hervorgegangene Vorschrift des §243 Abs. 2 A k t G in der Rechtsprechung des B G H nicht annähernd dieselbe Bedeutung erlangt 119 . Stattdessen stehen andere Schranken im Mittelpunkt, die der B G H in richterlicher Rechtsfortbildung entwickelt hat, namentlich die Lehre vom sachlichen Grund, die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander und die Treuepflicht der Gesellschaft zu ihren Gesellschaftern. a) Die Lehre vom sachlichen
Grund
aa) In der „Kali und Salz"-Entscheidung 120 aus dem Jahr 1978 hat der B G H - aufbauend auf Vorarbeiten insbesondere von 2öllnerl2X - erstmals die Forderung aufgestellt, dass ein Bezugsrechtsausschluss als ungeschriebene Wirksamkeitsvoraussetzung stets einer besonderen sachlichen Rechtfertigung im Interesse der Gesellschaft bedürfe, die dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck standhalten müsse. Der Bezugsrechtsausschluss ist danach nur zulässig, wenn er über die in §§ 186 Abs. 3 und 4, 255 Abs. 2 A k t G geregelten Anforderungen hinaus drei weitere materielle Voraussetzungen erfüllt: Er muss (1.) geeignet sein, dem Gesellschaftsinteresse zu dienen, er muss (2.) zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich sein, und er darf (3.) nicht außer Verhältnis zu den Interessen der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre stehen 122 . Zur Begründung verwies der B G H darauf, dass die mit dem Bezugsrechtsausschluss verbundene Verschiebung der Kapitalbeteiligung und der Stimmrechtsquote einen „schweren Eingriff in die Mitgliedschaft" darstelle, der nur unter den genannten Einschränkungen hinnehmbar sei 123 . 119 Vgl. etwa Hüffer, AktG, §243 Rdn.31; K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §243 Rdn. 52; T. Raiser, in: Hachenburg, GmbHG, Anh. § 47 Rdn. 116. 120 B G H Z 71, 40. 121 Schranken, S. 349ff.; ders., in: Kölner Komm. AktG, Rdn. 195 ff., 200f.; vgl. auch Füchsel, BB 1972, 1533 (1536ff.); Lutter, in: Kölner Komm. AktG, l.Aufl., §186 Rdn.49f.; Wiedemann, in: Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 186 Anm. 2,12 b. 122 B G H Z 71,40 (44ff.). 123 Ebenso die nach wie vorh.L., vgl. etwa Hüffer, AktG, § 186 Rdn. 25; Pez/er, in: MünchKomm. AktG, §186 Rdn. 71; Wiedemann, in: Großkomm. AktG, §186 Rdn. 134 f.; jeweils m.w.Nachw.; zuletzt noch einmal eindringlich Zöllner, AG 2002, 585 (586ff.); Rodloff, ZIP 2003, 1076 ff.; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 102 ff., 433 f. In neuerer Zeit nimmt allerdings die Kritik zu; näher dazu unten §3111.
§2 Historische
Entwicklung
und gegenwärtige
Bedeutung
37
Das v o m B G H aufgestellte G e b o t einer sachlichen Rechtfertigung im G e sellschaftsinteresse am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, das hier im Anschluss an Wiedemann v e r k ü r z t als „Lehre v o m sachlichen G r u n d " bezeichnet werden soll 1 2 4 , hat dazu geführt, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz f ü r den Bereich des Bezugsrechtsausschlusses weitgehend redundant gew o r d e n ist. W e n n ein Bezugsrechtsausschluss alle A n f o r d e r u n g e n der „Kali und Salz"-Entscheidung erfüllt, also im Interesse der Gesellschaft geeignet, erforderlich und unter A b w ä g u n g mit den Interessen der ausgeschlossenen A k tionäre verhältnismäßig ist, liegt nach ganz h.M. zugleich ein sachlicher G r u n d vor, der auch eine Ungleichbehandlung rechtfertigen w ü r d e . Die h.M. verweist nämlich hinsichtlich der Voraussetzungen an die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen auf exakt dieselben A n f o r d e r u n g e n , welche die „Kali und Salz"Entscheidung f ü r die Lehre v o m sachlichen G r u n d formuliert hat 1 2 5 . Ein U n terschied soll nur bei der Beweislastverteilung bestehen: W ä h r e n d bei einer Ungleichbehandlung die Beweislast f ü r die z u r sachlichen Rechtfertigung angeführten Tatsachen in vollem U m f a n g der Gesellschaft obliegt 1 2 6 , lässt die „Kali und Salz"-Entscheidung genügen, dass die Gesellschaft die rechtfertigenden Tatsachen darlegt, wobei es anschließend Sache des Anfechtungsklägers sei, diese zu widerlegen 1 2 7 . Dieser Unterschied im Detail hat indes den nahezu 124 Wiedemann, ZGR 1999, 857 (859). Im Schrifttum finden sich für die „Kali und Salz"Grundsätze noch eine Reihe weiterer Bezeichnungen, etwa „materielle Beschlusskontrolle", „Inhaltskontrolle", „Sachkontrolle", „Sachgrunderfordernis" oder „Erfordernis sachlicher Rechtfertigung". Letztlich ist keiner dieser Begriffe völlig präzise, da nicht nur die „Kali und Salz"-Grundsätze, sondern auch der Gleichbehandlungsgrundsatz (wenn auch nur bei Ungleichbehandlungen) zu einer materiellen Beschlusskontrolle führt bzw. ein Erfordernis sachlicher Rechtfertigung mit sich bringt. 125 Vgl. Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 13; H ü f f e r , AktG, §53a Rdn. 10 („Entscheidende Abwägung ist also identisch ..."); Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, §14 Rdn. 30; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 15 („Kriterien sind die gleichen"); Peifer, in: MünchKomm. AktG, § 186 Rdn. 80 (das Gleichbehandlungsgebot stellt „keine weitergehenden Anforderungen"); Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 13 Rdn. 105; T. Bezzenberger, ZIP 2002, 1917 (1929); A. Hamann, Squeeze-out, S. 129 („Bei näherer Betrachtung wird daher deutlich, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 53a AktG bei Beschlüssen, die einer sachlichen Rechtfertigung unterliegen, keine eigenständige Bedeutung besitzt."); Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 103; Kley, Bezugsrechtsausschluss, S.102. Demgegenüber will Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S.62f., ders., AG 1994, 45 (52), der drohenden Redundanz des Gleichbehandlungsgrundsatzes dadurch begegnen, dass er für die sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen erheblich strengere Anforderungen stellt als an die sachliche Rechtfertigung i.S.von „Kali und Salz". Dieser Ansatz hat sich indes bisher nicht durchsetzen können; näher unten § 12 IV 2. Für strengere Anforderungen an die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen, allerdings ohne nähere Präzisierung, nunmehr auch Zöllner, AG 2002, 585 (588 re. Sp.). 126 Allg.M.; vgl. etwa Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 155; H ü f f e r , AktG, § 243 Rdn. 63; T. Raiser, in: Hachenburg, GmbHG, Anh. § 47 Rdn. 220 m.w.Nachw. 127 BGHZ 71, 40 (48). Abweichend allerdings die h.L., welche die Beweislast für die die sachliche Rechtfertigung begründenden Tatsachen der Gesellschaft auferlegen will (also wie beim Gleichbehandlungsgrundsatz); vgl. Lutter, ZGR 1979, 401 (412ff.); ders., ZHR 153
38
1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
vollständigen Bedeutungsverlust des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der Entscheidungspraxis zum Bezugsrechtsausschluss nicht aufhalten können. Die „Kali und Salz"-Entscheidung selbst spricht den Gleichbehandlungsgrundsatz nur kurz an, obwohl sie einen selektiven Bezugsrechtsausschluss zugunsten des Großaktionärs zum Gegenstand hatte. Da es sich um eine Sachkapitalerhöhung handelte und nur der Großaktionär die Sacheinlage erbringen konnte, scheide ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz „von vornherein aus" 128 . Seither hat der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Rechtsprechung zum Bezugsrechtsausschluss nur noch in sehr seltenen Ausnahmefällen Bedeutung erlangt 129 , obwohl man gerade in dieser Fallgruppe vor „Kali und Salz" noch eines der zentralen Anwendungsfelder des Grundsatzes gesehen hatte 130 . Eine Korrektur dieser Rechtsprechung zeichnet sich derzeit nicht ab. Zwar ist die vor einigen Jahren ergangene Entscheidung des BGH im Fall „Siemens/ Nold" 131 zum Bezugsrechtsausschluss im Rahmen eines genehmigten Kapitals (§§202 ff. AktG) verbreitet dahingehend interpretiert worden, dass der BGH vor einer „Rechtsrückbildung" 132 der Inhaltskontrolle nach „Kali und Salz" stehe. Die Entscheidung stellt zunächst fest, dass im Fall des genehmigten Kapitals die eigentliche Inhaltskontrolle erst an den Ausnutzungsbeschluss des Vorstands anknüpfen kann, da erst zu diesem Zeitpunkt der konkrete Anlass für die Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss feststeht 133 ; insoweit führt sie lediglich zu einer zeitlichen Verschiebung der Inhaltskontrolle 134 . Die Entscheidung enthält aber noch eine zweite Besonderheit, die Anlass zu Zweifeln gegeben hat: Sie wiederholt hinsichtlich der vom Vorstand vorzunehmenden Prüfung nicht die in „Kali und Salz" genannten Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, sondern lässt es genügen, dass das konkrete Vorhaben im Zeitpunkt seiner Realisierung noch „im wohlverstandenen Interesse der Ge(1989), 446 (470); H ü f f e r , in: Münch.Komm. AktG, § 243 Rdn. 140; T. Raiser, in: Hachenburg, GmbHG, Anh. § 47 Rdn.221; Wiedemann, in: Großkomm. AktG, § 186 Rdn. 188; Natterer, Kapitalveränderung, S. 229 ff., 236. 128 BGHZ 71,40(46). Zur Kritik an dieser Argumentation unten §20 III 1. 129 Vgl. BGHZ 120,141 zum Bezugsrechtsausschluss bei Genussrechten, da hier nach den Gegebenheiten des Falls die „Kali und Salz"-Formel keine Anwendung fand; ferner die bereits erwähnte Entscheidung LG Kassel AG 1989, 218 (oben Fn. 106). 130 Vgl. G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 333 ff. 131 BGHZ 136,133. 132 Begriff von H.P. Westermann, FS Zöllner I, S. 607ff.; vgl. auch F. Weber, Anlässe und Methoden der Rechtsrückbildung im Gesellschaftsrecht (2003). 133 Der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung (§§202 f. AktG) wird demgegenüber nur noch daraufhin überprüft, ob die zunächst nur abstrakt umschriebene Maßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll, im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt. Eine weitergehende Verhältnismäßigkeitskontrolle des Ermächtigungsbeschlusses findet nicht statt; vgl. BGHZ 136, 133 (Leitsatz 1, 139) in Abkehr von BGHZ 83, 319 („Holzmann"). 134 Vgl. Zöllner, AG 2002, 585 (587).
§2 Historische
Entwicklung
und gegenwärtige
Bedeutung
39
sellschaft" liegt135. Daraus ist im Schrifttum teilweise abgeleitet worden, der BGH habe die Verhältnismäßigkeitsprüfung generell (also auch in Bezug auf die Vorstandsentscheidung) aufgeben wollen136. Hätte diese Deutung zugetroffen, hätte man dasselbe auch für die reguläre Kapitalerhöhung annehmen müssen. Eine derartige Rückbildung der Kontrolldichte nach „Kali und Salz" hätte zugleich dazu geführt, dass dem Gleichbehandlungsgrundsatz für die Uberprüfung von Bezugsrechtsausschlüssen wieder größere Bedeutung zugekommen wäre, als dies heute der Fall ist. Die jüngste Entscheidung zum Problemkreis tritt dieser Deutung jedoch entgegen. In ihr geht der BGH vielmehr ersichtlich davon aus, dass „Siemens/Nold" nicht als Lockerung der in „Kali und Salz" aufgestellten Anforderungen, sondern lediglich als zeitliche Verlagerung der - in ihrer Kontrolldichte unveränderten - Inhaltskontrolle auf den Vorstandsbeschluss über die Ausnutzung des genehmigten Kapitals zu verstehen ist137. Nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung muss es deshalb bei der Aussage bleiben, dass die Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der Entscheidungspraxis zum Bezugsrechtsausschluss neben dem in „Kali und Salz" aufgestellten Gebot der sachlichen Rechtfertigung gegen null tendiert. bb) Der BGH hat die Lehre vom sachlichen Grund zwar am Beispiel des Bezugsrechtsausschlusses entwickelt, aber von Beginn an keinen Zweifel daran gelassen, dass es sich nach seiner Auffassung um ein verallgemeinerungsfähiges Prinzip handelt, das auf andere Fallgruppen, mit denen sich ein Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte verbindet, übertragen werden kann 138 . So haben die Gerichte für eine ganze Reihe von Maßnahmen jeweils im Einzelnen untersucht, ob das Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung auch auf sie Anwendung findet. Dabei zeigt sich insbesondere in jüngerer Zeit eine zurückhaltende Tendenz: Zwar hat der BGH die Lehre vom sachlichen Grund zunächst auch auf 135 BGHZ 136, 133 (Leitsatz 2). An anderer Stelle heißt es, der Vorstand habe zu prüfen, ob der konkrete Anlass die Durchführung der Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss „im Gesellschaftsinteresse rechtfertigt"; aaO. S. 139. Auch hier wird das Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht erwähnt. 136 Vgl. insbesondere Kindler, ZGR 1998, 35 (37, 39, 48 ff.); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 75 f.; Hofmeister, NZG 2000, 713 (714); in dieselbe Richtung auch die seinerzeit dem II. Zivilsenat angehörenden BGH-Richter Henze, Z H R 167 (2003), 1 (3), und Röhricht, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Corporate Governance, S.513 (537); vgl. auch dessen Grundsatzkritik an „Kali und Salz" in ZGR 1999,445 (469 ff.); näher dazu unten § 3 II 1. Für Beibehaltung der bisherigen Anforderungen in Bezug auf die Vorstandsentscheidung dagegen Bayer, in: MünchKomm. AktG, § 203 Rdn. 116 ff.; ders. Z H R 168 (2004), 132 (150 ff.); Hirte, in: Großkomm. AktG, §203 Rdn. 79; H ü f f e r , AktG, §203 Rdn. 35; Schumann, Bezugsrecht, S. 66 ff.; Tröger, Treupflicht, S. 267; F. Weber, Rechtsrückbildung, S. 72 ff.; Zöllner, AG 2002, 585 (587); vermittelnd Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 177 ff. 137 Vgl. BGH NZG 2006, 228 (229), wo hinsichtlich des Vorstandsbeschlusses ausdrücklich auf die in der „Kali und Salz"-Entscheidung gestellten Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung verwiesen wird. 138 Vgl. etwa BGHZ 80, 69 (74); 83,319 (321 f.); 120,141 (145 f.).
1. Kapitel:
40
Bestandsaufnahme
die A u f h e b u n g eines W e t t b e w e r b s v e r b o t s ausgedehnt, in deren F o l g e die G e sellschaft in die A b h ä n g i g k e i t g e f ü h r t w o r d e n w ä r e 1 3 9 . I n der ü b e r w i e g e n d e n Z a h l der F ä l l e ist die A n w e n d b a r k e i t der L e h r e v o m sachlichen G r u n d dagegen verneint w o r d e n , so - mit freilich g a n z u n t e r s c h i e d l i c h e n B e g r ü n d u n g e n - b e i m A u s s c h l u s s des B e z u g s r e c h t s auf G e n u s s s c h e i n e ( § 2 2 1 A b s . 4 A k t G ) 1 4 0 , bei A u f l ö s u n g der G e s e l l s c h a f t 1 4 1 , G e s a m t v e r m ö g e n s v e r ä u ß e r u n g (§ 179a A k t G ) an den M e h r h e i t s g e s e l l s c h a f t e r m i t a n s c h l i e ß e n d e r A u f l ö s u n g ( „ ü b e r t r a g e n d e A u f l ö s u n g " ) 1 4 2 , Ä n d e r u n g des U n t e r n e h m e n s g e g e n s t a n d s 1 4 3 , K a p i t a l h e r a b s e t zung144, Formwechsel145, Verschmelzung146 und Delisting147.
B G H Z 80,69 (74) (zur GmbH); dazu Timm, GmbHR 1981,177ff. B G H Z 120, 141 (145 ff.) (unter Betonung der Umstände des Einzelfalls); dazu Lutter, ZGR1993,291 (302 ff.). 141 B G H Z 76, 352 (353); 103, 184 (189 ff.). Zustimmend die h.L.; vgl. etwa Hüffer, AktG, §243 Rdn.28; Lutter, Z G R 1981,171 (179); ders., Z H R 153 (1989), 446 (448 f.); K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §243 Rdn.46; ders., Gesellschaftsrecht, §21 II 3a (S.614f.); Timm, J Z 1980, 665 (667f.); M. Winter, Treuebindungen, S. 156 ff. 142 BayObLG BB 1999, 281 (282). Ebenso Henze, ZIP 1995, 1473 (1478); Hüffer, AktG, § 179a Rdn.10, §243 Rdn.28; Lutter/Dry gala, FS Kropff, S. 191 (215 f.); Man. Wolf, ZIP 2002,151 (157); kritisch Wiedemann, Z G R 1999, 857 (860, 867ff.). Auch BVerfG N J W 2001, 279 ff. fordert keine gerichtliche Uberprüfung der sachlichen Rechtfertigung für die Gesamtvermögensveräußerung, sondern verlangt lediglich, dass bei einer Veräußerung an den Mehrheitsgesellschafter und anschließender Auflösung der Gesellschaft gerichtlich überprüfbar sein muss, dass die Minderheitsgesellschafter für den Verlust ihrer Mitgliedschaft vermögensmäßig voll entschädigt werden; zumindest missverständlich insoweit Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 107 mit Fn. 266. 143 O L G Düsseldorf AG 1994, 228 (233); i.E. ebenso Boese, Anwendungsgrenzen, S. 227 ff. 144 B G H Z 138, 71 (75 ff.) (für beide Spielarten der Kapitalherabsetzung, also sowohl für die Herabsetzung des Nennbetrags der Aktien als auch für die Zusammenlegung von Aktien gemäß §222 Abs. 4 Satz 2 AktG). Zustimmend Dreher, EWiR 1999, 49 (50); Hüffer, AktG, §222 Rdn. 14, §243 Rdn.28 a.E.; Mennicke, N Z G 1998, 549f.; Oechsler, in: Münch. Komm. AktG, §222 Rdn.25; Krieger, in: MünchHdb. AG, §60 Rdn. 11; differenzierend aber ders., Z G R 2000, 885 (892 ff.). Abweichend Natterer, Kapitalveränderung, S.300 (Kapitalherabsetzung durch Zusammenlegung bedarf sachlicher Rechtfertigung); differenzierend Boese, Anwendungsgrenzen, S. 213 ff. 145 O L G Düsseldorf N Z G 2002, 191 (193); Z I P 2003, 1749 (1751 f.) (von B G H ZIP 2005, 1318 nicht beanstandet); ebenso Decher, in: Lutter, UmwG, § 193 Rdn. 12; Happ, in: Lutter, UmwG, § 233 Rdn. 53. 146 O L G Frankfurt a.M. ZIP 2006,370 (372); so auch Gehling, in: Semler/Stengel, UmwG, § 13 Rdn. 36; K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, § 243 Rdn. 46; mit Ausnahme der abhängigkeitsbegründenden Verschmelzung auch Lutter/Drygala, in: Lutter, UmwG, § 13 Rdn. 31 ff., 38; Hüffer, AktG, §243 Rdn.27; abweichend die Nachw. in Fn. 149 sowie Boese, Anwendungsgrenzen. S. 309 ff. 147 B G H Z 153,47 (Leitsatz b, 58 f.); ebenso Adolff/Tieves, BB 2003,797 (800); Habersack, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, §28 Rdn. 8; Hellwig, Z G R 1999, 781 (800); Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, §38 BörsG Rdn. 5; Hüffer, AktG, §119 Rdn. 24; Kubis, in: MünchKomm. AktG, §119 Rdn. 86; K Schmidt, N Z G 2003, 601 (603); differenzierend Lutter, J Z 2003,684 (686). 139
140
§2 Historische Entwicklung und gegenwärtige Bedeutung
41
Diese von Fall zu Fall differenzierende Rechtsprechung hat dazu geführt, dass sich eine kaum noch überschaubare Diskussion zu der Frage entwickelt hat, auf welche Fallgruppen sich die „Kali und Salz"-Kriterien übertragen lassen und auf welche nicht 1 4 8 . D a s Spektrum der im S c h r i f t t u m vertretenen Auffassungen reicht von der Ansicht, dass das G e b o t der sachlichen Rechtfertigung auf alle Mehrheitsbeschlüsse Anwendung finden müsse, die in die mitgliedschaftliche Stellung eingreifen 1 4 9 , bis zu der Gegenansicht, die eine Inhaltskontrolle nach „Kali und Salz" generell ablehnt 1 5 0 . D i e h . L . bewegt sich zwischen diesen Polen und will wie die Rechtsprechung zwischen den verschiedenen Beschlussgegenständen differenzieren. D a b e i sollen von der L e h r e vom sachlichen G r u n d insbesondere solche Beschlussgegenstände ausgenommen werden, bei denen der G e setzgeber die erforderliche Interessenabwägung - z . B . durch hohe Mehrheitserfordernisse oder andere besondere Schutzmechanismen - bereits selbst getroffen habe, die also gewissermaßen gesetzlich „vorgeprägt" seien 1 5 1 . W i r k l i c h trennscharfe und konsensfähige Abgrenzungskriterien haben sich jedoch auch innerhalb der h . L . bisher nicht herausgebildet 1 5 2 . D i e gesamte Diskussion hat sich so sehr auf die L e h r e vom sachlichen G r u n d (und die sogleich n o c h zu erörternde Treuepflicht) zugespitzt, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz als möglicher K o n t r o l l m a ß s t a b f ü r die zu lösenden Fälle weitgehend aus dem B l i c k geraten ist. Zwar wird in der Literatur betont, dass die L e h r e vom sachlichen G r u n d erst auf einer zweiten Stufe heranzuziehen sei, während auf der ersten Stufe der Gleichbehandlungsgrundsatz und das Sonder-
148 Ausführlicher Überblick über den Meinungsstand im Schrifttum bei Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 306 ff.; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 108 ff.; Tröger, Treupflicht, S. 265 ff.; monographisch zuletzt Boese, Die Anwendungsgrenzen des Erfordernisses sachlicher Rechtfertigung bei HV-Beschlüssen (2004). 149 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, §8 III 2 (S. 444 ff.); ZGR 1980,147 (156f.); ders., FS Heinsius, S.949 (961 ff.); ders., ZGR 1999, 857 (867ff.); Martens, FS Fischer, S.437 (444ff.); ders., GmbHR 1984,265 (269 f.); ähnlich Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, Einl. Rdn. 55 (für alle Maßnahmen, die zur Entziehung von Mitgliedschaftsrechten führen); ferner M. Becker, Verwaltungskontrolle, S. 437 (für alle Maßnahmen, die „schwerwiegend und nachhaltig" in die Rechte der Aktionäre eingreifen); für die GmbH auch Mäusl, Austritt, S. 185 f. 150 Nachw. unten § 3 Fn. 15. 151 Vgl. mit Unterschieden im Einzelnen Lutter, ZGR 1979, 401 (411); ders., ZGR 1981, 171 (176); Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 138 ff., 147ff.; Timm, ZGR 1987, 403 (421 ff.); Hüffer, AktG, § 243 Rdn. 24 ff.; ders., in: Münch. Komm. AktG, § 243 Rdn. 57 ff.; K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §243 Rdn. 46; F.-J. Semler, in: MünchHdb. AG, §41 Rdn. 37 ff.; T. Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, §16 Rdn. 161 ff.; Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, §53 Rdn. 69; M. Winter, Treuebindungen, S. 135 ff., 154 ff., 163 ff.; sowie zuletzt eingehend Boese, Anwendungsgrenzen, S. 84 ff., 131 ff. 152 Vgl. aus jüngster Zeit etwa Hüffer, AktG, §243 Rdn. 26 („nicht abschließend geklärt"); ebenso T. Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, §16 Rdn. 161; Tröger, Treupflicht, S.272 („bunter Strauß von zum Teil erheblich divergierenden Kriterien"); Zwissler, Treuegebot, S. 140 (bisher „kein klares Abgrenzungskriterium").
42
1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
vorteilsverbot (§ 243 Abs. 2 A k t G ) zu prüfen seien 153 . In der Praxis w i r d dies jedoch nicht beherzigt. In keiner der genannten Entscheidungen, die sich mit der Frage der Ubertragbarkeit der „Kali und Salz"-Kriterien befassen, wird der Gleichbehandlungsgrundsatz auch nur angesprochen. Dabei hätte die Überlegung keineswegs fern gelegen, dass es sich etwa bei der Kapitalherabsetzung durch Zusammenlegung von Aktien oder beim Delisting u m Maßnahmen handelt, die die Minderheitsgesellschafter u.U. ungleich härter treffen als den Mehrheitsgesellschafter, dass es sich also um (materielle) Ungleichbehandlungen handelt. Bedenkt man, dass es in der Rechtsprechung immerhin Ansätze gibt, den Gleichbehandlungsgrundsatz auch auf materielle Ungleichbehandlungen anzuwenden 1 5 4 , und erhebliche Teile des Schrifttums eben dies befürworten 1 5 5 , drängt sich die Frage geradezu auf, ob nicht der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Lage ist, einen wesentlichen Teil der problematischen Fälle bereits auf der ersten Stufe der Inhaltskontrolle abzuschichten 1 5 6 . Offensichtlich hat jedoch die intensive Diskussion um die Lehre vom sachlichen Grund und die sogleich zu erörternde Treuepflicht den Blick f ü r diese Frage verstellt.
b) Treuepflicht der Gesellschafter
untereinander
aa) Mit den Leitentscheidungen „ITT" 1 5 7 zur GmbH (1975) und „Linotype" 1 5 8 zur AG (1988) hat der B G H erstmals im Kapitalgesellschaftsrecht Treuepflichten der Gesellschafter nicht nur im Verhältnis zu ihrer Gesellschaft 159 , sondern auch im Verhältnis der Gesellschafter untereinander anerkannt. Inhalt dieser Treuepflicht ist es, auf die mitgliedschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter
153 Vgl. Lutter, ZGR 1981, 171 (178) („Zwei-Stufen-Theorie"); ihm folgendJ. Semler, BB 1983, 1566 (1569); Kort, Bestandsschutz, S. 65 f.; Tröger, Treupflicht, S.272 Fn.79; A. Hamann, Squeeze-out, S. 116. 154 S. oben Ziff. 1. 155 Nachw. oben Fn. 118. 156 Vgl. auch Wiedemann, ZGR 1999, 857 (868); „Würde der Gleichheitssatz (...) nicht nur formal betrachtet, sondern auch eine im Ergebnis ungleiche Behandlung damit gerügt werden können, so wären auch Gesellschafterbeschlüsse in größerem Umfang als gleichheitswidrig überprüfbar." 157 BGHZ 65,15 (18 f.); ausführlicher abgedruckt in N J W 1976,191 m. Anm. Ulmer. Vgl. zu dieser Entscheidung ferner Schilling, BB 1975, 1451 f.; Brezing AG 1976, 5 ff.; Rehbinder, ZGR 1976,386 ff.; Wiedemann,JZ 1976,392 ff.; H.P. Westermann, GmbHR 1976,77 ff.; Mertens, FS Fischer, S. 461 ff. 158 BGHZ 103, 184 (194 f.); dazu etwa Bommert, JR 1988, 509 ff.; Drygala, EWiR 1988, 529f.; Friedrich, BB 1994, 89ff.; Henze, FS Kellermann, S. 141 ff.; ders., ZIP 1995, 1473 ff.; Kort, ZIP 1990, 294ff.; Lutter, Z H R 153 (1989), 446ff.; Timm, N J W 1988, 1582 f.; Wiedemann,1989,447 ff. 159 In diesem Verhältnis war das Bestehen der Treuepflicht längst anerkannt. Vgl. zur AG RGZ 146, 71 (76); 146, 385 (395 ff.); BGH N J W 1952, 98 (99); zur GmbH RG DR 1940, 2177; BGHZ 9,157 (163); 14,25 (38).
§ 2 Historische Entwicklung und gegenwärtige Bedeutung
43
„angemessen Rücksicht" zu nehmen 1 6 0 . D e r B G H hat damit - wiederum nach intensiven Vorarbeiten in der Literatur 1 6 1 - eine weitere generalklauselartige Schranke eingeführt, die neben dem Gleichbehandlungsgrundsatz Anwendung findet. Mit diesem Schritt, der im S c h r i f t t u m ganz überwiegend auf Zustimmung gestoßen ist 1 6 2 , verbindet sich eine ganz entscheidende Ausweitung der Treuepflicht. E r erlaubt es, eine Vielzahl von Konflikten zwischen den Gesellschaftern der Treuepflicht zu unterstellen, die zuvor nicht - oder jedenfalls nicht überzeugend - über diese Rechtsfigur gelöst werden konnten. Dies gilt für alle Konflikte, in denen keine geschützten Interessen der Gesellschaft, sondern ausschließlich die mitgliedschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter tangiert werden. Eine Durchsicht der Rechtsprechung zeigt, dass der damit verbundene Bedeutungszuwachs der Treuepflicht im Wesentlichen auf Kosten eines weiteren B e deutungsverlusts des Gleichbehandlungsgrundsatzes
sowie des § 2 4 3 Abs. 2
A k t G erzielt worden ist. Z u m einen hat die Anerkennung von Treuepflichten zwischen den Gesellschaftern wesentlich dazu beigetragen, dass die Ansätze, den Gleichbehandlungsgrundsatz auf materielle Ungleichbehandlungen auszudehnen, nicht fortgeführt worden sind. In solchen Fällen weicht man stattdessen häufig auf die Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern aus. Paradigmatisch für diese Vorgehensweise sind die Fälle der Auflösung mit anschließendem E r w e r b des Gesellschaftsvermögens durch den Mehrheitsgesellschafter, wie sie insbesondere der „ L i n o t y p e " - E n t scheidung 1 6 3 und einer einige J a h r e zuvor ergangenen Parallelentscheidung im G m b H - R e c h t 1 6 4 zugrunde lagen. In beiden Fällen hatte der Mehrheitsgesellschafter bereits vor der A b s t i m m u n g Vorkehrungen getroffen, durch die praktisch sichergestellt war, dass das von der aufzulösenden Gesellschaft betriebene U n t e r nehmen im R a h m e n der Liquidation auf den Mehrheitsgesellschafter übertragen würde. U n t e r diesen Umständen trafen die Auflösungsbeschlüsse zwar formal So die Formulierung in BGHZ 103,184 (195); 129, 136 (143 f.); 142,167 (170). Vgl. vor „ITT" namentlich Ballerstedt, Kapital, S. 181 ff.; Zöllner, Schranken, S. 335 ff.; Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 261 ff.; Wiedemann, FS Barz, S. 561 (568 f.); vor „Linotype" insbesondere auch Lutter, JZ 1976, 225 ff.; ders., JZ 1976, 562 f.; ders., AcP 180 (1980), 84 (120 ff., 123 ff.). 162 Vgl. neben den Nachw. in Fn. 157, 158 und 161 etwa Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, vor § 53a Rdn. 18; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, Anh. § 53a Rdn. 3; Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 143; alle m.w.Nachw.; monographisch M. Winter, Treuebindungen; Nehls, Treuepflicht; M. Weher, Vormitgliedschaftliche Treubindungen; Zwissler, Treuegebot; Janke, Treuepflicht. Kritisch aus neuerer Zeit aber insbes. Fiume, ZIP 1996, 161 ff.; Reiner, Gesellschaftsinteresse, S.34, 152 ff; Reuter, in: MünchKomm. BGB, §34 Rdn. 22. Differenzierend zuletzt Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, S. 184 ff., die in Publikumsgesellschaften Treuepflichten gegenüber den Mitgesellschaftern nur bei Vorliegen einer „besonderen Machtposition" annehmen will. 163 B G H Z 103,184. 164 B G H Z 76, 352; dazu Timm, JZ 1980, 665 ff.; Lutter, ZGR 1981, 171 ff.; Friedrich, BB 1994, S9it.;Henze, ZIP 1995,1473 ff. 160 161
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1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
alle Beteiligten in gleicher Weise; im wirtschaftlichen Ergebnis begünstigten sie aber wegen der zuvor getroffenen Vorkehrungen den jeweiligen Mehrheitsgesellschafter 1 6 5 . Einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zog der B G H gleichwohl nicht in Betracht, sondern hob die Auflösungsbeschlüsse als treuepflichtwidrig auf. Dieselbe Vorgehensweise findet sich in der Rechtsprechung der Instanzgerichte; auch sie kommen in vergleichbaren Fällen ohne den Gleichbehandlungsgrundsatz aus 166 . Ein weiteres prominentes Beispiel f ü r die auch in anderen Entscheidungen 1 6 7 erkennbare Neigung der Gerichte, in Fällen materieller Ungleichbehandlung die zwischen den Gesellschaftern bestehende Treuepflicht heranzuziehen, bildet die „Hilgers"-Entscheidung des B G H 1 6 8 . Gegenstand der Entscheidung w a r eine Kapitalherabsetzung auf null mit anschließender Kapitalerhöhung unter W a h r u n g des Bezugsrechts der bisherigen Aktionäre. Da die Nennbeträge der neuen A k tien deutlich über dem gesetzlichen Mindestbetrag festgesetzt wurden, verblieben f ü r viele Kleinaktionäre lediglich Aktienspitzen, so dass die Kapitalmaßnahme die Kleinaktionäre im Ergebnis härter traf als Aktionäre mit höherer Beteiligungsquote 1 6 9 . Dennoch zog der B G H den Gleichbehandlungsgrundsatz auch in dieser Entscheidung nicht heran, sondern berief sich auf die Treuepflicht der Mehrheitsaktionärin gegenüber den Minderheitsaktionären 1 7 0 .
165 püj. Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz daher Timm, JZ 1980, 665 (670); Martens, in: K. Schmidt, Rechtsdogmatik, S. 251 (255). Streng genommen ergibt sich die Ungleichbehandlung in beiden Fällen bereits unmittelbar aus den vorab getroffenen Vorkehrungen (Gleichbehandlungsverstoß des Vorstands bzw. der Geschäftsführung), nicht erst aus den Auflösungsbeschlüssen. Man wird jedoch, wie es im Ergebnis auch der BGH annimmt, die im Vorfeld getroffenen Vorkehrungen und die Auflösungsbeschlüsse jeweils als einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang ansehen müssen; so auch Bommert JR 1988, 509 (511). Von diesem Ausgangspunkt aus entfalten auch die Auflösungsbeschlüsse ungleiche Wirkungen; a.A. Nehls, Treuepflicht, S. 152. 166 Vgl. zur „übertragenden Auflösung" durch Gesamtvermögensübertragung auf den Mehrheitsgesellschafter (§ 179a AktG) und anschließende Auflösung OLG Stuttgart, AG 1994, 411 ff.; BayObLG BB 1999, 281 (282). In dieser Konstellation liegt in dem Beschluss über die Veräußerung an den Mehrheitsgesellschafter sogar eine unmittelbar aus dem Beschlussinhalt zu entnehmende formale Ungleichbehandlung. Als mögliche Anfechtungsgründe werden aber nur die Treuepflicht und §243 Abs. 2 AktG angesprochen, nicht der Gleichbehandlungsgrundsatz. Ähnlich auch OLG Düsseldorf AG 1994,228 (233 f.). 167 Vgl. etwa OLG Stuttgart DB 2001, 854 (859f.); LG Frankfurt a.M. AG 1993, 287 = EWiR 1993, 635 mit Anm. Timm-, LG Bonn AG 2001,201 (203 f.). 168 BGHZ 142, 167; dazu Goette, DStR 1999, 1450f.; Hirte, WuB §229 AktG 1.00; Krieger, ZGR 2000, 885 ff.; Noack, LM § 8 AktG Nr. 1; Rottnauer, NZG 1999,1159 f. 169 Für Verletzung des § 53a AktG daher Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 34. 170 BGHZ 142, 167 (169ff.). Unabhängig von der Frage, ob nicht bereits der Gleichbehandlungsgrundsatz eine befriedigende Lösung des Falls ermöglicht hätte, verdeutlicht die Entscheidung die Fortschritte, die die Rechtsprechung auf dem Gebiet des Minderheitenschutzes gemacht hat. Der Kontrast zu RG LZ 1914,273 (oben bei Fn. 32) könnte stärker nicht sein.
§ 2 Historische
Entwicklung
und gegenwärtige
Bedeutung
45
Zum anderen ist zu beobachten, dass die Gerichte inzwischen selbst bei formalen Ungleichbehandlungen - die an sich die ureigene Domäne des Gleichbehandlungsgrundsatzes darstellen - immer häufiger kumulativ die Treuepflicht heranziehen 171 . Die betreffenden Entscheidungen, die insbesondere verdeckte Vermögenszuwendungen betreffen, prüfen den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander zumeist in einem Atemzug, ohne dass Unterschiede in den Tatbestandsvoraussetzungen beider Generalklauseln erkennbar würden 172 . Dahinter scheint wie selbstverständlich die Annahme zu stehen, dass eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung stets auch eine Treuepflichtverletzung darstelle. Dies wird in den Entscheidungen jedoch nicht ausdrücklich ausgesprochen; generelle Aussagen zum Verhältnis von Treuepflicht und Gleichbehandlungsgrundsatz werden vermieden. Einzig das OLG Stuttgart hat in einer Entscheidung beiläufig bemerkt, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz lediglich als besonderer „Ausfluss" der Treuepflicht anzusehen sei 173 . Die gesamte Entwicklung erinnert nach alledem stark an die Rechtsprechung des RG, nachdem diese das Sittengebot im „Victoria"-Urteil 174 zu einer Art Treuepflicht ausgebaut hatte. Auch damals war zu beobachten, dass Fälle materieller Ungleichbehandlung nicht über den Gleichbehandlungsgrundsatz gelöst wurden und dieser selbst in dem vergleichsweise schmalen Anwendungsbereich, der ihm noch verblieb, nur noch kumulativ und in Verquickung mit dem Sittengebot Erwähnung fand 175 . Nicht viel anders verhält es sich heute im Verhältnis zwischen dem Gleichbehandlungsgrundsatz und der Treuepflicht der Gesellschafter untereinander. bb) Die Verquickung von Gleichbehandlungsgrundsatz und Treuepflicht der Gesellschafter untereinander darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kontrollmaßstäbe nicht identisch sind. Während Ungleichbehandlungen einer positiven sachlichen Rechtfertigung nach Art der „Kali und Salz"-Kriterien bedürfen 176 , fällt die allgemeine, auch auf gleichmäßige Maßnahmen anwendbare Treuepflichtkontrolle weniger intensiv aus. Von der unterschiedlichen Intensität der Kontrollmaßstäbe geht augenscheinlich auch der BGH aus, der in seiner Rechtsprechung deutlich zwischen der Frage der sachlichen Rechtfertigung
171 Vgl. BGHZ 111, 224 (227) (Erhöhung der Vergütung des geschäftsführenden GmbHGesellschafters); OLG Köln NZG 1999,1112 (1114) (Erstattung von privaten Anwaltskosten an geschäftsführenden GmbH-Gesellschafter); OLG Hamm NZG 2000, 1185 (1187) (Verweigerung der Aufhebung einer Vinkulierung). 172 Nachw. wie Fn. 171. Vgl. auch OLG München BB 1990,369 (370), wo geprüft wird, ob die Klägerin „treuwidrig ungleich behandelt" worden sei. 173 OLG Stuttgart AG 2000,229 (230, re. Sp.). 174 RGZ 132,149; dazu oben bei Fn. 40. 175 S. oben Ziff. 12 b. 176 S. schon oben bei Fn. 125 sowie ausführlich unten § 12.
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1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
nach „Kali und Salz" und der Treuepflichtkontrolle unterscheidet177. Während erstere eine vergleichsweise intensive Inhaltskontrolle eröffnet, trägt die Treuepflichtkontrolle in den einschlägigen Entscheidungen eher den Charakter einer einzelfallbezogenen Missbrauchskontrolle178. Wo die Grenzen zwischen beiden Kontrollmaßstäben exakt verlaufen, bleibt in der bisherigen Entscheidungspraxis allerdings dunkel179. Am ehesten wird man das Verhältnis mit K. Schmidt als Regel-Ausnahme-Verhältnis beschreiben können: Die Inhaltskontrolle am Maßstab der Lehre vom sachlichen Grund bzw. des Gleichbehandlungsgrundsatzes fragt nach der positiven sachlichen Rechtfertigung des Beschlusses, die darzulegen Sache der Gesellschaft ist. Die Treuepflichtkontrolle geht dagegen vom Prinzip der Rechtmäßigkeit des Beschlusses aus und fragt danach, ob sich der Beschluss aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise als missbräuchlich darstellt180. Um den Unterschied auch sprachlich deutlich zu machen, soll im Folgenden der Begriff „Inhaltskontrolle" der sachlichen Rechtfertigung nach „Kali und Salz" sowie der sachlichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorbehalten bleiben, während im Übrigen von „treuepflichtgestützter Missbrauchskontrolle" die Rede sein soll. c) Treuepflicht
der
Gesellschaft
Die dritte generalklauselartige Schranke, die auf eine richterliche Rechtsfortbildung des BGH zurückgeht und in Konkurrenz zum Gleichbehandlungsgrundsatz tritt, ist die Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern. Dass es sich dabei um eine Neuschöpfung des BGH handelt, mag man auf den ersten Blick bezweifeln, ist doch das Bestehen von Treuepflichten im vertikalen Verhältnis Gesellschaft/Gesellschafter auch im Kapitalgesellschaftsrecht seit langem anerkannt181. Doch betrafen die einschlägigen Entscheidungen zunächst ausnahmslos die Treuepflicht des Gesellschafters gegenüber seiner Ge177 Besonders deutlich BGHZ 76, 352 (353 ff.); 103, 184 (189ff., 193 ff.); aber auch BGHZ 129, 136 (151 f.); ebenso BayObLG BB 1999, 281 (282). Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 214 ff., spricht anschaulich von einem „zweispurigen Ansatz" des BGH; deutlich auch Kort, Bestandsschutz, S. 65 f. 178 Instruktiv BGHZ 76, 352 (353), wo zunächst das Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung verneint wird und anschließend die Frage aufgeworfen wird, „ob besondere Umstände vorliegen, die den angefochtenen Beschluss als das Ergebnis einer missbräuchlichen Stimmrechtsausübung erscheinen lassen." 179 Vgl. auchÄ". Schmidt, in: Großkomm. AktG, §243 Rdn.47 (Abgrenzung „kompliziert und zweifelhaft"); Timm, ZGR 1987, 403 (414) („klare Grenze ... schwerlich zu ziehen"); Windbichler, in: Henze/Timm/Westermann, Gesellschaftsrecht 1995, S. 23 (35) („kaum auseinanderzuhalten"). 180 Vgl. K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §243 Rdn.47; ebenso G.H. Roth, in: MünchKomm. BGB, §242 Rdn. 440 a.E. 181 Vgl. RGZ 146, 71 (76); 146, 385 (395 ff.); RG DR 1940,2177.
§2 Historische
Entwicklung
und gegenwärtige
Bedeutung
47
sellschaft, nicht aber umgekehrt die Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern. Es blieb daher dem B G H vorbehalten, zunächst f ü r die G m b H 1 8 2 und später auch f ü r die A G 1 8 3 eine Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern höchstrichterlich anzuerkennen. Das S c h r i f t t u m ist dem ganz überwiegend gefolgt 1 8 4 . Inhaltlich ist die Treuepflicht der Gesellschaft darauf gerichtet, jedem Gesellschafter „eine ungehinderte und sachgemäße W a h r n e h m u n g seiner Mitgliedschaftsrechte zu ermöglichen und alles zu unterlassen, was dieses Recht beeinträchtigen könnte." 1 8 5 Allerdings bewendet es bisher bei wenigen Entscheidungen, so dass der U m f a n g der Treuepflicht der Gesellschaft im Detail noch wenig geklärt ist. A u c h im S c h r i f t t u m hat diese Wirkungsrichtung der Treuepflicht bislang verhältnismäßig geringe Beachtung gefunden; nähere A u s f ü h r u n g e n hierzu finden sich selten 1 8 6 . A u c h im Rahmen der Treuepflicht der Gesellschaft ist w i e d e r u m die oben bereits mehrfach festgestellte Tendenz der Gerichte zu beobachten, unmittelbar auf die Treuepflicht zu rekurrieren, anstatt den Gleichbehandlungsgrundsatz anzuwenden. Besonders deutlich w i r d dies anhand einer Entscheidung des
182 Vgl. im Anschluss an die zur e.G. ergangene Entscheidung BGH N J W 1960, 2142 (2143) zunächst BGH WM 1972, 931 (933 re. Sp.) („beiderseitige Treuepflicht") sowie vor allem BGH ZIP 1991, 1584 (1585 re. Sp.) mit. Anm. Werner, WuB II C. § 13 GmbHG 3.92, und K. Zimmermann, EWiR 1992, 59 f. 183 BGHZ 127, 107 (111); dazu Dilger, WuB II A. § 130 AktG 1.95; Gehrlein, WM 1994, 2054 ff.; Hirte, EWiR 1995, 13 f.; Jasper, WiB 1994, 947; G.H. Roth, LM § 130 AktG Nr. 3. 184 Durchweg zustimmend insoweit die in Fn. 182 und 183 genannten Entscheidungsanmerkungen; für Anerkennung von Treuepflichten der Gesellschaft ferner Bungeroth, in: Münch. Komm. AktG, vor §53a Rdn.24; Habersack, WM 2001, 545 (549); Henze, Aktienrecht, Rdn. 1055 f.; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, Anh. § 53a Rdn. 27, 87 ff.; Lutter, AG 2000, 342 (344); T. Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, §12 Rdn. 46; U.H. Schneider/ Burgard, FS Ulmer, S. 579 (581, 593 f.); Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 53 Rdn. 59; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 45 ff.; Kiefner, Konzernumbildung, S. 458 f.; für Osterreich Koppensteiner, GmbHG, §61 Rdn. 22. Auch die ältere Literatur hatte sich teilweise bereits ausdrücklich für die Anerkennung von Treuepflichten der Gesellschaft ausgesprochen; vgl. etwa R. Teichmann, in: Teichmann/Koehler, AktG 1937, §48 Anm. 5; Fehrensen, Treuepflicht, S. 111; der Sache nach auch Knöpfel, Treupflicht, S.44ff., 66 f., der von gesteigerten Rücksichtnahmepflichten spricht. Kritisch gegenüber der Anerkennung von Treuepflichten der Gesellschaft aber Kort, ZHR 166 (2002), 366 (368); Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 78 f. Näher zur Kritik unten § 5 III 2. 185 BGHZ 127,107(111). 186 Am ausführlichsten bisher Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, Anh. § 53a Rdn. 87 ff. Diskutiert wird die Treuepflicht der Gesellschaft vor allem im Zusammenhang mit der Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Anteile (dazu Henze/Notz aaO. Rdn. 90 f.) sowie im Rahmen der vor wenigen Jahren von Lutter, AG 2000, 342 ff., aufgeworfenen Frage, ob die AG ihren Aktionären beim Börsengang der Tochtergesellschaft ein Vorerwerbsrecht auf Aktien der Tochter einräumen muss; mit Recht ablehnend dazu die h.M., vgl. nur Habersack, WM 2001, 545 ff.; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, Anh. § 53a Rdn. 92 m.w.Nachw.; bejahend aber zuletzt Kiefner, Konzernumbildung, S. 288ff. (Analogie zu §§221 Abs. 4, 3. Var., 186 AktG); mit Einschränkungen auch]. Ziegler, Börsengang, S. 185 ff.
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1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
B G H aus dem Jahr 1991 187 , die verdeckte Vermögenszuwendungen an den Mehrheitsgesellschafter einer GmbH zum Gegenstand hatte. Obwohl der klagende Minderheitsgesellschafter keine vergleichbaren Vorteile erhalten hatte, also eine Ungleichbehandlung vorlag, erwähnte der B G H den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht, sondern stellte lediglich fest, dass die Gewährung unberechtigter Vorteile an einen der Gesellschafter zum Nachteil der anderen eine Verletzung der Treuepflicht der GmbH darstelle 188 . Der Verdacht liegt nahe, dass der B G H vor allem deshalb auf die Treuepflicht auswich, weil der Kläger u.a. Schadensersatz begehrt hatte und diese Rechtsfolge bei schuldhaften Treuepflichtverletzungen allseits anerkannt ist, während dies bei Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht der Fall ist 189 . Mag man über die Motive des B G H auch spekulieren, so zeigt die Entscheidung jedenfalls in aller Deutlichkeit, wie weitgehend der Gleichbehandlungsgrundsatz inzwischen durch den unmittelbaren Rückgriff auf die Treuepflicht verdrängt wird. d) Sondervorteilsverbot
(§243 Abs. 2 AktG)
Als vierte bewegliche Schranke neben dem Gleichbehandlungsgrundsatz bleibt das in § 243 Abs. 2 A k t G geregelte Sondervorteilsverbot zu beachten, das auch auf die GmbH entsprechende Anwendung findet190. Wie bereits angedeutet hat das Sondervorteilsverbot allerdings in der neueren Rechtsprechung bei weitem nicht dieselbe Bedeutung erlangt, die ihm zu Zeiten des R G zukam. Dies liegt zum einen daran, dass einzelne Fallgruppen, die das R G mithilfe des aus den guten Sitten abgeleiteten Sondervorteilsverbots zu bewältigen suchte, im A k t G 1965 eine spezialgesetzliche Regelung erfahren haben 191 , vor allem aber an der Lehre vom sachlichen Grund und den verschiedenen Ausprägungen der Treuepflicht. Neben diesen hat die Vorschrift des § 243 Abs. 2 A k t G in der Rechtsprechung praktisch jede Bedeutung verloren 192 , sie wird oft gar nicht oder allenfalls beiläufig erwähnt 193 . In Übereinstimmung hiermit hält auch das Schrifttum B G H Z I P 1991,1584. B G H Z I P 1991,1584(1585). 189 Vgl. vorerst nur Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 42; Hüffer, AktG, §53a Rdn. 12; H. Winter, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rdn. 49, die Schadensersatzansprüche allenfalls bei Vorsatz in Betracht ziehen. 190 Unstr., vgl. etwa B G H Z 76, 352 (354); Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, § 53 Rdn. 63; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, §45 Rdn. 109 („allgemeiner verbandsrechtlicher Grundsatz"). 191 Vgl. insbes. § 255 Abs. 2 AktG. 192 Dies gilt mit wenigen Ausnahmen auch für die Ausgleichsklausel des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG; näher dazu unten § 13. 193 Vgl. etwa die oben Fn. 163 ff. erwähnten Entscheidungen B G H Z 76,352 (357); 103,184 (193); O L G Stuttgart, AG 1994, 411 ff.; BayObLG BB 1999, 281 (282), ferner O L G Stuttgart AG 2000,229 (230 ff.) und DB 2001, 854 (859 f.), wo jeweils nur die Treuepflicht geprüft wird, obwohl auch eine Prüfung des § 243 Abs. 2 AktG nahe lag. 187 188
§ 2 Historische
Entwicklung
und gegenwärtige
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§243 Abs. 2 AktG für entbehrlich, da jeder Verstoß gegen das Sondervorteilsverbot zugleich eine Treuepflichtverletzung und damit bereits einen Anfechtungsgrund nach § 243 Abs. 1 AktG darstelle 194 . Im Vergleich mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz fällt auf, dass §243 Abs. 2 AktG ohne weiteres auch auf materielle Ungleichbehandlungen erstreckt wird. Es findet sich eine Reihe von Entscheidungen, die als Kontrollmaßstab für materielle Ungleichbehandlungen neben der Treuepflicht die Vorschrift des § 243 Abs. 2 AktG heranziehen, nicht aber den Gleichbehandlungsgrundsatz 195 . Insgesamt lässt sich der Entscheidungspraxis aber keine durchgängige, stringente Linie entnehmen. Nicht selten erscheint es eher zufällig, ob die Gerichte §243 Abs. 2 AktG oder den Gleichbehandlungsgrundsatz prüfen. So wird als Kontrollmaßstab für die Zustimmung zu Vertragsschlüssen mit dem Mehrheitsgesellschafter neben der Treuepflicht auch § 243 Abs. 2 AktG herangezogen, nicht aber der Gleichbehandlungsgrundsatz, obwohl in diesen Fällen auch formal eine Ungleichbehandlung vorliegt 196 . Daneben finden sich mehrere Entscheidungen, die sowohl den Gleichbehandlungsgrundsatz als auch § 243 Abs. 2 AktG anwenden und beide Grundsätze so vermischen, als handele es sich um ein und dieselbe Vorschrift 197 .
IV. Fazit Zieht man Bilanz, lässt sich festhalten, dass die hehren Zitate vom „obersten" und „beherrschenden" Grundsatz der Gleichbehandlung nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, dass die Bedeutung des Grundsatzes in der Entscheidungspraxis sowohl des RG als auch der aktuellen Rechtsprechung auf einen vergleichsweise schmalen Anwendungsbereich beschränkt war und ist. Dies hat seinen Grund vor allem darin, dass bereits das RG den Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf formale Ungleichbehandlungen beschränkte und auch neuere Entscheidungen den Grundsatz nur selten auf 194 Vgl. etwa K. Schmidt Gesellschaftsrecht, §28 I 4b (S.802) („Die Bestimmung hat ... ihre Schuldigkeit getan."); Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. §47 Rdn.90; grundsätzlich auch H ü f f e r , in: Münch. Komm. AktG, §243 Rdn. 73; ders., AktG, §243 Rdn. 32 („weithin entbehrlich"); T. Raiser, in: Hachenburg, GmbHG, Anh. §47 Rdn. 116 a.E. („in zunehmendem Maße gegenstands- und funktionslos"). 195 Vgl. BGHZ 76, 352 (357); 103, 184 (193); 138, 71 (80 f.); OLG Düsseldorf NZG 2002, 191 (192 f.); LG Bonn AG 2001,201 (203f.). 196 Vgl. OLG Frankfurt a.M. BB 1973, 863 (864 f.) mit Anm. Rasch (Verpachtung des Anlagevermögens an die Mehrheitsaktionärin zu unangemessen niedrigem Pachtzins); LG Köln DB 1999, 680 (681) (Veräußerung des operativen Geschäfts an den Großaktionär zu einem zu niedrigen Preis); LG München I NZG 2002, 826 (827) (Aktientauschvertrag mit Mehrheitsaktionär zu ungünstigen Konditionen). 197 Vgl. OLG München BB 1997, 2341; LG Kassel AG 1989,218 (219); LG Osnabrück AG 1996, 430 (431) („§ 243 Abs. 2 i.V.m. § 53a AktG").
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materielle Ungleichbehandlungen ausgedehnt haben. Diese Beschränkung hat dazu geführt, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz von Anfang an lediglich einen kleinen Ausschnitt der möglichen Fälle des Mehrheitsmissbrauchs erfassen konnte. Zur entscheidenden beweglichen Schranke des Mehrheitsprinzips avancierte deshalb zunächst das vom RG aus den guten Sitten hergeleitete, inzwischen in § 243 Abs. 2 Satz 1 A k t G geregelte Verbot, auf Kosten der Gesellschaft oder der Mitgesellschafter gesellschaftsfremde Sondervorteile anzustreben. In neuerer Zeit hat der B G H mit der Lehre vom sachlichen G r u n d , der Treuepflicht der Gesellschafter untereinander sowie der Treuepflicht der Gesellschaft weitere Kontrollmaßstäbe eingeführt, die die Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (und nunmehr auch des Sondervorteilsverbots) erheblich einschränken. Insgesamt handelt es sich um eine durchaus bemerkenswerte Entwicklung: Die Kontrollmaßstäbe des geschriebenen Rechts (§53a A k t G , §243 Abs. 2 AktG) haben kaum noch Bedeutung, während die ungeschriebenen, im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten Schranken ganz im Mittelpunkt stehen. Im Folgenden wird es darum gehen, diese Entwicklung einer kritischen Bewertung zu unterziehen. Dabei wird insbesondere zu fragen sein, ob es richtig war, die Lehre vom sachlichen Grund und die Treuepflicht in der beschriebenen Weise in den Vordergrund zu rücken oder ob es nicht im Gegenteil angezeigt wäre, dem Gleichbehandlungsgrundsatz künftig stärkere Beachtung zu schenken, als dies bisher der Fall ist.
§ 3 Beurteilung der bisherigen Entwicklung I. Reaktionen im Schrifttum: Skepsis gegenüber dem Gleichbehandlungsgrundsatz Dass dem Gleichbehandlungsgrundsatz, verglichen mit dem Gebot der sachlichen Rechtfertigung und der Treuepflicht, in der Entscheidungspraxis nur geringe Bedeutung zukommt, ist dem neueren Schrifttum kein Anlass zur Kritik. Während namentlich L. Raiser und G. Hueck dem Gleichbehandlungsgrundsatz noch große Bedeutung beimaßen1, schätzt die heute h.L. die Leistungsfähigkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes zurückhaltend ein. Zwar folgt man nicht mehr der Fundamentalkritik Wiethölters, der dem Gleichbehandlungsgrundsatz vorhielt, dass er wegen seines „rein formalen" Charakters den Blick für materielle Konfliktlösungen verstelle und daher „eher schädlich als nützlich" sei2. Aber man hebt doch die „unleugbaren Schwächen"3 des Gleichbehandlungsgrundsatzes hervor, betont die Grenzen seines Anwendungsbereichs und unterstreicht zugleich die Notwendigkeit der vom BGH entwickelten zusätzlichen Schranken. So liest man etwa bei Wiedemann: „So einhellig die Gleichbehandlungspflicht im Verbandsrecht anerkannt wird, so eingeschränkt ist ihre Wirkungskraft für die praktischen Fälle des Minderheitenschutzes."4
1 Vgl. L. Raiser, Z H R 111 (1948), 75 (84): Überall dort, wo es auf die Begrenzung der Rechte der Mitglieder im Hinblick auf die übrigen Mitglieder ankommt, „ist der Gleichheitsgrundsatz für sich allein geeignet, auftauchende Konflikte zu lösen, so daß es des Rückgriffs auf den viel mißbrauchten Gedanken der Sittenwidrigkeit, aber auch der Treuepflichtverletzung nicht bedarf." Vgl. ferner G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 305 ff. („ganz besondere Bedeutung"), sowie die aus derselben Zeit stammende Dissertation von Grüter, Gleichbehandlung S. 89 ff., 94: Der Gleichbehandlungsgrundsatz beinhaltet „im Verhältnis zu den sonstigen Schranken der Verbandsgewalt die bei weitem wichtigste Begrenzung der von der Verbandsgewalt ausgeübten Macht." 2 Wiethölter, Interessen, S. 103 ff., insbes. 108, 121; vgl. auch aaO., S. 130 mit Fn. 104: Gleichbehandlungsgrundsatz für sich ein „leerer und formaler Satz". Ahnlich v. Falkenhausen, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 30 ff., 32 („rechtsdogmatisch verfehlt und rechtspolitisch bedenklich"); Roitzsch, Minderheitenschutz, S. 34 ff. Ablehnend zum Gleichbehandlungsgrundsatz auch Konow, GmbHR 1973,121 (122). 3 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 II 4 b dd (S.464). 4 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 2 (S. 429).
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1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
Ein ähnlich schlechtes Zeugnis wird dem Gleichbehandlungsgrundsatz auch von zahlreichen weiteren Autoren ausgestellt 5 . Fragt man nach den Gründen, weshalb dem Gleichbehandlungsgrundsatz eine so zurückhaltende Beurteilung zuteil wird, so sind vor allem zwei tatsächliche oder vermeintliche Schutzdefizite hervorzuheben, die immer wieder genannt werden: Zum ersten wird - insbesondere im Zusammenhang mit dem Bezugsrechtsausschluss - häufig betont, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht den Fall erfassen könne, dass ein Dritter zulasten der Gesellschafter begünstigt werde 6 . Dabei wird allerdings teilweise übersehen, dass einem Gesellschafter nahe stehende Dritte, insbesondere von ihm abhängige Unternehmen, richtigerweise nicht als Dritte anzusehen sind 7 . Das zweite große Schutzdefizit wird darin gesehen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz auf die Kontrolle formaler Ungleichbehandlungen beschränkt sei8. Dem Einwand, dass man dem durch die Einbeziehung materieller Ungleichbehandlungen in den Schutzbereich abhelfen könnte, wird entgegengehalten, dass dadurch kaum lösbare Abgrenzungsfragen entstünden und der Gleichbehandlungsgrundsatz „theoretisch uferlos" würde 9 . Auf beide Bedenken wird im Folgenden zurückzukommen sein. Bereits an dieser Stelle als nicht tragfähig auszuscheiden sind dagegen zwei weitere Einwände, die gegen die Leistungsfähigkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes erhoben werden. Dies gilt zunächst für die Behauptung Wiedemanns, ein zentraler Schwachpunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes sei darin zu erblicken, 5 Vgl. Füchsel, BB 1972, 1533 (1535); Priester, DB 1980,1925 (1925 f.); Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 14 f.; Worch, Treuepflichten, S. 19 („Einen effektiven Minderheitenschutz vermag der Grundsatz nicht zu gewährleisten..."); Reiner, Gesellschaftsinteresse, S.49ff., 73; Bezugsrecht, Brüls-Dehin, Schranken, S.477f. („wenig ergiebige Schranke"); Schumann, S. 35 f.; vgl. auch Zöllner, Schranken, S. 303 ff. (dort wird dem Grundsatz zwar zunächst „besondere Bedeutung" attestiert, anschließend werden aber fast nur die Schutzdefizite betont); ferner Lutter, JZ 1976, 225 (229 Ii. Sp.), sowie die in Fn. 2 Genannten. Optimistischer (trotz der „unleugbaren Schwächen") K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 II 4 b dd (S.464); Martens, GmbHR 1984,265 (266 f.) (zumindest im GmbH-Recht „durchaus effizientes Mittel"). 6 Vgl. etwa Zöllner, Schranken, S.304; Füchsel, BB 1972, 1533 (1535); Priester, DB 1980, 1925 (1925 f.); Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 15; Ernstberger, Mehrheitsherrschaft, S. 131; Roitzsch, Minderheitenschutz, S.36; Schumann, Bezugsrecht, S. 35 f.; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 53, 59 f. 7 Näher unten §11 II 3 b. 8 Vgl. etwa Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 2 b (S. 429 f.) (für Einbeziehung materieller Ungleichbehandlungen im Rahmen des §53a AktG nunmehr aber ders., Gleichbehandlungsgebote, S.34); Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, §53 Rdn. 65; Kreß, Beschlusskontrolle, S. 13 f., 130. 9 So ausdrücklich Reiner, Gesellschaftsinteresse, S.49; kritisch auch Kreß, Beschlusskontrolle, S. 130 f., beide in Auseinandersetzung mit dem materielle Ungleichbehandlungen einbeziehenden Ansatz des französischen Rechts (dazu unten § 7 I 2 b). Die Abgrenzungsschwierigkeiten bei Feststellung einer (materiellen) Ungleichbehandlung betonen auch Zöllner, Schranken, S.303f.; Huffmann, Austauschgeschäfte, S.222; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 83.
{ 3 Beurteilung
der bisherigen
Entwicklung
53
dass der Grundsatz nur willkürliche, d.h. sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen verbiete und die Unbestimmtheit des Willkürbegriffs einen „großen Unsicherheitsfaktor" darstelle, der die Abwägung nahezu beliebig offenlasse und der Mehrheit einen weiten Spielraum für Differenzierungen zulasten der Minderheit lasse10. Diese These muss schon deshalb überraschen, weil Wiedemann zugleich Anhänger der Lehre vom sachlichen Grund ist, die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes aber nach h.M. mit denjenigen der Lehre vom sachlichen Grund übereinstimmen11. Gewiss wirft die sachliche Rechtfertigung im Einzelfall schwierige Abwägungsfragen auf12. Dass ein- und dieselbe Inhaltskontrolle im Rahmen der „Kali und Salz"-Rechtsprechung als Fortschritt begrüßt, im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes dagegen als „großer Unsicherheitsfaktor" diskreditiert wird, leuchtet jedoch nicht ein. Ähnliches gilt für die Kritik, die Zöllner am Gleichbehandlungsgrundsatz geübt hat. Er sieht einen weiteren Schwachpunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes darin, dass dieser allein auf die objektive Sachlage abstelle, ohne die subjektiven Beweggründe der Beteiligten mit zu berücksichtigen, und deshalb nicht in der Lage sei, Differenzierungen zu erfassen, die zwar missbräuchliche Zwecke verfolgten, aber objektiv als sachlich gerechtfertigt erschienen13. Dem ist entgegenzuhalten, dass es kein unangemessenes Ergebnis darstellt, wenn eine durch das Gesellschaftsinteresse objektiv gerechtfertigte Differenzierung nicht unter Hinweis auf unredliche Motive eines Beteiligten in Frage gestellt werden kann. In anderem Zusammenhang räumt Zöllner dies auch selbst ein, indem er ausführt, dass ein Beschluss niemals deshalb angreifbar sei, weil sich ein Mitglied von egoistischen Sonderinteressen leiten lasse, sofern das Verbandsinteresse trotzdem gefördert werde14. Das verdient Beifall, da alles andere auf eine Beanstandung der bloßen Gesinnung hinausliefe, die auch sonst mit Recht nicht stattfindet. II. Gründe f ü r eine Neuorientierung Mag die h.L. auch keinen Anlass sehen, vom inzwischen erreichten status quo abzugehen, so stellen sich bei näherer Betrachtung doch Zweifel ein, ob der eingeschlagene Weg, die Inhaltskontrolle um die Lehre vom sachlichen Grund auf10 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 2 b (S. 430); ähnlich Zöllner, Schranken, S. 304; Roitzsch, Minderheitenschutz, S. 34; Worch, Treuepflichten, S. 19; sowie zuletzt Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 67 („immense Rechtsunsicherheit"). 11 Nachw. oben §2 Fn. 125. 12 Ausführlich dazu unten § 12. 13 Vgl. Zöllner, Schranken, S. 304; ähnlich Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 73 f. 14 Zöllner, Schranken, S. 320.
1. Kapitel:
54
Bestandsaufnahme
zubauen und daneben in weitem Umfang unmittelbar auf die Treuepflicht zurückzugreifen, anstatt den Gleichbehandlungsgrundsatz fruchtbar zu machen, der richtige war. Bedenken weckt vor allem die Lehre vom sachlichen Grund, im Vergleich zu der sich der Gleichbehandlungsgrundsatz bei sachgerechter Auslegung als das die Privatautonomie schonendere, zur Erfassung der wahrhaft inhaltskontrollbedürftigen Fälle gleichwohl hinreichende Kontrollinstrument darstellt (dazu Ziff. 1). Aber auch der allzu bereitwillige Rückgriff auf die Treuepflicht erweist sich bei näherem Hinsehen als kritikwürdig (Ziff. 2). 1. Bedenken
gegen die Lehre vom sachlichen
Grund
a) Ausgangspunkt Lange Zeit konnten die „Kali und Salz"-Entscheidung und die durch sie begründete Lehre vom sachlichen Grund mit breiter, nahezu ungeteilter Zustimmung rechnen. Dieses Bild hat sich in jüngerer Zeit gewandelt. Im Schrifttum häufen sich die kritischen Stimmen, die eine Abkehr von der Lehre vom sachlichen Grund fordern 15 . Diese zunehmende Skepsis hat gute Gründe. Nachdenklich stimmen schon die fortbestehenden Unsicherheiten über die zutreffende dogmatische Grundlage 16 sowie die Tatsache, dass es trotz allen gedanklichen Aufwands nicht gelungen ist, präzise und in sich stimmig zu beschreiben, auf welche Beschlussgegenstände die Lehre vom sachlichen Grund überhaupt Anwendung finden soll 17 . Die Argumente der Rechtsprechung 18 , mit denen Fall für Fall die (Nicht-) Anwendung der Lehre vom sachlichen Grund begründet 15 Vgl. Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 15 ff., 24ff., 48ff.; Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 310 ff., 344 f., 357 f.\Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 66 ff., 112 f., 569 („Hypertrophie des Minderheitenschutzes"); speziell zum Bezugsrechtsausschluss auch Kühler/Mendelson/Mundheim, AG 1990,461 (462 f., 474 f.); Röhricht, Z G R 1999,445 (469 ff.); T. Bezzenberger, ZIP 2002,1917 (1924 ff.); Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 103 ff., 120 f.; früher bereits Roitzsch, Minderheitenschutz, S.185 mit Fn.39 i.V.m. S. 175 ff. Daneben hat Kindler, Z H R 158 (1994), 339 ff., mit Blick auf Art. 29 Abs. 4 Kapital-RL gemeinschaftsrechtliche Bedenken gegen die Lehre vom sachlichen Grund beim Bezugsrechtsausschluss erhoben. Diese lassen sich jedoch nach der Entscheidung des EuGH in der Sache „Siemens/Nold" (Rs. C-42/95, Slg. 1-6017, Rdn. 19 ff.) schwerlich aufrechterhalten. Für Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht auch Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 200, 202; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 135 ff.; Peifer, in: MünchKomm. AktG, §186 Rdn. 78; alle m.w.Nachw. 16 Die h.L. ( e t w a H ü f f e r , AktG, § 53a Rdn. 17, § 243 Rdn. 24; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, Anh. § 53a Rdn. 23 m.w.Nachw.) sieht in der Lehre vom sachlichen Grund eine besondere Ausprägung der Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern. Berechtigte Kritik daran aber bei Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 229ff.; für Anknüpfung an die Treuepflicht der Gesellschaft (nicht der Gesellschafter) nunmehr Boese, Anwendungsgrenzen, S. 44 ff. 17 Zu dem kaum noch überschaubaren Streitstand vgl. die Nachw. oben § 2 Fn. 148 ff.; um Klärung bemüht nunmehr Boese, Anwendungsgrenzen, S. 131 ff. 18 Nachw. oben §2 Fn. 139 ff.
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der bisherigen
Entwicklung
55
wird, variieren erheblich, so dass es schwer fällt, darin einen roten Faden zu erkennen 19 . Soweit neuerdings, wie in der „Macrotron"-Entscheidung des BGH zum Delisting und einigen obergerichtlichen Entscheidungen 20 , auf den „unternehmerischen Charakter" der Maßnahme abgehoben wird, um das Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung zu verneinen, müsste dies konsequenterweise zur Aufgabe der Lehre vom sachlichen Grund führen. Jedenfalls ist das Paradigma der Lehre vom sachlichen Grund, die Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss, nicht minder eine Entscheidung mit unternehmerischem Charakter 21 . Wichtiger als die Details der Abgrenzung ist indes die Grundsatzkritik, die insbesondere von Fastrieb, aber auch von Röhricht gegen die Lehre vom sachlichen Grund vorgetragen worden ist 22 . Beide betonen, dass die gerichtliche Inhaltskontrolle einen erheblichen Eingriff in die Privatautonomie darstellt 23 , der einer besonderen Legitimation bedarf 24 . Dies gilt zumal mit Rücksicht auf die einschneidenden Folgen, die mit ihr verbunden sind. So lässt sich nicht leugnen, dass die im Einzelfall schwer prognostizierbare Inhaltskontrolle die Rechtsunsicherheit vergrößert, Entscheidungsprozesse der Gesellschaft verzögert und der Minderheit ein erhebliches Erpressungspotenzial an die Hand gibt. Mit Recht verweist Fastrich hinsichtlich des Eingriffs in die Privatautonomie auf die Parallele zum Vertragsrecht 25 : Die Inhaltskontrolle von Verträgen erfolgt ebenfalls nicht flächendeckend, sondern nur punktuell in Sonderfällen wie der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, in denen die Funktionsbedingungen der Privatautonomie gestört sind. Dies spricht dafür, auch im Rahmen von Gesellschafterbeschlüssen die Inhaltskontrolle nicht breitflächig für jeden Eingriff in die Mitgliedschaft oder jeden Bezugsrechtsausschluss anzuordnen, sondern nur dort, wo die Funktionsvoraussetzungen des MehrheitsWie hier Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 108. BGH ZIP 2003, 387 (391 Ii. Sp.); OLG Düsseldorf AG 1994, 228 (233); OLG Düsseldorf NZG 2002, 191 (193). 21 Kritik an dieser Begründung denn auch bei Lutter, JZ 2003, 684 (686); K. Schmidt, NZG 2003, 601 (603 re. Sp.). 22 Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 15 ff., 48 ff.; Röhricht, ZGR 1999,445 (469 ff.). Sehr grundsätzliche Kritik an der Lehre vom sachlichen Grund auch bei Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 310 ff., 344 f., 357f., und Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S.66ff., 112 f., beide allerdings auf Grundlage der von Mülbert entwickelten, hier nicht geteilten These, dass dem AktG ein „rein vermögensmäßig konzipiertes Schutzsystem" zugrunde liege; zur Auseinandersetzung mit dieser Konzeption näher unten § 13. 23 Nämlich in dem Sinne, dass die Befugnis der Gesellschaft und der für diesen handelnden Gesellschaftermehrheit beschränkt wird, selbst zu entscheiden, ob der Bezugsrechtsausschluss sinnvoll erscheint. 24 Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 18 f.; sowie Röhricht, ZGR 1999,445 (471), der sogar von einer „Entmündigung der Hauptversammlung zugunsten der staatlichen Gerichtsbarkeit" spricht. 25 Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 18 f. 19
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1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
prinzips beeinträchtigt sind. In dieselbe Richtung geht die Forderung Röhrichts, nur die „wirklich kranken Fälle" einer Inhaltskontrolle zu unterziehen 26 . b) Rückbesinnung
auf die Grundlagen
des
Mehrheitsprinzips
Folgt man diesem Ausgangspunkt, schließt sich freilich die Frage an, unter welchen Umständen sich davon sprechen lässt, dass die Funktionsbedingungen des Mehrheitsprinzips gestört sind und somit Anlass für eine Inhaltskontrolle besteht. Die Beantwortung dieser Frage setzt eine Vergewisserung über die Grundlagen des Mehrheitsprinzips voraus. Auch insoweit lässt sich an die insbesondere von Fastrich geleisteten Vorarbeiten anknüpfen 27 . Dass das Mehrheitsprinzip überhaupt akzeptabel ist und nicht ständig missbraucht wird, sondern im Regelfall durchaus sachgerechte Ergebnisse verbürgt, beruht auf der Erkenntnis, dass durch die Beteiligung an ein- und derselben Gesellschaft eine Interessengleichrichtung geschaffen wird. In den Worten Fastrichs: „Durch ihre Beteiligung sitzen (...) die Gesellschafter im Grundsatz alle im gleichen Boot." 2 8 Trifft die Mehrheit Entscheidungen, die den Gesellschaftsinteressen abträglich sind, schädigt sie ihre Beteiligungsinteressen nicht weniger als diejenigen der Minderheit. Die Mehrheit muss sich daher im eigenen Interesse darum bemühen, sachgerechte und im Interesse der Gesellschaft liegende Beschlüsse zu fassen, womit sie unvermeidlich zugleich die Interessen der Minderheit wahrnimmt 29 . Fastrich spricht insoweit von einer „prozeduralen Gewährleistung der Richtigkeit" des Mehrheitsbeschlusses30. Gewiss ist diese Richtigkeitsgewähr keine absolute; die Mehrheit kann sich irren und im Einzelfall Beschlüsse fassen, die sich letztlich als dem Gesellschaftsinteresse abträglich erweisen. Dies allein kann aber als Legitimation für eine gerichtliche Inhaltskontrolle nicht genügen, da auch die Rechtsprechung in der Regel nicht besser als die Gesellschafter selbst beurteilen kann, was im Gesellschaftsinteresse liegt. Um wiederum mit Fastrich zu sprechen: „Selbstbetroffenheit ist in der Privatautonomie immer noch der beste Garant für Sachgerechtigkeit, nicht die richterliche Vormundschaft." 31 Vgl. Röhricht, ZGR 1999,445 (474). Vgl. zum Folgenden Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 19 ff. 28 Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 20; ebenso G.H. Roth, FS Kramer, S. 973 (981); sinngemäß auch ders., in: MünchKomm. B G B , §242 Rdn. 438. 29 Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S.20. Ahnlich zuvor auch schon Roitzsch, Minderheitenschutz, S. 177; sowie aus neuerer Zeit T. Bezzenberger, ZIP 2002,1917 (1924): „Wenn die Interessen gleichgerichtet sind, kann man der Beschlussmehrheit trauen." Vgl. auch BVerfG N J W 2001, 279 (280 re. Sp.) zur Gesamtvermögensveräußerung nach § 179a AktG: Bei Veräußerung an einen unbeteiligten Dritten bestehe wegen der Interessenhomogenität der Gesellschafter „kein Schutzbedürfnis für die Minderheitsgesellschafter". 30 Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 50. 31 Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 21. 26 27
5 3 Beurteilung
der bisherigen
Entwicklung
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Die prozedurale Richtigkeitsgewähr des Mehrheitsbeschlusses reicht allerdings nur so weit, wie ihre Prämisse, die grundsätzliche Interessengleichrichtung der Gesellschafter, tatsächlich zutrifft. Sie entfällt mithin bei Entscheidungen, bei denen es um die gesellschaftsinterne Verschiebung von Rechten und Pflichten geht, oder bei denen die Interessengleichrichtung innerhalb der Gesellschaft von externen Interessen der Mehrheit überlagert wird, die den gemeinsamen Interessen zuwiderlaufen. Hier besteht die konkrete Gefahr, dass die Mehrheit Entscheidungen trifft, die einseitig zulasten der Minderheit gehen. Dies sind die Fälle, in denen die Funktionsbedingungen des Mehrheitsprinzips gestört sind, also die „wirklich kranken" Fälle, in denen - vorbehaltlich anderweitiger Schutzmechanismen 32 - eine gerichtliche Inhaltskontrolle unumgänglich ist, um die fehlende Richtigkeitsgewähr des Beschlusses zu kompensie-
c) Ungleichbehandlung statt „Eingriff in die als Aufgreifkriterium der Inhaltskontrolle
Mitgliedschaft"
aa) Die vorstehenden Überlegungen lassen bereits erkennen, dass die Lehre vom sachlichen Grund mit ihrer vom Kriterium des „Eingriffs in die Mitgliedschaft" ausgehenden und nach dem jeweiligen Beschlussgegenstand differenzierenden Betrachtungsweise nicht den richtigen Ansatzpunkt gefunden hat, um die problematischen, einer Inhaltskontrolle wahrhaft bedürftigen Fälle auszusondern. So ist der Bezugsrechtsausschluss nicht etwa per se ein der Inhaltskontrolle bedürftiger Beschlussgegenstand34. Wenn die Hauptversammlung einer AG mit breit gestreutem Aktionärskreis das Bezugsrecht ausschließt, um Aktien auch an einer ausländischen Börse einführen zu können 35 , und die Beschlussmehrheit dadurch in gleicher Weise betroffen wird wie die Beschlussminderheit, kann man darauf vertrauen, dass der Wille der Mehrheit das Gesellschaftsinteresse in sachgerechter Weise zum Ausdruck bringt. Die Mehrheit hätte keinen Grund, die mit dem Bezugsrechtsausschluss auch für sie verbundenen Nachteile auf sich zu nehmen, wenn sie sich hiervon nicht verspräche, dass die Nachteile durch eine Förderung des Gesellschaftsinteresses wieder aufgewogen werden. Anlass für eine gerichtliche Inhaltskontrolle besteht daher in solchen Fällen trotz der u.U. weitreichenden Folgen des Beschlusses nicht. Anders liegt es 3 2 Trotz gestorten Interessengleichlaufs entfällt das Bedürfnis nach einer Inhaltskontrolle, wenn die Gesellschafter bereits durch anderweitige Schutzmechanismen, insbesondere durch Abfindungsansprüche, abschließend geschützt sind. Aus diesem Grund findet z.B. beim squeeze-out (§§327aff. AktG) trotz gestörten Interessengleichlaufs keine Inhaltskontrolle statt. Näher dazu unten § 9 II 2 a. 33 Vgl. Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 21 f., 24 ff. 34 Zutr. Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 25 f.; T. Bezzenberger, ZIP 2002, 1917 (1923 ff.). 3 5 Vgl. B G H Z 125,239.
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1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
erst, wenn durch den Bezugsrechtsausschluss die Mehrheit besonders begünstigt bzw. die Minderheit besonders belastet und dadurch die grundsätzliche Interessengleichrichtung gestört wird. Es ist kein Zufall, dass der B G H in der „Kali und Salz"-Entscheidung gerade mit einer solchen Konstellation befasst war, als er die Lehre vom sachlichen Grund erstmals zur Grundlage seiner Rechtsprechung machte. Der Bezugsrechtsausschluss erfolgte dort gerade zugunsten des Großaktionärs, dessen Beteiligungsquote im Zuge der Kapitalerhöhung von 43,4% auf (durchgerechnet) 71,4% des Grundkapitals anstieg 36 . Auch die vorausgegangene Rechtsprechung des RG betraf ganz überwiegend Fälle, in denen sich die Mehrheit selbst zu begünstigen suchte 37 . Es waren also gerade Fallkonstellationen, in denen den Mehrheitsbeschlüssen die ihnen sonst zukommende prozedurale Richtigkeitsgewähr fehlte, die den B G H zu der „Kali und Salz"-Rechtsprechung inspiriert haben. Dabei ist augenscheinlich aus dem Blick geraten, dass es daneben auch zahlreiche Fälle des Bezugsrechtsausschlusses gibt, in denen für eine derartige Inhaltskontrolle kein Anlass besteht. Besinnt man sich auf die dargelegten Grundlagen und Funktionsbedingungen des Mehrheitsprinzips, bedarf es stattdessen eines Aufgreifkriteriums für die Inhaltskontrolle, das gezielt dort ansetzt, wo die grundsätzliche Interessengleichrichtung der Gesellschafter gestört ist. Ein solches Aufgreifkriterium stellt, sofern man auch materielle Ungleichbehandlungen einbezieht, das Merkmal der Ungleichbehandlung der Gesellschafter dar: Immer dann, wenn sich ein Beschluss in nicht unerheblicher Weise unterschiedlich auf die Gesellschafter auswirkt, ist die grundsätzliche Interessengleichrichtung beeinträchtigt und damit die prozedurale Richtigkeitsgewähr des Beschlusses erschüttert. Unter diesen Umständen besteht nämlich die nahe liegende Gefahr, dass die bevorzugte Mehrheit sich primär von den eigenen Vorteilen leiten gelassen und/oder die Nachteile für die Minderheit nicht hinreichend berücksichtigt hat. Wenn es aber gerade das Merkmal der Ungleichbehandlung ist, welches das entscheidende Aufgreifkriterium für die Aussonderung der wirklich problematischen Fälle abgibt, liegt nichts näher, als die Inhaltskontrolle fortan am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu entwickeln und daneben auf die zunehmend kritisierte und - da sie auch „unverdächtige" Fälle erfasst - überschießende Lehre vom sachlichen Grund zu verzichten 38 . Freilich setzt dies die Bereitschaft voraus, die noch aus der Rechtsprechung des RG nachwirkende formale Hand36
Vgl. B G H Z 71,40(42). S. oben §2 12 a (bei Fn. 25 ff.). Auf diesen Umstand verweist auch T. Bezzenberger, Z I P 2002,1917(1923). 38 So f ü r den Bezugsrechtsausschluss i.E. auch T. Bezzenberger, Z I P 2002,1917 (1923 ff.); Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 103 ff., 120 f. Vgl. auch die Parallele im französischen Recht, wo ebenfalls das Merkmal der Ungleichbehandlung als maßgebliches Aufgreifkriterium der Inhaltskontrolle angesehen wird; s. unten § 7 1 2 a. 37
§ 3 Beurteilung
der bisherigen
Entwicklung
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habung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu überwinden und künftig konsequenter als bisher auch materielle Ungleichbehandlungen an diesem Maßstab zu messen. Blickt man zurück auf die eingangs erwähnte Kritik, die im Schrifttum am Gleichbehandlungsgrundsatz geübt wird 3 9 , zeigt sich mithin ein bemerkenswertes Ergebnis. Der angebliche Kritikpunkt, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht in der Lage sei, alle Eingriffe in die Mitgliedschaft zu erfassen und namentlich dort keine Inhaltskontrolle anordne, wo außenstehende (auch nicht mittelbar mit einem der Gesellschafter verbundene) Dritte begünstigt werden, erweist sich nicht als Schwäche, sondern umgekehrt geradewegs als Stärke des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Da er nur bei Ungleichbehandlungen und nicht generell eine Inhaltskontrolle bewirkt, greift der Gleichbehandlungsgrundsatz schonender in die Privatautonomie ein als die Lehre vom sachlichen Grund 4 0 , ist aber - bei Ausdehnung auf materielle Ungleichbehandlungen - gleichwohl in der Lage, die wahrhaft einer Inhaltskontrolle bedürftigen Fälle auszusondern. Von der eingangs angeführten Kritik am Gleichbehandlungsgebot bleibt somit nur die in der Tat nicht zu leugnende Schwierigkeit, den Begriff der materiellen Ungleichbehandlung präzise zu definieren. Auf die damit verbundenen Fragen wird im Rahmen der Konkretisierung des Tatbestands der Ungleichbehandlung noch ausführlich zurückzukommen sein 41 . Etwaige Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall vermögen aber nichts daran zu ändern, dass im Grundsatz eine punktuelle, auf Fälle einer erschütterten prozeduralen Richtigkeitsgewähr des Mehrheitsbeschlusses beschränkte Inhaltskontrolle den Vorzug verdient gegenüber einer breitflächigen, auch unbedenkliche Fälle erfassenden und damit überschießenden Inhaltskontrolle, wie sie die Lehre vom sachlichen Grund mit sich bringt. bb) Die bisherigen Überlegungen bezogen sich auf Mehrheitsbeschlüsse der Anteilseignerversammlung. Der herausgearbeitete Grundgedanke lässt sich mutatis mutandis aber auch auf Entscheidungen der Verwaltungsorgane übertragen. Auch hier besteht bei Ungleichbehandlungen die nahe liegende Gefahr, dass die Organwalter sich an den Partikularinteressen einzelner bevorzugter Gesellschafter orientiert und die Auswirkungen f ü r die benachteiligten Gesellschafter nicht hinreichend berücksichtigt haben. Deshalb besteht bei Ungleichbehandlungen durchgehend Anlass für eine genaue Ü b e r p r ü f u n g der sachlichen Rechtfertigung. Bei gleichmäßigen Maßnahmen der Organwalter besteht dagegen keine vergleichbare Gefährdungssituation. Dies rechtfertigt es, insoweit eine weniger engmaschige Prüfung vorzunehmen und es bei der Bindung der Organwalter an das Gesellschaftsinteresse (vgl. §§ 93 Abs. 1 A k t G , 43 Abs. 1 G m b H G ) bewenden zu lassen. Wie intensiv hier die gerichtliche P r ü f u n g aus39 40 41
S. oben Ziff. I. Diesen Vorzug betont auch Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 24. S. unten § 11 112.
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1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
fällt, hängt davon ab, ob die Voraussetzungen der nunmehr in § 93 Abs. 1 Satz 2 A k t G n.F. 42 verankerten, aber auch schon vorher anerkannten 4 3 business judgment rule erfüllt sind 44 . d) Keine gesetzliche Verankerung der Lehre vom sachlichen
Grund
Speziell f ü r den Bezugsrechtsausschluss wird dem hier befürworteten Abschied von der Lehre vom sachlichen Grund allerdings entgegengehalten, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der Berichts- und Begründungspflicht nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG 4 5 und vor allem mit der Regelung über den erleichterten Bezugsrechtsausschlusses gemäß §186 Abs. 3 Satz 4 AktG 4 6 die „Kali und Salz"-Grundsätze indirekt bestätigt habe 47 . Die formale Berichts- und Begründungspflicht ergebe nur dann einen Sinn, wenn dem auch entsprechende materielle Anforderungen zugrunde lägen. Dasselbe gelte f ü r den erleichterten Bezugsrechtsausschluss, der eine Abwägung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausnahmsweise entbehrlich machen solle, damit aber zugleich darauf schließen lasse, dass der Gesetzgeber für den Regelfall an der „Kali und Salz"-Rechtsprechung festhalten wolle. Diese Versuche, die Lehre vom sachlichen G r u n d zumindest f ü r den Bezugsrechtsausschluss aufrechtzuerhalten, vermögen indes nicht zu überzeugen. Die Berichts- und Begründungspflicht (§ 186 Abs. 4 Satz 2 AktG) lässt schon deshalb keinen Rückschluss auf den Umfang der Inhaltskontrolle zu 48 , weil der Gesetzgeber damit lediglich die entsprechende Vorgabe aus Art. 29 Abs. 4 Satz 3 Kapital-RL umsetzen wollte 49 . Mit der Richtlinie mag die deutsche Lehre vom sachlichen G r u n d vereinbar sein 50 ; dass sie durch jene gefordert würde, lässt sich indes nicht behaupten und wird - soweit ersichtlich - auch von niemand 42 Eingeführt mit Wirkung z u m 1.11.2005 durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts ( U M A G ) vom 22.9.2005, BGBl. I, 2802. 43 B G H Z 135, 244 (253 f.); Hopt, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 93 Rdn. 81 ff.; U.H. Schneider, in: Scholz, G m b H G , §43 Rdn. 45a ff.; eingehend Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 171 ff. 44 Zur business judgment rule s. noch näher unten § 12 I 3 (dort auch zur Frage der U b e r tragbarkeit auf Entscheidungen der Anteilseignerversammlung). 45 Eingeführt durch das Zweite Gesellschaftsrechtliche Koordinierungsgesetz (2. KoordG) vom 13.12.1978, BGBl. 1,1959. 46 Eingeführt durch das Gesetz f ü r kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts vom 2.8.1994, BGBl. 1,1961. 47 Vgl. zu dem Argument aus § 186 Abs. 4 Satz 2 A k t G B G H Z 83, 319 (325 f.); Hüffer, A k t G , § 186 Rdn. 25; zu dem Argument aus § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G Habersack, Mitgliedschaft, S.264 f.; Liehert, Bezugsrechtsausschluss, S. 84f.; Schumann, Bezugsrecht, S.204; Wiedemann, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 186 Rdn. 149. 48 Wie hier Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 332 f.; Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 67, 51 ff. 49 Vgl. Begr. RegE 2. KoordG, BT-Drucks. 8/1678, S. 18 (zu Nr. 22). 50 S. die Nachw. in Fn. 15 a.E.
§ 3 Beurteilung
der bisherigen
Entwicklung
61
vertreten 51 . Die Berichts- und Begründungspflicht wird auch keineswegs sinnlos, wenn mit ihr keine Inhaltskontrolle nach Art der Lehre vom sachlichen Grund korrespondiert. Vielmehr dient der Vorstandsbericht auch ohne eine solche Inhaltskontrolle einer informierten, sachgerechten Entscheidungsfindung der Aktionäre 52 . Dass der Rückschluss von der Berichts- und Begründungspflicht auf die Inhaltskontrolle nicht zutrifft, belegt zudem der erleichterte Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG 5 3 : Für diesen bedarf es nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers keiner besonderen sachlichen Rechtfertigung nach „Kali und Salz" 54 ; gleichwohl gilt die Berichts- und Begründungspflicht auch hier 55 . Hinzu kommt schließlich, dass der Rückschluss von der Berichts- und Begründungspflicht auf den Umfang der Inhaltskontrolle auch andernorts, namentlich beim Abschluss von Unternehmensverträgen oder im Umwandlungsrecht, trotz vergleichbarer Berichts- und Begründungspflichten (§293a AktG, § 8 UmwG) nicht gezogen wird. Im Gegenteil wendet die h.M. die Lehre vom sachlichen Grund auf Unternehmensverträge und Verschmelzungen gerade nicht an 56 . Aber auch aus § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G lässt sich richtigerweise keine gesetzgeberische Bestätigung der Lehre vom sachlichen Grund ableiten. Zweck dieser Regelung ist es, die Eigenkapitalaufnahme im Wege der Barkapitalerhöhung dadurch zu erleichtern, dass die kostspielige und zeitaufwändige Abwicklung des Bezugsrechts in solchen Fällen entbehrlich gemacht wird, in denen nach Einschätzung des Gesetzgebers das Schutzbedürfnis der ausgeschlossenen Aktio51 Zwar wird aus der in der Richtlinie vorgesehenen Berichts- und Begründungspflicht verbreitet abgeleitet, dass die Richtlinie auch gewisse materielle Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss stelle; vgl. Drinkuth, Kapital-RL, S. 245 f.; Groß, EuZW 1994,395 (399); Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 199; Hirte, WM 1994, 321 (324); Kindler, Z H R 158 (1994), 339 (357ff.); Natterer, ZIP 1995, 1481 (1487); dagegen jedoch Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 360; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S.139f. Dass die materiellen Anforderungen gerade in den „Kali und Salz"-Grundsätzen bestehen müssten, wird aber auch von jenen Autoren nicht vertreten. 52 Vgl. Schumann, Bezugsrecht, S. 29; Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 52. 53 Zutr. Schumann, Bezugsrecht, S. 29. 54 Vgl. Fraktionsbegr. Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BT-Drucks. 12/6721, S. 10 re. Sp.: „Werden die Voraussetzungen des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses entsprechend dem Entwurf eingehalten, so bedarf es weder einer Interessenabwägung, wie sie für den Bezugsrechtsausschluss im Übrigen verlangt wird (vgl. B G H Z 71,41, 46), noch weiterer sachlicher Rechtfertigungsgründe." 55 Vgl. Fraktionsbegr. Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BT-Drucks. 12/6721, S. 10 re. Sp.; Hüffer, AktG, § 186 Rdn. 39f. 56 Für Unternehmensverträge vgl. etwa Lutter, Z G R 1979,401 (412); ders., Z G R 1981,171 (180); Altmeppen, in: Münch. Komm. AktG, §293 Rdn. 51 ff.; Hüffer, AktG, §243 Rdn. 27, § 293 Rdn. 6 f.; K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, § 243 Rdn. 46; für Verschmelzungen s. die Nachw. oben §2 Fn. 146. Abweichend diejenigen, die die Lehre vom sachlichen Grund auf grundsätzlich alle strukturändernden Beschlüsse ausdehnen wollen, Nachw. oben § 2 Fn. 149; ferner abweichend (zur Verschmelzung und teilweise auch zu den Unternehmensverträgen) Boese, Anwendungsgrenzen, S. 309ff., 388 ff.
62
1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
näre gering ist 57 . Einer weitergehenden sachlichen Rechtfertigung nach „Kali und Salz" soll es, wie die Gesetzesmaterialien ausdrücklich betonen, in diesen Fällen nicht bedürfen 5 8 . Offensichtlich ging der Gesetzgeber davon aus, dass nach den „Kali und Salz"-Kriterien auch in den genannten Fällen ein Bezugsrechtsausschluss nicht zweifelsfrei möglich wäre; diese Zweifel hat § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G ausgeräumt. Ein darüber hinausgehender Aussagegehalt lässt sich der Vorschrift dagegen nicht entnehmen. Es mag zwar sein, dass der Gesetzgeber als nahe liegend unterstellt hat, dass es außerhalb des Anwendungsbereichs des § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G bei der bisherigen Rechtsprechung bleiben wird. Aus dem Gesetz und den zugehörigen Materialien ergibt sich aber nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber die Rechtsprechung auf die bisherige Linie dauerhaft festlegen wollte 59 . Im Übrigen trifft es auch nicht zu, dass die Vorschrift des § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G bei Aufgabe der Lehre vom sachlichen Grund funktionslos würde 6 0 . Vielmehr wird sich zeigen, dass die Vorschrift auch im Rahmen der Inhaltskontrolle am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes durchaus ihre Bedeutung hat 61 . Durchgreifende Einwände gegen eine Aufgabe der Lehre vom sachlichen Grund zugunsten einer erweiterten, d.h. künftig auch auf materielle Ungleichbehandlungen zu beziehenden Inhaltskontrolle am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes lassen sich also auch aus § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G nicht ableiten. 2. Bedenken gegen einen allzu bereitwilligen
Rückgriff auf die Treuepflicbt
Eine stärkere Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erscheint aber nicht nur im Verhältnis zur Lehre vom sachlichen Grund, sondern auch im Verhältnis zur Treuepflicht angezeigt. Wie dargelegt finden sich in der Rechtsprechung zahlreiche Entscheidungen, in denen der Gleichbehandlungsgrundsatz neben der Treuepflicht entweder gar nicht oder nur beiläufig erwähnt wird, obwohl man das erzielte Ergebnis auch auf den Gleichbehandlungsgrundsatzes hätte stützen können 6 2 . In vielen Fällen mag dies im Ergebnis unschädlich sein. Gleichwohl wäre es - unabhängig davon, ob man den Gleichbehandlungsgrundsatz als eigenständiges Prinzip oder nur als Spezialfall der Treuepflicht ansieht 63 - dogmatisch vorzugswürdig, wenn die Prüfung beider Schranken in 57 Vgl. Fraktionsbegr. Gesetz f ü r kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BT-Drucks. 12/6721, S. 10. 58 S. den oben Fn. 54 wiedergebenen Auszug aus der Fraktionsbegrümdung. 59 Wie hier i.E. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 316ff., 320; Röhricht, Z G R 1999, 445 (472 f.); Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 65 ff.; Marsch-Barner, AG 1994, 532 (533); zurückhaltend auch Martens, Z I P 1994, 669 (674 f.). 60 So aber Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 84 f. 61 Einzelheiten unten in § 20 II 2. 62 S. oben §2 III 2 und 3. 63 Zu dieser Frage unten § 5 III.
§ 3 Beurteilung der bisherigen
Entwicklung
63
der R e c h t s p r e c h u n g künftig deutlicher getrennt und auf die Treuepflicht erst zurückgegriffen würde, wenn der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt ist. Z u m einen darf nicht übersehen werden, dass die Inhaltskontrolle am M a ß stab des Gleichbehandlungsgrundsatzes intensiver ausfällt als die allgemeine treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle 6 4 ; schon deshalb wäre eine gesonderte P r ü f u n g angezeigt. Z u m anderen muss m a n sich darüber im K l a r e n sein, dass die K o n k r e t i s i e r u n g der Treuepflicht bisher nur in A n s ä t z e n u n d nur f ü r b e s t i m m t e Fallgruppen gelungen ist, während - angesichts der Weite der T r e u e pflicht k a u m vermeidbar - in erheblichem U m f a n g nach wie vor Unsicherheit über den genauen Inhalt der Treuepflicht herrscht 6 5 . Allgemein gehaltene B e schreibungen der Treuepflicht wie die, dass auf die Interessen der Mitgesellschafter „angemessen R ü c k s i c h t " zu nehmen sei 6 6 und dass es letztlich i m m e r auf eine situationsgebundene Interessenabwägung anhand der Verhältnisse des k o n k r e t e n Anwendungsfalls a n k o m m e 6 7 , belegen dies eindringlich. V o r diesem H i n t e r g r u n d muss es das Ziel sein, vorrangig konkretere K o n t r o l l m a ß s t ä b e anzuwenden, bevor auf die Treuepflicht zurückgegriffen w i r d 6 8 . Zu diesen k o n kreteren K o n t r o l l m a ß s t ä b e n zählt auch der Gleichbehandlungsgrundsatz, der zwar ebenfalls konkretisierungsbedürftig, im Vergleich zur Treuepflicht aber doch genauer fassbar ist. H ä l t man sich daher zunächst an den G l e i c h b e h a n d lungsgrundsatz, lassen sich dadurch zahlreiche mögliche Treuepflichtverletzungen abschichten. D i e Rechtsprechung und R e c h t s w i s s e n s c h a f t aufgegebene K o n k r e t i s i e r u n g der treuepflichtgestützten Missbrauchskontrolle k a n n sich dann gezielt auf diejenigen Bereiche konzentrieren, die nicht schon durch den Gleichbehandlungsgrundsatz abgedeckt sind.
III. Fazit D i e K r i t i k der h . M . an den angeblichen Schutzdefiziten des G l e i c h b e h a n d lungsgrundsatzes ist nach alledem zwar verständlich, w e n n m a n die restriktive, formale H a n d h a b u n g des Grundsatzes durch die bisherige R e c h t s p r e c h u n g b e S.oben §2 III 2 bbb . Vgl. statt vieler G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rdn.28 („Einzelheiten noch wenig geklärt"); ferner die Befürchtungen bei Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, vor §53a Rdn.25 („erhebliche Gefahr für die Rechtssicherheit"); Martens, in: K.Schmidt, Rechtsdogmatik, S.251 (266) (Treuepflicht als „rechtspolitische Allzweckwaffe"). 66 So die Formulierung in BGHZ 103,184 (195); 129,136 (143 f.); 142,167 (170). 67 Vgl. statt aller G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §13 Rdn.28; T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 14 Rdn. 78; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §20 IV 2 d (S. 592). 68 Vgl. für das Personengesellschaftsrecht auch schon die Kritik von Rittner, in: Pehle/ Stimpel, Rechtsfortbildung, S.25 (28): „manchmal [steht] die so einfach zu handhabende Generalklausel [seil, die Treuepflicht] einer besseren, präziseren Begründung im Wege." 64 65
64
1. Kapitel:
Bestandsaufnahme
trachtet. Ist m a n dagegen bereit, auch materielle Ungleichbehandlungen am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen, was sich im S c h r i f t t u m i m m e r m e h r durchsetzt und in der Rechtsprechung in einzelnen Fällen bereits praktiziert worden ist, erweist sich die verbreitete K r i t i k am Gleichbehandlungsgrundsatz als überzogen. I m Gegenteil stellt sich der Gleichbehandlungsgrundsatz im Vergleich zur herrschenden L e h r e vom sachlichen G r u n d sogar als vorzugswürdiger A n k n ü p f u n g s p u n k t für die Inhaltskontrolle von Entscheidungen der Gesellschaftsorgane dar, da er schonender in die Privatautonomie eingreift und durch das A u f g r e i f k r i t e r i u m der Ungleichbehandlung gezielt nur die „wahrhaft k r a n k e n " Fälle, in denen eine gerichtliche Inhaltskontrolle z u m S c h u t z der Minderheit tatsächlich erforderlich ist, einer solchen u n t e r w i r f t . F ü r die weitere R e c h t s e n t w i c k l u n g bleibt daher zu hoffen, dass der B G H
-
wie dies im S c h r i f t t u m zunehmend gefordert wird - die L e h r e vom sachlichen G r u n d aufgeben oder zumindest einschränken wird. A l s K o m p e n s a t i o n wäre dann dem Gleichbehandlungsgrundsatz stärkere B e a c h t u n g zu schenken als bisher. A b e r auch im Verhältnis zur treuepflichtgestützten
Missbrauchs-
kontrolle spricht viel dafür, das Potenzial des Gleichbehandlungsgrundsatzes künftig besser auszuschöpfen und nicht vorschnell unmittelbar auf die T r e u e pflicht zurückzugreifen. E i n e stärkere H i n w e n d u n g z u m Gleichbehandlungsgrundsatz verspricht freilich nur Erfolg, w e n n Klarheit über seine dogmatischen G r u n d l a g e n besteht und auf dieser Basis eine befriedigende K o n k r e t i s i e r u n g seines Inhalts gelingt. D a m i t ist bereits der weitere G a n g der U n t e r s u c h u n g vorgezeichnet: I m Folgenden soll versucht werden, eben dies zu leisten.
2. Kapitel
Grundlagen des Gleichbehandlungsgrundsatzes
§ 4 Teleologische Grundlagen I. Ausgangspunkt Dass der Gedanke der Gleichbehandlung seit jeher als zentrales, wenn nicht sogar wichtigstes Element der Gerechtigkeit zu den obersten Grundprinzipien des Rechts überhaupt gehört, bedarf nicht vieler Worte. Prägend ist noch heute die Lehre des Aristoteles, der es als Gebot der austeilenden Gerechtigkeit (iustitia distributiva) ansah, jedem das ihm Angemessene zuzuteilen, d.h. Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit ungleich zu behandeln1. Der Gleichbehandlungsgedanke ist allerdings nach wie vor in erster Linie eine Kategorie des öffentlichen Rechts, wo er in Art. 3 Abs. 1 G G und Art. 20 der Grundrechte-Charta der E U prominenten Ausdruck gefunden hat 2 . Privatrechtliche Gleichbehandlungsgebote sind demgegenüber zwar keineswegs selten, worauf schon L. Raiser und G. Hueck eindrucksvoll aufmerksam gemacht haben 3 . Sie sind aber stets einer besonderen Begründung bedürftig, da die grundrechtlich abgesicherte4 Privatautonomie die Privatrechtssubjekte grundsätzlich dazu berechtigt, ihre Verhältnisse unkontrolliert und damit auch willkürlich zu ordnen. Eine solche besondere Begründung muss sich daher auch für den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz finden lassen. Dieser schränkt zwar nicht die gesellschaftsvertragliche Privatautonomie der Verbandsmitglieder ein5, wohl aber das Recht des Verbands zur privatautonomen Gestaltung seiner Verhältnisse. Erste Ansätze einer solchen Begründung sind oben in Auseinandersetzung mit der Lehre vom sachlichen Grund bereits angesprochen worden6. Im Folgenden gilt es, diese Überlegungen zu vertiefen, in einen Kontext mit der Begründung anderer privatrechtlicher Gleichbehandlungsgebote zu stellen und gegenüber im Schrifttum vertretenen alternativen Erklärungsmodellen ab' Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V, Kap. 5 ff. Vgl. auch Art. 11-80 des vorerst gescheiterten Entwurfs einer EU-Verfassung, ABl. C 310 vom 16.12.2004, S . l . 3 L. Raiser, Z H R 111 (1948), 75 ff.; G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht (1958). Ubersicht über die verschiedenen privatrechtlichen Gleichbehandlungsgebote sogleich unter Ziff. III 1. 4 Vgl. nur diFabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdn. 101 ff. 5 S. oben §1 II 2 a. 6 S. oben §3 II 1 b, c. 2
68
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
zugrenzen. In der Literatur wird bereits seit langem über die zutreffende Begründung des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes gestritten. Die Stellungnahmen stammen allerdings überwiegend aus der Zeit vor § 53a AktG, während man in neuerer Zeit die Frage offenbar für müßig hält. Obsolet geworden ist jedoch nur die Frage, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz überhaupt anzuerkennen ist. Die hier interessierende Frage nach dem warum, nach der ratio legis, ist dagegen keineswegs überholt: Nur wenn sie klar beantwortet ist, lässt sich die Reichweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Rahmen der teleologischen Auslegung hinreichend genau bestimmen.
II. Bisherige Begründungsansätze Im Wesentlichen handelt es sich um drei Ansätze, die im bisherigen Schrifttum zur Begründung des Gleichbehandlungsgrundsatzes angeführt werden: das Vorhandensein einseitiger Gestaltungsmacht, das Bestehen eines Gemeinschaftsverhältnisses und der Wille der Beteiligten. Diese Erklärungsmodelle sind nicht neu, so dass es genügen mag, sie in aller Kürze in Erinnerung zu rufen.
1. Die Lehre von der einseitigen Verteilungsmacht (L. Raiser) Wohl am meisten Zuspruch hat bis heute der Begründungsansatz von L. Raiser gefunden 7 . Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildete eine Gesamtschau der verschiedenen privatrechtlichen Gleichbehandlungsgebote, wobei Raiser neben dem Gesellschaftsrecht vor allem den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sowie die Gleichbehandlungspflichten von Monopolunternehmen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellte. Wenn sich die Gleichbehandlung in diesen Fällen gegenüber der Privatautonomie durchsetze, so beruhe dies durchweg auf dem Gedanken, dass die Autonomie dessen, der Güter oder Leistungen an mehrere zu vergeben habe, keine gerechten Ergebnisse verbürge, wenn die Empfänger von seiner Ubermacht abhingen 8 . Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei daher als Korrektiv einseitiger Gestaltungsmacht zu verstehen, das immer dann eingreife, wenn eine gerechte Ver7 Grundlegend L. Raiser, Z H R 111 (1948), 75 (92 ff.); ders., JZ 1959, 421 (422); ähnlich seinerzeit auch schon Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S. 72ff.; ders., AcP 154 (1955), 299 (324 f.); Meyer-Cording, FS Nipperdey, S. 537 (543 ff.); Grüter, Gleichbehandlung, S. 38 f. Zustimmend aus dem neueren Schrifttum etwa Habersack, Mitgliedschaft, S.281 f.; T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 14 Rdn. 104; ders./Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, § 12 Rdn. 54; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 II 4 b aa (S. 462 f.); in dieselbe Richtung auch Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 23 f. 8 Besonders deutlich L. Raiser, JZ 1959, 421 (422).
§ 4 Teleologische
Grundlagen
69
teilung kraft Parteiautonomie wegen der Übermacht des Verteilenden nicht gewährleistet sei. In solchen Fällen einseitiger Verteilungsmacht sei es ein Gebot der austeilenden Gerechtigkeit 9 , die dem Machteinfluss ausgesetzten Personen gleich zu behandeln.
2. Die Lehre vom Gemeinschaftsverhältnis
(G.
Hueck)
Ahnlich wie der Ansatz von Raiser ist auch die breit angelegte Untersuchung von G. Hueck von dem Bestreben geleitet, die verschiedenen privatrechtlichen Gleichbehandlungspflichten als Ausprägungen eines „einheitlichen privatrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes" 10 möglichst einheitlich zu erklären. Die gemeinsame Begründung aller Gleichbehandlungsgebote sieht G. Hueck wie L. Raiser letztlich im Prinzip der austeilenden Gerechtigkeit 11 . Dieser Gedanke allein vermöge indes nicht zu erklären, warum Gleichbehandlungspflichten nur in bestimmten Gebieten des Privatrechts und nicht etwa flächendeckend anerkannt seien. Es bedürfe deshalb eines zusätzlichen Begründungselements, das der iustitia distributiva auch im Privatrecht zum Durchbruch verhelfe. Dieses zusätzliche Element sieht G. Hueck im „Zusammenschluss mehrerer Personen zu einer Gemeinschaft." 12 Bis auf wenige gesondert zu erklärende Ausnahmen seien alle Fälle, in denen das Privatrecht Gleichbehandlungsgebote anerkenne, durch das Vorliegen einer Gemeinschaftsbindung gekennzeichnet. Für das Vereins- und Gesellschaftsrecht sei dies offensichtlich. Dasselbe gelte aber auch für andere Gleichbehandlungspflichten im Privatrecht, namentlich im Arbeitsrecht 13 oder im Insolvenzrecht, wo G. Hueck die par condicio creditorum auf das Bestehen einer „Interessengemeinschaft" der Gläubiger zurückführt 14 . Das immer wieder zu beobachtende Zusammentreffen von Gemeinschaftsbindung und Gleichbehandlung könne nicht als Zufall abgetan werden, sondern bilde eine feste Regel, ein allgemeines Prinzip 15 .
9
SP-)-
Vgl. den Hinweis auf die austeilende Gerechtigkeit bei L. Raiser, JZ 1959, 421 (422 Ii.
So wörtlich G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 97 undpassim. G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 2 ff., 96 ff., 106 f. 12 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 127ff., 151 ff. Zustimmend A. Hueck, in: Baumbach/Hueck, AktG, §11 Rdn.2; Herrn. Krause, Z H R 123 (1960), 128 ff.; aus neuerer Zeit G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 'K&nA\-,Kalss, Anlegerinteressen, S. 249; zum Personengesellschaftsrecht Martens, in: Schlegelberger, HGB, § 109 Rdn. 27. 13 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 133 ff. 14 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 137 f. 15 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 152. 10 11
70
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
3. Die Lehre vom Willen der Beteiligten (Cohn, Bydlinski) Während die Ansätze von L. RaiserunA G. Hueck darauf abzielen, ein einheitliches Begründungsmuster für alle oder doch die meisten Gleichbehandlungsgebote im gesamten Privatrecht zu finden, ist von anderer Seite der Versuch unternommen worden, eine speziell auf das Gesellschafts- bzw. Verbandsrecht zugeschnittene Begründung zu geben. So haben Cohn und später insbesondere Bydlinski die Auffassung begründet, dass das Gleichbehandlungsgebot im Verbandsrecht auf den Willen der Mitglieder zurückzuführen sei16. Soweit die Mitglieder nicht in der Satzung besondere Regelungen (z.B. Einstimmigkeitserfordernisse) vereinbart hätten, unterwürfen sie sich freiwillig der Verbandsmacht, d.h. sie akzeptierten die grundsätzliche Befugnis der Verbandsorgane und der auf diese Einfluss nehmenden Mitgesellschafter, ihre Rechtsverhältnisse mit Wirkung für die Gesamtheit der Mitglieder verbindlich zu gestalten. Wer derartiges tue, von dem könne erfahrungsgemäß nicht angenommen werden, dass er sich der von ihm selbst freiwillig begründeten Gestaltungsmacht auf Gnade und Ungnade ausliefern wolle. Es entspreche vielmehr dem wirklichen oder zumindest mutmaßlichen Willen aller Beteiligten, in Verbandsangelegenheiten nicht diskriminiert zu werden. Cohn und Bydlinski hielten es daher für möglich, den damals noch nicht kodifizierten Gleichbehandlungsgrundsatz im Wege der (ergänzenden) Auslegung in die Satzung hineinzulesen 17 . Bei dieser Sichtweise erschöpft sich der Normzweck des § 53a AktG darin, den (mutmaßlichen) Willen der Parteien gesetzlich zu fixieren 18 .
4. Kritik Bislang hat sich keines der vorgenannten Erklärungsmodelle durchsetzen können. Mit Recht wird daher in der Literatur betont, dass über die Begründung des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nach wie vor Unklarheit herrsche 19 . In der Tat vermögen die bisher gegebenen Begründungsansätze aus verschiedenen Gründen nicht zu befriedigen.
16 Cohn, AcP 130 (1932), 129, 152 ff., insbes. 154-156; Bydlinski, Gleichheitsgrundsatz, S.21 ff., 46 ff. Zustimmend aus neuerer Zeit Mülbert, Aktiengesellschaft, S.237; Henze/Notz, in: G r o ß k o m m . A k t G , §53a R d n . l 6 f . ; Hüffer, A k t G , §53a Rdn.3; Doralt/Winner, in: M ü n c h K o m m . A k t G , vor §53a Rdn.48; Bachmann, Z H R 170 (2006), 144 (161, 166) („implizit vereinbart"); aus ökonomischer Sicht Hofstetter, SZW 1996, 222 (226f.): Gleichbehandlungsprinzip als „Ergebnis freier hypothetischer Vertragsverhandlungen". 17 Vgl. Cohn, AcP 130 (1932), 129 (155); Bydlinski, Gleichheitsgrundsatz, S. 22. 18 Vgl. Hüffer, A k t G , § 53a Rdn. 3: „Bedeutung des § 53a A k t G gegenüber rechtsgeschäftlich begründeter Gleichbehandiungspflicht besteht darin, Pflichtenlage durch Rechtssatz zu stabilisieren..." 19 H. Winter, in: Scholz, G m b H G , § 14 Rdn. 40.
§ 4 Teleologische
Grundlagen
71
Dies gilt zunächst für die Lehre L. Raisers von der einseitigen Gestaltungsmacht. Es ist zwar ohne weiteres einleuchtend, dass eine Gleich„behandlungs" pflicht nur dann in Rede stehen kann, wenn eine Person oder Institution die Macht hat, ihren Willen ohne die Zustimmung des Betroffenen einseitig durchzusetzen, den Betroffenen also überhaupt zum Objekt einer „Behandlung" zu machen 20 . Gleichwohl vermag das Bestehen einseitiger Gestaltungsmacht allein keine hinreichende Begründung für die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu liefern. Es gibt im Privatrecht vielfältige Konstellationen, in denen eine Partei eine einseitige Gestaltungsmacht hat, aber gleichwohl keiner Gleichbehandlungspflicht unterliegt. Zu denken ist etwa an den Gläubiger, der mehrere Schuldner hat und nur einem von ihnen die Schuld erlässt, obwohl alle auf den Erlass dringend angewiesen wären; an den Gläubiger einer Gesamtschuld, der sich willkürlich einen der Gesamtschuldner aussuchen kann; oder an den Erblasser, dem es (in den Grenzen des Pflichtteilsrechts) frei steht, seine Kinder willkürlich in ungleicher Weise zu bedenken. Der Satz „Wer Macht hat, muss jeden gleich behandeln" ist mithin jedenfalls in dieser Allgemeinheit unzutreffend 21 . Der Hinweis auf den Zusammenhang von Macht und Verantwortung ist daher für sich allein nicht geeignet, den Gleichbehandlungsgrundsatz hinreichend zu begründen. Im Ergebnis nichts anderes gilt für die Lehre G. Huecks vom Bestehen eines Gemeinschaftsverhältnisses. Das Kriterium einer Gemeinschaft mag zwar in der Tat regelmäßig vorliegen, wenn die Rechtsordnung Gleichbehandlungspflichten vorsieht. Schließlich lässt sich von Gleichheit immer nur in Bezug auf eine Mehrheit von Beteiligten im Hinblick auf eine bestimmte, bei jedem Beteiligten gegebene Eigenschaft sprechen 22 . Je nachdem, wie großzügig man diese Personenmehrheit unter den von G. Hueck nicht näher definierten 23 Begriff der Gemeinschaft subsumiert, gelangt man praktisch immer zu dem Befund, dass Voraussetzung der Gleichbehandlung das Vorliegen einer Gemeinschaft ist. Dies ist indes nicht mehr als die Beschreibung einer Tatbestandsvoraussetzung, unter der eine Gleichbehandlungspflicht in Betracht kommt, aber keine mate20 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, §8 II 2 a (S.428f.); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 II 4 b a a (S.462f.). 21 So sehr deutlich bereits Bydlinski, Gleichheitsgrundsatz, S. 25. 22 Der Zusammenhang zwischen der iustitia distributiva und dem Vorliegen einer Gemeinschaft wird deshalb auch im rechtsphilosophischen Schrifttum immer wieder betont; vgl. Coing, Rechtsphilosophie, 4.Aufl., S.217f.; Canaris, Iustitia distributiva, S.37f. m.w.Nachw. 23 Es findet sich nur der knappe Hinweis, dass sich Gemeinschaften dadurch auszeichneten, dass hinsichtlich bestimmter Rechtsbeziehungen zwischen mehreren, insoweit mehr oder weniger gleichgestellten Personen rechtlich anerkannte gemeinsame Bindungen bestehen; vgl. G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 154, ferner S. 128 („geschlossene, durch ein besonderes rechtliches Band verbundene Gruppe"). Ausführliche Kritik dazu bei Bydlinski, Gleichheitsgrundsatz, S. 33 ff.
72
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
rielle Begründung24. Als eigentliche Begründung bleibt bei G. Hueck somit letztlich nur der vage Hinweis auf die iustitia distributiva. Bedenken begegnet schließlich auch die von Cohn und Bydlinski entwickelte Lehre vom unterstellten Willen der Mitglieder25. Immerhin kann diese Auffassung für sich reklamieren, dass der Gesetzgeber des GmbHG von 1892 eine Kodifizierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gerade deshalb für entbehrlich hielt, weil sich dessen Geltung mit Blick auf den Willen der Mitglieder ohnehin von selbst verstehe26. Letztlich wird der Wille der Mitglieder damit aber doch überstrapaziert. Ein entsprechender wirklicher Wille lässt sich nicht feststellen: Die Gründer und später beitretende Mitglieder werden bei der Gründung bzw. dem späteren Beitritt nicht daran denken, eine Erklärung abzugeben, dass Ungleichbehandlungen nur bei sachlicher Rechtfertigung statthaft sein sollen27. Aber auch ein mutmaßlicher Wille kann nicht ohne weiteres unterstellt werden. So wird ein Mehrheitsgesellschafter gerade kein Interesse daran haben, seine Mehrheitsherrschaft durch das Gleichbehandlungsgebot einzuschränken. Selbst wenn man Letzteres beiseite lässt und nur den mutmaßlichen Willen der Minderheitsgesellschafter betrachtet, würde dieser überinterpretiert, wenn man ihm alle Einzelheiten des Gleichbehandlungsgebots entnehmen wollte. Gewiss geht der mutmaßliche Wille der Minderheitsgesellschafter dahin, dass ihre Mitgliedschaft Eingriffen der Verbandsorgane nicht vollkommen schutzlos ausgeliefert sein soll. Dass dieser Schutz gerade in der Beachtung des Gleichbehandlungsgebots und nicht in anderen Schutzmechanismen bestehen soll (z.B. in einer umfassenden, auch für alle gleichmäßigen Maßnahmen geltenden Verhältnismäßigkeitskontrolle nach Art der Lehre vom sachlichen Grund), wird man dem mutmaßlichen Willen der Mitglieder aber nicht entnehmen können. Als weiterer Einwand gegen die Lehre vom Willen der Mitglieder tritt hinzu, dass zwar einzelne ungleiche Bestimmungen in die Satzung aufgenommen werden können, dass aber das Gleichbehandlungsgebot nach allgemeiner Auffassung nicht abstrakt-generell abbedungen werden darf28. Der Gleichbehand24 So schon L. Raiser, J Z 1959, 421 (422); Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, §8 II 2 a (S. 428 f.). Ablehnend gegenüber dem Ansatz Huecks auch Bydlinski, Gleichheitsgrundsatz, S.33ff.; Meyer-Cording, FS Nipperdey, S.537 (542ff.); Wiethölter, Interessen, S. 104; Voges, AG 1975,197 (198); Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 17 Fn. 20. 2 5 Ablehnend schon L. Raiser, Z H R 111 (1948), 75 (95); Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S.74 („Konstruktionsjurisprudenz, der nichts unmöglich ist"); ferner Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 2 a (S. 428f.); Grüter, Gleichbehandlung, S. 31 ff.; Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 21 ff.; Voges, AG 1975,197 (198). In Bezug auf die Treuepflicht zu den Mitgesellschaftern auch Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S . 3 0 6 f . („Fiktion"). 2 6 S.den oben § 2 1 1 (bei Fn. 13) wiedergegebenen Auszug aus der amtlichen Begründung. 27 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 2 a (S. 429). 2 8 Allg.M.; vgl. vorerst nur G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 267 f.; Hüffer, A k t G , § 53a Rdn. 5; näher unten § 14 II.
5 4 Teleologische
Grundlagen
73
lungsgrundsatz findet also auch in dem - zugegeben theoretischen, aber immerhin denkbaren - Fall Anwendung, dass die Gesellschafter ihn in der Satzung ausdrücklich für unanwendbar erklärt haben. Dass dieses Ergebnis mit der Begründung aus dem Willen der Mitglieder nicht zu erklären ist, liegt auf der Hand 29 .
I I I . Entwicklung des eigenen Begründungsansatzes Die mangelnde Uberzeugungskraft der herkömmlichen Begründungsansätze hat Wiedemann zu der resignativen Bemerkung veranlasst, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz in Ermangelung einer besseren Begründung letztlich nur rechtspsychologisch unter Rückgriff auf das Rechtsgefühl erklärt werden könne 30 . Es wäre unbefriedigend und der notwendigen Konkretisierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes abträglich, sollte es damit tatsächlich sein Bewenden haben. Im Folgenden ist daher zu versuchen, ob sich nicht doch eine präzisere ratio legis herausarbeiten lässt.
1. Begründung eines einheitlichen privatrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ? Dabei mag es zunächst verlockend erscheinen, im Ansatz wie L. Raiser und G. Hueck zu versuchen, eine Gesamtschau der privatrechtlichen Gleichbehandlungsgebote vorzunehmen und auf dieser Grundlage nach einer bereichsübergreifenden, einheitlichen Begründung zu suchen. Ein solcher Versuch würde indes den Rahmen dieser Untersuchung bei weitem sprengen. Die bisherigen Erfahrungen mit den Ansätzen von L. Raiser und G. Hueck mahnen aber auch zu großer Skepsis, ob ein solcher Versuch gelingen könnte. Bereits ein kurzer Überblick über die wesentlichen Gleichbehandlungspflichten im Privatrecht zeigt, wie unterschiedlich die Konstellationen sind, in denen Gleichbehandlungspflichten zwischen Privaten entstehen. Neben dem Gesellschafts- bzw. Verbandsrecht sind insbesondere folgende Bereiche zu nennen: -
einzelne Fälle des Bürgerlichen Rechts, etwa das Verhältnis zwischen dem Schuldner einer beschränkten Gattungsschuld (Vorratsschuld) und mehre-
29 Bydlinski, Gleichheitsgrundsatz, S. 48 ff., erkennt dies und will daher die These vom Willen der Mitglieder entsprechend einschränken. Die zwingende Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes trotz Abbedingung in der Satzung sei darauf zurückzuführen, dass es gegen die aus sittlichen Gründen unabdingbare Freiheit der Person verstoße, sich seiner Selbstbestimmung in nicht überschaubarer Weise zu entäußern. Auch wenn man dem folgt, bleiben aber die übrigen Bedenken gegen die Begründung aus dem Willen der Gesellschafter bestehen. 30 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 2 a (S. 429).
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2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
ren Gläubigern 31 , Fälle des Kontrahierungszwangs 32 , das Recht der Gemeinschaften gemäß §§ 741 ff. B G B 3 3 sowie - nach bestrittener Auffassung - das Wohnraummietrecht 34 ; - das Arbeitsrecht 35 ; - das Wettbewerbsrecht, genauer: die Diskriminierungsverbote für marktbeherrschende Unternehmen, Kartelle und Preisbinder 36 ; - das Energiewirtschaftsrecht 37 ; - das Vertriebsrecht, insbesondere das Verhältnis zwischen Hersteller und mehreren konkurrierenden Vertragshändlern 38 ; - das Versicherungsrecht 39 ; 31 Geht der Vorrat teilweise unter, so dass der Schuldner nicht alle Ansprüche vollständig erfüllen kann, sind die Primärleistungsansprüche der Gläubiger nach h.M. anteilig (also gleichmäßig in Relation zum Umfang des jeweiligen Anspruchs) zu erfüllen; vgl. R G Z 84, 125 ff.; G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 76 f., 138 ff.; U. Huber, Leistungsstörungen I, §24 I I I 1 (S. 595), §24 IV 3 (S. 601 f.); eingehend Gsell, Beschaffungsnotwendigkeit, S. 169ff. m.w.Nachw. 32 Sofern ein Kontrahierungszwang besteht, ergibt sich daraus zugleich die Pflicht, hinsichtlich der Vertragskonditionen niemanden ohne sachlichen Grund schlechter zu stellen; vgl. etwa T. Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395 (404 f.); kritisch Busche, Kontrahierungszwang, S. 263. 3 3 Zur Geltung des Gleichbehandlungsgebots im Rahmen der §§741 ff. B G B etwa K. Schmidt, in: Münch.Komm. B G B , §741 Rdn.34; Langhein, in: Staudinger, B G B , §741 Rdn.72. 3 4 Für eine Gleichbehandlungspflicht des Vermieters gegenüber mehreren Mietern desselben Mietshauses L. Raiser, Z H R 111 (1948), 75 (91 f.); Rathjen, M D R 1980, 713 ff.; sowie eingehend Paschke, Wohnraummiete, S. 421 ff. Ablehnend aber die h.M.; vgl. B a y O b L G N J W 1981, 1275 (1277); Heinrichs, in: Palandt, B G B , §242 Rdn.9; Weidenkaff, in: Palandt, B G B , §535 Rdn. 59. 3 5 Zum arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz grundlegend R A G , A R S 33, 172 (176); Bötticher, Gleichbehandlung, S. 51 ff. (= RdA 1953, 161 ff.), 75 ff. ( = R d A 1957, 317 ff.); G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 58 ff., 133 ff.; aus neuerer Zeit Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 9ff.; Fastrich, RdA 2000, 65ff.; Müller-Glöge, in: MünchKomm. B G B , §611 Rdn. 1121 ff. 36 Vgl. §20 Abs. 1, 2 G W B ; auf europäischer Ebene Art. 81 Abs. 1 lit. d und Art. 82 Unterabs. 2 lit. c EGV. 3 7 Das EnWG 2005 enthält gleich eine ganze Reihe von Gleichbehandlungspflichten (vgl. etwa §§ 11 Abs. 1,17 Abs. 1, 20 Abs. 1,21 Abs. 1, 22f., 27, 28 Abs. 1 EnWG 2005). 38 Ulmer, Vertragshändler, S. 380 ff., 434 ff.; ders., in: Habersack/Ulmer, Vertragshändler, S. 27f., K. Schmidt, Handelsrecht, § 2 8 II 2 c (S. 761); a.A. Canaris, Handelsrecht, § 19 Rdn. 49 m.w.Nachw. Dagegen wird im Handelsvertreterrecht eine Gleichbehandlungspflicht des Unternehmers gegenüber seinen Handelsvertretern grundsätzlich abgelehnt; vgl. B G H W M 1971, 561 (562); von Hoyningen-Huene, in: MünchKomm. H G B , §84 Rdn. 73; Hopt, Handelsvertreterrecht, § 86 Rdn. 10, § 86a Rdn. 15. 3 9 Zur Gleichbehandlung in Bezug auf Prämien und Leistungen der Lebensversicherung und in bestimmten Fällen der Unfall- und Krankenversicherung s. §§ 11 Abs. 2, l l d , 12 Abs. 4 und 5 VAG; zur Gleichbehandlung der Mitglieder eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (VVaG) s. § 21 Abs. 1 VAG. Ausführliche Ubersicht über die verschiedenen Gleichbehandlungsgebote im Versicherungsrecht bei Jannott, FS E. Lorenz, S. 341 ff. Einen allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung der Versicherungsnehmer auch außerhalb der Rechts-
§ 4 Teleologische
Grundlagen
7b
-
das I n s o l v e n z r e c h t 4 0 ; u n d
-
das K a p i t a l m a r k t r e c h t , n a m e n t l i c h das Ü b e r n a h m e - 4 1 , B ö r s e n - 4 2 u n d W e r t papierhandelsrecht 4 3 .
E r g ä n z e n ließe sich diese L i s t e n o c h durch eine R e i h e von b e s o n d e r e n D i s k r i m i n i e r u n g s v e r b o t e n des Privatrechts, die sich nur gegen b e s t i m m t e v e r b o t e n e D i f f e r e n z i e r u n g s k r i t e r i e n ( G e s c h l e c h t , Staatsangehörigkeit, R a s s e etc.) richten. I n diese K a t e g o r i e fielen bislang i n s b e s o n d e r e F ä l l e der m i t t e l b a r e n D r i t t w i r k u n g des A r t . 3 A b s . 2 u n d A b s . 3 G G sowie die b e s o n d e r e n D i s k r i m i n i e r u n g s v e r b o t e des V e r s i c h e r u n g s r e c h t s (§ 81e V A G ) u n d des A r b e i t s r e c h t s (insbes. A r t . 141 E G V , §§ 611a, b, 612 A b s . 3 B G B , § 4 T z B f G ) . N o c h weit d a r ü b e r h i n aus geht das „ A l l g e m e i n e G l e i c h b e h a n d l u n g s g e s e t z " ( A G G ) 4 4 , mit d e m - z.T. deutlich verspätet - gleich vier A n t i - D i s k r i m i n i e r u n g s r i c h t l i n i e n der E U u m gesetzt w e r d e n 4 5 u n d das n a c h langen G e b u r t s w e h e n j ü n g s t in K r a f t getreten ist. E s schützt v o r D i s k r i m i n i e r u n g e n wegen der R a s s e , der e t h n i s c h e n H e r k u n f t , des G e s c h l e c h t s , der R e l i g i o n , einer B e h i n d e r u n g , des A l t e r s o d e r der sexuellen Identität u n d e r s t r e c k t sich auf B e s c h ä f t i g u n g u n d B e r u f , privatrechtliche V e r s i c h e r u n g e n u n d sog. M a s s e n g e s c h ä f t e , die t y p i s c h e r w e i s e o h n e A n s e -
form des VVaG erkennt die h.M. jedoch nicht an; vgl. Präve, in: Prölss, VAG, § 11 Rdn.9ff. m.w.Nachw. 4 0 Zum Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (par condicio creditorum) etwa Prutting, in: Kölner Schrift InsO, S.239ff., Rdn.56ff.; Stürner, in: MünchKomm. InsO, Einl. Rdn. 62 f.; eingehend Häsemeyer, KTS 1982, 507 ff.; ders., Insolvenzrecht, Rdn. 2.17 ff. 41 Vgl. §3 Abs. 1 WpUG sowie dessen spezielle Ausprägungen in §§ 19,32 WpÜGund §31 WpÜG i.V.m. §4 WpÜG-AngVO; vgl. dazu auch oben § 1 III 1 sowie unten §21 II 2. 42 Vgl. §39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG; dazu bereits oben §2 II 3. Im neueren Schrifttum wird zudem für die Anerkennung eines ungeschriebenen Grundsatzes plädiert, dass Emittent bzw. Emissionsbank im Rahmen von Aktienemissionen alle Zeichnungsinteressenten — also nicht nur die gegenwärtigen Aktionäre - gleich zu behandeln hätten; eingehend dazu Koehler, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 174ff. 43 In einem weiteren Sinn lassen sich auch die Vorschriften über die Geheimhaltung von Insiderinformationen sowie die ad-hoc-Publizität (§§ 12 ff. WpHG) als Gleichbehandlungsgebote bezeichnen, da sie die informationelle Chancengleichheit der Anleger gewährleisten wollen; dazu bereits oben § 1 III 1 sowie unten § 22. 44 Vgl. Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14.8.2006, BGBl. 1,1897. 45 Richtlinie 2000/43/EG vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. L 180 vom 19.7.2000, S. 22; Richtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. L 303 vom 2.12.2000, S. 16; Richtlinie 2002/73 EG vom 23.9.2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207 E W G zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. L 269 vom 5.10.2002, S. 15; Richtlinie 2004/113 vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. L 373 vom 21.12.2004, S. 37.
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2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
hen der Person zustande kommen. Diskriminierungen wegen Rasse und ethnischer Herkunft sind auch jenseits dieser Bereiche unzulässig. Bei Diskriminierungen von EU-Bürgern aufgrund der Staatsangehörigkeit sind überdies die diversen Diskriminierungsverbote des EG-Vertrags zu beachten. Nach der Rechtsprechung des E u G H ist jedenfalls Art. 39 Abs. 2 E G V (Arbeitnehmergleichbehandlung) auch unter Privaten unmittelbar anwendbar 46 . Schon der bloße Überblick über die verschiedenen privatrechtlichen Gleichbehandlungsgebote belegt deren Vielgestaltigkeit und lässt erkennen, dass eine einheitliche Begründung allenfalls auf einem Abstraktionsniveau möglich wäre, das für die praktische Handhabung der einzelnen Gleichbehandlungsgebote kaum noch etwas hergibt. Letztlich belegen dies auch die bisher unternommenen Versuche von L. Raiser und G. Hueck. Der von G. Hueck betonte Gedanke der Gemeinschaftsbindung mag zwar - je nachdem wie weit man den Begriff der Gemeinschaft versteht - viele Gleichbehandlungsgebote kennzeichnen; aber er ist so farblos, dass damit für die Erklärung des Grundsatzes praktisch nichts gewonnen ist. L. Raisers Lehre von der einseitigen Gestaltungsmacht ist demgegenüber zwar griffiger; aber sie ist - wie gesehen - immer noch zu grobschlächtig, um zu erklären, warum in bestimmten Fällen einseitiger Gestaltungsmacht Gleichbehandlungspflichten entstehen und in anderen nicht. Will man sich nicht mit derart abstrakten und damit notgedrungen formelhaften, schlagwortartigen Begründungen begnügen, erscheint es daher geboten, zu einer zwischen den einzelnen Gleichbehandlungsgeboten differenzierenden Betrachtung überzugehen 47 .
2. Begründung grundsatzes
des gesellschaftsrechtlichen
Gleichbehandlungs-
Das Streben nach der Begründung eines einheitlichen privatrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes, das die Arbeiten von L. Raiser und G. Hueck bestimmt und die anschließende Diskussion geprägt hat, hat dazu geführt, dass man die Gemeinsamkeiten der privatrechtlichen Gleichbehandlungsgebote betont, die Unterschiede aber nicht hinreichend beachtet hat. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass jedenfalls der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz wesentliche Besonderheiten aufweist, die im Rahmen der vereinheitlichenden Betrachtungsweise von L. Raiser und G. Hueck in den Hintergrund getreten sind.
Vgl. EuGH, Rs. C-281/98, Slg. 2000,1-4139, Rdn. 29 ff., 36. Nachdrücklich für eine differenzierte Betrachtung bereits Bydlinski, grundsatz, S. 42. 46 47
Gleichheits-
§ 4 Teleologische
Grundlagen
77
Ausgangspunkt für die vereinheitlichenden Ansätze sowohl von Raiser als auch von G. Hueck war die These, dass alle Gleichbehandlungsgebote letztlich in der iustitia distributiva ihre gemeinsame Wurzel haben48. Diese These ist auch für den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz bereitwillig übernommen worden49. Für viele privatrechtliche Gleichbehandlungsgebote erscheint sie auch ohne weiteres überzeugend. Wenn etwa der Arbeitgeber angehalten wird, eine vertraglich nicht vereinbarte Weihnachtsgratifikation allen Arbeitnehmern zukommen zu lassen und davon nicht etwa Einzelne willkürlich auszunehmen, lässt sich dies nur mit distributiven Gerechtigkeitserwägungen erklären50. Die ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa) ist nicht berührt; ihr ist bereits durch Zahlung des vertraglich vereinbarten Arbeitsentgelts Rechnung getragen. Höchst fraglich ist indes, ob diese These auch für den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zutrifft 51 . Die Situation ist im Gesellschaftsrecht eine andere als in dem soeben angeführten Beispiel aus dem Arbeitsrecht. Wenn der Arbeitgeber nur bestimmten Arbeitnehmern Sondervorteile gewährt, nimmt er den anderen dadurch nichts weg. Im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter liegt es dagegen typischerweise anders: Die Bevorzugung bestimmter Gesellschafter wirkt sich regelmäßig zulasten der anderen Gesellschafter aus. Wenn etwa infolge eines selektiven Bezugsrechtsausschlusses die Beteiligungsquote einzelner Gesellschafter steigt, sinkt zwangsläufig diejenige der anderen. Wenn einem Gesellschafter verdeckte Vermögenszuwendungen gewährt werden, schmälert das den verteilungsfähigen Gewinn für die übrigen. Wenn für bestimmte Gesellschafter nachträglich bestimmte Sonderrechte geschaffen werden, reduziert dies den Einfluss der anderen. Und selbst wenn es lediglich um die privilegierte Erteilung von Informationen geht, droht dies zulasten der übrigen Gesellschafter zu gehen, da der besser informierte Gesellschafter versucht sein wird, das überlegene Wissen zulasten der Übrigen zu nutzen. Anhand dieser Beispiele zeigt sich, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz im Gesellschaftsrecht in Wahrheit ein Instrument zur Verwirklichung der iustitia commutativa darstellt; es geht - jedenfalls primär - um die Wahrung der aus48 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 2 ff., 96 ff., 106 f.; L. Raiser, JZ 1959, 421 (422 li.Sp.). 49 Vgl. Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn.4; T. Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, §12 Rdn.54; ders., in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, §14 Rdn. 104; Griiter, Gleichbehandlung, S. 35 ff.; Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S.24; für das schweizerische Recht Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 29. 50 So denn auch die ganz h.M. zum arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz; vgl. etwa Canaris, Iustitia distributiva, S. 36ff.; Ricbardi, in: MünchHdb. Arbeitsrecht I, §14 Rdn.4; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, §7 Rdn. 104; Maute, Gleichbehandlung, S. 26; zweifelnd allerdings Fastrich, RdA 2000,65 (70 Fn. 66). 51 Zweifel bereits bei Canaris, Iustitia distributiva, S. 36.
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2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
gleichenden Gerechtigkeit gegenüber Eingriffen der Gesellschaft in die Mitgliedschaft des Gesellschafters 5 2 . Dies erklärt auch, warum die Gleichbehandlung im Gesellschaftsrecht im Unterschied zu anderen Bereichen des Privatrechts, in denen sich Gleichbehandlungsgebote nur mit distributiven Gerechtigkeitserwägungen begründen lassen, seit jeher als mehr oder weniger selbstverständlich erscheint. Bei der G r ü n d u n g der Gesellschaft bzw. dem späteren Beitritt eines Gesellschafters wird ein gewisses Maß an ausgleichender Gerechtigkeit noch dadurch verbürgt, dass der Gesellschafter den Konditionen, zu denen er beitritt, vertraglich zustimmen muss 5 3 . Im weiteren Verlauf ist diese Gewähr durch das Konsensprinzip jedoch nicht mehr gegeben: Es wäre unverhältnismäßig kostspielig, ja sogar unmöglich, auch nur annähernd alle Eventualitäten für künftige Entwicklungen im Gesellschaftsvertrag zu fixieren; der Gesellschaftsvertrag ist insoweit notwendig unvollständig, er ist „nach vorne offen" 5 4 . Auch können künftige Entscheidungen - jedenfalls in größeren Verbänden - nicht an die Zustimmung jedes einzelnen Gesellschafters geknüpft werden, wenn man nicht die Handlungsfähigkeit des Verbands lähmen will. Der einzelne Gesellschafter muss deshalb mit seinem Beitritt akzeptieren, dass der Verband künftig auch ohne seine Zustimmung Entscheidungen treffen kann, die für alle Gesellschafter verbindlich sind. D a das Konsenserfordernis, das im Vertragsrecht ein Mindestmaß an ausgleichender Gerechtigkeit gewährleistet, nach dem Beitritt des Gesellschafters außer Kraft gesetzt ist und dem Verband einseitige Gestaltungsmacht zukommt, in das Rechtsverhältnis zum Mitglied einzugreifen 5 5 , bedarf es anderer Instrumente, um die ausgleichende Gerechtigkeit in diesem Stadium zu sichern. A n derenfalls würde sich niemand als Minderheitsgesellschafter an einer dem 52 In diese Richtung bereits Canaris, Iustitia distributiva, S . 3 6 . D a s schließt nicht aus, dient. Beide Gerechtigdass der G r u n d s a t z daneben auch der Idee der iustitia distributiva keitsformen lassen sich auch sonst nicht immer trennscharf abgrenzen; vgl. nur Canaris, Iustitia distributiva, S. 14 f.; Henkel, Rechtsphilosophie, § 32 I X (S. 411 ff.). 53 Zur Richtigkeitsgewähr des K o n s e n s p r i n z i p s grundlegend Schmidt-Rimpler, A c P 147 (1941), 130,132 ff., 149 ff.; aus neuerer Zeit etwa Habersack, A c P 189 (1989), 403 (406 ff.); ders., Vertragsfreiheit, S. 41 ff.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 51 ff.; Canaris, F S Lerche, S. 873 (883 f.); vgl. auch M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 73 f., der lieber von „Richtigkeitschance" sprechen will. 54 Lutter, A c P 180 (1980), 84 (91 f.); ähnlich Hofstetter, S Z W 1996, 222 (226 f.); Ruffner, Ö k o n o m i s c h e G r u n d l a g e n , S . 2 5 8 (Gleichbehandlungsgrundsatz als „ L ü c k e n f ü l l u n g s r e gel"). A u f denselben Gesichtspunkt w i r d vielfach auch im R a h m e n der B e g r ü n d u n g der mitgliedschaftlichen Treuepflicht hingewiesen; vgl. Lutter aaO., S. 102; ders., Z H R 162 (1998), 164 (166 f.); ferner Cahn, F S Wiese, S. 71 (79); Fleischer, Z G R 2 0 0 1 , 1 (4 f , ) - J a n k e , Treuepflicht, S. 151 ff.; M. Winter, Treuebindungen, S. 17. 5 5 In der Betonung der einseitigen Gestaltungsmacht liegt der richtige K e r n des A n s a t z e s von L. Raiser, s. oben Ziff. II 1. A l s zusätzliches Begründungselement k o m m t hier aber der Schutz der iustitia commutativa hinzu. A n diesem zusätzlichen Element fehlt es in den oben Ziff. II 4 genannten Fällen des Gläubigers mehrerer Schuldner oder des Erblassers, in denen trotz einseitiger Gestaltungsmacht keine Gleichbehandlungspflicht ausgelöst wird.
§ 4 Teleologische
Grundlagen
79
Mehrheitsprinzip unterstehenden Gesellschaft beteiligen; deren R e s s o u r c e n s a m m e l f u n k t i o n wäre bedroht. E i n mögliches derartiges I n s t r u m e n t bestünde darin, sämtliche M a ß n a h m e n der Verbandsorgane - gleichmäßige wie ungleichmäßige - einer durchgängigen Kontrolle auf ihre sachliche R e c h t f e r t i g u n g am M a ß s t a b des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu unterwerfen, wie dies die A n hänger einer umfassenden A n w e n d u n g der L e h r e v o m sachlichen G r u n d b e f ü r w o r t e n . D a d u r c h w ü r d e die Position des einzelnen Gesellschafters gut geschützt, das Interesse des Verbands an einer privatautonomen G e s t a l t u n g seiner Angelegenheiten aber erheblich beeinträchtigt. D e r Gleichbehandlungsgrundsatz geht stattdessen einen die Privatautonomie schonenderen W e g 5 6 und versucht, das Interesse an der Handlungsfähigkeit des Verbands einerseits und den Schutz des einzelnen Gesellschafters andererseits zu einem angemessenen A u s gleich zu bringen. D i e s e m Anliegen trägt er durch einen K o m p r o m i s s R e c h nung: Z u m einen schützt er die Interessen der benachteiligten Gesellschafter, indem er ungleichmäßige M a ß n a h m e n des Verbands dem Erfordernis einer b e sonderen sachlichen R e c h t f e r t i g u n g u n t e r w i r f t . Z u m anderen begrenzt er diesen S c h u t z auf Ungleichbehandlungen, w a h r t also bei gleichmäßigen M a ß n a h men das Interesse des Verbands an einer privatautonomen Gestaltung seiner Verhältnisse. D e r G r u n d dafür, dass der Schutz ausgerechnet auf Ungleichbehandlungen begrenzt wird, ist oben in Auseinandersetzung mit der Lehre vom sachlichen G r u n d bereits genannt worden 5 7 . Während gleichmäßige Mehrheitsbeschlüsse eine prozedurale Richtigkeitsgewähr aufweisen, die sich aus der grundsätzlichen Interessengleichrichtung der Gesellschafter ergibt, liegt es bei Ungleichbehandlungen anders. H i e r besteht die nahe liegende Gefahr, dass sich die Entscheidung an den Partikularinteressen der bevorzugten Gesellschafter orientiert und die mitgliedschaftsbezogenen Interessen der benachteiligten Gesellschafter nicht hinreichend berücksichtigt. Entsprechendes gilt für ungleichmäßige M a ß n a h m e n der Verwaltungsorgane. Bei Ungleichbehandlungen sind also die Gefahren, die aus der Aufhebung des Konsensprinzips resultieren, besonders groß. Deshalb ist es sachgerecht, wenn gerade diese einer besonderen Inhaltskontrolle auf ihre sachliche Rechtfertigung unterworfen werden.
IV. Fazit D i e ratio legis des Gleichbehandlungsgrundsatzes lässt sich nach alledem wie folgt zusammenfassen: E s handelt sich entgegen der bisher h . M . - jedenfalls primär - u m ein I n s t r u m e n t zur W a h r u n g der ausgleichenden Gerechtigkeit (iusti56 57
S. schon oben § 3 II 1 c aa; Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 24. S. oben §3 II 1 b, c.
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2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
tia commutativa) zwischen Gesellschaft und Gesellschafter, das an die Stelle des fehlenden Konsenserfordernisses tritt, das andernorts im Privatrecht zumindest ein gewisses Maß an ausgleichender Gerechtigkeit gewährleistet. Dass gerade Ungleichbehandlungen einer besonderen Kontrolle unterstellt werden, erklärt sich daraus, dass bei ihnen die aus der Aufhebung des Konsensprinzips resultierenden Gefahren für die iustitia commutativa am größten sind. Dies wiederum ergibt sich daraus, dass der Interessengleichlauf der Gesellschafter und die daraus resultierende prozedurale Richtigkeitsgewähr der Entscheidung, die sonst ein gewisses Schutzniveau auch für die nicht zustimmenden Gesellschafter gewährleistet, bei Ungleichbehandlungen erschüttert ist.
§ 5 Systematische Grundlagen I. Rechtsnatur D e r Gleichbehandlungsgrundsatz stellt ein Instrument der Einwirkungskontrolle dar, eine Verhaltensregel, die den Verbandsorganen untersagt, von ihrer Verbandsmacht ohne hinreichende Rechtfertigung zum Nachteil einzelner Mitglieder Gebrauch zu machen. O b mit dieser Verhaltensregel für den Verband auch ein subjektives Recht des einzelnen Mitglieds auf Gleichbehandlung korrespondiert, wird unterschiedlich beurteilt, überwiegend aber verneint 1 . Zur B e g r ü n dung wird angeführt, dass es einem abstrakten, von einem näher bestimmten Vorgang losgelösten Recht auf Gleichbehandlung an einem konkret erfassbaren Inhalt fehle 2 . Zwar könnten sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz im E i n zelfall konkrete Ansprüche und damit subjektive Rechte für die Gesellschafter ergeben, etwa auf aktive Gleichbehandlung oder Rückabwicklung einer eingetretenen Ungleichbehandlung. Diese Ansprüche entstünden aber immer erst in R e aktion auf eine bereits vollzogene Ungleichbehandlung. I m Zeitpunkt der U n gleichbehandlung selbst liege dagegen ein subjektives Recht auf Gleichbehandlung, das Gegenstand eines Eingriffs sein könne, noch nicht vor 3 . Eine Parallele findet diese A r g u m e n t a t i o n in der verfassungsrechtlichen D i s kussion z u m allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 A b s . 1 G G ) . A u c h dort ist vor allem im älteren S c h r i f t t u m die Auffassung vertreten worden, der Gleichheitssatz stelle kein subjektives ( G r u n d - ) R e c h t dar, sondern lediglich einen objektiv-rechtlichen allgemeinen Verfassungsgrundsatz. E r s t die Verletzung dieses G r u n d s a t z e s k ö n n e klagbare subjektive R e c h t e auslösen 4 . D a h i n t e r steht offen1 Vgl. schon Cohn, AcP 130 (1932), 129 (146); G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 276; aus dem neueren Schrifttum Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 3; Habersack, Mitgliedschaft, S.283; Hüffer, AktG, §53a Rdn. 4; Janssen, in: AnwKomm. AktG, §53a Rdn. 4; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 7; T. Bezzenberger, Vorzugsaktien, S. 120; aus rechtsvergleichender Sicht Perakis, in: Perakis, Minority shareholders, S.28 („a rule rather thana right"). Für subjektive Rechtsqualität dagegen Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 19 (s. aber auch Rdn. 21); von einem „Recht auf gleichmäßige Behandlung" sprechen auch B G H WM 1972, 932 (933); Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13 Rdn. 60, 62; Hadding, in: Soergel, BGB, § 35 Rdn. 7, §38 Rdn. 19. 2 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 276. 3 Habersack, Mitgliedschaft, S.284. 4 Vgl. Friesenhahn, in: Verhandlungen des 50. DJT II, G 1 (20 f.); Luhmann, Grundrechte, S. 164 ff.; sowie bereits Jellinek, System, S. 135.
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2. Kapitel:
Grundlagen des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
bar - wie im Gesellschaftsrecht - die Vorstellung, dass es vorher an einem O b jekt fehle, das den G e g e n s t a n d eines subjektiven R e c h t s bilden k ö n n e . I m Verfassungsrecht gilt diese Auffassung, die schon dem Wortlaut des A r t . 1 Abs. 3 G G („nachfolgende G r u n d r e c h t e " ) widerspricht, jedoch inzwischen allgemein als ü b e r w u n d e n 5 . D i e Gleichheit bzw. das Interesse, gleich behandelt zu w e r den, wird heute vielmehr als eigenständiges abwehrrechtliches S c h u t z o b j e k t anerkannt, das den G e g e n s t a n d eines subjektiv-öffentlichen R e c h t s bildet. Zweifel am subjektiv-rechtlichen C h a r a k t e r des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes werden im neueren S c h r i f t t u m - soweit ersichtlich - nicht mehr geäußert. Erhebliche praktische B e d e u t u n g k o m m t der Frage allerdings - zumindest im Gesellschaftsrecht - nicht zu, da auch die K r i t i k e r der subjektiven R e c h t s qualität anerkennen, dass eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots subjektive R e c h t e entstehen lässt. Zudem soll die F o r m u l i e r u n g , dass i m m e r erst eine bereits vollzogene Ungleichbehandlung subjektive R e c h t e auslöse, offenbar nicht besagen, dass vorbeugende A b w e h r a n s p r ü c h e gegen drohende U n gleichbehandlungen generell ausgeschlossen sein sollen; jedenfalls fehlt in dieser H i n s i c h t jegliche B e g r ü n d u n g 6 . B e d e u t u n g hätte die Frage der subjektiven Rechtsqualität allenfalls dann, w e n n man die E i n b e z i e h u n g des G l e i c h b e h a n d lungsgrundsatzes in den deliktischen Schutzbereich der Mitgliedschaft als „sonstiges R e c h t " i.S. des § 823 Abs. 1 B G B von dessen subjektiver R e c h t s q u a lität abhängig machen wollte. I m Verlauf der U n t e r s u c h u n g wird sich indes n o c h zeigen, dass diese Frage auch bei A n e r k e n n u n g der subjektiven R e c h t s qualität nicht im bejahenden Sinne präjudiziert ist 7 . D i e s vorausgeschickt bestehen keine durchschlagenden E i n w ä n d e dagegen, von einem subjektiven R e c h t des einzelnen Mitglieds auf gleichmäßige B e handlung zu sprechen. G e h t m a n von der gängigen D e f i n i t i o n eines subjektiven R e c h t s aus, also einer von der R e c h t s o r d n u n g verliehenen R e c h t s m a c h t einer Person z u r s e l b s t b e s t i m m t e n W a h r n e h m u n g der durch das jeweilige R e c h t geschützten Interessen 8 , steht und fällt die Frage d a m i t , o b m a n auch das Interesse, in gleicher Weise behandelt zu werden, als eigenständiges geschütztes Interesse a n z u e r k e n n e n bereit ist. W e n n m a n dies im V e r f a s s u n g s recht heute allgemein b e j a h t , d a n n ist - auch u n t e r B e r ü c k s i c h t i g u n g der s o gleich darzulegenden U n t e r s c h i e d e z w i s c h e n dem
verfassungsrechtlichen
Gleichheitssatz u n d dem gesellschaftsrechtlichen G l e i c h b e h a n d l u n g s g e b o t -
5 Vgl. statt vieler Gubelt, in: v. Münch, GG, Art. 3 Rdn.2; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rdn. 17, jeweils m.w.Nachw.; ausführlich Sachs, FS Friauf, S. 309 (312 ff.). 6 Zur Anerkennung vorbeugender Unterlassungsansprüche gegen drohende Ungleichbehandlungen im Einzelnen unten § 17 III. 7 S. unten §18 I I . 8 Vgl. Larenz/M Wolf, AT, § 14 Rdn. 1, \0ii.\Brox, AT, Rdn.617ff.
§ 5 Systematische
Grundlagen
83
nicht ersichtlich, w a r u m dasselbe im G e s e l l s c h a f t s r e c h t auf u n ü b e r w i n d b a r e H i n d e r n i s s e s t o ß e n sollte. A u c h wenn m a n vom subjektiv-rechtlichen C h a r a k t e r des G l e i c h b e h a n d lungsgrundsatzes ausgeht, stellt dieser aber jedenfalls kein Sonderrecht i.S. des § 35 B G B dar 9 . U n t e r den B e g r i f f des Sonderrechts fallen nach heute einhelliger Auffassung keine Mitgliedschaftsrechte, die allen Mitgliedern zustehen 1 0 .
II. Verhältnis zum verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz D i e Regierungsbegründung zu § 53a A k t G stellt ausdrücklich einen Z u s a m menhang zwischen dem gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot und A r t . 3 A b s . 1 G G sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des B V e r f G her 1 1 . D a s genaue Verhältnis beider Gleichheitssätze bleibt dabei allerdings offen. I m Ausgangspunkt besteht heute jedenfalls Einigkeit, dass der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nicht etwa als Ausfluss einer unmittelbaren D r i t t w i r k u n g des A r t . 3 A b s . 1 G G angesehen werden kann 1 2 ; denn eine u n m i t telbare D r i t t w i r k u n g k o m m t den G r u n d r e c h t e n (von ausdrücklich geregelten A u s n a h m e n abgesehen, vgl. A r t . 9 A b s . 3 Satz 2 G G ) bekanntlich nicht zu 1 3 . D e n k b a r schiene allerdings auf den ersten B l i c k , den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz als Ausprägung einer mittelbaren D r i t t w i r k u n g 9 Das ist heute i.E. allgemein anerkannt; vgl. etwa Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 3; Hadding, in: Soergel, BGB, § 35 Rdn. 7; Heinrichs, in: Palandt, B G B , § 3 5 Rdn. 3; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 22; Hüffer, AktG, § 53a Rdn. 4; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 7; Reuter, in: MünchKomm. BGB, § 35 Rdn. 4; früher str., vgl. die Nachw. oben §2 Fn. 18. 10 Vgl. nur Hadding, in: Soergel, BGB, §35 Rdn.6f.; Heinrichs, in: Palandt, BGB, §35 Rdn. 3. 11 Vgl. BT-Drucks. 8/1678, S. 13; s. dazu bereits oben § 2 II 2 (bei Fn. 73). 12 Anders noch Enneccerus/Nipperdey, AT, §15 II 5 d (S. 102); sowie aus neuerer Zeit Henn, AG 1985, 240 (240). Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als läge auch der „Feldmühle"-Entscheidung des BVerfG diese Sicht der Dinge zugrunde; vgl. BVerfGE 14, 263 (285): „Das BVerfG hat nicht feststellen können, dass der Gesetzgeber durch seine Regelung den im Aktienrecht anerkannten Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre willkürlich verletzt und damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen habe." Zu beachten ist aber, dass das BVerfG mit dem „Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre" in diesem Zusammenhang ersichtlich etwas ganz anderes meint als den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz im hier verstandenen Sinn einer Schranke der Verbandsmacht. Adressat des Letzteren ist nicht der Gesetzgeber, sondern die jeweilige Gesellschaft (handelnd durch ihre Organe). Das BVerfG spricht dagegen die Gleichbehandlung als gesetzgeberisches Ordnungsprinzip an; vgl. schon oben § 1 II 2 b. 13 Grundlegend BVerfGE 7,198 (204 f.); aus dem Schrifttum statt vieler Canaris, AcP 184 (1984), 201 (202ff., 245); ders., Grundrechte, S.34f.; Stern, Staatsrecht III/l, S. 1509ff., insbes. 1572 ff., 1576. Auch das BAG hat seine lange Zeit abweichende Rechtsprechung inzwischen aufgegeben; vgl. BAGE 47, 363 (373 f.); 48, 122 (138 f.); sowie zuletzt BAG NZA 2004, 1399 (1401).
2. Kapitel:
84
Grundlagen des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
des A r t . 3 A b s . 1 G G anzusehen, die im A k t i e n r e c h t über § 53a A k t G und in anderen Bereichen des Gesellschaftsrechts über § 2 4 2 B G B vermittelt wird. E i n e solche mittelbare D r i t t w i r k u n g n i m m t das B A G f ü r den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz an 1 4 ; es folgert aus ihr, dass der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz „inhaltlich durch A r t . 3 Abs. 1 G G b e s t i m m t " werde 1 5 . D e r T h e s e des B A G ist jedoch im arbeits- und verfassungsrechtlichen S c h r i f t t u m bereits wiederholt widersprochen worden 1 6 . I h r ist auch f ü r das Gesellschaftsrecht nicht zu folgen 1 7 . D i e mittelbare D r i t t w i r k u n g der G r u n d r e c h t e beruht nach heute h . L . darauf, dass den G r u n d r e c h t e n neben ihrer klassischen A b w e h r f u n k t i o n gegenüber U b e r g r i f f e n des Staates auch eine - v o m B V e r f G wiederholt anerkannte 1 8 - S c h u t z g e b o t s f u n k t i o n z u k o m m t 1 9 . Diese S c h u t z g e b o t s f u n k t i o n verpflichtet den Staat dazu, nicht nur selbst Verletzungen der G r u n d r e c h t e zu unterlassen, sondern darüber hinaus in gewissem U m f a n g die Schutzgüter der G r u n d r e c h t e auch aktiv gegen Ü b e r g r i f f e Privater zu schützen. Soweit diese Schutzpflicht des Staates reicht, muss der G e s e t z g e b e r einfachrechtliche V o r s c h r i f t e n erlassen, die diesen Schutz gewährleisten. E r g ä n z e n d muss die Rechtsprechung versuchen, im Wege verfassungskonformer Ausle-
14 Vgl. etwa BAG NZA 1996, 1280 (1281), wo als Rechtsgrundlage des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes § 242 BGB i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG angeführt wird. Für Herleitung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes aus einer mittelbaren Drittwirkung des Art. 3 Abs. 1 GG ferner Rüfner, in: Bonner Komm. GG, Art. 3 Rdn. 193, 195; wohl auch Dieterich, in: Erfurter Komm. ArbR, Art. 3 GG Rdn. 30; darüber hinaus generell für alle Gleichbehandlungspflichten im Privatrecht Paschke, Wohnraummiete, S.417f. Eine „Fernwirkung" des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes bejaht auch Bydlinski, Gleichheitsgrundsatz, S.41. 15 Vgl. etwa BAGE 71,29 (35); BAG AP BGB §242 Gleichbehandlung Nr. 121. 16 Vgl. Fastrich, RdA 2000, 65 (70); Lieb, Arbeitsrecht, Rdn. 99 f.; Maute, Gleichbehandlung, S.20f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 176; kritisch auch Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rdn. 70 a.E. 17 Generell gegen Herleitung privatrechtlicher Gleichbehandlungspflichten aus einer unmittelbaren oder mittelbaren Drittwirkung des Art. 3 Abs. 1 G G L . Raiser, JZ 1959,421 (422); W. Böckenförde, S.25f.; Sahwedel, FS Jahrreiß, S.339 (348 f.); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 175 f.; nur einen losen Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 GG sieht auch G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 95 ff. Speziell zum gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz Hüffer, AktG, §53a Rdn. 3; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 3; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 9 ff.; sowie Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 124, die alle einen unmittelbaren Bezug zwischen Art. 3 Abs. 1 GG und § 53a AktG verneinen. 18 Erstmals BVerfGE 39,1 (42 ff.) (zu Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG); seitdem st. Rspr. 19 Grundlegend Canaris, AcP 184 (1984), 201 (225 ff.); ders., Grundrechte, S.38f.; ferner etwa Stern, Staatsrecht III/l, S. 1560f., 1572ff.; Enders, in: Berliner Komm. GG, Vorb. vor Art. 1 Rdn. 68 ff.; E. Klein, N J W 1989, 1633 (1640); H.H. Klein, DVB1. 1994, 489 (492); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 252 f. (mit umfangreichen w. Nachw. auf S.22); vgl. auch BVerfGE 81,242 (256). Ablehnend aber Zöllner, AcP 196 (1996), 1 (11); Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 (249ff.); sowie zuletzt H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 62 ff.
§ 5 Systematische
Grundlagen
85
gung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln den gebotenen Schutz zu verwirklichen. Die entscheidende Frage lautet daher, ob dem gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz eine entsprechende Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde liegt oder ob er unabhängig von einer solchen verfassungsrechtlichen Vorgabe gilt 20 . Diese Frage wird man in letzterem Sinne beantworten müssen. In der verfassungsrechtlichen Literatur wird mit guten Gründen bereits bezweifelt, ob sich aus der „Gleichheit vor dem Gesetz" (Art. 3 Abs. 1 GG) überhaupt jemals eine Schutzpflicht ergeben kann, privatrechtliche Gleichbehandlungspflichten einzuführen 2 1 . Die Rechtsprechung des BVerfG zur Schutzgebotsfunktion der Grundrechte bezieht sich bislang ausschließlich auf Freiheitsrechte, nicht auf den Gleichheitssatz 22 . Selbst wenn man aber aus Art. 3 Abs. 1 GG Schutzpflichten ableiten wollte, ist zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber im Bereich der Schutzpflichten anerkanntermaßen ein sehr weitreichender Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zusteht, um auch konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen 23 . Durch Art. 3 Abs. 1 GG vorgegeben wäre daher allenfalls ein Schutzminimum vor einzelnen besonders gravierenden Diskriminierungen durch Private, aber kein flächendeckendes Gleichbehandlungsgebot, wie es im Gesellschaftsrecht anerkannt ist. Aus demselben Grund erscheint es im Übrigen auch nicht erfolgversprechend, auf eine aus der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) abgeleitete Schutzpflicht zu rekurrieren 2 4 . Die Schutzgebotsfunktion des Art. 14 Abs. 1 GG verlangt zwar, dass das Gesellschaftsrecht gegenüber Eingriffen der Mehrheit in die grundrechtlich geschützte 25 Mitgliedschaft der Minderheit einen angemessenen Schutz vor Machtmissbrauch gewährleisten muss 26 . Eine Vorgabe, diesen Schutz ausgerechnet durch Statuierung einer umfassenden 20 Vgl. schon Salzwedel, FS Jahrreiß, S.339 (339); ebenso C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 3 Rdn.293. 21 Generell gegen Schutzpflichten aus Art. 3 Abs. 1 GG etwa Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HbdStR V, § 111 Rdn. 96; Erichsen J u r a 1997, 85 (87) („In seiner Ausprägung als Grundsatz der Rechtssetzungs- und Rechtsanwendungsgleichheit kann [Art. 3 Abs. 1 GG] kein der Verletzung durch Private zugänglicher objektiv-rechtlicher Gehalt entnommen werden. Die .Gleichheit vor dem Gesetz' kommt daher nicht als schutzfähiges Rechtsgut in Betracht."); ferner R u f f e r t , Vorrang der Verfassung, S. 175 m.w.Nachw.; teilweise abweichend aber z.B. Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rdn. 66. 22 Uberblick über die Rechtsprechung bei Erichsen, Jura 1997, 85 ff. Dezidiert für Schutzpflichten aus Art. 3 Abs. 1 GG aber zuletzt BAG NZA 2004, 1399 (1401 f.), wo die Gleichheitsbindung der Tarifvertragsparteien auf die Schutzgebotsfunktion des Art. 3 Abs. 1 GG zurückgeführt wird; s. zu dieser Entscheidung auch Dieterich, RdA 2005,177 ff. 23 Vgl. nur BVerfGE 77, 170 (214 f.); 79, 174 (202); 85, 191 (212); Dreier, in: Dreier, GG, Vorb. Rdn. 103. 24 Zur Schutzgebotsfunktion des Art. 14 Abs. 1 GG etwa Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rdn. 176; kritisch Erichsen, Jura 1997, 85 (86 f.). 25 Zum Schutz des „Anteilseigentums" durch Art. 14 Abs. 1 GG ausführlich Schön, FS Ulmer, S. 1359 (1368 ff., 1371 ff.). 26 Vgl. BVerfGE 14, 263 (283); BVerfGE 100, 289 (303); BVerfG N J W 2001,279 (280).
86
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Gleichbehandlungspflicht zu bewerkstelligen, ist Art. 14 Abs. 1 GG aber nicht zu entnehmen. Für das Verständnis und die Auslegung des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist somit festzuhalten, dass es sich um einen Rechtssatz des einfachen Rechts handelt, der nicht verfassungsdeterminiert ist, dessen Inhalt also nicht durch eine unmittelbare oder mittelbare Drittwirkung der Grundrechte vorgegeben ist. Eine strikte Anlehnung an Art. 3 Abs. 1 GG, wie sie dem BAG für den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vorzuschweben scheint, ist mithin nicht geboten. Sie wäre auch im Ergebnis nicht in jeder Hinsicht überzeugend. So ist etwa im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG anerkannt, dass dem Gesetzgeber bei der sachlichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen ein vergleichsweise breiter Beurteilungsspielraum zukommt, und zwar auch, wenn man die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entnimmt, wie es der „neuen Formel" des BVerfG entspricht 27 . Mit Rücksicht auf die demokratische Legitimation des Gesetzgebers ist dieser „Vertrauensvorsprung" 28 , den der Gesetzgeber genießt, auch ohne weiteres verständlich. Bei ungleichmäßigen Gesellschafterbeschlüssen, die den oder die Mehrheitsgesellschafter zum eigenen Vorteil und zulasten der Minderheit einseitig bevorzugen, ist ein vergleichbarer Vertrauensvorsprung dagegen ersichtlich nicht angebracht. Vielmehr muss hier eine größere Kontrolldichte Platz greifen 29 . Das Vorstehende bedeutet freilich nicht, dass die Auslegung des Art. 3 Abs. 1 GG für den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gänzlich außer Betracht bleiben sollte oder könnte. Hiergegen sprechen bereits der eingangs genannte Hinweis in der Regierungsbegründung zu § 53a AktG sowie der Umstand, dass sich gewisse strukturelle Parallelen beider Gleichheitssätze nicht leugnen lassen 30 . Eine erste Parallele zu Art. 3 Abs. 1 GG ist oben bei der Frage nach dem subjektiv-rechtlichen Charakter des Gleichbehandlungsgebots bereits gezogen worden; auf weitere wird im Verlauf der Untersuchung zurückzukommen sein.
2 7 Z u r „neuen F o r m e l " seit BVerfGE 55, 72 (88) statt vieler Osterloh, in: Sachs, G G , A r t . 3 R d n . 13 ff.; Pieroth/Schlink, G r u n d r e c h t e , R d n . 438 ff.; s. auch noch u n t e n § 12 IV 1 b bb . Z u r E i n s c h ä t z u n g s p r ä r o g a t i v e des G e s e t z g e b e r s auf den e i n z e l n e n S t u f e n der V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t s p r ü f u n g e t w a Schulze/Fielitz, in: Dreier, G G , A r t . 20 R d n . 178 f. 28 Pieroth/Schlink, G r u n d r e c h t e , R d n . 282. 2 9 Zu den E i n z e l h e i t e n u n t e n § 12 II 3, IV 3 , 4 d. 3 0 Ebenso Henze/Notz, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 5 3 a R d n . 9 ff.; ä h n l i c h Hüffer, A k t G , § 53a R d n . 3; Lutter/Zöllner, in: Kölner K o m m . A k t G , § 53a R d n . 3; Michalski, in: M i c h a l s k i , G m b H G , § 13 R d n . 124.
^ 5 Systematische
Grundlagen
87
III. Verhältnis zur Treuepflicht 1.
Ausgangspunkt
Wendet man sich von der verfassungsrechtlichen der einfachrechtlichen E b e n e zu und fragt nach der systematischen E i n o r d n u n g des Gleichbehandlungsgrundsatzes im G e f ü g e des einfachen R e c h t s , so stellt sich vornehmlich die Frage nach dem Verhältnis zur gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht. U n b e s t r i t ten besteht zwischen beiden Rechtssätzen eine enge Verwandtschaft: D i e T r e u e pflicht stellt (zumindest auch) ein I n s t r u m e n t der E i n w i r k u n g s k o n t r o l l e dar, das ähnliche S c h u t z w i r k u n g e n entfaltet wie der Gleichbehandlungsgrundsatz. W i e stark die beiden Rechtssätze in der praktischen A n w e n d u n g durch die G e richte miteinander verflochten sind, ist oben im R a h m e n des U b e r b l i c k s über die E n t w i c k l u n g der Rechtsprechung bereits deutlich geworden 3 1 . U b e r das genaue Verhältnis zwischen Gleichbehandlungsgrundsatz und Treuepflicht b e steht jedoch nach wie vor keine Klarheit. D i e konventionelle L e h r e räumt z w a r eine gewisse f u n k t i o n a l e Vergleichbarkeit ein, verneint aber einen unmittelbaren Z u s a m m e n h a n g 3 2 . D i e schon früher vereinzelt und heute z u n e h m e n d vertretene Gegenauffassung n i m m t dagegen an, dass beide R e c h t s s ä t z e im Verhältnis der Spezialität zueinander stünden, der Gleichbehandlungsgrundsatz also lediglich eine besondere Ausprägung der Treuepflicht darstelle (nachfolgend: „Spezialitätsthese") 3 3 . U n t e r den A n h ä n g e r n der Spezialitätsthese bleibt allerdings zumeist offen, welche W i r k u n g s r i c h t u n g der Treuepflicht gemeint ist, w e n n der G l e i c h b e S. oben §2 III 2 b, c. Vgl. L. Kaiser, ZHR 111 (1948), 75 (83 f.) (Gleichbehandlungsgrundsatz neben der Treuepflicht „von selbständigem Rang"); Grüter, Gleichbehandlung, S. 33 f.; Schilling, in: Hachenburg, GmbHG, 7. Aufl., § 14 Rdn. 18; Voges, AG 1975, 197 (198); T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, §14 Rdn. 104, Fn.240; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rdn. 41; Briils-Dehin, Schranken, S. 137 f. (anders aber S. 478); sowie nachdrücklich Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 23, 74 ff., der sogar von „evidenten Unterschieden zwischen beiden Rechtsinstituten" spricht. Vgl. auch G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 111 ff., der zwar einerseits einräumt, dass Treu und Glauben bei der Entwicklung des Gleichbehandlungsgrundsatzes eine große Rolle gespielt hätten, andererseits aber betont, dass sich der Grundsatz von dieser historischen Wurzel gelöst und verselbständigt habe. 33 Vgl. OLG Stuttgart AG 2000,229 (230, re. Sp.); Lutter, JZ 1976, 225 (228 f.); ders., AcP 180 (1980), 85 (122); Emmerich, in: Scholz, GmbHG, §13 Rdn. 41; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 7 f., Anh. §53a Rdn. 22; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, §45 Rdn. 106; U.H. Schneider/Burgard, FS Ulmer, S.579 (593); Wiedemann, in: Großkomm. AktG, § 186 Rdn. 136; H. Winter, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rdn. 41; Ernstherger, Mehrheitsherrschaft, S. 163; Erber, Aktionärsschutz, S. 87;Janke, Treuepflicht, S.42; wohl auch Hüffer, FS Steindorff, S. 59 (72); ders., AktG, § 53a Rdn. 2; für Österreich Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, vor §53a Rdn. 46. Aus dem älteren Schrifttum auch schon Ritter, J W 1934, 3025 ff., und Fehrensen, Treuepflicht, S. 142 ff., die deshalb die Existenzberechtigung eines eigenen Gleichbehandlungsgrundsatzes leugneten; ferner R. Teichmann, in: Teichmann/ Koehler, AktG, § 48 Anm. 5a; Fechner, Treubindungen, S. 93 ff. 31
32
88
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
handlungsgrundsatz als deren Spezialfall bezeichnet wird. Soweit sich einzelne Stellungnahmen hierzu finden, wird auf die Treuepflicht der Gesellschaft verwiesen34. Geht man von der (mit Recht) ganz überwiegenden Auffassung aus, der zufolge der Gleichbehandlungsgrundsatz unmittelbar nur die Gesellschaft, nicht aber einzelne Gesellschafter bindet 35 , leuchtet dies auch unmittelbar ein. Gewiss mag in Fällen, in denen die Gesellschafter einen gleichbehandlungswidrigen Beschluss fassen, zugleich eine Verletzung der Treuepflicht der Gesellschafter untereinander vorliegen. Da die Gleichbehandlungspflicht aber den Verband trifft, kann sich diese nicht aus der Treuepflicht der Gesellschafter, sondern allenfalls aus derjenigen der Gesellschaft ergeben. Die aufgeworfene Frage lässt sich somit dahin präzisieren, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz eine lex specialis zur Treuepflicht der Gesellschaft bildet. Gegen die so präzisierte Spezialitätsthese lassen sich im Wesentlichen drei mögliche Einwände formulieren. Zum ersten sind im Schrifttum Bedenken angemeldet worden, ob eine Treuepflicht der Gesellschaft überhaupt anzuerkennen ist (dazu unter Ziff. 2). Zum zweiten ist der Einwand erhoben worden, dass Gleichbehandlungsgrundsatz und Treuepflicht auf unterschiedlichen Grundgedanken beruhten (Ziff. 3). Und zum dritten lässt sich fragen, ob tatsächlich alle Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zugleich Treuepflichtverletzungen darstellen (Ziff. 4).
2. Bedenken gegen die Anerkennung einer der Gesellschaft?
Treuepflicht
Bislang ist mit der h.M. 36 ohne Weiteres unterstellt worden, dass eine Treuepflicht der Gesellschaft tatsächlich anzuerkennen ist. Gegen diese Annahme sind im Schrifttum vereinzelt Bedenken erhoben worden. Insbesondere Kort hat eingewandt, dass echte Treuepflichten einer juristischen Person gegenüber ihren Anteilseignern „rechtskonstruktiv schwer vorstellbar" seien, da sich die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht auf die Mitgliedschaft gründe. Im Grunde gehe es dort, wo die Treuepflicht der Gesellschaft bemüht werde, eher um Verhaltenspflichten von Organen bzw. Organmitgliedern gegenüber einzelnen Gesellschaftern als um Verhaltenspflichten der juristischen Person 37 . 34 Vgl. schon R. Teichmann, in: Teichmann/Koehler, AktG 1937, §48 Anm. 5a („Aus der Treupflicht der AG gegenüber ihren Mitgliedern entspringt der Anspruch der Aktionäre auf gleichmäßige Behandlung."); ferner Lutter, AcP 180 (1980), 84 (122) (Ausprägung der „Rücksichts-" bzw. „Loyalitätspflicht" des Verbands); U.H. Schneider/Burgard, FS Ulmer, S.579 (593 f.); Erber, Aktionärsschutz, S. 87. 35 Vgl. vorerst nur Hüffer, AktG, § 53a Rdn. 4; ausführlich unten § 8 II. 36 Nachw. oben § 2 Fn. 182-184. 37 Kort, Z H R 166 (2002), 366 (368); ablehnend gegenüber einer Treuepflicht der Gesellschaft auch Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 78: „ob der dogmatischen Herleitung der Treuepflicht kaum zu begründen."
§ 5 Systematische
Grundlagen
89
Richtig ist, dass - insbesondere unter dem Eindruck von Lutters einflussreicher Abhandlung zur „Theorie der Mitgliedschaft" 38 - seit langem ein enger Zusammenhang von Mitgliedschaft und Treuepflicht angenommen wird und gemeinhin von mitgliedschaftlichen Treuepflichten gesprochen wird 39 . Nicht einsichtig ist aber, warum daraus Schwierigkeiten für die Begründung einer Treuepflicht der Gesellschaft erwachsen sollen. Die Mitgliedschaft bezeichnet die gesamte Stellung als Partei des durch Gründung oder späteren Beitritt begründeten Rechtsverhältnisses zwischen dem einzelnen Mitglied und dem Verband40. Es ist nicht ersichtlich, warum „rechtskonstruktiv" nur eine Treuepflicht des Mitglieds, nicht aber eine Treuepflicht des Verbands Bestandteil dieses Rechtsverhältnisses sein können soll. Bezeichnenderweise hat auch Lutter selbst nicht gezögert, eine „mitgliedschaftliche Rücksichtspflicht" des Verbands gegenüber den einzelnen Mitgliedern zu bejahen 41 . Damit war nichts anderes gemeint, als heute mit dem Begriff der Treuepflicht der Gesellschaft bezeichnet wird. Es kommt hinzu, dass die teleologische Begründung, die der Anerkennung von mitgliedschaftlichen Treuepflichten zugrunde liegt, auf die Treuepflicht der Gesellschaft nicht weniger zutrifft als auf die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander. Letztere begründet die ganz h.M. unter Hinweis auf die weitreichenden Möglichkeiten der Gesellschafter, auf die mitgliedschaftsbezogenen Interessen ihrer Mitgesellschafter einzuwirken. Diese Einwirkungsmacht bedürfe als Korrektiv einer intensivierten Pflichtbindung durch die Treuepflicht 42 . Diese Argumentation trifft ersichtlich auch auf die Gesellschaft zu 43 . Deren Einwirkungsmacht ist sogar unmittelbarer als diejenige der Mitgesellschafter, deren Einwirkungsmöglichkeiten im Wesentlichen erst durch die Gesellschaftsorgane vermittelt werden. Der Anerkennung einer Treuepflicht der Gesellschaft lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass es der Sache nach nicht um Verhaltenspflichten der juristiLutter, AcP 180 (1980), 84 (102 ff.). In jüngerer Zeit wird allerdings versucht, die Verbindung zwischen Mitgliedschaft und Treuepflicht aufzubrechen; vgl. die Habilitationsschrift von M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, mit Besprechung von Kort, Z H R 164 (2000), 444 ff. 40 Vgl. Lutter, AcP 180 (1980), 84 (86); Habersack, Mitgliedschaft, S. 98; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19 11 b (S. 547). 41 Lutter, AcP 180 (1980), 84 (122). 42 Vgl. B G H Z 65, 15 (19); 103, 184 (195); 129, 136 (143 f.); 142, 167 (170); aus der Literatur grundlegend Zöllner, Schranken, S.342f. (im Anschluss vor allem an Fechner, Treubindungen, S. 76 f., und Mestmäcker, Verwaltung, S.345, 348 ff.); ferner Lutter, AcP 180 (1980), 84 (114); ders., Z H R 153 (1989), 446 (454 f.); Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 3a (S. 432); ders., J Z 1976, 392 (393 Ii. Sp.); JZ 1989, 447 (447f.); Dreher, Z H R 157 (1993), 150 (154f.); Hennricbs, AcP 195 (1995), 221 (238f.); Janke, Treuepflicht, S.190f.; Nehls, Treuepflicht, S. 23 f., 34 f,;M. Wefeer, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 146-148; M. Winter, Treuebindungen, S. 16 ff. 43 Ebenso U.H. Schneider/Burgard, FS Ulmer, S. 579 (593 f.). 38
39
90
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
sehen Person, sondern um solche der Organe bzw. Organmitglieder gegenüber einzelnen Gesellschaftern gehe. Bislang steht die h.M. der Anerkennung von vertraglichen oder quasi-vertraglichen Verhaltenspflichten der Geschäftsleiter gegenüber einzelnen Gesellschaftern aus guten Gründen zurückhaltend gegenüber 44 . Aber selbst wenn sich diese ablehnende Haltung künftig lockern sollte, wäre nicht einzusehen, warum dies die gleichzeitige Anerkennung entsprechender Verhaltenspflichten der Gesellschaft ausschließen sollte. Nicht der Geschäftsleiter, sondern die Gesellschaft ist Partei des mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnisses. Bevor man schwer konstruierbare vertragliche oder quasivertragliche Verhaltenspflichten der Geschäftsleiter gegenüber einzelnen Gesellschaftern anerkennt, liegt es daher allemal näher, unmittelbar an die Sonderverbindung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter anzuknüpfen und eine Treuepflicht in diesem Verhältnis anzuerkennen. Mit der h.M. ist deshalb davon auszugehen, dass durchgreifende Einwände gegen die Anerkennung einer Treuepflicht der Gesellschaft nicht bestehen.
3. Unterschiedliche und Treuepflichtf
Grundgedanken
von
Gleichbehandlungsgrundsatz
Als (weiterer) Einwand gegen die Spezialitätsthese wird im Schrifttum geltend gemacht, dass Gleichbehandlungsgrundsatz und Treuepflicht unterschiedliche Grundgedanken zugrunde lägen 45 . Ruft man sich das zur Begründung des Gleichbehandlungsgrundsatzes Gesagte in Erinnerung, muss diese Aussage überraschen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz stellt - wie dargelegt 46 - ein Instrument zur Wahrung der ausgleichenden Gerechtigkeit zwischen Gesellschaft und Gesellschafter dar. Er soll das Fehlen des Konsenserfordernisses ausgleichen, das andernorts im Privatrecht ein Mindestmaß an ausgleichender Gerechtigkeit gewährleistet, im Verbandsrecht aber durch die einseitige Gestaltungsmacht des Verbands außer Kraft gesetzt wird. Dieser Grundgedanke deckt sich mit der soeben angeführten Begründung der Treuepflicht, die ebenfalls auf den Zusammenhang von einseitiger Gestaltungsmacht und Verantwortung gestützt wird. Die Treuepflicht der Gesellschaft dient (zumindest auch) dem Schutz des einzelnen Gesellschafters vor nicht konsentierten Beeinträchtigungen seiner Mitgliedschaft durch die Gesellschaftsorgane; auch bei ihr geht es um eine angemessene Rücksichtnahme auf die Belange des einzelnen Gesellschafters. Insoweit deckt sich ihr Schutzanliegen mit dem des Gleichbehandlungsgrundsatzes, mag der Einzugsbereich der Treuepflicht auch umfassender sein und sich 44 Vgl. vorerst nur BGHZ 83,122 (133 f.); 110,323 (334); Hopt, in: Großkomm. AktG, § 93 Rdn.469; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §43 Rdn.64; näher unten § 18 II. 45 So ausdrücklich T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 14 Rdn. 104 mit Fn.240. 46 S.oben §4 III 2.
§ 5 Systematische
Grundlagen
91
nicht auf die Kontrolle von Ungleichbehandlungen beschränken. Wenn im Schrifttum gleichwohl von verschiedenen Grundgedanken die Rede ist, dürfte dies darauf zurückzuführen sein, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz (anders als die Treuepflicht) bislang ganz überwiegend als Ausprägung der verteilenden Gerechtigkeit verstanden worden ist 47 . Mit der gewonnenen Erkenntnis, dass auch der Gleichbehandlungsgrundsatz primär der ausgleichenden Gerechtigkeit dient, ist dieser Einwand jedoch obsolet.
4. Gleichbehandlungsverstoß
ohne gleichzeitige
Treuepflichtverletzung?
Im Verhältnis der Spezialität stehen zwei Rechtssätze, wenn der Anwendungsbereich der spezielleren Norm völlig in dem der allgemeineren Norm aufgeht, wenn also alle Fälle der spezielleren Norm auch solche der allgemeineren Norm sind 48 . Wäre die Spezialitätsthese in der hier zugrunde gelegten Form richtig, müssten also alle Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zugleich Verletzungen der Treuepflicht der Gesellschaft darstellen. Ließen sich dagegen Fälle bilden, in denen zwar der Gleichbehandlungsgrundsatz, nicht aber die Treuepflicht verletzt ist, wäre die Spezialitätsthese widerlegt. Vereinzelt wird behauptet, dass sich solche Fälle in der Tat finden ließen. Während nämlich der Gleichbehandlungsgrundsatz allein an objektive Tatbestandsvoraussetzungen anknüpfe, stelle die Treuepflichtkontrolle auch auf subjektive Momente, z.B. Kenntnis oder Kennenmüssen des Verstoßes, ab. Sofern es an jeglicher subjektiver Vorwerfbarkeit fehle, könne daher nur der Gleichbehandlungsgrundsatz eingreifen, nicht aber die Treuepflicht 49 . Dem ist zuzugeben, dass mehrere Entscheidungen, die zur Treuepflicht der Gesellschafter untereinander ergangen sind, in der Tat auch auf subjektive Kriterien abstellen 50 . Gleichwohl kann heute als anerkannt gelten, dass eine solche subjektive Komponente keine notwendige Voraussetzung für das Vorliegen einer Treuepflichtverletzung darstellt. Rechtsprechung und Literatur nehmen im Rahmen der Prüfung der Treuepflicht übereinstimmend eine Interessenabwägung vor, die auch dann zur Annahme einer Treuepflichtverletzung führen kann, wenn ihr weder eine verwerfliche Motivation noch ein Verschulden des S. die Nachw. oben § 4 Fn. 48 f. Vgl. nur Larenz, Methodenlehre, S.267. 49 Vgl. Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 81, 83; zuvor auch schon Grüter, Gleichbehandlung, S. 33 f., 91 f. 5 0 Vgl. - jeweils zur Treuepflicht der Gesellschafter untereinander - B G H Z 76, 352 (357) („planmäßiges" Vorgehen der Mehrheitsgesellschafterin zum Schaden der Gesellschaft); B G H Z 103,184 (194) (Übernahme und Fortführung des Unternehmens unter Ausschluss der Mitaktionäre „von vornherein beabsichtigt"); B G H Z 129,136 (152) (Verhinderung der Sanierung „aus eigennützigen Gründen"); B G H ZIP 2003, 290 (294) (Treuepflichtverstoß durch Bestellung eines befangenen Abschlussprüfers, falls die Mehrheit die die Befangenheit begründenden Umstände „kannte"). 47
48
2. Kapitel:
92
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Treuepflichtigen zugrunde liegt. So hat der B G H im Fall „Hilgers" 51 die Anfechtbarkeit wegen Treuepflichtverletzung allein darauf gestützt, dass sich objektiv kein sachlicher Grund für die Festsetzung eines hohen Nennbetrags der Aktien finden ließ. O b dem subjektiv die Motivation entsprach, die Kleinaktionäre aus der Gesellschaft herauszudrängen, oder die Mehrheit zumindest fahrlässig die Interessen der Kleinaktionäre außer Acht gelassen hatte, prüfte der B G H nicht 52 . Weitere Entscheidungen sind in gleicher Weise verfahren 53 . Auch in der Literatur ist man sich ganz überwiegend einig, dass für die Annahme einer Treuepflichtverletzung ein objektiver Pflichtverstoß genügt 54 . O b der Verstoß schuldhaft erfolgte, hat erst für die Frage einer etwaigen Schadensersatzpflicht Bedeutung. Lassen sich also auch rein objektive Gleichbehandlungsverstöße als Treuepflichtverletzungen ansehen, geht auch dieser letzte Einwand gegen die Spezialitätsthese fehl.
5. Ergebnis und Folgerungen Im Ergebnis spricht somit nichts gegen, sondern alles für die Annahme, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz eine spezielle Ausprägung der Treuepflicht, und zwar derjenigen der Gesellschaft darstellt. Die im Schrifttum nach wie vor verbreitete Gegenauffassung, die einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Gleichbehandlungsgrundsatz und Treuepflicht leugnet, mag zu einer Zeit verständlich gewesen sein, als unter Treuepflicht ausschließlich die Treuepflicht des einzelnen Gesellschafters thematisiert wurde und diejenige der Gesellschaft noch nicht so ins Bewusstsein getreten war wie heute. Beim inzwischen erreichten Entwicklungsstand der Treuepflicht lässt sie sich dagegen nicht mehr aufrechterhalten. Dass der Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes vollständig im Anwendungsbereich der Treuepflicht der Gesellschaft aufgeht, mag auf den ersten Blick zu dem Schluss verleiten, den Gleichbehandlungsgrundsatz für redundant zu halten 55 . Damit würde indes verkannt, dass dieser - wiewohl seinerseits konkretisierungsbedürftig - im Vergleich zur Treuepflicht den konB G H Z 142,167. Zum Sachverhalt bereits oben §2 I I I 2 b bei Fn. 167. B G H Z 142,167 (170 f.). 53 Vgl. B G H Z 111, 224 (227); B G H Z I P 1991, 1584 (1585) (verdeckte Gewinnausschüttung ohne weiteres treuepflichtwidrig). 54 Vgl. Lutter, J Z 1995, 1053 (1055 re. Sp.) (Treuwidrigkeit führt zur Anfechtbarkeit, „ohne dass es auf irgendwelche subjektiven Elemente ankäme"); Martens, G m b H R 1984,265 (267); Janke, Treuepflicht, S.68; Nehls, Treuepflicht, S. 97 ff.; M. Winter, Treuebindungen, S. 109; abweichend für Verstöße gegen die Bindung an das Verbandsinteresse Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , §243 Rdn. 197; ders., in: Baumbach/Hueck, G m b H G , Anh. § 4 7 Rdn. 95 (nur schuldhafter Verstoß anfechtbar). 5 5 So aus dem älteren Schrifttum (jeweils noch im Verhältnis zur Treuepflicht der Gesellschafter, nicht der Gesellschaft) Ritter, J W 1934, 3025 ff.; Fehrensen, Treuepflicht, S. 143. 51
52
5 -5 Systematische
Grundlagen
93
kreteren Kontrollmaßstab bildet und somit gute Dienste leisten kann, die Treuepflicht der Gesellschaft zumindest in einem wesentlichen Teilbereich zu präzisieren 56 . Die Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für den Minderheitenschutz wird durch die hier befürwortete Spezialitätsthese also nicht in Frage gestellt. Auch im Übrigen dürfen die praktischen Auswirkungen der Herleitung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus der Treuepflicht der Gesellschaft nicht überschätzt werden. Immerhin öffnet sie aber den Blick dafür, dass einzelne Differenzen in der herkömmlichen Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Treuepflicht überprüfungsbedürftig sind. Dies gilt namentlich im Bereich der Rechtsfolgen von Verstößen und hier insbesondere in der Frage des Schadensersatzes: Während Schadensersatz als Sanktion von schuldhaften Treuepflichtverletzungen allgemein anerkannt ist, ist dies bei schuldhaften Gleichbehandlungsverstößen nicht der Fall. Mit Rücksicht auf den dargestellten Zusammenhang von Gleichbehandlungsgrundsatz und Treuepflicht muss diese Diskrepanz fragwürdig erscheinen 57 .
56 57
S. bereits oben §3 II 2. Näher dazu unten §17 II.
§ 6 Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen I. Ausgangspunkt; Konkretisierungskompetenz des EuGH Ausweislich der amtlichen Begründung zu § 53a AktG war mit der Kodifizierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Umsetzung der Kapital-RL „eine sachliche Änderung des geltenden Rechtszustands (...) nicht beabsichtigt." 1 An diese Formulierung anknüpfend betont auch das Schrifttum häufig die ungebrochene Kontinuität zwischen der Auslegung des § 53a AktG und dem hergebrachten Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes 2 . Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz durch Art. 42 Kapital-RL und Schema C Ziff. 2 a Börsenzulassungs-RL (jetzt Art. 17 Abs. 1 Transparenz-RL) ein gemeinschaftsrechtliches Fundament erhalten hat 3 , so dass nunmehr § 53a AktG mit Blick auf die Kapital-RL und § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG 4 mit Blick auf die Transparenz-RL so weit wie möglich richtlinienkonform auszulegen sind 5 . Wenn und soweit aus den Richtlinien Vorgaben abzuleiten sind, die von der herkömmlichen Handhabung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Deutschland abweichen und im Wege der richtlinienkonformen Auslegung berücksichtigt werden können, ist also doch eine Änderung des Rechtszustands eingetreten. Einer näheren Untersuchung von Inhalt und Rechtsfolgen des Gleichbehandlungsgrundsatzes muss daher die Klärung der Frage vorausgehen, inwieweit bereits das Gemeinschaftsrecht verbindliche Vorgaben für die Handhabung des Gleichbehandlungsgrundsatzes enthält. Diese Frage ist in der bisherigen Diskussion vernachlässigt worden, möglicherweise auch deshalb, weil einschlägige Rechtsprechung des EuGH bislang fehlt. BT-Drucks. 8/1678, S. 13, re. Sp.; vgl. bereits oben § 2 II 2. Vgl. zuletzt Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 3. 3 Zum Anwendungsbereich der Richtlinien s. bereits oben §2 II 2, 3. 4 Künftig § 30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG, s. oben § 2 II 3. 5 Zur richtlinienkonformen Auslegung grundlegend Canaris, FS Bydlinski, S. 47 ff.; Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung; zuletzt W. H. Roth, EWS 2005, 385 ff. Unerheblich ist, dass die Umsetzungsfrist für die Transparenz-RL noch nicht abgelaufen ist (vgl. Art. 31 Abs. 1 Transparenz-RL: Umsetzung bis 20.1.2007). Zwar kommt dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist Vorrang vor anderen Auslegungskriterien zu (näher Canaris aaO., S.47 [74 ff.]). Da die Vorgaben aus Art. 17 Abs. 1 Transparenz-RL aber bereits in Schema C Ziff. 2 a Börsenzulassungs-RL und Art. 65 Abs. 1 Börsenrechts-RL enthalten waren und für diese die Umsetzungsfrist abgelaufen ist, sind auch diese Vorgaben bereits mit Vorrang bei der Auslegung zu berücksichtigen. 1
2
§ 6 Gemeinschaftsrechtliche
Grundlagen
95
D i e Frage würde allerdings weitgehend an B e d e u t u n g verlieren, w e n n die K o m p e t e n z , den Inhalt des in den R i c h t l i n i e n b e s t i m m u n g e n vorgesehenen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu konkretisieren, den Mitgliedstaaten und nicht dem E u G H zufiele. U b e r l i e ß e man nämlich die K o n k r e t i s i e r u n g s k o m p e tenz den Mitgliedstaaten, w ü r d e n sich die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben auf einen sehr weit gezogenen äußeren R a h m e n b e s c h r ä n k e n . D i e Frage der K o n k r e t i s i e r u n g s k o m p e t e n z f ü r in Richtlinien enthaltene Generalklauseln ist in den letzten J a h r e n gerade im deutschen S c h r i f t t u m intensiv diskutiert w o r den 6 , vor allem am Beispiel von „Treu und G l a u b e n " i.S. des A r t . 3 Abs. 1 Klaus e l - R L 7 . F ü r eine K o n k r e t i s i e r u n g s k o m p e t e n z der Mitgliedstaaten w i r d insbesondere angeführt, dass das I n s t r u m e n t der R i c h t l i n i e (Art. 249 A b s . 3 E G V ) nicht auf detaillierte Rechtsvereinheitlichung, sondern auf bloße Rechtsangleichung angelegt sei. V o r diesem H i n t e r g r u n d müsse eine R i c h t l i n i e n b e s t i m mung, die sich genauer Vorgaben enthalte und stattdessen eine generalklauselartige Regelung treffe, generell 8 oder jedenfalls in E r m a n g e l u n g abweichender A n h a l t s p u n k t e 9 so verstanden werden, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Mitgliedstaaten einen weitreichenden Regelungs- und Auslegungsspielraum überlassen wolle. Angesichts der ständigen und ganz überwiegend gebilligten 1 0 Praxis der G e meinschaftsgesetzgebung, in Richtlinien auch sehr detaillierte, letztlich auf Rechtvereinheitlichung zielende Regelungen zu treffen, ist der generelle Schluss von der H a n d l u n g s f o r m der Richtlinie auf den W i l l e n des G e m e i n s c h a f t s g e setzgebers, die K o n k r e t i s i e r u n g s k o m p e t e n z den Mitgliedstaaten zu überlassen, indes wenig überzeugend 1 1 . Gerade bei weit gefassten Generalklauseln würde eine weitreichende K o n k r e t i s i e r u n g s k o m p e t e n z der Mitgliedstaaten die G e f a h r heraufbeschwören, dass der angestrebte H a r m o n i s i e r u n g s e f f e k t (nahezu) vollständig ausbliebe. D i e überwiegende Auffassung im S c h r i f t t u m n i m m t deshalb mit R e c h t an, dass auch bei Generalklauseln nicht anders als bei b e s t i m m t e n Rechtsbegriffen die K o n k r e t i s i e r u n g s k o m p e t e n z
zumindest im
Grundsatz
beim E u G H liegt 1 2 . H i e r v o n ist auch der E u G H in seiner ersten Entscheidung 6 Umfassende Darstellung der Diskussion bei Röthel, Normkonkretisierung, S. 353 ff.; vgl. auch dies., ZEuP 2005,121 ff.; jeweils mit umfangreichen Nachw. zum Streitstand. 7 Richtlinie 93/13/EWG vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. L 95 vom 21.04.1993, S. 29. 8 So W. H. Roth, FS Drobnig, S. 135 (141 ff.); ders., in: Ernst/Zimmermann, Schuldrechtsreform, S. 225 (235 f.); in der Tendenz ähnlich Canaris, EuZW 1994,417; ders., Handelsrecht, §17Rdn. 20ff. 9 So Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 540 ff., insbes. 542 f. 10 Vgl. nur Biervert, in: Schwarze, EU-Komm, Art. 249 EGV Rdn.26; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249 Rdn. 45; jeweils m.w.Nachw. 11 Wie hier Röthel, Normkonkretisierung, S. 355 f.; Riesenhuber, System, S.77f. 12 Vgl. etwa Basedow, FS Brandner, S. 651 (675); Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S.263, 261; Leible, R I W 2001, 422 (426); Remien, RabelsZ 66 (2002), 503 (517ff.); Riesenhuber, System, S. 74 ff.; eingehend Röthel, Normkonkretisierung, S. 353 ff.
96
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
zur Konkretisierung von „Treu und Glauben" i.S. des Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL wie selbstverständlich ausgegangen 13 . Allerdings hat er diese Rechtsprechung unlängst in einer weiteren Entscheidung zu Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL nicht unerheblich relativiert und ausgeführt, dass sich seine Konkretisierungskompetenz darauf beschränke, die „allgemeinen Kriterien" auszulegen, die f ü r die Missbräuchlichkeit einer Klausel maßgeblich seien. Dagegen sei es nicht Aufgabe des E u G H , diese allgemeinen Kriterien auf eine bestimmte Klausel anzuwenden, da dies eine dem E u G H nicht mögliche Würdigung der Auswirkungen der Klausel im nationalen Recht erfordere. Anderes gelte nur, wenn sich die Missbräuchlichkeit einer Klausel ohne weitere Berücksichtigung der Vertragsumstände und ihrer Auswirkungen im nationalen Recht feststellen lasse14. Ubertragen auf die hier interessierenden Richtlinienbestimmungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes wird man daraus ableiten können, dass sich der E u G H vorbehalten wird, allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Leitlinien für die Konkretisierung des Gleichbehandlungsgebots aufzustellen. Hierunter fallen etwa Fragen des personellen und sachlichen Anwendungsbereichs, aber auch allgemeine Vorgaben zum Begriff der Ungleichbehandlung, der Möglichkeit der sachlichen Rechtfertigung oder des Mindestmaßes an Sanktionen bei Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (dazu sogleich Ziff. II). Dagegen steht nicht zu erwarten, dass der E u G H das Vorliegen eines Gleichbehandlungsverstoßes im konkreten Fall prüfen wird, wenn und weil diese Prüfung ohne eine Würdigung der Auswirkungen der als ungleich angegriffenen Maßnahme im nationalen Recht nicht möglich ist. Insbesondere ist nicht damit zu rechnen, dass der E u G H die im Rahmen der sachlichen Rechtfertigung anzustellende Interessenabwägung im Einzelnen überprüfen wird, da eine Gewichtung der widerstreitenden Interessen nur unter Berücksichtigung des nationalen Rechts möglich ist. Aber auch die in Art. 42 Kapital-RL und Art. 17 Abs. 1 Transparenz-RL angesprochene Vorfrage, ob die Aktionäre sich überhaupt „in denselben Verhältnissen" bzw. „in der gleichen Lage" befinden, lässt sich nicht ohne Anknüpfung an die Gegebenheiten des nationalen Rechts beantworten. Wenn z.B. eine AG im Zusammenhang mit einer kapitalrelevanten Maßnahme (Anwendungsbereich der KapitalRL) dem Verlangen nach Einberufung einer Hauptversammlung oder Ergänzung der Tagesordnung nachkommt, das von einem Paketaktionär mit einer Kapitalbeteiligung von 5 % bzw. anteilig € 500.000 gestellt worden ist, ein gleichgerichtetes Verlangen von einzelnen Kleinaktionären aber ablehnt, so erklärt sich diese Un13 E u G H , verb. Rs. C-240-244/98, Slg. 2000, 1-4941, Rdn.21 ff.; dazu etwa Hau, IPrax 2001,96 (97f.); Leible, R I W 2001,422 (425 f.); Pfeiffer, Z E u P 2003,144 (148 f.); Röthel, N o r m konkretisierung, S.378f., 402 f.; Whittaker, (2001) 117 L Q R 215 ff.; I. Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 209 ff. 14 Vgl. E u G H , Rs. C-237/02, Slg. 1-2004, 3403, Rdn.21 ff.; dazu Markwardt, Z I P 2005, 152 ff.; Rosenfeld, G P R 2005, 71 ff.; Röthel, Z E u P 2005, 421 ff.; Schmidt-Kessel, WuB IV F Art. 3 R L 93/13 E W G 1.04.
§ 6 Gemeinschaftsrechtliche
Grundlagen
97
gleichbehandlung ohne weiteres aus der gesetzlichen Regelung des § 122 Abs. 1 und 2 A k t G . Aus Sicht des nationalen Rechts befinden sich Paketaktionär und Kleinaktionäre insoweit nicht in denselben Umständen. E s ist nicht davon auszugehen, dass der E u G H in einem solchen Fall die mitgliedstaatliche Regelung übergehen und stattdessen selbst festlegen würde, wann sich die Aktionäre in denselben Umständen befinden. Eine solche Kompetenz stünde i h m auch nicht zu, da die Richtlinien eine so weitgehende Harmonisierung der mitgliedstaatlichen A k tienrechte ersichtlich nicht anstreben. Etwas anderes ließe sich allenfalls annehmen, wenn die vom Mitgliedstaat getroffene typisierende Regelung, wann sich die Aktionäre in denselben oder aber in unterschiedlichen Verhältnissen befinden, sachfremd oder willkürlich wäre. In diesem Fall würde die Vorschrift freilich schon gegen nationales Verfassungsrecht (Art. 3 Abs. 1 G G ) verstoßen, so dass insoweit keine zusätzliche Schranke für das Regelungsermessen des nationalen Gesetzgebers errichtet wird. A u c h wenn bislang keine konkretisierende Rechtsprechung des E u G H vorliegt, soll im Folgenden versucht werden, aus den R i c h t l i n i e n b e s t i m m u n g e n und den Auslegungsgrundsätzen des G e m e i n s c h a f t s r e c h t s allgemeine Leitlinien und Vorgaben f ü r die Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes abzuleiten, die voraussichtlich auch der E u G H seiner Rechtsprechung z u g r u n d e legen würde.
II. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für Reichweite, Inhalt und Rechtsfolgen des Gleichbehandlungsgrundsatzes 1. Persönlicher
Anwendungsbereich
Was zunächst die Person des zur Gleichbehandlung Verpflichteten angeht, so lässt sich den R i c h t l i n i e n b e s t i m m u n g e n entnehmen, dass gemeinschaftsrechtlich nur die Gleichbehandlung durch die Gesellschaft 1 5 verlangt wird, nicht auch die Gleichbehandlung im Verhältnis der Gesellschafter untereinander. A r t . 17 A b s . 1 T r a n s p a r e n z - R L bringt dies unmissverständlich z u m A u s d r u c k , indem als Adressat des Gleichbehandlungsgebots der „ E m i t t e n t " bezeichnet wird. D e r Wortlaut des A r t . 42 K a p i t a l - R L ist insoweit z w a r weniger eindeutig, doch ergibt die Auslegung letztlich auch hier, dass die Mitgliedstaaten nur die Gesellschaft zur Gleichbehandlung verpflichten müssen. H i e r f ü r spricht nicht nur der vergleichende Seitenblick auf die T r a n s p a r e n z - R L 1 6 , sondern auch der 15 Also die AG im Rahmen der Kapital-RL (vgl. Art. 1 Abs. 1 Kapital-RL) und die börsennotierte AG bzw. KGaA im Rahmen der Transparenz-RL. 16 Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber unter der Gleichbehandlung der Aktionäre im Rahmen der Transparenz-RL etwas anderes verstanden wissen wollte als unter derjenigen nach Art. 42 Kapital-RL.
98
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Umstand, dass Art. 42 Kapital-RL die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nur „für die Anwendung dieser Richtlinie" vorschreibt. Die Kapital-RL betrifft Fragen der Kapitalaufbringung und -erhaltung, Kapitalmaßnahmen und den Erwerb eigener Aktien, also jeweils Sachbereiche, die sich auf das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern beziehen. Rechtsbeziehungen der Gesellschafter untereinander werden hingegen nicht angesprochen. Daraus ist zu Recht gefolgert worden, dass sich auch das Gleichbehandlungsgebot des Art. 42 Kapital-RL nur auf das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern beziehen kann 17 . Die gängige Auslegung des § 53a AktG, der zufolge allein die Gesellschaft Normadressatin des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist 18 , ist daher gemeinschaftsrechtlich unbedenklich. Zum geschützten Personenkreis zählen nach Art. 42 Kapital-RL nur die Aktionäre der Gesellschaft. Darüber hinausgehend verpflichtet die TransparenzR L die Gesellschaft dazu, neben den Aktionären (Art. 17 Abs. 1) auch die Gläubiger derselben Anleihe (Art. 18 Abs. 1) gleich zu behandeln 19 . Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist jedoch nur die Gleichbehandlung der Aktionäre/Gesellschafter von Interesse.
2. Sachlicher
Anwendungsbereich
Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 42 Kapital-RL bezieht sich nur auf den Anwendungsbereich der Richtlinie, also auf die Kapitalaufbringung und -erhaltung, auf Kapitalmaßnahmen und den Erwerb eigener Aktien. Art. 17 Abs. 1 Transparenz-RL beschränkt sich auf die informationelle Gleichbehandlung (durch börsennotierte Gesellschaften), geht aber über die Kapital-RL insoweit hinaus, als auch Informationen über nicht kapitalrelevante Maßnahmen erfasst sind 20 . Beließe man es bei diesen Aussagen, wäre der sachliche Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgebots der Richtlinien allerdings nur sehr unvollständig beschrieben. Vielmehr sind zwei bedeutsame Einschränkungen zu beachten.
17 So ausdrücklich die Interpretation des Art. 42 Kapital-RL durch den niederländischen Gesetzgeber anlässlich der Umsetzung in art. 2:92 Abs. 2 BW; vgl. Memories van toelichting, Tweede Kamer, zitting 1978-79, 15304 Nr. 3, S. 18 (abgedruckt bei Huizink/ter Huurne, in: Rechtspersonen, art. 92 Anm. 1): „[De bepalingen van de richtlijn] betreffen de verhouding tussen de vennootschap en de andeelhouders en niet tussen de andeelhouders onderling. In art. 92, tweede lid, is daarom bepaald dat de vennootschap andeelhouders die zieh in gelijke omstandigheden bevinden, dezelfde behandeling moet geven." (Hervorhebung vom Verf.). Ebenso Maschhaupt/Storm, Tweede EEG-richtlijn, S. 244,245. 18 Vgl. vorerst nur Hüffer, AktG, § 53a Rdn. 4; ausführlich unten § 8 II. 19 Dem folgend schützen auch §39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG und künftig §30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG (dazu oben § 2 II 3 a.E.) nicht nur die Aktionäre, sondern alle Wertpapierinhaber. 20 S. bereits oben §2 II 3.
5 6 Gemeinschaftsrechtliche
a) Betroffenheit
in der Eigenschaft
als
Grundlagen
99
Gesellschafter
Zunächst gilt es zu bedenken, dass nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Rechtsordnungen der Gleichbehandlungsgrundsatz nur auf solche Maßnahmen angewendet wird, die die Gesellschafter gerade in dieser Eigenschaft betreffen 2 1 . Wird der Bevorzugte oder Benachteiligte dagegen wie ein außenstehender Dritter betroffen und bildet seine Gesellschaftereigenschaft nur einen zufälligen Begleitumstand, findet der Gleichbehandlungsgrundsatz keine Anwendung. Mit Blick auf diesen rechtsvergleichenden Konsens sowie den Umstand, dass sich diese Einschränkung auch teleologisch gut begründen lässt 2 2 , ist davon auszugehen, dass auch das Gemeinschaftsrecht eine Gleichbehandlung der Gesellschafter nur verlangt, soweit die Gesellschafter gerade als solche betroffen sind 2 3 .
b) Gleichbehandlung
nur »in denselben
Verhältnissen"
Eine weitere bedeutsame Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs ergibt sich daraus, dass Art. 42 Kapital-RL und Art. 17 Abs. 1 Transparenz-RL jeweils nur eine Gleichbehandlung derjenigen Aktionäre verlangen, die sich „in denselben Verhältnissen" bzw. „in der gleichen Lage" befinden. Diese Wendung, die in Deutschland in § 53a A k t G und § 39 Abs. 1 Nr. 1 B ö r s G 2 4 in ähnlicher Form wiederkehrt („unter gleichen Voraussetzungen"), lässt sich zunächst als Hinweis darauf verstehen, dass Ungleichbehandlungen nicht per se unzulässig, sondern bei Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung durchaus legitim sind. Darin erschöpft sich die Bedeutung jener Einschränkung indes nicht. Vielmehr zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass es eine Reihe von Fällen gibt, in denen zwar die Gesellschafter in dieser Eigenschaft von der Gesellschaft ungleich behandelt werden, die Ungleichbehandlung aber gleichwohl keiner sachlichen Rechtfertigung bedarf.
aa) Statutarisch
vorgesehene
Ungleichbehandlungen
Ungleiche Verhältnisse, die das Entstehen einer Gleichbehandlungspflicht (oder genauer: einer Pflicht, Ungleichbehandlungen nur bei Vorliegen einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung vorzunehmen) hindern, liegen zum einen 2 1 Für Deutschland ausführlich unten § 9 1, für die Niederlande, Österreich und die Schweiz unten § 7 I I I 2 b; zum funktionalen Äquivalent des unfairprejudice in England unten § 7 II 3 c. 2 2 Näher unten § 9 I 2. 2 3 Auf die nähere Ausgestaltung dieser Einschränkung wird zurückzukommen sein; s. unten § 9 1 . 2 4 Künftig § 30a Abs. 1 Nr. 1 W p H G ; s. oben § 2 II 3 a.E.
100
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
vor, wenn bereits die Satzung die betreffende Ungleichbehandlung vorsieht. In den Mitgliedstaaten der EU ist übereinstimmend anerkannt, dass die Gesellschafter in bestimmten Fällen auch ohne besondere sachliche Rechtfertigung einvernehmlich ungleichmäßige Satzungsbestimmungen vorsehen können (in Deutschland z.B. durch Schaffung von Vorzugsaktien, §§ 11, 139 ff. AktG) 2 5 . Nichts deutet darauf hin, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber mit Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL daran etwas ändern und damit die in allen Mitgliedstaaten - wenn auch in unterschiedlichem Umfang - bestehenden Differenzierungsmöglichkeiten in der Satzung (Mehr-, Höchststimmrechte, Sonderrechte aller Art) in Frage stellen wollte. Auch das Gleichbehandlungsgebot der Richtlinien ist also nur als Schranke der Verbandsmacht, nicht als Schranke der gesellschaftsvertraglichen Privatautonomie aufzufassen. bb) Gesetzlich vorgesehene
Ungleichbehandlungen
Ungleiche Verhältnisse in dem beschriebenen Sinn können sich zum anderen aber auch unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Es wurde oben 26 schon darauf hingewiesen, dass die Frage, ob die Gesellschafter sich „in denselben Verhältnissen" befinden, nicht ohne Rücksicht auf die Gegebenheiten des nationalen Rechts beantwortet werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch bereits deutlich geworden, dass den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Festlegung, wann sich die Gesellschafter in denselben Verhältnissen befinden, nach dem derzeitigen Stand der Rechtsangleichung erhebliche Regelungsspielräume verbleiben müssen 27 . Im nationalen Recht findet sich eine ganze Reihe von Bestimmungen, die die Ausübung von bestimmten Gesellschafterrechten an das Erreichen gewisser Schwellenwerte knüpfen. Das nationale Recht gibt damit zu erkennen, dass Gesellschafter oberhalb und unterhalb des jeweiligen Schwellenwerts sich nicht „in denselben Verhältnissen" befinden und deshalb von der Gesellschaft nicht gleich behandelt werden müssen, ohne dass es hierfür einer besonderen sachlichen Rechtfertigung durch die Gesellschaft bedürfte. Das Beispiel des § 122 AktG wurde bereits genannt: Wenn die Gesellschaft ein von einzelnen Kleinaktionären gestelltes Verlangen nach Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung oder Ergänzung der Tagesordnung ablehnt, dem vergleichbaren Verlangen eines Paketaktionärs mit einer Beteiligung von 5 % des Kapitals bzw. einem anteiligen Betrag von € 500.000 aber stattgibt, so bedarf diese Ungleichbehandlung keiner besonderen sachlichen Rechtfertigung im Gesell25 Zum deutschen Recht s. bereits oben § 1 II 2 a; rechtsvergleichend Perakis, in: Perakis, Minority shareholders, S. 9 (30). 26 Unter Ziff. Ia.E. 27 S. oben Ziff. I.
§ 6 Gemeinschaftsrechtliche
Grundlagen
101
schaftsinteresse. Ausweislich der gesetzlichen Regelung (§ 122 Abs. 1 und 2 AktG) befinden sich die betreffenden Aktionäre insoweit nicht „in denselben Verhältnissen". Eine Reihe weiterer Beispiele, in denen das nationale Recht besondere Rechte an das Erreichen bestimmter Beteiligungsschwellen knüpft und auf diese Weise typisierend festlegt, wann sich die Gesellschafter nicht mehr in denselben Verhältnissen befinden, ließe sich anfügen. Das vielleicht deutlichste Beispiel bildet das Recht eines Hauptaktionärs mit 95 % Kapitalbeteiligung, die übrigen Aktionäre im Wege des squeeze-otit (§§327aff. AktG) oder einer Mehrheitseingliederung (§§ 320 ff. AktG) gegen Abfindung aus der Gesellschaft auszuschließen. Da der Ausschluss durch das Gesellschaftsorgan Hauptversammlung beschlossen wird, handelt es sich dabei um eine Ungleichbehandlung der Gesellschafter seitens der Gesellschaft. Diese bedarf jedoch keiner sachlichen Rechtfertigung vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz28, da der deutsche Gesetzgeber zu erkennen gegeben hat, dass er den Hauptaktionär und die Kleinaktionäre insoweit nicht „in denselben Verhältnissen" sieht. Wie dargelegt ist davon auszugehen, dass das Gemeinschaftsrecht solche typisierenden Festlegungen des nationalen Rechts, die in unterschiedlicher Form in allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen begegnen, jedenfalls insoweit hinnimmt, als sie nicht schlechterdings sachfremd oder willkürlich sind29. cc) Bedeutung für das deutsche
Konzernrecht
(1) Besondere Bedeutung hat der vorstehende Befund für das deutsche - aber nicht nur das deutsche30 - Konzernrecht. Die §§291 ff., 311 ff. AktG gestatten nämlich eine ganze Reihe von Ungleichbehandlungen, ohne auf der hierfür sonst erforderlichen sachlichen Rechtfertigung im Gesellschaftsinteresse zu bestehen. So wird der Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen mit dem herrschenden Gesellschafter ermöglicht, ohne dass dies mit 28 Sofern im Schrifttum überhaupt erwogen wird, für den Beschluss über eine Mehrheitseingliederung oder einen squeeze-out eine sachliche Rechtfertigung zu verlangen, geschieht dies unter Hinweis auf die Lehre vom sachlichen Grund, nicht unter Hinweis auf § 53a AktG; vgl. (jeweils zur Eingliederung) Rodloff, Mehrheitseingliederung, S. 44 ff.; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, Einl. Rdn. 55; gegen das Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung bei den genannten Beschlussgegenständen aber die ganz h.M.; vgl. vorerst nur Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §320b Rdn. 21, §327a Rdn. 26; w.Nachw. unten § 9 Fn. 57. 29 S.oben Ziff. I a.E. Weitere Schranken für im mitgliedstaatlichen Recht vorgesehene Ungleichbehandlungen können sich freilich - wie schon die Rechtsprechung des EuGH zu den sog. golden shares der öffentlichen Hand belegt (EuGH, Rs. C-483/99, Slg. 2002,1-4781; Rs. C-503/99, Slg. 2002, 1-4809; Rs. C-463/00, Slg. 2003, 1-4581; Rs. C-98/01, Slg. 2003, I4641) - aus dem Primärrecht ergeben. Mit den hier interessierenden Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL hat diese Frage indes nichts zu tun. 30 Zum französischen Recht sogleich im Text.
102
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz einer besonderen sachlichen Rechtfertigung bedürfte 31 . In der Folge eines solchen Vertrags kommt es zu zahlreichen Ungleichbehandlungen zulasten der außenstehenden Gesellschafter, die nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung im Interesse der (abhängigen) Gesellschaft kontrolliert werden 32 : Das Leitungsorgan der abhängigen Gesellschaft muss Weisungen des herrschenden Unternehmens aufgrund eines Beherrschungsvertrags nach Maßgabe des § 308 AktG auch dann befolgen, wenn ihre Ausführung eine nicht durch das Gesellschaftsinteresse gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Gesellschafter zum Gegenstand hat, sei es eine Vermögenszuwendung an den herrschenden Gesellschafter (§291 Abs. 3 AktG), eine bevorzugte Informationserteilung oder dergleichen mehr. Ferner ist bei Bestehen eines Gewinnabführungsvertrags der gesamte Gewinn der Gesellschaft an den herrschenden Gesellschafter abzuführen (§§ 291 Abs. 1, 300 Nr. 1, 301 AktG). Aber auch ohne Abschluss eines Unternehmensvertrags wird das Erfordernis, Ungleichbehandlungen sachlich zu rechtfertigen, in der abhängigen Gesellschaft erheblich eingeschränkt. So ist der Vorstand einer faktisch konzernierten oder schlicht abhängigen AG nach h.M. zwar nicht verpflichtet, aber immerhin berechtigt, unter der Voraussetzung eines zeitlich hinausgeschobenen Nachteilsausgleichs (§ 311 AktG) nachteiligen Einflussnahmen der Konzernleitung nachzugeben 33 . Im Ergebnis bedeutet auch dies nichts anderes als eine nicht durch das Eigeninteresse der Gesellschaft gerechtfertigte Ungleichbehandlung zugunsten des herrschenden Gesellschafters. Mit Rücksicht auf diese „Konzernprivilegien" ist im in- und ausländischen Schrifttum bisweilen die Auffassung vertreten worden, die Bestimmungen des deutschen Konzernrechts verstießen gegen Art. 42 Kapital-RL 34 . Träfe dies zu, müsste dasselbe Verdikt auch andere Rechtsordnungen treffen. Dies gilt namentlich für das vom Forum Europaeum Konzernrecht 35 als Vorbild für eine künftige Konzernrechtsharmonisierung empfohlene französische Recht; denn die in der französischen Rechtsprechung entwickelte Rozenblum-Doktr'm gestattet es der abhängigen Gesellschaft ebenfalls, unter bestimmten Voraussetzungen nachteiligen Einflussnahmen des herrschenden Unternehmens Folge zu leisten, obwohl dies auf eine nicht im Eigeninteresse der Gesellschaft gerechtfertigte Ungleichbehandlung zugunsten des herrschenden Unternehmens hinausläuft 36 . Bedenkt man, dass Art. 42 Kapital-RL und Art. 17 Abs. 1 TranspaNäher unten § 15 11 a. Näher unten § 15 I 1 b. 33 Näher unten § 1 5 1 3 a. 34 Vgl. (jeweils zum Vertragskonzern) Meilicke, DB 2001, 2387 (2387); Werlauff, EU Company Law, S.257,452. 35 ZGR 1998, 672 (704 ff.,712 ff.) 36 Näher zur Rechtsprechung des französischen Kassationshofs seit dem arrêt Rozenblum (Cass. crim. D. 1985, 478) neben dem Forum Europaeum Konzernrecht (vorige Fn.) etwa Lutter, FS Kellermann, S.257 ff.; Falcke, Konzernrecht in Frankreich, S. 36 ff.; Lübking, 31
32
§ 6 Gemeinschaftsrechtliche
Grundlagen
103
renz-RL Gleichbehandlung nur „in denselben Verhältnissen" bzw. „in der gleichen Lage" verlangen, und bedenkt man weiter, dass den Mitgliedstaaten nach dem Gesagten auch sonst ein Spielraum zusteht, festzulegen, wann sich die Gesellschafter nicht mehr in denselben Umständen befinden, muss eine derart rigorose Auffassung jedoch auf Bedenken stoßen. Mit den konzernrechtlichen Sonderbestimmungen hat der deutsche Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass er das herrschende Unternehmen in einer besonderen, von derjenigen der außenstehenden Aktionäre zu unterscheidenden Situation sieht. Angesichts der Tatsache, dass sich die Frage der Leitung im Konzerninteresse nur in der Person des herrschenden Gesellschafters stellt und den die Ausübung der Konzernleitung ermöglichenden Privilegien auch besondere Pflichten gegenüberstehen, die nur den herrschenden, nicht aber die außenstehenden Gesellschafter treffen (vgl. §§302 ff., 311, 317 AktG), erscheint diese Festlegung des deutschen Gesetzgebers auch nicht willkürlich oder sachfremd 37 . Schon aus diesem Grund lässt sich die These, die konzernrechtlichen Bestimmungen verstießen gegen Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL, richtigerweise nicht halten. (2) Selbst wenn man dieser Überlegung nicht folgen wollte, ergibt sich die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit der erwähnten Konzernprivilegien aber jedenfalls aus den Gründen, die in der Paralleldiskussion zum Kapitalschutz vorgetragen worden sind. Bekanntlich wird im Schrifttum seit geraumer Zeit darüber gestritten, ob die in § 291 Abs. 3 AktG und § 311 AktG angelegte Lockerung der Vermögensbindung in der abhängigen AG mit den strengen Kapitalschutzvorschriften der Art. 15 f. Kapital-RL vereinbar ist. Während teilweise Bedenken erhoben werden 38 , geht die überwiegende Ansicht von der Vereinbarkeit sowohl des § 291 Abs. 3 AktG als auch des § 311 AktG mit der KapiK o n z e r n r e c h t f ü r E u r o p a , S. 143 ff.; P. Becker, H a f t u n g eines M e h r h e i t s g e s e l l s c h a f t e r s , S. 2 0 9 ff.; k r i t i s c h Schön, R a b e l s Z 64 (2000), 1 (22 ff.); Wackerharth, L e i t u n g s m a c h t , S . 3 3 7 f f . ; Windbichler, ( 2 0 0 0 ) 1 E B O R 265 (272 f., 284). 3 7 I m Gegenteil bestehen auch auf G e m e i n s c h a f t s e b e n e B e s t r e b u n g e n , eine R a h m e n r e g e l u n g z u r K o n z e r n l e i t u n g e i n z u f ü h r e n , die der S o n d e r s t e l l u n g des k o n z e r n l e i t e n d e n U n t e r n e h m e n s R e c h n u n g t r a g e n soll. So hat die K o m m i s s i o n in i h r e m A k t i o n s p l a n v o m 21.5.2003 ( „ M o d e r n i s i e r u n g des G e s e l l s c h a f t s r e c h t s u n d V e r b e s s e r u n g der C o r p o r a t e G o v e r n a n c e i n der E U " , K O M [2003] 284 endg., S. 23) den E n t w u r f einer R a h m e n b e s t i m m u n g a n g e k ü n d i g t , „ w o n a c h die L e i t u n g eines K o n z e r n u n t e r n e h m e n s eine a b g e s t i m m t e K o n z e r n p o l i t i k festlegen u n d u m s e t z e n d a r f , sofern die Interessen seiner M i t g l i e d e r w i r k u n g s v o l l geschützt w e r den u n d die Vor- u n d N a c h t e i l e i m Lauf der Zeit gerecht auf die A k t i o n ä r e des U n t e r n e h m e n s verteilt w e r d e n . " D i e K o m m i s s i o n folgt d a m i t einer e n t s p r e c h e n d e n E m p f e h l u n g der High Level Group, vgl. den Bericht der H o c h r a n g i g e n G r u p p e von E x p e r t e n auf d e m Gebiet des G e s e l l s c h a f t s r e c h t s v o m 4.11.2002, S. 105 f.; n ä h e r h i e r z u u n d z u der E m p f e h l u n g des A k t i o n s p l a n s e t w a Habersack, N Z G 2 0 0 4 , 1 (7 f.). 3 8 F ü r U n v e r e i n b a r k e i t des § 2 9 1 A b s . 3 A k t G mit A r t . 15 f. K a p i t a l - R L Meilicke, DB 2001, 2387; m i t E i n s c h r ä n k u n g e n auch Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, R d n . 172; f ü r U n v e r e i n b a r k e i t des § 311 A k t G (nicht aber des § 2 9 1 A b s . 3 A k t G ) mit A r t . 15 f. K a p i t a l - R L Schön, FS K r o p f f , S . 2 8 5 (295 ff.); ebenso ders., R a b e l s Z 64 (2000), 1 (22 ff.), dort auch z u r f r a n z ö s i s c h e n Rozenblum-Tioktr'm, die Schön e b e n f a l l s f ü r r i c h t l i n i e n w i d r i g hält.
104
2. Kapitel:
Grundlagen des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
t a l - R L aus 3 9 . D i e B e g r ü n d u n g variiert: Teils wird unter H i n w e i s auf die gleichzeitig z u r K a p i t a l - R L vorbereitete, dann aber nicht verabschiedete K o n z e r n r e c h t s - R L 4 0 a n g e n o m m e n , dass die K a p i t a l - R L die konzernabhängige G e sellschaft nicht miterfassen wolle, sondern insoweit eine „ungeschriebene B e reichsausnahme" enthalte 4 1 . A n d e r e führen zur R e c h t f e r t i g u n g des § 291 A b s . 3 A k t G an, dass der Abschluss eines Beherrschungsvertrags den Verbandszweck so verändere, dass sich verdeckte Vermögenszuwendungen an das herrschende U n t e r n e h m e n n u n m e h r als z w e c k k o n f o r m e Leistungen darstellten. D a die K a p i t a l - R L atypische Zwecksetzungen zulasse, k ö n n t e n solche Leistungen nicht generell verboten sein 4 2 . I n B e z u g auf § 311 A k t G wird schließlich darauf verwiesen, dass die Ziele des Kapitalschutzes materiell gewahrt blieben. D a die einzige Privilegierung des herrschenden U n t e r n e h m e n s in der zeitlichen H i n a u s zögerung des Nachteilsausgleichs liege, dieser Liquiditätsvorteil aber bei der B e m e s s u n g des Nachteilsausgleichs zu berücksichtigen und der Ausgleich ggf. zu besichern sei, entstünden der abhängigen Gesellschaft im Ergebnis keine materiellen Nachteile 4 3 . N i c h t alle diese A r g u m e n t e vermögen restlos zu überzeugen 4 4 . G e w i c h t k o m m t aber vor allem dem H i n w e i s auf die Entstehungsgeschichte der Kapital39 Engert, in: Langenbucher, Europarechtliche Bezüge, § 5 Rdn. 79; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 596 mit Fn.653; Weil, Unternehmensverträge, S. 166 f.; ders., WM 2003, 2169 (2171); Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, S. 23 ff., 131 ff.; in Bezug auf §§311 ff. AktG T. Bezzenberger, Kapital, S. 325 f.; vgl. ferner Bachmann, ZGR 2001,351 (376 Fn. 172); tendenziell wohl auch Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 343. 40 Entwurf einer neunten Richtlinie von 1984 (Konzernrechts-RL), abgedruckt etwa bei Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Textsammlung Nr. 9. Zur historischen Entwicklung Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 58 f. 41 So ausdrücklich Engert, in: Langenbucher, Europarechtliche Bezüge, § 5 Rdn. 79; ferner Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 596 mit Fn. 653; Veil, Unternehmensverträge, S. 166 f.; ders., WM 2003,2169 (2171); vgl. auch Bachmann, ZGR 2001,351 (376 Fn. 172); für den Vertragskonzern auch Schön, FS Kropff, S. 285 (298 f.). 42 So Mülbert, FS Lutter, S.535 (547ff.); Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, S. 25 ff., allerdings jeweils mit der Einschränkung, dass das gebundene Kapital (gezeichnetes Kapital nebst nicht ausschüttungsfähiger Rücklagen) nicht tangiert werden dürfe. Mülbert aaO., S. 550 ff., hält das deutsche Vertragskonzernrecht im Gegenteil sogar für zu streng, indem es in § 302 AktG eine pauschale, anlassunabhängige Verlustausgleichspflicht statuiere und damit über das in der Kapital-RL vorgesehene Schutzniveau in unzulässiger Weise hinausgehe; ihm folgend Nienhaus, Kapitalschutz, S. 223 ff., 230ff.; dagegen jedoch mit Recht Veil, Unternehmensverträge, S. 167 f.; Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, S. 28 ff. 43 Habersack, ZGR 2003, 724 (733 f.); ders., Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 171; ders., in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rdn. 82; WimmerLeonhardt, Konzernhaftungsrecht,S. 132f.; T. Bezzenberger, Kapital, S.325f.; ä h n l i c h s t e r , in: MünchKomm. AktG, §57 Rdn. 130ff.; Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, Vorb. §311 Rdn.7; Kropff, in: MünchKomm. AktG, §311 Rdn.41; Nienhaus, Kapitalschutz, S. 228 ff. 44 Falls man - so wie dies der BGH auf nationaler Ebene annimmt (BGHZ 157, 72 [76]; dazu statt vieler Habersack/Schiirnbrand, NZG 2004, 689 ff.) —die Kreditvergabe an Gesell-
5 6 Gemeinschaftsrechtliche
Grundlagen
105
R L und die zunächst parallel beabsichtigte, dann aber nicht weiterverfolgte Harmonisierung des Konzernrechts zu 4 5 . W ü r d e man das Gleichbehandlungsgebot und die strikte Vermögensbindung der A r t . 15 f. Kapital-RL in der konzernabhängigen Gesellschaft uneingeschränkt z u r Geltung bringen und die genannten „Konzernprivilegien" f ü r unzulässig halten, w ü r d e dies zu dem befremdlichen Ergebnis f ü h r e n , dass durch die Kapital-RL bereits ein harmonisiertes K o n z e r n r e c h t geschaffen w o r d e n wäre, o b w o h l der europäische Gesetzgeber diese Frage ersichtlich separat regeln wollte und bisher von einer H a r m o nisierung bewusst abgesehen hat 46 . H i n z u kommt, dass sich das hier b e f ü r w o r t e t e Ergebnis nunmehr auch durch eine systematische Auslegung bestätigt sieht, welche die 2 0 0 1 verabschiedete S E - V O 4 7 mit in die Betrachtung einbezieht. Bei der A n w e n d u n g des deutschen A k t i e n k o n z e r n r e c h t s auf die abhängige SE mit Sitz in Deutschland 4 8 stellt sich w i e d e r u m die Frage, ob die Konzernprivilegien, die das A k t G im Vertragskonzern und im faktischen K o n z e r n vorsieht, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind 49 . Erwägungsgrund 15 der S E - V O lässt darauf schließen, dass diese Frage aus der maßgeblichen Sicht des Gemeinschaftsgesetzgebers zu bejahen ist. In dem Erwägungsgrund heißt es, dass die konzernrechtlichen Fragen des Schutzes von Minderheitsaktionären und Dritten in abhängigen Gesellschafter auch bei angemessener Verzinsung als Auszahlung i.S. der Kapitalschutzvorschriften wertet, erscheint insbesondere das Argument zweifelhaft, dass der gestreckte Nachteilsausgleich nach §311 AktG im Ergebnis nicht hinter dem Kapitalschutz zurückbleibe. Nicht zweifelsfrei ist auch der zur Rechtfertigung des §291 Abs. 3 AktG angeführte Hinweis auf die atypische Zwecksetzung der beherrschungsvertraglich konzernierten AG, da diese nicht a priori, sondern erst aufgrund des Abschlusses des Beherrschungsvertrags über einen dienenden Zweck verfügt; vgl. Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 172 Fn. 79. 45 Der EuGH hat auch in anderem Zusammenhang bereits eine nicht verabschiedete Richtlinie für Zwecke der systematischen Auslegung herangezogen; vgl. den Hinweis von Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 311 Fn.39, auf EuGH, Rs. C-104/96, Slg. 1997,1-7219, Rdn. 25 f. 46 So besonders deutlich Weil, Unternehmensverträge, S. 166; ders., WM 2003,2169 (2171); vgl. auch die übrigen Nachw. in Fn. 41. 47 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. L 294 vom 10.11.2001, S. 1. 48 Auf die abhängige SE mit Sitz in Deutschland findet unstreitig deutsches Konzernrecht Anwendung. Uneinigkeit besteht nur, ob man zu diesem Ergebnis über das Kollisionsrecht gelangt (Sitz- und Gründungstheorie führen wegen Art. 7 Satz 1 SE-VO übereinstimmend zum Recht des Sitzstaats) oder über Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO; für Ersteres unter Hinweis auf Erwägungsgrund 15 der SE-VO Habersack, ZGR 2003, 724 (727f.) m.w.Nachw.; für Letzteres Hommelhoff, AG 2003,179 (180). 49 Bejahend die h.L.; vgl Altmeppen, in: MünchKomm. AktG, Anh. § 9 SE-VO Rdn. 27 ff., 35 f.; Habersack, ZGR 2003, 724 (731 ff.); Weil, WM 2003, 2169 (2173); ders., in: Jannott/Frodermann, SE, 11 Rdn. 6; Brandt, NZG 2003, 889 (892 f., 894); verneinend Hommelhoff, AG 2003,179 (182 f.): Verstoß gegen Kapitalschutz, im Fall des Beherrschungsvertrags auch gegen Art. 39 SE-VO (eigenverantwortliche Leitung); zum Ganzen auch Maul, in: Lutter/Hommelhoff, Europäische Gesellschaft, S. 249 (251 f.), die die Vereinbarkeit mit der Kapital-RL aber letztlich offen lässt.
106
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Schäften nach nationalem Recht zu beurteilen sind. Dieser Verzicht auf eine SEspezifische Regelung des Konzernrechts wurde, wie sich aus den Materialien eindeutig belegen lässt, in dem klaren Bewusstsein vollzogen, dass u.a. Deutschland über Formen der Konzernierung verfügt, die eine Leitung im Konzerninteresse gestatten50. Damit hat der europäische Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass er die Leitung im Konzerninteresse und die damit verbundene Privilegierung des herrschenden Gesellschafters für die SE bewusst hinnimmt und ungeachtet der Kapital-RL als gemeinschaftsrechtskonform ansieht51. Wenn aber der europäische Gesetzgeber die deutschen Konzernprivilegien sogar für die supranationale Rechtsform der SE als gemeinschaftsrechtskonform akzeptiert, kann für die nationale, weniger stark angeglichene Rechtsform der AG schwerlich anderes gelten. Das Gesagte bedeutet allerdings nicht, dass die konzernabhängige AG dem Anwendungsbereich der Kapital-RL i.S. einer „Bereichsausnahme" insgesamt entzogen wäre. Eine solche Auslegung der Richtlinie würde die mit ihr verfolgten Ziele des Aktionärs- und Gläubigerschutzes in sehr weitreichender Weise in Frage stellen. Mit dem Auslegungsgrundsatz des e f f e t utile, der eine „ergiebige", auf „größte Nutzwirkung" gerichtete Auslegung des Gemeinschaftsrechts verlangt52, ließe sich dies schwerlich vereinbaren53. Mehr spricht deshalb für eine Auslegung, die den Mitgliedstaaten zwar Raum lässt, zugunsten des herrschenden Gesellschafters eine Leitung im Konzerninteresse zu ermöglichen, aber zugleich verlangt, dass die dadurch drohenden Gefahren für die abhängige Gesellschaft, ihre Minderheitsgesellschafter und ihre Gläubiger zumindest im Wesentlichen gleichwertig kompensiert werden 54 . Dass das deutsche Konzernrecht mit seinen vielfältigen Schutzvorkehrungen zugunsten der Gesellschaft, ihrer außenstehenden Aktionäre und Gläubiger (§§ 302 ff., 311 ff. AktG) dem nicht gerecht würde, wird man nicht behaupten können. Nach alledem bleibt es dabei, dass die im deutschen Recht vorgesehenen Konzernprivile50 Vgl. insbesondere die Begründung zu Erwägungsgrund 14 (= Erwägungsgrund 15 der SE-VO) des SE-Verordnungsvorschlags von 1989, Zweiter geänderter Vorschlag vom 25.8.1989, ABl. C 263, S. 41 =BT-Drucks. 11/5427, S . l (16 f.). Dort heißt es, dass man der beabsichtigten Harmonisierung der nationalen Konzernrechte nicht vorgreifen wolle. Deshalb werde von einer konzernrechtlichen Regelung abgesehen, obwohl es „derzeit (...) lediglich aufgrund der Rechtsvorschriften in der Bundesrepublik Deutschland und in Portugal möglich [ist], dass die Muttergesellschaft eines Konzerns ihre Tochtergesellschaften im Interesse des Konzerns führt und folglich besondere Garantien für die Minderheitsaktionäre und die Gläubiger vorgesehen werden." Ausführlich zur Entstehungsgeschichte Habersack, ZGR 2003,724 (737 ff.). 51 Vgl. Habersack, ZGR 2003, 724 (740 f.). 52 Zum e f f e t utile etwa Streinz, FS Everling II, S. 1491 ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 452ff., 458 ff. 53 Insoweit wie hier Schön, FS Kropff, S.285 (291), und Nienhaus, Kapitalschutz, S. 107, jeweils zum Parallelproblem im Rahmen der Art. 15 f. Kapital-RL. 54 Ahnlich i.E. Engert, in: Langenbucher, Europarechtliche Bezüge, § 5 Rdn. 79.
§ 6 Gemeinschaftsrechtliche
Grundlagen
107
gien mit den Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL ebenso wenig in Konflikt geraten wie mit dem gemeinschaftsrechtlichen Kapitalschutz.
3. a)
Ungleichbehandlung Gleichbehandlungsmaßstab
Weder die Kapital- noch die Transparenz-RL erläutern den Maßstab, der der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zugrunde zu legen ist. International besteht aber Einigkeit, dass es bei allen zahlenmäßig abstuf baren Rechten (z.B. Gewinnbeteiligung, Stimmrecht, Bezugsrecht, Beteiligung am Liquidationserlös) auf den Umfang der Kapitalbeteiligung ankommen muss, während für die nicht zahlenmäßig abstuf baren Rechte (Teilnahmerecht, Rederecht, Informationsrecht, Anfechtungsbefugnis) der Maßstab der Gleichbehandlung nach Köpfen Anwendung findet55. Etwas anderes gilt nur, soweit in der Satzung ein abweichender Maßstab vorgesehen ist und das nationale Recht solche Abweichungen zulässt. Nichts spricht dafür, das Gleichbehandlungsgebot der Richtlinien anders aufzufassen. b) Formale
und materielle
Ungleichbehandlungen
Was die wichtige Frage anbetrifft, ob nur formale Abweichungen von dem anwendbaren Gleichbehandlungsmaßstab oder darüber hinaus auch versteckte, materielle Ungleichbehandlungen vor dem Gleichbehandlungsgebot rechtfertigungsbedürftig sind, gibt der Wortlaut der Richtlinienbestimmungen ebenfalls keinen klaren Aufschluss. Mit Blick auf den soeben bereits erwähnten Auslegungsgrundsatz des effet utile des Gemeinschaftsrechts kann aber kein ernstlicher Zweifel bestehen, dass ein rein formales Begriffsverständnis der Gleichbehandlung, wie es früher das R G praktizierte und in Deutschland noch heute verbreitet ist 56 , den Richtlinien nicht gerecht wird. Anderenfalls wäre es praktisch nach Belieben möglich, die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu umgehen. Wenn in Fällen wie R G Z 122, 159 57 eine Ungleichbehandlung verneint wird, weil die Bezugsberechtigung formal für alle Gesellschafter gleichmäßig ausgeschlossen ist, der neue Geschäftsanteil dann aber einer 100 % igen Tochtergesellschaft des Mehrheitsgesellschafters zugeteilt wird, bleibt vom Gleichbehandlungsgrundsatz ersichtlich nicht viel übrig. Dass sich eine solche Auslegung mit dem Gebot des effet utile nicht verträgt, liegt auf der Hand. 55 Vgl. unten §7 1 1 bei Fn. 13f. (Frankreich), §7 I I I 2 caa (Niederlande, Osterreich, Schweiz), § 11 I 1 (Deutschland). 56 S.oben §2 12 a, I I I 1. 57 Dazu oben §2 12 a bei Fn. 30.
108
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Unter Hinweis auf den effet utile bzw. - synonym verwendet - die „praktische Wirksamkeit" des Gemeinschaftsrechts 58 hat der E u G H denn auch bei anderen Diskriminierungsverboten des Gemeinschaftsrechts seit langem anerkannt, dass auch „versteckte Formen der Diskriminierung" erfasst werden 59 . Es ist damit zu rechnen, dass der E u G H sich hieran anlehnen wird, wenn ihm Fragen zur Auslegung des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegt werden. Reichhaltiges Anschauungsmaterial zur „versteckten Diskriminierung" - bzw. in der hier verwandten Terminologie: materiellen Ungleichbehandlung 60 - bietet die Rechtsprechung des E u G H vor allem zu den Art. 12, 141 E G V sowie zu den Diskriminierungsverboten, die in den Grundfreiheiten der Art. 28, 39, 43, 49, 56 E G V (mit-) enthalten sind. Hier hat sich gewissermaßen als stehende Formel herausgebildet, dass auch versteckte Diskriminierungen verbotswidrig sind, die „durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen" wie offensichtliche, formale Ungleichbehandlungen 61 . Das erzielte Ergebnis muss dabei nicht exakt dasselbe sein wie das, welches sich bei einer formalen Ungleichbehandlung ergeben würde. Bei gruppenbezogenen Diskriminierungsverboten (Staatsangehörigkeit, Geschlecht) genügt vielmehr, dass eine Regelung im Ergebnis erheblich mehr Angehörige gerade der einen Gruppe trifft 6 2 . Sofern eine Regelung eine Leistungsgewährung an die Erfüllung bestimmter sachlicher Anforderungen knüpft, ist nicht erforderlich, dass die Anforderungen für die Angehörigen der benachteiligten Gruppe schlechterdings unerfüllbar sind. Eine Diskriminierung wird vielmehr bereits dann angenommen, wenn sie von diesen Bewerbern nur mit größeren Schwierigkeiten erfüllt werden können 6 3 . Ähnliches ist nicht nur für die genannten besonderen Diskriminierungsverbote, sondern auch für den allgemeinen Gleichheitssatz des Gemeinschaftsrechts anerkannt. Auch hier geht der E u G H da58 Zur Austauschbarkeit dieser Begriffe Streinz, FS Everling II, S. 1491 (1495); Vogenauer, Auslegung, S. 356. 59 So erstmals EuGH, Rs. 152/73, Slg. 1974,153, Rdn. 11 (zu Art. 39 Abs. 2 E G V = Art. 48 Abs. 2 E G V a.F.). 6 0 Der Begriff „Diskriminierung" wird unterschiedlich gebraucht: Mitunter ist damit jegliche Ungleichbehandlung gemeint, häufig aber auch nur die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung; vgl. Plötscher, Diskriminierung, S.26ff.; Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 24 f. Die vorliegende Untersuchung zieht daher den weniger missverständlichen Begriff der Ungleichbehandlung vor. 61 Zu Art. 12 E G V (=Art.7 bzw. Art. 6 E G V a.F.) s. EuGH, Rs. 61/77, Slg. 1978, 417, Rdn. 78/80; Rs. 22/80, Slg. 1980, 3427, Rdn. 9; Rs. C-382/92, Slg. 1994,1-467, Rdn. 14; Rs. C 29/95, Slg. 1997,1-285, Rdn. 16; zu Art. 39 Abs. 2 E G V (= Art. 48 Abs. 2 E G V a.F.) EuGH, Rs. 152/73, Slg. 1974,153, Rdn. 11; Rs. 175/88, Slg. 1990,1-1779, Rdn. 13; zu Art. 49 E G V (= Art. 59 E G V a.F.) EuGH, verb. Rs. 62 und 63/81, Slg. 1982,223, Rdn. 8. 62 Vgl. etwa EuGH, Rs. 96/80, Slg. 1981, 911, Rdn. 13; Rs. C-29/95, Slg. 1997, 1-285, Rdn. 17. 63 Vgl. etwa EuGH, Rs. 31/87, Slg. 1988, 4635, Rdn. 30.
5 6 Gemeinschaftsrechtliche
Grundlagen
109
von aus, dass es f ü r die Feststellung einer U n g l e i c h b e h a n d l u n g nicht auf die F o r m , s o n d e r n auf das E r g e b n i s a n k o m m t 6 4 . G e w i s s ist die vorstehend skizzierte Rechtsprechung zu Sachverhalten ergangen, die weitenteils in einem ganz anderen K o n t e x t stehen als der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz.
D e r gemeinsame
Grundge-
danke, dass es f ü r das Vorliegen einer Ungleichbehandlung nicht auf die F o r m einer M a ß n a h m e , sondern auf deren Ergebnis a n k o m m t , lässt sich aber auf den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz übertragen. A u f die E i n zelheiten, wie sich der B e g r i f f der materiellen Ungleichbehandlung präzisieren lässt, wird im Verlauf der U n t e r s u c h u n g n o c h ausführlich einzugehen sein 6 5 . Bereits an dieser Stelle gilt es aber festzuhalten, dass eine B e s c h r ä n k u n g der Inhaltskontrolle auf formale Ungleichbehandlungen, wie sie das R G v o r n a h m und dem Gleichbehandlungsgrundsatz teilweise n o c h heute zugeschrieben wird, mit den Vorgaben der R i c h t l i n i e n nicht vereinbar ist.
4. Sachliche
Rechtfertigung
B e t r a c h t e t m a n die Rechtsprechung des E u G H z u m allgemeinen Gleichheitssatz des Gemeinschaftsrechts, so ähnelt diese in ihrer G r u n d s t r u k t u r derjenigen des B V e r f G zu A r t . 3 A b s . 1 G G . I m A n s c h l u s s an die Feststellung einer Ungleichbehandlung folgt die P r ü f u n g , o b sich die Ungleichbehandlung sachlich rechtfertigen lässt 6 6 . I m D e t a i l erfolgt diese P r ü f u n g in der R e c h t s p r e c h u n g des E u G H allerdings uneinheitlich und lässt „kaum eine dogmatische G r u n d l i n i e " erkennen 6 7 . S o schwanken die Aussagen dazu, in welchem U m f a n g dem handelnden G e m e i n s c h a f t s o r g a n ein Beurteilungsspielraum in der Frage der sachlichen R e c h t f e r t i g u n g zuzugestehen ist 6 8 . Ebenfalls n o c h nicht hinreichend geklärt ist - vergleichbar der Diskussion zu A r t . 3 Abs. 1 G G in D e u t s c h l a n d 6 9 - , welche B e d e u t u n g dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im R a h m e n der sachlichen R e c h t f e r t i g u n g z u k o m m t 7 0 . 64 Vgl. etwa EuGH, verb. Rs. 311/90, Slg. 1992,1-2061, Rdn. 18 ff.: Dort geht der Gerichtshof implizit davon aus, dass es für das Vorliegen einer Ungleichbehandlung genüge, wenn eine formal unterschiedslose Maßnahme Kleinerzeuger „tatsächlich schwerer treffe" als Großerzeuger. 65 S. unten § 11 112. 66 Vgl. schon EuGH, verb. Rs. 117/76 u. 16/77, Slg. 1977,1753, Rdn. 7 ff. 67 Hölscheidt, in: Meyer, GR-Charta, Art. 20 Rdn. 16. 68 Vgl. etwa einerseits EuGH, verb. Rs. C-267-285/88, Slg. 1990, 1-435, Rdn. 14 (weiter Beurteilungsspielraum); andererseits EuGH, verb. Rs. 117/76 u. 16/77, Slg. 1977,1753, Rdn. 9 f. (detaillierte Prüfung); Hölscheidt, in: Meyer, GR-Charta, Art. 20 Rdn. 16; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 6 EUV Rdn. 181. 69 Zur „neuen Formel" des BVerfG s. bereits oben § 5 II (bei Fn. 27). 70 Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der sachlichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen nimmt der EuGH im Agrarbereich vor; vgl. etwa (jeweils zu Art. 34 Abs. 2 Unterabs. 2 EGV = Art. 40 Abs. 3 Unterabs. 2 EGV a.F.) EuGH, verb. Rs. 63-69/72,
110
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Konkrete Anhaltspunkte dafür, wie der EuGH die Frage der sachlichen Rechtfertigung im Rahmen des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes angehen würde, lassen sich aus dieser Rechtsprechung schwerlich ableiten. Selbst wenn der EuGH eine bloße Willkürkontrolle anstatt einer engmaschigeren Verhältnismäßigkeitskontrolle für ausreichend halten sollte, würde dies aber nicht bedeuten, dass den Mitgliedstaaten damit verwehrt wäre, eine intensivere Inhaltskontrolle vorzusehen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Art. 42 Kapital-RL und der diesem nachgebildete Art. 17 Abs. 1 TransparenzRL lediglich einen gemeinschaftsrechtlichen Mindestschutz normieren, der die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung zum Schutz der benachteiligten Aktionäre zu verschärfen 71 . Zwar ist bisweilen die Auffassung vertreten worden, dass die Bestimmungen der Kapital-RL grundsätzlich als Höchstnormen anzusehen seien und nur dann durch strengeres nationales Recht ergänzt werden dürften, wenn dies in der Richtlinie ausdrücklich zugelassen sei 72 . Der EuGH hat dieser Auffassung in der Rechtssache „Siemens/Nold" indes eine klare Absage erteilt und ausgeführt, dass die in der Kapital-RL nicht vorgesehene Gewährung eines Bezugsrechts auch bei Sachkapitalerhöhungen sowie die hierzulande praktizierte Verhältnismäßigkeitskontrolle eines Bezugsrechtsausschlusses nach Art der Lehre vom sachlichen Grund im Interesse eines wirksameren Aktionärsschutzes lägen und deshalb mit den Zielen der Kapital-RL vereinbar seien, auch wenn sie von dieser nicht verlangt würden 73 . Legt man diese Rechtsprechung zugrunde, lassen sich konsequenterweise auch gegen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes keine gemeinschaftsrechtlichen Bedenken erheben. Die h.L. in Deutschland, die auf einer derartigen Prüfung besteht 74 , steht also im Einklang mit den Vorgaben der Richtlinien. Slg. 1973,1229, Rdn. 14 ff.; Rs. 114/76, Slg. 1977,1211, Rdn. 5 ff. Ob dieselben Anforderungen auch für den allgemeinen Gleichheitssatz gelten, ist bislang offen; vgl. Kingreen, in: Calliess/ Ruffert, EUV/EGV, Art. 6 EUV Rdn. 182; Streinz, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 20 GRCharta Rdn. 9; Wahle, Gleichheitssatz, S. 107 ff. 71 A.A. offenbar Drinkuth, Kapital-RL, S. 269: Es gebe immer nur einen möglichen Weg, die Gleichbehandlung i.S. des Art. 42 Kapital-RL zu verwirklichen. 72 So GA Tesauro, Rs. C-83/91, Slg. 1992,1-4897, Rdn. 12; Edwards, EC Company Law, S. 56; Kindler, Z H R 158 (1994), 339 (351 ff.); vgl. auch Steindorff, EuZW 1990, 251 (252). Die wohl h.L. spricht sich demgegenüber für eine differenzierende Betrachtung aus und will für jede Richtlinienbestimmung anhand ihres Schutzzwecks gesondert untersuchen, ob es sich um eine Mindest- oder Höchstnorm handelt; vgl. etwa Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 139 f.; Mülbert, FS Lutter, S. 535 (551); Baldamus, Kapital-RL, S. 11; eingehend Drinkuth, Kapital-RL, insbes. S. 53 ff., 58 ff., 117 ff., mit ausführlicher Ubersicht über den Streitstand aaO. S. 48 ff. Zum Ganzen zuletzt auch Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 315. 73 Vgl. EuGH, Rs. C-42/95, Slg. 1996, 1-6028, Rdn. 19 ff.; zustimmend Drinkuth, IStR 1997, 312 ff.; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 202; Henze, in: Grundmann, Systembildung, S. 235 (245 ff.); ablehnend Kindler, ZGR 1998, 35 (41 ff.) 74 S. bereits oben § 2 III 2 a mit Fn. 125; näher unten § 12 IV.
§ 6 Gemeinschaftsrechtliche
Grundlagen
111
5. Rechtsfolgen von Verstößen (Effektivitätsgebot) Was schließlich die Rechtsfolgen bei Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz betrifft, so gilt es zu beachten, dass der E u G H seit geraumer Zeit aus Art. 10 E G V die Verpflichtung der Mitgliedstaaten ableitet, die Sanktionen für Verstöße gegen nationale Umsetzungsvorschriften „jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend" auszugestalten (Effektivitätsgebot) 75 . O b in Deutschland diesen Anforderungen im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes hinreichend Rechnung getragen wird, kann erst nach einer eingehenderen Analyse der Rechtsfolgen von Gleichbehandlungsverstößen beurteilt werden, die im vierten Kapitel dieser Arbeit zu leisten sein wird 76 . An dieser Stelle mag es genügen, vorab exemplarisch auf zwei Problemfelder hinzuweisen: So enthält (1.) das Aktienrecht nach h.M. keine rechtliche Handhabe für die benachteiligten Aktionäre, durchzusetzen, dass der Vorstand die Rückabwicklung einer ungerechtfertigten Bevorzugung eines anderen Aktionärs betreibt (z.B. die Rückgewähr einer verdeckten Vermögenszuwendung oder die Rückzahlung des Kaufpreises aus einem gleichbehandlungswidrigen Erwerb eigener Aktien) 77 . Darin wird eine erhebliche Schwäche in der tatsächlichen Rechtsdurchsetzung erblickt 78 , die aber bislang ohne weiteres hingenommen wird. Vor dem Hintergrund des gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgebots liegt indes die Frage nahe, ob es dabei tatsächlich bewenden kann 7 9 . Ähnliche Fragen stellen sich (2.) bei Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz im Bereich des Informationsrechts. Gemäß § 131 Abs. 4 Satz 1 A k t G führen Sonderauskünfte an einzelne Aktionäre außerhalb der Hauptversammlung zwar zu Ansprüchen der übrigen Aktionäre auf Nachinformation. Die Nachinformation muss aber erst auf Verlangen in der nächsten Hauptversammlung erteilt werden, also mitunter erst ein knappes Jahr nach der Vorausinformation des bevorzugten Aktionärs und damit zu einem Zeitpunkt, in dem die Auskunft häufig nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr von Interesse ist. Die h.M. hält diese Regelung einer zeitlich aufgeschobenen Nachinformation zwar für wenig effektiv 80 , aber gleichwohl für abschließend 81 . Auch hier drängt sich die bisher vernachläs7 5 St. Rspr., vgl. etwa E u G H , Rs. 68/88, Slg. 1989,2965, Rdn.24; Rs. C - 3 2 6 / 8 8 , Slg. 1990, 1-2911, Rdn. 17; Rs. C-341/94, Slg. 1996, 1-4631, Rdn.24; Hatje, in: Schwarze, E U - K o m m . , Art. 10 E G V R d n . 3 0 ; Kahl, in: Calliess/Ruffert, E U V / E G V , Art. 10 E G V R d n . 2 8 m.w.Nachw. 7 6 S. unten § § 1 6 - 1 9 . 7 7 Vgl. vorerst nur Bungeroth, in: MünchKomm. A k t G , §53a Rdn. 30 a.E.; Henze/Notz, in: Großkomm. A k t G , § 53a Rdn. 116 a.E. 7 8 Vgl. etwa Henze/Notz, in: Großkomm. A k t G , §53a Rdn. 116 a.E.; Henze, in: Großkomm. A k t G , § 6 2 Rdn. 54 a.E. 7 9 Näher dazu unten § 1 7 1 2 , 3 . 8 0 Vgl. nur Wilde, Z G R 1998,423 (462): „stumpfes Schwert". 81 Vgl. vorerst nur Decher, in: Großkomm. A k t G , §131 Rdn. 363; Hüffer, A k t G , §131 Rdn. 42; Wilde, Z G R 1998,423 (462).
112
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
sigte Frage auf, ob eine derart späte Nachauskunft mit der Vorgabe des Gemeinschaftsrechts, wirksame und abschreckende Sanktionen bereitzustellen, noch zu vereinbaren ist 82 .
III. Ausstrahlungswirkung außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinien Sofern die bisherige Handhabung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Deutschland hinter den vorstehend skizzierten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zurückbleibt, ist dies dadurch zu korrigieren, dass § 53a A k t G mit Blick auf Art. 42 Kapital-RL und § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG (künftig § 30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG 8 3 ) mit Blick auf Art. 17 Abs. 1 Transparenz-RL richtlinienkonform ausgelegt werden 84 . Kommt es zu einer solchen richtlinienkonformen Auslegung, schließt sich die Frage an, ob dieselbe Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinien zugrunde zu legen ist. Bedeutung hat dies für die von den Richtlinien nicht erfasste G m b H (sowie die hier nicht weiter interessierenden Personengesellschaften), aber auch für die AG, soweit keine kapitalrelevante Maßnahme im Sinne der Kapital-RL vorliegt und auch die in der Transparenz-RL geregelte informationelle Gleichbehandlung durch börsennotierte Gesellschaften nicht betroffen ist. Im Ergebnis spricht alles dafür, die aufgeworfene Frage zu bejahen: Wenn also die Richtlinien die Erstreckung der Inhaltskontrolle auch auf materielle Ungleichbehandlungen fordern 85 , wird man dies auch außerhalb ihres Anwendungsbereichs beachten müssen. Zwar ist dem Gemeinschaftsrecht kein Gebot zu entnehmen, dass der richtliniendeterminierte und der nicht richtliniendeterminierte („überschießende") Teil einer nationalen Rechtsnorm zwingend einheitlich auszulegen sind, da eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung immer nur innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie besteht 86 . Es ist aber davon auszugehen, dass der natioN ä h e r d a z u unten § 2 2 13. S. oben § 2 II 3. 8 4 D e r Text geht davon aus, dass die richtlinienkonforme A u s l e g u n g separat vorgenommen wird, also §53a A k t G im Lichte der K a p i t a l - R L und § 3 9 A b s . 1 N r . 1 B ö r s G im Lichte der T r a n s p a r e n z - R L ausgelegt wird. Alternativ könnte m a n in Betracht ziehen, § 53a A k t G und § 3 9 A b s . 1 N r . 1 B ö r s G jeweils kumulativ sowohl mit Blick auf A r t . 42 K a p i t a l - R L als auch A r t . 17 A b s . 1 T r a n s p a r e n z - R L auszulegen. D a m i t w ü r d e man allerdings über das gemeinschaftsrechtlich G e b o t e n e hinausgehen. Erhebliche praktische B e d e u t u n g k o m m t der Frage indes nicht zu, da es f ü r das Ergebnis unerheblich ist, ob die richtlinienkonforme A u s legung im konkreten Fall an § 53a A k t G oder § 39 A b s . 1 N r . 1 B ö r s G oder an beide N o r m e n gleichzeitig a n k n ü p f t ; s. d a z u auch noch unten § 22 I 3. 82
83
85 86
S. oben Ziff. II 3. S o mit Recht die h.M.; vgl. etwa Canaris,
F S Bydlinski, S . 4 7 (74); Habersack,
Euro-
§ 6 Gemeinschaftsrechtliche
Grundlagen
113
nale Gesetzgeber im Zweifel eine gespaltene Auslegung vermeiden will87. Eine gespaltene Auslegung wird dadurch nicht per se ausgeschlossen, aber es müssen schon besonders gewichtige Gründe vorliegen, die im Einzelfall gegen eine einheitliche Auslegung sprechen. Eine solche Ausnahme kommt namentlich dann in Betracht, wenn im überschießenden Bereich zusätzliche Auslegungsgesichtspunkte hinzutreten, die im richtliniendeterminierten Bereich keine Rolle spielen88. In Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz ist Derartiges nicht ersichtlich.
päisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 39a; Langenbucher, in: Langenbucher, Europarechtliche Bezüge, Rdn. 104 ff Lutter, GS Heinze, S. 571 (574 f.); ausführlich Habersack/May er, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, §12 III 2 (S. 288 ff.); Mayer/Schürnbrand, J Z 2004, 545 (548 f.); abweichend (gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur einheitlichen Auslegung) Drexl, FS Heldrich, S. 67 (78 ff.); W.H. Roth, FS 50 Jahre B G H , Bd. II, S. 847 (883 ff.). 87 Vgl. Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, §12 III 4 c (S.298); Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545 (551); Lutter, GS Heinze, S.571 (577);/. Koch, J Z 2006, 277 (284), die jeweils von einer widerleglichen Vermutung zugunsten der einheitlichen Auslegung sprechen; i.E. auch Brandner, Uberschießende Umsetzung, S. 105 ff.; Schulze, in: Schulze, Auslegung, S. 9 (18). Vgl. auch B G H Z 150, 248 (260 ff.) (einheitliche Auslegung des §5 Abs. 2 HTWiG). 88 So liegt es etwa, wenn die Regeln einer allein dem Verbraucherschutz dienenden Richtlinie im nationalen Recht auch auf Unternehmer ausgedehnt werden, wie dies bei der KlauselRL und der Verbrauchsgüterkauf-RL geschehen ist. Näher dazu Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, §12 III 4d (S.298ff.); dort auch zu weiteren Gesichtspunkten, die ausnahmsweise eine gespaltene Auslegung nahe legen können.
§ 7 Rechtsvergleichende Grundlagen Da der Gleichbehandlungsgrundsatz im Aktienrecht durch die Kapital-RL und die Transparenz-RL vorgegeben wird, ist er in allen Mitgliedstaaten der EU zu beachten. Dies legt es nahe, einer Auslegung der einzelnen Merkmale des Grundsatzes eine Darstellung vorauszuschicken, wie das Gleichbehandlungsgebot in anderen Mitgliedstaaten der EU umgesetzt wird, um hieraus Anschauungsmaterial für die Auslegung des § 53a AktG zu gewinnen. Dabei zeigt sich dem Betrachter schon auf den ersten Blick ein uneinheitliches Bild: Während einige Mitgliedstaaten, darunter die Niederlande und Osterreich, ähnlich wie der deutsche Gesetzgeber reagiert und den Gleichbehandlungsgrundsatz ausdrücklich gesetzlich verankert haben, ist in anderen Mitgliedstaaten eine Kodifizierung unterblieben, so insbesondere in Frankreich und (zumindest in Bezug auf Art. 42 Kapital-RL) im Vereinigten Königreich. Letzteres hat dazu geführt - so viel sei vorweggenommen - , dass in den betreffenden Ländern die Richtlinienvorgaben weithin in Vergessenheit geraten sind. Gleichwohl lässt sich insbesondere dem französischen Recht aufschlussreiches Anschauungsmaterial entnehmen. Eine Übersicht über auch nur annähernd alle Mitgliedstaaten der EU kann hier nicht geleistet werden. Der nachstehende Überblick beschränkt sich daher auf Frankreich, England, die Niederlande und Osterreich 1 . Hinzu kommt als Nicht-Mitgliedstaat die Schweiz, da der Gleichbehandlungsgrundsatz dort besondere Beachtung gefunden hat. Dagegen muss ein auf den ersten Blick vielleicht nahe liegender Rechtsvergleich mit den Gesellschaftsrechtsordnungen der USA einer gesonderten Untersuchung vorbehalten bleiben. Mit Blick auf das Anliegen der vorliegenden Untersuchung, den Gleichbehandlungsgrundsatz vor dem Hintergrund der europäischen Richtlinienvorgaben zu präzisieren, erscheint ein solcher Rechtsvergleich im hier interessierenden Zusammenhang entbehrlich, zumal ein dem Gleichbehandlungsgrundsatz deutscher bzw. europäischer Prägung unmittelbar vergleichbares Prinzip jenseits des Atlantiks ohnehin nicht anerkannt ist 2 . 1 Z u m belgischen R e c h t n u n m e h r u m f a s s e n d de Cordt, L'égalité entre a c t i o n n a i r e s (2004). 2 F ü r einen k n a p p e n U b e r b l i c k n e u e r e n D a t u m s ü b e r den g e s e l l s c h a f t s r e c h t l i c h e n M i n d e r h e i t e n s c h u t z in den U S - a m e r i k a n i s c h e n B u n d e s s t a a t e n sei v e r w i e s e n auf Kunz, M i n d e r h e i t e n s c h u t z , § 1 R d n . 71 ff., 318 ff.
§ 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
115
I. Frankreich 1.
Allgemeines
F r a n k r e i c h zählt zu den Mitgliedstaaten, die weder die K a p i t a l - R L n o c h die B ö r s e n z u l a s s u n g s - R L z u m Anlass genommen haben, den Gleichbehandlungsgrundsatz zu kodifizieren. D a r a n hat sich auch nach den umfassenden R e formen, die das französische Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den letzten J a h r e n erfahren hat - insbesondere durch das G e s e t z über die Régulations
Economiques
Nouvelles
aus dem J a h r 2 0 0 1 3 - , nichts geändert. Von A r t . 42
K a p i t a l - R L , 17 A b s . 1 T r a n s p a r e n z - R L (bzw. den V o r g ä n g e r n o r m e n ) wird kaum N o t i z g e n o m m e n ; selbst in neueren M o n o g r a p h i e n zur Gleichbehandlung fehlt jeder H i n w e i s auf die R i c h t l i n i e n b e s t i m m u n g e n 4 . O f f e n b a r geht m a n davon aus, dass die R i c h t l i n i e n insoweit nur eine Selbstverständlichkeit z u m A u s d r u c k bringen, der das französische R e c h t ohnehin R e c h n u n g trägt 5 . E i n e den §§ 53a A k t G , 39 Abs. 1 N r . 1 B ö r s G vergleichbare B e s t i m m u n g sucht m a n im französischen Gesellschafts- und B ö r s e n r e c h t daher vergebens 6 . A l s allgemeiner G r u n d s a t z ist das Gleichbehandlungsgebot nur im U b e r n a h m e r e c h t kodifiziert 7 . A u f dieses dem § 3 Abs. 1 W p U G vergleichbare Prinzip, das vom gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz streng zu trennen ist 8 , ist an dieser Stelle nicht weiter einzugehen. Auch wenn das französische Gesellschaftsrecht keine allgemeine F o r m u l i e rung des Gleichbehandlungsgrundsatzes enthält, ist doch seit jeher das
d'égalité des actionnaires d'égalité
des associés
principe
bzw. (im Fall der GmbH-ähnlichen SARL) principe
als allgemeines Prinzip des Gesellschaftsrechts anerkannt 9 .
Abgeleitet wird es aus einer Gesamtschau von V o r s c h r i f t e n , die sich auf den übergeordneten G e d a n k e n der Gleichheit z u r ü c k f ü h r e n lassen. Besonders deutlich z u m Vorschein k o m m t die égalité
des actionnaires
in zwei verstreuten
3 Loi n°2001-420 vom 15. Mai 2001; dazu Bureau, Bull. Joly soc. 2001, 553 ff.; Storp, RI W 2002,409 ff. 4 Vgl. zuletzt Moulin, Le principe d'égalité dans la société anonyme (1999). 5 Vgl. etwa Denecker, Rev. soc. 1977,661 (679). 6 Abzuwarten bleibt freilich, ob sich daran im Zuge der Umsetzung der Transparenz-RL etwas ändern wird. 7 Vgl. art. 5-1-1 Abs. 3 Règlement général du Conseil des Marchés Financiers (CMF). Diese Regelung hat auch nach der Fusion des CMF mit der „Commission des Opérations de Bourse" (COB), aus der zum 1.8.2003 die „Autorité des Marchés Financiers" (AMF) hervorgegangen ist, weiterhin Bestand. 8 S. oben §1 III 1. 9 Vgl. etwa Mestre, Rev. soc. 1989,399 (400 ff.); sowie die Beiträge von Bissara, Didier und Misserey in JCP éd. E n°5-1994, 18 ff.; monographisch Moulin, Le principe d'égalité dans la société anonyme (1999); Perrin-Neunreuther, Permanence et renouvellement du principe d'égalité entre actionnaires (1994); früher bereits Cordonnier, De l'égalité entre actionnaires (1924).
116
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
aktienrechtlichen Vorschriften, die ausdrücklich auf die Gleichheit der Aktionäre Bezug nehmen: So heißt es in art. L. 2 2 5 - 2 0 4 Abs. 1 Satz 2 des neuen code de commerce10 (code com.) zur Kapitalherabsetzung, dass diese keinesfalls die Gleichheit der Aktionäre verletzen dürfe 1 1 . Ferner wird in art. L 2 2 5 - 2 3 5 Abs. 5 code den Abschlussprüfern der Gesellschaft aufgetragen, sich der Gleichbehandlung der Aktionäre zu vergewissern 12 . Daneben wird zur Herleitung eines übergreifenden principe d'égalité auf eine Reihe weiterer Vorschriften verwiesen, die vom Leitbild der Gleichberechtigung der Aktionäre ausgehen: so etwa die Bestimmungen über Gewinnverteilung, Stimmrecht und Bezugsrecht, die sich mangels abweichender Satzungsregelung jeweils proportional zum Umfang der Kapitalbeteiligung verhalten (relative Gleichheit) 13 , oder das Recht zur Teilnahme an den Gesellschafterversammlungen, das allen Gesellschaftern gleichermaßen zusteht (absolute Gleichheit) 14 . Hinter diesem principe d'égalité des actionnaires verbirgt sich indes entgegen dem ersten Anschein nicht dasselbe Prinzip wie der Gleichbehandlungsgrundsatz im hier verstandenen Sinne. Wenn in Frankreich vom principe d'égalité des actionnaires die Rede ist, wird damit keine unmittelbar anwendbare Schranke der Verbandsmacht bezeichnet, sondern lediglich der gemeinsame Grundgedanke, der den genannten Vorschriften zugrunde liegt 15 . So werden die gesetzlichen Bestimmungen über Vorzugsaktien 16 , Mehr- bzw. Doppelstimmrechte 17 , Minderheitsquoren etc. als Durchbrechungen des principe d'égalité angesehen und die Frage diskutiert, ob angesichts der Fülle solcher Durchbrechungen je10 Das bis dahin geltende Gesellschaftsgesetz von 1966 wurde nahezu unverändert in den neuen, seit 2000 geltenden code de commerce übernommen; näher dazu Guyon, Rev. soc. 2000, 647 ff. 11 Art. L. 225-204 Abs. 1 Satz 2 code com.: „En aucun cas, [la réduction du capital] ne peut porter atteinte à l'égalité des actionnaires." 12 Art.L. 225-235 Abs.4 code com.: „Les commissaires aux comptes s'assurent que l'égalité a été respectée entre les actionnaires." 13 Vgl. art. 1843-2, 1844-1 code civ. (Gewinnbeteiligung); art. L. 223-28 Abs. 1, L. 225122 Abs. 1 code com. (Stimmrecht); art. L. 225—132 code com. (Bezugsrecht). 14 Vgl. art. 1844 code civ. (Teilnahmerecht). 15 Vgl. auch Brüls-Dehin, Schranken, S. 335 („eher Leitgedanke als wirkliche Schranke"); ferner Ebenroth/Reiner, BB 1992, Beil. 13,1 (4 Fn. 32) (kein unmittelbarer Anfechtungsgrund). 16 Art.L. 228-11 ff. code com. 17 Anders als in Deutschland (§ 12 Abs. 2 AktG) kann nach französischem Aktienrecht die Satzung vorsehen, dass alle Aktien, die sich seit mindestens zwei Jahren in der Hand desselben Aktionärs befinden, doppeltes Stimmrecht haben (art. L 225-123 code com.). Daneben bestehen in bestimmtem Umfang Mehrstimmrechte der öffentlichen Hand fort (art. L 225122 Abs. 2 code com.), wobei allerdings nunmehr die einschränkende Rechtsprechung des EuGH zu den „golden shares" zu beachten ist; vgl. EuGH, Rs. C-483/99, Slg. 2002,1-4781; Rs. C-503/99, Slg. 2002, 1-4809; Rs. C-463/00, Slg. 2003, 1-4581; Rs. C-98/01, Slg. 2003, I4641. In der vereinfachten Aktiengesellschaft (SAS) können darüber hinaus auch für Private Mehrstimmrechte vorgesehen werden; dazu Ledoux, Le droit de vote, n. 343 ff. Demgegenüber sind Mehrstimmrechte in der SARL - aus Sicht des deutschen GmbH-Rechts überraschend - verboten (art. L 223-28 Abs. 1 und Abs. 5 code com.).
5 7 Rechtsvergleichende
117
Grundlagen
nes Prinzip nicht eher M y t h o s als Realität sei 18 . D a s principe
wird also
d'égalité
in einem sehr weiten Sinne aufgefasst: M a n versteht darunter die Gesamtheit der gesetzlichen und richterrechtlichen Regeln, die eine gleichmäßige B e h a n d lung der Gesellschafter sicherstellen sollen, also das, was G . Hueck
als das ge-
setzgeberische „ O r d n u n g s p r i n z i p " der Gleichbehandlung bezeichnet hat 1 9 . Sofern es u m die k o n k r e t e Frage nach den S c h r a n k e n der Verbandsmacht geht, greifen Rechtsprechung und Literatur dagegen nicht u n m i t t e l b a r auf das cipe
d'égalité
z u r ü c k , sondern auf die Generalklausel des abus
de
prin-
majorité
(Mehrheitsmissbrauch). D a s bedeutet jedoch nicht, dass der Gleichbehandlungsgedanke f ü r die B e s t i m m u n g der S c h r a n k e n der Verbandsmacht im französischen R e c h t o h n e B e deutung wäre. I m Gegenteil k o m m t es im R a h m e n des abus de majorité,
dessen
Voraussetzungen an das Sondervorteilsverbot des § 243 Abs. 2 Satz 1 A k t G erinnern, gerade auf das Vorliegen einer Ungleichbehandlung an. D e r Schutz vor dem Mehrheitsmissbrauch wird daher seinerseits als besondere Ausprägung der égalité
des actionnaires
angesehen 2 0 .
2. Der Tatbestand des abus de majorité a)
Grundlagen
D i e R e c h t s f i g u r des abus de majorité21
ist eine S c h ö p f u n g der Rechtsprechung;
im G e s e t z hat sie keinen Niederschlag gefunden. D e r Versuch, im R a h m e n des Gesellschaftsgesetzes von 1966 eine Legaldefinition e i n z u f ü h r e n , wurde aufgegeben, da m a n befürchtete, dadurch die F o r t e n t w i c k l u n g der Rechtsprechung zu b e h i n d e r n 2 2 . D i e klassische und n o c h i m m e r gültige D e f i n i t i o n des abus majorité
de
enthält eine Entscheidung des Kassationshofs aus dem J a h r 1961 im
Fall Piquard2i.
D a n a c h liegt ein Mehrheitsmissbrauch vor, wenn der Beschluss
eines Gesellschaftsorgans 18 Vgl. den Titel der Vortragsreihe „L'égalité des actionnaires - mythe ou realité?" mit Beiträgen von Bissara, Didier und Misserey, in: JCP éd. E n°5-1994, 18 ff.; ferner Moulin, Le principe d'égalité, n. 4 ff. 19 S. oben § 1 II 2 b. Ebenso wird die égalité des actionnaires auch in Belgien aufgefasst; vgl. de Cordt, Egalité, passim. 20 Vgl. Mestre, Rev. soc. 1989, 399 (404). 21 S. dazu aus dem rechtsvergleichenden Schrifttum auch Reiner, Gesellschaftsinteresse, S. 36 ff.; Kreß, Beschlusskontrolle, S.43 ff.; Brüls-Dehin, Schranken, S. 257ff.; Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 135 ff. 22 Vgl. die Einlassung des französischen Justizministers im Rahmen der Beratungen des Gesellschaftsgesetzes von 1966: „(...) en essayant d'enfermer cette notion dans une définition, on ne paralyse le développement d'une jurisprudence qui, dans ce domaine, a eu un rôle créateur." Journal officiel, débats parlementaires, Assemblée nationale vom 11.6.1965, S. 2031. 23 Cass. com., D. 1961, 661 = J C P 1961, II, 12164 mit Anm. Houin, R T D com. 1961, 634 ff.
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2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
„a été prise contrairement à l'intérêt général de la société et dans l'unique dessein de favoriser les membres de la majorité au détriment des membres de la minorité." 2 4
Ein zur Anfechtung berechtigender abus de majorité ist demnach nur anzunehmen, wenn (1.) der angegriffene Beschluss dem Gesellschaftsinteresse widerspricht und (2.) der Beschluss mit dem alleinigen Ziel gefasst worden ist, die Mehrheitsgesellschafter gegenüber den Minderheitsgesellschaftern zu bevorzugen, d.h. eine gezielte Ungleichbehandlung (rupture d'égalité25) vorliegt. In dem zu entscheidenden Fall - es ging um einen Gewinnthesaurierungsbeschluss einer börsennotierten SA, in dem einige Minderheitsaktionäre den Versuch einer Aushungerungspolitik erblickten - sah die Cour de Cassation diese Voraussetzungen nicht als erfüllt an 26 . Die Piquard-Formel ist seither in einer Reihe von Entscheidungen bestätigt worden und entspricht längst ständiger Rechtsprechung 27 . Sie findet rechtsformübergreifend Anwendung und gilt nicht nur für Beschlüsse der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung, sondern auch für Maßnahmen der Verwaltung 28 . Eine Anwendung auf Handlungen einzelner Gesellschafter außerhalb der Gesellschaftsorgane wird dagegen, soweit ersichtlich, nicht in Betracht gezogen. In der Lehre ist die zweigliedrige Piquard-Formel zunächst auf ein geteiltes Echo gestoßen. Aus unterschiedlichen Richtungen hat man versucht, ihre beiden Voraussetzungen auf eine einzige Voraussetzung zu reduzieren. So ist zum einen die Frage aufgeworfen worden, ob nicht die erste Voraussetzung - der Widerspruch zum Gesellschaftsinteresse - für sich genommen ausreichend sei, um einen abus de majorité zu begründen 29 . Diese Überlegung wird heute je-
Cass. com. D. 1961, 661, Leits. 1. Diese Bezeichnung hat sich zur Beschreibung der zweiten Voraussetzung der PiquardFormel durchgesetzt; vgl. etwa D. Schmidt, Les droits de la minorité, n. 202 a.E.; Cozian/ Viandier/Deboissy, Sociétés, n. 441; Germain, in: Perakis, Minority shareholders, S.373 (387); Guyon, Droit des affaires I, n. 443,456. 2 6 Cass. com. D. 1961,661. Eine dem § 254 Abs. 1 AktG vergleichbare Vorschrift, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Mindestausschüttung von 4 % des Grundkapitals vorsieht, kennt das französische Recht nicht. 27 Vgl. etwa Cass. com. Bull civ. 1987 IV, n° 160; Bull. civ. 1991 IV, n°39; Rev. soc. 1995, 46 f.; CA Paris Bull. Joly soc. 2000, 960 (963). 28 Vgl. etwa Cass. com. Rev. soc. 1982, 804 f. mit Anm. Le Cannu, insbes. S. 809; Cass. com. Rev. soc. 1997, 527 f. mit Anm. Saintourens = J C P éd. E 1997, II, 965 mit Anm. Daigre; Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 138. 2 9 Für diese Auffassung werden regelmäßig die Vertreter der sog. Schule von Rennes, insbesondere Champaud, Paillusseau und Contin zitiert; vgl. etwa Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (70). Diese Autoren betonen in der Tat die Bedeutung des „intérêt social" (vgl. etwa Contin, Le contrôle de la gestion, n. 684: „L'intérêt social apparaît ainsi comme l'élément essentiel."; ähnlich Champeaud, R T D com. 1990, 582 [584]; Paillusseau, La Société anonyme, S. 184 ff.). Dass das zweite Element der Piquard-Formel gänzlich entbehrlich sein soll, ergibt sich aus ihren Ausführungen jedoch nicht eindeutig. Vgl. dazu bereits Kreß, Beschlusskontrolle, S. 51 ff. 24
25
§ 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
119
doch allgemein verworfen 30 . Hinter dieser Ablehnung steht die Befürchtung einer zu weitgehenden richterlichen Uberprüfung von Mehrheitsentscheidungen, die plastisch als „gouvernement des juges" beschrieben wird 31 . Das Gesellschaftsinteresse werde grundsätzlich durch die Mehrheit bestimmt; der Richter habe dies zu respektieren und dürfe die Zweckmäßigkeit einer mehrheitlich beschlossenen Maßnahme grundsätzlich nicht in Frage stellen. Eine richterliche Uberprüfung sei nur ausnahmsweise veranlasst, wenn besondere Umstände daran zweifeln ließen, ob der Wille der Mehrheit das Gesellschaftsinteresse fehlerfrei zum Ausdruck bringe. Es bedürfe also eines besonderen Aufgreifkriteriums, um die richterliche Inhaltskontrolle am Maßstab des Gesellschaftsinteresses zu eröffnen. Eben darin sieht man die Funktion der zweiten Voraussetzung der Piquard-Formel, der gezielten Ungleichbehandlung (:rupture d'égalité) zugunsten der Mehrheit: Sie soll die notwendige Vorbedingung darstellen, welche die richterliche Inhaltskontrolle überhaupt erst eröffnet 32 . Die oben im Rahmen der teleologischen Betrachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes angestellte Überlegung, dass das Merkmal der UngleichbehandlungalsAufgreifkriteriumdienensoll,umdieeinernäherenInhaltskontrolle wahrhaft bedürftigen Fälle herauszufiltern 33 , findet sich im französischen Recht also bereits verwirklicht, freilich mit der Einschränkung, dass es sich um eine bewusste Ungleichbehandlung handeln muss34. Von anderer Seite ist umgekehrt der Versuch unternommen worden, die zweigliedrige Piquard-Formel auf die zweite Voraussetzung (gezielte Ungleich-
3 0 Vgl. Dana,, Rev. soc. 1979, 715 (723); Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (70); Reinhard, Cahiers dr. entreprise, n° 6 - 1 9 9 8 , 8 (9); Ruellan, La loi de la majorité, n. 550; Moulin, Le principe d'égalité, n. 1097 ff., 1102 ff.; Ledoux, Le droit de vote, n. 194. S. auch Cannu, Rev. soc. 1982, 805 (806): „II n'existe pas dans notre droit une condition générale de validité des actes et délibérations des sociétés, qui serait leur conformité à l'intérêt social." 31 D. Schmidt, Les droits de la minorité, n. 199; Germain, Gaz. Pal. 1977,1, doctr., 157 (157 re. Sp.). 3 2 Sehr deutlich in diesem Sinne Germain, Gaz. Pal. 1977, I, doctr., 157 (158): „Aussi, quand la Cour de cassation fixe sa formule en 1961, prend-elle soin de ne pas faire le juge maître absolu de la politique sociale. Le juge n'interviendra pour un contrôle d'opportunité que dans certains cas limités, certains cas d'ouverture pourrait-on-dire (...). La situation qui ouvre le contrôle du juge, c'est qu'il est porté atteinte à l'égalité des associés. L'on comprend ainsi la formule du contrôle par le juge de l'abus du droit de majorité entendu comme le contrôle cumulé de deux éléments. Si le second élément fait défaut, le juge n'aura pas le droit de juger de l'opportunité de la politique de la société." Zustimmend Ledoux, Le droit de vote, n. 197 mit Fn.261, n. 218; ferner Moulin, Le principe d'égalité, n. 1074, 1105: „[L]a rupture d'égalité est la condition d'ouverture du contrôle judiciare." Zuletzt auch de Cordt, Egalité, S. 943 (zum belgischen Recht): „Le juge doit limiter son contrôle de légimité aux décisions qui, au sein de la société ou en dehors, n'ont pas les mêmes conséquences pour tous les actionnaires et il ne peut annuler des décisions simplement parce qu'elles ne sont pas conformes aux aspirations et préférences des actionnaires minoritaires." 33 34
S. oben § 3 II 1 c und § 4 I I I 2 a.E. Zu dieser Einschränkung sogleich unter lit. b bb .
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2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
behandlung) zu beschränken 35 . Die erste Voraussetzung (Widerspruch zum Gesellschaftsinteresse) sei überflüssig, da eine gezielte Ungleichbehandlung zwingend zugleich eine Verletzung des Gesellschaftsinteresses darstelle. Zu diesem Ergebnis gelangt diese Auffassung allerdings nur, weil sie den Begriff des Gesellschaftsinteresses (intérêt social) so versteht, dass er zwei Aspekte gleichzeitig umfasst: zum einen die Mehrung des Gesellschaftsvermögens, zum anderen die gerechte Verteilung desselben unter die Gesellschafter 36 . Auch diese Ansicht hat sich jedoch nicht durchsetzen können. Vielmehr geht man gemeinhin davon aus, dass sich selbst gezielte Ungleichbehandlungen ggf. durch übergeordnete Verbandsinteressen rechtfertigen lassen, so dass die erste Voraussetzung der Piquard-Formel ihre Berechtigung behält 37 . Die heute ganz h.M. im Schrifttum hält deshalb an der zweigliedrigen Piquard-Formel fest 38 .
b) Ungleichbehandlung
(rupture
d'égalité)
Näher betrachtet sei zunächst die zweite Voraussetzung der Piquard-Formel, die vielfach zuerst geprüft wird: die gezielte Bevorzugung der Mehrheit gegenüber der Minderheit. Eine solche rupture d'égalité (oder genauer: rupture intentioneile d'égalité) wird angenommen, wenn zwei Elemente kumulativ vorliegen: zum einen ein objektives Element, das darin besteht, dass die fragliche Maßnahme ungleiche Auswirkungen entfaltet; zum anderen ein subjektives Element, das voraussetzt, dass sich die Mehrheit der ungleichen Auswirkung bewusst ist 39 . aa) Der objektive Tatbestand der Ungleichbehandlung wird weit gefasst. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass entgegen dem insoweit missverständlichen Wortlaut der Piquard-Formel („favoriser les membres de la majorité au détriment des membres de la minorité") auf Seiten der übervorteilten Minderheit kein Schaden im eigentlichen Sinne vorliegen muss 40 . Vielmehr genügt es, wenn sich die betreffende Maßnahme für die Mehrheit günstiger auswirkt, weil sie einen Vorteil erhält, welcher der Minderheit vorenthalten bleibt 41 . 35 D. Schmidt, Les droits de la minorité, n. 187 ff.; ders., Les conflits d'intérêts, n. 189 ff.; Feuillet, Rev. soc. 1979, 701 (712 ff.). 36 So sehr deutlich D. Schmidt, Les conflits d'intérêts, n. 192. 37 Dana, Rev. soc. 1979, 715 (723 f.); Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (70 f.); Ruellan, La loi de la majorité, n. 551; Moulin, Le principe d'égalité, n. 1068 ff., 1074 ff.; Ledoux, Le droit de vote, n. 195. 38 Nachw. wie vorige Fn.; ferner etwa Germain, in: Ripert/Roblot, Sociétés commerciales I, n. 1587-1; Le Cannu, Droit des sociétés, n. 247; Tricot, R T D com. 1994, 617 (621 ff.); Lecourt, Rev. soc. 2004, 340 (348 f.). 39 Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (68); Moulin, Le principe d'égalité, n. 1054 ff.; Ledoux, Le droit de vote, n. 193. 40 Guilherteau, Rev. soc. 1982, 801 (803); Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (68). 41 Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (68) unter Ziff. 1; Mestre/Velardocchio, in: Lamy, Sociétés commerciales, n. 2536 ; Moulin, Le principe d'égalité, n. 1056.
5 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
121
Vor allem aber - und aus deutscher Perspektive besonders aufschlussreich werden nicht nur formelle Ungleichbehandlungen erfasst, wie z.B. die Festsetzung überhöhter Bezüge für Gesellschafter-Geschäftsführer 42 , sondern auch Maßnahmen, die formal alle Gesellschafter gleich betreffen, sich aber im Ergebnis unterschiedlich auf diese auswirken (materielle Ungleichbehandlungen)43. Ob eine ungleiche Auswirkung vorliegt, wird im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls ermittelt 44 . So wird etwa die Übernahme von Verbindlichkeiten einer Tochtergesellschaft durch die Mutter als Ungleichbehandlung angesehen, wenn einer der Mehrheitsaktionäre für die Schulden der Tochter haftet und auf diese Weise von der Schuldübernahme mittelbar persönlich profitiert 45 . Ebenso wird der - an sich verhältniswahrende und damit formal gleichmäßige - Formwechsel einer SA in eine Kommanditgesellschaft (société en commandite simple) als Ungleichbehandlung angesehen, wenn mit der Umwandlung nur für den Mehrheitsaktionär ein steuerlicher Vorteil verbunden ist46. Dasselbe gilt, wenn Anteile an einer Tochtergesellschaft von der Muttergesellschaft in eine Zwischenholding ausgegliedert werden, in der der Mehrheitsaktionär der Mutter alleiniger Geschäftsführer ist. Die mit der Ausgliederung verbundene (weitere) Mediatisierung des Einflusses der Aktionäre - die Tochter- wird zur Enkelgesellschaft - trifft im wirtschaftlichen Ergebnis nur die Minderheitsaktionäre, nicht den Mehrheitsaktionär, der die Geschäfte der Zwischenholding selbst führt. Auch in einem solchen Fall ist daher nach Auffassung des Kassationshofs eine Ungleichbehandlung grundsätzlich zu bejahen 47 . In allen Fällen gilt, dass es einer Bevorzugung der Mehrheit gleichsteht, wenn der Vorteil nicht ihr unmittelbar, sondern einem mit ihr verbundenen Unternehmen oder einer sonst nahe stehenden Person zugute kommt 48 . 42 CA Grenoble D. 1964, 783 f. mit Anm. Dalsace; Trib. com. Paris Dr. soc. 1996, n° 215 mit Anm. Vidal. 43 So sehr klar Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (68 f.) unter Ziff. 3: „La preuve de la rupture d'égalité ne doit pas nécessairement résulter de la décision elle-même. Il serait tout à fait exceptionnel que la décision critiquée porte la marque de la rupture d'égalité en elle-même ou dans ses conséquences directes. Celle-ci peut résulter de l'environnement et des conséquences indirectes de la décision." S. ferner Kreß, Beschlusskontrolle, S. 59 f., 65, 73; Bagel, Bezugsrecht, S. 173; Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 152 f. 44 Vgl. Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (69): Zu berücksichtigen seien auch „des faits extérieurs, antérieurs, concomitants ou postérieurs, à la décision incriminée." 45 Cass. com. J C P 1973, II, 17337 mit zust. Anm. Guyon-, dazu auch ders., Droit des affaires I, n. 456; Moulin, Le principe d'égalité, n. 1056. 46 Trib. com. Paris Rev. Soc. 1982, 791 (797) mit zust. Anm. Guilherteau (insbes. aaO., S. 803) = Gaz. Pal. 1981, II, 687 mit zust. Anm. de Fonthressin. 47 Vgl. Cass. com. Rev. soc. 1995, 46 f. mit zust. Anm.Jeantin (insbes. aaO., S. 49). Einschränkend aber nunmehr das nach Zurückverweisung mit der Sache befasste Berufungsgericht, vgl. CA Paris Bull.Joly soc. 2001,1121 mit Anm. Constantin', dazu sogleich bei Fn.56. 48 Vgl. etwa Cass. com. Bull. civ. 1973 IV, n° 13 (Betriebspachtvertrag mit Tochtergesellschaft des Mehrheitsgesellschafters); Trib. com. Paris Dr. soc. 1996, n° 215 mit Anm. Vidal (überhöhte Bezüge für einen Geschäftsleiter, dessen Familie die Mehrheit der Anteile hält);
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2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Die Würdigung der Umstände des Einzelfalls geht insgesamt sehr weit: Sie beschränkt sich nicht auf Umstände, die unmittelbar in der Mitgliedschaft angelegt sind, sondern es werden auch persönliche, außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Beziehung liegende Verhältnisse in die Gesamtwürdigung miteinbezogen. Dass außergesellschaftliche Vorteile der bevorzugten Gesellschafter mitberücksichtigt werden, belegen bereits die vorgenannten Beispiele (persönliche Haftungsbefreiung/persönlicher Steuervorteil des Mehrheitsaktionärs). Dasselbe gilt aber auch für die Ermittlung von Nachteilen der beeinträchtigten Gesellschafter. Auch hier werden - zumindest bei Gesellschaften mit personalistischer Realstruktur 4 9 - persönliche Belange in die Betrachtung miteinbezogen. So wird etwa im Rahmen einer Gewinnthesaurierung mitberücksichtigt, ob die Minderheitsgesellschafter in besonderem Maße auf Dividendenzahlungen angewiesen sind, weil nur die Mehrheitsgesellschafter der Geschäftsführung angehören und Geschäftsführervergütungen beziehen. Der Kassationshof hat in solchen Fällen eine Ungleichbehandlung wiederholt bejaht 50 , und zwar auch dann, wenn sich die Geschäftsführerbezüge in einem angemessenen Rahmen bewegen 51 . Ebenso soll es - jedenfalls bei einer personalistisch strukturierten Gesellschaft - im Fall der Kapitalerhöhung liegen, an der einzelne Gesellschafter mangels Liquidität nicht teilnehmen können. Hier soll die persönliche Vermögenssituation der betroffenen Gesellschafter zu berücksichtigen sein und zur Annahme einer materiellen Ungleichbehandlung führen 52 . Man ist geneigt, gegen die soeben beschriebene Vorgehensweise der französischen Gerichte einzuwenden, dass das Merkmal der objektiven Ungleichbehandlung bei einer derart weiten Auslegung praktisch immer erfüllt ist. Eine Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (68) unter Ziff. 2; Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 153,169 f. 49 Die in den nachfolgenden Fn. 50-52 zitierten Entscheidungen betreffen ausschließlich solche Gesellschaften. 50 Vgl. Cass. com., D. 1977,4 mit zust. Anm. Bousquet (insbes. aaO., S. 6 f.); dazu auch Germain, Gaz. Pal. 1977,1, doctr., 157 (158 re. Sp.); ferner Cass. com. Rev. soc. 1990, 606 (607 f.) mit zust. Anm. Chartier; Cass. com. Rev. soc. 2004, 337 mit. Anm. Lecourt. Zu den ersten beiden Entscheidungen ausführlich Kreß, Beschlusskontrolle, S. 47 ff., 57 ff.; ferner Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991,65 (69); Moulin, Le principe d'égalité, n. 1061 f. 51 In den vorgenannten Entscheidungen waren keine Feststellungen getroffen, aus denen sich die Unangemessenheit der Geschäftsführerbezüge ergab. 52 So etwa Dana, Rev. soc. 1979, 715 (723); Ruellan, La loi de la majorité, n. 551 mit Fn. 1381; ferner Kreß, Beschlusskontrolle, S. 64 f., 73; Bagel, Bezugsrecht, S. 176 f. Die beiden Letztgenannten führen zum Beleg eine Entscheidung des C A Versailles an (arrêt vom 7.7.1992; besprochen von Champaud/Danet, RTD com. 1993,101 ff., kurze Zusammenfassung in Rev. soc. 1992, 799). Der Besprechung der ansonsten unveröffentlichten Entscheidung lässt sich dies jedoch nicht eindeutig entnehmen. Vielmehr bleibt unklar, aus welchen Gründen der betroffene Minderheitsgesellschafter nicht an der Kapitalerhöhung teilnahm und ob das Gericht tatsächlich eine rupture d'égalité bejaht hat. Sicher ist nur, dass das Gericht im Ergebnis einen Mehrheitsmissbrauch verneint hat, da die Kapitalerhöhung einem dringenden Kapitalbedürfnis der Gesellschaft Rechnung trug und daher im Gesellschaftsinteresse lag.
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Grundlagen
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irgendwie geartete ungleiche Auswirkung wird sich sehr häufig feststellen lassen, zumal wenn auch rein persönliche Umstände mitberücksichtigt werden53. In der Tat liegt hier ein zentrales Problem des französischen Ansatzes. Die Entscheidungspraxis zeigt aber immerhin, dass dem objektiven Element der rupture d'égalité gleichwohl eine gewisse Filterfunktion zukommt. Es gibt eine Reihe von Entscheidungen, in denen ein Mehrheitsmissbrauch zumindest auch aus diesem Grund verneint worden ist 54 . Dies hat seinen Grund wohl auch darin, dass die Gerichte mehr oder weniger unausgesprochen eine gewisse Erheblichkeit der ungleichen Auswirkung verlangen. So ist die Zustimmung der Gesellschafterversammlung zu einem angeblich unvorteilhaften Betriebspachtvertrag mit einer anderen Gesellschaft (auch) deshalb nicht als abus de majorité angesehen worden, weil der Mehrheitsgesellschafter nur zu etwa 1 % an der anderen Gesellschaft beteiligt war, eine nennenswerte Ungleichbehandlung also nicht vorlag55. In dieselbe Richtung geht eine jüngere Entscheidung zu dem bereits erwähnten Fall der Ausgliederung der Beteiligung an einer Tochtergesellschaft auf eine Zwischenholding 56 . Die hierdurch eintretende weitere Mediatisierung des Einflusses des Minderheitsaktionärs wird dort nicht als erhebliche Ungleichbehandlung angesehen, da dieser bereits vor der Ausgliederung keinen erheblichen Einfluss auf die Tochter (jetzt Enkelin) gehabt habe 57 . Ob dies unter den Umständen des zu entscheidenden Falls tatsächlich zutraf 58 , mag dahinstehen. Festzuhalten bleibt aber die Tendenz der französischen Gerichte, durch ein nicht näher definiertes Erheblichkeitskriterium die weite Auslegung des objektiven Elements der rupture d'égalité ein Stück weit zu relativieren. Insgesamt zeigt das französische Recht deutlich die Vorzüge, aber auch die Schwierigkeiten einer Ausdehnung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf materielle Ungleichbehandlungen. Nur die Ausdehnung auf materielle Ungleichbehandlungen verleiht dem Gleichbehandlungsgrundsatz jene Flexibilität, der es bedarf, um einen praktisch wirksamen Schutz vor Ubervorteilungen der Minderheit zu errichten und Umgehungen Einhalt zu gebieten. Der Preis für jene Flexibilität ist die Schwierigkeit, den Tatbestand der Ungleichbehandlung So denn auch die Kritik bei Reiner, Gesellschaftsinteresse, S. 49: „theoretisch uferlos". Vgl. etwa Cass. com. D. 1961, 661 (662); Cass. com. Rev. soc. 1981, 311 f. mit Anm. D. Schmidt (insbes. S.313: „le minoritaire ... n'était victime d'aucune inégalité de traitement"); Cass. com. Rev. soc. 1981,315; CA Paris Bull. Joly soc. 1987, 790; CA Paris Bull. Joly soc. 2001,1121 (1125). 55 Vgl. CA Paris Bull. Joly soc. 1987, 790. 56 CA Paris Bull. Joly soc. 2001, 1121. Es handelt sich um die Folgeentscheidung zu dem Urteil Cass. com. Rev. soc. 1995, 46, das den Rechtsstreit an die CA Paris zurückverwiesen hatte; dazu bereits oben bei Fn. 47. 57 CA Paris Bull. Joly soc. 2001, 1121 (1125). Dieser Umstand war nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens vor dem Kassationshof. Die CA Paris durfte deshalb von dem Ergebnis des Kassationshofs abweichen, der auf der Grundlage des für die Revision zu unterstellenden Sachverhalts eine Ungleichbehandlung bejaht hatte. 58 Kritisch Constantin, Bull. Joly soc. 2001,1126 (1133 f.). 53 54
124
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
trotz der Ausdehnung so einzugrenzen, dass seine Grenzen hinreichend erkennbar und prognostizierbar bleiben. Trotz dieser Schwierigkeit wird die Tauglichkeit des Kriteriums der Ungleichbehandlung als Aufgreif kriterium der Inhaltskontrolle in Frankreich nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. bb) Die subjektive Komponente der Piquard-Formel setzt voraus, dass die Mehrheit mit dem alleinigen Ziel gehandelt haben muss, sich selbst zu bevorzugen („dans l'unique dessein de favoriser les membres de la majorité") 59 . Durch diese subjektive Komponente rückt der „abus de majorité" tatbestandlich in die Nähe des § 243 Abs. 2 Satz 1 AktG 6 0 , ohne allerdings wie dieser im Anwendungsbereich auf Beschlüsse der Hauptversammlung beschränkt zu sein. Ebenso wie bei § 243 Abs. 2 Satz 1 AktG ist auch beim „abus de majorité" eine Absicht, die Minderheit zu schädigen, nicht erforderlich 61 . Vielmehr genügt das Bewusstsein der Mehrheit, dass sich die Maßnahme für sie selbst vorteilhafter auswirkt als für die Minderheit62. Dem Umstand, dass es sich bei dem bewussten Vorteil nach dem Wortlaut der Piquard-Formel um das alleinige Ziel („unique dessein") der Maßnahme handeln muss, wird dabei keine besondere Bedeutung zugemessen. Es gibt - soweit ersichtlich - keine einzige Entscheidung, die diesen Umstand als entscheidend hervorhebt. Offenbar ist nur gemeint, dass das Wissen um den eigenen Vorteil für die getroffene Entscheidung kausal gewesen sein muss 63 . Sinn und Zweck des subjektiven Elements der Piquard-Formel werden darin gesehen, eine zu weitgehende richterliche Inhaltskontrolle von Mehrheitsentscheidungen zu verhindern 64 . Die Minderheit könne nur verlangen, dass die Mehrheit in gutem Glauben agiere, d.h. in dem Glauben, sich nicht persönlich auf Kosten der anderen zu begünstigen. Solange die Mehrheit in diesem Sinne gutgläubig sei, könne die Minderheit auch dann keine Beanstandungen erheben, wenn sich im Nachhinein herausstelle, dass sich die betreffende Maßnahme für die Gesellschaft oder einzelne Mitgesellschafter nachteilig auswirke. Häu59 In einer neueren Entscheidung hat der Kassationshof dieses subjektive Erfordernis allerdings unerwähnt gelassen; vgl. Cass. com. Rev. soc. 2004, 337 (338), wo nur darauf abgestellt wird, „que ces décisions ont favorisé les associés majoritaires au détriment de l'associé minoritaire." Daraus auf eine Rechtsprechungsänderung zu schließen, wird aber noch als verfrüht angesehen; vgl. Lecourt, Rev. soc. 2004, 340 (348). 6 0 So auch Ebenroth/Reiner, BB 1992, Beil. 13,1 (4); Reiner, Gesellschaftsinteresse, S.39; Zecblin, Minderheitenschutz, S. 190. 61 CA Grenoble, D. 1964, 783 (784) („il y a ... abus de droit ... même sans intention de nuire"); D. Schmidt, Les droits de la minorité, n. 230 f.; Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991,65 (69). Mestre/Velardocchio, in: Lamy, Sociétés commerciales, n. 2535 a.E. Anders noch die ältere Rechtsprechung; vgl. etwa CA Paris Rev. soc. 1926, 24 (32); näher dazu Kreß, Beschlusskontrolle, S. 44. 62 D. Schmidt, Les droits de la minorité, n. 231 („la conscience de s'avantager personellement"); ebenso Germain, Gaz. Pal. 1977,1, doctr., 157 (158 re. Sp.); Hémard/Terré/Mabilat, Sociétés commerciales II, n. 388; Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (69). 63 Vgl. Reiner, Gesellschaftsinteresse, S. 70. 64 Vgl. insbesondere D. Schmidt, Les droits de la minorité, n. 227.
5 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
125
fig findet sich in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass der abus de majorité nicht als Sanktion für eine unglückliche Geschäftspolitik („sanction d'une politique malheureuse") missverstanden werden dürfe 65 . Da die Beweislast für das Vorliegen einer bewussten Ungleichbehandlung bei der Minderheit liegt 66 , scheint der subjektive Tatbestand auf den ersten Blick eine hohe Hürde für die Annahme eines abus de majorité zu errichten. In der Praxis schließen die Gerichte jedoch häufig aus den objektiven Umständen auf das Vorliegen einer bewussten Ungleichbehandlung. Wenn die Ungleichbehandlung offenkundig ist, wird der subjektive Tatbestand vielfach nicht näher geprüft, sondern ohne weiteres angenommen 67 . Will die Minderheit ganz sicher gehen, dass die Geltendmachung eines abus de majorité nicht am subjektiven Tatbestand scheitert, muss sie vor der Beschlussfassung - etwa im Rahmen der Beratungen in der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung - von sich aus darauf hinweisen, weshalb sie durch die beabsichtigte Maßnahme benachteiligt wird 6 8 . Auch wenn die subjektive Tatbestandsvoraussetzung somit keine unüberwindbare Hürde für die Geltendmachung eines abus de majorité darstellt, bleibt zweifelhaft, ob sie sich mit Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 TransparenzR L vereinbaren lässt. Die Richtlinien verbieten ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen generell, ohne dies auf schuldhafte oder gar vorsätzliche Ungleichbehandlungen zu beschränken. Für andere Diskriminierungsverbote des Gemeinschaftsrechts geht der EuGH davon aus, dass es - auch bei „bloß" materiellen Ungleichbehandlungen - nicht auf Absicht oder Vorsatz des Handelnden ankommt 6 9 . Es spricht deshalb viel dafür, dass eine derartige Einschränkung auch im Rahmen des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes vor dem Gemeinschaftsrecht keinen Bestand haben kann. Im französischen Schrifttum zum abus de majorité w i r d diese Frage jedoch nicht erörtert. 65 D. Schmidt, Les droits de la minorité, n. 193; Ledoux, Le droit de vote, n. 189; Merle, Sociétés commerciales, n. 580; Moulin, Le principe d'égalité, n. 1063. 66 Vgl. D. Schmidt, Les droits de la minorité, n. 219; Guyon, Droit des affaires I, n. 454; Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (69); Moulin, Le principe d'égalité, n. 1066. 67 Vgl. etwa die einen Mehrheitsmissbrauch bejahenden Entscheidungen Cass. com. Rev. soc. 1990, 606 (607f.); Cass, com Rev. soc. 1995, 46 (47); Trib. com. Paris Rev. soc. 1982, 791 (796 f.) mit Anm. Guilberteau, insbes. S. 804. Wie hier auch Falcke, Konzernrecht in Frankreich, S. 144. 68 Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (69); Godon, Les obligations des associés, n. 153. 69 So stellt der EuGH häufig darauf ab, ob eine ungleiche Auswirkung „bezweckt oder bewirkt" wird; die ungleiche Auswirkung muss also nicht bezweckt sein, vgl. etwa EuGH, Rs. 15/79, Slg. 1979, 3409, Rdn.7; EuGH, Rs. C-384/93, Slg. 1995,1-1141, Rdn.35. Ausführliche Ubersicht über die Rechtsprechung des EuGH zu dieser Frage bei Plötscher, Diskriminierung, S. 129 (zu Art. 12 EGV, Staatsangehörigkeit), S.206f. (zu Art. 28 EGV, Warenverkehrsfreiheit), S. 240 f. (zu Art. 141 EGV, Gleichbehandlung von Mann und Frau).
126
2. Kapitel:
c) Rechtfertigung (intérêt social)
Grundlagen
des
der Ungleichbehandlung
Gleichbehandlungsgrundsatzes
im
Gesellschaftsinteresse
Ein abus de majorité liegt nach der Piquard-Formel nur vor, wenn neben der Ungleichbehandlung zusätzlich festgestellt wird, dass die angegriffene Maßnahme dem Gesellschaftsinteresse widerspricht („décision prise contrairement à l'intérêt général de la société"). Ob darunter nur das gemeinsame Interesse der Gesellschafter an Gewinnmaximierung zu verstehen ist oder i.S. eines Unternehmensinteresses („intérêt de l'entreprise") auch die Interessen anderer am Unternehmen interessierter Gruppen (Arbeitnehmer, Gläubiger, Öffentlichkeit) einzubeziehen sind, ist - ähnlich wie in Deutschland 70 - umstritten 71 . Die Rechtsprechung meidet eine klare Stellungnahme zu dieser Frage; eine nähere Definition des Gesellschaftsinteresses wird in den Entscheidungen nicht gegeben. Fest steht jedenfalls, dass ein Verstoß gegen das Gesellschaftsinteresse vorliegt, wenn durch verdeckte Vermögenszuwendungen an einen Gesellschafter das Gesellschaftsvermögen unmittelbar geschädigt wird 72 oder die Geschäftschancen der Gesellschaft beeinträchtigt werden73. Die Kontrolle von Ungleichbehandlungen am Maßstab des „intérêt social" beschränkt sich jedoch nicht darauf, Schädigungen des Gesellschaftsvermögens und Beeinträchtigungen der Geschäftschancen zu verhindern. Sie erstreckt sich vielmehr - trotz der miss verständlichen Formulierung der Piquard-Formel, die einen Verstoß gegen das Gesellschaftsinteresse zu fordern scheint - auch auf Maßnahmen, die die Vermögenssituation der Gesellschaft unberührt lassen oder u.U. sogar verbessern, gleichzeitig aber die Interessen der Minderheitsgesellschafter verletzen. Deutlich wird dies in den genannten Fällen der Gewinnthesaurierung: Sofern diese die Minderheitsgesellschafter besonders trifft und ein Bedürfnis für die Rücklagenbildung offenkundig nicht besteht, bejaht der Kassationshof einen abus de majorité7A. Aus demselben Grund ist ein Formwechsel einer SA in eine Kommanditgesellschaft aufgehoben worden, obwohl dieser nicht auf der Ebene der Gesellschaft, sondern nur auf der Ebene der Gesellschafter erkennbar nachteilige Folgen hatte (insbesondere in Bezug auf die Näher unten §12 II 2. Überblick über den Meinungsstand bei Bertrel, Dr. & Patr. 1997, 42 ff.; Moulin, Le principe d'égalité, n. 37 ff. 72 Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (67); Godon, Les obligations des associés, n. 147. Aus der Rechtsprechung s. etwa Cass. com. Bull. civ. 1973 IV, n° 13 (verbilligte Betriebsverpachtung an die Tochtergesellschaft des Mehrheitsgesellschafters); CA Grenoble D. 1964, 783 f. mit Anm. Dalsace; Trib. com. Paris Dr. soc. 1996, n° 215 mit Anm. Vidal (überhöhte Geschäftsleiterbezüge). 73 Cass. com. Rev. soc. 1982, 804f. mit zust. Anm. Le Cannu (Beschränkung der Geschäftsbeziehungen der Gesellschaft auf Geschäfte mit Unternehmen des Mehrheitsgesellschafters). 74 Vgl. Cass. com. D. 1977,4 mit Anm. Bousquet', Cass. com. Rev. soc. 1990, 606 mit Anm. Chartier; näher dazu Kreß, Beschlusskontrolle, S. 47 ff., 57 ff. 70 71
5 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
127
erschwerte Übertragbarkeit der Anteile) 7 5 . Diese und weitere Beispiele 76 belegen, dass entgegen dem ersten Anschein der Piquard-Formel nicht nur eine P r ü f u n g auf Vereinbarkeit mit dem Gesellschaftsinteresse stattfindet, sondern auch die Minderheitsinteressen - w e n n auch zurückhaltend - mitberücksichtigt werden 7 7 . Es genügt also nicht, dass das Gesellschaftsinteresse nicht verletzt w i r d ; vielmehr muss das Gesellschaftsinteresse positiv f ü r die (ungleiche) M a ß nahme sprechen und von einem solchen G e w i c h t sein, dass es die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag. Eine genauere Strukturierung dieses A b w ä gungsprozesses, etwa durch A n w e n d u n g des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, findet jedoch nicht statt. Weitere Einzelfragen hinsichtlich der Rechtfertigung im Gesellschaftsinteresse sind bislang nicht eindeutig geklärt. Dies gilt namentlich f ü r die Beweislast 78 , aber auch f ü r die Frage, ob das Erfordernis der sachlichen Rechtfertigung entfällt, w e n n die benachteiligten Minderheitsgesellschafter der M a ß n a h m e zugestimmt haben 7 9 . Eine Entscheidung des Kassationshofs lässt aber darauf schließen, dass letztere Frage grundsätzlich zu bejahen ist 80 . Hinsichtlich der Prüfungsintensität kennzeichnet die meisten Entscheidungen Zurückhaltung. Die Gerichte betonen, dass es nicht ihre Aufgabe sei, M a ß n a h m e n der Gesellschaftsorgane auf ihre O p p o r t u n i t ä t hin zu ü b e r p r ü f e n und die eigene wirtschaftliche Beurteilung an die Stelle derjenigen der GesellVgl. Trib. com. Paris Rev. soc. 1982, 791 mit Anm. Guilberteau. Vgl. etwa CA Paris D. 1970, 170 mit Anm. Guyon: Die Satzung der beklagten SARL sah vor, dass die Gesellschafter ihre Anteile den Mitgesellschaftern auf Wunsch zu bestimmten Konditionen andienen durften. Als eine Minderheitsgesellschafterin von diesem Recht Gebrauch machen wollte, entschieden die Mehrheitsgesellschafter kurzerhand, die entsprechende Satzungsbestimmung aufzuheben. Um sicher zu gehen, beschlossen sie zusätzlich einen Formwechsel in eine SA mit einer neuen Satzung, die kein Andienungsrecht vorsah. Das Gericht bejahte einen abus de majorité (es spricht von „détournement de pouvoir", womit aber nichts anderes gemeint ist; Guyon aaO. S. 173 re. Sp.), ohne einen Widerspruch zum Gesellschaftsinteresse festzustellen. 77 Vorsichtiger Kreß, Beschlusskontrolle, S. 132, die davon spricht, dass eine Berücksichtigung der Minderheitsinteressen nur „vereinzelt" stattfinde. 78 Für Beweislast auf Seiten der Gesellschaft offenbar Trib. com. Paris Rev. soc. 1982, 791 (796): „De tout ce que dessus, il ressort que la défenderesse n'est pas en mesure de produire d'arguments décisifs susceptibles de justifier que la transformation opérée était bien conforme à l'intérêt social." Im Schrifttum wird dagegen zumeist davon ausgegangen, dass die Beweislast für das Vorliegen eines abus de majorité insgesamt die klagende Minderheit treffe; vgl. etwa Guyon, Droit des affaires I, n. 454; Mestre/Velardocchio, in: Lamy, Sociétés commerciales, n. 2537; näher Kreß, Beschlusskontrolle, S. 54 f. 79 Vgl. Charvériat/Gouret, in: Mémento, Sociétés commerciales, n. 10672, m.Nachw. auf widersprüchliche Rechtsprechung zu dieser Frage. 80 Vgl. Cass. com. Bull. Joly soc. 1993, 754: Dort wird der Tatsacheninstanz aufgegeben, zu untersuchen, ob der angegriffene Beschluss dem Willen der Minderheitsaktionäre im Zeitpunkt der Beschlussfassung entsprochen habe. S.aber auch die Einschränkung von Mestre/ Velardocchio, in: Lamy, Sociétés commerciales, n. 2537: Die Geltendmachung müsse trotz Zustimmung möglich bleiben, falls sich der abus de majorité erst nachträglich herausstelle. 75 76
128
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
schaftsorgane zu setzen 81 . Sie gewähren deshalb den Gesellschaftsorganen bei der Bestimmung des Gesellschaftsinteresses einen gewissen Ermessensspielraum und stellen lediglich eine Art Plausibilitätskontrolle an. In der Literatur hat dies Beifall gefunden82. Wie weit der Bereich des geschützten Ermessens im Einzelnen reicht, wird jedoch nicht näher präzisiert.
3. Sanktionen des abus de majorité Die Sanktionen des abus de majorité folgen im Wesentlichen den allgemeinen Regeln, die auch sonst für Rechtsverstöße der Gesellschaftsorgane gelten. Verstößt ein Beschluss der Anteilseignerversammlung gegen die genannten Grundsätze, ist er auf Anfechtungsklage für nichtig zu erklären 83 . Gleiches gilt für sonstiges Handeln der Gesellschaftsorgane, etwa den Abschluss von Verträgen mit dem bevorzugten Gesellschafter 84 . Anfechtungsberechtigt sind die benachteiligten Gesellschafter 85 , aber auch die Gesellschaft selbst, sofern auch sie geschädigt ist 86 . In letzterem Fall ist die Anfechtungsklage gegen den bevorzugten Gesellschafter zu richten 87 . Soweit durch die erfolgreiche Anfechtungsklage der eingetretene Schaden noch nicht vollkommen beseitigt ist, besteht ferner ein Anspruch der benachteiligten Gesellschafter auf Schadensersatz. Der Anspruch richtet sich, obwohl ein Gesellschaftsorgan gehandelt hat, nicht gegen die Gesellschaft 88 , sondern ausschließlich 81 Vgl. Cass. com. Bull. civ. 1963 III, n° 423 = Rev. soc. 1964, 37 (40) („[Les juges] n'ont pas à se substituer à l'assemblée générale dans la gestion du patrimoine social..."); sowie die Zusammenfassung von CA Versailles, arrêt vom 7.7.1992, in Rev. soc. 1992, 799 : „Le juge n'a pas à s'immiscer dans la gestion en appréciant la pertinence ou l'opportunité des décisions prises par les dirigeants ou la collectivité des associés." 82 Vgl. etwa Guyon, Droit des affaires I, n. 456; Moulin, Le principe d'égalité, n. 1086 a.E. 83 Allg. Meinung; vgl. statt aller Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (72); Merle, Sociétés commerciales, n. 580. Zur Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes Brüls-Dehin, Schranken, S. 342 f. 84 Vgl. Cass. com. Rev. soc. 1997, 527 mit Anm. Saintourens = J C P éd. E 1997, II, 965 mit Anm. Daigre; Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 156 f. Der Vertrag ist also nicht schon ipso iure nichtig, sondern muss erst für nichtig erklärt werden. Die Nichtigerklärung scheidet jedoch aus, sofern gutgläubige Dritte betroffen würden; Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (72); D. Schmidt, Les droits de la minorité, n. 246. 85 Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991,65 (72); Merle, Sociétés commerciales, n. 580. 86 Cass. com. Rev. soc. 1997, 527 mit Anm. Saintourens = J C P éd. E 1997, II, 965 mit Anm. Daigre; Guyon, Droit des affaires I, n. 455 a.E.; Merle, Sociétés commerciales, n. 580. Anders noch die früher h.M., vgl. die Nachw. bei Daigre aaO. 87 Vgl. Cass. com. Rev. soc. 1997, 527; Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 158 f. 88 So ausdrücklich Cass. com. Rev. soc. 1990, 606 (608) mit Anm. Chartier, insbes. S. 612; Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (72); Tricot, R T D com. 1994, 617 (626f.); Godon, Les obligations des associés, n. 173. Die Begründung fällt sehr knapp aus; es heißt nur, dass die handelnden Entscheidungsträger die wahren Verantwortlichen seien,
§ 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
129
gegen diejenigen, die den missbräuchlichen Beschluss gefasst haben, bei Beschlüssen der Anteilseignerversammlung also gegen die beschlussfassenden Gesellschafter 8 9 und bei Handlungen des Leitungsorgans - aus deutscher Sicht bemerk e n s w e r t - u n m i t t e l b a r gegen die Organwalter 9 0 . Als Anspruchsgrundlage gegen die Gesellschafter wird teils die deliktische Generalklausel (art. 1382 code civ.) herangezogen 9 1 , die auch den Ersatz bloßer Vermögensschäden erfasst, teils die H a f t u n g für Vertragsverletzungen (art. 1142 code civ.) 92 . Gegen die Geschäftsleiter lässt sich der Anspruch auf die Geschäftsleiterhaftung nach art. 2 2 3 - 2 2 code com. ( S A R L ) bzw. art. 2 2 5 - 2 5 1 code com. (SA) stützen 9 3 . Liegt ein reiner Gesellschafterschaden vor, können die Minderheitsgesellschafter Zahlung unmittelbar an sich verlangen 94 . Sind sie dagegen nur mittelbar dadurch geschädigt, dass die Gesellschaft einen Schaden erlitten hat, richtet sich der Anspruch auf Leistung in das Gesellschaftsvermögen 9 5 . In diesem Fall ist daneben auch wieder die Gesellschaft selbst anspruchsberechtigt 9 6 . Bislang sind allerdings nur sehr selten Schadensersatzansprüche wegen eines abus de majorité
zugesprochen worden. Dies
mag z u m einen darauf beruhen, dass in vielen Fällen bereits die Anfechtungsklage Abhilfe schafft. Z u m anderen trifft die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die beschlussfassenden Gesellschafter in Gesellschaften mit großem Gesellschafterkreis und wechselnden Mehrheiten auf praktische Schwierigkeiten, wenn und weil sich nicht feststellen lässt, mit wessen Stimmen der betreffende Beschluss gefasst wurde 9 7 .
der Umweg über eine Haftung der Gesellschaft daher gekünstelt sei, so etwa Chartier aaO. 89 Cass. com. Rev. soc. 1990, 606 (608) mit Anm. Chartier, insbes. S.612; Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (72); Merle, Sociétés commerciales, n. 580. 90 Vgl. Sonnenberger, Frz. Handels- und Wirtschaftsrecht, Rdn. III 97. 91 So wohl Cass. com. Rev. soc. 1990, 606 (608) (dort wird art. 1382 code civ. allerdings nur für die Anfechtung, nicht auch für den Schadensersatzanspruch ausdrücklich genannt); ferner etwa Tricot, R T D com. 1994,617 (624); Reinhard, Cahiers dr. entreprise, n° 6-1998, S. 8 (10); Brüls-Dehin, Schranken, S. 340. 92 Godon, Les obligations des associés, n. 173. 93 Der Mehrheitsmissbrauch stellt ohne weiteres eine „faute de gestion" i. S. dieser Vorschriften dar; vgl. auch Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 163. 94 Vgl. zur Haftung der Mehrheitsgesellschafter Cass. com. Rev. soc. 1990, 606 (608); zur Haftung der Geschäftsleiter Guyon, Droit des affaires I, n. 462; Terboven, Managerhaftung, S.39f. („action individuelle"). 95 Vgl. zur Haftung der Mehrheitsgesellschafter D. Schmidt, Les droits de la minorité, n.251; zur Haftung der Geschäftsleiter art. L. 223-22 Abs. 3, 225-252 code com., vgl. dazu zuletzt auch Siems, ZVglRwiss 104 (2005), 376 (382 f.). 96 Zum Anspruch der Gesellschaft gegen die Mehrheitsgesellschafter vgl. die Nachweise in Fn. 86; ferner Godon, Les obligations des associés, n. 173; zum Anspruch gegen die Geschäftsleiter art. L 223-22,225-251 code com. 97 Vgl. Chartier, Rev. soc. 1990, 608 (612); Godon, Les obligations des associés, n. 173; Rives-Lange, Rev. jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (72); D. Schmidt, Les droits de la minorité, n. 248 ff.
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2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Die Einhaltung minderheitsschützender Vorschriften und damit auch die Beachtung des Verbots eines abus de majorité unterliegt bei prüfungspflichtigen Gesellschaften zudem der Kontrolle durch den Abschlussprüfer, der sich der Beachtung der égalité des actionnaires vergewissern muss 98 . Der Abschlussprüfer hat allerdings nicht alle Handlungen der Gesellschaftsorgane zu überprüfen, sondern lediglich diejenigen, mit denen er im Rahmen der Uberprüfung der Rechnungslegung ohnehin befasst ist". Stellt der Abschlussprüfer einen Verstoß fest, muss er umgehend den Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrat informieren (art. L. 225-237 code com.) und den Verstoß der nächsten Anteilseignerversammlung mitteilen (art. L. 225-240 code com.).
4. Fazit zum französischen Recht Fasst man zusammen, so ist zwar zunächst zu konstatieren, dass der französische abus de majorité durch das - aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht bedenkliche - Erfordernis einer vorsätzlichen Ungleichbehandlung eher dem Sondervorteilsverbot des § 243 Abs. 2 Satz 1 AktG ähnelt als dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Für die vorliegende Untersuchung bedeutsamer ist aber, dass das Merkmal der (vorsätzlichen) Ungleichbehandlung in Frankreich seit langem als das zentrale Aufgreifkriterium für die Inhaltskontrolle verstanden wird. Ohne eine derartige Ungleichbehandlung darzulegen und ggf. zu beweisen, kann der einzelne Gesellschafter nicht verlangen, dass ein Eingriff der Gesellschaftsorgane in Mitgliedschaftsrechte auf seine sachliche Rechtfertigung kontrolliert wird. Die zentrale Rolle, die dem Aufgreifkriterium der Ungleichbehandlung in Frankreich beigemessen wird, kann es freilich nur erfüllen, weil nicht nur formale, sondern auch materielle Ungleichbehandlungen erfasst werden. Damit sind gewisse Unschärfen des Begriffs der Ungleichbehandlung verbunden; seine Tauglichkeit als (alleiniges) Aufgreifkriterium der Inhaltskontrolle wird in Frankreich aber nicht in Zweifel gezogen. Für eine darüber hinausgehende Inhaltskontrolle auch bei gleichmäßigen Maßnahmen nach Art der deutschen Lehre vom sachlichen Grund wird daneben kein Bedürfnis gesehen. Das französische Rechts stimmt damit jedenfalls in seiner Grundrichtung mit dem hier vertretenen Anliegen überein, die Inhaltskontrolle auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen die grundsätzliche Interessengleichrichtung der Gesellschafter gestört ist 100 .
9 8 Vgl. Art. L. 2 2 5 - 2 3 5 Abs. 4 code com. (Wortlaut oben Fn. 12); und dazu Langé, in: J C soc., fasc. 1 3 4 - 2 0 , n. 79ff., insbes. 80, 86; Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 165 ff. Die Vorschrift gilt nicht nur für die SA, sondern entsprechend auch für die S A R L (art. L. 2 2 3 - 3 9 code com). 9 9 Vgl. Langé, in: JC1. Sociétés, fasc. 1 3 4 - 2 0 , n. 88. 1 0 0 S. oben § 3 I I I .
§7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
131
II. England 1. Allgemeines In England hat man wie in Frankreich darauf verzichtet, Art. 42 Kapital-RL ausdrücklich in nationales Recht umzusetzen. Im Companies Act 1985 (CA 1985) findet sich daher keine dem § 53a AktG vergleichbare Vorschrift. Eine Regelung des Gleichbehandlungsgrundsatzes enthalten allerdings die Listing Rules der Börsenaufsichtsbehörde (Financial Services Authority)101. Die betreffende Regelung diente usprünglich der Umsetzung der Vorgängervorschriften des Art. 17 Abs. 1 Transparenz-RL; anders als dieser (aber wie die Vorgängervorschriften) erfasst sie daher nicht nur die informationelle Gleichbehandlung102. Ausdrücklich geregelt ist daneben der hier nicht weiter interessierende übernahmerechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, der im City Code on Takeovers and Mergers verankert ist 103 . Fragt man nach den Gründen, warum eine ausdrückliche Regelung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im CA 1985 unterblieben ist, so spricht alles für die Annahme, dass man die Regelung - wie in Frankreich - offenbar für selbstverständlich und deshalb entbehrlich hielt. Sofern sich überhaupt Ausführungen zu Art. 42 Kapital-RL finden, heißt es, dass das darin enthaltene Prinzip dem englischen Gesellschaftsrecht bereits bekannt sei104. Dieselbe Einschätzung findet sich auch im Schrifttum zum Gleichbehandlungsgrundsatz der Börsenzulassungs-RL (nunmehr Transparenz-RL); der Wiedergabe des Gleichbehandlungsgrundsatzes in den Listing Rules wird daher keine nennenswerte Bedeutung beigemessen105. Zwar haben die englischen Gerichte bis heute kein allgemeines principle of equal treatment explizit anerkannt. Sie haben jedoch eine Reihe anderer Generalklauseln entwickelt, welche die Mitglieder in gewissem Umfang (auch) vor Ungleichbehandlungen durch den Verband schüt101 Rule 7.2.1 principle 5 der Listing Rules (Stand 1.72005): „A listed company must ensure that it treats all holders of the same class of its listed equity securities that are in the same position equally in respect of the rights attaching to such listed equity securities." Wiederholt wird dieses Prinzip in Rule 9.3.1 (= Rule 9.16 a.F.): „A listed company must ensure equality of treatment for all holders of listed equity securities or listed preference shares who are in the same position." 102 S. oben § 2 II 3. 103 yg[ General Principle 1 des City Code: „All shareholders of the same class must be treated similarly by an offeror." S.auch Rule 6.1 und 6.2 des City Code (gleiche Gegenleistung wie bei Vor- und Parallelerwerben). 104 Vgl. Edwards, E C Company Law, S. 57. 105 Vgl. Pennington, Listing, S.39f.; ferner Hough, in: Button, Listing Rules, S. 162, der das Gleichbehandlungsprinzip lediglich als zusammenfassenden Oberbegriff für jene Einzelvorschriften der Listing Rules und des CA 1985 versteht, denen der Leitgedanke der Gleichbehandlung zugrunde liegt. Beispielhaft nennt Hough die diversen Informationspflichten des Emittenten sowie die Vorschriften über das Bezugsrecht (sec. 89 ff. CA 1985).
2. Kapitel:
132
Grundlagen
z e n 1 0 6 . Z u diesen i m common
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
law e n t w i c k e l t e n S c h r a n k e n der V e r b a n d s m a c h t
tritt der in sec. 4 5 9 C A 1985 v e r a n k e r t e S c h u t z der G e s e l l s c h a f t e r v o r „ u n f a i r p r e j u d i c e " 1 0 7 . D i e s e V o r s c h r i f t steht in der gegenwärtigen P r a x i s deutlich i m V o r d e r g r u n d , w ä h r e n d die S c h u t z m e c h a n i s m e n des common
law an B e d e u t u n g
verloren h a b e n 1 0 8 . D a sie den H i n t e r g r u n d f ü r die E i n f ü h r u n g der sec. 4 5 9 C A 1985 u n d ihrer V o r g ä n g e r v o r s c h r i f t (sec. 2 1 0 C A 1948) bilden u n d n a c h w i e v o r z u r K o n k r e t i s i e r u n g der sec. 4 5 9 C A 1985 (mit-) h e r a n g e z o g e n w e r d e n , ist gleichwohl v o r a b auf diese S c h r a n k e n e i n z u g e h e n .
2. Schutz vor Ungleichbehandlungen a) „Bona
fide
for the benefit
nach common law
of the company
as a
whole"
Seit langem e r k e n n e n die englischen G e r i c h t e an, dass die G e s e l l s c h a f t s o r g a n e verpflichtet sind, n a c h b e s t e m W i s s e n im Interesse der G e s e l l s c h a f t z u h a n d e l n . I n B e z u g auf die G e s c h ä f t s l e i t e r ( d i r e c t o r s ) w i r d dies u n t e r der B e z e i c h n u n g „ b o n a fide in t h e interests o f the c o m p a n y " b e h a n d e l t , in B e z u g auf G e s e l l s c h a f terbeschlüsse u n t e r der F o r m e l „ b o n a fide f o r t h e benefit o f t h e c o m p a n y as a whole"109. aa) B e t r a c h t e t m a n das einschlägige F a l l m a t e r i a l z u n ä c h s t in B e z u g auf B e schlüsse der G e s e l l s c h a f t e r v e r s a m m l u n g 1 1 0 , so zeigt sich, dass das bona
fides-
106 Nicht hierher gehört allerdings der von Edwards, EC Company Law, S. 57, angeführte Grundsatz des common law, dass Gesellschaftsanteile ihren Inhabern im Zweifel gleiche Rechte und Pflichten vermitteln (Birch v. Copper [1889] AC 525 [543] [H.L.]; Cheffins, Company Law, S.472; Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S.618). Bei diesem Grundsatz handelt es sich lediglich um das Auslegungsprinzip der Gleichberechtigung, nicht um den Gleichbehandlungsgrundsatz als Schranke der Verbandsmacht; s. zu dieser Unterscheidung oben § 1 II 1 und 2 b. 107 Vereinzelt bewirken daneben Stimmverbote einen indirekten Schutz vor ungerechtfertigten (eigennützigen) Ungleichbehandlungen; vgl. für die Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien außerhalb der Börse sec. 164 (5) CA 1985, ferner sec. 165 (2), 174 (2) CA 1985. 108 Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S.494, hält sie neben sec. 459 CA 1985 sogar für obsolet. Die vom britischen Wirtschaftsministerium (Department of Trade and Industry) eingesetzte Kommission zur Überarbeitung des Gesellschaftsrechts (Company Law Review) hat sich hingegen dafür ausgesprochen, die Schranken des common law neben denen des sec. 459 CA 1985 bestehen zu lassen; vgl. zum „bona fides"-Prinzip Company Law Review, Final Report, vol. 1, para. 7.52 ff. 109 Die klassische Formulierung stammt aus Allen v. Gold Reefs of West Africa Ltd. (1900) 1 Ch. 656 (671) per Lord LindleyM.R. 110 Die wenigen ergangenen Entscheidungen betreffen — soweit ersichtlich - ausnahmslos Satzungsänderungen und werden deshalb zumeist nur unter diesem Stichwort („alteration of the articles") erörtert; vgl. etwa Davies, in: Gower/Davies, S. 487 ff.; Hannigan, Company Law, S. 123 ff. Im Schrifttum wird aber die Auffassung vertreten, dass der bona fides-Test genauso für andere Beschlüsse Anwendung finden müsse; vgl. Xuereb, in: European Company Laws, S. 175 (176, 184f.); Davies aaO., S.494 Fn. 51. Ausführlich zum Folgenden auch Kreß, Beschlusskontrolle, S. 87ff.
§ 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
133
P r i n z i p nur eine sehr weit gezogene E i n s c h r ä n k u n g mit sich b r i n g t , die nur in äußersten Fällen zu einem Schutz vor Ungleichbehandlungen f ü h r t . A l s M a ß stab f ü r den „benefit of the Company as a w h o l e " wird zwar auf die Sichtweise eines hypothetischen objektiven Gesellschafters abgestellt, der keine besonderen persönlichen Interessen verfolgt 1 1 1 . D i e gerichtliche K o n t r o l l d i c h t e ist jedoch gering: S o soll es genügen, w e n n die Gesellschaftermehrheit gutgläubig a n g e n o m m e n hat, dass der angegriffene Beschluss dem so verstandenen Gesellschaftsinteresse diene. E s handelt sich also u m einen subjektiven Test; dieser erfährt nur insoweit eine objektivierende K o r r e k t u r , als die E i n s c h ä t z u n g der Mehrheit nicht so unvernünftig sein darf, dass schlechterdings kein „reasonable m a n " sie teilen w ü r d e 1 1 2 . H i n t e r dieser zurückhaltenden F o r m u l i e r u n g steht die Ü b e r l e g u n g , dass die B e u r t e i l u n g wirtschaftlicher Zweckmäßigkeitsfragen nicht Sache des G e r i c h t s sei 1 1 3 . D i e so z u r ü c k g e n o m m e n e K o n t r o l l e f ü h r t i m Ergebnis dazu, dass die G e richte Gesellschafterbeschlüsse nur in besonders gravierenden Missbrauchsfällen unter der F o r m e l des „bona fide for the benefit of the Company as a w h o l e " beanstanden. D e n Hauptanwendungsfall bildet bis heute die Konstellation, dass sich die Mehrheit im Wege der Satzungsänderung nachträglich das R e c h t verschaffen will, die Minderheitsgesellschafter gegen angemessene A b f i n d u n g aus der Gesellschaft auszuschließen. Solche Satzungsänderungen sind wiederholt aufgehoben worden, sofern sich kein triftiger G r u n d in der Person des b e troffenen Minderheitsgesellschafters finden ließ 1 1 4 . Abgesehen von diesen b e sonders schwerwiegenden Fällen, in denen den Minderheitsgesellschaftern der Verlust ihrer Mitgliedschaft droht, sind die G e r i c h t e mit der H a n d h a b u n g der bona
/zt/es-Schranke äußerst zurückhaltend. D a r a n hat auch der V o r s t o ß des
Court
of Appeal
halgh
v. Arderne
bonafides-Prinzip W o r t e n von Lord
nichts geändert, der in der viel zitierten Entscheidung Cinemas
Ltd.
Green-
(No. 2) aus dem J a h r 1951 1 1 5 versucht hat, das
i.S. eines D i s k r i m i n i e r u n g s v e r b o t s neu zu definieren. I n den Evershed
M.R.
nen V e r s t o ß gegen das „bona
sollte eine Satzungsänderung i m m e r dann ei-
fides"-Prinzip
begründen,
111 Vgl. Greenhalgh v. Arderne Cinemas Ltd. (1951) 1 Ch. 286 (291) per Lord Evershed M.R.; sowie die Präzisierung bei Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 491 („no personal interest apart from that of being a member"). 112 Vgl. Shuttleworth v. Cox Bros & Co. (Maidenhead) Ltd. (1927) KB 9 (18). 113 Vgl. Shuttleworth v. Cox Bros & Co. (Maidenhead) Ltd. (1927) KB 9 (23) per Scrutton L.J.: „It is not the business of the Court to manage the affairs of the company." 114 Brown v. Abrasive Wheel Co. Ltd. (1919) 1 Ch. 290; Dafen Tinplate Co. v. Llanelly Steel Co. (1907) Ltd. (1920) 2 Ch. 124. Dagegen wurde die Satzungsänderung in Sidehottom v. Kershaw, Leese & Co. (1920) 1 Ch. 154 (165) mit der Begründung aufrechterhalten, dass der betroffene Minderheitsgesellschafter aktiv an einem Konkurrenzunternehmen beteiligt sei und sein Ausschluss deshalb im Interesse der Gesellschaft liege. 115 Greenhalgh v. Arderne Cinemas Ltd. (1951) 1 Ch. 286.
134
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
„if the effect of it were to discriminate between the majority shareholders and the minority shareholders, so as to give the former an advantage of which the latter were deprived." 116
Dies liest sich wie eine Formulierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes117, die auf den ersten Blick sogar besonders streng wirkt, da sie keine Rechtfertigungsmöglichkeit für Ungleichbehandlungen vorzusehen scheint118. Der Sache nach bedeutete die Greenhalgh-Entscheidung indes keinen Fortschritt für den Minderheitenschutz, da der Court of Appeal von einem engen, formalen Verständnis der „discrimination" ausging. Der Fall betraf eine Satzungsänderung, mit der die Möglichkeit geschaffen wurde, das in der Satzung verankerte Vorkaufsrecht der Gesellschafter auf Anteile ihrer Mitgesellschafter durch Mehrheitsbeschluss aufzuheben. Formal kam diese Erleichterung der Anteilsveräußerung jedem Gesellschafter zugute. Im Ergebnis nutzte sie aber allein den Mehrheitsgesellschaftern; denn diese konnten das Vorkaufsrecht fortan durch Mehrheitsbeschluss aufheben, während die Minderheitsgesellschafter auf die Zustimmung der Mehrheit angewiesen blieben. Lord Evershed M.R. erkannte diese unterschiedlichen Folgen, sah darin aber keine Diskriminierung in dem von ihm formulierten Sinn 119 . Die wenigen Entscheidungen, die seither zum bona fides-T'r'mz'ip bei Gesellschafterbeschlüssen ergangen sind, haben den in Greenhalgh immerhin angedeuteten Gleichbehandlungsgrundsatz kaum aufgegriffen und weiterentwickelt. Zu erwähnen ist lediglich die Entscheidung Rights & Issues Investment Trust Ltd. v. Stylo Shoes Ltd., in der eine Verdoppelung der Stimmrechte der vom Management gehaltenen Aktien nicht als verbotene discrimination angesehen wurde, da die große Mehrheit der benachteiligten Aktionäre in separater Abstimmung (d.h. ohne Beteiligung des bevorzugten Managements) dieser Satzungsänderung zugestimmt hatte 120 . Im Schrifttum wird resümierend festgestellt, dass der Greenhalgh-Test allenfalls in Fällen besonders eindeutiger, gravierender Ungleichbehandlung zur Aufhebung von Gesellschafterbeschlüssen
Greenhalgh v. Arderne Cinemas Ltd. (1951) 1 Ch. 286 (291). So denn auch das Verständnis bei Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 2 (S. 427). 118 Nach Xuereb, in: European Company Laws, S. 175 (183), ist die Möglichkeit der Rechtfertigung im Gesellschaftsinteresse aber in die Entscheidung hineinzulesen. 119 Kritisch dazu Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S.492, mit dem Hinweis, dass auch in den Fällen der nachträglichen Einführung eines Ausschlussrechts (oben Fn. 114) die angegriffenen Satzungsbestimmungen keine ausdrückliche Differenzierung enthielten. 120 Rights & Issues Investment Trust Ltd. v. Stylo Shoes Ltd. (1965) Ch. 250 (255 ff.); zur Parallelfrage im deutschen Recht s. unten § 14 I 3 b, c. Dagegen wurde in Re Holders Investment Trust Ltd. (1971) 1 W L R 583 ein Sonderbeschluss von Vorzugsaktionären wegen Verletzung des bona yiifo-Prinzip aufgehoben, da die Mehrheit einem für die Vorzugsaktionäre nachteiligen Kapitalherabsetzungsbeschluss nur deshalb zugestimmt hatte, weil sie zugleich eine noch größere Mehrheit der Stammaktien hielt. Auf den Greenhalgh-Test ging das Gericht in dieser Entscheidung jedoch nicht ein. 116
117
5 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
135
führe 1 2 1 . D i e A u f m e r k s a m k e i t liegt n u n m e h r ganz bei sec. 4 5 9 C A 1985 ( u n f a i r
prejudice)122. bb) K e i n wesentlich anderes Bild zeigt sich, w e n n m a n die Pflicht der
direc-
tors betrachtet, „bona fide in the interests of the c o m p a n y " zu handeln 1 2 3 . A u c h hier hat sich keine spezifische Gleichbehandlungspflicht herausgebildet. E s wird z w a r betont, dass die directors
sich nicht am Interesse einzelner (herr-
schender) Gesellschafter zu orientieren hätten, sondern am Interesse der G e sellschaftergesamtheit 1 2 4 . D a s Erfordernis einer besonderen sachlichen R e c h t fertigung, wenn sich eine M a ß n a h m e ungleichmäßig auf die Gesellschafter ausw i r k t , ist daraus jedoch bisher nicht entwickelt w o r d e n 1 2 5 . I m Ü b r i g e n ist die gerichtliche Kontrolldichte gering, da es auch hier wieder auf die subjektive Sichtweise der handelnden directors
b)
a n k o m m e n soll 1 2 6 .
„Properpurpose"
E n g verwandt mit dem bona / z J e s - P r i n z i p ist die Pflicht der Gesellschaftsorgane, ihre Befugnisse entsprechend dem Z w e c k auszuüben, zu dem sie ihnen übertragen worden sind („duty to exercise powers for a proper p u r p o s e " ) 1 2 7 . D i e englischen G e r i c h t e haben diese Pflicht bislang nur für die directors
statu-
iert. I m S c h r i f t t u m wird aber die Auffassung vertreten, dass sie auch bei Gesell121 Vgl. £)ine, in: Perakis, Majority shareholders, S. 743 (753): „It seems that if discrimination is to be a ground for interference it will have to be some very clear, perhaps vindictive discrimination that is alleged before the court will be moved to (...) declare a resolution invalid." 122 Dazu unten Ziff. 3. Vgl. auch Hannigan, Company Law, S. 130: „a test of non-discrimination as between shareholders (...) is probably unnecessary now in view of sec. 459." 123 Näher dazu Hannigan, Company Law, S. 202 ff., 225 ff.; Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 387ff., sowie nunmehr sec. 156 (1) des Entwurfs eines Company Law Reform Bill (CLRB-Entwurf, Stand: 1.11.2005), mit dem u.a. die Geschäftsleiterpflichten kodifiziert werden sollen. Umfassend zu den Geschäftsleiterpflichten im englischen Recht zuletzt Bedkowski, Geschäftsleiterpflichten. 124 Vgl. Gaiman v. National Association for Mental Health (1971) 1 Ch. 317 (330); sec. 156 (1) CLRB-Entwurf („for the benefit of its members as a whole"). Das Interesse der Gesellschaftergesamtheit hat im Konfliktfall Vorrang auch vor anderen Interessen, etwa der Arbeitnehmer, Lieferanten, Kunden und anderer Beteiligter. Gleichwohl hat der Geschäftsleiter diese bei seinen Entscheidungen mitzuberücksichtigen; vgl. sec. 156 (3) CLRB-Entwurf; näher zu diesem „inclusive approach" Roach, 26 (2005) Comp. Law. 98 ff.; Bedkowski, Geschäftsleiterpflichten, S. 123 ff. 125 S. aber auch noch unten lit. d zur Pflicht der Geschäftsleiter „to act fairly as between different shareholders". 126 Vgl. Re Smith andFawcett Ltd. (1942) Ch. 304 (306) per Lord Greene M.R.: „[The directors] must exercise their discretion bona fide in what they consider - not what a court may consider - is in the interests of the company..."); Regentcrestpic v. Cohen (2001) 2 BCLC 80 (105); sec. 156 (1), (2) CLRB-Entwurf. 127 GrundlegendHowardSmith Ltd. v. AmpolPetroleum Ltd. (1974) AC 821 (P.C.) (dazu sogleich im Text); vgl. auch sec. 155 (b) CLRB-Entwurf: „A director of a company must (...) only exercise powers for the purposes for which they are conferred."
136
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
s c h a f t e r b e s c h l ü s s e n z u b e a c h t e n sei 1 2 8 . I h r E i n z u g s b e r e i c h reicht i n s o w e i t ü b e r d e n j e n i g e n der bona /¿¿/«-Pflicht hinaus, als es nicht n u r auf die subjektive Sicht der G e s c h ä f t s l e i t e r a n k o m m t , sondern a n h a n d einer o b j e k t i v e n A u s l e g u n g der jeweiligen B e f u g n i s zu e r m i t t e l n ist, welche Z w e c k e zulässig sind 1 2 9 . D e r ing case ist die E n t s c h e i d u n g Howard
Smith
Ltd.
v. Ampol
Petroleum
leadLtd.li0:
D o r t w u r d e die E n t s c h e i d u n g der Geschäftsleiter, eine K a p i t a l e r h ö h u n g d u r c h z u f ü h r e n u n d die n e u e n A k t i e n e i n e m D r i t t e n z u z u t e i l e n 1 3 1 , u m d i e s e m die ans c h l i e ß e n d e Ü b e r n a h m e der G e s e l l s c h a f t zu e r m ö g l i c h e n , als V e r s t o ß gegen das properpurpose-Gebot
angesehen. Z w a r müsse eine K a p i t a l e r h ö h u n g nicht aus-
schließlich den Z w e c k verfolgen, einem K a p i t a l b e d ü r f n i s der
Gesellschaft
n a c h z u k o m m e n 1 3 2 . Z u weit gehe es aber, w e n n die B e f u g n i s z u r Z u t e i l u n g der neuen A k t i e n allein d a z u eingesetzt werde, die b e s t e h e n d e n M a c h t v e r h ä l t n i s s e zu v e r ä n d e r n 1 3 3 . D i e R e i c h w e i t e der proper
purpose-Doktrin
d a r f j e d o c h nicht ü b e r s c h ä t z t
werden. D e r K r e i s der zulässigen Z w e c k e w i r d m i t u n t e r sehr weit g e z o g e n 1 3 4 . H i n z u k o m m t , dass ein improper
purpose
n u r schädlich sein soll, w e n n er den
hauptsächlichen B e w e g g r u n d darstellt u n d nicht n u r n e b e n b e i w i r d 1 3 5 . N a c h allem handelt es sich auch bei der proper
purpose-Regel
mitverfolgt lediglich
128 Vgl. Sealy (1989) Monash U L R 265 (271), unter Verweis auf die australische Entscheidung Ngurli Ltd. v. McCann (1953) 90 C L R 425 (438), wo es auch in Bezug auf Gesellschafter heißt: „These powers must not be used for an ulterior purpose..." S.hierzu auch Kreß, Beschlusskontrolle, S. 94. 129 Näher dazu Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 386 f. 130 (1974) AC 821 (P.C.). Die Ursprünge der proper purpose-T)o\itr\n sind allerdings schon wesentlich älter; vgl. die Nachw. bei Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 385; Hannigan, Company Law, S. 203. 131 Ein gesetzliches Bezugsrecht der Gesellschafter bestand noch nicht, sondern wurde erst in Reaktion auf die Kapital-RL eingeführt, vgl. sec. 75 CA 1980 sowie nunmehr sec. 89 CA 1985. 132 Howard Smith Ltd. v. Ampol Petroleum Ltd. (1974) AC 821 (835, 836). Ein zulässiger Zweck läge z.B. auch darin, Geschäftsbeziehungen zu fördern, indem ein wichtiger Geschäftspartner an der Gesellschaft beteiligt wird; vgl. die in Howard Smith Ltd. v. Ampol Petroleum Ltd. in Bezug genommene australische Entscheidung Harlowe's Nominees Pty Ltd. v. Woodside Oil Co. (1968) 121 C L R 483. 133 Howard Smith Ltd. v. Ampol Petroleum Ltd. (1974) AC 821 (837). Ähnlich zuvor schon Punt v. Symons & Co. Ltd. (1903) 2 Ch. 506 (515 f.); Piercy v. S. Mills & Co. Ltd. (1920) 1 Ch. 77 (84 f.); Hogg v. Cramphorn Ltd. (1967) 1 Ch. 254 (266 ff.). Ausführlich zu diesen Entscheidungen, die jeweils die Zuteilung neuer Aktien zum Gegenstand hatten, Bagel, Bezugsrecht, S. 121 f., 127 ff. 134 Vgl. etwa Re Smith andFawcett (1942) Ch. 304 (308) per Lord Greene M.R. zur Übertragung vinkulierter Anteile: Danach ist die Verweigerung der Zustimmung durch die directors zu jedem Zweck zulässig, der aus ihrer Sicht dem Gesellschaftsinteresse dient. Wenn man den proper purpose derart weit definiert, ergibt sich daraus nicht mehr als das, was das bona fides-Prinzip ohnehin vorgibt. Ausführliche Ubersicht über die Rechtsprechung bei Hannigan, Company Law, S. 233 ff. 135 Vgl. Howard Smith Ltd. v. Ampol Petroleum Ltd. (1974) AC 821 (835) („substantial purpose"). Da dies schwierig festzustellen ist, wird in der Literatur gefordert, diese Ein-
$ 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
137
u m eine relativ weitmaschige Kontrolle, mit der nur mehr oder weniger offensichtlichen Missbräuchen der Verbandsmacht w i r k s a m begegnet werden kann.
c) „Fraud on the
minority"
A l s weitere bewegliche S c h r a n k e der Verbandsmacht, die (auch) einen gewissen Schutz vor Ungleichbehandlungen mit sich bringt, lässt sich die R e c h t s f i g u r des fraud
anführen. Sie wird nur in Fällen relevant, in denen ein
on the minority
Minderheitsgesellschafter einen Schaden der Gesellschaft f ü r diese im Wege der abgeleiteten Gesellschafterklage ( d e r i v a t i v e action)
geltend machen will, und ist
daher nur vor diesem besonderen prozessualen H i n t e r g r u n d verständlich. N a c h der traditionellen Regel in Foss v. Harbottle136
ist bei Schädigungen der Gesell-
schaft grundsätzlich nur diese selbst berechtigt, den Schaden geltend zu machen; die derivative
action
ist also grundsätzlich ausgeschlossen. U b e r die A n -
spruchsverfolgung entscheiden die directors
im R a h m e n ihrer Zuständigkeit
zur G e s c h ä f t s f ü h r u n g 1 3 7 . Sofern diese selbst den Schaden verursacht haben, entscheidet die Gesellschafterversammlung 1 3 8 . W e n n derjenige, der die Schädigung begangen hat, zugleich Mehrheitsgesellschafter ist („wrongdoer c o n t r o l " ) , steht jedoch zu befürchten, dass die Anspruchsverfolgung missbräuchlich unterbleibt: D i e directors
werden, auch wenn keine Personenidentität mit dem
oder den Mehrheitsgesellschaftern besteht, k a u m geneigt sein, gegen diese vorzugehen. E b e n s o wenig wird die Gesellschafterversammlung die A n s p r u c h s verfolgung beschließen, da sie von den Mehrheitsgesellschaftern kontrolliert wird und diese - anders als in D e u t s c h l a n d (§§ 136 A b s . 1 A k t G , 47 A b s . 4 G m b H G ) - keinem S t i m m v e r b o t unterliegen 1 3 9 . I m Gegenteil werden die Mehrheitsgesellschafter geneigt sein, die schädigende G e s c h ä f t s f ü h r u n g s m a ß n a h m e zu genehmigen, um dadurch eine Anspruchsverfolgung gegen sich zu unterbinden.
schränkung aufzugeben und jeden improper purpose als Anfechtungsgrund ausreichen zu lassen; vgl. Birds (1974) 37 MLR 580 (584f.); Burridge (1981) 44 MLR 40 (52). 136 (18 43) 2 Hare 461 (491 ff.) = 67 ER 189 (202 ff.) per Wigram V.C. Näher dazu Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S.444ff.; Hannigan, Company Law, S.457ff.; Pennington, Company Law, S. 863 ff.; Kreß, Beschlusskontrolle, S. 96 ff.; Rollin, Aktionärsklage, S. 31 ff. Zu den Reformbestrebungen auf diesem Gebiet Law Commission, Shareholder Remedies, Part. 6; Company Law Review, Developing the Framework, para. 4.112 ff.; Final Report, vol. 1, para. 7.46 ff.; sowie zuletzt sec. 239 ff. CLRB-Entwurf mit dem Vorschlag einer Kodifizierung der derivative action. 137 Breckland Group Holdings Ltd. v. London and Suffolk Properties (1989) BCLC 100; Hannigan, Company Law, S. 457f. 138 Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 445. 139 Es wird aber erwogen, künftig ein solches Stimmverbot einzuführen; vgl. Company Law Review, Developing the Framework, para. 4.126; Completing the Structure, para. 5.85 und 5.101; Final Report, para. 7.46.
138
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Derartigem Missbrauch setzt der Tatbestand des fraud on the minority Schranken. Eine Genehmigung von Pflichtverletzungen der Mehrheitsgesellschafter durch sich selbst soll zwar nicht generell ausgeschlossen sein 140 . Ein fraud on the minority, der die Genehmigung der Pflichtverletzung ausschließt, liegt aber jedenfalls dann vor, wenn die Pflichtverletzung vorsätzlich war oder der Mehrheitsgesellschafter aus der pflichtwidrigen Handlung selbst einen Vorteil erlangt hat 141 . Hierunter fällt etwa die Wahrnehmung einer der Gesellschaft zustehenden Geschäftschance durch die Mehrheitsgesellschafter 142 oder die Einwirkung auf die Gesellschaft, Gegenstände des Gesellschaftsvermögens zu vergünstigten Konditionen an die Mehrheitsgesellschafter zu übertragen 143 . In solchen Fällen ist ein etwaiger Beschluss der Gesellschafterversammlung, von der Anspruchsverfolgung abzusehen oder die schädigende Handlung zu genehmigen, unbeachtlich. Dies hat zur Folge, dass in Abweichung der Regel in Foss v. Harbottle ausnahmsweise die derivative action durch die Minderheitsgesellschafter zuzulassen ist 144 . Mit der Rechtsfigur des fraud on the minority wird also ein Teilausschnitt der Fälle erfasst, in denen sich die Mehrheit auf Kosten der Gesellschaft und damit mittelbar der Minderheitsgesellschafter selbst zu bevorzugen sucht. Eine allgemeine Regel, dass Beschlüsse, die sich ungleich auf die Gesellschafter auswirken, anfechtbar sind, hat sich daraus aber nicht entwickelt. Vielmehr handelt es sich auch hier um eine Schranke von begrenzter Reichweite. Sie erstreckt sich nur auf Fälle, in denen die Mehrheit die Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft in der beschriebenen Weise missbräuchlich unterbindet.
d) „Fairness as between different
shareholders"
Die bisher genannten Schranken der Verbandsmacht gewährleisten lediglich einen begrenzten Schutz vor Ungleichbehandlungen. Dies liegt vor allem daran, dass die allgemeinste dieser Schranken, das bona fides-Prinzip, auf den Schutz vor Beeinträchtigungen des Gesellschaftsinteresses zugeschnitten ist, nicht aber Vgl. Hannigan, Company Law, S. 461. In diesem Fall ist kein Vorsatz erforderlich; vgl. Daniels v. Daniels (1978) Ch. 406 (413 f.); Hannigan, Company Law, S. 460 f. 142 Vgl. Cook V. Deeks (1916) 1 AC 554 (563 f.). 143 Vgl. Daniels v. Daniels (1978) Ch. 406 (413 f.). Für weitere Beispiele aus der Rechtsprechung s. etwa Estmanco Ltd. v. Greater London Council (1982) 1 All ER 437 (444 ff.) (Mehrheitsgesellschafter veranlasst die Gesellschaft, ihre Rechte aus einem Vertragsbruch des Mehrheitsgesellschafters nicht geltend zu machen); sowie die Übersicht bei Kreß, Beschlusskontrolle, S. 98 ff.; Bagel, Bezugsrecht, S. 132 ff. 144 Nach der Entscheidung Smith v. Croft (No. 2) (1988) Ch. 114 (183 ff.) soll dies aber nicht gelten, wenn die Mehrheit der unabhängigen Minderheitsgesellschafter gegen die Geltendmachung der Ansprüche ist. Kritisch dazu Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S.461 ff.; vgl. auch Prentice, (1988) 104 L Q R 341 (344 f.). 140 141
§ 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
139
auf den Schutz einzelner Gesellschafter. Sofern das handelnde Gesellschaftsorgan von irgendeinem Vorteil für die Gesellschaft ausgegangen ist, dieser Vorteil nicht vollends unplausibel ist und keine offensichtliche Diskriminierung ('Greenhalgb) vorliegt, ist die bonafides-Hürde genommen; eine Abwägung mit den Belangen der benachteiligten Gesellschafter findet nicht statt. In zwei älteren australischen Entscheidungen, Mills v. Mills und Peters' American Delicacy Co. Ltd. v. Health145, wurde diese Schwäche schon früh erkannt. Es gebe Situationen, in denen Belange der Gesellschaft nicht berührt seien, sondern es allein um die gerechte Verteilung zwischen einzelnen Gesellschaftergruppen gehe. In derartigen Fällen sei die Formel vom „bona fide for the benefit of the Company" für sich allein unbrauchbar und müsse deshalb durch ein anderes Kriterium ergänzt werden 146 . Eine nähere Präzisierung dieses Kriteriums erfolgte in den genannten Entscheidungen jedoch nicht. Immerhin hieß es aber, dass eine Unterdrückung („oppression") der Minderheit unzulässig sei 147 und dass Fairness zwischen den Gesellschaftern („fairness as between different shareholders") anzustreben sei 148 . Letzteres ist ab den 1970er Jahren auch in englischen Entscheidungen aufgegriffen worden 149 . Den deutlichsten Beleg für ein von den Geschäftsleitern zu beachtendes Gebot der „fairness as between different shareholders" enthält die Entscheidung Mutual Life Insurance Co. of New York v. Rank Organisation Ltd,150 Sie ist im vorliegenden Zusammenhang von besonderem Interesse, da sie sich ausdrücklich mit Fragen der Gleichbehandlung der Gesellschafter auseinandersetzt. Der Sachverhalt betraf wiederum einen Fall, in dem um die Zuteilung von Aktien aus einer Kapitalerhöhung gestritten wurde. Die Satzung der beklagten börsennotierten Gesellschaft sah vor, dass die directors befugt sein 145 Mills v. Mills 60 (1937-38) CLR 150; Peters'American Delicacy Co. Ltd. v. Health 61 (1938-39) C L R 457. Vgl. aus neuerer Zeit auch die australische Entscheidung Gambotto v. WCP Ltd. 182 (1994-95) CLR 432 mit Anm. Prentice (1996) 112 LQR 194 ff. 146 Vgl. Mills v. Mills 60 (1937-38) C L R 150 (164) per Latham C.J. zur Ausgabe neuer Aktien an die Stammaktionäre unter Ausschluss der Vorzugsaktionäre: „The question which arises is sometimes not a question of the interests of the company at all, but a question of what is fair as between different classes of shareholders. Where such a case arises some other test than that of „the interests of the company" must be applied..." Ähnlich Peters' American Delicacy Co. Ltd. v. Health 61 (1938-39) C L R 457 (481 f., 512), sowie Gambotto v. WCP Ltd. 182 (1994-95) C L R 432 (444). 147 Vgl. Peters' American Delicacy Co. Ltd. v. Health 61 (1938-39) C L R 457 (513 a.E.); ebenso Gambotto v. WCP Ltd. 182 (1994-95) CLR 432 (444). 148 Vgl. das Zitat aus Mills v. Mills oben in Fn. 146. 149 Vgl. zunächst - unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Mills v. Mills - Penneil, Sutton and Moraybell Securities Ltd. v. Venida Investments Ltd. (1974, unveröffentlicht, aber ausführlich besprochen von Burridge, [1981] 44 MLR 40ff.); ähnlich i.E. Clemens v. Clemens Bros. Ltd. (1976) 2 All ER 268 (282); dazu näher Kreß, Beschlusskontrolle, S. 102 ff.; Bagel, Bezugsrecht, S. 136ff.; Schmitthoff, ZGR 1978,447 (452). 150 (J985) B C L C 11. Die Entscheidung stammt trotz der späten Veröffentlichung bereits aus dem Jahr 1981.
2. Kapitel:
140
Grundlagen des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
sollten, die A k t i e n nach freiem E r m e s s e n zuzuteilen 1 5 1 . I n A u s ü b u n g dieser E r mächtigung entschieden sich die directors
dafür, die H ä l f t e des K o n t i n g e n t s am
M a r k t anzubieten und die andere H ä l f t e unter die bisherigen A k t i o n ä r e zu verteilen. Von dem K o n t i n g e n t f ü r die bisherigen A k t i o n ä r e sollten aber die in den U S A und Kanada ansässigen A k t i o n ä r e der Gesellschaft (die z u s a m m e n i m merhin 53 % des Kapitals hielten) ausgeschlossen bleiben, damit das A n g e b o t nicht unter die aufwändigen A n f o r d e r u n g e n der S E C und der kanadischen Wertpapieraufsicht fiel. Hiergegen wandten sich einige amerikanische A k t i o näre mit der B e g r ü n d u n g , dass die directors
zur Gleichbehandlung („equal
t r e a t m e n t " ) der A k t i o n ä r e verpflichtet seien, w o f ü r sie sich u.a. auf die halgh-Entscheidung Greenhalgh-Test
beriefen 1 5 2 . Goulding
Green-
J. ist dem zwar, o h n e sich mit dem
näher auseinanderzusetzen, nicht gefolgt. E r hat aber i m m e r -
hin klargestellt, dass dann, w e n n es um Differenzierungen zwischen verschiedenen A k t i o n ä r s g r u p p e n gehe, die directors
sich nicht nur am W o h l der Gesell-
schaft orientieren dürften. V i e l m e h r seien sie gehalten, ihre B e f u g n i s s e „fairly as between different shareholders" auszuüben 1 5 3 . Diese Fairness zwischen den Gesellschaftern verlange allerdings nicht zwingend Gleichbehandlung. U n t e r den gegebenen U m s t ä n d e n liege vielmehr t r o t z der Ungleichbehandlung keine Unfairness vor: D i e A n g e b o t s k o n d i t i o n e n seien nicht unausgewogen gewesen; auch habe kein A k t i o n ä r erwarten k ö n n e n , dass seine B e t e i l i g u n g s q u o t e f ü r i m m e r unverändert bleibe. I m Ü b r i g e n seien die betroffenen A k t i o n ä r e von dem A n g e b o t nur aufgrund einer Schwierigkeit ausgeschlossen w o r d e n , die sich aus ihrer persönlichen Situation (Wohn-/Geschäftssitz in den U S A / K a n a d a ) ergebe und nicht in den Verantwortungsbereich der Gesellschaft falle 1 5 4 . Zu demselben Ergebnis hätte m a n w o h l auch gelangen k ö n n e n , w e n n m a n den Gleichbehandlungsgrundsatz anerkannt, zugleich aber dahin eingeschränkt hätte, dass Ungleichbehandlungen durch überwiegende sachliche G r ü n d e gerechtfertigt werden k ö n n e n . Goulding
J. hat den B e g r i f f equal
treatment
aber
offensichtlich nicht in diesem eingeschränkten Sinn aufgefasst, sondern als striktes Verbot jeglicher Ungleichbehandlung. Bei diesem Verständnis ist es nicht überraschend, dass er ein derartiges Verbot abgelehnt und durch ein G e bot der Fairness ersetzt hat. E s ist gut denkbar, dass m a n ü b e r die Pflicht zur „fairness as b e t w e e n different shareholders", die k ü n f t i g auch gesetzlich verankert werden soll 1 5 5 , insge151 152
Ein gesetzliches Bezugsrecht bestand noch nicht (s. schon oben Fn. 131). Vgl. Mutual Life Insurance Co. ofNew York v. Rank Organisation Ltd. (1985) B C L C
11 (18, 2 0 f . ) .
153 Mutual Life Insurance Co. ofNew York v. Rank Organisation Ltd. (1985) B C L C 11 (21 ff.). Zur Begründung wird u.a. auf Mills v. Mills verwiesen. 154 Mutual Life Insurance Co. ofNew York v. Rank Organisation Ltd. (1985) B C L C 11 (24). 155 Vgl. sec. 156 (3) (f) CLRB-Entwurf: Danach soll die Geschäftsleiter u.a. die Pflicht treffen, „(...) to act fairly as between members of the Company."
5 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
141
samt zu ähnlichen Ergebnissen gelangt wie über einen relativ verstandenen Gleichbehandlungsgrundsatz. So wird im Schrifttum vorgeschlagen, den Fairness-Test dahin zu präzisieren, dass eine Entscheidung, die einzelne Gesellschafter bevorzuge und andere benachteilige, nur dann fair sei, wenn sich wirtschaftliche Gründe zur Rechtfertigung der Entscheidung finden ließen 156 . Dies ist nichts anderes als eine Formulierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. O b sich dieser Ansatz durchsetzt, bleibt indes abzuwarten. Da nunmehr sec. 459 C A 1985 im Vordergrund der Entscheidungspraxis steht, ist konkretisierende Rechtsprechung zum Fairness-Test nach common law bislang ausgeblieben.
3. Der Tatbestand der unfairen Benachteiligung nach sec. 459 CA 1985 a)
(„unfairprejudice")
Grundlagen
Trotz der beschriebenen Ansätze zur Entwicklung eines Prinzips der „fairness as between different shareholders" bleibt es dabei, dass das common law nur vergleichsweise zurückhaltend zum Schutz der Minderheit interveniert. Der englische Gesetzgeber reagierte hierauf zunächst mit der Vorschrift der sec. 210 C A 1948, die einen Rechtsbehelf für Fälle der „Unterdrückung" („oppression") von Minderheitsgesellschaftern vorsah. Diese Vorschrift wurde von den Gerichten indes restriktiv ausgelegt und erlangte daher kaum Bedeutung 157 . Seinen Grund hatte dies u.a. in der engen Formulierung des Tatbestands, nach der die „oppression" von solcher Intensität sein musste, dass sie zugleich die Voraussetzungen für eine Zwangsabwicklung der Gesellschaft nach sec. 222 (f) C A 1948 (= sec. 122 [1] [g] Insolvency Act 1986) erfüllte. Eine Zwangsabwicklung hatten die Gerichte aber - angesichts der drakonischen Rechtsfolge verständlich - seit jeher nur zurückhaltend zugelassen 158 . Zentrale Bedeutung für den Minderheitenschutz im englischen Gesellschaftsrecht haben erst die Nachfolgevorschriften der sec. 210 C A 1948 erlangt, zunächst sec. 75 C A 1980 und später sec. 459 C A 1985. Die Vorschrift sieht in ihrer geltenden Fassung vor, dass jeder Gesellschafter, der durch ein Verhalten der Gesellschaft unfair benachteiligt wird, das Gericht um Abhilfe ersuchen 156 So Prentice, 112 (1996) L Q R 194 (196), der den Fairness-Test von Entscheidungen der directors auf Satzungsänderungen überträgt und ausdrücklich wie folgt formuliert: „The most appropriate way forward is a rule which provides that an alteration of articles which has the effect of beneficially affecting the entitlements of some shareholders and prejudicing the entitlements of others is only valid if there are commercial reasons justifying the alteration." 157 Vgl. Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 516 f., 528; Brnos, Minority Shareholders, S. 116 ff.; Goo, Minority Shareholders, S. 15 f.; Kreß, Beschlusskontrolle, S. 109 ff. 158 Ubersicht über die Rechtsprechung bei Hannigan, Company Law, S. 441 ff.
142
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
k a n n 1 5 9 . D i e B i n d u n g an die V o r a u s s e t z u n g e n der Z w a n g s a b w i c k l u n g ist e n t fallen; z u d e m ist das M e r k m a l „oppressive" d u r c h das s c h w ä c h e r e A d j e k t i v „unfairly p r e j u d i c i a l " ersetzt w o r d e n 1 6 0 . D i e G e r i c h t e h a b e n die d a m i t v e r b u n dene A u f f o r d e r u n g des G e s e t z g e b e r s , in h ö h e r e m M a ß e als z u v o r z u m S c h u t z der M i n d e r h e i t e i n z u g r e i f e n , n i c h t u n g e h ö r t v e r k l i n g e n lassen. Sie m a c h e n von sec. 4 5 9 C A 1985 in w e s e n t l i c h g r ö ß e r e m U m f a n g G e b r a u c h als v o n sec. 210 C A 1 9 4 8 1 6 1 . B e d e u t u n g hat die V o r s c h r i f t v o r allem in p e r s o n a l i s t i s c h s t r u k t u r i e r ten private
companies
erlangt, in denen der o d e r die M e h r h e i t s g e s e l l s c h a f t e r
häufig auch G e s c h ä f t s f ü h r e r s i n d 1 6 2 . E n t s p r e c h e n d der erheblichen p r a k t i s c h e n B e d e u t u n g ist das S c h r i f t t u m zu sec. 4 5 9 C A 1985 u m f a n g r e i c h 1 6 3 .
b) Handeln
oder
Unterlassen
der
Gesellschaft
W e n d e t m a n sich den e i n z e l n e n T a t b e s t a n d s m e r k m a l e n der sec. 4 5 9 C A 1985 zu, so muss die u n f a i r e B e n a c h t e i l i g u n g z u n ä c h s t auf einer H a n d l u n g o d e r U n terlassung der Gesellschaft
b e r u h e n 1 6 4 . W e l c h e s G e s e l l s c h a f t s o r g a n gehandelt
hat, ist dabei u n e r h e b l i c h . D i e V o r s c h r i f t gilt also f ü r M a ß n a h m e n der
directors
159 Sec. 459 (1) CA 1985 lautet: „A member of a company may apply to the court by petition for an order under this Part on the ground that the company's affairs are being or have been conducted in a manner which is unfairly prejudicial to the interests of its members generally or of some part of its members (including at least himself) or that any actual or proposed act or omission of the company (including an act or omission on its behalf) is or would be so prejudicial." Der kursiv gesetzte Satzteil (Hervorhebung nicht im Original) wurde durch den CA 1989, schedule 19, para. 11, nachträglich eingefügt. Zum Hintergrund dieser Änderung unten bei Fn. 172. 160 In beiden Punkten folgte die Neuregelung den Vorschlägen des bereits 1962 erschienenen Berichts des Jenkins Committee, Report of the Company Law Committee, Rdn.201 ff. 161 Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 512, 528, bezeichnet die nunmehr interventionsfreudigere Rechtsprechung sogar als „partial revolution in judicial attitudes". 162 Nach einer Erhebung der Law Commission für die Jahre 1994 bis 1996 betrafen 97 % der Verfahren nach sec. 459 CA 1985 private companies und 82 % der Verfahren private companies mit fünf oder weniger Gesellschaftern; vgl. Law Commission, Shareholder Remedies, para. 3.13; Consultation Paper, appendix E. 163 Neben den Lehrbüchern des englischen Gesellschaftsrechts vgl. aus neuerer Zeit etwa Boros, Minority Shareholders, S. I l l f f B o y l e , Minority Shareholders, S.90f., 94 {f.; Dine, in: Perakis, Minority Shareholders, S.743 (769 ff.); Hollington, Minority Shareholders, S.57ff.; Goo, Minority Shareholders, S. 17ff.; Joffe, Minority Shareholders, S.143ff.; Prentice, in: Feldman/Meisel, Corporate and Commercial Law, S. 79 ff. Aus dem rechtsvergleichenden Schrifttum vgl. Lutter, Z G R 1998, 191 (193 ff.); H.-F. Müller, R I W 1997, 994 ff.; Kreß, Beschlusskontrolle, S. 108 ff.; Bagel, Bezugsrecht, S. 139 ff.; Busch, Minderheitsgesellschafterschutz, S. 96ff.; Rollin, Aktionärsklage, S. 89ff.; sowie aus konzernrechtlicher Perspektive Schuberth, Konzernrelevante Regelungen, S. 124 ff.; Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, S. 601 ff. 164 Vgl. dazu zuletzt Gross v. Rackind (2004) 4 All ER 735 (zur Frage, inwieweit auch Vorgänge in einer Tochtergesellschaft als unfaire Benachteiligung durch die Muttergesellschaft anzusehen sind).
§ 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
143
ebenso wie für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung 165 . Der weitaus überwiegende Teil der Verfahren betrifft allerdings Maßnahmen der directors. Akte einzelner Gesellschafter fallen dagegen, wie die Gerichte wiederholt klargestellt haben, nicht unter die Vorschrift 166 . c) Betroffenheit
in der Eigenschaft
als
Gesellschafter
Der oder die benachteiligten Gesellschafter müssen ferner gerade in ihrer Eigenschaft als Mitglied betroffen sein167. Die englischen Gerichte legen dieses Erfordernis relativ großzügig aus168. Dies zeigt sich in den (häufigen) Fällen, in denen der Gesellschafter zunächst zum director bestellt, dann aber von der Gesellschafterversammlung abberufen wird. Auf den ersten Blick scheint es so, als sei der Gesellschafter durch die Abberufung nur als Geschäftsleiter und nicht auch als Gesellschafter betroffen. In einer großen Publikumsgesellschaft, in der die directors nebenbei auch einige Aktien der Gesellschaft halten, ist in der Tat anerkannt, dass die Abberufung den Betroffenen nur in seiner Eigenschaft als director trifft; seine Interessen als Aktionär lassen sich hiervon leicht trennen 169 . In kleinen Gesellschaften, in denen die Geschäftsführer zugleich in erheblichem Umfang als Gesellschafter beteiligt sind, fällt eine derartige Trennung dagegen schwerer. Häufig wird es hier - auch ohne ausdrückliche Abrede - so liegen, dass die Parteien beim Eintritt des Gesellschafters einvernehmlich davon ausgegangen sind, dass der Gesellschafter während der Dauer seiner Mitgliedschaft auch an der Geschäftsführung teilnimmt. In diesen Fällen gehen die Gerichte davon aus, dass der Betroffene durch die gleichwohl erfolgte Abberufung als director zugleich auch in seiner Eigenschaft als Gesellschafter beeinträchtigt wird 170 .
Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 511; Kreß, Beschlusskontrolle, S. 115 f. Vgl. etwa Re Legal Costs Negotiators Ltd. (1999) 2 BCLC 171; Hannigan, Company Law, S. 413 f. Schwierigkeiten bereitet diese Abgrenzung bisweilen in Konzernsachverhalten; näher dazu Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftung, S. 605 f. 167 Zur Parallelfrage im deutschen Recht unten § 9 I. 168 O'Neill v. Phillips (1999) 2 BCLC 1 (15) per Lord Hoffmann: ,,[T]he requirement that prejudice must be suffered as a member should not be too narrowly or technically construed." Vgl. auch Hannigan, Company Law, S. 415; J o f f e , Minority Shareholders, S. 158 f. 169 Vgl. Re a company (No. 00477 of 1986) (1986) BCLC 376 (379). 170 Vgl. etwa Rea company (No. 00477 of1986) (1986) BCLC 376 (378 ff.); Tay Bok Choon v. Tahanson Sdn Bhd (1987) BCLC 472 (474 f.); R&H Electric v. Haden Bill Electrical (1995) 2 BCLC 280 (292 ff.). Restriktiver noch die Rechtsprechung zu sec. 210 CA 1948; vgl. Ebrahimi v. Westhourne Galleries Ltd. (1972) 2 All ER 492 (505); Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 516. 165
166
144 d)
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Benachteiligung
Der klagende Gesellschafter muss durch das Verhalten der Gesellschaftsorgane einen Nachteil („prejudice") erlitten haben, oder es muss ein solcher Nachteil drohen. Dabei muss der Gesellschafter nicht unmittelbar in seinen eigenen mitgliedschaftlichen Interessen betroffen sein. Vielmehr werden auch Fälle erfasst, in denen unmittelbar nur die Gesellschaft geschädigt wird, der Nachteil für den Gesellschafter also nur mittelbar entsteht171. Dass in diesen Fällen formal alle Gesellschafter gleichmäßig beeinträchtigt werden, steht der Anwendung der sec. 459 CA 1985 nicht entgegen 172 . Der Nachteil wird häufig in einer Werteinbuße des Gesellschaftsvermögens oder der Beteiligung des Gesellschafters bestehen. Zwingend erforderlich ist dies allerdings nicht; es genügen auch Beeinträchtigungen mitgliedschaftlicher Interessen, die sich nicht in einer Werteinbuße niederschlagen 173 , etwa die Hinauszögerung einer von der Minderheit beantragten Gesellschafterversammlung 174 . Allerdings soll es nicht genügen, wenn der Nachteil nur ganz geringfügig ist175. e)
Unfairness
Die Hauptschwierigkeit bei der Anwendung der sec. 459 CA 1985 besteht naturgemäß in der Beantwortung der Frage, ob der erlittene Nachteil auch unfair ist. Unstreitig ist, dass es sich um einen objektiven Test handelt, Kenntnis des handelnden Gesellschaftsorgans von der Unfairness also nicht erforderlich ist176. Entschieden worden ist auch, dass Unfairness ausscheidet, wenn der Benachteiligte dem angegriffenen Verhalten zuvor zugestimmt oder trotz Kennt171 Vgl. etwa Re Macro (Ipswich) Ltd. (1994) 2 BCLC 354 (404) per Arden/.: „As the conduct is prejudicial in a financial sense to the companies' interests, it must also be prejudicial to the interests of the plaintiffs as holders of its shares." Zu den dadurch entstehenden Konkurrenzfragen im Verhältnis zur abgeleiteten Gesellschafterklage Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 513 ff.; Hannigan, Company Law, S. 433 f. 172 Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 513; J o f f e , Minority Shareholders, S. 157. Die Frage war früher umstritten, vgl. die Nachw. bei Davies und J o f f e aaO. Dieser Streit ist aber seit einer Gesetzesänderung aus dem Jahr 1989 entschieden: Seitdem spricht der Wortlaut der sec. 459 (1) C A 1985 eindeutig von „unfairly prejudicial to the interests of its members generally or of some part of its members". 173 Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 523; Hannigan, (1988) L M C L Q 60 (67); J o f f e , Minority Shareholders, S. 163; Schuberth, Konzernrelevante Regelungen, S. 128. 174 McGuiness v. Bremner pic (1988) B C L C 673 (679). 175 Vgl Re Saul D. Harrison & Sonspic (1995) 1 BCLC 14 (18) per Hoffmann L.J. („[T]rivial or technical infringements of the articles were not intended to give rise to petitions under sec. 459"). 176 Re Saul D. Harrison & Sons pic (1995) 1 B C L C 14 (17); Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 523; Hannigan, Company Law, S. 414.
5 7 Rechtsvergleichende
145
Grundlagen
nis nicht widersprochen hat 1 7 7 . Jenseits dieser Prämissen waren die G r e n z e n des Tatbestands zunächst lange Zeit fließend, d o c h n i m m t der B e g r i f f der U n f a i r ness spätestens seit der Grundsatzentscheidung des House v. Phillipsl7S House
of Lords
in
O'Neill
aus dem J a h r 1999 inzwischen schärfere K o n t u r e n an. S o hat das
of Lords
die in früheren Entscheidungen anzutreffende, dehnbare F o r -
mulierung, dass Unfairness bereits dann a n z u n e h m e n sei, wenn berechtigte E r w a r t u n g e n („legitimate expectations") des Gesellschafters enttäuscht würden, ausdrücklich verworfen 1 7 9 . D e r A n t r a g des Minderheitsgesellschafters
O'Neill,
dem der Mehrheitsgesellschafter und G e s c h ä f t s f ü h r e r (Phillips) mehrfach in Aussicht gestellt, aber niemals verbindlich zugesagt hatte, O'Neills
Beteiligung
an der Gesellschaft von 25 % auf 50 % aufzustocken, hatte deshalb keinen E r folgN a c h O'Neill
v. Phillips
soll eine unfaire Benachteiligung fortan - jedenfalls
grundsätzlich („ordinarily") 1 8 0 - nur n o c h unter zwei alternativen Voraussetzungen zu bejahen sein: E s muss sich entweder (1.) u m eine M a ß n a h m e handeln, die die gesellschaftsvertraglichen R e c h t e des Gesellschafters verletzt, d.h. rechtswidrig ist, oder (2.) u m eine M a ß n a h m e , die z w a r formal-rechtlich zulässig, nach den Regeln der equity
aber treuwidrig ist 1 8 1 . Diese zweite Kategorie
k o m m t nur bei solchen Gesellschaften in B e t r a c h t , die überhaupt den Regeln der equity
unterstehen. Dies sind nach der Spruchpraxis der englischen G e r i c h t e
lediglich personalistische Gesellschaften ( q u a s i - p a r t n e r s h i p s ) , die typischerweise dadurch gekennzeichnet sind, dass ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen den Gesellschaftern besteht, die Gesellschafter zugleich als G e schäftsführer fungieren und die U b e r t r a g b a r k e i t der Anteile b e s c h r ä n k t ist 1 8 2 . 177 Jesnerv.Jarrad Properties Ltd. (1993) BCLC 1032 (1036 f.); Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 523. 178 ( 1 9 9 9 ) 2 BCLC 1; dazu etwa Clark, (1999) SLT 321 ff.; Goddard, (1999) CLJ 487 ff.; ders., (1999) 20 Comp. Law. 333 ff.; Hood, (2000) Jur. Rev. 357ff.; Payne/Prentice, (1999) 115 LQR 587 ff. Der Company Law Review, Final Report, vol. 1, para. 7.41, hat sich ausdrücklich dafür ausgesprochen, an dieser Entscheidung festzuhalten. Eine Reform durch den Gesetzgeber ist daher in diesem Bereich gegenwärtig nicht zu erwarten; näher Hannigan, Company Law, S. 435 f.; Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 520. 179 O'Neill v. Phillips (1999) 2 BCLC 1 (11) per Lord Hoffmann. 180 Mit dieser Einschränkung lässt das House of Lords eine Hintertür offen, die es ermöglicht, in besonderen Ausnahmefällen auch über die beiden folgenden Kategorien der Unfairness hinauszugehen; vgl. Goddard (1999) 20 Comp. Law. 333 (335). 181 O'Neill v. Phillips (1999) 2 BCLC 1 (7f.) per Lord Hoffmann: „The first of these two features leads to the conclusion that a member of a company will not ordinarily be entitled to complain of unfairness unless there has been some breach of the terms on which he agreed that the affairs of the company should be conducted. But the second leads to the conclusion that there will be cases in which equitable considerations make it unfair for those conducting the affairs of the company to rely upon their strict legal powers. Thus unfairness may consist in a breach of the rules or in using rules in a manner which equity would regard as contrary to good faith." 182 Vgl. Ehrahimiv. Westbourne Galleries Ltd. (1972) All ER 492 (500); O'Neill v. Phillips
146
2. Kapitel:
Grundlagen des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
In Gesellschaften, die diesem Typus nicht entsprechen, insbesondere also P u b likumsgesellschaften, scheidet eine B e g r ü n d u n g der U n f a i r n e s s durch
equity-
E r w ä g u n g e n dagegen von vornherein aus 1 8 3 . aa) D i e erste Kategorie (Rechtsverletzung) war in O'Neill
v. Phillips
nicht
einschlägig und wird deshalb in dem U r t e i l nicht weiter entfaltet. E s besteht aber Einigkeit, dass hierunter z u m einen Verstöße gegen die Satzung, z u m anderen aber auch Verletzungen gesetzlicher Gesellschafterrechte sowie V e r s t ö ß e gegen die oben behandelten S c h r a n k e n des common
law fallen 1 8 4 . N i c h t hierher
gehört dagegen die N i c h t e i n h a l t u n g informeller Absprachen zwischen den G e sellschaftern, die in der Satzung keinen Niederschlag gefunden haben; diese können lediglich in der zweiten Kategorie nach equity-Grundsätzen sichtigung
Berück-
finden185.
D a auch Verstöße gegen das common
law erfasst werden, kehren an dieser
Stelle alle Fallgruppen wieder, die bereits durch die oben dargestellten S c h r a n ken erfasst werden. Schon vor O'Neill
v. Phillips
war anerkannt, dass derartige
Verstöße zugleich als unfaire Benachteiligung i.S. der sec. 4 5 9 C A 1985 anzusehen sind. Typische Beispiele aus der Rechtsprechung bilden verdeckte V e r m ö genszuwendunggen an den Mehrheitsgesellschafter (Verletzung des bona Prinzips bzw. fraud
on the minority)nb
oder Verstöße gegen das proper
fidespurpose-
Prinzip bei der Zuteilung neuer A k t i e n aus Kapitalerhöhungen 1 8 7 . I m S c h r i f t t u m ging man j e d o c h davon aus, dass der Anwendungsbereich der sec. 4 5 9 C A 1985 wesentlich über diese bereits durch die S c h r a n k e n des common Fälle hinausreiche 1 8 8 . N a c h O' Neill
v. Phillips
law
erfassten
wird m a n diese E i n s c h ä t z u n g
(1999) 2 BCLC 1 (12); Hannigan, Company Law, S.421. Es müssen nicht unbedingt alle Kriterien kumulativ erfüllt sein, um die Gesellschaft als „quasi-partnership" einzustufen; vgl. Ebrahimiv. Westbourne Galleries Ltd. aaO. 183 So auch schon Re Astec (BSR)plc. (1998) 2 BCLC 556 (589); ferner Hannigan, Company Law, S. 425. 184 Vgl. Hannigan, Company Law, S.418 ff.-, Joffe, Minority Shareholders, S. 166 f.; ferner Re Saul D. Harrison & Sons plc (1995) 14 (18), wo Hoffmann L.J. (später Lord Hoffmann) Verstöße der directors gegen das bona fides- und das proper purpose-Vrmxip als Verletzung der Vertragsbeziehung zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft bezeichnet: „[The powers of the board] must be exercised for the benefit of the company as a whole. If the board act for some ulterior purpose, they step outside the terms of the bargain between the shareholders and the company." 185 S. unten lit. bb . 186 Vgl. etwa Re Little Olympian Each Ways Ltd. (No. 3) (1995) 1 BCLC 636; Re Brenfield Squash Racquets Club Ltd. (1996) 2 BCLC 184; dazu Hannigan, Company Law, S. 418 f. 187 Vgl. etwa Rea Company (No. 002612/84) (1985) BCLC 80 (kein Bezugsrechtsausschluss, es war aber bekannt, dass dem Minderheitsgesellschafter die Mittel fehlten, an der Erhöhung teilzunehmen; dies wollte die Mehrheit ausnutzen); Re a Company (No. 005134/86), ex parte Harries (1989) BCLC 383 (Bezugsrechtsausschluss nur deshalb, um die Beteiligungsquote des Mehrheitsgesellschafters zu erhöhen); Re Regional Airports Ltd. (1999) 2 BCLC 30 (72 f.) (Kapitalerhöhung zu dem Zweck, die Minderheitsgesellschafter zur Veräußerung ihrer Anteile zu bewegen). 188 Vgl. Hannigan, (1988) LMCLQ 60 (73 ff.); Bagel, Bezugsrecht, S. 143 f. m.w.Nachw.
§ 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
147
für Gesellschaften, die nicht personalistisch strukturiert sind und deshalb nicht unter die sogleich zu behandelnde zweite Kategorie fallen, relativieren müssen. Unfairness unterhalb der Schwelle der Rechtswidrigkeit scheidet bei diesen Gesellschaften zumindest unter gewöhnlichen Umständen („ordinarily"; s.o.) aus189. Dahinter steht offenbar die Überlegung, dass die Mitglieder in Gesellschaften mit großem Gesellschafterkreis und fungiblen Anteilen weniger schutzbedürftig sind als in quasi-partnerships, da sie sich der Beeinträchtigung ohne Weiteres durch Veräußerung ihrer Anteile entziehen können 190 . bb) Die zweite Kategorie der Unfairness (Verstoß gegen die Gebote der equity) kommt nach dem Gesagten nur bei personalistischen Gesellschaften in Betracht. Sie betrifft Maßnahmen der Gesellschaft, die zwar mit Satzung, Gesetz und den nach common law bestehenden Schranken formal vereinbar sind, die sich aber dennoch als treuwidrige Rechtsausübung darstellen. Auch wenn eine abschließende Definition nicht gegeben und auch nicht angestrebt wird, beschreibt das Urteil immerhin zwei Fallgruppen, in denen dies zu bejahen ist: zum einen Fälle, in denen es infolge einer grundlegenden Veränderung der Umstände unbillig sei, die Minderheit zu unveränderten Konditionen an der Gesellschaft festzuhalten191, und zum anderen Fälle, in denen die angegriffene Maßnahme dem widerspricht, was die Gesellschafter zwar nicht ausdrücklich in der Satzung verankert haben, worüber aber beim Eintritt in die Gesellschaft oder zu einem späteren Zeitpunkt gleichwohl (stillschweigend) Einvernehmen zwischen allen Gesellschaftern bestand192. In der Spruchpraxis steht die letztgenannte Fallgruppe ganz im Mittelpunkt. Gerade in kleinen Gesellschaften begegnet es häufig, dass die Gesellschafter aus Kostengründen, oder weil sie einander persönlich gut kennen, nur eine Standardsatzung verwenden und darauf verzichten, die Modalitäten ihrer Zusammenarbeit im Detail schriftlich auszuarbeiten193. Gelingt es dem benachteiligten Gesellschafter, ein derartiges 189 See. 459 CA 1985 büßt dadurch für Publikumsgesellschaften zwar an Bedeutung ein, wird aber auch für diese keineswegs bedeutungslos. Ein Vorgehen nach sec. 459 CA 1985 hat gegenüber den Anfechtungsmöglichkeiten des common law insbesondere den Vorteil, dass die Rechtsfolgen von Verstößen gegen sec. 459 CA 1985 ins Ermessen des Gerichts gestellt sind und deshalb auf die Situation des Einzelfalls zugeschnitten werden können; vgl. unten Ziff. 4. 190 Vgl. schon Prentice, (1988) 8 OxJLS 55 (60 f.). 191 O'Neill v. Phillips (1999) 2 BCLC 1 (11). Damit sind offenbar vor allem solche Situationen gemeint, die hierzulande dem Wegfall der Geschäftsgrundlage zuzuordnen wären. Das House of Lords zieht eine Analogie zur „contractual frustration", die u.a. Fälle unseres Wegfalls der Geschäftsgrundlage betrifft; vgl. Henrich/P. Huber, Englisches Privatrecht, S. 70 ff. 192 Vgl. O'Neill v. Phillips (1999) 2 B C L C 1 (10f.); zuvor auch schon Re SaulD. Harrison Sons plc (1995) 1 BCLC \4 (19) per Hoffmann L.J.: „(...) a fundamental understanding between the shareholders which formed the basis of their association but was not put in contractual form." S.dazu auch Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 518 ff.; Hannigan, Company Law, S. 421 ff. 193 Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S. 518.
148
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Einvernehmen nachzuweisen, wird eine dem widersprechende Maßnahme als unfair angesehen, sofern sich nicht besonders triftige Gründe finden lassen, von dem ursprünglichen Einvernehmen abzugehen. Das Paradebeispiel aus der Rechtsprechung bilden die häufigen Fälle, in denen die Gesellschafter einvernehmlich davon ausgegangen sind, dass sie während ihrer Mitgliedschaft in der Gesellschaft zugleich dem board of directors angehören, später aber doch als Geschäftsleiter abberufen werden194. In diesen Fällen bejahen die Gerichte auch dann, wenn die Satzung keine Einschränkungen hinsichtlich der Abberufung vorsieht, regelmäßig eine unfaire Benachteiligung195. Entsprechend wird auch in anderen Fallgruppen verfahren. Wenn der Minderheitsgesellschafter nachweisen kann, dass bei seinem Eintritt Einvernehmen darüber bestand, dass er regelmäßig an den Erträgen der Gesellschaft partizipieren würde, soll eine gleichwohl beschlossene Thesaurierung außerordentlich hoher Teile des Ertrags ebenfalls eine unfaire Benachteiligung darstellen196. Diese Beispiele zeigen, dass es der Rechtsprechung letztlich darum geht, der in der Satzung nur unvollständig zum Ausdruck gekommenen vertraglichen Einigung der Gesellschafter Wirkung zu verschaffen. Man spricht deshalb von einem „contractual approach" 197 . Dasselbe Ergebnis könnte man auch erzielen, wenn man bei personalistischen Gesellschaften bereits die Satzung nicht nur aus sich heraus, d.h. objektiv, auslegen würde, sondern auch die nicht im Wortlaut angedeuteten Vereinbarungen der Parteien in die Satzung hineinlesen würde198. At law wird die Satzung einer Kapitalgesellschaft jedoch traditionell - ebenso wie nach h.M. in Deutschland 199 - objektiv ausgelegt200. Der Bruch einer nicht ausdrücklich in die Satzung aufgenommenen Abrede stellt daher keinen Satzungsverstoß dar (und fällt deshalb nicht unter die o.g. erste Kategorie der Unfairness). Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass über den 194 Nach dem Bericht der Law Commission, Shareholder Remedies, para. 3.13, hatten in den Jahren 1994 bis 1996 64 % der Verfahren nach sec. 459 CA 1985 die Abberufung von Geschäftsführern zum Gegenstand. 195 Der Vorwurf der Unfairness entfällt nur dann, wenn besondere Umstände (z.B. erhebliches Fehlverhalten des directors) die Abberufung rechtfertigen oder die Abberufung mit dem Angebot verbunden wird, zu angemessenen Konditionen aus der Gesellschaft auszuscheiden; Ubersicht über die Rechtsprechung bei Hannigan, Company Law, S. 422 f. 196 Vgl. Quinlan v. Essex Hinge Co. Ltd. (1996) 2 B C L C 417 (427); Hannigan, Company Law, S. 423 f. 197 Davies, in: Gower/Davies, Company Law, S.519; ders., in: Palmer's Company Law, Rdn. 8.906.4. 198 Dies erkennt auch Lord Hoffmann in O'Neill v. Phillips (1999) 2 B C L C 1 (10): „another approach (...) might be simply to take a less literal view of,legal' construction." 199 Vgl. Ulmer, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, §2 Rdn. 138 ff., 143 ff.; Röhricht, in: Großkomm. AktG, §23 Rdn. 29 ff.; jeweils m.w.Nachw. 200 Vgl. Hannigan, Company Law, S. 115 f.: In der Satzung nicht angedeutete Umstände bleiben für die Auslegung außer Betracht.
5 7 Rechtsvergleichende
149
Grundlagen
U m w e g der equity bei personalistischen Gesellschaften letztlich doch ein E r gebnis erreicht wird, dass einer subjektiven Auslegung der Satzung nahe k o m m t : Zwar liegt formal kein Satzungsverstoß vor; die Mehrheit ist aber durch die G e b o t e der equity daran gehindert, von ihrer formal gegebenen B e f u g n i s uneinges c h r ä n k t G e b r a u c h zu machen. I m Ergebnis erinnert dies an die (umstrittene) R e c h t s p r e c h u n g des B G H , nach der außerhalb der Satzung getroffene schuldrechtliche N e b e n a b r e d e n auch von den Gesellschaftsorganen zu beachten sind, solange der Gesellschaft nur die aus der Abrede verpflichteten Gesellschafter angehören 2 0 1 . cc) Fasst m a n z u s a m m e n , lässt sich die U n f a i r n e s s i.S. der sec. 459 C A 1985 wie folgt beschreiben: Bei kapitalistischen Gesellschaften geht der B e g r i f f der Unfairness unter gewöhnlichen U m s t ä n d e n ( „ o r d i n a r i l y " ) nicht über das h i n aus, was bereits nach Satzung, G e s e t z und den S c h r a n k e n des common
law un-
zulässig ist. B e i personalistischen Gesellschaften k a n n sich die Unfairness darüber hinaus auch aus E r w ä g u n g e n der equity
ergeben, insbesondere dann,
w e n n die M a ß n a h m e im Widerspruch zu (informellen) Abreden zwischen den Gesellschaftern steht. E i n dem Gleichbehandlungsgrundsatz u n m i t t e l b a r vergleichbares Prinzip, dass Ungleichbehandlungen durchgehend dem Erfordernis einer besonderen sachlichen Rechtfertigung unterstellt, hat sich dagegen auch im R a h m e n der sec. 459 C A 1985 bisher nicht herausgebildet.
4. Sanktionen von Verstößen E i n erheblicher Unterschied zwischen den S c h r a n k e n der Verbandsmacht nach common
law und sec. 4 5 9 C A 1985 liegt in den Rechtsfolgen von etwaigen V e r -
stößen. N a c h common
law sind die Möglichkeiten des Gesellschafters begrenzt:
W i r d er u n m i t t e l b a r persönlich in seinen R e c h t e n verletzt, k a n n er die betreffende M a ß n a h m e des Gesellschaftsorgans aus eigenem R e c h t durch Klage gegen die Gesellschaft anfechten bzw. vorbeugend Unterlassung verlangen 2 0 2 . F ü h r t der Verstoß zu einer Schädigung des Gesellschaftsvermögens, ist der einzelne Gesellschafter dagegen nach der Regel in Foss v. Harbottle
grundsätzlich
weder aus eigenem n o c h aus abgeleitetem R e c h t klagebefugt 2 0 3 . E i n e A u s n a h m e gilt im Wesentlichen nur in den dargestellten Fällen des „fraud on the m i n o -
201 Vgl. B G H N J W 1983, 1910 (1911); N J W 1987, 1890 (1892); in der Literatur sehr str., vgl. die Nachw. in § 9 Fn. 41. 202 Näher Hannigan, Company Law, S. 451 ff. Dagegen sind Schadensersatzanprüche in diesen Fällen bisher nicht zugesprochen worden. Der Company Law Review, Final Report, vol. 1, para. 7.59 a.E., will Schadensersatz bei Verstößen der Gesellschafterversammlung gegen das bona fides-Prinzip vielmehr ausdrücklich ausschließen. 203 Foss v. Harbottle (1843) 2 Hare 461 (491 ff.) = 67 ER 189 (202 ff.) per Wigram VC. S. dazu bereits die Nachw. in Fn. 136.
150
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
rity", in denen der Gesellschafter eine abgeleitete Gesellschafterklage erheben darf 204 . Diese richtet sich stets auf Leistung in das Gesellschaftsvermögen 205 . Demgegenüber sind die Rechtsfolgen der sec. 459 CA 1985 in das Ermessen des Gerichts gestellt 206 , was flexible, auf den Einzelfall zugeschnittene Lösungen ermöglicht. Die am häufigsten beantragte 207 und auch gewährte Rechtsfolge bilden sog. „purchase Orders", d.h. Anordnungen des Gerichts, dass die Gesellschaft oder der Mehrheitsgesellschafter die Anteile des unfair benachteiligten Gesellschafters gegen angemessene Barabfindung übernehmen muss 208 . In seltenen Ausnahmefällen kann dem Minderheitsgesellschafter auch das Recht zugesprochen werden, seinerseits die Anteile des Mehrheitsgesellschafters aufzukaufen 2 0 9 . Neben den „purchase Orders" kann das Gericht aber auch vielfältige andere Anordnungen treffen: Es kann der Gesellschaft f ü r die Zukunft konkrete Maßnahmen vorschreiben 210 , es kann der Gesellschaft aufgeben, einen bestimmten Beschluss aufzuheben oder zu unterlassen 211 oder sonstige geeignete Maßnahmen zur Beseitigung der unfairen Benachteiligung veranlassen 212 .
5. Fazit zum englischen Recht Insgesamt bleibt es nach alledem bei dem - wenn man die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben bedenkt - überraschenden und zugleich ernüchternden Befund, dass das englische Recht in der Entwicklung eines Gleichbehandlungsgrundsatzes über einzelne Ansätze (insbesondere Greenhalgh v. Arderne Cinemas Ltd. [No. 2]) nicht hinausgekommen ist. Zwar lassen sich mit den im common law entwickelten Schranken und der heute im Vordergrund stehenden Generalklausel des unfairprejudice (sec. 459 CA 1985) der Sache nach viele Ungleichbehandlungen kontrollieren. Das Aufgreifkriterium der Ungleichbe204 S. oben Ziff. 2 c. Zu weiteren eng begrenzten Ausnahmen Rollin, Aktionärsklage, S. 39 ff. 205 Hannigan, C o m p a n y Law, S. 458. 206 Sec. 461 (1) C A 1985: „If the court is satisfied that a petition under this Part is well founded, it may make such order as it thinks fit for giving relief in respect of the matters complained of." 207 Nach Law Commission, Shareholder Remedies, para. 3.13, in 69 % der Fälle (Zeitraum 1994 bis 1996). 208 Yg] s e c (2) (d) C A 1985; dazu Davies, in: Gower/Davies, C o m p a n y Law, S. 525 f.; Hannigan, Company Law, S. 430 ff.; Joffe, Minority Shareholders, S. 209 ff. 209 Vgl. Rea Company (No. 00789/87) (1990) B C L C 384; Re Brenfield Squash Racquets Club Ltd. (1996) 2 B C L C 1 8 4 - J o f f e , Minority Shareholders, S. 209. 210 Vgl. McGuinness v. Bremnerplc (1988) B C L C 673: Anordnung, an einem bestimmten Tag eine vom Minderheitsgesellschafter beantragte Gesellschafterversammlung abzuhalten. 211 Vgl. etwa Re Whyte, Petitioner (1984) SLT 330: Untersagung einer Gesellschafterversammlung, auf der der Antragsteller als director abberufen werden sollte. 212 Vgl. die (nicht abschließende) Aufzählung in sec. 461 (2) C A 1985.
§ 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
151
handlung spielt dabei jedoch keine tragende Rolle. Als Vorbild für eine effektive Handhabung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann das englische Recht somit nicht dienen. Das schließt freilich nicht aus, den dargestellten funktionalen Äquivalenten des Gleichbehandlungsgrundsatzes im englischen Recht zumindest punktuell Anregungen zu entnehmen, die für die Auslegung des Grundsatzes auch hierzulande von Interesse sein können. Hierauf wird zurückzukommen sein 213 .
III. Niederlande, Österreich, Schweiz 1. Allgemeines Im Gegensatz zu den bisher betrachteten ausländischen Rechtsordnungen hat man in den Niederlanden und in Osterreich die Richtlinienvorgaben zum Anlass genommen, den Gleichbehandlungsgrundsatz ebenso wie in Deutschland ausdrücklich in das Gesetz aufzunehmen. In den Niederlanden wurde das Gleichbehandlungsgebot (gelijkheidsbeginsel) 1981 zunächst in Reaktion auf die Kapital-RL in art. 2:92 Abs. 2 B W für die der AG vergleichbare N V kodifiziert 214 . Eine gleich lautende Vorschrift führte man wenige Jahre später auch für die GmbH-ähnliche BV ein (art. 2:201 Abs. 2 BW) 2 1 5 . Daneben findet sich der Gleichbehandlungsgrundsatz auch in den Börsenzulassungsregeln wieder (art. 26 fondsenreglement). In Osterreich nahm zunächst das BörseG von 1989 - inspiriert durch die Börsenzulassungs-RL - den Gedanken auf und verpflichtete die Emittenten amtlich notierter Aktien zur Gleichbehandlung ihrer Aktionäre (§ 83 Abs. 1 BörseG) 2 1 6 . Seit 1996 stellt darüber hinaus der mit § 53a A k t G identische §47a österr. AktG 2 1 7 in Umsetzung von Art. 42 Kapital-RL klar, dass Vgl. etwa unten § 9 14 b bb , § 14 I 3 b. Art. 2:92 Abs. 2 BW lautet: „Die Aktiengesellschaft muss die Aktionäre (...), die sich in gleichen Umständen befinden, gleich behandeln." (Übersetzung nach Loeff u.a., Niederländisches Gesellschaftsrecht, S. 96). 215 Nicht zu verwechseln mit dem hier interessierenden Gleichbehandlungsgrundsatz als Schranke der Verbandsmacht ist die in art. 2:92 Abs. 1 und 2:201 Abs. 1 BW enthaltene Regelung, der zufolge mit allen Aktien bzw. Geschäftsanteilen im Verhältnis zu ihrem Betrag gleiche Rechte und Pflichten verbunden sind, sofern die Satzung nichts anderes bestimmt. Diese Vorschriften bringen lediglich das Auslegungsprinzip der Gleichberechtigung zum Ausdruck, keine Schranke der Verbandsmacht; s. zu dieser Unterscheidung oben § 1 II 1 und 2 b. 2 , 6 § 83 Abs. 1 BörseG lautet: „Aktiengesellschaften, deren Aktien amtlich notieren, müssen allen ihren Aktionären die gleiche Behandlung bezüglich der mit dem Aktienbesitz verbundenen Rechte sicherstellen, sofern nicht auf Grund der besonderen Art einer Kategorie von Aktien oder auf Grund besonderer Verhältnisse einer Gruppe von Aktionären eine abweichende Behandlung aller Aktionäre, die sich in solchen besonderen Verhältnissen befinden, gerechtfertigt ist." 2 1 7 Eingeführt durch das EU-Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz, OBGB1. 1996/304. Ein inhaltlicher Unterschied zu der ausführlicheren Formulierung in §83 Abs. 1 BörseG 213 214
152
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
auch alle übrigen Aktiengesellschaften den Gleichbehandlungsgrundsatz beachten müssen. Wie in Deutschland beschränkt sich die Kodifizierung auf das Aktienrecht; gleichwohl gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz unstreitig rechtsformübergreifend 218 . Daneben finden sich auch in der Schweiz seit 1992 Vorschriften über den Gleichbehandlungsgrundsatz: Art. 706 Abs. 2 Nr. 3 (i.V.m. Art. 808 Abs. 6) OR sieht vor, dass Beschlüsse der General- bzw. Gesellschafterversammlung einer AG oder GmbH anfechtbar sind, wenn sie „eine durch den Gesellschaftszweck nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung oder Benachteiligung der Aktionäre [Gesellschafter] bewirken." 219 Art. 717 Abs. 2 OR fügt dem hinzu, dass auch die Mitglieder des Verwaltungsrats zur Gleichbehandlung der Aktionäre verpflichtet sind 220 . Der Entwurf einer GmbH-Reform enthält zudem die Klarstellung, dass Entsprechendes auch für die Geschäftsführer einer GmbH gilt 221 . In allen drei Ländern war der Gleichbehandlungsgrundsatz bereits vor seiner Kodifizierung anerkannt 222 . Eine bedeutende Rolle hat der Grundsatz vor allem in der Schweiz gespielt. Das Bundesgericht nahm nämlich lange Zeit an, dass der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz eine lex specialis des in Art. 2 ZGB statuierten allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots darstelle, die dessen Anwendung derogiere. Der Gleichbehandlungsgrundsatz wurde also als abschließend betrachtet; neben ihm sollte sich jegliche weitere Prüfung des Rechtsmissbrauchsverbots erübrigen 223 . Erst im Jahr 1976 korrigierte das Bundesgericht diese Auffassung: Das Gleichbehandlungsgebot konkretisiere
wird darin nicht gesehen; vgl. Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 38; dies., in: Doralt/Nowotny/Kalss, AktG, §47a Rdn. 6. 218 Vgl. nur Hämmerle/ Wünsch, Handelsrecht II, §411 (S. 25); Kastner/Doralt/Nowotny, Gesellschaftsrecht, A III 1 (S. 13); für die GmbH Koppensteiner, GmbHG, §41 Rdn. 30, sowie die in Fn. 222 angeführte Rechtsprechung, die ganz überwiegend zur GmbH ergangen ist. 219 Speziell für den Bezugsrechtsausschluss wird das Gleichbehandlungsgebot in Art. 652b Abs. 2 Satz 3 OR noch einmal ausdrücklich wiederholt: „Durch die Aufhebung des Bezugsrechts darf niemand in unsachlicher Weise begünstigt oder benachteiligt werden." 220 „Sie [seil, die Mitglieder des Verwaltungsrats] haben die Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln." 221 Art. 813 OR-E: „Die Geschäftsführer sowie Dritte, die mit der Geschäftsführung befasst sind, haben die Gesellschafter unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln." Vgl. dazu auch die Entwurfsbegründung in BB1. 2002, 3148 (3214 f.). 222 Vgl. für die Niederlande Vletter-van Dort, Gelijke behandeling, S. 11 ff.; für Osterreich OGH SZ 29/52, S. 157 (158); 37/35, S. 119 (121); 38/87, S. 277 (279); 52/158, S. 770 (775 f.); 53/172, S. 779 (783f.); 54/15, S.76 (81); Bydlinski, Gleichheitsgrundsatz, S.9f., 2 0 f f D o r a l t / Winner, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 37; für die Schweiz BGE 69 II 246 (248 ff.); 76 II 51 (74 f.); 88 II 98 (105); 91 II 298 (300f.); 93 II 393 (397, 406); 95 II 157 (162 f.); 99 II 55 (58); 102 II 265 (267); 117 II 290 (312); Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 5 ff. 223 BGE 69 II 246 (249 f.); 95 II 157 (163); offen gelassen in BGE 99 II 55 (62 f.).
5 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
153
zwar Art. 2 ZGB, vermöge aber den Anwendungsbereich des Rechtsmissbrauchsverbots nicht vollständig abzudecken 224 . 2. Reichweite a) Persönlicher
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Anwendungsbereich
Wie hierzulande wird auch in den Niederlanden und Osterreich allein die Gesellschaft als Gleichbehandlungsverpflichtete angesehen 225 . In der Schweiz sind daneben auch die einzelnen Mitglieder des Leitungsorgans persönlich und unmittelbar gegenüber den Gesellschaftern zur Gleichbehandlung verpflichtet 226 . Hierfür spricht der Wortlaut von Art. 717 Abs. 2 OR und Art. 813 OR-E, der unmittelbar an die Verwaltungsratsmitglieder bzw. Geschäftsführer anknüpft. Bedeutung hat diese Ausdehnung des Kreises der Gleichbehandlungsverpflichteten für die Frage der persönlichen Haftung der Organwalter unmittelbar gegenüber den Gesellschaftern 227 . Eine Gleichbehandlungspflicht im Verhältnis der Gesellschafter untereinander besteht dagegen in allen drei Ländern nicht 228 , wenn man von dem hier nicht interessierenden kapitalmarktrechtlichen Gleichbehandlungsgebot des Ubernahmerechts absieht 229 . b) Sachlicher
Anwendungsbereich
,na) Betroffenheit in der Eigenschaft als Gesellschafter In allen drei Ländern wird betont, dass nur solche Maßnahmen am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen sind, die einen Bezug zur Mitgliedschaft aufweisen, d.h. die Gesellschafter gerade als solche betreffen 230 . Dieses Erfordernis 224 BGE 102 II 265 (268); s. zu dieser Entwicklung auch Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 10 f. 225 Vgl. für die Niederlande den klaren Wortlaut von art. 2:92 Abs. 2, 2:201 Abs. 2 BW (zum Hintergrund oben § 6 Fn. 17); für Osterreich Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 39; Koppensteiner, GmbHG,§41 Rdn. 30; ferner den Wortlaut von §83 Abs. 1 BörseG. 226 Vgl. Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 204 ff., 209 ff.; Forstmoser/MeierHayoz/Nobel, Aktienrecht, §39 Rdn. 29. 227 S. unten Ziff. 3 bei Fn. 281 ff. 228 Vgl. für die Niederlande Brink, TVVS 1997,174 (174); Huizink/ter Huurne, in: Rechtspersonen, Art. 92 Anm. 4a; Dortmond/Delfos-Roy, in: Rechtspersonen, Art. 201 Anm. 5; für Osterreich Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 39; für die Schweiz Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Aktienrecht, §39 Rdn. 30; Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 45 ff. 229 Zur Gleichbehandlungspflicht des Bieters im Ubernahmerecht - vergleichbar §3 Abs. 1 WpÜG - §§ 9h Abs. 2, 9j Abs.2, 91 Abs. 2 BTE; § 3 Abs. 1 ÜG; Art. 24 Abs. 2 BEHG (i.V.m. Art. 10 ÜbernahmeVO-UEK). 230 Vgl. für die Niederlande HR NJ 2003, Nr. 286, S. 2263 (2359 f.) mit Anm. Maeijer; für
154
I.Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
wird allerdings unterschiedlich eng ausgelegt. Zu einer restriktiven Auslegung scheint der Höge Raad zu neigen: Zur Abwehr einer feindlichen Übernahme hatte der Vorstand eine Aktionärsgruppe in ihren Bemühungen, durch Werbekampagnen und dergleichen Stimmen gegen die Übernahme zu sammeln, finanziell unterstützt. Der Gerichtshof urteilte, die finanzielle Unterstützung habe nicht die betreffenden Aktionäre als solche bevorzugt, sondern nur dazu gedient, den vom Vorstand vertretenen eigenen Standpunkt zu stärken 231 . Weitherziger zeigt sich dagegen der österreichische OGH: Zwei Geschäftsführer hafteten der Gesellschaft auf Herausgabe von Provisionen; diese nahm aber nur einen der beiden in Anspruch. Da beide Geschäftsführer zugleich Gesellschafter waren und der eine Geschäftsführer auf diese Weise mittelbar von der Inanspruchnahme des anderen profitierte, bejahte der Gerichtshof eine Ungleichbehandlung nicht nur in der Eigenschaft als Geschäftsführer, sondern auch in der als Gesellschafter232. In der Schweiz wird die Frage der Betroffenheit in der Eigenschaft als Gesellschafter vor allem im Zusammenhang mit dem Abschluss schuldrechtlicher Verträge zwischen der Gesellschaft und einzelnen Gesellschaftern thematisiert. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu dieser Frage ist uneinheitlich: Einerseits hat das Gericht die Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Veräußerung eigener Aktien an einen Großaktionär, der dadurch zusammen mit weiteren Familienangehörigen zum Mehrheitsaktionär aufstieg, verneint. Die Entscheidung des Verwaltungsrats über die Veräußerung der Aktien betreffe nicht die mitgliedschaftlichen Beziehungen zwischen den Aktionären und der Gesellschaft, sondern sei nicht anders zu beurteilen, „als wenn er einen Nichtaktionär als Käufer ausgewählt hätte."233 Andererseits ist das Bundesgericht in einer späteren Entscheidung ohne weiteres davon ausgegangen, dass Verträge mit einem Großaktionär am Gleichbehandlungsgebot zu messen seien234. Im Schrifttum wird die zuerst genannte Entscheidung einhellig abgelehnt235 und vorgeschlagen, den Gleichbehandlungsgrundsatz immer schon dann anzuwenden, wenn irgendein rechtlicher oder faktischer Konnex zur Gesellschafterstellung zu bejahen sei236. Für Erwerb und Veräußerung eigener Österreich OGH SZ 52/158, S. 770 (775 f.); für die Schweiz BGE 88 II 98 (105); Forstmoser/ Meier-Hayoz/Nobel, Aktienrecht, § 39 Rdn. 42 ff. 231 H R N J 2003, Nr. 286, S. 2263 (2359 f.) (anders noch die Vorinstanz). 232 OGH SZ 52/158 (S. 770, 775 f.) (zur KG). 233 BGE 88 II 98 (105). Auch eine analoge Anwendung der Vorschriften über das Bezugsrecht bei Kapitalerhöhungen lehnte das Gericht ab. 234 Vgl. BGE 95 II 157 (162 ff.) (zur Veräußerung des Gesellschaftsvermögens an einen der Hauptaktionäre). 235 Vgl. Stockmann, FG Bürgi, S.387 (400); Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Aktienrecht, §39 Rdn. 50; Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S.287; Watter, in: Basler Komm. OR, Art. 717 Rdn. 27. 236 forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Aktienrecht, §39 Rdn. 47-49; zustimmend zitiert in der Entwurfsbegründung zu Art. 813 OR-E, BB1. 2002, 3148 (3215 Fn.64). Noch weiterge-
5 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
155
A k t i e n w i r d dies bejaht, da diese Rechtsgeschäfte A u s w i r k u n g e n auf die M e h r heitsverhältnisse in der Gesellschaft haben können 2 3 7 .
bb) Gleichbehandlung
nur „ in denselben
Verhältnissen"
W i e auf europäischer Ebene und wie in Deutschland fordern auch die gesetzlichen Formulierungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes in den Niederlanden, Osterreich und der Schweiz eine Gleichbehandlung der Gesellschafter nur „unter gleichen Voraussetzungen" oder „in gleichen Umständen". D a r a n fehlt es - wie bereits dargelegt 2 3 8 - , soweit die Satzung oder das Gesetz Ungleichbehandlungen vorsehen. In den Niederlanden geht man häufig über diese Einschränkung noch hinaus und n i m m t an, dass ungleiche Umstände, die das Entstehen einer Gleichbehandlungspflicht ausschließen, sich auch noch aus anderen Umständen als einer entsprechenden satzungsmäßigen oder gesetzlichen Regelung ergeben können. Vielmehr soll generell anhand aller Umstände des Einzelfalls zu p r ü f e n sein, ob die Gesellschafter überhaupt hinreichend vergleichbar sind oder ob so gewichtige Unterschiede zwischen den Gesellschaftern bestehen, dass von vornherein keine Gleichbehandlungspflicht ausgelöst w i r d 2 3 9 . Die nahe liegende Frage, welche Unterschiede bereits auf dieser Ebene und welche erst auf der Ebene der sachlichen Rechtfertigung zu berücksichtigen sind, ist allerdings noch weitestgehend ungeklärt; eine klare, einheitliche A b g r e n z u g hat sich bisher nicht herausgebildet 2 4 0 . hend scheint Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 255 ff., davon ausgehen zu wollen, dass sämtliche Verträge der Gesellschaft mit ihren Gesellschaftern dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu unterstellen sind, also unabhängig davon, ob die Gesellschafterstellung den Vertragsabschluss beeinflusst hat. Die Gleichbehandlungsprüfung soll sich dann aber in einer groben Aquivalenzkontrolle - kein offensichtliches Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung - erschöpfen; aaO. S. 273 ff. Eine darüber hinausgehende Prüfung der sachlichen Rechtfertigung verlangt Huguenin Jacobs aaO., S. 284 ff., nur für ungleichmäßige Verträge über Erwerb und Veräußerung eigener Aktien. 237 Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Aktienrecht, §39 Rdn. 50. 238 S. oben §6 II 2 b. 239 Vgl. etwa Doorman, Ondernemingsrecht 2002, 199 (202 ff., 205 Ii. Sp.); Timmerman/ Doorman, in: Perakis, Minority shareholders, S.483 (535, 536 ff.); Vletter-van Dort, Gelijke behandeling, S. 21 ff., 32 ff. Aus der Rechtsprechung s. Hof s'Hertogenbosch, abgedruckt als Vorinstanz in HR NJ 1998, Nr. 268, S. 1417 (1420,1421 zu Ziff. 11): Abschluss eines Vergleichs nur mit den in den USA ansässigen Aktionären kein Gleichbehandlungsverstoß, da diese Aktionäre sich wegen der Unterschiede im anwendbaren Verfahrens- und materiellen Recht nicht in vergleichbaren Umständen befunden hätten wie die in den Niederlanden ansässigen Aktionäre. 240 Vgl. die Nachw. in Fn. 239. Der Höge Raad hat in seiner Leitentscheidung zum niederländischen Gleichbehandlungsgrundsatz (HR NJ 1994, Nr. 436, S.2059 [2079 f.]; dazu unten lit. d) die Frage nicht thematisiert und ist sogleich auf die sachliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung zugesteuert. Näher zum Ganzen auch noch unten § 9 II 3.
156
2. Kapitel:
c) Der Tatbestand aa)
der
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Ungleichbehandlung
Gleichbehandlungsmaßstab
Keine Schwierigkeiten bereitet jeweils die Ermittlung des Gleichbehandlungsmaßstabs. Es bestellt Einigkeit, dass sich dieser vorbehaltlich einer abweichenden Regelung in der Satzung bei allen vermögensmäßigen Rechten und Stimmrechten nach dem Umfang der Kapitalbeteiligung richtet, während für die Hilfs- oder Nebenrechte, namentlich die Informations-, Teilnahme- und Klagerechte, der Maßstab der Gleichbehandlung nach Köpfen gilt 241 . bb) Formale
und materielle
Ungleichbehandlungen
Anders als in Frankreich, aber ähnlich wie nach traditioneller Auffassung in Deutschland scheint die Rechtsprechung in allen drei Ländern einem formalen Gleichbehandlungsverständnis zuzuneigen. So betrafen in den Niederlanden die bislang entschiedenen Fälle - soweit ersichtlich - ausnahmslos Sachverhalte, in denen formale Ungleichbehandlungen zu beurteilen waren 242 . Unausgesprochen neigen die Gerichte offensichtlich dazu, zur Uberprüfung materieller Ungleichbehandlungen nicht den Gleichbehandlungsgrundsatz heranzuziehen, sondern auf die der Treuepflicht vergleichbare Generalklausel der redelijkheid en billijkheid (art. 2:8 BW) zurückzugreifen 243 . Auch in Osterreich prüfen die Gerichte meist nur die Einhaltung formaler Gleichbehandlung, ohne wirtschaftlich ungleiche Auswirkungen zu berücksichtigen 244 . Ausdrücklich für unbeachtlich erklärt hat der O G H insbesondere den Umstand, dass der Minderheitsgesellschafter einer GmbH aus wirtschaftlichen Gründen nicht an einer 241 Vgl. Doorman, Onderneraingsrecht 2002, 199 (200); Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn.40; Meier-Hayoz/Forstmoser, Gesellschaftsrecht, § 16 Rdn. 115 f. 242 Vgl. H R N J 1994, Nr. 436 (S. 2059) (Bezugsrechtsausschluss zulasten einzelner Gesellschafter); H R N J 2003, Nr. 286, S.2263 (2359 f.) (Unterstützung einer Aktionärsgruppe zur Abwehr einer feindlichen Übernahme, s. oben lit. b); Arr.-Rechtbank Haarlem, Kort Geding 1990, Nr.247 (S.491, 493) (Bezugsrechtsausschluss zulasten einzelner Gesellschafter); Hof Amsterdam, TVVS 1995, 74 (ungleiche Dividendenverteilung); Hof 's-Hertogenbosch, abgedruckt als Vorinstanz in: H R NJ 1998, Nr.268 (S.1417, 1420, 1421 zu Ziff. 11) (Abschluss eines Vergleichs nur mit den in den USA ansässigen Aktionären); Hof Amsterdam (Ondernemingskamer), J O R 2001, 203 (Gesellschaft gewährt ihren Gesellschaftern Vorauszahlungen auf den zu erwartenden Gewinn, wobei ein einzelner Gesellschafter wegen einer zuvor abgeschlossenen Gesellschaftervereinbarung weniger erhält als die anderen). 243 Pointiert Timmerman/Doorman, in: Perakis, Minority shareholders, S.483 (534 Fn. 80): „[T]he principle of equality does not play an important role in case law." Zu redelijkheid en billijkheid s. noch unten Ziff. 4. 244 Vgl. etwa O G H ÖJZ 1958, 547 (548 re.Sp.); O G H SZ 38/87 (S.277, 279); 54/15 (S. 76, 81). S. aber auch O G H SZ 67/103 (S. 589, 600), wo die Aufhebung eines Vorerwerbsrechts der Gesellschafter im Todesfall eines Mitgesellschafters nicht schon deshalb als gleichmäßig behandelt wird, weil formal alle Gesellschafter gleich betroffen sind, sondern zusätzlich geprüft wird, ob alle Gesellschafter in etwa gleich alt sind.
5 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
157
Kapitalerhöhung teilnehmen konnte 245 . Etwas anderes gelte nur, wenn es der Mehrheit gerade auf die Benachteiligung des Betroffenen angekommen sei, also eine entsprechende Absicht vorgelegen habe 246 . Im Schrifttum wird dies häufig verallgemeinert: Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei grundsätzlich nicht verletzt, wenn sich eine Maßnahme bei formaler Gleichbehandlung für einzelne Gesellschafter verschieden auswirke. Eine Ausnahme sei nur anzuerkennen, wenn die Beeinträchtigung einzelner Gesellschafter gerade bezweckt sei 247 . Einer formalen Ungleichbehandlung gleichgestellt wird aber immerhin der Fall, dass nicht ein Gesellschafter, sondern eine diesem nahe stehende Person bevorzugt wird 248 . Darüber hinaus sprechen sich gewichtige Stimmen im neueren Schrifttum dafür aus, generell auch materielle Ungleichbehandlungen einzubeziehen 249 . Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Schweiz. Auch hier steht die Rechtsprechung der Berücksichtigung materieller Ungleichbehandlungen zurückhaltend gegenüber. Das Bundesgericht hat wiederholt betont, dass es im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht darauf ankommen könne, ob die wirtschaftlichen Folgen eines Beschlusses für alle Gesellschafter dieselben seien 250 . Die betreffenden Entscheidungen sind zwar noch zum alten Aktienrecht vor Kodifizierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ergangen. Eine Änderung der Rechtsprechung zum neuen Recht ist jedoch zumindest bisher nicht zu verzeichnen 251 . Eine neuere Habilitationsschrift zum Minderheitenschutz kommt deshalb zu dem Schluss, dass „in der heutigen Gerichtspraxis faktisch eine formale Gleichbehandlung der Aktionäre unter gleichzeitiger Nichtbeachtung der wirtschaftlichen Realien" das Gleichbehandlungsprinzip nicht verletze 252 . Ähnlich wie in Osterreich und in Deutschland dringt aber auch im schweizerischen Schrifttum die Auffassung vor, die nicht nur formelle, sondern auch O G H SZ 54/15 (S. 76, 81). O G H SZ 54/15 (S. 76,81); vgl. auch O G H SZ 67/103 (S. 589,600): „Ein solcher Verstoß läge vor, wenn die Rechtsposition aller Gesellschafter nur scheinbar gleichmäßig verschlechtert würde, während die Satzungsänderung die Verschlechterung der Rechtsposition eines einzelnen Minderheitsgesellschafters bezweckte." 247 Vgl. etwa Koppensteiner, GmbHG, §41 Rdn.30; Reich-Rohrwig, GmbH-Recht, S.431 mit Fn. 36. Beide berufen sich für den ersten Teil ihrer Aussage auch auf B G H Z 70,117, allerdings zu Unrecht, da diese Entscheidung entgegen verbreiteter Lesart eine Ungleichbehandlung gerade nicht verneint hat; s. oben §2 III 1. 248 O G H SZ 53/172 (S.779, 783 f.) = GmbHR 1984, 235 (236) will dieses „Identitätsproblem" in Anlehnung an die zum Stimmverbot anerkannten Grundsätze lösen (§ 39 Abs. 4 österr. GmbHG, ähnlich §47 Abs. 4 deutsches GmbHG). Vgl. dazu noch unten § 11 II 3. 249 Vgl. Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 40. 250 BGE 102 II 265 (267): „Darauf, dass die wirtschaftlichen Folgen für die Klägerin andere seien als für die Beklagten, kann es bei der Frage nach der Gleichbehandlung aller Aktionäre nicht ankommen." Ebenso BGE 117 II 290 (312). 251 Die Einbeziehung materieller Ungleichbehandlungen ausdrücklich offen lassend Handelsgericht Zürich SJZ 1995,196 (197). 252 Kunz, Minderheitenschutz, § 8 Rdn. 61. 245 246
158
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
materielle Ungleichbehandlungen am Gleichbehandlungsgrundsatz messen will 2 5 3 . Zur Begründung w i r d u.a. auf den W o r t l a u t des A r t . 706 A b s . 2 Nr. 3 O R verwiesen, der neben der Ungleichbehandlung auch die Benachteiligung nennt und zugleich ausreichen lässt, dass diese „bewirkt" w i r d . D e r Versuch einer Präzisierung des Tatbestands der materiellen Ungleichbehandlung w i r d allerdings nicht oder nur in Ansätzen unternommen. Einschränkend heißt es lediglich, dass rein persönliche Umstände - wie der Mangel an Liquidität, der den Gesellschafter an der Teilnahme an der Kapitalerhöhung hindert - außer Betracht zu bleiben hätten 2 5 4 .
d) Rechtfertigung von
Ungleichbehandlungen
Einigkeit besteht in den hier betrachteten Rechtsordnungen, dass Ungleichbehandlungen durch überwiegende G r ü n d e des Gesellschaftsinteresses 2 5 5 sachlich gerechtfertigt w e r d e n k ö n n e n 2 5 6 . Anschauungsmaterial zu dieser Frage findet sich v o r allem in der schweizerischen Rechtsprechung. D a s B u n desgericht f o r m u l i e r t in ständiger Rechtsprechung, dass eine Ungleichbehandlung zulässig sei, w e n n sie ein „angemessenes Mittel z u r Erreichung eines gerechtfertigten Zwecks" darstelle 2 5 7 . Das S c h r i f t t u m konkretisiert dies dahin, dass die Ungleichbehandlung dem Gesellschaftsinteresse dienen u n d der Verhältnismäßigkeitstrias der Geeignetheit, Erforderlichkeit u n d Verhält253 Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 35 f., 130; Forstmoser/Meier-Hayoz/ Nobel, Aktienrecht, § 39 Rdn. 17, 67; Watter, in: Basler Komm. OR, Art. 717 Rdn. 26; v. Salis, Gestaltung, S. 26 ff.; Zindel, Bezugsrechte, S. 245; offenlassend Trigo Trindade/Bahar, in: Perakis, Minority shareholders, S.659 (683). Abweichend Böckli, Aktienrecht, §16 Rdn. 114, der materielle Ungleichbehandlungen dem Sachlichkeitsgebot (Art. 706 Abs. 2 Nr. 2 OR) unterstellen will; dazu unten Ziff. 4. 254 Watter, in: Basler Komm. OR, Art. 717 Rdn. 26, unter Verweis auf Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 12; ähnlich v. Salis, Gestaltung, S. 34: Die Benachteiligung müsse aus der Mitgliedschaftsstellung hervorgehen. 255 Ubereinstimmend wird davon ausgegangen, dass in die Ermittlung des Gesellschaftsinteresses auch Interessen von Nichtanteilseignern, insbesondere Arbeitnehmern und Gläubigern, einfließen sollen; vgl. für die Niederlande Buijn/Storm, in: Sanders/Westbroek, BV en NV, Nr. 8.3.5.3 (S. 245); für Österreich Doralt/Wmner, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 42, unter Hinweis auf die dort in veränderter Fassung fortgeltende Gemeinwohlklausel des §70 Abs. 1 AktG 1937 (§70 Abs. 1 österr. AktG); für die Schweiz Forstmoser/MeierHayoz/Nobel, Aktienrecht, § 3 Rdn. 11 ff. 256 Vgl. HR NJ 1994, Nr. 436, S.2059 (2079 re. Sp.); OGH SZ 52/158 (S.770, 775); 53/172 (S. 779,783); OGH JB1.1988,445; für die Schweiz s. folgende Fn. Im niederländischen Schrifttum wird vereinzelt davon ausgegangen, dass auch Sonderinteressen einzelner Gesellschafter einen Rechtfertigungsgrund bilden könnten; so (allerdings ohne Beispiele) Vletter-van Dort, Gelijke behandeling, S. 50; s. dagegen aber unten bei Fn. 265 ff. 257 BGE 69 II 246 (250); 91 II 298 (301); 93 II 393 (406); 95 II 157 (162 f.); 117 II 290 (312); etwas strengere Formulierung dagegen in BGE 102 II 265 (267): Pflicht zur Gleichbehandlung, „soweit nicht Abweichungen unumgänglich nötig sind, um im Interesse aller den Gesellschaftszweck zu verfolgen."
5 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
159
nismäßigkeit i.e.S. entsprechen müsse 258 . Im Ergebnis lässt sich der schweizerischen Spruchpraxis insoweit eine relativ großzügige Tendenz entnehmen 259 . Den Gesellschaftsorganen wird meist ein Ermessensspielraum zur Abwägung der Interessen belassen und die Prüfung darauf beschränkt, ob die Rechtfertigung „offensichtlich unsachlich" ist 260 oder auf „vernünftigen Zweckmäßigkeitsüberlegungen" beruht 261 . Dabei ist das Bundesgericht mit seiner Prüfung umso zurückhaltender, je deutlicher die Mehrheit für die angegriffene Maßnahme ausgefallen ist und insbesondere je mehr benachteiligte Gesellschafter der Maßnahme zugestimmt haben. So hat das Gericht die Ausgabe von Genussscheinen an einzelne Aktionäre, die bei einer Jahre zuvor stattfindenden Sanierung finanzielle Opfer erbracht hatten, schon deshalb gebilligt, weil damit eine „alte Dankesschuld" abgetragen werde und die überwältigende Mehrheit auch der nicht bevorzugten Aktionäre zugestimmt hatte 262 . Ferner hat es das Bundesgericht für gerechtfertigt gehalten, institutionelle Stimmrechtsvertreter (namentlich Banken) von einem für alle anderen Aktionäre geltenden Höchststimmrecht auszunehmen, da hierdurch die wünschenswerte Ausübung des Stimmrechts der Kleinaktionäre erleichtert werde 263 . Die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung steigen jedoch mit der Intensität des Eingriffs. So soll der Ausschluss eines Aktionärs einer personalistischen AG vom Bezugsrecht nicht schon darauf gestützt werden können, dass dieser Aktionär der Gesellschaft Konkurrenz gemacht habe 264 . Schwer fällt mitunter die Abgrenzung, ob eine Maßnahme dem Gesellschaftsinteresse oder nur den persönlichen Interessen der bevorzugten Gesellschafter dient. Diese Frage stellte sich in der bedeutsamsten niederlän-
258 Vgl. Böckli, Aktienrecht, § 13 Rdn. 680; ferner (jeweils unter Verweis auf Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 13 ff.) Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 39 ff.; Watter, in: Basler Komm. OR, Art. 717 Rdn. 23; v. Salis, Gestaltung, S.35; für Österreich Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 41; Kalss, Höchststimmrecht, S. 80. Für die Niederlande vgl. Slagter, in: Slagter, Ondernemingsrecht, § 29 (S. 148 f.), der ein deutliches Uberwiegen des Gesellschaftsinteresses fordert. 259 Stockmann, FG Bürgi, S.387 (399, 403), entnimmt der Rechtsprechung einen „Favor zugunsten der Respektierung des Mehrheitsentscheids" und spricht von einem „eher weitmaschigen Schutz" der benachteiligten Gesellschafter. 260 BGE 69 II 246 (252). 261 BGE 93 II 393 (407). 262 BGE 93 II 393 (400, 406 f.). S. auch BGE 69 II 246 (252) zur Anfechtung des Sonderbeschlusses einer Aktiengattung, die im Rahmen der Sanierung der Gesellschaft in verschiedener Hinsicht schlechter behandelt wurde als die andere Aktiengattung, den Sanierungsmaßnahmen aber gleichwohl mehrheitlich zugestimmt hatte: „Eine solche [offenbare Unsachlichkeit] darf, wenn sich die Mehrheit mit der Beeinträchtigung ihrer Rechte abzufinden gewillt ist, nicht leichthin angenommen werden." 263 BGE 117 II 290 (312); zustimmend Forstmoser/Meier-Hayoz/Nohel, Aktienrecht, § 39 Rdn. 66. 264 BGE 91 II 298 (301 ff.) mit ausführlicher Interessenabwägung.
160
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
dischen Entscheidung zum Gleichbehandlungsgrundsatz265: Eine BV mit insgesamt 15 Gesellschaftern beabsichtigte, ihre Gewinnrücklagen aufzulösen und den Gewinn an die Gesellschafter auszuschütten. Dabei stellte sich das Problem, dass die Ausschüttung für diejenigen Gesellschafter, die weniger als 5 % des Kapitals hielten, aus steuerlichen Gründen wesentlich ungünstiger gewesen wäre als für die übrigen Gesellschafter. Die Gesellschafterversammlung beschloss deshalb mit der erforderlichen Mehrheit eine Barkapitalerhöhung mit (teilweisem) Bezugsrechtsausschluss, um es der Geschäftsführung zu ermöglichen, die neuen Anteile so auf die Gesellschafter zu verteilen, dass vier Gesellschafter ihre Beteiligungsquote von ca. 4 % auf 5 % erhöhen konnten. Dementsprechend sank die Beteiligungsquote der übrigen Gesellschafter geringfügig, u.a. diejenige des klagenden Gesellschafters von 19,25 % auf 18,33 % 2 6 6 . Der Generalanwalt hielt dieses Vorgehen für einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (art. 2:201 Abs. 2 BV), da die steuerlichen Partikularinteressen einzelner Gesellschafter die ungleiche Zuteilung der neuen Anteile nicht zu rechtfertigen vermöchten 267 . Demgegenüber betonte der Höge Raad den personalistischen Charakter der Gesellschaft, mit dem es unvereinbar sei, die drohenden steuerlichen Nachteile für die Mitgesellschafter einfach zu ignorieren. Die Vermeidung einer unterschiedlichen steuerlichen Belastung betreffe unter diesen Umständen nicht nur ein rein persönliches, außerhalb der Gesellschaft liegendes Interesse einzelner Gesellschafter, sondern wirke sich auch auf die Beziehungen innerhalb der Gesellschaft aus268; sie diene damit - dies sagt der Höge Raad nicht explizit, man wird ihn aber so verstehen müssen269 - auch dem Interesse der Gesellschaft. Mit Rücksicht darauf sowie den Umstand, dass die Beeinträchtigung der benachteiligten Gesellschafter nur geringfügig war, fiel die Interessenabwägung des Gerichtshofs zugunsten der angegriffenen Maßnahme aus. Das Schrifttum ist dem, soweit ersichtlich, einhellig gefolgt270. H R NJ 1994, Nr. 436, S. 2059 (2079 f.). Im Ergebnis sank die Beteiligungsquote des Klägers sogar auf 17,56 %, da er auch die Anteile, die ihm angeboten worden waren, nicht übernahm. Auf den Bezugsrechtsausschluss war jedoch nur die Reduzierung auf 18,33 % zurückzuführen. 267 Generalanwalt Mok, N J 1994, Nr. 436, S.2064 (2072). Der Generalanwalt verwies im Rahmen seiner Begründung u.a. auf die deutsche Rechtsprechung zum Bezugsrechtsausschluss sowie auf §53a AktG, um das Erfordernis einer Rechtfertigung im Gesellschaftsinteresse hervorzuheben; vgl. aaO. S. 2064 (2071). 268 H R NJ 1994, Nr. 436, S. 2059 (2079 f.). 269 Wie hier auch die Interpretation der Entscheidung von Maeijer, NJ 1994, Nr. 436, S.2081 re. Sp.; Doorman, Ondernemingsrecht 2002, S.199 (205); sowie besonders deutlich Schutte-Veenstra, TVVS 1994,128 (129 mi. Sp.). 270 Durchweg zustimmend die Entscheidungsanmerkungen von Maeijer, NJ 1994, Nr. 436, S. 2081 f.; Raaijmakers, Ars Aequi 1994,663 ff.; Schutte-Veenstra, TVVS 1994,128 f.; i.E. auch v. Schilfgaarde, in: v.d. Hoek u.a., Corporate Governance, S. 19 (24ff., 27). S. hierzu auch noch im Zusammenhang mit dem deutschen Recht unten § 12 III 2. 265 266
5 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
161
I m Ergebnis übereinstimmend wird in Ö s t e r r e i c h und der Schweiz davon ausgegangen, dass Ungleichbehandlungen dann keiner sachlichen R e c h t f e r t i gung bedürfen, wenn die benachteiligten Gesellschafter der ungleichmäßigen M a ß n a h m e z u s t i m m e n 2 7 1 . In den Niederlanden ist die Frage n o c h nicht abschließend geklärt 2 7 2 . I n allen drei Ländern besteht aber Einigkeit, dass eine generelle A b b e d i n g u n g des Gleichbehandlungsgrundsatzes
in der Satzung
nicht möglich ist 2 7 3 .
3. Sanktionen
von
Verstößen
D i e S a n k t i o n e n von Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz werden in allen drei L ä n d e r n weitestgehend den allgemeinen B e s t i m m u n g e n e n t n o m men, die auch sonst für Rechtsverletzungen der Gesellschaft gegenüber den G e sellschaftern gelten. Gleichbehandlungsspezifische Rechtsfolgen, wie z . B . der in D e u t s c h l a n d in gewissen G r e n z e n anerkannte A n s p r u c h auf aktive Gleichbehandlung, werden - soweit ersichtlich - nur in A n s ä t z e n erörtert 2 7 4 . W e i t h i n Einigkeit besteht, dass gleichbehandlungswidrige Beschlüsse der Anteilseignerversammlung anfechtbar (nicht schwebend u n w i r k s a m oder nichtig) sind 2 7 5 . O b der einzelne Gesellschafter darüber hinaus das R e c h t hat, die R ü c k a b w i c k lung einer ungerechtfertigten B e v o r z u g u n g eines Mitgesellschafters (z.B. eine 271 Für Österreich vgl. Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn.43 a.E. In der Schweiz ergibt sich dasselbe Ergebnis daraus, dass die Zustimmung generell (also nicht nur bei Gleichbehandlungsverstößen) zum Entfallen der Anfechtungsbefugnis führt; vgl. BGE 95 II 55 (57); Watter, in: Basler Komm. OR, Art. 706 Rdn. 6. 272 Für Zulässigkeit konsentierter Ungleichbehandlungen Hof Amsterdam, TVVS 1995, 95 mit krit. Anm. Timmerman-, s. aber auch Hof Amsterdam (Ondernemingskamer) J O R 2001, 203 (nicht, wenn Zustimmung unter großem Zeitdruck und ohne volle Kenntnis der Tatsachen erteilt wurde); dazu Doorman, Ondernemingsrecht 2002,199 (201 f.); zum Ganzen auch Timmerman/Doorman, EJCL Dec. 2002, Ziff. 4.1. 273 Vgl. für die Niederlande Timmerman/Doorman, EJCL Dec. 2002, Ziff. 4.1; für Osterreich Bydlinski, Gleichheitsgrundsatz, S. 48 f.; Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn.43; für die Schweiz Watter, in: Basler Komm. OR, Art. 717 Rdn.25. 274 Vgl. aber für das österreichische Recht Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 52, die einen Anspruch auf aktive Gleichbehandlung bejahen, wenn der Gleichbehandlungsverstoß in einem rechtswidrigen Unterlassen (z.B. der zu erteilenden Information) liegt. 275 Vgl. für Österreich OGH SZ 53/172, S.779 (785); Koppensteiner, GmbHG, §41 Rdn. 30; Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 52; für die Schweiz Art. 706 Abs. 2 Nr. 3 OR (für die GmbH i.V.m. Art. 808 Abs. 6 OR). In den Niederlanden wird man dasselbe Ergebnis aus art. 2:15 Abs. 1 lit. b BW ableiten können: Die Vorschrift nennt zwar nur Verstöße gegen redelijkheid en hillijkheid (art. 2:8 BW), doch wird der Gleichbehandlungsgrundsatz als besondere Ausprägung jener Generalklausel angesehen; vgl. Generalanwalt Wesseling-van Gent, NJ 2003, Nr. 286, S.2263 (2348 f.); Huijgen, in: Nieuwenhuis u.a., Ondernemingsrecht, art. 2:92 BW Anm. 3, art. 2:201 BW Anm. 3; Doorman, Ondernemingsrecht 2002, 199 (199 Ii. Sp.). Für Nichtigkeit bei Gleichbehandlungsverstößen aber Brink, TVVS 1997,174 (175 Ii. Sp.).
162
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
verdeckte V e r m ö g e n s z u w e n d u n g ) i m Wege der actio
pro
socio
durchzusetzen,
w i r d dagegen unterschiedlich beurteilt. W ä h r e n d die Frage in O s t e r r e i c h und den Niederlanden verneint w i r d 2 7 6 , ist die actio
pro socio
in der S c h w e i z bei v e r -
deckten V e r m ö g e n s z u w e n d u n g e n an Mitgesellschafter ausdrücklich vorgesehen ( A r t . 678 A b s . 3 O R ) 2 7 7 . Ein entsprechendes Klagerecht w i r d d e m benachteiligten Gesellschafter in der S c h w e i z auch bei sonstigen Gleichbehandlungsverstößen, etwa im R a h m e n des E r w e r b s und der V e r ä u ß e r u n g eigener A k t i e n , zugebilligt 2 7 8 . D i v e r g e n z e n zeigen sich auch in der Frage des Schadensersatzes bei schuldh a f t e n Gleichbehandlungsverstößen. Einig ist m a n sich allerdings darin, dass A n s p r ü c h e gegen die Gesellschaft bei Verschulden grundsätzlich z u bejahen sind 2 7 9 . Unterschiede bestehen dagegen in der Frage der H a f t u n g der handelnden O r g a n w a l t e r u n m i t t e l b a r gegenüber den Gesellschaftern. W ä h r e n d in den Niederlanden und Österreich insoweit Z u r ü c k h a l t u n g zu konstatieren ist 2 8 0 , sind in der S c h w e i z bei schuldhaften Gleichbehandlungsverstößen Schadensersatzansprüche der Gesellschafter unmittelbar gegen die Geschäftsleiter allgemein anerkannt. Die V e r a n t w o r t l i c h k e i t der O r g a n w a l t e r ergibt sich dabei aus
276 Vgl. für Österreich Koppensteiner, GmbHG, §48 Rdn. 16, §61 Rdn. 17 m.w.Nachw. auch auf die früher verbreitete Gegenauffassung, die in Anlehnung an die h.M. in Deutschland zumindest im GmbH-Recht eine actio pro socio befürwortete. Stattdessen bewendet es in Osterreich bei dem in §§ 122 Abs. 1 österr. AktG, 48 Abs. 1 österr. GmbHG vorgesehenen Verfolgungsrecht, das einer Minderheit von 10 % (in einzelnen Fällen auch 5 %) des gezeichneten Kapitals zusteht. In den Niederlanden wird die actio pro socio ebenfalls nicht anerkannt; vgl. Timmerman/Doorman, in: Perakis, Minority shareholders, S.483 (582 ff.). Stattdessen besteht für eine Minderheit, die 10% des Kapitals oder Anteile im Nennbetrag von € 225.000 vertritt, die Möglichkeit, Rechtsverletzungen der Gesellschaftsorgane im Wege des sog. Enquete-Verfahrens nach art. 2:344 ff. BW überprüfen zu lassen. Dabei handelt es sich um eine Art Sonderprüfung mit der Besonderheit, dass das die Sonderprüfer einsetzende Gericht auf Antrag selbst über die aus dem Prüfungsbericht zu ziehenden Konsequenzen entscheidet (art. 2:355 BW). Das Gericht kann z.B. auch die Rückabwicklung einer ungerechtfertigten Bevorzugung eines Gesellschafters anordnen; näher zum Enquete-Verfahren Timmerman/Doorman aaO., S. 550ff.; Brüls-Dehin, Schranken, S.251 f. 277 Die Vorschrift betrifft unmittelbar nur die AG, ist aber auf die GmbH analog anwendbar; vgl. Kurer, in: Basler Komm. OR, Art. 806 Rdn. 7. 278 Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 267ff. (Verallgemeinerung des Rechtsgedankens aus Art. 678 Abs. 3 OR). 279 Vgl. für die Niederlande Maeijer, N J 1991, Nr. 645 (S.2720, 2721); Brüls-Dehin, Schranken, S.247f.; für Osterreich Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 53 (§47a österr. AktG als Schutzgesetz i.S. des § 1311 AGBG); für die Schweiz Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 211 f. Das Spannungsverhältnis, in dem derartige Ansprüche zur Kapitalerhaltung stehen, wird dabei nicht erörtert; s. dazu aber unten § 17 II 5. 280 Vgl. für die Niederlande Brüls-Dehin, Schranken, S. 48 f.; für Österreich Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 53; Koppensteiner, GmbHG, §25 Rdn. 33; anders aber Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I, Rdn. 2/510 f., der den Anstellungsvertrag des Geschäftsführers mit der GmbH als Vertrag mit Schutzwirkung für die Gesellschafter ansieht; zur Parallelfrage im deutschen Recht unten § 18 II.
5 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
163
A r t . 7 5 4 A b s . 1 O R 2 8 1 , der ausdrücklich vorsieht, dass die Mitglieder des Verwaltungsrats bzw. der G e s c h ä f t s f ü h r u n g nicht nur der Gesellschaft, sondern auch den einzelnen Gesellschaftern f ü r den Schaden haften, den sie durch vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten verursachen 2 8 2 . F ü h r t der schuldhafte Gleichbehandlungsverstoß zu einem reinen Gesellschafterschaden, so k a n n der betroffene Gesellschafter Schadensersatz an sich selbst verlangen 2 8 3 . Ist er nur mittelbar durch eine Schädigung des Gesellschaftsvermögens beeinträchtigt, muss er seinen A n t r a g auf Schadensersatz an die Gesellschaft richten, bleibt aber auch in diesem Fall klagebefugt 2 8 4 .
4. Verhältnis zu anderen beweglichen Schranken der Verbandsmacht D a die R e c h t s p r e c h u n g in den hier betrachteten R e c h t s o r d n u n g e n - ähnlich wie in D e u t s c h l a n d , aber anders als in F r a n k r e i c h - bisher k a u m über die E r f a s sung formaler Ungleichbehandlungen hinausreicht, überrascht es nicht, dass neben dem Gleichbehandlungsgrundsatz in erheblichem U m f a n g auf weitere bewegliche S c h r a n k e n der Verbandsmacht zurückgegriffen wird. V o r allem in O s t e r r e i c h ist die E n t w i c k l u n g sehr ähnlich verlaufen wie in D e u t s c h l a n d . I n s besondere ist auch hier f ü r Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss die v o m B G H entwickelte L e h r e vom sachlichen G r u n d ü b e r n o m m e n w o r d e n 2 8 5 . D i e U b e r t r a g b a r k e i t dieser L e h r e auf andere Beschlussgegenstände ist allerdings auch in O s t e r r e i c h ungeklärt; die überwiegende Auffassung i m S c h r i f t t u m will in A n l e h n u n g an die h . M . in D e u t s c h l a n d darauf abstellen, welche Beschlussgegenstände so gesetzlich vorgeprägt sind, dass sie keiner besonderen sachlichen R e c h t f e r t i g u n g mehr bedürfen 2 8 6 . F e r n e r ist auch in O s t e r r e i c h die Treuepflicht nicht nur im Verhältnis zur Gesellschaft, sondern auch zwischen den Gesellschaftern als weitere S c h r a n k e a n e r k a n n t 2 8 7 . Schließlich besteht auch in O s t e r r e i c h das Sondervorteilsverbot (§ 195 A b s . 2 österr. A k t G ) , das n o c h der Regelung des A k t G 1937 entspricht und nur wenig B e d e u t u n g erlangt h a t 2 8 8 . Diese Vorschrift gilt auch für die GmbH, vgl. Art. 827 OR. Vgl. Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 210 f.; Böckli, Aktienrecht, §13 Rdn. 683; Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Aktienrecht, § 39 Rdn. 84. 283 Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S.211. 284 Art. 756 Abs. 1 OR (ggf. i.V.m. Art. 827 OR). 285 So unter ausdrücklichem Hinweis auf die B G H - Rechtsprechung („Kali und Salz") OGH SZ 53/172 (S. 779, 784 ff.); ferner OGH GesRZ 1986, 36 (38) (jeweils zur GmbH). 286 Vgl. Koppensteiner, GmbHG, §41 Rdn. 33 ff., insbes. 35; Reich-Rohrwig, GmbHRecht, S. 356 ff. (unter Bezugnahme vor allem auf Lutter, ZGR 1981, 171 ff.); grundsätzlich auch Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse, S. 300 f. 287 Vgl. für die GmbH OGH JBl. 1989,253; Koppensteiner, GmbHG, § 61 Rdn. 18; für die AG Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, vor §53a Rdn. 41; Kalss, Höchststimmrecht, S.113. 288 Vgl. Diregger, in: MünchKomm. AktG, §243 Rdn. 164; s. auch Kastner/Doralt/Nowotny, Gesellschaftsrecht, G IV 2 1 aa (S.240 mit Fn. 129). 281
282
164
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Das Zusammenspiel dieser Schranken und ihr Verhältnis zum Gleichbehandlungsgrundsatz gilt in Osterreich als „noch weniger geklärt als in Deutschland." 289 In der Schweiz ist eine ähnliche Schrankenvielfalt zu verzeichnen: Neben dem Gleichbehandlungsgrundsatz sind insbesondere das „Sachlichkeitsgebot" (Art. 706 Abs. 2 Nr. 2 OR) sowie das Prinzip der „schonenden Rechtsausübung" zu beachten. Das Sachlichkeitsgebot erklärt Beschlüsse der Generalversammlung für anfechtbar, wenn sie in „unsachlicher Weise Rechte von Aktionären entziehen oder beschränken." 290 Damit sollen Fälle erfasst werden, in denen die Mehrheit das Stimmrecht zweckwidrig zur Verfolgung eigener, außergesellschaftlicher Zwecke ausgeübt hat 291 . Das (ungeschriebene) Gebot der schonenden Rechtsausübung, welches das Bundesgericht erst in jüngerer Zeit in einer Entscheidung zum Bezugsrechtsausschluss anerkannt hat 292 , verlangt ferner, dass unter mehreren möglichen Wegen zu einem legitimen Ziel derjenige zu wählen ist, der für die in ihren Rechten Einzuschränkenden die geringsten Nachteile mit sich bringt 293 . Im Schrifttum wird dies auch als Verhältnismäßigkeitsprinzip bezeichnet 294 , was an die deutsche Lehre vom sachlichen Grund erinnert. Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass sich die gängigen Formulierungen des Prinzips der schonenden Rechtsausübung auf die Erforderlichkeit beschränken und nicht auch die Verhältnismäßigkeit i.e.S. einschließen 295 . In der Praxis greifen die schweizerischen Gerichte bisher nur selten auf das Gebot der schonenden Rechtsausübung zurück 296 , so dass sein genauer Anwendungsbereich noch nicht vollauf geklärt ist. Neben den genannten Schranken bleibt, gewissermaßen als letzter Notanker, das allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot (Art. 2 ZGB) zu beachten 297 . In den Niederlanden schließlich steht die Anwendung des art. 2:8 BW ( r e d e lijkheid en billijkheid, vergleichbar der Treuepflicht in Deutschland) als Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, vor § 53a Rdn. 46. Die Vorschrift findet gemäß Art. 808 Abs. 6 OR auch auf Gesellschafterbeschlüsse der GmbH Anwendung. 291 Botschaft, BBl. 1983 II, 745 (884); s. auch Handelsgericht Zürich SJZ 1995,196 (197f.); Duhs/Truffer, in: Basler Komm. OR, Art. 706 Rdn. 12. Verbreitet werden daneben auch Verstöße gegen das sogleich zu erörternde Prinzip der schonenden Rechtsausübung unmittelbar unter das Sachlichkeitsgebot (Art. 706 Abs. 2 Nr. 2 OR) subsumiert; vgl. etwa Forstmoser/ Aktienrecht, §25 Rdn. 25. Meier-Hayoz/Nobel, 292 Vgl. die 1995 ergangene Entscheidung BGE 121 III 219 (238); ferner Handelsgericht Zürich SJZ 1995,196 (198). 293 Vgl. statt vieler Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Aktienrecht, §39 Rdn. 95 ff.; Kunz, Minderheitenschutz, § 8 Rdn. 83 ff.; grundlegend Meier-Hayoz/Zweifel, FS H. Westermann, S.383 (389ff.). 294 Duhs/Truffer, in: Basler Komm. OR, Art. 706 Rdn. 13. 295 Vgl. die Nachw. in Fn. 293. 296 Vgl. Kunz, Minderheitenschutz, § 8 Rdn. 95 f. („Praxisrelevanz gering"). 297 Dazu Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Aktienrecht, § 39 Rdn. 103 ff. 289
290
5 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
165
Schranke der Verbandsmacht nach wie vor mehr im Mittelpunkt als der Gleichbehandlungsgrundsatz 298 . Eine Art stehende Formel, wann ein Verstoß gegen die redelijkheid en billijkheid anzunehmen ist, hat sich dabei jedoch nicht herausgebildet. Betont wird lediglich, dass die Entscheidung von allen Umständen des Einzelfalls abhänge und die widerstreitenden Interessen abzuwägen seien 299 , ohne genauere Leitlinien für die zu berücksichtigenden Interessen und deren Abwägung zu entwickeln. Dem Rechtsanwender bleibt daher nicht viel mehr, als nach vergleichbaren Präzedenzfällen zu suchen 300 . Im niederländischen Schrifttum wird denn auch beklagt, dass eine Präzisierung und Systematisierung der redelijkheid en billijkheid trotz jahrzehntelanger Rechtsprechung bisher nicht zufriedenstellend gelungen sei 301 .
5. Fazit zum niederländischen, und schweizerischen Recht
österreichischen
In der Zusammenschau zeigen sich in den Niederlanden, Osterreich und der Schweiz - anders als in Frankreich und England - deutliche Parallelen zum deutschen Recht. Das Grundgerüst der Gleichbehandlungsprüfung ist im Wesentlichen dasselbe wie hierzulande. Zugleich werden aber auch ähnliche Defizite wie im deutschen Recht sichtbar: Die Frage, unter welchen Umständen eine Ungleichbehandlung auch über formale Differenzierungen hinaus angenommen werden kann, ist in allen drei Ländern weithin ungeklärt; die Rechtsprechung zeigt sich zurückhaltend. Stattdessen wird auf andere Schranken zurückgegriffen, die entweder - wie die in Osterreich rezipierte Lehre vom sachlichen Grund und das ihr in gewisser Hinsicht vergleichbare Prinzip der schonenden Rechtsausübung in der Schweiz - auf die bereits dargelegten Bedenken einer überschießenden Kontrollintensität stoßen 302 oder aber - wie die redelijkheid en billijkheid in den Niederlanden - noch unbestimmter sind als der Gleichbehandlungsgrundsatz. 298 Ausführliche Ubersicht über die Rechtsprechung bei Brüls-Dehin, Schranken, S. 157ff.; sowie Slagter, in: Slagter, Ondernemingsrecht, § 16 (S. 74ff.). 299 Huizink, in: Rechtspersonen, art. 15 Anm. 5; Löwensteyn/Raaijmakers, in: Pitlo, Rechtspersonenrecht, Nr. 1.80 (S. 87 f.). Dass eine Maßnahme dem Gesellschaftsinteresse entspricht, genügt also für sich genommen nicht, um einen inhaltlichen Verstoß gegen die redelijkheid en billijkheid auszuschließen; Huizink aaO. 300 Den typischen Anwendungsfall, in dem die Rechtsprechung wiederholt einen Verstoß bejaht hat, bilden - ähnlich wie in Frankreich zum abus de majorité - missbräuchliche Thesaurierungsbeschlüsse; vgl. H R NJ 1943, Nr. 484, S. 664; Hof 's-Gravenhage N J 1983, Nr. 393, S.1220; Hof Arnhem NJ 1993, Nr. 182, S. 627 mit Anm. Maeijer. 301 Deutlich etwa Maeijer, in: Asser, Rechtspersoon, Nr. 46, S. 50: „In de rechtspraak over redelijkheid en billijkheid in de verhoudingen binnen de rechtspersoon is het tot een samenstel van duidelijke regels van ongeschreven recht tot dusver niet gekomen." Ebenso Koelemeijer, Redelijkheid, S.46,349 („no clear picture", „many questions unanswered"). 302 Dazu oben §3 I I I .
166
2. Kapitel:
Grundlagen
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
IV. Fazit zur Rechtsvergleichung Blickt man auf alle betrachteten Rechtsordnungen zurück, ergibt sich ein vom Standpunkt der Rechtsangleichung unbefriedigendes, uneinheitliches Bild. Dies gilt nicht nur äußerlich in der Frage, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz im nationalen Gesellschaftsrecht kodifiziert worden ist (wie in Deutschland, den Niederlanden, Osterreich und der Schweiz, nicht aber in England und Frankreich), sondern vor allem auch in Bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung des Grundsatzes. So ist in England trotz der Richtlinienvorgaben ein Gleichbehandlungsgrundsatz im hier verstandenen Sinne einer unmittelbaren Schranke der Verbandsmacht allenfalls in Ansätzen anerkannt. Der Schwerpunkt liegt stattdessen nach wie vor beim allgemeinen Gebot der Fairness. Auch wenn sich mit der generalklauselartigen Schranke des unfairprejudice (sec. 459 CA 1985) im Ergebnis viele Ungleichbehandlungen erfassen lassen, hat sich ein spezifischer Schutz vor Ungleichbehandlungen in England nicht herausgebildet. In deutlichem Gegensatz dazu stellt in Frankreich im Rahmen der Rechtsprechung zum abus de majorité der - sehr weit verstandene - Begriff der Ungleichbehandlung das zentrale Aufgreifkriterium der Inhaltskontrolle dar. Der Schutz vor Ungleichbehandlungen wird in Frankreich allerdings dadurch in gemeinschaftsrechtlich bedenklicher Weise relativiert, dass nur bewusste Ungleichbehandlungen einer Prüfung auf ihre sachliche Rechtfertigung unterzogen werden. In den Niederlanden, Osterreich und der Schweiz schließlich ähnelt die Handhabung des Gleichbehandlungsgrundsatzes weitgehend derjenigen in Deutschland. Ähnlich wie hierzulande stehen auch dort vorwiegend andere bewegliche Schranken der Verbandsmacht im Mittelpunkt. Die zum Teil gravierenden Unterschiede, die sich auch auf die Sanktionen von Gleichbehandlungsverstößen erstrecken, belegen eindringlich die Gefahr, dass Rechtsangleichung durch weit gefasste Generalklauseln wie den Gleichbehandlungsgrundsatz weithin leer zu laufen droht, wenn konkretisierende Vorgaben durch den Gemeinschaftsgesetzgeber oder den EuGH ausbleiben. Die bisherige Entwicklung unterstreicht damit die im Verlauf der Untersuchung bereits betonte303 Bedeutung, die der (grundsätzlichen) Konkretisierungskompetenz des EuGH gerade im Bereich von Generalklauseln des Gemeinschaftsrechts und insbesondere auch des Richtlinienrechts zukommt. Zugleich mahnt sie die nationalen Gerichte dazu, von dem in Bezug auf Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL bislang ungenutzten Vorabentscheidungsverfahren des Art. 234 E G V in geeigneten Fällen Gebrauch zu machen, um dem EuGH zu ermöglichen, die ihm zustehende Konkretisierungskompetenz auch auszuüben. Vom Standpunkt der im bisherigen Verlauf der Untersuchung angestellten Überlegungen erscheint vor allem die Entwicklung im französischen Recht auf303
S. oben § 6 1 .
§ 7 Rechtsvergleichende
Grundlagen
167
schlussreich u n d bemerkenswert. In Frankreich w i r d ein weiter, materieller Begriff der U n g l e i c h b e h a n d l u n g bereits seit langem praktiziert, ohne dass dies in der Praxis zu u n ü b e r w i n d b a r e n Schwierigkeiten g e f ü h r t hätte. O h n e eine solche Ungleichbehandlung darzulegen u n d ggf. zu beweisen, k a n n der einzelne Gesellschafter nicht verlangen, dass ein Eingriff der Gesellschaftsorgane in Mitgliedschaftsrechte von den Gerichten auf seine sachliche R e c h t f e r t i g u n g kontrolliert w i r d . Dieser G r u n d a n s a t z des französischen Rechts stimmt - von der gemeinschaftsrechtlich bedenklichen B e s c h r ä n k u n g auf b e w u s s t e U n gleichbehandlungen einmal abgesehen - mit dem überein, w a s oben in A u s e i n andersetzung mit der Lehre vom sachlichen G r u n d a n g e f ü h r t w o r d e n ist 3 0 4 : dass nämlich eine gerichtliche Inhaltskontrolle z u m Schutz vor Eingriffen in die Mitgliedschaft nur veranlasst erscheint, w e n n die grundsätzliche Interessengleichrichtung der Gesellschafter gestört ist u n d damit die nahe liegende Gefahr besteht, dass die getroffene Entscheidung von Partikularinteressen der Mehrheit geleitet ist und/oder die besonderen Nachteile f ü r die Minderheit nicht hinreichend berücksichtigt.
304
S.oben § 3 II 1 b, c.
3. Kapitel
Reichweite und Inhalt des Gleichbehandlungsgrundsatzes Mit den im Vorstehenden gewonnenen Erkenntnissen über die Grundlagen des Gleichbehandlungsgrundsatzes und seine rechtsvergleichenden Bezüge ist nunmehr der Boden bereitet, um in eine Detailanalyse von Tatbestand und Rechtsfolgen des Grundsatzes einzutreten. Zu betrachten sind zunächst die Grenzen des persönlichen, sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereichs (§§ 8-10), der Tatbestand der Ungleichbehandlung (§ 11) sowie die Möglichkeiten der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen (§§ 12-13). Anschließend wird auf die Auswirkungen eines Verzichts auf Gleichbehandlung einzugehen sein (§ 14), bevor zum Abschluss des Kapitels die in Konzernverhältnissen zu beachtenden Besonderheiten behandelt werden (§ 15). Auf die Sanktionen von Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz wird sodann im 4. Kapitel zurückzukommen sein.
§ 8 Persönlicher Anwendungsbereich Keine Schwierigkeiten bereitet die Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs des Gleichbehandlungsgrundsatzes, soweit es um den geschützten Personenkreis, also die Gleichbehandlungsberechtigten geht: Geschützt werden, wie sich schon aus dem Wortlaut von Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL und § 53a AktG ergibt, ausschließlich die Gesellschafter 1 . Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den weitergehenden Gleichbehandlungspflichten des Kapitalmarktrechts, die auch die Inhaber anderer Wertpapiere2 oder gar alle Marktteilnehmer3 in den Schutzbereich einbeziehen. Schwieriger zu beantworten ist dagegen die Frage nach dem Kreis der Gleichbehandlungs verpflichteten. Hier kommen neben der Gesellschaft womöglich auch andere Personen als Normadressaten in Betracht, insbesondere die Organwalter, die für die Ungleichbehandlung stimmenden Mitgesellschafter sowie u.U. die Gläubiger/Einzelrechtsnachfolger der Gesellschaft.
I. Die Gesellschaft als Normadressatin/Auswirkungen auf die Organwalter Unstreitig ist zunächst, dass (jedenfalls) die Gesellschaft Normadressatin des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist 4 . Innerhalb der Gesellschaft sind alle O r gane, gleich ob Geschäftsführung/Vorstand, Aufsichtsrat oder Anteilseignerversammlung, im Rahmen ihres Handelns für die Gesellschaft zur Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verpflichtet. Dasselbe gilt für das Handeln sonstiger vertretungsberechtigter Personen. Entscheidend ist nur, dass die betreffende Maßnahme der Gesellschaft zugerechnet wird. 1 Zur Frage, ob u.U. auch ehemalige oder künftige Gesellschafter geschützt werden, s. unten § 10 II. 2 Vgl. Art. 18 Abs. 1 Transparenz-RL, § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG; Art. 3 Abs. 1 ÜbernahmeR L , § 3 Abs. 1 WpÜG. 3 Vgl. Art. 1 ff. Marktmissbrauchs-RL, §§ 12ff. WpHG, die den Schutz der informationellen Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer sicherstellen wollen (durch Geheimhaltung von Insiderinformationen und ad-hoc-Publizität). 4 Vgl. statt aller Bungeroth, in: Münch.Komm. AktG, §53a Rdn.4; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 29; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 25; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rdn. 44.
172
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Da innerhalb der Gesellschaft alle Organe den Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten haben, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht selten formuliert, dass sich der Grundsatz an die Gesellschaft, deren Geschäftsleiter und die Mehrheit der Gesellschafter in der Anteilseignerversammlung richte5. Diese Formulierung mag den Anschein erwecken, als treffe die Geschäftsleiter eine eigene Gleichbehandlungspflicht unmittelbar gegenüber den Gesellschaftern, was nahe legen würde, dass sie dann auch (wie in der Schweiz6) für Verletzungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes unmittelbar gegenüber den Gesellschaftern haften müssten. Die traditionelle und nach wie vor ganz herrschende Auffassung in Deutschland geht aber davon aus, dass Sonderverbindungen nur „über Eck" bestehen, also nur zwischen Organwaltern und Gesellschaft einerseits sowie Gesellschaft und Gesellschaftern andererseits, nicht aber unmittelbar zwischen Organwaltern und Gesellschaftern. Eine Haftung der Organwalter unmittelbar gegenüber den Gesellschaftern kommt danach allenfalls über deliktsrechtliche Anspruchsgrundlagen in Betracht 7 . Auf die Einzelheiten wird im Zusammenhang mit den Sanktionen von Gleichbehandlungsverstößen noch ausführlich zurückzukommen sein8. An dieser Stelle soll nur darauf hingewiesen werden, dass die o.g. Formulierung, der Gleichbehandlungsgrundsatz richte sich auch an die Geschäftsleiter, nicht als Stellungnahme gegen die geschilderte traditionelle Haftungskonzeption missverstanden werden darf 9 . Auf der Grundlage der h.M. ist sie vielmehr dahin zu verstehen, dass die Organwalter im Rahmen ihrer Pflicht zur sorgfältigen Geschäftsführung (§§ 43 GmbHG, 93 AktG) gegenüber der Gesellschaft verpflichtet sind, deren Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten10.
II. Einzelne Gesellschafter als Normadressaten? 1. Fragestellung Aus dem Gesagten ergibt sich bereits, dass auch die Gesellschafter die Gleichbehandlungspflicht der Gesellschaft beachten müssen, sofern sie in der Geschäftsleitung, in der Anteilseignerversammlung oder anderweitig für die Gesellschaft tätig werden. Adressatin des Gleichbehandlungsgrundsatzes bleibt insoweit aber allein die Gesellschaft, der das Handeln des Gesellschafters zugerechnet wird. Im Folgenden soll das Augenmerk dagegen auf solche Handlungen der Gesell5 Vgl. etwa O L G München N J W - R R 1996, 746 (747 re. Sp.); Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 125. 6 S. oben §7 III 2 a, 3. 7 Vgl. vorerst nur B G H Z 83, 122 (134) (AG); B G H Z 110, 323 (334) (e.V.); Haas, in: Michalski, GmbHG, §43 Rdn.272. 8 S. unten §18 II. 9 Genau diesem Missverständnis erliegt aber v. Aubel, Vorstandspflichten, S. 140. 10 Sehr deutlich in diesem Sinne etwa Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, §43 Rdn.26.
§ 8 Persönlicher
Anwendungsbereich
173
schafter gerichtet werden, die nicht für die Gesellschaft, sondern im eigenen Namen vorgenommen werden. Untersucht man, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz auch in diesem Bereich Wirkungen entfaltet, gilt es zunächst zwei Konstellationen zu unterscheiden. Die erste Konstellation betrifft Fälle, in denen sich ein Gesellschafter selbst zulasten des Gesellschaftsvermögens Sondervorteile verschafft, indem er z.B. in die Gesellschaftskasse greift, Gegenstände des Gesellschaftsvermögens für eigene Zwecke nutzt etc. Hier könnte man von einer Ungleichbehandlung des sich selbst bevorzugenden Gesellschafters gegenüber den Mitgesellschaftern sprechen und zur Unterbindung solcher Handlungen die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Betracht ziehen 11 . Praktisch wäre damit aber wenig gewonnen. Es steht ohnehin außer Frage, dass dem Gesellschafter derartige schädigende Einwirkungen auf die Gesellschaft untersagt sind. Zur Begründung stützt man sich gewöhnlich auf die Treuepflicht des Gesellschafters zu seiner Gesellschaft und nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz 12 . Hierbei sollte man es belassen, zumal jene insoweit den sachnäheren Anknüpfungspunkt bildet: „Behandelt" wird in den genannten Fällen schließlich unmittelbar nur die Gesellschaft, nicht die einzelnen Gesellschafter 13 . Die zweite Konstellation betrifft Entscheidungen des Gesellschafters, die sich nicht nachteilig auf das Gesellschaftsvermögen auswirken, sondern ausschließlich die Ebene der Gesellschafter betreffen. Bei derartigen Entscheidungen (z.B. dem Erwerb oder der Veräußerung von Anteilen von bzw. an Mitgesellschafter) stellt sich die Frage, ob der Gesellschafter zwischen seinen Mitgesellschaftern nach Belieben differenzieren darf oder hierfür einer besonderen sachlichen Rechtfertigung bedarf. Die nachstehenden Ausführungen betreffen allein diese zweite Konstellation. 2.
Meinungsstand
Die ganz h.M. in Rechtsprechung14 und Literatur15 steht einer Anwendung des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Entscheidungen einzelner Gesellschafter außerhalb der Gesellschaftsorgane ablehnend gegenSo wohl Zöllner, Z G R 1988, 392 (406). Vgl. etwa Lutter, AcP 180 (1980), 84 (116). 13 Die Frage erinnert an das Verhältnis zwischen der Treuepflicht zur Gesellschaft und der Treuepflicht der Gesellschafter untereinander. Auch letztere kommt richtigerweise nur zum Zuge, sofern nicht bereits die Treuepflicht zur Gesellschaft betroffen ist; vgl. M. Winter, Treuebindungen, S. 81, 93 ff., sowie unten § 19 I 1 b. 14 O L G Celle DB 1974, 525 (525, re. Sp.) (Vorinstanz zu B G H J Z 1976, 561); O L G Düsseldorf BB 1973, 910 (912); WM 1992, 986 (989); WM 1995, 756 (760 f.). 15 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.226, 227 ff.; Meyer-Cording, FS Nipperdey, S.537 (542, 543); Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 4; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Anh. §318 Rdn. 25; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 30; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 11
12
174
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
über. D a s s dies richtig ist, leuchtet unmittelbar ein, sofern sich der handelnde Gesellschafter gegenüber seinen Mitgesellschaftern in keiner besonderen E i n flussposition befindet. S o w ü r d e niemand auf den G e d a n k e n k o m m e n , einem Kleinaktionär, der einem anderen eine einzelne A k t i e verkaufen will, die Pflicht aufzuerlegen, die A k t i e auch allen anderen A k t i o n ä r e n anzubieten. D i e h . M . verneint die Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes aber auch in Fällen, in denen ein herrschender Gesellschafter den Minderheitsgesellschaftern in einer Weise gegenübertritt, die - jedenfalls auf den ersten B l i c k - an das U b e r - / U n t e r o r d n u n g s v e r h ä l t n i s zwischen Gesellschaft und Gesellschafter erinnert. I n der Gerichtspraxis ist diese Frage vor allem im Z u s a m m e n h a n g mit Abfindungsangeboten relevant geworden, die nicht von der Gesellschaft, sondern v o m herrschenden Gesellschafter ausgehen, wie dies namentlich bei B e herrschungs- und G e w i n n a b f ü h r u n g s v e r t r ä g e n (§ 3 0 5 A k t G ) , aber auch bei einzelnen weiteren ( S t r u k t u r - ) M a ß n a h m e n der Fall ist bzw. sein k a n n 1 6 . W e n n der herrschende Gesellschafter von einzelnen A k t i o n ä r e n im Vorfeld oder w ä h rend des laufenden Abfindungsangebots A k t i e n zu einem höheren B e t r a g erw i r b t - sei es z u m „ A u s k a u f " oppositioneller A k t i o n ä r e , zur G e w ä h r u n g eines Paketzuschlags oder aus anderen G r ü n d e n - soll er nicht aufgrund des G l e i c h behandlungsgrundsatzes verpflichtet sein, denselben B e t r a g auch allen anderen A k t i o n ä r e n anzubieten 1 7 . I n keiner der Entscheidungen findet sich allerdings eine Begründung, weshalb der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht auch einzelne Gesellschafter binden kann. Das ist bemerkenswert, da der Wortlaut des § 53a A k t G für eine derartige E i n schränkung nichts hergibt. Verwiesen wird in den Entscheidungen lediglich auf die überwiegende Auffassung im S c h r i f t t u m , die sich aber ebenfalls nicht um eine nähere Begründung bemüht. In neuerer Zeit wird allenfalls das Argument angeführt, dass eine Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf das Verhältnis der Gesellschafter untereinander der systematischen Stellung des § 53a A k t G im dritten Teil des A k t G widersprechen würde 1 8 . Dieses Argument ist indes nicht besonders stark, da die Ü b e r s c h r i f t „Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter" durchaus R a u m für eine abweichende Interpretation ließe. D a n e Rdn. 44; Hüffer, AktG, § 53a Rdn. 4;Janssen, in: AnwKomm. AktG, § 53a Rdn. 20; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 18, 25; Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, §13 Rdn. 96; Röhricht, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Corporate Governance, S. 513 (528); M. Weher, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 55 f. mit Fn. 17; G. Wiesner, in: MünchHdb. AG, § 17 Rdn. 11; Nehls, Treuepflicht, S. 129; Janke, Treuepflicht, S. 71. 16 Etwa bei der Mehrheitseingliederung (§ 320b AktG), dem Ausschluss von Minderheitsaktionären (§327b AktG) oder dem Delisting (dort kann das Angebot wahlweise von der Gesellschaft oder dem Mehrheitsaktionär unterbreitet werden; vgl. B G H Z 153, 47 (Leitsatz b, 57). 17 So - jeweils zu §305 AktG - O L G Düsseldorf BB 1973, 910 (912); O L G Düsseldorf WM 1992, 986 (989) mit zust. Anm. Bayer, WuB §304 AktG 1.92; Ehenroth/Wilken, EWiR 1992,1043 (1044); ferner O L G Düsseldorf WM 1995, 756 (760 f.). 18 Diekgräf, Sonderzahlungen, S. 296, 331; Seydel, Konzernbildungskontrolle, S. 63.
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ben finden sich ausschließlich Begründungsversuche aus älterer Zeit. D a m a l s hieß es, dass eine Gleichbehandlungspflicht im Verhältnis der (Kapital-) Gesellschafter untereinander schon deshalb nicht in Betracht k o m m e , weil zwischen ihnen keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen bestünden 1 9 . Diese Begründung ist jedoch ersichtlich überholt: D i e Vorstellung, dass die Körperschaft Zurechnungspunkt aller rechtlichen Beziehungen sei und jede direkte Verbindung zwischen den einzelnen Gesellschaftern zerschneide 2 0 , ist spätestens seit der höchstrichterlichen A n erkennung von Treuepflichten zwischen den Kapitalgesellschaftern 2 1 endgültig überwunden. D a r ü b e r hinaus war diese Begründung aber auch früher schon nicht überzeugend. Wenn nämlich das Fehlen von Rechtsbeziehungen zwischen den Gesellschaftern entscheidend gewesen wäre, hätte man wenigstens im Personengesellschaftsrecht den Gleichbehandlungsgrundsatz auch auf Entscheidungen einzelner Gesellschafter anwenden müssen. F ü r das Personengesellschaftsrecht entspricht es aber ebenso wie für das Kapitalgesellschaftsrecht der seit jeher h.M., dass sich der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht an einzelne Gesellschafter richtet 2 2 . W e n n diese Auffassung zutrifft, muss hierfür also eine andere Begründung gefunden werden. Angesichts dieses Begründungsdefizits überrascht es nicht, dass verschiedentlich versucht worden ist, entgegen der h . M . dem Gleichbehandlungsgrundsatz auch i m Verhältnis der Gesellschafter untereinander neue A n w e n d u n g s felder zu erschließen 2 3 . E i n e bedeutsame Ausweitung des GleichbehandlungsVgl. Meyerowitz, Gleichmäßige Behandlung, S. 2; Nord, Rechte der Aktionäre, S. 22 f. So die anschauliche Formulierung von Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 271. 21 B G H Z 65,15 (18 f.) (GmbH); BGHZ 103,184 (194f.) (AG). 22 Rechtsformübergreifend G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.226, 227 ff.; MeyerCording, FS Nipperdey, S. 537 (542, 543); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 II 4 b (S. 462); speziell zu Personengesellschaften Flume, AT 1/1, § 10 III (S. 138 f.); Timm/Schöne, in: Bamberger/Roth, B G B , § 705 Rdn. 108; wohl auch Emmerich, in: Heymann, HGB, § 109 Rdn. 12a (missverständlich aber Rdn. 12). Unzutreffend daher die Behauptung von Reul, Gleichbehandlung, S. 271 Fn. 111, dass man im Personengesellschaftsrecht ohne weiteres von der Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht nur gegenüber der Gesellschaft, sondern auch zwischen den Gesellschaftern ausgehe. 23 Vgl. vor allem die Ansätze von Martens und Hütte (zu beiden sogleich im Text); kritisch gegenüber der h.M. ferner Berding, WM 2002,1149 (U52 f.); ders., Anlegerschutz, S. 55 f.; sowie Reul, Gleichbehandlung, S. 270 ff., der die Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Verhältnis der Gesellschafter untereinander aber letztlich offen lässt; zweifelnd auch Lutter, JZ 1976, 225 (231) (anders aber ders./Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 18, 25). Von der Bindung einzelner Gesellschafter an den Gleichbehandlungsgrundsatz scheint ohne nähere Begründung auch LG Frankfurt AG 1987, 315 (317) auszugehen; dort wird das Abfindungsangebot der Mehrheitsgesellschafterin am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes gemessen. In dieselbe Richtung möglicherweise auch Altmeppen, in: Roth/ Altmeppen, GmbHG, § 13 Rdn. 60, dem zufolge das Recht des einzelnen Gesellschafters auf Gleichbehandlung auch gegenüber den Mitgesellschaftern bestehen soll; andererseits verweist Altmeppen aber auch auf G. Hueck/Fastrich, die in Ubereinstimmung mit der h.M. die Gesellschafter nur gebunden sehen, sofern sie für die Gesellschaft handeln; vgl. dies., in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rdn. 44. 19
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3. Kapitel:
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und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
grundsatzes in dieser Richtung befürwortet insbesondere Martens2*. Zwar stimmt er mit der h.M. insoweit überein, als das Gleichbehandlungsgebot für das Verhältnis der Gesellschafter untereinander nicht generell Anwendung finden soll. Eine Ausnahme sei aber immer dann anzunehmen, wenn das Gesetz den Mehrheitsgesellschafter ausdrücklich zur Leistung an die Minderheitsgesellschafter verpflichte, wie dies vor allem bei den verschiedenen Abfindungspflichten (z.B. nach § 305 AktG) der Fall sei 25 . Hier gehe das Gesetz davon aus, dass der herrschende Gesellschafter allen außenstehenden Aktionären zur angemessenen Abfindung verpflichtet sei und dieser „Kollektivverpflichtung" in gleicher Weise entsprechen müsse. Insofern sei der Gleichbehandlungsgrundsatz bereits in der gesetzlichen Regelung angelegt. Wenn der herrschende Gesellschafter in dieser Situation einem Gesellschafter eine besonders hohe Abfindung gewähre (sei es, um diesen zur Aufgabe seiner Opposition zu bewegen 26 , sei es aus anderen Gründen), trete hierdurch eine „Selbstbindung" auch zugunsten der übrigen Aktionäre ein. Dies ergebe sich auch daraus, dass die Angemessenheit der Abfindung ein in vieler Hinsicht offener Rechtsbegriff sei, der einen nicht unerheblichen Bewertungsspielraum biete. Habe das herrschende Unternehmen diesen unbestimmten Rechtsbegriff durch eine Abfindungszahlung gegenüber einem einzelnen Aktionär selbst konkretisiert, sei es widersprüchlich, wenn es sich anschließend in unterschiedlicher Weise auf die Angemessenheit seines Abfindungsangebots berufe. Etwas anderes gelte nur, sofern ein sachlicher Grund für die Differenzierung vorliege, was aber regelmäßig nicht der Fall sei. Einen weiteren Vorschlag zur Ausdehnung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf das Verhältnis der Gesellschafter untereinander hat in neuerer Zeit Hütte unterbreitet 27 . Danach richtet sich der Gleichbehandlungsgrundsatz immer dann auch an einzelne Gesellschafter, wenn diese „in Ausübung besonderer Prärogativen" handelten, d.h. in Ausübung besonderer Befugnisse, die gewöhnlich der Gesellschaft zustünden, durch den Gesellschaftsvertrag aber einzelnen Gesellschaftern übertragen worden seien. Als Beispiel nennt Hütte sog. 24 AG 1988, 118 (125); ders., in: K. Schmidt, Rechtsdogmatik, S.251 (255, 264); ders., in: Timm, Missbräuchliches Aktionärsverhalten, S. 63 (80f.). 25 Martens nennt ausdrücklich nur die Abfindungspflicht nach §305 AktG. Entsprechendes müsste aber konsequenterweise auch für Abfindungen nach §§320 b, 327 b AktG und beim Delisting gelten. 2 6 Die Ausführungen von Martens beziehen sich in erster Linie auf den Auskauf oppositioneller Aktionäre, um diese zur Antragsrücknahme im Spruchverfahren zu bewegen. Dieser Fall hat inzwischen an Bedeutung eingebüßt, da eine Antragsrücknahme im Spruchverfahren nicht mehr notwendig zur Verfahrensbeendigung führt, sondern der gemeinsame Vertreter das Verfahren weiterführen kann; vgl. § 6 Abs. 3 SpruchG und zuvor bereits die 1994 eingefügte Regelung des § 306 Abs. 4 Satz 10 AktG i.V.m. § 308 Abs. 3 UmwG. Sinngemäß sind die Ausführungen von Martens aber auch auf alle anderen Fälle übertragbar, in denen einzelnen Aktionären ein über dem Abfindungsangebot liegender Betrag gezahlt wird. 27 Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 72 f. (zum Personengesellschaftsrecht).
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Hinauskündigungsrechte, wie sie im Personengesellschaftsrecht, aber auch im G m b H - R e c h t nicht selten begegnen 2 8 . H i e r trete der berechtigte Gesellschafter den Mitgesellschaftern „ f u n k t i o n a l " wie ein Gesellschaftsorgan in einem U b e r /Unterordnungsverhältnis
gegenüber. E s erscheine daher nicht
einsichtig,
w a r u m der Gesellschafter bei Entscheidungen dieser A r t von der B i n d u n g an den Gleichbehandlungsgrundsatz frei sein solle, während die Gesellschaftsorgane daran gebunden seien.
3. Stellungnahme a) B e i näherer B e t r a c h t u n g zeigt sich indes, dass dem Begründungsdefizit der h . M . durchaus abgeholfen werden kann. E i n erster A n h a l t s p u n k t f ü r die R i c h tigkeit der h . M . folgt bereits aus dem Wortlaut der Parallelbestimmung zu § 53a A k t G in § 39 A b s . 1 N r . 1 B ö r s G . D o r t wird ausdrücklich nur der E m i t t e n t , also die Gesellschaft, auf den Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet. D a beiden V o r s c h r i f t e n nach bisher unbestrittener Auffassung dasselbe Prinzip zugrunde liegt 2 9 , wird m a n auch § 53a A k t G entsprechend auszulegen haben. I n dieselbe R i c h t u n g deutet auch der U m s t a n d , dass mit E i n f ü h r u n g des § 53a A k t G keine inhaltliche Ä n d e r u n g gegenüber dem bisherigen R e c h t s z u s t a n d beabsichtigt war 3 0 , der Gesetzgeber also offenbar das traditionelle Verständnis einer nur vertikalen A n w e n d u n g im Verhältnis
Gesellschaft/Gesellschafter
ü b e r n e h m e n wollte 3 1 . W i e dargelegt genügt diese Auslegung auch den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben 3 2 und entspricht dem Verständnis, das auch im Ausland zugrunde gelegt wird 3 3 . D a s letztlich entscheidende A r g u m e n t f ü r die h . M . ergibt sich aber aus den E r w ä g u n g e n , die oben zur ratio legis des gesellschaftsrechtlichen G l e i c h b e handlungsgrundsatzes angestellt worden sind 3 4 . D a n a c h geht es dem G r u n d satz nicht (jedenfalls nicht in erster Linie) u m die V e r w i r k l i c h u n g distributiver Gerechtigkeitsvorstellungen, sondern u m die Sicherung der iustitia
commuta-
tiva gegenüber Eingriffen in die Mitgliedschaft. Leitend f ü r diese E r k e n n t n i s 28 Solche Hinauskündigungsrechte sind nach der Rechtsprechung des B G H freilich nur in eingeschränktem Umfang zulässig; vgl. zuletzt B G H ZIP 2005,1917,1920; Uberblick über den Stand der Rechtsprechung bei Ulmer, in: MünchKomm. BGB, §737 Rdn. 17ff.; Habersack/Verse, ZGR 2005, 451 (455 ff.). 29 Nachw. oben § 2 Fn. 92. 30 Vgl. Begr. RegE 2. KoordG, BT-Drucks. 8/1678, S. 13. 31 Dies gilt umso mehr, als erst kurz vor Einführung des § 53a AktG verschiedene obergerichtliche Urteile diesen Standpunkt nochmals in Erinnerung gerufen hatten; vgl. O L G Düsseldorf BB 1973, 910 (912); OLG Celle DB 1974, 525 (525, re. Sp.). 32 S. oben §6 II 1. 33 S.oben §7 III 2a (Niederlande, Österreich, Schweiz); vgl. auch §7 I 2a nach Fn.28 (zum abus de majorite in Frankreich), § 7 II 3 b (zum unfairprejudice in England). 34 S.oben §4 III 2.
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
war die Überlegung, dass Bevorzugungen einzelner Gesellschafter durch die Gesellschaft zwar nicht notwendig, aber doch typischerweise zulasten der übrigen Gesellschafter gehen: Wenn die Gesellschaft einem Gesellschafter eine Zuwendung macht, wird hierdurch das Gesellschaftsvermögen verringert und damit mittelbar die Position der übrigen Gesellschafter beeinträchtigt. Wenn die Gesellschaft neue Anteile aus einer Kapitalerhöhung nur einzelnen Gesellschaftern zuteilt, sinkt die Beteiligungsquote der übrigen, usw. Auf Ungleichbehandlungen seitens eines Gesellschafters lassen sich diese Überlegungen dagegen nicht übertragen: Wenn ein Gesellschafter einen Mitgesellschafter besser behandelt als die übrigen, greift er damit weder notwendig noch typischerweise in deren mitgliedschaftliche Positionen ein. An diesem zentralen Unterschied ändert sich auch dann nichts, wenn es sich bei dem Gesellschafter um einen herrschenden Gesellschafter handelt und dieser - worauf Martens abstellt - kraft Gesetzes zu einer Leistung an die Minderheitsaktionäre (z.B. einer Abfindung) verpflichtet ist. Wenn der Mehrheitsgesellschafter einem einzelnen Aktionär eine höhere als die angemessene Abfindung gewährt, wird dadurch die Position der übrigen nicht beeinträchtigt. Bei einer Abfindung durch die Gesellschaft liegt es dagegen offensichtlich anders; eine höhere Abfindung für den Einzelnen würde das Gesellschaftsvermögen schmälern und damit zulasten derjenigen gehen, die in der Gesellschaft verbleiben wollen 35 . b) Wollte man gleichwohl Gleichbehandlungspflichten einzelner Gesellschafter annehmen, müsste man sich also auf eine andere tragfähige Begründung stützen, als sie der Gleichbehandlungspflicht der Gesellschaft zugrunde liegt. Eine solche Begründung bleiben aber sowohl Martens als auch Hütte schuldig. Zwar lässt sich in den Fällen der gesetzlichen Abfindungspflicht mit Martens gewiss von einer „Kollektivverpflichtung" des herrschenden Gesellschafters sprechen. Warum allein daraus folgen soll, dass die Zahlung eines noch so hohen Betrags an einen Gesellschafter eine „Selbstbindung" und damit eine gleich hohe Abfindungspflicht gegenüber allen anderen Gesellschaftern nach sich ziehen soll, bleibt aber unklar. Auch andernorts im Zivilrecht führt die überobligationsmäßige Erfüllung einer Kollektivverpflichtung nicht ohne weiteres zur Annahme einer solchen Selbstbindung 36 . Bei Licht besehen geht es 35 Aus diesem Grund ist es nicht ungereimt, wenn im Fall des Delisting, in dem das Abfindungsangebot wahlweise von der Gesellschaft oder dem Großaktionär unterbreitet werden kann ( B G H Z 153, 47 [Leitsatz b, 57]), die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach h.M. davon abhängt, welcher Wahlmöglichkeit der Vorzug gegeben wird. Die ratio legis des Grundsatzes ist eben nur im ersten Fall (Angebot der Gesellschaft) berührt. Im Übrigen erleiden die außenstehenden Aktionäre aus der Unanwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes im zweiten Fall (Angebot des Großaktionärs) keinen unzumutbaren Nachteil, da sie stets mindestens die angemessene Abfindung erhalten. 36 Wenn sich z.B. ein Lieferant in einem Vertrag mit zehn verschiedenen Parteien eines Konsortiums von Bauunternehmen zur Lieferung bestimmter Bauteile verpflichtet hat und
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Anwendungsbereich
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Martens, wie seine weitere Argumentation zeigt, denn auch weniger um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes als um die Auslegung des Begriffs der „angemessenen" Abfindung. Seine eigentliche These lautet, dass der herrschende Gesellschafter, der einem einzelnen Aktionär eine bestimmte Gegenleistung anbietet, damit selbst zu erkennen gebe, dass dieser Betrag angemessen sei. Wenn diese These richtig wäre, müsste derselbe Betrag in der Tat allen Aktionären angeboten werden. Dies würde sich dann aber bereits unmittelbar aus der Pflicht zur Gewährung einer angemessenen Abfindung ergeben; der Rückgriff auf den Gleichbehandlungsgrundsatz wäre in diesem Fall entbehrlich. Davon abgesehen verdient die These aber auch sonst - jedenfalls in dieser Allgemeinheit - keine Zustimmung. Gerade in den von Martens behandelten Fällen der Abfindung opponierender Aktionäre spiegelt der Abfindungsbetrag nicht nur den Verkehrswert der Aktie, sondern auch einen darüber hinausgehenden Lästigkeitswert wider, auf den die Aktionäre gerade keinen Anspruch haben 37 . Die von Hütte gegebene Begründung, dass in den von ihm genannten Fällen ein Uber-/Unterordnungsverhältnis bestehe und der Gesellschafter „funktional" wie ein Gesellschaftsorgan agiere, vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Dass das Vorliegen einseitiger Gestaltungsmacht für sich genommen nicht ausreichend ist, um privatrechtliche Gleichbehandlungspflichten zu erzeugen, wurde bereits dargelegt 38 . Warum ein Gesellschafter, der im eigenen Namen Befugnisse ausübt, die nach dem Gesellschaftsvertrag allein ihm zugeordnet sind, „funktional" wie ein Gesellschaftsorgan handeln soll, bleibt ebenfalls dunkel. Nach alledem spricht alles dafür, es bei der traditionellen Auffassung zu belassen: Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet lediglich auf das Handeln der Gesellschaft Anwendung, nicht auf das einzelner Gesellschafter.
4. Exkurs: Horizontale Gleichbehandlungspflichten aus anderen Rechtsgrundlagen Durch das Gesagte wird freilich nicht ausgeschlossen, dass sich aus anderen Rechtsgrundlagen Gleichbehandlungspflichten auch im Verhältnis der Gesellschafter untereinander ergeben können. Zu verweisen ist insoweit in erster Lier einer Partei bereits vor Ablauf der vereinbarten Lieferfrist liefert, käme niemand auf den Gedanken, allein daraus eine Selbstbindung in dem Sinne abzuleiten, dass er nunmehr auch die übrigen neun Abnehmer vorzeitig zu beliefern hätte. Ablehnend gegenüber dem Gedanken der Selbstbindung auch OLG Düsseldorf W M 1992, 986 (990); Ebenroth/Wilken, EWiR 1992,1043 (1044); Diekgräf, Sonderzahlungen, S. 325 ff. 37 Vgl. in diesem Sinne auch OLG Düsseldorf W M 1992, 986 (990); Diekgräf, Sonderzahlungen, S. 321,324,329 f. Dies bedeutet nicht, dass die Uberwindung u.U. begründeter Opposition durch Auskauf der betreffenden Aktionäre für den herrschenden Gesellschafter in jeder Hinsicht sanktionslos wäre. Vielmehr kann darin eine Treuepflichtverletzung liegen, die u.U. Schadensersatzpflichten nach sich ziehen kann; s. dazu unten Ziff. 4 b. 38 S. oben §4 II 4.
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
nie auf die kapitalmarktrechtlichen Gleichbehandlungspflichten des WpÜG 39 . Im Schrifttum ist darüber hinaus versucht worden, aus der Treuepflicht der Gesellschafter untereinander einzelne weitere Gleichbehandlungspflichten abzuleiten. Wegen des thematischen Zusammenhangs soll auf diese Versuche im Folgenden (kurz) eingegangen werden, auch wenn dabei formal nicht die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Rede steht. Diskutiert werden solche Treuepflichten einzelner Gesellschafter zur Gleichbehandlung vor allem in zwei Bereichen: zum einen bei der Frage der Verteilung von Paketzuschlägen und Kontrollprämien, zum anderen bei der bereits angesprochenen Problematik der Sonderzahlungen des Mehrheitsgesellschafters an opponierende Gesellschafter. a) Aufteilung
von
Paketzuschlägen
Eine intensive Diskussion hat sich insbesondere um die Frage der gleichmäßigen Verteilung von Paketzuschlägen entwickelt. Solche Zuschläge werden häufig im Zusammenhang mit der Übernahme der Kontrolle (Kontrollprämien), aber auch sonst zur Erreichung relevanter Beteiligungsschwellen, etwa zur Erreichung einer satzungsändernden Mehrheit oder einer Sperrminorität, an Veräußerer größerer Anteilspakete gezahlt. Hier stellt sich die Frage, ob auch die übrigen Gesellschafter gleichmäßig (anteilig) an dem Zuschlag zu beteiligen sind. In der bisherigen Diskussion ist die Frage vornehmlich an zwei Stellen behandelt worden: einerseits im Übernahmerecht, andererseits im Zusammenhang mit den gesetzlich vorgeschriebenen Abfindungsangeboten des Konzernrechts (§§ 305, 320b, 327b AktG). In beiden Bereichen hatte sich vor In-Kraft-Treten des WpÜG die Auffassung durchgesetzt, dass Paketzuschläge nicht gleichmäßig verteilt werden müssen40. Allerdings hat es insbesondere im Übernahmerecht - inspiriert durch einzelne US-amerikanische Entscheidungen, namentlich die berühmte Entscheidung Perlman v. Feldmann41 39 Vgl. insbesondere § 3 Abs. 1 WpÜG (allgemeines übernahmerechtliches Gleichbehandlungsgebot); §19 WpÜG (gleichmäßige Zuteilung bei Teilangeboten); §31 WpÜG i.V.m. §§3 ff. WpÜG-AngVO (Bemessung der Gegenleistung; Bindung an Vor-, Parallel- und Nacherwerbspreise), §32 WpÜG (Verpflichtung zum Vollangebot bei Übernahme- und Pflichtangeboten). 40 Für das Übernahmerecht vgl. etwa Lutter, Z H R 153 (1989), 446 (462); Hommelhoff/ Kleindiek, AG 1990, 106 (108); Assmann/Bozenhardt, in: Assmann u.a., Übernahmeangebote, S. 1 (67); Martens, in: K. Schmidt, Rechtsdogmatik, S.251 (265 f.); Krieger, in: MünchHdb. AG, § 69 Rdn. 18; sowie die Preisregelung für Pflichtangebote in § 17 Übernahmekodex, die Abschläge gegenüber zuvor gezahlten Paketpreisen zunächst bis zu einer Grenze von 25 % und in der seit 1998 geltenden Fassung uneingeschränkt zuließ. Für die konzernrechtlichen Abfindungstatbestände statt vieler Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, §305 Rdn. 73 f. m.w.Nachw.; vgl. auch BVerfGE 100,289 (306 f.) (dazu sogleich im Text). 41 219 F.2d 173 (177) (2dCir. 1955). In dieser Entscheidung wurde dem klagenden Minderheitsaktionär ein Zahlungsanspruch auf Teilhabe an der dem Großaktionär gezahlten Kon-
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n i c h t an V e r s u c h e n g e m a n g e l t , aus der T r e u e p f l i c h t des V e r ä u ß e r e r s o d e r der ( v o r m i t g l i e d s c h a f t l i c h e n ) T r e u e p f l i c h t des E r w e r b e r s die V e r p f l i c h t u n g a b z u leiten, die a u ß e n s t e h e n d e n G e s e l l s c h a f t e r g l e i c h m ä ß i g an P a k e t z u s c h l ä g e n z u b e t e i l i g e n 4 2 . Teils w u r d e dabei eine „ g r o ß e " G l e i c h b e h a n d l u n g s l ö s u n g b e f ü r w o r t e t , der z u f o l g e der E r w e r b e r alle A n t e i l e der ü b r i g e n G e s e l l s c h a f t e r z u d e n s e l b e n K o n d i t i o n e n z u ü b e r n e h m e n v e r p f l i c h t e t sein s o l l t e 4 3 , teils e i n e „ k l e i n e " G l e i c h b e h a n d l u n g s l ö s u n g , bei der den ü b r i g e n G e s e l l s c h a f t e r n das R e c h t z u g e s t a n d e n w u r d e , i h r e A n t e i l e pro rata d e m E r w e r b e r a n z u d i e n e n 4 4 . D i e s e D i s k u s s i o n m u s s h i e r n i c h t in allen F a c e t t e n n o c h m a l s ausgebreitet w e r d e n . A u s s c h l a g g e b e n d f ü r die a b l e h n e n d e H a l t u n g der h . M . w a r z u m ein e n der H i n w e i s auf den G r u n d s a t z der f r e i e n U b e r t r a g b a r k e i t der A n t e i l e 4 5 , v o r allem a b e r der U m s t a n d , dass die in v e r s c h i e d e n e n V a r i a t i o n e n w i e d e r k e h r e n d e K e r n t h e s e der G l e i c h b e h a n d l u n g s l ö s u n g e n , dass der m i t d e m P a k e t z u s c h l a g a b g e g o l t e n e W e r t der K o n t r o l l e ein allen A n t e i l s e i g n e r n g e m e i n s a m z u s t e h e n d e s G u t sei (sog. corporate
«5sei-Theorie46), keine Z u s t i m m u n g
f a n d . G e g e n diese T h e s e w u r d e i n s b e s o n d e r e e i n g e w a n d t , dass die a u ß e n s t e henden Gesellschafter ihre Anteile zu keinem Z e i t p u n k t unter Realisierung e i n e r e n t s p r e c h e n d e n P r ä m i e h ä t t e n v e r ä u ß e r n k ö n n e n , s o dass i h n e n bei V o r e n t h a l t u n g des P a k e t z u s c h l a g s k e i n N a c h t e i l e n t s t e h e 4 7 . N a c h dieser B e t r a c h trollprämie zugesprochen; eingehend dazu Wiedemann,
Minderheitenschutz, S. 35 ff.; Rupp-
recht, Pakethandel, S. 94 ff. Als generelle Regel hat sich diese Auffassung aber auch in den USA nicht durchsetzen können; näher Buxbaum, FS Wiedemann, S. 769 ff.; Lüttmann, trollwechsel, S. 128 ff.; Herkenroth,
Kon-
Konzernierungsprozesse, S. 120 ff.; Reul, Gleichbehand-
lung, S. 18 ff., 28 ff., 52. Stattdessen heißt es etwa in den „Principles of Corporate Governance" des American Law Institute (§ 5.16): „A controlling shareholder has the same right to dispose of voting equity securities as any other shareholder, including the right to dispose of those securities for a price that is not made proportionally available to other shareholders..." 42 Vgl. Reul, Gleichbehandlung, S. 251 ff., der dies aber selbst als „Notlösung" bezeichnet (S.270); Grundmann, Treuhandvertrag, S. 465ff., 475ff.; M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 328 ff., 350 ff., 379 ff. 43 Sei es, weil der Veräußerer dafür zu sorgen hat, dass der Erwerber auch alle übrigen Anteile übernimmt (Treuepflicht des Veräußerers), sei es, weil der Erwerber selbst ein entsprechendes Angebot schuldet (Treuepflicht des Erwerbers). Für eine solche „große" Lösung in Fällen des Kontrollerwerbs Reul, Gleichbehandlung, S.306 und passim; M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 379 ff., 411. 44 Hierfür Grundmann, Treuhandvertrag, S. 465 ff., 481; in Bezug auf Paketzuschläge zur Erlangung einer Sperrminorität auch M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 379ff., 411. 45 Vgl. Lutter, Z H R 162 (1998), 164 (171 f.); Kühr, Minderheitenschutz, S. 63. 46 Grundlegend Berief Means, Modern Corporation, insbes. S. 244 ("the power going with 'control' is an asset which belongs only to the corporation"). Näher dazu und zu alternativen Ansätzen im amerikanischen Recht M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 339 ff.; Reul, Gleichbehandlung, S. 47 f f . ; Herkenroth, Konzernierungsprozesse, S. 124. 47 Vgl. etwa Heiser, Interessenkonflikte, S. 69; Houben, WM 2000,1873 (1880). Ein Nachteil kann den außenstehenden Gesellschaftern freilich dadurch entstehen, dass die Gesellschaft nunmehr der Kontrolle eines (neuen) herrschenden Gesellschafters untersteht, was - je nachdem, für wie tauglich man die Schutzbestimmungen des Konzernrechts hält - mit einer
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3. Kapitel:
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und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
tungsweise geben Paketzuschläge regelmäßig nur den besonderen Marktwert der mit dem Paket verbundenen Verwaltungsmacht wieder 48 ; der Zuschlag gebührt daher ausschließlich dem Paketveräußerer, nicht auch den anderen Gesellschaftern, deren (Splitter-) Beteiligung keinen vergleichbaren Einfluss vermittelt. Aus ganz ähnlichen Überlegungen hat auch das BVerfG für die Abfindungspflichten nach §§ 305, 320b A k t G entschieden, dass zumindest das Verfassungsrecht (Art. 14 Abs. 1 G G ) den außenstehenden Aktionären keinen Anspruch auf Partizipation an Paketzuschlägen gewährt 49 . Nach In-Kraft-Treten des W p Ü G stellt sich die Problematik jedoch möglicherweise in einem anderen Licht dar. Wem der Paketzuschlag zusteht, ist letztlich eine Wertungsfrage 50 , und diese Wertungsfrage hat der Gesetzgeber für Übernahme- und Pflichtangebote nach dem W p Ü G in Bezug auf börsennotierte Gesellschaften ( § 1 WpÜG) nunmehr eindeutig i.S.der („großen") Gleichbehandlungslösung entschieden: Übernahme- und Pflichtangebote müssen auf den Erwerb aller Aktien gerichtet sein (§§ 32,39 WpÜG) und dürfen den höchsten, in den letzten sechs (früher: drei) Monaten vor Veröffentlichung des Angebots gezahlten Erwerbspreis nicht unterschreiten (§§31, 39 W p Ü G i.V.m. § 4 W p Ü G - A n g V O n.F.). Sowohl bei Pflicht- als auch bei Übernahmeangeboten wird auf diese Weise erreicht, dass alle Aktionäre an einer etwaigen Kontrollprämie gleichmäßig (anteilig) partizipieren 51 . Ausnahmen hiervon sind nicht vorgesehen; insoweit geht das deutsche Recht noch über die Anforderungen der Übernahme-RL hinaus, der zufolge Abschläge gegenüber Paketpreisen auch bei Pflichtangeboten durchaus zulässig wären 5 2 . Hat der deutsche Gesetzgeber die Wertungsfrage, wem Paketzuschläge zustehen, für Übernahme- und Pflichtangebote mithin i.S. der gleichmäßigen Partizipation aller Aktionäre entschieden, so fragt sich, ob darin nicht eine generelle Enterheblich höheren Gefahr der Ausbeutung der Gesellschaft verbunden sein kann. Dieser (mögliche) Nachteil tritt jedoch unabhängig von der Zahlung einer Kontrollprämie ein und vermag deshalb für sich genommen kein Anrecht auf gleichmäßige Teilhabe an der Kontrollprämie zu begründen. 48 Vgl. etwa Wiedemann, Minderheitenschutz, S.72; Lutter, Z H R 153 (1989), 446 (462); Hommelhoff/Kleindiek, AG 1990,106 (108); Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S.336f. 4 9 BVerfGE 100,289 (306f.). 50 Oechsler, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 3 Rdn. 12, § 31 Rdn. 2. 51 So ausdrücklich auch Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 79 f. Anders noch § 4 Satz 1 RefE WpÜG-AngVO, wonach Paketzuschläge bis zu einer Grenze von 15 % bei der Bestimmung der Gegenleistung außer Betracht bleiben konnten. 52 Art. 5 Abs. 4 Übernahme-RL knüpft für die Preisbestimmung bei Pflichtangeboten zwar auch an den höchsten Vorerwerbspreis an, stellt den Mitgliedstaaten aber frei, ihre Aufsichtsbehörden zu ermächtigen, den Preis in bestimmten Ausnahmefällen nach oben oder unten zu korrigieren. Als eine solche Ausnahme ist der Fall vorgesehen, dass der Vorerwerbspreis nicht durch den Börsenkurs, sondern durch Verkäufer und Käufer gemeinsam festgelegt wurde. Damit sind augenscheinlich gerade außerbörslich gezahlte Paketpreise gemeint. Abschläge auf Paketpreise wären somit gemeinschaftsrechtlich zulässig; vgl. Tominski/Küthe, B K R 2004,10 (17); Hartm. Krause, BB 2002,2341 (2343).
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Scheidung zugunsten der corporate ¿?s5e£-Theorie zu erblicken ist 53 . Wäre das zu bejahen, müssten die Gesellschafter künftig konsequenterweise auch außerhalb von Pflicht- und Übernahmeangeboten nach dem W p Ü G gleichmäßig an etwaigen Paketzuschlägen beteiligt werden 54 . In der Tat wird eine solche Verallgemeinerung im Schrifttum bereits in Ansätzen befürwortet. So hat namentlich Emmerich gefordert, dass die Regelung des W p U G dazu zwinge, die Frage der Paketzuschläge auch im Rahmen der konzernrechtlichen Abfindungstatbestände neu zu überdenken. Das Ergebnis könne nur sein, dass Paketzuschläge entgegen der bisher h.M. künftig auch bei der Bemessung der Abfindung zu berücksichtigen seien 55 . Einer solchen Verallgemeinerung der für Übernahme- und Pflichtangebote getroffenen Regelung ist jedoch mit Zurückhaltung zu begegnen. Dabei kommt es letztlich nicht entscheidend darauf an, ob man die gleichmäßige Verteilung von Paketzuschlägen rechtspolitisch für sinnvoll 56 oder - so die nach wie vor überwiegende Auffassung 57 - aus den genannten Gründen für verfehlt hält. Der Gesetzgeber hat nämlich selbst zu erkennen gegeben, dass er eine Partizipation der Minderheitsaktionäre an Paketzuschlägen nur im Bereich der Übernahmeund Pflichtangebote, nicht aber generell anstrebt. Die vor In-Kraft-Treten des WpÜG erhobene Forderung nach einer Aufteilung von Paketzuschlägen auch außerhalb des Kontrollerwerbs 58 hat der Gesetzgeber nicht erfüllt. Wenn z.B. ein Aktionär, der bereits eine kontrollierende Beteiligung hält, diese im Wege eines Paketerwerbs zu einer satzungsändernden Mehrheit aufstockt und anschließend ein einfaches Erwerbsangebot auf die verbleibenden Aktien unter53 Vgl. Oechsler, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpUG, §3 Rdn. 12: „[der Gesetzgeber] folgt nunmehr den Vorstellungen der Corporate Asset-Theorie." 54 Im Rahmen der konzern- und umwandlungsrechtlichen Abfindungstatbestände wäre der Begriff der „angemessenen" Abfindung entsprechend auszulegen. Außerhalb dieser Tatbestände ließe sich zur gleichmäßigen Verteilung der Paketzuschläge an die o.g. Treuepflichtlösungen anknüpfen. 55 Vgl. Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 Rdn. 50; für Berücksichtigung der Wertung des WpUG ferner Großfeld, Anteilsbewertung, S.201 f.; de lege ferenda auch Krieger, BB 2002, 53 (57); Rühland, Squeeze-out, S. 218 f. Gegen eine Übertragung insbesondere des §4 WpUG-AngVO auf die Abfindungspflichten des Konzern- und Umwandlungsrechts aber Karrer, Angemessenheit, S. 196 ff. 56 So neben den in Fn. 42 Genannten etwa Baums, in: v. Rosen/Seifert, Übernahme, S. 165 (174); Hartm. Krause, Übernahmeangebot, S.212f.; Oechsler, in: Ekkenga/Ehricke/Oechsler, WpÜG, §3 Rdn. 12, § 31 Rdn. 2. 57 Aus neuerer Zeit etwa Handelsrechtsausschuss des DAV, N Z G 2001,1003 (1006); Houben, WM 2000, 1873 (1880); Karrer, Angemessenheit, S. 189ff., 192; Kremer/Oesterhaus, in: Kölner Komm. WpÜG, Anh. §31, §4 WpÜG-AngVO Rdn. 23; Mühle, WpÜG, S. 446 ff., 456 f.; Noack, in: Schwark, K M R K , §31 WpÜG Rdn. 10; Süßmann, WM 2003, 1453 (1463); Tröger, DZWiR 2002,397 (400); kritisch auch Traugott/Schäfer, N Z G 2004,158 (161). Unentschieden Börsensachverständigenkommission, Standpunkte, S. 17 f. einerseits, S. 19 andererseits. 58 Vgl. Grundmann, Treuhandvertrag, S. 465 ff., 475 ff.; M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 379ff., 411.
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und Inhalt des
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breitet, ist anders als bei Ü b e r n a h m e - und Pflichtangeboten keine B i n d u n g an den vorab gezahlten Paketpreis vorgesehen. Zwar gilt auch f ü r einfache E r werbsangebote nach dem W p Ü G das allgemeine übernahmerechtliche Gleichbehandlungsgebot (§ 3 A b s . 1 W p U G ) . Dieses betrifft aber nur die G l e i c h b e handlung innerhalb des A n g e b o t s , f ü h r t also nicht dazu, dass im Vorfeld eines einfachen E r w e r b s a n g e b o t s gezahlte Paketzuschläge gleichmäßig auf alle A k tionäre verteilt werden müssen 5 9 . D i e so erzielte L ö s u n g des Gesetzgebers - T e i l h a b e an Paketzuschlägen nicht durchgehend, sondern nur bei Ü b e r n a h m e - und Pflichtangeboten - mag m a n als halbherzig ansehen. W i l l k ü r l i c h ist sie aber keineswegs: Z u m einen ist das Schutzbedürfnis der A k t i o n ä r e bei einfachen E r w e r b s a n g e b o t e n geringer; sie k ö n n e n das A n g e b o t ablehnen, o h n e G e f a h r zu laufen, sich anschließend in einer Gesellschaft mit einem neuen K o n trollaktionär wiederzufinden. Z u m anderen suchte der deutsche G e s e t z g e b e r mit
dem
WpÜG
Anschluss
an
die
Übernahmeregeln
in
ausländischen
R e c h t s o r d n u n g e n 6 0 . A u c h dort findet eine gleichmäßige Verteilung von Paketzuschlägen aber nicht flächendeckend, sondern - w e n n überhaupt - v o r n e h m lich b e i m Kontrollwechsel statt 6 1 . Sieht das W p Ü G also schon in seinem eigenem Anwendungsbereich (börsennotierte Gesellschaften) die Partizipation an Paketzuschlägen nicht allgemein, sondern nur in dem besonderen Fall des Kontrollwechsels vor, lässt sich aus i h m 59 Dies ist - soweit ersichtlich - unstreitig; vgl. etwa Wersteegen, in: Kölner Komm. WpUG, § 3 Rdn. 25 a.E. Irreführend erscheint vor diesem Hintergrund die Bemerkung in der amtlichen Begründung, dass die in §4 WpÜG-AngVO vorgesehene Partizipation an Paketzuschlägen „Ausfluss des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes" sei (Begr. RegE WpÜG BT-Drucks. 14/7034, S. 79 f.). 60 Die Orientierung an international üblichen Standards wird in der Regierungsbegründung als eines der Hauptziele des WpUG genannt; vgl. Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S.28. 61 So ist in Osterreich und der Schweiz eine Partizipation an Paketzuschlägen ebenfalls nur bei Pflichtangeboten (Österreich) bzw. Pflicht- und Übernahmeangeboten (Schweiz) vorgesehen, und auch das nur, soweit der Zuschlag 15 % bzw. 25 % übersteigt; vgl. § 26 Abs. 1 ÜG; Art. 32 Abs. 4 BEHG i.V.m. Art. 10 Abs. 5 Satz 2 UEV-UEK. - Das französische Recht kennt zwei Typen der Angebotspflicht, zum einen im Anschluss an einen Paketerwerb, durch den der Erwerber mehr als die Hälfte des Kapitals oder der Stimmrechte erworben hat (sog. garantie de cours, art. 5-4—1 ff. Règlement général du Conseil des Marchés Financiers), zum anderen bei Erreichen von mehr als einem Drittel des Kapitals oder der Stimmrechte ( o f f r e publique obligatoire, art. 5 - 5 - 1 ff. Règlement général). Eine Partizipation an Paketzuschlägen ist nur im ersten Fall vorgesehen, im zweiten Fall sowie bei allen freiwilligen Angeboten dagegen nicht; näher Viandier, OPA, Rdn. 940 ff., Rdn. 2400 ff.; Moulin, Le principe d'égalité, Rdn. 734 ff., 741 ff.; Schmitt, Übernahmerecht, S. 232 f., 247f. - Anders ist die Rechtslage allerdings in England: Eine Bindung an gezahlte Vorerwerbspreise ist dort nicht nur für Pflichtangebote (Rule 9.5 [a] City Code), sondern auch für (einfache) freiwillige Erwerbsangebote vorgesehen (Rule 6.1 City Code). Eine flächendeckende Verteilung von Paketzuschlägen wird jedoch auch dadurch nicht erreicht. Wenn der Paketerwerber nicht die Kontrolle erworben hat und im Anschluss an den Paketerwerb auch kein freiwilliges Angebot abgibt, partizipieren die übrigen Aktionäre auch in England nicht an gezahlten Paketzuschlägen.
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keine generelle Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten der corporate-assetTheorie ableiten. Zu erwägen wäre allenfalls eine punktuelle Verallgemeinerung in dem Sinne, dass die speziell für den Fall des Kontrollwechsels vorgesehene Partizipation an Paketzuschlägen auch auf nicht-börsennotierte Gesellschaften ausgedehnt würde 6 2 . Auch insoweit überwiegt aber die Skepsis. Der Gesetzgeber hat sich bewusst auf börsennotierte Gesellschaften beschränkt, obwohl im Vorfeld die Partizipation der außenstehenden Aktionäre an Kontrollprämien auch f ü r nicht-börsennotierte Gesellschaften gefordert wurde 6 3 . Aus rechtspolitischer Sicht mag man über diese Entscheidung streiten können; willkürlich und deshalb zur Beseitigung von Wertungswidersprüchen zu korrigieren (Art. 3 Abs. 1 GG) ist aber auch sie nicht. Zunächst lässt sich auch hier wieder darauf verweisen, dass sich der Gesetzgeber an international üblichen Standards orientieren wollte. Soweit im Ausland eine Partizipation an Paketzuschlägen anlässlich des Kontrollerwerbs angeordnet wird, betrifft dies meist ebenfalls nur börsennotierte Gesellschaften 64 . Es ist daher zumindest nachvollziehbar, wenn der Gesetzgeber in dem Bestreben, Anschluss an internationale Schutzstandards zu halten, nur für börsennotierte Gesellschaften eine gleichmäßige Verteilung von Paketzuschlägen vorgesehen hat. Ferner gilt es zu bedenken, dass Beteiligungen an börsenfernen Gesellschaften wesentlich häufiger als Aktien börsennotierter Gesellschaften nicht nur bloße Anlageobjekte darstellen, sondern aus unternehmerischer Initiative eingegangen werden. Von solchen Gesellschaftern kann man eher als bei reinen Anlegern erwarten, dass sie sich bei Eintritt in die Gesellschaft durch vorsorgende Gestaltung in der Satzung bzw. einer Gesellschaftervereinbarung eine angemessene Behandlung f ü r den 62 Vgl. in dieser Richtung Mülbert, Z I P 2001, 1221 (1227f.), der die Beschränkung der Pflichtangebotsregel auf börsennotierte Gesellschaften wegen des vergleichbaren Schutzbedürfnisses der außenstehenden Gesellschafter einer nicht-börsennotierten A G f ü r wertungswidersprüchlich hält und deshalb unter Berufung auf die Treuepflicht des Kontrollaktionärs ein Austritts- und Abfindungsrecht der Minderheitsaktionäre auch f ü r die börsenferne A G annimmt. Folgte man diesem Ansatz, müsste die Abfindung konsequenterweise wohl auch hier so ausgestaltet sein, dass die Minderheitsaktionäre an der Kontrollprämie gleichmäßig partizipieren. Gegen Übertragbarkeit der Pflichtangebotsregel auf die börsenferne A G aber Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und G m b H - K o n z e r n r e c h t , vor § 311 Rdn. 10, 26; Kleindiek, Z G R 2002, 546 (557 ff.); Koppensteiner, in: Kölner Komm. A k t G , Anh. §318 Rdn. 47; Wersteegen, in: Kölner Komm. W p Ü G , § 1 Rdn. 4; nur de lege ferenda f ü r Ubertragbarkeit Baums/Hecker, in: Baums/Thoma, W p U G , § 1 Rdn. 74 ff. m.w.Nachw. 63 Vgl. die o.g. Treuepflichtlösungen, die nicht nach der Börsennotierung unterscheiden. 64 In Frankreich ergibt sich dies aus art. 5 - 1 - 1 Règlement général du Conseil des Marchés Financiers. Eine Ausdehnung der Partizipation an Kontrollprämien auf nicht-börsennotierte Gesellschaften wird jedenfalls de lege lata abgelehnt; vgl. etwa Guyon, Rev. soc. 1989, 234 (234 f.); Moulin, Le principe d'égalité, Rdn. 611 ff. - Auch in Osterreich und der Schweiz beschränkt sich die Regelung auf börsennotierte Gesellschaften, vgl. §2 U G , Art. 22 i.V.m. Art. 2 lit. c B E H G . - Dagegen gelten die Bestimmungen des City Code auch f ü r nicht börsennotierte public companies und bestimmte private companies; vgl. Introduction, Ziff. 4 City Code; Zinser, Übernahmeangebote, S. 102.
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Fall der Übernahme und damit ggf. auch eine gleichmäßige Verteilung der Kontrollprämie zusichern lassen, was in der Praxis auch häufig geschieht65. Aber auch soweit diese Erwägung nicht zutrifft - wie bei Gesellschaften, die nicht börsennotiert i.S. des WpÜG sind, deren Aktien aber im Freiverkehr einer Börse gehandelt werden66 - , lässt sich die Entscheidung des Gesetzgebers zwar aus rechtspolitischer Sicht kritisieren 67 , aber nicht als schlechthin willkürlich abtun. Die Schutzstandards für die Anleger in den verschiedenen Marktsegmenten sind auch sonst in vielerlei Hinsicht verschieden, so dass es kein zwingendes Gebot innerer Folgerichtigkeit gibt, sie ausgerechnet im Hinblick auf Pflichtangebot und Kontrollprämie anzugleichen. Nach alledem ergibt sich aus dem Übernahmerecht außerhalb von Übernahme- und Pflichtangeboten i.S. des WpÜG kein Anlass, von der bisherigen Haltung Abstand zu nehmen, dass Paketzuschläge nicht gleichmäßig verteilt werden müssen. Im Gegenteil liefert die Regelung des WpÜG eher ein zusätzliches Argument dafür, warum den genannten Treuepflichtlösungen nicht zu folgen ist. Nachdem sich der Gesetzgeber der Frage erst unlängst angenommen hat und sich in vielleicht kritikwürdiger, aber jedenfalls nicht willkürlicher Weise bewusst auf einen Teilausschnitt des Problems beschränkt hat, dürfte die Legitimationsbasis für eine derart weitreichende richterliche Rechtsfortbildung, wie sie die im Schrifttum befürworteten Treuepflichtlösungen darstellen, endgültig entfallen sein. b) Sonderzahlungen
an opponierende
Gesellschafter
Ein zweiter Problemkreis, in dem die Frage der Gleichbehandlungspflicht einzelner Gesellschafter relevant geworden ist, betrifft die Leistung von Sonderzahlungen eines (meist des Mehrheits-) Gesellschafters an opponierende Aktionäre, um diese zur Rücknahme einer Anfechtungsklage oder eines Antrags im Spruchverfahren zu bewegen. Das Interesse an dieser Frage, die vor allem Ende der 1980er Jahre intensiv diskutiert worden ist, aber nach wie vor aktuell ist 68 , 65 Z.B. in Form von sog. tag-along-Rechten, die darauf gerichtet sind, im Fall der Veräußerung von Anteilen auch den Mitgesellschaftern die Veräußerung zu denselben Konditionen zu ermöglichen; vgl. Versteegen, in: Kölner Komm. WpÜG, § 1 Rdn. 4. Im Aktienrecht können solche tag-along-Rechte wegen des Grundsatzes der Satzungsstrenge zwar nicht als korporative Regelung in der Satzung verankert werden (§ 23 Abs. 5 i.V.m. § 54 Abs. 1 AktG). Entsprechende schuldrechtliche Vereinbarungen sind aber ohne weiteres zulässig; vgl. nur Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 54 Rdn. 26. 66 Auf sie findet das WpÜG keine Anwendung; vgl. § § 1 , 2 Abs. 7 WpÜG (nur amtlicher Handel und geregelter Markt). 67 So mit guten Gründen etwa Baums/Hecker, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 1 Rdn. 49, 73. 68 Vgl. unlängst etwa Kiethe, N Z G 2004, 489 ff. Ob die durch das U M AG eingeführten Neuerungen (dazu sogleich im Text) die Problematik nachhaltig entschärfen, wird sich noch erweisen müssen.
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konzentriert sich inzwischen weitestgehend auf das Anfechtungsverfahren. Im Spruchverfahren sind Sonderzahlungen an oppositionelle Aktionäre unattraktiv geworden, seitdem eine Antragsrücknahme durch die Antragsteller nicht mehr notwendig zur Verfahrensbeendigung führt, sondern der gemeinsame Vertreter das Verfahren weiterführen kann 69 . Im Schrifttum ist die Auffassung vertreten worden, dass der Mehrheitsgesellschafter mit dem „Abkauf" des Anfechtungsrechts seine Treuepflicht gegenüber den übrigen Aktionären verletze und dies dadurch zu kompensieren sei, dass entsprechende Zahlungen in gleicher Weise auch an alle übrigen Aktionäre geleistet werden müssten 70 . Im Ergebnis wird damit einer Pflicht des Mehrheitsgesellschafters zur aktiven Gleichbehandlung das Wort geredet, welche die Sanktion für eine vorausgehende Treuepflichtverletzung bilden soll. Zur Begründung heißt es, dass diese Lösung letztlich im Interesse aller, auch des Mehrheitsgesellschafters selbst, liege: Wäre erst einmal bekannt, dass Sonderzahlungen an opponierende Aktionäre eine Pflicht zur aktiven Gleichbehandlung der übrigen Aktionäre nach sich zögen, sei kaum noch zu erwarten, dass der Mehrheitsgesellschafter zur Leistung von Sonderzahlungen bereit sei. Hierdurch würden „räuberische" Aktionäre, denen es nicht um die Wahrung der Gesetzmäßigkeit der Beschlüsse der Gesellschaft, sondern ausschließlich um den Erhalt von Sonderzahlungen geht, von der Erhebung missbräuchlicher Anfechtungsklagen abgehalten 71 . Zutreffend an dieser Auffassung ist, dass in dem Abkauf des Anfechtungsrechts und der damit verbundenen Vereitelung der Kontrollfunktion der Anfechtungsklage eine Treuepflichtverletzung des Mehrheitsgesellschafters gegenüber den übrigen Aktionären liegen kann. In Betracht kommt dies allerdings richtigerweise nur, wenn die betreffende Anfechtungsklage Erfolgsaussichten hatte, da den übrigen Aktionären nur in diesem Fall Nachteile aus der vorzeitigen Verfahrensbeendigung drohen 72 . Warum diese Treuepflichtverletzung al69 Vgl. §6 Abs. 3 SpruchG; zuvor bereits die 1994 eingefügte Regelung des §306 Abs. 4 Satz 10 AktG i.V.m. § 308 Abs. 3 UmwG. 70 Hirte, BB 1988, 1469 (1474 re. Sp.); Janke, Treuepflicht, S. 71 ff., 245 ff., 275 f.; für Sonderzahlungen im Spruchverfahren auch Timm, W M 1991,481 (491). 71 Vgl .Janke, Treuepflicht, S. 246 ff.; ähnlicher Gedanke bereits bei Lütter, ZGR 1978,347 (353). 72 Näher Diekgräf, Sonderzahlungen, S. 211 ff.; Nehls, Treuepflicht, S. 197f. Freilich wird die Beurteilung der Erfolgsaussichten vielfach schwierig sein. Um sicher zu stellen, dass nicht auch begründete Klagen abgekauft werden, könnte man daher erwägen, dass es die Treuepflicht gleichsam aus präventiven Gründen gebiete, jedweden Abkauf von Anfechtungsrechten zu unterlassen; in diese Richtung Janke, Treuepflicht, S. 72 f. Diese Annahme würde die Figur der Treuepflicht allerdings arg strapazieren; sie stünde zudem im Widerspruch zu der Annahme der (wohl) h.M., dass sogar die Gesellschaft selbst zur Abwendung schwerer Schäden missbräuchliche Anfechtungsklagen durch Sonderzahlungen beilegen darf (die sie freilich später wieder zurückfordern muss); vgl. etwa Diekgräf, Sonderzahlungen, S. 140ff., 176ff., 190ff.; Kort, in: Großkomm. AktG, §76 Rdn.78; Martens, AG 1988, 118 (119ff.);
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Gleichbehandlungsgrundsatzes
lein durch (aktive) Gleichbehandlung der übrigen Aktionäre zu kompensieren sein soll, bleibt jedoch unerfindlich. Das Gesetz ordnet als Rechtsfolge einer schuldhaften Pflichtverletzung Schadensersatz an (§280 Abs. 1 BGB). Die übrigen Aktionäre müssen also so gestellt werden, wie sie ohne die vorzeitige Verfahrensbeendigung stünden, d.h. so, wie wenn die Anfechtungsklage Erfolg gehabt hätte: Der angegriffene Beschluss ist also nachträglich aufzuheben und ggf. rückabzuwickeln. Sofern dies nicht möglich ist oder zur Kompensation des Schadens nicht ausreicht, ist den Aktionären eine entsprechende Ausgleichszahlung zu leisten. Ein Anspruch, ebenfalls die dem Anfechtungskläger gewährte Sonderzahlung zu erhalten, ergibt sich daraus nicht73. Um eine solche weitergehende Rechtsfolge zu begründen, bedürfte es einer - über die Annahme einer Treuepflicht hinausgehenden - weiteren Rechtsfortbildung, für die eine hinreichende Legitimation nicht ersichtlich ist. Es mag zwar sein, dass die Verpflichtung zu aktiver Gleichbehandlung im Vergleich zu einer bloßen Schadensersatzpflicht die abschreckendere Sanktion darstellen würde, so dass der treuwidrige Abkauf von Anfechtungsrechten auf diese Weise effektiver als bisher verhindert werden könnte. Ganz abgesehen davon, dass diese vermeintlich höhere Effektivität um den Preis einer bedenklichen Uberkompensation der übrigen Aktionäre erkauft würde 74 , vermögen Zweckmäßigkeitserwägungen allein aber keine Rechtsfortbildung extra legem zu rechtfertigen75. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber mit dem UM AG den Problemkreis soeben erst neu geregelt hat, indem er einerseits den Lästigkeitswert der Anfechtungsklage durch Ausdehnung des Freigabeverfahrens (§ 246a AktG) verringert und andererseits eine Veröffentlichungspflicht für Abfindungsvergleiche vorgeschrieben hat (§ 248a i.V.m. § 149 Abs. 2 und 3 AktG) 76 . Im Übrigen wäre es auch ein ungereimtes Ergebnis, bei Ungleichbehandlungen zwischen den Gesellschaftern einen Anspruch auf aktive Gleichbehandlung anzunehmen, während ein ver-
Oechsler, in: MünchKomm. AktG, §71 Rdn. 119 f.; a.A. (gegen Zahlungsbefugnis der AG) aber Henze, in: Großkomm. AktG, § 57 Rdn. 71; sehr restriktiv auch Lutter, ZGR 1978, 347 (351 ff.); ders., FS Der Betrieb, S.193 (201 ff.); ders., in: Kölner Komm. AktG, §57 Rdn.29, §71 Rdn. 26. 73 Wie hier in Bezug auf Sonderzahlungen im Spruchverfahren OLG Düsseldorf W M 1992,986 (990) mit zust. Anm. Bayer, WuB § 304 AktG 1.92 (S. 965); ferner Diekgräf, Sonderzahlungen, S.213 f. (zur Anfechtungsklage), S. 308 ff., 335 f. (zum Spruchverfahren: Anspruch auf den Differenzbetrag, der sich bei Fortführung des Spruchverfahrens ergeben hätte. Diekgräf bezeichnet auch dies als „Gleichbehandlungsverpflichtung", was aber irreführend ist, da eine Gleichbehandlung mit den opponierenden Aktionären gerade nicht stattfindet; zutr. Noack, Z H R 155 [1991], 71 [75]). 74 In diesem Sinne auch Bayer, WuB § 304 AktG 1.92 (S. 965). 75 Vgl. nur Larenz, Methodenlehre, S. 426 f. 76 Vgl. zu diesen Neuerungen etwa Seibert/Schütz, ZIP 2004, 252 (256ff.); Schütz, DB 2004, 419 (422ff.); ders., NZG 2005, 5 (7, 8f.); Wilsing, DB 2005, 35 (37ff., 41); speziell zu §246a AktG Hirschherger/Weiler, DB 2004,1137 ff.; Kort, BB 2005,1577 (1580ff.).
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gleichbarer Anspruch bei Sonderzahlungen seitens der Gesellschaft in aller Regel) nicht besteht 77 .
(jedenfalls
III. Einzelrechtsnachfolger/Gläubiger der Gesellschaft als Normadressaten? Nach dem bisher Gesagten unterliegt lediglich das Handeln der Gesellschaft der Bindung an den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, nicht das einzelner Gesellschafter. In der Gerichtspraxis hat sich daneben verschiedentlich die Frage gestellt, ob u.U. auch die Einzelrechtsnachfolger/Gläubiger der Gesellschaft an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden sein können. Relevant wird diese Frage vor allem bei der Abtretung und Pfändung von Einlageforderungen der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter. Hier fragt sich, ob die Bindung der Gesellschaft an den Gleichbehandlungsgrundsatz auch dem Zessionar bzw. Pfändungspfandgläubiger entgegengehalten werden kann. Wäre das zu bejahen, wäre die Einlageforderung gegen den betroffenen Gesellschafter nur durchsetzbar, wenn auch dessen Mitgesellschafter zur Leistung ihrer Einlage aufgefordert worden sind; andernfalls könnte der Gesellschafter die Zahlung unter Rücksicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz verweigern 78 . Der BGH und die heute h.L. wollen insoweit differenzieren: Während sich der Zessionar gemäß §404 BGB den Gleichbehandlungsgrundsatz entgegenhalten lassen müsse79, sei der Pfändungspfandgläubiger hieran nicht gebunden 80 . 77 Sofern aktive Gleichbehandlung durch die Gesellschaft nicht schon an den Kapitalerhaltungsregeln scheitert, besteht ein Anspruch hierauf nur, wenn eine Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes auf andere Weise (namentlich durch Rückforderung der Sonderzahlung) ausnahmsweise unmöglich ist. Näher unten § 17 I. 78 Heute allg.M.; vgl. vorerst nur Ebbing, in: Michalski, GmbHG, §19 Rdn.20 m.w. Nachw.; zur Begründung des Leistungsverweigerungsrechts unten § 16 II 2 c. 79 BGHZ 69,274 (282); Ebbing, in: Michalski, GmbHG, § 19 Rdn. 98; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 19 Rdn. 48; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 19 Rdn. 34; G.H. Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 19 Rdn. 15; U.H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 19 Rdn. 152,156; Ulmer, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 19 Rdn. 144; Bayer, in: MünchKomm. AktG, §66 Rdn. 72; Lutter, in: Kölner Komm. AktG, §66 Rdn. 45; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 70; a.A. aber Frey, Einlagen, S.24. 80 BGH N J W 1980, 2253; Ebbing, in: Michalski, GmbHG, § 19 Rdn. 89; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §19 Rdn. 49; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, §19 Rdn.40; U.H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, §19 Rdn.26, 152; Ulmer, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 19 Rdn. 30, 146; Bayer, in: MünchKomm. AktG, § 63 Rdn.45, §66 Rdn.81; ders., ZIP 1989, 8 (11); Gehrlein, in: Großkomm. AktG, §63 Rdn.35; §66 Rdn. 72; H ü f f e r , AktG, §63 Rdn. 6; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn.70; Frey, Einlagen, S.24; kritisch G.H. Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, §19 Rdn. 17; anders noch die Rechtsprechung des RG und die früher h.M., s. dazu die Nachw. in Fn. 82.
190
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Auf den ersten Blick muss dieses Ergebnis überraschen, da über die Verweisung in § 412 BGB normalerweise auch für die Pfändung und Uberweisung von Forderungen die Vorschrift des §404 BGB Anwendung findet81. Auf diesem Weg müsste der Gleichbehandlungsgrundsatz eigentlich auch gegen den Pfändungspfandgläubiger wirken 82 . Gleichwohl spricht in der Tat mehr dafür, den Pfändungspfandgläubiger nicht an die Beachtung der §§ 53a A k t G , 19 Abs. 1 G m b H G zu binden. Uberzeugend hat der B G H 8 3 darauf verwiesen, dass andernfalls der Gläubigerschutz, dem die Aufbringung des Stamm- bzw. Grundkapitals dienen soll, in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigt würde. Der Gläubiger, der von der Gesellschaft nichts mehr erhalten kann, könnte bei Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes seine Forderung nur eintreiben, wenn er die Einlageforderungen gegen alle Gesellschafter pfändete und anschließend gegen alle, notfalls im Klageweg, gleichmäßig vorginge. Insbesondere bei einem großen Gesellschafterkreis würde dies u.U. eine Vielzahl von Prozessen erforderlich machen und damit eine gravierende Erschwerung des Haftungszugriffs bedeuten. Würde sich die Leistungsunfähigkeit eines oder mehrerer Gesellschafter erst nachträglich herausstellen, könnte der Gläubiger überdies genötigt sein, wegen der sich hieraus ergebenden Ausfälle alle übrigen schon einmal in Anspruch genommenen Gesellschafter erneut wegen ihrer nun erweiterten Schuldanteile zu verklagen. Eine derartige Erschwerung des Haftungszugriffs stünde in unüberbrückbarem Widerspruch zu Sinn und Zweck der Regeln über die Kapitalaufbringung und -erhaltung, die gerade sicherstellen sollen, dass das Stamm- bzw. Grundkapital zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger tatsächlich zur Verfügung steht. Vor diesem Hintergrund erscheint es zutreffend, dem Gläubigerinteresse den Vorrang vor dem Schuldnerschutz nach §404 BGB einzuräumen und den Einwand des Gleichbehandlungsgrundsatzes dem Pfändungspfandgläubiger gegenüber nicht zuzulassen. Dem betroffenen Gesellschafter entsteht dadurch keine unzumutbare Einbuße: Zum einen schuldet er die Einlage letztlich ohnehin zur Gänze, und zum anderen kann er im Innenverhältnis der Gesellschaft auf Beseitigung der durch seine Inanspruchnahme eingetretenen Ungleichbehandlung dringen 84 . Wirkt der Gleichbehandlungsgrundsatz mithin nicht gegen den Pfändungspfandgläubiger, so bestehen allerdings erhebliche Zweifel, ob man beim Zessio81
Ganz h.M.; vgl. Busche, in: Staudinger, BGB, §412 Rdn. 15, §404 Rdn. 34 m.w.Nachw. So denn auch die Rechtsprechung des RG und die früher h.M., vgl. R G Z 76, 434 (437); 133, 81 (82); 149, 293 (300); ferner die Nachw. bei Ulmer, in: Hachenburg, G m b H G , 7. Aufl., §19 Rdn. 17. 83 N J W 1980,2253. 84 Ein Ausgleich im Innenverhältnis wird allgemein befürwortet; vgl. B G H N J W 1980, 2253 a.E.; Ebbing, in: Michalski, G m b H G , § 19Rdn. 90; U.H. Schneider, in: Scholz, G m b H G , §19 Rdn.26; Ulmer, in: Ulmer/Habersack/Winter, G m b H G , §19 Rdn. 30; Frey, Einlagen, S. 25. Zu den Einzelheiten des Beseitigungsanspruchs unten § 171. 82
§8 Persönlicher Anwendungsbereich
191
nar - wie die h.M. ohne nähere Begründung annimmt 8 5 - tatsächlich anders entscheiden kann. Es erscheint widersprüchlich, dass die Gesellschaft und der Gläubiger gemeinsam im Wege der Abtretung nicht in der Lage sein sollen, dem Gläubiger eine vom Gleichbehandlungseinwand freie Forderung zu verschaffen, während der Gläubiger alleine durch Pfändung und Uberweisung der Forderung eben dieses Ergebnis durchaus herbeiführen könnte. Warum sollte es der Gesellschaft auf freiwilligem Weg (durch Abtretung) unmöglich sein, ein Ergebnis herbeizuführen, das sich bei Betreiben der Zwangsvollstreckung ohnehin einstellt? Schon aus Gründen der Prozessökonomie wäre es alles andere als glücklich, Gläubiger und Gesellschaft stets auf den aufwändigeren, kostspieligeren Weg der Zwangsvollstreckung zu verweisen 86 . H i n z u kommt, dass die Interessenlage aus Sicht des betroffenen Gesellschafters bei Abtretung und Pfändung dieselbe ist. Der Gesellschafter erleidet durch den Verlust des Gleichbehandlungseinwands bei der Abtretung ebenso wenig eine unzumutbare Einbuße wie bei der Pfändung. Wie bei dieser gilt auch hier, dass der Gesellschafter die Einlage letztlich ohnehin zur Gänze schuldet und er im Innenverhältnis zur Gesellschaft auf Beseitigung der durch seine Inanspruchnahme eingetretenen Ungleichmäßigkeit dringen kann. Man könnte allenfalls einwenden, dass die Gefahr einer Umgehung des Gleichbehandlungseinwands im Fall der Abtretung größer ist als bei der aufwändigeren Pfändung. In der Tat könnte die Gesellschaft leicht eine selektive Inanspruchnahme der Gesellschafter erreichen, indem sie einzelne Einlageforderungen gezielt an einen nahe stehenden Dritten abtritt 87 und durch diesen einziehen lässt. U m derartigen Umgehungskonstellationen Herr zu werden, genügt es aber, dass man den Dritten in diesen besonderen Fällen bei wertender Betrachtung der Gesellschaft gleichstellt und daher auch ihm gegenüber den Gleichbehandlungseinwand zulässt. Nach alledem sprechen die besseren Gründe dafür, die Vorschrift des § 404 BGB nicht nur im Fall der Pfändung und Uberweisung (§412 BGB), sondern auch im Fall der Abtretung auf den Gleichbehandlungseinwand nicht anzuwenden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz soll nur intern im Verhältnis zur Gesell85 Die h.M. (Nachw. in Fn. 79) verweist lediglich auf §404 BGB. Weshalb der Zessionar anders zu behandeln sein soll als der Pfändungspfandgläubiger, wird dagegen nicht erläutert. 86 Bezeichnenderweise geht denn auch die h.M. zu dem Parallelproblem, ob die Pfändung bzw. Abtretung von Einlageforderungen nur bei vollwertiger Forderung des Pfändungspfandgläubigers bzw. Zessionars gegen die Gesellschaft zulässig ist, von einem Gleichlauf von Pfändung und Abtretung aus; vgl. etwa B G H N J W 1992, 2219 (2219); G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, G m b H G , § 19 Rdn. 47; Ulmer, in: Ulmer/Habersack/Winter, G m b H G , § 19 Rdn. 140 ff., 145; Gehrlein, in: G r o ß k o m m . A k t G , §66 Rdn. 63, 69 (mit dem Hinweis, dass die Pfändung als eine Form der Zwangsabtretung nicht unter leichteren Bedingungen als eine Zession stattfinden könne); abweichend aber - auch insoweit Privilegierung der Pfändung - Konzen, FS Ulmer, S. 323 (339 ff.), m.w.Nachw. 87 Was freilich nur gegen vollwertige Gegenleistung zulässig ist; vgl. nur U.H. Schneider, in: Scholz, G m b H G , § 19 Rdn. 150 f. m.w.Nachw.
192
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
schaft die gleichmäßige Lastenverteilung zwischen den Gesellschaftern sicherstellen 88 . Auf eine solche rein interne Regelung sind die §§ 404, 412 BGB nicht zugeschnitten; ihre Anwendung auf den Gleichbehandlungseinwand würde in den genannten Fällen den mit der Kapitalaufbringung bezweckten Gläubigerschutz konterkarieren. Der Gleichbehandlungseinwand ist deshalb im Wege der teleologischen Reduktion der §§ 404, 412 BGB von deren Anwendungsbereich auszunehmen. Im Ergebnis sind somit weder der Pfändungspfandgläubiger noch der Zessionar der Gesellschaft an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden.
88 Ebenso Ebbing, in: Michalski, GmbHG, § 19 Rein. 89, und U.H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 19 Rdn. 26, 152, die dieses Argument aber nur bei der Pfändung und nicht auch bei der Abtretung anführen. I.E. wie hier (Außenwirkung weder bei Pfändung noch bei Abtretung) Frey, Einlagen, S. 24, allerdings ohne Auseinandersetzung mit den §§404, 412 BGB.
§ 9 Sachlicher Anwendungsbereich Neben den dargelegten Grenzen des persönlichen Anwendungsbereichs unterliegt auch der sachliche Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes gewissen Einschränkungen. Außerhalb des Anwendungsbereichs des Gleichbehandlungsgrundsatzes liegen zunächst die sog. Drittgeschäfte zwischen der Gesellschaft und einzelnen Gesellschaftern, also Geschäfte, in denen der bevorzugte oder benachteiligte Gesellschafter der Gesellschaft nicht in dieser Eigenschaft, sondern wie ein außenstehender Dritter gegenübertritt (dazu Ziff. I). Aber auch dort, wo eine Betroffenheit in der Eigenschaft als Gesellschafter zu bejahen ist, sind einzelne Entscheidungen der Gesellschaftsorgane vom Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgenommen, sei es weil die Satzung oder gesetzliche Sonderregeln Ungleichbehandlungen vorsehen (Ziff. II), sei es weil der Grundsatz nach seinem Sinn und Zweck keine Geltung beansprucht (Ziff. III).
I. Betroffenheit in der Eigenschaft als Gesellschafter 1.
Ausgangspunkt
Es entspricht ganz überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass das Gleichbehandlungsgebot grundsätzlich nur auf die Gemeinschaftsbeziehungen - also den mitgliedschaftlichen Bereich - Anwendung findet, nicht aber auf Angelegenheiten des schuldrechtlichen Individualrechtsverkehrs zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern 1 . Die Gesellschaft soll danach frei sein, im regulären Geschäftsverkehr Geschäfte mit ein1 Aus der Rechtsprechung vgl. B G H AG 1997,414 (414); O L G Hamm G m b H R 1996, 768 (769); L G Lüneburg D B 1961, 402 (zur Genossenschaft); aus der Literatur grundlegend Zöllner, Schranken, S. 304 ff.; ansatzweise auch schon G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 224,227 f.; ferner Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 6; Henze/Notz, in: Großkomm. A k t G , §53a Rdn. 41 f.; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 21; in: Scholz, G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, G m b H G , §13 Rdn. 44; Emmerich, G m b H G , § 13 Rdn. 41; H. Winter, in: Scholz, G m b H G , § 14 Rdn. 43; Schiessl, in: MünchHdb. G m b H , §31 Rdn. 18; Ernstherger, Mehrheitsherrschaft, S. 132 ff.; Huffmann, Austauschgeschäfte, S. 210ff., insbes. 219 f.; Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S.66; Ihrig, FS Ulmer, S. 829 (838); a. A. Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, G m b H G , § 13 Rdn. 63; wohl auch Michalski, in: Michalski, G m b H G , § 13 Rdn. 129.
194
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
zelnen Gesellschaftern zu tätigen, ohne den Gleichbehandlungsgrundsatz berücksichtigen zu müssen. Wenn also einer Gesellschaft mehrere K f z - H ä n d ler angehören, deren Lieferungsmöglichkeiten gleichwertig sind, soll die Gesellschaft ihren Bedarf an Kraftwagen grundsätzlich bei einem von ihnen decken können, ohne sich vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz rechtfertigen zu müssen 2 . Etwas anderes soll nach ebenfalls ganz h.M. allerdings dann gelten, wenn die Gesellschaft mit dem Vertragspartner causa societatis, also gerade wegen dessen Eigenschaft als Gesellschafter kontrahiert, d.h. der Vertragspartner nicht nur zufällig auch Gesellschafter ist 3 . In diesen Fällen reiche das Geschäft mit dem Gesellschafter in den innergesellschaftlichen Bereich hinein und unterliege daher dem Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Diese Grundsätze sollen nach h.M. unabhängig davon gelten, ob das Geschäft mit dem Gesellschafter zu angemessenen, d.h. marktgerechten Konditionen zustande kommt oder nicht. Bei Vorliegen eines hinreichenden Bezugs zur Mitgliedschaft sollen also auch inhaltlich ausgewogene Rechtsgeschäfte am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf ihre sachliche Rechtfertigung ü b e r p r ü f t werden 4 .
2. Dogmatische Begründung Die Forderung der h.M., dass die Gesellschafterstellung das Rechtsgeschäft mit beeinflusst haben muss, ist bislang nicht näher begründet, sondern eher intuitiv vorausgesetzt worden. Ein erstes Indiz f ü r ihre Berechtigung liefert aber - neben dem übereinstimmenden rechtsvergleichenden Befund 5 - die Vorschrift des § 131 Abs. 4 Satz 1 AktG: Danach haben alle Aktionäre ein Recht auf Erteilung der gleichen Informationen, die einem Aktionär außerhalb der Hauptversammlung „wegen seiner Eigenschaft als Aktionär" erteilt worden sind. Bedenkt man, dass diese Vorschrift nichts anderes als einen gesetzlich normierten Sonderfall des Gleichbehandlungsgrundsatzes darstellt 6 , stützt dies die These, dass auch
2
Beispiel nach Zöllner, Schranken, S. 305. Nachweise wie Fn. 1; a.A. allein Ernstberger, Mehrheitsherrschaft, S. 133 ff. 4 Der Gesellschafter/Vertragspartner wird das Geschäft mit der Gesellschaft nicht eingehen, wenn er sich daraus keinen Vorteil verspricht. Die Ungleichbehandlung besteht dann darin, dass andere Gesellschafter diese normalen, sachlich angemessenen Vorteile nicht genießen; vgl. Zöllner, Schranken, S.305 mit Fn.21; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , §53aRdn.21. 5 Auch im Ausland wird angenommen, dass die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes eine Betroffenheit des Begünstigten bzw. Benachteiligten gerade in seiner Eigenschaft als Gesellschafter voraussetzt; vgl. f ü r die Niederlande, Osterreich und die Schweiz oben § 7 III 2 b; zum funktionalen Äquivalent des unfairprejudice in England oben § 7 II 3 c. 6 Vgl. Begr. RegE zu § 131 A k t G bei Kropff, A k t G 1965, S. 187; Decher, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 131 Rdn. 334; Habersack/Verse, AG 2003, 300 (306) m.w.Nachw. 3
§ 9 Sachlicher
Anwendungsbereich
195
im Bereich des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes eine entsprechende Einschränkung zu machen ist 7 . Die letztlich tragende Begründung ergibt sich aber auch hier wieder aus einer teleologischen Betrachtung. Sie erschließt sich, wenn man in Erinnerung ruft, warum ausgerechnet Ungleichbehandlungen einer besonderen Inhaltskontrolle unterworfen werden. Nach dem Gesagten liegt der entscheidende Grund hierfür darin, dass bei ungleichmäßigen Maßnahmen die Richtigkeitsgewähr der Entscheidung der Gesellschaftsorgane erschüttert ist, weil zu befürchten ist, dass die Organe sich an den Partikularinteressen der bevorzugten Gesellschafter ausgerichtet und/oder die abwägungserheblichen Interessen der benachteiligten Gesellschafter nicht hinreichend berücksichtigt haben 8 . Diese Befürchtung besteht aber nicht, wenn der Vertragspartner der Gesellschaft nur rein zufällig Gesellschafter ist und seine Gesellschafterstellung die Entscheidung der Gesellschaftsorgane in keiner Weise beeinflusst hat. In diesen Fällen ist die Interessenlage dieselbe wie bei Geschäften mit externen Dritten; ein besonderer Anlass für eine Inhaltskontrolle besteht daher nicht. Aus dem Vorstehenden erhellt zugleich, dass bei Vorliegen eines hinreichenden Bezugs zur Mitgliedschaft die h.M. mit Recht darauf besteht, auch inhaltlich ausgewogene Rechtsgeschäfte einer Prüfung auf ihre sachliche Rechtfertigung zu unterziehen. Ist der Abschluss des Geschäfts durch die Gesellschafterstellung beeinflusst, besteht auch bei marktgerechten Konditionen die nahe liegende Gefahr, dass das Geschäft durch die Partikularinteressen des bevorzugten Gesellschafters bestimmt ist. Wenn z.B. die Gesellschafterversammlung einer G m b H beschließt, einen großen, lukrativen Bauauftrag an einen einflussreichen Gesellschafter zu vergeben, besteht auch dann, wenn der Gesellschafter aus dem Geschäft „nur" die normale, marktübliche Gewinnmarge erzielt, konkreter Anlass zu der Befürchtung, dass das Geschäft mehr dem Interesse des beauftragten Gesellschafters als dem der Gesellschaft dient. Unbeschadet dessen versteht sich, dass inhaltlich ausgewogene Rechtsgeschäfte im Ergebnis häufig zulässig sein werden, da sich eine sachliche Rechtfertigung finden lässt, während dies bei inhaltlich unausgewogenen Geschäften praktisch nie oder allenfalls unter ganz besonderen Umständen der Fall sein kann.
7 Zur gemeinschaftsrechtlichen Unbedenklichkeit dieser Einschränkung bereits oben § 6 II 2 b. 8 S. oben § 3 II 1 b, c, § 4 I I I 2 a.E.
196
3.
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Verallgemeinerung
a) Geltung auch außerhalb
des
Individualrechtsverkehrs
Führt man den genannten Grundgedanken konsequent fort, ergibt sich, dass die von der h.M. vorgenommene Einschränkung sogar noch auszuweiten ist. Dieselbe Einschränkung - Ausklammerung von Fällen, in denen die Gesellschaftereigenschaft des bevorzugten Gesellschafters ein rein zufälliger Begleitumstand ist - erscheint nämlich nicht nur bei Geschäften des schuldrechtlichen Individualrechtsverkehrs, sondern generell und damit ggf. auch im Zusammenhang mit kollektiven Maßnahmen angezeigt. Wenn etwa eine AG ihr Kapital erhöht und das Bezugsrecht der Aktionäre zugunsten eines neuen Investors ausschließt, der zufällig bereits mit einigen wenigen Aktien an der Gesellschaft beteiligt ist, stellt die bisherige Aktionärseigenschaft des Investors ein gänzlich nebensächliches Detail dar, das keine Zweifel an der Richtigkeitsgewähr der Entscheidung begründet. Der neue Investor tritt hier der Gesellschaft nicht als Aktionär, sondern wie ein externer Dritter gegenüber. Folglich ist der Fall richtigerweise genau so zu behandeln wie der Bezugsrechtsausschluss zugunsten eines externen Dritten: Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet keine Anwendung, weil keine Ungleichbehandlung in der Eigenschaft als Gesellschafter vorliegt9. Dasselbe muss auch in vergleichbaren Fällen gelten, etwa bei der Veräußerung eigener Aktien an einen neuen Investor, der zufällig bereits einige wenige Aktien hält. Auch in diesem Fall ist die Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach der hier vertretenen Auffassung zu verneinen, wenn und weil der Investor der Gesellschaft nicht in seiner Eigenschaft als Gesellschafter, sondern wie ein beliebiger Dritter gegenübertritt10. Vor diesem Hintergrund lässt sich die allgemeine Regel formulieren, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz immer dann unanwendbar ist, wenn die Gesellschaftereigenschaft des Betroffenen lediglich einen zufälligen Begleitumstand bildet. Ins Positive gewendet bedeutet dies, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nur Anwendung findet, wenn zwischen der Entscheidung der Gesellschaftsorgane und der Gesellschaftereigenschaft des Betroffenen ein innerer 9 I.E. ebenso T. Bezzenberger, ZIP 2002,1917 (1929), der den Gleichbehandlungsgrundsatz nur beim Bezugsrechtsausschluss zugunsten eines Großaktionärs zur Anwendung bringen will. 10 In diese Richtung auch schon G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 229 Fn. 10. Dass § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG für die Veräußerung eigener Aktien die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch Verweisung auf §53a AktG ausdrücklich anordnet, steht dem nicht entgegen. Die Verweisung ist anerkanntermaßen rein deklaratorischer Natur; vgl. vorerst nur Hüffer, AktG, §71 Rdn. 19j; Oechsler, in: MünchKomm. AktG, §71 Rdn. 198. Die Vorschrift des § 53a AktG kommt also genau so zur Anwendung, wie sie auch ohne die Verweisung anzuwenden wäre. Folglich gelten auch die hier behandelten Einschränkungen des sachlichen Anwendungsbereichs des Gleichbehandlungsgrundsatzes ebenso wie bei anderen Maßnahmen.
§9 Sachlicher
Anwendungsbereich
197
Zusammenhang besteht. Nur dann liegt eine Ungleichbehandlung „als Gesellschafter" vor, die dem Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes unterfällt. b) Geltung auch für
Benachteiligungen
Die genannte Einschränkung ist bislang nur im Zusammenhang mit Fällen behandelt worden, in denen der Gesellschafter/Vertragspartner bevorzugt wurde. Sie ist aber auch bei Benachteiligungen eines Gesellschafters zu beachten, die diesen nicht in seiner Eigenschaft als Gesellschafter, sondern als Dritten treffen11. Wenn also eine AG mehrere gleichwertige Lieferanten hat und einen der Lieferverträge kündigen will, ist sie bei ihrer Auswahlentscheidung nicht deshalb an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden, weil die Lieferanten zufällig zugleich Aktionäre sind. Der Gleichbehandlungsgrundsatz schützt vor Beeinträchtigungen der Mitgliedschaft, nicht vor Nachteilen, die in keinem inneren Zusammenhang mit der Eigenschaft als Gesellschafter stehen. Dieselbe Einschränkung ist bekanntlich, jedenfalls im Grundsatz, auch im Rahmen der Treuepflicht anerkannt. Diese entfaltet ihre Schutzwirkung zugunsten einzelner Gesellschafter in aller Regel ebenfalls nur dann, wenn die Gesellschafter gerade in mitgliedschaftlichen Interessen betroffen sind12. Allerdings wird im Bereich der Treuepflicht erwogen, hiervon in engen Grenzen abzuweichen und im Einzelfall auch private Interessen zu berücksichtigen. In Betracht gezogen wird dies bei personalistisch strukturierten Gesellschaften, die i.S. einer echten Mitarbeitergemeinschaft so stark vom gegenseitigen persönlichen Vertrauen geprägt sind, dass die vordergründig privaten Interessen in ein „Interesse der Zweckgemeinschaft an ungetrübter Zusammenarbeit" umschlagen13. Angesichts des Zusammenhangs zwischen Treuepflicht (der Gesellschaft) und Gleichbehandlungsgrundsatz14 ließe sich erwägen, ob man nicht auch diesen ausnahmsweise auf Fälle anwenden sollte, in denen einzelne Gesellschafter nur in privaten Interessen nachteilig betroffen sind. Ruft man sich nochmals das zu Sinn und Zweck des Gleichbehandlungsgrundsatzes Gesagte in Erinnerung, muss man einer solchen Ausdehnung des Grundsatzes indes ablehnend gegenüberstehen. Die angeführten Stimmen im 11 Zumindest in Ansätzen ist dies in der Rechtsprechung auch schon zum Ausdruck gekommen; vgl. BGH WM 1972, 931 (932 Ii. Sp.); OLG Hamm GmbHR 1996, 768 (769); näher zu beiden Entscheidungen unten Ziff. 4 b. 12 Vgl. BGH NJW 1992, 3167 (3171); Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, Anh. §53a Rdn.25. 13 Vgl. Lutter, AcP 180 (1980), 84 (128f.); zuvor auch schon Zöllner, Schranken, S.349; ferner M. Winter, Treuebindungen, S. 188 Fn. 13 i.V.m. S. 19; für das Personengesellschaftsrecht Ulmer, in: MünchKomm. BGB, §705 Rdn.229; ders., in: Großkomm. HGB, §105 Rdn.243; offen gelassen in BGH NJW 1992,3167 (3171). 14 S. oben §5 III.
198
J. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Schrifttum zur Treuepflicht halten private Interessen nur für beachtlich, wenn ihre Nichtberücksichtigung das Interesse der Gesellschaft insgesamt nachteilig berühren würde, wenn also unter dem Strich alle Gesellschafter darunter leiden würden. In einer solchen Situation würde sich die Mehrheit letztlich nur selbst Schaden zufügen. Dies sind indes nicht die Fälle, um die es dem Gleichbehandlungsgrundsatz geht: Soweit nämlich keine Sondervorteile für die Mehrheit in Rede stehen, kann man darauf vertrauen, dass die Mehrheit bereits in ihrem ureigenen Interesse versuchen wird, die aus Sicht des Gesellschaftsinteresses bestmögliche Lösung anzustreben. Deshalb spricht nichts dafür, solche Fälle einer vergleichsweise engmaschigen gerichtlichen Inhaltskontrolle am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu unterwerfen. Stattdessen genügt es, sie im Rahmen der grobmaschigeren treuepflichtgestützten Missbrauchskontrolle zu berücksichtigen, bei der der klagende Gesellschafter die volle Darlegungsund Beweislast für den von ihm behaupteten Ausnahmefall trägt 15 . Im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes sollte es somit bei dem Erfordernis bleiben, dass die benachteiligten Gesellschafter gerade in mitgliedschaftlichen Interessen, also in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, betroffen sein müssen 16 .
4.
Präzisierung
Mit dem Gesagten erhebt sich freilich die Frage, unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen der erforderliche innere Zusammenhang mit der Gesellschaftereigenschaft zu bejahen ist. Diese Frage ist immer dann einfach zu beantworten, wenn der Betroffene nur als Gesellschafter betroffen sein kann. Wenn sich ein Aktionär z.B. für das Unterlassen oder die Rücknahme einer Anfechtungsklage entgeltlich abfinden lässt 17 , unterliegt es keinem Zweifel, dass diese Vorteilsgewährung in einem inneren Zusammenhang mit der Aktionärseigenschaft steht, da der Betreffende nur in dieser Eigenschaft zur Erhebung der Anfechtungsklage befugt ist 18 . Dasselbe gilt für die Einziehung und den Erwerb eigener Aktien: Da die Gesellschaft eigene Aktien nur von Aktionären einziehen bzw. zu15 Zur Abgrenzung zwischen treuepflichtgestützter Missbrauchskontrolle und Inhaltskontrolle am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes s. noch unten § 12 V. 16 Eine andere Frage ist, ob in den Fällen, in denen Privatinteressen ausnahmsweise in ein „Interesse der Zweckgemeinschaft an ungetrübter Zusammenarbeit" umschlagen, dieses Interesse von der Mehrheit angeführt werden kann, um Ungleichbehandlungen sachlich zu rechtfertigen. Zu dieser (zu bejahenden) Frage unten § 12 III 2 b. 17 Dies ist freilich schon mit Blick auf die Kapitalerhaltung (§ 57 Abs. 1 Satz 1 AktG) nur in sehr eingeschränktem Rahmen zulässig; vgl. statt vieler Bayer, in: Münch. Komm. AktG, § 57 Rdn. 88; Henze, in: Großkomm. AktG, § 57 Rdn. 70; jeweils mit umfangreichen w. Nachw. 18 Es besteht denn auch Einigkeit, dass der Abkauf von Anfechtungsrechten dem Anwendungsbereich des § 53a AktG unterfällt; vgl. etwa LG Köln, DB 1988, 349 (350); Bungeroth, in: Münch. Komm. AktG, §53a Rdn. 8; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 69; Bison, Missbrauch, S. 214 ff.; Diekgräf, Sonderzahlungen, S. 146 ff.
§9 Sachlicher
Anwendungsbereich
199
rückerwerben kann, ist hier der innere Zusammenhang mit der Gesellschaftereigenschaft ohne weiteres zu bejahen. Akut wird die Frage somit nur bei solchen Rechtsakten der Gesellschaft, die sowohl gegenüber Gesellschaftern als auch gegenüber Dritten vorgenommen werden können. Betrachtet seien zuerst Fälle, in denen der betreffende Gesellschafter/Dritte begünstigt wird (lit. a), anschließend Fälle, in denen er benachteiligt wird (lit. b). a) Bevorzugung
in der Eigenschaft als
Gesellschafter
aa) Beweiserleichterungen bei Geschäften mit oder maßgeblich beteiligten Gesellschaftern
beherrschenden
Unproblematisch ist zunächst der Fall, dass der Gesellschafter eine ihn begünstigende Entscheidung durch Ausnutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft selbst veranlasst hat. Hier ist ein hinreichender innerer Zusammenhang mit der Mitgliedschaft stets und damit auch im schuldrechtlichen Individualrechtsverkehr zu bejahen. Eine derartige Ausnutzung des Einflusses auf die Gesellschaft ist aber nicht zwingend erforderlich, um einen hinreichenden Bezug zur Mitgliedschaft herzustellen. Es genügt vielmehr, dass die Gesellschaftsorgane auch ohne Veranlassung des bevorzugten Gesellschafters die Entscheidung gerade mit Rücksicht auf die Gesellschafterstellung getroffen haben 19 . Da es sich dabei um ein subjektives Kriterium handelt, wird dessen positiver Nachweis allerdings u.U. schwer fallen. Der beweisbelasteten Partei, die sich auf das Vorliegen eines Gleichbehandlungsverstoßes beruft, kann insoweit aber mit Beweiserleichterungen geholfen werden. Man wird von einem allgemeinen Erfahrungssatz sprechen können, dass die Einräumung eines Vorteils von der Gesellschaft an einen beherrschenden oder maßgeblich beteiligten Gesellschafter typischerweise nicht ohne Ausblendung seiner Gesellschafterstellung erfolgt. Folglich streitet in diesen Fällen ein Anscheinsbeweis dafür, dass ein hinreichender Bezug zur Mitgliedschaft gegeben ist 20 . Eine maßgebliche Beteiligung in diesem Sinn wird man dabei auch unterhalb einer Mehrheitsbeteiligung zumindest 19 Ausdrücklich wie hier Huffmann, Austauschgeschäfte, S. 219 (,,[D]ie tätige Ausübung von Einfluss auf die Verwaltungsentscheidung ist (...) keine zwingende Voraussetzung."); implizit aber auch die übrigen in Fn. 1 Genannten: Der Fall, dass der Gesellschafter den Geschäftsabschluss auf Seiten der Gesellschaft durch Ausnutzung seines Einflusses selbst veranlasst hat, wird jeweils nur als ein möglicher (nicht aber als alleiniger) Fall angeführt, in dem der Gleichbehandlungsgrundsatz auch auf gewöhnliche Verkehrsgeschäfte Anwendung findet. 20 Ähnlich Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 21, die allerdings von einer „Vermutung" sprechen, womit wohl eine sog. „tatsächliche Vermutung" (keine Vermutung i.S. des §292 ZPO) gemeint sein soll; zu diesem Begriff etwa Prutting, in: MünchKomm. ZPO, §292 Rdn. 26 f.
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
dann annehmen können, wenn sie die Sperrminorität von über 25 % des Kapitals erreicht 21 . Bei einer so bedeutenden Beteiligung sind die anderen Gesellschafter und die Geschäftsleiter bei nahezu allen wesentlichen Entscheidungen auf den Gesellschafter angewiesen, so dass ihn betreffende Entscheidungen typischerweise nicht ohne Rücksicht auf die Gesellschaftereigenschaft getroffen werden. Im Ergebnis scheint man mittels der soeben vorgeschlagenen Beweiserleichterung dazu zu gelangen, dass Rechtsgeschäfte mit beherrschenden und maßgeblich beteiligten Gesellschaftern in aller Regel am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen sind. Für Geschäfte mit herrschenden Gesellschaftern ist insoweit aber ein bedeutsamer Vorbehalt angebracht. Zu beachten ist nämlich, dass die Gleichbehandlungspflicht nur relevant wird, soweit sich nicht aus den Sonderregeln für den Vertragskonzern und den faktischen AG-Konzern (§§ 291 ff., 311 ff. AktG) Abweichendes ergibt. Darauf wird noch gesondert einzugehen sein 22 . Beweiserleichterungen, wie sie hier befürwortet werden, sind allerdings im Schrifttum teilweise auf Kritik gestoßen. So wird erstens geltend gemacht, dass allein aus einer maßgeblichen Beteiligung nicht darauf geschlossen werden dürfe, dass der vorhandene Einfluss zur Verschaffung des Geschäfts auch eingesetzt worden sei 23 . Dieser Einwand muss indes schon deshalb überraschen, weil sich ganz ähnliche Fragen auch im Konzernrecht stellen - insbesondere bei der Frage, ob eine Nachteilszufügung i.S.des §311 AktG vom herrschenden Unternehmen veranlasst worden ist - und dort vergleichbare Beweiserleichterungen nahezu allgemein anerkannt sind 24 . Vor allem aber kommt es im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes letztlich gar nicht darauf an, ob die Ungleichbehandlung tatsächlich auf eine Veranlassung durch den begünstigten Gesellschafter zurückgeht. Nach dem eingangs Gesagten genügt vielmehr, dass die Entscheidung der Gesellschaft über den Abschluss des Geschäfts in irgendeiner Form (mit oder ohne Veranlassung des Gesellschafters) durch die Gesellschaftereigenschaft mit beeinflusst worden ist. Zumindest ein solcher, weiterer Zusammenhang entspricht bei Geschäften mit maßgeblich beteiligten 21 So auch T. Bezzenberger, ZIP 2002, 1917 (1928) (zum Bezugsrechtsausschluss). Entscheidend ist dabei nicht das formale Erreichen einer Beteiligung von über 25 % des gezeichneten Kapitals, sondern dass der Betreffende unter Berücksichtigung der Präsenzverhältnisse in der Anteilseignerversammlung tatsächlich über eine Sperrminorität verfügt. Bei Publikumsgesellschaften kann also eine deutlich niedrigere Beteiligungsquote genügen. 22 S. unten § 15 I. 23 Vgl. Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 42, in Auseinandersetzung mit der von Lutter/Zöllner (oben Fn. 20) aufgestellten „Vermutung"; kritisch auch Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 6. 24 Vgl. dazu Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rdn. 32 ff. m.w.Nachw. Umstritten ist nur noch der genaue Umfang der Beweiserleichterung. Nach richtiger Auffassung ist auch insoweit von einem Anscheinsbeweis auszugehen, vgl. Habersack aaO. Rdn. 33; Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, § 311 Rdn. 10.
§9 Sachlicher
Anwendungsbereich
201
Gesellschaftern dem typischen Geschehensablauf und berechtigt daher zur Annahme eines Anscheinsbeweises. Daneben wird zweitens der Einwand erhoben, dass es zu weit gehe, Verkehrsgeschäfte mit maßgeblich beteiligten Gesellschaftern auch zu angemessenen Konditionen praktisch flächendeckend - nach der hier vertretenen Auffassung immer dann, wenn der Anscheinsbeweis nicht erschüttert werden kann - einer Kontrolle am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu unterziehen 25 . Dieser Einwand vermischt die Frage der Beweiserleichterung mit derjenigen, ob auch inhaltlich ausgewogene Rechtsgeschäfte am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu messen sind. Dass Letzteres in Übereinstimmung mit der ganz h.M. zu bejahen ist, sofern die Gesellschafterstellung den Abschluss des Geschäfts mit beeinflusst hat, wurde bereits dargelegt26. Die hier interessierende Frage der Beweiserleichterung hinsichtlich des Bezugs zur Mitgliedschaft bei Geschäften mit beherrschenden und maßgeblich beteiligten Gesellschaftern hat damit nichts zu tun. Auch bei inhaltlich ausgewogenen Geschäften lässt sich nicht leugnen, dass die Gesellschaftsorgane die Gesellschaftereigenschaft des Vertragspartners typischerweise nicht unberücksichtigt lassen, wenn sie mit einem beherrschenden oder maßgeblich beteiligten Gesellschafter kontrahieren. bb) Unwiderlegliche Rechtsgeschäften ?
Vermutung bei inhaltlich
unausgewogenen
Zu untersuchen bleibt, ob speziell bei (zum Nachteil der Gesellschaft) inhaltlich unausgewogenen Rechtsgeschäften noch über die vorstehenden Grundsätze hinauszugehen ist. Den Anstoß für Überlegungen in diese Richtung gibt ein Blick auf das Parallelproblem im Rahmen der verbotenen Vermögenszuwendungen i.S. der §§ 30 GmbHG, 57 AktG. Für deren Anwendbarkeit verlangt die h.M. ebenfalls, dass die Leistung ihren Grund in der causa societatis hat, also einen Bezug zur Mitgliedschaft aufweist 27 . Bei objektiv unausgewogenen LeisVgl. Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 42. S. oben Ziff. I 1 a.E. Auch Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 42, scheinen dies nicht in Frage stellen zu wollen. Sie wenden sich nur gegen die Beweiserleichterung hinsichtlich des Bezugs zur Mitgliedschaft, plädieren aber nicht dafür, inhaltlich ausgewogene Verkehrsgeschäfte generell vom Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes auszunehmen. 27 Vgl. für die GmbH B G H Z 13, 49 (54) („in seiner Eigenschaft als solcher"); B G H N J W 1987, 1194 (1195) („mit Rücksicht auf die Gesellschafterstellung"); Heidinger, in: Michalski, GmbHG, §30 Rdn.41; Goerdeler/W. Müller, in: Hachenburg, GmbHG, §30 Rdn. 17, 59ff.; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §30 Rdn. 22; H.P. Westermann, in: Scholz, GmbHG, § 30 Rdn. 19 f.; M. Winter, Treuebindungen, S. 223; für die AG Bayer, in: MünchKomm. AktG, §57 Rdn.26; T. Bezzenberger, Kapital, S. 232 ff.; Henze, in: Großkomm. AktG, §57 Rdn. 39; Hüffer, AktG, §57 Rdn. 2. Abweichend Tries, Gewinnausschüttungen, S. 44 ff., 49 ff. m.w.Nachw. 25 26
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
tungen wird in diesem Kontext häufig angenommen, dass ohne Prüfung irgendwelcher subjektiver Kriterien, also sogar dann, wenn das handelnde Gesellschaftsorgan die Gesellschafterstellung des Vertragspartners gar nicht kenne, ein hinreichender Bezug zur Mitgliedschaft stets zu bejahen sei 28 . Zur Begründung heißt es, dass jedenfalls der begünstigte Gesellschafter um seine Gesellschafterstellung wisse und es ihm nicht zustehe, sich „mit Hilfe der Torheit der Verwaltung" einen Vermögensvorteil zu verschaffen 29 . Im Anschluss an diese Überlegungen könnte man erwägen, auch im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei inhaltlich unausgewogenen Geschäften (verdeckten Vermögenszuwendungen) stets von einem hinreichenden Bezug zur Mitgliedschaft auszugehen. Richtigerweise ist der referierten Ansicht jedoch schon im Anwendungsbereich der §§ 30 G m b H G , 57 A k t G nicht zu folgen 30 . Es gibt auch bei unausgewogenen Austauschgeschäften Fallkonstellationen, in denen die Gesellschaftereigenschaft des Vertragspartners das Handeln der Gesellschaft in keiner Weise beeinflusst hat. Der bereits angesprochene Fall der Unkenntnis der Gesellschaftereigenschaft zeigt dies deutlich: Wenn eine Publikumsgesellschaft mit vielen verstreuten Aktionären einen Bauunternehmer für ein zu hohes Entgelt mit Bauarbeiten beauftragt und dieser - ohne dass davon auf Seiten der Gesellschaft jemand Kenntnis hat - zufällig ein paar Aktien der Gesellschaft hält 31 , stellt die Aktionärseigenschaft des Bauunternehmers offensichtlich einen für den Abschluss des Geschäfts gänzlich irrelevanten Begleitumstand dar. Unter diesen Umständen lässt sich ein Zusammenhang mit der causa societatis schlechterdings nicht bejahen. Die Gegenauffassung läuft letztlich auf eine Aufgabe dieses Kriteriums hinaus, obwohl sie der Form nach daran festhält. Ihr Argument, der Gesellschafter dürfe nicht aus der Torheit der Verwaltung Kapital schlagen, hält näherer Betrachtung nicht stand. Es setzt voraus, was erst zu begründen wäre, dass nämlich der Gesellschafter mit der Gesellschaft gerade in 2 8 Vgl. für die AG Bayer, in: MünchKomm. AktG, §57 Rdn. 39 f.; Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 57 Rdn. 27; Henze, in: Großkomm. AktG, § 57 Rdn. 46 f.; Hüffer, AktG, § 57 Rdn. 10 f. Auch im GmbH-Recht wird häufig betont, dass es neben der objektiven Unausgewogenheit nicht auf subjektive Kriterien ankomme; vgl. nur B G H N J W 1987, 1194 (1195); G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 29 Rdn. 70; M. Winter, Treubindungen, S. 224. Der im Text angesprochene Fall der Unkenntnis der Gesellschaft von der Gesellschaftereigenschaft hat in der GmbH (anders als in der Publikums-AG) freilich schon aus tatsächlichen Gründen kaum praktische Bedeutung. 29 Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 57 Rdn. 27; zustimmend Bayer, in: MünchKomm. AktG, § 57 Rdn. 40; Hüffer, AktG, § 57 Rdn. 11. 3 0 Ausführlich zuletzt T. Bezzenberger, Kapital, S. 232 ff. m.w.Nachw.; ferner etwa Flume, AT 1/2, §8 IV 2 b (S.286f.); Hefermebl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, AktG, §57 Rdn. 12 f.; Kleffner, Erhaltung, S. 74 ff.; grundsätzlich auch Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, Rdn. 382 (anders nur für Geschäfte mit einem beherrschenden Gesellschafter; dann genüge objektive Unausgewogenheit). 31 Beispiel nach T. Bezzenberger, Kapital, S. 233.
§9 Sachlicher
Anwendungsbereich
203
dieser Eigenschaft kontrahiert. In Wahrheit tritt der Gesellschafter der Gesellschaft in den genannten Fällen aber wie ein außenstehender Dritter gegenüber, und einem Dritten steht es selbstverständlich zu, aus der Torheit der Verwaltung Vorteile zu ziehen 32 . Aus denselben Gründen sollte man auch im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes das Erfordernis des Bezugs zur causa societatis ernst nehmen und auch bei inhaltlich ausgewogenen Rechtsgeschäften nicht ausnahmslos unterstellen, dass ein hinreichender Bezug zur Mitgliedschaft gegeben ist. Das zur ratio legis des Gleichbehandlungsgrundsatzes Gesagte 33 unterstreicht dies deutlich: In Fällen wie dem geschilderten Fall des Bauunternehmers realisiert sich nur das gewöhnliche Risiko einer Fehleinschätzung durch die Gesellschaftsorgane, das auch bei jedem beliebigen Drittgeschäft besteht und ggf. zu einer Haftung der Organwalter nach §§ 43 GmbHG, 93 AktG führt. Der Anlass für das Eingreifen der zusätzlichen Kontrolle am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes - die Störung der grundsätzlichen Interessengleichrichtung der Gesellschafter und die daraus resultierende besondere Gefährdung für die Belange der Gesellschaft und die benachteiligten Gesellschafter - ist dagegen nicht gegeben. Selbstredend steht aber nichts im Wege, die inhaltliche Unausgewogenheit des Geschäfts immerhin als Indiz dafür zu werten, dass die Gesellschaft ihrem Vertragspartner Vorteile gerade auch mit Rücksicht auf dessen Gesellschaftereigenschaft zukommen lassen wollte 34 . Von einem generellen Erfahrungssatz in dieser Richtung, der die Annahme eines Anscheinsbeweises rechtfertigen würde, wird man aber auch insoweit nur bei Geschäften mit maßgeblich beteiligten Gesellschaftern sprechen können 35 . b) Benachteiligung in der Eigenschaft als Gesellschafter aa) Allgemeines Wie dargelegt 3 6 gilt das Erfordernis, dass der Gesellschafter gerade in dieser Eigenschaft betroffen sein muss, nicht nur für Bevorzugungen, sondern auch für Benachteiligungen eines Gesellschafters. Ein anschauliches Beispiel hierfür bildet die Entscheidung B G H W M 1972, 931: Die beklagte GmbH hatte Büroräume in dem ihr gehörenden Geschäftshaus vermietet, und zwar zum Teil an ihre Gesellschafter, zum Teil aber auch an Nichtgesellschafter. Der Mietvertrag W i e hier T. Bezzenherger, Kapital, S. 233. S. oben § 4 III 2 a.E. i.V.m. § 3 II 1 b, c. 34 So auch T. Bezzenherger, Kapital, S . 2 3 4 ; Flume, A T 1/2, § 8 IV 2 b ( S . 2 8 7 ) ; Hefermehl/ Bungeroth, in: G e ß l e r / H e f e r m e h l , A k t G , § 57 R d n . 12. 35 A h n l i c h T. Bezzenherger, Kapital, S. 234 f.: A n s c h e i n s b e w e i s bei u n a u s g e w o g e n e n G e schäften mit „größeren Aktionären". 3 6 S. oben Ziff. 1 2 b. 32 33
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
mit dem klagenden Gesellschafter wurde von der GmbH ordentlich gekündigt, während die übrigen Mietverträge bestehen blieben. Der betroffene Gesellschafter rügte daraufhin eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Mit Recht hat der B G H hier zunächst geprüft, ob der Kläger überhaupt in seiner Eigenschaft als Gesellschafter betroffen war. In dem zu entscheidenden Fall ließ sich dies deshalb bejahen, weil die Mietverträge mit den Gesellschaftern jeweils zu verbilligten Konditionen abgeschlossen waren, während die Verträge mit den Nichtgesellschaftern angemessene Konditionen enthielten. Der aus dem niedrigen Mietzins resultierende wirtschaftliche Vorteil floss den Gesellschaftern also, wie der B G H ausdrücklich feststellte, „nicht unabhängig von ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, sondern mit Rücksicht darauf" zu; es handelte sich um verdeckte Vermögenszuwendungen an die Gesellschafter 37 . Da dem Kläger infolge der Kündigung seines Mietvertrags diese Vermögenszuwendung vorenthalten wurde, war er nicht nur als Dritter, sondern gerade auch in seiner Eigenschaft als Gesellschafter benachteiligt. bb) Die Abberufung/Anderungskündigung Geschäftsführern im Besonderen
von
Gesellschafter-
Schwierigkeiten bereitet die Frage der Betroffenheit in der Eigenschaft als Gesellschafter insbesondere in Fällen, in denen ein geschäftsführender Gesellschafter als Geschäftsführer abberufen oder anderweitig (z.B. durch Kürzung seiner Geschäftsführerbezüge im Wege der Änderungskündigung) nachteilig betroffen wird. Solche Fälle haben - wie gesehen - vor allem die englische Rechtsprechung beschäftigt, die insoweit jedenfalls bei kleinen, personalistisch strukturierten Gesellschaften eine vergleichsweise großzügige Linie eingeschlagen hat und eine Betroffenheit in der Eigenschaft als Gesellschafter häufig bejaht 38 . Aber auch hierzulande hat diese Fallkonstellation bereits die Rechtsprechung beschäftigt. In einem vom O L G Hamm 3 9 entschiedenen Fall hatte die beklagte GmbH fünf Gesellschafter, die jeweils zu 20 % am Stammkapital beteiligt waren und alle der Geschäftsführung angehörten. Die Geschäftsführerbezüge waren zunächst für alle Gesellschafter gleich hoch festgesetzt. Nach einiger Zeit beschloss die Gesellschafterversammlung, die Geschäftsführerbezüge des klagenden Gesellschafters im Wege der Anderungskündigung wegen angeblich unzureichender Arbeitsleistungen zu reduzieren und die Bezüge der übrigen gleichmäßig anzuheben. Das O L G hat hier die Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes bejaht: Zwar gelte der Grundsatz nicht für BGH W M 1972,931 (932 Ii. Sp.). S.oben § 7 II 3 c (zum Parallelproblem im Rahmen des unfair prejudice, der gerade in der Eigenschaft als Gesellschafter erlitten sein muss). 39 GmbHR 1996, 768; zustimmend zitiert bei Emmerich, in: Scholz, GmbHG, §13 Rdn.43; Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 131. 37
38
§ 9 Sachlicher
Anwendungsbereich
205
reine Drittgeschäfte, doch sei in diesem Fall die Gesellschaftereigenschaft für die Bestellung zum Geschäftsführer und die Konditionen des Anstellungsvertrags mitbestimmend gewesen. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass alle Gesellschafter zugleich Geschäftsführer waren und Maßstab für die Vergütung zunächst offenbar nur die gleich hohe Beteiligung am Stammkapital gewesen sei, nicht aber Art und Erfolg der Tätigkeit als Geschäftsführer. Die Vergütung dürfe daher nur unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verändert werden, d.h. nach objektivierbaren Kriterien, die für alle Gesellschafter/Geschäftsführer gleichermaßen gälten 40 . Zumindest die Begründung dieser Entscheidung muss auf Bedenken stoßen. Für die hier interessierende Frage kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Gesellschaftereigenschaft für die ursprüngliche Bestellung und Vergütung des Geschäftsführers mitbestimmend war. Maßgeblich ist vielmehr, ob die nunmehr vorgenommene Kürzung seiner Bezüge ihn lediglich wie einen externen Geschäftsführer oder auch als Gesellschafter trifft. Dies wiederum ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, über die der mitgeteilte Sachverhalt der Entscheidung keine näheren Angaben enthält. Dass die Abberufung als Geschäftsführer o d e r - w i e im Fall des OLG Hamm - die Kürzung der Geschäftsführerbezüge im Wege der Änderungskündigung den Betroffenen auch in seiner Eigenschaft als Gesellschafter berührt, wird man richtigerweise unter folgenden Umständen anzunehmen haben: (1.) wenn das Recht des Betroffenen, als Geschäftsführer zu fungieren, als mitgliedschaftliches Recht in der Satzung ausdrücklich verankert ist; (2.) - auf Grundlage der Rechtsprechung des BGH zur satzungsähnlichen Wirkung von schuldrechtlichen Nebenabreden 41 - wenn das Recht, als Geschäftsführer zu fungieren, in einer sämtliche Gesellschafter bindenden Gesellschaftervereinbarung vorgesehen ist; oder (3.) - in Anlehnung an die zu lit. aa angeführte Entscheidung BGH W M 1972, 931 - wenn die Geschäftsführerbezüge für die übrigen Gesellschafter unangemessen hoch sind und sich deshalb in Wahrheit als verdeckte Vermögenszuwendungen an die Gesellschafter darstellen, die nunmehr einem einzelnen Gesellschafter vorenthalten werden. Ob eine dieser Situationen im Fall des OLG Hamm vorlag, lässt sich den mitgeteilten Entscheidungsgründen nicht entnehmen. Insbesondere die zweite OLG Hamm GmbHR 1996, 768 (769 f.). Vgl. BGH N J W 1983, 1910 (1911); N J W 1987, 1890 (1892). Nach dieser Rechtsprechung sind Gesellschafterabreden auch von den Gesellschaftsorganen zu beachten, solange der Gesellschaft nur die aus der Abrede verpflichteten Gesellschafter angehören. Derartige Abreden haben insoweit also satzungsähnliche Wirkung; in der Literatur sehr str., zustimmend etwa K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §243 Rdn. 19 f.; Zöllner, in: Baumbach/ Hueck, GmbHG, §47 Rdn. 118; Noack, Gesellschaftervereinbarungen, S. 156ff.; Ehricke, Nebenabreden, S. 29 ff., 65 ff.; ablehnend statt vieler H ü f f e r , AktG, § 243 Rdn. 10; Ulmer, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, §3 Rdn. 123 ff.; ders., FS Röhricht, S. 633 ff., mit umfangreichen w.Nachw. 40 41
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Fallgruppe wird aber gerade bei kleinen, personalistisch strukturierten Gesellschaften - und um eine solche Gesellschaft handelte es sich in dem Fall des O L G Hamm - vergleichsweise häufig gegeben sein. Dabei ist zu beachten, dass ein entsprechendes Einvernehmen der Gesellschafter an keine Form gebunden ist42 und deshalb auch mündlich oder stillschweigend zustande kommen kann. Im Ergebnis gelangt man so in diesem Punkt zu einer weitgehenden Ubereinstimmung mit der englischen Spruchpraxis: Wie dargelegt gehen auch die englischen Gerichte davon aus, dass die Abberufung als Geschäftsführer immer dann als Benachteiligung auch in der Eigenschaft als Gesellschafter zu werten ist, wenn nachgewiesen wird, dass alle Gesellschafter (auch ohne ausdrückliche Abrede) einvernehmlich davon ausgegangen sind, dass jeder von ihnen während der Dauer seiner Mitgliedschaft an der Geschäftsführung teilzunehmen berechtigt sein sollte 43 . Sofern dagegen keine der genannten Fallgruppen vorliegt, ist die Abberufung oder Gehaltskürzung eines Gesellschafter-Geschäftsführers nicht als Benachteiligung in der Eigenschaft als Gesellschafter anzusehen und deshalb nicht am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen. Dies erscheint auch wertungsmäßig stimmig: In Ermangelung entsprechender Vorgaben der Satzung oder einer Gesellschaftervereinbarung hätte es der Gesellschafterversammlung frei gestanden, von vornherein nur einzelne Gesellschafter zu Geschäftsführern zu bestellen und die übrigen zu übergehen. Eine gesetzliche Gleichbehandlungspflicht besteht insoweit nach allgemeiner Auffassung nicht 44 . Wenn aber die Bestellung zum Geschäftsführer an keine Gleichbehandlungspflicht gebunden ist, kann für die spätere Abberufung und die Kündigung des Anstellungsvertrags (bzw. hier die Änderungskündigung) nichts anderes gelten45. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass in den Fällen, in denen es nach dem Gesagten an einem hinreichenden Bezug zur Mitgliedschaft fehlt, zu prüfen bleibt, ob neben der Gleichbehandlung der Gesellschafter auch ein Grundsatz der Gleicbbehandlung der Organwalter anzuerkennen ist. Im Schrifttum ist dies in Erweiterung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes teilweise befürwortet worden46. Die Frage kann hier nicht weiter 42 Vgl. nur Röhricht, in: Großkomm. AktG, § 23 Rdn. 266; Ulmer, in: Ulmer/Habersack/ Winter, GmbHG, §3 Rdn. 115. 43 S. oben §7 II 3 c. 44 Näher dazu unten §9 III. 45 So auch Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn. 175 (zur Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern). 46 Vgl. Zöllner, Kölner Komm. AktG, § 243 Rdn. 175 („Die Gesellschaft ist gegenüber den Mitgliedern ihrer Organe, obgleich diese keine Arbeitnehmer sind, ähnlich wie gegenüber den Arbeitnehmern zur Gleichbehandlung, d.h. zur Unterlassung willkürlicher Differenzierungen verpflichtet."); anders aber ders., in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §37 Rdn. 28. Insbesondere im Aktienrecht ist darüber hinaus verschiedentlich von einem Grundsatz der „Gleichberechtigung" der Organmitglieder die Rede; vgl. J. Semler/Spindler, in: Münch. Komm. AktG, vor § 76 Rdn. 54 f.; für den Vorstand Hoffmann-Becking, Z G R 1998, 497,
§9 Sachlicher
Anwendungsbereich
20 7
vertieft werden; mehr dürfte aber dafür sprechen, sie zumindest in Bezug auf die Mitglieder des Leitungsorgans (Geschäftsführung/Vorstand) zu verneinen 47 .
II. Gleichbehandlung nur „unter gleichen Voraussetzungen" Selbst wenn die Gesellschafter von der Gesellschaft gerade in dieser Eigenschaft bevorzugt oder benachteiligt werden, ist damit über die Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes noch nicht endgültig entschieden. Vielmehr sehen §§ 53a AktG, 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG 4 8 - ähnlich wie Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL - eine Gleichbehandlungspflicht nur „unter gleichen Voraussetzungen" vor. Dies lässt sich zunächst als Hinweis darauf verstehen, dass Ungleichbehandlungen u.U. sachlich gerechtfertigt werden können. Wie bereits im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen dargelegt 49 , erschöpft sich darin die Bedeutung jener Wendung jedoch nicht. Vielmehr sind bereits auf einer der sachlichen Rechtfertigung vorgeordneten Stufe einzelne Fallgruppen abzuschichten, in denen mangels gleicher Voraussetzungen von vornherein keine Gleichbehandlungspflicht entsteht und deshalb auch ein Erfordernis zur sachlichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen gar nicht erst ausgelöst wird. Dies trifft namentlich auf Fälle zu, in denen bereits die Satzung oder gesetzliche Sonderregeln Ungleichbehandlungen vorgeben (dazu Ziff. 1 und 2). O b es auch in weiteren Fällen an gleichen Voraussetzungen fehlen kann, ist dagegen zweifelhaft (Ziff. 3).
1. Statutarisch vorgesehene Anteilsgattungen
Ungleichbehandlungen/Unterschiedliche
Was zunächst ungleichmäßige Satzungsbestimmungen angeht, so ist dazu das Nötige bereits gesagt worden: Der Gleichbehandlungsgrundsatz steht ungleichmäßigen Satzungsbestimmungen, die alle Gesellschafter anlässlich der Gründung oder durch späteren Beitritt akzeptiert haben, nicht entgegen; er stellt eine Schranke der Verbandsmacht dar, keine Schranke der gesellschaftsvertraglichen Privatautonomie 50 . Folglich bedarf weder die ungleichmäßige Satzungsbestimmung selbst noch eine Ungleichbehandlung, die in Ausführung dieser Satzungsbestimmung erfolgt (z.B. die Auszahlung des Gewinn514 ff.; für den Aufsichtsrat den., in: MünchHdb. AG, §33 Rdn. 1 f.; ]. Semler, in: Münch. Komm. AktG, § 111 Rdn. 53; vgl. auch § 4 Abs. 3 Montan-MitbestG. 4 7 Vgl. Zöllner, in: Baumbach/Hueck, G m b H G , § 37 Rdn. 28. 48 Ebenso §30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG in der Fassung des Regierungsentwurfs zum Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz; s. dazu oben §2 II 3 a.E. 4 9 S. oben § 6 II 2 b. 50 S. oben §1 II 2 a.
208
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Vorzugs auf die V o r z u g s a k t i e n ) , einer b e s o n d e r e n sachlichen R e c h t f e r t i g u n g . A u c h mit B l i c k auf die V o r g a b e n der A r t . 42 K a p i t a l - R L , 17 T r a n s p a r e n z - R L ist diese E i n s c h r ä n k u n g des G l e i c h b e h a n d l u n g s g r u n d s a t z e s u n b e d e n k l i c h 5 1 . Sieht die Satzung unterschiedliche Anteilsgattungen vor, bedeutet dies freilich nicht, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz zwischen den verschiedenen G a t t u n g e n gänzlich außer K r a f t gesetzt wäre. I n R e c h t s p r e c h u n g und Literatur wird zwar verschiedentlich behauptet, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nur innerhalb derselben G a t t u n g zu beachten sei 5 2 . F ü r diese Aussage lässt sich jedoch im Gesellschaftsrecht - anders als im U b e r n a h m e r e c h t (§ 3 A b s . 1 W p U G ) 5 3 - kein A n h a l t s p u n k t im G e s e t z finden. Sie wäre auch teleologisch nicht veranlasst: E s bliebe unerfindlich, w a r u m der Gleichbehandlungsgrundsatz keine A n w e n d u n g finden soll, wenn der Vorstand z . B . b e s t i m m t e I n f o r m a tionen nur den S t a m m a k t i o n ä r e n und nicht auch den Vorzugsaktionären erteilt, o b w o h l sie f ü r diese genauso von Interesse sind wie f ü r jene. R i c h t i g ist nur, dass die A n w e n d u n g des Gleichbehandlungsgrundsatzes insoweit eingeschränkt w i r d , als in B e z u g auf die M e r k m a l e , in denen sich die Anteilsgattungen ausweislich der Satzung unterscheiden, anstelle des gesetzlichen G l e i c h b e h a n d lungsmaßstabs der abweichende satzungsmäßige Verteilungsmaßstab gilt 5 4 . I m Ü b r i g e n bleibt es aber dabei, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz auch gattungsübergreifend zu beachten ist.
2. Gesetzlich vorgesehene
Ungleichbehandlungen
Weitere E i n s c h r ä n k u n g e n erleidet der Gleichbehandlungsgrundsatz gegenüber speziellen V o r s c h r i f t e n , die in einzelnen Situationen Ungleichbehandlungen auch ohne Vorliegen einer besonderen sachlichen R e c h t f e r t i g u n g f ü r zulässig erklären, die also von der B e a c h t u n g des Gleichbehandlungsgebots befreien.
a) Anerkannte
Fallgruppen
aa) A l s prominentestes Beispiel für derartige Sondervorschriften sind zunächst die § § 2 9 1 ff., 311 ff. A k t G zu nennen, die den Gleichbehandlungsgrundsatz im Vertragskonzern und im faktischen K o n z e r n überlagern und in erheblichem S. oben §6 II 2 b aa. Vgl. O L G Düsseldorf BB 1973, 910 (912); Brauer, AG 1993, 324 (332 re. Sp.); S. Wilhelmi, in: v. Godin/Wilhelmi, AktG, § 11 Anm. 2. 53 Zur Gattungsbezogenheit des übernahmerechtlichen Gleichbehandlungsgebots näher Habersack, ZI? 2003,1123 (1124,1127ff.). 54 Ein Sonderproblem, das bei Existenz mehrerer Anteilsgattungen zu beachten ist, besteht in der Frage nach dem Verhältnis zwischen den verschiedenen Sonderbeschlusserfordernissen (insbes. §§ 141 Abs. 3, 179 Abs. 3 AktG) und dem Gleichbehandlungsgrundsatz; dazu näher unten § 14 I 3. 51
52
5 9 Sachlicher
Anwendungsbereich
209
Umfang außer Kraft setzen. Angesichts ihrer großen praktischen Bedeutung verdient diese Fallgruppe gesonderte Betrachtung und soll deshalb in einem eigenen Abschnitt separat behandelt werden55. bb) In einzelnen Fällen sieht das Gesetz darüber hinaus Beschlüsse vor, die denknotwendig mit einer Ungleichbehandlung der Gesellschafter einhergehen. So liegt es sowohl bei der Mehrheitseingliederung (§§ 320 ff. AktG) als auch beim squeeze-out (§§ 327a ff. AktG): Beschlüsse dieser Art haben stets eine Ungleichbehandlung der Aktionäre zum Gegenstand, da nur der Hauptaktionär an der Gesellschaft beteiligt bleibt, während alle übrigen Aktionäre - wenn auch gegen angemessene Abfindung - aus der Gesellschaft ausscheiden müssen. Da der Ausschluss vom Gesellschaftsorgan Hauptversammlung beschlossen wird 56 , lässt sich (jedenfalls bei formaler Betrachtung) auch von einer Ungleichbehandlung durch die Gesellschaft sprechen. Wenn der Gesetzgeber solche Beschlüsse gleichwohl zulässt, kann daraus gefolgert werden, dass er die damit zwangsläufig verbundenen ungleichen Auswirkungen in Kauf nimmt und diese bei der Formulierung der hohen Voraussetzungen für diese Beschlussgegenstände (Kapitalerfordernis von 95 % , spezielle Berichtspflichten, im Spruchverfahren überprüfbare Abfindung) bereits berücksichtigt und mit abgewogen hat. Dies spricht dafür, neben diesen Voraussetzungen eine zusätzliche Prüfung der sachlichen Rechtfertigung am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes für entbehrlich zu halten. Im Ergebnis entspricht dies auch der ganz h.M.: Diese zieht eine Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes meist schon gar nicht in Betracht und verneint im Übrigen auch das Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung nach der Lehre vom sachlichen Grund 57 . Bestätigt wird dieses Ergebnis im Übrigen auch durch die §§ 320b Abs. 2 Satz 1, 327f Satz 1 AktG, die eine auf das Erstreben von Sondervorteilen gestützte Anfechtung (§243 Abs. 2 AktG) der Mehrheitseingliederung bzw. des squeeze-out ausdrücklich ausschließen. Damit soll zwar in erster Linie sichergestellt werden, dass die besonderen Vorschriften über die Abfindung nach §§ 320b, 327b AktG nebst Überprüfung im Spruchverfahren nicht durch AnS. unten §151. Anders liegt es beim übernahmerechtlichen squeeze-out im Anschluss an ein Übernahme- oder Pflichtangebot nach dem WpÜG. Nach §§ 39a, b WpUG in der Fassung des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes ist in diesen Fällen ein squeeze-out nunmehr auch ohne Hauptversammlungsbeschluss zulässig (Umsetzung von Art. 15 UbernahmeRL). 57 Zur Eingliederung Grunewald, in: MünchKomm. AktG, § 320 Rdn. 8; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §320 Rdn. 5, §320b Rdn. 21; Hüffer, AktG, § 320b Rdn. 8; Krieger, in: MünchHdb. AG, § 73 Rdn. 34; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 399 f.; a.A. Rodloff Mehrheitseingliederung, S. 44 ff.; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, Einl. Rdn. 55. Zum squeeze-out O L G Düsseldorf N Z G 2004, 328 (331); Grunewald, in: MünchKomm. AktG, §327a Rdn. 18; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §327a Rdn.26; Hüffer, AktG, §327a Rdn. 11; Boese, Anwendungsgrenzen, S. 410ff.; A. Hamann, Squeeze-out, S. 159 ff.; Riihland, Squeeze-out, S. 205. 55
56
210
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Wendung des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG unterlaufen werden58. Zugleich ergibt sich aus dem Ausschluss des § 243 Abs. 2 AktG aber auch ein argumentum a maiore ad minus: Wenn sogar der Vorsatz erfordernde Anfechtungstatbestand des § 243 Abs. 2 AktG ausgeschlossen ist, kann der an die bloße objektive Bevorzugung des Hauptaktionärs anknüpfende Gleichbehandlungsgrundsatz erst recht nicht zur Anwendung kommen 59 . cc) In einer Reihe weiterer Fälle knüpfen AktG und GmbHG die Ausübung von (Minderheits-) Gesellschafterrechten an das Erreichen bestimmter Schwellenwerte 60 . Das Gesetz gibt damit zu erkennen, dass für Gesellschafter oberhalb und unterhalb des Schwellenwerts in Ansehung des betreffenden Rechts kraft Gesetzes keine „gleichen Voraussetzungen" i.S. des § 53a AktG bestehen und insoweit Ungleichbehandlungen auch ohne besondere sachliche Rechtfertigung zulässig sind. Wenn etwa - um ein im Verlauf der Untersuchung bereits angeführtes Beispiel wieder aufzunehmen - eine AG auf Verlangen eines Paketaktionärs mit einer Kapitalbeteiligung von 5 % bzw. anteilig € 500.000 eine Hauptversammlung einberuft oder die Tagesordnung ergänzt, ein gleichgerichtetes Verlangen einzelner Kleinaktionäre aber zurückweist, so muss die Gesellschaft für diese Ungleichbehandlung der Kleinaktionäre keine besondere sachliche Rechtfertigung im Gesellschaftsinteresse anführen. Vielmehr ist diese Differenzierung bereits im Gesetz (§ 122 Abs. 1 und 2 AktG) angelegt. Der Gesetzgeber geht ersichtlich davon aus, dass sich die Kleinaktionäre und der Paketaktionär wegen ihres unterschiedlichen Beteiligungsumfangs insoweit in verschiedenartigen Umständen befinden, so dass keine Gleichbehandlungspflicht ausgelöst wird 61 . b) Problemfall:
Nachträgliche
Einführung
eines
Höchststimmrechts
Die Frage, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz durch gesetzliche Sondervorschriften eingeschränkt wird, ist nicht immer so leicht zu beantworten wie in den vorstehend genannten Fallgruppen. Kontrovers diskutiert wird insbesondere die Frage, inwieweit die besonderen aktienrechtlichen Vorschriften über die Einführung eines Höchststimmrechts (§ 134 Abs. 1 Satz 2 - 6 AktG) 6 2 eine 58 So zur Parallelvorschrift des §304 Abs. 3 Satz 2 AktG Begr. RegE bei Kropff, AktG 1965, S. 395. 59 Gemeinschaftsrechtlichen Bedenken begegnet diese Einschränkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht; vgl. oben § 6 II 2 b bb . 60 Vgl. etwa §§50 Satz 1, 93 Abs. 4 Satz 3, 122 Abs. 1 und 2, 142 Abs. 2, 147 Abs. 1 und 2, 148 Abs. 1,254 Abs. 2 Satz 3,258 Abs. 2 Satz 3,260 Abs. 1 Satz 1,265 Abs. 3 Satz 1, 302 Abs. 3, 309 Abs. 3 AktG, §§ 50, 61 Abs. 2, 66 Abs. 2 GmbHG. 61 Auch dies ist mit den Vorgaben der Richtlinien vereinbar; s. oben § 6 II 2 b bb . 62 Seit der Neufassung des § 134 Abs. 1 Satz 2 AktG durch das KonTraG (Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27.4.1998, BGBl. I 786) gelten diese Vorschriften nur noch für nicht-börsennotierte Gesellschaften (§ 3 Abs. 2 AktG).
§9 Sachlicher
Anwendungsbereich
211
abschließende Sonderregelung enthalten und vom Erfordernis der sachlichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen dispensieren. Den Anlass für diese Diskussion bildet die „Mannesmann"-Entscheidung des BGH 63 , in der es der BGH abgelehnt hat, die nachträgliche Einführung eines Höchststimmrechts auf ihre sachliche Rechtfertigung zu überprüfen, obwohl auch nach seiner Auffassung eine (materielle) Ungleichbehandlung zulasten derjenigen Aktionäre vorlag, deren Stimmrechte die nunmehr festgesetzte Höchstquote überschritten 64 . Zur Begründung verwies der BGH darauf, dass der Gesetzgeber Höchststimmrechte in § 134 Abs. 1 Satz 2 - 6 AktG ausdrücklich für zulässig erklärt habe und bereits vor dem AktG 1965 anerkannt gewesen sei, dass Höchststimmrechte auch nachträglich gegen den Willen einzelner Aktionäre eingeführt werden dürften; hieran habe der Gesetzgeber des AktG 1965 nichts ändern wollen 65 . In der wenige Monate später ergangenen „Kali und Salz"-Entscheidung hat der BGH diese Überlegung dahin zusammengefasst, dass bei der Einführung eines Höchststimmrechts „schon der Gesetzgeber die notwendige Abwägung zwischen den Belangen etwa betroffener Aktionäre und dem Interesse der Gesellschaft an der Abwehr gefährlicher Machteinflüsse (...) vorweggenommen und diesem den Vorrang eingeräumt" habe 66 . Im Ergebnis bedeutet dies nichts anderes, als dass der Gleichbehandlungsgrundsatz durch die Sonderregelung der § 134 Abs. 1 Satz 2 - 6 AktG zumindest in Bezug auf materielle Ungleichbehandlungen verdrängt werden soll 67 . Alternativ könnte man auch davon sprechen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz zwar zur Anwendung kommen, die Ungleichbehandlung aber automatisch kraft Gesetzes gerechtfertigt sein soll 68 . Das praktische Ergebnis ist bei beiden Formulierungen dasselbe. Im Schrifttum ist die Entscheidung des BGH auf Zustimmung, verbreitet aber auch auf Kritik gestoßen 69 . Bei näherer Betrachtung muss sie in der Tat BGHZ 70,117. Zu dieser Seite des Falls (Vorliegen einer Ungleichbehandlung) s. bereits oben §2 III 1 bei Fn. 102 sowie unten § 11 II 2 b aa, c bb . 65 BGHZ 70,117 (121 ff.). 66 BGHZ 71,40 (45). Ebenso OLG Celle DB 1992,1921 (1922). 67 Vgl. OLG Düsseldorf AG 1976, 215 (217) (Vorinstanz zu BGHZ 70, 117): § 134 AktG enthalte eine „Abweichung" vom Gleichbehandlungsgrundsatz; ferner Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 22 („Ausnahme" vom Gleichbehandlungsgrundsatz). 68 So wohl das Verständnis in BGHZ 70,117 (121 ff.); ferner H ü f f e r , AktG, § 53a Rdn. 11. 69 Dem BGH folgen namentlich Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 22; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 82 f., 92; H ü f f e r , AktG, § 134 Rdn. 8; ders., in: MünchKomm. AktG, §243 Rdn. 64; Volhard, in: MünchKomm. AktG, §134 Rdn. 22, 24; Ernstherger, Mehrheitsherrschaft, S. 129 ff.; i.E. auch Mülbert, Aktiengesellschaft, S.352f. Ablehnend dagegen Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 50; Kalss, Höchststimmrecht, S. 79 (jeweils zur Parallelfrage im österreichischen Recht); Zeißig, Höchststimmrechte, S. 94 ff.; wohl auch Boese, Anwendungsgrenzen, S.265 mit Fn. 1394; kritisch ferner Lutter, ZGR 1981, 171 (176f.); ders., Z H R 153 (1989), 446 (449) (anders noch ders./Timm, N J W 1982,409 [415 f.]); aus der Zeit vor „Mannesmann" s. auch Zöllner, Schranken, S. 122 f.; 63
64
212
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
fragwürdig erscheinen. Zwar trifft es zu, dass vor dem A k t G 1965 die ü b e r w i e gende Auffassung im S c h r i f t t u m a n n a h m , das H ö c h s t s t i m m r e c h t k ö n n e ohne weiteres auch nachträglich mit satzungsändernder Mehrheit eingeführt werden, und z w a r ausdrücklich auch in dem Fall, dass einzelne A k t i o n ä r e bereits über die H ö c h s t q u o t e hinaus beteiligt und deshalb besonders betroffen seien 7 0 . V o r diesem H i n t e r g r u n d lässt sich schwerlich in Abrede stellen, dass der G e s e t z g e ber gerade auch den Fall einer etwaigen ungleichmäßigen A u s w i r k u n g des nachträglich eingeführten H ö c h s t s t i m m r e c h t s gesehen hat 7 1 . R i c h t i g ist auch, dass aus der Entstehungsgeschichte des § 134 A k t G keine A n z e i c h e n d a f ü r ersichtlich sind, dass der G e s e t z g e b e r von der seinerzeit h . L . abweichen wollte. I m Gegenteil verweist die amtliche B e g r ü n d u n g zu § 134 A k t G ausdrücklich auf die frühere Rechtslage unter § 114 A k t G 1937; die neuen § 134 A b s . 1 Sätze 3 - 6 A k t G enthielten lediglich Klarstellungen zu Fragen, die nach altem R e c h t zweifelhaft gewesen seien 7 2 . Gleichwohl erscheint zweifelhaft, o b daraus ein Ausschluss der A n w e n d b a r keit des Gleichbehandlungsgrundsatzes abgeleitet werden k a n n . D i e B e d e n k e n ergeben sich dabei nicht aus dem G e m e i n s c h a f t s r e c h t - das H ö c h s t s t i m m r e c h t fällt weder in den Anwendungsbereich der K a p i t a l - R L n o c h denjenigen der T r a n s p a r e n z - R L - , sondern daraus, dass die vom B G H v o r g e n o m m e n e Auslegung dem historischen Auslegungskriterium ein G e w i c h t beilegt, das i h m unter den gegebenen U m s t ä n d e n nicht z u k o m m t . Zu bedenken ist n ä m l i c h , dass der Gesetzgeber des A k t G 1965 von einem damals n o c h unterentwickelten D i s kussionsstand z u m Gleichbehandlungsgrundsatz ausgegangen ist. D i e Stellungnahmen der damals h . L . litten daran, dass sie schon gar nicht erkannten, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz überhaupt betroffen war 7 3 ; materielle Ungleichbehandlungen w u r d e n wegen des damals herrschenden, rein formalen Begriffs der Ungleichbehandlung keiner P r ü f u n g am M a ß s t a b des G l e i c h b e handlungsgrundsatzes u n t e r z o g e n 7 4 . Sofern dagegen ausnahmsweise auf Seiten ders., in: Kölner Komm. AktG, §134 Rdn.48; Immenga, AG 1976, 293 (294f.). Ablehnend gegenüber „Mannesmann", aber mit eigenem, nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gestützten Begründungsansatz auch Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 92 ff. (Zustimmung der benachteiligten Gesellschafter erforderlich). Widersprüchlich O L G Celle DB 1992, 1921 (1922 f.), das einerseits dem B G H folgt, andererseits aber eine Inhaltskontrolle am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes nur deshalb ablehnt, weil im konkreten Fall für eine ungleiche Betroffenheit nichts vorgetragen war. 70 Vgl. zu §114 AktG 1937 W. Schmidt/Meyer-Landrut, in: Großkomm. AktG, 2. Aufl., §114 Anm. 9; v. Godin, in: Godin/Wilhelmi, AktG, 2. Aufl., § 114 Anm 4 a.E. m.w.Nachw.; ders., DGuWR 1937, 361 (361). 71 Zutr. insoweit BGHZ 70,117(124). 72 Begr. RegE zu § 134 AktG bei Kropfj.\ AktG 1965, S. 192. 73 S. die Nachw. in Fn. 70. Nur bei v. Godin, DWuGR 1937, 361 (361), wird der Gleichbehandlungsgrundsatz erwähnt, wegen der formalen Gleichbehandlung aber bereits das Vorliegen einer Ungleichbehandlung verneint. 74 Dazu ausführlich oben §2 12 a.
§9 Sachlicher Anwendungsbereich
213
der K r i t i k e r der h . L . auf die Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes hingewiesen w u r d e , schloss man u n m i t t e l b a r daraus auf die U n z u l ä s s i g keit der E i n f ü h r u n g des H ö c h s t s t i m m r e c h t s , ohne zu fragen, o b diese nicht aus besonderen G r ü n d e n gerechtfertigt sein könne 7 5 . D i e sich bei k o r r e k t e r A n wendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ergebende vermittelnde L ö s u n g , nach der eine nachträgliche E i n f ü h r u n g des H ö c h s t s t i m m r e c h t s auch bei u n gleicher Betroffenheit zulässig sein kann, in diesem Fall aber besonderer sachlicher R e c h t f e r t i g u n g bedarf, stand dem Gesetzgeber also offenbar nicht deutlich vor Augen. U n t e r diesen U m s t ä n d e n lässt sich nicht a n n e h m e n , dass er diese L ö s u n g bewusst verworfen habe. A u c h aus anderen Ü b e r l e g u n g e n lässt sich eine A u s n a h m e von der G e l t u n g des Gleichbehandlungsgrundsatzes richtigerweise nicht herleiten. D a s gilt insbesondere f ü r das vom B G H angedeutete und auch in der Literatur vorgetragene A r g u m e n t , dass es eine Inhaltskontrolle über G e b ü h r erschweren w ü r d e , das H ö c h s t s t i m m r e c h t als M i t t e l z u m Schutz vor einer drohenden - u . U . erk e n n b a r nachteiligen - Abhängigkeit der Gesellschaft einzusetzen 7 6 . D i e s e Ü b e r l e g u n g trifft in B e z u g auf den Gleichbehandlungsgrundsatz schon deshalb nicht zu, weil es auch bei dessen A n w e n d u n g o h n e weiteres möglich ist, nachträglich ein H ö c h s t s t i m m r e c h t einzuführen und auf diese Weise eine drohende Abhängigkeit zu vermeiden, ohne dass dadurch notwendig das E r f o r d e r n i s einer besonderen sachlichen R e c h t f e r t i g u n g ausgelöst wird. E s muss nur die H ö c h s t q u o t e so festgelegt werden, dass auch der A k t i o n ä r mit der im Z e i t p u n k t der E i n f ü h r u n g größten Beteiligung n o c h knapp unter der H ö c h s t q u o t e liegt. In diesem Fall fehlt es schon an einer Ungleichbehandlung, so dass keine I n haltskontrolle am M a ß s t a b des Gleichbehandlungsgrundsatzes stattfindet. N a c h allem lässt sich eine A u s n a h m e von der G e l t u n g des G l e i c h b e h a n d lungsgrundsatzes für die nachträgliche E i n f ü h r u n g eines H ö c h s t s t i m m r e c h t s nicht überzeugend begründen. I m Ergebnis ist vielmehr denjenigen S t i m m e n im S c h r i f t t u m zu folgen, die der „ M a n n e s m a n n " - E n t s c h e i d u n g ablehnend gegenüberstehen 7 7 . Dies gilt nicht nur f ü r das A k t i e n r e c h t , in dem die P r o b l e m a tik vorwiegend diskutiert wird, sondern erst recht f ü r das G m b H - R e c h t 7 8 . D a s Vgl. Zöllner, Schranken, S. 122 f. Vgl. zu diesem Argument Lutter/Timm, NJW 1982, 409 (416 Ii. Sp.); das Interesse an einem Schutz vor „Überfremdung" betonend auch B G H Z 70,117 (122 f.). Zum Ganzen auch Baums, AG 1990, 221 (230), der vermutet, dass diese Erwägung mitbestimmend dafür gewesen sei, dass der B G H trotz „Kali und Salz" (BGHZ 71, 40 [45]) bei der Einführung eines Höchststimmrechts auf eine Inhaltskontrolle verzichte. 77 Nachw. oben Fn. 69. 78 Ebenso für die GmbH auch Hüffer, in: Hachenburg, GmbHG, § 47 Rdn. 90; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §47 Rdn. 72. Noch weitergehend, da die Möglichkeit einer sachlichen Rechtfertigung ausschließend (Einzelzustimmungserfordernis als „starre" Schranke) Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, §53 Rdn. 59; G.H. Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, §53 Rdn. 40; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, §47 Rdn. 11 (jeweils unter Verweis auf den geschützten „Kernbereich" der Mitgliedschaft); ferner Römermann, in: Michalski, 75 76
214
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
G m b H G kennt keine dem § 134 A b s . 1 Satz 2 - 6 A k t G vergleichbare Regelung, so dass m a n hier o h n e h i n nicht von einer gesetzlichen Spezialregelung sprechen k a n n . Z u d e m wirkt sich der E i n g r i f f in die Mitgliedschaft des G m b H - G e s e l l schafters n o c h intensiver aus, da sich der betroffene Gesellschafter t y p i s c h e r weise nicht so leicht von dem f ü r sein S t i m m r e c h t wertlos gewordenen Beteiligungsüberschuss trennen k a n n wie im A k t i e n r e c h t . I m G m b H - R e c h t wird die „ M a n n e s m a n n ' - E n t s c h e i d u n g deshalb auch von solchen Autoren abgelehnt, die im A k t i e n r e c h t dem B G H folgen 7 9 .
3. Existenz weiterer Umstände, die zum Entfallen „gleicher Voraussetzungen" führen? Zu klären bleibt, o b es über die bislang behandelten Fälle statutarisch bzw. gesetzlich vorgesehener Ungleichbehandlungen hinaus noch weitere Fälle gibt, in denen es an „gleichen Voraussetzungen" i . S . d e r § § 5 3 a A k t G , 39 A b s . 1 N r . 1 B ö r s G fehlt, so dass von vornherein keine Gleichbehandlungspflicht ausgelöst wird und sich die Frage nach der sachlichen R e c h t f e r t i g u n g von U n g l e i c h b e handlungen gar nicht erst stellt. W i e dargelegt wird diese Frage im Ausland teilweise bejaht. S o wird insbesondere in den Niederlanden a n g e n o m m e n , dass anhand aller U m s t ä n d e des Einzelfalls zu prüfen sei, o b sich die Gesellschafter überhaupt in gleicher Lage befinden oder o b so gewichtige Unterschiede z w i schen den Gesellschaftern bestehen, dass es bereits an hinreichend vergleichbaren Voraussetzungen fehlt. Letzterenfalls sei bereits aus diesem G r u n d ein Gleichbehandlungsverstoß auszuscheiden, ohne dass es n o c h auf die Frage der sachlichen R e c h t f e r t i g u n g der Ungleichbehandlung a n k o m m e 8 0 . I h r Vorbild hat diese Vorgehensweise in der R e c h t s p r e c h u n g des E u G H z u m allgemeinen Gleichheitssatz. A u c h der E u G H prüft zunächst, o b die betreffenden Personen bzw. Sachverhalte miteinander vergleichbar sind, d.h. in wesentlichen M e r k m a len übereinstimmen 8 1 . Ist dies zu verneinen, dringt der G e r i c h t s h o f nicht m e h r zur Frage der sachlichen R e c h t f e r t i g u n g vor 8 2 . E i n e ähnliche Vorgehensweise begegnet auch in der R e c h t s p r e c h u n g des B V e r f G zu A r t . 3 Abs. 1 G G 8 3 . D i e s
GmbHG, §47 Rdn. 369. Der „Mannesmann"-Entscheidung auch für das GmbH-Recht zustimmend dagegen Koppensteiner, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, §47 Rdn. 18; zweifelnd Priester, in: Scholz, GmbHG, § 53 Rdn. 158. 79 Besonders deutlich Hüffer, in: Hachenburg, GmbHG, § 47 Rdn. 90, in bewusstem Gegensatz zu dems., AktG, § 134 Rdn. 8; MünchKomm. AktG, § 243 Rdn. 64. 80 S. oben §7 III 2 b b b . 81 Ausführlich dazu Mohn, Gleichheitssatz, S. 48 ff., 52; Wahle, Gleichheitssatz, S. 75 ff., 78; Zuleeg, FS Börner, S. 473 (477 f.). 82 Vgl. etwa EuGH, Rs. 112/80, Slg. 1980,1095, Rdn. 54; verb. Rs. C 248/95 und C 249/95, Slg. 1997,1-4475, Rdn. 50 ff., 55, 64; Rs. C 85/97, Slg. 1998,1-7447, Rdn. 32 f. 83 Das BVerfG hat in einigen Entscheidungen schon die Anwendung des Gleichheitssatzes abgelehnt, wenn die Vergleichsfälle trotz einzelner gemeinsamer Merkmale grundver-
§9 Sachlicher
Anwendungsbereich
215
mag es auf den ersten Blick nahe legen, dem niederländischen Beispiel zu folgen und im Rahmen des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes in entsprechender Weise vorzugehen. Erste Ansätze in dieser Richtung lassen sich auch in der deutschen Praxis finden 84 . Allerdings hat sich weder in den Niederlanden noch hierzulande eine klare Abgrenzung herausgebildet, welche Unterschiede bereits auf der Ebene der Vergleichbarkeit und welche erst auf der Ebene der sachlichen Rechtfertigung Berücksichtigung finden sollen. Die Frage hat nicht nur theoretische Bedeutung. Man denke etwa an den Fall, dass eine AG ihren Großaktionär über bestimmte Geschäftsvorhaben bevorzugt informiert: Verneinte man hier mit Rücksicht auf die unterschiedliche Beteiligungshöhe bereits die Vergleichbarkeit zwischen Groß- und Kleinaktionären, wäre damit die Ungleichbehandlung ohne weiteres zulässig. Ginge man dagegen von hinreichender Vergleichbarkeit aus, wäre die unterschiedliche Beteiligungshöhe erst auf der Ebene der sachlichen Rechtfertigung zu berücksichtigen und genau zu prüfen, in welchem Ausmaß die Vorausinformation des Großaktionärs dem Gesellschaftsinteresse dient. Dem Ansatz, den Gleichbehandlungsgrundsatz in der beschriebenen Weise mit einer generellen Vergleichbarkeitsprüfung zu befrachten, ist indes aus zwei Gründen mit entschiedener Ablehnung zu begegnen: Zum ersten besteht für eine solche Prüfung keinerlei Bedürfnis. Im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes ist sie erforderlich, um überhaupt erst einmal die Vergleichsgruppen zu ermitteln, die sinnvollerweise zum Gegenstand einer Gleichbehandlungsprüfung gemacht werden können 85 . Im Rahmen des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes entfällt diese Funktion aber, da die Vergleichsgruppe hier bereits auf eine bestimmte Personengruppe - nämlich die Gesellschafter derselben Gesellschaft - festgelegt ist. Und zum zweiten fehlt es an verlässlichen Kriterien, wann ein Unterschied von solchem Gewicht ist, dass er bereits die Vergleichbarkeit ausschließen und nicht erst auf der Ebene der sachlichen Rechtfertigung Berücksichtigung finden soll. Das eingangs erwähnte Beispiel der Vorausinformation des Großaktionärs belegt dies eindringlich. Die schieden sind, etwa wenn die Vergleichsfälle „anderen rechtlichen Ordnungsbereichen angehören und in anderen systematischen und sozialgeschichtlichen Zusammenhängen stehen"; BVerfGE 11, 283 (293); 40, 121 (139 f.); 75, 78 (107); vgl. dazu etwa Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rdn. 4 m.w.Nachw. 84 Vgl. etwa LG Aachen AG 1992, 410 (412) mit Bespr. Lutter, AG 1992, 369 (372): Dort wird die Frage, ob die Verweigerung der Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Aktien einen Gleichbehandlungsverstoß darstellte, kurzerhand mit dem Hinweis entschieden, dass die Erwerberin im Unterschied zu allen anderen Aktionären eine Sperrminorität erworben hätte und die streitgegenständliche Aktienübertragung deshalb mit früheren Erwerbsfällen „nicht vergleichbar" sei. Ähnlich BGHZ 71, 40 (46): Wenn die Sacheinlage nur von einem bestimmten Aktionär erbracht werden könne, scheide ein Gleichbehandlungsverstoß durch Ausschluss des Bezugsrechts der übrigen Aktionäre „von vornherein" (also schon mangels Vergleichbarkeit?) aus; s. dazu auch noch unten §20 III 1. 85 Vgl. Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rdn. 23; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdn. 431 ff.
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Aussage, dass es insoweit bereits an einer hinreichenden Vergleichbarkeit fehle, lässt sich in Ermangelung entsprechender Differenzierungen in der Satzung oder im Gesetz nur mehr oder weniger willkürlich postulieren. Vorzugswürdig ist es deshalb, in Abwesenheit satzungsmäßiger oder gesetzlicher Differenzierungen ohne weiteres von der Vergleichbarkeit der Gesellschafter auszugehen und etwaige Unterschiede zwischen ihnen erst auf der Ebene der sachlichen Rechtfertigung einer inhaltlichen Bewertung zu unterziehen. Dieses Ergebnis entspricht auch (mit den genannten Ausnahmen 86 ) der bisher gängigen Handhabung des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes in Deutschland: Regelmäßig prüft man hierzulande sogleich die Ungleichbehandlung und die sachliche Rechtfertigung, ohne die Vorfrage der Vergleichbarkeit auch nur anzusprechen 87 . Daran sollte man aus den genannten Gründen auch in Zukunft festhalten.
III. Teleologische Reduktion des Gleichbehandlungsgrundsatzes Neben den bisher behandelten Einschränkungen des sachlichen Anwendungsbereichs - Betroffenheit in der Eigenschaft als Gesellschafter, Vorliegen gleicher Voraussetzungen - kann sich eine weitere Ausnahme von der Gleichbehandlungspflicht daraus ergeben, dass Sinn und Zweck des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf den zu beurteilenden Beschlussgegenstand nicht zutreffen. In diesen Fällen ist eine teleologische Reduktion des Grundsatzes geboten. Fälle dieser Art sind allerdings selten. Das wohl einzige Beispiel dürfte die Wahl bzw. Bestellung von Organmitgliedern bilden. Dass diese an keine Gleichbehandlungspflicht gebunden ist, die Anteilseignerversammlung bzw. der Aufsichtsrat also den Mehrheitsgesellschafter oder ihm nahe stehende Dritte zum (ggf. alleinigen) Geschäftsführer, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied bestellen können, ohne dass es hierfür einer besonderen sachlichen Rechtfertigung bedarf, ist weithin - auch im Ausland 88 - anerkannt 89 . Diese Einschränkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes wird gemeinhin als so selbstverständlich empOben Fn. 84. Vgl. statt vieler H ü f f e r , AktG, § 53a Rdn. 8 ff.; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 9 ff. 88 Vgl. für Frankreich Rives-Lange, Rev . jur. com., n° spéc. nov. 1991, 65 (69) (zum abus de majorité). Auch in den übrigen oben (§ 7) betrachteten Rechtsordnungen wird eine sachliche Rechtfertigung der Selbstwahl zum Organwalter - soweit ersichtlich — nicht verlangt. Stattdessen finden sich in einzelnen Mitgliedstaaten Sonderregeln über die Entsendung von Minderheitsvertretern in die Organe (so etwa für den Aufsichtsrat § 87 Abs. 1 Sätze 2 - 4 österr. AktG; dazu Kalss, in: MünchKomm. AktG, § 101 Rdn. 257 ff.). 89 Vgl. Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 77; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn. 174 („allg.M."); ders., in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. §47 Rdn.91; 86 87
§9 Sachlicher
Anwendungsbereich
217
funden, dass sie meist gar nicht erwähnt, geschweige denn begründet wird. A l s B e g r ü n d u n g lässt sich nicht schon anführen, dass es (wie in den zu Ziff. I b e h a n delten Fällen) an einem inneren Z u s a m m e n h a n g mit der Mitgliedschaft fehle; denn die W a h l des Gesellschafters erfolgt gerade aufgrund seiner bedeutenden Beteiligung. Wenig überzeugend wäre es auch, in Zweifel zu ziehen, dass die Bestellung z u m O r g a n w a l t e r überhaupt eine B e v o r z u g u n g darstellt. D i e erhöhten E i n w i r k u n g s m ö g l i c h k e i t e n auf die G e s c h ä f t s p o l i t i k der Gesellschaft und die B e z ü g e als O r g a n w a l t e r (auch wenn sie angemessen sind) stellen erhebliche Vorteile dar, mögen ihnen auch gesteigerte Pflichten gegenüberstehen. D i e B e stellung z u m O r g a n w a l t e r wird denn auch im Parallelfall des § 243 A b s . 2 A k t G als Sondervorteil angesehen 9 0 . E h e r schon ließe sich auf den im Verlauf der U n t e r s u c h u n g bereits wiederholt betonten G r u n d g e d a n k e n verweisen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nur solche Fälle einer Inhaltskontrolle unterstellen soll, in denen die grundsätzliche Interessengleichrichtung der Gesellschafter gestört und dadurch die R i c h tigkeitsgewähr der Mehrheitsentscheidung erschüttert ist. M a n k ö n n t e argumentieren, dass es daran in den hier interessierenden Fällen fehle, da der M e h r heitsgesellschafter wegen seines hohen Beteiligungsinteresses selbst den größten A n r e i z habe, dafür zu sorgen, dass die G e s c h i c k e der Gesellschaft erfolgreich geleitet werden. A u f ganz ähnliche E r w ä g u n g e n stützt sich der B G H , u m die N i c h t a n w e n d u n g des Stimmverbots aus § 47 A b s . 4 Satz 2 , 1 . A l t . G m b H G auf die Selbstwahl z u m O r g a n w a l t e r zu begründen 9 1 . Zweifelsfrei ist diese A r g u mentation jedoch nicht. Sie mag z w a r zutreffen, wenn der betreffende Gesellschafter keinen anderweitigen wirtschaftlichen Interessenbindungen unterliegt. für die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern auch Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn.43. 90 Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn.215, §251 Rdn.9; Hüffer, in: Münch. Komm. AktG, §251 Rdn. 11; Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 138; a.A. Schilling, in: Großkomm. AktG, 3. Aufl., §251 Anm. 3. Im Bereich der Aufsichtsratswahl soll §243 Abs. 2 AktG aber nach h.M. durch die Sonderregelung des §251 Abs. 1 AktG verdrängt werden; vgl. Hüffer, in: Münch.Komm. AktG, §251 Rdn. 11 m.w.Nachw. Jedenfalls wird die weitere Tatbestandsvoraussetzung des Handelns zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Gesellschafter kaum jemals nachweisbar sein; vgl. Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §251 Rdn.9. 91 Vgl. B G H Z 51, 209 (216): „Der tiefere Grund für diese einschränkende Auslegung des § 47 Abs. 4 GmbHG liegt aber darin, daß ein Gesellschafter, je stärker er an der Gesellschaft beteiligt ist, um so enger mit deren Schicksal verbunden ist und deshalb seine eigenen Interessen in der Regel am besten fördern kann, wenn er dem Wohl der Gesellschaft dient. Infolgedessen ist bei einem Gesellschafter, der über seine Wahl zum Geschäftsführer selbst mitstimmt, im allgemeinen nicht zu befürchten, er werde seine eigenen Belange über die der Gesellschaft stellen, und darum ist hier die Gefahr einer Schädigung von Gesellschaftsinteressen, der §47 Abs. 4 GmbHG mit seinem Stimmrechtsausschluß begegnen will, verhältnismäßig gering." Ähnlich bereits RGZ 60, 172 (173); 74, 276 (279); sowie ausführlich Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 136 ff. Kritisch zu dieser Begründung allerdings Zöllner, Schranken, S. 230f.; Blume, AT 1/2, S.230.
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Sofern dies aber (wie im Konzern) der Fall ist, lässt sich das Bestehen eines Interessenkonflikts schwerlich leugnen. Die zutreffende Begründung wird man stattdessen darin erblicken müssen, dass die Organwalterbestellung für sich genommen noch keine unmittelbare Bedrohung für die iustitia commutativa darstellt, um deren Schutz es dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach seinem Sinn und Zweck letztlich geht 92 . Diese ist vielmehr erst durch etwaige spätere Akte, mit denen der Organwalter versucht, die Organstellung zugunsten des eigenen oder des Konzerninteresses und zulasten des Interesses der Gesellschaft auszunutzen, unmittelbar gefährdet. Sofern es später tatsächlich zu solchen Akten kommt, ist dies in dem betreffenden Einzelfall anhand der konzernrechtlichen Schutzmechanismen, der Treuepflicht und des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu überprüfen und ggf. zu unterbinden. Mit Blick auf diesen nachgelagerten Schutz verzichtet das Gesetz darauf, bereits die Geschäftsleiterbestellung selbst Einschränkungen zu unterwerfen. Folgt man diesen Überlegungen, lässt sich die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Wahl bzw. Bestellung der Organwalter am besten als teleologische Reduktion erklären, da das Schutzanliegen des Grundsatzes nicht unmittelbar betroffen ist. Sofern es um die Ausgestaltung der Konditionen des Anstellungsvertrags mit dem Organwalter/einflussreichen Gesellschafter geht, ist der Gleichbehandlungsgrundsatz dagegen selbstverständlich wieder zu beachten. Wenn ein hinreichender Bezug zur Mitgliedschaft vorliegt (Ziff. I), stellen überhöhte Geschäftsführerbezüge unzweifelhaft einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar 93 . Auf gemeinschaftsrechtliche Bedenken stößt die im Vorstehenden beschriebene Einschränkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes schon deshalb nicht, da weder der Anwendungsbereich des Art. 42 Kapital-RL noch derjenige des Art. 17 Abs. 1 Transparenz-RL berührt ist. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass das Gemeinschaftsrecht seit Februar 2005 in einer Kommissionsempfehlung 94 vorsieht, dass die drei besonders bedeutsamen Kernausschüsse des Aufsichtsrats (Nominierungs-, Vergütungs- und Prüfungsausschuss) in börsennotierten Gesellschaften mehrheitlich mit unabhängigen Mitgliedern besetzt sein sollen 95 . Unter Unabhängigkeit will die Kommission dabei auch die Unabhängigkeit von einem etwaigen Kontrollaktionär verstanden wissen 96 . UnS.oben §4 III 2. Vgl. nur B G H Z 111,224 (227). 94 Empfehlung der Kommission 2005/162/EG vom 15.2.2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats, ABl. L 52 vom 25.2.2005, S. 51; dazu Hopt, ZIP 2005,461 (467f.); Maul, BB 2005, Beil. 2 , 2 ff. 95 Empfehlung 2005/162/EG, Anhang I, Ziff. 2.1.2,3.1.2,4.1.2. 96 Empfehlung 2005/162/EG, Ziff. 13. 92
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§9 Sachlicher
Anwendungsbereich
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ter dem E i n d r u c k verbreiteter K r i t i k des S c h r i f t t u m s hat der Deutsche C o r porate G o v e r n a n c e K o d e x diesen Teil der - unverbindlichen ( A r t . 2 4 9 A b s . 5 E G V ) - K o m m i s s i o n s e m p f e h l u n g jedoch b e w u s s t nicht ü b e r n o m m e n 9 7 .
97 Vgl. Ziff. 5.4.2 DCGK; dazu Lieder, NZG 2005, 569 (571 f.); Spindler, ZIP 2005, 2033 (2039 f., 2041); zur Kritik am Standpunkt der Kommission und der ihm zugrunde liegenden Empfehlung der High Level Group (Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts vom 4.11.2002, S. 66 f.) etwa Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht, ZIP 2003, 863 (869); Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2003,1008 (1010); Bayer, BB 2004, 1 (7); Habersack, NZG 2004, 1 (5); ders., Z H R 168 (2004), 373 (377); Hoffmann-Becking, ZGR 2004, 355 (359f.); Maul, BB 2005, Beil. 2, 2 (5); Wirth, ZGR 2005, 327 (339).
§ 1 0 Zeitlicher Anwendungsbereich Im bisherigen Schrifttum kaum behandelt wird der zeitliche Geltungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes1. Darunter lässt sich Verschiedenes verstehen: Zunächst mag man fragen, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz bereits vor dem Entstehen der Kapitalgesellschaft als juristischer Person, also vor der Eintragung im Handelsregister (§§ 41 Abs. 1 Satz 1 AktG, 11 Abs. 1 GmbHG), Anwendung findet. Diese Frage ist, da es sich um ein allgemeines verbandsrechtliches Prinzip handelt, ohne weiteres zu bejahen2. Praktische Bedeutung hat dies insbesondere im Stadium der Vorgesellschaft, der es mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz verwehrt ist, die von den Gründern zu leistenden Einlagen grundlos ungleichmäßig einzufordern. Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen soll dagegen eine andere, bislang ungeklärte Frage stehen, nämlich die Frage, inwieweit auch Ungleichbehandlungen zugunsten oder zulasten von künftigen oder ehemaligen Gesellschaftern am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen sind.
I. Bevorzugungen ehemaliger und künftiger Gesellschafter Was zunächst Ungleichbehandlungen zugunsten ehemaliger und künftiger Gesellschafter und zulasten der gegenwärtigen Gesellschafter anbetrifft, liegt es nahe, an die Grundsätze anzuknüpfen, die sich zu dem Parallelproblem im Bereich der Kapitalerhaltungsregeln (§§ 57 AktG, 30 GmbHG) herausgebildet haben. Dort ist anerkannt, dass auch Leistungen erfasst werden, die mit Rücksicht auf eine künftige oder ehemalige Gesellschafterstellung erfolgen3. Dies muss nach seinem Sinn und Zweck auch für den Gleichbehandlungsgrundsatz gelten. Wenn eine ungleichmäßige Maßnahme der Gesellschaftsorgane durch die künftige oder ehemalige Mitgliedschaft des Begünstigten beeinflusst worden ist, wird dadurch die Richtigkeitsgewähr der Entscheidung ebenso erschüttert wie bei ungleichmäßigen Maßnahmen, die mit Rücksicht auf die aktuelle MitgliedS. nunmehr aber Henze/Notz, in: Großkomm. A k t G , § 53a Rdn. 44 f. So i.E. auch Henze/Notz, in: Großkomm. A k t G , § 53a Rdn. 44. 3 Vgl. etwa Canaris, FS Fischer, S. 31 (32 f.); Bayer, in: MünchKomm. A k t G , § 57 Rdn. 51 f.; Henze, in: Großkomm. A k t G , § 57 Rdn. 80; Hüffer, A k t G , § 57 Rdn. 14; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, G m b H G , § 3 0 Rdn. 16. 1
2
5 10 Zeitlicher
Anwendungsbereich
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schaft des Begünstigten vorgenommen werden. Die Frage ist nur, unter welchen Umständen anzunehmen ist, dass eine Entscheidung tatsächlich durch eine schon beendete oder erst noch bevorstehende Mitgliedschaft des Begünstigten beeinflusst wird. Die Rechtsprechung zum Kapitalerhaltungsrecht bietet in dieser Frage nur begrenzt Anschauungsmaterial. Ihr lässt sich im Wesentlichen nur entnehmen, dass der erforderliche Bezug zur Mitgliedschaft auch dann fortbesteht, wenn ein ehemaliger Gesellschafter eine Leistung aus dem Gesellschaftsvermögen erhält, die ihm noch während seiner Mitgliedschaft mit Rücksicht auf diese versprochen worden ist4. Das ist im Grunde selbstverständlich und ohne weiteres auf den Gleichbehandlungsgrundsatz übertragbar: Der erforderliche Bezug zur Mitgliedschaft entfällt nicht dadurch, dass eine bereits während der Mitgliedschaft zugesagte Ungleichbehandlung zugunsten eines Gesellschafters erst nach dessen Ausscheiden vollzogen wird. Nach der Rechtsprechung zum Kapitalerhaltungsrecht gilt das Gesagte auch dann, wenn das Versprechen auf die Leistung aus dem Gesellschaftsvermögen nicht von der Gesellschaft, sondern von ihrem beherrschenden Gesellschafter ausging5. In einem derartigen Fall berührt das Versprechen des beherrschenden gegenüber dem ausscheidenden Gesellschafter noch nicht den Gleichbehandlungsgrundsatz, da dieser nur die Gesellschaft, nicht einzelne Gesellschafter bindet. Eine am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messende Maßnahme stellt erst die spätere Leistung der Gesellschaft an den inzwischen ausgeschiedenen Gesellschafter dar. Insoweit liegt - sofern weitere Gesellschafter vorhanden sind - zum einen eine Ungleichbehandlung zugunsten des beherrschenden Gesellschafters vor, da die Gesellschaft für diesen dessen Zusage erfüllt. Zum anderen lässt sich aber auch eine am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messende Ungleichbehandlung zugunsten des ehemaligen Gesellschafters bejahen, da die Zuwendung aus dem Gesellschaftsvermögen mit Rücksicht auf seine frühere Gesellschaftereigenschaft erfolgt. Sieht man von den geschilderten Fällen ab, in denen sich der ausgeschiedene Gesellschafter noch vor seinem Ausscheiden - sei es auch nur stillschweigend von der Gesellschaft oder ihrem beherrschenden Gesellschafter Vorteile hat zusagen lassen, werden Begünstigungen mit Rücksicht auf eine bereits beendete Mitgliedschaft praktisch kaum vorkommen. Eher denkbar sind Fälle, in denen einem künftigen Gesellschafter Vorteile mit Rücksicht auf seine bevorstehende Mitgliedschaft gewährt werden. Zu denken ist hier zunächst an die aus dem Konzernrecht bekannte Konstellation, dass der künftige Gesellschafter bereits vor dem dinglichen Erwerb seiner Beteiligung beherrschenden Einfluss i.S. des 4 Vgl. B G H Z 13, 49 (54); 69, 274 (280); 81, 252 (258) (jeweils zu § 3 0 G m b H G ) ; O L G Hamburg A G 1980, 275 (278f.); O L G Frankfurt a.M. A G 1996, 324 (325) (jeweils zu § 5 7 AktG). 5 Vgl. B G H Z 13, 49 (55); dazu Canaris, FS Fischer, S. 31 (32).
222
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
§17 AktG auf die Gesellschaft ausüben kann. Hier ist ebenso wie bei einem herrschenden gegenwärtigen Gesellschafter 6 im Wege des Anscheinsbeweises regelmäßig anzunehmen, dass die Gesellschaftsorgane den Beherrschenden begünstigende Entscheidungen nicht ohne Rücksicht auf seine (künftige) Gesellschaftereigenschaft treffen. Die h.M. im Konzernrecht ist mit der Annahme derartiger vorwirkender Abhängigkeiten allerdings zurückhaltend. So wird der Abschluss eines schuldrechtlichen Kaufvertrags über eine beherrschenden Einfluss vermittelnde Beteiligung an der Gesellschaft noch nicht als abhängigkeitsbegründend gegenüber dem Erwerber angesehen, sofern nicht ausnahmsweise durch zusätzliche Abreden mit dem Veräußerer (z.B. einen Stimmbindungsvertrag) sichergestellt ist, dass der künftige Gesellschafter die Stimmrechtsausübung bereits vor dem dinglichen Erwerb der Beteiligung kontrollieren kann 7 . Liegt im Einzelfall gleichwohl eine vorwirkende Abhängigkeit vor, sind bei der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes die noch näher zu erörternden konzernrechtlichen Besonderheiten zu beachten 8 . Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Vorteilsgewährungen an künftige Gesellschafter ist aber nicht auf die (wenigen) Fälle beschränkt, in denen bereits eine Abhängigkeit i.S. des § 17 AktG gegenüber dem künftigen Gesellschafter besteht. Zeichnet sich konkret und für die Gesellschaft erkennbar ab, dass der Erwerber eine Beteiligung an der Gesellschaft übernehmen wird, ist also z.B. der schuldrechtliche Kaufvertrag bereits geschlossen und sein Vollzug in absehbarer Zukunft zu erwarten, werden sich die Gesellschaftsorgane hierauf einstellen. In diesen Fällen wird man die Frage, wann ein hinreichender Bezug zur Mitgliedschaft vorliegt, für den künftigen Gesellschafter nicht anders beurteilen können als für den gegenwärtigen Gesellschafter. Ebenso wie bei einem gegenwärtigen Gesellschafter, der eine beherrschende oder auch nur die Sperrminorität erreichende Beteiligung hält, im Wege des Anscheinsbeweises davon auszugehen ist, dass ihn begünstigende Entscheidungen nicht ohne Rücksicht auf seine Gesellschafterstellung getroffen werden 9 , ist dasselbe also auch für einen künftigen Erwerber einer solchen Beteiligung anzunehmen, sofern der Erwerb konkret bevorsteht. Im Einzelfall mag sich darüber hinaus auch jenseits dieser Fälle eine Beeinflussung durch die künftige Gesellschafterstellung feststellen lassen. Hierfür lässt sich jedoch kein S. oben § 9 I 4 a aa. Vgl. OLG Düsseldorf ZIP 1993, 1791 (1795 f.) im Anschluss an Krieger, FS Semler, S. 503 ff.; ferner ders., in: MünchHdb. AG, §68 Rdn.43; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rdn. 12; H ü f f e r , AktG, § 17 Rdn. 9; Windbichler, in: Großkomm. AktG, §17 Rdn. 26, 50; jeweils m.w.Nachw.; weitergehend Bayer, in: MünchKomm. AktG, §17 Rdn. 53 ff.; Lutter, FS Steindorff, S.125 (131 ff.); Noack, Gesellschaftervereinbarungen, S.90; M. Weber, ZIP 1994, 678 (683 ff.); ders., Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 263 f. 8 S. unten §15. 9 S. oben § 9 1 4 a aa. 6 7
§10 Zeitlicher Anwendungsbereich
223
allgemeiner Erfahrungssatz aufstellen; vielmehr trägt der den Gleichbehandlungsverstoß rügende Gesellschafter insoweit die volle Darlegungs- und Beweislast. Praktisch relevant wird die Frage einer Bevorzugung mit Rücksicht auf eine künftige Gesellschafterstellung insbesondere in Fällen, in denen die Gesellschaft dem potenziellen Erwerber einer größeren Beteiligung oder dem potenziellen Bieter eines öffentlichen Erwerbs- oder Ubernahmeangebots im Rahmen einer due diligence Informationen zugänglich macht, die anderen Gesellschaftern vorenthalten bleiben. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass auch solche Informationen mit Rücksicht auf die künftige Mitgliedschaft erteilt werden und deshalb am Gleichbehandlungsgrundsatz (§§ 53a, 131 Abs. 4 AktG) zu messen sind 10 . In der Regel ist in diesen Fällen aber in dem Zeitpunkt, in dem der potenzielle Erwerber an die Gesellschaft herantritt, noch gänzlich ungewiss, ob es tatsächlich zu dem Erwerb kommt. Unter diesen Umständen tritt der potenzielle Erwerber der Gesellschaft noch als außenstehender Dritter, nicht schon als (künftiger) Gesellschafter gegenüber 11 . Mit Recht wird daher im Schrifttum angenommen, dass die bevorzugte Informationserteilung an den Erwerber in diesen Fällen noch nicht den erforderlichen Bezug zur (künftigen) Mitgliedschaft aufweist 12 . Sofern allerdings dieselben Informationen auch dem Veräußerer zur Verfügung gestellt werden, liegt darin eine Bevorzugung in dessen Eigenschaft als gegenwärtiger Gesellschafter, so dass insoweit der Gleichbehandlungsgrundsatz doch wieder zu beachten ist 13 .
II. Benachteiligungen ehemaliger und künftiger Gesellschafter Völlig offen ist bislang, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz auch zum Schutz ehemaliger und künftiger Gesellschafter vor Benachteiligungen eingreift. Die einzige Stellungnahme im Schrifttum spricht sich f ü r eine Nachwirkung des Gleichbehandlungsprinzips zum Schutz ausgeschiedener Gesellschafter aus, und zwar in dem Sinne, dass die Gesellschaft Abwicklungs- und sonstige Annexfragen im Zusammenhang mit der Beendigung von Mitgliedschaften f ü r Gesellschafter, die zum selben Zeitpunkt unter gleichen Voraussetzungen aus der Gesellschaft ausgeschieden seien, frei von willkürlichen Differenzierungen 10
So denn auch Schroeder, DB 1997,2161 (2165). Dies gilt auch, wenn er bereits einige wenige Anteile an der Gesellschaft hält, diese Tatsache jedoch nur einen zufälligen Begleitumstand in dem oben § 9 1 beschriebenen Sinne bildet. 12 Vgl. (jeweils zu § 131 Abs. 4 AktG) Stoffels, Z H R 165 (2001), 362 (381 f.); Linker/Zinger, N Z G 2002, 497 (502). 13 N ä h e r zu diesen Fällen unten §22 III 2. 11
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
zu regeln habe. D i e W i r k u n g des Gleichbehandlungsgrundsatzes möge in diesen Fällen abgeschwächt und der Spielraum f ü r sachlich gerechtfertigte D i f f e renzierungen somit größer sein; es k ö n n e aber nicht davon ausgegangen w e r den, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz in diesem Z u s a m m e n h a n g keine B e d e u t u n g mehr habe 1 4 . E i n e mögliche V o r w i r k u n g des Gleichbehandlungsgrundsatzes z u m Schutz künftiger Gesellschafter wird dagegen bisher - soweit ersichtlich - nicht diskutiert. B e t r a c h t e t m a n zunächst die Frage des Schutzes ehemaliger
Gesellschafter,
so scheint auf den ersten B l i c k in der Tat viel für die soeben referierte Auffassung zu sprechen, die eine gewisse N a c h w i r k u n g des G l e i c h b e h a n d l u n g s g r u n d satzes nach E n d e der Mitgliedschaft bejaht. Als erstes I n d i z in diese R i c h t u n g könnte m a n die V o r s c h r i f t des § 13 Satz 2 S p r u c h G a n f ü h r e n , die eine G l e i c h b e handlung aller Gesellschafter anordnet, die gegen eine im Spruchverfahren ü b e r p r ü f b a r e A b f i n d u n g aus der Gesellschaft ausgeschieden sind. A u c h diejenigen Gesellschafter, die bereits das ursprüngliche A b f i n d u n g s a n g e b o t angen o m m e n haben und deshalb der Gesellschaft nicht m e h r angehören, erhalten nach dieser Vorschrift nachträglich dieselbe (höhere) Abfindung, die die A n tragsteller des Spruchverfahrens erstritten haben. E s handelt sich also u m einen gesetzlich angeordneten Fall der Gleichbehandlung bereits ausgeschiedener Gesellschafter. F e r n e r ließe sich f ü r eine N a c h w i r k u n g des Gleichbehandlungsgrundsatzes a n f ü h r e n , dass auch die Treuepflicht derartige N a c h w i r k u n g e n entfaltet. F ü r die Treuepflicht der Gesellschafter ist dies anerkannt 1 5 ; konsequent wird man dann f ü r die Treuepflicht der Gesellschaft nicht anders entscheiden können. Versteht man den Gleichbehandlungsgrundsatz - wie hier 1 6 - als besondere Ausprägung der Treuepflicht der Gesellschaft, scheint dies somit auf eine N a c h w i r k u n g des Gleichbehandlungsgrundsatzes hinzudeuten. Zwingend ist diese Schlussfolgerung indes nicht, da die Treuebindungen nach B e e n d i g u n g der Mitgliedschaft nicht m e h r mit derselben Intensität, sondern nur n o c h in abgeschwächter F o r m f o r t w i r k e n und deshalb nicht gesagt ist, dass jede Ausprägung der Treuepflicht auch im nachmitgliedschaftlichen Stadium n o c h beachtlich ist. E s ist also kein Widerspruch,
nachmitgliedschaftliche
Treuebindungen im G r u n d s a t z zu bejahen, eine S c h u t z w i r k u n g des G l e i c h b e handlungsgrundsatzes im H i n b l i c k auf ausgeschiedene Gesellschafter aber zu verneinen. Bei näherer B e t r a c h t u n g zeigt sich, dass tatsächlich m e h r gegen die A n n a h m e spricht, der Gleichbehandlungsgrundsatz entfalte seine S c h u t z w i r k u n g auch Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 45. Rechtsformübergreifend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §20 IV 1 b (S.588f.); M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 179 f.; zum Personengesellschaftsrecht B G H BB 1960, 305; Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, §109 Rdn. 24; Ulmer, in: MünchKomm. BGB, §738 Rdn. 7. 16 S. oben §5 III. 14
15
§ 10 Zeitlicher
Anwendungsbereich
225
für bereits ausgeschiedene Gesellschafter. Ein Gebot, ehemalige Gesellschafter nicht schlechter zu behandeln als gegenwärtige, kommt ohnehin nicht ernstlich in Betracht. Wenn überhaupt, kann es nur um Gleichbehandlung innerhalb der Vergleichsgruppe der ausgeschiedenen Gesellschafter gehen17, wie sie auch in § 13 Satz 2 SpruchG angeordnet wird. Diese Vorschrift lässt sich jedoch nicht als Ausprägung des allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes verstehen. Das zeigt sich schon daran, dass sie auch für Abfindungen gilt, die nicht von der Gesellschaft gezahlt werden, sondern vom herrschenden Gesellschafter, den der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht bindet. Zudem ordnet sie eine Gleichbehandlung auch in Bezug auf diejenigen Gesellschafter an, die mit der niedrigeren Abfindung einverstanden waren; dies geht über den im Einzelfall disponiblen Schutz des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes hinaus 18 . Die Vorschrift lässt sich also nicht als Nachwirkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erklären. Stattdessen beruht sie auf dem Gedanken, dass die ursprünglich angebotene Abfindung durch die Entscheidung im Spruchverfahren als richterlichen Gestaltungsakt rückwirkend umgestaltet wird 19 und somit für alle betroffenen Gesellschafter zu einem höheren Abfindungsanspruch führt. Entscheidend gegen eine Nachwirkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes i.S. einer Gleichbehandlung ausgeschiedener Gesellschafter spricht die ratio legis des Grundsatzes. Gewiss mag es dem Gerechtigkeitsgefühl entsprechen, wenn mehrere ehemalige Aktionäre, die aus demselben Anlass aus der Gesellschaft ausgeschieden sind und nunmehr Ansprüche gegen die Gesellschaft erheben, auch nach ihrem Ausscheiden gleich behandelt werden und die Gesellschaft z.B. dieselben günstigen Vergleichskonditionen, die sie einem der ehemaligen Aktionäre anbietet, auch den übrigen zuteil werden lässt. Die den Gleichbehandlungsgrundsatz tragende ratio legis erfasst derartige Fälle jedoch nicht: Die spezielle Gefährdungssituation, auf die der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz reagiert, ergibt sich wie dargelegt 20 daraus, dass das sonst im Privatrecht geltende Konsensprinzip außer Kraft gesetzt ist und der Gesellschafter von der Verwaltung oder der Gesellschaftermehrheit beschlossene Beeinträchtigungen seiner Rechtsposition auch gegen seinen Willen hinnehmen muss. Diese Gefährdungssituation besteht nach Beendigung der Mitgliedschaft nicht mehr. Bei Licht besehen liegt der beschriebene Fall, in dem mehrere ausgeschiedene Aktionäre ihre Ansprüche gegen die Gesellschaft Nur dies erwägen auch Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 45. Zum Verzicht auf Gleichbehandlung s. noch unten § 14. 19 So die Begründung der h.M. vor In-Kraft-Treten des SpruchG; vgl. etwa BayObLG AG 1996, 127 (130 re. Sp.); H ü f f e r , AktG, 5. Aufl., §305 Rdn. 32. Diese h.M. wollte der Gesetzgeber des SpruchG in § 13 Satz 2 kodifizieren; vgl. Begr. RegE SpruchG, BT-Drucks. 15/371, S. 17. 20 S. oben §4 III 2. 17 18
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
verfolgen, nicht anders als Fälle, in denen andere Gläubiger der Gesellschaft einander vergleichbare Forderungen geltend machen. Hier käme man gar nicht erst auf den Gedanken, eine Gleichbehandlungspflicht der Gesellschaft anzunehmen. Ahnlich lässt sich in Bezug auf die Benachteiligung künftiger Gesellschafter argumentieren. Auf den ersten Blick mag man zwar in Betracht ziehen, eine Vorwirkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zumindest insoweit anzunehmen, als es um den Schutz von Personen geht, deren Mitgliedschaft für die Gesellschaft erkennbar konkret bevorsteht, die also z.B. bereits einen Kaufvertrag über den Erwerb einer Beteiligung abgeschlossen haben, dessen dinglicher Vollzug in absehbarer Zeit zu erwarten ist. In diesem Stadium, so ließe sich anführen, müsse die Gesellschaft bereits auf die künftige Mitgliedschaft des prospektiven Erwerbers Rücksicht nehmen und dürfe diese nicht einseitig benachteiligen (z.B. indem kurz vor dem Eintritt noch die Satzung zum Nachteil des Erwerbers geändert wird) 21 . Auch hier ist aber wiederum einzuwenden, dass die ratio legis des Gleichbehandlungsgrundsatzes sich nicht auf derartige Fälle erstreckt. Die besondere Gefährdungssituation, die sich aus der Aufhebung des Konsensprinzips während der Mitgliedschaft ergibt, besteht vor dem Eintritt des Erwerbers noch nicht. Vielmehr übernimmt dieser die Beteiligung nur zu von ihm konsentierten Konditionen. In Bezug auf nachteilige Veränderungen, die sich zwischen Abschluss des Kaufvertrags und Erwerb der Mitgliedschaft ergeben, kann er sich unschwer im Kaufvertrag mit dem Veräußerer absichern, was bei zeitlich gestreckten Erwerbsvorgängen in aller Regel auch geschieht. So wäre in dem angeführten Beispielsfall die vom Veräußerer üblicherweise übernommene Gewährleistung verletzt, dass die im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses geltende Fassung der Satzung auch noch im Zeitpunkt der Übertragung unverändert gültig ist 22 . Sollte der Erwerber ausnahmsweise auf diesen vertraglichen Schutz verzichtet haben, würde sich darin das allgemeine Risiko realisieren, unvorteilhafte Verträge zu schließen, nicht aber die besondere Gefährdungssituation, der der Gleichbehandlungsgrundsatz abhelfen will. 21 Immerhin wird ja auch umgekehrt - jedenfalls nach einer im Vordringen befindlichen Auffassung - angenommen, dass der prospektive Erwerber bereits vormitgliedschaftlichen Treuebindungen gegenüber der Gesellschaft und den künftigen Mitgesellschaftern unterliegt; vgl. M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treuebindungen, insbes. S. 178 ff., 241 ff.; ihm teilweise folgend Kort, Z H R 164 (2000), 444ff.; ferner Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, Anh. § 53a Rdn. 41; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §20 IV 1 b (S. 588 f.); Tröger, Treupflicht, S. 59 ff. Abweichend allerdings die herkömmliche Auffassung, vgl. B G H N J W 1992, 3167 (3171); Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, vor § 53a Rdn. 19; Lutter, Z H R 153 (1989), 446 (458: „Treupflicht setzt Mitgliedschaft voraus", 460); kritisch auch Fleischer, N Z G 2000, 561 (563), sowie Janke, Treuepflicht, S. 29 f. (kein praktisches Bedürfnis neben c.i.c. und speziellen kapitalmarktrechtlichen Pflichten). 22 Vgl. etwa das Muster eines Anteilskaufvertrags bei Knott/Mielke, Unternehmenskauf, Rdn. 398,401.
5 10 Zeitlicher
Anwendungsbereich
227
Ist eine Vorwirkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zum Schutz künftiger Gesellschafter somit selbst in dem Stadium, das unmittelbar vor dem Erwerb der Mitgliedschaft liegt, nicht anzuerkennen, kommt es erst recht nicht in Betracht, bereits bloße Erwerbsinteressenten in den Schutzbereich des Gleichbehandlungsgebots einzubeziehen. Aus diesem Grund bietet das gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgebot auch keine taugliche Grundlage für Versuche, eine Gleichbehandlungspflicht der Gesellschaft gegenüber mehreren potenziellen Bietern im Vorfeld einer Übernahme zu begründen (Bietergleichbehandlung) 23 .
23 N ä h e r dazu unten § 22 III 2 d (dort auch zu möglichen kapitalmarktrechtlichen Gleichbehandlungspflichten).
§11 Der Tatbestand der Ungleichbehandlung Fällt eine Maßnahme der Gesellschaftsorgane in den im Vorstehenden näher beschriebenen Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes, sind Ungleichbehandlungen der Gesellschafter grundsätzlich verboten und nur bei Vorliegen einer besonderen sachlichen Rechtfertigung erlaubt. Die Feststellung einer Ungleichbehandlung der Gesellschafter erfordert dabei zwei Schritte: Zuerst ist der zutreffende Gleichbehandlungsmaßstab zu ermitteln, anhand dessen die Frage zu beurteilen ist, ob sich eine Maßnahme für die Gesellschafter gleich oder ungleich auswirkt. Im Anschluss daran ist zu klären, welche ungleichen Auswirkungen als Ungleichbehandlungen im Rechtssinne relevant sind. In diesem Zusammenhang wird vor allem zu untersuchen sein, inwieweit neben formalen auch materielle Ungleichbehandlungen erfasst werden und wie letztere abzugrenzen sind. Gerade auf Letzteres wird es entscheidend ankommen, wenn das Merkmal der Ungleichbehandlung die ihm zugedachte Funktion als Aufgreifkriterium erfüllen soll, das die einer Inhaltskontrolle wahrhaft bedürftigen Fälle auszusondern vermag.
I. Gleichbehandlungsmaßstab 1. Unterschiedliche
Maßstäbe für Haupt- und
Hilfsrechte
Über den Gleichbehandlungsmaßstab besteht auch in Deutschland - ebenso wie im Ausland 1 - Einigkeit: Für alle quantifizierbaren Vorgänge, namentlich die sog. Hauptrechte, die in ihrem Umfang zahlenmäßig abstufbar sind (Gewinnbeteiligung, Stimmrecht, Bezugsrecht, Beteiligung am Liquidationserlös etc.), richtet sich der Gleichbehandlungsmaßstab nach dem Umfang der Kapitalbeteiligung 2 , sofern die Satzung nichts Abweichendes bestimmt. Für die in ihrem Umfang nicht zahlenmäßig abstufbaren Hilfsrechte (Teilnahmerecht, Rederecht, Informationsrecht, Anfechtungsbefugnis) gilt dagegen der Maßstab 1 S.oben § 7 1 1 bei Fn. 13f. (Frankreich), § 7 I I I 2 c a a (Niederlande, Osterreich, Schweiz). 2 Allg.M.; vgl. nur BGHZ 70, 117 (121); Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 10; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 50 f.; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rdn. 42; T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 14 Rdn. 105.
§ 11 Der Tatbestand der
Ungleichbehandlung
229
der Gleichbehandlung nach Köpfen 3 . In der Literatur wird zur Bezeichnung der beiden Maßstäbe auch von „relativer" bzw. „absoluter" Gleichbehandlung gesprochen 4 . Dass sich der Gleichbehandlungsmaßstab bei quantifizierbaren Vorgängen grundsätzlich nach dem Umfang der Kapitalbeteiligung richtet, kommt in einer Reihe von (zumeist dispositiven) Vorschriften deutlich zum Ausdruck 5 . Bisweilen wird gesagt, dass diese Abstufung nach der Kapitalbeteiligung an sich keine Gleichbehandlung darstelle, sondern „eine vom Gesetz ausdrücklich zugelassene Ungleichbehandlung." 6 Diese Aussage ist irreführend, da sie den Anschein erweckt, als ob der Gleichbehandlungsmaßstab grundsätzlich nach Köpfen zu bestimmen sei und der Umfang der Kapitalbeteiligung lediglich einen sachlichen Differenzierungsgrund darstelle, der die an sich gegebene Ungleichbehandlung ausnahmsweise rechtfertige. Träfe dies zu, müsste neben der ausnahmsweise tolerierten Abstufung nach der Kapitalbeteiligung stets auch die Gleichbehandlung nach Köpfen zulässig sein, was aber anerkanntermaßen nicht der Fall ist: Wenn eine AG eigene Aktien erwirbt, hat sie keineswegs die freie Wahl, ob sie die verkaufswilligen Aktionäre im Verhältnis zu ihrer Kapitalbeteiligung oder nach Köpfen berücksichtigt. Nur ersteres ist Gleichbehandlung, letzteres dagegen (rechtfertigungsbedürftige) Ungleichbehandlung 7 .
2. Änderung des
Gleichbehandlungsmaßstabs
Der Gleichbehandlungsmaßstab kann - im Aktienrecht in den Grenzen der Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) - durch Regelung in der Satzung modifiziert werden, etwa durch Schaffung von Vorzugsaktien, Höchst- oder (im GmbH-Recht) Mehrstimmrechten und Liquidationsvorzügen. Geschieht das 3 Ebenfalls allg.M.; vgl. nur O L G Stuttgart ZIP 1995,1515 (1522); Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 11; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn.52; G. Hueck/ Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rdn. 42; T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 14 Rdn. 105. 4 Vgl. etwa G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 46,199 f.; Grüter, Gleichbehandlung, S. 44; Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 128. Zu beachten ist allerdings, dass diese Begriffe auch noch in anderer Wortbedeutung verwendet werden, nämlich im Zusammenhang mit der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen: Relative Gleichbehandlung bedeutet dabei, dass Differenzierungen zulässig sind, sofern sie sachlich gerechtfertigt sind. Absolute Gleichbehandlung schließt dagegen jegliche Möglichkeit der Differenzierung aus; vgl. zu dieser Begriffsverwendung etwa G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 173 f.; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 69; Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 37f. 5 §§60 Abs. 1 AktG, 29 Abs. 3 GmbHG (Gewinnverteilung); §§134 Abs. 1 AktG, 47 Abs. 2 GmbHG (Stimmrecht); § 186 Abs. 1 Satz 1 (Bezugsrecht); §§ 212 Satz 1 AktG, 57j Satz 1 (Zuteilung von neuen Aktien aus Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln); §§271 Abs. 2 AktG, 72 GmbHG (Verteilung des Liquidationserlöses). 6 Henn, Aktienrecht, Rdn. 42. 7 Vgl. auch schon G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.200f.
230
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
anlässlich der Gründung, so ist dies nicht auf Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz überprüfbar, da dieser keine Schranke der gesellschaftsvertraglichen Privatautonomie enthält8. Wird der abweichende Maßstab dagegen erst später durch Satzungsänderung eingeführt (indem z.B. nachträglich ein Mehrstimmrecht für einzelne Gesellschafter vorgesehen wird), stellt dies ohne weiteres eine Ungleichbehandlung dar, die nur bei Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung zulässig ist9. Freilich entfällt das Erfordernis der sachlichen Rechtfertigung, falls die betreffende Satzungsänderung einstimmiger Zustimmung bedarf10 und tatsächlich alle Gesellschafter zustimmen11. Sofern der Gleichbehandlungsmaßstab in der Satzung wirksam modifiziert worden ist, ist für künftige Maßnahmen dieser modifizierte Maßstab maßgeblich12. Dies führt dazu, dass auch die Rückkehr zum gesetzlichen Gleichbehandlungsmaßstab eine Ungleichbehandlung bedeuten und im Fall einer fehlenden sachlichen Rechtfertigung unzulässig sein kann. Dem wird zwar vereinzelt widersprochen13, indes zu Unrecht, da die ratio legis des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch auf diese Fälle zutrifft. Der Grundsatz will den einzelS. oben § 1 II 2 a, § 6 II 2 a. Vgl. nur Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, Einl. Rdn. 144. 10 So soll es nach verbreiteter Auffassung etwa bei nachträglichen Änderungen des Maßstabs der Gewinnverteilung (§§ 60 Abs. 3 AktG, 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG) liegen; vgl. für die AG Bayer, in: MünchKomm. AktG, § 60 Rdn. 19; Henze, in: Großkomm. AktG, § 60 Rdn. 21; Hüffer, AktG, § 60 Rdn. 8; für die GmbH - unter Hinweis auf § 53 Abs. 3 GmbHG - Emmerich, in: Scholz, GmbHG, §29 Rdn.79; Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 29 Rdn. 40; Salje, in: Michalski, GmbHG, § 29 Rdn. 122. Folgt man dieser Auffassung, wäre konsequenterweise auch die in jüngster Zeit im Aktienrecht lebhaft diskutierte Einführung eines Dividendenbonus für die Teilnahme an der Hauptversammlung (sog. attendance fee\ dazu etwa Noack, BB 2005, Heft 42, Die erste Seite; Strenger, Börsen-Zeitung v. 5.11.2005, Nr. 214, S.8; Klühs, ZIP 2006, 107ff.; E. Vetter, AG 2006, 32 ff.) de lege lata nur einstimmig möglich. Zweifelsfrei ist diese Ansicht allerdings nicht. So finden sich im Schrifttum auch Stimmen, die bei nachträglichen Änderungen des Gewinnverteilungsmaßstabs zwar ebenfalls von einem Einzelzustimmungserfordernis ausgehen, dieses aber mit dem Hinweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz begründen, also offenbar nur bei Vorliegen einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung allseitige Zustimmung verlangen wollen; so etwa G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §29 Rdn. 53; Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 29 Rdn. 109. Nach dieser - wohl vorzugswürdigen - Ansicht käme es also auf die Frage der sachlichen Rechtfertigung an. Diese wird man im Fall der attendance fee grundsätzlich bejahen können, da die Gesellschaft ein Interesse an einer breiten Legitimation der in der Hauptversammlung getroffenen Entscheidungen und der Verhinderung von Zufallsmehrheiten hat; in diesem Sinne auch Noack aaO.; Klühs aaO., S. 113 ff.; kritisch aber Strenger aaO. 8
9
Näher unten § 14 I (Verzicht auf Gleichbehandlung). Vgl. schon Brodmann, Aktienrecht, § 250 HGB Anm. 2 h (zum Stimmrecht): „... so wie es im Statut bestimmt ist, ist es [das Stimmrecht] gegen jeden Gesellschafterbeschluß durch den Satz der gleichmäßigen Heranziehung geschützt." (Hervorhebung nicht im Original) 13 Vgl. Grüter, Gleichbehandlung, S.62, 81 f.: Die nachträgliche Einführung des gesetzlichen Gleichbehandlungsmaßstabs könne niemals gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. 11
12
§ 11 Der Tatbestand der
Ungleichbehandlung
231
nen Gesellschafter davor schützen, dass die Gesellschaft auf ungleichmäßige Weise in seine mitgliedschaftlichen Rechte eingreift und diese einseitig ohne sachlichen Grund zu seinem Nachteil verändert; er soll das Fehlen des Konsenserfordernisses ausgleichen, das andernorts im Vertragsrecht vor einseitiger Benachteiligung schützt 14 . Dieses Schutzanliegen wird auch dann berührt, wenn die Anteilseignerversammlung beschließt, von dem vereinbarten modifizierten Verteilungsmaßstab zu einem zwar üblichen, aber für den betroffenen Gesellschafter ungünstigeren Verteilungsmaßstab überzugehen 15 . Allerdings wird es in diesen Fällen meist auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gar nicht mehr ankommen, da die Gesellschafter, zu deren Lasten der Verteilungsmaßstab nachträglich verändert werden soll, regelmäßig bereits durch das Einzelzustimmungserfordernis beim Entzug von Sonderrechten (§ 35 BGB) oder das Erfordernis eines Sonderbeschlusses der benachteiligten Gattung (insbes. § 179 Abs. 3 AktG) hinreichend geschützt sein werden 16 .
II. Ungleichbehandlung 1. Formale Ungleichbehandlung Ist der anwendbare Gleichbehandlungsmaßstab ermittelt, gilt es zu untersuchen, ob die Gesellschafter gemessen an diesem Maßstab ungleich behandelt werden. Diese Prüfung fällt leicht bei formalen Ungleichbehandlungen, d.h. in Fällen, in denen die betreffende Maßnahme der Gesellschaft schon äußerlich eine Differenzierung enthält, die unmittelbar an die Person einzelner Gesellschafter oder an einzelne Anteile anknüpft. Solche Fälle sind unschwer als Ungleichbehandlung zu erkennen. Zu denken ist etwa an Fälle wie die Einführung eines Höchststimmrechts nur f ü r ausländische Aktionäre, den Erwerb eigener Aktien nur vom Großaktionär, den Bezugsrechtsausschluss nur f ü r Belegschaftsaktionäre, etc. 17 Eine formale Ungleichbehandlung liegt insbesondere auch dann vor, wenn die Gesellschaft mit einem ihrer Gesellschafter kontrahiert, indem sie z.B. AkH
Näher oben §4 III 2. Daran zeigt sich im Übrigen einmal mehr, dass der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz entgegen der h.M. nicht (oder jedenfalls nicht in erster Linie) als Instrument zur Verwirklichung der iustitia distributiva zu verstehen ist; vgl. oben § 4 III 2. Ginge es allein um Verteilungsgerechtigkeit, wäre gegen eine Rückkehr zum gesetzlichen Gleichbehandlungsmaßstab nichts einzuwenden. Bezweckt ist aber eben auch und zuvörderst der Schutz wohlerworbener mitgliedschaftlicher Positionen und damit die Sicherung der iustitia commutativa gegenüber Eingriffen durch die Gesellschaft. 16 Zum Verhältnis zwischen Sonderbeschlusserfordernis und Gleichbehandlungsgrundsatz näher unten § 14 I 3 a, b. 17 Beispiele nach Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , § 53a Rdn. 10; Henze/Notz, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 53a Rdn. 63. 15
232
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
tiva an einen bestimmten Gesellschafter veräußert oder von diesem erwirbt, und zwar unabhängig von der Angemessenheit der Gegenleistung 18 . Zwar ist in diesen Fällen zu beachten, dass der sachliche Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes nur eröffnet ist, wenn das Geschäft einen inneren Bezug zur Gesellschafterstellung aufweist, der Vertragspartner also nicht nur zufällig auch Gesellschafter ist 19 . Sofern dies aber der Fall ist, führt kein Weg daran vorbei, dass der Vertragsschluss mit dem Gesellschafter als (formale) Ungleichbehandlung gegenüber den übrigen Gesellschaftern anzusehen und daher auf seine sachliche Rechtfertigung zu überprüfen ist. Dies wird in der Rechtsprechung häufig nicht beachtet. So ziehen die Gerichte zur Uberprüfung von Zustimmungsbeschlüssen zu Verträgen mit dem Mehrheitsgesellschafter - sei es zur Veräußerung des Gesellschaftsvermögens im Rahmen der übertragenden Auflösung 20 , sei es zu sonstigen Verträgen 21 - häufig ausschließlich § 243 Abs. 2 AktG und die Treuepflicht heran, nicht aber den Gleichbehandlungsgrundsatz.
2. Materielle a)
Ungleichbehandlung
Ausgangspunkt
Der Uberblick über die historische Entwicklung des Gleichbehandlungsgrundsatzes hat gezeigt, wie stark die Bedeutung des Grundsatzes davon abhängt, ob man ihn lediglich auf die Uberprüfung formaler Ungleichbehandlungen bezieht oder ob man bereit ist, darüber hinaus auch materielle Ungleichbehandlungen einzubeziehen 22 . Wie gesehen geht die Rechtsprechung zum Gleichbehandlungsgrundsatz mit einzelnen Ausnahmen nach wie vor den ersten Weg und beschränkt sich weitgehend auf die Kontrolle formaler Ungleichbehandlungen 23 , und auch im Schrifttum findet sich noch immer verbreitet die Auffassung, dass bei formaler Gleichbehandlung dem Grundsatz genügt sei 24 . Schon 18 Dieser kommt erst auf der Ebene der sachlichen Rechtfertigung Bedeutung zu; vgl. bereits oben § 9 1 1 , 2 a.E. 19 S. oben §91. 20 Vgl. BGHZ 103,184 ff.; OLG Stuttgart ZIP 1995,1515 ff. (dort wird § 53a AktG nur in Bezug auf die Einsichtnahme in das Bewertungsgutachten geprüft, die dem Mehrheitsaktionär gestattet, den Minderheitsaktionären aber verwehrt wurde); BayObLG BB 1999, 281 (282). 21 OLG Frankfurt a.M. BB 1973, 863 (864 f.) mit Anm. Rasch (Verpachtung des Anlagevermögens an die Mehrheitsaktionärin); LG Köln DB 1999, 680 (681) (Veräußerung des operativen Geschäfts an den Großaktionär); LG München INZG 2002, 826 (827) (Aktientauschvertrag mit dem Mehrheitsaktionär). 22 S. oben §2. 23 S.oben §2 III 1. 24 Vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, §8 II 2 (S.429f.) (anders aber später ders., in: Großkomm. AktG, § 186 Rdn. 143; ders., Gleichbehandlungsgebote, S. 34); Meyer-Landrut,
5 11 Der Tatbestand der
Ungleichbehandlung
233
die Betrachtung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben hat indes gezeigt, dass sich diese Auffassung spätestens seit der Verankerung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der Kapital-RL und später in der Börsenzulassungs-RL (bzw. nunmehr der Transparenz-RL) nicht mehr halten lässt. Mit dem effet utile des Gemeinschaftsrechts wäre eine derart restriktive Auslegung des Grundsatzes, die zu Umgehungen förmlich einlädt, nicht zu vereinbaren 2 5 . Mit Recht setzt sich deshalb im Schrifttum immer mehr die Auffassung durch, dass materielle Ungleichbehandlungen ebenfalls der Kontrolle durch den Gleichbehandlungsgrundsatz unterliegen 2 6 . In einzelnen Entscheidungen haben dies auch die Gerichte bereits praktiziert 2 7 . Die entscheidende Frage, die sich damit stellt, besteht freilich darin, wie der Begriff der materiellen Ungleichbehandlung genauer eingegrenzt werden kann. Stellt man allein darauf ab, ob eine Maßnahme die Gesellschafter im Ergebnis unterschiedlich trifft, droht der Begriff der Ungleichbehandlung jegliche Kontur zu verlieren. Letztlich wirkt sich fast jede Maßnahme in irgendeiner Weise unterschiedlich auf die Gesellschafter aus. Man denke nur an eine Kapitalerhöhung, an der einzelne Aktionäre aus finanziellen Gründen nicht oder nur unter großen Anstrengungen teilnehmen können, oder an die Verlegung des Gesellschaftssitzes in eine andere Stadt, die für bestimmte Gesellschafter bedeutet, dass sie künftig einen längeren Anfahrtsweg zur Anteilseignerversammlung haben. Wäre all dies als Ungleichbehandlung anzusehen, bedürfte praktisch jede Maßnahme einer besonderen sachlichen Rechtfertigung. Damit gelangte man doch wieder zu einer mehr oder weniger flächendeckenden Inhaltskontrolle, und das Anliegen, nur die „wirklich kranken Fälle" zu kontrollieren 2 8 , bliebe auf der Strecke. Wenn das Merkmal der Ungleichbehandlung die ihm zugedachte Funktion als Aufgreifkriterium erfüllen soll, welches die einer Inhaltskontrolle wahrhaft bedürftigen Fälle auszusondern vermag, bedarf es also einer sorgfältigen Konin: Meyer-Landrut/Miller/Niehus, G m b H G , § 14 Rdn. 20; Ulmer, in: Hachenburg, G m b H G , §53 Rdn. 65; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, Einl. 145; Roitzsch, Minderheitenschutz, S.36; Kreß, Beschlusskontrolle, S. 13 f., 130f.; Timmann, Konzerninteressen, S. 179 („herrschende Meinung"); i.E. auch (jeweils zur nachträglichen Einführung eines Höchststimmrechts) Hölters, D B 1975,917 (918), und Henze, DStR 1993,1863 (1867) (anders aber nunmehr ders./Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 66). 25 S. oben §6 II 3 b. 26 Ansatzweise schon G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 55,191 f.; deutlich Henze/ Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 62,64 ff.; Hüffer, AktG, § 53a Rdn. 9; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 11 f.; Janssen, in: AnwKomm. A k t G , §53a Rdn. 18; Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, G m b H G , § 13 Rdn. 103; Grüter, Gleichbehandlung, S. 62 ff., 77 f.; Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 99 f.; Wiedemann, in: Großkomm. A k t G , § 186 Rdn. 143; ders., Gleichbehandlungsgebote, S. 34 (anders noch ders., Gesellschaftsrecht I, § 8 II 2 [S. 429 f.]); i.E. auch Ernstberger, Mehrheitsherrschaft, S. 117ff. 2 7 Vgl. insbesondere B G H Z 70,117 (121); BezG Dresden G m b H R 1994,123 (125). Näher zu diesen Entscheidungen bereits oben §2 III 1. 28 Vgl. Röhricht, Z G R 1999,445 (474); näher oben § 3 II 1.
234
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
turierung des im Schrifttum mitunter als „theoretisch uferlos" 29 kritisierten Begriffs der materiellen Ungleichbehandlung. Ausgerechnet diese entscheidende Frage ist im Schrifttum aber bisher nur in Ansätzen behandelt worden. Im Folgenden sollen diese Ansätze zunächst kurz dargestellt und kritisch gewürdigt werden, bevor im Anschluss der eigene Lösungsvorschlag entwickelt wird. b) Bisherige Abgrenzungsversuche
und Kritik
aa) Unterscheidung zwischen in der Mitgliedschaft und persönlichen Verhältnissen
angelegten
Nach einer von Lutter und Zöllner begründeten Ansicht müssen die Umstände, aus denen sich die ungleiche Auswirkung ergibt, „in der Mitgliedschaft angelegt" sein, um eine materielle Ungleichbehandlung bewirken zu können. Dagegen sollen persönliche, außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Beziehung liegende Verhältnisse unerheblich sein 30 . Als persönlicher und damit irrelevanter Umstand werden insbesondere die persönlichen Vermögensverhältnisse genannt. Deshalb soll bei einer Kapitalerhöhung, an der einzelne Gesellschafter aus finanziellen Gründen nicht teilnehmen können, keine Ungleichbehandlung vorliegen31. Als Gegenbeispiel wird die nachträgliche Einführung eines Höchststimmrechts angeführt. Hält ein Gesellschafter eine so große Beteiligung, dass seine bisherige Stimmkraft durch das Höchststimmrecht betroffen wird, so ist dieser Umstand in der Mitgliedschaft angelegt; eine Ungleichbehandlung wird daher bejaht 32 . Entsprechend soll es sich bei der Kapitalherabsetzung durch Zusammenlegung von Aktien verhalten. Hält ein Gesellschafter weniger als die für die Zusammenlegung erforderliche Anzahl von Aktien, so ist auch dies ein in der Mitgliedschaft angelegter Umstand; folglich wird auch hier eine Ungleichbehandlung angenommen 33 .
Reiner, Gesellschaftsinteresse, S. 49. Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 11 f.; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, Einl. Rdn. 145; zustimmend Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 67; für das Personengesellschaftsrecht auch Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 66. 31 Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 12; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 67. 32 Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 11; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 66 (anders noch Henze, DStR 1993,1863 [1867]); ebenso i.E. B G H Z 70,117 (121) (die Entscheidung wird allerdings häufig für das Gegenteil angeführt; s. dazu schon oben §2 III 1 Fn. 103); Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 22; Hüffer, AktG, §53a Rdn. 9; abweichend Hölters, DB 1975, 917 (918). 33 Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 11; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 65; Hüffer, AktG, § 53a Rdn. 9. 29
30
§11 Der Tatbestand
der Ungleichbehandlung
235
Eine gewisse Bestätigung erfährt die von Lutter und Zöllner vorgeschlagene Abgrenzung durch eine unlängst ergangene Entscheidung des BGH 3 4 . Zu befinden war über den Formwechsel einer AG in eine Personengesellschaft, der für den Mehrheitsaktionär eine erhebliche Steuerersparnis versprach, für die Minderheitsaktionäre dagegen keine oder eher nachteilige steuerliche Konsequenzen erwarten ließ. Der BGH sah darin - allerdings nur in einem obiter dictum - keine (materielle) Ungleichbehandlung, da die steuerlichen Auswirkungen „nicht in dem Verhältnis des einzelnen Gesellschafters zur Gesellschaft, sondern in der individuellen Person begründet" lägen 35 . Aus dem gleichen Grund verneinte der BGH auch das Vorliegen eines Sondervorteils i.S. des § 243 Abs. 2 BGB. Trotz dieser Entscheidung stellen sich aber bei näherer Betrachtung Zweifel ein, ob mit der von Lutter und Zöllner entwickelten Abgrenzung tatsächlich das (allein) entscheidende Kriterium gefunden ist, um dem Begriff der materiellen Ungleichbehandlung Konturen zu verleihen. Soweit im Schrifttum kritisiert wird, dass die Unterscheidung zwischen in der Mitgliedschaft angelegten und persönlichen Umständen schon rein praktisch nicht durchführbar sei, weil es an hinreichend präzisen Abgrenzungskriterien zwischen dem inner- und außergesellschaftlichen Bereich fehle 36 , überzeugt diese Kritik allerdings nicht; unüberwindbare Abgrenzungsschwierigkeiten sind insoweit nicht erkennbar. Auf Bedenken muss die beschriebene Abgrenzung aber deshalb stoßen, weil sie auch solche Situationen aus dem Begriff der materiellen Ungleichbehandlung ausklammert, in denen wegen der gestörten Interessengleichrichtung der Gesellschafter durchaus Anlass für eine Inhaltskontrolle besteht. Die genannte Entscheidung des BGH belegt dies ganz deutlich: Die Gefahr, dass die getroffene Entscheidung nicht dem Gesellschaftsinteresse dient, sondern allein dem Partikularinteresse des begünstigten Mehrheitsaktionärs geschuldet ist, hängt nicht davon ab, ob der Vorteil des Mehrheitsaktionärs aus Umständen resultiert, die innerhalb oder außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Beziehung liegen. Die grundsätzliche Interessengleichrichtung der Gesellschafter, die den inneren Grund dafür bildet, dass von einer Inhaltskontrolle von Mehrheitsbeschlüssen im Regelfall abgesehen werden kann 37 , entfällt immer dann, wenn der Mehrheitsgesellschafter aus der Entscheidung besondere VorBGH ZIP 2005,1318. BGH ZIP 2005,1318 (1321 Ii. Sp.). Weiter heißt es in der Entscheidung, die unterschiedlichen steuerlichen Konsequenzen für die Anteilseigner seien allenfalls ein Reflex aus der unterschiedlichen steuerrechtlichen Behandlung von Kapital- und Personengesellschaften; insoweit handle es sich um eine vom Gesetz tolerierte und deshalb von der Minderheit hinzunehmende Rechtsfolge (für Letzteres verweist der BGH auf Meyer-Landrut/Kiem, WM 1997, 1361 [1366] und Happ, in: Lutter, UmwG, §233 Rdn.58; dem BGH zustimmend auch Decher, Konzern 2005,621 [624 f.]). 36 So Reiner, Gesellschaftsinteresse, S. 50. 37 S.oben §3 12 b. 34
35
236
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
teile erzielt, die anderen Gesellschaftern vorenthalten bleiben. O b diese besonderen Vorteile innergesellschaftlicher A r t sind (wie z . B . die Erhöhung der B e teiligungsquote bei einem selektiven Bezugsrechtsausschluss) oder im außergesellschaftlichen Bereich realisiert werden (wie hier der Steuervorteil), macht insoweit keinen Unterschied. D i e Richtigkeitsgewähr der Entscheidung entfällt in beiden Fällen gleichermaßen, so dass Anlass besteht, die Entscheidung auf ihre sachliche Rechtfertigung inhaltlich zu überprüfen. Aber auch wenn man den Blick von dem soeben behandelten Fall, dass einzelne einflussreiche Gesellschafter besondere Vorteile erzielen, auf die weitere Konstellation lenkt, dass einzelne Gesellschafter besondere NachteAc
erleiden,
erweist es sich bei näherer Betrachtung als bedenklich, außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Beziehung liegende Umstände generell auszublenden. Täte man dies, müssten die Gesellschaftsorgane stets nur einen persönlichen, außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Beziehung liegenden Umstand als Differenzierungskriterium wählen, um der Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz zu entgehen. Ein Beispiel hierfür bildet der Fall R G Z 88, 220: In den G e sellschaftsvertrag einer G m b H wurde nachträglich die Klausel aufgenommen, dass sich Gesellschafter, die an einem Konkurrenzunternehmen beteiligt sind, bei Ausübung ihrer Gesellschafterrechte durch andere Gesellschafter vertreten lassen müssen. Nach Lage der Dinge stand fest, dass diese Satzungsänderung ausschließlich einen bestimmten Gesellschafter treffen würde, da dieser als einziger an einem Konkurrenzunternehmen beteiligt war und nicht zu erwarten stand, dass die Mehrheitsgesellschafter ihrerseits eine Konkurrenztätigkeit aufnehmen würden. Es wäre ein unbefriedigendes Ergebnis, in einer solchen Situation eine Ungleichbehandlung zu verneinen, nur weil die Konkurrenteneigenschaft ein außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Beziehung liegender Umstand ist 3 8 . I m Ergebnis hätte es unter den genannten Umständen keinen praktisch erheblichen Unterschied gemacht, wenn die Satzungsänderung ausdrücklich nur auf den betreffenden Gesellschafter bezogen worden wäre. In diesem Fall hätte eine formale Ungleichbehandlung vorgelegen, und der Gleichbehandlungsgrundsatz hätte unstreitig Anwendung gefunden. Schon deshalb ist in Fällen wie R G Z 8 8 , 2 2 0 eine Ungleichbehandlung zu bejahen; denn die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes darf nicht allein vom Formulierungsgeschick der Mehrheit abhängen.
3 8 Für Annahme einer Ungleichbehandlung in diesem Fall auch G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 192 f. Das R G zog dagegen, ausgehend von seinem rein formalen Gleichbehandlungsverständnis (dazu oben § 2 I 2 a), nur die Sittenwidrigkeit als Prüfungsmaßstab heran.
§ 11 Der Tatbestand
der
Ungleichbehandlung
bb) Unterscheidung zwischen rechtlicher und faktischer
237
Betroffenheit
Wohl nichts anderes als die soeben beschriebene Differenzierung zwischen in der Mitgliedschaft angelegten und persönlichen Umständen ist gemeint, wenn insbesondere im GmbH-Recht bisweilen zu lesen ist, dass die Maßnahme einzelne Gesellschafter „nicht nur in ihren persönlichen Verhältnissen, sondern auch rechtlich" benachteiligen müsse 39 . Das BezG Dresden hat unter Anwendung dieser Formel eine Ungleichbehandlung in einem Fall angenommen, in dem sich die ungleiche Auswirkung gerade aus einem in der Mitgliedschaft angelegten Umstand, nämlich dem Umfang der Kapitalbeteiligung, ergab 40 . Verwirrend ist aber, dass die Vertreter dieser Auffassung u.a. auch auf eine Entscheidung des R G (RGZ 68, 210) verweisen 41 , die exakt das Gegenteil der Entscheidung des BezG Dresden besagt und materielle Ungleichbehandlungen generell für irrelevant erklärt 42 . Letztlich bleibt daher unsicher, ob mit der Formel von der „rechtlichen" Benachteiligung tatsächlich dasselbe gemeint sein soll wie eine Benachteiligung aufgrund von Umständen, die in der Mitgliedschaft angelegt sind. Auch unabhängig von dieser Unklarheit erscheint es aber nicht überzeugend, das entscheidende Abgrenzungskriterium allein in dem Begriffspaar der rechtlichen bzw. faktischen Benachteiligung zu suchen. Mit etwas Formulierungsgeschick kann nahezu jede rechtliche Benachteiligung in eine faktische Benachteiligung von solchem Gewicht umformuliert werden, dass diese jener im Ergebnis gleicht oder doch sehr nahe kommt. Zur Illustration mag wiederum der Fall R G Z 88, 220 dienen: Dort war der Gesellschafter „nur" faktisch benachteiligt; rechtlich hätte er dem Vertretungszwang ausweichen können, wenn er seine Beteiligung an dem Konkurrenzunternehmen aufgegeben hätte. Diese Ausweichmöglichkeit war jedoch nach den Umständen nicht mehr als eine rein theore-
3 9 B e z G Dresden G m b H R 1994, 123 (125); Michalski, in: Michalski, G m b H G , §13 Rdn. 126; Priester, in: Scholz, G m b H G , § 53 Rdn. 56. 4 0 B e z G Dresden G m b H R 1994,123 (125). Der Fall betraf die Aufhebung eines im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Vorerwerbsrechts. Hierdurch wurde einer der Gesellschafter besonders belastet, da ihm die Möglichkeit genommen wurde, durch Ausübung des Vorerwerbsrechts seine Beteiligung zu einer Sperrminorität aufzustocken. Alle übrigen Gesellschafter verfügten bereits über eine Sperrminorität und hatten daher kein vergleichbares Interesse an dem Vorerwerbsrecht. 41 Vgl. die Nachw. bei Michalski, in: Michalski, G m b H G , § 13 Rdn. 126; Priester, in: Scholz, G m b H G , § 53 Rdn. 56. 4 2 Zu R G Z 68, 210 (213) s. bereits oben § 2 I 2 a. Es ging um die Erhöhung des Quorums für Einberufungsverlangen ( § 5 0 Abs. 1 G m b H G ) von 1 0 % auf 2 0 % des Stammkapitals. Diese Anhebung wirkte sich zum Nachteil der Minderheitsgesellschafter aus, die eine Beteiligung von ca. 12,5 % des Stammkapitals hielten. Der Umstand, aus dem sich die ungleiche Auswirkung ergab, bestand auch in diesem Fall im Umfang der Kapitalbeteiligung, also in einem in der Mitgliedschaft angelegten Umstand. Gleichwohl verneinte das R G eine Ungleichbehandlung.
238
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
tische Option, praktisch kam die faktische Benachteiligung einer rechtlichen gleich. cc) Einbeziehung
von
Missbrauchskonstellationen
Einen Schritt weiter als die bislang behandelten Ansätze geht der von G. Hueck entwickelte Lösungsvorschlag. Schon bei G. Hueck findet sich die Unterscheidung zwischen in der Mitgliedschaft angelegten Umständen einerseits und persönlichen Verhältnissen andererseits; auch nach G. Hueck sollen letztere bei der Feststellung einer Ungleichbehandlung grundsätzlich außer Betracht bleiben43. G. Hueck relativiert dies aber und erklärt die persönlichen Verhältnisse nicht generell für irrelevant. Vielmehr fügt er hinzu, der Grundsatz, dass persönliche Unterschiede unbeachtlich seien, dürfe nicht missbraucht werden. Von einer Ungleichbehandlung sei daher auch dann auszugehen, wenn eine Maßnahme an Voraussetzungen geknüpft werde, bei denen von vornherein feststehe, dass sie nach den besonderen persönlichen Verhältnissen der Beteiligten ausschließlich von einem oder einigen wenigen unter ihnen erfüllt würden 44 . Insoweit sei allerdings ein strenger Maßstab anzulegen. Ein Vorgang richte sich nicht allein deswegen nur gegen einen oder mehrere Beteiligte, weil diese momentan als einzige von ihm betroffen seien. Es müsse vielmehr feststehen, dass sich daran aller Voraussicht nach auch in absehbarer Zeit nichts ändern werde. Unter Anwendung dieser Kriterien bejaht G. Hueck in dem erwähnten Fall RGZ 88,220 das Vorliegen einer Ungleichbehandlung, da nach Lage der Dinge feststand, dass nur ein Gesellschafter betroffen war und dies auch in Zukunft nicht anders sein würde 45 . Dagegen will er in dem vom Sachverhalt ähnlichen Fall RGZ 80, 385 - auch hier ging es darum, dass konkurrierende Gesellschafter nicht mehr persönlich an der Gesellschafterversammlung teilnehmen sollten - anders entscheiden, obwohl auch hier ein einzelner Gesellschafter besonders betroffen war. Im Unterschied zu RGZ 88,220 sei in diesem Fall nach den Umständen nicht auszuschließen gewesen, dass später auch andere Gesellschafter die entsprechenden Voraussetzungen (das Betreiben eines Konkurrenzunternehmens) erfüllen würden. Eine Ungleichbehandlung sei deshalb zu verneinen46. Gegen diese subtile Unterscheidung ist der nahe liegende Einwand erhoben worden, dass sie sich praktisch kaum durchführen lasse47. In der Tat drängt sich 43 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.54f., 190 f.; ebenso G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rdn. 42. 44 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 55 f., 191 f.; ihm folgend H. Winter, in: Scholz, GmbHG, §14 Rdn. 45a. 45 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 192 f. 46 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 192 f. 47 Ernstherger, Mehrheitsherrschaft, S. 117 f.
5 11 Der Tatbestand der
Ungleichbehandlung
239
die Frage auf, wie man zuverlässig abschätzen soll, ob künftig nicht doch auch andere Gesellschafter von der Regelung betroffen sein werden. Im Einzelfall mag dies möglich sein, eine für die Mehrzahl der Fälle praktikable Regel ergibt sich daraus aber nicht 48 . Letztlich entscheidend ist indes ein anderer Einwand, der nicht nur die Abgrenzung von G. Hueck, sondern auch die übrigen behandelten Lösungsansätze betrifft. Was allen bisher erörterten Lösungsansätzen fehlt, ist eine überzeugende teleologische Begründung, die plausibel zu erklären vermag, warum bestimmte Fälle ungleicher Auswirkungen als materielle Ungleichbehandlung angesehen werden und andere nicht. Eine solche Begründung ergibt sich, wenn man nochmals in Erinnerung ruft, warum gerade ungleichmäßige Maßnahmen einer besonderen Kontrolle auf ihre sachliche Rechtfertigung unterstellt werden. Nach den getroffenen Feststellungen beruht dies auf dem Gedanken, dass ihnen nicht dieselbe prozedurale Richtigkeitsgewähr zukommt wie gleichmäßigen Maßnahmen 49 . Bei letzteren spricht wegen der Interessengleichrichtung der Gesellschafter alles dafür, dass sich die Mehrheit bereits im eigenen Interesse um die für alle Gesellschafter sachgerechteste Maßnahme bemühen wird. Bei ungleichmäßigen Maßnahmen muss dagegen befürchtet werden, dass die Gesellschaftsorgane die Maßnahme nur deshalb getroffen haben, um den Partikularinteressen der bevorzugten Gesellschafter zu dienen, oder dass sie die mitgliedschaftlichen Interessen der benachteiligten Gesellschafter nicht hinreichend berücksichtigt haben. Versteht man das Merkmal der Ungleichbehandlung in diesem Sinne als Aufgreifkriterium zur Aussonderung derjenigen Fälle, in denen die beschriebene Richtigkeitsgewähr typischerweise fehlt und damit Anlass für eine Uberprüfung der sachlichen Rechtfertigung besteht, so muss dieser Gedanke auch für die Auslegung des Begriffs der Ungleichbehandlung leitend sein. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass auch die Abgrenzung von G. Hueck nicht das Entscheidende trifft. Zweifel an der Richtigkeitsgewähr der Entscheidung drängen sich in dem genannten Beispiel nicht nur dann auf, wenn feststeht, dass die Mehrheit selbst niemals von dem Vertretungszwang betroffen sein wird. Sie bestehen vielmehr schon dann, wenn jedenfalls gegenwärtig die Mehrheit nicht in gleicher Weise belastet wird. c) Eigener
Ansatz
Durch das soeben Gesagte ist der Ansatz für die eigene Lösung bereits vorgezeichnet. Bei der gebotenen teleologischen Betrachtungsweise muss das Aufgreifkriterium der Ungleichbehandlung dort ansetzen, wo die ungleichen Aus48 49
So auch Ernstberger, Mehrheitsherrschaft, S. 118. S. oben §3 II 1 b, c, §4 III 2 a.E.
240
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Wirkungen ein solches Gewicht haben, dass sie die grundsätzliche Interessengleichrichtung der Gesellschafter beseitigen und damit die Richtigkeitsgewähr der Entscheidung in einer Weise erschüttern, dass Anlass besteht, sie einer gerichtlichen Inhaltskontrolle zu unterziehen. Entwickelt man diesen Grundgedanken konsequent fort, erhält der Tatbestand der materiellen Ungleichbehandlung hinreichend klare Konturen. Dabei sind zwei Grundkonstellationen zu unterscheiden: zum einen Fälle, in denen eine Maßnahme für einzelne Gesellschafter besondere Vorteile mit sich bringt (lit. aa), zum anderen Fälle, in denen eine Maßnahme einzelne Gesellschafter mit besonderen Nachteilen belastet (lit. bb). aa) Sondervorteile Besondere Vorteile, die einzelne Gesellschafter trotz formaler Gleichbehandlung aus einer Maßnahme erzielen, begründen nach diesem Ansatz immer dann eine Ungleichbehandlung, wenn sie Anlass zu der Befürchtung geben, dass nicht das gemeinsame Gesellschaftsinteresse, sondern das Erstreben des Sondervorteils für die Entscheidung der Gesellschaftsorgane bestimmend war. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn der Sondervorteil einem Gesellschafter mit maßgeblichem Einfluss zugute kommt wie in dem genannten B G H - F a l l des Formwechsels, der dem Mehrheitsgesellschafter einen steuerlichen Vorteil bringt 50 . In diesen Fällen steht zu befürchten, dass die Gesellschaftsorgane davon geleitet waren, nicht das Gesellschaftsinteresse, sondern die Partikularinteressen des begünstigten Gesellschafters durchzusetzen, so dass Anlass besteht, solche Maßnahmen einer gerichtlichen Inhaltskontrolle zu unterziehen. O b der Vorteil auf einem innerhalb oder außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Beziehung liegenden Umstand beruht, ist dabei, wie dargelegt, unerheblich. Ebenso unerheblich ist - im Unterschied zu § 243 Abs. 2 A k t G - , ob die Entscheidung tatsächlich durch die Verfolgung von Partikularinteressen motiviert war. Es genügt der objektive Anschein, ein wie auch immer geartetes Vorsatzerfordernis besteht nicht 51 . Für die Frage, wann einem Gesellschafter maßgeblicher Einfluss in dem beschriebenen Sinn zukommt, kann man sich an den Abgrenzungskriterien orientieren, die oben zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Geschäfte des Individualrechtsverkehrs mit Gesellschaftern herausgearbeitet worden sind. Dort wurde gesagt, dass jedenfalls beim Vorliegen einer Sperrminorität von maßgeblichem Einfluss auszugehen ist 52 . Bei einer so bedeutenden BeA.A. B G H Z I P 2005,1318 (1321 Ii. Sp.); dagegen bereits oben lit. b aa. Insoweit allg.M.; vgl. schon G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 194; Gesellschaftsrecht I, § 8 II 2 b (S. 429). 5 2 S. oben § 9 I 4 a aa. 50 51
Wiedemann,
5 11 Der Tatbestand der
Ungleichbehandlung
241
teiligung sind die anderen Gesellschafter und die Geschäftsleiter bei (fast) allen wesentlichen Entscheidungen auf den betreffenden Gesellschafter angewiesen. Es ist daher typischerweise anzunehmen, dass ihn begünstigende Entscheidungen nicht ohne Rücksicht auf diese besondere Stellung getroffen werden. Eine Begünstigung solcher Gesellschafter ist also „verdächtig"; das Vorliegen einer Ungleichbehandlung als Aufgreifkriterium der Inhaltskontrolle ist daher zu bejahen. Dagegen liegt nach dem hier vertretenen Ansatz keine materielle Ungleichbehandlung vor, wenn die besonderen Vorteile bei (Minderheits-) Gesellschaftern eintreten, welche die Entscheidung weder direkt noch indirekt beeinflusst haben. Es handelt sich bei diesen Sondervorteilen um rein zufällige Begleitumstände, deren Vorliegen nicht geeignet ist, die Richtigkeitsgewähr der Entscheidung der Gesellschaftsorgane in Frage zu stellen. Wenn in dem Beispiel des Formwechsels die Steuerersparnis nicht bei der Mehrheit, sondern bei einzelnen Kleinaktionären eintritt, gibt dies keinen Anlass, der Mehrheitsentscheidung zu misstrauen und ihre sachliche Rechtfertigung einer näheren Überprüfung zu unterziehen. Eine Ungleichbehandlung ist daher in diesem Fall zu verneinen. bb)
Sondernachteile
Im Grundsatz Entsprechendes gilt für besondere Nachteile, welche einzelne Gesellschafter trotz formaler Gleichbehandlung erleiden. Auch hier ist zu fragen, ob die Sondernachteile geeignet sind, die grundsätzliche Interessengleichrichtung der Gesellschafter in einer Weise zu beeinträchtigen, dass die Richtigkeitsgewähr der Entscheidung der Gesellschaftsorgane erschüttert wird und daher ein besonderer Anlass besteht, eine gerichtliche Inhaltskontrolle durchzuführen. Von diesem Ausgangspunkt lassen sich folgende Einschränkungen entwickeln: (1) Die Richtigkeitsgewähr der Entscheidung entfällt nur, wenn die Gesellschaftsorgane überhaupt verpflichtet waren, das in dem konkreten Fall beeinträchtigte Interesse in die Abwägung ihrer Entscheidung einzustellen. Das beeinträchtigte Interesse des benachteiligten Gesellschafters muss also abwägungserheblich gewesen sein, um die Annahme einer Ungleichbehandlung begründen zu können. Abwägungserheblich in diesem Sinne ist nur die Beeinträchtigung mitgliedschaftlicher, nicht aber privater Interessen 53 . Wenn etwa die Anteilseignerversammlung beschließt, in eine Branche einzusteigen, in der bisher einer der Gesellschafter ein Monopol hat, so wird dieser Gesellschafter durch die nunmehr zu erwartende Konkurrenz zwar besonders nachteilig betroffen. Es liegt aber 53
Vgl. bereits oben § 9 I 3 b.
242
3. Kapitel:
Reichweite und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
keine nachteilige Betroffenheit in einem abwägungserheblichen B e l a n g vor, da das beeinträchtigte Interesse lediglich ein privates, außergesellschaftliches ist. E b e n s o liegt es, w e n n die Anteilseignerversammlung eine T h e s a u r i e r u n g der G e w i n n e beschließt, ein einzelner Gesellschafter aus privaten G r ü n d e n aber dringender auf die G e w i n n a u s s c h ü t t u n g angewiesen ist als andere 5 4 . I n diesen Fällen besteht kein Anlass, der Entscheidung der Anteilseignerversammlung zu misstrauen, weil nicht zu befürchten ist, dass sie abwägungserhebliche B e lange außer A c h t gelassen hat. Mangels nachteiliger Betroffenheit in einem abwägungserheblichen Belang ist eine Ungleichbehandlung somit zu verneinen 5 5 ; eine Ü b e r p r ü f u n g der sachlichen R e c h t f e r t i g u n g der Entscheidung unterbleibt also. A u c h soweit mitgliedschaftliche Interessen beeinträchtigt werden, ist zu b e achten, dass bloße E x p e k t a n z e n ohne gesicherte rechtliche G r u n d l a g e nicht abwägungserheblich sind. D e u t l i c h z u m A u s d r u c k k o m m t dies in der „ M a n n e s m a n n " - E n t s c h e i d u n g des B G H z u r nachträglichen E i n f ü h r u n g eines H ö c h s t s t i m m r e c h t s 5 6 . D o r t war geltend gemacht worden, dass auch zulasten derjenigen Paketaktionäre, die n o c h unterhalb der nachträglich eingeführten
Höchst-
s t i m m q u o t e lagen, eine Ungleichbehandlung vorliege, da ihnen die C h a n c e gen o m m e n worden sei, ihre Anteile mit einem Paketzuschlag zu veräußern. D e r B G H ist dem zu R e c h t nicht gefolgt, da es sich u m eine „bloß w i r t s c h a f t l i c h e Möglichkeit ohne gesicherte rechtliche G r u n d l a g e " handelte 5 7 . (2) Was die A r t der Beeinträchtigung des betroffenen mitgliedschaftlichen Interesses angeht, so ist zwischen rechtlichen und faktischen B e e i n t r ä c h t i gungen zu unterscheiden. Rechtliche
Beeinträchtigungen sind ohne weiteres
erheblich und damit geeignet, das Vorliegen einer materiellen U n g l e i c h b e h a n d lung zu begründen. H i e r u n t e r fallen die im S c h r i f t t u m angeführten Beispiele der Kapitalherabsetzung durch Z u s a m m e n l e g u n g von Anteilen (der A k t i o n ä r , der weniger als die erforderliche A k t i e n z a h l hält und keine A k t i e n n a c h e r w i r b t , wird rechtlich gehindert, in der Gesellschaft zu verbleiben), aber auch der eben erwähnte Fall des nachträglich eingeführten H ö c h s t s t i m m r e c h t s , soweit einzelne A k t i o n ä r e A k t i e n über die H ö c h s t q u o t e hinaus halten (der betreffende G r o ß a k t i o n ä r ist dann rechtlich gehindert, seine S t i m m r e c h t e im bisherigen U m f a n g auszuüben) 5 8 . Ebenfalls hierher gehört der o b e n angesprochene Fall
54 Selbstverständlich bleiben aber die allgemeinen Thesaurierungsschranken zu beachten: im Aktienrecht §254 Abs. 1 AktG, im GmbH-Recht die treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle; zu Letzterer unten § 12 V mit Fn. 248. 55 Für das Beispiel der Gewinnthesaurierung i.E. ebenso Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S.92; großzügiger in der Annahme einer Ungleichbehandlung in diesen Fällen aber das französische Recht, s. oben § 71 2 b aa bei Fn. 49 ff. 56 B G H Z 70,117. 57 B G H Z 70,117 (120f.). 58 Ebenso i.E. die Nachw. in Fn. 32-33.
§ 11 Der Tatbestand
der
Ungleichbebandlung
243
des BezG Dresden 59 : Durch die Aufhebung eines in der Satzung verankerten Vorerwerbsrechts wurde der einzige Gesellschafter, der noch keine Sperrminorität hielt, rechtlich gehindert, durch Ausübung des Vorerwerbsrechts seine Beteiligung auf ein die Sperrminorität erreichendes Ausmaß aufzustocken. Ein praktisch bedeutsames weiteres Beispiel bilden schließlich Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss, in deren Folge die Beteiligung einzelner Gesellschafter unter rechtlich relevante Beteiligungsschwellen (Sperrminorität, 10 % bzw. 5 % des gezeichneten Kapitals) absinkt. Der betroffene Gesellschafter ist dann rechtlich gehindert, die ihm bisher zustehenden Gesellschafterrechte auch künftig auszuüben 60 . Hei faktischen Beeinträchtigungen wird man dagegen fragen müssen, ob sie von einem solchen Gewicht sind, dass sie einer rechtlichen Beeinträchtigung gleichstehen oder doch sehr nahe kommen. Bejahendenfalls müssen sie beachtlich sein, da andernfalls die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes leicht umgangen werden könnte. Erinnert sei an die genannten Beispiele RGZ 80, 385 und RGZ 88, 220: Hier waren die jeweils betroffenen Gesellschafter „nur" faktisch benachteiligt; rechtlich hätten sie dem Vertretungszwang ausweichen können, wenn sie ihre Beteiligung an dem Konkurrenzunternehmen aufgegeben hätten. Dies wäre indes ein beträchtliches Opfer gewesen und stellte für die betroffenen Gesellschafter letztlich nur eine theoretische Option dar; im Ergebnis kam die faktische Benachteiligung unter diesen Umständen einer rechtlichen gleich oder doch sehr nahe 61 . In beiden Fällen wäre deshalb nach der hier vertretenen Auffassung eine auf ihre sachliche Rechtfertigung zu überprüfende materielle Ungleichbehandlung zu bejahen gewesen 62 . Unterhalb dieser Schwelle wird man faktische Beeinträchtigungen dagegen als unbeachtlich ansehen müssen, um nicht zu einem uferlosen Begriff der materiellen Ungleichbehandlung zu gelangen. Auszuscheiden sind daher Fälle wie die Kapitalerhöhung, an der einzelne Aktionäre aus finanziellen Gründen nicht teilnehmen können 63 , oder die Verlegung des Gesellschaftssitzes in eine andere Stadt, die GmbHR 1994,123; s. oben Fn. 40. Für Annahme einer materiellen Ungleichbehandlung in diesem Fall auch Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 65 a.E.; Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 100f. Näher dazu noch unten §20 II, dort auch zu Besonderheiten, die sich ggf. aus den Wertungen der §§ 186 Abs. 3 Satz 4, 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG ergeben. 61 Es ist auch nicht etwa nur das private Interesse der Gesellschafter an dem Konkurrenzunternehmen betroffen, sondern zugleich ihr mitgliedschaftliches Interesse, an den Gesellschafterversammlungen selbst teilnehmen zu können. Fälle dieser Art sind daher von den unter Ziff. (1) ausgesonderten streng zu unterscheiden. 62 Ebenso i.E. Ernstberger, Mehrheitsherrschaft, S. 118 f. 63 Ebenso i.E. die Nachw. in Fn. 31 sowie die h.M. in Österreich (OGH SZ 54/15, S. 76, 81) und der Schweiz (s. oben § 7 III 2 c a.E.; die von Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 12, zum Beleg angeführte Entscheidung BGE 102 II 265 betrifft allerdings nicht genau diese Situation, sondern will unterschiedliche wirtschaftliche Auswirkungen generell ausblenden. Dies geht nach der hier vertretenen Auffassung zu weit.). Abweichend das fran59 60
244
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
für bestimmte Gesellschafter bedeutet, dass sie künftig einen längeren A n fahrtsweg zur Anteilseignerversammlung haben.
d) Fazit Die im Vorstehenden entwickelte Lösung wird im Laufe der Untersuchung noch anhand weiterer Beispiele zu veranschaulichen sein 64 . Gegen sie mag man einwenden, dass auch bei der hier vorgeschlagenen Abgrenzung der materiellen Ungleichbehandlung gewisse Unscharfen verbleiben. In der Tat sind Abgrenzungsschwierigkeiten in einzelnen Fällen bei einer Ausdehnung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Kontrolle von materiellen
Ungleichbehandlungen
unvermeidbar. Beherzigt man die genannten Einschränkungen, trifft es jedoch nicht zu, dass der Begriff der materiellen Ungleichbehandlung „theoretisch uferlos" 6 5 und damit inoperabel sei 66 . Gemessen an den Unsicherheiten, die trotz inzwischen jahrzehntelanger Praxis hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Lehre vom sachlichen Grund bestehen 6 7 , dürften die Abgrenzungsschwierigkeiten sogar erheblich geringer und insgesamt beherrschbar sein. Jedenfalls sind sie nicht von einer Qualität, die es rechtfertigen würde, die Tauglichkeit des Merkmals der Ungleichbehandlung als Aufgreifkriterium für diejenigen Fälle, die einer Inhaltskontrolle wahrhaft bedürfen, grundsätzlich in Frage zu stellen.
3. Ungleichbehandlung (Zurechnungsregeln)
durch Bevorzugung
von Dritten
a) Grundlagen Der Gleichbehandlungsgrundsatz erfasst nur Ungleichbehandlungen zwischen den Gesellschaftern. Wird ein Dritter durch eine Maßnahme begünstigt und sind die Gesellschafter hierdurch alle in gleicher Weise benachteiligt, liegt möglicherweise ein Verstoß gegen § § 4 3 Abs. 1 G m b H G , 93 Abs. 1 A k t G vor, aber keine Ungleichbehandlung. Etwas anderes muss aber dann gelten, wenn der Vorteil des Dritten mittelbar einem Gesellschafter zufließt oder die Begünstigung des Dritten aus anderen Gründen der Begünstigung eines Gesellschafters gleichzustellen zösische Recht, dazu oben § 7 I 2 b bei Fn. 52; dort ist allerdings zu bedenken, dass die Mehrheit Kenntnis von den finanziellen Schwierigkeiten der Minderheit gehabt haben muss, da in Frankreich nur vorsätzliche Ungleichbehandlungen erfasst werden. 6 4 Vgl. insbesondere zum Bezugsrechtsausschluss unten § 20 II. 65 Reiner, Gesellschaftsinteresse, S. 49. 6 6 Gegen diese These spricht i.U. auch schon, dass die französischen Gerichte seit jeher materielle Ungleichbehandlungen einbeziehen und damit durchaus zurecht kommen. Auch das (neuere) Schrifttum in Frankreich sieht keinerlei Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzugehen; s. oben § 7 1 2 a, b aa. 6 7 S.oben § 2 I I I 2 a b b .
5 11 Der Tatbestand der
Ungleichbehandlung
245
ist. Ü b e r diesen Ausgangspunkt besteht heute weithin Einigkeit 6 8 ; ihm ist schon deshalb zuzustimmen, weil man ansonsten Umgehungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes T o r und T ü r öffnen würde und den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben einer am Grundsatz des effet utile orientierten Auslegung nicht gerecht würde. Entscheidungen wie R G Z 122, 159 6 9 , in der das Gericht einen selektiven Bezugsrechtsausschluss schon deshalb nicht als Ungleichbehandlung ansehen wollte, weil nicht der Mehrheitsgesellschafter, sondern seine Tochtergesellschaft die neuen Anteile erhalten sollte, gehören also der Vergangenheit an. Wenig geklärt ist indes die Frage, unter welchen Voraussetzungen im E i n z e l nen die B e g ü n s t i g u n g eines D r i t t e n der B e g ü n s t i g u n g eines Gesellschafters gleichzustellen ist. Z u m Teil wird vorgeschlagen, f ü r die Z u r e c h n u n g - wie in O s t e r r e i c h 7 0 - an die zu den S t i m m v e r b o t e n (§§ 47 Abs. 4 G m b H G , 136 A b s . 1 A k t G ) entwickelten G r u n d s ä t z e anzuknüpfen 7 1 . Dagegen spricht j e d o c h , dass die Situation bei den Stimmverboten bei näherer B e t r a c h t u n g nicht unerheblich von der hier interessierenden Konstellation abweicht. D a s S t i m m v e r b o t hat w e sentlich einschneidendere Folgen als die A n n a h m e einer Ungleichbehandlung. Letztere schließt das S t i m m r e c h t des B e g ü n s t i g t e n nicht aus, sondern f ü h r t lediglich dazu, dass der gefasste Beschluss auf seine sachliche R e c h t f e r t i g u n g kontrolliert wird. D e r U m s t a n d , dass man bei den S t i m m v e r b o t e n verständlicherweise zögert, ihre gravierenden Folgen auszudehnen, und man z . B . einer Z u r e c h n u n g der Befangenheit von nahen Angehörigen auf den Gesellschafter ablehnend gegenübersteht 7 2 , trägt deshalb nicht die Schlussfolgerung, dass m a n im R a h m e n des Gleichbehandlungsgrundsatzes ebenso entscheiden müsste 7 3 . 68 Vgl. OLG Stuttgart J R 1955,463 (464); LG Kassel AG 1989, 218 (219) (zu diesen beiden Entscheidungen bereits oben § 2 III 1 bei Fn. 105-106); aus dem Schrifttum G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 340; Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 5; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 40; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 20; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn. 156; Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, §55 Rdn. 46 a.E.; Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S.56 ff; Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 66 f.; zum schweizerischen Recht Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S. 35; anders noch die Rechtsprechung des RG (etwa RGZ 122, 159 [163]); ferner Wiethölter, Interessen, S. 126; v. Falkenhausen, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 31 f.; Füchsel, BB 1972, 1533 (1535). 69 S. zu dieser Entscheidung bereits oben § 2 I 2 a bei Fn. 30. 70 OGH SZ 53/172 (S. 779, 783 f.) = GmbHR 1984,235 (236). 71 Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn.20; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn. 156. 72 H.M., vgl. etwa B G H Z 56, 47 (54); 80, 69 (71); Hüffer, AktG, § 136 Rdn. 16; ders., in: Hachenburg, GmbHG, § 47 Rdn. 140; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 47 Rdn. 101; jeweils m.w.Nachw.; a.A. G.H. Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, §47 Rdn. 81; U.H. Schneider, ZHR 150 (1986), 609 (615 f.). 73 Ähnlich Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S. 58; ablehnend gegenüber der Orientierung an den Stimmverboten auch Koppensteiner, GS Schönherr, S.205, 215 f. In Bezug auf nahe Angehörige wollen im Übrigen auch Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 20, eine Zurechnung bejahen und insoweit nicht an die zu den Stimmverboten entwickelten Zurechnungsregeln anknüpfen.
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Im Gegenteil wird die restriktive Position, welche die h.M. bei den Stimmverboten einnimmt, in vielen Fällen erst dadurch erträglich, dass man die von den Stimmverboten nicht geregelten Interessenkonflikte durch bewegliche Schranken und damit gerade auch durch den Gleichbehandlungsgrundsatz erfassen kann. Die Zurechnungsregeln im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes sind daher weiter zu ziehen als im Bereich der Stimmverbote. Von anderer Seite wird vorgeschlagen, die Zurechnungsregeln in Anlehnung an die entsprechenden Regeln im Bereich der Kapitalerhaltung und des Kapitalersatzes zu entwickeln 74 ; dort werden Vermögenszuwendungen an Dritte bekanntlich unter bestimmten Voraussetzungen wie Zuwendungen an Gesellschafter behandelt75. In der Tat können die insoweit anerkannten Fallgruppen zum Großteil auch im vorliegenden Zusammenhang fruchtbar gemacht werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass es im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht nur um Vermögenszuwendungen geht, sondern auch um Bevorzugungen anderer Art (etwa die Erhöhung der Beteiligungsquote im Zuge eines selektiven Bezugsrechtsausschlusses). Systematisch lassen sich zwei Grundkonstellationen unterscheiden, in denen die Begünstigung eines Dritten wie die Begünstigung eines Gesellschafters zu behandeln ist: zum einen Fälle, in denen der Vorteil des Dritten einem Gesellschafter zuzurechnen ist, und zum anderen Fälle, in denen der Dritte bei wirtschaftlicher Betrachtung selbst als Gesellschafter anzusehen ist. b) Bevorzugung von Dritten, deren Vorteile dem zugerechnet werden
Gesellschafter
Betrachtet seien zuerst die wesentlichen (nicht abschließenden) Fallgruppen, in denen sich der Gesellschafter die Begünstigung eines Dritten zurechnen lassen muss. aa) Unschwer zu bejahen ist dies zunächst bei der Begünstigung eines Dritten, der für Rechnung eines Gesellschafters handelt. Hier ist der Dritte lediglich als Mittelsperson (Strohmann, Kommissionär etc.) eingeschaltet, der im Innen74 T. Bezzenberger, ZIP 2002, 1917 (1928 Fn. 81); Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 40; in Bezug auf nahe Angehörige auch Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 20; vgl. ferner Bayer, Z H R 168 (2004), 132 (168); Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 66 f. Auch in der Schweiz wird diese Parallele gezogen; vgl. Huguenin Jacobs, Gleichbehandlungsprinzip, S.35, unter Verweis auf Art. 678 OR. Für Anlehnung an §22 WpHG dagegen Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 96. 75 Aus der Fülle der einschlägigen Literatur vgl. neben den Kommentierungen zu § 57 AktG und § 30 GmbHG insbesondere Altmeppen, FS Kropff, S. 641 ff.; Bommert, Vermögensverlagerungen, S.40ff., 57ff., 106ff., 113ff.; Cahn, Kapitalerhaltung, passim; Canaris, FS Fischer, S. 31 ff.; Fleck, FS 100 Jahre GmbHG, S.391, 401 ff.; Tries, Gewinnausschüttungen, S. 73 ff.; ferner Riedel, Vermögenszuwendungen, S. 131 ff.; Rust, Einlagenrückgewähr, S. 87 ff.
§ 11 Der Tatbestand der
Ungleichbebandlung
247
Verhältnis z u m Gesellschafter zur Herausgabe des E r l a n g t e n an den Gesellschafter verpflichtet ist (§§ 667 B G B , 3 8 4 A b s . 2 H a l b s . 2 , 2 . Fall H G B ) . D a somit i m wirtschaftlichen Ergebnis der A k t i o n ä r Empfänger des Vorteils ist, ist in diesen Fällen eine B e v o r z u g u n g des D r i t t e n einer B e v o r z u g u n g des Gesellschafters gleichzustellen 7 6 . bb) N a c h einer im S c h r i f t t u m zur Kapitalerhaltung häufig anzutreffenden F o r m u l i e r u n g soll eine Z u r e c h n u n g ferner dann zu bejahen sein, w e n n der V o r teil des D r i t t e n auf Veranlassung
eines
Gesellschafters
eingeräumt worden ist,
und zwar selbst dann, w e n n der Gesellschafter daraus weder u n m i t t e l b a r n o c h mittelbar einen Vorteil hat (z.B. weil er dem D r i t t e n nur ein G e s c h e n k machen will) 7 7 . Z u r B e g r ü n d u n g wird meist darauf verwiesen, dass es keinen U n t e r schied machen dürfe, o b sich der Gesellschafter den Vorteil zunächst selbst gewähren lasse und dann an den D r i t t e n weiterleite oder o b er die Gesellschaft zu einer „abgekürzten L e i s t u n g " veranlasse. D i e genannte Formulierung geht indes sowohl für die Kapitalerhaltung als auch den Gleichbehandlungsgrundsatz zu weit 7 8 . N a c h ihr wären nämlich auch bloße Schädigungen (z.B. der Abschluss eines Vertrags mit einem Dritten zu ungünstigen Konditionen) und geschäftspolitisch motivierte Zuwendungen an D r i t t e (z.B. Spenden an gemeinnützige Organisationen) erfasst, sofern sie nur durch einen Gesellschafter veranlasst worden sind. Vor solchen Schmälerungen des Gesellschaftsvermögens schützen weder die Kapitalerhaltungsregeln 7 9 noch der Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Vorteilsgewährung an einen D r i t t e n , aus der der veranlassende Gesellschafter keinen wirtschaftlichen Vorteil erlangt, wird man daher nur dann dem Gesellschafter zurechnen können, wenn sich der Vorgang nach den Umständen als privat motivierte Zuwendung des Gesellschafters an den Dritten darstellt 8 0 . In diesem Fall darf es in der Tat keinen Unterschied machen, ob sich der Gesellschafter die Vorteile zunächst selbst gewähren lässt und sie dann an den Dritten weiter reicht oder sie dem Dritten direkt zuwendet. cc) I m R a h m e n der Kapitalerhaltung ist des Weiteren anerkannt, dass - u n abhängig von einer Veranlassung durch den Gesellschafter - Zuwendungen an Ehegatten
und
minderjährige
Kinder
dem Gesellschafter stets zugerechnet
76 Ebenso die allg.M. zur Kapitalerhaltung, vgl. statt aller Bayer, in: MünchKomra. AktG, § 57 Rdn. 59; Henze, in: Großkomm. AktG, § 57 Rdn. 86. 77 Vgl. etwa Goerdeler/W. Müller, in: Hachenburg, GmbHG, §30 Rdn. 47; Lutter, in: Kölner Komm. AktG, §57 Rdn. 45; Geßler, FS Fischer, S.131 (145); mit eigenem Begründungsansatz auch Rust, Einlagenrückgewähr, S. 119 ff. 78 Ausführlich dazu (unter dem Aspekt der Kapitalerhaltung) Cahn, Kapitalerhaltung, S. 19 ff. 79 Cahn, Kapitalerhaltung, S. 20 ff. 80 So für die Kapitalerhaltungsregeln Cahn, Kapitalerhaltung, S.22; ebenso wohl Bayer, in: MünchKomm. AktG, § 57 Rdn. 61, und Henze, in: Großkomm. AktG, § 57 Rdn. 88 f. (Zuwendung muss im Interesse des Gesellschafters erfolgt sein); vgl. auch Canaris, FS Fischer, S. 31 (39).
248
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
werden 8 1 ; dasselbe muss nunmehr auch f ü r Lebenspartner (§ 1 L P a r t G ) gelten 82 . Für diese A u f f a s s u n g lässt sich eine Analogie zu §§ 89 Abs. 3 Satz 1, 115 Abs. 2 A k t G anführen; diese Vorschriften erstrecken die f ü r Kredite an Organwalter geltenden Beschränkungen auch auf Ehegatten, Lebenspartner und minderjährige Kinder. D e r Grundgedanke, durch die Einbeziehung dieser Personen t y pische Umgehungskonstellationen zu erfassen 8 3 , leuchtet auch f ü r den Gleichbehandlungsgrundsatz unmittelbar ein 8 4 . Bei sonstigen Verwandten und nahe stehenden Personen bleibt es dagegen bei den zu lit. aa und bb genannten Zurechnungsgrundsätzen 8 5 . dd) Von erheblicher Bedeutung ist die Zurechnungsfrage bei Bevorzugungen von Gesellschaften, an denen ein Gesellschafter beteiligt ist. Hier findet sich im S c h r i f t t u m z u r Kapitalerhaltung häufig die Formulierung, dass eine Zurechnung nur zu bejahen sei, w e n n der Gesellschafter auf die begünstigte Gesellschaft beherrschenden Einfluss ausüben könne 8 6 . Zumeist geschieht dies unter Hinweis auf die Rechtsprechung des B G H , die ebenfalls eine „maßgebliche", d.h. mehrheitliche Beteiligung verlange 8 7 . Diese Rechtsprechung b e t r i f f t jedoch nur die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Empfängergesellschaft einer eigenen H a f t u n g unterliegt. Dagegen hat der B G H nicht entschieden, dass auch
81 H.M.; vgl. Bayer, in: MünchKomm. AktG, § 57 Rdn. 62; Canaris, FS Fischer, S. 31 (38); Henze, in: Großkomm. AktG, § 57 Rdn. 90; Goerdeler/W. Müller, in: Hachenburg, GmbHG, §30 Rdn. 52; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §30 Rdn. 18; vgl. auch BGHZ 81, 365 (369) (zur Rückgewährpflicht des Angehörigen). Einschränkend (nur widerlegliche Vermutung) Cahn, Kapitalerhaltung, S. 25 ff.; H.P. Westermann, in: Scholz, GmbHG, §30 Rdn.29; gänzlich abweichend Rust, Einlagenrückgewähr, S. 100ff., S. 141 ff. (auch bei nahen Angehörigen Zurechnung nur bei Veranlassung durch den Gesellschafter). 82 Die §§89 Abs. 3 Satz 1, 115 Abs. 2 AktG, auf die sich die h.M. beruft, erstrecken sich nunmehr auch auf Lebenspartner; Neufassung durch das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften/Lebenspartnerschaften vom 16.2.2001, BGBl. I,S.266. 83 Mertens, in: MünchKomm. in: Kölner Komm. AktG, § 89 Rdn. 7; Hefermehl/Spindler, AktG, §89 Rdn. 26. 84 Ebenso Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S. 57. Erwägenswert ist allerdings, dem Gesellschafter in atypischen Konstellationen (z.B. bei Getrenntleben der Ehegatten) die Widerlegung der Umgehungsvermutung zu gestatten, wie dies auch im Bereich der Kapitalerhaltung teilweise vorgeschlagen wird; vgl. Cahn, Kapitalerhaltung, S.25ff.; H.P. Westermann, in: Scholz, GmbHG, § 30 Rdn. 29. 85 Ebenso die h.M. im Bereich der Kapitalerhaltung, vgl. Bayer, in: MünchKomm. AktG, § 57 Rdn. 62; Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 57 Rdn. 44. 86 Vgl. Bayer, in: MünchKomm. AktG, § 57 Rdn. 65 f.; Lutter, in: Kölner Komm. AktG, §57 Rdn.46; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §30 Rdn. 18; Geßler, FS Fischer, S. 131 (148); Michalski, AG 1980,261 (266 f.); mit Einschränkungen im Einzelfall auch Henze, in: Großkomm. AktG, §57 Rdn. 92 f.; abweichend Rust, Einlagenrückgewähr, S. 100 ff., 141 ff. 87 Vgl. BGH WM 1986, 237 (239); N J W 1991, 1057 (1059); N J W 1996, 589 (590); N J W 1999, 2822 (2822) (mit der Klarstellung, dass eine einfache Mehrheitsbeteiligung als „maßgeblich" in diesem Sinne anzusehen ist); N J W 2001,1490 (1491).
5 11 Der Tatbestand
der Ungleichbehandlung
249
die Zurechnung auf den Gesellschafter an die Voraussetzung einer mehrheitlichen Beteiligung geknüpft ist 88 . Die Frage, ob nicht auch unterhalb der Schwelle einer mehrheitlichen Beteiligung eine (freilich nur anteilige) Zurechnung von Vorteilen der Empfängergesellschaft auf den Gesellschafter anzunehmen ist, wird im Schrifttum vergleichsweise selten thematisiert. Sofern dies geschieht, wird sie - mit Recht - bejaht 89 ; denn die Zuwendung an die Empfängergesellschaft führt auch dann zu einer anteiligen Wertsteigerung der Beteiligung des Gesellschafters an der Empfängergesellschaft, wenn die Beteiligung keine mehrheitliche ist. Es ist daher festzuhalten, dass eine (anteilige) Zurechnung auf den Gesellschafter bei jedweder Beteiligung anzunehmen ist, nicht nur, wenn es sich um eine mehrheitliche oder gar alleinige Beteiligung handelt 90 . Auf den Gleichbehandlungsgrundsatz lässt sich diese Erkenntnis übertragen, sofern es um die Vermögenszuwendungen an die begünstigte Gesellschaft geht. Solche Vorteile sind, auch wenn es sich nicht um eine mehrheitliche oder alleinige Beteiligung handelt, anteilig dem an der begünstigten Gesellschaft beteiligten Gesellschafter zuzurechnen, so dass sie eine Ungleichbehandlung begründen können. Wenn etwa eine GmbH einen lukrativen Bauauftrag zu vergeben hat und diesen an ein Bauunternehmen vergibt, an dem der Mehrheitsgesellschafter, nicht aber die übrigen Gesellschafter der GmbH beteiligt sind, liegt darin also auch dann eine Ungleichbehandlung, wenn der Mehrheitsgesellschafter an dem Bauunternehmen nicht mehrheitlich beteiligt ist 91 . Auch bei einer Minderheitsbeteiligung an dem Bauunternehmen ist nämlich zu befürchten, dass die Auswahl ausgerechnet dieses Vertragspartners durch den Sondervorteil des Mehrheitsgesellschafters und nicht durch das Gesellschaftsinteresse bestimmt war; die Richtigkeitsgewähr der Entscheidung ist also auch hier erschüttert. Anders liegt es nur dann, wenn es sich um eine derart geringe Beteiligung handelt, dass vernünftigerweise auszuschließen ist, dass diese Beteiligung für die Auswahl des Vertragspartners bestimmend war 92 . In diesem Ausnahmefall ist bei der gebotenen teleologischen Betrachtungsweise eine Ungleichbehandlung zu verneinen. Zu beachten ist allerdings, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz auch andere Konstellationen als die Gewährung von Vermögenszuwendungen erfasst. Bevor die Zurechnungsfrage beantwortet wird, ist daher stets sorgfältig zu prüfen, Zutr. Tries, Gewinnausschüttungen, S. 79. Fleck, FS 100 Jahre GmbHG, S.391 (405); Tries, Gewinnausschüttungen, S. 78 f.; H.P. Westermann, in: Scholz, GmbHG, §30 Rdn.35 (bei Fn.203); vgl. auch Canaris, FS Fischer, S.43 f. 90 Vgl. die in der vorhergehenden Fn. Genannten. 91 Dies gilt auch dann, wenn die Vergütung angemessen ist, also keine verdeckte Vermögenszuwendung vorliegt; vgl. oben § 9 11,2 a.E. 92 Beispiel: Beauftragung einer großen Publikumsgesellschaft, an der der Mehrheitsgesellschafter mit wenigen Aktien beteiligt ist. 88 89
250
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
worin der Vorteil liegt, der dem Gesellschafter zugerechnet werden soll. Wird etwa das Bezugsrecht zugunsten einer Gesellschaft ausgeschlossen, an der ein Gesellschafter beteiligt ist, und erfolgt die Ausgabe der neuen Anteile zum angemessenen Wert (vgl. §255 Abs. 2 Satz 1 AktG), so kann der gleichheitswidrige Vorteil nur in der Verschiebung der Stimmverteilung zugunsten des Gesellschafters liegen. Eine solche Verschiebung zugunsten des Gesellschafters ergibt sich aber nur, wenn dieser die Stimmabgabe der bezugsberechtigten Gesellschaft kontrollieren kann. In dieser Konstellation ist daher eine Zurechnung nur zu bejahen, wenn der Gesellschafter beherrschenden Einfluss in der begünstigten Gesellschaft ausüben kann, diese also von ihm abhängig ist (§17 AktG) 93 . c) Bevorzugung von Dritten, die wirtschaftlich anzusehen sind
als
Gesellschafter
Die bisher behandelten Fallgruppen betrafen Vorteilsgewährungen an Dritte, die einem der Gesellschafter zugerechnet wurden. Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass die Vorteilsgewährung an einen Dritten erfolgt, der die Rechtsstellung als Gesellschafter zwar nicht formal, aber bei wirtschaftlicher Betrachtung innehat („faktischer" Gesellschafter). Hier geht es nicht darum, den Vorteil des Dritten dem Gesellschafter zuzurechnen, sondern den Dritten selbst wie einen Gesellschafter zu behandeln. Zur Bewältigung dieser Fälle lässt sich wiederum auf Parallelen aus dem Bereich der Kapitalerhaltung und des Kapitalersatzes zurückgreifen. aa) Das Musterbeispiel für die beschriebene Konstellation bilden Fälle, in denen der formal berechtigte Gesellschafter (z.B. als Treuhänder, Strohmann) die Beteiligung für Rechnung eines Dritten (Treugebers, Hintermanns) hält. In solchen Fällen muss sich der Dritte nach der im Kapitalerhaltungsrecht einhelligen Auffassung beim Empfang von Vorteilen wie ein Gesellschafter behandeln lassen94. Der zugrunde liegende Rechtsgedanke, der in § 46 Abs. 5 AktG eine gesetzliche Ausprägung gefunden hat, ist ohne weiteres auf den Gleichbehandlungsgrundsatz übertragbar. Wird also unmittelbar der Hintermann bevorzugt, begründet dies in derselben Weise die Annahme einer Ungleichbehandlung, wie wenn der formal berechtigte Gesellschafter bevorzugt worden wäre. bb) Als „faktische" Gesellschafter in dem bezeichneten Sinn können des Weiteren Dritte angesehen werden, die an einem Gesellschafter und über diesen mittelbar an der Gesellschaft beteiligt sind. Unproblematisch zu bejahen ist dies, wenn der bevorzugte Dritte Alleingesellschafter des Unternehmens ist, Wie hier Koppensteiner, GS Schônherr, S. 205 (216). Vgl. statt aller Bayer, in: MunchKomm. AktG, § 57 Rdn. 53 f.; Henze, in: Grofikomm. AktG, §57 Rdn. 81; Canaris, FS Fischer, S. 31 (40 f.); Rust, Einlagenriickgewàhr, S. 146 ff. 93
94
§ 11 Der Tatbestand der
Ungleichbehandlung
251
das die Gesellschafterstellung innehat 9 5 ; hier ist wegen der wirtschaftlichen Identität die B e v o r z u g u n g des D r i t t e n der B e v o r z u g u n g des Gesellschafters gleichzustellen. N a c h der im Kapitalerhaltungsrecht herrschenden Auffassung muss sich darüber hinaus auch ein Dritter, der z w a r nicht alleiniger, aber immerhin herrschender Gesellschafter des zwischengeschalteten U n t e r n e h m e n s ist, b e i m E m p f a n g von Vorteilen wie ein Gesellschafter behandeln lassen 9 6 . W e nig geklärt ist die Rechtslage dagegen bei Vorteilsgewährungen an D r i t t e , die an dem zwischengeschalteten U n t e r n e h m e n nur minderheitlich beteiligt sind. Teilweise wird davon ausgegangen, dass die Kapitalerhaltungsregeln auch gegen solche D r i t t e A n w e n d u n g finden97; die h . M . steht aber offenbar auf dem gegenteiligen S t a n d p u n k t 9 8 . I m R a h m e n des Gleichbehandlungsgrundsatzes sprechen die besseren A r g u mente dafür, mittelbare Gesellschafter nur dann wie unmittelbare Gesellschafter zu behandeln, wenn sie auf das Unternehmen, das ihre Beteiligung vermittelt, beherrschenden Einfluss ausüben können. H i e r f ü r lässt sich wiederum der Grundgedanke fruchtbar machen, dass das M e r k m a l der Ungleichbehandlung ein Aufgreifkriterium bildet, welches diejenigen Fälle aussondern soll, in denen die Interessengleichrichtung der Gesellschafter typischerweise gestört und deshalb die Richtigkeitsgewähr der Entscheidung der Gesellschaftsorgane erschüttert ist. Solange der mittelbare Gesellschafter seine Interessen in dem unmittelbar beteiligten Unternehmen nicht durchsetzen kann, übt er weder unmittelbar noch mittelbar Gesellschafterrechte in der Gesellschaft aus. E r steht der Gesellschaft daher, was den Willensbildungsprozess angeht, eher als außenstehender D r i t t e r denn als (mittelbarer) Gesellschafter gegenüber. Sofern ein außenstehender D r i t ter bevorzugt wird, besteht aber kein Anlass, an der grundsätzlichen Richtigkeitsgewähr der Entscheidung der Gesellschaftsorgane zu zweifeln, da die Interessengleichrichtung der Gesellschafter nicht gestört ist 9 9 . 95 So die allg.M. im Bereich der Kapitalerhaltung; vgl. etwa O L G Hamm ZIP 1995, 1263 (1270 re. Sp.); Bayer, in: MünchKomm. AktG, § 57 Rdn. 54; Henze, in: Großkomm. AktG, §57 Rdn. 82. 96 Vgl. B G H N J W 1991, 357 (358) (75%ige Beteiligung an der Gesellschafterin der GmbH); Altmeppen, FS Kropff, S.641 (650 f.); ders., in: Roth/Altmeppen, GmbHG, §30 Rdn. 60; Cahn, Kapitalerhaltung, S.99f.; Fleck, FS 100 Jahre GmbHG, S.391 (415 f.); Rust, Einlagenrückgewähr, S. 151; grundsätzlich auch U.H. Schneider, ZGR 1985, 279 (299) (jedenfalls dann, wenn der mittelbare Gesellschafter den Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften hätte erkennen müssen). 97 Altmeppen, FS Kropff, 641 (651); ders., in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30 Rdn. 60. 98 Vgl. die in Fn. 96 Genannten mit Ausnahme von Altmeppen. 99 Nach dem zu lit. b bb Gesagten kann aber eine Ungleichbehandlung zugunsten des unmittelbar beteiligten Unternehmens vorliegen, sofern dieses die Vorteilsgewährung an seinen Minderheitsgesellschafter veranlasst hat und sich der Vorgang nach den Umständen als privat motivierte Zuwendung an den Minderheitsgesellschafter darstellt. In diesem Fall muss sich das unmittelbar beteiligte Unternehmen so behandeln lassen, als sei es selbst bevorzugt worden.
§ 1 2 Sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen I. Ausgangspunkt Liegt eine Ungleichbehandlung vor, so bedeutet dies n o c h keinen V e r s t o ß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. V i e l m e h r ist damit erst das A u f g r e i f k r i t e rium gefunden, an das sich eine Inhaltskontrolle der betreffenden M a ß n a h m e der Gesellschaftsorgane auf ihre sachliche R e c h t f e r t i g u n g anschließt. Dass eine R e c h t f e r t i g u n g von Ungleichbehandlungen durch - von der Gesellschaft darzulegende und ggf. zu beweisende 1 - Sachgründe überhaupt zulässig ist, ist seit langem anerkannt 2 . Angesichts der Tatsache, dass hierüber auch international Einigkeit herrscht 3 , sowie mit B l i c k auf die R e c h t s p r e c h u n g des E u G H z u m allgemeinen Gleichheitssatz besteht kein Zweifel, dass auch der E u G H bei der Auslegung der A r t . 42 K a p i t a l - R L , 17 A b s . 1 T r a n s p a r e n z - R L eine solche R e c h t fertigungsmöglichkeit anerkennen w ü r d e 4 . D i e Schwierigkeit besteht allerdings darin, festzustellen, welche Sachgründe im Einzelnen geeignet sind, eine Differenzierung zu rechtfertigen. I m Verlauf der Untersuchung ist bereits darauf hingewiesen worden, dass namhafte Stimmen im Schrifttum hierin eine entscheidende Schwäche des Gleichbehandlungsgrundsatzes erblicken: D e r G r u n d s a t z sei mit einem „großen Unsicherheitsfaktor" belastet, da er die entscheidende Frage nach der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen „nahezu beliebig" offen lasse 5 . Dass diese K r i t i k ausgerechnet von 1 Es besteht Einigkeit, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, die die sachliche Rechtfertigung begründen, nicht beim klagenden Gesellschafter, sondern bei der Gesellschaft liegt; vgl. etwa Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 155; Hüffer, A k t G , §243 Rdn. 63; T. Raiser, in: Hachenburg, G m b H G , Anh. §47 Rdn. 220; jeweils m.w.Nachw. Dagegen liegt die Darlegungs- und Beweislast für die übrigen Voraussetzungen eines Gleichbehandlungsverstoßes beim klagenden Gesellschafter; Nachw. wie vor. 2 Allg.M.; vgl. B G H Z 33,175 (186); 70,117 (121); 116, 359 (373); 120, 141 (150); Bodenheimer, Gleichheitsprinzip, S. 7ff., 11; G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 173 ff., 340; aus dem neueren Schrifttum statt aller Henze/Notz, in: Großkomm. A k t G , § 53a Rdn. 69; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , § 53a Rdn. 13. 3 S. oben § 7 12 c (Frankreich); § 7 I I I 2 d (Osterreich, Niederlande, Schweiz). 4 S. oben § 6 II 4. 5 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 II 2 b (S.430); ähnlich zuvor auch schon Zöllner, Schranken, S. 304; ferner Roitzsch, Minderheitenschutz, S. 34; Worch, Treuepflichten, S. 19; sowie zuletzt Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 67 („immense Rechtsunsicherheit").
5 12 Sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen
253
Autoren stammt, die die Lehre vom sachlichen G r u n d unterstützen, muss allerdings überraschen; denn die Frage der sachlichen Rechtfertigung stellt sich dort ja ebenso wie beim Gleichbehandlungsgrundsatz. Gleichwohl ist es natürlich richtig, dass hier eines der Hauptanwendungsprobleme des Gleichbehandlungsgrundsatzes liegt. Praktikabilität und Effektivität des Grundsatzes hängen entscheidend davon ab, wie gut es gelingt, die einzelnen Prüfungsstationen auf dem Weg zur Feststellung einer sachlichen Rechtfertigung zu präzisieren. D a b e i bietet es sich an, in zwei Schritten vorzugehen: Zunächst ist der Kreis der als Rechtfertigung in Betracht kommenden Sachgründe näher einzugrenzen (Ziff. I I und I I I ) . Anschließend ist zu fragen, ob und ggf. wie diese Sachgründe gegen die Interessen der benachteiligten Gesellschafter abzuwägen sind (Ziff. I V ) .
II. Das Gesellschafts-/Unternehmensinteresse als sachlicher Grund N a c h allgemeiner A n s i c h t sind zumindest solche Belange grundsätzlich (d.h. vorbehaltlich einer n o c h anzustellenden A b w ä g u n g mit den Interessen der benachteiligten Gesellschafter) geeignet, eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, deren V e r w i r k l i c h u n g im Gesellschaftsinteresse liegt 6 . Bisweilen wird stattdessen auch auf das „Unternehmensinteresse" abgestellt 7 . D a m i t sind zwei der schillerndsten B e g r i f f e des Gesellschaftsrechts überhaupt angesprochen. E s bedarf daher zunächst der K l ä r u n g , welche Interessen damit gemeint sind und o b neben dem Gesellschaftsinteresse tatsächlich auch ein hiervon abweichendes Unternehmensinteresse geeignet ist, Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen. I m Anschluss daran ist die praktisch wichtige Frage zu behandeln, in welchem U m f a n g den Gesellschaftsorganen bei der F o r m u l i e r u n g des Gesellschaftsbzw. Unternehmensinteresses ein gerichtlich nicht ü b e r p r ü f b a r e r B e u r t e i l u n g s spielraum z u k o m m t .
1.
Gesellschaftsinteresse
a) Ableitung
aus dem
Verbandszweck
„So zentral die B e d e u t u n g ist, die dem Bereich der Verbands- oder Gesellschaftsinteressen in gesellschaftsrechtlichen E r ö r t e r u n g e n z u k o m m t , so schwer ist es, ihn halbwegs klar zu erfassen und von verschwommenen Vorstellungen zu rei6 Vgl. statt vieler Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 13; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 71; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 14; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn. 154; Michalski, in: Michalski, GmbHG, §13 Rdn. 130. 7 Vgl. etwa BGHZ 70,117 (121) („im Gesamtinteresse des Unternehmens").
254
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
nigen." 8 Diese inzwischen mehr als vier Jahrzehnte alte Bemerkung Zöllners trifft noch heute mehr oder weniger unverändert zu. Die Diskussion, was unter dem Gesellschaftsinteresse zu verstehen ist, leidet vielfach daran, dass schon terminologisch keine Klarheit besteht. So wird neben dem Gesellschaftsinteresse häufig der Begriff des Unternehmensinteresses verwandt, worunter teils ein Synonym, teils aber auch ein Gegenbegriff zum Gesellschaftsinteresse verstanden wird9. Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung soll zur Vermeidung von Unklarheiten streng zwischen Gesellschaftsinteresse (gleichbedeutend: Verbandsinteresse) und Unternehmensinteresse unterschieden werden: Das Gesellschaftsinteresse im hier verstandenen Sinn leitet sich ausschließlich aus dem von den Gesellschaftern gesetzten Verbandszweck ab10. Im Gesellschaftsinteresse liegt danach all das, was die Erreichung des Verbandszwecks fördert 11 . Das Gesellschaftsinteresse lässt sich somit als die für den konkreten Fall entwickelte Anwendung des Verbandszwecks beschreiben 12 . Damit erhebt sich freilich die Frage, was genau Inhalt des Verbandszwecks ist; auf diese Frage wird sogleich näher einzugehen sein. Mit dem Begriff des Unternehmensinteresses soll dagegen ein Bündel von Interessen bezeichnet werden, das neben dem Gesellschaftsinteresse auch andere Interessen, insbesondere die Belange der Arbeitnehmer und das öffentliche Interesse mit einbezieht. Ob ein solches Unternehmensinteresse überhaupt anzuerkennen ist, ist stark umstritten. Auf diese Frage wird erst später einzugehen sein (Ziff. 2). Nach dem Gesagten ist das Gesellschaftsinteresse unmittelbar aus dem Verbandszweck abzuleiten. Der Verbandszweck setzt sich zusammen aus dem statutarisch verankerten Unternehmensgegenstand (sog. Sachziel, lit. b) und dem formalen Unternehmensziel (Formalziel), welches die finale Ausrichtung der Zöllner, Schranken, S. 17. Synonyme Verwendung vor allem in der Rechtsprechung des B G H ; s. etwa B G H Z 125, 239 (244) („unternehmerisches Interesse", „Gesellschaftsinteresse"); B G H Z 135, 244 (255) („Unternehmenswohl", „Gesellschaftsinteresse"); dazu etwa Henze, BB 2000, 209 (212); v. Bonin, Shareholder Value, S. 90f.; Servatius, Strukturmaßnahmen, S. 73 ff. Scharfe begriffliche Unterscheidung dagegen vor allem bei Zöllner, Schranken, S. 20 f., 73 ff.; s. dazu sogleich im Text. 10 Grundlegend Zöllner, Schranken, S. 23 f.; ders., in: Kolner Komm. AktG, Einl. Rdn. 107 und §243 Rdn. 178; ebenso etwa Mülbert, Z G R 1997, 129 (141); Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S. 15,16; Heiser, Interessenkonflikte, S. 112; Birke, Formalziel, S. 144. 11 Vgl. die in der vorigen Fn. Genannten. Die Gegenauffassung von Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S.27ff., nach der eine Maßnahme nur dann mit dem Gesellschaftsinteresse vereinbar ist, wenn der Zweck, zu dem sie erfolgt, „objektiv vorhersehbar" war, hat dagegen zu Recht keine Zustimmung gefunden. Uberzeugend dazu vor allem Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S. 23 ff.; ablehnend auch Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 186 Rdn. 112; Fleck, RdA 1988,120. 12 Plastisch Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 243 Rdn. 178: „Das Verbandsinteresse ist nichts anderes als die .Kehrseite' des Verbandszwecks." Ebenso etwa Mülbert, Z G R 1997,129 (141); Birke, Formalziel, S. 144. 8
9
5 12 Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
255
Gesellschaft bezeichnet13. Das Formalziel ist in der Regel nicht ausdrücklich in der Satzung niedergelegt. Es herrscht aber Einigkeit, dass in Ermangelung einer satzungsmäßigen Regelung das Formalziel der normtypischen AG bzw. GmbH auf die Erzielung von Gewinn gerichtet ist14. Dieses Gewinnziel ist allerdings noch konkretisierungsbedürftig. Fraglich ist insbesondere, ob in der AG neben der Gewinnerzielung durch die Gesellschaft auch die Maximierung des Marktwerts der Aktien als Bestandteil des Formalziels anzuerkennen ist (lit. c). Schließlich wird zu klären sein, ob auch die Autonomie der Gesellschaft zum normtypischen Formalziel und damit zum Inhalt des Verbandszwecks gehört (lit.d). b) Bindung an den
Unternehmensgegenstand
Keine besonderen Schwierigkeiten wirft im vorliegenden Zusammenhang die Bindung an den Unternehmensgegenstand auf. Entscheidungen, die den Unternehmensgegenstand überschreiten, liegen nicht im Gesellschaftsinteresse und sind daher nicht geeignet, Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen. Bedeutung kann dies etwa beim Bezugsrechtsausschluss erlangen: Wenn als Sacheinlage eine Beteiligung eingebracht werden soll, die sich nicht auf eines der Tätigkeitsfelder des Unternehmensgegenstands bezieht, vermag dies den Bezugsrechtsausschluss auch dann nicht zu rechtfertigen, wenn die Maßnahme für die Gesellschaft wirtschaftlich nützlich ist15. Es müsste vielmehr zunächst der Unternehmensgegenstand erweitert werden. Eine (konkludente) Änderung des Unternehmensgegenstands ist dabei nicht schon darin zu erblicken, dass der Kapitalerhöhungs- bzw. (beim genehmigten Kapital) der Ermächtigungsbeschluss die Einbringung einer dem bisherigen Unternehmensgegenstand fremden Sacheinlage vorsieht; die Änderung des Unternehmensgegenstands muss vielmehr gesondert erfolgen16. 13 Vgl. statt vieler Zöllner, Schranken, S.27f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, §3 I 3 a (S.155); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S.39; Tieves, Unternehmensgegenstand, S. 23 ff.; Birke, Formalziel, S. 141. Das genaue Verhältnis zwischen Verbandszweck, Unternehmensgegenstand und formalem Unternehmensziel sowie die Terminologie sind im Einzelnen umstritten (Uberblick etwa bei Pentz, in: MünchKomm. AktG, §23 Rdn.70ff.); darauf kommt es im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht entscheidend an. 14 Vgl. etwa Zöllner, Schranken, S. 28; Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 155 f.; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 39 ff.; Tröger, Treupflicht, S. 110 ff.; Birke, Formalziel, S. 142 f.; jeweils m.w.Nachw. Die von Großmann, Unternehmensziele, S.62ff., und Brinkmann, AG 1982, 122 (124 ff.), vertretene Gegenmeinung, die jegliches Formalziel leugnete, hat keine Zustimmung gefunden und wird heute allgemein abgelehnt; näher Mülbert aaO.; Paefgen aaO., S. 36ff.; Birke aaO., S. 151 ff. 15 Vgl. Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S.79; zum genehmigten Kapital auch BGHZ 136,133 (140). 16 Näher O i h n , Z H R 163 (1999), 554 (567ff.); Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S.79; jeweils gegen Kindler, ZGR 1998, 35 (58).
256
3. Kapitel:
Reichweite
c) Bindung an das Formalziel Marktwertmaximierung
und Inhalt des
der
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Gewinnmaximierung/
Schwieriger ist die Frage zu beantworten, wie das Formalziel der Gewinnerzielung oder genauer: Gewinnmaximierung 17 zu konkretisieren ist, sofern (wie im Regelfall) die Satzung hierüber keinen näheren Aufschluss gibt. Konsens herrscht im Ausgangspunkt, dass es nicht auf kurzfristige Gewinnmaximierung, sondern auf dauerhafte Rentabilität ankommt18. Wie diese noch recht allgemeine Formel weiter zu präzisieren ist, bleibt in Rechtsprechung und Literatur zumeist offen. Weitgehende Einigkeit dürfte aber insofern bestehen, als das Ziel richtigerweise nicht in der Maximierung bilanzieller Ergebnisgrößen, etwa des Jahresüberschusses oder des Bilanzgewinns, gesehen werden kann 19 . Bei diesen Größen stehen Überlegungen des Gläubigerschutzes im Vordergrund (Vorsichtsprinzip), nicht eine Konkretisierung des formalen Unternehmensziels. Einleuchtend erscheint stattdessen der Vorschlag, auf die künftigen Nettoeinzahlungen (net cashflows) abzustellen und diese auf den Barwert abzuzinsen. Das normtypische Gewinnziel lässt sich dann dahingehend konkretisieren, dass dieser Barwert, also der Gegenwartswert des künftigen Ertrags, zu maximieren ist20. Nach traditioneller, verbandsrechtlicher Sicht geht es bei der Gewinnmaximierung um die Bewertung des Gesellschaftsvermögens durch die Gesellschaft, nicht um die Bewertung der Gesellschaft durch die Gesellschafter oder den Kapitalmarkt. Angestrebt ist also die Maximierung des Gesellschaftsvermögens, nicht die Maximierung des Marktwerts der einzelnen Anteile 21 . Dass die Mitglieder an Vermögenszuwächsen der Gesellschaft partizipieren, ist aus dieser Sicht ein bloßer Reflex ihrer mitgliedschaftlichen Vermögensrechte. In vielen Fällen werden Maßnahmen der Gesellschaft zwar sowohl der Gewinn- als auch der Marktwertmaximierung dienen. Dies ist aber keineswegs immer der Fall. 17 Vgl. Mülbert, ZGR 1997, 129 (141 mit Fn.39); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 39 mit Fn. 15; Habersack, ZGR 1996,544 (556); anders Mertens, in: Kölner Komm. AktG, § 76 Rdn. 22: Erzielung eines „angemessenen" Gewinns. 18 Vgl. etwa OLG Hamm AG 1995, 512 (514); H ü f f e r , AktG, § 76 Rdn. 13 f.; Hefermehl/ Spindler, in: MünchKomm. AktG, § 76 Rdn. 61 f.; Kort, in: Großkomm. AktG, § 76 Rdn. 52; Mertens, in: Kölner Komm. AktG, §76 Rdn. 17, 22; eingehend zuletzt Servatius, Strukturmaßnahmen, S. 127 ff., 169 ff. Vgl. auch Ziff. 4.1.1 Deutscher Corporate Governance Kodex: Steigerung des „nachhaltigen" Unternehmenswerts; ferner Begr. RegE U M AG zu § 93 AktG n.F., BT-Drucks. 15/5092, S. 11 re. Sp.: „langfristige Ertragsstärkung". 19 Vgl. Mülbert, ZGR 1997, 129 (157); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 62; Tröger, Treupflicht, S. 124; Birke, Formalziel, S. 221; einschränkend Servatius, Strukturmaßnahmen, S. 112 ff., der den Jahresüberschuss als relevante, aber nicht alleinige Bezugsgröße des Gewinnziels anerkennen will. 20 Vgl. Mülbert, ZGR 1997, 129 (158); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S.62f. 21 Vgl. zu dieser Unterscheidung etwa Mülbert, FS Röhricht, S. 421 (427 f.); Tröger, Treupflicht, S. 129 ff.
§12 Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
257
Fragt man etwa danach, ob eine bestimmte Investitionsentscheidung den Barwert erhöht, ist bei der Abzinsung künftiger Erträge ein unterschiedlicher Risikozuschlag anzusetzen, je nachdem, ob man - der traditionellen Sichtweise entsprechend - auf das Risikoprofil der Gesellschaft (bzw. eines undiversifizierten Gesellschafters, der nur Anteile dieser Gesellschaft hält) oder aber auf dasjenige eines optimal diversifizierten Portfolioinvestors im Sinne der modernen Kapitalmarkttheorie abstellt 22 . Eine Investition, die aus Sicht der Letzteren lohnend erscheint, mag aus Sicht der Gesellschaft in Ermangelung eines risikoeffizienten Portfolios nachteilig sein. Für die kapitalmarktoffene Rechtsform der AG wird die geschilderte traditionelle Sichtweise allerdings zunehmend in Zweifel gezogen und unter dem — freilich unterschiedlich gebrauchten - Schlagwort des shareholder value23 die Frage aufgeworfen, ob der Vorstand sein Handeln nicht doch auch an der Marktwertmaximierung der Aktien ausrichten darf oder gar muss. Die Frage kann hier nur gestreift werden. Zu konstatieren ist aber, dass das Schrifttum einer Orientierung an der Marktwertmaximierung zunehmend aufgeschlossen gegenübersteht 24 , wobei man zur Begründung insbesondere darauf verweist, dass sich der Gesetzgeber des KonTraG 25 aus dem Jahr 1998 erkennbar dem sbareholder-value-Gedinken geöffnet habe. In der Tat liefert das KonTraG gewichtige Argumente für die Annahme, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass der Vorstand einer AG mit gesetzestypischem Formalziel die Unternehmensstrategie (auch) an der Marktwertmaximierung der Aktien ausrichten darf. So soll die durch das KonTraG eingeführte Vorschrift des § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG Aktienoptionsprogramme für Führungskräfte erleichtern. Solche Programme dienen gerade dazu, die vom Vorstand verfolgten Interessen bei der Unternehmensführung mit den Interessen der Aktionäre an einem möglichst hohen Börsenkurs in Einklang zu bringen, und sind deshalb nur vor dem Hintergrund verständlich, dass der Vorstand die Marktwertmaximierung der Aktien zur Richtschnur seines Handelns machen darf 26 . Ferner hat das KonTraG die Spielräume für den Rückerwerb eigener Aktien durch Einführung des § 71 22 Zur Portfoliotheorie und daran anknüpfenden Kapitalmarktgleichgewichtsmodellen (insbesondere dem „Capital Asset Pricing Model") zusammenfassend etwa Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 126ff.; Birke, Formalziel, S. 58 ff. 23 Häufig wird shareholder value auch lediglich als Gegenbegriff zu einer Leitungsmaxime verwandt, die neben Anteilseignerinteressen auch die Interessen anderer stakeholder zur Richtschnur des Handelns des Vorstands erhebt. Darum geht im vorliegenden Zusammenhang (noch) nicht; s. dazu aber unten Ziff. 2 zum „Unternehmensinteresse". 24 Vgl. etwa Mülbert, FS Röhricht, S. 421 ff. (einschränkend noch ders., ZGR 1997,129 ff.); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 58 ff.; R. Schmidt/Spindler, FG Kübler, S. 515 (535 ff.); Kuhner, ZGR 2004, 244 (267ff.); Birke, Formalziel, S. 199ff.; einschränkend Tröger, Treupflicht, S. 126 ff., 132 f.; alle m.w.Nachw. 25 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27.4.1998, BGBl. 1786. 26 Mülbert, FS Röhricht, S. 421 (434); Birke, Formalziel, S.209f.
258
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
A b s . 1 N r . 8 A k t G entscheidend erweitert. D a es sich dabei u m ein bedeutsames I n s t r u m e n t der Börsenkursstabilisierung handelt, deutet auch dies auf die Z u lässigkeit einer L e i t u n g s m a x i m e M a r k t w e r t m a x i m i e r u n g h i n 2 7 . Spricht m i t h i n viel dafür, die M a r k t w e r t m a x i m i e r u n g als zulässiges F o r m a l ziel anzuerkennen, mag man allerdings fragen, o b tatsächlich erst das K o n T r a G die entscheidende Wende gebracht h a t 2 8 oder o b nicht schon vorher die M a r k t w e r t m a x i m i e r u n g eine zulässige L e i t u n g s m a x i m e darstellte 2 9 . Zutreffend erscheint Letzteres, da w i r k l i c h zwingende E i n w ä n d e gegen eine solche L e i t u n g s m a x i m e aus dem A k t G auch in der Fassung vor I n - K r a f t - T r e t e n des K o n T r a G nicht ersichtlich sind 3 0 . D i e Frage k a n n indes letztlich dahinstehen, da z u m i n dest jetzt mit der im S c h r i f t t u m vordringenden Auffassung a n z u n e h m e n ist, dass das A k t G eine derartige Zielsetzung zulässt. Ist dies aber der Fall, wird m a n in einem weiteren Schritt davon ausgehen müssen, dass die G r ü n d e r einer A G , die den Verbandszweck festlegen, i m Zweifel von dieser M ö g l i c h k e i t auch G e b r a u c h machen wollen 3 1 . D i e B i n d u n g an das Ziel der M a r k t w e r t m a x i m i e rung ist in E r m a n g e l u n g einer abweichenden Satzungsregelung allerdings nicht als absolut in dem Sinne zu verstehen, dass in Fällen eines möglichen K o n f l i k t s von G e w i n n - und M a r k t w e r t m a x i m i e r u n g der Vorstand zwingend dem letztgenannten Ziel den V o r r a n g geben muss. O b etwa bei Investitionsentscheidungen das R i s i k o p r o f i l der Gesellschaft (bzw. eines undiversifizierten G e s e l l schafters) oder aber dasjenige eines diversifizierten Anlegers z u g r u n d e zu legen ist, ist eine Frage, die sich nur nach den U m s t ä n d e n des Einzelfalls, und abhängig von der Z u s a m m e n s e t z u n g des Aktionärskreises, sinnvoll b e a n t w o r t e n lässt 3 2 . D e s h a l b ist jedenfalls in E r m a n g e l u n g einer abweichenden Satzungsregelung 3 3 nicht davon auszugehen, dass der Vorstand zwingend auf Letzteres Mülbert, FS Röhricht, S. 421 (434); Birke, Formalziel, S. 209 f. So nachdrücklich Mülbert, FS Röhricht, S. 421 (424, 433 ff.); vgl. auch dens., ZGR 1997, 129 (156 ff.). 29 Zu Letzterem tendiert Birke, Formalziel, S. 200 f., 205. 30 Näher Birke, Formalziel, S.204f., 212 ff.; R. Schmidt/Spindler, FG Kübler, S.515 (536 ff.). 31 Der Verbandszweck wird von den Gründungsgesellschaftern bzw. im Fall nachträglicher Änderungen von den späteren Gesellschaftern durch rechtsgeschäftliche Vereinbarung festgelegt; er bildet einen - mit Ausnahme des Unternehmensgegenstands regelmäßig ungeschriebenen - Satzungsbestandteil; vgl. statt vieler Ulmer, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, §1 Rdn.9; Zöllner, Z H R 162 (1998), 235 (239). Der Verbandszweck richtet sich daher nach dem Willen der (Gründungs-) Gesellschafter, wobei es nach dem Grundsatz der objektiven Auslegung korporativer Satzungsbestandteile (Ulmer, in: Ulmer/Habersack/ Winter, GmbHG, §2 Rdn.l38ff., 143ff.; Röhricht, in: Großkomm. AktG, §23 Rdn.29ff.) auf den typischen Willen der Beteiligten und nicht auf für Dritte nicht erkennbare subjektive Besonderheiten ankommt. 32 Vgl. Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 64; Kuhner, ZGR 2004, 244 (269 f.). 33 Zur Zulässigkeit solcher Satzungsregelungen Mülbert, FS Röhricht, S. 421 (440) m.w. Nachw.; anders aber Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 65. 27
28
§12 Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
259
festgelegt werden, sondern es seinem unternehmerischen Ermessen überlassen bleiben soll, inwieweit er die Unternehmenspolitik an der Gewinnmaximierung oder an der Marktwertmaximierung orientiert 34 . Folgt man dem, lässt sich mit Mülbert von einem „zweipoligen Formalziel" der normtypischen AG sprechen, als dessen Bestandteile Gewinn- und Marktwertmaximierung gleichberechtigt nebeneinander stehen35. d) Bindung an ein
Autonomieziel?
Als Bestandteil des Verbandszwecks einer normtypischen AG bzw. GmbH wird neben dem Unternehmensgegenstand und dem Gewinnziel zumeist auch die Autonomie der Gesellschaft genannt: Unternehmensgegenstand und Gewinnziel seien in „eigener und unabhängiger" Teilnahme am Wirtschaftsverkehr zu verfolgen36. Was mit diesem „Autonomieziel" 37 im Einzelnen gemeint ist, bleibt allerdings häufig unklar. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass mit dem Autonomieziel ganz unterschiedliche Vorstellungen verbunden werden. aa) Teilweise versteht man unter dem Autonomieziel lediglich die Vorgabe, dass sich die Gesellschaftsorgane am Eigeninteresse der Gesellschaft orientieren müssen, d.h. am gemeinsamen Interesse der Gesellschafter an Gewinnerzielung durch das betriebene Unternehmen und nicht nur am Interesse eines herrschenden Gesellschafters (Konzerninteresse)38. Ein so verstandenes Autonomieziel entspricht in der Tat ohne weiteres der typischen Interessenlage der Beteiligten und lässt sich daher als Bestandteil des Verbandszwecks einer normtypischen AG oder GmbH ansehen. Hiermit stimmt es überein, wenn die h.M. in der Zustimmung zu einem Beherrschungsvertrag eine Änderung des Verbandszwecks erblickt39; denn durch 34 So denn auch Mülbert, FS Röhricht, S. 421 (438); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 64 f.; abweichend aber Birke, Formalziel, S. 215 ff. 35 Mülbert, FS Röhricht, S. 421 (440f.). 36 Ausführlich Tröger, Treupflicht, S. 100ff.; ferner etwa Lutter, FS Barz, S. 199 (212 f.); Martens, FS Fischer, S.437 (455 f.); Mülbert, Aktiengesellschaft, S.157, 280; Priester, in: Scholz, GmbHG, § 53 Rdn. 168; Sonnenberg, Gesellschaftszweck, S. 55 f.; Tieves, Unternehmensgegenstand, S. 37,39 f.; Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, §53 Rdn. 142; Voigt, Haftung, S.313f.; Würdinger, in: Großkomm. AktG, 3. Aufl., §291 Anm. 6, Einl. §292; Zöllner, FS Kropff, S. 333 (342). Ablehnend zuletzt T. Bezzenberger, Kapital, S. 334. 37 Tröger, Treupflicht, S. 102. 38 So etwa das Verständnis bei Tieves, Unternehmensgegenstand, S.37, 39f.; wohl auch Tröger, Treupflicht, S. 101 f. mit Fn. 13. 39 Für die GmbH etwa BGHZ 105, 324 (331, 338); Priester, in: Scholz, GmbHG, §53 Rdn. 168, 171; Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, § 53 Rdn. 142; M. Winter, Treuebindungen, S. 198 f.; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, SchlAnh. KonzernR Rdn. 55; a.A. aber Kort, Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge, S.60f. Für die AG vor allem Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 162 ff.; Voigt, Haftung, S. 279 ff.; ferner etwa Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, Vorb. § 291 Rdn. 156; Würdinger, in: Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 291 Anm. 6, Einl. §292; alle m.w.Nachw.
260
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
den Beherrschungsvertrag wird bewirkt, dass die Leitung der Gesellschaft auf Weisung des anderen Vertragsteils nicht mehr dem Eigeninteresse der Gesellschaft, sondern Konzerninteressen dienstbar gemacht werden kann (§ 308 AktG). Auf derselben Linie liegt es, wenn verbreitet angeführt wird, dass die Regelung des faktischen Konzerns in §§311 ff. AktG Auswirkungen auf die Bindung an den Verbandszweck habe 40 . Die § 311 AktG gestatten nämlich dem Vorstand der abhängigen Gesellschaft, gegen entsprechende Ausgleichsleistung auch nachteiligen Einflussnahmen im Konzerninteresse Folge zu leisten, d.h. Einflussnahmen, die dem Eigeninteresse der abhängigen Gesellschaft zuwiderlaufen. Die Bindung an das aus dem Verbandszweck abzuleitende Eigeninteresse der Gesellschaft wird also in gewissem Umfang gelockert 41 . Man mag allerdings fragen, ob mit einem derart verstandenen Autonomieziel viel gewonnen ist. Dass sich die Gesellschaftsorgane am Eigeninteresse der Gesellschaft und nicht an den Interessen des herrschenden Gesellschafters auszurichten haben, ließe sich auch schon aus dem Gewinnziel ableiten: Dieses ist eben auf Gewinne der Gesellschaft gerichtet, nicht auf Gewinne nur des herrschenden Gesellschafters oder des Konzerns 42 . Ob man diese Selbstverständlichkeit43 als Teil des Gewinnziels oder als eigenes Autonomieziel beschreibt, ist letztlich nur eine terminologische Frage, die hier dahinstehen mag. bb) Im Aktienrecht wird teilweise neben der Ausrichtung auf das Eigeninteresse auch der Eigenwille, d.h. das Handeln der Gesellschaftsorgane kraft eigenen Willens und ohne Einflussnahme von außen, als Bestandteil des Autonomieziels genannt44. Danach müssen die Gesellschaftsorgane die Entscheidungen 40 Vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 280 ff.; Kropff, in: MünchKomm. AktG, §311 Rdn.313; Nienhaus, Kapitalschutz, S. 18, 229, die jeweils von einer gesetzlichen „Modifizierung des Verbandszwecks" sprechen (dazu noch nächste Fn.); abweichend allerdings Tröger, Treupflicht, S. 163 ff.; Voigt, Haftung, S. 315 ff. 41 Wenn Mülbert, Kropff und Nienhaus aaO. (Fn. 40) dies als „Modifizierung des Verbandszwecks" bezeichnen, erscheint diese Formulierung allerdings unglücklich. Bei Licht besehen wird durch die §§ 311 ff. AktG nicht der Verbandszweck als solcher verändert (zutr. Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftung, S. 65 f.; T. Bezzenberger, Kapital, S. 334), sondern nur die Bindung an den - im Übrigen unveränderten - Verbandszweck gelockert. Das zeigt sich zum einen daran, dass Maßstab für die Nachteiligkeit einer Maßnahme i.S.des §311 AktG weiterhin das Gesellschaftsinteresse einer unabhängigen Gesellschaft bleibt; vgl. nur Habersack, in: Emmerich/Habersack, §311 Rdn.41 m.w.Nachw. Zum anderen lässt sich nur so erklären, dass der Vorstand der abhängigen Gesellschaft im Rahmen des § 311 AktG Einflussnahmen im Konzerninteresse nicht befolgen muss, sondern lediglich befolgen darf, vgl. Habersack aaO. Rdn. 78. 42 Aus diesem Grund wird auch der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags nach heute ganz h.M. als Änderung des Verbandszwecks angesehen, ohne dass hierfür ein zusätzliches Autonomieziel bemüht werden müsste; vgl. B G H Z 105, 324 (331, 338); Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 167f.; Tröger, Treupflicht, S. 106; ausführlich Weil, Unternehmensverträge, S. 143 ff. m.w.Nachw. 43 So auch Heiser, Interessenkonflikte, S. 135. 44 Besonders deutlich Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 157,162f., 280f.
5 1 2 Sachliche Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
261
über die Unternehmenspolitik und deren Umsetzung selbst treffen und dürfen sich nicht von externen Einflussnahmen leiten lassen. Etwas anderes gelte nur, wenn eine Änderung des Verbandszwecks beschlossen werde (wie bei der Zustimmung zum Beherrschungsvertrag) 45 oder sich ausnahmsweise aus dem Gesetz ergebe, dass externen Einflussnahmen unter bestimmten Voraussetzungen nachgegeben werden dürfe (wie im Rahmen der §§ 311 ff. AktG) 4 6 . Bei näherer Betrachtung erscheint die Annahme eines so verstandenen Autonomieziels indes entbehrlich 47 . Richtig ist zwar, dass die Verwirklichung des Verbandszwecks einer normtypischen unabhängigen Gesellschaft gefährdet wäre, wenn sich die Gesellschaftsorgane generell dem Willen eines außerhalb der Gesellschaft stehenden Entscheidungszentrums unterordnen und ohne eigene Prüfung nur noch dessen Willen vollziehen würden. Die Feststellung, dass der Eigenwz7/e der Gesellschaft verletzt werde, ist zur Begründung dieses Ergebnisses jedoch entbehrlich. Vielmehr ist schon die Wahrung des Eigen Interesses der Gesellschaft unmittelbar gefährdet, wenn die Gesellschaftsorgane dazu übergehen, ohne eigene Prüfung am Maßstab des Eigeninteresses der Gesellschaft nur noch externe Vorgaben zu vollziehen. Jedenfalls darf die Betonung des Eigenwillens nicht zu dem Missverständnis führen, dass eine Maßnahme allein schon deshalb dem Verbandszweck und dem daraus abzuleitenden Gesellschaftsinteresse zuwiderlaufe, weil der Anstoß zu ihr von außen kam 48 . Entscheidend ist, ob die Maßnahme der Verwirklichung des Gewinnziels der Gesellschaft und damit dem Eigeninteresse der Gesellschaft dient. Ist dies der Fall, verstößt die Maßnahme nicht schon deshalb gegen die Zweckbindung, weil sie auf eine Einflussnahme von außen zurückgeht. cc) Schließlich wird aus dem Autonomieziel auch die Forderung abgeleitet, dass die Gesellschaftsorgane gehalten seien, die Unabhängigkeit der Gesellschaft zu verteidigen und diese allenfalls unter den erschwerten Voraussetzungen einer unternehmerisch gebotenen Entscheidung aufzugeben 49 . Aus dem Verbandszweck ergebe sich ein rechtlich geschütztes Interesse an der Bewahrung der Unabhängigkeit, dem auch dann ein selbständiger Rechtswert beizumessen sei, wenn durch den Eintritt der Abhängigkeit ein tatsächlicher Schaden für die Gesellschaft nicht unmittelbar zu erwarten sei50. Einem so verstandenen Autonomieziel käme auch und gerade im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes erhebliche praktische Bedeutung zu. Dies gilt vor allem für die viel diskutierte Frage, inwiefern Ungleichbehandlungen Vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 162 f. Vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 280f. 47 Ablehnend auch Heiser, Interessenkonflikte, S. 135 f.; Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftung, S. 65 f.; T. Bezzenberger, Kapital, S. 334. 48 Zutr. Heiser, Interessenkonflikte, S. 136. 49 So vor allem Martens, FS Fischer, S. 437 (453 ff.); ders., ZIP 1992, 1677 (1695); vgl. auch Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 331. 50 Martens, FS Fischer, S. 437 (453 ff.). 45 46
262
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
z.B. selektive Bezugsrechtsausschlüsse - als Abwehrmaßnahmen gegen eine drohenden Übernahme durch das Gesellschaftsinteresse gerechtfertigt werden können 51 . Die Frage wird nunmehr durch die Neutralitätspflicht des § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG überlagert, bleibt aber gleichwohl von Bedeutung: zum einen für Ubernahmen außerhalb des WpUG (nicht-börsennotierte Gesellschaften), zum anderen aber auch im Rahmen des WpUG selbst, da die Neutralitätspflicht durch zahlreiche Ausnahmen (§ 33 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 WpUG) durchbrochen wird und damit weiten Raum für Abwehrmaßnahmen lässt, die nach wie vor an § 53a A k t G zu messen sind. Folgte man der Ansicht, dass sich aus dem Autonomieziel ein grundsätzliches Interesse der Gesellschaft an der Bewahrung ihrer Unabhängigkeit ergebe, ließen sich ungleichmäßige Abwehrmaßnahmen konsequenterweise auch dann rechtfertigen, wenn keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Übernahme zu einer Schädigung der Gesellschaft führen würde 52 . Richtigerweise lässt sich ein derart weitgehendes Autonomieziel als Bestandteil des Verbandszwecks einer normtypischen AG oder GmbH jedoch nicht begründen 53 . Ein typischer Wille der (Gründungs-) Gesellschafter 54 , dass die Gesellschaft auf Dauer unabhängig geführt werden müsse, lässt sich ohne besondere Anhaltspunkte nicht unterstellen. Es gibt zahlreiche Situationen, in denen der Weg in die Abhängigkeit für die Erreichung des Formalziels der Gewinnmaximierung durchaus förderlich, ja sogar zwingend geboten ist (z.B. weil die Gesellschaft ihren Kapitalbedarf nicht anderweitig decken kann oder aus anderen Gründen auf die Einbindung in einen Konzernverbund angewiesen ist). Vor diesem Hintergrund entspricht eine allgemeine Regel, dass Unabhängigkeit anzustreben sei, nicht dem typischen Willen der Gesellschafter 55 . Gewiss mögen 51 Die h.M. sieht den Bezugsrechtsausschluss jedenfalls dann durch das Gesellschaftsinteresse gerechtfertigt, wenn der potenzielle Ubernehmer die Vernichtung oder Schädigung der Gesellschaft anstrebt; vgl. B G H Z 33, 175 ff.; Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 186 Rdn. 136; Peifer, in: MünchKomm. AktG, § 186 Rdn. 98; Wiedemann, in: Großkomm. AktG, §186 Rdn. 161; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S.122f.; jeweils m.w. Nachw.; a.A. namentlich Mestmäcker, BB 1961, 945 (946); Hirte, ZIP 1989,1233 (1237 f.). Ob dies auch dann gilt, wenn keine Schädigungsabsicht vorliegt und „nur" Abhängigkeit oder Konzernierung droht, muss dagegen nach wie vor als offen bezeichnet werden; s. dazu das Folgende im Text. 52 So ausdrücklich Martens, FS Fischer, S.437 (453 ff.); zustimmend etwa Krieger, in: MünchHdb. AG, § 56 Rdn. 73, § 69 Rdn. 15; Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 186 Rdn. 71; Schwennicke, in: Geibel/Süßmann, WpUG, §33 Rdn. 59; a.A. (drohende Abhängigkeit für sich genommen nicht ausreichend) Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 123 f.; Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 84; ferner diejenigen, die selbst im Fall der Schädigungsabsicht des Übernehmers keine Abwehrmaßnahme zulassen wollen (Nachw. vorige Fn.). 53 Ebenso (für die AG) Seydel, Konzernbildungskontrolle, S. 258 ff.; Tröger, Treupflicht, S. 102 Fn. 13; Heiser, Interessenkonflikte, S. 135 ff. 54 Auf diesen kommt es an; s. oben Fn.31. 55 Wie hier Seydel, Konzernbildungskontrolle, S.265; in anderem Zusammenhang auch Hopt, Z G R 1993, 534 (551). Letztlich konzediert dies auch Martens, FS Fischer, S.437 (456),
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von Ungleichbehandlungen
263
viele Fälle verbleiben, in denen der wirtschaftliche Erfolg der Gesellschaft am besten in Unabhängigkeit zu erreichen ist. Dass in diesen Fällen die Bewahrung der Unabhängigkeit im Gesellschaftsinteresse liegt, ergibt sich dann aber bereits aus dem Gewinnziel, ohne dass es hierfür der Annahme eines weit gefassten Autonomieziels in dem beschriebenen Sinne bedarf. Für das angeführte Beispiel des selektiven Bezugsrechtsausschlusses als Abwehrmaßnahme gegen eine drohende Übernahme ergibt sich somit, dass die Bewahrung der Unabhängigkeit allein nicht geeignet ist, eine Ungleichbehandlung im Gesellschaftsinteresse zu rechtfertigen. Die Abwehr einer drohenden Abhängigkeit oder Konzernierung liegt nicht grundsätzlich im Gesellschaftsinteresse; ebenso wenig ist sie grundsätzlich gesellschaftsschädlich. Entscheidend ist vielmehr eine Prüfung im Einzelfall, ob der Verlust der Unabhängigkeit gemessen am Gewinnziel der Gesellschaft Vor- oder Nachteile verspricht 56 . Diese Prüfung kann durchaus dazu führen, dass die Abwehrmaßnahme zulässig ist, z.B. weil der potenzielle Erwerber bereits bei anderen Gesellschaften gezeigt hat, dass ihn die Sicherungen der §§ 311 ff. AktG nicht davon abhalten, eine Ausplünderung der Gesellschaft zu betreiben 57 , oder weil in erheblichem Umfang nachteilige passive Konzerneffekte zu befürchten sind, die nicht nach §311 AktG auszugleichen sind 58 und nicht durch vorteilhafte Konzerneffekte aufgewogen werden. Das Gesellschaftsinteresse an der Durchführung der Abwehrmaßnahme ergibt sich in solchen Fällen aber ausschließlich aus dem Gewinnziel der Gesellschaft, nicht aus einem weit gefassten, in dieser Form abzulehnenden Autonomieziel. e) Fazit Fasst man zusammen, lässt sich das Gesellschaftsinteresse als die auf den konkreten Einzelfall entwickelte Anwendung des Verbandszwecks beschreiben. Im Gesellschaftsinteresse liegt, was der Erreichung des Verbandszwecks dient. Der damit in Bezug genommene Verbandszweck besteht bei einer normtypischen AG oder G m b H in der Erzielung von Gewinn (Formalziel) im Rahmen wenn er den Gesellschaftsorganen erlauben will, das von ihm postulierte Autonomieziel aufzugeben, sofern dies „unternehmerisch geboten" sei. Im Ergebnis wird damit anerkannt, dass eben nicht die Autonomie als solche das anzustrebende Ziel ist, sondern das „unternehmerisch Gebotene", d.h. die bestmögliche Gewinnerzielung. 56 I.E. ebenso Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 123 f. Für Einzelfallprüfung trotz Annahme eines weit gefassten Autonomieziels letztlich auch Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 331 f., der das Problem allerdings nicht auf der Ebene des Gesellschaftsinteresses ansiedelt, sondern allein als Konflikt zwischen Mehrheits- und Minderheitsinteressen betrachtet; ebenso ders., IStR 1999, 83 (90). 57 Beispiel nach Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 332. 58 Dazu statt vieler Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und G m b H - K o n z e r n recht, § 311 Rdn. 52 m.w.Nachw.
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3. Kapitel:
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und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
des statutarisch verankerten Unternehmensgegenstands (Sachziel). U n t e r G e winnerzielung ist dabei die M a x i m i e r u n g des G e g e n w a r t s w e r t s der künftigen Erträge der Gesellschaft zu verstehen. I n der A G ist daneben auch die M a r k t w e r t m a x i m i e r u n g der A k t i e n als zulässige L e i t u n g s m a x i m e anzuerkennen. D i e Verwirklichung des so beschriebenen Verbandszwecks bedingt, dass die G e sellschaft nicht allein im Interesse einzelner herrschender Gesellschafter agieren darf. E i n darüber hinausgehendes A u t o n o m i e z i e l in dem Sinne, dass die Unabhängigkeit der Gesellschaft auch dann zu verteidigen sei, w e n n keine A n zeichen dafür vorliegen, dass die Ü b e r n a h m e zu einer Schädigung der Gesellschaft f ü h r e n w i r d , ist dagegen richtigerweise nicht anzuerkennen.
2.
Unternehmensinteresse
a) Meinungsstand und Kritik Lässt sich das Gesellschaftsinteresse nach alledem zumindest
theoretisch59
recht präzise definieren, herrscht über die K o n k r e t i s i e r u n g des „ U n t e r n e h m e n sinteresses" nach wie vor „große U n k l a r h e i t " 6 0 . I m Ausgangspunkt lässt sich das Unternehmensinteresse als das Ergebnis einer A b w ä g u n g verschiedener I n teressen beschreiben, in die neben dem Gesellschaftsinteresse auch die Interessen anderer am U n t e r n e h m e n interessierter G r u p p e n ( s t a k e h o l d e r s ) , insbesondere die Belange der A r b e i t n e h m e r sowie G e m e i n w o h l b e l a n g e , einzustellen sind 6 1 . Dass die Leitungsorgane sich an einem solchen Unternehmensinteresse auszurichten haben und weder berechtigt n o c h verpflichtet sind, ausschließlich die im Gesellschaftsinteresse zusammengefassten Anteilseignerinteressen zu verfolgen, entspricht in D e u t s c h l a n d 6 2 jedenfalls f ü r die Aktiengesellschaft nach wie vor herrschender Auffassung 6 3 . Dieselbe A n s i c h t findet sich auch f ü r 59 Praktisch hängt die Beurteilung, welche Maßnahmen zu einer Ertragssteigerung führen werden und welche nicht, von einer Reihe unsicherer Zukunftsprognosen ab. Um dem Rechnung zu tragen, werden den Gesellschaftsorganen bei der Formulierung des Gesellschaftsinteresses Beurteilungsspielräume zugestanden; dazu unter Ziff. 3. 60 So zuletzt Birke, Formalziel, S. 160; ferner etwa v. Werder, in: Ringleb/Kremer/Lutter/ v. Werder, DCGK, Rdn. 352: „erst in Umrissen näher konturiert", „ausreichende Operationalisierung noch nicht gelungen". 61 Anschaulich Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, §11 III 2 b (S.625f.): „normativer Schmelztiegel" der verschiedenen Interessen. 62 Für das Gegenmodell stehen vornehmlich die Gesellschaftsrechtsordnungen der USA; dazu Birke, Formalziel, S. 97 ff.; v. Bonin, Shareholder Value, S. 240 ff. 63 Vgl. etwa Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S.35 re. Sp., 52 Ii. Sp., 58 Ii. Sp.; B G H ZIP 2006,72 (73) („Mannesmann"); O L G Hamm AG 1995,512 (514); Henze, BB 2000, 209 (212); Hopt, in: Großkomm. AktG, § 93 Rdn. 87; Hüffer, AktG, § 76 Rdn. 12 ff.; Kort, in: Großkomm. AktG, § 76 Rdn. 40, 52 ff.; Mertens, in: Kölner Komm. AktG, § 76 Rdn. 16 ff.; 7. Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, § 14 Rdn. 13 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §28 II 1 a (S. 805 f.); i.E. auch (trotz Ablehnung des Begriffs Unternehmensinteresse) Schmidt-Leithoff, Unternehmensleitung, S. 155 ff.; beschränkt auf die mitbestimmte AG Ulmer/Haber-
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die G m b H , wenngleich erheblich seltener und zumeist b e s c h r ä n k t auf die m i t b e s t i m m t e G m b H 6 4 . I n der Frage, wie der Inhalt des Unternehmensinteresses näher zu b e s t i m m e n ist, ist jedoch unter den A n h ä n g e r n dieser L e h r e t r o t z jahrzehntelanger Diskussion selbst in zentralen P u n k t e n keine Einigkeit erzielt worden. Unterschiedlich beurteilt wird schon, welche Interessen in die A b w ä gung einzubeziehen sind. Teils heißt es - häufig unter B e r u f u n g auf eine b e hauptete Fortgeltung des § 70 Abs. 1 A k t G 1937 6 5 - , dass neben dem Gesellschaftsinteresse die Interessen der A r b e i t n e h m e r und der Ö f f e n t l i c h k e i t zu b e rücksichtigen seien 6 6 , teils werden weitere Gruppeninteressen einbezogen, etwa diejenigen der Gläubiger 6 7 , G e s c h ä f t s p a r t n e r 6 8 oder künftiger potenzieller A k tionäre 6 9 . E b e n s o u n k l a r ist, welches G e w i c h t den einzelnen Belangen i m R a h men der A b w ä g u n g z u k o m m e n soll. Z u m Teil wird gesagt, dass sich eine b e s t i m m t e Rangfolge zwischen den maßgeblichen Belangen nicht bilden lasse 7 0 . Andere betonen dagegen, dass die im Gesellschaftsinteresse gebündelten A n teilseignerinteressen im Vordergrund stehen und im Zweifel den V o r r a n g haben müssten 7 1 . W i e d e r andere wollen neben den Anteilseignerinteressen auch den Gläubigerinteressen V o r r a n g zubilligen 7 2 . Häufig ist zudem zu lesen, dass die verschiedenen Interessen i.S. „praktischer K o n k o r d a n z " gegeneinander abzuwägen seien 7 3 . Was damit im Konfliktfall k o n k r e t gemeint ist, bleibt allerdings dunkel. Angesichts dieser Unklarheiten überrascht es nicht, dass sich gerade in neuerer Zeit wieder die Stimmen mehren, die einer Verhaltensmaxime Unternehmensinsack, in: Ulmer/Habersack/Henssler, MitbestR, § 25 MitbestG Rdn. 93 ff. Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) spricht an verschiedenen Stellen von einer Bindung des Vorstands und des Aufsichtsrats an das „Unternehmensinteresse"; vgl. Präambel (Abs. 6) und Ziff. 4.1.1, 4.3.3, 5.5.1; dazu v. Werder, in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, DCGK, Rdn. 352 ff. 64 Vgl. etwa U.H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, §43 Rdn. 60 ff.; für die mitbestimmte GmbH auch Koppensteiner, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 37 Rdn. 29; Ulmer/ Habersack, in: Ulmer/Habersack/Henssler, MitbestR, § 30 MitbestG Rdn. 22. 65 § 70 Abs. 1 AktG 1937 lautete: „Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten, wie das Wohl des Betriebs und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es fordern." 66 So etwa O L G Hamm AG 1995, 512 (514); Mertens, in: Kölner Komm. AktG, §76 Rdn. 16; Hüffer, AktG, § 76 Rdn. 12; G. Wiesner, in: MünchHdb. AG, § 19 Rdn. 18. 67 Hopt, in: Großkomm. AktG, § 93 Rdn. 87; Herne, BB 2000, 209 (212); M. Roth, Unternehmerisches Ermessen, S. 23. 68 Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack/Henssler, MitbestR, § 25 MitbestG Rdn. 94. 69 Kort, in: Großkomm. AktG, § 76 Rdn. 55. 70 Hüffer, AktG, § 76 Rdn. 12; Mertens, in: Kölner Komm. AktG, § 76 Rdn. 16 71 Hopt, in: Großkomm. AktG, §93 Rdn. 87 Fn.270; Kort, in: Großkomm. AktG, §76 Rdn.64; U.H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, §43 Rdn.63; M. Roth, Unternehmerisches Ermessen, S. 26f. 72 Henze, BB 2000,209 (212). 73 Vgl. etwa Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S.52 Ii. Sp.; Hopt, ZGR 1993, 534 (536); Hüffer, AktG, § 76 Rdn. 12; Kort, in: Großkomm. AktG, § 76 Rdn. 64.
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3. Kapitel:
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Gleichbehandlungsgrundsatzes
teresse ablehnend gegenüber stehen. Stattdessen soll es - neben der Bindung an die geltenden Rechtsvorschriften und Verträge, die bereits eine gewisse Berücksichtigung von Arbeitnehmer- und Gemeinwohlbelangen sicherstellen - bei der B i n dung an das Gesellschaftsinteresse bewenden 7 4 . Zusammenfassend lassen sich drei Hauptansatzpunkte der K r i t i k am Unternehmensinteresse ausmachen: Z u m ersten - und besonders nahe liegend - wird die mangelnde Bestimmbarkeit des Unternehmensinteresses kritisiert 7 5 . Sie lasse befürchten, dass Entscheidungen nahezu unüberprüfbar würden, und drohe die Leitungsorgane in die Lage zu versetzen, unter dem D e c k m a n t e l des Unternehmensinteresses letztlich eigene Interessen zu verfolgen 7 6 . I m Ü b r i g e n seien die Leitungsorgane auch überfordert, wenn sie mehreren Interessen gleichzeitig dienen müssten 7 7 . Z u m zweiten stößt auf Bedenken, dass eine Bindung an das Unternehmensinteresse von ihren B e f ü r wortern zumeist nur für die Verwaltungsorgane angenommen wird, nicht aber für die Anteilseignerversammlung 7 8 . Bedenkt man, dass die K o m p e t e n z e n von Geschäftsleitung und Anteilseignerversammlung sogar im weitgehend zwingend ausgestalteten Aktienrecht in gewissen G r e n z e n austauschbar sind 7 9 und bei 74 Vgl. insbesondere Mülhert, ZGR 1997, 129 (147 ff., 156); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S.42ff.; Zöllner, AG 2000, 145 (146 f.); ders., AG 2003, 2 (7f.); grundlegend schon ders., Schranken, S. 67ff.; Kuhner, ZGR 2004,244 ff.; Birke, Formalziel, S. 155 ff., 198; v. Bonin, Shareholder Value, S. 88 ff.; Heiser, Interessenkonflikte, S. 93 ff. Vermittelnd Ulmer, AcP 202 (2002), 143 (157 ff.), der einerseits (zumindest bei nicht paritätisch mitbestimmten Gesellschaften) eine Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse ablehnt, andererseits aber die Leitungsorgane für berechtigt hält, sich nicht nur an der Gewinnerzielung auszurichten, sondern auch stakeholder-Interessen mit zu berücksichtigen; ähnlich Hefermehl/Spindler, in: MünchKomm. AktG, § 76 Rdn. 57 ff., 69 ff.; sowie zuletzt ausführlich Servatius, Strukturmaßnahmen, S. 38 ff., 71 ff. (mit erheblicher Eingrenzung der Nichtanteilseignerinteressen). 75 Jüngst etwa Servatius, Strukturmaßnahmen, S. 80 f.: „konturenloses Abwägungsgebot", „Leerformel". 76 Pointiert Birke, Formalziel, S. 162: „Gefahr einer kompletten Entlassung des Managements in die Verfolgung eigener Interessen." Vgl. auch das Ergebnis des in England eingesetzten Committee on Corporate Governance („Hampel Committee"); Final Report, Ziff. 1.18: „... to redefine the directors' responsibilities in terms of the stakeholders would mean identifying all the various stakeholder groups; and deciding the extent and nature of the directors' responsibility to each. The result would be that the directors were not effectively accountable to anyone since there would be no clear yardstick by which to judge their performance. This is a recipe neither for good governance nor for corporate success." S. nunmehr auch sec. 156 (1) des Entwurfs eines Company Law Reform Bill Bill (Stand: 1.11.2005): Oberstes Ziel ist die Gewinnmaximierung, also die Orientierung an Anteilseignerinteressen („success of the company for the benefit of its members as a whole"); in Verfolgung dieses Ziels sollen aber auch Nichtanteilseignerinteressen mitzuberücksichtigen sein. 77 Vgl. Birke, Formalziel, S. 162, unter Hinweis auf wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere das sog. j4rrows-Unmöglichkeitstheorem; zuvor auch schon Zöllner, AG 2003,2 (8) („too many masters"-Argument). 78 Vgl. die Nachw. in Fn. 63-64. Anders aber T. Raiser, FS R. Schmidt, S. 101 (115), und Reuter, AcP 179 (1979), 509 (510 f.), die auch die Anteilseigner dem Unternehmensinteresse verpflichtet sehen. 79 Vgl. etwa §§119 Abs. 2,111 Abs. 4 Satz 3 AktG (Vorlage von Geschäftsführungsfragen an die Hauptversammlung), §§202 Abs. 1, 203 Abs. 2 Satz 1, 204 Abs. 1 AktG (Übertragung
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von Ungleichbehandlungen
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zahlreichen Maßnahmen Geschäftsleitung und Anteilseignerversammlung zusammenwirken müssen, spricht mehr dafür, von einer einheitlichen Bindung aller Organe auszugehen 80 . Konsequenterweise müsste also auch die Anteilseignerversammlung auf das Unternehmensinteresse verpflichtet werden; diese weitreichende Konsequenz wird von den meisten Anhängern des Unternehmensinteresses indes gescheut. Zum dritten schließlich wird bezweifelt, ob sich im geltenden Recht eine hinreichende Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse finden lässt 81 . Während sich das Gesellschaftsinteresse auf den durch privatautonomen Akt der Gründer gesetzten Verbandszweck zurückführen lässt, ist der Geltungsgrund des Unternehmensinteresses in der Tat fraglich. Sofern eine Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse auf die angebliche Fortgeltung des § 70 Abs. 1 AktG 1937 gestützt wird, erscheint dies wenig überzeugend, zumal die zur Begründung bemühten Gesetzesmaterialien zu § 76 AktG 8 2 für die Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse nichts Zwingendes hergeben 83 . Ebenso fragwürdig wäre es, eine Verpflichtung auf Nichtanteilseignerinteressen unmittelbar aus dem Verfassungsrecht herleiten zu wollen, namentlich aus der Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) oder dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) 84 . In der Rechtsprechung des BVerfG ist anerkannt, dass das Grundgesetz kein bestimmtes wirtschaftspolitisches System vorschreibt 85 . Mit diesem Ausgangspunkt wäre es schwerlich vereinbar, dass ausgerechnet die hier interessierende Frage verfassungsrechtlich prädetermivon Kompetenzen der Hauptversammlung auf Vorstand und Aufsichtsrat). Weitere Beispiele bei Mülbert, ZGR 1997, 141 (146 f.); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 44 ff.; Birke, Formalziel, S. 146 ff. 80 Vgl. Mülbert, ZGR 1997, 141 (146 f.); Zöllner, AG 2000, 145 (146 mit Fn.21); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 9 f f , 44 ff.; Birke, Formalziel, S. 148 f. 81 Ablehnend mit ausführlicher Begründung Mülbert, ZGR 1997, 129 (147 ff.); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 46 ff.; Birke, Formalziel, S. 169 ff., 195; Servatius, Strukturmaßnahmen, S. 51 ff., hält eine Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse sogar für verfassungswidrig, da sie die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Privatnützigkeit des Anteilseigentums missachte. 82 Vgl. insbesondere den Ausschussbericht zu § 76 AktG bei K r o p f f , AktG 1965, S. 97f. 83 So zuerst Rittner, FS Geßler, S. 139 (142 ff.); eingehend Schmidt-Leithoff, Unternehmensleitung, S. 9 ff., 31 ff.; Mülbert, ZGR 1997,129 (147ff.); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 46 ff.; Birke, Formalziel, S. 171 ff.; Harbarth, Anlegerschutz, S. 141 ff.; Heiser, Interessenkonflikte, S. 140 ff. Selbst wenn es anders wäre, bliebe fraglich, ob nicht die Berufung auf die Entstehungsgeschichte des § 76 AktG durch neuere Entwicklungen, insbesondere die Einführung des KonTraG im Jahr 1998 und die damit beabsichtigte stärkere Ausrichtung auf die Steigerung des Unternehmenswerts (vgl. Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 11 Ii. Sp.) zwischenzeitlich überholt ist; dies bejaht Ulmer, AcP 202 (2002), 143 (158 f.). 84 Für Ersteres aber vor allem Rittner, FS Geßler, S. 139 (145 f f ) ; Schmidt-Leithoff, Unternehmensleitung, S. 155 ff.; für Letzteres etwa Baas, Leitungsmacht, S. 85 ff. 85 St. Rspr. des BVerfG; vgl. etwa die Ausführungen im Mitbestimmungsurteil, BVerfGE 50,290 (336 ff.).
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3. Kapitel:
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Gleichbehandlungsgrundsatzes
niert sein soll 8 6 . E h e r schon ließe sich eine Verpflichtung auf das U n t e r n e h m e n sinteresse aus den V o r s c h r i f t e n über die unternehmerische M i t b e s t i m m u n g ( M i t b e s t G , B e t r V G 1952, M o n t a n - M i t b e s t G ) ableiten 8 7 . U n k l a r bleibt d a n n aber, w a r u m auch f ü r nicht m i t b e s t i m m t e Gesellschaften eine B i n d u n g an das Unternehmensinteresse postuliert wird. F e r n e r k ö n n t e so allenfalls die B e r ü c k sichtigung von Arbeitnehmerinteressen begründet werden, aber keine B i n d u n g an Belange des G e m e i n w o h l s oder der Gläubiger. A b e r selbst in B e z u g auf die Arbeitnehmerinteressen ist der Verweis auf die unternehmerische M i t b e s t i m m u n g letztlich nicht zwingend 8 8 . G e w i s s soll die Partizipation der A r b e i t n e h mer i m Aufsichtsrat sicherstellen, dass auch A r b e i t n e h m e r b e l a n g e b e r ü c k s i c h tigt werden. D a s bedeutet aber n o c h nicht, dass damit die Verfolgung von A r beitnehmerinteressen z u m eigentlichen Ziel der U n t e r n e h m u n g erhoben würde. M i t der Beteiligung der A r b e i t n e h m e r im Aufsichtsrat lässt sich vielmehr auch die D e u t u n g vereinbaren, dass die B e r ü c k s i c h t i g u n g der A r b e i t n e h m e r i n t e r e s sen lediglich ein M i t t e l zu dem Ziel sein soll, das Gesellschaftsinteresse zu f ö r dern; denn die i m Gesellschaftsinteresse liegende E r t r a g s m a x i m i e r u n g lässt sich langfristig nur erreichen, wenn dabei auch Belegschaftsbelange angemessen berücksichtigt werden 8 9 . V o r diesem H i n t e r g r u n d schließt es das M i t b e s t i m mungsrecht keineswegs aus, auch den m i t b e s t i m m t e n Aufsichtsrat als ein z w a r interessenpluralistisch zusammengesetztes, aber zielmonistisch konzipiertes Gesellschaftsorgan anzusehen, das allein dem Gesellschaftsinteresse verpflichtet ist 9 0 .
b) Unternehmensinteresse als für Ungleichbehandlungen?
Rechtfertigungsgrund
I m vorliegenden Z u s a m m e n h a n g k a n n und muss der vorstehend skizzierten Streitfrage nicht in jeder H i n s i c h t nachgegangen werden. V o n Interesse ist hier nur die Frage, ob es der Gesellschaft offen steht, Ungleichbehandlungen ihrer Gesellschafter aus G r ü n d e n zu rechtfertigen, die nicht im Gesellschaftsinteresse, w o h l aber im Unternehmensinteresse liegen. Solche Fälle sind selten, da in vielen Fällen Gesellschafts- und Unternehmensinteresse in dieselbe R i c h t u n g weisen. S o bestreiten auch die K r i t i k e r des Unternehmensinteresses nicht, dass sich die im Gesellschaftsinteresse liegende G e w i n n m a x i m i e r u n g langfristig nur 86 Ablehnend auch Miilbert, ZGR 1997,129 (149 f.); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 53 ff.; v. Bonin, Shareholder Value, S. 104 ff.; Birke, Formalziel, S. 190 ff. 87 So etwa T. Raiser, FS R. Schmidt, S.101 (114 ff.); Reuter, AcP 179 (1979), 509 ff.; vgl. auch Hopt, ZGR 1993, 534 (536). 88 Ausführlich Mülbert, ZGR 1997, 129 (151 ff.); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 50 ff.; v. Bonin, Shareholder Value, S. 101 ff.; Birke, Formalziel, S. 174 ff. 89 Mülbert, ZGR 1997, 129 (153 Fn.92); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S.51 f. 90 Mülbert, ZGR 1997,129 (156); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 51 f.
5 12 Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
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unter Beachtung von Belegschafts- und Kundeninteressen sowie des Erscheinungsbilds in der Öffentlichkeit erreichen lässt 91 . Umgekehrt erkennen selbstverständlich auch die Anhänger des Unternehmensinteresses an, dass die Gesellschaft ohne eine befriedigende Ertragssituation nicht in der Lage ist, Mittel für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen oder soziale Zwecke aufzubringen92. Gleichwohl lässt sich nicht leugnen, dass Zielkonflikte bestehen bleiben 93 . Man denke nur an eine bevorstehende Übernahme, die aller Voraussicht nach einerseits einen gravierenden Stellenabbau, andererseits aber eine Steigerung der Ertragskraft zur Folge hätte. Aus Sicht des Gesellschaftsinteresses könnten Ungleichbehandlungen zur Abwehr einer solchen Übernahme, etwa die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss, nicht gerechtfertigt werden. Aus Sicht des Unternehmensinteresses ist die Frage dagegen davon abhängig, wie stark man die Arbeitnehmerinteressen gewichtet. Richtigerweise wird man die Möglichkeit, Ungleichbehandlungen durch ein vom Gesellschaftsinteresse divergierendes Unternehmensinteresse zu rechtfertigen, verneinen müssen. Nach dem Gesagten ist schon überaus zweifelhaft, ob ein Unternehmensinteresse überhaupt anzuerkennen ist. Selbst wenn man aber ein Unternehmensinteresse anerkennt, wird man nicht so weit gehen können, den Nichtanteilseignerinteressen gegenüber dem Interesse der Gesellschafter an Gleichbehandlung den Vorrang einzuräumen. Die Anhänger des Unternehmensinteresses gestehen überwiegend selbst zu, dass im Konfliktfall die Anteilseignerinteressen im Vordergrund stehen müssen 94 . Betrachtet man die Fallgruppen, die für die Berücksichtigung des Unternehmensinteresses ins Feld geführt werden (Sponsoring und Spenden für soziale, politische, kulturelle oder ähnliche Zwecke; sozialpolitisch orientierte Standortentscheidungen, z.B. für den Verbleib in einer strukturschwachen Region; Beteiligung an Entschädigungsfonds und dergleichen 95 ), so zeigt sich, dass es den Befürwortern des Unternehmensinteresses letztlich nur darum geht, die Bindung der Geschäftsleiter an das Ziel der Gewinnmaximierung zu lockern, um Exzesse einer reinen Gewinnmaximierung zu vermeiden und den Geschäftsleitern einen größeren Spielraum für die Wahrnehmung der sozialen Verantwortung der Gesellschaft gegenüber der Belegschaft und der Allgemeinheit zu geben 96 . Dagegen wird in Vgl. etwa Mülbert, ZGR 1997,129 (139). Vgl. nur Mertens, in: Kölner Komm. AktG, § 76 Rdn. 19. 93 Vgl. zuletzt etwa Kuhner, ZGR 2004, 244 (270 f.); v. Werder, in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, DCGK, Rdn. 353 m.w.Nachw. 94 Nachw. oben Fn. 71. 95 S. die Fallgruppen bei Kort, in: Großkomm. AktG, §76 Rdn. 65 ff. 96 Ob dies wirklich nötig ist, ist allerdings fraglich. Die genannten Aktivitäten wären in angemessenem Umfang wohl auch mit einer ausschließlichen Orientierung am Gesellschaftsinteresse vereinbar, sofern sie langfristig die Sozialakzeptanz und damit mittelbar auch die Position des Unternehmens am Markt zu stärken geeignet sind; vgl. auch Zöllner, AG 2003, 2 (8 re. Sp.). 91
92
270
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
keiner der behandelten Fallgruppen erwogen, dass dieser erweiterte Spielraum auch dazu genutzt werden könne, Nichtanteilseignerinteressen gegenüber dem Interesse der Gesellschafter an Gleichbehandlung den Vorrang einzuräumen. Dies wäre auch überaus bedenklich, da sich angesichts des großen Spektrums von Nichtanteilseignerinteressen sehr häufig irgendein Interesse finden ließe, das vorgeschoben werden könnte, um in Wahrheit Partikularinteressen der bevorzugten Gesellschafter gegen die der übervorteilten Gesellschafter durchzusetzen. Dem eigentlichen Anliegen der Befürworter des Unternehmensinteresses, den Gesellschaftsorganen eine Wahrnehmung der sozialen Verantwortung der Gesellschaft zu ermöglichen, ist bereits (mehr als) Rechnung getragen, wenn man die Bindung der Gesellschaftsorgane an das Gesellschaftsinteresse lockert, um ihnen die geschilderten sozialen Aktivitäten zu ermöglichen. Man muss nicht noch einen Schritt weiter gehen und ihnen auch erlauben, soziale Aktivitäten auf Kosten der Gleichbehandlung der Gesellschafter zu fördern. Sofern die Gesellschaftsorgane soziale Zwecke verfolgen, müssen sie daher darauf achten, dass die Lasten von allen Gesellschaftern gleichmäßig getragen werden; eine Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen durch Nichtanteilseignerinteressen ist abzulehnen97. 3. Artikulation des Gesellschaftsinteresses durch die Gesellschaftsorgane Ermessensspielraum und Ermessensentzug a)
-
Ausgangspunkt
Die tatsächliche Feststellung, ob eine Maßnahme dem Gesellschaftsinteresse in dem oben definierten Sinn dient oder nicht, ist häufig schwierig. Sie hängt regelmäßig von der Einschätzung künftiger Umstände ab, die notgedrungen mit Unsicherheiten behaftet ist. Die Meinungen, was dem Gesellschaftsinteresse dient, werden daher aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht98 selbst unter sachkundigen, objektiven Beobachtern nicht selten auseinander gehen. Vor diesem Hintergrund kommt der Frage der Prüfungsintensität eminente Bedeutung zu: Gewährt man den Gesellschaftsorganen bei der Artikulation des Gesellschaftsinteresses einen Ermessensspielraum, führt dies dazu, dass ein vergleichsweise breites Spektrum an Maßnahmen als dem Gesellschaftsinteresse dienlich anzusehen ist. Der von der Gesellschaft zu führende Beweis, dass die Ungleichbe97 Ebenso in Bezug auf Gemeinwohlinteressen Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 14; Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 13; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 71. 98 Entscheidend ist unstreitig die Beurteilung im Zeitpunkt der Vornahme der Maßnahme; vgl. BGHZ 71, 40 (49): „nach dem tatsächlichen Bild, wie es sich zur Zeit der Beschlussfassung darbot"; ferner die umfangreichen Nachw. bei Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 139 f.
§ 12 Sachliche Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
271
handlung im Gesellschaftsinteresse liegt, wird dann verhältnismäßig leicht zu führen sein. Unterwirft man die Vereinbarkeit mit dem Gesellschaftsinteresse dagegen einer (ggf. durch Sachverständige unterstützten) vollumfänglichen judiziellen Kontrolle, wird den Gesellschaftsorganen die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen erheblich erschwert. Sofern die Frage im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes behandelt wird, sprechen sich Rechtsprechung und Literatur überwiegend ohne nähere Differenzierung für erstere Lösung aus: Den Gesellschaftsorganen soll hinsichtlich der Artikulation des Gesellschaftsinteresses ein Ermessensspielraum zukommen, innerhalb dessen die Entscheidung nicht gerichtlich überprüfbar sei". In dieselbe Richtung weisen die zahlreichen Stimmen in der Literatur, die die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen für identisch halten mit den Anforderungen, die im Rahmen der Lehre vom sachlichen Grund anerkannt sind 100 . Dort haben die Gerichte unter weitgehender Zustimmung des Schrifttums 1 0 1 bereits seit längerem entsprechende Ermessensspielräume anerkannt. So heißt es in der „Kali und Salz"-Entscheidung ausdrücklich, es sei nicht Aufgabe des Gerichts, seine eigene wirtschaftliche Beurteilung an die Stelle derjenigen der Gesellschaftsorgane zu setzen. Das Gesellschaftsinteresse sei als gewahrt anzusehen, wenn die an der Entscheidung beteiligten Organe in „von gesellschaftsfremden Erwägungen freier Abwägung davon ausgehen durften, die [Maßnahme] sei zum Besten der Gesellschaft." 102 In weiteren Entscheidungen heißt es noch deutlicher, dass sich die Gerichte auf eine „Plausibilitätskontrolle" zu beschränken hätten; der Gesellschaft müsse ein „gerichtlich nicht nachprüfbarer Kernbereich unternehmerischen Beurteilungsermessens" verbleiben 103 . Diesem Ausgangspunkt ist insoweit zuzustimmen, als auch im Rahmen der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen die Anerkennung eines Ermessensspielraums der Gesellschaftsorgane hinsichtlich der Formulierung des Gesell9 9 Vgl. B G H Z 111,224 (227); O L G Köln ZIP 2001,2049 (2051); Michalski, in: Michalski, GmbHG, §13 Rdn. 130; Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S.94; früher auch schon G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 196; Grüter, Gleichbehandlung, S. 74 f. mit Fn. 46. 100 So die h.L. (Nachw. oben §2 Fn. 125). 101 Vgl. etwa Hüffer, AktG, §186 Rdn. 36; Lutter, Kölner Komm. AktG, §186 Rdn. 61; ders., Z G R 1979,401 (405,407); Peifer, in: MünchKomm. AktG, § 186 Rdn. 73; Dreher, Z H R 158 (1994), 614 (628 f.); Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 80; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 90 f. Für einen differenzierenden Ansatz - Ermessensspielraum nur unter den Voraussetzungen der business judgment rule und damit insbesondere nur bei Fehlen eines Interessenkonflikts - vgl. die Nachw. in Fn. 121-122; dazu sogleich unter lit. b und c. 102 B G H Z 71, 40 (50); vgl. auch B G H Z 125, 239 (246); B G H Z 136, 133 (139), die jeweils das unternehmerische Ermessen der Gesellschaftsorgane betonen. 103 So übereinstimmend O L G Stuttgart AG 1998, 529 (531); O L G Braunschweig AG 1999, 84 (86) (jeweils zur sachlichen Rechtfertigung beim Bezugsrechtsausschluss). Vgl. auch O L G Düsseldorf, DB 1996, 974 f. (zur Beschlussfassung einer GmbH-Gesellschafterversammlung über Maßnahmen der Geschäftsführung)
272
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
schaftsinteresses grundsätzlich in B e t r a c h t k o m m t . E s b e d a r f aber jeweils sorgfältiger P r ü f u n g , o b die Voraussetzungen, die an die A n e r k e n n u n g eines gerichtlich nicht ü b e r p r ü f b a r e n Ermessensspielraums zu stellen sind, im Einzelfall tatsächlich erfüllt sind. D a r a n wird es, wie sogleich näher darzulegen ist, gerade bei Ungleichbehandlungen nicht selten fehlen.
b) Entscheidungen der
Geschäftsleiter
N i c h t ernstlich bestreitbar ist dies zunächst f ü r Ungleichbehandlungen, die nicht von der Anteilseignerversammlung, sondern von der Geschäftsleitung ausgehen. F ü r unternehmerische Entscheidungen der Geschäftsleiter ist im B e reich der L e i t u n g s h a f t u n g anerkannt, dass ihnen ein Ermessensspielraum nur unter den Voraussetzungen zusteht, die die R e c h t s p r e c h u n g 1 0 4 in A n l e h n u n g an die U S - a m e r i k a n i s c h e business
judgment
ruleVA
entwickelt hat und die nun-
m e h r in § 93 A b s . 1 Satz 2 A k t G in der Fassung des U M A G auch gesetzlich verankert sind 1 0 6 . E i n gerichtlich nicht überprüfbarer (und damit haftungsfreier) Ermessensspielraum besteht danach nur, w e n n das handelnde Vorstandsmitglied „bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der G r u n d l a g e angemessener I n f o r m a t i o n z u m W o h l e der G e sellschaft zu handeln." Entsprechendes gilt, wenngleich die Regelung nur im A k t G vorgesehen ist, auch f ü r G m b H - G e s c h ä f t s f ü h r e r 1 0 7 . 104 Gipfelnd in B G H Z 135, 244 (253 f.) („ARAG/Garmenbeck") (AG); hierauf Bezug nehmend auch B G H Z 152,280 (284) (GmbH). 105 Vgl. §4.01 (c) der Principles of Corporate Governance des American Law Institute (ALI):
„A director or officer who makes a business judgment in good faith fulfills the duty under this Section if the director or officer: (1) is not interested [§1.23] in the subject of the business judgment; (2) is informed with respect to the subject of the business judgment; (3) rationally believes that the business judgment is in the best interests of the corporation." Umfassend zur business judgment rule in den USA Block/Barton/Radin, Business Judgment Rule (1998); aus dem deutschen Schrifttum etwa Abeltshauser, Leitungshaftung, S. 130 ff.; M. Becker, Verwaltungskontrolle, S. 263 ff.; Keßler, FS Baumann, S. 153 ff.; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 151 ff.; ders., AG 2004, 245 ff.; monographisch Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung. 106 Zur Einführung des §93 Abs. 1 Satz 2 AktG n.F., der im Wesentlichen die bisherige Rechtsprechung fortschreibt, etwa C. Schäfer, ZIP 2005, 1253 ff.; S.H. Schneider, DB 2005, 707 ff.; Schütz, NZG 2005, 5 (5 f.); Weiss/Buchner, WM 2005,162 ff.; zum Referentenentwurf auch schon Fleischer, ZIP 2004, 685 ff.; Ihrig, WM 2004, 2098ff.; Paefgen, AG 2004, 245 ff.; M. Roth, BB 2004, 1066 ff.; Seibert/Schütz, ZIP 2004, 252 (254). Kritisch zur business judgment rule in ihrer derzeitigen Fassung neuerdings Lohse, Unternehmerisches Ermessen, passim. 107 Vgl. Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12 Ii. Sp. („nicht auf die Aktiengesellschaft beschränkt"); Fleischer, ZIP 2004, 685 (692); zur Übertragbarkeit der „ARAG/
§ 12 Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
273
Die Bedeutung der business judgment rule beschränkt sich - wie bereits ihre Verortung in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG anstatt in § 93 Abs. 2 AktG nahe legt nicht darauf, das Organmitglied vor Haftung zu schützen 108 . Die Anerkennung eines geschützten Ermessensspielraums dient nämlich nicht nur dem Anliegen, einer übertriebenen Risikoscheu der Organmitglieder aus Furcht vor Haftungsrisiken entgegenzuwirken 109 , sondern auch auf der Überlegung, dass unternehmerische (Prognose-) Entscheidungen von den Gerichten nur unter großen Schwierigkeiten auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gesellschaftsinteresse überprüfbar sind und somit auch bei vollumfänglicher judizieller Kontrolle ein erhebliches Irrtumsrisiko verbleibt 110 . Die gerichtliche Kontrolle soll daher auf Fälle beschränkt bleiben, in denen es an bestimmten Grundvoraussetzungen fehlt, die eine Mindestgewähr für die Wahrung des Gesellschaftsinteresses bieten. Erkennt man diesen Zusammenhang, wird deutlich, dass der business judgment rule neben der Begrenzung der Haftungsrisiken auch die Funktion zukommt, im Rahmen etwaiger Gesellschafterklagen gegen Verwaltungshandeln die getroffene Organentscheidung selbst in ihrem Bestand zu schützen 111 . Mit Recht wird insoweit von einer „Doppelfunktion" der business judgment rule gesprochen 112 . Vor diesem Hintergrund wird klar, dass sie auch im Rahmen von Gesellschafterklagen, die sich auf die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Geschäftsleiter stützen, zu beachten ist 113 . Liegen ihre Voraussetzungen vor, steht der Verwaltung bei der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen also in der Tat ein Ermessensspielraum hinsichtlich der ArtikulaGarmenbeck"-Grundsätze auf die GmbH auch schon BGHZ 152, 280 (284); Hommelhoff/ Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, §43 Rdn. 14; U.H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, §43 Rdn. 45aff.; Ulmer, ZHR 163 (1999), 290 (298 Fn.28). 108 Vgl. Begr. RegE U M A G , BT-Drucks. 15/5092, S. 12 Ii. Sp.: „Der Grundgedanke eines Geschäftsleiterermessens im Bereich unternehmerischer Entscheidungen ist nicht auf den Haftungstatbestand des § 93 AktG (...) beschränkt." 109 Zu diesem Gesichtspunkt Fleischer, FS Wiedemann, S. 827 (829 f.); ders., ZIP 2004,685 (685 f.); Goette, FS 50 Jahre BGH, S. 123 (126); Paefgen, AG 2004, 245 (247); M. Roth, Unternehmerisches Ermessen, S.21 ff., 30; sowie für die USA Block/Bartin/Radin, Business Judgment Rule, S. 12 ff. 110 Vgl. Fleischer, FS Wiedemann, S.827 (831 f.); ders., ZIP 2004, 685 (686), unter Betonung der Schwierigkeit für die Richter, sich expost noch in die maßgebliche ex-ante-Sicht der Geschäftsleiter hineinzuversetzen (sog. hindsight bias)', Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 151 f., 176f.; ders., AG 2004, 245 (247f.); Abeltshauser, Leitungshaftung, S. 130 f.; Hopt, in: Großkomm. AktG, §93 Rdn. 83; Block/Barton/Radin, Business Judgment Rule, S. 15ff. 111 In den USA ist dies seit langem anerkannt. Vgl. § 8.31 Revised Model Business Corporation Act, Official Comment, Note on the Business Judgment Rule (abgedr. bei Eisenberg, Corporations, S.765), wo hinsichtlich der business judgment rule unterschieden wird zwischen „that part which protects directors from liability and the part which protects the decision itself from attack." 112 Paefgen, AG 2004, 245 (249 f.). 113 Ebenso Paefgen, AG 2004, 245 (250), der ausdrücklich auch auf Fälle des § 53a AktG Bezug nimmt.
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
tion des Gesellschaftsinteresses zu. Liegen ihre Voraussetzungen aber nicht vor, dann unterliegt die Frage, o b die getroffene M a ß n a h m e (aus ex-ante-Sicht)
dem
Gesellschaftsinteresse entspricht, vollumfänglicher gerichtlicher U b e r p r ü f u n g . I n diesem Fall k o m m t das G e r i c h t u m eine eigene wirtschaftliche B e u r t e i l u n g , ggf. unter H e r a n z i e h u n g von Sachverständigen, nicht u m h i n 1 1 4 . Wendet man somit die business judgment
rule an, so ist hervorzuheben, dass
die G e w ä h r u n g eines geschützten Ermessensspielraums neben den in § 93 Abs. 1 Satz 2 A k t G ausdrücklich genannten Erfordernissen (unternehmerische E n t scheidung; Gutgläubigkeit, dass die M a ß n a h m e dem Gesellschaftsinteresse dient; Handeln auf der Grundlage angemessener Information) anerkanntermaßen auch davon abhängt, dass das Handeln „unbeeinflusst von Interessenkonflikten, Fremdeinflüssen und ohne unmittelbaren Eigennutz" ist 1 1 5 . Diese Voraussetzung gilt es bei der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen besonders zu beachten. A n ihr fehlt es, wenn die Geschäftsleiter sich selbst oder nahe stehende D r i t t e i.S. der oben (§ 11 II 3) entwickelten Zurechnungsregeln bevorzugen 1 1 6 . Dasselbe muss aber auch gelten, wenn die Geschäftsleiter den Mehrheitsgesellschafter oder andere maßgeblich beteiligte Gesellschafter bevorzugen, die Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Geschäftsleitung haben 1 1 7 . U n t e r solchen U m s t ä n den kann nicht angenommen werden, dass die Geschäftsleiter unbefangen ausschließlich im Gesellschaftsinteresse handeln. Auch in den U S A ist daher anerkannt, dass ein die business judgment
rule ausschaltender Interessenkonflikt
gegeben ist, wenn die Entscheidung eine Person begünstigt, die einen kontrollierenden Einfluss („Controlling influence") auf die Geschäftsleiter hat 1 1 8 .
c) Entscheidungen
der
Anteilseignerversammlung
aa) Weniger klar ist die Rechtslage bei Entscheidungen der Anteilseigner in der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung. D i e F i g u r des unternehmerischen Ermessens der Anteilseignerversammlung ist in Rechtsprechung und Literatur 114 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 176, 250 f. („vollinhaltliche Opportunitätskontrolle"); ders., AG 2004, 245 (249); M. Roth, Unternehmerisches Ermessen, S. 87. In den USA spricht man anschaulich vom „entire fairness test"; vgl. Block/Barton/Radin, Business Judgment Rule, S.28 ff.; Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung, S. 167ff.; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 168 f. 115 Vgl. Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11 re. Sp: Von einer ausdrücklichen Aufnahme dieser Voraussetzung in den Gesetzestext wurde nur deshalb abgesehen, weil sie sich implizit bereits aus der im Normtext angesprochenen Gutgläubigkeit ergebe. In der Regel dürfe nämlich nur derjenige annehmen, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln, der sich bei seiner Entscheidung von den beschriebenen Einflüssen frei wisse. 116 Vgl. auch Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11 re. Sp. 117 Ebenso Zöllner, AG 2002, 585 (587 a.E.). 118 Vgl. §4.01 (c) (1) i.V.m. § 1.23 (a) (4) der Principies of Corporate Governance des ALI. Gleiches ist auch in der Gerichtspraxis ist anerkannt; Uberblick über die einschlägige Rechtsprechung bei Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung, S. 60 ff.
§ 12 Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
275
- verglichen mit dem für die Geschäftsleiter erreichten Entwicklungsstand bislang dogmatisch unterentwickelt. Die Rechtsprechung hat zwar, wie dargelegt119, verschiedentlich Ermessensspielräume der Anteilseignerversammlung hinsichtlich der Artikulation des Gesellschaftsinteresses anerkannt. Jedoch haben sich dabei, anders als im Bereich der nun in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifizierten business judgment rule für Geschäftsleiter, bislang keine festen Voraussetzungen herausgebildet, an deren Vorliegen die Zubilligung eines Ermessensspielraums für die Anteilseignerversammlung geknüpft wäre. Vielmehr wird pauschal von einem solchen Spielraum ausgegangen. Insbesondere soll dieser bei Beschlüssen der Anteilseignerversammlung - anders als bei Entscheidungen der Geschäftsleiter - offenbar nicht davon abhängen, dass die Entscheidung „unbeeinflusst von Interessenkonflikten, Fremdeinflüssen und ohne unmittelbaren Eigennutz" zustande gekommen ist. Im Fall „Kali und Salz" lag ein solcher Interessenkonflikt in der Person des Großaktionärs zweifellos vor, da das Bezugsrecht gerade zu seinen Gunsten ausgeschlossen wurde. Gleichwohl hat der BGH auch hier einen Ermessensspielraum anerkannt120. Diesen bislang eher bruchstückhaften Ansätzen zum unternehmerischen Ermessen der Anteilseignerversammlung bei der Konkretisierung des Gesellschaftsinteresses hat Paefgen unlängt ein in sich geschlossenes Konzept gegenübergestellt, das klare Voraussetzungen für die Anerkennung eines Ermessensspielraums formuliert. Die von Paefgen (im Anschluss an Zöllner121) für die AG ausführlich entwickelte - aber auch auf die GmbH übertragbare - Lösung besteht darin, die für Entscheidungen der Geschäftsleiter anerkannte business judgment rule als organübergreifende Regel zu verstehen und die dort geltenden Voraussetzungen der Anerkennung eines geschützten Ermessensspielraums auf Entscheidungen der Anteilseignerversammlung zu übertragen122. Ein Ermessensspielraum der Anteilseignerversammlung hinsichtlich der Artikulation des Gesellschaftsinteresses sei daher nur anzuerkennen, wenn die den Beschluss tragende Mehrheit sich in keinem Interessenkonflikt befinde und auch die weiteren Anforderungen der business judgment rule (namentlich die hinreichende Informiertheit der Entscheidung) gewahrt seien123. bb) Bei näherer Betrachtung kann in der Tat nicht zweifelhaft sein, dass zumindest dann, wenn die Anwendungsvoraussetzungen der business judgment rule (in entsprechender Anwendung) erfüllt sind, auch der Anteilseignerversammlung ein Ermessensspielraum zustehen muss. Dass sich der bei EntscheiS. die Nachw. in Fn. 102-103. Vgl. BGHZ 71, 40 (49f.). 121 Vgl. Zöllner, FS Kropff, S.333 (343); ders., AG 2000, 145 (153) („Der Grundgedanke [der business judgment rule] trifft auch auf Entscheidungen des Organs Hauptversammlung zu."); ders., AG 2002, 585 (587 f.). 122 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, insbes. S. 171-256; zustimmend Birke, Formalziel, S. 228; tendenziell auch Boese, Anwendungsgrenzen, S. 97. 123 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 183 ff., 222 ff. 119
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276
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
düngen der Geschäftsleiter herangezogene Gedanke der Begrenzung des Haftungsrisikos nicht in gleicher Weise auf Entscheidungen der Anteilseignerversammlung übertragen lässt124, steht dem nicht entgegen, da die business judgment rule wie dargelegt nicht allein diesem Anliegen dient, sondern auch die jeweilige Organentscheidung in ihrem Bestand schützt. Davon abgesehen wäre es auch ein merkwürdiges Ergebnis, wenn der Prinzipal (die Anteilseigner) engeren Bindungen unterläge als der Agent (die Geschäftsleiter). Fraglich kann deshalb nur sein, ob der Ermessensspielraum der Anteilseignerversammlung hinsichtlich der Artikulation des Gesellschaftsinteresses weiter reicht als derjenige der Geschäftsleiter, also u.U. auch in Situationen gegeben ist, in denen eine der Anwendungsvoraussetzungen der business judgment rule fehlt, wie dies der Rechtsprechung vorzuschweben scheint. Deutlich mehr spricht dafür, diese Frage mit Paefgen zu verneinen. Der Verbandszweck, aus dem sich das Gesellschaftsinteresse ableitet, ist für die Anteilseignerversammlung - sofern diese nicht den Zweck ändert, was nach h.M. nur einstimmig erfolgen kann 125 - ebenso verbindlich wie für die Geschäftsleiter. Vor allem aber trifft der die Gewährung des Ermessensspielraums tragende Gedanke, dass die vollumfängliche judizielle Kontrolle kein erhebliches Mehr an Richtigkeitsgewähr zu leisten vermag, auch bei Entscheidungen der Anteilseignerversammlung nur dann zu, wenn das Entscheidungsverfahren gewisse Voraussetzungen erfüllt, die eine Mindestgewähr für die Wahrung des Gesellschaftsinteresses bieten. Eben diese Voraussetzungen formuliert die business judgment rule. Es bietet sich daher in der Tat an, diese Voraussetzungen auch für die Eingrenzung des Ermessensspielraums der Anteilseignerversammlung fruchtbar zu machen, wie dies - zumindest in Ansätzen - auch in den USA geschieht126. Der Ansatz 124 Zumindest im Aktienrecht haben die Aktionäre (mit Ausnahme eines herrschenden Unternehmens, auf das die Sondervorschriften des Konzernrechts Anwendung finden) bisher keine großen Haftungsrisiken für ihr Stimmverhalten in der Hauptversammlung zu befürchten. Die Haftung der Aktionäre für gesellschaftsschädliches Stimmverhalten ist nach h.M. auf Vorsatz beschränkt, und zwar unabhängig davon, ob sie auf § 117 Abs. 1 AktG gestützt wird (was nach Aufhebung des § 117 Abs. 7 Nr. 1 AktG a.F. durch das U M AG möglich geworden ist) oder auf die Haftung aus Treuepflichtverletzung; vgl. vorerst nur B G H Z 129, 136 (162 ff.); Kropff, in: MünchKomm. AktG, §117 Rdn. 66 m.w.Nachw.; näher unten § 19 II 3 (dort auch zur Kritik an dieser Auffassung). 125 Vgl. statt vieler Pentz, in: MünchKomm. AktG, § 23 Rdn. 70; Lütter/Bayer, in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, §1 Rdn.20; jeweils m.w.Nachw. (§33 Abs. 1 Satz 2 B G B analog). Allerdings gilt dies nur vorbehaltlich vorrangiger Sonderregeln wie §293 Abs. 1 AktG oder, wenn man (wie hier) auch den Unternehmensgegenstand zum Verbandszweck zählt, §179 Abs. 2 AktG. 126 In Rechtsprechung und Literatur zur US-amerikanischen business judgment rule steht allerdings das Handeln der Geschäftsleiter ganz im Vordergrund (was mit Blick auf die weitreichenden Kompetenzen des board of directors sowie die Zulässigkeit der Aktionärsklage gegen die directors auch nicht verwunderlich ist; vgl. Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 183). Anwendungen desselben Grundgedankens auf Beschlüsse der Anteilseignerversammlung finden sich wesentlich seltener; s. aber immerhin Henn/Alexander, Corpora-
5 12 Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
U7
von Paefgen verdient nach alledem Beifall: Die Voraussetzungen der business judgment rule lassen sich sinngemäß auf Entscheidungen der Anteilseignerversammlung übertragen 127 . cc) Bringt man somit die business judgment rule sinngemäß auch auf Entscheidungen der Anteilseignerversammlung zur Anwendung, so kommt - wie schon bei Entscheidungen der Geschäftsleiter - im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor allem der Voraussetzung Bedeutung zu, dass die Entscheidungsträger unbeeinflusst von Interessenkonflikten gehandelt haben müssen. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn die Ungleichbehandlung in einem Sondervorteil für einzelne Gesellschafter (oder nahe stehende Dritte i.S.der oben entwickelten Zurechnungsregeln128) besteht und nicht auszuschließen ist, dass die Stimmen gerade dieser Gesellschafter das Beschlussergebnis beeinflusst haben 129 . Hier ist zu befürchten, dass die Entscheidung nicht das Gesellschaftsinteresse, sondern die Partikularinteressen der bevorzugten Gesellschafter zum Ausdruck bringt; es ist daher eine vollumfängliche judizielle Kontrolle der Vereinbarkeit mit dem Gesellschaftsinteresse geboten. tions, § 242 (S. 663), sowie sehr deutlich bereits Cole v. National Cash Credit Association, 156 A. 183 (188) (Del. Ch. 1931) (zum Anteilseignerbeschluss über einen merger): „The same presumption of fairness that supports the discretionary judgment of the managing directors must also be accorded to the majority of stockholders whenever they are called upon to speak for the corporation in matters assigned to them for decision... No rational ground of distinction can be drawn in this respect between the directors on the one hand and the majority shareholder on the other." 127 Allerdings wird man in Ergänzung zu den Ausführungen Paefgens folgende Präzisierung anfügen müssen, die freilich nicht speziell die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen betrifft und deshalb hier nur kurz zu streifen ist: Zu den Voraussetzungen der business judgment rule zählt auch, dass die Entscheidungsträger davon ausgehen durften, auf der Grundlage angemessener Information zu handeln (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). Uberträgt man diese Voraussetzung auf Entscheidungen der Anteilseignerversammlung, so wird man jedenfalls bei Aktiengesellschaften mit breit gestreutem Aktionärskreis nicht selten dazu gelangen, dass die Entscheidung auch auf Stimmen von Aktionären beruht, die mehr oder weniger uninformiert abgestimmt haben. Diese Möglichkeit liegt auch dann nahe, wenn alle Berichts- und Auskunftspflichten gegenüber der Hauptversammlung erfüllt wurden; denn das schließt nicht aus, dass insbesondere gering beteiligte (und damit in der Regel gering interessierte) Aktionäre die entsprechenden Informationen nicht näher zur Kenntnis genommen, geschweige denn sorgfältig ausgewertet haben. Dies scheint auf den ersten Blick dafür zu sprechen, in diesen Fällen die Voraussetzungen der business judgment rule zu verneinen und keinen Ermessensspielraum anzuerkennen. Einem derart weitgehenden Ermessensentzug ist jedoch entgegenzutreten: Zumindest dann, wenn (neben Einhaltung aller Berichts- und Auskunftspflichten) die Entscheidung der Hauptversammlung einem Beschlussvorschlag von Vorstand und/oder Aufsichtsrat folgt und der Beschlussvorschlag seinerseits den Anforderungen der business judgment rule genügt, wird man auch in den genannten Fällen eine hinreichende Richtigkeitsgewähr bejahen können, welche die Anerkennung eines Ermessensspielraums rechtfertigt. S. oben §11 113. Hingegen ist es unschädlich, wenn nur eine nicht entscheidungstragende Minderheit von dem Interessenkonflikt betroffen ist; ebenso Paefgen, AG 2004, 245 (253) (zu Kollektiventscheidungen des Vorstands). 128
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Liegt die Ungleichbehandlung dagegen in einem Sondernachteil, den einzelne Gesellschafter erleiden (wie z.B. bei einer Kapitalherabsetzung, die einzelne Gesellschafter zum Ausscheiden zwingt 130 ), so begründet dies allein noch nicht die Annahme, dass sich die den Beschluss tragende Mehrheit in einem Interessenkonflikt mit dem Gesellschaftsinteresse befindet 131 . Ein Interessenkonflikt besteht in dieser Fallgruppe nicht mit dem Gesellschaftsinteresse, sondern mit den mitgliedschaftlichen Interessen der benachteiligten Gesellschafter. Es besteht daher kein Anlass, in Zweifel zu ziehen, dass die Entscheidung der Mehrheit im Gesellschaftsinteresse liegt. Zu befürchten ist vielmehr erst, dass bei der Abwägung des Gesellschaftsinteresses mit den mitgliedschaftlichen Interessen der benachteiligten Gesellschafter auf letztere nicht hinreichend Rücksicht genommen worden ist. Eine intensivere judizielle Uberprüfung hat daher in diesen Fällen nicht auf der Ebene des Gesellschaftsinteresses anzusetzen - insoweit verbleibt es vielmehr bei dem Ermessensspielraum der Anteilseignerversammlung sondern erst bei dem nachfolgenden Prüfungsschritt der Abwägung des Gesellschaftsinteresses mit den Interessen der benachteiligten Gesellschafter 132 .
d) Fazit Die Frage, ob den Gesellschaftsorganen bei der Artikulation des Gesellschaftsinteresses ein Ermessensspielraum zukommt, ist nach alledem differenziert zu beantworten: Sie ist zu bejahen, wenn die Voraussetzungen der business judgment rule deutscher Prägung (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) erfüllt sind, und zu verneinen, wenn dies nicht der Fall ist. Das gilt nicht nur für Entscheidungen der Geschäftsleiter, sondern entsprechend auch für Beschlüsse der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung.
I I I . Das Interesse einzelner Gesellschafter als sachlicher Grund? 1. Fragestellung Mit der Feststellung, dass die Ungleichbehandlung im Gesellschaftsinteresse liegt, ist die Frage der Rechtfertigung noch nicht entschieden. Es bleibt zu fragen, ob das Gesellschaftsinteresse im konkreten Fall die beeinträchtgten mitZum Vorliegen einer Ungleichbehandlung in diesem Fall oben § 11 II 2 c bb bei Fn. 58. Anders liegt es erst, wenn der Mehrheit aus dem Nachteil der betroffenen Gesellschafter ein nennenswerter eigener Vorteil erwächst. 132 Dazu unten Ziff. IV. 130 131
§ 12 Sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen
279
gliedschaftlichen Interessen der benachteiligten Gesellschafter überwiegt. B e vor dieser Frage nachgegangen wird, ist jedoch zunächst zu untersuchen, ob nicht außer dem Gesellschaftsinteresse n o c h weitere sachliche G r ü n d e in B e tracht k o m m e n , die Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen vermögen. N ä h e r e B e t r a c h t u n g verdient dabei die Frage, ob nicht unter besonderen U m s t ä n d e n auch die Interessen einzelner Gesellschafter als sachlicher G r u n d f ü r die R e c h t fertigung einer Ungleichbehandlung angeführt werden können. Sofern diese Frage aufgeworfen wird, wird sie in aller Regel ohne U m s c h w e i f e verneint. Sonderinteressen einzelner Gesellschafter, so heißt es, seien für sich g e n o m m e n niemals imstande, Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen 1 3 3 . D i e s e auch im Ausland anerkannte 1 3 4 H a l t u n g ist allerdings in jüngerer Zeit auf K r i tik gestoßen 1 3 5 . Ausgangspunkt der K r i t i k ist die Ü b e r l e g u n g , dass die Gesellschafter eine Treuepflicht nicht nur gegenüber der Gesellschaft, sondern auch gegenüber den Mitgesellschaftern trifft. W e n n eine b e s t i m m t e Sonderbehandlung durch die Gesellschaft im legitimen Interesse eines Gesellschafters z w i n gend erforderlich sei, k ö n n e sich aus der Treuepflicht der Mitgesellschafter ergeben, dass diese die Ungleichbehandlung dulden müssten. W e n n aber die M i t gesellschafter zur D u l d u n g der Ungleichbehandlung verpflichtet seien, müsse damit auch das R e c h t der Gesellschaft korrespondieren, die Ungleichbehandlung d u r c h z u f ü h r e n . Daraus folge, dass auch Interessen einzelner Gesellschafter geeignet sein k ö n n t e n , Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen. I n B e t r a c h t k o m m e dies allerdings nur, w e n n den Interessen des bevorzugten Gesellschafters ein „besonderes U b e r g e w i c h t " z u k o m m e 1 3 6 .
2. Stellungnahme Bei näherer B e t r a c h t u n g zeigt sich indes, dass dieser K r i t i k nicht zu folgen ist. Sofern eine B e v o r z u g u n g eines Gesellschafters durch die Gesellschaft tatsächlich z u m Schutz seiner mitgliedschaftlichen Interessen zwingend erforderlich ist und die Treuepflicht der Gesellschafter diesen gebietet, die M a ß n a h m e zu dulden - so die Prämisse der K r i t i k - , ist keineswegs nur die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander betroffen. V i e l m e h r ist in derartigen Fällen stets
133 So ausdrücklich Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 13; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 14; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 71; Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, §13 Rdn. 105. Aus der Rechtsprechung vgl. etwa B G H Z 70, 117 (121) („im Gesamtinteresse des Unternehmens"); O L G Köln ZIP 2001,2049(2051). 134 Erörtert wird auch dort nur die sachliche Rechtfertigung im Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse; s. oben §7 I 2c (Frankreich), §7 III 2d (Niederlande, Osterreich, Schweiz). 135 Vgl. Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 69 f. (zum Personengesellschaftsrecht). 136 Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 70.
280
J. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
auch die Treuepflicht der Gesellschaft berührt 137 , aus der sich die Pflicht ergibt, „dem einzelnen Aktionär eine ungehinderte und sachgemäße Wahrnehmung seiner Mitgliedschaftsrechte zu ermöglichen und alles zu unterlassen, was dieses Recht beeinträchtigen könnte." 138 Wenn aber die Gesellschaft aufgrund ihrer Treuepflicht gehalten ist, einem bestimmten Gesellschafter eine besondere Behandlung zuteil werden zu lassen, so liegt es selbstverständlich auch im Gesellschafts'mteresse, dass diese Pflicht erfüllt wird, da die Gesellschaft sich andernfalls dem Risiko begründeter Schadensersatz- und sonstiger Ansprüche des betreffenden Gesellschafters aussetzen würde. Wenn etwa eine AG einem ihrer Aktionäre, der auf der Hauptversammlung Widerspruch erhoben hat, die seine Wortbeiträge betreffenden Ausschnitte aus der Tonbandaufzeichnung der Hauptversammlung zur Verfügung stellt, damit dem Aktionär eine sachgemäße Wahrnehmung seines Anfechtungsrechts ermöglicht wird, so liegt darin gewiss eine Ungleichbehandlung (Bevorzugung) dieses Aktionärs gegenüber anderen Aktionären. Aber diese Ungleichbehandlung dient schon deshalb dem Gesellschaftsinteresse, weil die Gesellschaft aufgrund ihrer Treuepflicht gehalten ist, sich so zu verhalten 139 . Es trägt nichts zur Problemlösung bei, wollte man hier davon sprechen, dass die Ungleichbehandlung (auch) aufgrund eines überwiegenden Interesses des Gesellschafters gerechtfertigt sei. Eine derartige Betrachtung verleitet nur zu dem Missverständnis, dass Partikularinteressen einzelner Gesellschafter generell geeignet seien, Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen. Dass dies nicht der Fall sein kann, folgt schon daraus, dass die Gesellschaftsorgane an den Verbandszweck gebunden sind und ihr Handeln deshalb an dem hieraus abgeleiteten Gesellschaftsinteresse und nicht an den Partikularinteressen einzelner Gesellschafter auszurichten haben. Stets sorgfältig zu prüfen ist aber, ob Belange einzelner Gesellschafter, die vordergründig als reine Partikularinteressen erscheinen, unter den Umständen des Einzelfalls von einer solchen Qualität sind, dass sie ihrerseits das Gesellschaftsinteresse beeinflussen. Insoweit gilt es, zwei Fallgruppen zu unterscheiden. Die erste Fallgruppe wurde bereits genannt: Es handelt sich um Fälle, in denen das Partikularinteresse eines Gesellschafters ausnahmsweise von einem solchen Gewicht ist, dass die Gesellschaft aufgrund ihrer Treuepflicht gebunden ist, dem Gesellschafter eine besondere Behandlung zuteil werden zu lassen. Bei dieser Sachlage liegt die Sonderbehandlung des Gesellschafters zumindest mittelbar im Interesse der Gesellschaft, da diese sich andernfalls Ansprüchen des Gesellschafters ausgesetzt sähe. Die zweite Fallgruppe umfasst Sachverhalte, in denen zwar kein Anspruch eines einzelnen Gesellschafters auf Sonderbehandlung besteht, in denen sich 137 Dies übersieht Hütte, da er zu Unrecht die Existenz einer Treuepflicht der Gesellschaft leugnet; vgl. Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 78 f., dazu bereits oben § 5 III 2. 138 BGHZ 127,107(111). 139 Vgl. BGHZ 127,107 (113 ff.).
§ 12 Sachliche Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
281
aber sein Partikularinteresse unmittelbar auf das Gesellschaftsinteresse auswirkt. In Betracht kommt dies bei Gesellschaften, die i.S. einer echten Mitarbeitergemeinschaft so stark vom gegenseitigen persönlichen Vertrauen geprägt sind, dass die Partikularinteressen einzelner Gesellschafter in ein „Interesse der Gesellschaft an ungetrübter Zusammenarbeit" umschlagen140. Ein anschauliches Beispiel aus der Praxis bildet die oben behandelte Leitentscheidung zum niederländischen Gleichbehandlungsgrundsatz141. Wie dargelegt hat der Höge Raad darin das Interesse mehrerer Gesellschafter an der Vermeidung persönlicher Steuernachteile als ausreichend angesehen, um eine Ungleichbehandlung zu Lasten der übrigen Gesellschafter zu rechtfertigen. Der Höge Raad hat dies jedoch nicht darauf gestützt, dass Partikularinteressen generell geeignet seien, Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen. Vielmehr hat er den besonderen Charakter der Gesellschaft hervorgehoben, bei der es sich um eine echte Mitarbeitergemeinschaft handelte, die von gegenseitigem persönlichen Vertrauen getragen war. Unter diesen Umständen hat der Höge Raad ein eigenes Interesse der Gesellschaft daran bejaht, zur Vermeidung schädlicher Spannungen innerhalb der Gesellschaft die steuerliche Situation der betroffenen Gesellschafter nicht unberücksichtigt zu lassen. Das niederländische Schrifttum ist dieser Entscheidung, soweit ersichtlich, einhellig gefolgt142. Sofern man sich bewusst macht, dass es sich dabei um eine Ausnahme handelt, die durch den besonderen Charakter der betroffenen Gesellschaft bedingt ist, ist gegen das gefundene Ergebnis auch aus deutscher Sicht nichts einzuwenden. 3. (Fehlende)
Beachtung
durch den
BGH
Dass der sachliche Grund, der zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung angeführt wird, dem Gesellschaftsinteresse dienen muss, wird allerdings in der Rechtsprechung nicht immer ausreichend beachtet. Zwar wird mitunter das Erfordernis einer Rechtfertigung im Gesellschaftsinteresse ausdrücklich hervorgehoben143. Oft wird aber auch ohne nähere Präzisierung nur verlangt, dass die Ungleichbehandlung „sachlich berechtigt ist und damit nicht den Charakter von Willkür trägt" 144 . Diese unpräzise Formulierung führt dazu,
140 Formulierung nach Lütter, AcP 180 (1980), 84 (129). Die hier interessierende Konstellation ist von der oben (§9 I 3 b und § 11 III 2 ebb) behandelten Frage zu unterscheiden, ob sich das einzelne Mitglied wegen Beeinträchtigung privater Interessen auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen kann (was zu verneinen ist). 141 H.R. N J 1994, Nr. 436, S.2059; dazu oben § 7 III 2 d bei Fn. 265. 142 Nachw. oben § 7 Fn. 270. 143 Vgl. etwa B G H Z 70,117 (121) („im Gesamtinteresse des Unternehmens"); O L G Köln ZIP 2001,2049 (2051) („nachvollziehbare Gesichtspunkte des Gesellschaftinteresses"); O L G Celle AG 2003, 505 (507) („Interesse der Gesellschaft"). 144 So B G H Z 33,175 (186); 116,359 (373); 120,141 (150).
282
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
dass das E r f o r d e r n i s einer R e c h t f e r t i g u n g im Gesellschaftsinteresse m i t u n t e r übersehen w i r d . E i n prominentes Beispiel hierfür bildet die Entscheidung B G H Z 116, 359, in der der B G H über die Satzungsänderung einer G m b H zu entscheiden hatte 1 4 5 . Gegenstand der Satzungsänderung war eine neue Abfindungsregelung f ü r den Fall des Ausscheidens von Gesellschaftern, die vorsah, dass die H ö h e der A b findung
nach der D a u e r der Gesellschaftszugehörigkeit gestaffelt sein sollte.
D a r i n lag ersichtlich eine Ungleichbehandlung zugunsten derjenigen Gesellschafter, die der G m b H besonders lange angehörten. D e r B G H hielt diese U n gleichbehandlung aber f ü r gerechtfertigt, da die Gesellschaft mit H i l f e des Stammkapitals im Laufe der J a h r e V e r m ö g e n erwirtschaftet habe, das sie für weitere unternehmerische M a ß n a h m e n gewinnbringend einsetzen k ö n n e . A n dieser Leistung seien später eingetretene Gesellschafter mit ihrem Einlagekapital nicht beteiligt gewesen, weshalb es nicht willkürlich erscheine, sie bei der B e m e s s u n g der A b f i n d u n g schlechter zu behandeln als die Altgesellschafter 1 4 6 . I n der Literatur hat dies erstaunlicherweise Beifall gefunden 1 4 7 . D a b e i erscheint die A r g u m e n t a t i o n des B G H schon aus wirtschaftlicher Sicht schwer verständlich: Sofern die G m b H vor E i n t r i t t der später eintretenden Gesellschafter b e reits V e r m ö g e n e r w i r t s c h a f t e t hatte, liegt es nahe, dass diese bei ihrem E i n t r i t t ein entsprechendes A g i o leisten mussten, w o m i t die besondere L e i s t u n g der Altgesellschafter bereits abgegolten war. Sofern die Altgesellschafter versäumt hatten, ein solches A g i o zu verlangen, ist nicht einzusehen, w a r u m sie sich an diesem Verhandlungsergebnis nicht festhalten lassen mussten. L e t z t l i c h k o m m t es auf derlei Ü b e r l e g u n g e n aber gar nicht an. D i e Entscheidung ist schon deshalb fehlerhaft, weil nicht irgendein plausibler G r u n d für die vorgesehene D i f ferenzierung ausreicht, sondern dieser G r u n d im Gesellschaftsinteresse liegen muss und nicht nur dem Partikularinteresse einzelner Gesellschafter R e c h n u n g tragen darf. D a f ü r , dass die B e v o r z u g u n g der Altgesellschafter hinsichtlich der A b f i n d u n g gerade auch dem Gesellschaftsinteresse diente, ist aber nichts ersichtlich.
S. zu dieser Entscheidung auch schon oben § 1 II 2 a Fn. 24. B G H Z 116, 359 (373 f.). 147 Vgl. etwa Kleindiek, WuB § 34 GmbHG 2.92 (S. 702); H. Winter, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rdn.45b. 145 146
5 12 Sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen
283
IV. Weitere Voraussetzungen der sachlichen Rechtfertigung 1. Verhältnismäßigkeitsprüfung oder bloße im Gesellschaftsinteresse (Willkürverbot)?
Rechtfertigung
a) Meinungsstand Dass die Ungleichbehandlung dem Gesellschaftsinteresse dienen muss, stellt nach überwiegender Auffassung im S c h r i f t t u m z w a r eine notwendige, aber keine hinreichende B e d i n g u n g f ü r die R e c h t f e r t i g u n g von U n g l e i c h b e h a n d lungen dar. H i n z u k o m m e n muss nach heute h . L . vielmehr, dass die U n g l e i c h behandlung zur W a h r u n g des Gesellschaftsinteresses erforderlich ist u n d sich bei A b w ä g u n g mit den beeinträchtigten Gesellschafterinteressen als angemessen und z u m u t b a r (verhältnismäßig i.e.S.) darstellt 1 4 8 . Zusammenfassend lassen sich diese Voraussetzungen als Verhältnismäßigkeit i.w.S. bezeichnen. Zu ihrer K o n k r e t i s i e r u n g wird regelmäßig auf die L e h r e v o m sachlichen G r u n d b e i m Bezugsrechtsausschluss ( „ K a l i und Salz") verwiesen. Angesichts dieser Voraussetzungen muss es überraschen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz selbst von A n h ä n g e r n der h . L . teilweise i m m e r n o c h als bloßes „ W i l l k ü r v e r b o t " b e zeichnet w i r d 1 4 9 ; der Sache nach geht die von der h . L . b e f ü r w o r t e t e K o n t r o l l e wesentlich weiter. O b es tatsächlich einer derartigen Verhältnismäßigkeitsprüfung (i.w.S.) bedarf, k a n n allerdings n o c h nicht als abschließend geklärt gelten. D i e h ö c h s t r i c h terliche R e c h t s p r e c h u n g hat zu dieser Frage bislang nicht eindeutig Stellung genommen. W i e dargelegt begnügt sich der B G H regelmäßig mit der allgemeinen F o r m e l , dass die Ungleichbehandlung „sachlich berechtigt ist und damit nicht den C h a r a k t e r von W i l l k ü r trägt." 1 5 0 E i n e nähere Aufschlüsselung der sachlichen Rechtfertigung, einschließlich einer etwaigen P r ü f u n g der Verhältnismäßigkeit, erfolgt nicht. E i n z e l n e F o r m u l i e r u n g e n der Instanzgerichte spre-
148 Vgl. Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 13; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn.70f.; Hüffer, AktG, §53a Rdn. 10; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 15; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn. 154; Janssen, in: AnwKomm. AktG, § 53a Rdn. 19; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 14 Rdn. 30; Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, §13 Rdn. 105; Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 93 f.; implizit (durch Verweis auf B G H Z 71, 40) auch T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 14 Rdn. 106; ders./Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, § 12 Rdn. 56; H. Winter, in: Scholz, GmbHG, §14 Rdn. 45b; für das Personengesellschaftsrecht auch Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 70 f. Ebenso die h.M. in Osterreich und der Schweiz; s. oben §7 III 2 d. 149 Vgl. etwa Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 12 f. 150 Nachw. oben Fn. 144.
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
chen sogar recht deutlich gegen das E r f o r d e r n i s einer Verhältnismäßigkeitsprüfung 1 5 1 . Auch im S c h r i f t t u m regt sich in jüngerer Zeit K r i t i k an der h . L . S o hat sich namentlich Paefgen
n a c h d r ü c k l i c h gegen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung
gewandt und die Auffassung vertreten, dass sich die P r ü f u n g der R e c h t f e r t i gung von Ungleichbehandlungen auf eine Kontrolle am M a ß s t a b des Gesellschaftsinteresses b e s c h r ä n k e n müsse 1 5 2 . Sofern die Vereinbarkeit mit dem G e sellschaftsinteresse - ggf. unter Zubilligung eines Ermessensspielraums nach M a ß g a b e der business judgment
rult'l5i
- zu bejahen sei, werde die Entscheidung
dadurch unangreifbar 1 5 4 . E i n e weitere A b w ä g u n g mit den Interessen der b e nachteiligten (Minderheits-) Gesellschafter dürfe nicht stattfinden, da sie eine unzulässige L o c k e r u n g der B i n d u n g an den Verbandszweck bedeute 1 5 5 . E n t schiede m a n anders, werde dem Verbandszweck und dem auf dieser G r u n d l a g e zu artikulierenden Gesellschaftsinteresse die F u n k t i o n des M a ß s t a b s f ü r den Ausgleich der Interessen von Mehrheit und Minderheit und damit ein wesentlicher Teil seiner grundlegenden B e d e u t u n g als strukturprägendes M e r k m a l der Verbandsverfassung genommen 1 5 6 . Ü b e r d i e s sei es ungereimt, dass im Interesse des Minderheitenschutzes der benachteiligten Gesellschafter die Z w e c k b i n dung gelockert werde, während u m g e k e h r t die Mehrheit strikt an das Gesellschaftsinteresse als Beschlussrechtsschranke gebunden sei 1 5 7 .
151 Vgl. insbesondere O L G Bremen AG 1992, 268 (270) mit Anm. Habersack, WuB §221 AktG 1.92 (Vorinstanz zu B G H Z 120, 141): „Damit verbietet er [§53a AktG] eine willkürliche Ungleichbehandlung. Die von der Beklagten für den Ausschluss der Bezugsrechte geltend gemachten Gründe mögen zwar nicht geeignet sein, den hierbei auf dem Spiel stehenden Gesellschaftsinteressen ein deutlich höheres Gewicht als den durch den Bezugsrechtsausschluss berührten Interessen der Aktionäre beizumessen. Sie reichen aber aus, um den Vorwurf der Willkür auszuräumen..." 152 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 186-188, ferner 80-82,122-128. Auch im älteren Schrifttum finden sich viele Stellungnahmen, die keine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorsehen. Diese Stellungnahmen beruhen jedoch nicht auf einer bewussten Ablehnung einer solchen Prüfung; vielmehr wurde die Frage früher noch nicht thematisiert. Exemplarisch G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 173 ff., 340. 153 S. oben Ziff. II 3. 154 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 187. 155 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 80 ff. (primär zu „Kali und Salz", daneben aber auch zum Gleichbehandlungsgrundsatz). 156 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 81 f., im Anschluss an Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 336 f.; beide in Auseinandersetzung mit Schockenhoff, der die Minderheitsinteressen freilich noch stärker gewichtet als die h.L. (dazu unten Ziff. 2). 157 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 82; ähnlich zuvor bereits Reiner, Gesellschaftsinteresse, S. 35 (zu „Kali und Salz").
§12 Sachliche Rechtfertigung
b) Vorzugswürdigkeit
von Ungleichbehandlungen
einer differenzierenden
285
Betrachtung
aa) Die eigene Stellungnahme zu dieser Frage muss differenziert ausfallen: Es gibt Fallgruppen, in denen zwar ein Gesellschafter besondere Vorteile erhält und daher eine Ungleichbehandlung vorliegt, die mitgliedschaftlichen Interessen der übrigen Gesellschafter durch die ungleiche Maßnahme aber in keiner Weise beeinträchtigt werden. Vergibt etwa die Gesellschaft einen lukrativen Bauauftrag an einen maßgeblich beteiligten Gesellschafter 158 , werden dadurch die übrigen Gesellschafter in keiner Weise in ihren mitgliedschaftlichen Interessen berührt, solange nur feststeht, dass die Maßnahme dem Gesellschaftsinteresse dient und nicht besser durch Vergabe an einen Dritten zu verfolgen wäre. In solchen Fällen lässt sich eine Verhältnismäßigkeitsabwägung mit widerstreitenden Interessen der Mitgesellschafter nicht sinnvoll durchführen; es genügt daher die Kontrolle am Maßstab des Gesellschaftsinteresses 159 . In allen anderen Fällen, also immer dann, wenn einzelne Gesellschafter in mitgliedschaftlichen Interessen besonders benachteiligt werden, kann sich die Prüfung dagegen richtigerweise nicht darauf beschränken, ob die ungleiche Maßnahme im Gesellschaftsinteresse liegt. Dies wird deutlich in Fällen, in denen eine ungleichmäßige Maßnahme zwar dem Gesellschaftsinteresse dient, diesem Interesse aber genauso mit einer anderen, gleichmäßigen Maßnahme gedient wäre. Wenn etwa der Vorstand einer AG in Ausübung einer Ermächtigung nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG entscheidet, dass die Gesellschaft 1.000 eigene Aktien zum aktuellen Börsenpreis erwerben soll, so ist ohne weiteres zu unterstellen, dass diese Entscheidung im Gesellschaftsinteresse liegt, sofern die durch die business judgment rule (§93 Abs. 1 Satz 2 AktG) bezeichneten Voraussetzungen unternehmerischen Ermessens eingehalten worden sind. Dies allein vermag aber nicht zu rechtfertigen, dass der Vorstand die Aktien ausschließlich von dem Aktionär A erwirbt, wenn er sie zum selben Preis auch über die Börse (und damit unter Wahrung gleichmäßiger Verkaufschancen aller Aktionäre 160 ) erwerben könnte. Aus Sicht des Gesellschaftsinteresses wären zwar beide Varianten gleich geeignet. Der 158 Da im Wege des Anscheinsbeweises anzunehmen ist, dass eine derartige Auftragsvergabe nicht ohne Rücksicht auf die Gesellschafterstellung des maßgeblich beteiligten Gesellschafters erfolgt, liegt in diesem Fall kein reines Drittgeschäft vor. Der Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist also eröffnet; s. oben § 9 I 4 a aa. 159 In dieser Fallgruppe geht der Gleichbehandlungsgrundsatz also - wenn man von der f ü r den Gesellschafter günstigeren Beweislastverteilung absieht (oben bei Fn. 1) - nicht über das hinaus, was sich bereits aus der Bindung aller Gesellschaftsorgane an den Verbandszweck und das daraus abgeleitete Gesellschaftsinteresse ergibt; näher zur Zweckbindung der Gesellschaftsorgane etwa Mülhert, Aktiengesellschaft, S. 233 ff.; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 35 ff., zusammenfassend S. 133 f. Teilweise wird f ü r Zweckbindungsverstöße jedoch - anders als beim Gleichbehandlungsgrundsatz - als zusätzliches subjektives Element Sorgfaltswidrigkeit verlangt; so insbesondere Zöllner, Schranken, S. 318 ff.; ders., in: Kölner Komm. A k t G , §243 Rdn. 177ff.; ders., in: Baumbach/Hueck, G m b H G , Anh. § 47 Rdn. 95. 160 Arg. e § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 und 4 A k t G .
286
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt aber doch offensichtlich, dass der Vorstand in diesem Fall den zuletzt genannten Weg beschreitet. Die Formulierung Paefgens, dass jede Entscheidung der Gesellschaftsorgane durch Feststellung ihrer Vereinbarkeit mit dem Gesellschaftsinteresse unangreifbar werde, ist also zu weit geraten: Es genügt nicht, dass die betreffende Maßnahme im Gesellschaftsinteresse liegt, sondern es muss gerade durch die Ungleichbehandlung dem Gesellschaftsinteresse gedient sein 161 . Daraus ergibt sich bereits, dass neben der Vereinbarkeit mit dem Gesellschaftsinteresse auch ein Erforderlichkeitskriterium zu beachten ist. Es muss gerade die Ungleichbehandlung erforderlich sein, um dem Gesellschaftsinteresse Rechnung zu tragen. Daran fehlt es, wenn diesem Interesse ebenso gut durch eine gleichmäßige Maßnahme gedient ist. bb) Fraglich kann damit nur noch sein, ob es über die Erforderlichkeit hinaus zusätzlich einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit i.e.S. bedarf, in deren Rahmen das Gesellschaftsinteresse gegen die Interessen der benachteiligten Gesellschafter abzuwägen ist. Ein erstes, wegen des unterschiedlichen Regelungskontextes allerdings nicht zwingendes Argument in diese Richtung ergibt sich aus der Rechtsprechung des BVerfG zum verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Vor allem bei personenbezogenen Differenzierungen ist das BVerfG seit geraumer Zeit von einer bloßen Willkürkontrolle zu einer engmaschigeren Verhältnismäßigkeitsprüfung übergegangen. Danach genügt es nicht mehr, dass sich irgendein dem Gemeinwohl dienender Sachgrund zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung finden lässt. Vielmehr müssen - so die seit 1980 verwandte „neue Formel" - zwischen den ungleich behandelten Personengruppen „Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen" 162 . In anderen Urteilen heißt es noch deutlicher: „Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen." 163 Im Ergebnis bedeutet dies eine Prüfung daraufhin, ob die Ungleichbehandlung einen legitimen Gemeinwohlzweck verfolgt, zur Erreichung dieses Zwecks geeignet und erforderlich ist und in einem angemessenen Verhältnis zum Wert dieses Zwecks steht 164 . Ansätze in dieser Richtung finden sich teilweise auch in der Rechtsprechung des E u G H zum allgemeinen Gleichheitssatz des Gemeinschaftsrechts 165 . Für eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit i.e.S. spricht aber vor allem die Überlegung, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz andernfalls einen Großteil seiner minderheitsschützenden Wirkung einbüßen und gegenüber Umgehungen 161 162
(110).
Wie hier Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 93 f. Erstmals BVerfGE 55, 72 (88); aus neuerer Zeit etwa BVerfGE 99, 129 (139); 105, 73
BVerfGE 82,126 (146); ähnlich BVerfGE 85,238 (245). Zusammenfassend etwa Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rdn. 13 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdn. 438 ff.; ausführlicher Brüning, JZ 2001, 669 ff. m. Nachw. auch zur Gegenauffassung. 165 Dazu bereits oben §6 II 4. 163
164
§12
Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
287
überaus anfällig würde 1 6 6 . Beließe man es bei der reinen Erforderlichkeitsprüfung, so wäre in dem oben genannten Beispiel des Erwerbs eigener Aktien die Ungleichbehandlung schon dann gerechtfertigt, wenn die Transaktionskosten beim Erwerb von A marginal geringer ausfielen als bei einem Erwerb über die Börse. Eine noch so minimale Ersparnis für die Gesellschaft würde bereits das Interesse der Gesellschafter an Gleichbehandlung zurücktreten lassen. Die Gleichbehandlung käme dann nur noch in Fällen zum Zuge, in denen die gleichmäßige und die ungleichmäßige Handlungsalternative exakt dieselben Kosten verursachen (oder erstere weniger), was nur in seltenen Fällen gegeben sein wird. H i n z u kommt, dass die gegen die Verhältnismäßigkeitsprüfung erhobenen Einwände 1 6 7 nicht so schwer wiegen, dass sie an diesem Auslegungsergebnis etwas zu ändern vermöchten. Dass dem Verbandszweck seine Funktion als Maßstab zum Ausgleich der Interessen zwischen Mehrheit und Minderheit genommen würde, trifft in dieser Schärfe nicht zu. D e r Verbandszweck und das daraus abgeleitete Gesellschaftsinteresse bleiben für die Rechtfertigung maßgeblich; verlangt wird nur, dass das Gesellschaftsinteresse von solchem Gewicht ist, dass es in angemessenem Verhältnis zu der Benachteiligung steht. Ebenso wenig verfängt das Argument, dass durch das Erfordernis einer Abwägung mit den Interessen der benachteiligten Gesellschafter den Partikularinteressen der Minderheit größeres Gewicht beigemessen werde als den Partikularinteressen der Mehrheit, die ihrerseits streng an das Gesellschaftsinteresse als Beschlussrechtsschranke gebunden sei. Eine derartige ungleiche Gewichtung findet in Wahrheit nicht statt. Das wird deutlich, wenn man sich die umgekehrte Situation vor Augen hält, in der die Minderheit einen dem Gesellschaftsinteresse dienlichen Beschlussvorschlag unterbreitet, die Mehrheit aber aus eigenen I n teressen den Beschluss ablehnt 1 6 8 . Eine solche Ablehnung zum Schutz eigener mitgliedschaftlicher Interessen ist grundsätzlich zulässig 1 6 9 ; die Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft und/oder den Mitgesellschaftern gebietet erst dann etwas anderes, wenn das Gesellschaftsinteresse die betroffenen Partikularinteressen (deutlich) überwiegt 1 7 0 . Auch hier kommt es also auf eine Abwägung zwi166 Dem kommt vor allem mit Blick auf den effet utile des Gemeinschaftsrecht besondere Bedeutung zu. 167 Oben bei Fn. 155 ff. 1 6 8 Beispiel: Die Minderheit befürwortet eine Kapitalerhöhung, die wegen eines entsprechenden Kapitalbedarfs dem Interesse der Gesellschaft dienlich wäre. Die Mehrheit (oder eine Sperrminorität) lehnt ab, da sie keine Mittel aufwenden und die Machtverhältnisse in der Gesellschaft nicht zu ihrem Nachteil verändern will. 1 6 9 Zutreffend insoweit - allerdings nur mit den im Text genannten Einschränkungen B G H Z 14, 25 (38): ,,.[W]eder der Aktionär noch der GmbH-Gesellschafter [braucht] seine eigenen Interessen hinter die der Gesellschaft zurückzustellen." 1 7 0 Wie z.B. bei einer Existenzbedrohung der Gesellschaft; vgl. B G H Z 129, 136 (152). Wann genau die Obstruktion einer im Gesellschaftsinteresse liegenden Maßnahme die Schwelle zur Treuepflichtverletzung erreicht, ist noch nicht hinreichend geklärt. Die Frage kann an dieser Stelle nicht vertieft werden.
288
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
sehen dem Gesellschaftsinteresse und den beeinträchtigten Partikularinteressen an. V o r diesem H i n t e r g r u n d lässt sich die Behauptung, dass den P a r t i k u larinteressen der Mehrheit geringeres G e w i c h t beigemessen werde als denjenigen der Minderheit, nicht aufrechterhalten. E i n z u r ä u m e n ist allerdings, dass die A b w ä g u n g des Gesellschaftsinteresses gegen die Interessen der benachteiligten Gesellschafter nicht selten Schwierigkeiten bereiten wird. D e r in anderem Z u s a m m e n h a n g erhobene E i n w a n d , dass eine rationale A b w ä g u n g der Interessen nur bei einer Gegenüberstellung von Mehrheits- und Minderheitsinteresse möglich sei, nicht aber bei einer G e g e n ü berstellung von Gesellschaftsinteresse und Minderheitsinteresse 1 7 1 , erscheint allerdings überzogen. G e w i s s setzt das eine Interesse auf der überindividuellen E b e n e des Verbands an und das andere auf der individuellen E b e n e der G e s e l l schafter. W a r u m daraus folgen soll, dass sich das A u s m a ß der Vorteilhaftigkeit einer M a ß n a h m e für die Gesellschaft (z.B. erhebliche Ertragssteigerung) und das A u s m a ß der Nachteiligkeit f ü r die benachteiligten Gesellschafter ( z . B . n u r geringfügige Verringerung der Beteiligungsquote) schlechterdings nicht gegeneinander abwägen ließen, ist aber nicht zu erkennen. R i c h t i g ist nur, dass die einzelnen Schritte der A b w ä g u n g weiterer Präzisierung bedürfen, u m rational n a c h p r ü f b a r e Ergebnisse zu ermöglichen.
2. Verbältnismäßigkeitsprüfung Unterschiedsprinzip a) Das „vollständige
oder
Unterschiedsprinzip"
„vollständiges
(Schockenhoff)
N a c h den bisherigen Ü b e r l e g u n g e n darf sich die Rechtfertigung von U n g l e i c h behandlungen regelmäßig nicht darauf b e s c h r ä n k e n , dass die ungleiche M a ß n a h m e im Gesellschaftsinteresse liegt, sondern es müssen zudem die K r i t e r i e n der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. B e v o r diese näher beleuchtet werden, ist zunächst n o c h auf ein alternatives S c h u t z k o n z e p t e i n z u gehen, das Schockenhoff
am Beispiel des aktienrechtlichen Bezugsrechtsaus-
schlusses entwickelt hat und auch auf andere Beschlussgegenstände übertragen will 1 7 2 . N a c h diesem K o n z e p t sollen n o c h (wesentlich) weiter gehende A n f o r d e rungen an die R e c h t f e r t i g u n g von Ungleichbehandlungen zu stellen sein: E i n e sachliche Rechtfertigung soll nicht schon dann zu bejahen sein, w e n n die U n gleichbehandlung im Gesellschaftsinteresse erforderlich und verhältnismäßig sei, sondern erst dann, wenn aus der ungleichmäßigen M a ß n a h m e alle G e s e l l schafter, also auch der relativ am schlechtesten gestellte, einen Vorteil erziel171 So Miilbert, Aktiengesellschaft, S.331, in Auseinandersetzung mit der Lehre vom sachlichen Grund („Kali und Salz"). 172 Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S. 62 ff. (zur Ubertragbarkeit auf andere Beschlussgegenstände S. 101 ff.); kürzer ders., AG 1994,45 (51 ff.).
5 12 Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
289
ten173. Dieses Prinzip vom allseitigen, wenngleich unterschiedlichen Nutzen bezeichnet Schockenhoff in Anlehnung an die Theorie der Gerechtigkeit von Rawlsi74 als „Unterschiedsprinzip"175. Bei der Prüfung der Frage, ob auch die proportional benachteiligten Gesellschafter einen Vorteil erlangen, sei zum Vergleich nicht nur die Situation heranzuziehen, die sich ohne die zu überprüfende Maßnahme ergäbe, sondern es seien auch mögliche Alternativ- und Zusatzmaßnahmen hinzuzudenken, und zwar auch solche, die dem Gesellschaftsinteresse weniger dienten176. Führten diese Alternativmaßnahmen zu größeren Vorteilen für die proportional benachteiligten Gesellschafter als die zu überprüfende Maßnahme, sei diese gegenüber der Alternativlösung als nachteilig und damit als nicht sachlich gerechtfertigt anzusehen. Die damit einhergehende Verschärfung des Unterschiedsprinzips nennt Schockenhoff „vollständiges Unterschiedsprinzip"177. Den Ausgangspunkt dieses Konzepts bildet die Überlegung, dass bereits die Lehre vom sachlichen Grund („Kali und Salz") zu einer Überprüfung der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit führe. Dem Gleichbehandlungsgrundsatz könne daher eigenständige Bedeutung nur zukommen, wenn die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen darüber hinausgingen178. Hierfür biete sich das (vollständige) Unterschiedsprinzip an: Einerseits sei es widersinnig, eine sachliche Rechtfertigung auch dann zu verneinen, wenn letztlich alle Gesellschafter, also auch der relativ am schlechtesten gestellte, besser stünden als bei Anwendung strikter Gleichbehandlung. Andererseits lasse sich nicht begründen, warum Ungleichbehandlungen unterhalb dieser Schwelle erlaubt sein sollten. Eine solche Annahme widerspreche dem (mutmaßlichen) Willen der Gründer. Diese erklärten sich mit der Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nur deshalb einverstanden, weil sie sich davon Vorteile versprächen. Dagegen würden sie diesem Grundsatz nicht zustimmen, wenn es auf seiner Grundlage möglich wäre, einzelnen Gesellschaftern absolute Nachteile zuzufügen, um für die übrigen Aktionäre Vorteile zu ermöglichen. Für die Gründergesellschafter sei es nicht sinnvoll, einer derartigen Verteilungsregel zuzustimmen, da sie damit im Voraus eine Blanko-Ermächtigung für nicht vorhersehbare Benachteiligungen erteilen würden. Rational aus Sicht der Gründer sei es dagegen, sich auf eine Verteilungsregel zu einigen, die eine Abweichung vom Maßstab der Gleichbehandlung dann zulasse, wenn dies allen Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S. 62 f.; ders., AG 1994, 45 (52). Theory of Justice, S. 65 ff. („difference principle"). 175 Schockenhoff Bezugsrechtsausschluss, S. 63 ff.; ders., AG 1994,45 (52). 176 Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zum Merkmal der Erforderlichkeit nach h.L., das nur gleich effektive Alternativmaßnahmen in den Vergleich einbezieht (unten lit. c); diesen Unterschied betont auch Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S. 72. 177 Schockenhoff Bezugsrechtsausschluss, S. 71 f. 178 Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S. 62; ders., AG 1994, 45 (51 f.). 173
174
290
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Gesellschaftern nütze, nicht nur den relativ besser gestellten179. Durch diesen weitreichenden Minderheitenschutz erhöhe das Unterschiedsprinzip zudem die Attraktivität der Kapitalanlage und stärke damit die Kapitalsammeifunktion der AG180. Schließlich komme als praktischer Vorteil hinzu, dass das Ergebnis der Rechtfertigungsfrage nicht von schwierigen Abwägungsfragen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit abhänge. Vielmehr erfordere das vollständige Unterschiedsprinzip nur den Vergleich der Auswirkungen, welche die zu überprüfende Maßnahme und die in Betracht kommenden Alternativmaßnahmen auf die proportional benachteiligten Gesellschafter hätten. Ein so verstandenes Prinzip sei daher insgesamt leichter handhabbar181. b) Kritik Das Schrifttum steht diesen Überlegungen ganz überwiegend kritisch gegenüber182. Auch die Rechtsprechung hat bislang keine Veranlassung gesehen, den Ansatz von Schockenhoff aufzugreifen. Nicht zu bestreiten ist allerdings, dass unter den strengen Voraussetzungen, unter denen nach dem vollständigen Unterschiedsprinzip eine sachliche Rechtfertigung gegeben ist, die Ungleichbehandlung tatsächlich als zulässig anzusehen ist. Wenn auch der relativ am schlechtesten gestellte Gesellschafter noch einen Vorteil erzielt, wäre die Untersagung dieser Maßnahme in der Tat nicht nachvollziehbar. Auf berechtigte Bedenken stößt aber die These, dass die sachliche Rechtfertigung auf derartige Ausnahmefälle beschränkt bleiben soll. Zutreffend ist zwar der Ausgangspunkt Schockenhoffs, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz bei gleichzeitiger Anwendung der Lehre vom sachlichen Grund praktisch bedeutungslos wird, wenn und weil man an die Rechtfertigung dieselben Anforderungen stellt183. Dieses Argument ist indes hinfällig, wenn man - wie hier - für einen Abschied von der Lehre vom sachlichen Grund plädiert184. Aber selbst wenn man dem nicht folgen will, ist zu bedenken, dass auch die h.M. davor zurückscheut, die Lehre vom sachlichen Grund flächendeckend auf alle Beschlussgegenstände anzuwenden185. Auch auf der Grundlage der h.M. verbleiben also zahlreiche BeSchockenhoff, AG 1994, 45 (53). Schockenhoff Bezugsrechtsausschluss, S. 63,42 ff. 181 Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S.63, 67 f., 69 f.; ders., AG 1994, 45 (53). 182 Ablehnend mit unterschiedlicher Begründung insbesondere Hirte, ZHR 154 (1990), 374 (381 ff.); Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 335 ff.; Heitsch, Bezugsrecht, S. 135 ff.; Sinewe, Bezugsrecht, S. 176 f.; Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 30 ff., 94 f. Zustimmend zum Ausgangspunkt Schockenhoffs - schärfere Anforderungen an die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen als nach der Lehre vom sachlichen Grund - indes Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 186 Rdn. 64, und Zöllner, AG 2002, 585 (588 re. Sp.). 183 Dazu bereits oben §2 III 2 a aa. 184 S. oben §3 III. 185 S. oben §2 III 2abb . 179 180
§12 Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
291
schlussgegenstände, bei denen der Gleichbehandlungsgrundsatz durchaus eigenständige Bedeutung behält. Nicht überzeugend ist aber vor allem die Kernthese Schockenhoffs, dass das vollständige Unterschiedsprinzip dem (mutmaßlichen) Gründerwillen entspreche und die Attraktivität der Aktie steigere. Das vollständige Unterschiedsprinzip wirkt sich zwar bei isolierter Betrachtung des Einzelfalls für die relativ benachteiligten Gesellschafter positiv aus, da sie vor absoluten Nachteilen geschützt werden. Für alle anderen Gesellschafter sind die Auswirkungen dagegen negativ, da Ungleichbehandlungen selbst dann unterbleiben müssen, wenn sie dem Gesellschaftsinteresse wesentlich besser dienen als die aus Sicht der benachteiligten Gesellschafter günstigere Alternativmaßnahme186. Aus der exante-Sicht der Gründer wäre das vollständige Unterschiedsprinzip daher nur dann uneingeschränkt wünschenswert, wenn sie wüssten, dass sie stets zu der benachteiligten Gesellschaftergruppe gehören werden187. Das ist aber selbst bei gering beteiligten Gesellschaftern nicht zu erwarten. Zwar werden Ungleichbehandlungen meist zu Lasten von Minderheiten gehen, aber es steht (jedenfalls bei Gesellschaften mit breit gestreutem Gesellschafterkreis) nicht fest, dass immer dieselben Gesellschafter benachteiligt werden. Wenn die Gründer aber nicht wissen, ob sie stets zu der benachteiligten Gesellschaftergruppe gehören werden, ist für sie das vollständige Unterschiedsprinzip ambivalent; es bringt in jenen Fällen Vorteile, in denen man zu der proportional benachteiligten Gesellschaftergruppe gehört, und in allen anderen Fällen Nachteile. Je nachdem, wie hoch die potenziellen Vor- bzw. Nachteile eingeschätzt werden, und je nach Risikobereitschaft des Einzelnen werden die Gesellschafter das vollständige Unterschiedsprinzip befürworten oder ablehnen. Die These, nur dieses Prinzip entspreche dem rationalen Gründerwillen und befördere die Attraktivität der Aktie, geht vor diesem Hintergrund entschieden zu weit188. Weitere Einwände kommen hinzu. Abgesehen davon, dass der von Schockenhoff behauptete praktische Vereinfachungseffekt zweifelhaft ist189, muss ins Gewicht fallen, dass das Unterschiedsprinzip anders als das Verhältnismäßigkeitsprinzip weder im Gemeinschaftsrecht noch - soweit ersichtlich - im Ausland Unterstützung findet. In keiner der betrachteten ausländischen Rechtsordnungen geht man über eine Verhältnismäßigkeitskontrolle hinaus190. Bedenkt man schließlich, dass die Regierungsbegründung zu § 53a AktG191 die 186 Treffend Mülhert, Aktiengesellschaft, S.336: Schockenhoff betreibe „Minderheitenschutz ohne Rücksicht auf die Kosten, die daraus der Gesellschaft und mittelbar der Mehrheit erwachsen." 187 Vgl. auch R u f f n e r , Ökonomische Grundlagen, S.261: wenn sie „systematisch zu den Verlierern einer Ungleichbehandlung zählen." 188 Ähnlich Mülberty Aktiengesellschaft, S. 336. 189 Skeptisch insoweit auch Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 95. 190 S. oben § 7 I 2 c, III 2 d. 191 BT-Drucks. 8/1678, S. 13.
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
strukturelle Parallele zu A r t . 3 A b s . 1 G G b e t o n t und auch dort allenfalls eine Verhältnismäßigkeitskontrolle stattfindet, müssten schon besonders dringliche G r ü n d e vorliegen, um hiervon abzuweichen und einen M a x i m a l s c h u t z vor U n gleichbehandlungen nach A r t des vollständigen Unterschiedsprinzips in § 53a A k t G hineinzulesen. Solche G r ü n d e sind nicht ersichtlich. M a n sollte es daher dabei belassen, neben der Geeignetheit im Gesellschaftsinteresse lediglich auf der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der U n g l e i c h b e h a n d l u n g zu bestehen.
3. Erforderlichkeit
der
Ungleichbehandlung
D a s K r i t e r i u m der Erforderlichkeit besagt im R a h m e n des Gleichbehandlungsgrundsatzes, dass es kein Mittel geben darf, das (1.) schonender ist als die zu überprüfende ungleiche M a ß n a h m e , d.h. ohne eine Benachteiligung oder mit einer geringfügigeren Benachteiligung einzelner Gesellschafter a u s k o m m t , und das (2.) dem Gesellschaftsinteresse ebenso gut oder besser dient als die zu überprüfende ungleiche M a ß n a h m e 1 9 2 . W ä h r e n d die U b e r p r ü f u n g der ersten V o r aussetzung (schonenderes Mittel) regelmäßig keine großen Schwierigkeiten b e reitet, ist hinsichtlich der zweiten Voraussetzung (bessere E i g n u n g ) w i e d e r u m zu beachten, dass den Gesellschaftsorganen bei unternehmerischen E n t s c h e i dungen u.U. ein Ermessensspielraum zusteht, der einer judiziellen K o n t r o l l e entzogen ist. Maßgeblich sind auch insoweit die Anwendungsvoraussetzungen der business
judgment
rule193.
Sofern den Gesellschaftsorganen danach ein E r -
messensspielraum hinsichtlich der A r t i k u l a t i o n des Gesellschaftsinteresses zuk o m m t , muss dasselbe auch f ü r die B e u r t e i l u n g gelten, o b die in B e t r a c h t k o m mende Alternative dem Gesellschaftsinteresse ebenso gut oder besser dient. D a s s eine Erforderlichkeitsprüfung dadurch gänzlich u n m ö g l i c h w ü r d e , wie bisweilen gesagt wird 1 9 4 , trifft nicht zu; es handelt sich lediglich um eine P r ü fung mit geringerer Kontrolldichte. Sofern die Voraussetzungen der judgment
business
rule nicht erfüllt sind (z.B. weil sich die Mehrheit selbst begünstigt
und damit in einem Interessenkonflikt befindet), bleibt vollumfänglich n a c h z u prüfen, o b die ungleichmäßige M a ß n a h m e dem Gesellschaftsinteresse tatsäch192 Zum entsprechenden Begriffsverständnis im Rahmen der Lehre vom sachlichen Grund statt vieler Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 91 ff., dort auch Abgrenzung von teilweise abweichenden Formulierungen im Schrifttum. Zur Parallele im Verfassungsrecht vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdn.285ff., 442; Stern, Staatsrecht III/2, S. 779 f.; zum Gemeinschaftsrecht O. Koch, Verhältnismäßigkeit, S. 209 ff. 193 Ebenso - zur Erforderlichkeit im Rahmen der Lehre vom sachlichen Grund — Zöllner, AG 2002, 585 (588). Für Anerkennung eines Ermessensspielraums im Rahmen der Erforderlichkeit auch Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 93 f. (zur Lehre vom sachlichen Grund), sowie Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 94 (zu § 53a AktG); beide jedoch ohne Bezugnahme auf die Voraussetzungen der business judgment rule. 194 Vgl. Kley, Bezugsrechtsausschluss, S. 115 ff.; Sinewe, Bezugsrecht, S. 121.
5 12 Sachliche Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
293
lieh besser dient als die schonendere Alternativmaßnahme. In diesen Fällen kommt das Gericht um eine - ggf. durch Sachverständige unterstützte - eigene wirtschaftliche Beurteilung der zu überprüfenden Maßnahme und der in Betracht kommenden Alternativmaßnahme nicht umhin. Ein Verstoß gegen das Kriterium der Erforderlichkeit scheidet nach dem Gesagten bereits dann aus, wenn die zu überprüfende Maßnahme im Vergleich mit der schonenderen Alternativmaßnahme geringfügig besser geeignet ist, dem Gesellschaftsinteresse zu dienen 195 . Weniger geeignete Alternativmaßnahmen können deshalb stets erst im Rahmen der Verhältnismäßigkeit i.e.S. Berücksichtigung finden. In einer Reihe von Fällen wird daher erst diese Prüfungsstation entscheidend sein. Das bedeutet aber nicht, dass das Merkmal der Erforderlichkeit praktisch bedeutungslos wäre 196 . Ein prominentes Beispiel für einen Verstoß gegen das Kriterium der Erforderlichkeit bildet die „Hilgers"-Entscheidung des B G H 1 9 7 : Im Anschluss an eine Kapitalherabsetzung auf null wurde das Kapital unter Bezugsberechtigung der Aktionäre wieder erhöht, die Nennbeträge der neuen Aktien aber so hoch festgesetzt (DM 50 statt des damaligen Mindestbetrags von D M 5), dass mehrere Kleinaktionäre ohne Hinzuerwerb von Bezugsrechten keine neue Aktien zeichnen konnten. In diesem Vorgehen lag eine materielle Ungleichbehandlung der Kleinaktionäre, die durch die hohe Festsetzung der Nennbeträge in ihren mitgliedschaftlichen Interessen besonders betroffen wurden. Die Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung musste unter den gegebenen Umständen scheitern, da es an der Erforderlichkeit fehlte; denn die Alternativmaßnahme (Kapitalerhöhung mit Festsetzung der Nennbeträge auf D M 5) wäre für die Kleinaktionäre schonender gewesen, ohne dass irgendein Anhaltspunkt bestand, dass dadurch dem Gesellschaftsinteresse weniger gedient gewesen wäre. Der B G H hätte daher den angefochtenen Hauptversammlungsbeschluss bereits wegen Verstoßes gegen § 53a A k t G aufheben können 198 ; die Ausführungen zur stattdessen bejahten Treuepflichtverletzung wären entbehrlich gewesen.
4. Verhältnismäßigkeit (i.e.S.) der
Ungleichbehandlung
a) Schwierigkeiten und Gefahren der
Verhältnismäßigkeitsprüfung
Wesentlich größere Schwierigkeiten als die Prüfung der Erforderlichkeit bereitet regelmäßig die Verhältnismäßigkeit i.e.S. (auch: Angemessenheit, Proportionalität). Dass die Nachteile der benachteiligten Gesellschafter in einem „anAnders Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 186 Rdn. 62 („deutlich besseres Mittel"). In diese Richtung aber Martens, ZIP 1992, 1677 (1693) (zur Lehre vom sachlichen Grund). 197 B G H Z 142,167; s. dazu bereits oben §2 III 2 b bei Fn. 168. 198 So auch Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 34. 195
196
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
gemessenen Verhältnis" zu dem Vorteil f ü r die Gesellschaft stehen müssen, ist für sich g e n o m m e n wenig aussagekräftig. W i e diese unstreitige, aber farblose Aussage weiter konkretisiert werden k a n n , ist nicht abschließend geklärt. Dies gilt namentlich f ü r die Frage, wie streng die A n f o r d e r u n g e n an die Verhältnismäßigkeit i.e.S. im E i n z e l n e n zu formulieren sind 1 9 9 und - eng damit z u s a m menhängend — o b den Gesellschaftsorganen insoweit eine E i n s c h ä t z u n g s p r ä r o gative zusteht. U n a b h ä n g i g davon, wie diese n o c h zu behandelnden Fragen zu beantworten sind, erweist sich die v o r z u n e h m e n d e A b w ä g u n g aber vor allem deshalb als schwierig, weil häufig artverschiedenene Positionen abgewogen werden müssen, die schwer miteinander vergleichbar sind (bei einem B e z u g s rechtsausschluss z . B . das wirtschaftliche Interesse der Gesellschaft am E r w e r b der Sacheinlage gegen das Interesse der ausgeschlossenen Gesellschafter am E r halt einer Sperrminorität oder einer anderen für die A u s ü b u n g von M i n d e r heitsrechten relevanten Beteiligungsquote). D i e s e Schwierigkeit birgt die G e fahr, dass das Ergebnis der A b w ä g u n g schwer prognostizierbar wird und die Verhältnismäßigkeit i.e.S. z u m Einfallstor f ü r subjektive Billigkeitsvorstellungen degeneriert. Aus ganz ähnlichen G r ü n d e n w i r d im Verfassungs- und Verwaltungsrecht z u n e h m e n d vor der G e f a h r einer unkalkulierbaren Billigkeitsrechtsprechung unter dem D e c k m a n t e l der Verhältnismäßigkeit
i.e.S. ge-
w a r n t 2 0 0 . D a ein Verzicht auf dieses M e r k m a l gleichwohl nicht in Betracht k o m m t 2 0 1 , k a n n die Aufgabe nur darin bestehen, die Leitlinien f ü r die A b w ä gung zu präzisieren und den Abwägungsvorgang so transparent wie möglich zu gestalten. H i e r f ü r bietet es sich an, schrittweise vorzugehen: I n einem ersten Schritt ist der Kreis der gegeneinander abzuwägenden Interessen genau zu definieren (lit. b). A n s c h l i e ß e n d sind die zu berücksichtigenden Interessen zu gewichten und F a k t o r e n zu benennen, von denen diese G e w i c h t u n g abhängt (lit. c). I n einem dritten und letzten Schritt sind schließlich die widerstreitenden Interessen einander gegenüberzustellen, wobei die bereits angedeuteten Fragen zu b e a n t w o r t e n sind, wie deutlich das eine oder andere Interesse überwiegen muss, u m z u m V o t u m der ( U n - ) Verhältnismäßigkeit zu gelangen, und o b den Gesellschaftsorganen (auch) diesbezüglich ein Beurteilungsspielraum zuzugestehen ist (lit. d). A u c h w e n n i m Folgenden versucht wird, einige generelle Leitlinien f ü r die A b w ä g u n g zu formulieren, ändert dies nichts daran, dass die P r ü f u n g der Ver199 Muss etwa das Gesellschaftsinteresse deutlich überwiegen oder genügt es, dass es nicht völlig außer Verhältnis zu den beeinträchtigten Interessen steht? 200 Vgl. etwa Ossenbühl, Symposium Hoppe, S.25 (33 ff.) (Verhältnismäßigkeit als „Gleich- und Weichmacher der Rechtsordnung"); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdn. 293 ff.; Schlink, FS 50 Jahre BVerfG, S.445 (453 f., 458 ff.); sowie die grundsätzliche Kritik an einer „Flucht in die Abwägung" bei Leisner, N J W 1997, 636 ff.; ders., Der Abwägungsstaat (1997). 201 Dazu oben Ziff. 1 b bb ; ferner H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 119 ff.; aus dem verfassungsrechtlichen Schrifttum etwa Ossenbühl, Symposium Hoppe, S. 25 (34); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rdn. 174.
§12 Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
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hältnismäßigkeit i.e.S. stets einzelfallbezogen bleibt. Das nötige Maß an Rechtssicherheit und rationaler Nachvollziehbarkeit wird sich daher nur herstellen lassen, wenn die Gerichte die tragenden Gesichtspunkte der Abwägung in ihrer Entscheidung so deutlich herausarbeiten, dass daraus konkrete Anhaltspunkte für künftige Entscheidungen abgeleitet werden können. Dieser an sich selbstverständlichen Forderung tragen die Gerichte nicht immer ausreichend Rechnung, wie sich an der Rechtsprechung zur Lehre vom sachlichen Grund beim Bezugsrechtsausschluss zeigt 202 . Bezeichnend hierfür ist die „Kali und Salz"Entscheidung selbst, die zwar das Interesse der Gesellschaft am Bezugsrechtsausschluss ausführlich betont, auf Einzelheiten der Beeinträchtigung der ausgeschlossenen Aktionäre aber nicht eingeht203. In weiteren Entscheidungen fallen die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit i.e.S. ebenso knapp aus204. Dabei darf es auf Dauer nicht bewenden, wenn man der mit diesem Merkmal verbundenen Gefahr einer gewissen Beliebigkeit wirksam begegnen will. b) Eingrenzung
der abzuwägenden
Interessen
Versucht man in einem ersten Schritt, die gegeneinander abzuwägenden Interessen näher zu definieren, so steht auf der einen Seite das Interesse der Gesellschaft an der Durchführung der (ungleichmäßigen) Maßnahme; zur Feststellung dieses Interesses ist das Nötige gesagt. Fraglich ist dagegen, welche Interessen auf der Seite der benachteiligten Gesellschafter in die Abwägung einzustellen sind. Die Frage stellt sich zum einen in Bezug auf die Qualität, von der die Belange sein müssen, um abwägungserheblich zu sein, und zum anderen in Bezug auf den Personenkreis, auf dessen Belange es ankommt. Die erste Frage ist oben im Zusammenhang mit der Begriffsbestimmung der materiellen Ungleichbehandlung bereits behandelt worden: Abwägungserheblich ist nur die Beeinträchtigung mitgliedschaftlicher Interessen, wobei die Beeinträchtigung rechtlicher, bei entsprechendem Gewicht aber auch faktischer Natur sein kann 205 . Noch nicht beantwortet ist dagegen die weitere Frage, auf welchen Personenkreis es ankommt. Die Frage wird im Aktienrecht im Rahmen der Lehre vom sachlichen Grund beim Bezugsrechtsausschluss kontrovers diskutiert. Dabei Kritisch dazu auch Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 100. Vgl. BGHZ 71, 40 (43 ff.). Insoweit finden sich nur allgemeine Ausführungen zu den Auswirkungen eines Bezugsrechtsausschlusses („schwerer Eingriff in die Mitgliedschaft"; aaO. S.44), aber keine besondere Würdigung des Einzelfalls. Nicht besonders gewürdigt wird vor allem der Umstand, dass der Großaktionär im Zuge der Kapitalerhöhung seine Beteiligungsquote von 43,4% auf 71,7% erhöhte, was ihm bei gewöhnlicher Hauptversammlungspräsenz sogar die satzungsändernde Mehrheit verschaffte. 204 Vgl. etwa BGHZ 125, 239 (246). Ausführlicher aber OLG Stuttgart AG 1998, 529 (532 f.); OLG Braunschweig AG 1999, 84 (86). 205 S. im Einzelnen oben § 11 II 2 c bb. 202
203
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und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
werden alle erdenklichen Möglichkeiten erwogen: Das Spektrum reicht von der Einbeziehung aller vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre 206 über die Berücksichtigung nur der dissentierenden Aktionäre 207 - wobei fraglich ist, ob hierzu auch die sich enthaltenden oder der Abstimmung fernbleibenden Aktionäre zu zählen sind208 - , bis hin zu dem Vorschlag, dass nur die Interessen des klagenden Aktionärs in die Abwägung einzustellen seien209. Die Frage ist von nicht unerheblicher Bedeutung: Käme es nur auf die Interessen eines einzelnen klagenden Kleinaktionärs an, fiele die Verringerung von dessen Beteiligungsquote naturgemäß nicht so ins Gewicht, wie wenn auf eine größere Gruppe von Aktionären abzustellen wäre, die durch den Bezugsrechtsausschluss eine mögliche Sperrminorität oder eine andere für die Ausübung von Minderheitsrechten bedeutsame Stellung einbüßt. Im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes steht zunächst fest, dass die Interessen derjenigen Gesellschafter, die durch die Ungleichbehandlung zwar benachteiligt werden, der Ungleichbehandlung aber zugestimmt haben, nicht zu berücksichtigen sind; denn in Bezug auf diese Gesellschafter ist die Ungleichbehandlung durch deren Zustimmung gerechtfertigt 210 . Müssen also einerseits die Interessen der zustimmenden Gesellschafter außer Betracht bleiben, so wäre es andererseits zu eng, nur auf die Interessen des klagenden Gesellschafters abzustellen. Die Rechtmäßigkeit des Handelns eines Gesellschaftsorgans - sei es eines Beschlusses der Anteilseignerversammlung, sei es einer Maßnahme der Geschäftsleitung - kann nicht davon abhängen, wer klagt, sondern muss unabhängig von der Person und der Anzahl der Kläger für alle Fälle einheitlich beurteilt werden. Andernfalls ließe sich die Rechtmäßigkeit der Maßnahme im Zeitpunkt der Beschlussfassung gar nicht beurteilen, da zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststeht, ob und von wem Klage erhoben wird 211 . Eine Beschränkung auf die Interessen des Klägers ließe sich im Übrigen auch schwerlich damit vereinbaren, dass es jedenfalls im Rahmen der 2 0 6 So offenbar der Standpunkt des B G H , der pauschal auf die Folgen für „die Aktionäre" oder „die ausgeschlossenen Aktionäre" abstellt; vgl. B G H Z 71,40 (44); 120,141 (145 ff.); 125, 239 (246); zustimmend Schumann, Bezugsrecht, S. 72 f. 2 0 7 Hierfür Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 95 ff.; Schockenhoff, AG 1994, 45 (57 f.); Cahn, Z H R 163 (1999), 554 (580); Boese, Anwendungsgrenzen, S.98f.; in der Tendenz auch Volhard, AG 1998,397 (403 f. mit Fn. 102), der aber auch eine Beschränkung auf die Interessen nur des klagenden Aktionärs in Betracht zieht; unentschieden Bungert, WM 1995, 1 (9) (abzustellen sei auf alle in der Hauptversammlung dissentierenden Aktionäre, „vielleicht" aber auch auf alle aus ex-ante-Sicht „möglicherweise dissentierenden" Aktionäre). 208 Verneinend Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S.97f.; bejahend wohl Boese, Anwendungsgrenzen, S. 98 f., der von allen „nicht zustimmenden" Gesellschaftern spricht. 209 Martens, ZIP 1992, 1677 (1690f.); vgl. auch dens., ZIP 1994, 669 (672); ferner Kley, Bezugsrechtsausschluss, S. 127f. 210 Allg.M.; näher unten §141. 211 Gegen die ansonsten drohende „Bewertungsrelativität" auch Bungert, WM 1995, 1 (9 re. Sp.); Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 98; a.A. Kley, Bezugsrechtsausschluss, S. 128.
§ 12 Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
297
Anfechtungsklage gegen Anteilseignerbeschlüsse gerade nicht auf die persönliche Betroffenheit des Anfechtungsklägers ankommt 2 1 2 . Zweifelhaft ist somit nur noch, ob lediglich die Interessen der ausdrücklich dissentierenden Gesellschafter zu berücksichtigen sind oder ob darüber hinaus auch alle diejenigen einzubeziehen sind, die der Ungleichbehandlung nicht zugestimmt haben (bei Anteilseignerbeschlüssen also auch diejenigen, die der A b stimmung ferngeblieben sind oder sich enthalten haben). Die Frage ist richtigerweise im zuletzt genannten Sinne zu beantworten. Das Fernbleiben von der Beschlussfassung und die Stimmenthaltung führen anders als die Zustimmung nicht dazu, dass die Ungleichbehandlung in Bezug auf die betreffenden Gesellschafter als gerechtfertigt anzusehen ist. Ein wie auch immer gearteter Verzicht auf die Berücksichtigung ihrer Interessen lässt sich nicht konstruieren, da das Fernbleiben als bloßes Schweigen keinen Erklärungswert hat; dasselbe gilt auch f ü r die Stimmenthaltung, die anerkanntermaßen ebenso zu bewerten ist wie das Fernbleiben 2 1 3 . Eine Nichtberücksichtigung der Interessen der ferngebliebenen Gesellschafter folgt auch nicht daraus, dass diese sich möglicherweise ihres A n fechtungsrechts begeben haben (vgl. § 245 Nr. 1, 2 AktG) 2 1 4 . Abgesehen davon, dass ein derartiger Verlust der Anfechtungsbefugnis nur im Aktienrecht in Betracht kommt 2 1 5 und selbst dort zweifelhaft ist, ob er sich auch auf die Rüge von Gleichbehandlungsverstößen erstreckt 2 1 6 , ändert der etwaige Verlust der A n fechtungsbefugnis nichts daran, dass eine Zustimmung der betreffenden Gesellschafter zu der Ungleichbehandlung nicht vorliegt. Sofern sich ein anderer, seinerseits anfechtungsbefugter Aktionär auf die Ungleichbehandlung der nicht erschienenen und deshalb u.U. nicht anfechtungsbefugten Mitaktionäre beruft, steht deshalb nichts im Wege, auch die Interessen der nicht anfechtungsbefugten Mitaktionäre mit zu berücksichtigen. Auf Seiten der benachteiligten Gesellschafter sind nach alledem die beeinträchtigten mitgliedschaftlichen Interessen von all denjenigen Gesellschaftern in die A b w ä g u n g einzustellen, die der Ungleichbehandlung nicht aktiv zugestimmt haben. 212 Vgl. vorerst nur H ü f f e r , in: MünchKomm. AktG, §246 Rdn. 16; 71 Kaiser, in: Hachenburg, GmbHG, Anh. § 47 Rdn. 167; näher unten § 16 I 3 b. 213 Deutlich BGH N J W 1982, 1585 (zum e.V.): „Niemand, der sich der Stimme enthält, wird nach der Verkehrsanschauung auf den Gedanken kommen, sein Verhalten werde sich auf die Beschlussfassung anders auswirken, als wenn er der Versammlung ferngeblieben wäre oder sich vor der Abstimmung entfernt hätte." 214 Anders Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 97. 215 Im GmbH-Recht sind die in §245 Nr. 1, 2 AktG vorgesehenen Beschränkungen der Anfechtungsbefugnis nicht analog anwendbar. Anfechtungsbefugt ist jeder Gesellschafter, gleichgültig, ob er an der Gesellschafterversammlung teilgenommen hat, und gleichgültig, ob er bei Teilnahme Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat; vgl. statt vieler Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. § 47 Rdn. 135 („wohl allg.M."). 216 Die Frage ist umstritten, da teilweise eine analoge Anwendung des §245 Nr. 3 AktG auf Gleichbehandlungsverstöße bejaht wird; näher dazu unten § 16 I 3 a.
298
3. Kapitel:
c) Gewichtung
Reichweite
und Inhalt des
der widerstreitenden
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Interessen
Ist der Kreis der gegeneinander abzuwägenden Interessen ermittelt, sind in einem nächsten Schritt die Interessen zu gewichten. Diese Gewichtung lässt sich angesichts der Vielgestaltigkeit des Einzelfalls nicht in allgemeinen Formeln einfangen. Gleichwohl lassen sich einzelne typische Anhaltspunkte f ü r die Interessengewichtung benennen. aa) A m nächsten liegt es, als Anhaltspunkt für die Gewichtung der Interessen zunächst deren vermögensmäßigen Wert zu ermitteln. In einer Reihe von Fällen wird den Gerichten, erforderlichenfalls unter Zuhilfenahme von Sachverständigen oder im Wege der Schätzung entsprechend § 2 8 7 ZPO, eine zumindest überschlägige Bewertung der Vorteile für die Gesellschaft und der Nachteile für die benachteiligten Gesellschafter möglich sein. Je höher der zu erwartende Ertragszuwachs für die Gesellschaft, desto eher spricht dies naturgemäß für die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung. Dies gilt besonders, wenn ohne die Durchführung der betreffenden Maßnahme eine Krise oder sogar die Insolvenz der Gesellschaft zu befürchten wäre. Umgekehrt k a n n allein der Umstand, dass durch die Ungleichbehandlung auf Seiten der Gesellschaft der übliche Verwaltungsaufwand einer gleichmäßigen Behandlung erspart wird, nicht ins Gewicht fallen, da andernfalls der Gleichbehandlungsgrundsatz weitestgehend leer liefe. Ungleichmäßige Bezugsrechtsausschlüsse oder Ungleichbehandlungen beim Erwerb eigener Anteile können also nicht schon unter Hinweis darauf gerechtfertigt werden, dass auf diese Weise die Kosten f ü r die Abwicklung des Bezugsrechts, die Kosten eines öffentlichen Erwerbsangebots oder die Gebühren f ü r einen Erwerb über die Börse erspart werden 2 1 7 . bb) Die Gewichtung der Belange hängt allerdings nicht nur von der Bezifferung der betroffenen Vermögenswerte ab; eine verlässliche Bezifferung ist in vielen Fällen auch kaum möglich. Es sind deshalb weitere Faktoren heranzuziehen. Einen relevanten Faktor w i r d man u.a. darin erblicken können, ob der Umstand, an den die Ungleichbehandlung anknüpft, bereits bei Gründung der Gesellschaft bekannt oder absehbar war. Ist dies der Fall, muss dies f ü r das Interesse der benachteiligten Gesellschafter an der Beibehaltung des status quo und damit gegen die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung ins Gewicht fallen. Wenn also mehrere Gesellschafter eine G m b H gründen und dabei bekannt ist, dass einer von ihnen auch an einem Konkurrenzunternehmen beteiligt ist, spricht dies gegen die Rechtfertigung einer späteren Satzungsänderung, die nunmehr doch an der Konkurrenteneigenschaft Anstoß nimmt, - z.B. indem dem konkurrierenden Gesellschafter auferlegt wird, sich in der Gesellschafterversammlung fortan vertreten zu lassen 2 1 8 . Die Befugnis, in die Rechte der Mitglieder ggf. auch in ungleichmäßiger Weise einzugreifen, wird den Verbandsor217 218
Ebenso Schumann, Bezugsrecht, S. 72 (zum Bezugsrechtsausschluss). Beispiel in Anlehnung an RGZ 80, 385 und 88,220.
§ 12 Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
299
ganen nur überantwortet, damit der Verband flexibel auf neue Herausforderungen reagieren kann, damit also der „Offenheit des Verbands nach vorne" Rechnung getragen wird 2 1 9 . Dieser Gesichtspunkt tritt aber zurück, wenn der betreffende Umstand bereits bei der Gründung bekannt oder absehbar war. cc) Einfluss auf die Gewichtung der Interessen hat zudem die Frage, ob durch die Ungleichbehandlung in mitgliedschaftliche Rechte der benachteiligten Gesellschafter eingegriffen oder lediglich die Gewährung einer anderen Gesellschaftern zuteil gewordenen Vergünstigung versagt wird. Bedenkt man, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz vornehmlich auf den Schutz vor Eingriffen in die Mitgliedschaft zielt 220 , muss die Beeinträchtigung der Interessen der benachteiligten Gesellschafter im ersten Fall richtigerweise schwerer ins Gewicht fallen als im zweiten 2 2 1 . Relevant w i r d dies etwa bei der Zustimmung zur Ü b e r tragung vinkulierter Anteile (vgl. §§ 68 Abs. 2 A k t G , 15 Abs. 5 GmbHG). Sofern die Gesellschaft in anderen Fällen die Veräußerung der Anteile gestattet hat, bedeutet die Verweigerung der Zustimmung durch die Gesellschaft z w a r eine Ungleichbehandlung zu Lasten des veräußerungswilligen Gesellschafters. Es w i r d aber durch die Verweigerung der Zustimmung nicht in mitgliedschaftliche Rechte des Gesellschafters eingegriffen, sondern ihm lediglich eine Vergünstigung versagt, auf die er nach der Satzung keinen Anspruch hat. Ein solches Interesse wiegt nach dem Gesagten weniger schwer, so dass auch ein weniger dringliches Interesse der Gesellschaft die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag. Vor diesem Hintergrund erscheint es zutreffend, wenn die Gerichte an die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen in solchen Fällen keine allzu hohen Anforderungen stellen 222 . dd) Im Rahmen der Gewichtung der Interessen ist ferner zu berücksichtigen, ob es Alternativmaßnahmen gibt, die dem Gesellschaftsinteresse zwar weniger dienen als die angegriffene Maßnahme - ansonsten wären sie bereits im Rahmen der Erforderlichkeit zu beachten - , dafür aber f ü r die benachteiligten Ge-
S. oben §4 III 2 m.Nachw. in Fn. 54. S. oben §4 III 2. 221 Dies findet eine Parallele im Verfassungsrecht, wo im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit eine großzügigere Prüfung der Rechtfertigung stattfindet als in eingriffsintensiven Bereichen; vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rdn. 21a m.w.Nachw. 222 Vgl. LG Aachen AG 1992, 410 (412 ff.) mit Besprechung von Lutter, AG 1992, 369ff.: Verweigerung der Zustimmung gerechtfertigt, wenn der Erwerber eine Sperrminorität erlangen würde und keine Anzeichen ersichtlich sind, dass die Ertragssituation der Gesellschaft die Anlehnung an einen finanziell starken Partner erfordern würde. Das LG und Lutter aaO. untersuchen diese Frage allerdings im Rahmen des „pflichtgemäßen Ermessens des Vorstands" und nicht im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes, dessen Prüfung vorschnell wegen fehlender „Vergleichbarkeit" abgebrochen wird; dazu bereits oben § 9 II 3. Ebenso gerechtfertigt ist regelmäßig die Zustimmungsverweigerung gegenüber der Anteilsübertragung auf einen Wettbewerber; vgl. dazu OLG Karlsruhe, Urt. v. 7.11.1984, unveröffentlicht, zitiert nach Lutter, AG 1992, 369 (369). 219
220
300
3. Kapitel:
Reichweite und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
seilschafter schonender sind 2 2 3 . G i b t es eine Alternative, die aus Sicht des G e sellschaftsinteresses nur geringfügig ungünstiger, aus Sicht der benachteiligten Gesellschafter aber wesentlich weniger gravierend ist, spricht dies gegen die R e c h t f e r t i g u n g der geplanten M a ß n a h m e . ee) D i e G e w i c h t u n g der widerstreitenden Belange k a n n ferner durch A u s gleichsmaßnahmen beeinflusst werden, welche die Beeinträchtigung der Interessen der benachteiligten Gesellschafter ganz oder teilweise k o m p e n s i e r e n 2 2 4 . S o hat der B G H in der Ausgabe von Genussrechten an die Mehrheitsaktionärin unter Ausschluss des Bezugsrechts ( § 2 2 1 A b s . 4 A k t G ) der M i n d e r h e i t s a k t i o näre keinen V e r s t o ß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gesehen, weil den Minderheitsaktionären z u m Ausgleich entsprechend verzinsliche und auch i m Ü b r i g e n nicht ungünstigere Schuldverschreibungen der Gesellschaft angeboten worden w a r e n 2 2 5 . D i e durch den Bezugsrechtsausschluss b e w i r k t e B e e i n t r ä c h tigung der Vermögensinteressen der Minderheitsaktionäre war damit vollständig ausgeglichen, so dass die A b w ä g u n g zugunsten des Gesellschaftsinteresses ausfallen musste. A l s weiteres Beispiel einer die A b w ä g u n g beeinflussenden K o m p e n s a t i o n s m a ß n a h m e ist an den Fall zu denken, dass eine Sachkapitalerhöhung durch eine parallele Barkapitalerhöhung ergänzt wird, u m auch den anderen A k t i o n ä r e n als dem Sacheinleger die Gelegenheit zu geben, neue A n teile zu zeichnen und ihre Beteiligungsquote aufrechtzuerhalten 2 2 6 . D i e B e r ü c k s i c h t i g u n g von K o m p e n s a t i o n s m a ß n a h m e n darf allerdings nicht dahin missverstanden werden, dass ungleichmäßige E i n g r i f f e in Mitgliedschaftsrechte stets gerechtfertigt wären, sofern nur ein vermögensmäßiger A u s gleich angeboten wird. D i e s e umstrittene Frage ist - wie n o c h zu zeigen sein wird - nach überwiegender und zutreffender Auffassung zu verneinen 2 2 7 . R i c h tig bleibt aber, dass auch in diesem Fall die K o m p e n s a t i o n s m a ß n a h m e bei der G e w i c h t u n g der Interessen als einer von mehreren F a k t o r e n m i t z u b e r ü c k s i c h tigen ist. f f ) N a c h Auffassung von Martens
ist ein weiteres G e w i c h t u n g s k r i t e r i u m
darin zu sehen, o b es sich u m eine geschlossene oder u m eine Publikumsgesellschaft handelt: S o soll in einer typischen G m b H das Interesse der Gesellschafter an Gleichbehandlung wesentlich stärker ins G e w i c h t fallen als in einer P u b l i k u m s - A G 2 2 8 . B e g r ü n d e t wird dies mit dem H i n w e i s auf die intensiveren R e c h t s b e z i e h u n g e n zwischen den Gesellschaftern einer geschlossenen Gesell223 Vgl. (jeweils zur Lehre vom sachlichen Grund) Hüffer, AktG, § 186 Rdn. 28; Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 186 Rdn. 63. 224 Vgl. Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 14; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 73. 225 BGHZ 120,141 (151 f.); zustimmend Luttermann, DB 1993,1809 (1813); insoweit auch Lutter, ZGR 1993,291 (309f.). 226 Vgl. dazu etwa Peifer, in: MünchKomm. AktG, § 186 Rdn. 79 a.E. m.w.Nachw. 2 2 7 Näher unten §13. 228 Martens, GmbHR 1984,265 (266 f.).
§12 Sachliche Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
301
schaft, aus denen sich ein besonders dringliches Interesse an der Stabilität der innergesellschaftlichen Einfluss- und Vermögensverteilung ergebe. Diese Auffassung geht jedoch zumindest in dieser Allgemeinheit zu weit. Zutreffend ist zwar, dass stets sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind und dabei auch der Realstruktur der Gesellschaft erhebliche Bedeutung zukommt. Besonders augenfällig ist dies beim Bezugsrechtsausschluss, auf den auch Martens verweist 229 : Die Einbuße an relativer Stimmkraft, die einzelne nicht zustimmende Kleinaktionäre einer Publikumsgesellschaft durch den Bezugsrechtsausschluss erleiden, fällt gewiss weniger ins Gewicht als diejenige eines Unternehmergesellschafters, wie er in geschlossenen Gesellschaften häufig anzutreffen ist. Hinzu kommt, dass in börsennotierten Gesellschaften u.U. die Möglichkeit besteht, die bisherige Beteiligungsquote durch Nachkauf von Aktien über die Börse wiederherzustellen, während diese Möglichkeit in geschlossenen Gesellschaften ausscheidet. Auch kann sich der Gesellschafter einer geschlossenen Gesellschaft nicht einfach von seinem Investment lösen, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse in der Gesellschaft zu seinen Lasten verschoben haben. Es steht außer Zweifel, dass derartige Umstände die Interessengewichtung beeinflussen 230 . Daraus folgt aber nicht, dass das Interesse der Gesellschafter an Gleichbehandlung in geschlossenen Gesellschaften generell höher zu veranschlagen wäre als in Publikumsgesellschaften. Im Gegenteil kann sich aus dem personalistischen Charakter der Gesellschaft auch einmal ein Argument dafür ergeben, dass das Interesse an der Durchführung der Ungleichbehandlung überwiegt. Als Beleg lässt sich die bereits wiederholt angesprochene Leitentscheidung zum niederländischen Gleichbehandlungsgrundsatz anführen231: Dort gab die enge persönliche Verbundenheit der Gesellschafter gerade den Ausschlag dafür, dass die benachteiligten Gesellschafter die Ungleichbehandlung hinnehmen mussten. Die These, dass das Bedürfnis nach Gleichbehandlung in einer geschlossenen Gesellschaft besonders groß sei, stellt also allenfalls eine Faustregel dar, die eine genaue Betrachtung der Umstände des Einzelfalls nicht entbehrlich macht. d) Abwägung der widerstreitenden des Abwägungsergebnisses
Interessen und
Kontrolle
Sind die zu berücksichtigenden Interessen eingegrenzt und gewichtet, stellt sich in einem letzten Schritt die Frage, in welchem Ausmaß die Interessen der einen oder der anderen Seite überwiegen müssen, um zum Abwägungsergebnis der Vgl. Martens, GmbHR 1984,265 (266 f.). Vgl. nur Wiedemann, in: Großkomm. AktG, § 186 Rdn. 147; Liebert, ausschluss, S. 101 ff. (jeweils zur Lehre vom sachlichen Grund). 231 H.R. N J 1994, Nr.436, S. 2059; dazu oben § 7 III 2 d und § 12 III 2 b. 229
230
Bezugsrechts-
302
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Verhältnismäßigkeit bzw. UnVerhältnismäßigkeit zu gelangen. D a m i t eng verbunden ist die weitere Frage, ob den Gesellschaftsorganen im R a h m e n der A b wägung ein Beurteilungsspielraum zusteht. Z u r B e a n t w o r t u n g dieser Fragen wird in den K o m m e n t i e r u n g e n
zum
Gleichbehandlungsgrundsatz in aller Regel auf die L e h r e v o m sachlichen G r u n d b e i m Bezugsrechtsausschluss verwiesen 2 3 2 . D o r t tendieren R e c h t s p r e c h u n g und Literatur ganz überwiegend zu einer vergleichsweise großzügigen, d.h. zurückhaltenden P r ü f u n g . Zwar wird die Verhältnismäßigkeit i.e.S. unterschiedlich streng formuliert: D a s M e i n u n g s s p e k t r u m reicht von F o r d e r u n g e n , der Vorteil für die Gesellschaft müsse die Gesamtheit der Nachteile der benachteiligten Gesellschafter „aufwiegen" 2 3 3 , „überwiegen" 2 3 4 oder sogar „deutlich ü b e r w i e g e n " 2 3 5 , bis hin zu der deutlich zurückhaltenderen F o r m u l i e r u n g , dass der Vorteil f ü r die Gesellschaft nicht in einem „groben Missverhältnis" zu den Nachteilen für die benachteiligten Gesellschafter stehen dürfe 2 3 6 . I m E r g e b n i s gelangen aber auch diejenigen, die die A n f o r d e r u n g e n strenger formulieren, überwiegend zu einer vergleichsweise großzügigen P r ü f u n g der Verhältnismäßigkeit i.e.S., da sie den Gesellschaftsorganen hinsichtlich der A b w ä g u n g einen Beurteilungsspielraum zugestehen 2 3 7 . O b diese großzügige L i n i e , die sich im R a h m e n der L e h r e v o m sachlichen G r u n d abzeichnet, tatsächlich o h n e weiteres auf den Gleichbehandlungsgrundsatz übertragen werden k a n n , ist allerdings nicht u n u m s t r i t t e n . V i e l m e h r ist von n a m h a f t e r Seite eingewandt worden, dass die A n f o r d e r u n g e n im R a h m e n des Gleichbehandlungsgrundsatzes (erheblich) strenger ausfallen m ü s s t e n 2 3 8 . Soweit hierfür angeführt w i r d , der Nachw. oben §2 Fn. 125. Vgl. B G H Z 71, 40 (46f.); O L G Braunschweig AG 1999, 84 (86); Boese, Anwendungsgrenzen, S.101. 234 O L G Stuttgart AG 1998, 529 (531); Peifer, in: MünchKomm. AktG, §186 Rdn.77; Wiedemann, in: Großkomm. AktG, § 186 Rdn. 146; Hüffer, AktG, § 186 Rdn. 28; Krieger, in: MünchHdb. AG, §56 Rdn. 70; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S.94; Schumann, Bezugsrecht, S.72; generell für „Strukturmaßnahmen" auch H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 107 f. 235 Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 186 Rdn. 114. 236 Zöllner, Schranken, S. 352 (aber nur für die Lehre vom sachlichen Grund, s. noch unten Fn. 238); ähnlich Bungert, WM 1995, 1 (11 f.). 237 Vgl. etwa B G H Z 125,239 (244) (wenn „die Hauptversammlung der Uberzeugung sein durfte, der Bezugsrechtsausschluss sei das angemessene und am besten geeignete Mittel"); Boese, Anwendungsgrenzen, S. 100f. („Plausibilitätskontrolle"); Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (579 f.); Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 107; Lutter, in: Kölner Komm. AktG, §186 Rdn. 63; M. Winter, Treuebindungen, S. 150 ff., 154 („Vertretbarkeit des Abwägungsergebnisses"); abweichend - kein Beurteilungsspielraum - aber Zöllner, AG 2002, 585 (588); Natterer, Kapitalveränderung, S.91. 238 Für strengere Prüfung im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatz Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 186 Rdn. 64; Zöllner, AG 2002, 585 (588) (anders aber Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 15: Die Kriterien für die sachliche Rechtfertigung im Rahmen des § 53a AktG seien „die gleichen" wie nach „Kali und Salz".); ansatzweise auch Timm, DB 1982,211 Fn.9. 232
233
§12 Sachliche Rechtfertigung
von Ungleichhehandlungen
303
Gleichbehandlungsgrundsatz drohe sonst neben der Lehre vom sachlichen Grund redundant zu werden 239 , verfängt dieses Argument allerdings nicht, wenn man - wie hier - ohnehin für einen Abschied von der Lehre vom sachlichen Grund plädiert 240 . Gleichwohl bestehen gute Gründe dafür, die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit i.e.S. nicht zu niedrig anzusetzen. Die Erwartungen der Gesellschafter werden bei der Gründung oder einem späteren Beitritt vernünftigerweise darauf gerichtet sein, dass ihnen eine relative oder sogar absolute 241 Schlechterstellung nur zugemutet wird, wenn hierfür ein wirklich triftiger Anlass besteht, das Gesellschaftsinteresse also nicht nur unerheblich überwiegt. Diese Anforderungen durch einen mehr oder weniger breiten Beurteilungsspielraum der Gesellschaftsorgane abzumildern, wie dies im Rahmen der Lehre vom sachlichen Grund vertreten wird, erscheint jedenfalls im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht angängig. Die Geltungsvoraussetzungen der business judgment rule, die konsequenterweise auch insoweit (sinngemäß) zu beachten sind, liegen nämlich in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit i.e.S. nicht vor. Sie können zwar je nach Lage des Einzelfalls gegeben sein, sofern es um die Frage geht, ob die betreffende Maßnahme überhaupt dem Gesellschaftsinteresse dient 242 . Deshalb ist ggf. ohne nähere Uberprüfung anzunehmen, dass die angestrebte Ungleichbehandlung tatsächlich dem Gesellschaftsinteresse förderlich ist. Hinsichtlich der korrekten Abwägung mit den (Minderheits-) Interessen der benachteiligten Gesellschafter befindet sich das handelnde Gesellschaftsorgan dagegen notgedrungen in einem Interessenkonflikt; denn an der optimalen Förderung des Gesellschaftsinteresses - und damit an der Zurücksetzung der Minderheitsinteressen - haben sowohl die Gesellschaftermehrheit als auch die von dieser bestellten Geschäftsleiter ein erhebliches Eigeninteresse. Es fehlt daher in Bezug auf die Abwägung mit den Minderheitsinteressen an der Unvoreingenommenheit des handelnden Gesellschaftsorgans und damit an einer zentralen Geltungsvoraussetzung der business judgment rule. Aus diesem Grund ist ein unternehmerischer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit i.e.S. nicht anzuerkennen. Vielmehr unterliegt die auf dieser Stufe vorzunehmende Abwägung, ob das Gesellschaftsinteresse die beeinträchtigten mitgliedschaftlichen Interessen der benachteiligten Gesellschafter nicht unerheblich überwiegt, vollinhaltlicher gerichtlicher Kontrolle.
239 Zöllner, AG 2002, 585 (588); insoweit im Ausgangspunkt wie Schockenhoff (oben Ziff. IV 2 a). 2 4 0 S. oben §3 II 1. 241 Wenn man - wie hier — mit der h.M. das Unterschiedsprinzip von Schockenhoff ablehnt, können die benachteiligten Gesellschafter u.U. auch absolute Nachteile erleiden. 242 Dazu oben Ziff. 113.
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
V. Abgrenzung zur bloßen Missbrauchskontrolle Zum Abschluss der Überlegungen zur sachlichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen sei noch kurz auf die Frage eingegangen, wie sich die im Vorstehenden präzisierte Inhaltskontrolle am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes von der allgemeinen treuepflichtgestützten Missbrauchskontrolle unterscheidet. Wie an anderer Stelle bereits ausgeführt lässt die Rechtsprechung des BGH zwar erkennen, dass das Gebot der sachlichen Rechtfertigung (sei es nach der Lehre vom sachlichen Grund, sei es im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes) und die treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle unterschiedliche Kontrollmaßstäbe beinhalten; die genauen Unterschiede bleiben aber dunkel 243 . Im Anschluss daran wird im Schrifttum bisweilen behauptet, die Unterschiede fielen praktisch kaum ins Gewicht 244 . Träfe dies zu, wäre das in dieser Untersuchung verfolgte Anliegen, den Gleichbehandlungsgrundsatz als Instrument zu entwickeln, mit dem zielgenau die besonders problematischen Fälle ausgesondert und nur sie einer intensiven Inhaltskontrolle unterstellt werden, im Kern in Frage gestellt. Denn wenn außerhalb des Anwendungsbereichs des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohnehin eine ähnlich intensive treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle stattfände, verlöre die Konturierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ihre praktische Bedeutung. Es ist hier nicht der Ort, den Versuch zu unternehmen, auch die allgemeine treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle im Einzelnen zu konkretisieren. Vor dem Hintergrund dessen, was im Verlauf der Untersuchung über das unterschiedliche Gefährdungspotenzial von gleichmäßigen und ungleichmäßigen Maßnahmen gesagt worden ist 245 , wird es aber nicht überraschen, dass nach der hier vertretenen Auffassung jenseits des Anwendungsbereichs des Gleichbehandlungsgrundsatzes nur noch Bedarf für eine wesentlich weitmaschigere Kontrolle gesehen wird, die allenfalls in besonderen Ausnahmefällen zur Anfechtbarkeit einer getroffenen Entscheidung führen kann. Betrachtet man die Fälle, in denen der BGH Anteilseignerbeschlüsse mit Rücksicht auf die Treuepflicht der Gesellschafter beanstandet hat, so ist bereits angedeutet worden, dass viele dieser Fälle bei der gebotenen Einbeziehung materieller Ungleichbehandlungen mithilfe des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu lösen gewesen wäS. oben § 2 III 2 b bb . Pointiert etwa Cahn, Z H R 163 (1999), 554 (581) (zur Lehre vom sachlichen Grund: „In der Sache ist die Angleichung an eine Missbrauchskontrolle längst vollzogen."); ähnlich Rodl o f f , ZIP 2003,1076 (1077 Ii. Sp., 1078 Ii. Sp.) (Unterschiede nur bei Darlegungs- und Beweislast). Die Erheblichkeit der Unterscheidung betonen dagegen T. Bezzenberger, ZIP 2002, 1917 (1925 ff.); Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 138 ff., 150 ff.; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 108; G.H. Roth, in: MünchKomm. BGB, §242 Rdn. 440; vgl. auch Wiedemann, in: Großkomm. AktG, § 186 Rdn. 138. 245 S.oben §3 II 1 b, c. 243
244
§12 Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
305
ren 246 . Damit soll nicht geleugnet werden, dass auch jenseits von Ungleichbehandlungen im Einzelfall ein Bedürfnis bestehen kann, Beschlüsse als treuepflichtwidrig aufzuheben. Nicht zuletzt im Interesse der Rechtssicherheit w i r d man dies aber nur unter sehr engen Voraussetzungen in mehr oder weniger eklatanten Fällen annehmen dürfen. Zu denken ist dabei in erster Linie an Fälle, in denen die Gesellschaftsorganen eine ihnen zustehende Befugnis ersichtlich nicht zu dem Zweck ausgeübt haben, zu dem sie eingeräumt worden ist. Hierunter fällt vor allem die Konstellation, dass die Gesellschaftsorgane gegen ihre Bindung an den Verbandszweck verstoßen 2 4 7 . Ferner ist hier der im Rahmen der Gewinnverwendung viel diskutierte Fall der übermäßigen Rücklagenbildung einzuordnen, wenn diese auch bei Einräumung eines großzügigen Beurteilungsspielraums kaufmännisch schlechterdings nicht vertretbar erscheint 2 4 8 . Eine über diese recht weitmaschige Kontrolle hinausgehende Verhältnismäßigkeitsprüfung ist dagegen nach der hier vertretenen Auffassung außerhalb des Anwendungsbereichs des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht veranlasst. Beherzigt man das Vorstehende, ergibt sich eine deutliche Abstufung z w i schen der Inhaltskontrolle am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der allgemeinen treuepflichtgestützten Missbrauchskontrolle. Signifikante Unterschiede bestehen dann nicht nur hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast - im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes muss der Gesellschafter nur die Ungleichbehandlung, nicht die sachliche Rechtfertigung beweisen 2 4 9 , während ihn im Rahmen der Missbrauchskontrolle nach allgemeinen Regeln die volle Beweislast trifft sondern auch in Bezug auf die Kontrolldichte. Während die treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle sich darauf beschränkt, ob besondere Umstände vorliegen, die den Beschluss trotz seiner Gleichmäßigkeit ausnahmsweise als missbräuchlich erscheinen lassen, führt 246 S.oben §2 III 2 b a a zu BGHZ 76, 352; 103, 184 und 142, 167; zu der letztgenannten Entscheidung auch oben Ziff. IV 3. 247 Vgl. dazu bereits oben Fn. 159. Solche Zweckbindungsverstöße werden allerdings bei gleichmäßigen Beschlüssen höchst selten sein, da den Gesellschaftsorganen nach Maßgabe des oben Ziff. II 3 Gesagten grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum zusteht und - anders als bei ungleichmäßigen Beschlüssen - ein zum Ermessensentzug führender Interessenkonflikt in aller Regel nicht vorliegen wird. 248 Vgl. OLG Hamm DB 1991, 2477 f. Im Schrifttum ist die genaue Grenzziehung umstritten; Uberblick über den Meinungsstand bei Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, §29 Rdn.26ff.; Salje, in: Michalski, GmbHG, §29 Rdn.40ff.; zur KG vgl. auch BGHZ 132, 263 (276f.). Für Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art der Lehre vom sachlichen Grund - anders als h i e r - etwa G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §29 Rdn.32 i.V.m. §13 Rdn.32; M. Winter, Treuebindungen, S.292f. i.V.m. 284 f. Die Frage hat vor allem im GmbH-Recht Bedeutung. In der AG ist sie dagegen durch die gesetzlich vorgeschriebene Mindestausschüttung (§254 Abs. 1 AktG) entschärft. Es spricht viel dafür, dass §254 Abs. 1 AktG insoweit eine abschließende Regelung trifft und damit eine Anfechtung wegen Treuepflichtverletzung von vornherein ausschließt; vgl. H ü f f e r , in: MünchKomm. AktG, §254 Rdn. 8. 249 Nachw. oben Fn. 1.
306
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
der Gleichbehandlungsgrundsatz zu einer wesentlich engmaschigeren Kontrolle, die nach der hier vertretenen Auffassung auch nicht durch Annahme eines pauschalen Beurteilungsspielraums der Gesellschaftsorgane relativiert wird. Vielmehr unterliegen - wie dargelegt - zumindest die dritte Stufe (Verhältnismäßigkeit i.e.S.) und darüber hinaus, abhängig vom Vorliegen der Anwendungsvoraussetzungen der business judgment rule, u.U. auch schon die beiden ersten Stufen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Geeignetheit und Erforderlichkeit im Gesellschaftsinteresse) vollinhaltlicher gerichtlicher Kontrolle.
VI. Fazit Zieht man Bilanz, so zeigt sich, dass die sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen zwar eine Reihe schwieriger Fragen aufwirft. Dass der Gleichbehandlungsgrundsatz die Frage nach der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen „nahezu beliebig" offen lasse und deshalb einen „großen Unsicherheitsfaktor" darstelle, wie bisweilen gesagt wird 250 , erscheint nach den vorstehenden Präzisierungen indes übertrieben. Dies gilt allemal im Vergleich zur Lehre vom sachlichen Grund, die zu denselben Abwägungsfragen f ü h r t und diese sogar noch auf gleichmäßige Maßnahmen ausdehnt. Zu konstatieren ist aber, dass die Rechtsprechung das Potenzial, die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen zu konkretisieren, bislang bei weitem nicht ausgeschöpft hat. Verbreitet verwenden die Gerichte nach wie vor Formeln, die einer Zeit entstammen, in denen das Gleichbehandlungsgebot noch als reines Willkürverbot aufgefasst wurde 2 5 1 ; auf die damit verbundenen Gefahren wurde hingewiesen 252 . Es ist zu hoffen, dass die Rechtsprechung diesem Versäumnis alsbald abhelfen wird. Besondere Bedeutung kommt dabei der im Vorstehenden entwickelten präziseren Eingrenzung der Beurteilungsspielräume zu, welche die Rechtsprechung den Gesellschaftsorganen im Rahmen der sachlichen Rechtfertigung bislang mehr oder weniger pauschal und ohne klar konturierte Grenzen zugesteht. Insoweit gilt es, den im neueren Schrifttum entwickelten Ansatz, die business judgment rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 A k t G n.F.) als organübergreifende Regel aufzufassen und bei Nichtvorliegen ihrer Geltungsvoraussetzungen einen Ermessensentzug auch für die Anteilseignerversammlung anzunehmen, konsequent fortzuentwickeln und in der beschriebenen Weise auf die einzelnen Prüfungsstationen der sachlichen Rechtfertigung zu übertragen. Im Ergebnis f ü h r t dies zu einer differenzierten Prüfungsdichte, die vor allem dort besonders hoch ausfällt, wo sich das handelnde Gesellschaftsorgan in einem Interessenkonflikt befindet. Damit wird der von 250 251 252
S. oben Fn. 5. Nachw. oben Fn. 144. Vgl. insbesondere Ziff. III 3.
§12 Sachliche
Rechtfertigung
von Ungleichbehandlungen
307
berufener Seite erhobenen Forderung, die „wahrhaft kranken" Fälle zu isolieren 253 und diese besonders intensiv zu kontrollieren, auch auf den einzelnen Stufen der sachlichen Rechtfertigung zielgenau Rechnung getragen.
253
Vgl. Röhricht,
ZGR 1999,445 (474).
§ 13 Rechtfertigung durch bloßen Vermögensausgleich? Ungleichbehandlungen führen nach dem Gesagten zu einer Inhaltskontrolle am Maßstab des Gesellschaftsinteresses und des Verhältnismäßigkeitsprinzips. N u r wenn sie dieser Kontrolle standhalten, sind sie sachlich gerechtfertigt. Noch nicht entschieden ist aber, ob es einer solchen sachlichen Rechtfertigung stets bedarf oder ob der Mehrheit die Möglichkeit offen steht, die sachliche Rechtfertigung unter bestimmten Voraussetzungen durch einen bloßen Vermögensausgleich zu ersetzen und auf diese Weise einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz abzuwenden. Für das Sondervorteilsverbot (§ 243 Abs. 2 Satz 1 AktG) ist eine solche Möglichkeit in § 243 Abs. 2 Satz 2 A k t G ausdrücklich vorgesehen: Die Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses wegen Erstrebens von Sondervorteilen ist ausgeschlossen, wenn der Beschluss den anderen Aktionären einen angemessenen Ausgleich f ü r ihren Schaden gewährt. Nach ihrer systematischen Stellung bezieht sich diese Regelung zwar nur auf die Anfechtung nach § 243 Abs. 2 Satz 1 A k t G , nicht auf die Anfechtungsgründe des § 243 Abs. 1 A k t G , zu denen der Gleichbehandlungsgrundsatz zählt. Zu fragen ist aber, ob die Regelung nicht unter bestimmten Voraussetzungen im Wege der Analogie auf den Gleichbehandlungsgrundsatz übertragen werden kann. Die Frage ist vor allem im Aktienrecht von Bedeutung, da hier von namhafter Seite eine (teilweise) Abkehr von der Inhaltskontrolle und eine Hinwendung zu einem bloßen Vermögensschutz befürwortet werden.
I. Meinungsstand 1. Die restriktive Haltung der h.M. Die bisher ganz überwiegende Auffassung steht einer analogen Anwendung des § 243 Abs. 2 Satz 2 A k t G auf die Anfechtungsgründe des Abs. 1 und damit auch den Gleichbehandlungsgrundsatz grundsätzlich ablehnend gegenüber 1 . Die 1 Vgl. etwa Henze/Notz, in: G r o ß k o m m . A k t G , §53a R d n . l l l ; Hüffer, A k t G , §243 Rdn.37; ders., in: M ü n c h K o m m . A k t G , §243 Rdn.73; ders., FS Kropff, S. 127 (134ff., 141); K. Schmidt, in: G r o ß k o m m . A k t G , §243 Rdn. 52, 59 (anders aber, wenn sich die Ungleichbehandlung in dem nach Abs. 2 Satz 2 kompensationsfähigen Sondervorteil „endgültig er-
§ 13 Rechtfertigung
durch bloßen
Vermögensausgleich
?
309
Vorschrift sei bereits im Anwendungsbereich des § 243 Abs. 2 A k t G zu weit geraten und rechtspolitisch misslungen, so dass sie nicht noch im Wege der Analogie ausgedehnt werden dürfe. Dass die Minderheitsinteressen allein durch Vermögensausgleich überspielt werden könnten, verkürze die Interessen der Minderheitsgesellschafter in undifferenzierter Weise auf diejenigen gläubigerähnlicher Kapitalanleger. Dies sei allenfalls f ü r Kleinaktionäre in der Publikumsgesellschaft (Anlegeraktionäre) akzeptabel, keinesfalls jedoch f ü r solche Minderheitsgesellschafter, die mit ihrer Beteiligung auch unternehmerische Interessen verfolgten (Unternehmeraktionäre). Da aber eine brauchbare Trennung von Anleger- und Unternehmeraktionären bisher nicht gelungen und dem Gesetz nicht zu entnehmen sei, müsse das Konzept der Ausgleichsklausel insgesamt als wenig durchdacht und rechtspolitisch verfehlt betrachtet werden 2 . Schon deshalb sei die Vorschrift nicht zu verallgemeinern und nicht auf Fälle des § 243 Abs. 1 A k t G übertragbar. Dass die Ausgleichsklausel des § 243 Abs. 2 Satz 2 A k t G auf diese Weise weitestgehend bedeutungslos ist, da Verstöße gegen das Sondervorteilsverbot (§ 243 Abs. 2 Satz 1 A k t G ) praktisch immer auch Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz oder die Treuepflicht beinhalten und damit auch unter § 243 Abs. 1 A k t G fallen, betrachtet die h.M. angesichts ihrer rechtspolitischen Beurteilung der Ausgleichsklausel nicht als Manko. Allerdings lässt sie in einem Fall eine Ausnahme zu: Ausweislich der Materialien hatte der Gesetzgeber bei Einf ü h r u n g der Ausgleichsklausel vor allem die Beschlussfassung über Unternehmensverträge nach §292 A k t G vor Augen, f ü r die nicht bereits in § 3 0 4 A k t G ein Vermögensausgleich vorgeschrieben ist 3 . In diesen Fällen sollte dem anderen Vertragsteil die Möglichkeit eröffnet werden, auf §243 Abs. 2 A k t G gestützte Anfechtungsklagen gegen die Zustimmung zu dem Unternehmensvertrag abzuwehren, indem er den außenstehenden Aktionären einen Vermögensausgleich gewährt 4 . U m diesem Anliegen des Gesetzgebers Rechnung zu tragen, erstreckt die h.M. die Ausgleichsklausel hier ausnahmsweise auch auf Anfechtungsschöpft"); Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn.240f.; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 77f.; Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S.91 f. 2 Vgl. H ü f f e r , AktG, §243 Rdn. 37; ders., in: MünchKomm. AktG, §243 Rdn. 89ff.; ders., FS Kropff, S. 127 (140); K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §243 Rdn. 60; i.E. auch Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, §292, 33 a.E.; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn. 236; Flume, AT 1/2, § 7 II 2 (S. 211 Fn. 86); Schilling, FG Hengeler, S. 226 (233 f.). 3 Begr. RegE bei K r o p f f , AktG 1965, S. 329: „Andererseits entfällt nach dem neuen Abs. 2 Satz 2 die Anfechtung, wenn in dem Beschluss den anderen Aktionären ein angemessener Ausgleich für ihren Schaden gewährt wird. Das ist vor allem für die Beschlussfassung über solche Unternehmensverträge bedeutsam, für die nicht schon wie in §304 des Entwurfs das Gesetz eine Ausgleichspflicht vorschreibt." 4 Der Gesetzgeber hatte dabei vor allem den Vertragsschluss mit einem herrschenden Aktionär vor Augen, da regelmäßig nur dieser in der Lage sein wird, in der Hauptversammlung einen ihm Sondervorteile verschaffenden Vertrag durchzusetzen. Näher zum konzernrechtlichen Zuschnitt der Regelung H ü f f e r , FS Kropff, S. 127 (134 ff., insbes. 137 f., 139 ff.).
310
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
gründe des § 2 4 3 A b s . 1 A k t G , die mit dem Verstoß gegen § 2 4 3 A b s . 2 Satz 1 A k t G typischerweise einhergehen, also auch auf Verletzungen des G l e i c h b e handlungsgrundsatzes 5 . Praktische B e d e u t u n g dürfte dieser A u s n a h m e allerdings nur bei U n t e r n e h mensverträgen nach § 2 9 2 A b s . 1 Nr. 3 A k t G (Betriebspacht, Betriebsüberlassung) z u k o m m e n . D e r Verstoß gegen das Sondervorteilsverbot wird n ä m l i c h in aller Regel darauf b e r u h e n , dass die K o n d i t i o n e n des Vertrags f ü r die G e s e l l schaft unangemessen ungünstig und f ü r den kontrahierenden A k t i o n ä r u n a n gemessen günstig sind, d.h. ein V e r s t o ß gegen § 57 A k t G vorliegt (verdeckte Vermögenszuwendung). In diesem Fall ist die Z u s t i m m u n g der H a u p t v e r s a m m l u n g zu einem U n t e r n e h m e n s v e r t r a g nach § 2 9 2 A b s . 1 N r . 1 und 2 A k t G nach ganz h . M . bereits nichtig (§ 241 N r . 3 A k t G ) , so dass es keiner A n f e c h t u n g m e h r bedarf 6 . N u r i m Fall des § 2 9 2 A b s . 1 N r . 3 A k t G liegt es kraft ausdrücklicher Regelung in § 2 9 2 Abs. 3 A k t G anders, so dass es hier auf die A n f e c h t u n g und damit auf die Ausgleichsklausel a n k o m m t 7 . M i t dieser eng begrenzten A u s n a h m e - die sich w o h l auch auf das G m b H R e c h t übertragen lässt 8 - bleibt es aber dabei, dass die h . M . einer analogen A n wendung des § 2 4 3 A b s . 2 Satz 2 A k t G auf den Gleichbehandlungsgrundsatz ablehnend gegenübersteht. D i e Gesellschafter müssen eine Benachteiligung also nicht gegen bloßen Vermögensausgleich hinnehmen.
2. Das Alternativkonzept
von Mülbert
Demgegenüber messen Mülbert
und ihm folgend Paefgen
der Ausgleichsklausel
des § 2 4 3 Abs. 2 Satz 2 A k t G zumindest für den Bereich des Aktienrechts deutlich weiter gehende Bedeutung zu. D i e Ausgleichsklausel sei als Ausprägung ei5 Vgl. Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn.253; für Verträge nach §292 Abs. 1 Nr. 3 AktG auch Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §292 Rdn. 51; Hüffer, AktG, §243 Rdn.37, §292 Rdn.30; ders., in: MünchKomm. AktG, §243 Rdn. 104; ders., FS Kropff, S. 127 (131); Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, §292 Rdn. 25; Schilling, FG Hengeler, S. 226 (232); offen lassend K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §243 Rdn. 58; a.A. Altmeppen, in: MünchKomm. AktG, §292 Rdn. 122. 6 O L G Düsseldorf AG 1996, 473 (474 Ii. Sp.); Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 292 Rdn. 19,27a; Hüffer, AktG, § 292 Rdn. 11,16; Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, §292 Rdn. 28, 53, 71; Krieger, in: MünchHdb. AG, §72 Rdn. 13, 22; vgl. auch Begr. RegE AktG bei Kropff, AktG 1965, S.379; a.A. aber Altmeppen, in: MünchKomm. AktG, § 292 Rdn. 32 f., 87 (nur Anfechtbarkeit). 7 Hintergrund dieser Regelung war die Überlegung, dass sich bereits durchgeführte Betriebspacht- und -Überlassungsverträge nur mit erheblichen Schwierigkeiten rückabwickeln ließen. Die Nichtigkeit sei daher für diese Fälle keine angemessene Rechtsfolge; vgl. Begr. RegE AktG bei Kropff, AktG 1965, S. 379. 8 Die Frage stellt sich im GmbH-Recht allerdings nur, wenn man für den Abschluss des Unternehmensvertrags nach §292 Abs. 1 Nr. 3 AktG nicht ohnehin einen einstimmigen Zustimmungsbeschluss der Gesellschafter verlangt; vgl. zu dieser Streitfrage Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §292 Rdn. 54 m.w.Nachw.
§ 13 Rechtfertigung
durch bloßen
Vermögensausgleich?
311
ner übergreifenden, auch in anderen Vorschriften zum Ausdruck kommenden Gesamtkonzeption des AktG zu verstehen, die den Schutz von Anlegeraktionären generell auf die Vermögenskomponente der Mitgliedschaft beschränke 9 . Mülbert spricht insoweit von einem „rein vermögensmäßig konzipierten Schutzsystem" des AktG 1 0 bzw. vom Leitbild des „hybriden Aktionärs" 1 1 , bei dem die verbandsrechtlichen Elemente der Mitgliedschaft durch den anlegerorientierten Vermögensschutz überlagert würden. Dieser Grundgedanke rechtfertige es, in Bezug auf Anlegeraktionäre den Vermögensausgleich nach §243 Abs. 2 Satz 2 AktG im Wege der Analogie auch auf die in § 243 Abs. 1 AktG angesiedelten Anfechtungsgründe der Treuepflichtverletzung und des Gleichbehandlungsverstoßes zu übertragen 1 2 . Eine Inhaltskontrolle am Maßstab der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit scheide in den genannten Fällen aus. Nur die Bindung an den Verbandszweck und das daraus abgeleitete Gesellschaftsinteresse bleibe bestehen 13 . Die sich damit erhebende Frage, wen das Gesetz als bloßen Anlegeraktionär einstuft, hat Mülbert zunächst dahin beantwortet, dass jede Beschlussminderheit, die 25 % oder weniger des bei der Beschlussfassung vertretenen 1 4 Grundkapitals halte, nach der gesetzlichen Regelung als Anlegeraktionär anzusehen sei 15 . Dementsprechend sei die Ausgleichsklausel des §243 Abs. 2 Satz 2 A k t G nur insoweit (analog) anwendbar, als der betreffende Beschluss eine Mehrheit von 75 % des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals verlange 16 . Unter dem Eindruck der neu eingeführten Bestimmungen über den squeezeout von Minderheitsaktionären (§§327aff. AktG) 1 7 hat Mülbert diese Position
9 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 259 ff., zusammenfassend S. 299-303, 348 f.; ebenso Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 85 ff. 10 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 348. 11 Mülbert, Aktiengesellschaft, insbes. S. 97 ff., 154 ff.; ders., in: Großkomm. AktG, vor §§ 118-147, Rdn. 199 ff.; ders., FS Ulmer, S. 433 ff. 12 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 348 f. 13 Vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, S.358; ebenso Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 95 ff. 14 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 348 f., spricht verkürzt von einer maximal 25 % der Kapitalanteile haltenden Beschlussminderheit. Aus dem Zusammenhang ergibt sich aber, dass 25 % des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals gemeint sein müssen. Bei dieser Sichtweise erledigt sich der gegen Mülbert erhobene Einwand von Tröger, Treupflicht, S.285 Fn. 125, dass ein mit weniger als 2 5 % des Grundkapitals beteiligter Aktionär bei geringer Hauptversammlungspräsenz u.U. die Mehrheit auf sich vereinige und daher unmöglich als bloßer Anlegeraktionär betrachtet werden könne. 15 Mülbert, Aktiengesellschaft, S.259ff., 348 f.; zustimmend Mart. Wolf, ZIP 2002, 153 (156f.); M. Roth, NZG 2003, 998 (1000). 16 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 349. 17 Eingeführt zum 1.1.2002 durch Art. 7 Nr. 2 des Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen vom 20.12.2001, BGBl. 1,3822.
312
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
allerdings inzwischen nicht unerheblich modifiziert 18 . Aus dem Umstand, dass der squeeze-out einem Hauptaktionär mit 95 % des Grundkapitals vorbehalten sei (§ 327a Abs. 1 AktG), lasse sich folgern, dass das Gesetz einen Aktionär, der über mehr als 5 % des Grundkapitals verfüge, nicht auf den bloßen Vermögensschutz verweisen wolle und nicht als reinen Kapitalanleger betrachte19. Auf die daraus abzuleitenden Folgen für die (analoge) Anwendung des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG geht Mülbert zwar nicht ausdrücklich ein. In der Konsequenz seines neuen Ansatzes liegt es aber, die Ausgleichsklausel nur noch dann (analog) anzuwenden, wenn der Beschluss eine Kapitalmehrheit von 75 % verlangt und - diese Einschränkung ist neu - keiner der betroffenen Minderheitsaktionäre einzeln über mehr als 5 % des Kapitals verfügt. Dass mehrere Minderheitsaktionäre zusammen über 5 % (bis zu 25 %) des Kapitals halten, soll dagegen an der reinen Vermögensschutzorientierung offenbar nichts ändern 20 . Die Konsequenzen der Anwendung des §243 Abs. 2 Satz 2 AktG auf Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz werden von Mülbert nicht näher beschrieben. Die Hauptstoßrichtung seiner Argumentation zielt gegen die Inhaltskontrolle nach der Lehre vom sachlichen Grund, nicht gegen diejenige am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Nimmt man die von Mülbert befürwortete Anwendung des §243 Abs. 2 Satz 2 AktG auf Gleichbehandlungsverstöße beim Wort, soll es aber offenbar möglich sein, Anlegeraktionären jegliche Art der Ungleichbehandlung zuzumuten, sofern nur ein angemessener Vermögensausgleich gewährt wird und die Bindung an den Verbandszweck nicht verletzt wird.
II. Stellungnahme 1. Ausgangspunkt Die Konzeption Mülberts lässt sich nicht schon damit abtun, dass für eine analoge Anwendung des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG auf die in § 243 Abs. 1 AktG angesiedelten Anfechtungsgründe des Gleichbehandlungsverstoßes und der Treuepflichtverletzung keine planwidrige Regelungslücke erkennbar sei21. Der 18 Mülbert, FS Ulmer, S. 433 ff. Dies wird auch in jüngeren Stellungnahmen zu den Thesen Mülberts nicht selten übersehen. 19 Mülbert, FS Ulmer, S. 433 (450). 20 Vgl. Mülbert, FS Ulmer, S. 433 (450): „Ein Aktionär, der über mehr als 5 % der Anteile verfügt, entspricht nicht mehr diesem Leitbild." (Hervorhebung nicht im Original). Auch im Rahmen der verfassungsrechtlichen Beurteilung des squeeze-out will Mülbert darauf abheben, ob ein einzelner Aktionär mehr als 5 % des Kapitals hält. Dagegen soll der Ausschluss einer Vielzahl von Kleinaktionären, die zusammen, nicht aber einzeln die 5%-Schwelle überschreiten, verfassungsrechtlich zulässig sein; aaO. S. 433 (437 f.). 21 So aber Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 77.
§ 13 Rechtfertigung
durch bloßen
Vermögensausgleich?
313
Gesetzgeber des A k t G 1965 hat nicht vorhergesehen, dass das Sondervorteilsverbot des § 243 Abs. 2 Satz 1 A k t G - und damit auch die Ausgleichsklausel des Satz 2 - durch die Fortentwicklung der Anfechtungsgründe des § 243 Abs. 1 A k t G praktisch bedeutungslos werden würde. Wie der historische Rückblick gezeigt hat 2 2 , war der Gleichbehandlungsgrundsatz 1965 zwar seit langem bekannt, wurde aber lediglich bei formalen Ungleichbehandlungen zur Anwendung gebracht und war damit nur von geringer praktischer Bedeutung. Treuepflicht und Lehre vom sachlichen Grund gewannen ebenfalls erst nach 1965 an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund lässt sich nicht sagen, dass der Gesetzgeber die Ausgleichsklausel bewusst auf Fälle des Sondervorteilsverbots beschränken wollte und dies auch für den Fall gelten sollte, dass das Sondervorteilsverbot durch konkurrierende Anfechtungsgründe des § 243 Abs. 1 A k t G so gut wie bedeutungslos werden würde. Letztlich unterscheidet sich die Konzeption Mülberts
in diesem Ausgangspunkt auch gar nicht von dem der h . M . Wie
gesehen befürwortet auch diese, wenn auch nur in dem einen Fall des § 292 A k t G , eine analoge Anwendung des § 243 Abs. 2 Satz 2 A k t G und geht damit vom Bestehen einer Regelungslücke aus. Ebenso wenig lässt sich die Rechtsähnlichkeit des Sondervorteilsverbots und des Gleichbehandlungsgrundsatzes bestreiten. F ü r die Übertragbarkeit des § 243 Abs. 2 Satz 2 A k t G auf den Gleichbehandlungsgrundsatz spricht vielmehr ein argumentum
a maiore
ad minus: Wenn sogar die vorsätzliche Bevorzugung
eines Aktionärs zum Schaden der Gesellschaft oder der Mitaktionäre durch Vermögensausgleich kompensiert werden kann, muss dies erst recht für die rein objektive Ungleichbehandlung der Gesellschafter gelten. Vor diesem Hintergrund spricht zunächst alles dafür, dass immer dann, wenn die Ausgleichsklausel im Bereich des Sondervorteilsverbots zur Anwendung kommt, dasselbe auch im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes gelten muss.
2. Einschränkende
Auslegung des $ 243 Abs. 2 Satz 2 AktG
D a m i t ist aber noch keineswegs entschieden, dass Ungleichbehandlungen stets oder jedenfalls in den von Mülbert
genannten Fällen durch Vermögen-
sausgleich kompensiert werden könnten. Vielmehr kann die analoge A n w e n dung des § 243 Abs. 2 Satz 2 A k t G selbstverständlich nicht weiter reichen als die unmittelbare. Entscheidend ist daher, ob und inwieweit die Ausgleichsklausel bereits in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich einer einschränkenden Auslegung bedarf.
22
S. oben § 2 .
314
3. Kapitel:
a) Historische
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Regelungsintention
Auf eine restriktive Auslegung deuten vor allem die Gesetzesmaterialien hin. Wie bereits angedeutet hatte der Gesetzgeber als zentralen Anwendungsfall des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG die Beschlussfassung über Unternehmensverträge nach § 292 AktG vor Augen, für die nicht schon § 304 AktG eine Ausgleichspflicht vorschreibt. In diesem Fall sollte dem (zumeist herrschenden) Aktionär, dem der Abschluss des Vertrags Sondervorteile verschafft, die Möglichkeit eröffnet werden, die Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses durch Ausgleich des Schadens der anderen Aktionäre abzuwenden23. Offensichtlich schwebte dem Gesetzgeber damit vor, eine gewisse Annäherung an die Rechtslage bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen (§ 291 AktG) herzustellen. Bei diesen ist die Anfechtung nach § 243 Abs. 2 Satz 1 AktG von vornherein ausgeschlossen (§ 304 Abs. 3 Satz 2 AktG); dafür trifft den herrschenden Gesellschafter eine Ausgleichs- und Abfindungspflicht gemäß §§ 304 f. AktG. Eine weitergehende, durchdachte Regelungsintention war mit der Einführung des §243 Abs. 2 Satz 2 AktG, der in § 197 Abs. 2 AktG 1937 noch keine Entsprechung fand, ausweislich der Gesetzesmaterialien nicht verbunden. Dafür, dass die Ausgleichsklausel außerhalb der genannten konzernrechtlichen Fälle bewusst auch auf die Beilegung allfälliger gesellschaftsinterner Konflikte erstreckt werden sollte, finden sich in der Entstehungsgeschichte keine Anhaltspunkte 24 . Dass die Anschauung des Gesetzgebers ganz auf Fälle des § 292 AktG zugeschnitten war, dürfte auch die Erklärung dafür liefern, dass § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG scheinbar bedenkenlos eine Ausgleichsleistung an die Aktionäre zulässt, obwohl der angefochtene Beschluss zu einem Schaden der Gesellschaft geführt haben kann. Wäre § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG eine verallgemeinerungsfähige Vorschrift, würde dies zu einer schwer verständlichen Beeinträchtigung des Gläubigerschutzes führen 25 . Verständlich wird die Regelung dagegen, wenn man sie auf die Fälle des § 292 AktG beschränkt, die der Gesetzgeber vor Augen hatte: Denn hier hat der Gesetzgeber für den zentralen Anwendungsfall, in dem eine Anfechtung nach §243 Abs. 2 AktG in Betracht kommt (nämlich den Abschluss von Verträgen nach § 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG mit dem herrschenden Aktionär 26 ), in § 302 Abs. 2 AktG eine besondere Regelung zum Schutz der Gläubiger vorgesehen, die der gläubigergefährdenden Begr. RegE AktG bei Kropff, AktG 1965, S. 329; s. schon oben Fn. 3. Näher Hüffer, FS Kropff, S. 127 (138 ff.). 25 §243 Abs. 2 Satz 2 AktG soll deshalb nach h.M. korrigierend dahin auszulegen sein, dass bei einer Schädigung der Gesellschaft der Ausgleich nur an diese (und nicht an die Aktionäre) geleistet werden darf; vgl. statt vieler Hüffer, AktG, § 243 Rdn. 40 m.w.Nachw. In dem vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Fall (Abschluss von Verträgen nach §292 Abs.l Nr. 3 AktG mit dem herrschenden Aktionär) ist diese Korrektur jedoch unnötig; dazu sogleich im Text. 26 S. oben Ziff. I l a . E . 23
24
5 13 Rechtfertigung
durch bloßen
315
Vermögensausgleich?
W i r k u n g einer Ausgleichsleistung außerhalb des Gesellschaftsvermögens ihre Schärfe n i m m t . D i e Gesetzesmaterialien sowie das Zusammenspiel von § 243 A b s . 2 Satz 2 und § 3 0 2 A b s . 2 A k t G legen daher ein Verständnis der Ausgleichsklausel nahe, das weit hinter dem zurückbleibt, was der Wortlaut vermuten lässt. V i e l m e h r deuten sie in die R i c h t u n g , den Anwendungsbereich des § 243 A b s . 2 Satz 2 A k t G durch teleologische R e d u k t i o n auf die Beschlussfassung über U n t e r n e h mensverträge nach § 2 9 2 A k t G zu beschränken. S o m i t wäre die V o r s c h r i f t auch nur in diesen Fällen im Wege der A n a l o g i e auf den Gleichbehandlungsgrundsatz übertragbar, wie dies die h . M . a n n i m m t .
b) Ausprägung eines allgemeinen Prinzips des reinen
Vermögensschutzes?
S c h o n mit Rücksicht darauf, dass die Vorschrift offenbar nur f ü r einen begrenzten Anwendungsbereich durchdacht worden ist, muss es bedenklich erscheinen, der Ausgleichsklausel des § 243 Abs. 2 Satz 2 A k t G mit Mülbert
die B e d e u t u n g
einer fundamentalen Z e n t r a l n o r m zuzusprechen, die eine tragende Säule des „rein vermögensmäßig konzipierten Schutzsystems" des A k t G bilden soll. E i n zuräumen ist aber, dass das auf die Gesetzgebungsmaterialien gestützte Auslegungsergebnis nicht über jeden Zweifel erhaben ist. D u n k e l bleibt, w a r u m der G e s e t z g e b e r die weite F o r m u l i e r u n g des § 243 A b s . 2 Satz 2 A k t G gewählt hat, o b w o h l doch offensichtlich ist, dass ihr Wortlaut über die Fälle des § 2 9 2 A k t G hinausreicht. Sofern sich dem A k t G 1965 nebst seinen nachträglichen Ä n d e rungen tatsächlich in einer systematischen G e s a m t s c h a u der übergreifende G r u n d g e d a n k e eines die Inhaltskontrolle verdrängenden reinen V e r m ö g e n s schutzes f ü r Anlegeraktionäre entnehmen ließe, wie Mülbert
a n n i m m t , spräche
deshalb trotz der Gesetzgebungsmaterialien viel dafür, auch dem § 2 4 3 A b s . 2 Satz 2 A k t G einen entsprechenden, weit über die Fälle des § 2 9 2 A k t G hinausreichenden Regelungszweck beizulegen. E i n e nähere B e t r a c h t u n g zeigt j e d o c h , dass das A k t G für einen derartigen übergreifenden G r u n d g e d a n k e n des reinen Vermögensschutzes keine hinreichenden, geschweige denn zwingenden A n haltspunkte hergibt 2 7 .
27 Ablehnend auch die ganz h.L.; zu Miilberts neuerer Konzeption (bloßer Vermögensschutz bis an die Grenze von 5 % des Kapitals) Habersack, AG 2005, 137 (139 f.), und Boese, Anwendungsgrenzen, S. 112; zur ursprünglichen Konzeption (bloßer Vermögensschutz bis an die Grenze der Sperrminorität) Bayer, ZHR 163 (1999), 505 (531); ders., N J W 2000, 2609 (2615); Grundmann, Treuhandvertrag, S. 459ff.; Habersack, Mitgliedschaft, S.264, 326ff.; H. Hanau, NZG 2002, 1040 (1042 f.); Hüffer, FS Kropff, S.127 (132 ff.); ders., in: Münch. Komm. AktG, §243 Rdn.56; Kindler, ZGR 1998, 35 (51); Boese, Anwendungsgrenzen, S. 107 ff.; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 74 ff.; Natterer, Kapitalveränderung, S. 95 ff.; Rühland, WM 2002, 1957 (1961 f.); Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 91 f., 103 ff.; Tröger, Treupflicht, S. 282 ff.; z.T. kritisch auch Hirte, WM 1997,1001 (1004 f., 1007 f.).
316
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
aa) Nahe liegend sind zunächst die Einwände gegen Mülberts ursprüngliche Konzeption, die von einem bloßen Vermögensschutz bis an die Grenze der Sperrminorität ausging und damit auch Paketaktionäre mit beträchtlichem Beteiligungsumfang und vielfältigen Minderheitsrechten als reine Kapitalanleger ansehen wollte 28 . Nachdem Mülbert diese Position inzwischen selbst aufgegeben hat, muss hierauf an dieser Stelle nicht nochmals eingegangen werden. bb) Der neuere, modifizierte Ansatz Mülberts - reiner Vermögensschutz bis an die Grenze der Sperrminorität, es sei denn, ein einzelner Minderheitsaktionär hält mehr als 5 % des Grundkapitals - weist dagegen im Ausgangspunkt zu Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber mit Einführung der §§ 327a ff. AktG den Bestandsschutz der Mitgliedschaft von Kleinaktionären erheblich eingeschränkt und sich dabei ausdrücklich auf die Erwägung gestützt hat, dass diese Aktionäre ihre Aktien „vorwiegend als Kapitalanlage betrachten" und „ihr Interessenschwerpunkt regelmäßig auf der Vermögenskomponente ihrer Rechtsposition liegt." 29 Allerdings gilt diese Regelung nur in der besonderen Situation, dass den Kleinaktionären ein einzelner Hauptaktionär gegenübersteht, der mindestens 95 % des Kapitals auf sich vereinigt. Unklar bleibt deshalb, warum Mülbert darauf abstellen will, dass ein einzelner Aktionär die 5 %-Schwelle überschreitet, obwohl der squeeze-out bereits ausscheidet, wenn die Minderheitsaktionäre zusammen mehr als 5 % des Kapitals halten. Konsequenter wäre es, eine Beschränkung auf reinen Vermögensschutz allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn alle Minderheitsaktionäre zusammen die 5 %-Grenze nicht überschreiten. Aber auch mit dieser (weiteren) Modifikation lässt sich die These Mülberts letztlich nicht halten. Allein daraus, dass der Gesetzgeber mit den §§ 327a ff. AktG die Möglichkeit eröffnet hat, die Kleinaktionäre in einem ganz bestimmten Verfahren gegen angemessene Abfindung aus der Gesellschaft auszuschließen, lässt sich nicht folgern, dass er auch außerhalb dieses Verfahrens einem allgemeinen Prinzip des reinen Vermögensschutzes zum Durchbruch verhelfen wollte. Im Gegenteil belegt der Umstand, dass Aktionären auch unterhalb einer Beteiligung von 5 % des Kapitals nach wie vor wichtige Teilhaberechte zustehen und diese in jüngster Zeit sogar noch wesentlich ausgebaut worden sind 30 und künftig noch weiter ausgebaut werden sollen 31 , sehr deutlich, S. dazu vor allem die Kritik von Hüffer, FS Kropff, S. 127 (132 ff.). Vgl. Begr. RegE Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, BT-Drucks. 14/7034, S. 32 re. Sp. 30 Vgl. etwa § 148 AktG i.d.F. des U M A G (Verfolgungsrecht der Aktionäre im Bereich der Organhaftung ab 1 % des Kapitals bzw. einem anteiligen Betrag von € 100.000); ferner § 127a AktG i.d.F. des U M A G (Einführung eines Aktionärsforums, um den Aktionären eine bessere Koordination der Ausübung ihrer Teilhaberechte zu ermöglichen). 31 Vgl. den Vorschlag der Kommission vom 5.1.2006 (KOM [2005] 685 endg.) für eine Richtlinie über die Stimmrechtsausübung der Aktionäre („Richtlinie über die Ausübung der Stimmrechte durch Aktionäre von Gesellschaften, die ihren eingetragenen Sitz in einem Mit28
29
§13 Rechtfertigung
durch bloßen
Vermögensausgleich?
317
dass der Gesetzgeber nach wie vor auf die Ausübung mitgliedschaftlicher Teilhaberechte auch durch Kleinaktionäre setzt und von einer Politik des ,dulde und liquidiere' weit entfernt ist32. Es kommt hinzu, dass selbst dann, wenn man Mülberts These vom „rein vermögensmäßig konzipierten Schutzsystem" als zutreffend unterstellen würde, daraus nicht zwangsläufig abzuleiten wäre, dass eine inhaltliche Kontrolle von Mehrheitsentscheidungen mit einem solchen System inkompatibel wäre. Die Inhaltskontrolle - sei es anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes, sei es anhand der Lehre vom sachlichen Grund - dient nämlich im Ergebnis (auch) dem Vermögensschutz. Das lässt sich am Beispiel des Bezugsrechtsausschlusses anschaulich belegen. Der bloße Vermögensausgleich nach §§ 255 Abs. 2,243 Abs. 2 Satz 2 AktG bietet wegen der - auch von Mülbert3i konzedierten - Schwierigkeiten, den angemessenen Wert der auszugebenden Aktien zu bestimmen, keine gänzlich sichere Gewähr dafür, dass die vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre keinen Vermögensverlust erleiden34. Dieses Risiko wird durch die Inhaltskontrolle reduziert, indem sie den Bezugsrechtsausschluss erschwert und damit die Möglichkeiten der Aktionäre erweitert, durch Ausübung ihres Bezugsrechts das Risiko der Unterbewertung der Aktien auszuschließen35. Ähnliche Überlegungen gelten auch für andere Fallgruppen als den Bezugsrechtsausschluss. Auch dort lässt sich die Inhaltskontrolle als ergänzende Sicherung auffassen, die den wegen der Bewertungsschwierigkeiten nicht lückenlosen Vermögensschutz komplettiert. Es ist daher nicht einsichtig, warum die Inhaltskontrolle mit einem am Vermögensschutz des Anlegers orientierten System grundsätzlich unvereinbar sein soll36. Man wird sogar noch einen Schritt weiter gehen können: Das Nebeneinander von Vermögensschutz und über die Bindung an den Verbandszweck hinausgehender Inhaltskontrolle ist nicht nur konzeptionell miteinander vereinbar, sondern es ist - wie gerade die gesetzliche Regelung des Bezugsrechtsausschlusses zeigt - in bestimmten Fällen sogar ausdrücklich gesetzlich vorgegeben. Das Gesetz verlangt für den Bezugsrechtsausschluss die Beachtung sowohl des § 255 Abs. 2 AktG als auch des § 53a AktG. Der Gleichbegliedstaat haben und deren Aktien zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, sowie zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG"), näher zu diesem Vorschlag Noack, NZG 2006, 321 ff.; ferner die Überlegungen zur Schaffung eines ökonomischen Anreizes für die Teilnahme an Hauptversammlungen (sog. attendance fee, dazu bereits oben § 11 Fn. 10). 32 So ausdrücklich Habersack, AG 2005,137 (140). 33 Aktiengesellschaft, S. 340. 34 Vgl. Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 186 Rdn. 116; Grundmann, Treuhandvertrag, S.461; Martens, FS Fischer, S.437 (443); Tröger, Treupflicht, S.283; offen lassend BGHZ 120,141 (148 f.). 35 Freilich um den Preis, dass sie dafür das Risiko einer Uberbewertung der Aktien in Kauf nehmen. 36 Wie hier Tröger, Treupflicht, S. 284 f.
318
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
handlungsgrundsatz soll also zur Anwendung kommen, obwohl mit §255 Abs. 2 AktG bereits eine dem Vermögensschutz dienende Vorschrift eingreift 37 . Der Ansatz von Mülbert müsste demgegenüber - sofern nur Anlegeraktionäre betroffen sind - konsequenterweise dazu führen, dass Verstöße gegen §53a AktG bei Beachtung der Voraussetzungen des §255 Abs. 2 AktG generell ausscheiden. Nach Mülbert soll nämlich die Vorschrift des § 255 Abs. 2 AktG lediglich eine besondere Ausprägung des §243 Abs. 2 Satz 2 AktG darstellen 38 . Da der Vermögensausgleich analog §243 Abs. 2 Satz 2 AktG die Inhaltskontrolle gemäß § 53a AktG entbehrlich machen soll, müsste folgerichtig auch der Vermögensschutz nach § 255 Abs. 2 AktG diese Wirkung haben. Mülbert selbst will zwar diese Konsequenz offenbar nicht ziehen. In anderem Zusammenhang führt er aus, dass § 255 Abs. 2 AktG und § 53a AktG kumulativ zur Anwendung kämen 39 . Mit seinen Prämissen - § 255 Abs. 2 AktG stellt eine besondere Ausprägung des Vermögensschutzes nach §243 Abs. 2 Satz 2 AktG dar, und der Vermögensausgleich nach dieser Vorschrift schließt Verstöße gegen § 53a AktG aus - lässt sich diese im Ergebnis richtige Position jedoch nicht vereinbaren 40 . cc) Nach alledem kann der These Mülberts, der Vermögensausgleich nach § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG verdränge bei Eingriffen in Mitgliedschaftsrechte von Anlegeraktionären die Inhaltskontrolle, nicht zugestimmt werden41. Stattdessen spricht mehr dafür, der Vorschrift des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG nur die beschränkte Bedeutung beizumessen, die ihr ausweislich der Gesetzesmaterialien zugedacht war. Im Ergebnis bedeutet dies eine Reduzierung der Vorschrift auf ihren historischen Regelungskern, d.h. die Beschlussfassung über Unternehmensverträge nach § 292 AktG. Nur insoweit lässt sie sich auch auf den Gleichbehandlungsgrundsatz übertragen.
3. Vereinbarkeit mit dem
Gemeinschaftsrecht
Dass § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG - wenn auch nur in den beschriebenen engen Grenzen - die Anfechtung wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausschließen soll, mag auf den ersten Blick Bedenken unter dem Aspekt der Vereinbarkeit mit Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL hervorru37 Die Anwendung des §53a A k t G auf den Bezugsrechtsausschluss entspricht heute allg.M.; vgl. nur Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 186 Rdn. 85; Peifer, in: MünchKomm. AktG, §186 Rdn. 80; Wiedemann, in: Großkomm. AktG, §186 Rdn. 181; jeweils m.w.Nachw. 38 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 347. 39 Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 358. 40 Ebenso Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S.91. 41 Damit erübrigt sich die Frage, ob und inwieweit dieser Ansatz auch auf das GmbHRecht übertragbar ist. Mülbert selbst lässt diese Frage offen; vgl. dens., Aktiengesellschaft, S. 519.
§ 13 Rechtfertigung
durch bloßen Vermögensausgleich?
319
fen 42 . Insoweit ist aber daran zu erinnern, dass die Richtlinien Gleichbehandlung nur „in denselben Verhältnissen" bzw. „in gleicher Lage" verlangen und den Mitgliedstaaten ein vergleichsweise weiter Regelungsspielraum zusteht, innerhalb dessen sie typisierend festlegen können, wann sich die Aktionäre nicht mehr in denselben Verhältnissen befinden. Mit Rücksicht darauf ist oben bereits dargelegt worden, dass die konzernrechtlichen Sonderbestimmungen der §§291 ff., 311 ff. A k t G mit Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL vereinbar sind 43 . Aus den dort genannten Gründen ist auch gegen die hier interessierende Privilegierung des herrschenden Aktionärs beim Abschluss von Unternehmensverträgen nach § 292 A k t G nichts einzuwenden.
III. Ergebnis Im Ergebnis kann und muss es somit bei dem Standpunkt der h.M. bewenden, dass die Ausgleichsklausel des §243 Abs. 2 Satz 2 A k t G nur ausnahmsweise, nämlich nur bei der Beschlussfassung über Unternehmensverträge nach § 292 AktG, auf Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (analog) anzuwenden ist. Von dieser Ausnahme abgesehen vermag die Ausgleichsgewährung allein Ungleichbehandlungen nicht zu rechtfertigen. Dies ändert freilich nichts daran, dass Kompensationsleistungen bei der sachlichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit i.e.S. als einer von mehreren Faktoren mit zu berücksichtigen sind 44 . (Nur) in diesem Rahmen lässt sich auch dem Umstand Rechnung tragen, dass den Teilhaberechten von Kleinaktionären nicht dieselbe Bedeutung zukommt wie denen von Gesellschaftern mit größerem Beteiligungsumfang.
42 Vgl. Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 92, der jedenfalls die von Mülbert vertretene, wesentlich weitergehende Analogie zu § 243 Abs. 2 Satz 2 A k t G f ü r richtlinienwidrig hält. 43 S. oben § 6 12 b bb , cc. 44 S.oben 12 IV 4 c ee.
§ 14 Verzicht auf Gleichbehandlung Ungleichbehandlungen sind nicht nur dann zulässig, wenn sie nach Maßgabe der oben in § 12 getroffenen Feststellungen sachlich gerechtfertigt sind, sondern auch dann, wenn die benachteiligten Gesellschafter wirksam auf die Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verzichtet haben. Wirksam ist allerdings nur der Verzicht auf Gleichbehandlung in konkret umrissenen Einzelfällen (Ziff. I), nicht der Verzicht auf die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Allgemeinen (Ziff. II). I. Verzicht auf Gleichbehandlung in Einzelfällen
1. Dogmatische
Begründung
Dass ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ausscheidet, wenn der bzw. die benachteiligten Gesellschafter einer konkreten Ungleichbehandlung durch die Gesellschaft zustimmen und damit auf die Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verzichten, entspricht hierzulande seit langem allgemeiner Auffassung1. Diese Ansicht war bereits vor Einführung des § 53a AktG anerkannt2; der Gesetzgeber wollte hieran nichts ändern3. Sie leuchtet - zumindest für den Fall, dass ausnahmslos alle benachteiligten Gesellschafter der Ungleichbehandlung zustimmen4 - auch unmittelbar ein, da der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht darauf abzielt, die Privatautonomie des einzelnen Gesellschafters zu beschränken5. Da auch den Richtlinienbestimmungen dieses 1 Vgl. etwa Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 17 f.; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 93 f.; H ü f f e r , AktG, § 53a Rdn. 5; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn.29; Emmerich, in: Scholz, GmbHG, §13 Rdn.41; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rdn. 43; Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 121; Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 13 Rdn. 106; Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 83 f. 2 Vgl. Müller-Erzhach, Mitgliedschaft, S.77; G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.260f. 3 Vgl. Begr. RegE 2. KoordG, BT-Drucks. 8/1678, S. 13, re. Sp. 4 Zur Frage, ob darüber hinaus auch ein mehrheitlicher Gleichbehandlungsverzicht der benachteiligten Gesellschafter in Betracht kommt, s. unten Ziff. 3. 5 S. schon oben § 1 II 2 a.
5 14 Verzicht auf
Gleichbehandlung
321
Verständnis zugrunde liegt 6 , begegnet sie auch aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht keinen B e d e n k e n , mag die Zulässigkeit des Verzichts auch (noch) nicht in allen Mitgliedstaaten zweifelsfrei anerkannt sein 7 . Sie steht im Ü b r i g e n auch in E i n k l a n g mit der hier vertretenen E i n o r d n u n g des Gleichbehandlungsgrundsatzes als besonderer Ausprägung der Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber den Gesellschaftern 8 . A u c h für diese wird a n g e n o m m e n , dass der betroffene Gesellschafter durch Z u s t i m m u n g im Einzelfall von der Pflichtbindung dispensieren kann 9 . D i e Zulässigkeit v o n U n g l e i c h b e h a n d l u n g e n bei Z u s t i m m u n g des o d e r der benachteiligten G e s e l l s c h a f t e r lässt sich am besten als teleologische R e d u k tion des zu weit geratenen 1 0 W o r t l a u t s des § 53a A k t G erklären. D i e W o r t e „soweit die benachteiligten A k t i o n ä r e nicht einer U n g l e i c h b e h a n d l u n g zus t i m m e n " sind als ungeschriebenes T a t b e s t a n d s m e r k m a l in § 53a A k t G h i n einzulesen. A l t e r n a t i v k ö n n t e m a n erwägen, die Z u s t i m m u n g als A n w e n dungsfall der auch a n d e r n o r t s im Privatrecht a n e r k a n n t e n rechtfertigenden E i n w i l l i g u n g anzusehen 1 1 . D i e s e F i g u r b e s c h r ä n k t sich j e d o c h auf die vorhergehende Z u s t i m m u n g 1 2 u n d vermag daher nicht zu erklären, w a r u m nach allgemeiner A n s i c h t auch die nachträgliche Z u s t i m m u n g einen G l e i c h b e h a n d lungsverstoß entfallen lässt 1 3 .
2. Erklärung und Wirkung des Verzichts S t i m m e n der oder die Benachteiligten der Ungleichbehandlung durch die G e sellschaft zu, wird sich häufig ein (stillschweigend abgeschlossener) Vertrag über den Verzicht auf Gleichbehandlung konstruieren lassen. D a s ist jedoch ebenso wenig erforderlich wie im vergleichbaren Fall der Z u s t i m m u n g zur B e einträchtigung eines Sonderrechts (§ 35 B G B ) oder des Dispenses von der Treuepflicht. W i e in diesen Fällen genügt vielmehr eine einseitige Z u s t i m m u n g der benachteiligten Gesellschafter 1 4 . D i e Z u s t i m m u n g muss als empfangsbeS. oben §6 II 2 b aa. Vgl. für die Niederlande oben §7 III 2d a.E.; die Diskussion steht dort aber noch am Anfang. Wie in Deutschland die allg.M. in Osterreich und der Schweiz, vgl. oben § 7 III 2 d a.E.; zur Rechtslage in Frankreich oben § 7 12 c bei Fn. 79-80. 8 S. oben § 5 III. 9 Vgl. Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, Anh. §53a Rdn. 127; M. Winter, Treuebindungen, S. 215 (zur Treuepflicht der Gesellschafter untereinander). 10 Kritisch zur Formulierung des § 53a AktG schon Lutter, FS Ferid, S. 599 (606 f.). 11 Umfassend zur Einwilligung im Privatrecht unlängst Ohly, Einwilligung, der u.a. deutlich herausstellt, dass diese Rechtsfigur nicht nur im Deliktsrecht, sondern auch im Rahmen von Sonderverbindungen zu beachten ist; aaO. S. 277 ff. 12 Ohly, Einwilligung, S. 344 ff. 13 Nachw. unten Fn. 16. 14 So ausdrücklich G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.260f.; vgl. ferner die Nachw. in Fn. 16. Anders möglicherweise Emmerich, in: Scholz, GmbHG, § 13 Rdn. 41, der in diesem 6
7
322
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
dürftige Willenserklärung gegenüber der Gesellschaft erklärt werden 15 . Dies kann vor, bei und nach der Entscheidung geschehen 16 . Ein wirksamer Verzicht ist insbesondere auch in der Zustimmung zu einem ungleichmäßigen Beschluss der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung zu erblicken 17 . Einschränkend ist allerdings anzunehmen, dass die Stimmabgabe diesen Erklärungswert nur hat, wenn die Ungleichbehandlung im Zeitpunkt der Abstimmung f ü r den betreffenden Gesellschafter erkennbar war 18 . Erwägenswert erscheint darüber hinaus die weitere Einschränkung, der zustimmenden Stimmabgabe nur dann die Verzichtswirkung beizumessen, wenn der Gesellschafter nicht bis zum Ende der Anteilseignerversammlung Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat. Hierfür spricht, dass die Anteilseignerversammlung rechtlich eine Einheit darstellt und mit Rücksicht darauf auch bei anderen Anfechtungsgründen überwiegend anerkannt wird, dass unabhängig vom vorausgehenden Abstimmungsverhalten noch bis zum Ende der Anteilseignerversammlung Widerspruch zur Niederschrift erklärt werden kann (§245 Nr. 1 AktG) 1 9 . Folgt man dieser Prämisse, wäre es ungereimt, ausgerechnet bei Gleichbehandlungsverstößen anders zu entscheiden und dem Gesellschafter zu verwehren, den Verstoß noch geltend zu machen 20 . Dagegen genügt das Fernbleiben von der Beschlussfassung auch bei ordnungsgemäßer Ladung und Bekanntmachung der Tagesordnung nicht, um einen wirksamen Verzicht auf Gleichbehandlung anzunehmen 2 1 . Einer der Ausnahmefälle, in denen bloßes Schweigen als Zustimmung zu werten ist 22 , liegt nicht vor. Dasselbe gilt für die Stimmenthaltung, die anerkanntermaßen ebenso zu bewerten ist wie das Fernbleiben 23 . Wird die Zustimmung vor oder gleichzeitig mit der Beschlussfassung über die Ungleichbehandlung erteilt, liegt von vornherein kein Verstoß gegen den Zusammenhang auf das in §305 BGB a.F. =§311 BGB n.F. verankerte Vertragsprinzip verweist. 15 So zur parallelen Frage bei § 35 BGB Hadding, in: Soergel, BGB, § 35 Rdn. 17. 16 Bungeroth, in: M ü n c h K o m m . A k t G , §53a Rdn. 18; Henze/Notz, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 53a Rdn. 96; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , § 53a Rdn. 29; Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , § 243 Rdn. 58. 17 Vgl. G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 261 f.; Bungeroth, in: M ü n c h K o m m . A k t G , § 53a Rdn. 18; Henze/Notz, in: G r o ß k o m m . A k t G , §53a Rdn. 96; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , §53a Rdn. 29; Hüffer, A k t G , §53a Rdn. 5; einschränkend aber ders., in: MünchKomm. A k t G , § 243 Rdn. 68 (dazu sogleich im Text). 18 Ebenso z u m Parallelproblem im französischen Recht Mestre/Velardocchio, in: Lamy, Sociétés commerciales, n. 2537 (oben § 7 1 2 c Fn. 80). 19 Vgl. Hüffer, in: M ü n c h K o m m . A k t G , §245 Rdn. 55 m.w.Nachw.; grundsätzlich auch Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , §245 Rdn. 82-85 (anders nur bei Verfahrensmängeln). 20 Auf diese drohende Ungereimtheit weist auch Hüffer, in: M ü n c h K o m m . A k t G , §243 Rdn. 68, hin. 21 Vgl. bereits oben § 12 IV 4 b bei Fn. 213. 22 Vgl. nur Heinrichs, in: Palandt, BGB, Einf. v. § 116 Rdn. 7 ff. 23 Vgl. B G H N J W 1982,1585 (zum e.V.).
j 14 Verzicht auf
Gleicbbebandlung
323
Gleichbehandlungsgrundsatz vor. E r f o l g t die Z u s t i m m u n g nachträglich, ist zwar zunächst ein Gleichbehandlungsverstoß eingetreten, doch wird dieser mit Erteilung der Z u s t i m m u n g geheilt 2 4 . G e m ä ß § 184 Abs. 1 B G B ist davon auszugehen, dass die H e i l u n g im Zweifel r ü c k w i r k e n d eintritt.
3. Einstimmigkeitserfordernis
des Verzichts?
a) Meinungsstand Wenig behandelt wird bislang die - praktisch durchaus bedeutsame - Frage, o b die W i r k s a m k e i t des Gleichbehandlungsverzichts voraussetzt, dass alle benachteiligten Gesellschafter der Ungleichbehandlung z u s t i m m e n , oder o b es genügt, dass eine (qualifizierte) Mehrheit der benachteiligten Gesellschafter z u s t i m m t . G. Hueck
hat sich im G r u n d s a t z für Ersteres ausgesprochen 2 5 ; die h . L . folgt
i h m darin bis heute 2 6 . E i n e A u s n a h m e von dem einstimmigen Z u s t i m m u n g s e r fordernis soll nur, aber i m m e r h i n in den Fällen gelten, in denen eine Ungleichbehandlung zwischen verschiedenen Anteilsgattungen vorliege und das G e s e t z einen Sonderbeschluss der Anteilsinhaber der benachteiligten G a t t u n g mit qualifizierter Mehrheit verlange (vgl. insbes. § § 1 4 1 , 179 A b s . 3 A k t G ) . H i e r liege in dem mehrheitlich gefassten Sonderbeschluss zugleich ein w i r k s a m e r Gleichbehandlungsverzicht 2 7 . A u c h diese A u s n a h m e entspricht nach wie vor überwiegender Auffassung im S c h r i f t t u m 2 8 . D a b e i wird allerdings regelmäßig übersehen, dass die Rechtsprechung wiederholt den gegenteiligen Standpunkt eingenommen hat. B l i c k t m a n z u r ü c k auf die historische E n t w i c k l u n g , stellt 24 Vgl. Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn.58; K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §243 Rdn.76. 25 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.262. 26 In der Kommentarliteratur wird zumeist nur im Singular formuliert, dass „der ungleich behandelte Aktionär" oder „der benachteiligte Gesellschafter" zustimmen müsse; vgl. etwa Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 17; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn.93; Hüffer, AktG, §53a Rdn. 5; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, §14 Rdn. 31; Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 13 Rdn. 106. Auf die Frage, ob bei mehreren Benachteiligten jeder oder nur eine Mehrheit von ihnen zustimmen muss, wird dabei nicht ausdrücklich eingegangen. Die gewählten Formulierungen deuten aber doch auf ein einstimmiges Zustimmungserfordernis hin, ebenso die von manchen Autoren angeführte Begründung, dass die Vertragsfreiheit insoweit Vorrang vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz habe; so etwa Lutter/Bayer aaO. Ausdrücklich für Zustimmungserfordernis aller benachteiligten Gesellschafter - jeweils im Kontext des Erwerbs eigener Aktien - U. Huber, FS Kropff, S. 101 (116); M. Möller, Eigene Aktien, Rdn. 268,272; ferner - in Bezug auf verdeckte Vermögenszuwendungen-Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, §29 Rdn. 171. 1 1 Vgl. G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.262 mit Fn.23, zur Vorgängervorschrift des § 179 Abs. 3 AktG (§ 146 Abs. 2 AktG 1937). 28 Vgl. Heider, in: MünchKomm. AktG, § 11 Rdn. 45, 48; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 59; Hüffer, AktG, §179 Rdn. 41; Kraft, in: Kölner Komm. AktG, §11 Rdn. 43; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 179 Rdn. 175; T. Bezzenberger, Vorzugsaktien, S. 119 ff.; Senger/Vogelmann, AG 2002,193 (207).
324
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
man fest, dass die erste reichsgerichtliche Entscheidung zum Gleichbehandlungsgrundsatz gerade einen Fall betraf, in dem die benachteiligten Vorzugsaktionäre per Sonderbeschluss mit qualifizierter Mehrheit der Ungleichbehandlung zugestimmt hatten 29 . Auch das O L G Köln hat in einer neueren Entscheidung trotz Vorliegens eines Sonderbeschlusses nach § 179 Abs. 3 AktG noch eine Prüfung am Maßstab des § 53a AktG vorgenommen 30 . Ausführlich begründet wird allerdings weder der Standpunkt der h.L. noch derjenige der Rechtsprechung. Im neueren Schrifttum wird daneben vereinzelt erwogen, den Gedanken des Gleichbehandlungsverzichts durch (qualifizierten) Mehrheitsbeschluss der benachteiligten Aktionäre über die gesetzlich vorgesehenen Sonderbeschlüsse hinaus auch auf andere Konstellationen zu übertragen, in denen eine Gruppe von Gesellschaftern einheitlich nachteilig betroffen ist. So soll etwa bei einem Rückerwerb eigener Aktien von einem einzelnen Aktionär ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ausscheiden, wenn die übrigen Aktionäre (ohne die Stimmen des begünstigten Aktionärs) mit Dreiviertelmehrheit zustimmen 31 . Folgte man dem, müsste Entsprechendes konsequenterweise auch für andere Ungleichbehandlungen gelten, die eine Vielzahl von Gesellschaftern gleich nachteilig betreffen. Will man sich diesen Fragen nähern, bedarf es zunächst der Klärung, ob in den Fällen der gesetzlich vorgesehenen Sonderbeschlüsse tatsächlich ein wirksamer Gleichbehandlungsverzicht durch (qualifizierten) Mehrheitsbeschluss anzuerkennen ist, wie dies G. Hueck und ihm folgend die h.L. annehmen. Sollte das zu bejahen sein, ist in einem zweiten Schritt weiter zu fragen, ob sich der Gedanke eines Gleichbehandlungsverzichts durch Mehrheitsbeschluss auch auf weitere Anwendungsfelder übertragen lässt.
b) Gleichbehandlungsverzicht
durch gesetzlich vorgesehene
Sonderbeschlüsse
Die Frage, ob ein Sonderbeschluss der benachteiligten Aktionärsgattung mit qualifizierter Mehrheit einen wirksamen Gleichbehandlungsverzicht darstellt, wird auch im Ausland unterschiedlich beantwortet. In der Schweiz hat das Bundesgericht in einer älteren Entscheidung ausgeführt, dass die SonderRGZ 41, 97; dazu oben §2 11. O L G Köln ZIP 2001, 2049 (2051). Die Entscheidung betraf die Beschlussfassung über die Unterbreitung eines Angebots der AG an die Vorzugsaktionäre, ihre Vorzugsaktien einzureichen und gegen Zahlung einer Umtauschprämie in Stammaktien umwandeln zu lassen. Obwohl die Stammaktionäre mit der nach § 179 Abs. 3 AktG erforderlichen Mehrheit zugestimmt hatten, überprüfte das O L G die Beschlussfassung am Maßstab des §53a AktG. Zur Begründung findet sich allerdings nur die Bemerkung, dass sich der zu überprüfende Beschluss nicht auf den Umtausch der Aktien beschränke, sondern den Vorzugsaktionären auch noch eine beträchtliche zusätzliche Prämie verschaffe. 31 T. Bezzenherger, Eigene Aktien, Rdn. 144. 29
30
§ 14 Verzicht auf
Gleichbehandlung
325
beschlusserfordernisse lediglich als zusätzliche Instrumente zum Schutz der benachteiligten Aktiengattung zu verstehen seien. Das Vorliegen eines mehrheitlich gefassten Sonderbeschlusses nehme dem einzelnen Aktionär der benachteiligten Gattung daher nicht das Recht, eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung seiner Anteilsgattung zu rügen 32 . Dies deckt sich im Ergebnis mit den hierzulande ergangenen Entscheidungen des R G und des O L G Köln. Die im deutschen Schrifttum überwiegend vertretene Gegenansicht erfährt dagegen Unterstützung durch das englische Recht. So heißt es in der Entscheidung Rights & Issu.es Investment Trust Ltd. v. Stylo Shoes Ltd., dass eine verbotene discrimination nicht mehr in Betracht komme, wenn die Mehrheit der benachteiligten Aktionäre in gesonderter Abstimmung der Benachteiligung zugestimmt habe 33 . Eine nähere Betrachtung zeigt, dass man hiervon auch für das deutsche Recht ausgehen sollte. Der Sinn und Zweck der in §§ 179 Abs. 3, 141 AktG vorgesehenen Sonderbeschlusserfordernisse besteht entgegen dem ersten Anschein nicht etwa darin, die Beschlussfassungen zu erschweren, sondern im Gegenteil darin, sie zu erleichtern. Ohne diese Vorschriften bedürfte die Beeinträchtigung von Sonderrechten einer Gattung nämlich - wie im GmbH-Recht, wo es keine Sonderbeschlusserfordernisse gibt 34 - der Zustimmung jedes einzelnen Betroffenen 35 , wie sich aus § 35 B G B ergibt 36 . Dem Gesetzgeber der Aktienrechtsnovelle von 1884, auf den die zentrale Vorschrift des § 179 Abs. 3 AktG zurückgeht, ging es ersichtlich gerade darum, dieses (schon vor § 35 B G B anerkannte) Einzelzustimmungserfordernis auszuschalten37. Die §§ 179 Abs. 3, 141 Abs. 3 AktG lassen deshalb eine Kapital- bzw. Stimmenmehrheit von drei Vierteln der bei der Sonderbeschlussfassung vertretenen Aktionäre genügen. Entsprechendes gilt für die weiteren Sonderbeschlusserfordernisse (§§ 182 Abs. 2, 193 Abs. 1 Satz 2, 202 Abs. 2 Satz 4, 221 Abs. 1 Satz 4, 222 Abs. 2, 229 Abs. 3, 237 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 65 Abs. 2 UmwG), die sämtlich als Spezialnormen des 32 Vgl. BGE 69 II 245 (251 f.); ebenso etwa Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Aktienrecht, §39 Rdn. 40. 33 Rights & Issues Investment Trust Ltd. v. Stylo Shoes Ltd. (1965) Ch. 250 (255 ff.); s. dazu bereits oben §7 II 2aaa bei Fn. 120. 34 Die entsprechenden Vorschriften des AktG, namentlich §§ 141, 179 Abs. 3 AktG, finden auf die GmbH keine entsprechende Anwendung; s. dazu nur Ulmer, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, §5 Rdn. 193 m.w.Nachw. 3 5 Allg.M.; vgl. Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, AktG, §179 Rdn. 163; Hüffer, AktG, § 179 Rdn. 41; F. Wagner, in: AnwKomm. AktG, § 179 Rdn. 57; Wiedemann, in: Großkomm. AktG, §179 Rdn. 138; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §179 Rdn. 174; Fuchs, FS Immenga, S. 589 (593). 3 6 Vgl. T. Bezzenberger, Vorzugsaktien, S. 115 f.; Ulmer, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 5 Rdn. 193 m.w.Nachw. 37 Vgl. Allgemeine Begründung zum Entwurf eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG (1884), abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrechtsreform 1884, S.423 re. Sp.; näher zur Entstehungsgeschichte Altmeppen, N Z G 2005, 771 (772 f.).
326
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
§ 179 Abs. 3 A k t G zu verstehen sind 3 8 und den oft schwierigen Nachweis entbehrlich machen sollen, ob sich eine Maßnahme zum Nachteil einer Gattung auswirkt, wie § 179 Abs. 3 A k t G dies verlangt 3 9 . D e r sonach allen Sonderbeschlusserfordernissen eignende Erleichterungseffekt, die Einzelzustimmung nach § 35 B G B entbehrlich zu machen, wäre zumindest partiell wieder in Frage gestellt, wenn es bei der Frage des Gleichbehandlungsverzichts doch wieder auf die Zustimmung jedes einzelnen Gesellschafters ankäme. In dieselbe Richtung deuten die Erwägungen, die oben zu den teleologischen Grundlagen des Gleichbehandlungsgrundsatzes angestellt wurden 4 0 : D e r entscheidende Grund, ausgerechnet Ungleichbehandlungen einer besonderen I n haltskontrolle zu unterziehen, besteht darin, dass es in diesen Fällen typischerweise an der Richtigkeitsgewähr der Entscheidung fehlt. Demgegenüber besteht bei gleichmäßigen Entscheidungen regelmäßig kein Anlass, der Mehrheitsentscheidung zu misstrauen und sie durch die Entscheidung des Richters zu ersetzen. Wenn sich ein Beschluss für Mehrheit und Minderheit gleich auswirkt, wird sich die Mehrheit schon in ihrem ureigenen Interesse nach Kräften bemühen, sachgerechte und im Interesse aller liegende Beschlüsse zu fassen. Ruft man sich diese Überlegung in Erinnerung, wird deutlich, dass eine A n wendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes teleologisch nicht veranlasst ist, wenn ein zustimmender Sonderbeschluss der benachteiligten Gattung vorliegt, der die Mitglieder dieser Gattung gleichmäßig trifft 4 1 . In diesem Fall gelten auch für diesen Sonderbeschluss die genannten Erwägungen zur Richtigkeitsgewähr gleichmäßiger Entscheidungen: Die Mehrheit der benachteiligten G e sellschafter wird dem Sonderbeschluss nur zustimmen, wenn sie sich davon Vorteile verspricht, welche die Benachteiligung überwiegen. Ebenso wenig wie bei einem gleichmäßigen Hauptversammlungsbeschluss besteht daher Anlass, der Richtigkeit des Sonderbeschlusses zu misstrauen und diesen einer Inhaltskontrolle auf seine sachliche Rechtfertigung zu unterwerfen. Folgt man dem, kann auch für den durch den Sonderbeschluss konsentierten Hauptversammlungsbeschluss nichts anderes gelten. Wollte man diesen einer Inhaltskontrolle 3 8 Vgl. Hüffer, A k t G , § 179 Rdn. 42; Wiedemann, in: Großkomm. A k t G , § 179 Rdn. 139; Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , § 179 Rdn. 177. 3 9 Vgl. Fuchs, Z G R 2003, 167 (189); ders., FS Immenga, S. 589 (597): „Gefährdungstatbestände", die es rechtfertigen, auch ohne konkret nachweisbare Benachteiligung einer Aktiengattung einen Sonderbeschluss zu verlangen. 4 0 Näher oben § 4 I I I 2 a.E. i.V.m. § 3 II 1 b, c. 41 Enthält der Sonderbeschluss dagegen selbst eine Ungleichbehandlung zwischen den Mitgliedern der abstimmenden Aktiengattung, ist er auf Anfechtungsklage (§§ 138 Satz 2 , 2 4 3 Abs. 1 A k t G ) seinerseits einer Inhaltskontrolle am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu unterziehen. Relevant wird dies insbesondere in Fällen, in denen zwar die gesamte Gattung formal gleichmäßig benachteiligt wird, einzelne Gesellschafter aber für diese Nachteile kompensiert werden, weil sie gleichzeitig einen noch größeren Anteil an der bevorzugten Gattung halten (materielle Ungleichbehandlung); so die Fallgestaltung in der englischen Entscheidung Re Holders Investment Trust Ltd. (1971) W L R 583; oben § 7 Fn. 120.
§ 14 Verzicht auf
327
Gleichbehandlung
am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes unterstellen, würde man damit mittelbar doch wieder die Richtigkeit des Sonderbeschlusses in Frage stellen und den Sonderbeschluss durch eine richterliche Entscheidung ersetzen. Aus diesen Gründen spricht - entgegen der in der Rechtsprechung und in der Schweiz vertretenen Ansicht - mehr dafür, eine sachliche Rechtfertigung für entbehrlich zu halten, wenn der Hauptversammlungsbeschluss eine gattungsbezogene Ungleichbehandlung beinhaltet und die betroffene Gattung durch wirksamen Sonderbeschluss mit (qualifizierter) Mehrheit zugestimmt hat. Dem entspricht es, wenn der Sonderbeschluss in Ubereinstimmung mit G. Hueck42 als Spezialfall des Gleichbehandlungsverzichts angesehen wird, der für die gesamte Gattung wirkt. Bedenken aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht wird man gegen dieses Ergebnis nicht erheben können. Dass die Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL einem Verzicht auf Gleichbehandlung nicht grundsätzlich entgegenstehen, wurde bereits dargelegt. Hinsichtlich der genauen Modalitäten des Gleichbehandlungsverzichts sind dem Gemeinschaftsrecht keine präzisen Vorgaben zu entnehmen. Daher muss es den Mitgliedstaaten frei stehen, vorzusehen, dass der Gleichbehandlungsverzicht in geeigneten Fällen nicht die Zustimmung aller benachteiligten Aktionäre erfordert, sondern nur die Zustimmung einer (qualifizierten) Mehrheit derselben. c) Gleichbehandlungsverzicht Sonderbeschlüsse
außerhalb der gesetzlich
vorgeschriebenen
Folgt man dem Vorstehenden, erscheint es konsequent, noch einen Schritt weiter zu gehen und den Grundgedanken, dass bei gleichmäßiger Betroffenheit die Mehrheit für den Einzelnen sprechen kann, auch außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Sonderbeschlüsse fruchtbar zu machen. Dem im Schrifttum unterbreiteten Vorschlag, dass bei Ungleichbehandlungen zugunsten eines Gesellschafters (z.B. einem Aktienrückkauf nur von einem einzelnen Großaktionär) eine mehrheitliche Beschlussfassung der benachteiligten Gesellschafter einen wirksamen Gleichbehandlungsverzicht bewirken kann 43 , ist daher grundsätzlich zuzustimmen. Allerdings wird man in Anlehnung an die §§ 179 Abs. 3,141 AktG darauf achten müssen, dass die benachteiligten Gesellschafter gesondert, d.h. ohne Beteiligung des begünstigten Gesellschafters abstimmen. Dass innerhalb derselben Abstimmung neben dem begünstigten Aktionär die Mehrzahl der übrigen Aktionäre für den Beschluss gestimmt hat, kann dagegen allenfalls dann genügen, wenn auszuschließen ist, dass das Mitstimmen des begünstigten Aktionärs das Stimmverhalten der übrigen beeinflusst hat 44 . Ferner ist zu ver42 43 44
O b e n Fn. 27. O b e n Fn. 31. Nach LG München, N Z G 2002, 826 (828), lässt sich ein solcher Einfluss zumindest
328
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
langen, dass die benachteiligten Gesellschafter tatsächlich gleichmäßig benachteiligt werden und nicht innerhalb der benachteiligten Gruppe einzelne formal oder materiell schlechter gestellt sind als andere. Liegen diese Voraussetzungen vor, handelt es sich um einen Beschluss, der sich innerhalb der Gruppe der abstimmenden Gesellschafter gleichmäßig auswirkt. Aus Sicht der abstimmenden Gesellschafter verhält es sich so, als würde lediglich ein außenstehender Dritter begünstigt. Es ist daher nur folgerichtig, wenn in diesen Fällen eine inhaltliche Prüfung am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes unterbleibt. Das Mehrheitserfordernis für den gesonderten Beschluss der benachteiligten Gesellschafter wird man nach dem jeweiligen Beschlussgegenstand auszurichten haben. In dem genannten Beispiel des Aktienrückkaufs kommt es somit auf die Streitfrage an, ob man für den Ausschluss des Andienungsrechts der Aktionäre eine Dreiviertelmehrheit verlangt oder die einfache Mehrheit für ausreichend hält. Entscheidet man sich für Letzteres45, wird man die einfache Mehrheit auch in der Frage der Gleichbehandlungsverzichts genügen lassen können; andernfalls wird man auch für den Gleichbehandlungsverzicht eine Kapitalmehrheit von drei Vierteln der betroffenen Aktionäre verlangen müssen46. Das Gesagte bedeutet selbstverständlich nicht, dass die AG außerhalb der gesetzlich normierten Sonderbeschlusserfordernisse verpflichtet wäre, die benachteiligten Gesellschafter gesondert, d.h. ohne Beteiligung des begünstigten Gesellschafters abstimmen zu lassen. Ein Stimmverbot des begünstigten Aktionärs wird wegen der restriktiven Regelung des § 136 Abs. 1 AktG in aller Regel gerade nicht eingreifen47. Der begünstigte Gesellschafter kann aber freiwillig auf die Teilnahme an der Abstimmung verzichten. Wird auf diese Weise ein Beschluss nur der benachteiligten Gesellschafter herbeigeführt, hat dies nach der hier vertretenen Auffassung den Vorteil, dass der Beschluss unter den genannten Voraussetzungen nicht mehr wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz angegriffen werden kann48. Besondere Bedeutung hat das Vorstehende im GmbH-Recht. Dort ist nach § 47 Abs. 4 GmbHG häufig bereits kraft Gesetzes der begünstigte Gesellschafter von der Abstimmung ausgeschlossen. Wenn die Mehrheit in der Gesellschafterversammlung gleichwohl einen diesen begünstigenden Beschluss fasst, liegt darin nach den getroffenen Feststellungen immer dann ein wirksamer Gleichdann nicht ausschließen, wenn der begünstigte Aktionär die große Mehrheit der Stimmrechte hält. Stimmt ein derart beherrschender Aktionär mit, werden die übrigen Aktionäre ihrer Stimmrechtsausübung keine besondere Bedeutung beimessen und daher ihre Entscheidung weniger sorgfältig abwägen als bei einer gesonderten Abstimmung. 45 Hierfür Habersack, ZIP 2004, 1121 (1126); Oechsler, in: MünchKomm. AktG, §71 Rdn. 201; Nachw. zur Gegenansicht unten § 21 Fn. 60. 46 So i.E. T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 144 a.E. 47 Anders in dem genannten Beispiel des Aktienrückkaufs etwa das englische Recht, vgl. sec. 164 (5) Companies Act 1985; dazu auch T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 144. 48 Ebenso T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 144.
§ 14 Verzicht auf
Gleichbehandlung
329
behandlungsverzicht, wenn alle abstimmenden Gesellschafter gleichmäßig benachteiligt sind.
II. Unwirksamkeit des Generalverzichts Während der Verzicht auf Gleichbehandlung im Einzelfall nach Maßgabe des Gesagten wirksam ist, wird ein pauschaler Verzicht auf die Beachtung des Gleichbehandlungsgebots, der sich auf alle Rechtsbeziehungen zur Gesellschaft oder auch nur auf einen nicht klar umrissenen Teilbereich derselben bezieht, einhellig als unzulässig angesehen 49 . Dies ist nicht nur in Deutschland, sondern - sofern die Frage diskutiert wird - auch im Ausland anerkannt 50 . Der Gleichbehandlungsgrundsatz kann daher, was freilich ohnehin nur von theoretischem Interesse sein dürfte, weder in der Satzung noch in einer Gesellschaftervereinbarung allgemein oder für bestimmte Arten von Angelegenheiten (z.B. für alle Kapitalerhöhungen) abbedungen werden. In der AG würde eine entsprechende Satzungsänderung bereits gegen den Grundsatz der Satzungsstrenge (§23 Abs. 5 AktG) verstoßen 51 . Aber auch außerhalb der Satzung sowie in anderen Rechtsformen als der AG kann ein Pauschalverzicht nicht wirksam erklärt werden, da eine derart weitreichende Unterwerfung unter willkürliche Akte der Gesellschaftsorgane als sittenwidrig und damit nichtig anzusehen ist (§ 138 Abs. 1 BGB) 52 . Soweit zur Begründung der Sittenwidrigkeit der Gedanke der Knebelung ins Feld geführt wird 5 3 , befriedigt diese Begründung allerdings nicht. Wenn man sich mit geringem Kapitaleinsatz an einer AG beteiligt und auf Gleichbehandlung verzichtet, sind die Auswirkungen dieser Unterwerfung unter die Willkür der Mehrheit sehr begrenzt; äußerstenfalls büßt das (geringe) Investment durch Übervorteilungen seitens der Mehrheit an Wert ein. Diese Folgen sind mit denen einer sittenwidrigen Knebelung - die voraussetzt, dass eine Partei ihre wirtschaftliche Hand-
49 So schon Bodenheimer, Gleichheitsprinzip, S. 16; Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S. 77; G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.267f.; Bydlinski, Gleichheitsgrundsatz, S. 48 f.; Grüter, Gleichbehandlung, S. 17; aus neuerer Zeit Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 15; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn.84, 95; H ü f f e r , AktG, § 53a Rdn.5; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 26, 30; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rdn. 43; Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 121; Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 13 Rdn. 98; H. Winter, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rdn. 43; Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 13, 15; für das Personengesellschaftsrecht auch Hütte, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 60 f. 50 Vgl. für die Niederlande, Osterreich und die Schweiz oben § 7 III 2 d a.E. 51 Vgl. Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 84. 52 Vgl. G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.267f.; Bydlinski, Gleichheitsgrundsatz, S. 48 f. 53 Vgl. Bydlinski, Gleichheitsgrundsatz, S. 49.
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
lungsfreiheit nahezu völlig verliert 5 4 - nicht vergleichbar. Näher liegt es daher, auf die Parallele z u r Treuepflicht und z u m G r u n d s a t z von Treu und Glauben im Vertragsrecht ( § 2 4 2 B G B ) zu verweisen 5 5 . A u c h f ü r diese Generalklauseln ist anerkannt, dass z w a r einzelne aus ihnen abzuleitende Pflichten disponibel sind, dass sie aber nicht generell abbedungen werden können 5 6 , da es sich u m „ G r u n d gebote der Redlichkeit" 5 7 handelt, die die Anschauungen über die guten Sitten entscheidend mitprägen. Eine vergleichbare Bedeutung w i r d man auch dem in der Treuepflicht w u r z e l n d e n Gleichbehandlungsgrundsatz zusprechen können 5 8 .
54 Vgl. nur Heinrichs, in: Palandt, BGB, §138 Rdn.39; Mayer-Maly/Armbrüster, in: MünchKomm. BGB, § 138 Rdn. 71. 55 Vgl. G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 267 f. 56 So allgemein für das Prinzip von Treu und Glauben BGH LM § 242 (Cb) Nr. 12 (Bl. 2); Heinrichs, in: Palandt, BGB, §242 Rdn. 15; Larenz, Schuldrecht I, § 10 I (S. 128);/. Schmidt, in: Staudinger, BGB, §242 Rdn.289ff.; Teichmann, in: Soergel, BGB, §242 Rdn. 108. Speziell für die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 169; M. Winter, Treuebindungen, S. 216. 57 Larenz, Schuldrecht I, § 10 I (S. 128) zu §242 BGB. 58 Ergänzend kann man zur Begründung der Sittenwidrigkeit auch die - freilich nicht unumstrittene (vgl. zuletzt Habersack/Verse, ZGR 2005,451 [455 ff., 479] m.Nachw.)- Rechtsprechung des BGH zu den sog. Hinauskündigungsklauseln heranziehen. Regelungen, die einem einzelnen Gesellschafter oder der Gesellschaftermehrheit erlauben, Mitgesellschafter ohne Grund aus der Gesellschaft auszuschließen, sind danach vorbehaltlich besonderer sachlicher Gründe als unwirksam anzusehen, da die durch das „Damoklesschwert der Hinauskündigung" bedrohten Gesellschafter von ihren Rechten nicht mehr unbefangen Gebrauch machen könnten und so die Zusammenarbeit der Gesellschafter im Kern getroffen würde; st. Rspr., aus neuerer Zeit etwa BGH N J W 2004, 2013 (2014). Entsprechend lässt sich auch hinsichtlich der Abbedingung des Gleichbehandlungsgrundsatzes argumentieren; vgl. zu dieser Parallele auch Fastrich, Funktionales Rechtsdenken, S. 8 f., 15.
§ 15 Besonderheiten im Konzern Das Verhältnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes zum Konzernrecht hat Lutter anlässlich der Einführung des § 53a AktG im Jahr 1978 als „völlig unklar" bezeichnet 1 . Daran hat sich bis heute nicht allzu viel geändert. Einigkeit besteht zwar darin, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz in den verschiedenen Konzernverhältnissen nicht ohne Einschränkungen und Modifikationen zur Anwendung kommen kann. Das berühmte Wort Wiedemanns, dass im Konzern „alles anders" ist 2 , bewahrheitet sich also auch hier. Die einzelnen für die Gleichbehandlung im Konzern geltenden Besonderheiten sind aber bisher kaum näher untersucht worden 3 . Zweckmäßigerweise wird man zwei Fragenkreise unterscheiden müssen: Auf einer ersten Ebene ist zu klären, inwieweit sich bei der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes innerhalb der abhängigen Gesellschaft Auswirkungen daraus ergeben, dass die Gesellschaft einem Konzern angehört (Ziff. I). Es handelt sich insoweit weitestgehend um spezifisch deutsche Fragen, die sich aus dem Zusammenspiel des Gleichbehandlungsgrundsatzes mit den §§ 291 ff., 311 ff. A k t G ergeben. Den meisten ausländischen Rechtsordnungen ist eine vergleichbare Konzernrechtskodifikation bekanntlich fremd 4 . Auf einer zweiten Ebene stellt sich sodann die Frage, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz auch eine konzernrechtliche Kategorie in dem Sinne darstellt, dass alle konzernangehörigen Unternehmen im Rahmen von Konzernmaßnahmen durch das herrschende Unternehmen unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln sind. Hier geht es nicht mehr um die Gleichbehandlung der Mitglieder derselben Gesellschaft, sondern um eine Ausdehnung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Mitglieder desselben Konzerns (Ziff. II). 1
Lutter, FS Ferid, S. 599 (607). Wiedemann, Unternehmensgruppe, S. 9. 3 N o c h am ausführlichsten Henze/Notz, in: G r o ß k o m m . A k t G , §53a Rdn. 158 ff.; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , §53a Rdn. 44 ff.; Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , § 243 Rdn. 162 ff.; ders., Schranken, S. 309-311. 4 Uberblick über die einzelnen Rechtsordnungen etwa bei Hommelhoff/Hopt/Lutter (Hg.), Konzernrecht und Kapitalmarktrecht (2001); Lutter (Hg.), Konzernrecht im Ausland (1994); Mestmäcker/Behrens (Hg.), Konzerne im internationalen Vergleich (1991); Sugarman/ Teubner (Hg.), Regulating Corporate Groups in Europe (1990); Wymeersch (Hg.), Groups of Companies in the E E C (1993); vgl. auch Forum Europaeum Konzernrecbt, Z G R 1998,672 ff.; w.Nachw. zum rechtsvergleichenden Schrifttum bei Emmerich/Habersack, Konzernrecht, §1 V(S.15ff.). 2
332
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
I. Gleichbehandlung in der konzernabhängigen Gesellschaft Unbestritten ist, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz grundsätzlich auch in konzernabhängigen Gesellschaften Anwendung findet 5 . Allerdings sehen die §§291 ff., 311 ff. A k t G eine Reihe von Durchbrechungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor. Dass die Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL dem nicht entgegenstehen, wurde bereits dargelegt 6 . Im Folgenden geht es darum, das Ausmaß der Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots im Konzern für die wesentlichen Fallgruppen (Beherrschungsvertrag, Gewinnabführungsvertrag, faktischer Konzern und schlichte Abhängigkeit) näher auszuleuchten.
1.
Beherrschungsvertrag
Betrachtet sei zunächst der Fall, dass die Gesellschaft mit einem ihrer Gesellschafter einen Beherrschungsvertrag (§291 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. AktG) abschließt und sich damit dessen Leitungsmacht unterstellt. a) Abschluss des
Beherrschungsvertrags
Vorauszuschicken ist insoweit, dass der Abschluss des Beherrschungsvertrags und die zugehörige Zustimmung der Anteilseignerversammlung (§293 Abs. 1 AktG) nicht am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen sind 7 . Dies mag auf den ersten Blick überraschen, da durch den Vertrag einem Gesellschafter eine besondere Stellung eingeräumt wird. Zur Begründung lassen sich aber ganz ähnliche Überlegungen anstellen, wie sie oben bereits im Zusammenhang mit dem squeeze-out und der Mehrheitseingliederung angeführt worden sind 8 . Da Beherrschungsverträge in aller Regel nicht mit einem externen Dritten, sondern mit dem Mehrheitsgesellschafter abgeschlossen werden, beinhaltet der Abschluss eines solchen Vertrags praktisch immer eine Ungleichbehandlung zwischen den Gesellschaftern. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die ungleichen Auswirkungen bei der Formulierung der 5 Vgl. nur Bungeroth, in: M ü n c h K o m m . A k t G , §53a Rdn.23; Henze/Notz, in: Großkomm. A k t G , §53a Rdn. 158; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , §53a R d n . 4 4 ; Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , §243 Rdn. 163; Habersack/Verse, AG 2003, 300 (306). 6 S. oben §6 II 2 b cc. 7 Im G m b H - R e c h t stellt sich die Frage ohnehin nicht, wenn man mit der wohl h.M. (vgl. Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und G m b H - K o n z e r n r e c h t , § 293 Rdn. 43-43a mit umfangreichen Nachw. auch zur Gegenansicht) einen einstimmigen Zustimmungsbeschluss verlangt. In diesem Fall liegt bereits ein wirksamer Verzicht auf Gleichbehandlung vor. 8 S. oben § 9 II 2 a b b .
§ 15 Besonderheiten
im Konzern
333
besonderen A n f o r d e r u n g e n an den Abschluss solcher Verträge (qualifiziertes Mehrheitserfordernis, besondere Berichtspflicht, im Spruchverfahren überp r ü f b a r e Ausgleichs- und Abfindungspflicht) schon berücksichtigt und mit abgewogen hat. Eine besondere sachliche R e c h t f e r t i g u n g der U n g l e i c h b e h a n d lung ist unter diesen U m s t ä n d e n entbehrlich; die Ungleichbehandlung ist b e reits durch das G e s e t z vorgezeichnet und erlaubt 9 . H i e r f ü r spricht im Ü b r i g e n auch der in § 3 0 4 Abs. 3 Satz 2 A k t G angeordnete Ausschluss der A n f e c h t u n g nach § 243 A b s . 2 A k t G . Diese Regelung bestätigt, dass die in dem Vertragsabschluss liegende Sonderbehandlung des kontrahierenden (Mehrheits-) Gesellschafters f ü r sich g e n o m m e n nicht zur A n f e c h t u n g berechtigen soll.
b) Ungleichbehandlungen
aufgrund verbindlicher
Weisungen
M i t Wirksamwerden des Beherrschungsvertrags treten Rechtsfolgen ein, die den Gleichbehandlungsgrundsatz in erheblichem U m f a n g einschränken. D a s Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens (§ 3 0 8 A k t G ) führt dazu, dass das Leitungsorgan der abhängigen A G oder G m b H 1 0 Weisungen des herrschenden Unternehmens auch dann befolgen muss, wenn sie eine Ungleichbehandlung der Gesellschafter zum Inhalt haben wie z . B . eine verdeckte Vermögenszuwendung 1 1 oder eine bevorzugte Informationserteilung 1 2 an den herrschenden Gesellschaf9 So auch Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn. 171, sowie - zumindest im Ergebnis - die h.M.: Diese zieht eine Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes meist gar nicht in Betracht und lehnt auch eine Anwendung der Lehre vom sachlichen Grund auf den Abschluss von Beherrschungsverträgen ab; vgl. etwa Altmeppen, in: MünchKomm. AktG, §293 Rdn. 51 ff.; Henze, Konzernrecht, Rdn. 98 f.; Hüffer, AktG, §293 Rdn. 6 f.; Krieger, in: MünchHdb. AG, § 70 Rdn. 45; nunmehr auch Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 293 Rdn. 35; a.A. aber Martens, FS Fischer, S. 437 (446); Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 III 2 a (S. 446). 10 Zur analogen Anwendung des § 308 AktG auf Beherrschungsverträge mit einer abhängigen GmbH statt vieler Altmeppen, in: MünchKomm. AktG, §308 Rdn. 5; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §308 Rdn. 9f.; jeweils m.w. Nachw. 11 Dass verdeckte Vermögenszuwendungen an das herrschende Unternehmen auf dessen Weisung im Vertragskonzern zulässig sind, entspricht heute im Aktienrecht allgemeiner Auffassung; vgl. nur Altmeppen, in: MünchKomm. AktG, §308 Rdn. 95 ff.; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 Rdn. 44; Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, §291 Rdn. 51, 107; §308 Rdn. 28; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 46; anders noch Beierstedt, ZHR 137 (1973), 388 (393 ff.). Die Vermögensbindung nach § 57 AktG steht dem nicht entgegen, da diese im Vertragskonzern aufgehoben ist (§291 Abs. 3 AktG). Entsprechendes gilt nach h.M. auch im GmbH-Recht in Bezug auf §30 GmbHG (§291 Abs. 3 AktG analog), vgl. Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30 Rdn. 55; Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, 689 (691) m.w.Nachw. auch zur Gegenansicht. 12 Ein Auskunftsanspruch der außenstehenden Aktionäre nach §131 Abs. 4 AktG wird hierdurch unstreitig nicht ausgelöst; vgl. LG München I, AG 1999, 138f.; Decher, in: Großkomm. AktG, §131 Rdn. 347; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
ter. Zudem ist das Leitungsorgan der abhängigen Gesellschaft verpflichtet, vor wichtigen M a ß n a h m e n das herrschende Unternehmen so rechtzeitig zu konsultieren, dass dieses von seinem Weisungsrecht Gebrauch machen kann 1 3 , obwohl auch dies eine Sonderbehandlung des herrschenden Unternehmens bedeutet. Derartige Bevorzugungen des herrschenden Unternehmens sind unter den V o r aussetzungen des § 308 Abs. 1 A k t G (namentlich: Leitungsbezug der Weisung, Förderung des Konzerninteresses bei nachteiligen Weisungen) ohne weiteres zulässig und lösen deshalb keine Ansprüche der außenstehenden Gesellschafter auf Gleichbehandlung aus. D e n Ausgleich für diese Privilegierung bilden die besonderen Pflichten, die das Gesetz dem herrschenden Unternehmen sowohl gegenüber der Gesellschaft und ihren Gläubigern (Verlustausgleich und Sicherheitsleistung, §§ 302 f. A k t G ) als auch gegenüber den außenstehenden Gesellschaftern (Ausgleich und Abfindung, §§ 3 0 4 f. A k t G ) auferlegt. D i e dogmatische B e g r ü n d u n g für die N i c h t a n w e n d u n g des G l e i c h b e h a n d lungsgrundsatzes in den genannten Fällen wird häufig darin gesehen, dass das herrschende U n t e r n e h m e n nicht in seiner Eigenschaft als Gesellschafter, sondern als anderer Vertragsteil bevorzugt werde 1 4 . B e d e n k t man, dass es z u m A b schluss des Beherrschungsvertrags regelmäßig nur deshalb k o m m t , weil der andere Vertragsteil mit seiner qualifizierten Mehrheit in der Anteilseignervers a m m l u n g die Gesellschaft hierzu veranlasst hat, wäre es jedoch vordergründig, seine Gesellschafterstellung gänzlich auszublenden. M e h r spricht deshalb dafür, nicht schon die Betroffenheit in der Eigenschaft als Gesellschafter zu leugnen, sondern anzuerkennen, dass einer der Fälle vorliegt, in denen der G l e i c h behandlungsgrundsatz durch spezielle Sonderregeln verdrängt wird 1 5 .
c) Veränderung des Prüfungsmaßstabs
auch im weisungsfreien
Bereich?
D u r c h die genannten E i n s c h r ä n k u n g e n wird der Gleichbehandlungsgrundsatz allerdings nicht vollständig außer K r a f t gesetzt. D i e A u f h e b u n g des G l e i c h b e handlungsgebots betrifft vielmehr „nur" die genannten Fälle, in denen verbindliche Weisungen des herrschenden U n t e r n e h m e n s vorliegen oder diesem G e l e Konzernrecht, § 308 Rdn. 39; Hüffer, AktG, § 131 Rdn. 38; Kubis, in: MünchKomm. AktG, § 131 Rdn. 141; Habersack/Verse, AG 2003, 300 (305 re. Sp.); alle m.w.Nachw. 13 Allg.M.; vgl. etwa Altmeppen, in: MünchKomm. AktG, §308 Rdn. 155; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §308 Rdn.54; Hüffer, AktG, §308 Rdn. 20; Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, §308 Rdn. 72; Krieger, in: MünchHdb. AG, § 70 Rdn. 140. 14 So die gängige Begründung für die Nichtanwendung des § 131 Abs. 4 AktG auf Auskünfte an das herrschende Unternehmen im Vertragskonzern; vgl. etwa Hüffer, AktG, § 131 Rdn. 38; Kubis, in: MünchKomm. AktG, § 131 Rdn. 141. Die Vorschrift des § 131 Abs. 4 AktG stellt lediglich eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes dar; dazu unten bei Fn. 55. 15 Vgl. oben §9 II 2.
§ Ii Besonderheiten
im
Konzern
335
genheit zu geben ist, von seinem Weisungsrecht Gebrauch zu machen. Außerhalb dieses Bereichs - also vor allem dort, wo das herrschende Unternehmen von seinem Weisungsrecht keinen Gebrauch macht oder kein Weisungsrecht besteht, weil die betreffende Maßnahme nicht in die Zuständigkeit des Leitungsorgans fällt 16 - bleibt der Gleichbehandlungsgrundsatz dagegen anwendbar. Das Bestehen eines BeherrschungsVertrags führt also z.B. nicht dazu, dass die Anteilseignerversammlung nunmehr ohne Rücksicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz eine Kapitalerhöhung beschließen dürfte, die nur die außenstehenden Gesellschafter vom Bezugsrecht ausschließt. Allerdings könnte man erwägen, bei der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes den Prüfungsmaßstab für die sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen zu modifizieren und bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags nicht mehr auf das Gesellschaftsinteresse, sondern auf das Konzerninteresse abzustellen. Die damit aufgeworfene Frage rührt an Grundfragen der Organisationsverfassung des Vertragskonzerns: Verstünde man die durch den Beherrschungsvertrag bewirkte Änderung des Verbandszwecks 17 und den damit einhergehenden „Interessenumbruch" als umfassend in dem Sinne, dass das Handeln sämtlicher Gesellschaftsorgane nicht nur im weisungsgebundenen, sondern auch im weisungsfreien Bereich auf das Konzerninteresse ausgerichtet wird, wäre es nur konsequent, auch im Rahmen der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen das Konzerninteresse als zulässigen Sachgrund für Differenzierungen anzuerkennen. Wäre die Änderung des Verbandszwecks dagegen auf den weisungsgebundenen Bereich beschränkt, müsste es im weisungsfreien Bereich bei der Bindung an den ursprünglichen Verbandszweck und das daraus abgeleitete Gesellschaftsinteresse verbleiben. Bei dieser Sichtweise wären dann auch Ungleichbehandlungen in diesem Bereich weiterhin am Gesellschaftsinteresse und nicht am Konzerninteresse zu messen. aa)
Meinungsstand
Wie weit die Änderung des Verbandszwecks und die dadurch bewirkte Ausrichtung auf das Konzerninteresse im Vertragskonzern reicht, ist im bisherigen Schrifttum zumeist nur mit Blick auf das Leitungsorgan, nicht auch hinsichtlich der übrigen Gesellschaftsorgane behandelt worden. In Bezug auf das Leitungsorgan gehen die Auffassungen auseinander: Zum Teil wird die Ansicht 16 Weisungsgebunden ist gemäß/analog § 308 Abs. 2 AktG nur der Vorstand bzw. die Geschäftsführung, nicht aber die Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung oder der Aufsichtsrat; allg.M., vgl. nur OLG Karlsruhe AG 1991, 144 (146); Altmeppen, in: MünchKomm. AktG, §308 Rdn. 85; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §308 Rdn. 42; H ü f f e r , AktG, § 308 Rdn. 12. Zum Aufsichtsrat s. aber auch §308 Abs. 3 AktG. 17 S. dazu schon oben § 12 II 1 d aa.
336
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt
des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
vertreten, dass das Leitungsorgan auch im weisungsfreien Bereich auf das Konzerninteresse verpflichtet sei18. Nach anderer Auffassung soll dagegen im weisungsfreien Bereich unverändert das aus dem Verbandszweck einer unabhängigen Gesellschaft abgeleitete Gesellschaftsinteresse maßgeblich sein19. Der Meinungsstreit hat in Bezug auf das Leitungsorgan allerdings kaum praktische Bedeutung20, da - wie dargelegt - eine Verpflichtung besteht, dem herrschenden Unternehmen rechtzeitig Gelegenheit zur Weisungserteilung zu geben21. In Fällen des Konflikts zwischen Gesellschafts- und Konzerninteresse wird das herrschende Unternehmen daraufhin in aller Regel von seinem Weisungsrecht Gebrauch machen, so dass sich das Konzerninteresse durchsetzt und die Streitfrage nicht mehr relevant wird. Inwieweit die übrigen, nicht weisungsgebundenen Gesellschaftsorgane das Konzerninteresse verfolgen müssen oder zumindest dürfen, ist dagegen bisher kaum näher erörtert worden. Soweit ersichtlich, finden sich allein bei Martens22 eingehendere Ausführungen zu dieser Frage. Nach seiner Auffassung sollen das Weisungsrecht und die damit korrespondierende Folgepflicht des Leitungsorgans nur einen Teilausschnitt einer „umfassenden Einbindung des abhängigen Unternehmens entsprechend der Zielkonzeption des Gesamtkonzerns" darstellen 23 . Demgemäß seien auch die Mitglieder des Aufsichtsrats an den Maßstab des Konzerninteresses gebunden 24 . Dasselbe gelte im Grundsatz auch für die Hauptversammlung. Eine strenge Bindung an das Konzerninteresse bestehe insoweit allerdings nur bei Maßnahmen, die materiell in den Bereich der Geschäftsführung fielen25. Dagegen seien Entscheidungen, die ausschließlich das rechtliche Grundverhältnis der Gesellschafter untereinander
18 Vgl. Erlinghagen, Organschaftsvertrag, S. 16f.; Kort, Beherrschungs- und G e w i n n a b führungsverträge, S. 52; Martens, in: Emmerich, GmbH-Konzern, S. 106 (120); ders., FS Fischer, S. 437 (449); im Grundsatz auch H ü f f e r , AktG, § 3 0 8 R d n . 2 0 ; Koppensteiner, in: Kölner Komm. A k t G , § 308 Rdn. 71 f., die aber keine strikte Bindung annehmen, sondern im Ergebnis nur die auch von der Gegenauffassung bejahte Pflicht anerkennen, das herrschende U n ternehmen im Konfliktfall zu konsultieren und ihm Gelegenheit zur Weisungserteilung zu geben. 19 Vgl. Altmeppen, in: MünchKomm. A k t G , § 3 0 8 Rdn. 154; Emmerich, in: Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 Rdn. 54; Geßler, in Geßler/Hefermehl, AktG, § 308 Rdn. 74 ff.; Würdinger, in: Großkomm. AktG, § 308 A n m . 2; wohl auch Hommelh o f f , Konzernleitungspflicht, S. 217 ff. 20 So auch Koppensteiner, in: Kölner Komm. A k t G , § 308 Rdn. 72; Krieger, in: MünchHdb. AG, § 70 Rdn. 140 Fn. 498: „eher theoretische Frage". 21 Nachw. oben Fn. 13. 22 FS Fischer, S.437 (448 ff.); zuvor auch schon ders., in: Emmerich, GmbH-Konzern, S. 106 (120f.). 23 Martens, FS Fischer, S. 437 (450); vgl. auch dens., in: Emmerich, GmbH-Konzern, S. 106 (120). 24 Martens, FS Fischer, S. 437 (450); ders., in: Emmerich, GmbH-Konzern, S. 106 (120 f.). 25 Martens, FS Fischer, S. 437 (450).
5 Ii Besonderheiten
im
Konzern
337
beträfen, von der Bindung an das Konzerninteresse freigestellt 26 . Eine vermittelnde Position gelte schließlich f ü r Maßnahmen, die sowohl von unternehmenspolitischer Relevanz seien als auch das Grundverhältnis der Gesellschafter untereinander berührten, wie dies namentlich bei Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss der Fall sei. Die Hauptversammlung sei hier zwar nicht verpflichtet, im Konzerninteresse abzustimmen; der unternehmenspolitische Bezug der Entscheidung habe aber zur Folge, dass sich die Mehrheit im Rahmen der sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses auf berechtigte Konzerninteressen berufen dürfe 2 7 . bb)
Stellungnahme
Ein erster Anhaltspunkt für die Beantwortung der Frage, wie weit die durch den Beherrschungsvertrag bewirkte Zweckänderung reicht, ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien. Danach hat der Vorstand die Gesellschaft im weisungsfreien Bereich nach wie vor unter eigener Verantwortung zu leiten 28 . Das lässt sich nur als Verweis auf § 76 Abs. 1 A k t G verstehen, bei dessen Anwendung es im weisungsfreien Bereich offensichtlich bewenden soll. Richtschnur des Vorstandshandelns im Rahmen des § 76 Abs. 1 A k t G ist aber das Gesellschaftsinteresse 29 , nicht das Konzerninteresse. Die Gesetzesmaterialien deuten deshalb darauf hin, dass der Gesetzgeber nicht von einer umfassenden, sondern von einer auf den weisungsgebundenen Bereich beschränkten Ausrichtung auf das Konzerninteresse ausgegangen ist 30 . Für diese Position lassen sich auch gute Gründe anführen. Regelmäßig wird das Leitungsorgan der abhängigen Gesellschaft nur zuverlässig beurteilen können, was im Gesellschaftsinteresse liegt, nicht auch, was dem Konzerninteresse dient 31 . Schon deshalb wäre es fragwürdig, ihm eine Verpflichtung auf das Konzerninteresse aufzuerlegen. Dem Leitungsorgan wird bei fortbestehender Bindung an das Gesellschaftsinteresse im weisungsfreien Bereich auch nicht die Möglichkeit eröffnet, das Konzerninteresse durch geschickte Geschäftspolitik gezielt zu unterlaufen, wie die Gegenauffassung befürchtet 3 2 . Diese Gefahr besteht schon deshalb nicht, weil das Leitungsorgan nach dem Gesagten verpflichtet ist, dem herrschenden Unternehmen im Fall eines möglichen Konflikts 26
Martens, FS Fischer, S. 437 (450). Martens, FS Fischer, S. 437 (450 f.). 28 Begr. RegE A k t G bei Kropff, A k t G 1965, S. 403. 29 Bzw. das Unternehmensinteresse; zu dieser Streitfrage oben § 12 II 2. 30 A.A. Koppensteiner, in: Kölner Komm. A k t G , § 308 Rdn. 71, der die genannte Passage aus der Regierungsbegründung f ü r nicht aussagekräftig hält. 31 Vgl. Altmeppen, in: MünchKomm. A k t G , §308 Rdn. 154; Geßler, in Geßler/Hefermehl, A k t G , § 308 Rdn. 75; insoweit auch Koppensteiner, in: Kölner Komm. A k t G , § 308 Rdn. 72. 32 So aber Martens, FS Fischer, S. 437 (449). 27
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
rechtzeitig Gelegenheit zur Ausübung seines Weisungsrechts zu geben. Richtigerweise wird man deshalb in Ubereinstimmung mit den genannten Stimmen aus der Literatur 33 eine Bindung des Leitungsorgans an das Konzerninteresse im weisungsfreien Bereich zu verneinen haben. Wenn aber bereits das Leitungsorgan im weisungsfreien Bereich keiner Bindung an das Konzerninteresse unterliegt, besteht erst recht Anlass zur Zurückhaltung gegenüber dem Vorschlag von Martens, für die übrigen Gesellschaftsorgane (Aufsichtsrat, Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung) eine Verpflichtung auf das Konzerninteresse anzunehmen. Das Gesetz stellt diese Organe von der Bindung an Weisungen im Konzerninteresse bewusst frei, indem es die Leitungsmacht in § 308 AktG ausdrücklich auf Weisungen an den Vorstand beschränkt. Diese Regelung wäre unverständlich, wenn jene Organe schließlich doch an das Konzerninteresse gebunden wären, wie Martens annimmt. Speziell in Bezug auf Entscheidungen der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung tritt ein weiteres, entscheidendes Argument hinzu. Falls man hier mit Martens zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen die Berufung auf das Konzerninteresse zuließe, könnte nicht nur die Leitung der Gesellschaft, sondern auch das mitgliedschaftliche Grundverhältnis der Gesellschafter im Konzerninteresse beeinflusst werden, z.B. durch eine Satzungsänderung, die dem herrschenden Unternehmen Sonderrechte verschafft, durch eine Kapitalerhöhung, welche die außenstehenden Gesellschafter vom Bezugsrecht ausschließt, usw. Eine so weitgehende Berücksichtigung des Konzerninteresses ließe sich nur rechtfertigen, wenn die Sicherungsmechanismen der §§ 302 ff. AktG die außenstehenden Gesellschafter auch vor Eingriffen in das mitgliedschaftliche Grundverhältnis angemessen schützen würden. Daran fehlt es jedoch, wie sich deutlich zeigt, wenn man die Situation nach Beendigung des Beherrschungsvertrags betrachtet. Die Einbußen, welche die Gesellschaft und mittelbar die außenstehenden Gesellschafter durch eine u.U. nachteilige Leitung während der Vertragslaufzeit erlitten haben, werden nach der gesetzlichen Konzeption durch den Verlustausgleich gemäß § 302 AktG und die Ausgleichszahlungen gemäß § 304 AktG kompensiert 34 . Im Konzerninteresse vorgenommene Veränderungen des mitgliedschaftlichen Grundverhältnisses, wie die genannten Satzungsänderungen zugunsten von Konzernunternehmen oder die Verschiebung von Beteiligungsquoten infolge eines Bezugsrechtsausschlusses, würden dagegen auch nach Ende der Vertragslaufzeit bestehen bleiben, ohne dass dem eine angemessene Kompensation der außenstehenden Gesellschafter gegenüberstünde. Die Schutzmechanismen der §§ 302 ff. AktG sind auf derartige Eingriffe in das mitgliedschaftliche Grundverhältnis ersichtlich nicht zugeNachw. oben Fn. 19. Ergänzt wird dieser Schutz nach h.M. noch durch das Verbot existenzgefährdender Weisungen; vgl. etwa H ü f f e r , AktG, § 308 Rdn. 19; Krieger, in: MünchHdb. AG, § 70 Rdn. 134; jeweils m.w.Nachw. 33
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§ Ii Besonderheiten
im
Konzern
339
schnitten. Sie geben daher keine Veranlassung, solche Eingriffe unter Berufung auf das Konzerninteresse zu legitimieren, wie Martens dies vorschlägt. Nach alledem spricht im Gegenteil wesentlich mehr dafür, dass der Beherrschungsvertrag keine umfassende Ausrichtung der Gesellschaft auf das Konzerninteresse bewirkt, sondern die Zweckänderung auf den Bereich beschränkt bleibt, in dem das herrschende Unternehmen von seinem Weisungsrecht Gebrauch macht. Im weisungsfreien Bereich verbleibt es dagegen bei der Bindung an den ursprünglichen Verbandszweck und das daraus abgeleitete Gesellschaftsinteresse. Folglich kann in diesem Bereich weiterhin nur das Gesellschaftsinteresse und nicht das Konzerninteresse den zutreffenden Maßstab für die sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen bilden. Gewinnabführungsvertrag
2.
Weniger Schwierigkeiten bereitet die Frage, wie sich das Wirksamwerden eines Gewinnabführungsvertrags auf den Gleichbehandlungsgrundsatz auswirkt 35 . Aufgehoben wird der Grundsatz in Bezug auf die Verteilung des Bilanzgewinns; dieser fließt allein dem anderen Vertragsteil zu (§§ 291 Abs. 1,300 Nr. 1, 301 AktG). Weitere Auswirkungen auf die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes hat das Bestehen eines Gewinnabführungsvertrags dagegen nicht 36 . Insbesondere ändert sich auch hier nichts daran, dass für die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen nach wie vor das Gesellschafts- und nicht das Konzerninteresse maßgeblich ist. Der Gewinnabführungsvertrag wird in der Regel mit einem Beherrschungsvertrag zusammentreffen, so dass dann auch die weiteren oben genannten Durchbrechungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu beachten sind. Wenn dagegen lediglich ein isolierter Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen wird 3 7 , gilt es die Besonderheiten zu beachten, die sich ggf. aus der Anwendung der §§ 311 ff. A k t G ergeben (dazu sogleich).
35
Für den Abschluss des G e w i n n a b f ü h r u n g s v e r t r a g s u n d die darauf bezogene Zustimmung der Anteilseignerversammlung (§293 Abs. 1 A k t G ) gilt das z u m Beherrschungsvertrag Gesagte entsprechend. O b w o h l einem Gesellschafter eine Sonderstellung eingeräumt wird, findet keine P r ü f u n g am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes statt; vgl. oben Ziff. 1 a. 36 Vgl. Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , §53a Rdn.45; Henze/Notz, in: Großkomm. A k t G , § 53a Rdn. 162. 37 Solche Verträge sind nach heute ganz h.M. zulässig; vgl. Altmeppen, in: M ü n c h K o m m . A k t G , §291 Rdn. 148 f.; Emmerieb, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und G m b H - K o n zernrecht, §291 Rdn. 60 f.; Cahn/Simon, Konzern 2003,1 (2 ff.); alle m.w.Nachw.
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
3. Faktischer Konzern und bloße
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Abhängigkeit
Erhebliche Modifikationen erfährt das Gleichbehandlungsgebot schließlich auch in Fällen des faktischen Konzerns und bloßer Abhängigkeit (§17 AktG). Hier führt die Regelung der §§ 311 ff. A k t G zu einer Reihe von Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz, die allerdings in ihrem genauen Ausmaß umstritten sind. Weithin Einigkeit besteht aber, dass diese Abweichungen nur die abhängige (und KGaA) betreffen. Auf die abhängige G m b H sind die §§311 ff. A k t G dagegen nach heute kaum noch bestrittener Auffassung nicht übertragbar 38 . Für die abhängige oder in einen faktischen Konzern eingebundene G m b H findet der Gleichbehandlungsgrundsatz daher uneingeschränkt Anwendung 3 9 . a) Einschränkungen des durch die §§311 f f . AktG aa) Allgemeine
Gleichbehandlungsgrundsatzes
Auswirkungen
In der zutreffenden Auslegung der h.M. eignet den §§ 311 ff. AktG nicht nur eine Schutzfunktion für die außenstehenden Aktionäre, sondern auch eine Privilegierungsfunktion zugunsten der Konzernleitung 40 . Diese Privilegierungsfunktion kommt darin zum Ausdruck, dass Vorstand und Aufsichtsrat 41 der abhängigen AG erlaubt wird, auch nachteiligen Einflussnahmen des herrschenden Unternehmens nachzugeben, sofern die Maßnahme einen Bezug zur Leitung der Gesellschaft aufweist 42 , im Interesse des herrschenden Unternehmens oder eines mit diesem verbundenen Unternehmens liegt (§ 308 Abs. 1 Satz 2 A k t G analog) 43 , der 38
Ganz h.M.; vgl. etwa B G H Z 65, 15 (18); 95, 330 (340); Habersack, in: E m m e r i c h / H a bersack, Aktien- und G m b H - K o n z e r n r e c h t , A n h . §318 Rdn. 6; Zöllner, in: Baumbach/ Hueck, G m b H G , SchlAnh. KonzernR Rdn. 5, 76, 80; jeweils m.w.Nachw. 39 Vgl. nur Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und G m b H - K o n z e r n r e c h t , Anh. § 318 Rdn. 25; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, G m b H G , SchlAnh. K o n z e r n R Rdn. 90. 40 Vgl. Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und G m b H - K o n z e r n r e c h t , §311 Rdn. 2, 4 f.; Koppensteiner, in: Kölner Komm. A k t G , Vorb. § 311 Rdn. 5; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 124f.; Lutter/Timm, BB 1978, 836 (838 f.); MUlbert, Z H R 163 (1999) 1 (23 f., 26f.); Strohn, Verfassung, S.5ff.; i.E. auch Hüffer, A k t G , §311 Rdn. 48 f., 50; Krieger, in: M ü n c h H d b . AG, §69 Rdn. 61; Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftung, S.70. A.A. aber diejenigen, die die §§311 ff. A k t G durch die Treuepflicht des herrschenden Unternehmens überlagert sehen und deshalb wie im G m b H - R e c h t jede nachteilige Einwirkung auf das abhängige Unternehmen f ü r unzulässig halten; so vor allem Zöllner, Z H R 162 (1998), 235 (241 f., 244 f.); ihm folgend Tröger, Treupflicht, S. 210 ff.; Voigt, H a f t u n g , S. 317 ff.; zur Kritik an dieser Auffassung näher Koppensteiner, in: Kölner Komm. A k t G , §311 Rdn. 167 f.; T. Bezzenberger, Kapital, S. 333 ff. 41 Zur Hauptversammlung gesondert unter lit. b. 42 Zu diesem selten thematisierten Erfordernis Lutter, Z I P 1997, 613 (617f.); vgl. auch die Parallele zu § 308 Abs. 1 Satz 1 A k t G („hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft"). 43 Für diese Analogie die h.M.; vgl. etwa Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien-
5 Ii Besonderheiten
im Konzern
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Nachteil ausgleichsfähig und das herrschende Unternehmen zum Ausgleich gemäß § 311 Abs. 2 A k t G bereit und imstande ist44. Unter diesen Voraussetzungen wird Vorstand und Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft etwa gestattet, Konzernumlagen an das herrschende Unternehmen abzuführen, Umsatzgeschäfte mit dem herrschenden Unternehmen zu nicht marktgerechten Konditionen abzuschließen, etc. 45 Die Vorschrift des §311 AktG mit dem dort vorgesehenen zeitlich gestreckten Nachteilsausgleich verdrängt insoweit als lex specialis die allgemeinen Vorschriften, die den Organwaltern ansonsten den Abschluss nachteiliger Geschäfte verbieten würden 46 . Diese Verdrängung der allgemeinen Vorschriften muss, wenngleich dies im Schrifttum nicht ausdrücklich ausgesprochen wird, auch für die Bindung der Gesellschaft an den Gleichbehandlungsgrundsatz gelten. Entschiede man anders, würde die vom Gesetzgeber mit Bedacht eingeführte 4 7 Möglichkeit des gestreckten Nachteilsausgleich konterkariert, da die Bevorzugung des herrschenden Unternehmens wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz von vornherein zu unterbleiben hätte. Erst wenn die Grenzen des § 311 AktG überschritten werden (z.B. weil der Nachteilsausgleich nicht rechtzeitig geleistet oder versprochen wird, § 311 Abs. 2 AktG), greifen die allgemeinen Vorschriften und damit auch der Gleichbehandlungsgrundsatz wieder ein 48 . Aus dem Umstand, dass unter den genannten Voraussetzungen sogar nachteilige Geschäfte mit dem herrschenden Unternehmen von der Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz freigestellt werden, folgt zwingend, dass dasselbe erst recht auch für ausgewogene Geschäfte mit dem herrschenden Unternehmen gelten muss. Die sonst geltende Regel, dass Verträge mit Gesellschaftern, die mit Rücksicht auf deren Gesellschaftereigenschaft abgeschlossen werden, auch dann der Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz unterliegen, wenn ihre Konditionen inhaltlich angemessen sind 49 , erleidet hier also eine wesentliche Ausnahme. und GmbH-Konzernrecht, §311 Rdn.60; Hüffer, AktG, §311 Rdn.43; Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, § 311 Rdn. 102; Voigt, Haftung, S. 312 f. m.w.Nachw. 44 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §311 Rdn. 78, 81; Krieger, in: MünchHdb. AG, §69 Rdn. 24. 45 Vgl. die Beispiele bei Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §311 Rdn. 46 ff. 46 Vgl. statt vieler Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rdn. 78, 81 (zur Verdrängung der §§ 93,116 AktG), Rdn. 82 (zur Verdrängung der §§ 57, 60, 62 AktG); Krieger, in: MünchHdb. AG, § 69 Rdn. 61. 47 Vgl. Ausschussbericht zu § 311 A k t G bei Kropff, A k t G 1965, S. 409 f.; ferner Kropff, in: MünchKomm. AktG, vor§311 R d n . l 5 f . 48 Vgl. (jeweils zu §§ 57, 60, 62 AktG) Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §311 Rdn. 83; Krieger, in: MünchHdb. AG, §69 Rdn. 61, 110; beide m.w.Nachw.; abweichend - allgemeine Vorschriften bleiben ausgeschlossen - zuletzt T. Bezzenberger, Kapital, S. 331 ff. 49 S. oben § 9 1 1 , 2 a.E.
342
3. Kapitel:
Reichweite und Inhalt des
bb) Auswirkungen auf das Informationsrecht (§131 Abs. 4 AktG)
Gleichbehandlungsgrundsatzes
im
Besonderen
D a n e b e n lässt sich n o c h eine weitere Folgerung ziehen: W e n n im A n w e n d u n g s bereich der § § 3 1 1 ff. A k t G der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz des § 53a A k t G verdrängt wird, muss dies konsequenterweise auch für solche V o r schriften gelten, die sich lediglich als besondere Ausprägung des G l e i c h b e h a n d lungsgrundsatzes darstellen und diesen für einen Teilbereich lediglich wiederholen oder spezifizieren. B e d e u t u n g hat diese E r k e n n t n i s vor allem f ü r die viel diskutierte Frage, wie sich das erweiterte A u s k u n f t s r e c h t der A k t i o n ä r e nach § 131 Abs. 4 A k t G zu den § § 3 1 1 ff. A k t G verhält. G e m ä ß § 131 A b s . 4 A k t G müssen grundsätzlich alle I n f o r m a t i o n e n , die außerhalb der H a u p t v e r s a m m l u n g einem A k t i o n ä r in dieser Eigenschaft erteilt worden sind, auch allen anderen A k t i o n ä r e n auf V e r langen in der Hauptversammlung mitgeteilt werden. Brächte man diese V o r schrift im faktischen K o n z e r n uneingeschränkt zur A n w e n d u n g , w ü r d e dadurch eine einheitliche Leitung erheblich erschwert, w e n n nicht u n m ö g l i c h ; denn wenn jede k o n z e r n i n t e r n e Mitteilung von U n t e r n e h m e n s i n t e r n a mit dem R i s i k o der O f f e n l e g u n g gegenüber den außenstehenden A k t i o n ä r e n behaftet wäre, w ü r d e der für eine sachgemäße K o n z e r n l e i t u n g unerlässliche I n f o r m a t i onsfluss zwischen T o c h t e r und M u t t e r gravierend beeinträchtigt 5 0 . D i e - freilich nicht unumstrittene - h . M . 5 1 n i m m t deshalb A u s k ü n f t e im R a h m e n eines faktischen K o n z e r n s vom Anwendungsbereich des § 131 Abs. 4 A k t G aus, w o bei zur B e g r ü n d u n g meist ausgeführt wird, dass die A u s k ü n f t e dem h e r r schenden U n t e r n e h m e n nicht wegen seiner Eigenschaft als A k t i o n ä r , sondern wegen seiner L e i t u n g s f u n k t i o n erteilt w ü r d e n 5 2 . Dagegen soll es nach ebenfalls h . M . in Fällen bloßer Abhängigkeit (§ 17 A k t G ) bei der Anwendbarkeit des § 131 A b s . 4 A k t G verbleiben, da hier das A r g u m e n t der L e i t u n g s f u n k t i o n entfalle 5 3 . 50 Wie hier etwa Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 312 Rdn. 5; Habersack/Verse, AG 2003, 300 (306); Hoffmann-Becking, FS Rowedder, S. 155 (167); offen lassend Kropff, in: MünchKomm. AktG, §311 Rdn. 306. 51 LG Düsseldorf AG 1992, 461 (462); Decher, in: Großkomm. AktG, §131 Rdn. 348; ders., ZHR 158 (1994), S.473 (483 f.); Duden, FS v. Caemmerer, S.499 (505f.); Götz, ZGR 1998, 524 (527); Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §312 Rdn. 5; Habersack/Verse, AG 2003, 300 (306 f.); Hoffmann-Becking, FS Rowedder, S. 155 (167f.); Hüffer, AktG, §131 Rdn.38; Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, §312 Rdn. 8 (anders noch Voraufl. Rdn. 5); Krieger, in: MünchHdb. AG, § 69 Rdn. 23; Kropff, in: MünchKomm. AktG, §311 Rdn. 306; Kubis, in: MünchKomm. AktG, §131 Rdn. 142; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §131 Rdn. 69; Lobbe, Unternehmenskontrolle, S. 127. A.A. aber Eckardt, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 131 Rdn. 148; Heidel, in: AnwKomm. AktG, § 131 Rdn. 76; Kort, ZGR 1987, 46 (60); U.H. Schneider, FS Lutter, S. 1193 (1201 f.); Strohn, Verfassung, S. 189ff.; differenzierend Zetzsche, Aktionärsinformation, S. 363 f. 52 Beispielhaft etwa Kropff, in: MünchKomm. AktG, § 311 Rdn. 305 f. 53 Vgl. Duden, FS v. Caemmerer, S.499 (506f.); Habersack, in: Emmerich/Habersack,
§ 15 Besonderheiten
im
Konzern
343
Vergegenwärtigt man sich den Zusammenhang des § 131 Abs. 4 AktG mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz, stellt sich diese altbekannte Streitfrage in neuem Licht dar. Letztlich handelt es sich bei der Vorschrift des § 131 Abs. 4 AktG, wie in den Gesetzesmaterialien deutlich zum Ausdruck kommt 54 , um nichts anderes als eine besondere Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes 55 . Wenn nun aber der Gleichbehandlungsgrundsatz unter den genannten Voraussetzungen durch §311 AktG außer Kraft gesetzt wird und für die Gesellschaft nachteilige Maßnahmen, die das herrschende Unternehmen bevorzugen, gemäß § 311 AktG zulässig sind, wäre es ungereimt, wenn ausgerechnet für die Erteilung von Informationen etwas anderes gelten sollte, nur weil § 131 Abs. 4 AktG den Gleichbehandlungsgrundsatz in diesem Kontext nochmals wiederholt und spezifiziert. Folgerichtig erscheint es vielmehr, auch in den Fällen der Informationserteilung die Bevorzugung des herrschenden Unternehmens als zulässig und das erweiterte Auskunftsrecht als durch § 311 AktG verdrängt anzusehen 56 . Voraussetzung ist freilich stets, dass sich die Bevorzugung des herrschenden Unternehmens innerhalb der o.g. Grenzen bewegt. Der Vorstand der abhängigen Gesellschaft muss also auch hier prüfen, ob die Informationserteilung den erforderlichen Leitungsbezug aufweist, bei drohendem Nachteil im Konzerninteresse liegt (§ 308 Abs. 1 Satz 2 AktG analog), der Nachteil ausgleichsfähig und das herrschende Unternehmen zum Nachteilsausgleich bereit und imstande ist. Folgt man der hier vertretenen Auffassung, dass § 131 Abs. 4 AktG durch den spezielleren § 311 AktG verdrängt wird, muss man nicht mehr auf das vielAktien- und GmbH-Konzernrecht, § 312 Rdn. 5; Habersack/Verse, AG 2003,300 (307); Hüff e r , AktG, § 131 Rdn. 38; Krieger, in: MünchHdb. AG, § 69 Rdn. 23; K r o p f f , in: MünchKomm. AktG, § 311 Rdn. 307; Kubis, in: MünchKomm. AktG, § 131 Rdn. 143; ebenso erst recht diejenigen, die § 131 Abs. 4 AktG auch im faktischen Konzern anwenden wollen, vgl. die Nachw. in Fn. 51 a.E. A.A. (Unanwendbarkeit des § 131 Abs. 4 AktG auch bei bloßer Abhängigkeit) Barz, in: Großkomm. AktG, 3. Aufl., §131 Rdn. 27; Decher, in: Großkomm. AktG, §131 Rdn. 349; Götz, ZGR 1998,524 (527 f.); Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, § 312 Rdn. 8; Lobbe, Unternehmenskontrolle, S. 128. 54 Begr. RegE AktG bei K r o p f f , AktG 1965, S. 187. 55 Vgl. LG Flensburg, NZG 2004, 677 (680); Habersack/Verse, AG 2003, 300 (306); Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 58, 131; H ü f f e r , AktG, § 131 Rdn. 42; Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, § 312 Rdn. 8; Lobbe, Unternehmenskontrolle, S. 126. Schon unter Geltung des AktG 1937, das keine dem §131 Abs. 4 AktG entsprechende Vorschrift kannte, leiteten denn auch Teile der Literatur aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ein dem §131 Abs. 4 AktG vergleichbares erweitertes Auskunftsrecht ab; vgl. etwa W. Schmidt/ Meyer-Landrut, in: Großkomm. AktG, 2. Aufl., § 112 Rdn. 5. 56 Satz 3 des §131 Abs. 4 AktG steht dem nicht entgegen. Diese Vorschrift schließt das erweiterte Auskunftsrecht zwar nur in Bezug auf solche Informationen aus, die für die Aufstellung des Konzernabschlusses benötigt werden. Das hat aber lediglich klarstellende Bedeutung und trägt nicht den Umkehrschluss, dass das erweiterte Auskunftsrecht in allen anderen Fällen anwendbar sei; näher Habersack/ Verse, AG 2003,300 (306 f.) mit umfangreichen w.Nachw.; a.A. U.H. Schneider, FS Lutter, S. 1193 (1200).
344
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
fach bemühte Argument zurückgreifen, dass die Informationen dem herrschenden Unternehmen im faktischen Konzern nicht in seiner Eigenschaft als Aktionär erteilt würden und die Vorschrift des § 131 Abs. 4 A k t G daher schon nach ihrem Wortlaut nicht anwendbar sei. Diese Argumentation aus dem Wortlaut war schon immer konstruiert und nicht überzeugend, da die Leitungsmöglichkeit im faktischen Konzern allein auf der Aktionärseigenschaft des herrschenden Unternehmens beruht und sich ein Bezug zur Aktionärseigenschaft daher nicht ernstlich leugnen lässt 57 . Die hier vertretene Auffassung führt allerdings bei konsequenter Fortführung zu dem über die h.M. hinausgehenden Ergebnis, dass eine Verdrängung des § 131 Abs. 4 A k t G durch § 311 A k t G nicht nur im Bereich des faktischen Konzerns, sondern auch in den - praktisch weit weniger bedeutsamen - Fällen bloßer Abhängigkeit (§ 17 A k t G ) in Betracht zu ziehen ist. Die §§ 311 ff. A k t G beziehen sich ausweislich ihres Wortlauts eindeutig und unstreitig nicht nur auf den faktischen Konzern, sondern gleichermaßen auch auf die bloße Abhängigkeit 58 . Wenn man eine verdrängende Wirkung des §311 A k t G gegenüber §131 Abs. 4 A k t G bejaht, muss dies also konsequenterweise auch für schlichte Abhängigkeitslagen gelten, in denen das herrschende Unternehmen keine einheitliche Leitung i.S. des § 18 Abs. 1 Satz 1 A k t G ausübt, sondern allenfalls punktuell von seinen Einflussmöglichkeiten auf die Leitung der abhängigen Gesellschaft Gebrauch macht. Demgegenüber lässt sich zwar mit der h.M. einwenden, dass nur im faktischen Konzern die Ausschaltung des § 131 Abs. 4 A k t G zwingend erforderlich sei, um den für die Konzernleitung nötigen Informationsfluss zwischen Tochter und Mutter herzustellen, während bei bloßer Abhängigkeit eine derartige Notwendigkeit nicht oder jedenfalls nicht in vergleichbarem Umfang bestehe. Dieser Einwand ändert aber nichts daran, dass sich nach der gesetzlichen Regelung die Schutzfunktion und als deren Kehrseite auch die Privilegierungsfunktion der §§311 ff. A k t G auch auf Fälle bloßer Abhängigkeit erstreckt 59 . Das oben angeführte Argument, dass es ungereimt wäre, wenn der Gesetzgeber die abhängige Gesellschaft einerseits für nachteilige Einflussnahmen öffnen, andererseits aber im 5 7 Zutr. insoweit U.H. Schneider, FS Lutter, S. 1193 (1201), der der h.M. eine „Flucht aus dem Wortlaut" vorwirft; vgl. auch schon Habersack/Verse, A G 2003, 300 (306). 5 8 Allg.M., vgl. nur Hüffer, A k t G , §311 Rdn. 12; Kropff, in: MünchKomm. A k t G , §311 Rdn.51; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §311 Rdn. 13. 5 9 Dies mag man aus rechtspolitischer Sicht für missglückt halten, da der vom Gesetzgeber gesehene Anlass für die Privilegierung in der Ermöglichung der (faktischen) Konzernleitung bestand, diese aber in Fällen bloßer Abhängigkeit gerade nicht ausgeübt wird. Eine gespaltene Auslegung in dem Sinne, dass die Privilegierungsfunktion der §§311 ff. A k t G nur auf den faktischen Konzern, nicht aber auf die bloße Abhängigkeit angewendet wird (in diese Richtung Kropff, D B 1967, 2147 [2152]), wird man gleichwohl nicht begründen können. G e gen sie spricht nicht nur der klare Gesetzeswortlaut, sondern auch der enge Zusammenhang von Schutz- und Privilegierungsfunktion.
§ 15 Besonderheiten
im
Konzern
345
Bereich der Informationserteilung hiervon abrücken würde, beansprucht daher für die Fälle bloßer Abhängigkeit ebenso Geltung wie im faktischen Konzern. Als wesentliche Einschränkung bleibt aber zu beachten, dass sich die Privilegierungsfunktion der §§ 311 ff. AktG nur auf die Erteilung solcher Informationen erstreckt, die den erforderlichen Leitungsbezug aufweisen. Daran wird es in Fällen schlichter Abhängigkeit nicht selten fehlen, da gerade keine einheitliche Leitung ausgeübt wird. Immerhin denkbar ist aber der Fall, dass dem herrschenden Unternehmen Informationen erteilt werden, die als Grundlage für eine lediglich punktuelle, noch nicht die Intensität des § 18 Abs. 1 Satz 1 AktG erreichende Einflussnahme auf die Leitung der Gesellschaft dienen. In diesen - freilich seltenen - Fällen spricht nach dem Gesagten mehr dafür, die Vorschrift des § 131 Abs. 4 A k t G nicht nur im faktischen Konzern, sondern auch bei bloßer Abhängigkeit als durch §311 AktG verdrängt anzusehen 60 .
b) Einschränkungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch im Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung? Die vorstehenden Ausführungen zur Einschränkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Privilegierungsfunktion der §§311 ff. AktG bezogen sich ausschließlich auf Maßnahmen des Vorstands und des Aufsichtsrats. Ob dieselben Einschränkungen auch im Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung zu beachten sind, ist damit noch nicht gesagt. Unstreitig ist zwar, dass die §§311 ff. AktG auch auf Einflussnahmen im Wege der Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung Anwendung finden 61 . Unterschiedlich beurteilt wird aber die Frage, ob dadurch die allgemeinen Anfechtungstatbestände, mit denen sonst die Nachteiligkeit des Beschlusses geltend gemacht werden könnte, verdrängt werden. Die in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegende Auffassung verneint dies: die allgemeinen Anfechtungstatbestände sollen neben §311 AktG uneingeschränkt zur Anwendung kommen 62 . Im Ergebnis 60 Wie hier i.E. die Nachw. in Fn. 53 a.E. Schlichter Mehrheitsbesitz (§ 16 AktG) und der Status als Großaktionär lassen dagegen nach heute allg.M. die Anwendbarkeit des § 131 Abs. 4 AktG unberührt; vgl. zuletzt BayObLG ZIP 2002, 1804 (1805), ferner alle in Fn. 53 Genannten; anders noch Janberg, AG 1965,191 (193). In diesen Fällen ist der Anwendungsbereich der §§311 ff. AktG nicht eröffnet, so dass diese auch keine verdrängende Wirkung entfalten können. 61 Eindeutig insoweit Begr. RegE AktG bei Kropff, AktG 1965, S. 408: "[D]as Verbot des §311 [gilt] auch für die Ausübung des Stimmrechts in der Hauptversammlung." 62 Vgl. Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §311 Rdn. 85 f. (zu §243 Abs. 2 AktG und Treuepflichtverletzung); Strohn, Verfassung, S. 38 ff.; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn. 255 ff.; speziell zu §243 Abs. 2 AktG O L G Frankfurt a.M. BB 1973, 863 (863 f.); LG Bonn AG 2001, 201 (204); LG München I N Z G 2002, 826 (827); Hüffer, AktG, §243 Rdn. 43; ders., in: MünchKomm. AktG, §243 Rdn. 105; Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, §311 Rdn. 166 (anders noch Voraufl. Rdn. 109);
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
führt diese Ansicht dazu, dass die Privilegierungsfunktion der §§ 311 ff. AktG im Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung anders als bei Maßnahmen des Vorstands und des Aufsichtsrats praktisch leer läuft 63 . Die Gegenauffassung hält eben dies für inkonsequent und will die Privilegierungsfunktion der §§311 ff. AktG auch im Bereich der Hauptversammlungsbeschlüsse zur Geltung bringen. Die allgemeinen Vorschriften sollen deshalb in derselben Weise verdrängt werden, wie dies oben für Maßnahmen des Vorstands und des Aufsichtsrats beschrieben worden ist 64 . Die Diskussion konzentriert sich dabei meist auf die Frage, ob die Anfechtungstatbestände des Sondervorteilsverbots (§ 243 Abs. 2 AktG) und der Treuepflichtverletzung verdrängt werden. Dieselbe Frage stellt sich aber auch in Bezug auf die Anfechtung wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die überwiegende Auffassung einer kritischen Uberprüfung durchaus Stand zu halten vermag. Für sie spricht, dass der Gesetzgeber das Privileg des zeitlich aufgeschobenen Nachteilsausgleichs vorgesehen hat, weil er meinte, dass dies im Interesse der Praktikabilität zur faktischen Konzernleitung erforderlich sei 65 . Diese Erwägung trifft jedoch allenfalls auf die laufende Konzernleitung zu, nicht auf den Sonderfall der Einflussnahme durch Hauptversammlungsbeschluss 66 . Vor allem aber spricht für die Beibehaltung der h.M. ein Seitenblick auf das Recht des Vertragskonzerns 67 . Das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens nach § 308 AktG besteht unstreitig nicht gegenüber der Hauptversammlung. Wie dargelegt 68 unterliegt diese auch sonst keiner Bindung an das Konzerninteresse. Die allgemeinen Anfechtungstatbestände kommen daher bei Hauptversammlungsbeschlüssen im Vertragskonzern uneingeschränkt zur Anwendung. Folgt man dem, muss dasselbe erst recht bei bloß faktischer Abhängigkeit gelten; denn die Eingriffsmöglichkeiten des herrschenden Unternehmens K r o p f f , in: MünchKomm. AktG, §311 Rdn. 120 ff.; K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §243 Rdn. 58; Geßler, FS Barz, S. 97 (108 ff.). 63 Deutlich Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, § 311 Rdn. 165; Mülhert, Aktiengesellschaft, S. 289; Strohn, Verfassung, S. 40 f. 64 Vgl. Mülhert, Aktiengesellschaft, S.292f.; Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, S. 136 f.; Bachelin, Minderheitenschutz, S.67f.; Maul, Abhängige SE, S. 50f.; Voigt, Haftung, S. 312 mit Fn. 1984; vgl. auch OLG Stuttgart AG 1994, 411 (412) (zur Verdrängung des § 57 AktG). Ähnlich i.E. Martens, AG 1974, 9 (13), der zwar einerseits §243 Abs. 2 AktG neben den §§311 ff. AktG anwenden will, andererseits aber eine Erledigung der auf §243 Abs. 2 AktG gestützten Anfechtungsklage annimmt, sobald der nach § 311 AktG geschuldete Nachteilsausgleich geleistet wird. 65 Näher K r o p f f , in: MünchKomm. AktG, vor §311 Rdn. 15f.; Dettling, Entstehungsgeschichte, S. 319 ff. 66 K r o p f f , in: MünchKomm. AktG, §311 Rdn. 121; vgl. auch schon Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn. 256. 67 Dies wird häufig übersehen; wie hier aber Strohn, Verfassung, S. 39 f. 68 S. oben Ziff. 1 c.
5 IS Besonderheiten
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k ö n n e n hier - wie auch sonst a n e r k a n n t ist 6 9 - nicht weiter gehen als bei B e s t e hen eines B e h e r r s c h u n g s v e r t r a g s . I m Bereich der Zuständigkeit der H a u p t v e r s a m m l u n g muss es deshalb dabei bleiben, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz neben den § § 3 1 1 ff. A k t G zur A n w e n d u n g k o m m t . E i n e A u s n a h m e k ö n n t e man allenfalls in den Fällen des § 1 1 9 A b s . 2 A k t G in B e t r a c h t ziehen 7 0 , da die H a u p t v e r s a m m l u n g in diesen Fällen über G e s c h ä f t s f ü h r u n g s m a ß n a h m e n entscheidet, bei denen - träfe sie der eigentlich zuständige Vorstand - der Gleichbehandlungsgrundsatz durch § 311 A k t G verdrängt würde. M e h r spricht jedoch dafür, auch in den Fällen des § 119 A b s . 2 A k t G Hauptversammlungsbeschlüsse uneingeschränkt an den allgemeinen Vorschriften und damit auch am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen 7 1 . Z u m einen wird auch im R e c h t des Vertragskonzerns f ü r Beschlüsse nach § 1 1 9 A b s . 2 A k t G keine derartige A u s n a h m e erwogen 7 2 . Z u m anderen w i r d in Fällen, in denen der Vorstand den ungewöhnlichen Weg des § 119 A b s . 2 A k t G beschreitet, regelmäßig keine Angelegenheit der laufenden K o n z e r n l e i t u n g vorliegen, auf die das Privileg des gestreckten Nachteilsausgleichs zugeschnitten ist 7 3 .
4. Konzerneinbindung
als Sachgrund für
Differenzierungen?
I n den vorstehend behandelten Fallgruppen ergaben sich die D u r c h b r e c h u n g e n des Gleichbehandlungsgrundsatzes jeweils daraus, dass das K o n z e r n r e c h t ausdrücklich Abweichungen von den allgemeinen Regeln vorsieht. I m S c h r i f t t u m wird darüber hinaus die Auffassung vertreten, dass auch dort, w o es an einer solchen Regelung fehle, die K o n z e r n e i n b i n d u n g einen sachlichen G r u n d darstellen k ö n n e , der Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen vermöge 7 4 . K o n k r e t e Beispiele dafür, w a n n die K o n z e r n e i n b i n d u n g einen derartigen Sachgrund bilden soll, werden allerdings nicht angeführt. B e t o n t wird lediglich, dass eine allgemeine Privilegierung aufgrund der Stellung als herrschendes K o n z e r n u n t e r 69 Dieselbe Argumentation a maiore ad minus ist auch im Rahmen des §308 Abs. 1 Satz 2 AktG anerkannt; vgl. oben Fn. 43. 70 Für eine solche Ausnahme Strohn, Verfassung, S.40; vgl. auch Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 292. 71 Vgl. bereits Geßler, FS Barz, S.97 (110); Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn.256. 72 Diskutiert wird lediglich die Frage, ob das herrschende Unternehmen kraft seines Weisungsrechts auch die Anrufung der Hauptversammlung nach § 119 Abs. 2 AktG verlangen kann; dazu (verneinend) Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, §308 Rdn.41 m.w.Nachw. Für die Beschlussfassung der nach §119 Abs. 2 AktG befassten Hauptversammlung werden dagegen keine Besonderheiten erwogen. 73 Vgl. Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 243 Rdn. 256. 74 Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 24; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 50; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 243 Rdn. 165; zustimmend Henze/ Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 158.
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3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
nehmen nicht anzuerkennen sei. E s bedürfe vielmehr einer P r ü f u n g a n h a n d der U m s t ä n d e des Einzelfalls, u m festzustellen, ob die K o n z e r n e i n b i n d u n g einen hinreichenden Sachgrund f ü r D i f f e r e n z i e r u n g e n darstelle 7 5 . D i e damit getroffene Aussage - K o n z e r n e i n b i n d u n g als möglicher Sachgrund für D i f f e r e n z i e r u n g e n - lässt sich unterschiedlich auffassen: Z u m einen k ö n n t e sie lediglich als H i n w e i s darauf zu verstehen sein, dass U n g l e i c h b e h a n d lungen zugunsten des herrschenden U n t e r n e h m e n s durchaus im eigenen I n t e r esse der abhängigen Gesellschaft liegen k ö n n e n 7 6 . Rechtfertigender G r u n d ist dann freilich wie sonst auch das Gesellschaftsinteresse, nicht die K o n z e r n e i n bindung als solche. I n derartigen Fällen die K o n z e r n e i n b i n d u n g als S a c h g r u n d f ü r D i f f e r e n z i e r u n g e n zu bezeichnen verdunkelt nur die Tatsache, dass es sich lediglich u m eine u n m o d i f i z i e r t e A n w e n d u n g des G l e i c h b e h a n d l u n g s g r u n d satzes nach allgemeinen Regeln handelt. Z u m anderen k ö n n t e die Aussage aber auch dahin verstanden werden, dass die K o n z e r n e i n b i n d u n g in b e s t i m m t e n Fällen einen eigenständigen S a c h g r u n d f ü r Differenzierungen abgebe, der über die R e c h t f e r t i g u n g von U n g l e i c h b e handlungen im Gesellschaftsinteresse hinausreicht. Sollte die Aussage so aufzufassen sein, wäre ihr indes eine klare Absage zu erteilen. D i e oben dargelegten Konzernprivilegien im Vertrags- und im faktischen K o n z e r n lassen bereits h i n reichend R a u m f ü r Ungleichbehandlungen im Konzerninteresse. E s ist nicht ersichtlich, aus welchem G r u n d die K o n z e r n e i n b i n d u n g jenseits dieser V o r schriften eine besondere R e c h t f e r t i g u n g dafür liefern sollte, U n g l e i c h b e h a n d lungen zugunsten des herrschenden U n t e r n e h m e n s v o r z u n e h m e n . Sofern nicht die in den § § 2 9 1 ff., 311 ff. A k t G vorgesehenen M o d i f i k a t i o n e n eingreifen, bleibt es vielmehr f ü r alle O r g a n e der abhängigen Gesellschaft bei der B i n d u n g an den ursprünglichen V e r b a n d s z w e c k und das daraus abgeleitete Gesellschaftsinteresse. D a h e r k a n n richtigerweise auch nur das Gesellschaftsinteresse und nicht die K o n z e r n e i n b i n d u n g als solche als Sachgrund für D i f f e r e n z i e rungen in B e t r a c h t k o m m e n .
II. Gleichbehandlung mehrerer konzernabhängiger Gesellschaften durch das herrschende Unternehmen V o n dem soeben behandelten P r o b l e m k r e i s , der die Gleichbehandlung i n n e r halb der konzernabhängigen Gesellschaft z u m Gegenstand hatte, streng zu u n terscheiden ist die Frage, o b der Gleichbehandlungsgrundsatz auch eine k o n zernrechtliche Kategorie in dem Sinne darstellt, dass das herrschende U n t e r nehmen mehrere von i h m abhängige Gesellschaften gleichmäßig zu behandeln 75 76
Nachw. wie Fn. 74. Vgl. Henze/Notz, in: Großkomm. A k t G , §53a Rdn. 158.
5 Ii Besonderheiten
im
Konzern
349
hat. Hier geht es nicht mehr um die Gleichbehandlung der Gesellschafter innerhalb derselben Gesellschaft, sondern um eine Ausdehnung des Grundsatzes auf die Gleichbehandlung mehrerer Konzerngesellschaften durch die Konzernspitze. 1. Übertragbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Ebene des Konzerns? Eine derartige Ausdehnung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Ebene des Konzerns ist bereits vor knapp fünfzig Jahren von Schilling erwogen worden77. Nach seiner Auffassung bildet der Konzern „gewissermaßen die Gesellschaft der Gesellschaften". Dies erlaube es, gesellschaftsrechtliche Grundsätze wie den der gleichmäßigen Behandlung auch auf Konzernverhältnisse anzuwenden. Diese nicht näher ausgeführte Auffassung hat jedoch keine Gefolgschaft gefunden 78 ; sie wird heute meist gar nicht mehr erwähnt. Auch im ausländischen Schrifttum wird der Grundsatz der Gleichbehandlung - soweit ersichtlich - ausschließlich auf der Ebene der einzelnen Gesellschaft und nicht auf der Ebene des Konzerns behandelt. Soweit der Konzern nicht ausnahmsweise selbst in der Rechtsform einer Gesellschaft organisiert ist 79 , lässt sich eine Rechtsgrundlage für ein Gebot der Gleichbehandlung der Konzernmitglieder in der Tat nicht finden. Die Vorschriften der Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL und §§ 53a AktG, 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG betreffen ausdrücklich nur die Gleichbehandlung der Gesellschafter, nicht der Konzernmitglieder. Völlig unklar wäre zudem, nach welchem Maßstab sich die Gleichbehandlung der Konzernmitglieder richten sollte80. Hinzu kommt, dass sich die ratio legis des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht von der Ebene der Gesellschaft auf diejenige des Konzerns übertragen lässt. Wie dargelegt 81 geht es dem gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht (jedenfalls nicht in erster Linie) um die Verwirklichung distri77 Schilling, JZ 1957, 529 (529). Daneben findet sich auch bei Filhinger, Mehrheitsherrschaft, S.64f., 131, die Bezeichnung des Gleichbehandlungsgrundsatzes als „konzernrechtlichen Kategorie". Gemeint ist damit bei Filbinger aber nur, dass Fälle, in denen das herrschende Unternehmen die Schädigung der abhängigen Gesellschaft veranlasst, um außerhalb der Gesellschaft (z.B. durch ein anderes Konzernunternehmen) einen Sondervorteil zu ziehen, vom Gleichbehandlungsgrundsatz erfasst werden müssen. Es geht Filhinger also nur um die Gleichbehandlung innerhalb der einzelnen Konzerngesellschaft, nicht um die hier Interessierende Frage der Gleichbehandlung zwischen verschiedenen Konzerngesellschaften; vgl. dazu auch schon Zöllner, Schranken, S. 310. 78 Ablehnend vor allem Zöllner, Schranken, S. 309 f.; ders., in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn. 162; ders., in: Baumbach/Hueck, GmbH, SchlAnh. KonzernR Rdn. 43. 79 Wie z.B. im Fall eines vertraglichen Gleichordnungskonzerns (BGB-Innengesellschaft). 80 Zöllner, Schranken, S. 310; ders., in: Kölner Komm. AktG, §243 Rdn. 162. 81 S.oben §4 III 2.
350
3. Kapitel:
Reichweite
und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
butiver Gerechtigkeitsvorstellungen. Vielmehr handelt es sich zuvörderst um ein Instrument zur Sicherung der iustitia commutativa gegenüber Eingriffen in die Mitgliedschaft. Ausschlaggebend für diese Erkenntnis war die Überlegung, dass Bevorzugungen einzelner Gesellschafter durch die Gesellschaft zwar nicht notwendig, aber doch typischerweise zu Lasten der übrigen Gesellschafter gehen: Wenn die Gesellschaft einem Gesellschafter eine Zuwendung macht, wird hierdurch das Gesellschaftsvermögen verringert und mittelbar die Position der übrigen Gesellschafter beeinträchtigt. Wenn die Gesellschaft neue Anteile aus einer Kapitalerhöhung nur einzelnen Gesellschaftern zuteilt, sinkt die Beteiligungsquote der übrigen, usw. Auf Ungleichbehandlungen der Konzernmitglieder seitens der Konzernspitze lässt sich diese Überlegung nicht übertragen: Wenn die Konzernspitze - aus welchen Gründen auch immer - eine bestimmte Konzerngesellschaft besonders fördert, greift sie damit weder notwendig noch typischerweise in Positionen der übrigen Konzerngesellschaften ein. Die Ausgangslage ist auf der Ebene des Konzerns also eine ganz andere als innerhalb derselben Gesellschaft.
2. Gleichbehandlungspflichten
aus anderen
Rechtsgrundlagen
Noch nicht entschieden ist damit allerdings, ob sich nicht aus anderen Rechtsgrundlagen im Einzelfall Gleichbehandlungspflichten des herrschenden Unternehmens gegenüber den abhängigen Konzerngesellschaften ergeben können. So wird im Schrifttum in unterschiedlichem Zusammenhang die Frage diskutiert, ob etwaige Verbundvorteile, die aus der Zusammenfassung der Konzerngesellschaften unter einheitlicher Leitung resultieren, gleichmäßig (anteilig) auf die einzelnen Konzerngesellschaften zu verteilen sind. Die Frage stellt sich zunächst bei der Bewertung des abhängigen Unternehmens aus Anlass eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrags (§§ 304 f. AktG). Hier spricht sich die Rechtsprechung gegen die Aufteilung von Verbundvorteilen aus82, während eine im Vordringen befindliche Auffassung in der Literatur das gegenteilige Ergebnis befürwortet 83 . Dieselbe Frage stellt sich aber auch im faktischen Konzern: Auch hier hält die traditionelle Auffassung an der Nichtberücksichtigung von Verbundvorteilen fest84, während nach der vordringenden Gegenansicht ein abhängiges Unternehmen, das an Maßnahmen der Zentrali82 BGHZ 138, 136 (140); aus der Fülle des Schrifttums H ü f f e r , AktG, §305 Rdn.22; Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, § 305 Rdn. 65; Kort, ZGR 1999, 402 (415 ff.); jeweils m.w.Nachw. 83 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien und GmbH-Konzernrecht, § 305 Rdn. 71; Fleischer, ZGR 1997, 368 ff.; Großfeld, Anteilsbewertung, S.67f.; Hüttemann, Z H R 162 (1998), 563 (586 ff.); Krieger, in: MünchHdb. AG, § 70 Rdn. 107; Wackerbarth, Leitungsmacht, S. 458 ff.; jeweils m.w.Nachw. 84 Deutlich vor allem Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, §311 Rdn. 45 mit Fn. 111, Rdn. 118.
§ Ii
Besonderheiten
im
Konzern
351
sierung auf Konzernebene teilnimmt, im Wege des Nachteilsausgleichs (§311 AktG) an den daraus resultierenden Synergieeffekten zu beteiligen ist, da der Vorstand einer unabhängigen Gesellschaft auf einer derartigen Beteiligung bestehen würde 85 . Folgt man dieser - wohl zutreffenden - Auffassung, würde sich daraus ein (weiteres) Argument dafür ergeben, entgegen der bisherigen Rechtsprechung auch im Rahmen der §§ 304 f. AktG zu einer Aufteilung der Verbundvorteile zu gelangen. Die damit verbundenen Fragen reichen indes über die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes weit hinaus; sie können an dieser Stelle nicht vertieft werden.
85 Habersack, in: E m m e r i c h / H a b e r s a c k , A k t i e n - u n d G m b H - K o n z e r n r e c h t , § 3 1 1 R d n . 49; Mülbert, A k t i e n g e s e l l s c h a f t , S. 469 f.; Hogh, N a c h t e i l s e r m i t t l u n g , S . 6 0 ; vgl. auch Kropff, in: M ü n c h K o m m . A k t G , § 311 R d n . 210. Von der B e t e i l i g u n g an k o n k r e t e n Z e n t r a l i s i e r u n g s - u n d R a t i o n a l i s i e r u n g s m a ß n a h m e n sind die sog. passiven K o n z e r n e f f e k t e zu u n t e r scheiden, die d u r c h die A b h ä n g i g k e i t bzw. K o n z e r n i e r u n g als solche eintreten. D e r a r t i g e Effekte bleiben a u ß e r B e t r a c h t ; vgl. statt vieler Habersack a a O . § 311 R d n . 52 (AG), A n h . § 318 R d n . 29 a.E. ( G m b H ) .
4. Kapitel
Rechtsfolgen und prozessuale Geltendmachung von Gleichbehandlungsverstößen Nachdem im vorstehenden Kapital versucht worden ist, Reichweite und Inhalt des Gleichbehandlungsgrundsatzes schärfere Konturen zu verleihen, ist nunmehr das Augenmerk auf die Frage zu richten, welche Rechtsfolgen Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach sich ziehen und wie sie prozessual geltend gemacht werden können. Die damit zusammenhängenden Probleme sind in weiten Bereichen bisher nicht hinreichend geklärt. I m Schrifttum wird eine ganze Palette möglicher Sanktionen von Gleichbehandlungsverstößen diskutiert: Anfechtbarkeit bzw. Nichtigkeit des gleichbehandlungswidrigen Rechtsgeschäfts, R ü c k a b wicklung der Ungleichbehandlung, Verpflichtung zu aktiver Gleichbehandlung (= Zuwendung eines gewährten Sondervorteils auch an alle anderen), Leistungsverweigerungsrecht des Benachteiligten und (seltener) Schadensersatz. Wann welche dieser Sanktionen eingreift, ist in der Rechtsprechung bislang nur sehr fragmentarisch beantwortet worden. Auch die Literatur bietet dem Rechtsanwender wenig Hilfe. Häufig begnügt man sich mit der Feststellung, die Rechtsfolgen ließen sich wegen der Verschiedenartigkeit der Verletzungsmöglichkeiten und ihrer Begleitumstände nicht einheitlich bestimmen. I m Anschluss daran werden für einzelne Fallgruppen bestimmte Rechtsfolgen diskutiert, ohne jedoch ein durchgehendes System der Rechtsfolgen vorzuschlagen 1 . In der Praxis herrscht in dieser Frage dementsprechend große Rechtsunsicherheit. Will man versuchen, diesem unbefriedigenden Zustand abzuhelfen und ein stimmiges Rechtsfolgensystem zu entwickeln, bietet es sich an, in zwei Schritten vorzugehen: Zunächst sind die Auswirkungen des Gleichbehandlungsverstoßes auf die Wirksamkeit der Anteilseignerbeschlüsse und sonstigen Rechtsgeschäfte der Gesellschaft zu untersuchen (dazu § 16). I n einem zweiten Schritt ist nach den Ansprüchen zu fragen, die sich aus der ungerechtfertigten Ungleichbehandlung für die benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft (§ 17), die handelnden Organwalter (§ 18) und ggf. auch gegen ihre Mitgesellschafter (§ 19) ergeben. 1 Exemplarisch H. Winter, in: Scholz. G m b H G , § 14 Rdn.48; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , §53a Rdn.34ff. (jeweils in Bezug auf Ungleichbehandlungen der Verwaltungsorgane).
354
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
Dabei ist jeweils zwischen Ansprüchen auf Beseitigung der Ungleichbehandlung (sei es durch Rückabwicklung des gleichbehandlungswidrigen Geschäfts, sei es durch aktive Gleichbehandlung), Schadensersatzansprüchen und etwaigen vorbeugenden Unterlassungsansprüchen zu differenzieren.
§ 16 Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Beschlüssen und sonstigen Rechtsgeschäften der Gesellschaft Gleichbehandlungsverstöße können zunächst Auswirkungen auf die Wirksamkeit der betroffenen Rechtsgeschäfte der Gesellschaft haben. Insoweit ist zwischen gleichbehandlungswidrigen Beschlüssen der Anteilseignerversammlung und sonstigen Rechtsgeschäften der Gesellschaft zu unterscheiden.
I. Beschlüsse der Anteilseignerversammlung 1. Anfechtbarkeit
des Beschlusses
Keine großen Schwierigkeiten bereitet die Frage, welche Auswirkungen ein Gleichbehandlungsverstoß auf die Wirksamkeit eines Beschlusses der Hauptbzw. Gesellschafterversammlung hat. Insoweit besteht heute Einigkeit, dass der Verstoß gemäß oder - im GmbH-Recht - analog § 243 Abs. 1 A k t G zur Anfechtbarkeit des (vom Versammlungsleiter verbindlich festgestellten 2 ) Beschlusses führt 3 . Die heute kaum noch vertretene Gegenauffassung, nach der ein gleichbehandlungswidriger Anteilseignerbeschluss bis zur Zustimmung der benachteiligten Gesellschafter schwebend unwirksam sein soll 4 , hat sich mit Recht nicht durchgesetzt. Zwar mag der Fall des Gleichbehandlungsverstoßes 2 Zur Rechtslage bei fehlender Beschlussfeststellung (denkbar in der G m b H wegen Fehlens einer Parallelvorschrift zu § 130 Abs. 2 AktG) sogleich unter Ziff. 2. 3 R G Z 118, 67 (72 f.); B G H Z 116, 359 (372); st.Rspr.; aus der Literatur etwa G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 309ff.; Bungeroth, in: MünchKomm. A k t G , §53a Rdn.26; Henze/Notz, in: Großkomm. A k t G , §53a Rdn. 110, 112; Häffer, A k t G , §53a Rdn. 12, §243 Rdn. 29; ders., in: M ü n c h K o m m . A k t G , §243 Rdn. 68; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , § 53a Rdn. 32 f.; K. Schmidt, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 243 Rdn. 44; G. Hueck/Fastrich, G m b H G , §13 Rdn. 39; Koppensteiner, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, G m b H G , §47 Rdn. 124; Michalski, in: Michalski, G m b H G , § 13 Rdn. 134; T. Raiser, in: U l m e r / H a b e r s a c k / Winter, G m b H G , § 14Rdn. 108;//. Winter,in: S c h o l z , G m b H G , § 14Rdn. 47; allem.w.Nachw. Vgl. auch Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 14 Ii. Sp. (zu Hauptversammlungsbeschlüssen, die gegen § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 i.V.m. § 53a A k t G verstoßen). 4 Vgl. Fischer, in: G r o ß k o m m . A k t G , 2. Aufl., §146 A n m . 10; Wiedemann, in: Großkomm. A k t G , 3.Aufl., §179 A n m . 8; Scholz, G m b H G , 4.Aufl., §14 Rdn. 14, §45 Rdn.31; neuerdings wieder Berg, Beschlüsse, S. 127 ff.
356
4. Kapitel:
Rechtsfolgen und prozessuale
Geltendmachung
auf den ersten B l i c k ähnlich liegen wie der eines Eingriffs in ein Sonderrecht (§ 35 B G B ) oder der Benachteiligung einer A k t i e n g a t t u n g (§ 179 A b s . 3 A k t G ) . I n den letzten beiden Konstellationen wird jeweils angenommen, dass die fehlende Z u s t i m m u n g des Sonderrechtsinhabers bzw. das Fehlen des S o n d e r b e schlusses nicht zur A n f e c h t b a r k e i t , sondern zur schwebenden U n w i r k s a m k e i t f ü h r t 5 . I m Fall des § 179 A b s . 3 A k t G ergibt sich diese Rechtsfolge aber u n m i t telbar aus dem G e s e t z („bedarf . . . zu seiner W i r k s a m k e i t der Z u s t i m m u n g " ) . Versteht m a n § 179 Abs. 3 A k t G als Sonderregelung zu § 35 B G B 6 , liegt es nahe, in den Fällen des § 3 5 B G B ebenso zu entscheiden. I m Gegensatz dazu fehlen bei Gleichbehandlungsverstößen jegliche A n h a l t s p u n k t e im G e s e t z , die auf eine schwebende U n w i r k s a m k e i t hindeuten. I m Gegenteil k a n n spätestens seit der K o d i f i z i e r u n g des Gleichbehandlungsgrundsatzes in § 5 3 a A k t G
kein
Zweifel m e h r bestehen, dass es sich u m eine „Verletzung des G e s e t z e s " i.S. des § 2 4 3 A b s . 1 A k t G handelt. F ü r Anfechtbarkeit spricht zudem, dass Verletzungen der Treuepflicht ebenfalls zu dieser Rechtsfolge f ü h r e n 7 und G l e i c h b e handlungsverstöße nach dem G e s a g t e n als Sonderfall der Treuepflichtverletzung anzusehen sind 8 . E s k o m m t h i n z u , dass i m Interesse der Rechtssicherheit sogar vorsätzliche Verstöße gegen das Sondervorteilsverbot (§ 243 A b s . 2 A k t G ) lediglich Anfechtbarkeit und nicht schwebende U n w i r k s a m k e i t zur Folge haben. Dasselbe muss dann erst recht auch f ü r den weniger gravierenden Fall des einfachen Gleichbehandlungsverstoßes gelten 9 . N i c h t nur anfechtbar, sondern nichtig wäre allerdings ein Beschluss, durch den die B e a c h t u n g des Gleichbehandlungsgebots pauschal, d.h. nicht nur f ü r einen klar umrissenen Teilbereich, abbedungen werden soll. W i e dargelegt wäre ein derart weitreichender Gleichbehandlungsverzicht sittenwidrig 1 0 , so dass 5 Vgl. für den Eingriff in Sonderrechte (§ 35 BGB) B G H Z 15, 177 (181); B G H GmbHR 1962, 212 (213); T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 14 Rdn.33; H. Winter, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rdn. 28; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 53 Rdn. 83; für Fälle des § 179 Abs. 3 AktG Hüffen AktG, § 179 Rdn. 49; Wiedemann, in: Großkomm. AktG, § 179 Rdn. 152; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 179 Rdn. 191. 6 Vgl. oben § 14 I 3 b. 7 Vgl. nur B G H Z 76, 352 (353, 355 ff.); 103, 184 (193); 142, 167 (169f.); Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, vor § 53a Rdn. 32; Hüffer, AktG, §53a Rdn. 21, §243 Rdn. 21; Lutter/ Hommelhoff in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. §47 Rdn. 46; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, §45 Rdn. 107 m.w.Nachw. Zu der davon zu unterscheidenden Frage, ob die einzelne treuepflichtwidrige Stimmabgabe nichtig ist, sogleich unter Ziff. 2. 8 S.oben §5 III. 9 Nicht entscheidend ist demgegenüber das begriffsjuristisch anmutende Argument der h.M., dass der in ein Sonderrecht eingreifende Beschluss als solcher fehlerfrei sei, zu seiner Wirksamkeit aber eines ergänzenden Zustimmungsakts bedürfe, während ein gleichbehandlungswidriger Beschluss von vornherein rechtswidrig sei. So aber die Argumentation von G.Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.312; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 112; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn.33; dagegen pointiert Berg, Beschlüsse, S. 130 („Begriffsspielerei"). 10 S.oben §14 II.
5 16 Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Beschlüssen
357
sich die Nichtigkeit jedenfalls aus § 2 4 1 N r . 4 A k t G ergibt. D a n e b e n lässt sich die Nichtigkeit w o h l auch auf § 241 N r . 3 Fall 1 A k t G stützen (Unvereinbarkeit mit dem Wesen der A G bzw. G m b H ) 1 1 . Ausnahmsweise k a n n die Nichtigkeit auch spezialgesetzlich angeordnet sein, so in § § 2 1 2 Satz 2 A k t G , 57j Satz 2 G m b H G f ü r Beschlüsse, die im R a h m e n einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln eine ungleichmäßige Zuteilung der neuen A k t i e n vorsehen. W i e der B l i c k auf § 243 A b s . 2 A k t G zeigt, sind diese A u s n a h m e v o r s c h r i f t e n jedoch nicht verallgemeinerungsfähig 1 2 .
2. Nichtigkeit der einzelnen Stimmen V o n der Anfechtbarkeit des Beschlusses zu unterscheiden ist die Frage, ob die A b g a b e der den gleichbehandlungswidrigen Beschluss tragenden S t i m m e n der einzelnen Gesellschafter nichtig oder anfechtbar ist. I m R a h m e n der T r e u e pflichtverletzung entspricht es heute überwiegender A n s i c h t , dass die S t i m m abgabe der den Beschluss fassenden Gesellschafter nichtig ist 1 3 . F o l g t m a n dieser - allerdings nicht zweifelsfreien 1 4 - Auffassung, ist es nur konsequent, dasselbe auch bei Gleichbehandlungsverstößen a n z u n e h m e n 1 5 . Zwar richtet sich der Gleichbehandlungsgrundsatz unmittelbar nur an die Gesellschaft, nicht an die einzelnen Gesellschafter 1 6 . Dies ändert aber nichts daran, dass die den gleichbehandlungswidrigen Beschluss fassenden Gesellschafter - sei es auch unwissentlich oder unverschuldet - ihre Treuepflicht verletzen, und z w a r z u m einen ihre Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft, indem sie diese durch Fassung eines rechtswidrigen Beschlusses dem R i s i k o begründeter A n f e c h t u n g s 11 Hierfür G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.309f. Fn.ll (zu §195 Nr.3 AktG 1937); Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn.27; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 84,113; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 26; K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §241 Rdn. 58 a.E.; Wiesner, in: MünchHdb. AG, § 17 Rdn. 13. 12 Ebenso Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 110. 13 Vgl. BGHZ 102,172 (176) (Publikums-KG); BGH NJW 1991, 846; BGH AG 1993, 514 (515); OLG Hamburg GmbHR 1992, 43 (47) (jeweils zur GmbH); aus dem Schrifttum vor allem Zöllner, Schranken, S.366ff.; ders., in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §47 Rdn. 108, Anh. §47 Rdn. 105; ders., FS Lutter, S. 821 (825); ferner Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, vor § 53a Rdn. 32; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, Anh. §53a Rdn. 128; Hüffer, AktG, §53a Rdn. 22, §130 Rdn. 22; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. §47 Rdn. 46; T. Raiserl Weil, Kapitalgesellschaftsrecht, §28 Rdn. 48; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, §47 Rdn. 32; ders., in: Großkomm. AktG, § 243 Rdn. 38,47; Nehls, Treuepflicht, S. 94 ff. 14 Gegen die h.M. mit guten Gründen insbesondere Koppensteiner, ZIP 1994, 1 3 2 5 ff.; ders., in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, §47 Rdn. 125; ferner Michalski, in: Michalski, GmbHG, §13 Rdn. 177; Korehnke, Treuwidrige Stimmen, S. 131 ff.; Windbichler, in: Henze/Timm/Westermann, Gesellschaftsrecht 1995, S.23 (38 f.); differenzierend Cahn, FS Wiese, S.71 (81): Nichtigkeit der Stimmabgabe allenfalls bei besonders schweren Treuepflichtverletzungen. 15 So denn auch ausdrücklich BGH NJW-RR 1990, 530 (531). 16 S. oben §8 II.
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4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
klagen aussetzen, und zum anderen ihre Treuepflicht gegenüber den benachteiligten Gesellschaftern, die ungerechtfertigt übervorteilt werden. Auf der Grundlage der h.M. muss man daher auch bei Gleichbehandlungsverstößen zur Nichtigkeit der den Beschluss befürwortenden Stimmen gelangen. Der Versammlungsleiter ist folgerichtig als berechtigt anzusehen, die betreffenden Stimmen als ungültig zu werten und bei der Stimmzählung unberücksichtigt zu lassen 17 . Eine Verpflichtung, dies zu tun, kann ihn jedoch allenfalls bei evidenten Verstößen treffen, über die er sich in der Eile der Versammlung ein zuverlässiges Urteil bilden kann 18 . Berücksichtigt der Versammlungsleiter die Stimmen und stellt er den gleichbehandlungswidrigen Beschluss fest, obwohl die ihn tragenden Stimmen nichtig sind, ist diese Feststellung verbindlich 19 : Der Beschluss ist zwar wie dargelegt anfechtbar, aber wirksam. Kommt es zu keiner verbindlichen Beschlussfeststellung - was praktisch nur im G m b H Recht in Betracht kommt, da hier die Feststellung des Beschlussergebnisses nicht wie in § 130 Abs. 2 A k t G vorgeschrieben ist 20 - , bleibt es dagegen dabei, dass die den gleichbehandlungswidrigen Beschluss tragenden Stimmen nichtig sind und der Beschluss mit dem rechtlich zutreffenden, also ablehnenden Ergebnis zustande gekommen ist. Der benachteiligte Gesellschafter kann das NichtZustandekommen des gleichbehandlungswidrigen Beschlusses in diesem Fall auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist im Wege der Feststellungsklage oder inzident durch Einwendung in einem über die Rechtsfolgen des Beschlusses geführten Prozess geltend machen 21 .
3. Besonderheiten des
Anfechtungsprozesses
Für den auf einen Gleichbehandlungsverstoß gestützten Anfechtungsprozess gelten grundsätzlich keine Besonderheiten im Vergleich zu anderen Anfechtungsklagen. Besondere Fragen stellen sich nur im Rahmen der Anfechtungsbefugnis. 17
So konsequent Henze/Notz, in: G r o ß k o m m . A k t G , Anh. §53a Rdn. 129ff.; Hüffer, A k t G , § 130 Rdn. 22; K. Schmidt, in: Scholz, G m b H G , §48 Rdn. 58; Zöllner, in: Baumbach/ Hueck, G m b H G , Anh. §47 Rdn. 121 ff.; bei offenkundigen Verstößen auch Marsch-Barner, Z H R 157 (1993), 172 (188 f.); abweichend aber - trotz angenommener Nichtigkeit der Stimmen - Oelrichs, G m b H R 1995, 863 (866 ff.). 18 Vgl. Hüffer, A k t G , § 130 Rdn. 22. 19 Ganz h.M., vgl. f ü r die AG Hüffer, A k t G , §130 Rdn. 22; Rubis, in: M ü n c h K o m m . A k t G , § 130 Rdn. 59; f ü r die G m b H B G H Z 104, 66 (69); Hüffer, in: Hachenburg, G m b H G , § 47 Rdn. 27 ff.; R. Schmidt, in: Scholz, G m b H G , § 47 Rdn. 58; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, G m b H G , Anh. §47 Rdn. 64 ff. (mit der Präzisierung, dass im GmbH-Recht die Kompetenz des Versammlungsleiters zur verbindlichen Beschlussfeststellung entweder einer Grundlage in der Satzung oder allseitigen Einverständnisses der anwesenden Gesellschafter bedarf). 20 Vgl. nur Hüffer, in: Hachenburg, G m b H G , § 47 Rdn. 26. 21 Vgl. R. Schmidt, G m b H R 1992, 9 (12); Zöllner, in: Baumbach/Hueck, G m b H G , Anh. §47 Rdn. 124 m.w.Nachw.
5 16 Auswirkungen
auf die Wirksamkeit
von
Beschlüssen
359
a) Analogie zu § 245 Nr. 3 AktG? Zum einen erhebt sich im Aktienrecht die Frage, ob die restriktive Regelung der § 245 Nr. 1 und 2 AktG, die den in der Hauptversammlung erschienenen Aktionären nur bei Widerspruch zur Niederschrift und den nicht erschienenen Aktionären nur bei Verletzungen ihres Teilnahmerechts die Anfechtungsbefugnis zugesteht, auch für Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gilt 22 . Dagegen könnte sprechen, dass § 245 Nr. 3 A k t G Verstöße gegen das Sondervorteilsverbot (§ 243 Abs. 2 AktG) von den genannten Restriktionen ausdrücklich ausnimmt. Mit Blick auf die Verwandtschaft von Sondervorteilsverbot und Gleichbehandlungsgrundsatz ist im Schrifttum vorgeschlagen worden, §245 Nr. 3 A k t G im Wege der Analogie auch auf Gleichbehandlungsverstöße anzuwenden 23 . Dem ist jedoch richtigerweise nicht zu folgen 24 . Fraglich ist schon, ob eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Immerhin war im Vorfeld des A k t G 1965 ausdrücklich die Forderung erhoben worden, die Regelung des § 198 Abs. 1 Nr. 3 A k t G 1937 (= § 245 Nr. 3 A k t G 1965) auch auf Gleichbehandlungsverstöße zu erstrecken 25 ; der Gesetzgeber hat diese Anregung jedoch nicht aufgegriffen. Vor allem aber fehlt es im vorliegenden Zusammenhang an der hinreichenden Vergleichbarkeit zwischen der Verletzung des Sondervorteilsverbots und dem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Erstere stellt einen besonders groben Beschlussmangel dar, der Vorsatz erfordert und aus der Schranke der Sittenwidrigkeit hervorgegangen ist 26 . Dagegen setzt der Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz kein Verschulden voraus und bewegt sich (deutlich) unterhalb der Schwelle der Sittenwidrigkeit. Es ist daher unzulässig, von der generellen Anfechtungsbefugnis in Fällen des § 243 Abs. 2 A k t G auf eine gleichermaßen großzügige Anfechtungsbefugnis in Fällen des Gleichbehandlungsverstoßes zu schließen. § 245 Nr. 3 A k t G ist daher nicht analog anwendbar. Der Schutz der benachteiligten Aktionäre wird dadurch nicht über Gebühr verkürzt, solange man in Übereinstimmung mit der inzwischen h.L. anerkennt, dass das Widerspruchserfordernis des § 245 Nr. 1 A k t G nicht für Fälle gilt, in denen der Beschlussmangel für den Aktionär nicht erkennbar war 27 . Bei Ver2 2 Die Frage stellt sich nur für die AG, nicht für die GmbH, da die in §245 Nr. 1, 2 AktG vorgesehenen Beschränkungen der Anfechtungsbefugnis auf diese nicht analog anwendbar sind. Anfechtungsbefugt ist im GmbH-Recht jeder Gesellschafter, gleichgültig, ob er an der Gesellschafterversammlung teilgenommen hat, und gleichgültig, ob er bei Teilnahme Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat; vgl. etwa T. Raiser, in: Hachenburg, GmbHG, Anh. § 47 Rdn. 152; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. §47 Rdn. 135. 23 K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §245 Rdn. 30; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 245 Rdn. 57; Heidel, in: AnwKomm. AktG, § 245 Rdn. 20. 24 Ebenso Hüffer, in: MünchKomm. AktG, §245 Rdn. 46. 2 5 Nachdrücklich Zöllner, Schranken, S. 387f. 2 6 Dazu oben § 2 1 2 b, II 1 a. 27 Vgl. Heidel, in: AnwKomm. AktG, §245 Rdn. 8; Hüffer, AktG, §245 Rdn. 16; ders., in:
360
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
stoßen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz erscheint diese schon nach nationalem Recht wohlbegründete 28 Reduktion des Widerspruchserfordernisses auch aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen angezeigt, da die Mitgliedstaaten die Sanktionen von Verstößen gegen angeglichenes Recht „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend" ausgestalten müssen29. An der hinreichenden Wirksamkeit der Sanktion bestünden zumindest Zweifel, falls die Anfechtungsbefugnis immer schon dann entfiele, wenn der Verstoß für den betroffenen Aktionär in der Hauptversammlung nicht erkennbar war und er deshalb keinen Widerspruch erhoben hat. b) Beschränkung
der Anfechtungsbefugnis
auf die benachteiligten
Aktionäref
Nach traditioneller und nach wie vor ganz überwiegender Auffassung setzt im Rahmen der Anfechtungsklage weder das Rechtsschutzbedürfnis noch die Anfechtungsbefugnis eine persönliche Betroffenheit des Klägers voraus30. Der Anfechtungskläger kann die Klage daher auch darauf stützen, dass das Gesetz oder die Satzung gegenüber einem anderen Gesellschafter nicht beachtet worden ist. Das gilt selbst dann, wenn der andere, unmittelbar betroffene Gesellschafter von seiner Anfechtungsbefugnis keinen Gebrauch gemacht hat oder auf die Anfechtung verzichtet hat31. In der Konsequenz dieser Auffassung liegt es, dass bei Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz auch den nicht benachteiligten Gesellschaftern ein Anfechtungsrecht zusteht. Grenzen bestehen erst bei einem Missbrauch des Anfechtungsrechts, also insbesondere dann, wenn dieses instrumentalisiert wird, um andere Ziele als die Nichtigerklärung zu erreichen und diese Ziele ihrerseits zu missbilligen sind32. Demgegenüber hat Zöllner vorgeschlagen, über die Missbrauchsfälle hinaus die Anfechtung immer dann auszuschließen, wenn die Rechtswidrigkeit des Beschlusses lediglich auf dem „Eingriff in die Interessensphären anderer PerMünchKomm. AktG, §245 Rdn.33; den., FS Brandner, S.57 (71); K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §245 Rdn. 19; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §245 Rdn.42f., 57; Baums, Gutachten, S.74; Noack, AG 1989, 78 (82); a.A. F.-J. Semler, in: MünchHdb. AG, §41 Rdn. 55. 28 Das Widerspruchserfordernis beruht auf dem Gedanken des venire contra factum proprium. Dieser Gedanke trägt nicht, wenn der Beschlussmangel für den Aktionär nicht erkennbar war; vgl. die Nachw. in Fn. 27. 29 S. oben §6 II 5. 30 St. Rspr., vgl. BGHZ 43, 261 (265 f.) (zur GmbH); BGHZ 70, 117 (118); 107, 296 (308) (jeweils zur AG); aus der Literatur statt vieler Habersack, Mitgliedschaft, S. 230f.; H ü f f e r , AktG, §246 Rdn. 9; ders., in: MünchKomm. AktG, §246 Rdn. 16; T. Raiser, in: Hachenburg, GmbHG, Anh. § 47 Rdn. 167; pointiert schon Horrwitz, Generalversammlungen (1913), S. 88: auf den Kreis der Gesellschafter beschränkte „Popularklage". 31 Statt aller T. Raiser, in: Hachenburg, GmbHG, Anh. §47 Rdn. 167. 32 Dazu ausführlich BGHZ 107, 296 (308 ff.); H ü f f e r , AktG, §245 Rdn. 22ff. m.Nachw. auf das umfangreiche Schrifttum.
§ 16 Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Beschlüssen
361
sonen" beruhe, denen selbst ein Anfechtungsrecht zustehe 3 3 . A l s Beispiel dienen Zöllner
gerade Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz: E s sei
widersinnig, wenn andere den Beschluss zu Fall bringen k ö n n t e n , o b w o h l die Benachteiligten selbst den V e r s t o ß nicht geltend machen wollten und die A n fechtbarkeit auch durch ihre Z u s t i m m u n g beseitigen k ö n n t e n . N e u e r d i n g s will Zöllner
diese E i n s c h r ä n k u n g auf alle Beschlüsse ausdehnen, die nur z u m N a c h -
teil anderer ausschlagen (wie z . B . auch z u m Nachteil von Gläubigern oder künftigen A k t i o n ä r e n ) 3 4 . W i e sich diese Ü b e r l e g u n g e n Zöllners
mit dem auch von i h m zugrunde ge-
legten Ausgangspunkt vereinbaren lassen, dass es ansonsten nicht auf die persönliche B e t r o f f e n h e i t des Anfechtungsklägers a n k o m m e n soll, bleibt allerdings unklar. I m Ergebnis w ü r d e durch den A n s a t z Zöllners
der Standpunkt
der h . M . so weit unterlaufen, dass es konsequenter wäre, diesen insgesamt aufzugeben 3 5 . E b e n dies hat Baums
in seinem G u t a c h t e n z u m 63. D e u t s c h e n J u r i s -
tentag gefordert 3 6 ; die wirtschaftsrechtliche A b t e i l u n g des Juristentags ist i h m darin mit knapper Mehrheit gefolgt 3 7 . Aus rechtspolitischer Sicht hätte diese L ö s u n g in der Tat viel für sich, zumal auch andere R e c h t s o r d n u n g e n keine so weit gehende Klagebefugnis gewähren wie die traditionelle Auffassung in D e u t s c h l a n d 3 8 . De lege lata dürfte hierzulande indes kein Weg daran vorbei führen, an der bisherigen Auffassung festzuhalten. E s unterliegt k e i n e m Zweifel, dass auch der G e s e t z g e b e r des A k t G 1965 von der seit jeher 3 9 praktizierten Auffassung ausgegangen ist, dass ein A n f e c h t u n g s r e c h t auch zur W a h r u n g fremder Interessen besteht. Diese Auffassung ist im G e s e t z auch hinreichend deutlich z u m A u s d r u c k g e k o m m e n , da § 243 Abs. 1 A k t G die A n f e c h t u n g bei jeder Verletzung des Gesetzes oder der Satzung vorsieht und § 245 A k t G die A n f e c h t u n g s b e f u g n i s unter den dort genannten Voraussetzungen j e d e m A k tionär gewährt. Sofern der Gesetzgeber daran etwas hätte ändern wollen, hätte die unlängst vollzogene R e f o r m des Anfechtungsrechts durch das U M A G dazu eine geeignete Gelegenheit geboten. E i n e entsprechende K o r r e k t u r ist jedoch ausgeblieben.
Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §245 Rdn. 86. Zöllner, in: J. Semler u.a., Reformbedarf, S. 147 (157). 35 Zöllner, in: J. Semler u.a., Reformbedarf, S. 147 (157 f.), räumt denn auch selbst ein, dass man u.U. noch weiter gehende Einschränkungen vornehmen müsse. So sei auch für bestimmte Verfahrensvorschriften zu erwägen, dass ihre Verletzung nur den betroffenen Gesellschaftern die Anfechtungsbefugnis eröffne. 36 Baums, Gutachten, S. 101 f.; zustimmend Schwarz, ZRP 2000, 330 (334); ablehnend K. Schmidt, in: Verhandlungen des 63. DJT II/l, O 15 ff., 20, 36 (These 5); Schindler/Witzel, NZG 2001, 577 (580). 37 Verhandlungen des 63. DJT II, O 73 f. (Beschluss 2; 36:34 Stimmen). 38 Vgl. die Nachw. bei Baums, Gutachten, S. 99 Fn. 224. 39 Vgl. RGZ 77, 255 (257); 145, 336 (338); 146, 385 (395); B G H WM 1964,1188 (1191). 33 34
362
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
Dem Anliegen von Zöllner kann im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes allerdings auf andere Art teilweise Rechnung getragen werden. Wie dargelegt sind bei der Interessenabwägung im Rahmen der sachlichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen nur die Interessen derjenigen benachteiligten Gesellschafter gegen das Gesellschaftsinteresse abzuwägen, die der Ungleichbehandlung nicht zugestimmt haben 40 . Dadurch wird vermieden, dass sich der Anfechtungskläger die Wahrnehmung der Interessen auch der zustimmenden Aktionäre anmaßt und in deren Dispositionsbefugnis eingreift.
II. Rechtsgeschäfte der Verwaltung 1. Ausgangspunkt Während über die Anfechtbarkeit von gleichbehandlungswidrigen Anteilseignerbeschlüssen heute weitestgehend Einigkeit besteht, muss die Frage, welche Auswirkungen Gleichbehandlungsverstöße auf sonstige Rechtsgeschäfte und geschäftsähnliche Handlungen der Gesellschaft haben, nach wie vor als offen bezeichnet werden. Der B G H hat lediglich ausgeführt, dass sich Gleichbehandlungsverstöße vielfach auf verschiedene Weise wieder ausgleichen ließen. Bestehe der Verstoß in der ungleichmäßigen Gewährung von Vorteilen, könnten entweder die begünstigten Gesellschafter zur Rückgewähr der Vorteile verpflichtet werden, oder es könne umgekehrt den benachteiligten Gesellschaftern ein Anspruch auf Gewährung gleichartiger Vorteile zugebilligt werden 41 . Welche Auswirkungen der Verstoß auf die Wirksamkeit des gleichbehandlungswidrigen Geschäfts hat, lässt der B G H dagegen bisher unbeantwortet. Im Schrifttum gehen die Meinungen weit auseinander: Teilweise wird davon ausgegangen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz ein Verbotsgesetz i.S.des § 134 B G B darstelle mit der Folge, dass gleichbehandlungswidrige Rechtsgeschäfte generell als nichtig anzusehen seien 42 . Dagegen hat namentlich G. Hueck eingewandt, dass Gleichbehandlungsverstöße durch Zustimmung der benachteiligten Gesellschafter oder anderweitige Behebung des Verstoßes heilbar seien, so dass nicht Nichtigkeit, sondern schwebende Unwirksamkeit die sachgerechte Rechtsfolge darstelle 43 . Andere wollen von Fallgruppe zu Fallgruppe differenzieren: So soll eine ungleichmäßige Anforderung ausstehender Einlagen durch die Geschäftsleiter als unzulässige 40 41
e.G.).
S. oben §12 IV 4 b. B G H WM 1972, 931 (933); ähnlich zuvor auch schon B G H N J W 1960,2142 (2143) (zur
Bodenheimer, Gleichheitsprinzip, S. 62 ff. G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 296ff.; zustimmend (zum Personengesellschaftsrecht) Habermeier, in: Staudinger, B G B , §705 Rdn. 56; Ulmer, in: MünchKomm. B G B , §705 Rdn. 252. 42
43
§ 16 Auswirkungen
auf die Wirksamkeit
von
Beschlüssen
363
Rechtsausübung i.S.des §242 BGB anzusehen sein; daraus ergebe sich trotz Wirksamkeit der Anforderung ein Leistungsverweigerungsrecht des betroffenen Gesellschafters 44 . Dagegen sollen etwa die ungleichmäßige Kaduzierung oder das Verpflichtungsgeschäft über den ungleichmäßigen Erwerb eigener Aktien schlechthin nichtig sein 45 . Wieder andere vertreten die Auffassung, dass bei verdeckten Vermögenszuwendungen an einzelne Gesellschafter weder Nichtigkeit noch schwebende Unwirksamkeit eintrete, der Gesellschaft aber ein gesellschaftsrechtlicher Anspruch auf Rückgängigmachung der gleichbehandlungswidrigen Bevorzugung zustehe 46 . Weite Teile des Schrifttums schließlich lassen die genauen Auswirkungen von Gleichbehandlungsverstößen auf die Wirksamkeit der betroffenen Rechtsgeschäfte im Dunkeln. Häufig findet sich nur die pragmatische Feststellung, dass sich die Rechtsfolgen danach zu richten hätten, was im Einzelfall erforderlich sei, um einen der Gleichbehandlung entsprechenden Zustand wiederherzustellen 47 . Dass diese einzelfallbezogene Herangehensweise unter systematischen Gesichtspunkten unbefriedigend und der Rechtssicherheit abträglich ist, liegt auf der Hand. Das Ziel der folgenden Ausführungen muss es daher sein, verallgemeinerungsfähige Leitlinien zu entwickeln, nach denen sich die Auswirkungen von Gleichbehandlungsverstößen auf Rechtsgeschäfte der Verwaltung nicht nur für einzelne Fallgruppen, sondern generell hinreichend sicher prognostizieren lassen.
2. Nichtigkeit
gemäß § 134 BGB
Zu erwägen ist zunächst, ob und in welchem Umfang gleichbehandlungswidrige Rechtsgeschäfte wegen Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz gemäß § 134 BGB als (unheilbar) nichtig anzusehen sind.
44 Vgl. Lutter, in: Kölner Komm. AktG, §63 Rdn. 13; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 37; Bayer, in: MünchKomm. AktG, §63 Rdn. 31; Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 28; Gehrlein, in: Großkomm. AktG, § 63 Rdn. 28; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 122; Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 136. 45 Zur Kaduzierung etwa Gehrlein, in: Großkomm. AktG, § 64 Rdn. 61; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 119f.; Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 64 Rdn. 8, 48. Zum Erwerb eigener Aktien vorerst nur Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 34; sowie - jeweils unter Hinweis auf § 71 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG - Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 28; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 116,146; Oechsler, in: MünchKomm. AktG, §71 Rdn. 212. 46 Tries, Gewinnausschüttungen, S. 162 ff., 223 ff.; vgl. auch Bitter, Z H R 168 (2004), 302 (329 ff.). 47 Vgl. etwa H. Winter, in: Scholz, GmbHG, §14 Rdn. 48; Michalski, in: Michalski, GmbHG, §13 Rdn. 135.
364
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
a) Der Gleichbehandlungsgrundsatz
und prozessuale
Geltendmachung
als Verbotsgesetz i.S. des § 134 BGB
Die Nichtigkeitsfolge lässt sich nicht schon deshalb ausschließen, weil der Gleichbehandlungsgrundsatz kein Verbotsgesetz i.S. des § 134 BGB darstellen würde. Dies wird zwar verschiedentlich behauptet 48 , aber nirgends überzeugend begründet. Festzuhalten ist zunächst, dass der Umstand, dass der Grundsatz außerhalb des Aktienrechts nicht kodifiziert ist, seiner Qualität als Verbotsgesetz i.S. des § 134 BGB nicht entgegensteht, da auch ungeschriebene Rechtssätze des Gewohnheitsrechts unter den Gesetzesbegriff des Art. 2 EGBGB fallen 49 . Ebenso wenig lässt sich einwenden, dass § 134 BGB von „allzu großer Starrheit" sei, um alle zur Entscheidung stehenden Fälle einer sachgerechten Lösung zuzuführen 5 0 . Zwar erweist sich die in § 134 BGB für den Regelfall angeordnete Nichtigkeit, wie noch zu zeigen sein wird, in der Tat nicht für alle Rechtsgeschäfte als angemessene Rechtsfolge von Gleichbehandlungsverstößen. Daraus ergibt sich jedoch kein zwingendes Argument gegen die Qualifizierung als Verbotsgesetz i.S. des § 134 BGB, da der Normzweckvorbehalt in § 134 letzter Halbs. BGB hinreichend Flexibilität gibt, um ggf. zu einer anderen Rechtsfolge zu gelangen. Der Einstufung als Verbotsgesetz steht auch nicht entgegen, dass das Gleichbehandlungsgebot nach der hier vertretenen Auffassung eine besondere Ausprägung der Treuepflicht der Gesellschaft darstellt 51 , die viele als Sonderfall des §242 BGB ansehen. Zwar stellt § 242 BGB ebenso wenig wie die Treuepflicht in ihrer gesamten generalklauselartigen Weite ein Verbotsgesetz i.S. des § 134 BGB dar, doch hindert dies nicht daran, einzelne daraus entwickelte, hinreichend konkrete Rechtssätze als Verbotsgesetz anzuerkennen 5 2 . Schließlich lässt sich auch nicht der Einwand erheben, dass dispositives Recht grundsätzlich nicht als Verbotsgesetz in Betracht komme 53 und der Gleichbehandlungsgrundsatz zumindest insoweit dispositiver Natur sei, als die Gesellschafter in konkret umrissenen Bereichen auf den Schutz vor Ungleichbehandlungen verzichten können 54 . Der Satz, dispositive Normen seien keine Verbotsgesetze, bezieht sich ersichtlich auf Rechtsgeschäfte, in denen die betreffende Norm einvernehmlich ab48 Vgl. insbesondere G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 292 ff.; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 23; offenbar auch Bitter, ZHR 168 (2004), 302 (315). Den Verbotsgesetzcharakter bejahen hingegen Bodenheimer, Gleichheitsprinzip, S.63, und Tries, Gewinnausschüttungen, S. 162. 49 Vgl. nur Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 134 Rdn. 2 i.V.m. Einl. vor § 1 Rdn. 17, 22; Sack, in: Staudinger, BGB, § 134 Rdn. 17; unter der Voraussetzung hinreichender Konkretisierung des Gewohnheitsrechts auch Beater, AcP 197 (1997), 505 (526 f.); alle m.w.Nachw. 50 So aber G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 292 ff., 295. 51 S. oben §5 III. 52 Vgl. schon Bodenheimer, Gleichheitsprinzip, S. 63. 53 Vgl. BGH N J W 2000, 1187 (1188); Sack, in: Staudinger, BGB, §134 Rdn. 32; MayerMaly/Armhrüster, in: MünchKomm. BGB, § 134 Rdn. 46. 54 S. oben §141.
§ 16 Auswirkungen
auf die Wirksamkeit
von
Beschlüssen
365
bedungen wird 5 5 . Damit ist die hier interessierende Konstellation, in der ein Gleichbehandlungsverstoß vorliegt, die Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes also gerade nicht abbedungen worden ist, nicht vergleichbar. Wirklich durchgreifende Bedenken gegen die Qualifizierung als Verbotsgesetz sind nach alledem nicht ersichtlich 56 .
b) Einwände gegen die Nichtigkeitsfolge bei zwei- und mehrseitigen Rechtsgeschäften Allein aus der Einordnung als Verbotsgesetz lässt sich jedoch noch nicht auf die Nichtigkeit schließen. Gemäß § 134 letzter Halbs. B G B ist vielmehr stets zu prüfen, ob sich aus Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes etwas anderes ergibt. Blickt man auf zwei- und mehrseitige Rechtsgeschäfte, also z.B. Austauschgeschäfte, die die Gesellschaft gleichbehandlungswidrig nur mit einzelnen Gesellschaftern abschließt, so zeigt sich schnell, dass eine derart einschneidende Rechtsfolge wie die (unheilbare) Nichtigkeit dem Sinn und Zweck des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht gerecht wird. Denn dieser ist nicht darauf gerichtet, dass die Bevorzugung des betreffenden Gesellschafters unbedingt gegenständlich rückabgewickelt werden muss, wie dies die Folge der Nichtigkeit wäre. Vielmehr entfällt der Gleichbehandlungsverstoß und wird die Rückabwicklung entbehrlich, wenn die übervorteilten Gesellschafter nachträglich zustimmen 57 oder der Verstoß anderweitig behoben wird 58 . Letzteres kann etwa dadurch geschehen, dass der einem Gesellschafter gewährte Vorteil nunmehr auch allen anderen Gesellschaftern zugewandt wird (aktive Gleichbehandlung), was freilich nur in den Grenzen der Kapital- und Vermögensbindung möglich ist 59 . Ferner kann bei einer verdeckten Vermögenszuwendung der Verstoß u.U. auch dadurch beseitigt werden, dass der begünstigte Gesellschafter die Differenz zum Marktpreis durch Nachzahlung ausgleicht. Dass dadurch der Verstoß beseitigt wird, ist zwar nicht notwendig der Fall, da auch zu marktgerechten Konditionen vollzogene Austauschgeschäfte am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen sind, wenn sie mit Rücksicht auf die Gesellschafterstellung des Vertragspartners abgeschlossen werden 60 . Häufig wird die Nachzahlung aber dazu führen, dass das mit dem Gesellschafter vorgenommene Geschäft nachträglich als sachlich gerechtfertigt angesehen werden kann, so dass der Verstoß entfällt und keine Rückabwicklung mehr angezeigt ist. Diese Fälle zeigen bereits, dass Vgl. Sack, in: Staudinger, B G B , § 134 Rdn. 32. Ebenso die Nachw. in Fn. 48 a.E. 57 Vgl. oben § 14 12 mit Fn. 16. 58 Vgl. G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 297; Tries, Gewinnausschüttungen, S. 165 mit Fn. 103. 59 S.dazu auch noch unten § 17 I 3 a dd, ee. 6 0 S.oben § 9 1 1 , 2 a.E. 55
56
366
4. Kapitel:
Rechtsfolgen und prozessuale
Geltendmachung
bei zwei- und mehrseitigen Rechtsgeschäften allenfalls schwebende U n w i r k samkeit, nicht aber unheilbare Nichtigkeit die zweckgerechte Rechtsfolge von Gleichbehandlungsverstößen bildet.
c) Nichtigkeit
bei einseitigen
Rechtsgeschäften
Bei einseitigen Rechtsgeschäften muss ein Schwebezustand, wie er durch die A n erkennung der vorgenannten Heilungsmöglichkeiten entsteht, allerdings auf B e denken stoßen. E r ist bei zwei- und mehrseitigen Rechtsgeschäften hinnehmbar, da es der betroffene Gesellschafter in diesen Fällen selbst in der H a n d hat, auf den Abschluss des gleichbehandlungswidrigen Vertrags zu verzichten, wenn ihm die aus dem Schwebezustand resultierenden Risiken zu groß erscheinen. Bei einseitigen Rechtsgeschäften, die unabhängig vom Willen des Erklärungsgegners getätigt werden, besteht diese Möglichkeit dagegen nicht. Aus diesem G r u n d 6 1 bringt das G e s e t z in einer Reihe von Vorschriften (§§ 111 Satz 1, 180 Satz 1, 1367, 1427 Abs. 1, 1831 Satz 1 B G B ) den allgemeinen Rechtsgedanken z u m Ausdruck, dass mit einem Wirksamkeitsmangel behaftete einseitige Rechtsgeschäfte grundsätzlich nicht schwebend unwirksam, sondern nichtig sind. Dieser Rechtsgedanke muss auch in der vorliegenden Konstellation den Ausschlag geben für Nichtigkeit und gegen schwebende Unwirksamkeit. Etwas anderes wird man nur in Betracht ziehen können, wenn das Rechtsgeschäft für den betroffenen Gesellschafter vorteilhaft ist, da der Schwebezustand für ihn dann günstiger ist als die endgültige Nichtigkeit und deshalb anzunehmen ist, dass er mit dem Schwebezustand einverstanden ist (Rechtsgedanke des § 180 Satz 2 B G B ) 6 2 . B e h e r z i g t man diese G r u n d s ä t z e , gelangt m a n in einer R e i h e praktisch b e deutsamer Konstellationen zur Nichtigkeit der Rechtsgeschäfte der Verwaltung, so z . B . bei der ungleichmäßigen K a d u z i e r u n g (§§ 64 A k t G , 21 G m b H G ) , Zwangseinziehung (§§ 237 A b s . 6 A k t G , 34 A b s . 2 G m b H G ) oder K r a f t l o s e r k l ä r u n g von Anteilen (§ 73 A k t G ) . Gleiches gilt f ü r die ungleichmäßige A n f o r derung von E i n l a g e n 6 3 . H i e r hat die N i c h t i g k e i t zur Folge, dass keine Fälligkeit der Einlageforderung eintreten k a n n 6 4 . D a r a u s ergibt sich zwanglos das i m E r 61 Vgl. nur Schmitt, in: MünchKomm. BGB, § 111 Rdn. 1; Schramm, in: MünchKomm. BGB, § 180 Rdn. 1. 62 Man denke etwa an den Fall, dass die Gesellschaft einseitig zugunsten eines Gesellschafters auf ein Recht verzichtet. In diesem Fall wird es der Gesellschafter anstelle der Nichtigkeit vorziehen, dass der Verzicht „nur" schwebend unwirksam ist und z.B. durch nachträgliche Zustimmung der übrigen Gesellschafter wirksam werden kann. 63 In der GmbH bedarf es zuvor eines Gesellschafterbeschlusses nach § 46 Nr. 2 GmbHG, sofern diese Vorschrift nicht abbedungen ist. Verstößt bereits der Gesellschafterbeschluss gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, muss vorrangig dieser Beschluss angefochten werden; näher unten Ziff. 8. 64 Vgl. n u r H ü f f e r , AktG, § 63 Rdn. 7; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §19 Rdn. 6.
5 16 Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Beschlüssen
36 7
gebnis allgemein anerkannte Leistungsverweigerungsrecht des benachteiligten Gesellschafters 6 5 . D i e H e r a n z i e h u n g des im S c h r i f t t u m 6 6 b e m ü h t e n § 242 B G B (unzulässige Rechtsausübung) ist daneben entbehrlich. E i n weiteres Beispiel bildet der Sachverhalt der in anderem Z u s a m m e n h a n g bereits angesprochenen Entscheidung B G H W M 1972, 931: E i n e G m b H hatte verschiedene G e s c h ä f t s räume jeweils zu verbilligten K o n d i t i o n e n an ihre Gesellschafter vermietet; später w u r d e nur einem von ihnen der Mietvertrag gekündigt. D a es sich dabei u m eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung in der Eigenschaft als Gesellschafter handelte, war nach den vorstehenden G r u n d s ä t z e n bereits die K ü n d i gung gemäß § 134 B G B als nichtig anzusehen 6 7 .
d) Nichtigkeit beim Erwerb eigener
Aktien
E i n e Sonderstellung nimmt der gleichbehandlungswidrige E r w e r b eigener A k tien ein. N a c h dem bisher Gesagten müsste hier, da es sich um ein zweiseitiges Rechtsgeschäft handelt, nicht von Nichtigkeit, sondern allenfalls von schwebender Unwirksamkeit auszugehen sein. Demgegenüber erklärt jedoch § 71 Abs. 4 Satz 2 A k t G das Verpflichtungsgeschäft 6 8 über den E r w e r b eigener Aktien für nichtig,
soweit der E r w e r b gegen § 71 Abs. 1 oder 2 A k t G verstößt. D a der
durch das K o n T r a G 6 9 neu eingefügte § 71 Abs. 1 N r . 8 A k t G in seinem Satz 3 für den praktisch wichtigsten Erwerbstatbestand, den E r w e r b aufgrund einer E r mächtigung der Hauptversammlung, ausdrücklich auf § 53a A k t G B e z u g n i m m t , wird allgemein angenommen, dass die Nichtigkeitsfolge auch für Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gilt 7 0 , und zwar nicht nur in den Fällen des § 71 Abs. 1 Nr. 8 A k t G , sondern auch im R a h m e n der übrigen Erwerbsgründe des § 71 Abs. 1 A k t G 7 1 . Eine Heilung der Nichtigkeit ist nicht vorgesehen. 65 Bezieht sich die Ungleichbehandlung nur auf einen Teilbetrag der Anforderung, ist § 139 BGB zu beachten; ggf. bezieht sich das Leistungsverweigerungsrecht also nur auf den entsprechenden Teilbetrag. 66 Nachw. oben Fn. 44. 67 Zur Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes in diesem Fall bereits oben § 9 I 4 b aa (Betroffenheit nicht nur als Mieter, sondern auch in der Eigenschaft als Gesellschafter). Der BGH musste die Frage der Wirksamkeit der Kündigung nicht behandeln, da der Gesellschafter bereits in einem gesonderten Vorprozess rechtskräftig zur Räumung verurteilt worden war. Stattdessen war nur noch über die Gewährung eines finanziellen Ausgleichs zu befinden. 68 Das Verfügungsgeschäft bleibt gemäß § 71 Abs. 4 Satz 1 AktG unberührt. 69 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27.4.1998, BGBl. 1786. 70 Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn.28; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 116, 146; Oechsler, in: MünchKomm. AktG, §71 Rdn.212; grundsätzlich auch T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 166 (einschränkend aber Rdn. 176 ff. bei Gutgläubigkeit des Aktionärs; dazu unten §21 V 1 b). 71 Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn.28; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 116, 146; für Nichtigkeit auch (schon vor Einführung des § 71 Abs. 1 Nr. 8
368
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
Es bestehen zwar erhebliche Zweifel, ob der Gesetzgeber die Erstreckung der Nichtigkeitsfolge auf Gleichbehandlungsverstöße sorgsam durchdacht hat. In der amtlichen Begründung werden mögliche Rechtsfolgen des Gleichbehandlungsverstoßes kurz angesprochen, die Nichtigkeitsfolge aber nicht erwähnt 72 . Weiter heißt es in der Begründung, dass die Bezugnahme auf den Gleichbehandlungsgrundsatz in § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG rein klarstellenden Charakter habe73, die Rechtslage also nicht verändern solle. Ohne diese Bezugnahme würde man die Rechtsfolge von Gleichbehandlungsverstößen aber nicht § 71 Abs. 4 Satz 2 AktG entnehmen, sondern ohne Rücksicht darauf ermitteln. Auch unter systematischen Gesichtspunkten will nicht recht einleuchten, warum die sonst anzuerkennende Möglichkeit, Gleichbehandlungsverstöße zu heilen (sei es durch nachträgliche Zustimmung der übervorteilten Gesellschafter, sei es durch aktive Gleichbehandlung), ausgerechnet beim Erwerb eigener Aktien ausgeschlossen sein soll. Gleichwohl ist der Wortlaut des Gesetzes eindeutig, so dass man um die Nichtigkeit des gleichbehandlungswidrigen Verpflichtungsgeschäfts über den Erwerb eigener Aktien schwerlich umhin kommt. Dass beim gleichbehandlungswidrigen Erwerb eigener Aktien kein Weg an der Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts vorbei führt, darf aber nicht dazu verleiten, die Nichtigkeitsfolge unbesehen auf andere zwei- oder mehrseitige Rechtsgeschäfte zu übertragen und damit die unter lit. b getroffenen Feststellungen doch wieder in Frage zu stellen. Da die Vorschrift des § 71 Abs. 4 Satz 2 AktG nicht speziell auf Gleichbehandlungsverstöße zugeschnitten ist, sondern auch alle anderen Verstöße gegen § 71 Abs. 1 und 2 erfasst, und zudem im Hinblick auf Gleichbehandlungsverstöße nicht sorgfältig durchdacht erscheint, lässt sich in ihr keine Regelung erblicken, der Modellcharakter für die Behandlung anderer gleichbehandlungswidriger Rechtsgeschäfte zugesprochen werden kann. Vor diesem Hintergrund sollte man die Nichtigkeitsfolge auch nicht auf das gleichbehandlungswidrige Verpflichtungsgeschäft über die Veräußerung eigener Aktien übertragen, sondern es insoweit bei den allgemeinen Grundsätzen belassen74. Ebenso wenig spricht dafür, die Nichtigkeitsfolge auf gleichbehandAktG und des darin enthaltenen Verweises auf den Gleichbehandlungsgrundsatz) Lutter/ Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 34; deutlich zurückhaltender dagegen Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 71 Rdn. 15 (Nichtigkeit allenfalls in Ausnahmefällen). 72 Begr. RegE KonTraG BT-Drucks. 13/9712, S. 14 Ii. Sp. Als mögliche Folgen von Gleichbehandlungsverstößen des Vorstands werden dort etwaige Schadensersatzpflichten gegenüber den benachteiligten Aktionären sowie das Verkaufsgebot des §71c Abs. 1 AktG genannt. 73 Begr. RegE KonTraG BT-Drucks. 13/9712, S. 13 re. Sp.; vgl. Martens, AG 1997, AugustSonderheft, S. 83 (85) („überflüssig"); H ü f f e r , AktG, §71 Rdn. 19j („ohnehin selbstverständlich"); Oechsler, in: MünchKomm. AktG, § 71 Rdn. 198; M. Möller, Eigene Aktien, Rdn. 219. 74 Die Frage wird im Schrifttum - soweit ersichtlich - bisher nicht behandelt.
§ 16 Auswirkungen
auf die Wirksamkeit
von
Beschlüssen
369
lungswidrige Verpflichtungsgeschäfte über Erwerb oder Veräußerung eigener Geschäftsanteile im G m b H - R e c h t auszudehnen. Zwar ordnet § 33 Abs. 2 Satz 3 G m b H G für bestimmte Rechtsverstöße ebenfalls die Nichtigkeit des schuldrechtlichen Erwerbsgeschäfts an. Anders als im Aktienrecht werden Gleichbehandlungsverstöße insoweit aber nicht erwähnt. Deshalb steht hier nichts im Wege, es bei den allgemeinen Regeln bewenden zu lassen.
3. Schwebende
Unwirksamkeit
Sieht man vom Sonderfall des Erwerbs eigener Aktien ab, führen Gleichbehandlungsverstöße bei zwei- und mehrseitigen Rechtsgeschäften nach den getroffenen Feststellungen nicht zur unheilbaren Nichtigkeit. Vielmehr kann der Verstoß auf unterschiedliche Weise geheilt werden; die in Betracht kommenden Heilungsmöglichkeiten (nachträgliche Zustimmung der übervorteilten Gesellschafter, aktive Gleichbehandlung, ggf. Nachzahlung des bevorzugten Gesellschafters) wurden bereits genannt. Solange keine Heilung erfolgt ist, liegt es nahe, mit G.
Hueck
von schwebender Unwirksamkeit zu sprechen 7 5 . D e m ist
allerdings entgegengehalten worden, dass die A n n a h m e schwebender Unwirksamkeit in erster Linie dadurch motiviert sei, zu einem Rückgewähranspruch aus §§ 812 ff. B G B zu gelangen. Eben dies sei jedoch entbehrlich, da sich richtigerweise bereits aus dem Mitgliedschaftsverhältnis ein Anspruch der Gesellschaft auf Ausgleich der gleichbehandlungswidrig gewährten Vorteile ergebe. Dieser Anspruch habe zudem den Vorteil, dass er flexibler auf die jeweilige Problemlage angepasst werden könne als die starre Unwirksamkeitssanktion 7 6 . Diese Kritik vermengt indes die Frage nach den Auswirkungen des Verstoßes auf das Rechtsgeschäft mit der davon zu trennenden Frage, nach welchen Vorschriften sich die Rückabwicklung gestaltet. Sofern man von (schwebender) Unwirksamkeit ausgeht, ist damit keineswegs präjudiziert, dass die Rückabwicklung ausschließlich nach §§ 812 ff. B G B zu erfolgen hätte. Das belegt schon ein Blick auf das Parallelproblem im Rahmen der aktienrechtlichen Vermögensbindung. Verstöße gegen § 57 A k t G führen nach traditioneller Auffassung zur Nichtigkeit zumindest des Kausalgeschäfts 7 7 . Gleichwohl gewährt das Gesetz der Gesellschaft nicht nur den Bereicherungsanspruch, sondern den stärkeren gesellschaftsrechtlichen Rückgewähranspruch des § 62 A k t G . Berücksichtigt man dies, ist nicht recht einzusehen, was dagegen sprechen sollte, den Schwebezustand bis zu einer etwaigen Heilung des Gleichbehandlungsverstoßes als schwebende Unwirksamkeit zu bezeichnen. Gewiss könnte man, so wie dies bei Verstößen gegen § 30 G m b H G während bestehender U n 75 76 77
Vgl. G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 296 ff. Tries, Gewinnausschüttungen, S. 166f. Nachw. unten Fn. 88.
370
4. Kapitel:
Rechtsfolgen und prozessuale
Geltendmachung
terbilanz häufig geschieht, auch nur davon sprechen, dass das G e s c h ä f t bis auf weiteres nicht erfüllt werden darf 7 8 . I m E r g e b n i s macht dies aber keinen U n t e r schied 7 9 ; nicht ohne G r u n d wird deshalb auch im R a h m e n des § 3 0 G m b H G bisweilen von schwebender U n w i r k s a m k e i t gesprochen 8 0 .
4. Erstreckung der Unwirksamkeit auf das Verfügungsgeschäft ? V o n größerer praktischer Relevanz ist die Frage, o b sich die (schwebende) U n w i r k s a m k e i t auf das Verpflichtungsgeschäft b e s c h r ä n k t oder auch auf das Verfügungsgeschäft erstreckt. Unterbleibt die H e i l u n g , hätte eine E r s t r e c k u n g auf das Verfügungsgeschäft insbesondere in der Insolvenz des Vertragspartners/ Gesellschafters erhebliche Bedeutung. U n t e r der G e l t u n g des A b s t r a k t i o n s prinzips lässt sich die (schwebende) U n w i r k s a m k e i t des Verfügungsgeschäfts indes nur bejahen, wenn die U m s t ä n d e , welche die Verbotswidrigkeit des V e r pflichtungsgeschäfts begründen, ausnahmsweise zugleich und
unmittelbar
auch das Verfügungsgeschäft betreffen, w e n n also das Verbot gerade auch die G ü t e r b e w e g u n g als solche verhindern will 8 1 . D a r a n fehlt es in den hier interessierenden Fällen: D e r Gleichbehandlungsgrundsatz enthält kein generelles V e r b o t , über Gegenstände des Gesellschaftsvermögens zugunsten einzelner G e sellschafter zu verfügen. E r richtet sich lediglich gegen M a ß n a h m e n , die einzelne Gesellschafter bevorzugen, ohne dass dies i m
Gesellschaftsinteresse
sachlich gerechtfertigt wäre. D i e Frage der sachlichen R e c h t f e r t i g u n g lässt sich aber nicht schon anhand des Verfügungsgeschäfts b e a n t w o r t e n , das wegen seiner A b s t r a k t h e i t isoliert zu betrachten ist, sondern erst unter H i n z u n a h m e aller K o n d i t i o n e n des Verpflichtungsgeschäfts. D a v o n abgesehen ist es auch nicht Sinn und Zweck des Gleichbehandlungsgrundsatzes, die Gesellschaft in der I n solvenz des Gesellschafters besser zu stellen als dessen andere Gläubiger. I m Ergebnis muss es deshalb bei der (schwebenden) U n w i r k s a m k e i t des Verpflichtungsgeschäfts bewenden.
78 Vgl. B G H Z 136, 125 (129f.); aus dem Schrifttum statt vieler G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 30 Rdn. 32 mit umfangreichen Nachw. 79 Dies gilt jedenfalls dann, wenn man unter dem Erfüllungsverbot richtigerweise eine von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung versteht; vgl. dazu Altmeppen, in: Roth/ Altmeppen, GmbHG, § 30 Rdn. 81 m.w.Nachw. 80 Vgl. Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30 Rdn. 81,87. 81 Vgl. nur B G H Z 115, 123 (130); Heinrichs, in: Palandt, B G B , §134 Rdn. 13; Larenz/ M. Wolf, AT, § 40 Rdn. 30.
§ 16 Auswirkungen
auf die Wirksamkeit
5. Erstreckung der Unwirksamkeit mit Beteiligung Dritter?
von
Beschlüssen
371
auf Geschäfte
An dieser Stelle nur am Rande zu behandelnde Sonderfragen stellen sich, wenn an dem gleichbehandlungswidrigen Geschäft Nicht-Gesellschafter beteiligt sind. Diese Konstellation ist durchaus denkbar, da nach den getroffenen Feststellungen in bestimmten Fallgruppen auch die Bevorzugung eines Nicht-Gesellschafters als Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu werten ist 82 . In solchen Fällen erhebt sich die Frage, ob die Unwirksamkeit auch auf das Rechtsgeschäft mit dem Dritten zu erstrecken ist. Das Problem ist aus anderem Zusammenhang bekannt; es stellt sich in gleicher Weise bei Verstößen gegen die aktienrechtliche Vermögensbindung (§ 57 AktG), wenn Zuwendungsempfänger ein Nicht-Gesellschafter ist. Uberträgt man die dort anerkannten Ergebnisse auf Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, erstreckt sich die Unwirksamkeit immer dann auch auf das Geschäft mit dem Dritten, wenn dieser als „faktischer" 83 , ehemaliger oder künftiger Gesellschafter bevorzugt wird oder wenn zwischen dem Dritten und dem Gesellschafter ein „qualifiziertes Näheverhältnis" besteht, d.h. der Dritte mit dem Gesellschafter i.S. der §§ 89 Abs. 3 Satz 1,115 Abs. 2 A k t G familiär verbunden ist, f ü r seine Rechnung handelt oder mit ihm wirtschaftlich ganz oder weitgehend identisch ist 84 . Letzteres wird namentlich dann angenommen, wenn es sich bei dem Dritten um eine Gesellschaft handelt, an der der Gesellschafter allein oder mehrheitlich beteiligt ist 85 . Im Ergebnis wird damit in der Mehrzahl der Fälle, in der die Bevorzugung eines Dritten einen Gleichbehandlungsverstoß darstellt, die Unwirksamkeitsfolge auch auf den Dritten ausgedehnt. Es bleiben aber einzelne Situationen denkbar, in denen die Bevorzugung eines Dritten nicht den soeben genannten Fallgruppen unterfällt, aber dennoch ein Gleichbehandlungsverstoß vorliegen kann. Zu denken ist dabei an Fälle, in denen der Dritte auf Veranlassung eines Gesellschafters eine privat motivierte Zuwendung aus dem Gesellschaftsvermögen erhält 86 , oder an Vorteilsgewährungen zugunsten einer Gesellschaft, an der ein Gesellschafter nicht mehrheitlich beteiligt ist 87 . Folgt man konsequenterweise auch insoweit der Parallele zum Kapitalerhaltungsrecht, so ist in diesen verbleibenden Fällen die Unwirksamkeit nicht auf das Rechtsgeschäft mit dem Dritten zu erstrecken.
82
N ä h e r oben §§ 101,11 113. D a z u oben §11 II 3 c. 84 Vgl. Henze, in: Großkomm. A k t G , § 57 Rdn. 214,218; Bayer, in: M ü n c h K o m m . A k t G , § 57 Rdn. 149 i.V.m. Rdn. 141. 85 Vgl. Henze, in: Großkomm. A k t G , Rdn. 218 i.V.m. Rdn. 92; Bayer, in: M ü n c h K o m m . A k t G , Rdn. 149 i.V.m. Rdn. 141, 63, 65 ff. 86 S. oben §11 II 3 b bb. 87 S. oben §11 II 3 b dd. 83
372
4. Kapitel:
6. Konkurrierende
Rechtsfolgen und prozessuale
Geltendmachung
Unwirksamkeitsgründe
I m Auge zu behalten ist stets, dass der Gleichbehandlungsverstoß mit anderen U n w i r k s a m k e i t s g r ü n d e n zusammentreffen kann, die ihrerseits zu weiter reichenden Fehlerfolgen f ü h r e n k ö n n e n . Dies gilt namentlich f ü r verdeckte Vermögenszuwendungen, die im A k t i e n r e c h t stets auch einen Verstoß gegen § 57 A k t G beinhalten. N a c h traditioneller und nach wie vor herrschender Auffassung führen solche Verstöße nicht nur wie der Gleichbehandlungsverstoß zur schwebenden U n w i r k s a m k e i t , sondern geradewegs zur Nichtigkeit jedenfalls des Verpflichtungs- und nach A n s i c h t vieler auch des Verfügungsgeschäfts 8 8 . F e r n e r wird f ü r verdeckte Vermögenszuwendungen im G m b H - R e c h t häufig angenommen, dass die G e s c h ä f t s f ü h r e r mit derartigen G e s c h ä f t e n ihre K o m petenzen überschritten, da die G e w i n n v e r w e n d u n g nach § 4 6 N r . 1 G m b H G der Gesellschafterversammlung zugewiesen sei. D i e s e K o m p e t e n z ü b e r s c h r e i tung lasse die Vertretungsmacht der G e s c h ä f t s f ü h r e r entfallen, da die in § 37 Abs. 2 Satz 1 G m b H G angeordnete U n b e a c h t l i c h k e i t interner B e s c h r ä n k u n g e n der Vertretungsmacht nur im Verhältnis zu außenstehenden D r i t t e n gelte, nicht aber im Verhältnis zu dem begünstigten Gesellschafter 8 9 . D e r so begründete Mangel der Vertretungsmacht soll sich nicht nur auf das Verpflichtungs-, sondern auch auf das Verfügungsgeschäft auswirken 9 0 . E s ist hier nicht der O r t , auch auf diese möglicherweise k o n k u r r i e r e n d e n U n w i r k s a m k e i t s g r ü n d e im D e t a i l einzugehen. Genügen mag insoweit der H i n weis, dass beide A n s ä t z e - sowohl die traditionelle Nichtigkeitslehre zu § 57 A k t G als auch der k o m p e t e n z r e c h t l i c h e A n s a t z im G m b H - R e c h t - aus guten G r ü n d e n z u n e h m e n d in die K r i t i k geraten 9 1 : M e r k w ü r d i g an der angeblichen 88 Für Nichtigkeit beider Geschäfte etwa OLG Koblenz AG 1977,231 (232); O L G Hamburg AG 1980,275 (279 f.); O L G München AG 1980,272 (273); Henze, in: Großkomm. AktG, §57 Rein. 200 ff.; Hüffer, AktG, §57 Rein. 23, 25, §62 Rdn. 10; Wiesner, in: MünchHdb. AG, §16 Rdn. 52. Für Nichtigkeit nur des Verpflichtungsgeschäfts T. Bezzenherger, Kapital, S. 244ff.; Bommert, Vermögensverlagerungen, S. 84 ff., 111; bei verdeckten Verstößen auch Geßler, FS Fischer, S. 131 (143 f.); Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 57 Rdn. 67ff. 89 Vgl. O L G Brandenburg N J W - R R 1997,1325; Emmerich, in: Scholz, GmbHG, §29 Rdn. 103 ff.; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 29 Rdn. 76;/. Hager, ZGR 1989, 71 (77 ff.); Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 224 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §37 III 1 f (S. 1137), §37 III 2d (S. 1140f.); Schulze-Osterloh, FS Stimpel, S.487 (491 ff.). Eine Übertragung dieses kompetenzrechtlichen Ansatzes auf das Aktienrecht wird dagegen abgelehnt; vgl./. Hager aaO. S. 79 Fn. 37; Bommert, Vermögensverlagerungen, S. 131 f. 90 So ausdrücklichJ. Hager, ZGR 1989, 71 (87f.); Schulze-Osterloh, FS Stimpel, S.487 (493 f.); insoweit a.A. aber G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 29 Rdn. 76. 91 Ablehnend gegenüber der Nichtigkeitslehre im Rahmen des §57 AktG Bayer, in: MünchKomm. AktG, § 57 Rdn. 145 ff.; Bitter, Z H R 168 (2004), 302 (342 ff.); Flume, AT 1/2, §8 IV 2 c(S. 290 ff.);/oosi, Z H R 149 (1985), 419 (421 ff.); Rosengarten, Z H R 168 (2004), 708 (719ff.); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §29 II 2 b bb (S. 893 f.). Ablehnend gegenüber dem kompetenzrechtlichen Ansatz im GmbH-Recht Fries, Gewinnausschüttungen, S. 89 ff., mit ausführlicher Begründung; ferner Bitter, Z H R 168 (2004), 302 (345 ff.) (vgl. auch den zugehörigen Diskussionsbericht von Ch. Schneider, ZHR 168 [2004], 352 [353]); Pentz, in: Ro-
5 16 Auswirkungen
auf die Wirksamkeit
von
Beschlüssen
373
Nichtigkeitsfolge im Rahmen des § 57 AktG ist schon, dass die ganz h.M. im Parallelfall des § 30 GmbHG anders entscheidet92. Jedenfalls die Erstreckung auf das Verfügungsgeschäft lässt sich schwerlich halten, wenn man vergleichbare Überlegungen anstellt, wie sie soeben für den Gleichbehandlungsgrundsatz dargelegt worden sind. Was schließlich den kompetenzrechtlichen Ansatz im GmbH-Recht anbetrifft, so ist schon die Prämisse des Kompetenzverstoßes zweifelhaft 93 . Die etwas gewundene Konstruktion ist überdies entbehrlich, da man auch ohne sie zu einer Rückgewähr der verbotenen Vermögenszuwendung gelangt (dazu sogleich).
7. Rückgewähr
gleichbehandlungswidrig
erlangter
Vorteile
Wird das gleichbehandlungswidrige Rechtsgeschäft nicht geheilt, ist der Gesellschafter, der aus diesem Geschäft Vorteile bezogen hat, verpflichtet, diese der Gesellschaft zurückzugewähren. Dies ergibt sich, wenn man der hier vertretenen Auffassung der Nichtigkeit bzw. schwebenden Unwirksamkeit folgt, bereits aus §812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB. Die Abwicklung nach Bereicherungsrecht hat allerdings hinlänglich bekannte Schwächen. Sie scheitert, wenn der begünstigte Gesellschafter gutgläubig war und sich auf einen Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen kann. Zudem verhindern die Kondiktionssperren der §§ 814, 817 Satz 2 BGB die Rückabwicklung, wenn - wie häufig - Kenntnis bzw. Leichtfertigkeit94 der Gesellschaft hinsichtlich des Gleichbehandlungsverstoßes vorlag. Nicht zuletzt angesichts dieser Schwächen gewinnt die Frage an Bedeutung, ob sich neben dem bereicherungsrechtlichen Anspruch nicht auch ein verschuldensunabhängiger gesellschaftsrechtlicher Rückgewähranspruch der Gesellschaft begründen lässt. Sofern der Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz mit einem Verstoß gegen §57 AktG oder §30 GmbHG zusammentrifft, ergibt sich ein solcher gesellschaftsrechtlicher Rückgewähranspruch bereits aus § 62 Abs. 1 AktG bzw. § 31 Abs. 1 GmbHG (wobei letzterer freilich betragsmäßig nur so weit reicht, wie das Stammkapital tangiert wird). In allen anderen Fällen fehlt es dagegen an einer geschriebenen Rechtsgrundlage für einen gesellschaftsrechtlichen Anspruch auf Rückgewähr gleichbehandlungswidrig gewährter Vorteile. Die Frage, ob ein solcher Anspruch gleichwohl anzuerkennen ist, wird bisher vor allem für verdeckte Vermögenszuwendungen im GmbHRecht diskutiert, die das Stammkapital nicht tangieren und deshalb nicht unter wedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, §29 Rdn. 164; i.E. auch Goerdeler/W. Müller, in: Hachenburg, GmbHG, §29 Rdn. 130. 92 Nachw.obenFn.78. 93 Dazu Bitter, ZHR 168 (2004), 302 (345 ff.). 94 Zu dieser ungeschriebenen, aber allgemein anerkannten Einschränkung des §817 Satz 2 BGB vgl. nur BGH N J W 1989, 3217 (3218); Sprau, in: Palandt, BGB, § 817 Rdn. 17.
374
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
die §§ 30,31 GmbHG fallen. Hier mehren sich die Stimmen, die trotz fehlender positivrechtlicher Verankerung das Bestehen eines verschuldensunabhängigen gesellschaftsrechtlichen Rückgewähranspruchs bejahen 95 . Uneinigkeit besteht allerdings in der Begründung. Zumeist wird eine Parallele zur Kapitalerhaltung gezogen und der Rückgewähranspruch aus einer Analogie zu § 62 AktG 9 6 oder § 31 GmbHG 9 7 hergeleitet. Unbefriedigend an diesen Vorschlägen ist jedoch, dass sie ausschließlich Gleichbehandlungsverstöße in Form von verdeckten Vermögenszuwendungen erfassen können. Bedenkt man, dass Gleichbehandlungsverstöße im Einzelfall auch bei inhaltlich ausgewogenen, mit Blick auf den Vermögensschutz unbedenklichen Geschäften gegeben sein können 98 , erweist sich die Analogiebasis der §§ 62 AktG, 31 GmbHG als zu schmal, um einen generellen Anspruch auf Rückgewähr gleichbehandlungswidrig erlangter Vorteile tragen zu können. Mehr spricht deshalb für den im Schrifttum bereits verschiedentlich erwogenen Vorschlag, unmittelbar an die Treuepflicbt anzuknüpfen, die der begünstigte Gesellschafter der Gesellschaft und den Mitgesellschaftern schuldet 99 . Wenn der Gesellschafter zu Lasten der Gesellschaft und der Mitgesellschafter Sondervorteile entgegennimmt, die ihm nach dem in Gesetz und Satzung festgelegten Verteilungsmaßstab nicht zustehen, lässt sich dies als treuepflichtwidrig ansehen, ohne dass es dabei auf ein Verschulden des begünstigten Gesellschafters ankommt. Das Vorliegen von Verschulden stellt auch sonst keine Voraussetzung für die Annahme einer Treuepflichtverletzung dar, sondern nur für eine daraus resultierende Schadensersatzpflicht 100 . So spricht denn auch Zöllner 95 Vgl. Ballerstedt, Kapital, S. 177; Bitter, Z H R 168 (2004), 302 (329ff., 350); Flame, AT Müller, in: Hachenburg, GmbHG, §29 Rdn.134; 1/2, §8 IV 2e (S. 294 f.); Goerdeler/W. Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, §29 Rdn.54; Pentz, in: Rowedder/ Schmidt-Leithoff, GmbHG, §29 Rdn. 168; Tries, Gewinnausschüttungen, S. 223 ff., 228 ff.; Ulmer, FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S.363 (368 f.); M. Winter, Z H R 148 (1984), 579 (588 ff.); ders., Treuebindungen, S.227ff. Hingegen für bereicherungsrechtliche Abwicklung G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.300f.; ferner die Anhänger des kompetenzrechtlichen Ansatzes (Nachw. oben Fn. 89). 96 Bitter, Z H R 168 (2004), 302 (329 ff., 347 f.). 97 Goerdeler/W. Müller, in: Hachenburg, GmbHG, §29 Rdn.134; Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, §29 Rdn.54; M. Winter, Z H R 148 (1984), 579 (588ff.); ders., Treuebindungen, S. 227ff.; vgl. auch Flume, AT 1/2, §8 IV 2 e (S.295) („wie der Anspruch nach § 62 AktG, § 31 GmbHG"). 98 Dazu oben § 9 1 1 , 2 a.E. 99 Vgl. vor allem Tries, Gewinnausschüttungen, S. 223 ff., 228 ff., der den Rückgewähranspruch auf eine Rechtsfortbildung stützt, deren Ansatzpunkte die Treuepflicht und das Gleichbehandlungsgebot bilden; ihm zustimmend Ulmer, FS 100 Jahre GmbHG, S.363 (368 f.); ders., in: MünchKomm. B G B , §705 Rdn. 252; Habermeier, in: Staudinger, B G B , § 705 Rdn. 56. In ähnliche Richtung ferner Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13 Rdn. 64, und Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 135, die es jeweils für möglich halten, dass der begünstigte Gesellschafter aufgrund seiner Treuepflicht gehalten sei, sein Einverständnis mit der Rückabwicklung zu erteilen. 100 S. schon oben §5 III 4.
§ 16 Auswirkungen
auf die Wirksamkeit
von
Beschlüssen
375
ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden des begünstigten Gesellschafters davon, dass grundsätzlich jede Empfangnahme einer gleichbehandlungswidrigen Zuwendung als „Verstoß gegen die Pflichten im Rahmen einer Sonderverbindung, nämlich der Sonderverbindung Verband" anzusehen sei 101 . In der Sache nichts anderes ist es, wenn man dies als Verstoß gegen die Treuepflicht bezeichnet. Ist aber der Empfang eines gleichbehandlungswidrigen Vorteils als treuepflichtwidrig einzustufen, muss es konsequenterweise genauso einen Treuepflichtverstoß darstellen, einen derartigen Vorteil zu behalten. Es erscheint daher folgerichtig, aus der Treuepflicht des bevorzugten Gesellschafters die verschuldensunabhängige Verpflichtung abzuleiten, einen gleichbehandlungswidrig erlangten Vorteil an die Gesellschaft zurückzugewähren. Der genaue Inhalt dieses Anspruchs richtet sich danach, inwieweit eine Rückgewähr erforderlich ist, um den Gleichbehandlungsverstoß zu beseitigen. Lässt sich der Verstoß dadurch beseitigen, dass die Gegenleistung des Gesellschafters auf ein marktgerechtes Niveau angehoben wird, genügt es, wenn der Gesellschafter den entsprechenden Differenzbetrag ausgleicht. Allerdings wird man den Gesellschafter dazu nicht als verpflichtet ansehen können, da ihm andernfalls ein Vertrag zu Konditionen aufgedrängt würde, denen er so nie zugestimmt hat. Vielmehr ist dem Gesellschafter in dieser Situation - wie dies auch zu § 31 GmbHG überwiegend anerkannt und auch im Rahmen des § 62 AktG teilweise vertreten wird 1 0 2 - ein Wahlrecht zuzugestehen, entweder Wertausgleich oder, soweit noch möglich, gegenständliche Rückgewähr zu leisten 103 . Kann der Gleichbehandlungsverstoß allein durch Nachzahlung nicht behoben werden, muss der Gesellschafter den erlangten Gegenstand Zug um Zug gegen Rückerstattung der von ihm erbrachten Gegenleistung zurückübertragen 104 . 101 Vgl. Zöllner, ZGR 1988,392 (405 f.) mit dem berechtigten Hinweis, dass ein Pflichtverstoß ausnahmsweise dann zu verneinen ist, wenn der Empfänger durch § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG (zu ergänzen ist: oder §32 GmbHG) geschützt ist, also beim gutgläubigen Bezug von Gewinnanteilen. Zöllner zustimmend auch Lutter, Z H R 162 (1998), 164 (179). 102 Vgl. in Bezug auf §31 GmbHG etwa Flume, AT 1/2, §8 IV 2 c (S. 291); Heidinger, in: Michalski, GmbHG, §31 Rdn.31; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §31 Rdn. 16; Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 31 Rdn. 16; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §37 III 2 a (S. 1138); Ulmer, FS 100 Jahre GmbHG, S.363 (379f.); mit einzelnen Einschränkungen auch Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, §31 Rdn. 7; Goerdeler/W. Müller, in: Hachenburg, GmbHG, § 31 Rdn. 25; a.A. aber Altmeppen, in: Roth/ Altmeppen, GmbHG, §30 Rdn. 85; Kort ZGR 2001, 615, 626. In Bezug auf §57 AktG vgl. Flume, AT 1/2, § 8 IV 2 c (S. 291); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §29 I l b b b (S- 893 f.); einschränkend Bayer, in: MünchKomm. AktG, §62 Rdn. 50f.; ablehnend Rosengarten, ZHR 168 (2004), 708 (724), sowie die Anhänger der traditionellen Nichtigkeitslehre (exemplarisch Henze, in: Großkomm. AktG, § 62 Rdn. 43). 103 Ebenso Tries, Gewinnausschüttungen, S.232; i.E. auch alle diejenigen, die den Rückgewähranspruch auf eine Analogie zu §62 AktG bzw. §31 GmbHG stützen (Nachw. oben Fn. 96-97) und im Rahmen der unmittelbaren Anwendung dieser Vorschriften für ein Wahlrecht des Gesellschafters eintreten. 104 Hat der erlangte Gegenstand zwischenzeitlich an Wert verloren, geht dies zu Lasten
376
4. Kapitel:
8. Vorrang der
Rechtsfolgen und prozessuale
Geltendmachung
Beschlussanfechtung
Z u m Abschluss ist n o c h auf die Besonderheiten hinzuweisen, die zu beachten sind, w e n n dem gleichbehandlungswidrigen Rechtsgeschäft ein Beschluss der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung zugrunde liegt und schon diesem B e schluss der Gleichbehandlungsverstoß anhaftet. H i e r stellt sich die Frage, o b der W i r k s a m k e i t s m a n g e l entfällt, w e n n es versäumt worden ist, den z u g r u n d e liegenden Beschluss der H a u p t - bzw. Gesellschafterversammlung rechtzeitig anzufechten. In Ü b e r e i n s t i m m u n g mit der in Rechtsprechung und S c h r i f t t u m - soweit ersichtlich - einhelligen Auffassung 1 0 5 ist diese Frage zu bejahen, da mit Versäumung der A n f e c h t u n g s f r i s t der Beschluss f ü r alle Gesellschafter verbindlich wird. Diese W i r k u n g w ü r d e in Frage gestellt, wenn der G l e i c h b e h a n d lungsverstoß die W i r k s a m k e i t des den Beschluss ausführenden Rechtsgeschäfts doch n o c h in Frage stellen könnte. Unterbleibt die A n f e c h t u n g , werden die b e nachteiligten Gesellschafter deshalb so gestellt, als hätten sie der U n g l e i c h b e handlung zugestimmt 1 0 6 . E s ist allerdings stets darauf zu achten, o b der zugrunde liegende Beschluss w i r k l i c h nur anfechtbar ist oder i h m neben dem Gleichbehandlungsverstoß n o c h ein weiterer Mangel anhaftet, der zur N i c h t i g keit f ü h r t . Ist letzteres der Fall, wie insbesondere bei verdeckten V e r m ö g e n s z u wendungen im A k t i e n r e c h t (§ 57 i.V.m. § 241 N r . 3 A k t G ) , kann der Beschluss die beschriebene W i r k u n g selbstredend nicht entfalten. N a c h dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung bedarf es auch dann keiner Beschlussanfechtung, w e n n zunächst ein
gleichbehandlungswidriges
Rechtsgeschäft v o r g e n o m m e n wird, der verletzte Gesellschafter daraufhin einen A n t r a g auf Beseitigung der Ungleichbehandlung stellt und die H a u p t - bzw. Gesellschafterversammlung diesen A n t r a g (zu U n r e c h t ) abschlägig bescheidet 1 0 7 . Zwar k ö n n e n auch ablehnende Beschlüsse angefochten werden 1 0 8 . D e r B G H hat jedoch - unter dem Beifall des S c h r i f t t u m s - ausdrücklich entschieden, dass die W i r k u n g der A b l e h n u n g sich in dem Verbrauch des gestellten A n -
des Gesellschafters. Die Werteinbuße wird auf die zu erstattende Gegenleistung angerechnet; vgl. Tries, Gewinnausschüttungen, S.233. 105 Vgl. - jeweils zur Anforderung ausstehender Einlagen - OLG Köln N J W - R R 1988, 356 (357); Ebbing, in: Michalski, GmbHG, § 19 Rdn.24; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 19 Rdn. 8; U.H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 19 Rdn. 24; Ulmer, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 19 Rdn. 32; in Bezug auf verdeckte Vermögenszuwendungen auch Bitter, ZHR 168 (2004), 302 (348 f.) (mit der sogleich im Text wiedergegebenen Einschränkung); generell auch schon Bodenheimer, Gleichheitsprinzip, S. 63. 106 Vgl. OLG Köln N J W - R R 1988, 356 (357). 107 B G H WM 1972, 931 (933); T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, §14 Rdn. 108; anders möglicherweise Zöllner, ZGR 1988, 392 (402 zu lit. b). 108 Vgl. statt vieler Hüffer, in: MünchKomm. AktG, § 241 Rdn. 9, § 243 Rdn. 9; K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §241 Rdn. 10, 98; T. Raiser, in: Hachenburg, GmbHG, Anh. §47 Rdn. 14.
5 16 Auswirkungen
auf die Wirksamkeit
von
Beschlüssen
377
trags erschöpfe und die materiell-rechtliche Lage unberührt bleibe 109 . Folgt man dieser Rechtsprechung, bewendet es also auch dann, wenn die Anfechtung unterbleibt, bei den Rechtsfolgen, die bereits vor der Beschlussfassung eingetreten waren.
9. Fazit Nach alledem zeigt sich, dass f ü r die im Schrifttum anzutreffende resignative Feststellung, dass die Rechtsfolgen von Gleichbehandlungsverstößen stets nur nach Lage des Einzelfalls bestimmt werden könnten 1 1 0 , kein begründeter Anlass besteht. Vielmehr lassen sich klare Leitlinien formulieren, wie sich Gleichbehandlungsverstöße auf Rechtsgeschäfte der Verwaltung auswirken: Einseitige Rechtsgeschäfte der Gesellschaft sind wegen des Gleichbehandlungsverstoßes gemäß § 134 B GB grundsätzlich 111 nichtig. Demgegenüber sind zwei- und mehrseitige Rechtsgeschäfte zwischen der Gesellschaft und einzelnen Gesellschaftern - mit Ausnahme des Erwerbs eigener Aktien, für den die §§ 71 Abs. 4 Satz 2, Abs. 1 Nr. 8 Satz 3,53a A k t G ausdrücklich die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts anordnen - als schwebend unwirksam anzusehen. Von der Unwirksamkeit erfasst wird nur das Verpflichtungs-, nicht das Verfügungsgeschäft. Wirksamkeit tritt ein, wenn die benachteiligten Gesellschafter zustimmen oder der Verstoß anderweitig behoben wird. Dasselbe gilt, wenn dem Rechtsgeschäft ein anfechtbarer (nicht nichtiger) Beschluss der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung zugrunde liegt und bereits diesem der Gleichbehandlungsverstoß anhaftet, der Beschluss aber nicht rechtzeitig angefochten wird. Falls der Verstoß nicht geheilt wird, besteht ein verschuldensunabhängiger gesellschaftsrechtlicher Anspruch der Gesellschaft auf Rückgewähr der Vorteile, die dem Gesellschafter unter Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gewährt worden sind.
109 B G H W M 1972,931 (933); zustimmend Hüffer, in: M ü n c h K o m m . A k t G , § 241 Rdn. 9; T. Kaiser, in: Hachenburg, G m b H G , Anh. §47 Rdn. 14. 110 Vgl. die Nachw. in Fn. 47. 111 Zu einer möglichen Ausnahme oben Ziff. 2 c bei Fn. 62.
§ 17 Ansprüche der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft Die bisher angesprochenen Rechtsfolgen - Anfechtbarkeit von Beschlüssen, Nichtigkeit bzw. schwebende Unwirksamkeit von sonstigen Rechtsgeschäften, ggf. Rückgewähranspruch der Gesellschaft - mögen in vielen Fällen genügen, um Gleichbehandlungsverstöße abzuwenden oder zu beseitigen. Insbesondere die Auferlegung von Sondernachteilen können die betroffenen Gesellschafter auf diese Weise hinreichend abwehren. Anders liegt es, wenn einzelnen Gesellschaftern durch Rechtsgeschäft Sondervorteile eingeräumt worden sind und die Gesellschaft von ihrem an sich begründeten Rückgewähranspruch gegen den bevorzugten Gesellschafter keinen Gebrauch macht. Hier ist aus Sicht der benachteiligten Gesellschafter nicht sicher gestellt, dass die eingetretenen rechtswidrigen Folgen tatsächlich wieder beseitigt werden. Ebenso liegt es, wenn der Sondervorteil auf einer rein tatsächlichen Handlung beruht, die nicht rückabgewickelt werden kann (wie z.B. die Erteilung von Informationen an einzelne Gesellschafter). In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob die benachteiligten Gesellschafter einen klagbaren Anspruch darauf haben, dass die Gesellschaft den Gleichbehandlungsverstoß beseitigt, sei es dadurch, dass sie gegen den begünstigten Gesellschafter vorgeht und diesem die gleichbehandlungswidrig gewährten Vorteile entzieht, sei es dadurch, dass sie den benachteiligten Gesellschaftern gleichwertige Vorteile (aktive Gleichbehandlung) gewährt (dazu Ziff. I). Sind durch den Gleichbehandlungsverstoß Schäden entstanden, erhebt sich des Weiteren die Frage nach möglichen Schadensersatzansprüchen der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft (Ziff. II). Schließlich gilt es auszuloten, inwieweit den Gesellschaftern bereits im Vorfeld Rechtsschutz in Form von vorbeugenden Unterlassungsansprüchen gegen drohende Ungleichbehandlungen gewährt werden kann (Ziff. III). Dabei geht es im Folgenden jeweils nur um ein Vorgehen der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft. Ein mögliches Vorgehen gegen die handelnden Organwalter oder die Mitgesellschafter wird separat behandelt (in §§ 18-19).
§ 17 Ansprüche der benachteiligten
Gesellschafter
gegen die Gesellschaft
379
I. Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes Die Frage nach dem Beseitigungsanspruch der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft rührt an grundlegende Probleme, die gewöhnlich unter dem Stichwort der „Abwehrklage" der Gesellschafter gegen rechtswidriges Handeln der Verwaltung diskutiert werden. Dabei geht es um die Geltendmachung von Abwehransprüchen, genauer: Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen, die den Gesellschaftern gegenüber bestimmten (drohenden) Eingriffen in die Mitgliedschaft oder einzelne mitgliedschaftliche Rechte seitens der Verwaltung 1 zustehen. Die Frage, ob derartige Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche auch bei Verletzungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu gewähren sind, bildet einen Teilausschnitt aus dieser übergreifenden Problematik. Dabei soll hier zunächst nur der Beseitigungsanspruch in den Blick genommen werden; auf den Unterlassungsanspruch wird gesondert zurückzukommen sein 2 .
1. Allgemeiner Anspruch auf geset7.es- und satzungsgemäßes der Gesellschaft?
Verhalten
Im Schrifttum wird bisweilen angenommen, dass den Gesellschaftern ein umfassendes Recht auf gesetz- und satzungsmäßige Betätigung der Gesellschaft zustehe, das durch entsprechende Abwehransprüche bewehrt sei 3 . Nach dieser Ansicht sind die Gesellschafter berechtigt, die (Unterlassung und) Beseitigung sämtlicher Rechtsverletzungen der Gesellschaft und damit konsequenterweise auch die Beseitigung von Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu verlangen, und zwar unabhängig davon, ob sie selbst oder nur andere Gesellschafter benachteiligt sind. In der Rechtsprechung hat diese Auffassung allerdings bisher keinen Anklang gefunden 4 , und auch das Schrifttum steht einem so umfassenden Recht der Gesellschafter auf gesetzund satzungsmäßige Betätigung der Gesellschaft ganz überwiegend ableh1 Gegen Eingriffe durch die Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung hilft bereits die Anfechtungsklage. 2 S. unten Ziff. III. 3 Vgl. Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 294ff., insbes. 314 ff.; M. Becker, Verwaltungskontrolle, S. 613 ff. (jeweils zur AG); mit Einschränkung auf „evidente" Verstöße auch Grunewald, DB 1981, 407 ff. (zur KG). 4 Im Gegenteil wird in der zur KG ergangenen Entscheidung B G H Z 76, 160 (167f.) die Frage, ob ein einzelner Kommanditist die Unterlassung angeblich rechtswidriger Geschäftsführungsmaßnahmen verlangen darf, ausdrücklich verneint; dazu auch noch unten Ziff. III 1 a. Vgl. ferner B G H Z 83, 122 (133 ff.) („Holzmüller"), wo zwar ein Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch in Bezug auf Übergriffe des Vorstands in die Kompetenz der Hauptversammlung bejaht wird, für „gewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahmen" aber auf B G H Z 76,160 (167 f.) verwiesen wird.
380
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
nend gegenüber5. Der 63. Deutsche Juristentag in Leipzig hat sich im Jahr 2000 ebenfalls mit deutlicher Mehrheit dagegen ausgesprochen, Abwehrklagen in derart weitem Umfang zuzulassen 6 . Die ablehnende Haltung der h.M. wird vor allem damit begründet, dass die Gewährung von Abwehransprüchen gegen jedwedes (angeblich) rechtswidrige Verhalten die Geschäftsleitung der Gesellschaft durch die dafür zuständigen Organe gravierend beeinträchtige und einen tiefen Eingriff in die gesellschaftsvertraglich festgelegte Zuständigkeitsverteilung bewirke 7 . Dieses Argument zielt freilich in erster Linie auf den Unterlassungsanspruch und darauf gestützte einstweilige Verfügungen, weniger auf den hier interessierenden Beseitigungsanspruch. Gleichwohl ist auch für diesen an der ganz h.M. festzuhalten. Zwar ist im Rahmen der Beschlussanfechtung anerkannt, dass die Gesellschafter auch ohne eigene individuelle Betroffenheit Anfechtungsklage erheben können8. Materiell-rechtlich lässt sich insoweit von einem Recht der Gesellschafter auf gesetz- und satzungsmäßige Beschlussfassung sprechen9. Zur Vermeidung eines „Rechtsschutzgefälles"10 zwischen Anteilseignerbeschlüssen und Maßnahmen der Verwaltung mag es daher auf den ersten Blick nahe liegend erscheinen, im Bereich der Verwaltungsmaßnahmen ebenso zu entscheiden und ein allgemeines Recht auf gesetzes- und satzungsgemäßes Verhalten aller Gesellschaftsorgane zu postulieren. Demgegenüber ist jedoch daran zu erinnern, dass die im Rahmen der Beschlussanfechtung geltende Regelung, nach der es nicht auf die individuelle Betroffenheit ankommt, aus guten Gründen zunehmend auf Kritik stößt11. Auch wenn an ihr im Rahmen der Beschlussanfechtung de lege lata kein Weg vorbeiführt, muss es doch auf Bedenken stoßen, sie darüber hinaus noch auf den Bereich der Verwaltungsmaßnahmen auszudehnen. Ein rechtspolitisches Bedürfnis hierfür ist jedenfalls nicht erkennbar12. Nimmt man hinzu, dass für eine derartige Ausdehnung jeglicher Anhaltspunkt im Gesetz fehlt und 5 A d o l f f , ZHR 169 (2005), 310 (319 ff.); Baums, Gutachten, S. 202 f.; Bayer, N J W 2000, 2609 (2611); Habersack, Mitgliedschaft, S. 285 ff.; Hoffmann-Becking, ZHR 167 (2003), 357 (360ff.); Hopt, in: Großkomm. AktG, §93 Rdn.458; Krieger, ZHR 163 (1999), 343 (354); Markwardt, WM 2004, 211 (213); Mülhert, in: Großkomm. AktG, Vor §§ 118-147 Rdn.222; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §21 V 3 b (S. 649f.); Zöllner, ZGR 1988, 392 (415); i.E. auch schon Knohhe-Keuk, FS Ballerstedt, S.239 (251 ff.), die zwar allgemein von einem Recht des einzelnen Aktionärs auf gesetz- und satzungsgemäße Betätigung der Gesellschaft spricht, klagbare Ansprüche gegenüber Maßnahmen des Vorstands aber letztlich nur in Fällen gewähren will, in denen es sich nicht mehr um Maßnahmen der Geschäftsführung handelt. 6 Verhandlungen des 63. DJT, Sitzungsbericht, O 78 f. 7 Vgl. A d o l f f , ZHR 169 (2005), 310 (319 ff.); Habersack, Mitgliedschaft, S. 294 (unter Verweis auf die oben Fn. 4 angeführte Entscheidung BGHZ 76, 160 [168]); Hoffmann-Becking, ZHR 167 (2003), 357 (361); Krieger, ZHR 163 (1999), 343 (354). 8 Nachw. oben § 16 Fn. 30. 9 Dazu Habersack, Mitgliedschaft, S. 230,296 f.; Noack, Beschlüsse, S. 41 ff. 10 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 260 ff. 11 S. oben § 16 I 3 b bei Fn.36ff. 12 So auch Baums, Gutachten, S. 202 f.
§ 17 Ansprüche der benachteiligten
Gesellschafter
gegen die Gesellschaft
381
der historische Gesetzgeber zweifelsfrei nicht von einem umfassenden Recht der Gesellschafter auf gesetzes- und satzungsgemäßes Verhalten der Gesellschaft ausgegangen ist 13 , spricht alles dafür, es bei der h.M. zu belassen und ein solches Recht abzulehnen. Folglich kann sich nicht schon aus diesem Recht ein Anspruch der Gesellschafter auf Beseitigung eingetretener Ungleichbehandlungen ergeben. Von dem Gesagten macht die h.M. allerdings dann eine Ausnahme, wenn es um die Folgenbeseitigung eines auf Anfechtungsklage für nichtig erklärten Beschlusses der Anteilseignerversammlung geht. Hier wird ausnahmsweise allen Gesellschaftern ohne Rücksicht auf eine besondere eigene Betroffenheit ein Anspruch darauf gewährt, dass die Geschäftsleiter die Vollzugsfolgen wieder beseitigen14. Begreift man die Beseitigung der Vollzugsfolgen eines angefochtenen Beschlusses als Annex des Rechts auf gesetz- und satzungsmäßige Beschlussfassung15, erscheint diese Ausnahme in der Tat konsequent.
2. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Beseitigungsanspruchs a) Partielle Anerkennung
als Grundlage
durch die h.M.
Verneint man mit der h.M. ein allgemeines Recht der Gesellschafter auf gesetzund satzungsmäßige Betätigung der Gesellschaft, bleibt die Frage, ob sich stattdessen unmittelbar aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz Ansprüche der benachteiligten Gesellschafter auf Beseitigung von Gleichbehandlungsverstößen ableiten lassen. Anerkanntermaßen ist diese Frage zumindest in einzelnen Fallgruppen zu bejahen. So ist unstreitig, dass dem Gleichbehandlungsgrundsatz insoweit anspruchsbegründende Wirkung zukommt, als sich aus ihm unter bestimmten, unter Ziff. 3 noch näher zu untersuchenden Voraussetzungen Ansprüche auf Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes im Wege aktiver Gleichbehandlung ergeben können, also Ansprüche auf Gewährung gleichwertiger Vorteile, wie sie dem oder den begünstigten Gesellschaftern zugeflossen sind16. Für den Bereich des Informationsrechts ist der Anspruch auf aktive Gleichbehandlung in § 131 Abs. 4 AktG sogar ausdrücklich im Gesetz vorgeseDazu ausführlich Habersack, Mitgliedschaft, S. 286 ff. Baums, Gutachten, S.206; Habersack, Mitgliedschaft, S. 233 f. i.V.m. S.293; KnobbeKeuk, FS Ballerstedt, S. 239 (245 f.); vgl. auch RGZ 3,123 (138); abweichend Schulz- Gardyan, Aktionärsklage, S. 117, der nur (verschuldensabhängige) Ansprüche auf Naturalrestitution (§§ 280 Abs. 1,249 Abs. 1 BGB) gewähren will. 15 Vgl. Habersack, Mitgliedschaft, S.293: „Folgerecht" des Rechts auf gesetz- und satzungsmäßige Beschlussfassung. 16 Vgl. vorerst nur Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn.29; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 128; Hüffer, AktG, §53a Rdn. 12; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 35. 13 14
382
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
hen. Gleiches ist aber auch in weiteren Fällen anerkannt. So besteht Einigkeit, dass ein Gesellschafter die Zustimmung zur Veräußerung vinkulierter Anteile verlangen kann, wenn anderen Gesellschaftern die Zustimmung unter gleichen Voraussetzungen stets erteilt worden ist 17 . Ferner hat der BGH dem Gesellschafter einer GmbH einen Anspruch auf aktive Gleichbehandlung in Form einer Ausgleichszahlung zugesprochen, wenn alle übrigen Gesellschafter verdeckte Vermögenszuwendungen erhalten haben und die Gesellschaft es abgelehnt hat, diese von den begünstigten Gesellschaftern zurückzufordern 18 . Ein solcher Ausgleich komme immer dann in Betracht, wenn „bei Berücksichtigung der beiderseitigen Treuepflicht keine andere Lösung gangbar" erscheine, um den Gleichbehandlungsverstoß zu beheben 19 . Anderes soll aber - jedenfalls im Aktienrecht - dann gelten, wenn es darum geht, den Gleichbehandlungsverstoß nicht durch aktive Gleichbehandlung, sondern durch ein Vorgehen gegen den begünstigten Gesellschafter zu beseitigen. Insoweit wird dem Gleichbehandlungsverstoß keine anspruchsbegründende Wirkung beigemessen. So soll bei verdeckten Vermögenszuwendungen einer AG den benachteiligten Aktionären kein Anspruch gegen die Gesellschaft zustehen, dass diese ihren Rückgewähranspruch gegen den oder die begünstigten Aktionäre geltend macht; diese Entscheidung soll allein dem Vorstand zustehen 20 . In derselben Weise wird angenommen, dass bei einem gleichbehandlungswidrigen Erwerb eigener Aktien die benachteiligten Aktionäre keine rechtliche Handhabe besäßen, die Gesellschaft dazu zu zwingen, die Rückabwicklung des gleichbehandlungswidrigen Geschäfts zu betreiben 21 . Dagegen wird im GmbH-Recht ein Anspruch der benachteiligten Gesellschafter auf Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes durch die Gesell17 Allg.M.; vgl. für die AG LG Aachen 1992, 410 (412); G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 302; Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 29; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 123, 133; H ü f f e r , AktG, §53a Rdn. 12; Lutter, ZGR 1978, 347 (367); ders., in: Kölner Komm. AktG, §68 Rdn. 30; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 36; für die GmbH OLG Hamm NZG 2000, 1185 (1187); G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §15 Rdn. 46; H. Winter, in: Scholz, GmbHG, §14 Rdn. 48, §15 Rdn. 94. 18 BGH W M 1972, 931 (933 f.); ähnlich zuvor schon BGH N J W 1960, 2142 (2143 re.Sp.) zur e.G. 19 BGH W M 1972, 931 (933) unter Verweis auf BGH N J W 1960, 2142 (2143). 20 Ausdrücklich Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 30; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 141; i.E. auch Henze, in: Großkomm. AktG, § 62 Rdn. 54 ff.; Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 62 Rdn. 36; Bayer, in: MünchKomm. AktG, § 62 Rdn. 112 f.; Schulz-Gardyan, Aktionärsklage, S. 121 ff., die sich zwar in erster Linie gegen die actio pro socio wenden, aber auch sonst keine rechtliche Handhabe für den einzelnen Aktionär sehen, die Geltendmachung des Rückgewähranspruchs durchzusetzen. Implizit wird damit auch das Bestehen eines Anspruchs des einzelnen Aktionärs gegen die Gesellschaft geleugnet, dass diese ihren Rückgewähranspruch gegen den oder die begünstigten Aktionäre geltend macht. 21 Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 116 a.E.; vgl. auch Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 34 a.E.
§ 17 Ansprüche
der benachteiligten
Gesellschafter
gegen
die
Gesellschaft
383
schaft ohne Umschweife bejaht; die Einschränkung, dass die Gesellschafter ein Vorgehen der Gesellschaft gegen den begünstigten Gesellschafter nicht erzwingen könnten, findet sich hier nicht 22 . Die Frage, ob den benachteiligten Gesellschaftern Ansprüche darauf zustehen, dass die Gesellschaft ihre Ansprüche gegen den begünstigten Gesellschafter geltend macht, hat hier allerdings nicht dieselbe Bedeutung wie im Aktienrecht. Im GmbH-Recht steht den benachteiligten Gesellschaftern nämlich bereits die Möglichkeit offen, im Wege der actio pro socio (oder actio pro societate) als Prozessstandschafter die (Rückgewähr-) Ansprüche der Gesellschaft selbst gegen die begünstigten Gesellschafter durchzusetzen 2 3 . Im Aktienrecht besteht diese Möglichkeit dagegen nach h.M. nicht, da die actio pro socio hier außerhalb der gesetzlich normierten Spezialfälle (§§ 309 Abs. 4 Satz 1 und 2, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 sowie nunmehr § 148 AktG n.F. 24 ) überwiegend abgelehnt wird 2 5 . b) Weiterentwicklung zu einem umfassenden bei Gleichbehandlungsverstößen
Beseitigungsanspruch
aa) Weshalb die h.M. im Aktienrecht einen Anspruch auf Beseitigung von Gleichbehandlungsverstößen dort verneint, wo es u m ein Vorgehen der Gesellschaft gegen den begünstigten Gesellschafter geht, wird selten näher begründet. Im Wesentlichen lassen sich zwei Begründungsstränge ausmachen. Zum ersten wird geltend gemacht, dass die Zuerkennung von Ansprüchen gegen die Gesellschaft, ihrerseits gegen den oder die begünstigten Aktionärer vorzugehen, auf die Anerkennung einer „Drittwirkung" des Gleichbehandlungsgebots hinauslaufe. Den Gesellschaftsorganen werde mit der Verpflichtung zum Vorgehen gegen den begünstigten Gesellschafter eine Verhaltens22 Vgl. T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 14 Rdn. 107, der allgemein von einem Anspruch der benachteiligten Gesellschafter auf „Wiederherstellung der Gleichheit" durch die Gesellschaft spricht. Dieser Anspruch sei wahlweise durch Inanspruchnahme des bevorzugten Gesellschafters (Rückgewähr der empfangenen Vorteile) oder Gewährung einer gleichartigen Leistung (aktive Gleichbehandlung) zu erfüllen; zustimmend etwa Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 135; H. Winter, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rdn.48. 23 Zur Anerkennung der actio pro socio im GmbH-Recht vgl. vorerst nur G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rdn. 37 ff.; näher unten § 19 I 2 a. Unter actio pro socio (oder actio pro societate) wird hier in Ubereinstimmung mit dem heute herrschenden Begriffsverständnis ausschließlich eine Klage verstanden, mit der das Einzelmitglied einen Anspruch der Gesellschaft als Prozessstandschafter im eigenen Namen geltend macht; vgl. zu dieser Terminologie etwa Baums, Gutachten, S. 199 f.; Mülbert, in: Großkomm. AktG, Vor §§118-147, Rdn. 227; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §21 IV 1 a (S. 629); abweichend Flume, AT 1/2, § 8 V 1 (S. 302); Schanbacher, AG 1999, 21 (26 ff.); Altmeppen, FS Musielak, S. 1 ff. 24 Eingeführt mit Wirkung zum 1.11.2005 durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts ( U M A G ) vom 22.9.2005, BGBl. 1,2802. 25 Vgl. vorerst nur Baums, Gutachten, S.200f.; Habersack, DStR 1998, 533 (533 f., 537); näher unten § 19 12 b.
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4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
pflicht auferlegt, die sich nicht aus dem Rechtsverhältnis der Gesellschaft zu dem anspruchstellenden Aktionär, sondern aus dem Verhältnis der Gesellschaft zu dem begünstigten Aktionär ergebe. Eine derartige Drittwirkung komme dem Gleichbehandlungsgebot aber nicht zu; vielmehr gehe sie über das in § 53a A k t G normierte Schutzrecht hinaus 26 . Sonderlich überzeugend ist diese Argumentation indes nicht. Es ist gerade die Frage, ob sich die Pflicht der Gesellschaft, gegen den begünstigten Aktionär vorzugehen, nicht doch schon aus dem Rechtsverhältnis der Gesellschaft zu den benachteiligten Aktionären ergibt. Immerhin liegt gerade in diesem Verhältnis der Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor. Es wäre daher - wie auch der Blick auf die G m b H bestätigt - konstruktiv ohne weiteres möglich, aus diesem Rechtsverhältnis einen Anspruch der benachteiligten Aktionäre auf ein Vorgehen der Gesellschaft gegen den begünstigten Aktionär abzuleiten. Gewiss würde sich dies mittelbar zu dessen Lasten auswirken. Schutzwürdige Interessen des begünstigten Aktionärs würden dadurch aber nicht betroffen. Mehr Gewicht hat der zweite Grund, der sich f ü r die h.M. im Aktienrecht anführen lässt. Die Gewährung eines Anspruchs der benachteiligten Aktionäre gegen die Gesellschaft, dass diese ihrerseits gegen den begünstigten Gesellschafter vorzugehen hat, scheint zumindest auf den ersten Blick der Gewährung einer actio pro socio sehr nahe zu kommen. Formal handelt es sich bei der hier interessierenden Frage zwar nicht darum, den benachteiligten Aktionären zu ermöglichen, als Prozessstandschafter die Ansprüche der Gesellschaft gegen den begünstigten Aktionär durchzusetzen, sondern um die Gewährung eines eigenen Anspruchs, der gegen die Gesellschaft gerichtet ist. Das praktische Ergebnis scheint aber in beiden Fällen dasselbe zu sein: Hier wie dort ist das Anliegen des klagenden Aktionärs letztlich darauf gerichtet, dass gegen den Willen des eigentlich zuständigen Gesellschaftsorgans (des Vorstands) ein Anspruch der Gesellschaft durchgesetzt wird. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, aus der grundsätzlichen Ablehnung der actio pro socio im Aktienrecht darauf zu schließen, dass damit zugleich Ansprüche ausgeschlossen sein sollen, die gegen die Gesellschaft gerichtet sind und diese zur Verfolgung ihrer Ansprüche anhalten sollen 27 . bb) Bei näherer Betrachtung stellen sich allerdings Zweifel ein, ob an dieser Auffassung festzuhalten ist. Dies gilt auch dann, wenn man der - nicht unumstrittenen - Prämisse folgt, dass die actio pro socio im Aktienrecht tatsächlich auf die gesetzlich geregelten Fälle der §§ 148, 309 Abs. 4 Satz 1 und 2, 310 Abs. 4, 26
So Henze/Notz, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 53a Rdn. 140. So offenbar die Überlegung von Henze/Notz, in: G r o ß k o m m . A k t G , §53a Rdn. 141 (i.V.m. Henze, G r o ß k o m m . A k t G , § 62 Rdn. 54 ff.): Ein direkter oder indirekter Zwang auf die Gesellschaft, ihre Ansprüche geltend zu machen, sei unvereinbar mit der „eindeutigen rechtlichen Konzeption", dass eine actio pro socio ausgeschlossen sei und die Anspruchsverfolgung allein dem Vorstand obliege. 27
§ 17 Ansprüche der benachteiligten
Gesellschafter
gegen die Gesellschaft
385
317 Abs. 4,318 Abs. 4 AktG (einschließlich punktueller Erweiterungen im Wege der Analogie) beschränkt ist. Selbst wenn man davon ausgeht, dass den gleichbehandlungswidrig benachteiligten Aktionären keine actio pro socio zu gewähren ist, trägt dies nämlich bei genauem Hinsehen nicht die Schlussfolgerung, dass damit auch gegen die Gesellschaft gerichtete Ansprüche, die diese zur Geltendmachung ihrer Ansprüche anhalten sollen, ausgeschlossen sein müssen. Sehr zweifelhaft ist schon, ob man von der prozessualen Regelung, dass grundsätzlich keine actio pro socio gewährt wird, überhaupt Rückschlüsse auf die materielle Rechtslage ziehen kann. Aber auch unabhängig davon zeigt eine nähere Betrachtung, dass zwischen der Gewährung der actio pro socio und der Anerkennung eines Anspruchs gegen die Gesellschaft, ihrerseits gegen den begünstigten Gesellschafter vorzugehen, erhebliche Unterschiede bestehen. Die Gewährung der actio pro socio ist vor allem deshalb problematisch, weil sie in die - in der AG besonders strenge - Zuständigkeitsordnung der Gesellschaft eingreift. Für die Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft ist gemäß § 76 Abs. 1 AktG grundsätzlich der Vorstand zuständig, nicht die Hauptversammlung (§ 119 Abs. 2 AktG) und erst recht nicht der einzelne Aktionär. Für die Überwachung der Tätigkeit des Vorstands hat der Gesetzgeber mit dem Aufsichtsrat eigens ein besonderes Kontrollorgan geschaffen. Angesichts dessen würde es einen gravierenden Eingriff in die Zuständigkeitsordnung bedeuten, wenn man einzelnen Aktionären erlauben würde, die dem Vorstand obliegende und vom Aufsichtsrat überwachte Verfolgung von Ansprüchen der Gesellschaft selbst zu übernehmen. Dem lässt sich beim Vorliegen eines Gleichbehandlungsverstoßes zwar entgegenhalten, dass weder dem Vorstand noch dem Aufsichtsrat eine Kompetenz zusteht, rechtswidrig zu handeln 28 , und damit auch keine Kompetenz, Gleichbehandlungsverstöße zu begehen bzw. nicht zu beseitigen. Wenn der Gleichbehandlungsverstoß bereits erweislich feststeht, besteht daher kein schutzwürdiges Entscheidungsermessen des Vorstands und des Aufsichtsrats mehr, von einer Behebung des Gleichbehandlungsverstoßes abzusehen. Demgegenüber ist jedoch zu bedenken, dass im Zeitpunkt der Erhebung der actio pro socio gerade noch nicht geklärt ist, ob tatsächlich ein Gleichbehandlungsverstoß vorliegt. Würde man die actio pro socio gleichwohl zulassen, würde also in die Zuständigkeit der Verwaltungsorgane eingegriffen, obwohl noch gar nicht gesichert ist, dass diese sich rechtswidrig verhalten haben. Zudem würde auch ein etwaiges Wahlrecht des Vorstands beeinträchtigt, den Gleichbehandlungsverstoß auf andere Weise als durch ein Vorgehen gegen den begünstigten Aktionär zu beseitigen (nämlich durch aktive Gleichbehandlung) 29 . Und schließlich würden durch die Gewährung der actio pro socio auch die Interessen des begünstigten Gesellschafters 28 Vgl. Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 320: „Eine Kompetenzzuweisung für rechtswidriges Handeln kennt das Gesetz nicht." 2 9 Zur Frage des Wahlrechts näher unten Ziff. 3 c.
386
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
betroffen, der sich einer unüberschaubaren Zahl von Aktionären gegenüber sähe, die ihn jeweils mit der Erhebung einer Klage bedrohen könnten, obwohl zwischen diesen und der Gesellschaft noch gar nicht geklärt ist, ob tatsächlich ein Gleichbehandlungsverstoß vorliegt. Diese Bedenken gegen die actio pro socio treffen aber auf den hier interessierenden, gegen die Gesellschaft gerichteten Anspruch auf Beseitigung eines eingetretenen Gleichbehandlungsverstoßes nicht zu. Ein wie auch immer gearteter Eingriff in Zuständigkeiten des Vorstands oder des Aufsichtsrats ist bei Anerkennung eines solchen Anspruchs nicht zu befürchten. Zwar kann der benachteiligte Aktionär im Fall des Obsiegens erzwingen, dass der Vorstand den Anspruch der Gesellschaft gegen den gleichbehandlungswidrig begünstigten Aktionär geltend macht, wenn eine anderweitige Beseitigung des Verstoßes nicht möglich ist oder von der Gesellschaft nicht unternommen wird. Das ist aber unbedenklich, da in diesem Zeitpunkt bereits feststeht, dass ein Gleichbehandlungsverstoß vorliegt, und dem Vorstand keine Kompetenz zusteht, sich rechtswidrig zu verhalten und den Gleichbehandlungsverstoß aufrechtzuerhalten. Auch ein etwaiges Wahlrecht, den Gleichbehandlungsverstoß statt durch Vorgehen gegen den begünstigten Aktionär durch aktive Gleichbehandlung zu beseitigen, wird durch die Gewährung eines allgemeinen Beseitigungsanspruchs nicht beeinträchtigt. Sollten tatsächlich mehrere Arten der Beseitigung des Verstoßes möglich sein, lässt sich dem ohne weiteres dadurch Rechnung tragen, dass der Anspruch wahlweise (d.h. nach Wahl des Schuldners) auf die eine oder andere Beseitigungsart gerichtet ist30. Schließlich werden auch die Interessen des begünstigten Gesellschafters nicht in derselben Weise tangiert wie bei Zulassung der actio pro socio. cc) Vor diesem Hintergrund lässt sich allein aus dem (grundsätzlichen) Ausschluss der actio pro socio im Aktienrecht nicht darauf schließen, dass auch ein gegen die Gesellschaft gerichteter Anspruch, ihrerseits den oder die begünstigten Aktionäre in Anspruch zu nehmen, ausgeschlossen sein müsste. Im Gegenteil streiten bei Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz schwerwiegende, ja sogar zwingende Gründe für die Anerkennung eines umfassenden Anspruchs auf Beseitigung des Verstoßes, mag diese auch darin bestehen, dass die Gesellschaft ihrerseits gegen den begünstigten Gesellschafter vorgehen muss. Wie dargelegt ist in einer Reihe von Fällen bereits anerkannt, dass Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz anspruchsbegründende Wirkung haben und einen Anspruch auf aktive Gleichbehandlung entstehen lassen. Die aktive Gleichbehandlung einerseits und das Vorgehen gegen den begünstigten Gesellschafter andererseits sind aber keine grundverschiedenen Rechtsfolgen, sondern letztlich nur zwei Spielarten ein- und desselben Rechtsschutzziels, nämlich der Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes. Erkennt man dies, 30
Zu den Einzelheiten unten Ziff. 3 c.
5 17 Ansprüche
der benachteiligten
Gesellschafter
gegen
die Gesellschaft
387
zeigt sich, wie unstimmig es ist, im einen Fall Ansprüche der benachteiligten Gesellschafter zu bejahen, im anderen Fall aber zu verneinen. Letztlich hängt es damit vom Zufall ab, ob Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz Ansprüche der Gesellschafter auf Beseitigung des Verstoßes nach sich ziehen oder nicht: Ist aktive Gleichbehandlung möglich, kommt ein Anspruch in Betracht; ist aktive Gleichbehandlung nicht möglich (z.B. weil die Kapitalerhaltungsregeln entgegenstehen), sollen dagegen jegliche Ansprüche ausscheiden, auch wenn sie nicht auf aktive Gleichbehandlung, sondern auf anderweitige Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes gerichtet sind. Diese Differenzierung vermag nicht einzuleuchten; vielmehr erscheint es als ein Gebot der Systemgerechtigkeit, nicht nur in den anerkannten Fällen der aktiven Gleichbehandlung, sondern generell einen (verschuldensunabhängigen) Anspruch der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft auf Beseitigung der Ungleichbehandlung anzuerkennen, der sich unmittelbar aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ergibt. Nur diese Lösung wird auch dem Umstand gerecht, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz im Aktienrecht durch das Gemeinschaftsrecht vorgegeben ist. Wie dargelegt verlangt der EuGH in ständiger Rechtsprechung, dass die im nationalen Recht vorgesehenen Sanktionen von Verstößen gegen angeglichenes Recht - und damit auch gegen den durch die Kapital-RL und die TransparenzRL vorgegebenen Gleichbehandlungsgrundsatz - „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend" sein müssen31. Beließe man es bei der bisher h.M., wäre dieser Anforderung nicht hinreichend Rechnung getragen. Immer dann, wenn ein Gleichbehandlungsverstoß nur durch ein Vorgehen gegen den begünstigten Aktionär beseitigt werden kann, hätten die benachteiligten Aktionäre keine unmittelbare Handhabe, die Beseitigung des Verstoßes durchzusetzen. Dieses Rechtsschutzdefizit wiegt umso schwerer, als der Vorstand häufig nicht geneigt sein wird, die Ansprüche gegen den begünstigten Gesellschafter geltend zu machen, liegt darin doch das Eingeständnis, zuvor selbst einen Gleichbehandlungsverstoß begangen zu haben. Die Anhänger der h.M. räumen denn auch selbst ein, dass der von ihr angenommene Ausschluss der Rechtsverfolgung durch die benachteiligten Aktionäre zu gravierenden Defiziten in der tatsächlichen Durchsetzung an sich begründeter Ansprüche führe 32 . Angesichts dessen ist es mit Blick auf das gemeinschaftsrechtliche Effektivitätsprinzip nicht zuletzt ein Gebot der richtlinienkonformen Auslegung, dass dieser Schwäche in der Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebots abgeholfen wird. Auch dieser Gesichtspunkt spricht somit entscheidend dafür, den benachteiligten Aktionären Ansprüche darauf zuzuerkennen, dass die Gesellschaft Gleichbehandlungsverstöße ggf. auch durch ein Vorgehen gegen den begünstigten Aktionär S. oben § 6 II 5. Vgl. Henze, in: Großkomm. AktG, §62 Rdn. 54 a.E.; Bayer, in: MünchKomm. AktG, §62 Rdn. 111; Lutter, in: Kölner Komm. AktG, §62 Rdn. 37. 31
32
388
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
beseitigt. Da der deutsche Gesetzgeber derartige Ansprüche jedenfalls nicht eindeutig ausgeschlossen hat, werden dadurch die - ohnehin sehr weit gezogenen 33 - Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung nicht überschritten. dd) Einzuräumen ist allerdings, dass durch die Anerkennung eines derart umfassenden Beseitigungsanspruchs gegen ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen ein vergleichsweise weites Feld für Aktionärsklagen eröffnet wird. Dies gilt erst recht, wenn man mit der hier vertretenen Auffassung auch materielle Ungleichbehandlungen einer Prüfung am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes unterstellt. Die Bedenken, die gegen eine zu großzügige Zulassung von Abwehrklagen der Aktionäre vorgetragen werden, namentlich dass sie die Geschäftsführung der Gesellschaft behindere und in die Kompetenzverteilung der Gesellschaft eingreife 34 , richten sich allerdings primär gegen den vorbeugenden Unterlassungsanspruch und darauf gestützte einstweilige Verfügungen, weniger gegen die hier bejahte Beseitigung expost. Auf die genannten Bedenken wird deshalb erst im Rahmen des Unterlassungsanspruchs einzugehen sein 35 . cj Anspruchsberechtigte;
Abgrenzung
zu anderen
Anspruchsgrundlagen
Der im Vorstehenden bejahte Anspruch auf Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes steht lediglich denjenigen Gesellschaftern zu, die durch die gleichbehandlungswidrige Maßnahme benachteiligt worden sind und nicht durch Zustimmung auf die Beachtung des Gleichbehandlungsgebots verzichtet haben. Die übrigen Gesellschafter können den Anspruch nicht geltend machen, da ein allgemeines Recht auf gesetz- und satzungsmäßiges Verhalten der Gesellschafter nicht anzuerkennen ist 36 . Zu betonen ist, dass sich der Beseitigungsanspruch unmittelbar aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ergibt. Es handelt sich also um einen Anspruch, welcher der Sonderverbindung zwischen Gesellschafter und Gesellschaft entstammt. Ob der Beseitigungsanspruch daneben auch auf eine deliktische Grundlage (§ 823 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog) gestützt werden kann, mag an dieser Stelle dahinstehen. Bedeutung erlangen etwaige deliktische Ansprüche erst für die Frage, ob neben der Gesellschaft auch einzelne Organwalter belangt werden können 37 . 33 Statt vieler Canaris, FS Bydlinski, S.47 (57ff., 67ff., 70): Richtlinienkonforme Auslegung geht anderen Auslegungskriterien „bis zur Grenze des unzulässigen Contra-LegemJudizierens" vor. Vgl. zuletzt auch die viel diskutierte Entscheidung EuGH, Rs. C-397/01, Slg. 2004, 1-8835, R d n . l l 3 f f . ; dazu etwa Konzen, SAE 2005, 33 ff.; ders., ZfA 2005, 189 (197ff.); Riesenhuber/Domröse, R I W 2005,47ff.; Thüsing, ZIP 2004, 2301 ff. 34 Nachw. oben in Fn. 5, 7. 35 S. unten Ziff. III. 36 S. oben Ziff. 1. 37 Dazu unten §18.
§ 17 Ansprüche
der benachteiligten
Gesellschafter
3. Inhalt des Beseitigungsanspruchs: Vorgehen gegen den Begünstigten oder aktive Benachteiligten? der
gegen die Gesellschaft
389
Gleichbehandlung
Der Anspruch richtet sich allgemein auf Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes. Hierfür kommen grundsätzlich sowohl das Vorgehen gegen den Begünstigten mit dem Ziel, diesem den gleichbehandlungswidrigen Vorteil zu entziehen, als auch die Gewährung aktiver Gleichbehandlung in Betracht. Vielfach ist jedoch eine dieser beiden Vorgehensweisen entweder tatsächlich unmöglich oder rechtlich unzulässig. In diesen Fällen konzentriert sich der Anspruch auf die verbleibende Möglichkeit der Beseitigung des Verstoßes, also entweder die aktive Gleichbehandlung (lit. a) oder das Vorgehen gegen den Begünstigten (lit. b). Bestehen dagegen mehrere Möglichkeiten der Beseitigung, stellt sich die Frage, ob zwischen diesen ein Wahlrecht besteht und wem dieses ggf. zusteht (lit. c). Ist umgekehrt eine Beseitigung des Verstoßes gänzlich unmöglich, kommen allenfalls Schadensersatzansprüche in Betracht (Ziff. II).
a) Aktive
Gleichbehandlung
Nicht selten lässt sich die Ungleichbehandlung allein dadurch beseitigen, dass den benachteiligten Gesellschaftern aktive Gleichbehandlung gewährt wird. In diesen Fällen besteht ein Anspruch der benachteiligten Gesellschafter darauf, dass die Gleichheit auf eben diese Weise wiederhergestellt wird. aa) Als Beispiel lässt sich zunächst der bereits genannte Fall der Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Anteile anführen, die anderen Gesellschaftern unter gleichen Voraussetzungen stets erteilt worden ist, nunmehr aber verweigert wird. Der Gleichbehandlungsverstoß lässt sich hier nur dadurch beheben, dass dem betroffenen Gesellschafter die Zustimmung doch noch erteilt wird. Eine andere Art der Beseitigung des Verstoßes scheidet aus, da ein Widerruf der in den früheren Fällen wirksam erteilten Zustimmungen sowie die Rückabwicklung der mit diesen Zustimmungen vollzogenen Veräußerungen nicht mehr möglich sind. Somit muss der Beseitigungsanspruch in diesem Fall auf die Erteilung der Zustimmung, d.h. auf aktive Gleichbehandlung gerichtet sein 38 . bb) Ebenso verhält es sich, wenn der Gleichbehandlungsverstoß darin besteht, dass einzelnen Gesellschaftern in der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung ohne sachliche Rechtfertigung eine besonders ausgedehnte Redeund Fragezeit zugestanden worden ist. Da dieser Realakt nicht rückabgewickelt werden kann, bleibt als einzige Möglichkeit der Beseitigung des Verstoßes, anderen interessierten Gesellschaftern eine vergleichbare Frage- und Redezeit einzuräumen. Folglich konzentriert sich der Anspruch auch hier auf aktive 38
Im Ergebnis allg.M.; vgl. die Nachw. in Fn. 17.
390
4. Kapitel:
Rechtsfolgen und prozessuale
Geltendmachung
Gleichbehandlung 3 9 . Freilich setzt dies voraus, dass aktive Gleichbehandlung in derselben V e r s a m m l u n g überhaupt zeitlich möglich ist 4 0 . Ist dies aber der Fall und wird dem Verlangen auf aktive Gleichbehandlung gleichwohl nicht Folge geleistet, k a n n dies die A n f e c h t b a r k e i t der in der V e r s a m m l u n g gefassten B e schlüsse begründen, da diese verfahrensfehlerhaft, nämlich unter Verletzung des durch aktive Gleichbehandlung erweiterten R e d e - und Fragerechts, zustande g e k o m m e n sind 4 1 . cc) Entsprechendes gilt, w e n n die Gesellschaft einzelne Gesellschafter in gleichbehandlungswidriger Weise besonders informiert hat. D a auch hier eine R ü c k a b w i c k l u n g nicht möglich ist, bleibt zur Beseitigung der U n g l e i c h b e h a n d lung w i e d e r u m nur aktive Gleichbehandlung, in diesem Fall durch N a c h i n f o r mation der übrigen Gesellschafter. I m A k t i e n r e c h t ordnet denn auch § 131 A b s . 4 A k t G , der einen besonderen Anwendungsfall des A n s p r u c h s auf Beseitigung von Ungleichbehandlungen kodifiziert 4 2 , gerade diese Rechtsfolge ausdrücklich an. Zugleich enthält die V o r s c h r i f t allerdings eine B e s c h r ä n k u n g des A n s p r u c h s , soweit sie die N a c h i n f o r m a t i o n nicht sofort, sondern erst in der nächsten H a u p t v e r s a m m l u n g anordnet. A u f die umstrittene K o n k u r r e n z f r a g e , o b diese Regelung als abschließend zu verstehen ist, so dass f ü r einen unmittelbar aus § 53a A k t G abgeleiteten A n s p r u c h auf sofortige
Nachinformation
außerhalb der H a u p t v e r s a m m l u n g kein R a u m verbleibt, oder o b ein solcher A n s p r u c h neben denjenigen aus § 131 A b s . 4 A k t G tritt, wird n o c h gesondert einzugehen sein 4 3 . dd) E i n A n s p r u c h auf aktive Gleichbehandlung k a n n sich ferner auch im R a h m e n von verdeckten Vermögenszuwendungen ergeben. A u c h hier k a n n sich die Situation so darstellen, dass ein Vorgehen gegen den begünstigten G e sellschafter auf R ü c k g e w ä h r des gleichbehandlungswidrigen Vorteils - z . B . infolge Zahlungsunfähigkeit des begünstigten Gesellschafters - aussichtslos ist. In diesem Fall bildet die G e w ä h r u n g aktiver Gleichbehandlung die einzige Möglichkeit, den Gleichbehandlungsverstoß zu beseitigen. Voraussetzung ist freilich, dass sie rechtlich zulässig ist und nicht mit den gläubigerschützenden Regeln der Kapitalerhaltung (§§ 57 A k t G , 30 G m b H G ) in K o n f l i k t gerät. I m G m b H - R e c h t ist das ohne weiteres denkbar, solange das S t a m m k a p i t a l der G e sellschaft unangetastet bleibt 4 4 . A b e r auch im A k t i e n r e c h t scheidet aktive Ebenso Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 135. Vgl. He«ze/7Vofz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 135 i.V.m. 129. 41 A.A. offenbar Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 135, die den benachteiligten Aktionär auf entsprechende Redezeit in der nächsten Hauptversammlung verweisen wollen. 42 Dazu, dass § 131 Abs. 4 AktG allgemein als besondere Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes angesehen wird, bereits oben § 15 I 3 abb mit Fn. 54-55 43 S. unten §22 I 3. 44 Für aktive Gleichbehandlung in Form einer Ausgleichszahlung in einem solchen Fall auch BGH WM 1972, 931 (933 f.); zustimmend etwa H. Winter, in: Scholz, GmbHG, §14 39 40
§ 17 Ansprüche der benachteiligten
Gesellschafter gegen die Gesellschaft
391
Gleichbehandlung bei verdeckten Vermögenszuwendungen t r o t z der strikten Vermögensbindung des § 57 A k t G nicht generell aus. Soweit n ä m l i c h freie R ü c k l a g e n bestehen, steht nichts entgegen, diese aufzulösen, in ausschüttungsfähigen B i l a n z g e w i n n zu ü b e r f ü h r e n und in der nächsten H a u p t v e r s a m m l u n g eine entsprechend höhere Ausschüttung f ü r alle A k t i o n ä r e zu beschließen. W e n n die Gesellschaft zugleich ihre RückZahlungsforderung aus § 62 A b s . 1 Satz 1 A k t G gegen den Dividendenanspruch des begünstigten A k t i o n ä r s aufrechnet, ist damit der Gleichbehandlungsverstoß b e h o b e n 4 5 . Sofern darin die einzige Möglichkeit liegt, den Gleichbehandlungsverstoß zu beseitigen, besteht nach der hier vertretenen Auffassung ein A n s p r u c h der benachteiligten Gesellschafter, dass dieser Weg beschritten wird 4 6 . E i n e andere Frage ist es, o b man diese Vorgehensweise tatsächlich n o c h als aktive Gleichbehandlung bezeichnen will. Dagegen wird eingewandt, dass die A u f r e c h n u n g letztlich nur eine besondere F o r m der R ü c k f o r d e r u n g v o m B e günstigten darstelle 4 7 . D i e s e r E i n w a n d ändert indes nichts an der Tatsache, dass die beschriebene Vorgehensweise eben nicht nur ein Vorgehen gegen den B e günstigten beinhaltet, sondern auch eine E r s t r e c k u n g des gewährten Vorteils auf alle anderen A k t i o n ä r e mit sich bringt. In diesem Sinne lässt sich durchaus von aktiver Gleichbehandlung sprechen. N a c h der hier vertretenen Auffassung handelt es sich aber o h n e h i n u m eine rein terminologische Frage, welche die Entscheidung in der Sache nicht präjudiziert 4 8 . ee) E i n A n s p r u c h auf aktive G l e i c h b e h a n d l u n g k o m m t schließlich, u m ein letztes Beispiel zu geben, u n t e r engen V o r a u s s e t z u n g e n auch b e i m gleichbeh a n d l u n g s w i d r i g e n E r w e r b eigener A n t e i l e in B e t r a c h t . W e n n ein V o r g e h e n gegen den B e g ü n s t i g t e n - aus welchen G r ü n d e n auch i m m e r - a u s n a h m s w e i s e keinen E r f o l g verspricht, bleibt als einzige L ö s u n g z u r B e s e i t i g u n g des G l e i c h b e h a n d l u n g s v e r s t o ß e s , dass die G e s e l l s c h a f t z u denselben K o n d i t i o n e n auch Rdn. 48; für den hier interessierenden Fall, dass die Rückgängigmachung der verdeckten Vermögenszuwendung nicht möglich ist, auch M. Winter, ZHR 148 (1984), 579 (600); ders., Treuebindungen, S. 238. 45 Vgl. zu dieser Vorgehensweise schon Lutter ZGR 1978, 347 (365 ff.); Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 38ff.; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 137 ff. 46 Insoweit wie hier Lutter ZGR 1978, 347 (367f.); Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 38 ff., die aber noch weiter gehen und einen Anspruch auf aktive Gleichbehandlung auch dann gewähren wollen, wenn auch noch andere Möglichkeiten bestehen, den Verstoß zu beseitigen; dazu sogleich unter lit. c. Abweichend (kein Anspruch) Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 140 f.; zweifelnd auch Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 32. 47 Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 140. 48 Auf dem Boden der traditionellen Auffassung, die danach differenziert, ob aktive Gleichbehandlung oder ein Vorgehen gegen den begünstigten Gesellschafter begehrt wird, und nur im ersten Fall eine anspruchsbegründende Wirkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für möglich hält, wäre die Frage dagegen entscheidend; vgl. Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 140 f.
392
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
von den übergangenen Gesellschaftern eigene Anteile zurückerwirbt 4 9 . Diese Lösung setzt freilich voraus, dass der Erwerb von den übergangenen Gesellschaftern gemäß §§ 71 A k t G , 33 G m b H G zulässig ist. Daran wird es häufig fehlen, z.B. weil bei einem gleichmäßigen Erwerb auch von allen anderen veräußerungswilligen Gesellschaftern die Erwerbsgrenze von 10 % des Grundkapitals überschritten würde (§ 71 Abs. 2 Satz 1 AktG) 5 0 oder nicht genügend freie Mittel vorhanden sind, um die Rücklage für eigene Anteile zu bilden (§§ 71 Abs. 2 Satz 2 A k t G , 33 Abs. 2 Satz 1 GmbHG). Wenn aber alle Voraussetzungen für den Erwerb von den übrigen Gesellschaftern gegeben sind und dies die einzige Möglichkeit der Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes darstellt, steht nach der hier vertretenen Auffassung nichts entgegen, einen Anspruch auf aktive Gleichbehandlung zu bejahen 51 . Dies gilt jedenfalls dann, wenn der gezahlte Kaufpreis angemessen war und ist, so dass ein Erwerb von den übergangenen Aktionären zu denselben Konditionen nicht mit den §§ 57 Abs. 1 A k t G , 30 Abs. 1 G m b H G in Konflikt gerät. Sollte der an den begünstigten Gesellschafter gezahlte Kaufpreis dagegen unangemessen hoch gewesen sein, darf der darin liegende Verstoß gegen § 57 Abs. 1 A k t G bzw. (bei Antastung des Stammkapitals) § 3 0 Abs. 1 G m b H G selbstverständlich nicht gegenüber den anderen Gesellschaftern wiederholt werden. Selbst in diesem Fall ist aktive Gleichbehandlung aber nicht vollkommen ausgeschlossen; insoweit gilt vielmehr das oben zur verdeckten Vermögenszuwendung Gesagte (lit. dd) entsprechend.
b) Vorgehen gegen den Begünstigten Umgekehrt kann in anderen Fällen das Vorgehen gegen den begünstigten Gesellschafter die einzige Möglichkeit darstellen, den Verstoß zu beseitigen. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn die Gewährung aktiver Gleichbehandlung 4 9 Dieselbe Rechtsfolge ergibt sich nicht schon aus dem Andienungsrecht der Aktionäre, das beim Erwerb eigener Aktien nach bestrittener Auffassung anzuerkennen ist (vgl. dazu unten § 21 II 1 c bb ). Ein solches Andienungsrecht besteht nämlich allenfalls anteilig im Verhältnis zu der Aktienzahl, die der Vorstand in Ausnutzung der Hauptversammlungsermächtigung zurückzuerwerben beschlossen hat. Wenn sich der Vorstandsbeschluss also auf 1.000 Aktien bezieht, hat der Aktionär A mit einer Kapitalbeteiligung von 10 % ein Andienungsrecht für 100 Aktien. Hat der Vorstand in gleichbehandlungswidriger Weise 1.000 Aktien von dem ebenfalls mit 10 % beteiligten Aktionär B erworben, richtet sich ein etwaiger Anspruch des A auf aktive Gleichbehandlung dagegen auf Andienung von 1.000 Aktien. 5 0 Zur Reformdiskussion um die Aufhebung der 10%-Grenze vgl. den Vorschlag der Kommission zur Änderung der Kapital-RL vom 21.9.2004, KOM (2004) 730 endg., sowie Oechsler, Z H R 170 (2006), 72 ff. 51 Vgl. auch Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 35, die aber anders als hier nicht fordern, dass die aktive Gleichbehandlung die einzige Möglichkeit darstellt, den Verstoß zu beseitigen. Ablehnend dagegen Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 147; Benckendorff, Eigene Aktien, S. 250 f.
§ 17 Ansprüche der benachteiligten
Gesellschafter
gegen die Gesellschaft
393
anders als in den soeben erörterten Fällen an den Vorschriften zur Kapitalerhaltung (§§ 57 AktG, 30 GmbHG) oder den Beschränkungen des Erwerbs eigener Anteile (§§ 71 AktG, 33 GmbHG) scheitert. Da sich in solchen Fällen der Gleichbehandlungsverstoß ausschließlich durch das Vorgehen gegen den begünstigten Gesellschafter beheben lässt, haben die benachteiligten Gesellschafter nach der hier vertretenen Ansicht einen Anspruch darauf, dass die Gesellschaft diesen Weg beschreitet. Sie können also gegenüber der Gesellschaft gerichtlich durchsetzen, dass diese die verdeckte Vermögenszuwendung, den gezahlten Kaufpreis für die eigenen Anteile etc. vom Begünstigten zurückfordert 52 . Anderes gilt nur, wenn ein Vorgehen gegen den Begünstigten von vornherein aussichtslos ist. Mangels Möglichkeit der Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes stellt sich dann nur noch die Frage nach etwaigen Schadensersatzansprüchen (dazu Ziff. II).
c) Wahlrecht zwischen
mehreren
Möglichkeiten
der
Beseitigung
aa) In den bisher behandelten Fällen bestand jeweils nur eine einzige Möglichkeit der Beseitigung der Ungleichbehandlung. Gibt es dagegen - wie häufig - mehrere tatsächlich mögliche und rechtlich zulässige Varianten, den Verstoß zu beseitigen, stellt sich die Frage, welcher Beseitigungsart der Vorzug zu geben ist. Der B G H hat hierzu ausgeführt, dass der benachteiligte Gesellschafter nicht ohne weiteres auf aktiver Gleichbehandlung bestehen könne, sondern diese nur in Betracht komme, wenn „unter Berücksichtigung der beiderseitigen Treuepflicht keine andere Lösung gangbar erscheint." 53 In der Literatur sind die Auffassungen geteilt. Im GmbH-rechtlichen Schrifttum wird häufig angenommen, dass der Gesellschaft ein Wahlrecht zustehe, auf welche Art sie den Verstoß beseitige54. Auch G. Hueck geht für den Regelfall davon aus, dass die Gesellschaft nicht zur aktiven Gleichbehandlung verpflichtet sei, sondern den Gleichbehandlungsverstoß wahlweise auch durch ein Vorgehen gegen den begünstigten Gesellschafter beseitigen könne. In Anlehnung an die vergleichbare Rechtslage im Arbeitsrecht 55 bestehe ein Anspruch auf aktive Gleichbehandlung allerdings dann, wenn ein einzelner von einer sonst allgemein gewährten Vergünstigung ausgenommen
A.A. für die AG die in Fn. 20-21 Genannten. B G H WM 1972, 931 (933); s. bereits oben bei Fn. 18-19. 54 Vgl. Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 135; Schiessl, in: MünchHdb. GmbH, §31 Rdn. 20; H. Winter, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rdn. 48; abweichend jetzt aber T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 14 Rdn. 107 (anders noch ders., in: Hachenburg, GmbHG, § 14 Rdn. 72). 55 Dort wird für Sonderleistungen (z.B. Gratifikationen) des Arbeitgebers angenommen, dass die willkürlich übergangenen Arbeitnehmer einen Anspruch auf aktive Gleichbehandlung haben; vgl. etwa Preis, in: Erfurter Komm. Arbeitsrecht, § 611 Rdn. 749; Weidenkaff, in: Palandt, B G B , §611 Rdn. 86; s. aber auch noch unten Fn. 67. 52 53
394
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
werde56. Als Beispiel nennt G. Hueck den Fall einer Gesellschaft, die Gegenstände des Gesellschaftsvermögens den Gesellschaftern zur privaten Nutzung überlasse und nur einzelne Gesellschafter hiervon ausnehme: hier entstehe für den übergangenen Gesellschafter ein entsprechender Rechtsanspruch 57 . Demgegenüber hat vor allem Lutter versucht, einen grundsätzlichen Vorrang der aktiven Gleichbehandlung zu begründen 58 . Das Interesse der benachteiligten Gesellschafter sei insbesondere dann, wenn sie nur in geringem Umfang an der Gesellschaft beteiligt seien, weniger auf den Entzug des Vorteils beim Begünstigten als vielmehr auf aktive Gleichbehandlung gerichtet. Ein Vorgehen gegen den begünstigten Gesellschafter führe nur dazu, dass „der eingefochtene Betrag in der großen Kasse der Gesellschaft verschwände". Stattdessen wollten die Gesellschafter an dem Erfolg des begünstigten Gesellschafters partizipieren, nicht diesen selbst in Frage stellen. Aktive Gleichbehandlung sei daher die „eigentliche Verwirklichung des Gleichbehandlungsgedankens" 59 . Ihr müsse daher in den Grenzen des rechtlich Zulässigen, was ggf. auch die Auflösung freier Rücklagen einschließe 60 , der Vorrang gebühren vor anderen Formen der Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes. Lutter hat diese Überlegungen anlässlich verdeckter Vermögenszuwendungen entwickelt, die zur Abwehr von Anfechtungsklagen gewährt werden. Offenbar sollen sie aber auch für andere Gleichbehandlungsverstöße gelten, namentlich für den gleichbehandlungswidrigen Erwerb eigener Aktien 61 . 56 Vgl. G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 300ff., insbes. 302; ihm folgend Ulmer, in: MünchKomm. B G B , § 705 Rdn. 252. 57 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.302. Als weiteres Beispiel führt er den oben lit. a aa genannten Fall der Zustimmung zur Veräußerung vinkulierter Anteile an. Dieser Fall ist indes - wie dargelegt - unproblematisch, da dort die aktive Gleichbehandlung die einzig mögliche Art der Beseitigung des Verstoßes darstellt. 58 Lutter, Z G R 1978, 347 (366 ff.); daran anschließend Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 35 f., 38 ff. Vgl. früher auch schon Ballerstedt, Kapital, S. 175 (Wahlrecht der Gesellschafter, statt Rückabwicklung aktive Gleichbehandlung zu verlangen); ebenso jetzt T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 14 Rdn. 107. 59 Lutter, Z G R 1978, 347 (366). 6 0 Dazu schon oben lit. a dd. 61 Vgl. Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 35.1m Grundsatz wie Lutter haben sich zuletzt auch Henze und Notz dafür ausgesprochen, den Gesellschaftern immer dann einen Anspruch auf aktive Gleichbehandlung zu gewähren, wenn diese tatsächlich möglich und rechtlich zulässig ist; vgl. Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 128 ff. Im Ergebnis bleiben sie allerdings deutlich hinter dem Vorschlag von Lutter zurück, da sie jedenfalls im Aktienrecht sowohl in den Fällen der verdeckten Vermögenszuwendung als auch des Erwerbs eigener Aktien davon ausgehen, dass aktive Gleichbehandlung jeweils nicht zulässig sei. In beiden Fällen bedürfe es nämlich der Aufrechnung mit dem Rückgewähranspruch der Gesellschaft aus §62 Abs. 1 Satz 1 AktG gegen den begünstigten Gesellschafter; dabei handele es sich nicht um aktive Gleichbehandlung, sondern um einen besonderen Fall der Rückforderung vom Begünstigten, auf die die benachteiligten Aktionäre keinen Anspruch hätten; Henze/Notz aaO., Rdn. 140 f., 147. Gegen diese Argumentation aber bereits oben lit. a dd, ee.
5 17 Ansprüche
der benachteiligten
Gesellschafter gegen die Gesellschaft
395
bb) Den Ausgangspunkt für die Entwicklung der eigenen Position muss die Überlegung bilden, dass dem Ziel der Gleichbehandlung genauso Rechnung getragen ist, wenn ein Sondervorteil entzogen wird, wie wenn der Vorteil auf alle erstreckt wird. Ein grundsätzlicher Vorrang für das eine oder das andere ist der ratio legis des Gleichbehandlungsgebots nicht zu entnehmen. Der These Lutters, dass die aktive Gleichbehandlung die „eigentliche Verwirklichung des Gleichbehandlungsgedankens" darstelle und ihr generell der Vorrang gebühre, ist deshalb zu widersprechen. Insbesondere trifft es nicht zu, dass die aktive Gleichbehandlung stets oder auch nur regelmäßig den Interessen der Gesellschafter besser entspreche als der Entzug des Sondervorteils vom Begünstigten. Abgesehen davon, dass offen bleibt, warum gerade die Interessen der Gesellschafter und nicht diejenigen der Gesellschaft den Ausschlag geben sollen, muss es keineswegs so sein, dass die aktive Gleichbehandlung dem Interesse der Gesellschafter besser dient. Für die Gesellschaft kann es einschneidende und u.U. sogar fatale Folgen haben, wenn sie stets bis an die Grenze des gebundenen Kapitals aktive Gleichbehandlung leisten müsste. An einer derart gravierenden Beeinträchtigung des Gesellschaftsinteresses kann auch den benachteiligten Gesellschaftern vernünftigerweise nicht gelegen sein. Einzuräumen ist allerdings, dass von der einschneidenden Rechtsfolge der aktiven Gleichbehandlung ein nicht zu unterschätzender Präventionseffekt ausginge. Auch dieser Gedanke vermag einen grundsätzlichen Vorrang der aktiven Gleichbehandlung indes nicht zu rechtfertigen. Das gemeinschaftsrechtliche Effektivitätsgebot verlangt zwar, dass Verstöße gegen den gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Gleichbehandlungsgrundsatz durch hinreichend abschreckende Sanktionen bewehrt werden. Es geht aber nicht so weit, dass regelrecht drakonische Sanktionen angeordnet werden müssen. Die vom E u G H ständig verwandte Formel („wirksam, verhältnismäßig und abschreckend") 62 bringt dies deutlich zum Ausdruck. Anstatt den Gesellschaftern einen Anspruch auf aktive Gleichbehandlung einzuräumen, spricht deshalb mehr dafür, der Gesellschaft ein Wahlrecht einzuräumen, auf welche Weise der Verstoß behoben wird 63 . Damit ist dem Gleichbehandlungsgebot Genüge getan, ohne das Gesellschaftsinteresse unnötig zu beeinträchtigen. Diese Lösung entspricht zugleich dem, was auch sonst in vergleichbaren Situationen anerkannt ist: Auch in anderen Fällen, in denen das Gesetz nur einen bestimmten Handlungserfolg vorschreibt, ohne die genauen Modalitäten der Erfüllung zu spezifizieren - etwa beim Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB - , wird angenommen, dass bei mehreren Möglichkeiten der Erfüllung das Wahlrecht beim Schuldner liegt 64 . Da der Anspruch auf verschiedene 62
S. oben §6 II 5. So auch die in Fn. 54 Genannten. 64 Vgl. zu § 1004 BGB Gursky, in: Staudinger, BGB, § 1004 Rdn. 143 m.w.Nachw.; zur Vollstreckung eines nur den Handlungserfolg bezeichnenden Urteils B G H N J W 1995, 3189 (3190). 63
396
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
Leistungsgegenstände gerichtet ist und somit eine Wahlschuld i.S. der §§ 262 ff. BGB vorliegt 65 , lässt sich für diese Lösung zudem die Auslegungsregel des § 262 BGB anführen. Entgegen der Auffassung von G. Hueck entfällt das Wahlrecht der Gesellschaft auch nicht dann, wenn die Ungleichbehandlung darin besteht, dass einzelne von einer sonst allgemein gewährten Vergünstigung ausgenommen werden. Zwar wird sich in diesem Fall in der Tat häufig die aktive Gleichbehandlung als einfachste Variante anbieten, den Verstoß zu beseitigen. Es ist aber schwer einzusehen, warum den Gesellschaftsorganen nicht auch hier die Möglichkeit gegeben werden sollte, die für die Gesellschaft schonendste Erfüllungsart auszuwählen. Die von G. Hueck gezogene Parallele zur aktiven Gleichbehandlung im Arbeitsrecht zwingt schon deshalb zu keinem anderen Ergebnis, da die ratio legis des Gleichbehandlungsgebots im Gesellschaftsrecht eine (ganz) andere ist als im Arbeitsrecht 66 . Im Übrigen wird auch im Arbeitsrecht nicht ausnahmslos aktive Gleichbehandlung angenommen 67 . Hinsichtlich der Modalitäten des Wahlrechts der Gesellschaft lässt sich auf die Regelung der §§ 263 ff. BGB verweisen. Wenn die Gesellschaft ihr Wahlrecht durch Erklärung gegenüber den benachteiligten Gesellschaftern ausgeübt hat (§ 263 Abs. 1 BGB), konzentriert sich der Anspruch auf die gewählte Beseitigungsart (§263 Abs. 2 BGB). Die Erklärung kann auch durch schlüssige Handlungen abgegeben werden, was allerdings voraussetzt, dass die Gesellschaft in Kenntnis ihres Wahlrechts gehandelt hat 68 . Nimmt die Gesellschaft die Wahl nicht vor, bleibt ihr Wahlrecht so lange erhalten, bis der Gesellschafter eine Art der Erfüllung vollstreckt hat (§ 264 Abs. 1 BGB).
65 So auch Michalski, in: Michalski, G m b H G , §13 Rdn.135; H. Winter, in: Scholz, G m b H G , § 14 Rdn.48. 66 S. oben §4 III 2. 67 Vgl. Müller-Glöge, in: M ü n c h K o m m . BGB, § 611 Rdn. 1142, mit der Klarstellung, dass eine „Anpassung nach oben" (aktive Gleichbehandlung) nur deshalb regelmäßige Folge von Verstößen gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sei, weil zumeist die Ungleichbehandlung nur auf diese Weise zu beheben sei. 68 Vgl. Bittner, in: Staudinger, BGB, §263 Rdn. 3. In der bereits mehrfach angesprochenen Entscheidung B G H W M 1972, 931 (verdeckte Vermögenszuwendungen in der G m b H ) hat der B G H einen Anspruch auf aktive Gleichbehandlung u.a. deshalb gewährt, weil die Gesellschaft eine Beseitigung der Ungleichbehandlung durch Rückabwicklung selbst abgelehnt hatte; aaO. S. 933 re. Sp. Eine konkludente Ausübung des Wahlrechts nach § 263 Abs. 1 BGB liegt darin aber nur, wenn sich die Ablehnung nur auf die Rückabwicklung bezog und der Anspruch des benachteiligten Gesellschafters nicht rundweg abgelehnt wurde. O b dies in dem zu entscheidenden Sachverhalt der Fall war, lässt sich der Entscheidung des B G H nicht eindeutig entnehmen.
§ 17 Ansprüche
der benachteiligten
4. Schranken der Geltendmachung
Gesellschafter
des
gegen die Gesellschaft
397
Beseitigungsanspruchs
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Rechtmäßigkeit einer Ungleichbehandlung nicht mehr in Frage gestellt werden kann, wenn es sich dabei um die Ausführung eines (nicht nichtigen) Beschlusses der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung handelt und schon diesem Beschluss der Gleichbehandlungsverstoß anhaftet, eine rechtzeitige Anfechtungsklage aber unterblieben ist 69 . Daraus folgt unmittelbar, dass in diesem Fall auch die Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes nicht mehr verlangt werden kann. Beschlüsse, die sich darin erschöpfen, die Herstellung der Gleichbehandlung abzulehnen, müssen aber - wie dargelegt - nach der Rechtsprechung des BGH nicht angefochten werden 70 . Neben dem Vorrang der Beschlussanfechtung unterliegt die Geltendmachung des Beseitigungsanspruchs weiteren Schranken, die sich aus der Treuepflicht der Gesellschafter zu ihrer Gesellschaft ableiten lassen. Insoweit lässt sich an das anknüpfen, was der BGH in der „Holzmüller"-Entscheidung für Abwehrklagen der Aktionäre gegenüber Ubergriffen des Vorstands in die Kompetenz der Hauptversammlung entschieden hat. Danach ist der Aktionär gehalten, den Anspruch auf (Unterlassung und ggf.) Rückgängigmachung der kompetenzwidrigen Maßnahme „ohne unangemessene Verzögerung" geltend zu machen. Die Zeit, die der Kläger bis zur Klageerhebung verstreichen lässt, darf „nicht außer Verhältnis" zu der Monatsfrist stehen, die § 246 Abs. 1 AktG für die Erhebung von Anfechtungsklagen vorsieht 71 . Das Schrifttum ist dem überwiegend gefolgt, wobei in Ermangelung eines Beschlusses für den Fristbeginn auf die Kenntniserlangung des Aktionärs von dem Verstoß abgestellt wird 72 . Zudem wird mit Recht angenommen, dass für den Zeitraum, in dem zwischen der Gesellschaft und dem Aktionär Verhandlungen über den Anspruch laufen, der Fristlauf analog § 203 BGB (früher § 852 Abs. 2 BGB) geS. oben §16 II 8. S. oben § 16 II 8 mit Hinweis auf BGH WM 1972, 931 (933). Auf der Grundlage dieser BGH-Rechtsprechung erscheint es konsequent, dass auch der Inhaber vinkulierter Anteile, dem die Anteilseignerversammlung die Zustimmung zur Anteilsübertragung in gleichbehandlungswidriger Weise versagt hat, unmittelbar Leistungsklage auf Erteilung der Zustimmung erheben kann und er nicht auf die Anfechtungsklage nebst positiver Beschlussfeststellungsklage verwiesen ist; so i.E. auch OLG Koblenz NJW-RR 1989, 1057 (1058) zum Parallelfall einer (angeblich) treuepflichtwidrigen Versagung der Zustimmung; kritisch zu dieser Entscheidung allerdings Reichert/M. Winter, FS 100 Jahre GmbHG, S. 209 (227 f.), und H.P. Westermann/Menger, DZWiR 1991, 143 (147), die aber auf die eingangs genannte BGH-Rechtsprechung nicht eingehen. 71 BGHZ 83,122 (135 f.); vgl. zuletzt auch BGH ZIP 2005,2207 (2211). 72 Vgl. Bayer, N J W 2000, 2609 (2611); Habersack, Mitgliedschaft, S.361; Martens, ZHR 147 (1983), 377 (402); Paefgen, ZIP 2004,146 (149,152); ähnlichFlume, AT 1/2, § 8 V 4 (S. 311 f.) (Monatsfrist für außergerichtliche Geltendmachung, Klageerhebung dann innerhalb eines weiteren Monats); gegen Anknüpfung an §246 Abs. 1 AktG aber Baums, Gutachten, S.218; Rehbinder, ZGR 1983, 92 (107). 69 70
398
4. Kapitel:
Rechtsfolgen und prozessuale
Geltendmachung
h e m m t ist 7 3 . Entsprechendes muss im G m b H - R e c h t gelten, wobei freilich dem U m s t a n d R e c h n u n g zu tragen ist, dass § 2 4 6 A b s . 1 A k t G keine analoge A n wendung findet, sondern nur eine für die Besonderheiten des Einzelfalls R a u m lassende L e i t b i l d f u n k t i o n entfaltet 7 4 . D i e s e Ergebnisse lassen sich grundsätzlich auch auf die G e l t e n d m a c h u n g von A n s p r ü c h e n übertragen, die auf die Beseitigung von Gleichbehandlungsverstößen gerichtet sind. Allerdings ist sorgfältig zu differenzieren: D i e genannten zeitlichen B e s c h r ä n k u n g e n werden darauf gestützt, dass die W i e d e r herstellung des früheren Zustands das Vertrauen der Gesellschaft auf die B e standskraft der M a ß n a h m e beeinträchtige und eine R ü c k a b w i c k l u n g nach Ablauf geraumer Zeit f ü r alle Beteiligten misslich sei 7 5 . D i e s e r G e d a n k e trifft indes nur auf A n s p r ü c h e zu, die auf die R ü c k a b w i c k l u n g gleichbehandlungswidriger M a ß n a h m e n gerichtet sind, nicht dagegen auf den A n s p r u c h auf aktive Gleichbehandlung 7 6 . D e s h a l b wird man wie folgt unterscheiden müssen: I m mer dann, w e n n sich der A n s p r u c h auf Beseitigung der Ungleichbehandlung zumindest wahlweise auf R ü c k a b w i c k l u n g richtet, sind die genannten zeitlichen B e s c h r ä n k u n g e n zu beachten. I m m e r dann, wenn dies nicht der Fall ist, k a n n es dagegen bei den allgemeinen G r e n z e n der V e r j ä h r u n g und V e r w i r k u n g von A n s p r ü c h e n bewenden.
5. Ergebnis D a s Fazit aus den vorstehenden Ü b e r l e g u n g e n ist schnell gezogen: U n m i t t e l b a r aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ergibt sich ein verschuldensunabhängiger A n s p r u c h der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft auf Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes. W e n n nach den U m s t ä n d e n des Einzelfalls die Beseitigung nur auf eine einzige A r t und Weise tatsächlich m ö g lich und rechtlich zulässig ist, k o n z e n t r i e r t sich der A n s p r u c h auf diese Beseitigungsart (sei es der E n t z u g des gleichbehandlungswidrigen Vorteils vom B e günstigten, sei es aktive Gleichbehandlung). W e n n dagegen mehrere Beseitigungsarten möglich und zulässig sind, steht die W a h l , welcher Variante der V o r z u g gegeben wird, der Gesellschaft zu. D i e s e L ö s u n g entspricht z u m einen der F o r d e r u n g des Gemeinschaftsrechts nach effektiven S a n k t i o n e n , da sie den benachteiligten Gesellschaftern - im A k t i e n r e c h t entgegen der bisher h . M . Habersack, Mitgliedschaft, S. 362. Habersack, Mitgliedschaft, S.361; zur Leitbildfunktion des §246 Abs. 1 AktG im GmbH-Recht etwa BGHZ 104, 66 (70 ff.); Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. § 47 Rdn. 145 ff. m.w.Nachw. 75 Vgl. Habersack, Mitgliedschaft, S. 360; Schmolke, Organwalterhaftung, S. 299. 76 Auch Habersack will deshalb die genannten zeitlichen Schranken nur auf Restitutionsansprüche anwenden, nicht aber z.B. auf Schadensersatzansprüche wegen erlittener Eigenschäden der Gesellschafter; vgl. dens., Mitgliedschaft, S. 362 f.; ihm folgend Schmolke, Organwalterhaftung, S.299f. 73 74
§ 17 Ansprüche der benachteiligten
Gesellschafter gegen die Gesellschaft
399
nicht nur in einzelnen Fallgruppen der aktiven Gleichbehandlung, sondern durchgehend einen A n s p r u c h auf Beseitigung von
Gleichbehandlungsver-
stößen gewährt. Z u m anderen schafft sie Klarheit über den Inhalt des A n spruchs und steckt insbesondere die bislang unscharfen G r e n z e n der aktiven Gleichbehandlung deutlich ab, indem sie einen A n s p r u c h auf aktive G l e i c h b e handlung nur dann anerkennt, wenn keine andere A r t der Beseitigung möglich ist oder die Gesellschaft ihr Wahlrecht entsprechend ausübt.
I I . Schadensersatz 1. Ausgangspunkt
und
Anspruchsgrundlage
Schäden der durch Gleichbehandlungsverstöße benachteiligten Gesellschafter k ö n n e n sich auf zweierlei Weise ergeben. Z u m einen k a n n der Gesellschafter u n m i t t e l b a r selbst geschädigt sein, ohne dass zugleich das G e s e l l s c h a f t s v e r m ö gen beeinträchtigt ist (Eigenschaden oder unmittelbarer Schaden). Z u denken ist etwa an den Fall, dass das zuständige Gesellschaftsorgan in gleichbehandlungswidriger Weise die Z u s t i m m u n g zur Veräußerung vinkulierter Anteile verweigert und sich dadurch f ü r den Gesellschafter ein günstiger Verkauf der Anteile zerschlägt, oder an den Fall, dass der Vorstand unter Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes A k t i e n aus genehmigtem Kapital ausgibt und die benachteiligten A k t i o n ä r e aus der NichtZuteilung der A k t i e n Schäden erleiden. Z u m anderen k a n n durch den Gleichbehandlungsverstoß aber auch das Vermögen der Gesellschaft betroffen sein, so etwa, wenn einzelne Gesellschafter besondere Zuwendungen aus dem Gesellschaftsvermögen erhalten haben. I n solchen Fällen k ö n n e n die übergangenen Gesellschafter einen Schaden daraus erleiden, dass der W e r t ihrer Beteiligung sinkt (Reflexschaden oder mittelbarer Schaden). D a es an dieser Stelle zunächst nur u m Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft geht, ist vornehmlich an A n s p r ü c h e aus Sonderverbindung - genauer: A n s p r ü c h e aus Pflichtverletzung gemäß § 2 8 0 A b s . 1 B G B i.V.m. § 3 1 B G B 7 7 - zu denken. Soweit damit deliktische A n s p r ü c h e aus § 826 B G B sowie u.U. auch aus § 823 A b s . 1 und Abs. 2 B G B k o n k u r r i e r e n sollten, führen diese jedenfalls nicht weiter als der A n s p r u c h aus § 2 8 0 A b s . 1 B G B . B e d e u t u n g gew i n n e n etwaige deliktische A n s p r ü c h e daher erst bei der Frage, o b neben der Gesellschaft auch andere Beteiligte, namentlich die handelnden Organwalter, 77 Für Anwendung des § 31 BGB als Zurechnungsnorm anstatt § 278 B G B die heute h.M.; vgl. etwa B G H Z 90,92 (95); 110,323 (327); B G H ZIP 1991,1584 (1585 re. Sp.); Habersack, in: Großkomm. AktG, §78 Rdn.22; Heinrichs, in: Palandt, B G B , §31 Rdn.2, §278 Rdn.6; jeweils m.w.Nachw.; a.A. RGZ 152, 129 (131); RG J W 1938, 1329; Weick, in: Staudinger, B G B , §31 Rdn.3.
400
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
von den benachteiligten Gesellschaftern zur Verantwortung gezogen werden können 78 . Dass das Mitgliedschaftsverhältnis zwischen Verband und Mitglied eine Sonderverbindung darstellt, ist unbestritten 79 . Ebenso wenig lässt sich bestreiten, dass mit dem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz eine Pflicht des Verbands aus dieser Sonderverbindung verletzt wird. Vor diesem Hintergrund scheint es auf den ersten Blick nahe liegend, bei schuldhaften Gleichbehandlungsverstößen Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft aus Pflichtverletzung (§§280 Abs. 1, 31 BGB) ohne weiteres zu bejahen. Das Schrifttum ist gleichwohl häufig zurückhaltend. Sofern Schadensersatzansprüche aus Sonderverbindung überhaupt Erwähnung finden80, werden sie ohne nähere Begründung entweder generell verneint 81 oder auf Fälle beschränkt, in denen ein Anspruch der benachteiligten Gesellschafter auf aktive Gleichbehandlung besteht und die Pflicht zur Erfüllung dieses Anspruchs verletzt wird 82 . Nur vergleichsweise selten wird demgegenüber angenommen, dass Gleichbehandlungsverstöße generell geeignet seien, Schadensersatzpflichten der Gesellschaft aus pFV bzw. nunmehr § 280 Abs. 1 BGB auszulösen 83 . Die Stellungnahmen im Schrifttum übersehen allerdings regelmäßig, dass in der Rechtsprechung längst anerkannt ist, dass schuldhafte Gleichbehandlungsverstöße, durch die den Gesellschaftern £?gewschäden entstehen, zu Schadensersatzansprüchen aus Sonderverbindung führen können. Schon das RG hat zum eingetragenen Verein unmissverständlich ausgesprochen, dass derartige Ansprüche bestehen 84 . Gleiches hat der Sache nach auch der BGH in einer zur Dazu unten § 18 I. Vgl. nur Lutter, AcP 180 (1980), 84 (122). 80 Vielfach werden solche Ansprüche gar nicht erst erwogen; vgl. etwa H i i f f e r , AktG, § 53a Rdn. 12\ Janssen, in: AnwKomm. AktG, § 53a Rdn. 32; H. Winter, in: Scholz, GmbHG, §14 Rdn. 48, die jeweils nur deliktische Schadensersatzansprüche ansprechen. Häufig wird Schadensersatz als Rechtsfolge von Gleichbehandlungsverstößen auch überhaupt nicht in Betracht gezogen; vgl. etwa G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rdn. 45; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, §14 Rdn. 32; Michalski, in: Michalski, GmbHG, §13 Rdn. 134 ff.; T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, §14 Rdn. 107 f. 81 Vgl. Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 42 (die dort angeführten weiteren Nachw. betreffen allerdings nur die Frage der Schadensersatzpflicht der beschlussfassenden Gesellschafter - dazu unten § 19 II - , nicht die Frage der Haftung der Gesellschaft); s. aber auch Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 71 Rdn. 15. 82 So Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 35 i.V.m. Rdn. 29; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 154; vgl. auch schon G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 343. 83 Nehls, Treuepflicht, S. 131 f.; aus dem älteren Schrifttum auch schon R. Teichmann, in: Teichmann/Köhler, AktG 1937, §48 Anm. 5 a; zum Personengesellschaftsrecht vgl. auch LJlmer, in: MünchKomm. BGB, §705 Rdn. 252; Habermeier, in: Staudinger, BGB, §705 Rdn. 56. 84 RG J W 1938, 1329 (Benachteiligung des Klägers im Rahmen einer vom Verein festgesetzten Rabattregelung). 78
79
5 17 Ansprüche der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft
401
GmbH ergangenen Entscheidung aus dem Jahr 1991 anerkannt 85 : Infolge verdeckter Vermögenszuwendungen an den Mehrheitsgesellschafter, also infolge eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, war dem klagenden Minderheitsgesellschafter ein geringerer Gewinn ausgeschüttet worden, als ihm zustand. Der BGH gewährte ihm daraufhin nicht nur einen Anspruch auf den Differenzbetrag (= Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes), sondern auch auf Schadensersatz, da dem Minderheitsgesellschafter durch die Vorenthaltung der Gewinne steuerliche Anrechnungsmöglichkeiten entgangen waren (Eigenschaden). Zwar hat der BGH diesen Anspruch auf die Verletzung der Treuepflicht der GmbH gestützt und nicht auf den Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz 86 . Da sich die Verletzung der Treuepflicht aber nach den Umständen des Falls in dem Gleichbehandlungsverstoß erschöpfte, besagt die Entscheidung im Ergebnis nichts anderes, als dass schuldhafte Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft zu begründen geeignet sind87. Dass der BGH dies nicht ausdrücklich ausgesprochen, sondern zur Begründung der Schadensersatzpflicht auf die Verletzung der Treuepflicht zurückgegriffen hat, mag dem Umstand geschuldet sein, dass diese Rechtsfolge im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der Literatur selten thematisiert wird, während sie bei Treuepflichtverletzungen allgemein anerkannt ist. Letztlich stellt der Rückgriff auf die Treuepflicht aber einen überflüssigen Umweg dar, da die Pflichtverletzung ausschließlich in dem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liegt und dieser im Vergleich zur Treuepflicht die speziellere Norm bildet. Eine Schadensersatzpflicht der Gesellschaft aus §§280 Abs. 1, 31 BGB wirft allerdings eine Reihe von Fragen auf, die der BGH in der genannten Entscheidung teils nur ansatzweise, teils gar nicht erörtert hat. Die meisten dieser Fragen stellen sich auch sonst, wenn es um die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschafter gegen ihre Gesellschaft geht. Sie sind daher überwiegend aus anderem Zusammenhang bekannt und stellen keine Besonderheit des Gleichbehandlungsgrundsatzes dar. Vor diesem Hintergrund mag es genügen, die wesentlichen Fragen in gedrängter Form in Erinnerung zu rufen. 2. Anwendung
des §31 BGB auch auf Ansprüche
der
Gesellschafter
Der BGH hat in der genannten Entscheidung ohne Umschweife angenommen, dass sich die Gesellschaft den von ihrem Geschäftsführer begangenen Gleichbehandlungsverstoß gemäß § 31 BGB zurechnen lassen muss88. Das ist insofern 85
B G H ZIP 1991,1584 = N J W 1992,368. BGH ZIP 1991,1584 (1585 f.). So auch die Entscheidungsanmerkungen von Werner, WuB §13 GmbHG 3.92 (Bl. 293 f.), und K. Zimmermann, EWiR 1992, 59 (59). 88 BGH ZIP 1991,1584 (1585) (zur GmbH). 86
87
402
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
bemerkenswert, als § 31 B G B seinem Wortlaut nach nur auf Schäden von „Dritten" Anwendung findet und von namhafter Seite bestritten worden ist, dass hierunter auch Gesellschafter fallen, sofern sie nicht als Außenstehende, sondern - wie bei Gleichbehandlungsverstößen - gerade in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter betroffen sind 89 . Gleichwohl ist dem B G H im Ergebnis zuzustimmen 90 ; denn die gegen eine Anwendung des § 31 B G B erhobenen Einwände vermögen - jedenfalls soweit es um Eigenschäden der Gesellschafter geht 91 nicht zu überzeugen. Dies gilt zunächst für den Einwand, dass der Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes dagegen spreche, Schadensersatzpflichten wegen Verletzung mitgliedschaftlicher Rechtspositionen auf die Gesellschaft überzuleiten 92 . Schadensersatzleistungen der Gesellschaft an die Gesellschafter können zwar in der Tat das Gesellschaftsvermögen in einer Weise schmälern, die mit den gläubigerschützenden Vorschriften der Kapitalerhaltung (§§ 57 AktG, 30 GmbHG) in Konflikt geraten kann. Das ist aber keineswegs immer der Fall, sondern nur, wenn und soweit durch die Schadensersatzleistung tatsächlich das gebundene Kapital angegriffen werden müsste. Auf die Einzelheiten wird noch zurückzukommen sein 93 . Da die Kapital- und Vermögensbindung nicht flächendeckend, sondern nur in einzelnen Fällen tangiert ist, geht es jedenfalls zu weit, daraus einen umfassenden Ausschluss der Haftung der Gesellschaft abzuleiten und eine Zurechnung nach § 31 B G B zur Gänze auszuschließen. Gleichfalls nicht durchschlagend ist der zweite erhobene Einwand, dass ein Vorgehen gegen die Gesellschaft - jedenfalls bei Uneinbringlichkeit etwaiger Regressforderungen der Gesellschaft - zu einer nicht hinnehmbaren „Vergesellschaftung" von Eigenschäden der betroffenen Gesellschafter führe 94 . Das 89 Vgl. namentlich Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 4 I V 2 b (S. 241) (anders offenbar § 5 III 1 [S.269] in Bezug auf Handlungen des Geschäftsführers einer Personengesellschaft); M. Winter, Treuebindungen, S. 91 ff. 9 0 Vgl. neben B G H ZIP 1991, 1584 (1585) auch noch die zum e.V. ergangenen Entscheidungen B G H Z 90, 92 (95); 110, 323 (327); aus dem Schrifttum Hadding, in: Soergel, B G B , § 31 Rdn. 26; Heinrichs, in: Palandt, B G B , § 31 Rdn. 12; Reuter, in: MünchKomm. B G B , § 31 Rdn.41; Weick, in: Staudinger, B G B , §31 Rdn. 11; Schmolke, Organwalterhaftung, S. 16. Die Anwendung des §31 B G B hängt im Übrigen auch nicht davon ab, welches Gesellschaftsorgan gehandelt hat. Anerkanntermaßen gilt die Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus nicht nur für den Vorstand bzw. die Geschäftsführung, sondern auch für den Aufsichtsrat und die Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung; vgl. Hadding, in: Soergel, B G B , §31 Rdn. 11; Heinrichs, in: Palandt, B G B , §31 Rdn. 5; Martinek, Repräsentantenhaftung, S. 146; Weick, in: Staudinger, B G B , § 31 Rdn. 38; für die Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung auch Habersack, Mitgliedschaft, S.239; Mülbert, Aktiengesellschaft, S.241; M. Winter, Treuebindungen, S. 92; zweifelnd insoweit allerdings Reuter, in: MünchKomm. B G B , § 31 Rdn. 23. 91 Zu Reflexschäden sogleich unter Ziff. 3. 92 M. Winter, Treuebindungen, S. 92. 93 S. unten Ziff. 5. 94 Vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, §4 IV 2 b (S.241) (für Gesellschafterbeschlüsse in der Personengesellschaft auch §5 III 1 [S.269]); ferner M. Winter, Treuebindungen, S.93,
§ 17 Ansprüche
der benachteiligten
Gesellschafter
gegen
die Gesellschaft
403
Faktum der „Vergesellschaftung" des Schadens lässt sich zwar nicht leugnen. Es trifft auch zu, dass diese zur Folge hat, dass einerseits die benachteiligten Gesellschafter entsprechend ihrer Beteiligungsquote weiterhin geschädigt bleiben und andererseits der Schaden anteilig auch auf solche Gesellschafter verteilt wird, die sich an dem Gleichbehandlungsverstoß gar nicht beteiligt haben. Beides nötigt indes nicht dazu, eine Haftung der Gesellschaft gemäß § 31 BGB auszuschließen. Dass der Schaden aus Sicht des benachteiligten Gesellschafters nur unvollständig kompensiert wird, wenn sich mögliche Regressforderungen der Gesellschaft gegen die für den Verstoß veranwortlichen Organwalter oder Mitgesellschafter als uneinbringlich erweisen, ist für ihn allemal besser, als ausschließlich auf etwaige Direktansprüche gegen die genannten Personen verwiesen zu werden; denn im Fall der Uneinbringlichkeit dieser Ansprüche ist dem benachteiligten Gesellschafter damit noch weniger gedient. Dass bei einer Haftung der Gesellschaft im wirtschaftlichen Ergebnis auch solche Gesellschafter anteilig betroffen werden, die sich an dem Verstoß gar nicht beteiligt haben, ist ebenfalls unbedenklich. Soweit es um die Haftung der Gesellschaft gegenüber außenstehenden Dritten geht, käme niemand auf den Gedanken, die Haftungsüberleitung davon abhängig zu machen, ob alle Gesellschafter an dem Verstoß persönlich mitgewirkt haben. Es ist schwerlich einzusehen, warum in der hier interessierenden Konstellation anderes gelten soll.
3. Ausscheidung
von
Reflexschäden
Der BGH geht in der erwähnten Entscheidung davon aus, dass gegen die Gesellschaft gerichtete Schadensersatzansprüche insoweit ausscheiden müssten, als es lediglich um die Geltendmachung von Reflexschäden gehe95. Eine nähere Begründung führt der BGH hierfür zwar nicht an; die Frage war in casu auch nicht entscheidungserheblich. Seine Auffassung deckt sich aber mit der einhelligen Ansicht im Schrifttum 96 . Es besteht Einigkeit, dass Reflexschäden nicht der u.a. auf die zum Personengesellschaftsrecht ergangene Entscheidung OLG Düsseldorf W M 1983, 1320 (1321) verweist. In dem dort entschiedenen Fall handelte die Gesellschaftermehrheit nach Auffassung des Gerichts aber nicht als Organ der Gesellschaft, sondern in Ausübung eines im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Individualrechts. Schon deshalb kam eine Anwendung des § 31 BGB nicht in Betracht. 95 BGH ZIP 1991,1584 (1585 re Sp.): ,,[D]er Gesellschafter einer GmbH [kann] nach der Rechtsprechung des Senats [Verweis u.a. auf BGHZ 65, 15 - „ITT"] Ausgleich eines mittelbaren Schadens, der in der Minderung seiner Gesellschafterrechte durch Schädigung des Gesellschaftsvermögens aufgrund Gewährung ungerechtfertigter Vorteile an einen Mitgesellschafter besteht, grundsätzlich nur in der Weise erreichen, dass der bei der Gesellschaft entstandene Schaden durch Ersatzleistung an die Gesellschaft beseitigt wird." 96 Vgl. etwa - jeweils nicht speziell zum Gleichbehandlungsgrundsatz, sondern generell zur Geltendmachung von Reflexschäden gegenüber der Gesellschaft - Baums, Gutachten, S.223 f.; Bayer, N J W 2000, 2609 (2611); Habersack, Mitgliedschaft, S.211 ff.; i.E. auch Mertens, in: Kölner Komm. AktG, §76 Rdn.74; ders., in: Hachenburg, GmbHG, §35 Rdn. 129;
404
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
durch Inanspruchnahme der Gesellschaft zu ersetzen sind, sondern durch Inanspruchnahme der für den Schadenseintritt verantwortlichen Personen auf Leistung in das Gesellschaftsvermögen. Mit dem Schaden der Gesellschaft entfällt dann auch ein (etwaiger 97 ) Reflexschaden der Gesellschafter. Konstruktiv lässt sich der Ausschluss der Haftungsüberleitung auf die Gesellschaft in diesen Fällen unmittelbar auf den Wortlaut des § 31 BGB stützen. Soweit es nicht um Eigenschäden der Gesellschafter geht, sondern um einen Schaden der Gesellschaft, der nur mittelbar auch die Gesellschafter trifft, fehlt es bereits an der Schädigung eines „Dritten", von der in § 31 BGB die Rede ist 98 . Für die Zulassung von gegen die Gesellschaft gerichteten Ansprüchen auf Ersatz von Reflexschäden besteht jedenfalls im Bereich von Verletzungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch kein dringendes praktisches Bedürfnis. Schließlich führt hier schon die Erfüllung des dem Gesellschafter zustehenden Beseitigungsanspruchs dazu, dass ein etwaiger Reflexschaden entfällt. Wird z.B. die gleichbehandlungswidrige Vermögenszuwendung an die Gesellschaft zurückerstattet, entfällt damit auch ein etwaiger Reflexschaden der benachteiligten Gesellschafter. Dasselbe gilt bei Gewährung aktiver Gleichbehandlung; hier werden alle Gesellschafter für den erlittenen Reflexschaden durch gleichwertige Leistungen kompensiert.
4.
Verscbuldensmaßstab
Nicht näher behandelt hat der BGH die Frage, welcher Verschuldensmaßstab für die Schadensersatzhaftung der Gesellschaft anzulegen ist. Auch das Schrifttum schweigt zu dieser Frage. Nach allgemeinen Grundsätzen wird man jedoch davon auszugehen haben, dass die Gesellschaft ihrem Gesellschafter für jedes Verschulden im Sinne des § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) haftet. Zur Konkretisierung des Begriffs der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S. des § 276 Abs. 2 BGB lässt sich dabei, jedenfalls soweit es um Gleichbehandlungsverstöße der Verwaltung geht, an den Maßstab des „ordentlichen Geschäftsmanns" (§ 43 Abs. 1 GmbHG) bzw. „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters" (§ 93 Abs. 1 AktG) anknüpfen. Allerdings könnte man erwägen, die Haftungsmilderung des § 708 BGB (eigenübliche Sorgfalt) im Wege der Analogie aus dem Personengesellschaftsrecht Kort, in: Großkomm. AktG, § 76 Rdn. 167 (keine Zurechnung nach § 31 BGB, soweit sich der Pflichtverstoß gegen die Gesellschaft selbst richtet und für diese ihrerseits einen Anspruch auf Schadensersatz begründet). 97 Wenn der Gesellschaft vollwertige Regressansprüche zustehen, ist bereits fraglich, ob sich überhaupt von einer Wertminderung der Beteiligung und damit von einem Reflexschaden sprechen lässt; vgl. dazu in anderem Zusammenhang Mülbert, in: Großkomm. AktG, Vor §§ 118-147, Rdn. 230, m.w.Nachw. 98 Vgl. Mertens, in: Kölner Komm. AktG, § 76 Rdn. 74; ders., in: Hachenburg, GmbHG, § 35 Rdn. 129; Kort, in: Großkomm. AktG, § 76 Rdn. 167.
§ 17 Ansprüche der benachteiligten
Gesellschafter gegen die Gesellschaft
405
auch auf personalistisch strukturierte Kapitalgesellschaften zu übertragen, die auf engen persönlichen Bindungen der Gesellschafter und gegenseitigem Vertrauen beruhen. D i e Frage wird im umgekehrten Z u s a m m e n h a n g , n ä m l i c h im R a h m e n der H a f t u n g der Gesellschafter gegenüber ihrer Gesellschaft, verschiedentlich erwogen, i m Ergebnis zumeist aber v e r n e i n t " . A u c h im vorliegenden Z u s a m m e n h a n g überwiegen die B e d e n k e n gegen die Analogie. D i e Vorschrift des § 708 B G B sieht sich schon in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich weit verbreiteter und gewichtiger K r i t i k ausgesetzt 1 0 0 . Sie mag f ü r Gelegenheitsgesellschaften an der G r e n z e zu Gefälligkeitsverhältnissen nachvollziehbar und angemessen sein. F ü r wirtschaftlich tätige Gesellschaften entbehrt die H a f t u n g s m i l d e r u n g jedoch - jedenfalls in dieser Allgemeinheit - einer überzeugenden inneren Rechtfertigung. S c h o n deshalb sollte die überaus umstrittene V o r s c h r i f t nicht n o c h im Wege der Analogie auf b e s t i m m t e Kapitalgesellschaften ausgedehnt werden. Davon abgesehen ist auch f ü r eine planwidrige Regelungslücke nichts ersichtlich.
5. Vorrang des
Gläubigerschutzes
a) Tum Konflikt zwischen Schadensersatz und Kapitalerhaltung Schadensersatzleistungen der Gesellschaft an ihre Gesellschafter werfen stets die Frage nach der Vereinbarkeit mit den Kapitalerhaltungsregeln der §§ 57 Abs. 1 Satz 1 A k t G , 30 A b s . 1 G m b H G auf, sofern die Gesellschafter nicht wie außenstehende D r i t t e , sondern - wie bei Gleichbehandlungsverstößen - gerade in ihrer Eigenschaft als Mitglied geschädigt worden sind. D i e Problematik stellt sich allgemein bei Verletzung mitgliedschaftlicher R e c h t e durch die Gesellschaft; für Schäden aufgrund von Verletzungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes gelten dabei keine Besonderheiten. Folglich k a n n an das angeknüpft werden, was auch sonst f ü r Verletzungen mitgliedschaftlicher R e c h t e anerkannt ist. Insoweit besteht weitgehend Einigkeit, dass die Rückzahlungssperren der §§ 57 A b s . 1 Satz 1 A k t G , 30 Abs. 1 G m b H G auch f ü r Schadensersatzleistungen an die Gesellschafter gelten 1 0 1 . Zwar ist der E i n w a n d erhoben worden, dass es f ü r die Anwendbarkeit der Kapitalerhaltungsregeln an dem erforderlichen B e z u g zur Mitgliedschaft fehle, da die Schadensersatzleistungen dem Gesellschafter Nachw. unten § 19 II 3 b. Vgl. etwa Habermeier, in: Staudinger, BGB, §708 Rdn. 12 ff.; Hadding, in: Soergel, B G B , §708 Rdn. 1; Larenz, FS H. Westermann, S.299 (299); K. Schmidt, in: Überarbeitung des Schuldrechts III, S.413 (526f.); ders., Gesellschaftsrecht, § 59 III 2 a (S. 1743 f.); Schlechtriem, in: Überarbeitung des Schuldrechts II, S. 1591 (1622); positiver allerdings Müller- Graff, AcP 191 (1991), 475 (483); Ulmer, in: MünchKomm. B G B , § 705 Rdn. 1 f. 101 Vgl. etwa Baums, Gutachten, S.227f.; ders., Geschäftsleitervertrag, S. 234ff.; Habersack, Mitgliedschaft, S. 215 ff.; Mertens, in: Kölner Komm. AktG, §76 Rdn. 75 m.w.Nachw.; offen gelassen in B G H ZIP 1991,1584 (1586 Ii. Sp.). 99
100
406
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
nicht als Gesellschafter, sondern als Geschädigtem gewährt würden 1 0 2 . Diese sehr formale Argumentation hat sich indes mit Recht nicht durchsetzen können. Sie vermag nichts daran zu ändern, dass sich bei der Verletzung mitgliedschaftlicher Positionen in der Person des Gesellschafters ein Risiko realisiert, dem er sehr viel näher steht als außenstehende Gläubiger der Gesellschaft 1 0 3 . Dieser Umstand rechtfertigt es, den gläubigerschützenden Kapitalerhaltungsvorschriften den Vorrang gegenüber dem Kompensationsinteresse des Gesellschafters einzuräumen. Jede andere Lösung würde die den Ausschluss der persönlichen Haftung der Gesellschafter legitimierende Garantiefunktion des gebundenen Kapitals gravierend beeinträchtigen. Nicht verkannt wird dabei, dass die h.M. im Rahmen der verschiedenen Haftungstatbestände für fehlerhafte Kapitalmarktinformationen - börsenrechtliche Prospekthaftung (§§ 44 ff. BörsG), Haftung wegen unterlassener oder unzutreffender Veröffentlichung von Insiderinformationen (§§ 37b, 37c WpHG), Haftung für fehlerhafte Angebotsunterlage (§ 12 WpUG) - genau umgekehrt verfährt und diesen gegenüber § 57 AktG den Vorrang einräumt, Ansprüche aus den genannten Rechtsgrundlagen also uneingeschränkt zulässt 104 . Dem hat sich unlängst auch der B G H für die auf §§826, 31 BGB gestützte Haftung der Gesellschaft wegen vorsätzlich falscher Ad-hoc-Mitteilungen ausdrücklich angeschlossen 105 . Der B G H stützt seine Entscheidung dabei auf die Erwägung, dass die Ersatzforderungen der sittenwidrig geschädigten Kläger in erster Linie nicht auf ihrer mitgliedschaftlichen Sonderrechtsbeziehung als Aktionäre, sondern auf ihrer Stel102 Mülbert, Aktiengesellschaft, S.242; ihm folgend Hirte, W M 1997, 1001 (1003 f.); ders., in: Großkomm. AktG, §203 Rdn. 146 a.E. (anders noch ders., Bezugsrechtsausschluss, S.241 ff.); i.E. auch Grunewald, Gesellschafterklage, S. 103 f. 103 Habersack, Mitgliedschaft, S.218. 104 Zu §§44 ff. BörsG (jedenfalls bei derivativem Aktienerwerb) etwa OLG Frankfurt a. Gutachten, M. NZG 1999, 1072 (1074) =EWiR 1999, 501 m. zust. Anm. Kort; Fleischer, S. 73 ff.; Hopt/Voigt, in: Hopt/Voigt, Kapitalmarktinformationshaftung, S. 62 ff.; Schwark, in: Schwark, KMRK, §45 BörsG Rdn. 13; ferner (auch bei originärem Erwerb durch Zeichnung) Mülbert, JZ 2002, 826 (833 f.); ders./Steup, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, §26 Rdn. 99 m.w.Nachw.; abweichend (Beschränkung auf das freie Vermögen in Fällen des derivativen und des originären Erwerbs) Bayer, in: MünchKomm. AktG, §57 Rdn.24; Henze, NZG 2005, 117 (121) (anders noch ders., in: Großkomm. AktG, §57 Rdn. 20). Zu §§37b, 37c WpHG Fleischer, Gutachten, S. 100; Hopt/Voigt, in: Hopt/Voigt, Kapitalmarktinformationshaftung, S. 117; Sethe, in: Assmann/Schneider, WpHG, §§37b, 37c WpHG Rdn.6; Zimmer, in: Schwark, KMRK, §§37b, 37c WpHG Rdn. 11 ff. Zu § 12 WpÜG (die Problematik stellt sich hier nur bei Tauschangeboten) Möllers, in: Kölner Komm. WpUG, §12 Rdn. 95 ff. 105 BGH ZIP 2005, 1270 (1272f.); zustimmend Fleischer, ZIP 2005, 1805 (1810f.); Gottschalk, DStR 2005, 1648 (1651 ff.); Möllers, BB 2005, 1637 (1639 ff.); Hutter/Stürwald, NJW 2005, 2428 (2431); zuvor bereits OLG Frankfurt a.M. ZIP 2005, 710 (713); OLG München ZIP 2005, 901 (903 f.); ZIP 2005, 1141 (1143); abweichend etwa Weil, Z H R 167 (2003), 365 (394 ff.) (Beschränkung auf das freie Vermögen); C. Schäfer, NZG 2005, 985 (989 f.) (Beschränkung auf Abfindungsanspruch entsprechend den Regeln der fehlerhaften Gesellschaft).
§ 17 Ansprüche der benachteiligten
Gesellschafter gegen die Gesellschaft
407
lung als Drittgläubiger beruhten. D i e deliktische H a f t u n g der A G knüpfe an die Verletzung gesetzlicher Publizitätspflichten (§ 15 W p H G ) an, die ihr vornehmlich z u m Schutz der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts auferlegt worden seien 1 0 6 . A h n l i c h wird im S c h r i f t t u m auch für die genannten kapitalmarktrechtlichen Haftungstatbestände argumentiert 1 0 7 . Diese Argumentation verfängt indes für den hier interessierenden Gleichbehandlungsgrundsatz
offensichtlich
nicht: D e r Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist von vornherein nur tangiert, wenn die Gesellschafter gerade in ihrer Eigenschaft als G e sellschafter betroffen sind 1 0 8 . A b e r auch die weiteren Gründe, die im S c h r i f t t u m gewöhnlich für einen Vorrang der kapitalmarktrechtlichen Haftungstatbestände vor der Kapitalerhaltung angeführt werden, lassen sich nicht auf Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz übertragen. S o wird in Bezug auf die Prospekthaftung neben allgemeinen rechtspolitischen Überlegungen zur Stärkung des kapitalmarktrechtlichen Anlegerschutzes mit Recht auf die Begründung des Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes verwiesen, aus der sich der gesetzgeberische Wille eines Vorrangs der Prospekthaftung zweifelsfrei ergibt 1 0 9 . In B e z u g auf die H a f t u n g aus §§ 37b, 37c W p H G bzw. § 12 W p U G lässt sich anführen, dass dem Gesetzgeber die Frage eines möglichen Konflikts mit § 5 7 A k t G nicht zuletzt durch entsprechende K r i t i k im Gesetzgebungsverfahren 1 1 0 bewusst war und er dennoch in Anlehnung an die Prospekthaftung eine unbeschränkte H a f t u n g des Emittenten angeordnet hat 1 1 1 . F ü r die Schadensersatzhaftung wegen Gleichbehandlungsverstößen lässt sich ein vergleichbarer gesetzgeberischer Wille nicht feststellen. I m B e r e i c h der P r o s p e k t h a f t u n g ist allerdings n o c h ein weiterer E i n w a n d gegen den V o r r a n g der Kapitalerhaltung vorgetragen worden, der auch im B e reich des Gleichbehandlungsgrundsatzes beachtlich sein könnte. S o hat
Mül-
bert in B e z u g auf die P r o s p e k t h a f t u n g die A u f f a s s u n g vertreten, dass die Z u r ü c k d r ä n g u n g des Kapitalschutzes nicht nur zulässig, sondern sogar gemeinschaftsrechtlich geboten sei, da andernfalls das v o m E u G H aufgestellte G e b o t wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender S a n k t i o n e n zur D u r c h s e t -
B G H ZIP 2005,1270 (1273 Ii. Sp.). Exemplarisch Sethe, in: Assmann/Schneider, WpHG, §§ 37b, 37c WpHG Rdn. 6; Zimmer, in: Schwark, KMRK, §§37b, 37c WpHG Rdn. 12 m.w.Nachw. 108 S. oben §91. 109 Begr. RegE 3. FFG, BT-Drucks. 13/8933, S.78: „Sofern der Anspruch gegenüber einer Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien geltend gemacht wird, (...) kann diese sich gegenüber dem Antragsteller nicht auf die aktienrechtliche Verbote der Einlagenrückgewähr gem. §57 Abs. 1 Satz 1 und des Verbots des Erwerbs eigener Aktien gem. §§71 ff. AktG berufen. Die in § 45 [jetzt § 44] getroffenen Regelungen enthalten insoweit abschließende Spezialregelungen, die den soeben erwähnten allgemeinen Grundsätzen vorgehen." HO Vgl. insbesondere Regierungskommission Corporate Governance, in: Baums, Bericht, Rdn. 182. 111 Sethe, in: Assmann/Schneider, WpHG, §§ 37b, 37c Rdn. 6. 106 107
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4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
zung angeglichenen Rechts verletzt werde 112 . Vor diesem Hintergrund könnte man auch für Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz erwägen, dass Schadensersatzansprüche nicht an den Kapitalerhaltungsregeln scheitern dürften, damit in jedem Fall eine effektive Haftung gewährleistet sei. Richtigerweise wird man jedoch zumindest in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht sagen können, dass eine Beschränkung des Schadensersatzes tatsächlich zu einer Verletzung des Gebots effektiver Sanktionen führt. Erstens darf die Sanktion des Schadensersatzes nicht isoliert betrachtet werden; vielmehr ist als weitere Rechtsfolge zumindest der bereits behandelte Beseitigungsanspruch in Rechnung zu stellen. Darüber hinaus kann der geschädigte Gesellschafter, wenn sein Schadensersatzanspruch an der Kapitalerhaltung scheitert, nach der hier vertretenen Auffassung ersatzweise Abtretung des Regressanspruchs der Gesellschaft gegen die verantwortlichen Organmitglieder verlangen (dazu unten lit. b). Zweitens führt, wie sogleich darzulegen ist, der Vorrang der Kapitalerhaltung selbst im Aktienrecht mit seiner strikten Vermögensbindung nicht dazu, dass eine Haftung der Gesellschaft gänzlich ausgeschlossen wäre und damit jeglichen Abschreckungseffekt verlöre. Und drittens ist der strenge Kapitalschutz im Aktienrecht seinerseits richtliniendeterminiert (Art. 15 Kapital-RL). Ließe man ihn auch bei Gleichbehandlungsverstößen zurücktreten, würde er in noch weit größerem Umfang durchbrochen als allein durch die genannten kapitalmarktrechtlichen Haftungstatbestände 113 . Es würde sich dann die Frage aufdrängen, ob es nicht umgekehrt gegen das Gemeinschaftsrecht verstieße, den Kapitalschutz derart weitreichenden Durchbrechungen preiszugeben. Muss es somit bei Verletzungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes beim Vorrang der Kapitalerhaltungsregeln bewenden, so hat dies für das GmbH-Recht zur Folge, dass Schadensersatzleistungen an die benachteiligten Gesellschafter nur zulässig sind, soweit sie nicht zu Lasten des zur Deckung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens gehen 114 . Im Aktienrecht scheint die umfassende Vermögensbindung nach § 57 AktG dagegen auf den ersten Blick jegliche Schadensersatzleistung an die Gesellschafter auszuschließen 115 . Im Interesse der Gläubiger Mülbert,]2.2002, 826 (833 f.). Dass die Haftung des Emittenten zumindest im Bereich der Prospekthaftung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, ergibt sich inzwischen unmittelbar aus Art. 6 Abs. 1 der neuen Prospekt-RL (Richtlinie 2003/71/EG vom 4.11.2003, ABl. L 345/64), der eine Haftung entweder der Organwalter oder des Emittenten anordnet; vgl. Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn.343; Langenbucher, ZIP 2005, 239 (242). Eine vergleichbare Regelung findet sich nunmehr auch in Art. 7 Transparenz-RL in Bezug auf fehlerhafte Jahres-, Halbjahres- und Quartalszahlen. 114 Vgl. Habersack, Mitgliedschaft, S.215, 218; Baums, Geschäftsleitervertrag, S.234, 238. 115 So aus neuerer Zeit etwa v. Aubel, Vorstandspflichten, S. 93 ff. Vgl. auch die st. Rspr. des RG (etwa RGZ 54,128 [131 f.]), die es mit Rücksicht auf die Kapitalerhaltung ablehnte, die betrügerische, den Vorstand zum Schadensersatz nach §§ 823 Abs. 2,826 B G B verpflichtende 112
113
5 17 Ansprüche der benachteiligten
Gesellschafter gegen die Gesellschaft
409
geschützt sind jedoch nur das Grundkapital und die nach § 150 A k t G zu bildenden Reserven; dagegen können darüber hinausgehende Rücklagen aufgelöst, dem Bilanzgewinn zugeführt und zur Ausschüttung gebracht werden. Deshalb hat sich im aktienrechtlichen S c h r i f t t u m mit Recht die Auffassung herausgebildet, dass der Gläubigerschutz Schadensersatzleistungen an die Aktionäre nur entgegensteht, soweit keine ausreichenden freien Rücklagen zur Verfügung stehen 1 1 6 . Hinsichtlich des überschießenden Betrags steht der A G ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 57 Abs. 1 Satz 1 A k t G zu 1 1 7 . Einzuräumen ist, dass diese Lösung in der praktischen D u r c h f ü h r u n g , namentlich in B e z u g auf die Bilanzierung, komplexe Folgefragen aufwirft 1 1 8 . Als Alternative wird deshalb vorgeschlagen, dem Gläubigerschutz erst in der Insolvenz der Gesellschaft R e c h n u n g zu tragen, die Aktionäre also so lange vollständig zu befriedigen, wie die Gesellschaft lebensfähig ist, und ihre Ansprüche erst in der Insolvenz im R a n g hinter Forderungen der Fremdgläubiger zurücktreten zu lassen (Nachrang im Sinne von § 39 I n s O ) 1 1 9 . Dies mag für die genannten kapitalmarktrechtlichen Haftungstatbestände ein bedenkenswerter Vorschlag sein. I m vorliegenden Zusammenhang, in dem keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Gesetzgeber die strikte Vermögensbindung relativieren wollte, spricht dagegen mehr dafür, an der traditionellen Auffassung festzuhalten und Schadensersatzansprüche auf das freie Vermögen der A G zu beschränken.
b) Anderweitiger
Schutz des benachteiligten
Gesellschafters
H e r v o r z u h e b e n ist aber, dass der benachteiligte Gesellschafter selbst dann, wenn sein Schadensersatzanspruch nach M a ß g a b e des Vorstehenden am V o r rang der Kapitalerhaltung scheitert, nicht gänzlich schutzlos gestellt ist. Vielm e h r wird man i h m - was häufig übersehen w i r d 1 2 0 - in entsprechender A n Verleitung zur Beteiligung an einer AG dieser zuzurechnen; ausführlich dazu Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 234 ff. 116 Baums, Gutachten, S. 228; Habersack, Mitgliedschaft, S. 217 f.; Henze, NZG 2005,115 (121); Schön, FS Röhricht, S. 559 (568); Schmolke, Organwalterhaftung, S. 23; für den Bereich der Prospekthaftung auch Bayer, in: MünchKomm. AktG, §57 Rdn.24; vgl. auch schon Flechtheim, J W 1916, 937 (939). Noch weitergehend erwägen Zöllner/M. Winter, Z H R 158 (1994), 59 (78), Schadensersatzleistungen bis an die Grenze des Grundkapitals zuzulassen. 117 Baums, Gutachten, S. 228. Demgegenüber will Habersack, Mitgliedschaft, S. 218 f., insoweit die Zurechnung gemäß §31 B G B einschränken. Ein Unterschied im Ergebnis ist damit aber offenbar nicht beabsichtigt. 118 Dazu Langenbucher, ZIP 2005,239 (243 f.). 119 So für die kapitalmarktrechtlichen Haftungstatbestände Langenbucher, ZIP 2005, 239 (244 f.); de lege ferenda Baums, ZHR 167 (2003), 139 (169 f.); aufgeschlossen auch Hopt/ Voigt, in: Hopt/Voigt, Kapitalmarktinformationshaftung, S.5, 64f., 118; Möllers, BB 2005, 1637 (1642); kritisch Ehricke, in: Hopt/Voigt, Kapitalmarktinformationshaftung, S. 284 ff.; Ummer, WM 2004, 9 (11 f.). 120 Vgl. aber Baums, Geschäftsleitervertrag, S.249, der den hier bejahten Anspruch im-
410
4. Kapitel:
Rechtsfolgen und prozessuale
Geltendmachung
wendung des § 2 8 5 Abs. 1 B G B ( § 2 8 1 A b s . 1 B G B a.F.) einen A n s p r u c h darauf zusprechen müssen, dass i h m die Gesellschaft etwaige Regressansprüche abtritt, die ihr wegen des Verstoßes gegen die verantwortlichen O r g a n w a l t e r z u stehen ( § 9 3 A b s . 2 A k t G bzw. § 4 3 A b s . 2 G m b H G ) 1 2 1 . Zwar ist § 2 8 5 A b s . 1 B G B nicht u n m i t t e l b a r anwendbar, da die Gesellschaft den Regressanspruch strenggenommen nicht aufgrund desselben U m s t a n d s erlangt, der ihr die S c h a densersatzleistung (vorübergehend) rechtlich u n m ö g l i c h macht. D e r G r u n d g e danke des § 2 8 5 B G B , dass es weder der Billigkeit n o c h dem vermuteten Parteiwillen entspricht 1 2 2 , wenn der Schuldner doppelt begünstigt wird - z u m einen durch den Ausschluss der Leistungspflicht, z u m anderen durch die E r l a n g u n g des Ersatzanspruchs - , ist aber verallgemeinerungsfähig und trifft auch auf die vorliegende G e s t a l t u n g zu. Allerdings scheint auf den ersten B l i c k der E i n w a n d nahe zu liegen, dass der Gesellschaft gar kein Regressanspruch zustehe, da ihr kein Schaden entstanden sei, wenn sie wegen der Kapitalerhaltungsregeln nicht z u m Schadensersatz an den benachteiligten Gesellschafter verpflichtet sei. D i e s e r E i n w a n d verfängt indes schon deshalb nicht, weil Sinn und Z w e c k der Kapitalerhaltungsvorschriften ersichtlich nicht darin bestehen, den handelnden O r g a n w a l t e r entlasten zu w o l len. E i n e Schadensverlagerung von der Gesellschaft auf den benachteiligten G e sellschafter dürfte also dem O r g a n w a l t e r nicht zugute k o m m e n , so dass ein Schaden der Gesellschaft zumindest nach den G r u n d s ä t z e n der D r i t t s c h a d e n s liquidation 1 2 3 zu bejahen wäre. L e t z t l i c h ist der R ü c k g r i f f auf diese G r u n d s ä t z e aber sogar entbehrlich. D e r V o r r a n g der Kapitalerhaltung f ü h r t - wie dargelegt - nicht zu einem völligen Haftungsausschluss der Gesellschaft, sondern n u r zu einem temporären Leistungsverweigerungsrecht, das auch wieder entfallen k a n n , sobald sich die Vermögenslage der Gesellschaft bessert und der S c h a d e n s ersatz geleistet werden k a n n , ohne das gebundene Kapital anzutasten. E i n e z u mindest latente H a f t u n g der Gesellschaft besteht somit durchaus, so dass sich ein Schaden der Gesellschaft nicht leugnen lässt. D i e A b t r e t u n g des R e g r e s s a n spruchs scheitert im Ü b r i g e n auch nicht daran, dass sie ihrerseits i m W i d e r spruch zu den Kapitalerhaltungsregeln stünde. Andernfalls würde das G e s e l l schaftsvermögen nicht nur vor einer S c h m ä l e r u n g b e w a h r t , sondern stattdessen sogar u m den Regressanspruch bereichert. E i n solcher doppelter Gläubigerschutz w i r d v o m S c h u t z z w e c k der Kapitalerhaltungsregeln ersichtlich nicht gefordert. merhin in Betracht zieht, im Ergebnis aber einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte den Vorzug geben will; s. dazu noch unten § 18 II 2. 121 Zur Abtretbarkeit des Regressanspruchs auch im Aktienrecht (trotz § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG) vgl. nur Hopt, in: Großkomm. AktG, § 93 Rdn. 377. 122 ygi E m m e r i c h , in: MünchKomm. B G B , §285 Rdn. 1 f. („gesetzlich geregelter Fall der ergänzenden Vertragsauslegung"). 123 Dazu statt vieler Oetker, in: MünchKomm. B G B , § 249 Rdn. 277ff.
5 17 Ansprüche der benachteiligten
Gesellschafter gegen die Gesellschaft
411
O b mit dem A n s p r u c h auf A b t r e t u n g des Regressanspruchs dem K o m p e n sationsinteresse des benachteiligten Gesellschafters hinreichend R e c h n u n g getragen ist oder o b es nicht vorzugswürdig wäre, zusätzlich einen D i r e k t a n spruch gegen den O r g a n w a l t e r zu gewähren, steht auf einem anderen Blatt. A u f diese Frage w i r d n o c h einzugehen sein 1 2 4 . A n dieser Stelle ist aber bereits festzuhalten, dass die Kapitalerhaltungsgrundsätze keinen völligen H a f t u n g s a u s schluss der Gesellschaft bewirken und der benachteiligte Gesellschafter ersatzweise i m m e r h i n die A b t r e t u n g des Regressanspruchs gegen die verantwortlichen O r g a n w a l t e r verlangen kann.
6. Schranken der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs A u c h bei der G e l t e n d m a c h u n g etwaiger Schadensersatzansprüche ist der bereits mehrfach erwähnte Vorrang der Beschlussanfechtung zu beachten 1 2 5 . D a rüber hinaus sind die benachteiligten Gesellschafter auch dann, w e n n der Gleichbehandlungsverstoß auf keinem Anteilseignerbeschluss beruht und deshalb keine Anfechtungsklage möglich ist, im R a h m e n ihrer Obliegenheit zur Schadensminderung (§ 2 5 4 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 B G B ) gehalten, drohende Schäden nach M ö g l i c h k e i t durch rechtzeitige G e l t e n d m a c h u n g des Gleichbehandlungsverstoßes abzuwenden. Wegen der Treuepflicht, die die Gesellschafter ihrer Gesellschaft schulden, gelten insoweit verhältnismäßig strenge A n f o r d e rungen126. Dagegen lassen sich die oben genannten, ebenfalls aus der Treuepflicht abgeleiteten zeitlichen G r e n z e n , die für die G e l t e n d m a c h u n g von Restitutionsansprüchen zu beachten sind 1 2 7 , auf Ersatzansprüche wegen erlittener Eigenschäden nach zutreffender A n s i c h t nicht übertragen. D e r G e d a n k e des Vertrauensschutzes, der die zeitliche B e s c h r ä n k u n g von Restitutionsansprüchen trägt, trifft auf derartige A n s p r ü c h e nicht oder jedenfalls nicht in vergleichbarem M a ß e zu 1 2 8 . Zweifelhaft ist, o b die Gesellschafter wegen ihrer Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft gehalten sind, vorrangig - soweit möglich - die handelnden O r ganwalter oder die für den Verstoß verantwortlichen Mitgesellschafter in A n spruch zu nehmen. D a s S c h r i f t t u m schwankt in dieser Frage 1 2 9 . Zutreffend erscheint es, dem geschädigten Gesellschafter ein Vorgehen gegen den O r g a n S. unten §18 II. S. oben §16 II 8 und §17 14. 126 Vgl. dazu B G H Z 110, 323 (329ff.) (zum e.V.). 127 S. oben Ziff. 14. 128 Vgl. Habersack, Mitgliedschaft, S. 362f.; Schmolke, Organwalterhaftung, S.299f. 129 Eine Pflicht, vorrangig die Organwalter (und dann wohl auch die Mitgesellschafter) zu belangen, bejaht Grunewald, Gesellschafterklage, S. 103 f.; ablehnend dagegen Habersack, Mitgliedschaft, S. 214 Fn. 222; offen lassend Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 242. 124
125
412
4. Kapitel:
Rechtsfolgen und prozessuale
Geltendmachung
walter bzw. Mitgesellschafter nur dann anzusinnen, wenn die Prozessrisiken eines derartigen Vorgehens nicht höher zu veranschlagen sind als diejenigen einer Inanspruchnahme der Gesellschaft. Daran wird es häufig fehlen, da eine Haftung der Organwalter bzw. Mitgesellschafter unmittelbar gegenüber dem geschädigten Gesellschafter nur unter eingeschränkten und im Einzelnen umstrittenen Voraussetzungen in Betracht kommt 1 3 0 . Wenn es doch einmal anders sein sollte, wird der geschädigte Gesellschafter schon im eigenen Interesse direkt gegen den Organwalter bzw. Mitgesellschafter vorgehen, da er bei Inanspruchnahme der Gesellschaft in H ö h e seiner Beteiligungsquote zunächst einmal selbst geschädigt bliebe. Daher wird der auf die Treuepflicht gestützte Einwand, vorrangig andere Verantwortliche in Anspruch zu nehmen, kaum praktisch relevant werden.
7. Ergebnis Festzuhalten bleibt, dass entgegen dem durch weite Teile des Schrifttums vermittelten Eindruck Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft bei schuldhaften Gleichbehandlungsverstößen dem Grunde nach zu bejahen und auch in der Rechtsprechung bereits gewährt worden sind. Zu beachten ist allerdings, dass ausschließlich Eigenschäden geltend gemacht werden können und die E r satzleistung nicht mit den Vorschriften der Kapitalerhaltung in Konflikt geraten darf, sondern aus dem nicht gebundenen Kapital möglich sein muss. Sollte Letzteres nicht der Fall sein, kann der benachteiligte Gesellschafter nach der hier vertretenen Auffassung immerhin analog § 285 Abs. 1 B G B die Abtretung etwaiger Ersatzansprüche verlangen, die der Gesellschaft wegen des Verstoßes gegen die verantwortlichen Organwalter zustehen. In jedem Fall gilt, dass der geschädigte Gesellschafter die Möglichkeiten zur Schadensabwendung
in
vollem Umfang ausschöpfen muss.
I I I . Unterlassung des Gleichbehandlungsverstoßes Beseitigung der Ungleichbehandlung und ggf. Schadensersatz führen dazu, dass die Folgen des Gleichbehandlungsverstoßes nachträglich korrigiert werden. Das Interesse der benachteiligten Gesellschafter wird allerdings häufig darauf gerichtet sein, es gar nicht erst auf eine nachträgliche Korrektur ankommen zu lassen, sondern den Gleichbehandlungsverstoß schon im Voraus abzuwenden. Diese Möglichkeit hätten sie, wenn ihnen hinsichtlich drohender Verstöße ein vorbeugender Unterlassungsanspruch gegen die Gesellschaft zustünde, den sie in Eilfällen im Wege der einstweiligen Verfügung (§§ 935 ff. Z P O ) durchset130
S. unten §§18,19 II.
5 17 Ansprüche
der benachteiligten
Gesellschafter
gegen
die Gesellschaft
413
zen könnten. Relevant wird die Frage vor allem bei drohenden Gleichbehandlungsverstößen der Verwaltung. Für eine vorbeugende Abwehr von gleichbehandlungswidrigen Beschlüssen der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung besteht dagegen neben der Anfechtungsklage regelmäßig kein Bedürfnis 131 .
1. Anerkennung a)
und Grundlagen
des
Unterlassungsanspruchs
Meinungsstand
Ein klares Meinungsbild zu der Frage, ob drohende Gleichbehandlungsverstöße durch die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen abgewehrt werden können, hat sich bislang nicht herausgebildet. Einerseits werden im Rahmen der „Abwehrklage" einzelner Gesellschafter gegen gesetz- oder satzungswidriges Handeln der Gesellschaftsorgane Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche meist in einem Atemzug genannt. Wird der eine Anspruch bejaht, wird ohne weiteres auch der andere angenommen 132 . Bejaht man - wie hier - das Bestehen eines Beseitigungsanspruchs gegenüber ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen, scheint es daher auf den ersten Blick nahe zu liegen, ohne Umschweife auch einen Unterlassungsanspruch gegen drohende Gleichbehandlungsverstöße zu befürworten. Im Schrifttum finden sich denn auch zahlreiche Stimmen, die für einen solchen Unterlassungsanspruch eintreten 133 . Der Gleichbehandlungsgrundsatz diene gerade dem Schutz der Mitgliedschaft des Einzelnen vor Eingriffen der Gesellschaftsorgane und müsse daher auch zu klagbaren Unterlassungsansprüchen führen. Dieser Standpunkt fügt sich ein in eine zunehmend vertretene Konzeption, die Abwehrklagen gegenüber Verwaltungsmaßnahmen generell immer dann zulassen will, wenn der Gesellschafter in einem eigenen subjektiven Mitgliedschaftsrecht - zu diesen zählt nach der hier vertretenen Auffassung auch das Recht auf gleichmäßige Behandlung 134 - verletzt zu werden droht 135 . Andererseits 131 Näher zum Verhältnis zwischen Beschlussanfechtung und Unterlassungsklage sogleich unter Ziff. 1 c. 132 Vgl. BGHZ 83, 122 (134) („Unterlassung oder Wiederherstellung"); Baums, Gutachten, S. 197 ff.; Bayer, N J W 2000,2609 (2610); Hoff mann-Becking, Z H R 167 (2003), 357 (357); Krieger, Z H R 163 (1999), 343 (353 ff.); T. Raiser, Z H R 153 (1989), 1 (27). 133 Bayer, N J W 2000, 2609 (2611); v. Gerkan, ZGR 1988, 441 (442); Krieger, Z H R 163 (1999), 343 (357); Lutter, AcP 180 (1980), 84 (127) (anders aber zur AG ders., JZ 2000, 837 [841]); Zöllner, ZGR 1988, 392 (427); Rollin, Aktionärsklage, S.200; beiläufig auch schon G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S.342 (unter cc); ferner Baums, Gutachten, S. 212 f. in Bezug auf Treuepflichtverletzungen, zu denen nach der hier vertretenen Auffassung auch der Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zählt (s. oben § 5 III). Für Unterlassungsanspruch i.E. auch diejenigen, die entgegen der h.M. Abwehransprüche gegen jedes gesetz- oder satzungswidrige Verhalten der Gesellschaftsorgane bejahen (Nachw. oben Fn. 3). 134 S. oben §51. 135 So - jeweils zur KG-Hoffmann-Becking, Z H R 167 (2003), 357 (363 f.); Krieger, Z H R
414
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
finden sich aber auch zurückhaltende Stimmen, die klagbare Unterlassungsansprüche der Gesellschafter gegen Geschäftsführungsmaßnahmen - von Ubergriffen in die Zuständigkeit der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung abgesehen - entweder ganz ablehnen 136 oder bei Gleichbehandlungsverstößen nur dann befürworten, wenn die Gesellschafter nicht schon durch einen Anspruch auf aktive Gleichbehandlung geschützt sind 137 . Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat die hier interessierende Frage bislang nur partiell entschieden. Unterlassungsansprüche der Gesellschafter gegen Verwaltungsmaßnahmen hat der BGH bisher nur in zwei Konstellationen anerkannt, zum einen bei Ubergriffen des Vorstands in den Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung („Holzmüller") 138 und zum anderen im Fall des rechtswidrigen Bezugsrechtsausschlusses bei Kapitalerhöhungen aus genehmigtem Kapital („Siemens/Nold") 139 . Demgegenüber hat der BGH in einer älteren Entscheidung eine von Kommanditisten einer GmbH & Co. KG gegen die Komplementärin (nicht die KG) gerichtete Klage, Zuwendungen aus dem Gesellschaftsvermögen an einen Gesellschafter der Komplementärin zu unterlassen, mit der Begründung abgewiesen, dass andernfalls ein Ubergriff in die Geschäftsführung der Gesellschaft stattfinde und die gesellschaftsvertraglich festgelegte Zuständigkeitsverteilung verletzt werde. Die Kläger wurden stattdessen darauf verwiesen, nachträglich Schadensersatz geltend zu machen 140 . Diese Entscheidung deutet auf den ersten Blick eher in die Richtung, dass der BGH Unterlassungsansprüche gegen Gleichbehandlungsverstöße der Verwaltung nicht anerkennen will; denn man wird unterstellen dürfen, dass die nicht durch das Gesellschaftsinteresse gerechtfertigte Zuwendung an den Gesellschafter der Komplementärin (und damit mittelbaren Gesellschafter der KG) zugleich einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz beinhaltete. Der BGH ging hierauf jedoch mit keinem Wort ein, sondern sprach allein von einer Verletzung der Pflicht der Komplementärin, die Geschäfte der KG mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu führen. Gewürdigt wurde also allein die Pflichtverletzung der Komplementärin gegenüber der Gesellschaft, nicht auch 163 (1999), 343 (357); ähnlich Baums, Gutachten, S. 208 ff. (Verletzung von Vorschriften, die den Schutz des klagenden Aktionärs bezwecken); Bayer, N J W 2000,2609 (2611); in Bezug auf Eingriffe der Verwaltung in das Bezugsrecht der Aktionäre auch Habersack, DStR 1998, 533 (537). 136 Vgl. - ebenfalls jeweils zur KG-Adolff, Z H R 169 (2005), 310 (319 ff.); Hopt, in: Großkomm. AktG, §93 Rdn.459; Lutter, JZ 2000, 837 (841); Pflugradt, Leistungsklagen, S. 117 ff.; K. Schmidt, in: Verhandlungen des 63. DJT II/l, O 27f., 37 (These 12) (vgl. aber auch dens., Gesellschaftsrecht, §21 V 3 b a.E. [S. 650]); ebenso das Votum des Deutschen Juristentags im Jahr 2000 in Leipzig, Verhandlungen des 63. DJT, O 79 (Beschluss II 1 b). 137 Schulz-Gardyan, Aktionärsklage, S. 121. 138 BGHZ 83,122 (133 ff.). 139 BGHZ 136, 133 (141); zuletzt bestätigt durch BGH ZIP 2005,2207 (2208). 140 BGHZ 76, 160 (167f.); darauf Bezug nehmend für die AG auch BGHZ 83, 122 (134). Zur Ubertragbarkeit der Entscheidung auf die GmbH Habersack, Mitgliedschaft, S. 294.
5 17 Ansprüche der benachteiligten
Gesellschafter gegen die Gesellschaft
415
die zugleich verwirklichte Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes 1 4 1 . D e s h a l b lässt sich die Entscheidung nicht als eindeutiges Präjudiz werten, dass der B G H Unterlassungsansprüchen zur A b w e h r drohender Gleichbehandlungsverstöße grundsätzlich ablehnend gegenüber stehe. A u f der E b e n e der Instanzgerichte hat allerdings das L G D ü s s e l d o r f entschieden, dass die Verletzung der seinerzeit aus § 53a A k t G hergeleiteten N e u tralitätspflicht des Vorstands im Vorfeld einer feindlichen Ü b e r n a h m e
nicht
geeignet sei, Unterlassungsansprüche auszulösen 1 4 2 . D i e B e g r ü n d u n g des G e richts erschöpft sich jedoch im Wesentlichen in der Feststellung, dass anders als in der „ H o l z m ü l l e r " - E n t s c h e i d u n g kein E i n g r i f f in Entscheidungsbefugnisse aus der Mitgliedschaft vorliege. E i n e nähere argumentative Auseinandersetzung mit der hier interessierenden Frage, o b auch über den E i n g r i f f in die Z u ständigkeit der Anteilseignerversammlung hinaus klagbare Unterlassungsansprüche z u m S c h u t z individueller Mitgliedschaftsrechte bestehen, findet in der Entscheidung nicht statt 1 4 3 . I n Auseinandersetzung mit dem genannten U r t e i l des B G H zur K G w i r d im S c h r i f t t u m schließlich eine vermittelnde Auffassung vertreten, nach der U n t e r lassungsansprüche gegenüber G e s c h ä f t s f ü h r u n g s m a ß n a h m e n nur dann geltend gemacht werden k ö n n e n , w e n n der Pflichtverstoß „evident" sei 1 4 4 . A u f diese Weise soll ein übermäßiger E i n g r i f f in die Zuständigkeitsverteilung der G e s e l l schaft vermieden, andererseits aber ein M i n d e s t m a ß an präventivem G e s e l l schafterschutz gewährleistet werden. Diese Auffassung ist zwar nicht speziell für die hier interessierenden Gleichbehandlungsverstöße entwickelt worden. E s ließe sich aber erwägen, sie auch hier fruchtbar zu machen und Unterlassungsansprüche der gleichbehandlungswidrig benachteiligten Gesellschafter ebenfalls nur bei evidenten Verstößen zuzulassen.
b) Mögliche
Einwände
gegen
die Anerkennung
des
Unterlassungsanspruchs
D e r zentrale E i n w a n d , der von den G e g n e r n einer A b w e h r k l a g e jenseits der „ H o l z m ü l l e r " - K o n s t e l l a t i o n ( E i n g r i f f in Zuständigkeiten der Anteilseignerversammlung) erhoben wird, besteht in dem bereits in dem erwähnten B G H U r t e i l zur K G 1 4 5 angeführten H i n w e i s auf die drohende A u s h ö h l u n g der K o m 141 Dies mag sich daraus erklären, dass die Klage nicht gegen die Gesellschaft gerichtet war, sondern gegen die Komplementärin, die nicht selbst Adressatin des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist. 142 LG Düsseldorf AG 2000, 233 (234). 143 Kritisch zur Begründung des LG Düsseldorf auch Baums, Gutachten, S.213 f.; Bayer, N J W 2000, 2609 (2611 Fn. 32); grundsätzlich zustimmend aber Buck, WuB § 119 AktG 1.00; Hartm. Krause, AG 2000, 217. 144 Vgl. Grunewald, DB 1981, 407 (408 f.), ähnlich dies., Gesellschafterklage, S.31; zustimmend Bork/Oepen, ZGR 2001, 515 (537 f.). 145 B G H Z 76,160 (167f.).
416
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
petenzordnung der Gesellschaft 146 . Dieser Einwand lässt sich nicht schon durch das Argument entkräften, dass den Geschäftsleitern keine Kompetenz zustehe, rechtswidrig zu handeln und Gleichbehandlungsverstöße zu begehen 147 . Dies trifft zwar zu, doch ist im Zeitpunkt der Erhebung der Unterlassungsklage noch gar nicht geklärt, ob die beabsichtigte Maßnahme tatsächlich gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt. Auch im Zeitpunkt des Erlasses einer auf den Unterlassungsanspruch gestützten einstweiligen Verfügung (§§ 935, 940 ZPO), die der Geschäftsleitung das Ergreifen der beabsichtigten Maßnahme untersagt, steht noch nicht abschließend fest, ob tatsächlich ein Gleichbehandlungsverstoß vorliegt. Dass gerade einstweilige Verfügungen einen gravierenden Eingriff in die Kompetenzordnung bewirken können, lässt sich daher schwerlich leugnen. Ebenso wenig lässt sich bestreiten, dass die von einer einstweiligen Verfügung ausgehende Blockadewirkung bei zu großzügiger Handhabung dem einzelnen Gesellschafter ein beträchtliches Erpressungspotenzial in die Hand gibt, das angesichts der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte mit berufsoppositionellen Aktionären erhebliches Unbehagen auslösen muss 148 . Fraglich ist aber, ob dieser Gesichtspunkt es tatsächlich rechtfertigt, präventiven Rechtsschutz der Gesellschafter jenseits von Maßnahmen, die in die Zuständigkeit der Anteilseignerversammlung eingreifen, kategorisch in jeder Hinsicht und selbst bei offensichtlichen Verstößen auszuschließen. Gegen diese Annahme spricht zunächst, dass es in unserer Rechtsordnung eine ausgesprochene Anomalie bedeuten würde, dem Inhaber eines Rechts zuerst nach Art eines „dulde und liquidiere" die Duldung des Verstoßes zuzumuten, um ihn anschließend auf nachträgliche Ausgleichsansprüche (Beseitigung, Schadensersatz) zu verweisen. Besinnt man sich auf allgemeine Grundsätze, wird vielmehr deutlich, dass unsere Rechtsordnung grundsätzlich bereit ist, präventiven Rechtsschutz zu gewähren, wenn der Betroffene daran ein schutzwürdiges Interesse hat. Dies gilt nicht nur für deliktisch geschützte Rechtsgüter (§§ 823 ff. i.V.m. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB), sondern auch für durch Vertrag oder andere Sonderverbindungen geschützte Rechtspositionen. So hat sich im Vertragsrecht die Auffassung herausgebildet, dass die Vertragsparteien ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden voneinander die Unterlassung von (Neben-) Pflichtverletzungen verlangen können, wenn die Gefahr einer künftigen Pflichtverletzung besteht, diese Gefahr so konkret ist, dass das zu unterlassende Verhalten in vollstreckungsfähiger Weise bezeichnet werden kann, und der Gläubiger vor 146 Eindringlich zuletzt (zur AG) A d o l f f , Z H R 169 (2005), 310 (313 ff., 319ff.); ferner die weiteren Nachw. in Fn. 136. 147 So aber Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 320. 148 Dies gilt zumal vor dem Hintergrund, dass geschickte Kläger offenbar auch das aus der drohenden Schadensersatzpflicht (§ 945 ZPO) resultierende Haftungsrisiko zu minimieren wissen; vgl. dazu Hoffmann-Becking, Z H R 167 (2003), 357 (358); A d o l f f , Z H R 169 (2005), 310(312).
§ 17 Ansprüche
der benachteiligten
Gesellschafter
gegen
die Gesellschaft
417
der Pflichtverletzung nicht anderweitig geschützt ist 149 . Unter diesen Voraussetzungen wird dem Vertragspartner also nicht auferlegt, die Verletzung seiner Rechtsposition abzuwarten und anschließend Schadensersatz aus §280 Abs. 1 BGB (pFV) zu verlangen. Seine Grundlage findet der Unterlassungsanspruch unmittelbar in dem abgeschlossenen Vertrag 150 . Dies legt es nahe, unter den genannten Voraussetzungen - Begehungsgefahr, hinreichende Konkretisierung, kein anderweitiger Schutz - auch in den hier interessierenden Fällen einen unmittelbar aus der verbandsrechtlichen Sonderverbindung abgeleiteten, verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch zu bejahen. Hinzu kommt speziell mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz eine weitere Überlegung. Sofern es sich um einfache Geschäftsführungsmaßnahmen handelt, die alle Gesellschafter gleichmäßig treffen, mag man den Ausschluss jeglichen präventiven Rechtsschutzes noch hinnehmen und sich damit beruhigen, dass die Geschäftsleiter bereits durch den Aufsichtsrat bzw. die Gesellschafterversammlung hinreichend kontrolliert werden. Deshalb erscheint es auch aus rechtspolitischer Sicht richtig, den Gesellschaftern kein allgemeines Recht auf gesetz- und satzungsmäßiges Verhalten der Verwaltungsorgane zuzusprechen 151 . Das Bild ändert sich jedoch, wenn die beabsichtigte Maßnahme die Gesellschafter ungleich behandelt. Da sich Ungleichbehandlungen regelmäßig zugunsten der Gesellschaftermehrheit auswirken, ist jedenfalls von der Gesellschafterversammlung der GmbH im Regelfall nicht zu erwarten, dass sie Benachteiligungen einzelner Gesellschafter durch die Geschäftsführung entschieden entgegentreten wird. Aber auch der von der Mehrheit in der Hauptversammlung gewählte, regelmäßig mit Vertretern der Großaktionäre besetzte Aufsichtsrat der AG wird zögern, nur im Interesse einzelner Minderheitsaktionäre zu intervenieren. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Kontrolle der Geschäftsleitung durch die hierfür berufenen Organe bei Ungleichbehandlungen nicht dieselbe Richtigkeitsgewähr aufweist wie bei gleichmäßigen Maßnahmen 152 . Dann aber muss es bedenklich erscheinen, Unterlassungsansprüche der gleichbehandlungswidrig benachteiligten Gesellschafter jenseits von Fällen, in denen ein Eingriff in die Zuständigkeit der Anteilseignerversammlung vorliegt, kategorisch auszuschließen. Davon abgesehen wäre es mit Rücksicht auf das gemeinschaftsrechtliche Gebot, die Sanktionen von Verstößen gegen den (im Aktienrecht) richtliniendeterminierten Gleichbehandlungsgrundsatz „jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend" auszugestalten 153 , auch sehr fragwürdig, ob ein Totalausschluss des präventiven 149 Eingehend J. Fritzsche, Unterlassungsanspruch, S. 69 ff., insbes. 73 f.; Köhler, AcP 190 (1990), 496 (509 ff.), vgl. auch Kramer, in: MünchKomm. BGB, §241 Rdn. 12, m.w.Nachw. 150 ]. Fritzsche, Unterlassungsanspruch, S. 75. 151 S. bereits oben Ziff. 11. 152 Vgl. zu diesem Grundgedanken in anderem Zusammenhang bereits oben § 3 II 1 b, c. 153 S.oben §6 II 5.
418
4. Kapitel:
Rechtsfolgen und prozessuale
Geltendmachung
Rechtsschutzes jenseits der Fälle der K o m p e t e n z k o n t r o l l e gemeinschaftsrechtlich überhaupt zulässig wäre. Vor diesem Hintergrund spricht anstelle eines Totalausschlusses des präventiven Rechtsschutzes mehr für eine Lösung, die zwar einerseits Unterlassungsansprüche der Gesellschafter gegenüber drohenden Gleichbehandlungsverstößen unter sogleich noch zu präzisierenden Voraussetzungen grundsätzlich anerkennt, andererseits aber auf die besonderen Gefahren, die sich aus der Blockadewirkung einstweiliger Verfügungen ergeben, angemessen Rücksicht nimmt. Letzteres lässt sich dadurch bewerkstelligen, dass man die inhaltlichen Anforderungen an den Erlass einer einstweiligen Verfügung hoch ansetzt und insbesondere das Vollzugsinteresse der Gesellschaft und der nicht benachteiligten Gesellschafter an der D u r c h f ü h r u n g der M a ß n a h m e im R a h m e n des Eilverfahrens gebührend mitberücksichtigt. Das Prozessrecht lässt hierfür hinreichend R a u m ; auf die Einzelheiten ist unter Ziff. 2 z u r ü c k z u k o m m e n .
c) Rechtsgrundlage
und Voraussetzungen
des
Unterlassungsanspruchs
Rechtsgrundlage und tabestandliche Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs sind im Vorstehenden bereits angedeutet worden. Als Anspruchsgrundlage bietet sich nicht anders als beim Beseitigungsanspruch ein unmittelbarer R ü c k g r i f f auf den Gleichbehandlungsgrundsatz an, d.h. eine Ableitung unmittelbar aus der Sonderverbindung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 1 5 4 . Aus dem R e c h t , als Gesellschafter gleich behandelt zu werden, lässt sich unmittelbar auch das Recht ableiten, dass Ungleichbehandlungen zu unterlassen sind. Hinsichtlich der einzelnen tatbestandlichen Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs lässt sich an die bereits genannten allgemeinen Grundsätze anknüpfen. D a n a c h ist neben dem Vorliegen einer Begehungsgefahr zu fordern, dass die sich abzeichnende Verletzungshandlung genau beschrieben werden kann und der betroffene Gesellschafter nicht bereits anderweitig geschützt ist 1 5 5 . Beachtung verdient vornehmlich die letztgenannte Voraussetzung: Sie führt dazu, dass in Fällen, in denen der drohende Verstoß in einem bevorstehenden Beschluss der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung liegt, grundsätzlich keine Unterlassungsklage erhoben werden kann; denn der Gesellschafter ist in aller Regel hinreichend dadurch geschützt, dass er Anfechtungsklage erheben k a n n 1 5 6 . Ausnahmen k o m m e n allenfalls in seltenen Ausnahmefällen in Betracht, wenn der B e -
154 Etwaige konkurrierende Unterlassungsansprüche aus Delikt (§§ 823, 826 i.V.m. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB) können zunächst außer Betracht bleiben. Ob sie bestehen, ist erst für die Frage eines Vorgehens gegen die Organwalter von Interesse; dazu unten § 18 I. 155 Vgl. die Nachw. in Fn 149. 156 Für Vorrang der Anfechtungsklage auch Zöllner, ZGR 1988, 392 (427); Baums, Gutachten, S. 205,207 (mit der sogleich im Text angesprochenen Ausnahme).
§ 17 Ansprüche
der benachteiligten
Gesellschafter
gegen die Gesellschaft
419
schluss keiner Ausführung bedarf, sondern sofort wirksam und dem betroffenen Gesellschafter deshalb ein Abwarten des Beschlusses nicht zumutbar ist 157 . Dagegen entfällt das Schutzbedürfnis und mit ihm der Unterlassungsanspruch nicht schon dann, wenn dem Gesellschafter bei Eintritt des Gleichbehandlungsverstoßes ein Anspruch auf aktive Gleichbehandlung zustehen würde 158 . Das belegt schon das Beispiel einer AG, die ständig ohne sachlichen Grund einzelne Aktionäre bei der Informationserteilung bevorzugt. Ein solches Verhalten löst zwar einen Anspruch der übrigen Aktionäre auf aktive Gleichbehandlung in Form der Nachinformation aus (§131 Abs. 4 AktG) 1 5 9 , führt aber offensichtlich nicht dazu, dass ihr Interesse daran entfiele, dass die selektive Vorausinformation einzelner Aktionäre von vornherein unterbleibt. Allein das Bestehen eines nachträglichen Anspruchs auf aktive Gleichbehandlung vermag also präventive Unterlassungsansprüche nicht auszuschließen.
2. Geltendmachung
im
Eilverfahren
Der Unterlassungsanspruch gegenüber drohenden Gleichbehandlungsverstößen wird primär im Rahmen der einstweiligen Verfügung (§§ 935 ff. ZPO) praktische Bedeutung erlangen, da nur so der bevorstehende Verstoß zeitnah abgewendet werden kann. Die Bedenken, welche die vorläufige Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen im Wege der einstweiligen Verfügung im vorliegenden Zusammenhang hervorruft, sind bereits skizziert worden: Durch die Möglichkeit, Maßnahmen der Gesellschaftsorgane zu blockieren, obwohl die Berechtigung dieses Anliegens noch gar nicht feststeht, wird dem einzelnen Gesellschafter ein einschneidendes Druckmittel in die Hand gegeben, das Befürchtungen vor einer missbräuchlichen Handhabung weckt. Das gilt erst recht, wenn man die - bei Einbeziehung materieller Ungleichbehandlungen - beträchtliche Reichweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes bedenkt. Diesen Bedenken lässt sich jedoch im Rahmen der allgemeinen Regeln der einstweiligen Verfügung hinreichend Rechnung tragen. Das besondere Erpressungspotenzial einstweiliger Verfügungen ergibt sich daraus, dass das wirtschaftliche Interesse der Gesellschaft am Vollzug der Maßnahme häufig deutlich größer ist als - insbesondere bei geringem Anteilsbesitz - das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers am Erlass der einstweiligen Verfügung. Diese Besonderheit lässt sich aber im einstweiligen Verfügungsverfahren durchaus berücksichtigen: Nach zutreffender Auffassung steigen nämlich die Anforderungen an das Maß der Glaubhaftmachung (§§ 936, 920 Abs. 2, 294 Z P O ) des Verfügungsanspruchs, also an die Wahrscheinlichkeit, dass der Unterlassungs157 158 159
Näher Baums, Gutachten, S. 207. So aber Schulz- Gardyan, Aktionärsklage, S. 121. S.obenZiff. I 3 a c c .
420
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
ansprach tatsächlich gegeben ist, wenn eine Abwägung der beiderseitigen Interessen ergibt, dass dem Antragsgegner im Fall der Erfolglosigkeit der Hauptsacheklage aus einem Vollzug der zuvor ergangenen einstweiligen Verfügung größere Nachteile erwachsen würden als dem Antragsteller, wenn er seinen Anspruch letztendlich nicht durchsetzen kann. Je gravierender der Eingriff in die Interessen des Antragsgegners ist, umso wahrscheinlicher muss es also sein, dass der Eingriff zu Recht erfolgt, d.h. der Antragsteller in der Hauptsache obsiegt 160 . Diese Auffassung wird im prozessrechtlichen Schrifttum für den Bereich der sog. Sicherungsverfügung (§ 935 ZPO) zwar verschiedentlich bestritten 161 . Zumindest im Bereich des Gesellschaftsrechts lässt sich die Kritik an der vorbeschriebenen Interessenabwägung jedoch nicht aufrechterhalten. Insoweit lässt sich nämlich an die Wertungen anknüpfen, die der Gesetzgeber im Parallelfall des Freigabeverfahrens nach §§ 16 Abs. 3 UmwG, §§246a, 319 Abs. 6, 327e AktG getroffen hat 162 . In diesem besonderen Eilverfahren wird die Frage, ob die durch Erhebung der Anfechtungsklage eingetretene Blockadewirkung aufrechterhalten bleibt, von einer umfassenden Interessenabwägung abhängig gemacht. Die Blockade kann namentlich dann überwunden werden, wenn die Gesellschaft glaubhaft macht, dass das alsbaldige Wirksamwerden der Maßnahme „nach freier Uberzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung der Schwere der mit der Klage geltend gemachten Rechtsverletzungen zur Abwendung der [von der Gesellschaft] dargelegten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre vorrangig erscheint." 163 Der Gesetzgeber will dem Erpressungspotenzial von Aktionärsklagen also dadurch die Spitze nehmen, dass im Eilverfahren die Vollzugsinteressen der Gesellschaft gebührend berücksichtigt werden. Es wäre ungereimt, wollte man diese gesetzliche Wertung nicht auch in dem Parallelfall berücksichtigen, in dem die drohende Blockadewirkung nicht von einer anhängigen Anfechtungsklage, sondern von einer einstweiligen Verfügung ausgeht. Konsequent erscheint es vielmehr, etwaige gewichtige Vollzugsinteressen der Gesellschaft auch im Verfahren der einstweiligen Verfügung zu berücksichtigen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass bei drohenden gravierenden Nachteilen für die Gesellschaft und ihre Gesellschafter und vergleichsweise geringfügiger Beeinträchtigung des Verfügungs160 Vgl. Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, §935 Rdn.9; Heinze, in: MünchKomm. ZPO, §920 Rdn. 14, §935 Rdn. 19; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vorläufiger Rechtsschutz, § 935 ZPO Rdn. 9; Seiler/Schlitt, Z H R 166 (2002), 544 (569f.) m.w.Nachw. 161 Vgl. Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdn. 1581; Rosenberg/Gaul/Sc^zY&e«, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 II 1 c (S. 1012); ders., Befriedigungsverfügung, S. 126 f. 162 Zu den Parallelen zwischen Freigabeverfahren und einstweiliger Verfügung vgl. auch Kort, Bestandsschutz, S. 89f. 163 §§ 246a Abs. 2, 3. Fall, 319 Abs. 6 Satz 2,3. Fall, 327e Abs. 2 AktG, weitestgehend wortgleich auch § 16 Abs. 3 Satz 2, 3. Fall UmwG. Zur analogen Anwendung des § 246a AktG auf die GmbH vgl. Harbarth, GmbHR 2005, 966 ff.
$ 17 Ansprüche
der benachteiligten
Gesellschafter
gegen die Gesellschaft
421
klägers der Erlass einer einstweiligen Verfügung zwar nicht ausgeschlossen ist, diese aber nur ergehen darf, wenn die Glaubhaftmachung des Verstoßes einen sehr hohen Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht, der einem Vollbeweis nahe kommt 164 . Beherzigt man das Vorstehende, werden regelmäßig nur mehr oder weniger evidente (drohende) Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zum Erlass einer einstweiligen Verfügung führen. Diese Einschränkung ergibt sich aber - wie dargelegt - nur aus der im Rahmen des Eilverfahrens gebotenen Interessenabwägung und ist deshalb auch nur im Eilverfahren zu beachten. Die im Schrifttum 165 vereinzelt erwogene, auf der Ebene des materiellen Rechts angesiedelte generelle Beschränkung des Unterlassungsanspruchs auf evidente Verstöße ist dagegen nicht veranlasst.
3. Ergebnis Resümierend bleibt festzuhalten, dass sich unmittelbar aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ein verschuldensunabhängiger Anspruch der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft ergibt, der auf Unterlassung bevorstehender Gleichbehandlungsverstöße gerichtet ist. Voraussetzung ist neben dem Vorliegen einer Begehungsgefahr, dass der sich abzeichnende Verstoß genau bezeichnet werden kann und der benachteiligte Gesellschafter nicht bereits anderweitig geschützt ist. Einen vorrangigen anderweitigen Schutz bietet insbesondere die Anfechtungsklage gegen gleichbehandlungswidrige Beschlüsse der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung. Bedeutung erlangt der Unterlassungsanspruch daher im Wesentlichen nur im Bereich von Maßnahmen der Verwaltung. Praktisch bedeutsam ist, dass an die Glaubhaftmachung des Verstoßes im Verfahren der einstweiligen Verfügung besonders hohe Anforderungen zu stellen sind, wenn der Gesellschaft - wie häufig - aus der Aussetzung des Vollzugs erheblich gravierendere Nachteile drohen als den benachteiligten Gesellschaftern aus dem Vollzug der Maßnahme. Wird dies beachtet, ist den Bedenken, die unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in 164 Im Freigabeverfahren nach § 16 Abs. 3 Satz 2 UmwG, §§ 246a Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 2 (jeweils 3. Fall), 327e AktG will der Gesetzgeber sogar noch einen Schritt weiter gehen, indem er es selbst bei „zweifelsfrei begründeter" Anfechtungsklage für möglich hält, dass das Vollzugsinteresse der Gesellschaft überwiegt; vgl. Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 29 Ii. Sp.; zuvor bereits Bork, in: Lutter, UmwG, § 16 Rdn. 19b, 20 m.w.Nachw. auch zur Gegenauffassung. Dieser Ansatz hat indes die problematische Folge, dass manche Mängel gar nicht mehr sanktioniert werden (jedenfalls, was den Primärrechtsschutz anbetrifft); so denn auch die Kritik etwa von Grunewald, in: MünchKomm. AktG, § 319 Rdn. 38 mit Fn. 88. Man sollte diese problematische Folge daher nicht noch über das Freigabeverfahren hinaus ausdehnen und es im hier interessierenden Kontext bei der im Text getroffenen Aussage belassen. 165 Nachw. oben Fn. 144.
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4. Kapitel:
Rechtsfolgen und prozessuale
Geltendmachung
die Zuständigkeitsverteilung und des beträchtlichen Erpressungspotenzials von Unterlassungsansprüchen und darauf gestützten einstweiligen Verfügungen bestehen, hinreichend Rechnung getragen.
§18 Ansprüche der benachteiligten Gesellschafter gegen die Organwalter Die Untersuchung der Rechtsfolgen von Gleichbehandlungsverstößen wäre unvollständig, wenn man allein das Rechtsverhältnis der benachteiligten Gesellschafter zu ihrer Gesellschaft in die Betrachtung einbezöge. Im Folgenden ist der Blick daher auch auf ein mögliches Vorgehen gegen die für die Gesellschaft handelnden Organwalter zu lenken, bevor in einem weiteren Schritt (unten § 19) auf eine mögliche Inanspruchnahme der Mitgesellschafter eingegangen wird. Was zunächst die Organwalter anbetrifft, so werden die benachteiligten Gesellschafter insbesondere im Rahmen möglicher Schadensersatzansprüche nicht selten ein Interesse daran haben, lieber gegen jene als gegen die Gesellschaft vorzugehen. Dies gilt vor allem dann, wenn der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen die Gesellschaft die Kapitalerhaltungsregeln1 oder die Insolvenz der Gesellschaft entgegenstehen. Ein Hindernis für ein Vorgehen gegen die Organwalter ergibt sich allerdings daraus, dass nach herkömmlicher Auffassung zwischen den Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft und den Organmitgliedern keine Sonderverbindung besteht, aus der sich Direktansprüche der Gesellschafter gegen die Organmitglieder ergeben könnten 2 . Daher ist zunächst zu klären, ob die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes einen deliktsrechtlichen Haftungstatbestand erfüllt (Ziff. I). Sollte das zu verneinen sein, wäre anschließend zu fragen, ob entgegen der traditionellen Auffassung nicht doch ein Rekurs auf das Recht der Sonderverbindung möglich ist (Ziff. II).
I. Deliktsrechtliche Ansprüche Wäre der Gleichbehandlungsgrundsatz deliktsrechtlich geschützt, kämen sowohl Schadensersatzansprüche als auch - analog § 1004 Abs. 1 BGB 3 - Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche gegen die einzelnen Organwalter in BeS. oben §17 II 5. Nachw. unten Fn. 39. 3 § 1004 B G B ist nach h.M. auf alle deliktisch geschützten Rechtsgüter analog anwendbar; vgl. Bassenge, in: Palandt, B G B , §1004 Rdn.4;/. Hager, in: Staudinger, B G B , Vorbem. zu §§ 823 ff. Rdn. 63; jeweils m.w.Nachw. 1
2
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4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
tracht 4 . Ein Deliktstatbestand ist fraglos gegeben, wenn sich die von dem Organwalter begangene Ungleichbehandlung zugleich als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 B G B gegenüber einzelnen Gesellschaftern darstellt5. Da darin keine Besonderheit des Gleichbehandlungsgrundsatzes liegt, muss dies hier nicht vertieft werden. Die nachstehenden Überlegungen gelten vielmehr der Frage, ob sich ein speziell auf das Gleichbehandlungsgebot zugeschnittener Deliktsschutz begründen lässt.
1. Ansprüche gegen die Organwalter aus § 823 Abs. 1 BGB? Weithin Einigkeit besteht, dass sich ein deliktischer Schutz des Gleichbehandlungsgrundsatzes jedenfalls nicht aus § 823 Abs. 1 B G B herleiten lässt 6 . In Betracht käme allenfalls, an die Mitgliedschaft als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 B G B anzuknüpfen und den Gleichbehandlungsgrundsatz in den deliktischen Schutzbereich der Mitgliedschaft einzubeziehen 7 . Dieser Weg ist indes nicht gangbar: Fraglich ist schon, ob der Mitgliedschaft und einzelnen Mitgliedschaftsrechten überhaupt die Qualität eines absolut geschützten „sonstigen Rechts" zuzuerkennen ist. Von einer zunehmend vertretenen Mindermeinung wird dies mit guten Gründen verneint 8 . Sieht man die Mitgliedschaft dagegen als sonstiges Recht i.S. des § 823 Abs. 1 B G B an, ist weiterhin zweifelhaft, ob sich der deliktische Schutz der Mitgliedschaft auch auf das Innenverhältnis zwischen dem Mitglied und dem Verband und seinen Organen erstreckt; die wohl h.L. will zumindest dies verneinen 9 . Aber selbst dann, wenn man diese Bedenken hintanstellt und einen deliktischen Schutz der Mitgliedschaft (wie
4 Zur Passivlegitimation der Organwalter im Rahmen des § 1004 B G B vgl. RG Recht 1927, Nr.2194; Gursky, in: Staudinger, B G B , § 1004 Rdn. 128. 5 Zur Passivlegitimation der Organwalter im Rahmen des § 826 B G B vgl. Wagner, in: MünchKomm. B G B , § 826 Rdn. 31; Oechsler, in: Staudinger, B G B , § 826 Rdn. 296 ff. 6 Vgl. Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn. 35; Habersack, Mitgliedschaft, S.285; Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 24, 152; Hüffer, AktG, § 53a Rdn. 12; Janssen, AnwKomm. AktG, §53a Rdn. 32; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §53a Rdn. 42; auch schon Meyerowitz, Gleichmäßige Behandlung, S. 29. 7 Hierfür Mertens, in: Hachenburg, GmbHG, §43 Rdn. 105; ders., in: Kölner Komm. AktG, § 93 Rdn. 172; ders., FS Fischer, S. 461 (471 f.). 8 Vgl. Hadding, FS Kellermann, S.91 (102ff.); Helms, Vereinsmitgliedschaft, S.56ff.; Klink, Mitgliedschaft, S. 135 ff.; Schmolke, Organwalterhaftung, S. 67 ff.; sowie zuletzt M. Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 19 ff.; zweifelnd auch Medicus, Schuldrecht II, Rdn. 808. 9 Vgl. etwa Hefermehl/Spindler, in: MünchKomm. AktG, § 93 Rdn. 173; Hopt, in: Großkomm. AktG, §93 Rdn.473; Hüffer, Z H R 161 (1997), 867 (870 f.); Reuter, in: MünchKomm. B G B , §38 Rdn. 19; ders., FS Herrn. Lange, S.707 (721 ff.); U.H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rdn. 215 f.; Wagner, in: MünchKomm. B G B , § 823 Rdn. 166; M. Winter, Treuebindungen, S.54f.; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §43 Rdn. 65; Zöllner, Z G R 1988,392 (430).
§ 18 Ansprüche der benachteiligten
Gesellschafter gegen die Organwalter
425
der B G H ) auch i m Verbandsinnenverhältnis grundsätzlich b e f ü r w o r t e t 1 0 , wird man nicht so weit gehen k ö n n e n , den Gleichbehandlungsgrundsatz dem deliktischen Schutzbereich der Mitgliedschaft z u z u o r d n e n . M i t der Pflicht der G e sellschaft zur Gleichbehandlung korrespondiert z w a r nach der hier vertretenen Auffassung ein subjektives R e c h t des einzelnen Gesellschafters auf G l e i c h b e handlung 1 1 . D i e s e m R e c h t eignet aber kein Zuweisungsgehalt in dem Sinne, wie er Voraussetzung f ü r die A n e r k e n n u n g als „sonstiges" R e c h t im Sinne des § 823 Abs. 1 B G B wäre 1 2 . D a s R e c h t , gleich behandelt zu werden, weist den Gesellschaftern keine Herrschaftsbefugnisse an einem außerhalb des R e c h t s bestehenden Gegenstand zu, sondern enthält lediglich eine A b w e h r b e f u g n i s . D a r a n ändert auch der U m s t a n d nichts, dass sich aus einer Verletzung des G l e i c h b e handlungsgrundsatzes u.U. A n s p r ü c h e auf aktive Gleichbehandlung ergeben können. D e n n auch insoweit handelt es sich nicht u m originäre Teilhaberechte, sondern u m A n s p r ü c h e , die erst in R e a k t i o n auf eine vorangegangene Ungleichbehandlung ausgelöst werden und darauf abzielen, den E i n g r i f f in das G l e i c h behandlungsrecht durch Wiederherstellung der Gleichheit abzuwehren. A u c h von B e f ü r w o r t e r n eines weitreichenden D e l i k t s s c h u t z e s der Mitgliedschaft im Verbandsinnenverhältnis wird daher eingeräumt, dass eine E i n b e z i e h u n g des Gleichbehandlungsgrundsatzes in den deliktischen Schutzbereich der Mitgliedschaft zu verneinen ist 1 3 .
2. Ansprüche gegen die Organwalter aus § 823 Abs. 2 BGB? U n t e r s c h i e d l i c h beurteilt w i r d dagegen die Frage, o b der G l e i c h b e h a n d l u n g s g r u n d s a t z ein S c h u t z g e s e t z im S i n n e des § 8 2 3 A b s . 2 B G B darstellt. D i e s w i r d ü b e r w i e g e n d verneint 1 4 , von einer verbreiteten M i n d e r m e i n u n g aber b e 10 So insbesondere B G H Z 110,323 (327,334); Habersack, Mitgliedschaft, S. 171 ff.; Haas, in: Michalski, GmbHG, §43 Rdn. 277;/. Hager, in: Staudinger, BGB, §823 Rdn.B 148; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 II 4 e (S. 395); Markwardt, WM 2004,211 (214); Mertens, in: Hachenburg, GmbHG, §43 Rdn. 105; ders., in: Kölner Komm. AktG, §93 Rdn.172; K. Schmidt, JZ 1991,157 (158 f.). 11 S. oben §51. 12 Nach h.M. sind Zuweisungsgehalt und Ausschlussfunktion für den Begriff des „sonstigen" Rechts konstitutiv; näher LarenzICanaris, Schuldrecht II/2, §76 I 1 (S.374ff.);/. Hager, in: Staudinger, B G B , §823 Rdn.B 124 mit umfangreichen w.Nachw. Hahersack, Mitgliedschaft, S. 130 ff., sieht im Zuweisungsgehalt sogar das allein entscheidende Kriterium. 13 Ausführlich Habersack, Mitgliedschaft, S. 281 ff. 14 So schon Bodenheimer, Gleichheitsprinzip, S. 62; G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 293 ff.; L. Raiser, ZHR 111 (1948), 75 (96 Fn.64); aus neuerer Zeit Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 25, 152; Hüffer, AktG, §53a Rdn. 12; Janssen, AnwKomm. AktG, § 53a Rdn. 32; Lutter/Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 53a Rdn. 42; Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 133; H. Winter, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rdn. 49; Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 146 f.; in Bezug auf § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG (= § 44 Abs. 1 Nr. 1 BörsG a.F.) Groß, Kapitalmarktrecht, §39 BörsG Rdn. 6; U. Hamann, in: Schäfer, WpHG/BörsG/VerkProspG, § 44 BörsG Rdn. 20; Heidelbach, in: Schwark, KMRK, § 39 BörsG Rdn. 7.
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4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
jaht 1 5 . Sofern mit der Mindermeinung der Schutzgesetzcharakter befürwortet wird, geht man zumeist davon aus, dass bei Verletzungen auch die einzelnen Organwalter passivlegitimiert seien 16 . a)
Begründungsdefizite
Beide Auffassungen sind indes bisher nicht überzeugend begründet worden. Die h.M. stützt sich bis heute auf das Argument von Bodenheimer und G. Hueck, das Gleichbehandlungsgebot stehe als allgemeines Rechtsprinzip dem Grundsatz von Treu und Glauben bzw. der Treuepflicht nahe, deren Verletzung anerkanntermaßen nicht zu Ansprüchen aus §823 Abs. 2 B G B führe 17 . Vom hier vertretenen Standpunkt, nach dem der Gleichbehandlungsgrundsatz lediglich eine besondere Ausprägung der Treuepflicht der Gesellschaft darstellt 18 , hat dieses Argument in der Tat viel für sich. Zwingend ist es allerdings nicht: Wenn die sehr weit gefasste Generalklausel des § 242 B G B als zu vielgestaltig und zu unbestimmt angesehen wird, um als Schutzgesetz qualifiziert werden zu können 19 , muss für den Gleichbehandlungsgrundsatz, der eine konkretere Verhaltenspflicht statuiert, nicht zwangsläufig dasselbe gelten. Nicht überzeugend ist jedenfalls der Hinweis von G. Hueck, die Einordnung des Gleichbehandlungsgrundsatzes als Schutzgesetz müsse daran scheitern, dass das so geschaffene System der Rechtsfolgen zu starr sei, um eine für alle erdenklichen Fälle gerechte Lösung darzustellen 20 . G. Hueck gelangt zu dieser Behauptung nur deshalb, weil er das Gleichbehandlungsgebot im gesamten Privatrecht als einheitlichen und damit sehr allgemeinen, überaus vielgestaltigen Rechtsgrundsatz auffasst 21 . Beschränkt man die Betrachtung dagegen auf den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, sind die Konsequenzen der Einord15 Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 35; Herrn, AG 1985,240 (248); Meyerowitz, Gleichmäßige Behandlung, S.29f.; Wolany, Rechte und Pflichten, S. 164; in Bezug auf §39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG ( = § 4 4 Abs. 1 Nr. 1 BörsG a.F.) Heiser, Interessenkonflikte, S.23 f.; Schwark, BörsG, 2. Aufl., §44 Rdn. 5 (beide allerdings unter unzutreffender Berufung auf Lutter, in: Kölner Komm. AktG, §71 Rdn. 15); F. Schäfer, ZIP 1987, 953 (956); zur Parallelfrage im österreichischen Recht Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 53. 16 Vgl. die Nachw. in Fn. 15; anders aber Henn, AG 1985, 240 (248), sowie zum österreichischen Recht Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 53. 17 Bodenheimer, Gleichheitsprinzip, S. 62; G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 293 f. Ersterer hält den Vergleich mit Treu und Glauben aber selbst nicht konsequent durch. Zugleich erkennt er nämlich an, dass das Gleichbehandlungsgebot ein Verbotsgesetz i.S.des § 134 B G B darstelle und sich insoweit vom allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben unterscheide (aaO. S. 63). 18 S. oben §5 III. 19 Zum Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit des Schutzgesetzes im Sinne des §823 Abs. 2 B G B vgl. Wagner, in: MünchKomm. B G B , §823 Rdn. 329f.; kritisch allerdings Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 118 ff. 20 G. Hueck, Gleichmäßige Behandlung, S. 295. 21 S. dagegen bereits oben §4 III.
5 18 Ansprüche
der benachteiligten
Gesellschafter
gegen
die Organ walter
427
nung als Schutzgesetz ohne weiteres überschaubar. Mit dem Vorwurf einer „allzu großen Starrheit" des § 823 Abs. 2 BGB lässt sich unter diesen Umständen nicht argumentieren. Schließlich lässt sich der Schutzgesetzcharakter des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes außerhalb des Aktienrechts auch nicht deshalb ablehnen, weil der Grundsatz nicht kodifiziert ist. Auch ungeschriebene Grundsätze des Gewohnheitsrechts fallen unter den Gesetzesbegriff des Art. 2 EGBGB und können deshalb Schutzgesetze i.S.des § 823 Abs. 2 BGB sein 22 ; insoweit gilt nichts anderes als zu § 134 BGB. Aber auch die Gegenauffassung ist bislang nur unzureichend begründet worden. Zwar trifft es zu, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz dem Schutz von Individualinteressen, nämlich dem Schutz der übervorteilten Gesellschafter zu dienen bestimmt ist 23 . Dies allein genügt jedoch noch nicht, um die Eigenschaft als Schutzgesetz im Allgemeinen und die Passivlegitimation der Organwalter im Besonderen zu begründen.
b) Einwände gegen eine Haftung der Organwalter
aus $ 823 Abs. 2 BGB
Im Gegenteil zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass einer Haftung der Organwalter aus § 823 Abs. 2 BGB unüberwindbare Hindernisse im Wege stehen, welche die h.M. im Ergebnis doch als zutreffend erscheinen lassen. Zweifelhaft ist schon, ob selbst dann, wenn der Gleichbehandlungsgrundsatz als Schutzgesetz anzusehen wäre, die Organwalter tatsächlich als Haftungsadressaten in Betracht kämen. Zu dem Parallelproblem, ob Vorstandsmitglieder für Verletzungen des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre (§ 186 Abs. 1 AktG) gemäß § 823 Abs. 2 BGB einzustehen haben, wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass eine solche Haftung schon deshalb ausscheiden müsse, weil Adressat des § 186 Abs. 1 AktG allein die Gesellschaft, nicht aber der einzelne Organwalter sei 24 . Ebenso wird für verschiedene andere Vorschriften argumentiert, etwa die Informationsrechte der §§ 51a GmbHG, 131 AktG 25 . Folgte man dieser Argumentation, müsste eine auf § 823 Abs. 2 BGB gestützte Haftung der Organwalter auch bei Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verneint werden; schließlich ist auch hier unmittelbare Normadressatin nur die 22 J. Hager, in: Staudinger, BGB, § 823 Rdn. G 9, G 11; L a r e n z I C a n a r i s , § 77 II 1 c (S. 433); kritisch Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 86 ff.; Wagner, in: MünchKomm. BGB, §823 Rdn. 328, deren Vorbehalte gegenüber der Einbeziehung von Gewohnheitsrecht indes für den hier interessierenden Fall einer konkreten Verhaltenspflicht, die in § 53a AktG und § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG gesetzlichen Ausdruck gefunden hat, keine Geltung beanspruchen können. 23 Heiser, Interessenkonflikte, S. 23 f.; Schwark, BörsG, 2. Aufl., § 44 Rdn. 5. 24 Martens, FS Steindorff, S. 151 (168); Schmolke, Organwalterhaftung, S. 117; kritisch zu diesem Argument allerdings Cahn, Z H R 164 (2000), 113 (131). 25 Vgl. etwa Haas, in: Michalski, GmbHG, §43 Rdn. 279; Schmolke, Organwalterhaftung, S. 112; jeweils mit umfangreichen Nachw. zum Streitstand.
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4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
Gesellschaft 26 . Allerdings ist fraglich, ob die geschilderte Argumentation tatsächlich trägt: Zum einen hat die Rechtsprechung in anderem Zusammenhang bereits entschieden, dass die Organwalter auch dann eine persönliche Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes treffen kann, wenn das Schutzgesetz an eine Pflicht der Gesellschaft anknüpft. So bejaht der BGH in Fällen des §266a StGB (Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung) in ständiger Rechtsprechung eine Haftung der Organwalter aus § 823 Abs. 2 BGB, obwohl die Pflicht zur Abführung der Beiträge den Arbeitgeber, also die Gesellschaft, trifft 27 . Zum anderen nimmt der BGH auch im Rahmen des §823 Abs. 1 BGB an, dass Verkehrspflichtverletzungen zur Haftung des nach der internen Aufgabenverteilung zuständigen Organwalters führen können, obwohl originäre Trägerin der Verkehrspflicht zunächst nur die Gesellschaft ist 28 . Beide Rechtsprechungslinien sind zwar umstritten 29 ; sie zeigen aber, dass es zumindest fraglich ist, allein aus dem Umstand, dass Adressat einer deliktischen Verhaltenspflicht in erster Linie die Gesellschaft ist, auf den Ausschluss der Passivlegitimation des Organwalters zu schließen. Letztlich kann die Frage der Passivlegitimation im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB im vorliegenden Zusammenhang aber dahinstehen, da es aus anderen Gründen bereits am Schutzgesetzcharakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes und damit am Tatbestand des § 823 Abs. 2 BGB fehlt. Die Anerkennung einer Vorschrift als Schutzgesetz setzt nämlich nach ständiger Rechtsprechung und h.L. nicht nur voraus, dass sie individualschützend ist, sondern auch, dass die damit verbundene Haftung „im Lichte des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint." 30 Damit ist gemeint, dass bei der Qualifizierung einer 26 S.oben §8 I. In dieser Weise argumentieren denn auch Doralt/Winner, in: MünchKomm. AktG, §53a Rdn.53, zur vergleichbaren Frage im österreichischen Recht (§1311 ABGB). 27 Vgl. etwa BGHZ 133, 370 (375); 134, 304 (313); 136, 332 (333); BGH ZIP 2005, 1026 (1027). In der Literatur Str.; zustimmend etwa Haas, in: Michalski, GmbHG, §43 Rdn. 376; Medicus, ZGR 1998, 570 (582 f.); Wagner, in: MünchKomm. BGB, §823 Rdn. 359, 390 ff.; ablehnend dagegen Dreher, FS Kraft 1998, S. 59 (63 ff.); Hefermehl/Spindler, in: MünchKomm. AktG, §93 Rdn. 191; Mertens, in: Hachenburg, GmbHG, §43 Rdn. 120; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rdn. 208; Stein DStR 1998,1055,1056; Sandberger, Außenhaftung, S. 252 f.; Zweifel auch bei Cahn ZGR 1998,367 (370 f.); Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §43 Rdn. 91. 28 Vgl. BGHZ 109, 297 (302ff.); in der Literatur ebenfalls sehr Str.; Überblick über den Streitstand bei /. Hager, in: Staudinger, BGB, §823 Rdn.E 66 ff.; Haas, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rdn. 335 ff.; monographisch Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997). 29 Vgl. die Nachw. in Fn. 27-28. 30 BGHZ 66, 388 (390); 106, 204 (206 f.); 125, 366 (374); vgl. auch BGHZ 110, 349 (362 f.), wo der Schutzgesetzcharakter des §30 GmbHG verneint wird, da die Gläubiger bereits anderweitig hinreichend geschützt seien. Aus dem Schrifttum statt vielerJ. Hager, in: Staudinger, BGB, § 823 Rdn. G 4; Wagner, in: MünchKomm. BGB, § 823 Rdn. 318 m.w.Nachw., sowie ausführlich Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 125 ff., 137, der sich allerdings gegen den Be-
5 18 Ansprüche der benachteiligten
Gesellschafter
gegen die Organwalter
429
Vorschrift als Schutzgesetz stets auch der Zusammenhang mit den grundlegenden Wertungen des Deliktsrechts im Blick zu behalten ist. Hierzu zählt insbesondere, dass sich der Gesetzgeber in den §§823 Abs. 1, 826 B G B bewusst gegen eine Fahrlässigkeitshaftung für reine Vermögensschäden ausgesprochen und diese stattdessen grundsätzlich dem Recht der Sonderverbindung überlassen hat. Vor diesem Hintergrund bedarf die Einordnung einer Vorschrift als Schutzgesetz, die eine derartige Haftung zur Folge hätte, einer besonderen teleologischen Legitimation 31 . Auf den Gleichbehandlungsgrundsatz übertragen bedeutet dies, dass sich besondere Anhaltspunkte dafür finden lassen müssten, dass Verstöße nicht nur innerhalb der verbandsrechtlichen Sonderverbindung durch Beseitigungs-, Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche gegen die Gesellschaft, sondern darüber hinaus auch durch § 823 Abs. 2 B G B geahndet werden sollen. Solche Anhaltspunkte sind jedoch nicht ersichtlich. Zwar heißt es in der Regierungsbegründung des KonTraG, dass beim Erwerb eigener Aktien eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch den Vorstand zur Schadensersatzpflicht gegenüber den Aktionären führen könne 32 . Dies besagt aber nichts, da damit ebenso gut die Schadensersatzpflicht der Gesellschaft gemeint sein kann. Auch sonst fehlt jegliche innere Rechtfertigung, warum der Schutz reiner Vermögensinteressen vor fahrlässigen Schädigungen hier - anders als sonst - nicht dem Recht der Sonderverbindung überlassen bleiben könnte. Die Situation ist insoweit nicht anders als bei vielen anderen Vorschriften des Vertragsrechts 33 , bei denen auch niemand auf den Gedanken käme, sie als Schutzgesetze anzusehen und deshalb Schadensersatzansprüche nicht nur gegen die Gesellschaft als Vertragspartei, sondern auch gegen deren Organwalter zu gewähren. Die vorstehenden Überlegungen ähneln denen von Martens, der im Zusammenhang mit der Frage der Schutzgesetzeigenschaft des § 186 Abs. 1 AktG (Begriff des „haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems" wendet, da bei der Qualifizierung als Schutzgesetz nicht nur deliktsrechtsimmanente Wertungen zu berücksichtigen seien, sondern der gesamte Normzusammenhang, in den das betreffende Gesetz eingestellt sei. 31 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §77 II 4a (S.437); ähnlich Wagner, in: MünchKomm. B G B , §823 Rdn.320, 345 f. Vgl. auch B G H Z 66, 388 (390f.): „Nur so lässt sich die (...) sonst mit Recht befürchtete Entwicklung vermeiden, dass durch die zunehmende Tendenz, Ansprüche eher auf §823 Abs.2 zu stützen (...), die Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine allgemeine Haftung für Vermögensschäden unterlaufen wird." S. zum Ganzen zuletzt auch Verse, Z H R 170 (2006), 398 (405 ff.). 32 BT-Drucks. 13/9712, S. 14 Ii. Sp. Diese Bemerkung ist offenbar inspiriert durch die gleichlautende Formulierung bei Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 71 Rdn. 15. 33 Nach Spickhoff, Gesetzesverstoß, S. 141-148, sind Vorschriften, die allein die vertraglichen Beziehungen zwischen den Vertragsparteien regeln, generell nicht als geeignete Schutzgesetze i.S. des § 823 Abs. 2 B G B anzusehen. Das Vertragsrecht stelle eine in sich abgeschlossene (auch) schadensersatzrechtliche Spezialregelung dar, mit der es sich nicht vertrüge, vertragsrechtliche Normen als Schutzgesetze anzusehen. Ob dem für ausnahmslos alle Vorschriften des Vertragsrechts zu folgen ist, mag hier dahinstehen. Jedenfalls für den vorliegenden Fall sind keine besonderen Gründe erkennbar, warum es nicht bei den Ansprüchen aus dem Mitgliedschaftsverhältnis bewenden kann.
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4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
zugsrecht) ausgeführt hat, dass diese Vorschrift allein die Sonderverbindung zur Gesellschaft betreffe, aber keine Regelung des allgemeinen Rechtsverkehrs treffe und deshalb nicht unter § 823 Abs. 2 B G B falle34. Dem ist entgegengehalten worden, dass anerkannte Schutzgesetze wie § 203 StGB oder § 266 StGB regelmäßig gerade in Sonderverbindungen zu beachten seien (Vertragsverhältnis Arzt/Patient, Rechtsanwalt/Mandant, Treuhänder/Treugeber). Allein der Umstand, dass an Pflichten aus einer Sonderverbindung angeknüpft werde, könne daher die Anwendung des § 823 Abs. 2 B G B nicht ausschließen35. In der Tat mag die Begründung von Martens insoweit missverständlich sein. Ein Einwand gegen die hier vorgetragene Argumentation ergibt sich daraus jedoch nicht. Sowohl bei §203 StGB als auch bei §266 StGB handelt es sich um Vorsatzdelikte (§15 StGB). Bei diesen besteht von vornherein nicht die Gefahr, dass die Grundentscheidung des Gesetzgebers gegen eine deliktische Fahrlässigkeitshaftung für bloße Vermögensschäden unterlaufen wird. Dies wäre bei einer Qualifizierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes als Schutzgesetz anders. Ein Gebot, den Gleichbehandlungsgrundsatz als Schutzgesetz zu qualifizieren und damit eine Haftung der Organwalter unmittelbar gegenüber den Gesellschaftern anzuerkennen, lässt sich im Übrigen auch nicht aus dem bereits mehrfach betonten Prinzip des Gemeinschaftsrechts ableiten, dass Verstöße gegen angeglichenes Recht mit „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden" Sanktionen zu belegen sind 36 . Insoweit gilt es zu bedenken, dass immerhin die oben behandelten Ansprüche gegen die Gesellschaft sowie eine Innenhaftung der Organwalter (§§ 93 AktG, 43 GmbHG 3 7 ) gegeben sind. Davon, dass bei Verneinung einer Außenhaftung der Organwalter das gemeinschaftsrechtlich gebotene Mindestmaß an Sanktionen unterschritten würde, kann vor diesem Hintergrund keine Rede sein.
Martens, FS Steindorff, S. 151 (167 f.). Vgl. Cahn, Z H R 166 (2000), 113 (130), und Schmolke, Organwalterhaftung, S. 116, die sich aber im Ergebnis ebenfalls gegen eine Haftung aus § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG i.V.m. § 823 Abs. 2 B G B aussprechen. 3 6 S. oben §6 II 5. 37 Organwalter, die die Bindung der Gesellschaft an den Gleichbehandlungsgrundsatz missachten, verletzen ihre Sorgfaltspflichten aus §§ 93 Abs. 1 AktG, 43 Abs. 1 GmbHG. Diese Vorschriften stellen aber nach heute allgemeiner Meinung ebenfalls keine Schutzgesetze i.S. des §823 Abs.2 B G B dar ( B G H Z 110, 342 [359f.]; 125, 366 [375]; Haas, in: Michalski, GmbHG, §43 Rdn.289; Hüffer, AktG, §93 Rdn. 19; Wagner, in: MünchKomm. B G B , §823 Rdn. 383; jeweils m.w.Nachw.), so dass man auch auf diesem Weg nicht zu einer Haftung der Organwalter unmittelbar gegenüber den Gesellschaftern gelangt. 34
35
§ 18 Ansprüche der benachteiligten c)
Gesellschafter gegen die Organwalter
431
Ergebnis
I m Ergebnis muss es somit entgegen anderslautenden S t i m m e n i m S c h r i f t t u m bei der Auffassung bleiben, die eine auf § 823 A b s . 2 B G B gestützte H a f t u n g f ü r Gleichbehandlungsverstöße verneint. E i n deliktischer S c h u t z des G l e i c h b e handlungsgrundsatzes, der zu D i r e k t a n s p r ü c h e n der Gesellschafter gegen die O r g a n w a l t e r führen k ö n n t e , lässt sich m i t h i n - von den nicht gleichbehandlungsspezifischen Fällen des § 826 B G B abgesehen - nicht begründen.
II. Ansprüche aus Sonderverbindung 1. Begründungsansätze
im
Schrifttum
Müssen deliktische A n s p r ü c h e gegen die O r g a n w a l t e r wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach dem G e s a g t e n ausscheiden, bleibt die Frage, o b sich nicht eine Sonderverbindung unmittelbar zwischen den benachteiligten Gesellschaftern und den O r g a n w a l t e r n konstruieren lässt, die als A n k n ü p f u n g s p u n k t f ü r Schadensersatzansprüche aus § 2 8 0 A b s . 1 B G B in diesem Verhältnis dienen könnte. W i e eingangs erwähnt steht die nach wie vor herrschende Auffassung in R e c h t s p r e c h u n g und Literatur der A n n a h m e einer derartigen Sonderverbindung - vorbehaltlich hier nicht interessierender Sonderfälle, in denen nach allgemeinen G r u n d s ä t z e n eine E i g e n h a f t u n g des Vertreters zu bejahen ist (c.i.c., § 3 1 1 A b s . 3 B G B n.F.) 3 8 - ablehnend gegenüber 3 9 . I m S c h r i f t t u m hat es freilich nicht an Versuchen gemangelt, diese traditionelle A u f fassung anzugreifen. S o ist dafür plädiert worden, im Ineinandergreifen von Bestellungsakt bzw. Anstellungsvertrag und Satzung die „rechtsgeschäftliche B r ü c k e " zwischen dem O r g a n m i t g l i e d und den einzelnen Gesellschaftern zu sehen 4 0 . A u f derselben L i n i e liegt es, wenn die E x i s t e n z von organschaftlichen Sorgfalts- und Treuepflichten nicht nur gegenüber der Gesellschaft, sondern auch u n m i t t e l b a r gegenüber den Gesellschaftern b e f ü r w o r t e t wird 4 1 . D e s Weiteren ist vorgeschlagen worden, den Anstellungsvertrag des O r g a n m i t g l i e d s Dazu etwa Koppensteiner, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, §43 Rdn. 82. BGHZ 83, 122 (134) (AG); BGHZ 110, 323 (334) (e.V.); Habersack, Mitgliedschaft, S.205 ff.; Haas, in: Michalski, GmbHG, §43 Rdn. 272; Mertens, in: Hachenburg, GmbHG, §43 Rdn. 107 f.; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §43 Rdn. 64; Zöllner, ZGR 1988, 392 (408 f.); ausschließlich deliktische Ansprüche in Betracht ziehend auch Hefermehl/ Spindler, in: MünchKomm. AktG, §93 Rdn. 168ff.; Hopt, in: Großkomm. AktG, §93 Rdn. 469 ff.; Hüffer, AktG, §93 Rdn. 19; Mertens, in: Kölner Komm. AktG, §93 Rdn. 169 ff. 40 T. Raiser, ZHR 153 (1989), 1 (12 f.); ders., in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 14 Rdn. 60. 41 Wiedemann, WM 1975, Beil. 4, 26; ders., Gesellschaftsrecht I, § 4 IV 2b (S. 241); für die AG v. Aubel, Vorstandspflichten, S. 128 ff.; für die GmbH in Ansätzen auch U.H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, §43 Rdn. 212. 38
39
432
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
mit der Gesellschaft als Vertrag mit Schutzwirkung für die einzelnen Gesellschafter anzusehen 42 . Schließlich ist erst unlängst der ausführlich begründete Versuch unternommen worden, ein gesetzliches Schutzpflichtverhältnis (§ 241 Abs. 2 B G B ) zwischen den Organwaltern und den Gesellschaftern zu konstruieren 43 . Die Frage nach einer Sonderverbindung unmittelbar zwischen den Organwaltern und den Gesellschaftern weist weit über den Gleichbehandlungsgrundsatz hinaus. Sie stellt sich aber bei Gleichbehandlungsverstößen in besonderem Maße. Soweit nämlich im Schrifttum ein Bedürfnis für Direktansprüche der Gesellschafter gegen die Organwalter aus Sonderverbindung gesehen wird, beschränkt sich dies auf Fälle, in denen nicht die juristische Person, sondern ausschließlich einzelne Gesellschafter geschädigt werden (Eigenschäden) 44 . Diese Konstellation tritt gerade bei Gleichbehandlungsverstößen vergleichsweise häufig auf 45 .
2. Kritik Die im Vorstehenden beschriebenen Ansätze zur Konstruktion einer Sonderverbindung sind überwiegend nicht neu, sondern schon verschiedentlich näher behandelt worden 46 . Die Diskussion kann und muss deshalb hier nicht nochmals in voller Breite aufgerollt werden. Stattdessen mag es genügen, sich auf die zentrale Prämisse zu besinnen, die allen genannten Konstruktionsversuchen zugrunde liegt. Diese besteht in der Annahme, dass für die Gewährung von Direktansprüchen gegen die Organwalter aus einer Sonderverbindung ein unabweisbares Bedürfnis bestehe 47 . Sollte es daran fehlen, weil dem Gesellschafterschutz bereits durch Ansprüche gegen die Gesellschaft hinreichend Rechnung getragen ist, wäre damit sämtlichen der genannten Begründungsansätze der Boden entzogen. So setzt die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte nach ganz h.M., von der auch hier ausgegangen wird, voraus, dass der in den Schutzbereich einbezogene Dritte in besonderem Maße schutzbedürftig ist, d.h. nicht bereits durch eigene vertragliche oder vertragsähnliche Ansprüche - gleich gegen wen - geschützt ist (Subsidiarität des 42 T. Raiser, Z H R 153 (1989), 1 (13); ders., in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, §14 Rdn. 60; für die GmbH auch Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rdn. 36; Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 243 ff., insbes. S.250 (eine Ausdehnung auf das Aktienrecht offen lassend ders., Gutachten, S.233); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §36 II 4 c (S. 1080). 43 Schmolke, Organwalterhaftung, S. 148 ff.; andeutungsweise auch schon Mülbert, in: Großkomm. AktG, Vor §§ 118-147, Rdn. 225 Fn.421. 44 Vgl. nur Baums, Gutachten, S. 229 f. 4 5 Beispiele oben in § 17 II 1. 4 6 Vgl. insbesondere die Kritik bei Habersack, Mitgliedschaft, S. 205 ff. 4 7 Vgl. Baums, Geschäftsleitervertrag, S.248f.; Schmolke, Organwalterhaftung, S. 15 ff., S.231 ff.; v. Aubel, Vorstandspflichten, S. 89 ff., 100,116,131.
§ 18 Ansprüche
der benachteiligten
Gesellschafter
gegen
die Organwalter
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vertraglichen Drittschutzes) 48 . Gleiches gilt für das unlängst entwickelte Konzept einer Haftung des Organwalters aus gesetzlichem Schutzpflichtverhältnis, das ebenfalls an ein „spezifisches Funktionsdefizit" in der Haftungskette Organwalter/Gesellschaf t/Gesellschafter anknüpft 4 9 . Nichts anderes gilt aber auch für die weiteren Begründungsansätze, die sich auf das Ineinandergreifen von Bestellungsakt/Anstellungsvertrag und Satzung stützen oder die organschaftliche Treuepflicht auf das Verhältnis zu den Gesellschaftern ausdehnen wollen; denn beide Vorschläge laufen letztlich - nicht anders als der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und die Annahme eines gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses zwischen Organwalter und Gesellschafter 50 - auf eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung hinaus, die erst dann in Betracht kommen kann, wenn die herkömmlichen Haftungsinstrumentarien nicht in der Lage sind, einen angemessenen Schutz der Gesellschafter zu gewährleisten 51 . Ein besonderes Bedürfnis für die Zulassung von Direktansprüchen wird von den Befürwortern einer unmittelbar zwischen Organwaltern und Gesellschaftern bestehenden Sonderverbindung im Wesentlichen unter zwei Gesichtspunkten bejaht. Zum einen wird geltend gemacht, dass Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft am Vorrang der Kapitalerhaltungsregeln (§§ 57 AktG, 30 GmbHG) scheitern könnten 52 . Zum anderen wird auf Fälle verwiesen, in denen das Organmitglied in Kenntnis einer nahenden Insolvenz der Gesellschaft handle. Unter diesen Umständen werde der geschädigte Gesellschafter häufig darauf verzichten, seinen Anspruch gegen die Gesellschaft geltend zu machen; in der Folge unterbleibe mangels Schadens auch der Rückgriff der Gesellschaft (bzw. des Insolvenzverwalters) gegen den Organwalter. In dieser Situation sei die Gewährung eines Direktanspruchs aus Sonderverbindung unter
48 St. Rspr., vgl. etwa BGHZ 70, 327 (330); 129, 136 (169); 133, 168 (173 f.); ferner Gottwald, in: MünchKomm. BGB, §328 Rdn. 117; Heinrichs, in: Palandt, BGB, §328 Rdn. 18; jeweils m.w.Nachw.; abweichend Neuner, JZ 1999,126 (129), der aber im Gegenzug das Erfordernis der Gläubigernähe wesentlich enger definiert als die h.M.; ferner Schwarze, AcP 203 (2003), 348 ff. 49 Schmolke, Organwalterhaftung, S. 194, 231 ff., im Anschluss an Krebs, Sonderverbindung, S. 340 ff. 50 Die Schaffung der §§241 Abs.2, 311 Abs.2 und 3 BGB n.F. hat nichts daran geändert, dass die Voraussetzungen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bzw. die Voraussetzungen eines Schutzpflichtverhältnisses in den hier interessierenden Dritthaftungsfällen nicht im Gesetz geregelt sind. Vielmehr ist weiterhin an die in der Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten Fallgruppen anzuknüpfen; vgl. Gottwald, in: MünchKomm. BGB, § 328 Rdn. 101 f. 51 Vgl. nur Larenz, Methodenlehre, S. 426: Eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung setzt ein „unabweisbares Bedürfnis des Rechtsverkehrs" voraus. 52 Vgl. Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 248 f.; Schmolke, Organwalterhaftung, S. 233 f.; fernere. Aubel, Vorstandspflichten, S.93 ff., 100,116,131, der aber zu Unrecht davon ausgeht, dass im Aktienrecht jegliche Schadensersatzleistung der Gesellschaft an die Aktionäre wegen des Vorrangs der Kapitalerhaltung ausscheiden müsse; dagegen bereits oben § 17 II 5 a.
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4. Kapitel:
Rechtsfolgen
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Geltendmachung
Präventionsgesichtspunkten geboten, um das Organmitglied von einem derartigen Verhalten abzuhalten 53 . Letzteres erscheint indes schon deshalb nicht überzeugend, weil der Organwalter sich auch bei bevorstehender Insolvenz keineswegs darauf verlassen kann, dass der geschädigte Gesellschafter seine Ersatzforderung gegen die Gesellschaft nicht doch zur Insolvenztabelle anmeldet und der Insolvenzverwalter daraufhin den Organwalter in die Haftung nimmt. Dass der Organwalter bei bevorstehender Insolvenz und Verneinung einer Direkthaftung mehr oder weniger risikolos den Verstoß begehen könne, trifft also nicht zu. Selbst wenn man einmal unterstellt, dass dieses Risiko etwas geringer wäre als in einer prosperierenden Gesellschaft, schlägt dieser Umstand jedenfalls nicht in einem derart signifikanten Maße zu Buche, dass man von einem wirklich unabweisbaren, eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung tragenden Bedürfnis sprechen kann. Schwerer wiegt dagegen der Hinweis auf die mögliche Undurchsetzbarkeit von Schadensersatzansprüchen gegen die Gesellschaft wegen des Vorrangs der Kapitalerhaltung. In der Tat sind nach dem Gesagten Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft nicht durchsetzbar, soweit und solange für die Auszahlung des Schadensersatzes das gebundene Kapital angetastet werden müsste 54 . Es wurde allerdings bereits darauf hingewiesen, dass selbst in diesem Fall der benachteiligte Gesellschafter nicht schutzlos gestellt ist. Vielmehr kann er nach der hier vertretenen Auffassung analog § 285 Abs. 1 BGB zumindest die Abtretung des Regressanspruchs der Gesellschaft gegen die Organwalter (§§ 93 Abs. 2 AktG, 43 Abs. 2 GmbHG) verlangen 55 . Vor diesem Hintergrund schwächt sich das behauptete Bedürfnis für die Gewährung von Direktansprüchen gegen die Organwalter merklich ab. Sie hätte für den klagenden Gesellschafter lediglich zwei Vorteile: Zum ersten würde ihm das Insolvenzrisiko der Gesellschaft abgenommen. Dieser Vorteil kann zwar im Einzelfall wirtschaftlich gewichtig sein, vermag aber ein die Subsidiarität des vertraglichen Drittschutzes überwindendes Schutzbedürfnis des Gesellschafters nicht zu begründen 56 . Die Gefahr, dass man mit eigenen vertraglichen Ansprüchen im Insolvenzfall ausfällt, lässt sich nie ganz ausschließen. Wäre sie erheblich, könnte daher die Existenz eigener Ansprüche gegen einen anderen als den Schuldner niemals dazu führen, dass die Schutzbedürftigkeit entfiele. Dies entspräche ersichtlich nicht der von der ganz h.M. vertretenen und auch hier zugrunde gelegten Subsidiarität von Direktansprüchen in Dritthaftungsfällen. Zum zweiten böte die Gewährung eines Direktanspruchs für den Gesellschafter den VorteileinesgeringerenprozessualenAufwandsimRahmenderRechtsdurchsetzung. 53 So Schmolke, Organwalterhaftung, S.238f., im Anschluss an Krebs, dung, S.346. 54 S. oben §17 II 5 a. 55 S.oben § 17 II 5 b. 56 Insoweit wie hier Schmolke, Organwalterhaftung, S. 235.
Sonderverbin-
§ 18 Ansprüche
der benachteiligten
Gesellschafter
gegen
die Organwalter
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Während er nämlich bei dem Weg über § 285 Abs. 1 BGB u.U. gezwungen sein kann, zwei Prozesse zu führen (zunächst gegen die Gesellschaft auf Abtretung, anschließend gegen das Organmitglied auf Schadensersatz), bliebe ihm dieser Aufwand bei der Gewährung eines Direktanspruchs erspart 57 . Mithin spitzt sich alles auf die Frage zu, ob schon diese prozessuale Erleichterung ausreichen kann, um die Subsidiarität von Direktansprüchen in Dritthaftungsfällen zu überwinden und ein hinreichendes Bedürfnis für die Anerkennung einer Sonderverbindung im Wege der Rechtsfortbildung zu begründen. Richtigerweise wird man diese Frage verneinen müssen. Nach der Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte entfällt die für die Gewährung von Direktansprüchen erforderliche Schutzbedürftigkeit auch dann, wenn der eigene vertragliche oder vertragsähnliche Anspruch des Geschädigten keinen identischen, sondern nur einen „gleichwertigen" Inhalt hat wie derjenige, der ihm über eine Einbeziehung in den Schutzbereich des Vertrags zukäme 58 . Bedenkt man, dass das Kompensationsinteresse des Gesellschafters auch bei einer Abwicklung über Eck im Ergebnis voll befriedigt wird, wird man die Gleichwertigkeit in diesem Sinne kaum leugnen können. Dafür, die Anforderungen an die Schutzbedürftigkeit gerade in der hier interessierenden Konstellation nicht zu niedrig anzusetzen, lässt sich darüber hinaus anführen, dass sich der Gesetzgeber im Aktienrecht erst unlängst wieder des Fragenkreises der Organhaftung im Allgemeinen und der Organaußenhaftung im Besonderen angenommen hat 59 . Der rechtspolitische Entscheidungsprozess ist insoweit zwar noch nicht abgeschlossen; es zeichnet sich aber ab, dass der Gesetzgeber allenfalls in eng begrenzten Bereichen (fehlerhafte Kapitalmarktinformationen) und unter eingeschränkten Voraussetzungen (grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz) eine Direkthaftung der Organwalter gegenüber den Aktionären vorsehen will 6 0 . Dies belegt, dass der Gesetzgeber einer umfassenderen Außenhaftung zurückhaltend gegenübersteht. Vor diesem Hintergrund kann allein der Umstand, dass eine Direkthaftung prozessual geringeren Aufwand bereitet als eine Abwicklung über Eck, schwerlich als ausreichend angesehen werden, um eine solche Haftung im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung begründen zu können.
Vgl. Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 249; Schmolke, Organwalterhaftung, S. 250. Vgl. BGHZ 133, 168 (173); Jagmann, in: Staudinger, BGB, §328 Rdn. 106. 59 Zur Organhaftung im Allgemeinen vgl. die Neuerungen durch das U M AG in §§93 Abs. 1 Satz 2,147 f. AktG; zur Organaußenhaftung im Besonderen vgl. Punkt 2 des Maßnahmenkatalogs der Bundesregierung zur Stärkung der Unternehmensintegrität und des Anlegerschutzes (10-Punkte-Programm) vom 25.2.2003 sowie den - vorläufig zurückgezogenen - Diskussionsentwurf eines Kapitalmarktinformationshaftungsgesetzes (KapInHaG) vom 7.10.2004, abgedruckt in NZG 2004,1042 ff. 60 Vgl. § 37a WpHG-E in der Fassung des Diskussionsentwurfs zum KapInHaG; ebenso schon Punkt 2 des 10-Punkte-Programms (vorige Fn.). 57
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4. Kapitel:
Rechtsfolgen
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Geltendmachung
3. Ergebnis Im Ergebnis muss deshalb selbst in Fällen, in denen ausschließlich Eigenschäden geltend gemacht werden und Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft wegen des Vorrangs der Kapitalerhaltung nicht durchsetzbar sind, eine unmittelbare H a f t u n g der Organwalter gegenüber den Gesellschaftern aus § 280 Abs. 1 BGB verneint werden. Etwas anderes lässt sich auch hier nicht aus dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot ableiten, Verstöße mit hinreichend effektiven Sanktionen zu belegen; insoweit gilt das bereits zu § 823 Abs. 2 BGB Gesagte.
§ 19 Ansprüche/Klagebefugnisse der benachteiligten Gesellschafter gegen die Mitgesellschafter Wenn nach den vorstehenden Ausführungen ein umittelbares Vorgehen der benachteiligten Gesellschafter gegen die handelnden Organwalter ausscheidet, ist damit noch nicht gesagt, dass die benachteiligten Gesellschafter auf eine Inanspruchnahme der Gesellschaft beschränkt wären. Vielmehr bleibt als letzte mögliche Rechtsfolge von Gleichbehandlungsverstößen zu untersuchen, ob und unter welchen Voraussetzungen die benachteiligten Gesellschafter gegen die begünstigten Mitgesellschafter vorgehen und auch von diesen die Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes, Schadensersatz und ggf. vorbeugend Unterlassung verlangen können.
I. Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes Zu denken ist zunächst an die Möglichkeit, unmittelbar von den begünstigten Gesellschaftern die Leistung bzw. (Rück-) Erstattung der gleichbehandlungswidrig erlangten Vorteile in das Gesellschaftsvermögen zu verlangen (z.B. die Erbringung einer ungleichmäßig nicht eingeforderten Einlage, die Rückgewähr einer verdeckten Vermögenszuwendung oder die Rückübereignung gleichbehandlungswidrig veräußerter eigener Aktien). Oben w u r d e dargelegt, dass die benachteiligten Gesellschafter bereits einen Anspruch auf Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes gegen die Gesellschaft haben, der nach Lage des Einzelfalls wahlweise oder - falls aktive Gleichbehandlung nicht möglich ist sogar ausschließlich darauf gerichtet ist, dass die Gesellschaft gegen den oder die begünstigten Gesellschafter vorgeht und die gleichbehandlungswidrigen Vorteile abschöpft 1 . Gleichwohl werden die benachteiligten Gesellschafter in vielen Fällen daran interessiert sein, auch selbst unmittelbar die begünstigten Mitgesellschafter in Anspruch zu nehmen, u m nicht auf den umständlicheren Weg angewiesen zu sein, ein solches Vorgehen erst auf dem Klageweg gegen die Gesellschaft durchzusetzen. 1
S. oben § 1 7 1 .
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4. Kapitel:
Rechtsfolgen und prozessuale
Geltendmachung
E i n unmittelbares Vorgehen gegen die Mitgesellschafter k ö n n t e z u m einen aus eigenem R e c h t möglich sein, w o b e i als Rechtsgrundlage die Treuepflicht der begünstigten Gesellschafter gegenüber ihren benachteiligten Mitgesellschaftern in B e t r a c h t zu ziehen ist. Z u m anderen ist zu erwägen, den benachteiligten Gesellschaftern die B e f u g n i s zu gewähren, den E r s t a t t u n g s a n s p r u c h der G e sellschaft gegen den oder die begünstigten Gesellschafter als Prozessstandschafter im Wege der actio pro socio (oder actio pro societate)2
geltend zu ma-
chen. Beides b e r ü h r t verbandsrechtliche G r u n d f r a g e n , die sich auch außerhalb von Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz stellen. D o c h werden gerade für die hier interessierenden Gleichbehandlungsverstöße verschiedentlich Besonderheiten erwogen, weshalb es gerechtfertigt erscheint, im Folgenden sowohl auf die M ö g l i c h k e i t e n eines Vorgehens aus eigenem R e c h t als auch im Wege der actio pro socio näher einzugehen.
1. Vorgehen aus eigenem a) Zuerkennung
eigener
Recht?
Ansprüche
als Alternative
zur actio pro
socio
Als Alternative zur seit langem diskutierten actio pro socio dringt im neueren S c h r i f t t u m die Ansicht vor, dass immer dann, wenn ein Gesellschafter gleichbehandlungswidrige Vorteile entgegennimmt und/oder zurückbehält, er nicht nur seine Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft, sondern auch seine Treuepflicht gegenüber den Mitgesellschaftern verletze. Aus diesem G r u n d sollen nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die benachteiligten Mitgesellschafter aus eigenem Recht verlangen können, dass die gleichbehandlungswidrigen Vorteile an die G e sellschaft (zurück-) erstattet werden 3 . A u f derselben Linie liegt die berühmte „ I T T " - E n t s c h e i d u n g des B G H 4 : O b w o h l es um eine Zuwendung aus dem Vermögen der G m b H an den Mehrheitsgesellschafter ging und es daher nahe gelegen hätte, vom Erstattungs- und Schadensersatzanspruch der Gesellschaft auszugehen 5 und dem klagenden Minderheitsgesellschafter die actio pro socio zu gewähren, ist der B G H diesen Weg nicht gegangen. Vielmehr hat er dem MinderheitsgeZur Terminologie bereits oben § 17 Fn. 23. Vgl. Lutter, Z H R 153 (1989), 446 (464); ders., ZHR 162 (1998), 164 (179 f., 181 f.); Lutter/ Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, §13 Rdn.34; T. Kaiser, ZHR 153 (1989), 1 (18, 19, 20 ff.); ders., in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, §14 Rdn.57f.; Zöllner, ZGR 1988, 392 (405 f.) (der allerdings statt von Treuepflichtverstoß — letztlich gleichbedeutend von Pflichtverletzung im Rahmen der Sonderverbindung Verband spricht); Banerjea, Gesellschafterklage, S. 178 ff.; im Ergebnis ebenso Flume, ZHR 144 (1980), 18 (32), und Altmeppen, FS Musielak, S. 1 (19 ff.), die aber nicht auf die Treuepflicht, sondern unmittelbar auf die Mitgliedschaft abstellen. 4 BGHZ65,15. 5 Zum Erstattungsanspruch der Gesellschaft oben § 16 II 7. Daneben besteht bei Vermögenszuwendungen, die - wie im Fall „ITT" - der begünstigte Gesellschafter schuldhaft veranlasst hat, auch ein Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen den begünstigten Gesellschafter wegen Treuepflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB). 2
3
§ 19 Ansprüche/Klagebefugnisse
der benachteiligten
Gesellschafter
439
sellschafter einen eigenen Anspruch zugesprochen, den er auf die Verletzung der Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern gestützt hat, der aber inhaltlich auf Leistung in das Gesellschaftsvermögen gerichtet sei6. Ein Unterschied zu den genannten Stimmen aus der Literatur besteht allenfalls insofern, als der BGH in der „ITT"-Entscheidung von einem verschuldensabhängigen (vgl. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F.) Schadensersatzanspruch ausgegangen ist7, während die Literaturmeinung den benachteiligten Gesellschaftern darüber hinaus einen verschuldens»«abhängigen Erstattungsanspruch zuspricht 8 . Erhebliche praktische Bedeutung hat die Herleitung eigener Ansprüche der benachteiligten Gesellschafter unmittelbar gegen die begünstigten Gesellschafter vor allem im Aktienrecht. Im GmbH-Recht steht den benachteiligten Gesellschaftern nach h.M. ohnehin die Möglichkeit offen, die Ansprüche der Gesellschaft gegen den oder die begünstigten Gesellschafter im Wege der actio pro socio geltend zu machen (dazu sogleich unter Ziff. 2). Ob man diesen Weg oder den einer Klage aus eigenem Recht beschreitet, ist zwar auch im GmbH-Recht im Ergebnis nicht völlig gleichbedeutend; doch sind die Unterschiede - etwa bei der Rechtskraft, den Auswirkungen von Erlass, Vergleich und dergleichen 9 von vergleichsweise untergeordneter Bedeutung 10 . Anders verhält es sich im Aktienrecht: Da die h.M. der actio pro socio außerhalb der gesetzlich normierten Spezialfälle (§§309 Abs. 4 Satz 1 und 2, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 AktG sowie neuerdings - ab 1 % oder anteilig € 100.000 Aktienbesitz - § 148 AktG) ablehnend gegenübersteht, wäre es hier für die benachteiligten Gesellschafter von großem Interesse, aus eigenem Recht vorzugehen und auf diese Weise den Restriktionen der actio pro socio ausweichen zu können. b) Kritik Das Konzept, die actio pro socio durch die Zuerkennung von Ansprüchen aus eigenem Recht weithin entbehrlich zu machen, ist allerdings im Schrifttum nicht ohne Grund auf Widerstand gestoßen11. Schon auf den ersten Blick wirkt 6 BGHZ 65,15 (18 ff.); ebenso BGH N J W 1990,2627 (2628). Sehr deutlich dazu, dass der BGH im „ITT"-Urteil entgegen verbreiteter Deutung nicht von einer actio pro socio, sondern von der Geltendmachung eines eigenen Anspruchs des Gesellschafters ausgegangen ist, etwa K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §21 IV 6 c (S.642f.); M. Winter, Treuebindungen, S. 308 f.; ferner M. Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 50 f., der die Entscheidung aber für nicht verallgemeinerungsfähig hält. 7 BGHZ 65,15 (19); ebenso BGH N J W 1990,2627 (2628). 8 So jedenfalls Zöllner, ZGR 1988,392 (405 f.), der allein auf die pflichtwidrige Empfangnahme des Vorteils abstellt, aber nicht auf ein etwaiges Verschulden. 9 Eingehend dazu Banerjea, Gesellschafterklage, S. 18 ff., 59ff., 218 ff. 10 Insbesondere erkennen auch die Befürworter einer Klage aus eigenem Recht an, dass der Gesellschafter gehalten ist, zunächst der Gesellschaft die Anspruchsverfolgung zu überlassen, und nur bei Untätigbleiben der Gesellschaft selbst Klage erheben darf; zu den Einzelheiten Banerjea, Gesellschafterklage, S. 21 ff., 205 f., 210. 11 Vgl. Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Anh.
440
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
es bedenklich konstruiert, wenn Ansprüche, die darauf gerichtet sind, z.B. eine Einlage zu erbringen oder den Betrag einer verdeckten Vermögenszuwendung zurückzuerstatten, nicht einfach der Gesellschaft, sondern auch jedem einzelnen Gesellschafter zugeordnet werden. Im Personengesellschaftsrecht ist man nach jahrzehntelanger Diskussion gerade im Begriff, sich von dieser Vorstellung zu lösen 12 . Gegen die Herleitung eigener Ansprüche aus der Treuepflicht der Gesellschafter untereinander spricht in den hier interessierenden Fällen, dass die Treuepflicht zu den Mitgesellschaftern im Verhältnis zur Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft richtigerweise als subsidiär anzusehen ist und deshalb erst eingreift, wenn die Gesellschafter in ihren Individualinteressen und nicht nur mittelbar über eine Beeinträchtigung des Gesellschaftsvermögens betroffen sind 13 . Für diese Auffassung spricht bereits die Parallele zu den Vorschriften der §§ 117 Abs. 1 Satz 2, 317 Abs. 1 Satz 2 AktG, die eigene Ansprüche der Aktionäre gegen den Schädiger ausdrücklich ausschließen, soweit bereits ein Anspruch der Gesellschaft besteht 14 . Darüber hinaus belegt auch die in §§309 Abs. 4 Satz 1, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 AktG sowie nunmehr § 148 AktG ausnahmsweise vorgesehene Befugnis einzelner Aktionäre zur Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft, dass jedenfalls dem AktG die Anerkennung eines auf der Schädigung der Gesellschaft gründenden eigenen Anspruchs des einzelnen Mitglieds fremd ist 15 . Gründe, die für das GmbHRecht eine abweichende Beurteilung rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich. Auch wenn die traditionelle Vorstellung, dass die juristische Person den Zurechnungsendpunkt aller rechtlichen Beziehungen der Mitglieder bilde und §318 Rdn.27; Mülbert, in: Großkomm. AktG, Vor §§118-147 Rdn.229f.; ausführlich M. Winter, Treuebindungen, S. 85 ff.; M. Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 46 ff., speziell zum Gleichbehandlungsverstoß S.73f.; Barnert, Gesellschafterklage, S. 175 ff., 181 ff.; ferner Ch. Berger, ZHR 149 (1985), 599 (603 f.); Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 304 ff. 12 Vgl. statt vieler Ulmer, in: MünchKomm. BGB, §705 Rdn.208; Habermeier, in: Staudinger, BGB, § 705 Rdn. 46; jeweils mit umfangreichen Nachw. Die Annahme eines eigenen Anspruchs des klagenden Gesellschafters wurde im Personengesellschaftsrecht allerdings nicht auf die Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern gestützt, sondern unmittelbar darauf, dass sich die Gesellschafter die Erfüllung der Sozialansprüche im Gesellschaftsvertrag wechselseitig zugesagt hätten; vgl. die Nachw. bei Ulmer aaO. Rdn. 207. 13 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Anh. §318 Rdn. 27; Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, Anh. § 77 Rdn. 76; M. Winter, Treuebindungen, S. 85 ff.; Ch. Berger, ZHR 149 (1985), 599 (604); M. Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S.61 ff.; ohiter auch BGH N J W 1992, 3167, 3171: „Eigenständige Bedeutung kommt der Treupflicht gegenüber den Gesellschaftern nur zu, soweit nicht gleichzeitig die Interessen der Gesellschaft berührt sind." 14 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Anh. §318 Rdn. 27; Ch. Berger, ZHR 149 (1985), 599 (604). 15 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Anh. §318 Rdn.27; M. Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 113ff.; abweichend Banerjea, Gesellschafterklage, S.186.
§ 19 Ansprüche/Klagebefugnisse
der benachteiligten
Gesellschafter
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jede unmittelbare Rechtsbeziehung zwischen den Mitgliedern zerschneide, heute sowohl im GmbH- als auch im Aktienrecht überwunden ist, führt doch kein Weg daran vorbei, dass die Rechte und Pflichten der Mitglieder einer Kapitalgesellschaft in erster Linie auf die Gesellschaft bezogen sind. Dies legt es nahe, Pflichtverletzungen vorrangig in diesem Rechtsverhältnis zu korrigieren und nur, soweit dies nicht möglich oder aus besonderen Gründen nicht sachgerecht sein sollte, hilfsweise auf das Verhältnis der Gesellschafter untereinander auszuweichen. Davon abgesehen ist es auch wenig befriedigend, den Einwänden, die im Aktienrecht gegen die Gewährung der actio pro socio erhoben werden, gewissermaßen durch einen Kunstgriff der Konstruktion aus dem Wege zu gehen und zu suggerieren, dass sich die erhobenen Bedenken erledigen, wenn man nicht mehr von einem Vorgehen als Prozessstandschafter, sondern aus eigenem Recht ausgeht. Da die Zuerkennung eigener Ansprüche der Gesellschafter auf Leistung in das Gesellschaftsvermögen der Gewährung der actio pro socio im Ergebnis sehr nahe kommt, führt kein Weg daran vorbei, sich mit den Einwänden, die gegen die actio pro socio im Aktienrecht vorgetragen werden, auch in der Sache auseinanderzusetzen. Mit dem bloßen Hinweis auf die Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern ist insoweit nichts gewonnen. 2. Actio pro socio a)
GmbH
Im GmbH-Recht ist die Befugnis der Gesellschafter, Sozialansprüche der Gesellschaft gegen den oder die begünstigten Gesellschafter im Wege der actio pro socio als Prozessstandschafter geltend zu machen, trotz Fehlens einer geschriebenen Rechtsgrundlage heute ganz überwiegend anerkannt 16 . Folglich kann auch der Anspruch der Gesellschaft auf (Rück-) Erstattung des gleichbehandlungswidrigen Vorteils in das Gesellschaftsvermögen auf diesem Wege geltend gemacht werden. Zu bedenken ist freilich, dass die actio pro socio nach h.M. unter dem Vorbehalt steht, dass die Gesellschaft nicht schon von sich aus den 16 Zur Anerkennung der actio pro socio im GmbH-Recht vgl. B G H N J W 1991, 1884; N Z G 1998, 428 (429); dagegen nicht schon die häufig angeführten Entscheidungen B G H Z 65,15 (21); B G H WM 1982, 928 (929); N J W 1990, 2627 (2628), da diese jeweils von einem eigenen Anspruch des klagenden Gesellschafters ausgehen (dazu bereits oben Ziff. 1 a); aus dem Schrifttum etwa Ebbing, in: Michalski, GmbHG, § 14 Rdn. 98 ff.; Grunewald, Gesellschafterklage, S. 68 ff.; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rdn. 37 ff.; Hüffer, in: Hachenburg, GmbHG, §46 Rdn. 109 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §21 IV 6 b (S. 641 f.); Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, §8 IV lcbb (S.461 ff.); M. Winter, Treuebindungen, S. 306 ff.; sowie zuletzt M. Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 45 ff., 74 ff. S. aber auch die in Fn. 3 Genannten, die in weitem Umfang Ansprüche aus eigenem Recht bejahen und insoweit einen Bedarf für die actio pro socio verneinen.
442
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
Anspruch ordnungsgemäß verfolgt (Subsidiarität der actio pro socio)17. Der benachteiligte Gesellschafter muss also im Regelfall zunächst versuchen, das zuständige Gesellschaftsorgan zur Geltendmachung des Anspruchs zu veranlassen. Die zum Teil umstrittenen Einzelheiten der Subsidiarität müssen an dieser Stelle nicht nochmals dargelegt werden, zumal damit keine gleichbehandlungsspezifischen Fragen angesprochen sind 18 . Bestehen mehrere Möglichkeiten der Beseitigung der Ungleichbehandlung und steht der Gesellschaft somit ein Wahlrecht zu, den Verstoß anstatt durch Inanspruchnahme des begünstigten Gesellschafters durch aktive Gleichbehandlung zu beseitigen19, kann sie letztere auch noch während des Prozesses über die actio pro socio gewähren. Dies ergibt sich aus § 264 Abs. 1 B G B , wonach der Schuldner einer Wahlschuld sich so lange mit der einen Leistung befreien kann, wie er die andere Leistung noch nicht erbracht hat. Erfolgt die aktive Gleichbehandlung während des Prozesses, wird damit der Gleichbehandlungsverstoß geheilt, so dass der Anspruch gegen den begünstigten Gesellschafter entfällt und der klagende Gesellschafter die Erledigung der Hauptsache erklären muss, wenn er der Prozesskostenlast entgehen will. Sieht man von diesem Umstand ab, bestehen im Vergleich zur Geltendmachung anderer Ansprüche im Wege der actio pro socio keine Besonderheiten. b)AG Schwieriger liegen die Dinge im Aktienrecht. Der hier interessierende Anspruch der Gesellschaft gegen den gleichbehandlungswidrig begünstigten Aktionär, sei es ein Anspruch aus § 62 AktG, ein Erstattungsanspruch aus der Treuepflicht oder aus Bereicherungsrecht 20 , fällt regelmäßig nicht unter die wenigen Spezialvorschriften, die auch im Aktienrecht jedem einzelnen Aktionär die actio pro socio gewähren (§§309 Abs. 4 Satz 1 und 2, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 17 H.M.; vgl. etwa Ebbing, in: Michalski, GmbHG, § 14 Rdn. 102, 104; Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 54 ff.; Grunewald, Gesellschafterklage, S. 69 f., 73,76; G. Hueck/Fastrich, in: Baurabach/Hueck, GmbHG, §13 Rdn. 40; M. Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 80ff.; M. Winter, Treuebindungen, S.314; a.A. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, §8 IV lcbb (S. 462); Ch. Berger, Z H R 149 (1985), 599 (607f.). 18 Umstritten ist insbesondere, ob der klagewillige Gesellschafter gegen einen die Geltendmachung des Anspruchs ablehnenden Gesellschafterbeschluss zunächst im Wege der Anfechtungsklage vorgehen muss, bevor er die actio pro socio erheben darf. Bejahend etwa Grunewald, Gesellschafterklage, S. 73 ff.; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rdn. 40; verneinend Ebbing, in: Michalski, GmbHG, § 14 Rdn. 104; grundsätzlich auch M. Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 84 ff., 94 ff.; M. Winter, Treuebindungen, S. 315 ff. (anders nur, wenn die Gesellschafterversammlung nicht nur die Geltendmachung des Anspruchs ablehnt, sondern auch den Verzicht auf den Anspruch beschließt). 19 Zu diesem Wahlrecht oben § 171 3 c. 2 0 Zu den in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen oben § 16 II 7.
§ 19 Ansprüche/Klagebefugnisse
der benachteiligten
Gesellschafter
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Abs. 4 AktG). Etwas anderes gilt nur, wenn der Anspruch mit einem der erfassten konzernrechtlichen Ansprüche konkurriert 21 . In diesem Fall spricht alles dafür, in Analogie zu der einschlägigen konzernrechtlichen Vorschrift die actio pro socio auch auf den konkurrierenden Anspruch zu erstrecken22. Dem Wortlaut nach fallen die genannten Ansprüche der Gesellschaft gegen den gleichbehandlungswidrig begünstigten Aktionär auch nicht unter die in § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG bezeichneten Ansprüche. Damit ist auch das neue Verfolgungsrecht des § 148 AktG 2 3 , das es einer Aktionärsminderheit mit einer Beteiligung von 1 % bzw. anteilig € 100.000 unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, Ansprüche der Gesellschaft im eigenen Namen (also als actio pro socio) geltend zu machen, jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar. aa) Die ganz h.M. entnimmt den genannten Vorschriften im Umkehrschluss, dass eine generelle Anwendung der actio pro socio im Aktienrecht nicht in Betracht kommt 24 . Davon soll entgegen bisweilen geübter Kritik 25 auch im Folgenden ausgegangen werden. Der Gesetzgeber hat sich nach einer intensiven Diskussion über die Ausdehnung von Aktionärsklagen in Bezug auf die in § 147 Abs. 1 AktG genannten Ersatzansprüche gerade erst dafür entschieden, ein Klagerecht erst ab dem genannten Quorum von 1 % des Grundkapitals bzw. einem anteiligen Betrag von € 100.000 vorzusehen (§ 148 AktG). Vor diesem Hintergrund wäre es ungereimt, generell jedem Einzelaktionär ein Recht auf Geltendmachung der Ansprüche der Gesellschaft zuzugestehen. Uneinigkeit besteht aber in der Frage, ob nicht wenigstens in einzelnen Fallgruppen eine behutsame Ausdehnung der actio pro socio im Wege der Rechts21 Beispiel: verdeckte Vermögenszuwendung an das herrschende Unternehmen im faktischen Konzern; rechtzeitiger Nachteilsausgleich (§ 311 Abs. 2 AktG) unterbleibt. In diesem Fall besteht neben dem Schadensersatzanspruch der Gesellschaft aus §317 Abs. 1 AktG, der gemäß §§317 Abs. 4, 309 Abs. 4 AktG im Wege der actio pro socio geltend gemacht werden kann, auch ein Rückgewähranspruch der Gesellschaft gegen das herrschende Unternehmen wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (vgl. oben §15 I 3a aa bei Fn. 48 und §16117). 22 Dies wird auch sonst für konkurrierende Ansprüche gegen das herrschende Unternehmen, z.B. aus § 117 AktG, mit Recht angenommen; vgl. etwa Habersack, DStR 1998, 533 (533 mit Fn. 9); Kropff in: MünchKomm. AktG, § 117 Rdn.40; jeweils m.w.Nachw. 23 Zur Neuregelung der §§ 147-149 AktG durch das U M AG etwa Paschos/Neumann, DB 2005,1779 ff.; K. Schmidt, N Z G 2005, 796 ff.; Spindler, N Z G 2005, 865 ff.; aus rechtsvergleichender Perspektive Siems, ZVglRwiss 104 (2005), 376 ff.; zum Referentenentwurf Seibt, WM 2004, 2137ff.; wegweisend für die Reform insbesondere Ulmer Z H R 163 (1999), 220ff.; Baums, Gutachten, S. 243 ff.; Regierungskommission Corporate Governance, in: Baums, Bericht, Rdn. 72 f. 24 Vgl. etwa Bayer, N J W 2000,2609 (2613); Baums, Gutachten, S. 200 f.; Habersack, DStR 1998,533 (533 f., 537); Henze, in: Großkomm. AktG, § 62 Rdn. 55; Hüffer, AktG, § 148 Rdn. 2; Krieger, Z H R 163 (1999), 343 (344); K Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 IV 6 a (S. 641); ders., in: Großkomm. AktG, §241 Rdn. 7; Schröer, in: MünchKomm. AktG, §147 Rdn. 26; M. Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 111 ff.; Zöllner, Z G R 1988,392 (401 ff.); alle m.w.Nachw. 25 Vgl. aus neuerer Zeit namentlich M. Becker, Verwaltungskontrolle, S. 604 ff.
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4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
fortbildung möglich bleibt, ohne damit die Grundentscheidung des Gesetzgebers gegen eine umfassende Anerkennung dieses Rechtsinstituts in Frage zu stellen. Häufig ist man auch insoweit zurückhaltend 26 , doch fehlt es nicht an weitergehenden Ansätzen: So ist vorgeschlagen worden, die Einzelklagebefugnis wenigstens dann zuzulassen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls theoretisch oder praktisch ausgeschlossen sei, das für ein Vorgehen nach § 148 AktG erforderliche Quorum zu erreichen27. Daneben gibt es gleich eine ganze Reihe von Vorschlägen, die im Ergebnis dazu führen, dass die actio pro socio jedenfalls bei den hier interessierenden Gleichbehandlungsverstößen ausnahmsweise zulässig sein soll. So wird vorgeschlagen, die actio pro socio immer dann anzuerkennen, wenn die Entscheidung des Vorstands, den Anspruch der Gesellschaft nicht geltend zu machen, gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz oder die Treuepflicht verstoße28. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass in diesen Fällen zugleich eine Verletzung des Mitgliedschaftsrechts der beeinträchtigten Aktionäre vorliege. Mit derselben Begründung wird die Auffassung vertreten, dass die actio pro socio zulässig sein müsse, soweit es um die Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft aus Treuepflichtverletzungen eines Aktionärs gehe29. Bedenkt man, dass sich der Anspruch der Gesellschaft gegen den begünstigten Gesellschafter auf Rückgewähr der gleichbehandlungswidrig erlangten Vorteile (auch) aus der Treuepflicht ableiten lässt30, führt auch diese Ansicht dazu, dass man bei Verletzungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes die actio pro socio für zulässig halten müsste. Schließlich wird die Auffassung vertreten, dass die actio pro socio aus Gründen der Prozessökonomie immer dann zuzulassen sei, wenn der Aktionär die Gesellschaft auf Geltendmachung ihres Anspruchs verklagen könne31. Auch nach diesem Ansatz wäre bei Gleichbehandlungsverstößen die Zulässigkeit der actio pro socio grundsätzlich zu bejahen, da den benachteiligten Aktionären nach der hier vertretenen Auffassung ein einklagbarer Anspruch gegen die Gesellschaft zusteht, den Gleichbehandlungsverstoß entweder ausschließlich oder, sofern auch aktive Gleichbehandlung in Betracht kommt, zumindest wahlweise durch Inanspruchnahme des begünstigten Aktionärs zu beseitigen32. 26 Generell gegen eine Ausdehnung der actio pro socio über die genannten Einzelvorschriften hinaus (vorbehaltlich punktueller Erweiterungen im Wege der Analogie) etwa Habersack, DStR 1998, 533 (533 f., 537); K. Schmidt, in: Großkomm. AktG, §241 Rdn.7; M. Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 111 ff. 27 Wiedemann, Organverantwortung, S. 50f.; Rollin, Aktionärsklage, S. 198 (beide noch zu § 147 AktG a.F.). 28 Wiesner, in: MünchHdb. AG, §18 Rdn.5 (allerdings unter unzutreffender Berufung auf Zöllner, ZGR 1988, 392 [406], der einen Anspruch aus eigenem Recht annimmt); speziell für verdeckte Vermögenszuwendungen auch Flume, ZHR 144 (1980), 18 (32 f.). 29 H ü f f e r , AktG, § 53a Rdn. 19; Kort, in: Großkomm. AktG, vor § 76 Rdn. 64. 30 S. oben §16 II 7. 31 Schulz- Gardyan, Aktionärsklage, S. 81 i.V.m. S. 78 f. 32 S. oben § 1 7 1 2 , 3.
§19 Ansprüche/Klagebefugnisse
der benachteiligten
Gesellschafter
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bb) Versucht man eine Bewertung der vorstehenden Ansätze, die actio pro socio auf Gleichbehandlungsverstöße auszudehnen, so fällt sogleich auf, dass die Begründung jeweils sehr knapp ausfällt. Der bloße Hinweis auf die Verletzung des Mitgliedschaftsrechts des Aktionärs kann jedenfalls nicht genügen, um eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unzulässigkeit der actio pro socio im Aktienrecht zu begründen. Es ist gewiss zutreffend, dass der Aktionär Verletzungen seiner mitgliedschaftlichen Rechte und damit auch seines Rechts auf Gleichbehandlung nicht sanktionslos dulden muss; aber damit ist noch nicht gesagt, dass ihm neben dem Beseitigungs-, Schadensersatz- und Unterlassungsanspruch gegen die Gesellschaft zusätzlich auch noch die actio pro socio gegen den begünstigten Mitaktionär gewährt werden müsste. Mehr Uberzeugungskraft hat dagegen das Argument der Prozessökonomie: Wenn der Aktionär ohnehin einen einklagbaren Anspruch darauf hat, dass die Gesellschaft gegen die begünstigten Aktionäre vorgeht, warum sollte man ihm dann nicht gestatten, die Anspruchsverfolgung bei Untätigkeit des Vorstands selbst in die Hand zu nehmen? Zwingend ist aber auch diese Argumentation nicht. Gewiss würde aus Sicht des benachteiligten Aktionärs die Rechtsdurchsetzung vereinfacht. Es wurde aber bereits darauf hingewiesen, dass die Gewährung der actio pro socio auch bei Gleichbehandlungsverstößen unter einer Reihe von Gesichtspunkten problematisch bleibt33. Vor allem müsste es zu unüberbrückbaren Wertungswidersprüchen führen, wenn man ausgerechnet bei Gleichbehandlungsverstößen (und Treuepflichtverletzungen) eine actio pro socio ausnahmsweise zuließe. Wenn sogar die in § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG ausdrücklich genannten, besonders schwerwiegenden Fälle, in denen die Gesellschafter gegen zwingende Vorschriften bei der Gründung der Gesellschaft verstoßen haben oder gar der Vorsatzhaftung aus § 117 AktG unterliegen, gemäß § 148 AktG nicht von jedem einzelnen Aktionär im Wege der actio pro socio verfolgt werden können, kann bei einfachen Gleichbehandlungsverstößen schwerlich etwas anderes gelten. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass derartige Widersprüche hinzunehmen seien, da die Regelung der §§ 147 f. AktG die Klagebefugnisse der Aktionäre zu sehr beschränke und rechtspolitisch missglückt sei34. Nach der neuerlichen Reform der Regelung und der Herabsetzung des Quorums für das nunmehr in § 148 AktG vorgesehene Verfolgungsrecht auf 1 % des Grundkapitals bzw. einen anteiligen Betrag von € 100.000 dürfte diese - früher wohl berechtigte35 - Kritik ohnehin weitestgehend überholt
33 34
S.oben § 17 I 2 b b b . So aber Banerjea, Gesellschafterklage, S. 187, zu § 147 AktG in der Fassung des Kon-
TraG. 35 Aus der intensiven Diskussion um § 147 AktG in der Fassung des KonTraG vgl. vor allem Baums, Gutachten, S. 244 ff.; Ulmer, Z H R 163 (1999), 290 ff.; zusammenfassend Rollin, Aktionärsklage, S. 146ff.
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4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
sein 36 . An der Neuregelung wird im Gegenteil teilweise beanstandet, dass sie das Verfolgungsrecht zu weit ausgedehnt habe 37 . Selbst wenn man aber die Regelung der §§ 147 f. AktG aus rechtspolitischer Sicht weiterhin für unzureichend halten wollte 38 , wäre das kein hinreichender Grund, im Gesetz deutlich zum Ausdruck gekommene Wertungen einfach zu ignorieren. Etwas anderes lässt sich in Fällen des Gleichbehandlungsverstoßes auch nicht aus dem Gemeinschaftsrecht ableiten, da dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot, für Gleichbehandlungsverstöße wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorzusehen, bereits durch die Ansprüche gegen die Gesellschaft Rechnung getragen ist. cc) Zu erwägen bleibt nur, ob nicht wenigstens das Verfolgungsrecht des § 148 AktG auch für Ansprüche gegen den gleichbehandlungswidrig begünstigten Aktionär fruchtbar gemacht werden kann mit der Folge, dass solche Ansprüche immerhin von einer Aktionärsminderheit von 1 % bzw. einem anteiligen Betrag des Grundkapitals von € 100.000 geltend gemacht werden könnten. Allerdings zählen die Ansprüche gegen den begünstigten Aktionär wie eingangs erwähnt nicht zu den in § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG aufgeführten „Ersatzansprüchen", so dass allenfalls eine analoge Anwendung der §§ 147 f. AktG in Betracht kommt. Auch insoweit erscheint jedoch Zurückhaltung geboten. So sollen nach dem zwar rechtspolitisch fragwürdigen, aber dennoch verbindlichen Willen des Gesetzgebers Erfüllungsansprüche nicht unter § 147 AktG fallen 39 . Deshalb kann z.B. ein ungleichmäßig nicht eingeforderter Einlageanspruch nicht im Rahmen der §§ 147 f. AktG verfolgt werden. Dasselbe muss konsequenterweise auch für den Rückeinlageanspruch aus § 62 AktG gelten, zumal nicht davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber diesen einigermaßen prominenten Anspruch bei Abfassung des § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG schlicht übersehen hat. Wenn aber der Rückgewähranspruch aus § 62 AktG nicht unter die §§ 147 f. AktG fällt, wird man für die übrigen Ansprüche auf Rückgewähr gleichbehandlungswidrig erlangter Vorteile nicht anders entscheiden können 40 . S. aber auch unten lit. cc. Vgl. etwa Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2004, 555 (560 f.) (allerdings noch zur ursprünglich vorgesehenen Untergrenze einer Beteiligung im Börsenwert von € 100.000, die erst nach Stellungnahme des Bundesrats [BR-Drucks. 3/1/05, S. 12] in einen anteiligen Betrag des Grundkapitals von € 100.000 verändert wurde; damit ist bei prosperierenden Gesellschaften eine deutliche Anhebung des Quorums verbunden). 38 So Meilicke/Heidel, DB 2004,1479 (1481 f.). 39 Ausschussbericht AktG bei Kropff AktG 1965, S.215; aus dem Schrifttum G. Bezzenberger, in: Großkomm. AktG, § 147 Rdn. 14; H ü f f e r , AktG, § 147 Rdn. 2; Schröer, in: MünchKomm. AktG, § 147 Rdn. 16. 40 Im Schrifttum zu § 147 AktG wird dagegen häufig angenommen, dass der Begriff des „Ersatzanspruchs" weit auszulegen und auf Ausgleichsansprüche aller Art (z.B. auch Bereicherungsansprüche) zu erstrecken sei; vgl. G. Bezzenherger, in: Großkomm. AktG, § 147 Rdn. 12; H ü f f e r , AktG, §147 Rdn. 2; L. Koch/Heidel, in: AnwKomm. AktG, §147 Rdn. 6. Dabei hat man allerdings vornehmlich Ansprüche gegen die Organwalter im Auge. Schon für 36 37
5 19 Ansprüche/Klagebefugnisse
der benachteiligten
Gesellschafter
447
Eine andere Beurteilung erscheint erst dann angezeigt, wenn der Gesellschaft neben dem (verschuldensunabhängigen) Anspruch auf Rückgewähr der gleichbehandlungswidrigen Vorteile auch ein Scbadensersatzansprucb. aus schuldhafter Treuepflichtverletzung zusteht, was im Aktienrecht aber nach herrschender - freilich teilweise überprüfungsbedürftiger - Auffassung nur bei Vorsatz in Betracht kommt 41 . Eine analoge Anwendung der §§ 147 f. AktG ist hier schon deshalb gerechtfertigt, weil der Anspruch aus vorsätzlicher Treuepflichtverletzung in die Nähe des § 117 AktG gerät, der in § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG ausdrücklich genannt ist. Aber auch soweit man Schadensersatzansprüche gegen die Aktionäre aus Treuepflichtverletzung unterhalb der Vorsatzschwelle für möglich hält, wird man eine Analogie bejahen müssen, da § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG ersichtlich von dem Bestreben geleitet ist, die im Zusammenhang mit dem Mitgliedschaftsverhältnis stehenden Schadensersatzansprüche erschöpfend aufzuzählen42.
3. Ergebnis Nach alledem ist entgegen anderslautenden Stimmen im Schrifttum auch bei Gleichbehandlungsverstößen daran festzuhalten, dass eine jedem Einzelaktionär zustehende actio pro socio außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Spezialregelungen nicht in Betracht kommt. Auch eine Durchsetzung der Ansprüche der Gesellschaft gegen den begünstigten Aktionär im Rahmen des neuen Verfolgungsrechts aus § 148 AktG ist nur mit erheblichen Einschränkungen, nämlich nur in Bezug auf Schadensersatzansprüche, zulässig. Demgegenüber ist im GmbH-Recht die actio pro socio allgemein anzuerkennen. Die im Schrifttum vertretene Alternativkonzeption, die actio pro socio durch Zuerkennung eigener Ansprüche der benachteiligten Gesellschafter unmittelbar gegen den begünstigten Gesellschafter zu ersetzen, ist dagegen sowohl für die GmbH als auch die AG abzulehnen.
diese ist die genannte Auffassung zweifelhaft; vgl. Schröer, in: MünchKomm. AktG, § 147 Rdn. 17. Jedenfalls für Ansprüche gegen die Gesellschafter lässt sich, wie das Beispiel des § 62 AktG zeigt, eine so weitgehende Ausdehnung des § 147 AktG nicht begründen. 41 Zur treuepflichtwidrigen Stimmrechtsausübung B G H Z 129, 136 (162 ff.), für sonstige Treuepflichtverletzungen des Aktionärs Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, vor §53a Rdn. 33; Henze, in: Großkomm. AktG, Anh. § 53a Rdn. 149 m.w.Nachw. Näher dazu sogleich unter Ziff. II 1, dort auch zu Ausnahmen vom Vorsatzerfordernis. 4 2 Vgl. M. Schwab, Gesellschaftsinterne Streitigkeiten, S. 112; abweichend Banerjea, Gesellschafterklage, S. 187.
448
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
II. Schadensersatz /. Ausgangspunkt; praktische
Bedeutung
Geht der Gleichbehandlungsverstoß auf das Verschulden eines oder mehrerer Gesellschafter zurück - was insbesondere bei gleichbehandlungswidrigen Beschlüssen der Anteilseignerversammlung denkbar ist - und ist daraus den benachteiligten Gesellschaftern ein Schaden entstanden, stellt sich die Frage, ob diese neben der Gesellschaft unmittelbar die schuldhaft handelnden Mitgesellschafter auf Schadensersatz in Anspruch nehmen können. Zu denken ist dabei in erster Linie an Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB wegen schuldhafter Verletzung der Treuepflicht im Verhältnis der Gesellschafter untereinander 4 3 . Die praktische Bedeutung dieser Frage relativiert sich allerdings in zweifacher Hinsicht. Zum einen kommt - nicht anders als bei Ansprüchen gegen die Gesellschaft 44 - wiederum nur eine Geltendmachung von Eigenschäden, nicht auch von bloßen Reflexschäden in Betracht; bezüglich der Letzteren ist allein die Gesellschaft anspruchsberechtigt 45 . Zum anderen ist zu beachten, dass gleichbehandlungswidrige Gesellschafterbeschlüsse anfechtbar sind (§ 243 Abs. 1 AktG) und der Schadenseintritt deshalb häufig schon durch Erhebung der Anfechtungsklage abgewendet werden kann und dann auch vorrangig auf diese Weise abgewendet werden muss 46 . Gleichwohl bleiben Fälle, in denen beide Einschränkungen nicht zum Tragen kommen. Man denke etwa an einen Gesellschafterbeschluss, durch den in gleichbehandlungswidriger Weise die Zustimmung zur Veräußerung vinkulierter Anteile verweigert wird und der in Aussicht genommene Erwerber daraufhin von dem Geschäft Abstand nimmt. Hier erleidet der veräußerungswillige Gesellschafter, dem die Gelegenheit zu einem gewinnbringenden Geschäft genommen wird, einen Eigenschaden, ohne diesen durch Erhebung einer Anfechtungsklage abwenden zu können. Auch die Geltendmachung des Anspruchs auf Erteilung der Zustimmung (aktive Gleichbehandlung) wird in dieser Situation häufig zu spät kommen, um den Schadenseintritt noch zu verhindern. Die mit der Frage der Schadensersatzpflicht der Mitgesellschafter aufgeworfenen Probleme sind bei Gleichbehandlungsverstößen im Grunde keine anderen als bei anderen Treuepflichtverletzungen der verantwortlichen Gesellschafter. Dies mag es rechtfertigen, sie an dieser Stelle nur kurz abzuhandeln. Die 43
Ergänzend kommen bei Vorsatz Ansprüche aus § 826 BGB und (nach A u f h e b u n g des § 117 Abs. 7 Nr. 1 A k t G a.F.) § 117 A k t G in Betracht, doch gehen diese Ansprüche nicht weiter als der Anspruch aus Treuepflichtverletzung. Der Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB ist dagegen durch den Gleichbehandlungsverstoß allein nicht erfüllt, ebenso wenig der des § 823 Abs. 2 BGB (s. oben §181). 44 S. oben 17 II 3. 45 S. oben Ziff. I I b . 46 S. oben §16 II 8.
519 Ansprüche/Klagebefugnisse
der benachteiligten
Gesellschafter
449
Betrachtung beschränkt sich dabei auf den Fall der gleichbehandlungswidrigen Beschlussfassung in der Anteilseignerversammlung.
2. Treuepflichtverletzung Mitgesellschaftern
gegenüber
den
benachteiligten
S t i m m e n Gesellschafter in der A n t e i l s e i g n e r v e r s a m m l u n g f ü r einen gleichbeh a n d l u n g s w i d r i g e n Beschluss, so lässt sich dies als Treuepflichtverletzung gegenüber den benachteiligten Gesellschaftern ansehen. Zugleich begehen die f ü r den Beschluss stimmenden Gesellschafter aber auch eine Treuepflichtverletz u n g gegenüber der Gesellschaft, da diese sich den Beschluss zurechnen lassen muss u n d infolgedessen A n s p r ü c h e n der benachteiligten Gesellschafter ausgesetzt w i r d . Bedenkt man, dass die Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern gegenüber der Treuepflicht z u r Gesellschaft subsidiär ist 47 , scheint daraus der E i n w a n d zu folgen, dass die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander (auch) in der hier interessierenden Konstellation nicht z u m Zuge k o m m e n k a n n . D a m i t w ü r d e indes die Reichweite der Subsidiarität verkannt: Sie erstreckt sich allein auf Fälle, in denen u n m i t t e l b a r nur die Gesellschaft beeinträchtigt w i r d u n d die Gesellschafter lediglich mittelbar durch ihre Beteiligung an der Gesellschaft betroffen w e r d e n (Reflexschäden). In den hier interessierenden Fällen von Eigenschäden der Gesellschafter liegt es genau u m g e k e h r t : U n m i t t e l b a r betroffen sind nur die Individualinteressen der Gesellschafter; die Gesellschaft selbst w i r d dagegen lediglich mittelbar betroffen, i n d e m sie sich den A n s p r ü chen der benachteiligten Gesellschafter ausgesetzt sieht. F ü r diese Konstellation lässt sich keine Subsidiarität der Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern begründen. Die f ü r die Subsidiarität a n g e f ü h r t e n G r ü n d e 4 8 treffen auf diesen Fall nicht zu. Im Gegenteil belegt die Parallele zu §§ 117 Abs. 1 Satz 2 , 3 1 7 Abs. 1 Satz 2 A k t G , dass das Gesetz bei erlittenen Eigenschäden R a u m f ü r D i r e k t a n sprüche gegen die Mitgesellschafter lässt.
3.
Verschuldensmaßstab
Schwierigkeiten bereitet allerdings der Verschuldensmaßstab, der an das gleichbehandlungs- u n d damit treuepflichtwidrige A b s t i m m u n g s v e r h a l t e n in der A n t e i l s e i g n e r v e r s a m m l u n g anzulegen ist. Die Frage w i r d i m A k t i e n - u n d i m G m b H - R e c h t üblicherweise unterschiedlich beantwortet.
47 48
S. oben Ziff. I I b . S. oben Ziff. I 1 b.
450
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
a)AG aa) Für die AG ist man sich seit dem „Girmes-"-Urteil des B G H weithin einig, dass Ansprüche gegen die Mitgesellschafter aus treuepflichtwidriger Beschlussfassung nur bei Vorsatz in Betracht kommen 49 . Trotz einzelner kritischer Stimmen 50 sprechen gute Gründe dafür, an dieser Rechtsprechung zumindest für Publikumsgesellschaften festzuhalten. Zwar hat sich der B G H zur Begründung u.a. auf die gesetzliche Wertung des § 117 Abs. 7 Nr. 1 AktG a.F. berufen, der für die Ausübung des Stimmrechts sogar die Haftung aus § 117 AktG ausschloss und damit eine deutliche Zurückhaltung des Gesetzgebers gegenüber einer Haftung für die Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung erkennen ließ. Diese Argumentation ist so nicht mehr möglich, da das U M A G die Vorschrift des § 117 Abs. 7 Nr. 1 AktG a.F. ersatzlos gestrichen hat 51 . Eine Änderung in der Beurteilung der hier interessierenden Frage ist dadurch jedoch nicht veranlasst. Zum einen ist die Haftung aus § 117 AktG ohnehin auf Vorsatz beschränkt, so dass das Gesetz - wenn man vom Konzernrecht absieht - auch in der Fassung des U M A G nur eine Haftung für vorsätzliche Schädigungen im Rahmen der Stimmrechtsausübung vorsieht. Zum anderen behalten die weiteren Gründe, die der B G H für die Haftungsbeschränkung angeführt hat, unverändert ihre Gültigkeit. Gewicht hat vor allem das Argument, dass eine Fahrlässigkeitshaftung insbesondere Kleinaktionäre wegen des drohenden Haftungsrisikos von der Teilnahme an der Hauptversammlung abschrecken und so zu einem weiteren Absinken der Hauptversammlungspräsenzen führen würde. Mittelbar wären dadurch auch negative Auswirkungen auf das Kaufverhalten beim Erwerb von Wertpapieren zu Ungunsten des Kapitalmarkts zu befürchten 52 . Demgegenüber trifft es zwar zu, dass der Fahrlässigkeitsbegriff Raum dafür lässt, durch geringe Sorgfaltsanforderungen an Anlegeraktionäre die Haftungsrisiken erheblich zu reduzieren 53 , und zwar erst recht, wenn man auf grober Fahrlässigkeit besteht 54 . Es lässt sich aber nicht leugnen, dass selbst von 49 Vgl. B G H Z 129, 136 (162 ff.); Bungeroth, in: MünchKomm. AktG, vor §53a Rdn.33; Bungert, DB 1995, 1749 (1755); Grunewald, FS Kropff, S.89 (98); Häsemeyer, Z H R 160 (1996), 109 (118); Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, Anh. §53a Rdn. 147; Janke, Treuepflicht, S. 262 ff.; Lutter, J Z 1995, 1053 (1055); Rittner, EWiR 1995, 525 (526); grundsätzlich auch Hennrichs, WuB § 135 AktG 1.95 (unter 4.), der aber den Vorsatzbegriff entgegen der im Zivilrecht herrschenden Vorsatztheorie so verstehen will, dass ein vermeidbarer Verbotsirrtum den Vorsatz nicht ausschließt. 50 Für §276 B G B (Vorsatz und Fahrlässigkeit) als Haftungsmaßstab Beckerhoff, Treupflichten, S. 99ff.; Filimann, Treuepflichten, S. 109 ff.; Nehls, Treuepflicht, S. 104ff.; Piepenburg, Treupflichten, S. 158 ff.; für Haftung ab grober Fahrlässigkeit Jilg, Treuepflicht, S. 132 ff. 51 Art. 1 Ziff. 3 U M A G . 52 B G H Z 129,136(163). 53 Vgl. Beckerhoff, Treupflichten, S. 99 f.; Nehls, Treuepflicht, S. 105; Piepenburg, Treupflichten, S. 159 f. 54 So Jilg, Treuepflicht, S. 133 f.
§19 Ansprüche/Klagebefugnisse
der benachteiligten
Gesellschafter
451
einer derart zurückgenommenen Fahrlässigkeitshaftung immer noch ein nicht zu unterschätzender Abschreckungseffekt ausginge, zumal die Grenze zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit - wie der BGH zu Recht betont häufig nicht leicht zu ziehen ist 55 . Zu widersprechen ist allerdings der Auffassung des OLG Düsseldorf, der zufolge das Vorsatzerfordernis sich nicht nur auf den Verstoß gegen die Treuepflicht, sondern auch auf den Schaden beziehen soll 56 . Wie schon der Wortlaut des §280 Abs. 1 Satz 2 BGB erkennen lässt, bezieht sich das Erfordernis des Vertretenmüssens hier (anders als im Rahmen des § 826 BGB) nur auf die Pflichtverletzung und nicht auch auf den eingetretenen Schaden 57 . Im Ergebnis dürfte sich dieser Unterschied jedoch allenfalls in seltenen Ausnahmefällen auswirken. Wenn die Aktionäre Vorsatz hinsichtlich des Gleichbehandlungsverstoßes und damit der Benachteiligung einzelner Gesellschafter haben, wird in aller Regel auch ein zumindest bedingter Schädigungsvorsatz gegeben sein. bb) Der BGH hatte im „Girmes"-Urteil über eine börsennotierte AG zu entscheiden. Er hat die Haftungsbegrenzung auf Vorsatz aber nicht auf Publikumsgesellschaften beschränkt, sondern scheint davon auszugehen, dass das Vorsatzerfordernis generell für alle Aktiengesellschaften gilt. Auch das Schrifttum differenziert insoweit nicht zwischen Publikumsgesellschaften und geschlossenen Aktiengesellschaften mit kleinem Gesellschafterkreis 58 . Der Sache nach ist die Argumentation des BGH und mit ihm die der h.L. aber doch sehr stark auf Aktionäre (insbesondere Kleinaktionäre) in einer Publikumsgesellschaft zugeschnitten. Das Argument der sinkenden Hauptversammlungspräsenzen und der negativen Auswirkungen auf den Kapitalmarkt trifft jedenfalls nur auf solche Gesellschaften zu. Es bestehen daher Zweifel, ob das Vorsatzerfordernis auch auf die „kleine" AG übertragen werden kann. Die Zweifel verstärken sich noch, wenn man bedenkt, dass in der GmbH nach ganz h.M. kein Vorsatzerfordernis besteht (dazu sogleich unter lit. b). Gerade der Vergleich mit der GmbH spricht vielmehr dafür, bei der kleinen AG, die in ihrer Realstruktur derjenigen einer normtypischen GmbH vergleichbar ist, auf das Vorsatzerfordernis zu verzichten und stattdessen denselben Maßstab anzulegen wie im GmbH-Recht. Eine derartige Differenzierung zwischen verschiedenen Typen der AG ist durchaus systemkonform, da die Intensität der Treuebindungen auch sonst anerkanntermaßen von der Realstruktur der Gesellschaft abhängt 59 . BGHZ 129,136 (163). OLG Düsseldorf W M 1996,1366 (1367) = ZIP 1996, 1211 (1213); zustimmend Herne! Notz, in: Großkomm. AktG, Anh. §53a Rdn. 147; i.E. auch Henssler, DZWir 1997, 36 (37). Wie hier ablehnend aber Grunewald, FS Kropff, S. 89 (97). 57 Ganz h.M.; vgl. nur Otto, in: Staudinger, BGB, §280 Rdn. D 7; Löwisch, in: Staudinger, BGB, §276 Rdn.23; jeweils m.w.Nachw.; einschränkend allerdings Deutsch, N J W 1966, 705 ff.; ders., Allgemeines Haftungsrecht, Rdn. 244. 58 Vgl. die Nachw. in Fn. 49. 59 Grundlegend Lutter, AcP 180 (1980), 84 (105 ff.); ferner etwa Henze/Notz, in: Groß55
56
452
4. Kapitel:
Rechtsfolgen
und prozessuale
Geltendmachung
b) GmbH Für die GmbH herrscht, wie bereits angedeutet, weitestgehend Einigkeit, dass sich das im „Girmes"-Urteil entwickelte Vorsatzerfordernis auf sie nicht übertragen lässt 60 . Unklar ist aber, welcher Verschuldensmaßstab stattdessen Anwendung finden soll. In der personalistisch strukturierten GmbH wird teilweise die eigenübliche Sorgfalt (§ 708 B G B analog i.V.m. § 277 B G B ) zum Maßstab erhoben 61 . Eine Anwendung des § 708 B G B scheint im Grundsatz auch der B G H in Betracht zu ziehen; allerdings ist er bei einem Gesellschafter, bei dem es sich um ein (Groß-) Unternehmen mit kaufmännisch organisiertem Geschäftsbetrieb handelte, ohne weiteres davon ausgegangen, dass die eigenübliche Sorgfalt mit derjenigen eines ordentlichen Geschäftsmanns im Sinne des § 43 Abs. 1 G m b H G identisch sei 62 . Im Schrifttum wird die Anwendbarkeit des § 708 B G B dagegen meist generell verneint und stattdessen auf den allgemeinen Grundsatz des §276 B G B zurückgegriffen. Zu dessen Konkretisierung soll im Rahmen von Geschäftsführungsmaßnahmen unabhängig von der Person des Gesellschafters der Maßstab des § 43 Abs. 1 G m b H G (analog) heranzuziehen sein 63 . Teilweise wird Letzteres wiederum eingeschränkt und § 43 Abs. 1 G m b H G nur auf diejenigen Gesellschafter angewendet, die an der Gesellschaft mehrheitlich beteiligt 64 oder zugleich Geschäftsführer 65 oder zumindest anderweitig unternehmerisch tätig sind 66 . Gegen eine Haftungsmilderung analog § 708 B G B sind bereits oben im Zusammenhang mit der Haftung der Gesellschaft Einwände erhoben worden 67 . komm. AktG, Anh. §53a Rdn.8; G. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §13 Rdn.28; Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 146; ausführlich M. Winter, Treuebindungen, S. 185 ff.; Piepenburg, S. 235 ff., 272 ff. 6 0 Für eine Beschränkung auf Vorsatz allerdings Krebs, Geschäftsführungshaftung, S.224. 61 Thöni, GmbHR 1989, 187 (191 f.); wohl auch Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rdn. 184; offen lassend Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, §13 Rdn. 85; M. Winter, Treuebindungen, S. 111. 6 2 B G H N J W 1976, 191 (192) (insoweit in B G H Z 65, 15 nicht abgedruckt). Vgl. auch B G H Z 93, 146 (150), wo die Anwendung des § 708 B G B nur deshalb abgelehnt wird, weil in dem zu entscheidenden Fall (Gesellschafterbeschluss unter Verstoß gegen § 30 GmbHG) auch außerhalb der Gesellschaft stehende Dritte (Gläubiger) betroffen wurden. Inzwischen hat B G H ZIP 1999,1352 (1353 f.) entschieden, dass in diesem Fall ohnehin die spezielle Regelung des §31 Abs. 3 GmbHG vorgeht; ablehnend dazu allerdings Altmeppen, ZIP 1999,1354 f. 63 Immenga, Kapitalgesellschaft, S.283; T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, §14 Rdn. 92; H. Winter, in: Scholz, GmbHG, §14 Rdn. 62; Ziemons, Haftung, S. 161 ff. 64 Martens, GmbHR 1984,265 (268). 65 M. Winter, Treuebindungen, S. 110 f. (soweit nicht §708 B G B eingreift); Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §47 Rdn. 109; wohl auch Koppensteiner, in: Rowedder/ Schmidt-Leithoff, GmbHG, §43 Rdn. 69. 66 M. Winter, Treuebindungen, S. 110 f. (soweit nicht § 708 B G B eingreift). 67 S. oben §17 II 4.
§ 19 Ansprüche/Klagebefugnisse
der benachteiligten
Gesellschafter
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Das dort Gesagte muss auch hier gelten: Die bereits in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich überaus umstrittene und fragwürdige Vorschrift sollte nicht noch im Wege der Analogie weiter ausgedehnt werden, zumal schon das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke zweifelhaft ist. Richtigerweise ist deshalb von dem allgemeinen Maßstab des §276 BGB auszugehen. Dieser ist hinreichend flexibel, um eine den jeweiligen Umständen gerecht werdende Lösung zu ermöglichen und die abstimmenden Gesellschafter vor allzu einschneidenden Haftungsrisiken zu bewahren. Schon nach allgemeinen Grundsätzen gilt nämlich, dass die Sorgfaltsanforderungen im Rahmen des §276 BGB verkehrskreis- und berufsbezogen zu bestimmen sind 68 . Für zugleich als Geschäftsführer angestellte oder unternehmerisch tätige Gesellschafter hat dies zur Folge, dass in der Tat auf den Maßstab eines ordentlichen Geschäftsmanns (§ 43 Abs. 1 GmbHG) abgestellt werden kann. Für andere Gesellschafter lässt sich dieser Haftungsmaßstab dagegen nicht begründen; für sie hat es daher bei dem großzügigeren Maßstab eines durchschnittlichen Anlagegesellschafters zu bewenden 69 .
4. Verhältnis zur Haftung der Gesellschaft;
Ergebnis
Sind die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Mitgesellschafter gegeben, so tritt dieser Anspruch neben den Anspruch gegen die Gesellschaft, welcher der Beschluss der Anteilseignerversammlung gemäß § 31 BGB zugerechnet wird. Zum Verhältnis beider Ansprüche gilt das bereits Gesagte 70 : Der geschädigte Gesellschafter kann aufgrund seiner Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft gehalten sein, sich zunächst an die verantwortlichen Mitgesellschafter statt an die Gesellschaft zu halten. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dies jedoch nur der Fall, wenn die Prozessrisiken eines derartigen Vorgehens nicht höher zu veranschlagen sind als bei Inanspruchnahme der Gesellschaft. Insgesamt zeigt sich somit, dass Schadensersatzansprüche der benachteiligten Gesellschafter gegen die Mitgesellschafter, die in der Anteilseignerversammlung für die Ungleichbehandlung gestimmt haben, nur in engen Grenzen praktische Bedeutung erlangen werden. Dies folgt zunächst schon aus der Beschränkung auf Eigenschäden und dem Vorrang der Anfechtungsklage. In der Publikums-AG kommt als weitere wesentliche Einschränkung der auf Vorsatz zurückgenommene Verschuldensmaßstab hinzu, der allerdings weder auf die GmbH noch - so die hier vertretene Auffassung - auf die kleine AG übertragbar ist. 68 Vgl. Grundmann, in: MünchKomm. BGB, §276 Rdn.57ff.; Löwisch, BGB, § 2 7 6 R d n . 3 4 f f . 69 Zutr. M. Winter, Treuebindungen, S. 111. 70 S. oben §17 II 6.
in: Staudinger,
454
4. Kapitel:
Rechtsfolgen und prozessuale
Geltendmachung
I I I . Unterlassung des Gleichbehandlungsverstoßes Z u r A b r u n d u n g des Gesamtbilds sei schließlich darauf hingewiesen, dass den benachteiligten Gesellschaftern auch Unterlassungsansprüche gegen Mitgesellschafter zustehen k ö n n e n , die sich anschicken, durch A u s ü b u n g ihres S t i m m rechts oder anderweitig die Gesellschaft zu einem Gleichbehandlungsverstoß zu bewegen. A l s Anspruchsgrundlage ist w i e d e r u m die Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern heranzuziehen. I m S c h r i f t t u m ist anerkannt, dass die d r o hende Verletzung der Treuepflicht verschuldensunabhängige Unterlassungsansprüche gegen den betreffenden Gesellschafter auslösen k a n n 7 1 . Allerdings sind auch hier, v o m Verschuldenserfordernis abgesehen, die bereits b e i m Schadensersatz genannten E i n s c h r ä n k u n g e n zu berücksichtigen: W e n n der G l e i c h b e handlungsverstoß das Gesellschaftsvermögen schmälern und auf der E b e n e der Gesellschafter nur zu einem Reflexschaden führen w ü r d e , stehen Unterlassungsansprüche gegen den treuepflichtwidrig handelnden Gesellschafter allein der Gesellschaft zu 7 2 . Sofern es u m Verstöße i m R a h m e n der S t i m m r e c h t s a u s übung geht, ist ferner zu beachten, dass in aller Regel kein schutzwürdiges B e dürfnis nach präventivem R e c h t s s c h u t z besteht, da die Beschlussfassung abgewartet und anschließend Anfechtungsklage erhoben werden k a n n 7 3 . Selbst w o diese E i n s c h r ä n k u n g e n nicht eingreifen, wird bei drohenden G l e i c h b e h a n d lungsverstößen neben dem Unterlassungsanspruch gegen die Gesellschaft auch k a u m jemals ein praktisches Interesse daran bestehen, zusätzlich auch einzelne Mitgesellschafter auf Unterlassung in A n s p r u c h zu n e h m e n .
71 Vgl. etwa Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, Anh. § 53a Rdn. 143; Michalski, in: Michalski, GmbHG, §13 Rdn. 180; T. Raiser, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 14 Rdn. 90,101; Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, Anh. § 77 Rdn. 65. 72 Für die Geltendmachung dieses Anspruchs im Wege der actio pro socio gilt das zu Ziff. 12 Gesagte. 73 S. bereits oben § 17 III 1 c (bei Fn. 156-157) zum Unterlassungsanspruch gegen die Gesellschaft.
5. Kapitel
Anwendung und Konkretisierung der erarbeiteten Grundsätze in ausgewählten Fallgruppen Die vorstehenden Ausführungen galten dem Ziel, den Tatbestand des Gleichbehandlungsgrundsatzes näher auszuformen und die Rechtsfolgen von Verstößen in ein stimmiges, berechenbares System einzuordnen, das mehr Rechtssicherheit verspricht als die bisher verbreitete, stark einzelfallabhängige Betrachtungsweise. Im Zuge dieser Ausführungen sind bereits in vielfältiger Weise Beispielsfälle angeführt worden, um das Gesagte zu veranschaulichen. Im Folgenden sollen gleichwohl noch einmal drei Fallgruppen gesondert aufgegriffen werden, u m die erarbeiteten Grundsätze zu verdeutlichen und für die betreffenden Fallgruppen weiter zu konkretisieren. Eingegangen werden soll zunächst auf Fragen der Gleichbehandlung im Rahmen des Bezugsrechts bzw. Bezugsrechtsausschlusses (§ 21), anschließend auf Erwerb und Veräußerung eigener Aktien (§ 22) und schließlich auf die Gleichbehandlung im Bereich des Informationsrechts (§ 23). In allen drei Fallgruppen stellen sich Gleichbehandlungsfragen in der Praxis besonders häufig, so dass es sich anbietet, gerade sie einer näheren Betrachtung zu unterziehen. In den beiden letztgenannten Fallgruppen ergeben sich zudem Besonderheiten aus der Überschneidung mit kapitalmarktrechtlichen Gleichbehandlungsgeboten, die über die bisher gemachten Beobachtungen hinausführen und schon deshalb eine vertiefte Behandlung lohnend erscheinen lassen.
§ 20 Gleichbehandlung und Bezugsrecht Rechtsprechung und Literatur z u m Bezugsrecht und insbesondere z u m B e zugsrechtsausschluss gibt es in kaum n o c h überschaubarer Fülle 1 . D a b e i w i r d jedoch seit der „Kali und Salz"-Entscheidung des B G H 2 meist nur n o c h am R a n d e auf den Gleichbehandlungsgrundsatz eingegangen. D a s ist insofern verständlich, als neben der dort erstmals anerkannten L e h r e vom sachlichen G r u n d der Gleichbehandlungsgrundsatz praktisch keine B e d e u t u n g m e h r hat, da die im R a h m e n jener L e h r e durchzuführende Verhältnismäßigkeitsprüfung nach h . M . keine andere ist als diejenige am M a ß s t a b des Gleichbehandlungsgrundsatzes 3 . Allerdings wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich die S t i m m e n mehren, die f ü r eine A b k e h r von der L e h r e v o m sachlichen G r u n d plädieren, und dass f ü r eine solche Neuorientierung gute G r ü n d e sprechen 4 . F o l g t m a n diesem A n s a t z , würde der Gleichbehandlungsgrundsatz zwangsläufig wieder m e h r in den Vordergrund rücken. Schon deshalb ist von besonderem Interesse, was der Gleichbehandlungsgrundsatz gerade im Bereich der Kapitalerhöhungen zu leisten imstande ist. Zugleich mag die Darstellung dazu dienen, die B e d e n ken gegen eine Aufgabe der L e h r e vom sachlichen G r u n d zu zerstreuen, da in den f ü r die ausgeschlossenen Gesellschafter besonders gefährlichen Fällen, die w i r k l i c h nach einer Inhaltskontrolle verlangen, bereits der Gleichbehandlungsgrundsatz ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet 5 . 1 Allein in den letzten Jahren ist, ausgelöst durch B G H Z 136, 133 („Siemens/Nold"), im Aktienrecht neben einer regelrechten Flut von Aufsätzen eine ganze Reihe von Monographien erschienen; vgl. etwa die Dissertationen von Natterer, Kapitalveränderung (2000); Schumann, Bezugsrecht (2001); Sinewe, Bezugsrecht (2001); Tettinger, Bezugsrechtsausschluss (2002); Liebert, Bezugsrechtsausschluss (2003); ferner aus den Wirtschaftswissenschaften die Habilitationsschrift von Terstege, Bezugsrechte (2001). Zum GmbH-Recht zuvor auch schon Norden, Bezugsrecht (1991); Munzig, Bezugsrecht (1996); Heitsch, Bezugsrecht (1997). 2 B G H Z 71,40. 3 S.oben §2 III 2a aa. 4 S.oben §3 II 1. 5 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist dabei nur die Gleichbehandlung der Gesellschafter von Interesse. Nicht näher einzugehen ist daher auf den im neueren Schrifttum unternommenen Versuch, im Rahmen von Aktienemissionen einen ungeschriebenen, an Emittenten und Emissionsbank gerichteten Grundsatz der Gleichbehandlung aller Zeichnungsinteressenten - also nicht nur der gegenwärtigen Aktionäre - zu begründen; eingehend dazu jüngst Koebler, Gleichbehandlungsgrundsatz, S. 174 ff.
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5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
Anders als das Aktienrecht (§ 186 AktG) enthält das GmbH-Recht keine gesetzliche Regelung des Bezugsrechts. Es ist daher bis heute umstritten, ob in der GmbH analog § 186 AktG ein gesetzliches Bezugsrecht anzuerkennen ist oder ob sich das Bezugsrecht erst aus einem dahin lautenden Zulassungsbeschluss nach § 55 Abs. 2 Satz 1 GmbHG ergibt 6 . Diese Streitfrage muss hier nicht nochmals aufgenommen und entschieden werden. Auch wenn man ein gesetzliches Bezugsrecht verneint, hat dies nicht zur Folge, dass die neuen Anteile in dem Zulassungsbeschluss beliebig unter die Gesellschafter verteilt werden können. Vielmehr sind bei der Fassung des Zulassungsbeschlusses dieselben materiellen Schranken zu beachten, die für den Ausschluss des Bezugsrechts gelten 7 ; der Meinungsstreit hat insoweit keine Auswirkungen. Der Vereinfachung halber wird im Folgenden auch für die GmbH von einem „Bezugsrechtsausschluss" gesprochen, ohne dass damit eine Stellungnahme zu der genannten Streitfrage beabsichtigt wäre.
I. Anwendungsbereich/Betroffenheit als Gesellschafter Was zunächst die Reichweite der Gleichbehandlungskontrolle anbetrifft, so ist in Erinnerung zu rufen, dass vom Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes sämtliche Maßnahmen ausgenommen sind, bei denen die Gesellschaftereigenschaft des bevorzugten oder benachteiligten Gesellschafters lediglich einen zufälligen Begleitumstand bildet, die Entscheidung der Gesellschaftsorgane also in keiner Weise beeinflusst hat. Nach der hier vertretenen Auffassung gilt dies nicht nur für Rechtsgeschäfte des Individualverkehrs, sondern generell und damit auch für Kapitalerhöhungen 8 . Wenn eine AG ihr Kapital erhöht und das Bezugsrecht der Aktionäre zugunsten eines neuen Investors ausschließt, der zufällig bereits mit einigen Aktien an der Gesellschaft beteiligt ist, findet der Gleichbehandlungsgrundsatz also auf die Bevorzugung des Investors keine Anwendung. Der neue Investor tritt hier der Gesellschaft nicht als Aktionär, sondern wie ein externer Dritter gegenüber. Folglich muss der Fall auch genau so behandelt werden wie der Bezugsrechtsausschluss zugunsten
6 Für ein gesetzliches Bezugsrecht analog §186 AktG etwa Priester, DB 1980, 1925 (1927 f.); ders., in: Scholz, GmbHG, §55 Rdn.41; Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, §55 Rdn.17; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §55 Rdn.20; eingehend Heitsch, Bezugsrecht, S. 71 ff., 170; ablehnend Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, §55 Rdn.33, 40ff.; M. Winter, Treuebindungen, S. 266ff.; offen lassend zuletzt B G H ZIP 2005, 985 (987). 7 Vgl. G.H. Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, §55 Rdn.23; Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, § 55 Rdn. 40; M. Winter, Treuebindungen, S. 266; K. Zimmermann, in: Rowedder/ Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 55 Rdn. 30. 8 S. oben § 9 I 3 a.
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und
Bezugsrecht
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eines unbeteiligten Dritten9. Ausgeschlossen ist die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in diesen Fällen allerdings nur, soweit es um die Bevorzugung des Investors geht. Soweit gleichzeitig einzelne der ausgeschlossenen Aktionäre besonders benachteiligt werden, z.B. weil ihre Beteiligung infolge des Bezugsrechtsausschlusses unter einen für die Ausübung von Minderheitsrechten relevanten Schwellenwert absinkt, bleibt der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten10. Die Einzelheiten der Abgrenzung müssen an dieser Stelle nicht nochmals wiederholt werden. Vereinfacht ergibt sich, dass der Bezugsrechtsausschluss nach der hier vertretenen Auffassung vor allem dann einer Inhaltskontrolle am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes unterliegt, wenn er zugunsten eines Gesellschafters mit einer maßgeblichen, d.h. mindestens die Sperrminorität erreichenden Beteiligung erfolgt11. Im Ergebnis folgt hieraus eine sachgerechte Abstufung der Inhaltskontrolle: Fälle, in denen zu befürchten ist, dass die einflussreiche Stellung eines Gesellschafters die Entscheidung zu seinen Gunsten beeinflusst hat, unterliegen einer Inhaltskontrolle am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes; Fälle, in denen diese Befürchtung nicht besteht, sind dagegen von der Inhaltskontrolle freigestellt, soweit nicht einzelne Aktionäre besonders nachteilig betroffen werden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz vermeidet auf diese Weise den Nachteil der Lehre vom sachlichen Grund, die in pauschaler Weise den Bezugsrechtsausschluss immer einer Inhaltskontrolle unterwirft, also auch dann, wenn wegen der gleichmäßigen Betroffenheit aller Gesellschafter kein Anlass besteht, an der Richtigkeitsgewähr des Mehrheitsbeschlusses zu zweifeln.
II. Ungleichbehandlung 1.
Allgemeines
Eine zentrale Prämisse für die Anerkennung der Lehre vom sachlichen Grund beim Bezugsrechtsausschluss bestand in der These, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz wegen seines formalen Charakters nur ein schmales Segment der Fälle erfassen könne, die im Interesse des Minderheitenschutzes einer Inhaltskontrolle bedürfen12. Die dadurch verbleibende Lücke sollte die Lehre vom sachlichen Grund schließen. Mit der Erkenntnis, dass auch materielle Ungleichbehandlungen am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen sind, ist diese PräEbenso i.E. T. Bezzenberger, ZIP 2002,1917 (1929). Näher sogleich unter Ziff. II. 11 In diesen Fällen streitet ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Zuteilung der neuen Anteile an den bevorzugten Gesellschafter in einem inneren Zusammenhang mit seiner Mitgliedschaft steht; näher oben § 9 I 4 a aa. 12 Zur Kritik am Gleichbehandlungsgrundsatz oben § 3 I. 9
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5. Kapitel:
Anwendung und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
misse jedoch obsolet geworden. Insbesondere trifft es nicht zu, dass der G l e i c h behandlungsgrundsatz schon dadurch ausgeschaltet werden k ö n n e , dass die neuen Anteile nicht dem G r o ß a k t i o n ä r , sondern einem nahe stehenden D r i t t e n zugeteilt werden, wie dies vor A n e r k e n n u n g der L e h r e v o m sachlichen G r u n d verbreitet a n g e n o m m e n wurde 1 3 . Insoweit sind vielmehr die herausgearbeiteten Zurechnungsregeln zu beachten 1 4 . A b e r auch wenn m a n von solchen U m g e hungskonstellationen absieht, k ö n n e n mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz diejenigen Fälle, die zu einer einseitigen Machtverschiebung innerhalb der G e sellschaft zu f ü h r e n drohen, hinreichend kontrolliert werden. E i n e materielle Ungleichbehandlung, die eine Inhaltskontrolle am M a ß s t a b des G l e i c h b e h a n d lungsgrundsatzes auslöst, liegt nämlich wie bereits angedeutet auch dann vor, wenn der Bezugsrechtsausschluss dazu f ü h r t , dass die Beteiligung einzelner Gesellschafter im Zuge der Kapitalerhöhung unter rechtlich relevante Beteiligungsschwellen (insbesondere Sperrminorität, 10 % bzw. 5 % des gezeichneten Kapitals) absinkt. I n diesen Fällen erleiden die betroffenen Gesellschafter einen Sondernachteil, der in der rechtlichen Beeinträchtigung eines abwägungserheblichen mitgliedschaftlichen Interesses besteht. N a c h den herausgearbeiteten A b g r e n z u n g s k r i t e r i e n 1 5 ist daher grundsätzlich - d.h. vorbehaltlich der sogleich zu erörternden W e r t u n g e n der §§ 186 Abs. 3 Satz 4, 71 A b s . 1 N r . 8 Satz 4 A k t G - eine materielle Ungleichbehandlung zu bejahen 1 6 . Zweifelhaft ist allerdings, o b dies auch f ü r einen Bezugsrechtsausschluss gilt, der dazu f ü h r t , dass nicht ein einzelner Gesellschafter, sondern eine G r u p p e von Gesellschaftern einen für die A u s ü b u n g von Minderheitsrechten relevanten Schwellenwert unterschreitet. M a n denke etwa an eine A G mit mehreren Paketaktionären und einem Streubesitz von gut 5 % des Kapitals, dessen A n t e i l im Zuge der Kapitalerhöhung unter die 5 % - S c h w e l l e sinkt. A u f den ersten B l i c k k ö n n t e man hier erwägen, eine materielle Ungleichbehandlung der Streubesitzaktionäre zu bejahen. M e h r spricht aber dafür, die Frage zu verneinen 1 7 , da die Aussicht, z u s a m m e n mit anderen A k t i o n ä r e n die 5 % - S c h w e l l e zu überschreiten und mit ihnen gemeinsam bestimmte Minderheitsrechte auszuüben (z.B. nach §§ 122, 2 5 8 A b s . 2 , 2 6 0 A k t G ) oder M a ß n a h m e n der Mehrheit zu verhindern (z.B. nach §§ 3 2 0 , 3 2 7 a A k t G ) , eine bloße E x p e k t a n z ohne gesicherte rechtliche G r u n d l a g e bildet 1 8 . Schließlich k a n n der Streubesitz auch unabhängig von dem Bezugsrechtsausschluss jederzeit unter 5 % sinken - etwa dadurch, dass
13 Exemplarisch Fücbsel, BB 1972, 1533 (1535), auf den der B G H in „Kali und Salz" (BGHZ 71,40) wiederholt Bezug nimmt. 14 S. oben §11 113. 15 S. oben §11 II 2 e b b . 16 Ebenso Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 65 a.E.; Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 100 f. 17 So auch Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 101. 18 Zu diesem Kriterium oben § 11 II 2 c bb (1).
5 20 Gleichbehandlung
und Bezugsrecht
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einzelne Kleinaktionäre ihre A k t i e n an den M e h r h e i t s a k t i o n ä r veräußern - , ohne dass die übrigen Kleinaktionäre darauf Einfluss haben.
2. Auswirkungen der §§ 186 Abs. 3 Satz 4, 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG a) Wenig diskutiert ist bislang die Frage, in welchem Verhältnis die im J a h r 1994 eingeführte Regelung des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses (§ 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G ) z u m Gleichbehandlungsgrundsatz steht. N a c h jener Vorschrift ist ein Bezugsrechtsausschluss „insbesondere dann zulässig, wenn die Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen zehn v o m H u n d e r t des Grundkapitals nicht übersteigt und der Ausgabebetrag den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet." Ausweislich der Gesetzesmaterialien soll in diesem Fall die nach der L e h r e v o m sachlichen G r u n d anzustellende P r ü f u n g der sachlichen R e c h t f e r t i g u n g entbehrlich sein 1 9 . H i n t e r g r u n d ist die Ü b e r l e g u n g , dass die ausgeschlossenen A k tionäre bei Vorliegen der in § 186 A b s . 3 Satz 4 A k t G genannten Voraussetzungen weder eine E i n b u ß e an S t i m m k r a f t n o c h eine Verwässerung ihres B e teiligungswerts zu befürchten hätten, da ihnen die M ö g l i c h k e i t offen stehe, zu vergleichbaren K o n d i t i o n e n A k t i e n über die B ö r s e n a c h z u k a u f e n 2 0 . A u f den Gleichbehandlungsgrundsatz lässt sich diese Regelung nicht u n b e sehen übertragen. S c h o n die Gesetzesmaterialien deuten darauf hin, dass der G e s e t z g e b e r nur den Fall im Auge hatte, dass das Bezugsrecht f ü r alle A k t i o näre, also formal gleichmäßig, ausgeschlossen w i r d 2 1 . Dagegen war ersichtlich nicht angestrebt, mit der Regelung des § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G auch solche Barkapitalerhöhungen zu erleichtern, zu denen unter Ausschluss des B e z u g s rechts der übrigen A k t i o n ä r e nur ein einzelner ( G r o ß - ) A k t i o n ä r oder eine diesem zuzurechnende Person zugelassen wird. In einem solchen Fall bliebe unerklärlich, w a r u m dem G r o ß a k t i o n ä r ohne weiteres gestattet sein soll, zu einem (wenn auch nur knapp) unter dem B ö r s e n k u r s liegenden Ausgabebetrag neue A k t i e n zu zeichnen, während die übrigen A k t i o n ä r e auf den N a c h e r w e r b z u m B ö r s e n k u r s angewiesen wären. V i e l m e h r bleibt es in diesen Fällen b e i m Vorliegen einer formalen Ungleichbehandlung, die nach allgemeinen Regeln einer sachlichen R e c h t f e r t i g u n g bedarf 2 2 . D a m i t ist jedoch n o c h nicht gesagt, dass die Vorschrift des § 186 A b s . 3 Satz 4 A k t G i m Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes gänzlich b e Fraktionsbegr. BT-Drucks. 12/6721, S. 10 re. Sp. Fraktionsbegr. BT-Drucks. 12/6721, S. 10 re. Sp. 21 Der Fall, dass nur das Bezugsrecht einzelner Aktionäre ausgeschlossen wird, wird weder in der Fraktionsbegr. (BT-Drucks. 12/6721, S. 10 f.) noch in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 12/7848, S. 9) thematisiert. 22 Gegen Anwendbarkeit des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG bzw. für „normale" Prüfung der sachlichen Rechtfertigung im Rahmen des § 53a AktG in derartigen Fällen auch Groß, DB 1994, 2431 (2439); Marsch-Barner, AG 1994, 532 (540); Martens, ZIP 1994, 669 (677); Wiedemann, in: Großkomm. AktG, § 186 Rdn. 150. 19
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i. Kapitel: Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
deutungslos wäre 23 . Während formale Ungleichbehandlungen augenscheinlich außerhalb des Blickfelds der Gesetzesverfasser lagen, lässt sich dies von Bezugsrechtsausschlüssen, die sich trotz formaler Gleichbehandlung materiell unterschiedlich auswirken, weil z.B. die neuen Aktien im Paket bei einem neuen Investor platziert werden 24 und dadurch die Beteiligung einzelner Altaktionäre unter rechtlich relevante Schwellenwerte absinkt, nicht behaupten. Vielmehr haben die Gesetzesverfasser diesen Fall zweifellos gesehen 25 und sich gerade auch deshalb darum bemüht, den Anwendungsbereich des § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G auf Fälle zu beschränken, in denen für die betroffenen Aktionäre die Möglichkeit besteht, ihre Beteiligungsquote durch Zukauf über die Börse wiederherzustellen. Der gesetzgeberische Wille, in diesen Fällen eine Einzelfallprüfung der sachlichen Rechtfertigung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips entbehrlich zu machen, ist - mag man über die rechtspolitische Berechtigung der Vorschrift auch streiten 26 - hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen und deshalb auch im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu beachten. Dogmatisch lässt sich der Fall am einfachsten so einordnen, dass es bereits am Vorliegen einer materiellen Ungleichbehandlung fehlt: Bei Bestehen einer zumutbaren Zukaufsmöglichkeit misst der Gesetzgeber dem drohenden Sondernachteil des betroffenen Gesellschafters (Absinken unter eine relevante Beteiligungsschwelle) kein solches Gewicht zu, dass man von der Beeinträchtigung eines abwägungserheblichen Interesses sprechen könnte. Mangels Ungleichbehandlung entfällt damit auch das Erfordernis der sachlichen Rechtfertigung. Stattdessen bewendet es insoweit bei der allgemeinen treuepflichtgestützten Missbrauchskontrolle 27 . Man mag allerdings fragen, ob der deutsche Gesetzgeber damit nicht den Regelungsspielraum überschritten hat, den ihm die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben bei der Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes belassen. 23 So aber Martens, Z I P 1994, 669 (677); Wiedemann, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 186 Rdn.150. 24 § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G verlangt nicht, dass die neuen Aktien über die Börse abgegeben werden; vgl. Groß, D B 1994,2431 (2439); Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 158; MarschBarner, AG 1994, 532 (538); sowie Begr. RegE KonTraG zu § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 A k t G (mit Verweisung auf §186 Abs. 3 Satz 4 AktG), BT-Drucks. 13/9712, S. 14; a.A. Schumann, Bezugsrecht, S.216ff. m.w.Nachw. 25 Die Fraktionsbegr. spricht den Fall, dass der Schwellenwert einer Kapitalbeteiligung von 5 % unterschritten wird, ausdrücklich an, vgl. BT-Drucks. 12/6721, S.10 re. Sp. Nach Seibert/Köster, Kleine AG, 2. Aufl., Rdn. 209 f., wurde im Vorfeld des Gesetzentwurfs erwogen, f ü r diesen Fall eine eigene Regelung zu schaffen, was dann aber aus Vereinfachungsgründen verworfen wurde. 26 Nachdrücklich ablehnend vor allem Zöllner, AG 1994, 336 (340 ff.); ders. A G 2002, 585 (591 f.); kritisch auch Hirte, Z I P 1994, 356ff.; Hüffer, A k t G , § 186 Rdn. 39b; positiver etwa Ekkenga, VGR Bd. 3 (2001), S. 77 (82 ff.); Habersack, Mitgliedschaft, S. 264 f.; Marsch-Barner, AG 1994, 532 ff.; Martens, Z I P 1994, 669 (674ff.). 27 Diese bleibt selbstverständlich auch in den Fällen des § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G anwendbar; vgl. Fraktionsbegr. BT-Drucks. 12/6721, S. 10 re. Sp.
§ 20 Gleichbehandlung
und
Bezugsrecht
463
Die Frage der Vereinbarkeit des § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G mit dem Gemeinschaftsrecht ist bislang nur in Bezug auf Art. 29 Abs. 4 Kapital-RL gestellt worden, der jedoch die materiellen Voraussetzungen des Bezugsrechtsausschlusses nicht im Einzelnen vorgibt 28 und deshalb einer Regelung wie § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G nach überwiegender und zutreffender Auffassung nicht entgegensteht 29 . Die Frage stellt sich aber auch mit Blick auf Art. 42 Kapital-RL. Sofern man wie dies im Schrifttum mit Recht befürwortet wird - die Anwendung des § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G auf Fälle beschränkt, in denen die von den Gesetzesverfassern vorausgesetzte Zukaufsmöglichkeit über die Börse tatsächlich besteht und der Zukauf nicht wegen einer Marktenge nur zu unzumutbaren Preisen möglich ist 30 , wird man aber auch diese Frage bejahen können. Unter den genannten Umständen steht es dem betroffenen Aktionär frei, weitere Aktien hinzuzuerwerben und auf diese Weise zu verhindern, dass er den drohenden Sondernachteil (Absinken unter eine relevante Beteiligungsschwelle) erleidet. Der drohende Sondernachteil fällt unter diesen Umständen nur so geringfügig ins Gewicht, dass es auch mit Rücksicht auf den effet utile des Gemeinschaftsrechts und die daraus resultierende weite Auslegung des Begriffs der Ungleichbehandlung als unbedenklich erscheint, ihn als nicht abwägungserheblich einzustufen. Das Vorstehende wird auch durch den im Jahr 2004 vorgelegten und jüngst vom Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments befürworteten 31 Kommissionsvorschlag zur Änderung der Kapital-RL nicht in Frage gestellt. Der Vorschlag sieht vor, die Berichtspflicht für den Bezugsrechtsausschluss bei Barkapitalerhöhungen aus genehmigtem Kapital aufzuheben, wenn die neuen Anteile 28 Zwar wird aus der in Art. 29 Abs. 4 Satz 3 Kapital-RL vorgesehenen Berichts- und Begründungspflicht verbreitet abgeleitet, dass die Richtlinie auch gewisse materielle Anforderungen stelle. Dass diese gerade in der durch § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG für entbehrlich erklärten Inhaltskontrolle am Maßstab der Lehre vom sachlichen Grund bestehen müssten, lässt sich aber nicht annehmen; vgl. dazu bereits oben § 3 II 1 d mit Nachw. in Fn. 51. 2 9 Vgl. Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 360; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 200 (mit der Maßgabe, dass die Anwendung des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG - wie nachstehend im Text befürwortet - auf Situationen beschränkt wird, in denen die Aktionäre tatsächlich eine realistische Möglichkeit des Zukaufs über die Börse haben); ferner Baldamus, Kapital-RL, S.224f.; Drinkuth, Kapital-RL, S.251 (jeweils mit der Einschränkung, dass § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG als widerlegliche Vermutung zugunsten der Zulässigkeit zu verstehen sei); abweichend Hirte, ZIP 1994, 356 (362). 3 0 Für eine dahingehende teleologische Reduktion des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG die h.L., vgl. etwa; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 200; Hüffer, AktG, §186 Rdn. 39g; R. Krause, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, § 5 Rdn. 32; Krieger, in: MünchHdb. AG, § 56 Rdn. 76; Lutter, AG 1994,429 (440,441 f.); ders., in: Kölner Komm. AktG, Nachtrag § 186 Rdn. 4, 10, 17; Peifer, in: MünchKomm. AktG, § 186 Rdn. 88; Schumann, Bezugsrecht, S.214f.; Wiedemann, in: Großkomm. AktG, §186 Rdn. 150; i.E. auch Seibert/Köster, Kleine AG, 2. Aufl., Rdn. 225; a. A. Hoffmann-Becking, ZIP 1995,1 (10); Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 157 f. 31 Bericht des Rechtsausschusses über die jüngsten Entwicklungen und die Perspektiven des Gesellschaftsrechts vom 26.6.2006 (2006/2051 [INI]).
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5. Kapitel: Anwendung und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
z u m B ö r s e n k u r s ausgegeben werden 3 2 . Daraus lässt sich zunächst folgern, dass die K o m m i s s i o n den Ausschluss des Bezugsrechts in den genannten Fällen offenbar auch materiell für unproblematisch hält; insofern sieht sich die Regelung des § 186 A b s . 3 Satz 4 A k t G durch die H a l t u n g der K o m m i s s i o n somit bestätigt. B e d e n k e n k ö n n t e m a n aus dem Richtlinienvorschlag nur insoweit ableiten, als die K o m m i s s i o n lediglich die E m i s s i o n z u m B ö r s e n k u r s privilegieren w i l l 3 3 , während § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G auch das nicht unwesentliche U n t e r s c h r e i t e n des B ö r s e n k u r s e s miteinbezieht. Zu bedenken ist j e d o c h , dass der R i c h t l i n i e n vorschlag der K o m m i s s i o n sich ausschließlich auf die (von § 186 A b s . 3 Satz 4 A k t G u n b e r ü h r t e ) Berichtspflicht bezieht. Selbst wenn sich der K o m m i s s i o n s vorschlag durchsetzen sollte, lässt sich daraus also nur der Schluss ziehen, dass auch bei unwesentlichem Unterschreiten des B ö r s e n k u r s e s der V o r s t a n d s b e richt (weiterhin) zu erstatten ist. Dagegen trägt der Vorschlag nicht den Schluss, dass die Erleichterung der materiellen A n f o r d e r u n g e n , die § 186 A b s . 3 Satz 4 A k t G auch bei Emissionen (knapp) unter dem B ö r s e n k u r s b e w i r k e n soll, mit der H a l t u n g der K o m m i s s i o n unvereinbar wäre. D a r ü b e r , wie strenge materielle A n f o r d e r u n g e n an den Bezugsrechtsausschluss in solchen Fällen im E i n zelnen zu stellen sind, schweigt sich der K o m m i s s i o n s v o r s c h l a g
vielmehr
ebenso aus wie die bisherige Fassung der K a p i t a l - R L . b) E r s t recht fehlt es an einer (materiellen) Ungleichbehandlung, w e n n die jungen A k t i e n nicht wie in der soeben geschilderten Konstellation bei einem einzelnen neuen Investor, sondern an der B ö r s e platziert werden. H i e r ergibt sich bereits aus einer A n a l o g i e zu § 71 A b s . 1 N r . 8 Satz 4 A k t G , der im Parallelfall der Veräußerung eigener A k t i e n die Platzierung an der B ö r s e ausdrücklich als gleichbehandlungskonform bezeichnet, dass keine
Ungleichbehandlung
vorliegt, da für alle M a r k t t e i l n e h m e r und damit auch für alle A k t i o n ä r e C h a n cengleichheit besteht, die neuen A k t i e n über die B ö r s e zu beziehen. A u f diese - gemeinschaftsrechtlich ebenfalls u n b e d e n k l i c h e - Regelung wird i m R a h m e n der Veräußerung eigener A k t i e n noch z u r ü c k z u k o m m e n sein 3 4 .
32 Vgl. Art. 1 Ziff. 7 des Vorschlags der Kommission zur Änderung der Kapital-RL, KOM (2004) 730 endg. v. 21.9.2004; dazu Maul/Eggenhofer/Lanfermann, BB 2004, Beil. 6, 5 (7); Maul, BB 2005, Beil. 2, 2 (14 f.). Zur Entstehungsgeschichte vgl. Vorschlag 6 der Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des Gesellschaftsrechts (SLIM-Arbeitsgruppe), KOM (2000) 56 endg. V. 4.2.2000 (dazu Drygala, AG 2001, 291 [293]; Baldamus, Kapital-RL, S. 200ff.); Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts (High Level Group) vom 4.11.2002, S.90f. (dazu Stellungnahme der Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht, ZIP 2003, 863 [873]); sowie Aktionsplan der Kommission, KOM (2003) endg. vom 21.5.2003, S. 20 f. 33 Anders noch die Vorschläge der SLIM-Arbeitsgruppe und der High Level Group (Fn. 32), die die Berichtspflicht auch bei Emissionen leicht unter dem Börsenkurs aufheben wollten. 34 S. unten §21 I.
$ 20 Gleichbehandlung
465
und Bezugsrecht
III. Sachliche Rechtfertigung F ü r die sachliche R e c h t f e r t i g u n g von Ungleichbehandlungen gelten nach den im Verlauf der U n t e r s u c h u n g getroffenen Feststellungen im Wesentlichen die A n f o r d e r u n g e n , die die bisherige Praxis im R a h m e n der L e h r e v o m sachlichen G r u n d prüft. D e r formal oder materiell ungleichmäßige
Bezugsrechtsaus-
schluss muss geeignet sein, dem Gesellschaftsinteresse zu dienen, und zu diesem Z w e c k erforderlich und verhältnismäßig sein. I m R a h m e n der allgemeinen A u s f ü h r u n g e n zur sachlichen Rechtfertigung ist bereits verschiedentlich auch auf den Bezugsrechtsausschluss eingegangen worden. Praktisch bedeutsam war dabei vor allem die E r k e n n t n i s , dass die W a h r u n g der A u t o n o m i e der Gesellschaft für sich g e n o m m e n kein als Rechtfertigung anzuführendes Gesellschaftsinteresse darstellt 3 5 , sowie ferner, dass in die im R a h m e n der Verhältnismäßigkeitsprüfung anzustellende Interessenabwägung auf der Seite der benachteiligten Gesellschafter nur die Belange derjenigen Gesellschafter einzustellen sind, die dem Bezugsrechtsausschluss nicht zugestimmt h a b e n 3 6 . D i e weiteren E i n zelheiten sind hier nicht nochmals auszubreiten; einzugehen ist nur n o c h auf einige spezielle Fragen, die im R a h m e n der allgemeinen Ü b e r l e g u n g e n zur sachlichen R e c h t f e r t i g u n g noch nicht zur Sprache g e k o m m e n sind.
1. Sachkapitalerhöhung I n der „Kali und S a l z " - E n t s c h e i d u n g hat der B G H ausgeführt, dass eine Kapitalerhöhung durch Sacheinlage zwangsläufig nur unter B e s c h r ä n k u n g auf denjenigen möglich sei, der die Sacheinlage erbringen könne. Infolgedessen scheide auch dann, w e n n nur der Sacheinleger zur Kapitalerhöhung zugelassen werde, ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz von vornherein aus 3 7 . U n klar bleibt dabei, ob der B G H bereits die Vergleichbarkeit der Gesellschafter und damit eine mögliche Anwendungsvoraussetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes leugnen will oder ob er davon ausgeht, dass in derartigen Fällen stets eine sachliche Rechtfertigung vorliege. Träfe die Auffassung des B G H zu, böte der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Tat eine offene F l a n k e , die es rechtfertigen würde, zur Schließung von Schutzlücken die L e h r e v o m sachlichen G r u n d heranzuziehen. Indes ist der Ansicht des B G H entschieden zu widersprechen 3 8 , und z w a r unabhängig davon, welcher der beiden möglichen Deutungsvarianten m a n folgt. G e g e n die T h e s e , der Sacheinleger sei mit den übrigen Gesellschaftern nicht vergleichbar 35 36 37 38
S. oben §12 II 1 d. S. oben § 12 IV 4 b. BGHZ 71,40 (46). Ablehnend auch Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 97.
466
i. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
und der Gleichbehandlungsgrundsatz schon deshalb nicht anwendbar, sprechen bereits die Bedenken, die oben gegen eine generelle Vergleichbarkeitsprüfung im Rahmen des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes angeführt worden sind39. Wie dargelegt beinhaltet die Frage der Vergleichbarkeit zwangsläufig wertende Elemente und lässt sich daher von der Bewertung der Differenzierung im Rahmen der sachlichen Rechtfertigung nicht trennen. Was aber die Frage der sachlichen Rechtfertigung anbetrifft, so kann es nach heutigem Verständnis gerade nicht genügen, dass sich irgendein Grund für die Differenzierung finden lässt. Vielmehr muss der ungleichmäßige Bezugsrechtsausschluss dem Gesellschaftsinteresse dienen und einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten. Die „Kali und Salz"-Entscheidung beruht demgegenüber ersichtlich noch auf dem Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes als eines reinen Willkürverbots. Eben dieses Verständnis ist aber nach heute ganz h.L. inzwischen überwunden 40 . Der BGH hätte also die Erwägungen zur sachlichen Rechtfertigung, die er - wenn auch nur knapp - im Rahmen der Lehre vom sachlichen Grund angestellt hat, bereits im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes berücksichtigen müssen. Bei Ausschöpfung des Gleichbehandlungsgrundsatzes wäre es mithin entbehrlich gewesen, die Lehre vom sachlichen Grund im Wege der Rechtsfortbildung überhaupt erst ins Leben zu rufen41. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung stellt sich auf der Ebene der Erforderlichkeit häufig die Frage, ob es als milderes, dem Gesellschaftsinteresse ebenso gut dienendes Mittel nicht auch möglich gewesen wäre, den Gegenstand der Sacheinlage käuflich zu erwerben und die benötigten Barmittel ggf. durch eine Barkapitalerhöhung unter Gewährung des Bezugsrechts zu beschaffen. Als weitere Variante ist daran zu denken, neben der Sachkapitalerhöhung eine begleitende Barkapitalerhöhung („gemischte Kapitalerhöhung") durchzuführen, um den übrigen Gesellschaftern die Erhaltung ihrer Beteiligungsquote zu ermöglichen42. Richtigerweise müssen beide Handlungsvarianten aber dann außer Betracht bleiben, wenn der Sacheinleger - wie häufig - zu der Einlage nur unter der Bedingung bereit war, dass die (begleitende) Barkapitalerhöhung unterbleibt und sich seine Beteiligung infolge des Bezugsrechtsausschlusses erhöht. Die genannten Alternativmaßnahmen sind in diesem Fall nicht realisierbar, so dass der Gesellschaft schwerlich vorgehalten werden kann, sie nicht ergriffen zu haben. Im Schrifttum ist zwar vorgeschlagen worden, auch in diesem S.oben §9 II 3. S. oben §12 IV 1. 41 Wie hier Tettinger, Bezugsrechtsausschluss, S. 97. 42 Vgl. zu diesen Alternativmaßnahmen etwa Lutter, ZGR 1979, 401 (406 f.); ders., in: Kölner Komm. AktG, § 186 Rdn. 64, 79; H ü f f e r , AktG, § 186 Rdn. 34; Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S.35, 71 ff.; Schumann, Bezugsrecht, S. 188 ff.; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 127. 39 40
5 20 Gleichbehandlung
und Bezugsrecht
467
Fall die genannten Handlungsvarianten jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn ihre V e r w i r k l i c h u n g v o m Willen des G r o ß a k t i o n ä r s abhänge, der über die Sacheinlage verfüge 4 3 . G e g e n diese A n s i c h t spricht aber, dass es auch dem G r o ß a k t i o n ä r frei steht, die E r b r i n g u n g der Sacheinlage davon abhängig zu machen, dass im G e g e n z u g seine Beteiligung steigt. U b e r m ä ß i g e Missbrauchsgefahren werden dadurch nicht heraufbeschworen, da auch bei B e j a h u n g der E r forderlichkeit das K o r r e k t i v der Verhältnismäßigkeit i.e.S. zu beachten bleibt.
2. Barkapitalerhöhung D a bei Barkapitalerhöhungen alle Gesellschafter den Einlagegegenstand erbringen k ö n n e n , k a n n hier ein ungleichmäßiger Bezugsrechtsausschluss nur in Ausnahmefällen sachlich gerechtfertigt werden. A m ehesten k o m m t eine sachliche R e c h t f e r t i g u n g in Fällen mit A u s l a n d s b e r ü h r u n g in B e t r a c h t , w e n n im Ausland ansässige A k t i o n ä r e v o m Bezugsrecht ausgeschlossen werden, u m die Anwendbarkeit strengerer ausländischer Vorschriften des Kapitalmarktrechts und den damit verbundenen, u.U. sehr beträchtlichen Zusatzaufwand zu vermeiden 4 4 . In anderem Z u s a m m e n h a n g , nämlich in B e z u g auf öffentliche E r werbsangebote i.S. des W p Ü G , sieht die Vorschrift des § 2 4 W p Ü G n u n m e h r ausdrücklich vor, dass außerhalb des Europäischen W i r t s c h a f t s r a u m s ansässige A k t i o n ä r e mit Z u s t i m m u n g der B A F i n von dem A n g e b o t ausgenommen w e r den k ö n n e n , wenn andernfalls ausländische V o r s c h r i f t e n zu beachten wären, deren E i n h a l t u n g dem Bieter u n z u m u t b a r wäre. Ausweislich der R e g i e r u n g s begründung des W p Ü G soll diese Vorschrift allerdings (sehr) restriktiv zu interpretieren sein: E i n e finanzielle Mehrbelastung des Bieters genüge nicht; vielm e h r müsse f ü r den Bieter vorhersehbar sein, dass er auch bei A n w e n d u n g aller Sorgfalt nicht in der Lage sein werde, die rechtlichen Vorgaben des ausländischen R e c h t s einzuhalten 4 5 . G e d a c h t ist dabei vornehmlich an den Fall, dass das W p Ü G und das jeweilige ausländische R e c h t einander widersprechende A n f o r d e r u n g e n enthalten, die B e a c h t u n g des letzteren bei E i n h a l t u n g des W p Ü G also u n m ö g l i c h ist 4 6 . E i n derart enges Verständnis des § 24 W p Ü G er-
43 So Schockenhoff, Bezugsrechtsausschluss, S. 73, im Rahmen des von ihm vertretenen „vollständigen Unterschiedsprinzips"; vgl. dazu oben § 12 IV 2. 44 Vgl. Wiedemann, in: Großkomm. AktG, § 186 Rdn. 181; Aha, AG 2002, 313 (325 Fn. 169, 326 Fn. 189); Schumann, Bezugsrecht, S. 35; einschränkend Fraune, R I W 1994, 126 (139) (nur bei außergewöhnlichen Nachteilen, z.B. in Sanierungsfällen, sofern jegliche Verzögerung der Kapitalaufnahme einen erheblichen Schaden zur Folge hätte); zurückhaltend auch Bungert/Paschos, DZWiR 1995, 221 (232 f.) („wertungsmäßig problematisch"). S.zum Ganzen auch Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 100 ff. 45 BT-Drucks. 14/7034, S.51; zustimmend Oechsler, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 24 Rdn. 4; Behnke, WM 2002,2229 (2232). 46 Vgl. BT-Drucks. 14/7034, S.51.
468
5. Kapitel: Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
scheint indes allzu rigide 47 und ist durch den Gesetzeswortlaut nicht geboten. Im Schrifttum setzt sich deshalb zunehmend die Auffassung durch, dass unter gewissen Voraussetzungen durchaus auch finanzielle Mehrbelastungen von erheblichem Gewicht die Unzumutbarkeit begründen können. In Betracht gezogen wird dies vor allem dann, wenn Anzahl und Kapitalbeteiligung der außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums ansässigen Aktionäre gering sind 48 und die Zielgesellschaft auf den Erwerb ihrer Aktien durch die in dem fremden Staat Ansässigen nicht aktiv hingewirkt hat (insbesondere dort nicht börsennotiert ist) 49 . Diese Abwägungskriterien lassen sich auch auf die Beantwortung der hier interessierenden Frage, ob der Ausschluss der im Ausland ansässigen Aktionäre vom Bezugsrecht gerechtfertigt werden kann, übertragen. Zu achten ist freilich stets darauf, ob der partielle Bezugsrechtsausschluss überhaupt erforderlich ist, um die Anwendbarkeit des ausländischen Rechts auszuschalten. Sofern dies etwa schon dadurch erreicht werden kann, dass in dem betreffenden Staat keine Informationen über die Kapitalerhöhung durch die Gesellschaft verbreitet werden 50 , ist dieser Vorgehensweise als milderes Mittel der Vorzug zu geben. Den im Ausland ansässigen Aktionären bleibt dann immerhin die Möglichkeit, ihre Aktien in einem Depot bei einer deutschen Bank zu buchen und über diese das Bezugsrecht auszuüben 51 . Zwar mag darin immer noch eine Ungleichbehandlung zu ihren Lasten liegen, doch ist diese geringere Beeinträchtigung bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen (geringe Anzahl und Kapitalbeteiligung der in dem betreffenden Staat ansässigen Aktionäre, kein Tätigwerden der Gesellschaft auf dem betreffenden Kapitalmarkt) erst recht sachlich gerechtfertigt 52 .
IV. Rechtsfolgen von Verstößen Die Rechtsfolgen von Kapitalerhöhungen mit gleichbehandlungswidrigem Bezugsrechtsausschluss richten sich im Ausgangspunkt nach den herausgearbeiteten allgemeinen Regeln. Besonderheiten ergeben sich allerdings daraus, dass diese durch besondere Bestandsschutzregeln - namentlich § 246a Abs. 4 Satz 2 A k t G und die auf fehlerhafte Kapitalerhöhungen anwendbaren Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft - überlagert und modifiziert werden. Da damit wei47
Eindringlich Aha, AG 2002, 313 (324). Vgl. Versteegen, in: Kölner Komm. W p Ü G , § 24 Rdn. 20; Noack, in: Schwark, K M R K , § 24 W p Ü G Rdn. 7; Diekmann, in: Baums/Thoma, W p Ü G , § 24 Rdn. 25. 49 Vgl. Versteegen, in: Kölner Komm. W p Ü G , §24 Rdn. 20; Noack, in: Schwark, K M R K , §24 W p Ü G Rdn. 7. 50 Zur Frage, ob dadurch die Anwendbarkeit des US-amerikanischen Kapitalmarktrechts ausgeschlossen werden kann, vgl. Aha, AG 2002, 313 (316,325 f.). 51 Vgl. Henze/Notz, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 53a Rdn. 106. 52 Ebenso i.E. Henze/Notz, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 53a Rdn. 107. 48
§ 20 Gleichbehandlung
und
Bezugsrecht
469
tenteils keine gleichbehandlungsspezifischen Fragen angesprochen sind, mag insoweit ein knapper Uberblick genügen.
/. Auswirkungen auf die Wirksamkeit der a) Reguläre
Kapitalerhöhung
Kapitalerhöhung
Ein sachlich nicht gerechtfertigter ungleichmäßiger Bezugsrechtsausschluss unterliegt, sofern ihn die Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung beschlossen hat, ebenso wie der mit ihm zusammenhängende Kapitalerhöhungsbeschluss der Anfechtungsklage (§243 Abs. 1 AktG) 5 3 . Kommt es trotz des Verstoßes zum Abschluss von Zeichnungs- bzw. (im GmbH-Recht) Ubernahmeverträgen über die neuen Anteile, erhebt sich die Frage, welche Auswirkungen der Gleichbehandlungsverstoß auf die Wirksamkeit dieser Verträge hat. Die Frage ist differenziert zu beantworten: Vor der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung (§§ 188 f. A k t G ) bzw. im G m b H - R e c h t des Kapitalerhöhungsbeschlusses (§ 54 Abs. 3 G m b H G ) 5 4 sind die Verträge nach der hier vertretenen Auffassung schwebend unwirksam 5 5 . Die schwebende Unwirksamkeit wird geheilt, wenn der Gleichbehandlungsverstoß durch Zustimmung der benachteiligten Gesellschafter oder anderweitig behoben wird oder der zugrunde liegende Anteilseignerbeschluss nicht innerhalb der Anfechtungsfrist angefochten wird 5 6 . Nach der Eintragung sind die Kapitalerhöhung und die abgeschlossenen Zeichnungsverträge dagegen trotz des Verstoßes und trotz rechtzeitig erhobener Anfechtungsklage als wirksam anzusehen. Sofern die Eintragung im Wege des durch das U M A G neu eingeführten - und wohl auch auf die G m b H übertragbaren 57 - Freigabeverfahrens (§246a A k t G ) erstritten wurde, ist die Wirksamkeit endgültig und bleibt selbst dann bestehen, wenn die Anfechtungsklage später Erfolg hat (§ 246a Abs. 4 Satz 2 AktG 5 8 ). Erfolgt die Eintragung 53 S. oben § 16 I 1. Wegen des untrennbaren Zusammenhangs zwischen Bezugsrechtsausschluss und Kapitalerhöhungsbeschluss kommt eine Teilanfechtung nur des Bezugsrechtsausschlusses nicht in Betracht; vgl. nur Hüffer, A k t G , § 186 Rdn. 42; Kort, Bestandsschutz, S. 206f.; jeweils m.w.Nachw. 54 Anders als das Aktienrecht (vgl. §§184, 188 A k t G ) kennt das G m b H - R e c h t nicht die Aufspaltung in Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses einerseits und Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung andererseits. Stattdessen kommt es auf die Eintragung nach § 54 Abs. 3 G m b H G an, da die Kapitalerhöhung einen Sonderfall der Satzungsänderung darstellt; vgl. nur Ulmer, in: Hachenburg, G m b H G , § 57 Rdn. 1 f. 55 S. oben § 16 II 2 b, 3. Für Nichtigkeit der Zeichnungsverträge Henze/Notz, in: Großkomm. A k t G , § 53a Rdn. 125. 56 Zu Letzterem oben § 16 II 8. 57 Vgl. Harbarth, G m b H R 2 0 0 5 , 9 6 6 ff. 58 Die Vorschrift ist dem Bestandsschutz bei der Verschmelzung (§§ 16 Abs. 3 Satz 6, 20 Abs. 2 U m w G ) nachgebildet, vgl. Begr. RegE U M A G , BT-Drucks. 15/5092, S. 28 Ii. Sp. Nach
470
y Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
dagegen ohne vorheriges Freigabeverfahren, werden die Kapitalerhöhung und mit ihr die einzelnen Zeichnungsverträge nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft nur vorläufig wirksam 59 . Hat die Anfechtungsklage Erfolg, entfällt die Wirksamkeit in diesem Fall ex nunc ab Rechtskraft des Anfechtungsurteils 60 . Um dies zu vermeiden, hat die Gesellschaft aber die Möglichkeit, das Verfahren nach § 246a AktG auch noch nach erfolgter Eintragung anzustrengen61. Im Erfolgsfall tritt dann wieder der endgültige Bestandsschutz nach §246a Abs. 4 Satz 2 AktG ein. Eine Heilung des Gleichbehandlungsverstoßes in dem Sinne, dass die erhobene Anfechtungsklage unbegründet würde, ist mit der Eintragung jedoch in keinem Fall verbunden. Die Anfechtungsklage kann also auch nach stattgebendem Freigabebeschluss und Eintragung mit Aussicht auf Erfolg weiterbetrieben werden (z.B. zu dem Zweck, anschließend Schadensersatz zu verlangen)62.
b) Genehmigtes
Kapital
Handelt es sich um einen ungleichmäßigen Bezugsrechtsausschluss durch den Vorstand im Rahmen eines genehmigten Kapitals, können die benachteiligten Aktionäre gegen die drohende Ausnutzung des genehmigten Kapitals im Wege der Unterlassungsklage bzw. einstweiligen Verfügung vorgehen63, und zwar bis zur Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister 64 . Nach der Eintragung bleibt den benachteiligten Aktionären die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit und die daraus resultierende Nichtigkeit des Vorstandsbeschlusses65 im Wege der allgemeinen Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 h.M. sind diese Vorschriften so zu verstehen, dass sie endgültigen und nicht nur vorläufigen Bestandsschutz vermitteln; vgl. statt vieler Grunewald, in: Lutter, UmwG, §20 Rdn.71 m.w.Nachw.; a.A. namentlich C. Schäfer, Verband, S. 182 ff. Dasselbe Verständnis ist auch dem neuen § 246a Abs. 4 Satz 2 AktG zugrunde zu legen; vgl. Kort, BB 2005, 1577 (1578); offen lassend Veil, AG 2005, 567 (571 f.). 59 Für Anwendbarkeit dieser Grundsätze die heute ganz h.M.; grundlegend Zöllner, AG 1993, 68 (71 ff.); ders., in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §57 Rdn.28; ferner etwa Hüffer, AktG, §248 Rdn. 7a; Kort, Bestandsschutz, S. 200ff.; Lutter, FS Röhricht, S.369 (370f.); C. Schäfer, Verband, S. 422 ff.; M. Winter, FS Ulmer, S. 699 (702 f.). 60 Zu den (überaus komplizierten) Einzelheiten der Rückabwicklung und möglichen „Reparaturmaßnahmen" etwa Zöllner/M. Winter, Z H R 158 (1994), 59ff.; Kort, Bestandsschutz, S. 211 ff., 224 ff.; M. Winter, FS Ulmer, S. 699 (702 ff.). 61 Vgl. Begr. RegE U M A G , BT-Drucks. 15/5092, S. 27 re. Sp.; Veil, AG 2005, 567 (571 re. Sp.); ausführlich Ihrig/Erwin, BB 2005,1973 ff. 62 Kort, BB 2005, 1577 (1578); ebenso zum umwandlungsrechtlichen Freigabeverfahren Bork, in: Lutter, UmwG, § 16 Rdn. 32 m.w.Nachw. 63 Vgl. B G H Z 136,133 (141); B G H ZIP 2005,2207 (2208); ferner oben § 17 I I I . 64 So die Präzisierung in B G H ZIP 2005, 2207 (2208): „Unterlassungsklage hinsichtlich der Eintragung der Maßnahme in das Handelsregister". 65 Die §§241 ff. AktG mit ihrer Abstufung in anfechtbare und nichtige Beschlüsse finden nach h.M. nur auf Beschlüsse der Hauptversammlung, nicht auf solche des Vorstands oder
§ 20 Gleichbehandlung
und
Bezugsrecht
471
ZPO) feststellen zu lassen 66 . Die Wirksamkeit der Kapitalerhöhung soll jedoch - so die Rechtsprechung des B G H - nach ihrer Eintragung nicht mehr in Frage gestellt werden können (endgültiger Bestandsschutz) 67 . Diese Annahme ist zwar nicht unbedenklich, da sie dazu führt, dass der Bestandsschutz einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital im Ergebnis stärker ausfällt als bei einer regulären Kapitalerhöhung. Letztere genießt nach dem Gesagten nur dann endgültigen Bestandsschutz, wenn die Eintragung auf einem stattgebenden Beschluss im Freigabeverfahren beruht (§ 246a Abs. 4 Satz 2 AktG), während die „einfache" Eintragung diese Wirkung gerade nicht entfaltet und lediglich zur Anwendbarkeit der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft führt (s. oben lit. a). Mit Rücksicht darauf wollen Teile des Schrifttums auch bei Kapitalerhöhungen aus genehmigtem Kapital nur vorläufigen Bestandsschutz gewähren 68 . Für die Praxis dürfte die Frage aber bis auf weiteres im gegenteiligen Sinn entschieden sein.
2. Beseitigungs-
und
Schadensersatzansprüche
Sofern - wie künftig im Regelfall - die Kapitalerhöhung endgültigen Bestandsschutz genießt, kommt ein Anspruch der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft auf Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes durch Rückabwicklung der Kapitalmaßnahme nicht in Betracht. Wenn keine Rückabwicklung stattfindet, besteht nach der hier vertretenen Auffassung aber ein Anspruch der benachteiligten Gesellschafter auf aktive Gleichbehandlung 69 , d.h. auf Zuteilung weiterer, ggf. neu zu schaffender Anteile zu denselben Konditionen, wie sie den bevorzugten Gesellschaftern gewährt worden sind. Sofern dagegen die Regeln der fehlerhaften Gesellschaft eingreifen und die Kapitalerhöhung nur für die Vergangenheit Bestandsschutz genießt (reguläre Kapitalerhöhung ohne Freigabeverfahren nach § 246a AktG), richtet sich der Beseitides Aufsichtsrats Anwendung; vgl. B G H ZIP 2005, 2207 (2208); in Bezug auf Aufsichtsratsbeschlüsse auch schon B G H Z 122,342 (347ff.); aus dem Schrifttum etwa Hüffer, AktG, § 241 Rdn. 2, § 108 Rdn. 19 m.Nachw. zum Streitstand. 6 6 B G H ZIP 2005, 2207 (mit der Einschränkung, dass die Klage „ohne unangemessene Verzögerung" erhoben werden muss, aaO. S. 2211); zuvor bereits B G H Z 136,133 (141); Bayer, in: MünchKomm. AktG, §203 Rdn. 174; Hüffer, AktG, §203 Rdn.39; jeweils m.w.Nachw. Obschon die Wirksamkeit der Kapitalerhöhung nach Ansicht des B G H nach der Eintragung nicht mehr in Frage gestellt werden kann (dazu sogleich im Text), besteht das Feststellungsinteresse fort; vgl. B G H ZIP 2005,2207 (2209f.). 67 Vgl. B G H ZIP 2005, 2207 (2210) unter Verweis auf Lutter, in: Kölner Komm. AktG, §204 Rdn. 25, 27; für den hier interessierenden Fall eines Verstoßes, der ausschließlich die Aktionäre im Verhältnis zueinander betrifft, auch Hüffer, AktG, §204 Rdn. 8 f.; beide m. w.Nachw. 68 Vgl. etwa Kort, Bestandsschutz, S. 231; Liebert, Bezugsrechtsausschluss, S. 273 ff.; Paefgen, ZIP 2004,145 (151 f.); C. Schäfer, Verband, S. 439; Schumann, Bezugsrecht, S. 165 ff. 6 9 S. oben §171 3 a.
472
5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
gungsanspruch der benachteiligten Aktionäre wahlweise auf Rückabwicklung der Kapitalerhöhung (mit Wirkung ex nunc) oder auf aktive Gleichbehandlung 70 . Mit der Beseitigung des Verstoßes wird häufig zugleich ein etwaiger Schaden der benachteiligten Gesellschafter entfallen. Sofern weitere Schäden geltend gemacht werden, ist zu beachten, dass die Gesellschafter vorrangig versuchen müssen, gegen die Kapitalerhöhung vorzugehen und auf diese Weise bereits die Entstehung des Schadens so weit wie möglich zu verhindern 71 . Wie gesehen ist dies jedoch nur eingeschränkt möglich, da die Kapitalerhöhung nach der Eintragung entweder dauerhaft (§ 246a Abs. 4 Satz 2 AktG) oder nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft bis zur Rechtskraft des Anfechtungsurteils Bestandsschutz genießt. Sofern ein Freigabebeschluss nach §246a A k t G erwirkt worden ist, gewährt nunmehr dessen Abs. 4 Satz 1 den Aktionären, deren Beschlussmängelklage sich als begründet erweist, einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihnen aus der auf dem Freigabebeschluss beruhenden Eintragung der Kapitalerhöhung entstanden ist. Im Ü b rigen kann wegen etwaiger Eigenschäden, die die benachteiligten Gesellschafter infolge des gleichbehandlungswidrigen Bezugsrechtsausschlusses erlitten haben und die nicht im Wege des Primärrechtsschutzes abwendbar waren, auf die herausgearbeiteten allgemeinen Regeln zurückgegriffen werden. Danach ist bei schuldhaften Gleichbehandlungsverstößen ein auf §§280 Abs. 1, 31 BGB gestützter Ersatzanspruch der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft anzuerkennen, sofern der Ersatzleistung nicht die Kapitalerhaltungsregeln entgegenstehen 72 . Ob abgesehen von Fällen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) auch Schadensersatzansprüche unmittelbar gegen die Organwalter in Betracht kommen, hängt entscheidend von der - hier nicht weiter zu vertiefenden - Grundsatzfrage ab, ob der deliktische Schutz der Mitgliedschaft als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB auch auf den Verbandsinnenbereich auszudehnen ist 73 ; bejahendenfalls müsste man konsequenterweise auch das Bezugsrecht in den deliktischen Schutzbereich der Mitgliedschaft einbeziehen 74 . Auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. dem Gleichbehandlungsgrundsatz können derartige Ansprüche dagegen nicht gestützt werden, da letzterer kein Schutzgesetz darstellt 75 . Aus den zum Gleichbehandlungsgrundsatz dargelegten Gründen sollte auch von dem Vorschlag Abstand genommen werden, die Verankerung des Bezugsrechts in § 186 Abs. 1 A k t G als Schutzgesetz im Sinne des § 823 70 71 72 73 74 75
S. oben § 1 7 13. D a z u bereits oben § 17 II 6. A u s f ü h r l i c h oben § 1 7 II. D a z u oben § 1 8 I I . N ä h e r Habersack, M i t g l i e d s c h a f t , S. 261 ff. S. oben § 1 8 12.
§ 20 Gleichbehandlung
und Bezugsrecht
473
Abs. 2 BGB anzusehen 76 . In engen Grenzen sind schließlich Schadensersatzansprüche aus Treuepflichtverletzung gegen die Mitgesellschafter denkbar, die für den gleichbehandlungswidrigen Bezugsrechtsausschluss gestimmt haben 77 .
76 Wie hier Martens, FS Steindorff, S. 151 (167 f.); i.E. ebenso Cabn, Z H R 166 (2000), 113 (132); wohl auch Hüffer, A k t G , § 186 Rdn. 18; a.A. aber Lutter, in: Kölner Komm. A k t G , § 186 Rdn. 41; Wiedemann, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 186 Rdn. 103; Schumann, Bezugsrecht, S. 179. 77 S. oben §19 II.
§ 21 Gleichbehandlung und eigene Anteile Mit In-Kraft-Treten des KonTraG1 haben der Erwerb und die Veräußerung eigener Aktien erhebliche praktische Bedeutung erlangt. Im Mittelpunkt steht dabei der durch das KonTraG eingefügte Tatbestand des § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG, der auf Art. 19 Abs. 1 der Kapital-RL beruht und es nunmehr auch deutschen Aktiengesellschaften gestattet, aufgrund einer Ermächtigung der Hauptversammlung eigene Aktien zu erwerben, ohne dabei an die in § 71 Abs. 1 Nr. 1 - 7 AktG aufgezählten Erwerbszwecke bzw. -arten gebunden zu sein. Die Erteilung solcher Ermächtigungen gehört inzwischen zum Standardprogramm der Hauptversammlungen börsennotierter Aktiengesellschaften. Nicht zuletzt der in § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG enthaltene ausdrückliche Hinweis auf § 53a AktG hat dazu geführt, dass dem Gleichbehandlungsgrundsatz in diesem Bereich vergleichsweise große Aufmerksamkeit zuteil geworden ist. Der Hinweis auf die Geltung des § 53a AktG ist, wie sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs des KonTraG ergibt, lediglich als Klarstellung gemeint 2 und insoweit im Grunde überflüssig 3 . Für die Anwendung des Gleichbehandlungsgebots gelten also keine strengeren Anforderungen als anderswo, sondern die allgemeinen Regeln, die es im Folgenden lediglich zu konkretisieren gilt. Eine sogleich näher zu beleuchtende Besonderheit enthält allerdings die Regelung des § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG, der zufolge dem Gleichbehandlungsgebot immer dann genügt ist, wenn Erwerb und Veräußerung über die Börse erfolgen. Auch wenn nur in § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG auf den Gleichbehandlungsgrundsatz Bezug genommen wird, gilt dieser zweifelsfrei auch für die übrigen Erwerbstatbestände der Nr. 1 - 74. Wegen der überragenden praktischen Bedeutung der Ermächtigung ohne gesetzliche Zweckvorgabe (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG) konzentriert sich die nachfolgende Darstellung aber auf diesen Tatbestand. Auch auf den verglichen mit § 71 AktG praktisch weniger bedeutsamen
1 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 274.1998, BGBl. 1786. 2 Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 13 re. Sp. 3 So auch Martens, AG 1997, August-Sonderheft, S. 83 (85); H ü f f e r , AktG, §71 Rdn. 19j; Oechsler, in: MünchKomm. AktG, § 71 Rdn. 198; M. Möller, Eigene Aktien, Rdn. 219. 4 Statt aller Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 32.
§ 21 Gleichbehandlung
und eigene Anteile
475
E r w e r b eigener Anteile im G m b H - R e c h t (§ 33 G m b H G ) wird nicht gesondert eingegangen 5 . F ü r die D u r c h f ü h r u n g des E r w e r b s und der Veräußerung eigener A k t i e n k o m m e n im Wesentlichen drei verschiedene Vorgehensweisen in Betracht: E r werb und Veräußerung über die B ö r s e , Unterbreitung eines öffentlichen A n g e bots sowie individuell ausgehandelte Transaktionen außerhalb der B ö r s e (Pakethandel). Gleichbehandlungsfragen stellen sich in diesen drei Varianten in ganz unterschiedlicher Intensität. I m Folgenden sind zunächst die verschiedenen Verfahrensweisen und die damit typischerweise verbundenen G l e i c h b e handlungsprobleme zu behandeln (Ziff. I - I I I ) . I m Anschluss daran ist k u r z auf einzelne Sonderkonstellationen einzugehen (Bestehen mehrerer A k t i e n g a t tungen, O p t i o n e n auf eigene A k t i e n ; Ziff. I V ) , bevor ein U b e r b l i c k über die drohenden Rechtsfolgen bei Verstößen den A b s c h n i t t beschließt (Ziff. V ) .
I. Erwerb und Veräußerung über die Börse 1. Vereinbarkeit des § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG mit dem Gemeinschaftsrecht I m G e s e t z ausdrücklich angesprochen und in der Praxis am weitesten verbreitet sind E r w e r b und Veräußerung eigener A k t i e n über die B ö r s e . N a c h der bereits erwähnten gesetzlichen Interpretationsregel des § 71 Abs. 1 N r . 8 Satz 4 A k t G ist bei diesem Vorgehen den A n f o r d e r u n g e n des Gleichbehandlungsgrundsatzes stets Genüge getan. D i e B e g r ü n d u n g des R e g i e r u n g s e n t w u r f s bezeichnet E r w e r b und Veräußerung über die B ö r s e sogar als „ M e t h o d e der W a h l zur W a h r u n g der G l e i c h b e h a n d l u n g " 6 . Diese Regelung hat allerdings verschiedentlich K r i t i k erfahren 7 . I n der Tat lässt sich nicht leugnen, dass die A k t i e n zu unterschiedlichen Preisen, nämlich schwankend je nach Kurslage, e r w o r b e n bzw. veräußert werden und deshalb im Ergebnis einzelne A k t i o n ä r e m e h r profitieren als andere. Gerade bei größeren Volumina, die über einen längeren Zeitraum e r w o r b e n bzw. veräußert werden, k ö n n e n diese Unterschiede sehr erheblich sein. Durchgreifende B e d e n k e n gegen die Vereinbarkeit des § 71 A b s . 1 N r . 8 Satz 4 A k t G mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben des G l e i c h b e h a n d 5 Zu den Rechtsfolgen von Gleichbehandlungsverstößen im Rahmen des § 33 GmbHG s. aber bereits oben § 16 II 2 d a.E. 6 Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 13 re. Sp. 7 Vgl. U. Huber, FS Kropff, S. 101 (113 f.); Paefgen, AG 1999, 67 (69); ders., ZIP 2002,1509 (1510); Oechsler, in: MünchKomm. AktG, § 71 Rdn. 213 f.; Hüffer, AktG, § 71 Rdn. 19j; Leithaus, Eigene Aktien, S. 160,164. Befürwortend dagegen Martens, AG 1996,337 (339 f.); Habersack/Mayer, (2000) CFILR 330 (339f,);Jobannsen-Roth, Eigene Aktien, S. 183 f.; H. Hirsch, Eigene Aktien, S. 106.
476
-5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
lungsgrundsatzes (Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL) ergeben sich daraus jedoch nicht 8 . Viel spricht bereits dafür, die Zahlung unterschiedlich hoher Kaufpreise als sachlich gerechtfertigt anzusehen, wenn die Gesellschaft zum jeweils aktuellen Börsenkurs kauft oder verkauft 9 . Darauf kommt es aber nicht einmal an, da es richtigerweise schon am Tatbestand der Ungleichbehandlung fehlt: Bei Erwerb oder Veräußerung über die Börse räumt die Gesellschaft jedem Aktionär sowohl formal als auch materiell gleich gute Chancen ein, an der Transaktion teizunehmen. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG ergänzend sicherstellt, dass alle Marktteilnehmer über das anstehende Erwerbs- bzw. Veräußerungsprogramm (soweit es ein gewisses Volumen hat und deshalb kursbeeinflussend ist) rechtzeitig informiert sind 10 . Schon damit ist der Vorwurf der Ungleichbehandlung ausgeräumt. Dass einzelne Aktionäre ihre Chance besser nutzen als andere, ist nicht der Gesellschaft vorzuhalten, sondern stellt nur die Realisierung eines Risikos dar, das den Anleger bei jedem Kauf oder Verkauf von Aktien trifft, unabhängig davon, ob der Vertragspartner die Gesellschaft ist oder nicht. Den Aktionären dieses allgemeine Anlagerisiko abzunehmen ist nicht Sinn und Zweck des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Es erscheint deshalb nur konsequent, wenn die Kommission in ihrem Vorschlag zur Änderung der Kapital-RL nunmehr auch auf europäischer Ebene eine dem § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 A k t G vergleichbare Konkretisierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes festschreiben und ausdrücklich regeln will, dass Erwerb und Veräußerung eigener Aktien über die Börse dem Gleichbehandlungsgebot genügen 11 . Mit Recht wird dieser Vorschlag als bloße Klarstellung gewertet 12 ; denn schon bisher ging der europäische Gesetzgeber erkennbar davon aus, dass die Abwicklung über die Börse zulässig ist. Dies legt bereits die Entstehungsgeschichte der Kapital-RL nahe 13 und wird zudem durch die in 8 So i.E. auch Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn. 182; M. Möller, Eigene Aktien, Rdn.222; offen lassend U. Huber, FS Kropff, S. 101 (113). 9 T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 137. 10 Vgl. Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 14 re. Sp. (zu § 15 WpHG a.F.). 11 Art. 1 Ziff. 3 (Neufassung des Art. 19 Abs. 1 lit. d Kapital-RL) des Vorschlags der Kommission zur Änderung der Kapital-RL, KOM (2004) 730 endg. v. 21.9.2004; vgl. zuvor bereits Vorschlag 4 der Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des Gesellschaftsrechts (SLIM-Arbeitsgruppe), KOM (2000) 56 endg. v. 4.2.2000. 12 Vgl. Maul/Eggenhofer!Lanfermann, BB 2004, Beil. 6, 5 (6); Maul, BB 2005, Beil. 2, 2 (13). 13 Schon damals war bekannt, dass in den USA Aktienrückkäufe über die Börse für unbedenklich gehalten und in der Praxis seit langem überwiegend auf diesem Weg abgewickelt wurden. Hätte der europäische Gesetzgeber diesen nahe liegenden Weg versperren wollen, hätte man daher erwarten müssen, dass er dies explizit kundtut. Dies gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass der Wirtschafts- und Sozialausschuss in seiner Anhörung zur Kapital-RL angeregt hatte, die Vereinbarkeit des Erwerbs über die Börse mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz im Richtlinientext „klarzustellen"; vgl. ABl. vom 6.9.1971, C 88/1 (4) zu Art. 18 lit. a des Richtlinienentwurfs. Dass diese Klarstellung nicht in die Endfassung der Richtlinie
5 21 Gleichbebandlung
und eigene
Anteile
477
Durchführung der Marktmissbrauchs-RL erlassene EU-VO 2273/2003 über Rückkaufprogramme und Kursstabilisierungsmaßnahmen 14 bestätigt, die ersichtlich von der Prämisse ausgeht, dass Rückkaufprogramme in zulässiger Weise über die Börse abgewickelt werden können. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass auch in anderen Mitgliedstaaten der Rückerwerb über die Börse als unbedenklich angesehen wird. Dies gilt nicht nur für Osterreich, das in § 65 Abs. lb Satz 1 österr. AktG eine dem § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG nachgebildete Vorschrift kennt 15 , sondern beispielsweise auch für das Vereinigte Königreich. Dort wird für den Erwerb eigener Aktien über die Börse („market purchase") unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten lediglich verlangt, dass der gezahlte Preis bestimmte Schwellenwerte nicht überschreitet 16 . Dass alle veräußernden Aktionäre denselben Preis erzielen, wird dagegen nicht gefordert.
2. Restriktion
des $ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG
Allerdings wird man die Regelung des § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG in einer Hinsicht einschränken müssen. Die Vorschrift beruht erkennbar auf der soeben zugrunde gelegten Annahme, dass alle Aktionäre bei Erwerb oder Veräußerung über die Börse tatsächlich gleiche Chancen haben, an der Transaktion teilzunehmen. Daran fehlt es bei einem Erwerb über die Börse aber ausnahmsweise dann, wenn nicht alle Aktien zum Börsenhandel zugelassen sind 17 . Für diesen Fall ist daher eine teleologische Reduktion des § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG angezeigt. Unbedenklich ist ein Erwerb über die Börse freilich auch in diesem Fall, sofern die Aktionäre, die nicht zum Börsenhandel zugelassene Aktien halten, diesem Vorgehen zustimmen und damit auf Gleichbehandlung verzichten 18 . übernommen wurde, dürfte allein darauf beruhen, dass das Gleichbehandlungsgebot im weiteren Gesetzgebungsverfahren in einen eigenen, nicht mehr nur auf den Erwerb eigener Aktien zugeschnittenen Artikel (Art. 42) überführt wurde; näher M. Möller, Eigene Aktien, Rdn.222. 14 ABl. vom 23.12.2003, L 336/33; dazu etwa Singhof/Ch. Weber, AG 2005, 549ff. 15 Dazu Kalss, in: MünchKomm. AktG, § 71 Rdn. 341. 16 Vgl. Ziff. 12.4.1 der Listing Rules (für Rückkäufe bis zu 15 % einer Anteilsgattung). Der Erwerb wird danach nur beanstandet, wenn beide der folgenden Schwellenwerte überschritten werden: (1.) 5 % über dem durchschnittlichen Börsenkurs der letzten fünf Börsentage vor dem Erwerb, und (2.) der in Art. 5 EU-VO 2273/2003 genannte Schwellenwert (Kurs des letzten unabhängig getätigten Abschlusses bzw. des derzeit höchsten unabhängigen Angebots). 17 So lag es im Fall des im Oktober 2003 durchgeführten Aktienrückkaufprogramms der Axel Springer AG. Die Gesellschaft entschied sich deshalb „aus Gründen der Gleichbehandlung", die Aktien nicht über die Börse, sondern im Rahmen eines öffentlichen Erwerbsangebots zurückzukaufen; vgl. Angebotsunterlage der Axel Springer AG vom 9.10.2003, S. 10, abrufbar unter www.bafin.de. 18 Zu den Modalitäten des Verzichts oben § 14 I.
478
5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
II. Erwerb und Veräußerung im Wege des öffentlichen Angebots Als zweite mögliche Vorgehensweise neben Erwerb und Veräußerung über die Börse nennt die Regierungsbegründung des KonTraG die Unterbreitung eines öffentlichen Angebots 19 . Vom Erlass besonderer Verfahrensvorschriften für öffentliche Angebote auf Erwerb oder Veräußerung eigener Aktien hat der Gesetzgeber seinerzeit bewusst abgesehen, da die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 53a AktG) solche Vorschriften entbehrlich mache 20 . In Bezug auf börsennotierte Gesellschaften hat sich allerdings eine intensive Diskussion entwickelt, ob der Gesetzgeber mit dem zum 1.1.2002 in Kraft getretenen WpUG nicht doch nachträglich Verfahrensvorschriften eingeführt hat, die auch für Erwerbsangebote (nicht: Veräußerungsangebote 21 ) auf eigene Aktien gelten. Die BAFin hat diese Frage anfangs bejaht, diesen Standpunkt aber jüngst wieder revidiert 22 . Würde man die Frage dem ursprünglichen Ansatz der BAFin folgend bejahen, würden auch die - teilweise strikteren - übernahmerechtlichen Gleichbehandlungsgebote Anwendung finden und den aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) überlagern und modifizieren. Bevor dem nachgegangen wird, ist das Augenmerk aber zunächst auf die Anforderungen zu richten, die sich bereits aus § 53a A k t G für die Gestaltung des Angebots und des Angebotsverfahrens ableiten lassen.
1. Aktienrechtliche
Gleichbehandlung
a) Publizität Auf der Hand liegt zunächst, dass es im Interesse der Chancengleichheit einer Bekanntgabe des Angebots in einer Form bedarf, die es allen Aktionären ermöglicht, auch tatsächlich davon Kenntnis zu nehmen. Sofern die Aktionäre namentlich bekannt sind, kann dies durch eine direkte Kontaktaufnahme von Seiten der Gesellschaft geschehen 23 , ansonsten durch geeignete öffentliche BeBegr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 13 re. Sp. Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 13 re. Sp. 21 Das WpUG gilt nach dem klaren Wortlaut seines § 1 nur für Erwerbsangebote. 2 2 Siehe zunächst FAZ v. 3.5.2002, Nr. 102, S.17 („Aktienrückkäufe fallen unter Ubernahmegesetz") sowie BAFin-Merkblatt zum Rückerwerb eigener Aktien nach WpÜG vom 5.7.2005; anders aber nunmehr Mitteilung der BAFin vom 9.8.2006: Verwaltungspraxis wird „dahingehend geändert, dass das WpÜG bei einem öffentlichen Angebot der Zielgesellschaft beim Rückerwerb eigener Aktien keine Anwendung findet." 23 Dass dies analog § 121 Abs. 4 AktG nur durch eingeschriebenen Brief erfolgen könnte (so Benckendorff, Eigene Aktien, S.244, 283), wird man indes nicht annehmen können; wie hier wohl auch Baum, Z H R 167 (2003), 580 (597). 19
20
§ 21 Gleichbehandlung
und eigene Anteile
479
k a n n t m a c h u n g . Sofern einzelne - z . B . im Ausland ansässige A k t i o n ä r e - vom A n g e b o t ausgenommen werden, gilt f ü r die sachliche R e c h t f e r t i g u n g dieser Ungleichbehandlung das z u m Bezugsrechtsausschluss G e s a g t e entsprechend 2 4 .
b) Preisgestaltung Schwierigere Gleichbehandlungsfragen stellen sich im Bereich der Preisgestaltung. Ausweislich der Regierungsbegründung des K o n T r a G 2 5 sind als gleichmäßig im Sinne des § 53a A k t G nicht nur Festpreisangebote anzusehen, sondern auch Preisspannenangebote, wie sie insbesondere aus der U S - a m e r i k a nischen Praxis des A k t i e n r ü c k k a u f s geläufig sind. D a b e i gibt die Gesellschaft lediglich die H ö c h s t z a h l der zu erwerbenden A k t i e n sowie eine Preisspanne an, innerhalb derer sie zu erwerben bereit ist. D i e A k t i e n derjenigen A k t i o n ä r e , die ein hinreichend niedriges Verkaufsgebot abgeben, werden anschließend zu einem einheitlichen Preis erworben, der dem innerhalb dieser G r u p p e höchsten G e b o t entspricht (sog. Dutch
auction)2b.
E i n solches Vorgehen ist unter Gleich-
behandlungsaspekten in der Tat unbedenklich, wenn und weil alle A k t i o n ä r e gleiche C h a n c e n haben, an der Transaktion teilzunehmen. In rechtspolitischer H i n s i c h t ist z w a r das B e d e n k e n erhoben worden, das beschriebene A u k t i o n s verfahren verlange von den A k t i o n ä r e n „ziemlich viel G e d a n k e n a u f w a n d " und drohe einfache Privatanleger zu überfordern 2 7 . E i n im H i n b l i c k auf § 53a A k t G durchschlagender E i n w a n d ergibt sich daraus aber nicht 2 8 . M a n wird im G e g e n teil n o c h einen Schritt weiter gehen und Preisspannenangebote selbst dann f ü r u n b e d e n k l i c h halten k ö n n e n , w e n n innerhalb der G r u p p e von A k t i o n ä r e n , von denen die A k t i e n z u r ü c k e r w o r b e n werden, kein einheitlicher Preis in H ö h e des höchsten n o c h akzeptierten G e b o t s gebildet wird 2 9 . Auch bei dieser VorgehensS.oben §20 III 2. Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 13 re. Sp.; ebenso Baum, ZHR167 (2003), 580 (590); Berrar/Schnorbus, ZGR 2003, 59 (68); T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 141. 26 Näher zu diesem Verfahren Benckendorff, Eigene Aktien, S. 76 f.; T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 141; Hampel, Eigene Aktien, S. 14ff.; Wastl/Wagner/Lau, Eigene Aktien, S.26f. Beispiel nach T. Bezzenberger aaO.: Eine AG will 10.000 Aktien zum Preis von 45-50 € zurückkaufen. Der Aktionär A bietet 5.000 Aktien ä 45 € an, B 5.000 Aktien ä 48 € und C weitere 5.000 Aktien ä 50 €. Die AG kauft in diesem Fall die 10.000 Aktien von A und B zum einheitlichen Preis von 48 €. 27 So die Befürchtungen von T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 141 a.E.; U. Huber, FS Kropff, S. 101 (115); Lüken, Eigene Aktien, S. 163; M. Möller, Eigene Aktien, Rdn. 236. S. aber auch Oechsler, in: MünchKomm. AktG, §71 Rdn. 203: „Der Aktienkauf ist ein Risikogeschäft, und es ist nicht Aufgabe der Rechtsordnung, die Aktienanlage i.S. eines falsch verstandenen Verbraucherschutzes wie ein Sparbuch auszugestalten." 28 So i.E. auch T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 141; Lüken, Eigene Aktien, S. 162f.; M. Möller, Eigene Aktien, Rdn.23(>{i.;Johannsen-Roth, Eigene Aktien, S. 185. 29 In dem in Fn. 26 genannten Fall erwirbt die AG von A für 45 € und von B für 48 € pro Aktie. Wie hier M. Möller, Eigene Aktien, Rdn. 236; wohl auch Berrar/Schnorbus, ZGR 2003, 59 (67 f.). 24
25
480
5. Kapitel:
Anwendung und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
weise ändert sich nämlich nichts daran, dass allen A k t i o n ä r e n die gleichen V e r kaufschancen eingeräumt werden. E i n e unzulässige Ungleichbehandlung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Preis des öffentlichen R ü c k k a u f a n g e b o t s - gleich o b Festpreis- oder Preisspannenangebot - bei börsennotierten Gesellschaften typischerweise über dem B ö r senkurs liegt. Dass von der Prämie auf den B ö r s e n k u r s im Ergebnis n u r die verkaufenden A k t i o n ä r e profitieren, begründet keine
Ungleichbehandlung,
wenn und weil alle A k t i o n ä r e dieselbe C h a n c e haben, sich durch A n n a h m e des A n g e b o t s die P r ä m i e zu verdienen 3 0 . A u f die Frage der sachlichen R e c h t f e r t i gung der P r ä m i e - die in gewissen G r e n z e n durchaus zu bejahen wäre 3 1 - k o m m t es deshalb unter dem G e s i c h t s p u n k t der Gleichbehandlung nicht an. Dass die Prämie unter B e r ü c k s i c h t i g u n g der E r w e r b s m e n g e und des Zeitfaktors gleichwohl angemessen sein muss, folgt aber aus dem V e r b o t der E i n l a g e n r ü c k g e w ä h r (§ 57 A b s . 1 A k t G ) 3 2 . Fraglich ist, ob auch solche Angebotsgestaltungen dem Gleichbehandlungsgrundsatz genügen, die die H ö h e der angebotenen Gegenleistung nach dem Z e i t p u n k t der A n n a h m e e r k l ä r u n g staffeln 3 3 . I n den Materialien des W p U G werden derartige „Windhundrennen" als Verstoß gegen das allgemeine ü b e r nahmerechtliche Gleichbehandlungsgebot (§ 3 A b s . 1 W p U G )
bezeichnet34.
Dies mag - t r o t z der erheblichen Unterschiede zwischen § 3 Abs. 1 W p U G und § 53a A k t G 3 5 - auf den ersten B l i c k dafür sprechen, auch im Bereich des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ebenso zu entscheiden. B e i Licht besehen handelt es sich allerdings nicht w i r k l i c h u m ein G l e i c h b e h a n d lungsproblem: Zwar erhalten die schnell entschlossenen A k t i o n ä r e m e h r als die zaudernden; solange aber alle A k t i o n ä r e gleiche C h a n c e n haben, zu den ersten zu gehören, lässt sich dies nicht als Ungleichbehandlung bezeichnen. W e n n solche Angebotsgestaltungen gleichwohl als anstößig empfunden werden, liegt dies weniger an der vermeintlichen Ungleichbehandlung als vielmehr daran, dass den A k t i o n ä r e n eine angemessene U b e r l e g u n g s f r i s t genommen w i r d , die im W p U G auf mindestens vier W o c h e n festgeschrieben worden ist (§ 16 A b s . 1 W p U G ; vgl. auch § 3 A b s . 2 W p U G ) 3 6 . D i e s e Frist w ü r d e unterlaufen, w e n n Vgl. H. Hirsch, Eigene Aktien, S. 107. Dazu Baum, ZHR 167 (2003), 580 (593 f.). 32 Vgl. Hüffer, AktG, § 57 Rdn. 20; Benckendorff, Eigene Aktien, S. 236 ff. 33 Verneinend Baum, ZHR 167 (2003), 580 (596); Oechsler, in: MünchKomm. AktG, §71 Rdn.202; die Zulässigkeit nach §53a AktG bejahend dagegen Lenz/Linke, AG 2002, 420 (422). 34 Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S.35; ebenso etwa Baums/Hecker, in: Baums/ Thoma, WpÜG, § 3 Rdn. 16; A. Möller, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 3 Rdn. 13; Schwennicke, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, §3 Rdn. 8; Steinmeyer/Häger, WpÜG, §3 Rdn. 4. 35 S. oben § 1 III 1; ferner unten Ziff. 2 b. 36 Vgl. denn auch Hasselbach, in: Kölner Komm. AktG, § 19 WpÜG Rdn. 3; Thoma, in: 30 31
5 21 Gleichbehandlung
und eigene Anteile
481
ihre A u s s c h ö p f u n g mit dem Nachteil einer geringeren Gegenleistung erkauft werden müsste. Aus diesem
G r u n d , und nicht wegen Verstoßes gegen § 3 A b s . 1
W p U G , sind „ W i n d h u n d " - A n g e b o t e im Anwendungsbereich des W p U G als unzulässig anzusehen. E b e n s o wenig lässt sich außerhalb des W p U G die U n z u lässigkeit solcher A n g e b o t e mit dem H i n w e i s auf den Gleichbehandlungsgrundsatz begründen. Stattdessen wird man davon ausgehen müssen, dass den A k t i o n ä r e n auch außerhalb des W p U G eine angemessene U b e r l e g u n g s f r i s t zu gewähren ist, w o b e i man sich an der zweiwöchigen Frist zur A u s ü b u n g des B e zugsrechts (§ 186 A b s . 1 Satz 2 A k t G ) orientieren mag. F o l g t m a n dem, sind A n g e b o t e , die auf ein W i n d h u n d r e n n e n abzielen, wegen A u s h ö h l u n g dieser Frist unzulässig, nicht wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Dasselbe gilt f ü r A n g e b o t e , die vorsehen, dass die T r a n s a k t i o n nur mit den A k t i o n ä r e n zustande k o m m t , die das A n g e b o t als erstes a n n e h m e n 3 7 . E i n e n V e r s t o ß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz w i r d man allerdings dann a n n e h m e n müssen, wenn die Gesellschaft während der Laufzeit des A n gebots den A n g e b o t s b e t r a g nachträglich erhöht bzw. (beim Verkaufsangebot) nachträglich reduziert und die n u n m e h r günstigeren K o n d i t i o n e n nicht auch den A k t i o n ä r e n zuteil werden lässt, die das A n g e b o t bereits a n g e n o m m e n hab e n 3 8 . I n diesem Fall liegt eine Ungleichbehandlung zu Lasten derjenigen A k tionäre vor, die ihre A n n a h m e e r k l ä r u n g e n bereits abgegeben haben. E i n e h i n reichende sachliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung ist nicht ersichtlich. Zwar ließe sich anführen, dass die B e g r e n z u n g der Vorteile des verbesserten A n g e b o t s auf die später kontrahierenden A k t i o n ä r e dem Gesellschaftsinteresse dient, da der Gesellschaft hierdurch zusätzliche K o s t e n erspart bleiben. J e d o c h wird man der Gesellschaft verwehren müssen, sich auf diesen U m s t a n d zu berufen. I n d e m sie eine b e s t i m m t e Laufzeit f ü r das A n g e b o t gesetzt hat, hat sie konkludent zu erkennen gegeben, dass sie innerhalb der L a u f zeit nicht danach differenzieren wird, zu welchem Z e i t p u n k t die A k t i o n ä r e ihre A n n a h m e e r k l ä r u n g abgeben. Hiergegen w ü r d e sie verstoßen, wenn n u n m e h r doch innerhalb der A n g e b o t s f r i s t eine D i f f e r e n z i e r u n g eingeführt würde.
Baums/Thoma, WpÜG, § 19 Rdn. 28: Windhundrennen sind unzulässig, um die Aktionäre vor übereilten Entscheidungen zu schützen. 37 Im Rahmen des WpUG sieht man darin einen Verstoß gegen das Gebot der verhältnismäßigen Repartierung (§19 WpÜG); vgl. Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S.48; Hasselbach, in: Kölner Komm. AktG, § 19 WpÜG Rdn. 3; Thoma, in: Baums/Thoma, WpÜG, §19 Rdn. 5, 28; Wackerbarth, in: MünchKomm. AktG, §19 WpÜG Rdn. 3. Auch insoweit dürfte jedoch die Aushöhlung der Annahmefrist (§§ 16 Abs. 1, 3 Abs. 2 WpÜG) den zutreffenderen Ansatzpunkt bilden. 38 So auch Benckendorff, Eigene Aktien, S. 244; Johannsen-Roth, Eigene Aktien, S. 185.
482
5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
c) Repartierung bei Überzeichnung aa) Maßgeblichkeit der Beteiligungsquoten Bei Überzeichnung des Angebots hat die Gesellschaft die Aktien pro rata zu erwerben bzw. (beim Verkaufsangebot) zu veräußern. Dies wirft die Frage auf, nach welchem Gleichbehandlungsmaßstab die Zuteilung zu erfolgen hat: (1.) nach den Beteiligungsquoten 39 oder (2.) nach der Anzahl der Aktien, für die Annahmeerklärungen abgegeben worden sind 40 ? Letzteres entspräche der Regelung, die das WpUG vorsieht (§ 19 WpUG) 41 . Oder sind gar (3.) beide Repartierungsarten uneingeschränkt zulässig, so dass die Gesellschaft ein Wahlrecht hat, wie sie die Zuteilung vornimmt 42 ? Die Unterschiede zwischen diesen möglichen Lösungen können durchaus beträchtlich sein: Wenn eine AG mit einem in 100.000 Aktien zerlegten Grundkapital 10.000 Aktien zurückerwerben will und die Aktionäre A und B, die 80 % bzw. 20 % des Grundkapitals halten, jeweils 10.000 Aktien veräußern wollen, müsste die Gesellschaft nach der ersten Lösung von A 8.000 und von B 2.000, nach der zweiten Lösung aber von beiden jeweils 5.000 Aktien zurückerwerben. Für die erste Lösung wird meist die Regierungsbegründung des KonTraG bemüht. So „unmissverständlich", wie bisweilen behauptet wird 43 , ist diese allerdings nicht. Vielmehr heißt es dort lediglich, dass die Gesellschaft bei Uberangebot bzw. -nachfrage „nach Quoten" zuzuteilen habe 44 . Wonach sich die Quote bemisst, ist damit gerade nicht gesagt. Gleichwohl gebührt der ersten Lösung der Vorzug. Wie dargelegt richtet sich der Gleichbehandlungsmaßstab bei den zahlenmäßig abstufbaren sog. Hauptrechten auch sonst nach dem Umfang der Kapitalbeteiligung 45 , so dass es eine ausgesprochene Anomalie bedeuten würde, ausgerechnet hier von diesem Maßstab abzugehen. Der Einwand, dass sich die Beteiligungsquoten bei börsennotierten Gesellschaften nicht oder nur mit hohem Verwaltungsaufwand ermitteln ließen 46 , lässt sich dadurch entkräften, dass die Aktionäre aufgefordert werden, zusammen mit der Annahmeerklärung einen Nachweis über ggf. vorhandenen weiteren Aktienbesitz beizubringen und zu erklären, dass sie auch mit diesen weiteren Aktien im Rahmen 39 So die h.L.; vgl. Baum, ZHR 167 (2003), 580 (599, 605); Berrar/Schnorbus, ZGR 2003, 59 (67); Diekmann/Merkner, ZIP 2004, 836 (840); H ü f f e r , AktG, §71 Rdn. 19k; Kiem, ZIP 2000,209 (213); Lüken, Eigene Aktien, S. 161; M. Möller, Eigene Aktien, Rdn. 228 ff.; Thoma, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 19 Rdn. 30. 40 So offenbar Benckendorff, Eigene Aktien, S.244; H. Hirsch, Eigene Aktien, S. 106 f. 41 Dazu Hasselbach, in: Kölner Komm. WpUG, §19 Rdn. 15 ff.; Thoma, in: Baums/ Thoma, WpÜG, § 19 Rdn. 19; Wackerbarth, in: MünchKomm. AktG, § 19 WpÜG Rdn. 31. 42 Hierfür T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 140. 43 Baum, ZHR 167 (2003), 580 (605 Fn. 125). 44 Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 14 Ii. Sp. 45 S.oben § 11 I 1. 46 T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 140.
5 21 Gleichbehandlung
und eigene Anteile
483
der Zuteilung berücksichtigt werden wollen 47 . In dem genannten Beispiel müsste A also das Angebot für 10.000 Aktien annehmen und seine übrigen 70.000 Aktien zur Berücksichtigung im Rahmen der Repartierung anmelden. Wenn ein Aktionär von der Anmeldung weiterer Aktien keinen Gebrauch macht, muss die Gesellschaft ihn im Rahmen der Zuteilung nur mit der Anzahl Aktien berücksichtigen, die er zum Verkauf angeboten hat. Darin liegt kein Gleichbehandlungsverstoß, da jedem Aktionär gleichmäßig die Chance gegeben worden ist, im Verhältnis seiner Beteiligungsquote zum Zuge zu kommen. Mit dem Vorstehenden ist freilich nur gesagt, dass sich der Gleichbehandlungsmaßstab nach den Beteiligungsquoten richtet. Nicht ausgeschlossen ist, dass nach allgemeinen Regeln bei Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung von diesem Gleichbehandlungsmaßstab abgewichen werden darf. Auf diese Möglichkeit wird sogleich noch zurückzukommen sein 48 . bb) Berücksichtigung von Andienungs-
und
Erwerbsrechten
Die Praxis verfeinert die vorstehend beschriebene Zuteilung nach Beteiligungsquoten teilweise noch dadurch, dass das Recht, das Angebot anzunehmen (Andienungs- bzw. Erwerbsrecht) in den Angebotsbedingungen als übertragbar ausgestaltet wird 4 9 . Damit wird den Aktionären ermöglicht, innerhalb der Annahmefrist Andienungs- bzw. Erwerbsrechte anderer Aktionäre, die an der Transaktion nicht teilnehmen wollen, hinzuzuerwerben und auszuüben. Geschieht dies, sind die Aktionäre im Rahmen der Zuteilung nicht nur entsprechend ihrer eigenen Beteiligungsquote, sondern unter Hinzurechnung der erworbenen Andienungs- bzw. Erwerbsrechte zu berücksichtigen 50 . Diese Lösung hat den Vorzug, dass auch diejenigen Aktionäre, die an der Transaktion nicht teilnehmen wollen, an dem wirtschaftlichen Wert des Andienungs- bzw. Erwerbsrechts partizipieren können, indem sie dieses durch Veräußerung verwerten. Mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz sind solche Gestaltungen ohne weiteres vereinbar. Sie tragen der Gleichbehandlung sogar besonders gut Rechnung, 47 So praktiziert in der Angebotsunterlage der Beiersdorf AG vom 22.12.2003, S. 11 f., 15 (abrufbar unter www.bafin.de). 48 S. unten lit. cc. 49 Vgl. Angebotsunterlage der Beiersdorf AG vom 22.12.2003, S. 11 (abrufbar unter w w w . bafin.de). 50 Beispiel: Die Gesellschaft w i l l 10.000 A k t i e n erwerben, der mit 40 % des G r u n d k a p i tals beteiligte A w i l l 10.000 A k t i e n andienen. Von anderen Aktionären, die z u s a m m e n ebenfalls 4 0 % des Kapitals halten, liegen A n n a h m e e r k l ä r u n g e n über insgesamt weitere 10.000 A k t i e n vor. Folgt man der Zuteilung nach Beteiligungsquoten, k o m m t A mit 5.000 A k t i e n z u m Zuge; die von der Gesellschaft gewünschten 10.000 A k t i e n werden im Verhältnis 40:40 = 1:1 aufgeteilt. E r w i r b t A aber Andienungsrechte von nicht v e r ä u ß e r u n g s w i l l i g e n A k t i o nären h i n z u und übt er diese rechtzeitig aus, k a n n er diese Quote zu seinen Gunsten erhöhen.
484
Kapitel:
Anwendung und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
da der wirtschaftliche Wert des Andienungs- bzw. Erwerbsrechts auch für die nicht andienungs- bzw. erwerbswilligen A k t i o n ä r e nutzbar gemacht wird. In der Praxis wird es sich empfehlen, zur Vermeidung von Zweifeln die U b e r tragbarkeit der Andienungs- bzw. Erwerbsrechte in den Angebotsbedingungen ausdrücklich klarzustellen. Das Schrifttum erkennt darüber hinaus zunehmend an, dass den Aktionären bereits kraft Gesetzes Andienungs- und Erwerbsrechte zustehen 5 1 , aus denen mit dem Beschluss des Vorstands, den A k t i e n r ü c k k a u f bzw. -verkauf zu tätigen, übertragbare Andienungs- und Erwerbsansprüche entstehen 5 2 . Soweit zur Begründung eines solchen (ungeschriebenen) gesetzlichen Andienungs- bzw. Erwerbsrechts unmittelbar auf den Gleichbehandlungsgrundsatz rekurriert wird 5 3 , ist dem allerdings nicht zu folgen. D e m Gleichbehandlungsgrundsatz ist bereits dadurch Rechnung getragen, dass jedem A k t i o n ä r die Möglichkeit gegeben wird, Aktien zu denselben Konditionen zu veräußern oder zu erwerben wie die übrigen Aktionäre. Dass ihm darüber hinaus ein übertragbares Andienungs- und Erwerbsrecht zusteht, das er, wenn er an der Transaktion nicht teilnehmen will, gewinnbringend veräußern kann, lässt sich aus dem Gleichbehandlungsgebot dagegen nicht ableiten 5 4 . Vielmehr wird gerade darin das B e dürfnis gesehen, über den Gleichbehandlungsgrundsatz hinaus ein eigenes A n dienungs- und Erwerbsrecht anzuerkennen 5 5 . Wenn sich ein gesetzliches Andienungs- und Erwerbsrecht begründen lässt, kann dies vielmehr nur in Anlehnung an das gesetzliche Bezugsrecht im R a h m e n der Kapitalerhöhung (§ 186 A k t G ) geschehen. Gerade im H i n b l i c k auf die Veräußerung eigener Aktien liegt diese Analogie in der Tat nahe. D a mit der Veräußerung eigener Aktien die zuvor nach § 71b A k t G ruhenden Rechte aus diesen Aktien Wiederaufleben, entspricht die Veräußerung eigener Aktien in ihren Auswirkungen weitestgehend der Ausgabe neuer Anteile im R a h m e n einer Kapitalerhöhung. Vor diesem H i n t e r g r u n d erscheint es einleuchtend, mit den genannten Stimmen im Schrifttum ein dem B e 51 Ausführlich und grundlegend Habersack, ZIP 2004,1121 (1123 ff.); ferner Oechsler, in: MünchKomm. AktG, §71 Rdn.200, 209; speziell zum Andienungsrecht auch O L G Hamburg AG 2005, 355 (358); Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn.34; Paefgen, AG 1999, 67 (69); ders., ZIP 2002, 1509 (1510f.); speziell zum Erwerbsrecht T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 145 ff.; H. Hirsch, Eigene Aktien, S. 166 ff., 177; U. Huber, FS Kropff, S. 101 (118); Martens, AG 1996,337 (342 f.); M. Möller, Eigene Aktien, Rdn. 276 ff.; vor In-Kraft-Tretendes KonTraGauch schon O L G Hamm ZIP 1983, 1332 (1334). A.A. zum Andienungsrecht Liiken, Eigene Aktien, S. 153 ff.; M. Möller, Eigene Aktien, Rdn. 240; zum Erwerbsrecht Benckendorff, Eigene Aktien, S. 280 ff.; Lüken, Eigene Aktien, S. 205 f. 52 Habersack, ZIP 2004, 1121 (1125 re. Sp.); Oechsler, in: MünchKomm. AktG, §71 Rdn.200. 53 Vgl. Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn.34; Paefgen, AG 1999, 67 (69); ders., ZIP 2002,1509 (1511); sowie Oechsler, in: MünchKomm. AktG, § 71 Rdn. 200,209, die daneben aber jeweils auch auf die Parallele zum Bezugsrecht hinweisen (dazu sogleich im Text). 54 Insoweit wie hier M. Möller, Eigene Aktien, Rdn. 240. 55 Vgl. Habersack, ZIP 2004,1121 (1123,1125).
5 21 Gleichbehandlung
und eigene Anteile
485
zugsrecht vergleichbares Erwerbsrecht auch im R a h m e n der Veräußerung eigener Aktien anzuerkennen, auch wenn der Gesetzgeber sich insoweit keine klaren Vorstellungen gemacht zu haben scheint 5 6 . Folgt man dem, erscheint es folgerichtig, in Ergänzung hierzu den Aktionären spiegelbildlich auch ein gesetzliches A n dienungsrecht im Fall des Rückerwerbs eigener Aktien zuzubilligen 5 7 . E r k e n n t man an, dass Andienungs- und E r w e r b s r e c h t e nicht erst von der Gesellschaft eingeräumt werden müssen, sondern kraft Gesetzes entstehen, hat dies zur Folge, dass die Möglichkeit, die Zuteilungsquote durch H i n z u e r w e r b von A n d i e n u n g s - bzw. E r w e r b s r e c h t e n zu erhöhen, auch dann besteht, wenn dies in der Angebotsunterlage nicht ausdrücklich geregelt ist 5 8 . E t w a s anderes gilt nur, wenn die U b e r t r a g b a r k e i t des A n d i e n u n g s - bzw. E r w e r b s r e c h t s im R a h m e n des öffentlichen A n g e b o t s explizit ausgeschlossen wird. F ü h r t man die Analogie z u m Bezugsrecht konsequent fort, wird man hierfür aber zumindest beim E r w e r b s r e c h t einen berichtspflichtigen
Hauptversammlungsbeschluss
mit Dreiviertelmehrheit (§ 186 A b s . 3 Sätze 1 und 2, A b s . 4 A k t G analog) bzw. - im Fall eines Ausschlusses durch die Verwaltung - einen entsprechenden E r mächtigungsbeschluss der Hauptversammlung (§ 203 A b s . 2 A k t G analog) verlangen müssen 5 9 . F ü r den Ausschluss des Andienungsrechts ist dagegen nach allerdings bestrittener - Auffassung die einfache S t i m m e n m e h r h e i t ( § 1 3 3 A b s . 1 A k t G ) ausreichend; § 1 8 6 A b s . 3 und Abs. 4 sind insoweit nicht entsprechend anwendbar 6 0 .
cc) Abweichende
Regelungen
N i c h t selten sehen die Hauptversammlungsbeschlüsse vor, dass der V o r s t a n d im R a h m e n der Zuteilung vom M a ß s t a b der Kapitalbeteiligung abweichen k a n n oder sogar muss. Vielfach anzutreffen ist etwa die Regelung, dass bei E r w e r b s angeboten im Fall der Ü b e r z e i c h n u n g im Verhältnis der jeweils angedienten A k t i e n - also wie nach § 19 W p Ü G - zuzuteilen sei 6 1 . D a n e b e n wird oft eine Dazu Habersack, ZIP 2004,1121 (1124). Näher Habersack, ZIP 2004,1121 (1125 Ii. Sp.). 58 Zur Frage, ob die Gesellschaft gehalten ist, einen Handel in den Andienungs- bzw. Erwerbsrechten zu organisieren, vgl. Habersack, ZIP 2004,1121 (1127). 59 § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG regelt diesen Fall nicht unmittelbar, da dort nur der ungleichmäßige Ausschluss des Erwerbsrechts erfasst wird. 60 Habersack, ZIP 2004, 1121 (1126); Oechsler, in: MünchKomm. AktG, §71 Rdn.201; a.A. Bosse, NZG 2000, 16 (20); Paefgen, ZIP 2002, 1509 (1512); Diekmann/Merkner, ZIP 2004, 835 (841 mit Fn. 25). Für die im Text befürwortete Ansicht lässt sich anführen, dass § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG nur hinsichtlich der Veräußerung auf § 186 Abs. 3 und Abs. 4 AktG verweist. In der Sache lässt sich dies damit rechtfertigen, dass der Ausschluss des Andienungsrechts weniger weitreichende Folgen hat als der Ausschluss des Erwerbsrechts. Anders als dieser begründet jener für die betroffenen Aktionäre insbesondere nicht die Gefahr einer Stimmrechtseinbuße. 61 Vgl. etwa TOP 6 c der Einladung zur ordentlichen Hauptversammlung der DaimlerChrysler AG 2005. 56
57
486
i . Kapitel: Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
bevorrechtigte Annahme geringerer Stückzahlen (z.B. bis zu 50 oder 100 Aktien je Aktionär) vorgesehen 62 . Solche Regelungen sind trotz ihrer großen Verbreitung nicht gänzlich unproblematisch. Zum einen beinhalten sie einen teilweisen Ausschluss des gesetzlichen Andienungsrechts; ob hierfür die einfache Mehrheit genügt, ist - wie dargelegt - umstritten 63 . Zum anderen handelt es sich, gemessen am Maßstab der Kapitalbeteiligung, um Ungleichbehandlungen, die grundsätzlich einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung bedürfen. Dass ein Hauptversammlungsbeschluss, der die genannten Zuteilungsregelungen vorsieht, als wirksamer Gleichbehandlungsverzicht anzusehen und eine sachliche Rechtfertigung deshalb entbehrlich wäre 64 , ist nach dem bisherigen Meinungsstand mehr als fraglich 65 . Nach der hier vertretenen Auffassung ist dies zwar denkbar, setzt aber voraus, dass in dem konkreten Fall auszuschließen ist, dass das Mitstimmen der begünstigten Aktionäre das Abstimmungsergebnis beeinflusst hat 66 . Das Vorliegen einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung ist in beiden Beispielen nicht zweifelsfrei, wird sich im Ergebnis aber in aller Regel doch bejahen lassen. In Bezug auf Zuteilungsregelungen, die sich am Vorbild des § 19 WpUG orientieren, lässt sich immerhin anführen, dass sie gerade bei börsennotierten Gesellschaften zu einer gewissen praktischen Vereinfachung führen und deshalb dem Gesellschaftsinteresse dienlich sind 67 . Der Vereinfachungseffekt hält sich zwar in Grenzen, da wie gesehen auch eine Zuteilung nach Beteiligungsquoten durchaus praktikabel wäre, wenn nur die Aktionäre aufgefordert würden, zusammen mit der Annahmeerklärung einen Nachweis über ihre gesamte Beteiligung beizubringen. Gleichwohl wird man aus der Regelung des § 19 WpUG ableiten können, dass der Gesetzgeber dem Vereinfachungseffekt bei börsennotierten Gesellschaften nicht unerhebliches Gewicht beimisst. Dies spricht dafür, ihn bei Gesellschaften mit weit gestreutem Anteilseignerkreis auch außerhalb des Anwendungsbereichs des WpUG als so erheblich anzusehen, dass er eine Abweichung von der Zuteilung nach Beteiligungsquoten zu rechtfertigen vermag. Nichts anderes gilt im Ergebnis für die bevorzugte Berücksichtigung kleiner Stückzahlen. Im Anwendungsbereich des WpUG lässt die Regierungsbegründung zu § 19 WpUG solche Gestaltungen bei Erwerbsangeboten ausdrücklich 62 Vgl. etwa TOP 6 b (2) der Einladung zur ordentlichen Hauptversammlung der Deutschen Telekom AG 2005; TOP 6 c der Einladung zur ordentlichen Hauptversammlung der DaimlerChrysler AG 2005. 63 Vgl. d i e N a c h w . i n F n . 6 0 . 64 So offenbar Diekmann/Merkner, ZIP 2004, 836 (841). 65 Die bisher h.M. besteht außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Sonderbeschlüsse auf einem einstimmigen Gleichbehandlungsverzicht; s. oben § 14 I 3: 66 Näher oben § 14 I 3 c. 67 ZIP 2004, 836 (841); i.E. auch Thoma, in: Baums/Thoma, WpÜG, Diekmann/Merkner, § 19 Rdn.33.
§ 21 Gleichbehandlung
und eigene
Anteile
487
zu 68 , obwohl sie nicht nur vom Verteilungsmaßstab des § 53a AktG, sondern auch dem des § 19 WpÜG abweichen. Zur Begründung werden wiederum Praktikabilitätserwägungen angeführt, namentlich das Interesse, die Entstehung von „Splitterbeteiligungen" zu verhindern. Damit ist augenscheinlich gemeint, dass bei veräußerungswilligen Kleinaktionären keine minimalen Aktienbestände zurückbleiben sollen, weil diese für die betreffenden Aktionäre gemessen am Wert der Papiere unverhältnismäßig hohe Verwaltungs- und Veräußerungskosten auslösen würden 69 . Dies zu verhindern mag zwar unmittelbar nur dem Interesse der Kleinaktionäre dienen; mittelbar wird eine vom Markt als fair empfundene Behandlung der Kleinaktionäre aber auch der Reputation und damit dem Interesse der Gesellschaft dienen. Mit Rücksicht darauf wird man eine hinreichende sachliche Rechtfertigung bejahen können. d) Quotales Angebot Gewöhnlich werden öffentliche Angebote so gestaltet, dass den Aktionären die Möglichkeit gegeben wird, das Angebot für mehr Aktien anzunehmen, als es dem Verhältnis ihrer Kapitalbeteiligung entspricht. Will die AG 10.000 Aktien zurückerwerben, kann der mit 20 % des Kapitals beteiligte Aktionär A das Angebot also in Bezug auf die gesamten 10.000 Aktien annehmen und nicht nur in Bezug auf 2.000. Auf den Umfang der Kapitalbeteiligung kommt es bei dieser Vorgehensweise erst im Fall der Uberzeichnung des Angebots an. Als Alternative ist denkbar, das Angebot gleich so auszugestalten, dass die Aktionäre das Angebot nur für so viele Aktien annehmen dürfen, wie es dem Verhältnis ihrer Kapitalbeteiligung entspricht. In dem genannten Beispiel kann A dann von vornherein nur 2.000 Aktien andienen. Will er eine höhere Anzahl Aktien im Rahmen des Angebots verkaufen, muss er Andienungsrechte nicht veräußerungswilliger Aktionäre hinzuerwerben. Diese Vorgehensweise entspricht dem herkömmlichen Bezugsrechtsverfahren, nur - soweit der Rückerwerb betroffen ist - mit umgekehrten Vorzeichen 70 . Zu einer Überzeichnung kann es bei die68 Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S.48 Ii. Sp.; zustimmend etwa Geibel, in: Steinmeyer/Häger, Geibel/Süßmann, WpÜG, § 19 Rdn. 11; Paefgen, ZIP 2002,1509 (1517 f.); WpÜG, §19 Rdn. 12; Thoma, in: Baums/Thoma, WpÜG, §19 Rdn. 26; ablehnend aber Wackerharth, in: MünchKomm. AktG, § 19 WpÜG Rdn. 42. 69 Vgl. Geibel, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 19 Rdn. 11; Paefgen, ZIP 2002,1509 (1518). Es geht also nicht nur darum, die Entstehung von Aktienspitzen zu verhindern, wie Wackerbarth, in: MünchKomm. AktG, § 19 WpÜG Rdn. 41, anzunehmen scheint. 70 Im Schrifttum wird diese Verfahrensweise häufig vom öffentlichen Angebot unterschieden und separat unter dem aus der Praxis des Aktienrückkaufs in den USA entlehnten Stichwort der transferable put rights (übertragbare Andienungsrechte) behandelt; vgl. etwa T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 142; Benckendorff, Eigene Aktien, S. 247 ff. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich auch bei dieser Vorgehensweise letztlich um eine Sonderform des öffentlichen Angebots handelt; zutr. H. Hirsch, Eigene Aktien, S. 80; M. Möller, Eigene Aktien, Rdn. 239 ff.
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5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
sem Verfahren nicht kommen; etwaige Repartierungsprobleme werden vermieden. Dem steht allerdings der Nachteil gegenüber, dass das Angebot möglicherweise nicht für das gesamte von der Gesellschaft gewünschte Aktienkontingent angenommen wird, falls mit einem ausreichenden Handel in den Andienungsund Erwerbsrechten nicht zu rechnen ist. Rechtliche Bedenken gegen diese Vorgehensweise bestehen jedoch nicht; insbesondere ist sie ohne weiteres mit § 53a AktG vereinbar.
2. Kapitalmarktrechtliche a) Anwendbarkeit
Gleichbehandlung
des WpÜG auf Erwerbsangebote für eigene Aktien
Die vorstehenden Überlegungen mögen gezeigt haben, dass sich im Wege der Konkretisierung des aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes (§53a AktG) eine ganze Reihe von Vorgaben für die Ausgestaltung des Angebots und des Angebotsverfahrens ableiten lässt. Gleichwohl lässt sich nicht leugnen, dass einzelne Regelungsdefizite verbleiben, die der Gleichbehandlungsgrundsatz allein nicht beheben kann 71 . Zu denken ist etwa an die Einräumung einer angemessenen Annahmefrist, damit die Aktionäre genügend Zeit haben, eine rationale Transaktionsentscheidung zu treffen, oder an die Bereitstellung von Informationen zur Erläuterung des Angebots. Wie eingangs erwähnt ist umstritten, ob der Gesetzgeber diese Regelungslücke mit Erlass des zum 1.1.2002 in Kraft getretenen WpÜG partiell geschlossen hat und Erwerbsangebote 72 börsennotierter Gesellschaften auf eigene Aktien nunmehr den strengen Verfahrensvorschriften des WpÜG unterliegen. Die BAFin hat diese Frage zunächst bejaht, ihre Verwaltungspraxis aber unlängst geändert 73 . Künftig will die BAFin die Vorschriften des WpÜG nicht mehr auf Erwerbsangebote für eigene Aktien anwenden. Die Auffassungen im Schrifttum sind geteilt; eine herrschende Ansicht zeichnet sich derzeit nicht ab74. Für die Praxis dürfte freilich die neue Linie der BAFin bis auf 71
Wie hier Fleischer/Körber, BB 2001, 2589 (2592); Wackerbarth, in: M ü n c h K o m m . A k t G , §2 W p Ü G Rdn. 32; abweichend Baum, Z H R 167 (2003), 580 (599). 72 Auf Veräußerungsangebote findet das W p Ü G unstreitig keine Anwendung, vgl. § 1 WpÜG. 73 S. o b e n F n . 22. 74 Für Anwendbarkeit des W p Ü G insbesondere Fleischer/Körber, BB 2001, 2589ff.; Lenz/Linke, A G 2002, 420 ff.; Oechsler, N Z G 2001, 817 (818 f.); ders., in: M ü n c h K o m m . A k t G , §71 Rdn.202aff.; ders., in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, W p Ü G , §2 Rdn. 5 ff.; Paefgen, Z I P 2002, 1509 (1512 ff.); Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, W p Ü G , §2 Rdn. 40 ff.; Strunk/Behnke, in: VGR Bd. 8 (2004), S. 81 (92 ff.); Wackerbarth, in: MünchKomm. A k t G , §2 W p Ü G R d n . 2 5 ff.; Luken, Eigene Aktien, S. 259ff.; f ü r analoge Anwendbarkeit einzelner Vorschriften des W p Ü G Baums/Stöcker, FS Wiedemann, S. 703 ff.; Baums/ Hecker, in: Baums/Thoma, W p Ü G , §1 Rdn. 104 ff. Gegen unmittelbare oder analoge A n wendbarkeit der Vorschriften des W p Ü G aber Baum, Z H R 167 (2003), 580 ff.; Berrar/Schnorbus, Z G R 2003, 59 ff.; H. Hirsch, Eigene Aktien, S. 130 ff.; Hüffer, A k t G , §71 Rdn. 191; / .
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und eigene
Anteile
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weiteres maßgeblich sein. Bei näherer Betrachtung ergeben sich allerdings Zweifel, ob die B A F i n mit ihrer Kurskorrektur tatsächlich richtig liegt. So lässt sich nicht ernstlich bestreiten, dass unter die Definition des A n w e n dungsbereichs in §§ 1, 2 W p Ü G dem W o r t l a u t nach auch Angebote auf eigene A k t i e n subsumiert werden können 7 5 . Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes steht dieser Auslegung nicht entgegen, sondern deutet eher in dieselbe Richtung 7 6 , auch w e n n sie letztlich keinen völlig klaren Aufschluss zu geben vermag. Z w a r hätte man, nachdem der Gesetzgeber des K o n T r a G noch ausdrücklich auf besondere Verfahrensregeln f ü r Erwerbsangebote auf eigene A k t i e n verzichtet hatte 7 7 , zumindest in der Gesetzesbegründung einen klarstellenden Hinweis e r w a r t e n können, dass dies künftig nicht mehr der Fall sein soll. Andererseits deuten der Umstand, dass während des Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich auf den E r w e r b eigener A k t i e n hingewiesen w u r d e 7 8 , sowie die Tatsache, dass auch die in der Regierungsbegründung häufig in Bezug genommenen ausländischen Vorbilder den E r w e r b eigener A k t i e n einbeziehen 7 9 , darauf hin, dass der Gesetzgeber die Frage der Anwendbarkeit auf Rückerwerbsangebote durchaus gesehen hat. D e m Vernehmen nach soll die Frage denn auch sowohl w ä h rend der Vorarbeiten im Bundesfinanzministerium als auch in der Endphase der parlamentarischen Beratungen des W p Ü G erörtert und von einer ausdrücklichen E r w ä h n u n g im Gesetz nur deshalb A b s t a n d genommen w o r d e n sein, weil man die A n w e n d b a r k e i t des W p Ü G f ü r selbstverständlich hielt 80 . Koch, NZG 2003, 61 ff.; M. Möller, Eigene Aktien, Rdn.252ff., 264; Noack, in: Schwark, KMRK, §§1,2 WpÜG Rdn. 4; Wersteegen, in: Kölner Komm. WpÜG, § 1 Rdn. 22. 75 Näher Baums/Stöcker, FS Wiedemann, S.703 (705), die aber trotz dieses Ausgangspunkts letztlich doch nur eine analoge Anwendung einzelner Vorschriften des WpÜG für möglich halten. Anders aber Berrar/Schnorbus, ZGR 2003, 59 (72 f.); dagegen mit Recht Wackerbarth, in: MünchKomm. AktG, § 2 WpÜG Rdn. 27. 76 Vgl auch Baums/Stöcker, FS Wiedemann, S.703 (706ff.); Lenz/Linke, AG 2002, 420 (421); Wackerbarth, in: MünchKomm. AktG, §2 WpÜG Rdn. 28; a.A.]. Koch, NZG 2003,61 (65) (Schweigen des Gesetzgeber „starkes Indiz" dafür, dass das WpÜG nicht anwendbar sei). 77 S. oben Fn. 19. 78 Vgl. Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2001,1003 (1003 re. Sp.): „Öffentliche Angebote der Gesellschaft zum Rückerwerb eigener Aktien fallen auch unter die in Abschnitt 3 geregelten einfachen Erwerbsangebote. Es ist allerdings fraglich, ob alle vorgesehenen Regelungen des Abschnitts 3 auch für diesen Angebotstyp passen. Jedenfalls die vorstehend genannten beschränkenden Vorschriften der §§ 17,18,23, 26 und 27 sind nicht angemessen." 79 Zur Rechtslage in den USA und im Vereinigten Königreich Baums/Stöcker, FS Wiedemann, S.703 (749ff.); Baums/Hecker, in: Baums/Thoma, WpÜG, §1 Rdn.l70ff.; in diesen Rechtsordnungen finden sich jeweils ausdrückliche Regelungen zu Angeboten auf eigene Aktien im Securities Exchange Act, den SEC-Regeln bzw. den Listing Rules. Zur Rechtslage in der Schweiz und Osterreich Fleischer/Körber, BB 2001, 2589 (2590 ff.); Baums/Hecker aaO., § 1 Rdn. 174 ff.; in diesen beiden Ländern ist die Frage wie in Deutschland nicht ausdrücklich geregelt, von den zuständigen Behörden aber von Anfang bejaht worden. 80 Vgl. Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 2 Rdn. 42; s. auch den Diskus-
490
5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
Bestätigt wird die Anwendbarkeit des WpÜG aber vor allem durch die teleologische Auslegung 81 . Als Ziele des WpÜG beschreibt die Begründung des Regierungsentwurfs, (1.) Leitlinien für ein faires und geordnetes Angebotsverfahren zu schaffen, (2.) Information und Transparenz für die betroffenen Wertpapierinhaber und Arbeitnehmer zu verbessern, (3.) die rechtliche Stellung von Minderheitsaktionären bei Unternehmensübernahmen zu stärken und (4.) sich an international üblichen Standards zu orientieren 82 . Von diesen vier Schutzzwecken ist allein der dritte nicht berührt, da der Erwerb eigener Aktien nicht zu einer Übernahme führt. Bei anderen einfachen Erwerbsangeboten ist dies aber ebenfalls nicht der Fall, dennoch erfasst das WpÜG auch solche Angebote. Die übrigen Ziele des Gesetzes treffen auf den Erwerb eigener Aktien ebenso zu wie auf sonstige Erwerbsangebote. Insbesondere ist den ersten beiden Zielen, wie dargelegt, nicht schon durch die Anwendung des § 53a AktG vollständig Rechnung getragen. Im Gegenteil ist das Bedürfnis nach Information und Transparenz bei Angeboten auf eigene Aktien wegen des ausgeprägten Informationsgefälles zwischen dem Vorstand der Gesellschaft und den Anlegern mitunter sogar größer als bei Erwerbsangeboten außenstehender Dritter 83 . Auch das vierte Ziel spricht für die Erfassung von Erwerbsangeboten eigener Aktien, beziehen doch diejenigen ausländischen Rechtsordnungen, die der deutsche Gesetzgeber als Regelungsvorbild vornehmlich vor Augen hatte, den Erwerb eigener Aktien ebenfalls mit ein 84 . Als gewichtiger Einwand gegen die Einbeziehung eigener Aktien verbleibt somit nur das systematische Argument, dass eine Reihe von Vorschriften des WpÜG eine Dualität von Bieter und Zielgesellschaft voraussetzt und deshalb auf Rückerwerbsangebote nicht angewendet werden kann (vgl. etwa §§ 10 Abs. 5,11 Abs. 2 Nr. 2,14 Abs. 4,20,27 WpÜG). Dieser Befund rechtfertigt indes keine pauschale Nicht-Anwendung des Gesetzes, sondern allenfalls eine teleologische Reduktion der betreffenden Vorschriften. Auch aus verfassungsrechtlichen Überlegungen ist hiergegen nichts zu erinnern 85 . sionsbericht der VGR-Tagung 2003 bei Verse, in: VGR Bd. 8 (2004), S. 105 (111 f.). Da dies in den Gesetzesmaterialien nicht dokumentiert ist, ergeben sich daraus freilich keine zwingenden Rückschlüsse. 81 Vgl. auch Fleischer/Körber, BB 2001, 2589 (2592 f.); Lenz/Linke, AG 2002, 420 (421 f.); Paefgen, ZIP 2002, 1509 (1514); Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 2 Rdn.44. 82 Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 28. 83 Fleischer/Körber, BB 2001,2589 (2593). 84 S. die Nachw. oben Fn. 79. 85 Der bisweilen erhobene Einwand, die Anwendung des WpÜG verstoße gegen den im Bereich der Eingriffsverwaltung zu beachtenden, aus dem Rechtstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten Vorbehalt des Gesetzes, da nicht hinreichend voraussehbar sei, welche Vorschriften des WpÜG auf den Rückerwerb Anwendung finden und welche nicht (so Baums/ Stöcker, FS Wiedemann, S.703 [714 ff.]; Baums/Hecker, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 1 Rdn. 118 f.; dagegen schon Lenz/Linke, AG 2002, 420 [422 f. Fn.25]; Pötzsch, in: Assmann/
§ 21 Gleichbehandlung
und eigene
Anteile
491
Auf einem anderen Blatt steht, wie man die Einbeziehung von Erwerbsangeboten auf eigene Aktien in den Anwendungsbereich des W p Ü G rechtspolitisch beurteilt. Insoweit mag man in der Tat fragen, ob trotz des grundsätzlich zu konstatierenden Regelungsbedürfnisses nicht in Teilbereichen eine Überregulierung stattgefunden hat 86 . Dies vermag aber nichts daran zu ändern, dass de lege lata mehr für die Anwendbarkeit des W p U G spricht. Dessen ungeachtet wäre eine Klarstellung durch den Gesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit wünschenswert. Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber die sich anlässlich der Umsetzung der Ü b e r n a h m e - R L 8 7 bietende Gelegenheit zu einer solchen Klarstellung ungenutzt verstreichen lassen 88 .
b) Verhältnis der übernahmerechtlichen zu § 53a AktG
Gleichbehandlungsgebote
Folgt man dem Vorstehenden, überschneiden sich bei Erwerbsangeboten börsennotierter Gesellschaften auf eigene Aktien die verschiedenen Gleichbehandlungsgebote des W p U G mit dem des § 53a A k t G . Dies wirft die Frage auf, wie das Konkurrenzverhältnis zwischen den verschiedenen Gleichbehandlungsgeboten zu beurteilen ist. Die Frage stellt sich vor allem in Bezug auf das in § 3 Abs. 1 W p Ü G verankerte allgemeine übernahmerechtliche Gleichbehandlungsgebot sowie die bereits erwähnte Vorschrift des § 19 W p Ü G über die Proratierung bei Überzeichnung des Angebots. Weitere spezielle übernahmerechtliche Gleichbehandlungsgebote, die im Rahmen des Rückerwerbs eigener Aktien relevant werden können, enthalten die §§ 21 Abs. 4, 22 Abs. 3 W p Ü G . Diese Vorschriften ermöglichen denjenigen Aktionären, die das Angebot bereits angenommen haben, den Rücktritt vom Vertrag, sofern während der Annahmefrist das Angebot verändert oder ein konkurrierendes Angebot eines anderen Bieters unterbreitet wird. Dadurch soll eine Schlechterstellung gegenüber denjenigen Aktionären verhindert werden, die das Angebot noch nicht angenommen haben. Pötzsch/Schneider, W p Ü G , § 2 Rdn. 47; Strunk/Behnke, in: V G R Bd. 8 (2004), S. 81 [95]), erscheint überzogen. Einzelne, im Übrigen keineswegs unüberwindbare Auslegungsschwierigkeiten begründen noch keinen Verstoß gegen das Rechtstaatsprinzip. In Osterreich, wo sich exakt dieselben Probleme stellen, hat der Verfassungsgerichtshof denn auch die Verfassungsmäßigkeit der Anwendung des Übernahmegesetzes auf Erwerbsangebote für eigene Aktien ausdrücklich bestätigt; vgl. österr. V f G H v. 12.12.2000, B 2010/99 (abrufbar unter www.takeover.at). 8 6 Etwa im Hinblick auf den Umfang der in die Angebotsunterlage aufzunehmenden Angaben (§ 11 W p Ü G , § 2 W p Ü G - A n g V O ) oder die langen Annahmefristen (nach § 16 Abs. 1 Satz 1 W p Ü G mindestens vier Wochen). 8 7 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25 E G des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz); in Kraft getreten am 14.7.2006. 8 8 Kritisch dazu auch Meyer, W M 2 0 0 6 , 1 1 3 5 (1136).
492
i. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
Wie das Konkurrenzverhältnis zwischen den Gleichbehandlungsgeboten des WpUG und § 53a AktG aufzulösen ist, wird im Schrifttum erst in Ansätzen diskutiert. Teils geht man dabei von einer kumulativen Anwendung aus 89 . Zumindest in Bezug auf die Repartierungsregel des § 19 WpUG wird aber auch vielfach angenommen, dass § 53a AktG der Vorrang gebühre und in seinem Anwendungsbereich § 19 WpUG verdränge 90 . Andere Stimmen im Schrifttum 9 1 befürworten dagegen die Anwendung des § 19 WpÜG 9 2 . In der Tat mag es auf den ersten Blick inkonsequent erscheinen, dass ausgerechnet diese Vorschrift durch § 53a AktG verdrängt werden soll. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass das Konkurrenzverhältnis tatsächlich differenziert zu beurteilen ist. aa) Was zunächst die Regelungen der §§ 3 Abs. 1, 21 Abs. 4, 22 Abs. 3 WpÜG anbetrifft, so handelt es sich um Vorschriften, die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des § 53a AktG nicht in Konflikt geraten, sondern ungestört neben diesem zur Anwendung kommen können und deshalb in der Tat kumulativ anzuwenden sind. Jene Vorschriften stellen lediglich zusätzliche Verhaltensregeln auf, welche die Anforderungen an die Gleichbehandlung verschärfen oder ergänzende Regelungen treffen, um die Gleichbehandlung zu gewährleisten. Besonders deutlich wird dies anhand des allgemeinen übernahmerechtlichen Gleichbehandlungsgebots (§3 Abs. 1 WpUG). Die wohl h.L. versteht diese Vorschrift dahin, dass sie ein verschärftes, absolutes Gleichbehandlungsgebot anordnet, das selbst dann nicht durchbrochen werden kann, wenn sich für die Ungleichbehandlung eine sachliche Rechtfertigung finden lässt 93 . Legt man 89 Paefgen, ZIP 2002, 1509 (1517ff.); Wackerbarth, in: MünchKomm. AktG, §3 WpÜG Rdn. 7 mit Fn. 10; in Bezug auf §§21 Abs. 4, 22 Abs. 3 WpÜG auch Oecbsler, NZG 2001, 817 (819). 90 Baum, ZHR 167 (2003), 580 (607); Diekmann/Merkner, ZIP 2004, 836 (840 f.); Fleischer/Körber, BB 2001, 2589 (2593); Oechsler, NZG 2001, 817 (819); ders., in: MünchKomm. AktG, §71 Rdn. 202a; ders., in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, §2 Rdn. 6; Thoma, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 19 Rdn. 32; Lüken, Eigene Aktien, S. 262. 91 Paefgen, ZIP 2002, 1509 (1517); Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, §2 Rdn. 63; Strunz/Behnke, in: VGR, Bd. 8 (2004), S. 82 (96); Wackerbarth, in: MünchKomm. AktG, §2 WpÜG Rdn. 39. 92 Ebenso die BAFin in ihrer ursprünglichen, die Anwendbarkeit des WpÜG auf Erwerbsangebote für eigene Aktien bejahenden Verwaltungspraxis. In den seinerzeit von der BAFin gestatteten Angebotsunterlagen für den Erwerb eigener Aktien ist stets eine Zuteilung nach § 19 WpÜG vorgesehen; vgl. Angebotsunterlagen der Axel Springer AG vom 9.10.2003, S. 13, der Spütz AG vom 14.11.2003, S. 11 f., der edding AG vom 15.11.2004, S. 12, und der Grundstücks- und Baugesellschaft AG vom 18.1.2005, S. 17 (jeweils abrufbar unter www.bafin.de). Vgl. aber auch die Angebotsunterlage der Beiersdorf AG vom 22.12.2003, S. 11 f., 15: Dort wird zwar formal (auch) auf § 19 WpÜG abgestellt. Tatsächlich sollen dann aber doch bei der Zuteilung nicht nur die Aktien berücksichtigt werden, für die das Angebot angenommen wurde, sondern auch weitere Aktien, sofern diese zur Berücksichtigung im Rahmen der Zuteilung angemeldet worden sind. Im Ergebnis gelangt man so doch wieder zu einer Zuteilung nach Beteiligungsquoten (§ 53a AktG); s. dazu schon oben bei Fn. 49. 93 Vgl. Baums/Hecker, in: Baums/Thoma, WpÜG, §3 Rdn. 11; Paefgen, ZIP 2002, 1509
5 21 Gleichbehandlung
und eigene
Anteile
493
diese Sichtweise zugrunde, sind beispielsweise unterschiedliche Annahmefristen für institutionelle und private Anleger durch § 3 Abs. 1 WpÜG kategorisch verboten, ohne dass es auf die im Rahmen des § 53a A k t G anzustellende Prüfung der sachlichen Rechtfertigung ankäme 94 . § 3 Abs. 1 WpÜG führt also dazu, dass die Anforderungen des § 53a A k t G noch verschärft werden. Ein Widerspruch zu § 53a A k t G besteht darin nicht, da der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht besagt, dass Ungleichbehandlungen, die sich sachlich rechtfertigen lassen und deshalb nach § 53a A k t G (noch) zulässig sind, nicht durch andere Vorschriften untersagt werden dürften. Vielmehr werden Sinn und Zweck des § 53a A k t G durch die kumulative Anwendung des § 3 Abs. 1 WpÜG auf Erwerbsangebote für eigene Aktien in keiner Weise beeinträchtigt. Ebenso wenig spricht gegen die Anwendung der §§21 Abs. 4, 22 Abs. 3 WpÜG neben § 53a AktG. Zwar wäre eine Schlechterstellung derjenigen Aktionäre, die das Angebot bereits angenommen haben, zumindest in dem in §21 Abs. 4 WpÜG geregelten Fall (nachträgliche Änderung des Angebots durch den Bieter, hier also die Gesellschaft) bereits nach § 53a A k t G unzulässig 95 . Es steht aber nichts entgegen, diesen Schutz durch zusätzliche Anwendung der Spezialregeln des WpÜG noch zu verstärken. bb) Anders verhält es sich dagegen bei der Konkurrenzfrage zwischen § 53a A k t G und § 19 WpÜG. Gleichbehandlungsmaßstab im Rahmen des § 53a A k t G ist - wie dargelegt - der Umfang der Kapitalbeteiligung 96 . Nach § 19 WpÜG ist dagegen bei Überzeichnung des Angebots nach dem Verhältnis der Anzahl der Aktien zuzuteilen, für die Annahmeerklärungen abgegeben worden sind 97 . § 19 WpÜG lässt sich deshalb nicht als bloße Ergänzung oder Konkretisierung des § 53a A k t G ansehen 98 , sondern beide Vorschriften sehen einander widersprechende Rechtsfolgen vor. Eine kumulative Anwendung beider Vorschriften kommt nicht in Betracht, da das, was dem Gleichbehandlungsmaßstab des § 53a A k t G entspricht, nach § 19 WpÜG unzulässig ist. Anders als in den unter lit. aa behandelten Fällen muss sich der Rechtsanwender hier also für eine der beiden Vorschriften entscheiden. In Übereinstimmung mit der sich im Schrifttum abzeichnenden h.L. ist diese Frage dahin zu entscheiden, dass § 53a A k t G der Vorrang zukommt 99 . Auf den ersten Blick mag es zwar nahe liegen, den Wider(1517); Steinmeyer/Häger, WpÜG, §3 Rdn. 7; Versteegen, in: Kölner Komm. WpÜG, §3 Rdn. 14; anders aber (Ungleichbehandlung bei sachlicher Rechtfertigung zulässig) Noack, in: Schwark, K M R K , § 3 WpÜG Rdn. 7; Schuppen, in: Frankfurter Komm. WpÜG, § 3 Rdn. 6. 94 Versteegen, in: Kölner Komm. WpÜG, § 3 Rdn. 14. 9 5 S. oben Ziff. l b a . E . 96 S. oben Ziff. 1 c aa. 97 Vgl. zu dieser Auslegung des § 19 WpÜG Hasselbach, in: Kölner Komm. WpÜG, § 19 Rdn. 15 ff.; Thoma, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 19 Rdn. 19; Wackerbarth, in: MünchKomm. AktG, §19 WpÜG Rdn. 31. 98 So aber Wackerbarth, in: MünchKomm. AktG, § 2 WpÜG Rdn. 39. 9 9 S.dieNachw. inFn. 90.
494
5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
spruch nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori" zugunsten des § 19 WpUG aufzulösen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Anwendbarkeit des § 53a AktG in § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG eigens angeordnet wird; dabei handelt es sich um eine gerade auf eigene Aktien zugeschnittene und damit speziellere Regelung. Ferner droht die Gegenauffassung mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 42 Kapital-RL) in Konflikt zu geraten, da auch nach Gemeinschaftsrecht grundsätzlich auf den Maßstab der Kapitalbeteiligung abzustellen ist. Wie dargelegt stößt die Zuteilung nach Beteiligungsquoten bei börsennotierten Gesellschaften auch nicht auf unüberwindbare praktische Schwierigkeiten 100 , mag sie auch einen gewissen Zusatzaufwand mit sich bringen. Sofern die Hauptversammlungsermächtigung zum Erwerb eigener Aktien nichts Abweichendes vorsieht, kommt also der Maßstab der Beteiligungsquoten zur Anwendung. Nach dem Gesagten kann aber die Hauptversammlung unter bestimmten Voraussetzungen beschließen, hiervon abzuweichen und eine Zuteilung nach § 19 WpUG vorzunehmen 101 .
c)
Sonderkonstellationen
Die Einzelheiten des Angebotsverfahrens nach dem WpUG müssen im Rahmen dieser auf Gleichbehandlungsfragen konzentrierten Untersuchung nicht weiter ausgebreitet werden. Nicht unerwähnt bleiben soll aber, dass gegen die im Rahmen des § 53a AktG unbedenkliche 102 - Unterbreitung von Preisspannenangeboten (Dutch auction) im Anwendungsbereich des WpUG überwiegend Bedenken erhoben werden 103 . Sofern in diesem Zusammenhang ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 WpUG angeführt wird 104 , leuchtet dies allerdings nicht ein, da alle Aktionäre im Rahmen der Versteigerung gleiche Verkaufschancen haben 105 . Auch ein Verstoß gegen die Zuteilung nach § 19 WpUG ist nicht erkennbar 106 : Zum einen fehlt es schon am Tatbestand der Überzeichnung des Angebots 107 , zum anderen wird § 19 WpUG bei Erwerbsangeboten auf eigene Aktien ohnehin durch § 53a AktG verdrängt. Ferner führt auch die Verpflich100 So aber Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpUG, § 2 Rdn. 63; dagegen schon oben Ziff. 1 c aa. 101 S. oben Ziff. 1 c cc. 102 S. oben Ziff. I b . 103 Vgl. Baum, Z H R 167 (2003), 580 (605 f.);/. Koch, N Z G 2003,61 (63); M. Möller, Eigene Aktien, Rdn. 245; Oechsler, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpUG, §17 Rdn. 3; Thoma, in: Baums/Thoma, WpÜG, §17 Rdn. 4; Wackerbarth, in: MünchKomm. AktG, §19 WpÜG Rdn. 46; für Zulässigkeit aber Paefgen, ZIP 2002,1509 (1519). 104 Vgl. Oechsler, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 17 Rdn. 3. 105 Zutr. Paefgen, ZIP 2002,1509 (1519). 106 Anders Wackerbarth, in: MünchKomm. AktG, § 19 WpÜG Rdn.46. 107 Paefgen, ZIP 2002,1509 (1519).
§ 21 Gleichbehandlung
und eigene
Anteile
495
tung zu Angaben über die Gegenleistung in der Angebotsunterlage (§11 Abs. 2 Nr. 4 WpÜG, § 2 Nr. 3 WpÜG-AngVO) nicht dazu, dass zwingend eine fixe Gegenleistung bestimmt werden müsste 108 . Bedenken können somit allenfalls mit Blick auf § 17 WpÜG bestehen, wonach der Bieter ein verbindliches Angebot und nicht bloß eine invitatio ad offerendum abgeben muss 109 . Auch ein Preisspannenangebot lässt sich aber durchaus als echtes Angebot im Sinne des § 145 B G B ausgestalten, wenn es so strukturiert wird, dass sich die Gesellschaft bereits mit Unterbreitung des Angebots verbindlich zum Erwerb des gewünschten Aktienkontingents nach dem Prinzip des besten Gebots verpflichtet 110 . Wird dies beachtet, bestehen gegen Preisspannenangebote auch unter Geltung des WpÜG richtigerweise keine durchgreifenden Bedenken 111 . Als zulässig ist des Weiteren auch unter Berücksichtigung des WpÜG die Unterbreitung eines Angebots anzusehen, das die Aktionäre nur für so viele Aktien annehmen dürfen, wie es dem Verhältnis ihrer Kapitalbeteiligung entspricht (quotales Angebot; oben Ziff. 1 d). § 19 WpÜG steht einem solchen Angebot aus den bereits erwähnten Gründen nicht entgegen: Erstens tritt auch in diesem Fall von vornherein keine Überzeichnung ein, und zweitens wird der Verteilungsmaßstab des § 19 WpÜG auch insoweit durch den des § 53a A k t G verdrängt.
III. Pakethandel 1. Grundlagen Neben Erwerb und Veräußerung über die Börse und der Unterbreitung eines öffentlichen Angebots kommt als dritte Vorgehensweise der Erwerb bzw. die Veräußerung größerer Aktienpakete im Rahmen individuell ausgehandelter Vereinbarungen in Betracht (Pakethandel). Unter Gleichbehandlungsaspekten ist diese Erwerbs- bzw. Veräußerungsmethode offensichtlich besonders proble108 So aber J. Koch, N Z G 2003, 61 (63); M. Möller, Eigene Aktien, Rdn. 245. Für Zulässigkeit variabler Gegenleistungen dagegen Thoma, in: Baums/Thoma, WpÜG, §11 Rdn. 47; Kremer/Oesterhaus, in: Kölner Komm. WpÜG, §31 Rdn. 18; Thun, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, §31 Rdn. 8. 109 Für Unzulässigkeit der Dutch auction wegen Verstoßes gegen § 17 WpÜG etwa Baum, Z H R 167 (2003), 580 (605 f.);/. Koch, N Z G 2003, 61 (63 Fn.33); Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, §2 Rdn.61; Wackerbarth, in: MünchKomm. AktG, §19 WpÜG Rdn. 46; grundsätzlich auch Oecbsler, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, §17 Rdn. 3; Thoma, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 17 Rdn. 4; 110 Zutr. Paefgen, ZIP 2002,1509 (1519). Einschränkend verlangen Oechsler, in: Ehricke/ Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 17 Rdn. 3, und Thoma, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 17 Rdn. 4, dass eine feste Preisuntergrenze vorgegeben sein muss. Dies ist bei der Dutch auction aber der Fall, da ein Preisrahmen angegeben wird. 111 Paefgen, Z I P 2002,1509 (1519).
496
5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
matisch. Im Schrifttum wird bisweilen sogar die Auffassung vertreten, dass ein selektiver Erwerb eigener Aktien von einzelnen Aktionären wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz rundweg unzulässig sei112. Für eine derart strikte Auslegung, die den Gleichbehandlungsgrundsatz verabsolutiert und anders als sonst die Möglichkeit der sachlichen Rechtfertigung ausschließt, fehlt indes jeglicher Anhaltspunkt 113 . Im Gegenteil führt die Regierungsbegründung des KonTraG selbst aus, dass bei geschlossenen Gesellschaften Aktienrückkäufe u.a. dann sinnvoll seien, wenn es darum gehe, „einvernehmlich die Anteile ausscheidenswilliger Aktionäre zu übernehmen oder Patt-Situationen im Anteilseignerkreis der verschiedenen Stämme aufzulösen." 114 Diese Möglichkeit setzt ersichtlich die Zulässigkeit eines nur an den ausscheidenden Aktionär gerichteten Rückkaufangebots voraus, sofern eine hinreichende sachliche Rechtfertigung vorliegt. Auch wenn sich die betreffende Bemerkung in den Gesetzesmaterialien nur auf geschlossene Gesellschaften bezieht, ist kein Grund ersichtlich, bei börsennotierten Gesellschaften anders zu entscheiden. Entsprechendes gilt für die Veräußerung an einzelne Aktionäre. Hier sieht das Gesetz Abweichungen von einer gleichmäßigen Zuteilung in § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG sogar ausdrücklich vor, so dass es keinem Zweifel unterliegt, dass der Paketverkauf an einzelne Aktionäre bei Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung zulässig ist. Allerdings sind zusätzlich die in § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG in Bezug genommenen Voraussetzungen des Bezugsrechtsausschlusses zu beachten, namentlich das qualifizierte Mehrheitserfordernis und die Berichtspflicht (§ 186 Abs. 3, Abs. 4 AktG) 115 . 2. Anwendungsbereich/Betroffenheit
als
Gesellschafter
Nicht jede Veräußerung eigener Aktien im Wege des Paketverkaufs ist am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen. Vielmehr gilt insoweit dasselbe wie oben zur Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss dargelegt 116 : Die Ver112 O. Peltzer, W M 1998,322 (329); Kröner/Hadzic, DB 1998,2133 (2135); Markwardt, BB 2002,1108 (1110 mit Fn. 16); offenbar auch Ihrig, FS Ulmer, S. 829 (835, 836 f.); mit Ausnahme allseits konsentierter Ungleichbehandlungen auch M. Möller, Eigene Aktien, Rdn.267ff.; zum österreichischen Recht Nowotny, FS Lutter, S. 1513 (1519 f.). 113 Wie hier die h.L.; vgl. Oechsler, in: MünchKomm. AktG, § 71 Rdn. 205; Paefgen, ZIP 2002, 1509 (1510 Ii. Sp., 1511); T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 143 f.; Benckendorff, Eigene Aktien, S.245; Bosse, NZG 2000, 16ff.; Kindl, DStR 1999, 1276 (1279); Lüken, Eigene Aktien, S. 168; Wastl, DB 1997,461 (463); ders., NZG 2000, 505 (508 f.); beiläufig auch Habersack, ZIP 2004,1121 (1126). Auch U. Huber, FS Kropff, S. 101 (116), der häufig für die Gegenauffassung zitiert wird, stellt die Möglichkeit der sachlichen Rechtfertigung nicht generell in Abrede. 114 Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 14 Ii. Sp. 115 Auf den selektiven Erwerb eigener Aktien sind diese Vorschriften dagegen nicht analog anwendbar; Str., s. oben Ziff. II 1 c bb bei Fn. 60. 116 S.oben §201.
5 21 Gleichbehandlung
und eigene Anteile
497
äußerung an außenstehende D r i t t e , aber auch an A k t i o n ä r e , deren A k t i o n ä r s stellung lediglich einen zufälligen Begleitumstand bildet, unterfällt danach regelmäßig 1 1 7 nicht dem Anwendungsbereich satzes 1 1 8 . Was den Erwerb
des
Gleichbehandlungsgrund-
eigener A k t i e n anbetrifft, ist dagegen ein innerer
Z u s a m m e n h a n g mit der Aktionärseigenschaft stets zu bejahen, da A k t i e n - sieht m a n v o m Sonderfall des gutgläubigen E r w e r b s ab - nur von A k t i o n ä r e n erworben werden k ö n n e n .
3.
Ungleichbehandlung
A u c h in B e z u g auf das Vorliegen einer Ungleichbehandlung k a n n f ü r die äußerung
Ver-
eigener A k t i e n an das z u m Bezugsrechtsausschluss G e s a g t e ange-
knüpft werden 1 1 9 . A u c h hier sind also die beschriebenen Zurechnungsregeln anzuwenden, w e n n die A k t i e n an D r i t t e veräußert werden, die einem A k t i o n ä r nahe stehen. Ferner ist w i e d e r u m zu bedenken, dass auch materielle Ungleichbehandlungen erfasst werden und damit auch Aktienveräußerungen an außenstehende D r i t t e einer Inhaltskontrolle am M a ß s t a b des Gleichbehandlungsgrundsatzes unterliegen, sofern infolge der Veräußerung der A k t i e n die Beteiligung einzelner A k t i o n ä r e unter rechtliche relevante Schwellenwerte absinkt. Zu einem solchen A b s i n k e n k a n n es k o m m e n , weil bei der B e r e c h n u n g einzelner Schwellenwerte des A k t G eigene A k t i e n v o m G r u n d k a p i t a l abzusetzen sind (vgl. etwa § 3 2 0 Abs. 1 Satz 2, §§ 327a A b s . 2 , 1 6 A b s . 2 Satz 2 A k t G ) , während sie nach ihrer Veräußerung wieder m i t z u z ä h l e n sind. W i e b e i m Bezugsrechtsausschluss sind auch bei der Veräußerung eigener A k t i e n im Wege des Paketverkaufs ggf. die Erleichterungen des § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G zu beachten (vgl. § 71 A b s . 1 N r . 8 Satz 5 A k t G ) 1 2 0 . N a c h den z u m Bezugsrechtsausschluss getroffenen Feststellungen 1 2 1 hat dies zur Folge, dass die Platzierung eines Aktienpakets bei einem neuen Investor unter E i n h a l t u n g der Kautelen des § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G ausnahmsweise auch dann nicht vor 117 Anders liegt es nur dann, wenn durch die Abgabe der eigenen Aktien einzelne Gesellschafter einen Sondernachteil erleiden, indem ihre Beteiligungsquote unter einen rechtlich relevanten Schwellenwert absinkt; s. sogleich unter Ziff. 3. 118 Auch bei der Veräußerung an Dritte bleibt aber die Verweisung des §71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG auf §186 Abs. 3, Abs. 4 AktG zu beachten; vgl. Begr. RegE KonTraG, BTDrucks. 13/9712, S. 14 Ii. Sp.; näher T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 152 ff. Es bedarf also der Erstattung eines Vorstandsberichts und eines Beschlusses mit qualifizierter Mehrheit. Eine besondere sachliche Rechtfertigung nach der Lehre vom sachlichen Grund ist nach der hier vertretenen Auffassung dagegen ebenso entbehrlich wie bei einem gleichmäßigen Bezugsrechtsausschluss; a.A. die h.M., vgl. etwa Habersack, ZIP 2004, 1121 (1126); Johannsen-Roth, Eigene Aktien, S. 202. 119 S. oben §20 II. 120 Vgl. Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 14 Ii. Sp.; ausführlich dazu Reichert/ Harbarth, ZIP 2001,1441 (1442 ff.). 121 S. oben §20 II 2.
498
5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu rechtfertigen ist, wenn sie dazu führt, dass einzelne Altaktionäre unter rechtlich relevante Schwellenwerte absinken. Das Vorliegen einer rechtfertigungsbedürftigen materiellen Ungleichbehandlung ist insoweit ausgeschlossen, da das Gesetz davon ausgeht, dass die betreffenden Aktionäre die ihnen drohende Beeinträchtigung durch Zukauf über die Börse abwenden können. Dagegen sind formale Ungleichbehandlungen nicht durch § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G gedeckt 122 . Die Veräußerung eines Aktienpakets nur an den Großaktionär bleibt daher auch dann rechtfertigungsbedürftig, wenn der Kaufpreis den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet. Folgt man dem Ausgangspunkt, dass § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G keine formale Ungleichbehandlung deckt, kann eine analoge Anwendung der Vorschrift auf den spiegelbildlichen Fall des Erwerbs eigener Aktien nicht in Betracht kommen. Sofern Aktien nur von einzelnen Aktionären zurückerworben werden, liegt nämlich stets eine formale Ungleichbehandlung vor 123 . Ein solches Vorgehen bedarf also auch dann einer sachlichen Rechtfertigung, wenn der Kaufpreis den Börsenpreis nur unwesentlich überschreitet.
4. Sachliche Rechtfertigung Die Rechtsprechung bietet bislang kein Anschauungsmaterial, wann Pakettransaktionen in eigenen Aktien als sachlich gerechtfertigt anzusehen sind. Was die Veräußerung eigener Aktien betrifft, lässt sich aber wiederum auf das zum Bezugsrechtsausschluss Gesagte zurückgreifen 124 . Eine selektive Veräußerung eigener Aktien wird danach vornehmlich dann in Betracht kommen, wenn die Aktien als Akquisitionswährung zum Erwerb von Gegenständen eingesetzt werden, die der Gesellschaft nur der betreffende Aktionär verschaffen kann. Als praktisch wichtigstes Beispiel ist dabei an den Erwerb von Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen zu denken. Besteht die Gegenleistung dagegen in Geld, lässt sich eine Veräußerung nur an einzelne Aktionäre regelmäßig ebenso wenig rechtfertigen wie ein selektiver Bezugsrechtsausschluss bei der Barkapitalerhöhung. In Bezug auf den Erwerb eigener Aktien f ü h r t die Regierungsbegründung des KonTraG die bereits genannten Beispiele der Bewältigung eines Generationswechsels und die Auflösung von Patt-Situationen in geschlossenen Gesellschaften an 125 . Als weiteres Beispiel wird im Schrifttum die Bereinigung des Gesellschafterkreises um einen unliebsamen Aktionär oder eine inhomogene Aktionärsgruppe angeführt 1 2 6 ; in der Tat mag dies im Einzelfall im Gesell122
S. oben §20 II 2. Lüken, Eigene Aktien, S. 168. 124 S. oben §20 III. 125 Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 14 Ii. Sp.; zustimmend Oechsler, in: M ü n c h K o m m . A k t G , § 71 Rdn. 206. 126 Vgl. Kiem, Z I P 2000, 209 (214); abweichend Lüken, Eigene Aktien, S. 169; M. Möller, Eigene Aktien, Rdn. 269. 123
5 21 Gleichbehandlung
und eigene
Anteile
499
schaftsinteresse liegen und eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Selektive Aktienrückkäufe in Fällen des aus den USA bekannten sog. greenmailing127 werden dagegen regelmäßig nicht sachlich zu rechtfertigen sein 128 . Dabei geht es um Fälle, in denen Aktionäre drohen, ihre Aktienpakete an einen (feindlichen) Übernehmer zu verkaufen oder selbst einen Übernahmeversuch einzuleiten, wenn die Gesellschaft nicht bereit ist, das Paket zu einem bestimmten Preis zu übernehmen. Die Problematik wird bei börsennotierten Gesellschaften nunmehr durch die Neutralitätspflicht des § 33 Abs. 1 Satz 1 W p Ü G überlagert, die einen selektiven Aktienrückkauf zur Vereitelung eines öffentlichen Übernahmeangebots nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots untersagt. Aber auch dort, wo diese Vorschrift nicht zur Anwendung kommt und es allein auf § 53a A k t G ankommt - etwa im Vorfeld der Ankündigung des Angebots, bei einer der weitreichenden Durchbrechungen der Neutralitätspflicht (insbes. § 33 Abs. 1 Satz 2, 3. Var., Abs. 2 WpÜG) oder generell bei nichtbörsennotierten Gesellschaften - , ist zu bedenken, dass die Abwehr einer Übernahme nicht per se im Gesellschaftsinteresse liegt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dies vielmehr nur der Fall, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Gewinnerzielung der Gesellschaft beeinträchtigt würde, z.B. weil der potenzielle Erwerber bereits bei anderen Gesellschaften gezeigt hat, dass ihn die Sicherungen der §§311 ff. A k t G nicht davon abhalten, eine Ausplünderung der Gesellschaft zu betreiben, oder weil in erheblichem Umfang nachteilige passive Konzerneffekte zu befürchten sind, die nicht nach §311 A k t G auszugleichen sind und nicht durch vorteilhafte Konzerneffekte aufgewogen werden 129 . Selbst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, darf der Kaufpreis - wie in allen Fällen des Rückerwerbs - die Grenzen des Angemessenen nicht überschreiten (§ 57 AktG), so dass eine Prämie auf den Börsenkurs allenfalls in Maßen zulässig ist. Spielraum für eine Praxis des greenmailing besteht daher allenfalls in sehr eng gesteckten Grenzen. Auch die bloße Ersparnis der Abwicklungskosten eines öffentlichen Rückerwerbsangebots kann als sachliche Rechtfertigung nicht genügen, da andernfalls der Gleichbehandlungsgrundsatz weitestgehend leerliefe130. Dies gilt auch dann, wenn der Erwerb über die Börse unter den konkreten Gegebenheiten keine sachgerechte Alternative darstellt, und auch eingedenk der Tatsache, dass das bei börsennotierten Gesellschaften einzuhaltende WpUG-Angebots verfahren durchaus kostspielig ist. Das Bild ändert sich erst dann, wenn der selektive Rückerwerb auch unabhängig von den ersparten Abwicklungskosten für die Gesellschaft 127
Von greenback = Dollar und blackmail = Erpressung. Zurückhaltend auch U. Huber, FS Kropff, S. 101 (107); Oechsler, in: M ü n c h K o m m . A k t G , §71 Rdn.207; Johannsen-Roth, Eigene Aktien, S. 193 f.; großzügiger dagegen Wastl, D B 1997, 461 (463 Fn. 32); ders., N Z G 2000, 505 (509). 129 N ä h e r oben §12 II l d c c . 130 S. bereits oben §12 IV 4 c a a . 128
500
5. Kapitel:
Anwendung und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
günstigere Konditionen verspricht als gleichmäßige Rückerwerbsarten 1 3 1 . Dieser Fall wird indes kaum praktisch werden, da Paketaktionäre in aller Regel nicht bereit sein werden, ihre Aktien zu einem niedrigeren Preis anzubieten als andere Aktionäre; im Gegenteil werden sie häufig einen Paketzuschlag verlangen. D i e sachliche R e c h t f e r t i g u n g ist nach allgemeinen Regeln entbehrlich, w e n n die benachteiligten Gesellschafter ihre Z u s t i m m u n g erteilen. H i e r f ü r bedarf es nach der hier vertretenen Auffassung nicht notwendig der Z u s t i m m u n g jedes einzelnen benachteiligten A k t i o n ä r s . V i e l m e h r genügt es, wenn die M e h r h e i t der benachteiligten A k t i o n ä r e in gesonderter A b s t i m m u n g f ü r die U n g l e i c h b e handlung votiert 1 3 2 . D a s Mehrheitserfordernis f ü r den Gleichbehandlungsverzicht richtet sich dabei nach dem jeweiligen Beschlussgegenstand. D a die selektive Veräußerung
eigener A k t i e n mit einem Ausschluss des E r w e r b s r e c h t s der
übrigen A k t i o n ä r e verbunden ist und für diesen ein qualifiziertes Mehrheitserfordernis gilt ( § § 7 1 A b s . 1 N r . 8 Satz 5, 186 A b s . 3 Satz 2 A k t G ) , b e d a r f der Gleichbehandlungsverzicht insoweit also einer Kapitalmehrheit von drei V i e r teln der benachteiligten A k t i o n ä r e . F ü r den Gleichbehandlungsverzicht im R a h m e n des Erwerbs
eigener A k t i e n genügt dagegen die Z u s t i m m u n g der ein-
fachen Mehrheit der benachteiligten A k t i o n ä r e , da der damit verbundene A u s schluss des Andienungsrechts nach zutreffender Auffassung ebenfalls keine qualifizierte Mehrheit voraussetzt 1 3 3 .
IV. Sonderkonstellationen 1. Mehrere
Aktiengattungen
Besondere Gleichbehandlungsfragen ergeben sich im R a h m e n von A k t i e n r ü c k k a u f p r o g r a m m e n von Gesellschaften, die über mehrere A k t i e n g a t t u n g e n verfügen. H i e r stellt sich insbesondere die Frage, unter welchen Voraussetzungen der R ü c k e r w e r b auf eine einzelne G a t t u n g , namentlich auf V o r z u g s a k t i e n , bes c h r ä n k t werden k a n n . Solche R ü c k k a u f p r o g r a m m e nur f ü r V o r z u g s a k t i e n b e gegnen in den letzten J a h r e n relativ häufig, ebenso wie alternative G e s t a l t u n g e n , die gleichfalls auf eine R e d u z i e r u n g oder gar gänzliche A b s c h a f f u n g von V o r zugsaktien zielen 1 3 4 . D i e G r ü n d e hierfür sind vielfältig 1 3 5 : Sie reichen von der in 131 Eine Kostenersparnis der AG als möglichen Rechtfertigungsgrund anerkennen auch Benckendorff, Eigene Aktien, S. 246, und Oechsler, in: MünchKomm. AktG, § 71 Rdn. 206. 132 Näher oben §141 3 c. 133 Str., s. die Nachw. in Fn. 60. 134 Zu denken ist insbesondere an die (freiwillige oder erzwungene) Umwandlung der Vorzugs- in Stammaktien oder an die Einziehung der Vorzugsaktien. Näher zu den unterschiedlichen Gestaltungsvarianten Wirth/Arnold, ZGR 2002, 859 ff.; Pellens/Hildebrandt, AG 2001,533 (534 f.); Senger/Vogelmann, AG 2002,192 (192f.). 135 Näher dazu etwa Pellens/Hillebrandt, AG 2001, 57 ff., Wirth/Arnold, ZGR 2002, 859
§ 21 Gleicbbehandlung
und eigene Anteile
501
vielen Fällen unbefriedigenden K u r s e n t w i c k l u n g der (stimmrechtslosen) V o r zugsaktien 1 3 6 über die geringere Liquidität des Kapitalmarkts und den rechtlichen M e h r a u f w a n d , der mit der E x i s t e n z verschiedener A k t i e n g a t t u n g e n verbunden ist, bis hin zu dem für börsennotierte Gesellschaften bedeutsamen U m stand, dass die A k t i e n i n d i z e s der F r a n k f u r t e r Wertpapierbörse seit 2 0 0 2 nur n o c h eine A k t i e n g a t t u n g pro Gesellschaft berücksichtigen 1 3 7 . Unter Gleichbehandlungsaspekten werfen auf Vorzugsaktien
beschränkte
Rückkaufprogramme Fragen auf zwei verschiedenen Ebenen auf: z u m ersten im Verhältnis der Vorzugsaktionäre untereinander, z u m zweiten im Verhältnis zwischen Stammaktionären einerseits und Vorzugsaktionären andererseits. F ü r die erste Ebene gelten die oben Ziff. I - I I I dargelegten Ausführungen entsprechend; auch hier k o m m e n zur Wahrung der Gleichbehandlung primär der Rückerwerb über die Börse oder ein öffentliches Erwerbsangebot in Betracht. N e u sind dagegen die Fragen, die sich auf der zweiten Ebene stellen. Insoweit ist zunächst noch einmal in E r i n n e r u n g zu rufen, dass entgegen bisweilen anzutreffenden F o r m u lierungen in Rechtsprechung und S c h r i f t t u m der Gleichbehandlungsgrundsatz auch zwischen verschiedenen Anteilsgattungen, also gattungsübergreifend, zu beachten ist 1 3 8 . Beherzigt man dies, lässt sich nicht leugnen, dass ein nur an die Vorzugsaktionäre gerichtetes A k t i e n r ü c k k a u f p r o g r a m m eine vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu rechtfertigende Ungleichbehandlung zu Lasten der Stammaktionäre darstellt. Dies gilt erst recht, wenn - wie im R a h m e n eines öffentlichen Rückkaufangebots üblich - den Vorzugsaktionären eine beträchtliche Prämie auf den Börsenkurs angeboten wird. Stellt man die genannten G r ü n d e für den R ü c k k a u f der Vorzugsaktien in Rechnung, wird sich jedoch in aller Regel eine hinreichende sachliche Rechtfertigung für dieses Vorgehen bejahen lassen 1 3 9 . W e n n bereits der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung so gefasst war, dass er ausdrücklich auch den selektiven R ü c k e r w e r b der Vorzugsaktien zu (861 f.); Volhard, in: MünchKomm. AktG, § 139 Rdn. 4; vgl. auch O L G Köln ZIP 2001, 2049 (2051). 136 Diese notieren trotz des Dividendenvorzugs häufig weit unter den Stammaktien; vgl. Pellens/Hillebrandt, AG 2001, 57 (58): durchschnittlicher Abschlag von 26 %. 137 Vgl. Ziff. 1.8 des Leitfadens zu den Aktienindizes der Deutschen Börse, Version 5.12 (Juli 2006). Eine Aufspaltung in zwei Aktiengattungen kann deshalb den nachteiligen Effekt haben, dass die Gesellschaft die für die Aufnahme in den Index erforderlichen Größenkriterien verfehlt und indexorientierte Fonds die Aktien dieser Gesellschaft weniger nachfragen. 138 S. oben § 9 II 1. 139 Vgl. zum Parallelfall einer (freiwilligen) Umwandlung von Vorzugs- in Stammaktien unter Gewährung einer Umtauschprämie O L G Köln ZIP 2001, 2049 (2051), wo zutreffend auch der den Gesellschaftsorganen zukommende Beurteilungsspielraum bei der Ermittlung des Gesellschaftsinteresses betont wird. Wie hier auch Wirth/Arnold, ZGR 2002, 859 (863, 865); a.A. offenbar Hillebrandt/Scbremper, BB 2001, 533 (535), und Hüffer, AktG, §71 Rdn. 19k, die den selektiven Rückerwerb der Vorzugsaktien nur für zulässig halten, wenn die Ermächtigung dies explizit vorsieht (dazu sogleich im Text).
502
-5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
bestimmten Konditionen gestattet, ist die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung aber sogar entbehrlich: Der von den Stammaktionären gefasste Hauptversammlungsbeschluss beinhaltet in diesem Fall nämlich einen konkret umrissenen und damit wirksamen Gleichbehandlungsverzicht der benachteiligten Aktionäre 140 . Dass die Stammaktionäre einstimmig zustimmen, ist nach der hier vertretenen Auffassung nicht erforderlich 141 .
2. Put- und Call-Optionen auf eigene Aktien Probleme des Gleichbehandlungsgrundsatzes werden in der jüngeren Vergangenheit zunehmend auch im Zusammenhang mit dem Einsatz von Aktienderivaten zum Erwerb eigener Aktien diskutiert. Solche Geschäfte werfen ein ganzes Bündel von Rechtsfragen auf, von denen hier nur der Gesichtspunkt der Gleichbehandlung Berücksichtigung finden soll 142 . Praktisch bedeutsam ist vor allem der Fall, dass eine börsennotierte Gesellschaft gegen Zahlung einer Optionsprämie Call-Optionen auf den Erwerb eigener Aktien zu einem festgelegten Ausübungspreis von einem ausgewählten Finanzdienstleister erwirbt, um Risiken aus bestehenden Aktienoptionsplänen aufzufangen. Häufig begibt die Gesellschaft dem Finanzdienstleister im Gegenzug zugleich eine Put-Option, die diesen berechtigt, der Gesellschaft Aktien zum Ausübungspreis anzudienen. Auf diese Weise ist die Gesellschaft gegen das Risiko steigender Börsenkurse, der Finanzdienstleister gegen das Risiko fallender Börsenkurse abgesichert 143 . Im Schrifttum besteht bislang keine Einigkeit, inwiefern solche Fallgestaltungen - das Vorliegen einer das Optionsgeschäft abdeckenden Hauptversammlungsermächtigung nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG einmal unterstellt - einer Kontrolle am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes unterliegen. Teils wird für entscheidend gehalten, ob der Finanzdienstleister im Zeitpunkt der Optionseinräumung bereits Aktionär der Gesellschaft war 144 . Teils wird dagegen nach der Ausgestaltung der Option differenziert: Sofern vereinbart werde, dass die AG anstelle der Lieferung der Aktien einen Barausgleich („cash settlement") wählen könne, sei der Ebenso i.E. Hillebrandt/Schremper, BB 2001, 533 (535); H ü f f e r , AktG, § 71 Rdn. 19k. S. oben § 1413 c; für den hier interessierenden Fall offenbar auch die Nachw. in Fn. 140. Im Übrigen bedarf es auch keines zustimmenden Sonderbeschlusses der Vorzugsaktionäre zum Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung; vgl. Hillebrandt/Schremper, BB 2001, 533 (536 f.); Volhard/Goldschmidt, FS Lutter, S.779 (790); Wirth/Arnold, ZGR 2002, 859 (863); a.A. Hirte, in: K. Schmidt/Riegger, Gesellschaftsrecht 1999, S.211 (240f.). 142 Für alles Weitere sei verwiesen auf Ihrig, FS Ulmer, S. 829 ff.; Mick, DB 1999, 1201 ff.; Paefgen, AG 1999, 67 ff.; Schmid/Mühlhäuser, AG 2001, 493 ff.; Grobecker/Michel, DStR 2001,1757 (1762 ff.);/. Vetter, AG 2003, 478 ff.; Weiss, AG 2004,127 ff. 143 Zum wirtschaftlichen Hintergrund Ihrig, FS Ulmer, S. 829 (829 f.). 144 Mick, DB 1999,1201 (1205);/. Vetter, AG 2003,478 (479); offenbar auch Schmid/Mühlhäuser, AG 2001,493 (500). 140 141
5 21 Gleichbehandlung
und eigene
Anteile
503
Gleichbehandlungsgrundsatz nicht berührt. Der Finanzdienstleister trete der Gesellschaft in diesen Fällen nicht in seiner Eigenschaft als Aktionär gegenüber, und zwar auch dann nicht, wenn er bei Einräumung der Option bereits einige Aktien halte 145 . Anders sei dagegen zu entscheiden, wenn die effektive Lieferung der Aktien („physical settlement") vereinbart sei. Diese Vorgehensweise verstoße zwangsläufig gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da die Gesellschaft die Aktien nur von einem einzelnen Aktionär beziehe 146 . Einer näheren Uberprüfung hält keine der beiden Auffassungen stand. Betrachtet man zunächst den Erwerb der Call-Option durch die Gesellschaft, so kann hierfür nichts anderes gelten als für andere Erwerbsgeschäfte, welche die Gesellschaft mit einzelnen Aktionären abschließt. Sofern die Aktionärsstellung den Abschluss des Optionsgeschäfts in keiner Weise beeinflusst hat, sondern lediglich einen zufälligen Begleitumstand bildet, muss sie mithin auch hier wieder außer Betracht bleiben 147 . Wenn also der Finanzdienstleister ohne Zusammenhang mit der Transaktion, etwa in seinem Handelsbestand, bereits Aktien der Gesellschaft hält, führt dies nicht zur Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Dies gilt unabhängig davon, ob ein „cash settlement" oder ein „physical settlement" vereinbart wird. Allenfalls könnte man erwägen, ob der Erwerb der Call-Option beim „physical settlement" im Hinblick auf die künftige Aktionärseigenschaft des Finanzdienstleisters vereinbart worden ist und aus diesem Grund die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auslöst. Immerhin muss der Finanzdienstleister spätestens im Zeitpunkt der Ausübung der Call-Option Aktionär sein, um seiner Verpflichtung zur Ubertragung der Aktien nachkommen zu können. Wie dargelegt können auch Bevorzugungen eines künftigen Aktionärs dem Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes unterfallen 148 . Dies gilt aber dann nicht, wenn nach den Umständen auszuschließen ist, dass die künftige Aktionärsstellung die Entscheidung der Gesellschaft beeinflusst hat. Eben dies ist vorliegend der Fall: Die Auswahlentscheidung, mit welchem Finanzdienstleister die Gesellschaft das Optionsgeschäft eingeht, wird ersichtlich in keiner Weise durch dessen spätere Aktionärsstellung beeinflusst. Vielmehr richtet umgekehrt der ausgewählte Finanzdienstleister seine Entscheidung, sich an der Gesellschaft zu beteiligen, danach aus, ob er zur Übertragung von Aktien aufgrund der Call-Option verpflichtet ist. In Bezug auf den Erwerb der Call-Option ist der Gleichbehandlungsgrundsatz somit nicht einschlägig. Aber auch im Zuge der späteren Ausübung der Call-Option kommt dem Gleichbehandlungsgrundsatz letztlich keine Bedeutung zu: Zwar wird nunmehr der Finanzdienstleister auch als Aktionär - und zwar dieses Mal nachteilig - betroffen, wenn von ihm im Gegen145 146 147 148
Ihrig, FS Ulmer, S. 829 (838 f. zur Put-Option, 844 zur Call-Option). Ihrig, FS Ulmer, S. 829 (836 f.). S. oben § 9 I 3 a. S. oben §101.
504
i. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
satz zu den übrigen Aktionären verlangt wird, seine Aktien zu dem vereinbarten Ausübungspreis, also unter dem Börsenkurs149, an die Gesellschaft zu übertragen. Doch hat der Finanzdienstleister in diese Ungleichbehandlung zu seinen Lasten selbst eingewilligt, indem er dem Optionsgeschäft zugestimmt hat. Deshalb scheidet auch insoweit ein Gleichbehandlungsverstoß aus150. Im Ergebnis ebenso liegen die Dinge in Bezug auf die Veräußerung der Put-Option. Auch hier ist unerheblich, ob der die Option erwerbende Finanzdienstleister im Zeitpunkt der Optionseinräumung bereits einige Aktien hält, sofern es sich dabei lediglich um einen zufälligen Begleitumstand handelt. Dies gilt wiederum unabhängig davon, ob ein „cash settlement" oder ein „physical settlement" vereinbart wird. Ferner liegt auch hier in dem Abschluss des Optionsgeschäfts keine Bevorzugung in der Eigenschaft als künftiger Aktionär, wenn und weil die mögliche künftige Aktionärsstellung die Auswahlentscheidung der Gesellschaft in keiner Weise beeinflusst hat151. Zu denken wäre somit allenfalls noch an eine Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die im Fall des „physical settlement" nach Optionsausübung stattfindende Andienung der Aktien selbst. Insoweit wird der Finanzdienstleister in der Tat in seiner Eigenschaft als Aktionär bevorzugt, da ihm gestattet wird, die Aktien zu dem in diesem Fall über dem Börsenkurs liegenden Ausübungspreis anzudienen. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch durch das Gesellschaftsinteresse sachlich gerechtfertigt, da die Gesellschaft zur Erfüllung des wirksam abgeschlossenen Optionsgeschäfts rechtlich verpflichtet ist152. In Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz unterliegt die beschriebene Transaktion somit keinen durchgreifenden Bedenken.
149 Nur dieser Fall ist von Interesse, da die Gesellschaft ihre Call-Option nur unter dieser Voraussetzung ausüben wird. 150 Sofern der Ausübungspreis weit hinter dem Börsenkurs zurückbleibt, ist allerdings darauf zu achten, dass der in der Hauptversammlungsermächtigung nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 AktG anzugebende niedrigste Gegenwert nicht unterschritten wird. Zu diesem Problem Grobecker/Michel, DStR2001,1757 (1762 ff.). 151 Insoweit zutr. Ihrig, FS Ulmer, S. 829 (838 f.) (allerdings nur zum „cash settlement"). 152 Insoweit wie hier Mick, DB 1999,1201 (1205); Schmid/Mühlhäuser, AG 2001, 493 (500 re. Sp.). Wenn man von einem gesetzlichen Andienungsrecht der Aktionäre ausgeht, ist allerdings zusätzlich zu beachten, dass das Andienungsrecht der übrigen Aktionäre im Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung ausgeschlossen werden muss; vgl. Oechsler, in: MünchKomm. AktG, § 71 Rdn. 208.
5 21 Gleichbehandlung
505
und eigene Anteile
V. Rechtsfolgen von Verstößen 1. Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Gesellschaft
der
Sofern bereits der Ermächtigungsbeschluss
Rechtsgeschäfte der H a u p t v e r s a m m l u n g
einen
Gleichbehandlungsverstoß enthält, ist dieser nach allgemeinen Regeln anfechtbar ( § 2 4 3 A b s . 1 A k t G ) 1 5 3 . I n der Regel wird aber die E r m ä c h t i g u n g so allgemein gefasst sein, dass der V e r s t o ß n o c h nicht ihr, sondern allenfalls der späteren Ausnutzung der E r m ä c h t i g u n g durch den Vorstand anhaftet. Sofern die benachteiligten A k t i o n ä r e rechtzeitig von einer drohenden gleichbehandlungswidrigen A u s n u t z u n g der E r m ä c h t i g u n g erfahren, ist auch hier wieder an die M ö g l i c h k e i t einer Unterlassungsklage bzw. einstweiligen V e r f ü g u n g zu denken 1 5 4 . I n der Praxis wird die Frage meist aber erst nach Abschluss des einzelnen E r w e r b s - bzw. Veräußerungsgeschäfts auftreten. a) Was zunächst das Verpflichtungsgeschäft
angeht, so ist im Verlauf der U n -
tersuchung bereits darauf hingewiesen worden, dass angesichts des klaren Wortlauts der §§ 71 A b s . 1 N r . 8 Satz 3 , 5 3 a i.V.m. § 71 Abs. 4 Satz 2 A k t G davon auszugehen ist, dass Gleichbehandlungsverstöße zur Nichtigkeit des schuldrechtlichen G e s c h ä f t s über den Erwerb
eigener A k t i e n f ü h r e n 1 5 5 . Dagegen be-
wendet es f ü r das Verpflichtungsgeschäft über die Veräußerung nach allgemeinen Regeln bei schwebender U n w i r k s a m k e i t
156
eigener A k t i e n .
O f f e n geblieben ist allerdings noch die unlängst von T. Bezzenberger
aufge-
worfene und im Ergebnis bejahte Frage, ob die Nichtigkeitsfolge des § 71 Abs. 4 Satz 2 A k t G beim E r w e r b eigener A k t i e n in solchen Fällen einzuschränken ist, in denen die betroffenen Aktionäre bei Vornahme des Geschäfts gutgläubig waren, d.h. den Wirksamkeitsmangel nicht fahrlässig verkannt haben 1 5 7 . Zur B e g r ü n dung stützt sich Bezzenberger
auf eine analoge Anwendung des § 62 Abs. 1 Satz 2
A k t G , der die Rückforderung von Dividenden ausschließt, wenn die Aktionäre diese zu Unrecht bezogen haben, dabei aber in gutem Glauben waren (Hauptfall: nichtiger oder durch Anfechtungsklage vernichteter Gewinnverwendungsbeschluss). Grundgedanke dieses Gutglaubensschutzes sei die Überlegung, dass D i videndenausschüttungen erlaubt und normal seien und die Aktionäre oft nicht beurteilen könnten, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen hierfür auf Seiten der
153 S. oben § 16 11; speziell im Kontext des Erwerbs und der Veräußerung eigener Aktien auch Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 14 Ii. Sp. 154 S. oben §17 III. 155 Ebenso die h.M.; näher oben § 16 II 2 d. 156 S.oben § 16 II 2 d a.E. 157 T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 176 ff.
506
-5. Kapitel: Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
Gesellschaft erfüllt seien. Nicht anders verhalte es sich heutzutage beim Rückkauf eigener Aktien 158 . Die h.M. steht der von Bezzenberger befürworteten Analogie indes ablehnend gegenüber 159 . Auch wenn dies kaum näher begründet wird, dürfte im Ergebnis in der Tat mehr gegen als f ü r die Analogie sprechen. Der Gesetzgeber des KonTraG hat zweifelsfrei erkannt, dass die Bedeutung des Aktienrückkaufs mit der Reform stark zunehmen und Massengeschäfte in eigenen Aktien am Kapitalmarkt nach sich ziehen würde 160 . Wenn er gleichwohl keinen Anlass gesehen hat, die Nichtigkeitssanktion des § 71 Abs. 4 Satz 2 A k t G aus Gründen des Vertrauensschutzes der Aktionäre einzuschränken, ist bereits das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke fraglich. H i n z u kommt, dass es sich bei § 62 Abs. 1 Satz 2 A k t G um eine Ausnahmevorschrift handelt. Das schließt zwar eine Analogie nicht generell aus 161 , setzt ihr aber doch enge Grenzen. Mit der Ausdehnung auf den Erwerb eigener Aktien wäre dagegen eine sehr beträchtliche Ausdehnung der Vorschrift verbunden. Zudem wäre es ungereimt, die Vorschrift auf den Erwerb eigener Aktien, nicht aber auf Rückzahlungen im Rahmen einer Kapitalherabsetzung anzuwenden, da der Erwerb eigener Aktien dieser eher ähnelt als einer gewöhnlichen Dividendenausschüttung. Wenn man die Analogie befürwortet, müsste man daher entgegen der bisher allgemeinen Auffassung 162 auch die Kapitalherabsetzung miteinbeziehen. Damit würde indes der Ausnahmecharakter der Vorschrift noch weiter ausgehöhlt 163 . b) Das Verfügungsgeschäft ist dagegen sowohl beim Erwerb als auch bei der Veräußerung eigener Aktien trotz des Gleichbehandlungsverstoßes von Anfang an wirksam. Dies lässt sich in Bezug auf den Erwerb eigener Aktien unmittelbar aus § 71 Abs. 4 Satz 1 A k t G entnehmen, ergibt sich im Übrigen aber auch aus allgemeinen Grundsätzen 1 6 4 .
158
T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 177. Vgl. Bayer, in: MünchKomm. A k t G , § 62 Rdn. 60; Henze, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 62 Rdn. 68; Benckendorff, Eigene Aktien, S.242, 256f.; implizit auch (§62 Abs. 1 Satz 2 A k t G generell nicht analogiefähig) Hüffer, A k t G , § 62 Rdn. 11; Drinhausen, in: A n w K o m m . A k t G , §62 Rdn. 26. 160 Dies räumt T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 176, selbst ein. 161 Vgl. nur Larenz, Methodenlehre, S. 355 f. 162 Vgl. statt vieler Bayer, in: M ü n c h K o m m . A k t G , §62 Rdn. 60; Henze, in: G r o ß k o m m . A k t G , §62 Rdn. 68. 163 Selbst wenn man aber die Analogie bejahen wollte, käme ihr speziell bei Gleichbehandlungsverstößen nur begrenzte praktische Bedeutung zu. So f ü h r t Bezzenberger selbst aus, dass sich derjenige, dessen Aktien die Gesellschaft bevorzugt zurückkaufe, über diese Ungleichbehandlung Gedanken machen müsse, weshalb es häufig an der Gutgläubigkeit fehlen werde; vgl. T. Bezzenberger, Eigene Aktien, Rdn. 178. 164 S. oben §16 II 4. 159
§21
2. Beseitigungs- und
Gleichbehandlung
und eigene Anteile
507
Schadensersatzansprüche
Für die Geltendmachung der Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts durch die benachteiligten Aktionäre gelten ebenfalls die herausgearbeiteten allgemeinen Grundsätze: Die Aktionäre können nach der hier vertretenen Auffassung von der Gesellschaft die Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes verlangen. Lässt sich der Verstoß sowohl durch Rückabwicklung als auch durch aktive Gleichbehandlung beheben, steht das Wahlrecht der Gesellschaft zu. Ist nur eine dieser beiden Beseitigungsarten rechtlich zulässig und tatsächlich möglich, konzentriert sich der Anspruch auf dieses Vorgehen165. Daneben kommen bei schuldhaften Gleichbehandlungsverstößen Schadensersatzansprüche der benachteiligten Gesellschafter in Betracht 166 , und zwar vornehmlich solche gegen die Gesellschaft aus Pflichtverletzung im Rahmen der verbandsrechtlichen Sonderverbindung (§§ 280 Abs. 1,31 BGB) 1 6 7 . Ein etwaiger Schaden wird aber regelmäßig schon durch die Beseitigung des Verstoßes, sei es durch Rückabwicklung des gleichbehandlungswidrigen Geschäfts, sei es durch aktive Gleichbehandlung, entfallen. Hinzu kommt, dass bloße Reflexschäden nicht ersatzfähig sind. Im Ergebnis wird daher nur in seltenen Ausnahmefällen eine Schadensersatzpflicht der Gesellschaft gegeben sein. Ob die übergangenen Aktionäre neben der Gesellschaft auch deren Organwalter auf Schadensersatz in Anspruch nehmen können, hängt wiederum von der Grundsatzfrage ab, ob der deliktische Schutz der Mitgliedschaft als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 B G B auch auf den Verbandsinnenbereich auszudehnen ist 168 . Bejahte man dies, müsste man konsequent auch das richtigerweise anzuerkennende Andienungs- und Erwerbsrecht bei Erwerb und Veräußerung eigener Aktien in den deliktischen Schutzbereich der Mitgliedschaft einbeziehen169. Andernfalls stehen den Aktionären gegen die Organwalter höchstens Ansprüche aus § 826 B G B zu, da Ansprüche aus § 823 Abs. 2 B G B i.V.m. § 53a AktG nach zutreffender Auffassung nicht anzuerkennen sind170. Die Organwalter haften allerdings der Gesellschaft auf Erstattung der gezahlten Erwerbspreise, und zwar gemäß §93 Abs. 3 Nr. 3 (ggf. i.V.m. §116) AktG 171 sogar dann, wenn die Gesellschaft bisher keinen Schaden erlitten hat, weil der Wert der erworbenen Aktien dem gezahlten Erwerbspreis entspricht172. S. oben § 17 I 3; speziell zur aktiven Gleichbehandlung oben § 171 3 a ee. Vgl. Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 14 Ii. Sp., offenbar inspiriert durch die gleichlautende Formulierung bei Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 71 Rdn. 15. 167 S. oben §17 II. 168 S. oben §18 I I . 169 So denn auch Habersack, ZIP 2004,1121 (1126 f.). 170 S.oben § 18 I 2. 171 Für das GmbH-Recht vgl. § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG. 172 So die gängige Auslegung des §93 Abs. 3 Nr. 3 AktG; vgl. etwa Hefermehl/Spindler, in: MünchKomm. AktG, § 93 Rdn. 97; J. Semler, in: MünchKomm. AktG, § 116 Rdn. 533; zur Parallelnorm des § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG Mertens, in: Hachenburg, GmbHG, § 43 Rdn. 91; 165
166
508
-5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
Das Gesetz unterstreicht damit die besondere Bedeutung, die es der Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen an den Erwerb eigener Aktien beimisst. Die Erstattungspflicht aus §93 Abs. 3 AktG besteht entsprechend §255 BGB freilich nur Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche, die der Gesellschaft gegen den oder die begünstigten Aktionäre zustehen 173 . Sie entfällt (erst), sobald und soweit der gezahlte Erwerbspreis tatsächlich an die Gesellschaft zurückgeflossen ist, sei es durch Rückzahlung des begünstigten Aktionärs, sei es infolge Weiterveräußerung der erworbenen Aktien 174 . Darüber hinaus ist auch bei Gleichbehandlungsverstößen die Veräußerungspflicht des § 71c Abs. 1 AktG zu beachten 175 . Gleichbehandlungswidrig erworbene Aktien sind also spätestens vor Ablauf eines Jahres wieder zu veräußern, sofern der Verstoß nicht zuvor geheilt wird.
Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §43 Rdn.50 (nicht nur Wertdifferenz zu ersetzen); zuletzt auch Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957 (958 Ii. Sp.), die §93 Abs. 3 Nr. 3 AktG (ebenso wie die übrigen Tatbestände des §93 Abs. 3 AktG und §43 Abs. 3 GmbHG) folgerichtig nicht als Schadensersatznorm, sondern als Erstattungsanspruch eigener Art einordnen (aaO. 960 f.). 173 Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957 (960 f.). 174 Vgl. Hefermehl/'Spindler, in: MünchKomm. AktG, § 93 Rdn. 97;/. Semler, in: MünchKomm. AktG, § 116 Rdn. 532 f. 175 Vgl. Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 14 Ii. Sp.; Oechsler, in: MünchKomm. AktG, § 71 Rdn.212.
§ 22 Informationelle Gleichbehandlung Vielfältige Gleichbehandlungsfragen, die nähere Betrachtung verdienen, stellen sich schließlich im Bereich der informationellen Gleichbehandlung der Gesellschafter durch ihre Gesellschaft. Eines Rückgriffs auf den Gleichbehandlungsgrundsatz bedarf es insoweit allerdings nur, als Informationsrechte nicht schon in speziellen Vorschriften vorgesehen sind. Dies ist im G m b H - und im Aktienrecht in ganz unterschiedlichem Umfang der Fall. In der G m b H gewährt § 51a G m b H G den Gesellschaftern ein nicht abdingbares (vgl. Abs. 3) und umfassendes Informationsrecht in allen Angelegenheiten der Gesellschaft. Folglich kommt es hier nur selten auf das Gleichbehandlungsgebot an, da die Gesellschafter in aller Regel die gewünschte Information auch ohne Rücksicht darauf verlangen können, ob sie einem anderen Gesellschafter bereits erteilt worden ist. In der AG ist die Ausgangslage gänzlich anders: Das A k t G baut in erster Linie auf kollektive Informationsrechte und -pflichten 1 , also auf Informationen, die nicht einzelnen Gesellschaftern, sondern den verschiedenen Organen in ihrer Gesamtheit erteilt werden müssen. Zu denken ist vor allem an die Informationspflichten des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat (insbes. § 90 AktG), ferner an die diversen Informationspflichten des Vorstands und des Aufsichtsrats gegenüber der Hauptversammlung 2 . Individuelle Auskunfts- und Einsichtsrechte der Aktionäre sind nur in Bezug auf Gegenstände der Beschlussfassung in der Hauptversammlung vorgesehen, wobei die Vorschrift des § 131 A k t G die zentrale Rolle einnimmt 3 . Verglichen mit dem GmbH-Recht verbleibt im Aktienrecht somit ein wesentlich größerer Bereich, in dem keine von vornherein festgelegten Informationsansprüche bestehen. Hier erlangt der Gleichbehandlungsgrundsatz Bedeutung: W i l l die Gesellschaft einem Aktionär ohne gesetzliche Verpflichtung eine Information erteilen, ist stets zu fragen, ob die Information im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz auch allen anZur Begriffsbildung K. Schmidt, Informationsrechte, S. 15 f. Ausführliche Übersicht bei Wilde, ZGR 1998,423 (426 ff.). 3 Für einzelne Grundlagenentscheidungen sind weitere Auskunftsrechte in der Hauptversammlung vorgesehen, vgl. z.B. §§293g Abs. 3, 319 Abs. 3 Satz 4, 320 Abs. 4 Satz 3, 326 AktG, § 64 Abs. 2 UmwG. Daneben besteht ein Recht auf Einsichtnahme und Erteilung von Abschriften in Unterlagen, die im Vorfeld der Hauptversammlung auszulegen sind (z.B. §§175 Abs.2, 293f, 319 Abs.3, 320 Abs.4, 327c Abs.3, Abs.4 AktG, §§63, 230 Abs.2, 238 Satz 1 UmwG). 1
2
510
5. Kapitel:
Anwendung und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
deren A k t i o n ä r e n zugänglich zu machen ist. I m M i t t e l p u n k t der folgenden Darstellung steht daher das A k t i e n - , nicht das G m b H - R e c h t . I m Bereich des aktienrechtlichen Informationsrechts hat der G l e i c h b e h a n d lungsgrundsatz in § 1 3 1 A b s . 4 A k t G eine besondere Ausprägung gefunden. Zunächst gilt es daher, diese V o r s c h r i f t und ihr Verhältnis zu § 53a A k t G näher auszuleuchten (Ziff. I). I n börsennotierten Gesellschaften sind daneben die besonderen kapitalmarktrechtlichen B e s t i m m u n g e n zu beachten, die einer selektiven I n f o r m a t i o n einzelner Beteiligter S c h r a n k e n ziehen. D i e kapitalmarktrechtlichen B e s t i m m u n g e n zielen zwar auf die informationelle C h a n c e n g l e i c h heit aller M a r k t t e i l n e h m e r , nicht nur der gegenwärtigen A k t i o n ä r e .
Dies
schließt aber die Gleichbehandlung der aktuellen A k t i o n ä r e mit ein, weshalb es geboten erscheint, sie im R a h m e n der vorliegenden U n t e r s u c h u n g mit in den Blick zu nehmen. E i n z u g e h e n ist dabei vor allem auf das Verbot der u n b e f u g t e n Weitergabe von Insiderinformationen (§ 14 A b s . 1 N r . 2 W p H G , Ziff. II). A u f dieser G r u n d l a g e sind im Anschluss beispielhaft zwei T h e m e n k r e i s e aus der jüngeren Diskussion aufzugreifen, die besonders bedeutsame Fragen der i n f o r mationellen Gleichbehandlung aufwerfen (Ziff. I I I ) . A b s c h l i e ß e n d ist ein Ü b e r blick über die Rechtsfolgen von Gleichbehandlungsverstößen i m B e r e i c h der Informationserteilung zu geben (Ziff. I V ) .
I. Gleichbehandlungsgrundsatz und § 131 Abs. 4 A k t G 1. Gleichbehandlungsverstoß als ungeschriebenes des §131 Abs. 4 AktG
Tatbestandsmerkmal
Ist einem A k t i o n ä r wegen seiner Eigenschaft als A k t i o n ä r eine A u s k u n f t außerhalb der H a u p t v e r s a m m l u n g erteilt worden, gewährt die V o r s c h r i f t des § 131 A b s . 4 A k t G den übergangenen A k t i o n ä r e n das R e c h t , in der nächsten H a u p t versammlung die Mitteilung derselben I n f o r m a t i o n zu verlangen. I m S c h r i f t t u m wird häufig ohne weiteres davon ausgegangen, dass es sich dabei u m ein absolutes, striktes G e b o t handele, dessen A n w e n d u n g nicht davon abhänge, o b die mit der Vorausinformation des bevorzugten A k t i o n ä r s verbundene U n gleichbehandlung sachlich gerechtfertigt war oder nicht. Dieses strikte, die Z u lässigkeit von D i f f e r e n z i e r u n g e n zwischen den A k t i o n ä r e n leugnende Verständnis wird von den betreffenden Autoren z w a r als unbefriedigend e m p f u n den, aber ohne nähere B e g r ü n d u n g wie selbstverständlich z u g r u n d e gelegt 4 . Richtigerweise besteht aber f ü r eine derart starre Auslegung des § 131 A b s . 4 4 Vgl. etwa Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 131 Rdn. 60; ferner Duden, FS v. Caemmerer, S.499 (508 ff.) mit Vorschlägen für Differenzierungen de lege ferenda-, offenbar auch Decher, in: Großkomm. AktG, §131 Rdn. 338; Hoffmann-Becking, FS Rowedder, S. 155 (165).
5 22 Informationelle
Gleichbehandlung
511
AktG kein Anlass. Zwar enthält der Wortlaut des § 131 Abs. 4 A k t G nicht ausdrücklich die Einschränkung, dass die Vorschrift nur zur Anwendung kommt, wenn die außerhalb der Hauptversammlung erteilte Auskunft eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung, d.h. einen Verstoß gegen § 53a AktG beinhaltet. Wie in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommt, will der Gesetzgeber § 131 Abs. 4 AktG aber als eine besondere Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verstanden wissen 5 . Daraus lässt sich ableiten, dass die Vorschrift ebenso wenig wie der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz als absolutes, striktes Gebot aufzufassen ist, sondern Raum für Ungleichbehandlungen lässt, sofern es entweder bereits an „gleichen Voraussetzungen" i.S. des § 53a AktG fehlt oder die Ungleichbehandlung durch überwiegende Interessen der Gesellschaft sachlich gerechtfertigt ist. Diese Auffassung gewinnt im neueren Schrifttum mit Recht zunehmend an Boden 6 . Im Ergebnis führt sie dazu, dass das Vorliegen eines Verstoßes gegen § 53a AktG als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung in §131 Abs. 4 Satz 1 A k t G hineinzulesen ist (teleologische Reduktion). Ein aktuelles Beispiel, in der diese Einschränkung des § 131 Abs. 4 A k t G relevant wird, bilden die Fälle, in denen der Vorstand dem Hauptaktionär zur Vorbereitung eines squeeze-out Informationen erteilt, die dieser zur Berechnung einer angemessenen Barabfindung benötigt. Es handelt sich hier um einen jener Fälle, in denen bereits das Gesetz selbst die Ungleichbehandlung vorsieht 7 , indem es die Gesellschaft in § 327b Abs. 1 Satz 2 AktG dazu verpflichtet, dem Hauptaktionär die Informationen zur Verfügung zu stellen. Folglich fehlt es hier bereits an „gleichen Voraussetzungen" i.S. des § 53a AktG 8 , so dass nach dem Gesagten auch das Nachinformationsrecht der übrigen Aktionäre aus § 131 Abs. 4 AktG nicht ausgelöst wird. Im Ergebnis entspricht dies der ganz h.M. 9 ; diese beruft sich allerdings zumeist darauf, dass die Informationen dem Hauptaktionär nicht „wegen seiner Eigenschaft als Aktionär" erteilt würden. Dieser Begr. RegE AktG bei K r o p f f , AktG 1965, S. 187; vgl. auch die Nachw. oben § 15 Fn. 55. Vgl. etwa Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn.58 a.E.; Hemeling, ZHR 169 (2005), 274 (288); Krömker, NZG 2003,418 (423); Seiht, VGR Bd. 3 (2001), S. 37 (52 f.); ähnlich Ziemons, AG 1999, 492 (496 re. Sp.); aus dem älteren Schrifttum im Ausgangspunkt auch schon Janberg, AG 1965,191 (193), der aber (viel) zu pauschal eine ungleiche Behandlung von Groß- und Kleinaktionären generell für sachlich gerechtfertigt hält. 7 Ein weiteres Beispiel dieser Art findet sich in § 294 Abs. 3 HGB, § 131 Abs. 4 Satz 3 AktG (Informationen an das Mutterunternehmen zur Erstellung des Konzernabschlusses). Zu den allgemeinen konzernrechtlichen Informationsprivilegien aus §§ 308,311 AktG s. bereits oben § 1 5 1 1 b, 3a bb sowie unten Ziff. 4. 8 Vgl. oben § 9 II. 9 OLG Düsseldorf NZG 2004, 328 (333 f.); LG Saarbrücken NZG 2004, 1012 (1013); Grunewald, in: MünchKomm. AktG, § 327b Rdn. 5; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 327b Rdn. 5; Hasselbach, in: Kölner Komm. WpUG, § 327b AktG Rdn. 9; H ü f f e r , AktG, § 327b Rdn. 7; Koppensteiner, in: Kölner Komm. AktG, § 327b Rdn. 6; a.A. Heidel/Lochner, in: AnwKomm. AktG, § 327b Rdn. 6. 5
6
512
y Kapitel:
Anwendung und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
formalen und - da das Übertragungsverlangen gerade in der Eigenschaft als H a u p t a k t i o n ä r gestellt wird - einigermaßen gewundenen A r g u m e n t a t i o n b e darf es nicht, w e n n man mit der hier vertretenen Auffassung anerkennt, dass § 131 A b s . 4 A k t G ausschließlich im Falle eines Verstoßes gegen § 53a A k t G A n w e n d u n g findet.
2. § 131 Abs. 4 AktG als zusätzliche für Ungleichbehandlungen?
Legitimation
Bisweilen wird die Auffassung vertreten, die Vorschrift des § 131 A b s . 4 A k t G gehe davon aus, dass auch eine ungleichmäßige Auskunftserteilung außerhalb der H a u p t v e r s a m m l u n g stets zulässig sei, soweit die Verschwiegenheitspflicht des Vorstands (§§ 93 A b s . 1 Satz 2 , 4 0 4 A k t G ) und das Insiderrecht nicht entgegenstünden. I n d e m sich die Vorschrift mit der N a c h i n f o r m a t i o n der übrigen A k t i o n ä r e in der nächsten H a u p t v e r s a m m l u n g begnüge, bringe sie z u m A u s druck, dass damit dem Gleichbehandlungsgebot in jeder H i n s i c h t G e n ü g e getan sei 1 0 . B e i diesem Verständnis wäre also in der selektiven I n f o r m a t i o n s e r t e i lung außerhalb der H a u p t v e r s a m m l u n g von vornherein kein G l e i c h b e h a n d lungsverstoß zu erblicken, ohne dass es insoweit auf die sachliche R e c h t f e r t i g u n g der Ungleichbehandlung ankäme. Diese A n s i c h t vermengt jedoch zwei Fragen, die es klar zu trennen gilt: die Zulässigkeit der Ungleichbehandlung einerseits und die aus einer unzulässigen Ungleichbehandlung erwachsenden A n s p r ü c h e der übergangenen A k t i o n ä r e andererseits. H i n s i c h t l i c h der zuletzt genannten Frage mag aus § 1 3 1 A b s . 4 A k t G möglicherweise abzuleiten sein, dass A n s p r ü c h e der übergangenen A k tionäre auf N a c h i n f o r m a t i o n - d.h. aktive Gleichbehandlung - außerhalb der H a u p t v e r s a m m l u n g ausgeschlossen sind (Exklusivität des § 131 A b s . 4 A k t G ) . A u f diese umstrittene Frage wird sogleich unter Ziff. 3 näher einzugehen sein. Keinesfalls aber darf § 131 Abs. 4 A k t G dahin missverstanden werden, dass U n gleichbehandlungen bei der Auskunftserteilung außerhalb der H a u p t v e r s a m m lung stets erlaubt seien, solange nur die Verschwiegenheitspflicht und das Insiderrecht nicht verletzt werden. I m E r g e b n i s w ü r d e der Verwaltung damit ein Freibrief ausgestellt, in der Zeit bis zur nächsten H a u p t v e r s a m m l u n g w i l l k ü r lich Informationsvorsprünge f ü r einzelne A k t i o n ä r e herbeizuführen. D i e s entspricht ersichtlich nicht dem Sinn und Z w e c k des § 131 A b s . 4 A k t G , der sich gerade dem Gleichbehandlungsgedanken verpflichtet sieht. D i e V o r s c h r i f t ändert also nichts daran, dass eine sachlich nicht gerechtfertigte U n g l e i c h b e h a n d lung bei der Erteilung von A u s k ü n f t e n gemäß § 53a A k t G unzulässig und damit f ü r den Vorstand pflichtwidrig bleibt 1 1 . 10 11
Drygala, WM 2001,1313 (1322). Ebenso U.H. Schneider/Smghof, FS Kraft, S. 585 (600).
§ 22 Informationelle
Gleichbehandlung
513
3. Abschließender Charakter des § 131 Abs. 4 AktG Nachinformation nur in der Hauptversammlung? Nach dem zu Ziff. 1 Gesagten greift das Nachinformationsrecht des § 131 Abs. 4 A k t G nur ein, wenn die Auskunftserteilung an den bevorzugten Aktionär außerhalb der Hauptversammlung eine gegen § 53a A k t G verstoßende Ungleichbehandlung beinhaltet. Folgt man den allgemeinen Regeln, die oben für die Rechtsfolgen von Gleichbehandlungsverstößen herausgearbeitet worden sind, steht den übergangenen Aktionären wegen des Verstoßes gegen § 53a A k t G ein Anspruch auf Beseitigung der Ungleichbehandlung zu 12 . Da eine Rückabwicklung der Information nicht möglich ist, bleibt als einzig mögliche Art der Beseitigung des Verstoßes die aktive Gleichbehandlung, d.h. die Nachinformation aller übrigen Aktionäre. Eben diese Rechtsfolge sieht denn auch § 131 Abs. 4 A k t G vor. Zugleich enthält die Vorschrift allerdings eine Beschränkung des Anspruchs, soweit sie die Nachinformation nicht sofort, sondern erst in der nächsten Hauptversammlung anordnet. Das wirft die oben bereits angedeutete Frage auf, ob diese Regelung als abschließend zu verstehen ist mit der Folge, dass ein unmittelbar aus § 53a A k t G abgeleiteter Anspruch auf sofortige aktive Gleichbehandlung (d.h. Nachinformation außerhalb der Hauptversammlung) ausgeschlossen wäre, oder ob ein solcher Anspruch mit § 131 Abs. 4 A k t G konkurriert. Die Frage wird ganz überwiegend - allerdings nicht einhellig - im erstgenannten Sinne beantwortet 13 . Hierfür spricht vor allem die Entstehungsgeschichte des § 131 Abs. 4 AktG 1 4 ; denn der Gesetzgeber des A k t G 1965 ist von der Regelung des Referentenentwurfs, der noch die sofortige Nachinformation vorsah 15 , in der Gesetz gewordenen Fassung abgerückt. Eine nähere Erläuterung hierzu in den Gesetzesmaterialien fehlt allerdings 16 . H i n z u kommt ein systematisches Argument: Würde man unmittelbar aus § 53a A k t G abgeleitete Ansprüche auf sofortige aktive Gleichbehandlung außerhalb der Hauptver12
S. oben §171. Vgl. Decher, in: Großkomm. A k t G , §131 Rdn.337; Drygala, W M 2001, 1313 (1322); Duden, FS v. Caemmerer, S. 499 (503); Henze/Notz, in: Großkomm. A k t G , § 53a Rdn. 58, 132; Hoffmann-Becking, FS Rowedder, S.155 (157ff.); Hüffer, A k t G , §131 Rdn.42; F.-J. Semler, in: M ü n c h H d b . AG, §37 Rdn. 20; Wilde, Z G R 1998, 423 (462); wohl auch Lutter/ Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , § 53a Rdn. 74. A.A. Eckardt, in: Geßler/Hefermehl, A k t G , § 131 Rdn. 161 -Joussen, DB 1994,2485 (2486); kritisch auch Grüner, N Z G 2000, 770 (778). 14 Vgl. Duden, FS v. Caemmerer, S.499 (499 ff.); Hoffmann-Becking, FS Rowedder, S. 155 (157 f.). 15 §122 Abs. 6 RefE lautete: „Wird einem Aktionär außerhalb der Hauptversammlung eine A u s k u n f t gegeben, so ist sie jedem anderen Aktionär auf dessen Verlangen mitzuteilen." N i m m t man §271 Abs. 1 BGB hinzu, hätte sich aus dieser Regelung ein Recht auf sofortige Nachinformation ergeben. 16 Vgl. Begr. RegE A k t G bei Kropff A k t G , S. 187. Die Unklarheit der Begründung beklagt auch Duden, FS v. Caemmerer, S.499 (501, 503). 13
514
5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
Sammlung anerkennen, droht § 131 Abs. 4 AktG obsolet zu werden. Die Bedeutung der Vorschrift würde sich nur noch darin erschöpfen, den bereits aus § 53a AktG begründeten Anspruch für einen Teilbereich explizit klarzustellen. Bisher nicht thematisiert worden ist aber die nahe liegende Frage, ob nicht das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung gleichwohl zu einer anderen Lösung zwingt. Auch insoweit ist nämlich wiederum zu bedenken, dass Verstöße gegen das durch Art. 42 Kapital-RL, Art. 17 Abs. 1 Transparenz-RL gemeinschaftsrechtlich vorgegebene Gleichbehandlungsgebot durch hinreichend „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende" Sanktionen bewehrt sein müssen 17 . Eine Nachinformation erst in der nächsten Hauptversammlung, wie sie § 131 Abs. 4 AktG vorsieht, hat zur Folge, dass der gleichbehandlungswidrige Informationsvorsprung u.U. erst ein knappes Jahr später korrigiert wird. Bei einer so langen Zeitspanne besteht die nahe liegende Gefahr, dass der bevorzugte Aktionär seinen Informationsvorsprung längst zu erheblichen Sondervorteilen genutzt hat, die durch die Nachinformation nicht mehr beseitigt werden können. In vielen Fällen wird die Information nach so langer Zeit auch gar nicht mehr von Interesse sein 18 . Auch die Anhänger der h.M., die von der Exklusivität des § 131 Abs. 4 AktG ausgehen, müssen deshalb einräumen, dass es sich bei der dort vorgesehenen Sanktion um ein „stumpfes Schwert" handelt 19 . Eben dies ist aber mit dem gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgebot nicht vereinbar, zumal auch andere effektive Sanktionen nicht ersichtlich sind. Der bei schuldhaften Gleichbehandlungsverstößen grundsätzlich denkbare Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft aus §§280 Abs. 1, 31 BGB wird den übergangenen Aktionären in der hier interessierenden Konstellation in aller Regel keinen wirksamen Schutz bieten, da kaum jemals nachzuweisen sein wird, dass die selektive Vorausinformation zu einem individuellen Vermögensschaden der übergangenen Aktionäre geführt hat. Es bleibt somit allenfalls die Möglichkeit gesellschaftsinterner Sanktionen der Pflichtverletzung des Vorstands durch den Aufsichtsrat. Diese Möglichkeit wird man jedoch ebenfalls nicht als hinreichend effektiv ansehen können, da Ungleichbehandlungen typischerweise zugunsten von Großaktionären erfolgen und die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats von diesen (jedenfalls nach bisher geltendem Recht) nicht gewährleistet ist. Ein Verstoß gegen die Richtlinien wird sich daher nur vermeiden lassen, wenn zumindest im Anwendungsbereich der Richtlinien entgegen der h.M. ein auf § 53a AktG bzw. § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG 20 gestützter Anspruch auf soforS. oben §6 II 5. Vgl. Kubis, in: MünchKomm. AktG, § 131 Rdn. 125 („oft nur noch von mäßigem Interesse"); Decher, in: Großkomm. AktG, § 131 Rdn. 336; Wilde, ZGR 1998, 423 (462). 19 Wilde, ZGR 1998,423 (462). 20 Je nachdem, ob das Gleichbehandlungsgebot der Kapital-RL oder dasjenige der Transparenz-RL berührt ist, ist der Anspruch auf eine richtlinienkonforme Auslegung des § 53a 17 18
§22 Informationelle
Gleichbehandlung
515
tige N a c h i n f o r m a t i o n neben § 131 Abs. 4 A k t G zugelassen wird. D i e N a c h i n formation ist dabei an alle A k t i o n ä r e zu richten, da nur so der G l e i c h b e h a n d lungsverstoß beseitigt wird. D a s s diese L ö s u n g die weit gezogenen G r e n z e n der r i c h t l i n i e n k o n f o r m e n Auslegung überschreiten würde, wird man nicht annehmen können. Zwar sprechen die eingangs genannten Auslegungskriterien dafür, dass bei einer ausschließlich am nationalen R e c h t orientierten Auslegung der bisher h . M . der V o r z u g zu geben wäre. Andererseits schließt aber der W o r t laut des § 131 A b s . 4 A k t G auf andere Anspruchsgrundlagen gestützte I n f o r mationsansprüche außerhalb der H a u p t v e r s a m m l u n g nicht ausdrücklich aus, und auch in den Gesetzesmaterialien ist ein dahingehender W i l l e des G e s e t z g e bers nicht so zweifelsfrei z u m A u s d r u c k g e k o m m e n , dass dadurch jeglicher Spielraum f ü r ein anderes Auslegungsergebnis g e n o m m e n wäre 2 1 . I m Gegenteil spricht Einiges dafür, dass der Gesetzgeber bei Erlass des § 131 Abs. 4 A k t G nicht klar erkannt hat, dass die Vorschrift hinter dem zurückbleibt, was sich bereits aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz ergibt. Seinerzeit war n ä m l i c h n o c h u m s t r i t t e n , o b die Erteilung von A u s k ü n f t e n außerhalb der H a u p t v e r s a m m l u n g überhaupt am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen ist und welche Rechtsfolgen sich daraus genau ergeben 2 2 . U n t e r diesen U m s t ä n d e n erscheint die von der h . M . abweichende Auslegung, dass § 131 Abs. 4 A k t G weitergehende aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz abgeleitete A n s p r ü c h e nicht ausschließt, nach nationalem R e c h t n o c h im Bereich des Möglichen. Bestätigt wird dies nicht zuletzt durch die Tatsache, dass eine M i n d e r m e i n u n g auch o h n e Rücksicht auf die r i c h t l i n i e n k o n f o r m e Auslegung für diese D e u t u n g eintritt 2 3 . F o l g t man dem, spricht alles dafür, sogar n o c h einen Schritt weiter zu gehen und einen auf § 53a A k t G gestützten A n s p r u c h auf sofortige N a c h i n f o r m a t i o n auch für solche I n f o r m a t i o n e n der A G a n z u n e h m e n , die außerhalb des A n w e n dungsbereichs der A r t . 42 K a p i t a l - R L , A r t . 17 A b s . 1 T r a n s p a r e n z - R L liegen, also für I n f o r m a t i o n e n , die von einer A G erteilt werden, deren A k t i e n nicht z u m Handel an einem geregelten M a r k t zugelassen sind (nur f ü r diese gilt A r t . 17 Abs. 1 T r a n s p a r e n z - R L ) , und die sich nicht auf eine der in der KapitalAktG bzw. des §39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG (künftig §30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG) zu stützen. Im Ergebnis macht dies keinen Unterschied; vgl. bereits oben § 6 Fn. 84. 21 S.oben Fn. 16. Zu dem Gebot, den nach nationalem Recht bestehenden Auslegungsspielraum im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung voll auszuschöpfen, zuletzt EuGH, Rs. C-397/01, Slg. 2004, 1-8835, Rdn. 113 ff.; dazu etwa Konzen, SAE 2005, 33 ff.; ders., ZfA 2005, 189 (197ff.); Riesenhuber/Domröse, R I W 2005, 47ff.; Thüsing, ZIP 2004, 2301 ff.; aus der deutschen Rechtsprechung etwa B G H Z 150, 248 (252ff.); BAG NZA 2003, 741 (747 ff.); aus dem Schrifttum statt vieler Canaris, FS Bydlinski, S. 47 (57 ff., 67 ff., 70). 22 Gegen Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Auskunftserteilung außerhalb der Hauptversammlung etwa Boesebeck, AG 1963, 89 (91 f.); zweifelnd auch Franta, seinerzeit Referent im Bundesjustizministerium, in: Das Wertpapier 1959, S.6 (8). Weitere Nachw. zum Streitstand vor In-Kraft-Treten des AktG 1965 bei Ebenroth, Auskunftsrecht, S.96. 23 Vgl. die Nachw. in Fn. 13 a.E.
516
i. Kapitel: Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
RL angesprochenen kapitalrelevanten Maßnahmen beziehen. Zwar ist dem Gemeinschaftsrecht kein Gebot zu entnehmen, dass der richtliniendeterminierte und der nicht richtliniendeterminierte („überschießende") Teil einer nationalen Rechtsnorm zwingend einheitlich auszulegen sind, da eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung immer nur innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie besteht 24 . Es ist aber davon auszugehen, dass der nationale Gesetzgeber im Zweifel eine gespaltene Auslegung vermeiden will 25 . Eine gespaltene Auslegung wird dadurch nicht per se ausgeschlossen, aber es müssen schon besonders gewichtige Gründe vorliegen, die im Einzelfall gegen eine einheitliche Auslegung sprechen 26 . Solche Gründe sind im vorliegenden Zusammenhang nicht ersichtlich. Es bliebe unerfindlich, warum der Anspruch auf sofortige Nachinformation ausgerechnet in Bezug auf nicht der Kapital-RL unterfallende Maßnahmen nicht-börsennotierter Gesellschaften ausgeschlossen sein sollte. Man wird deshalb auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinien einen aus § 53a A k t G abgeleiteten Anspruch auf sofortige Nachinformation anerkennen müssen. Verweigert der Vorstand die Erteilung der Auskunft, kann der Aktionär sie gerichtlich erzwingen. Es bietet sich an, insoweit das Auskunftserzwingungsverfahren des § 132 A k t G (analog) als statthaften Rechtsbehelf anzuerkennen 2 7 .
4. Auskunft „ wegen seiner Eigenschaft als Aktionär"/ Verhältnis zum Konzernrecht Eine wichtige Einschränkung des § 131 Abs. 4 A k t G ergibt sich daraus, dass die Vorausinformation an den bevorzugten Aktionär gerade „wegen seiner Eigenschaft als Aktionär" erfolgt sein muss. Dies deckt sich mit der allgemeinen Anwendungsvoraussetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, dass ihm nur sol24 H.M.; vgl. etwa Canaris, FS Bydlinski, S.47 (74); Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdn.39a; Langenbucher, in: Langenbucher, Europarechtliche Bezüge, Rdn. 104 ff.; Lutter, GS Heinze, S. 571 (574 f.); ausführlich Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, §12 III 2 (S. 288 ff.); Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545 (548 f.); abweichend (gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur einheitlichen Auslegung) Drexl, FS Heldrich, S. 67 (78 ff.); W.H. Roth, FS 50 Jahre B G H , Bd. II, S. 847 (883 ff.). 25 Vgl. Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, §12 I I I 4 c (S.298); Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545 (551); Lutter, GS Heinze, S.571 (577);/. Koch, J Z 2006, 277 (284), die jeweils von einer widerleglichen Vermutung zugunsten der einheitlichen Auslegung sprechen; i.E. auch Brandner, Uberschießende Umsetzung, S. 105 ff.; Schulze, in: Schulze, Auslegung, S. 9 (18). Vgl. auch B G H Z 150, 248 (260ff.) (einheitliche Auslegung des §5 Abs. 2 H T W i G ) . 26 Ausführlich zu möglichen G r ü n d e n f ü r eine gespaltene Auslegung Habersack/May er, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 III 4 d (S. 298 ff.). 27 Soweit einzelne Bestimmungen des § 132 A k t G an die Hauptversammlung anknüpfen, sind sie im Rahmen der analogen Anwendung entsprechend anzupassen. Abweichend (keine Anwendung des § 132 A k t G ) Eckardt, in: Geßler/Hefermehl, A k t G , § 131 Rdn. 164.
5 22 Informationelle
Gleichbehandlung
517
che Maßnahmen zu unterstellen sind, die einen inneren Bezug zur Mitgliedschaft aufweisen 28 . Ein Unterschied zwischen § 131 Abs. 4 A k t G und § 53a A k t G (bzw. § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG) besteht insoweit nicht. Ausgenommen vom Anwendungsbereich beider Vorschriften sind sonach insbesondere Auskünfte, die Organmitgliedern oder Vertragspartnern der Gesellschaft in dieser Eigenschaft erteilt werden, mögen die genannten Personen zugleich auch Aktionäre sein 29 . In Bezug auf erstere ist vornehmlich an Auskünfte zur Erfüllung der Informationspflichten des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat (insbes. §§90, 111 Abs. 2, 125 Abs. 3, 170 AktG) zu denken. Eine genaue Prüfung, in welcher Eigenschaft das betreffende Aufsichtsratsmitglied die Informationen erhalten hat, ist vor allem dann angezeigt, wenn Auskünfte über das geschuldete Maß hinaus nicht an den gesamten Aufsichtsrat, sondern an einzelne Aufsichtsratsmitglieder erteilt worden sind. Von einer generellen Vermutung im Rechtssinne, dass solche Auskünfte mit Rücksicht auf die Aktionärseigenschaft des Aufsichtsratsmitglieds gegeben werden, wird man allerdings nicht sprechen können 3 0 . Vielmehr muss der den Gleichbehandlungsverstoß rügende Aktionär nach allgemeinen Beweislastregeln darlegen und ggf. beweisen, dass die Information nicht erfolgt wäre, wenn der Empfänger nicht zugleich Aktionär gewesen wäre. Dasselbe gilt auch für Auskünfte an Vertragspartner/Aktionäre, sei es im Rahmen von Kredit- oder Beraterverträgen, Kunden- und Lieferantenbeziehungen etc. Gelingen wird der zu erbringende Nachweis vor allem in Fällen, in denen Auskünfte erteilt werden, die erheblich über das Maß an Informationen hinausgehen, das üblicherweise im Rahmen einer vergleichbaren Vertragsbeziehung erteilt wird. In solchen Fällen spricht der Beweis des ersten Anscheins f ü r einen hinreichenden Bezug zur Aktionärseigenschaft. Gewöhnlich erfolgt anhand des Tatbestandsmerkmals „wegen seiner Eigenschaft als Aktionär" auch die im Verlauf der Untersuchung bereits angesprochene Abgrenzung des § 131 Abs. 4 AktG vom Konzernrecht. So wird im Vertragskonzern gemeinhin davon ausgegangen, dass das herrschende Unternehmen Informationen nicht in seiner Eigenschaft als Aktionär, sondern als anderer Vertragsteil erhält 31 . Ähnlich heißt es zum faktischen Konzern, dass die Auskünfte dem herrschenden Unternehmen nicht als Aktionär, sondern wegen seiner Leitungsfunktion erteilt würden 32 . Auch nach der hier vertretenen Auffassung kommt § 131 Abs. 4 AktG im Anwendungsbereich des beherrschungsvertraglichen Weisungsrechts (§ 308 AktG) bzw. in den Grenzen zulässiger Einflussnahme nach §311 A k t G nicht zur Anwendung. Zur Begründung sollte allerdings nicht das 28
Ausführlich dazu oben §91. Vgl. statt aller Decher, in: Großkomm. A k t G , § 131 Rdn. 343 f. 30 So aber Kubis, in: MünchKomm. A k t G , §131 Rdn. 131; wie hier dagegen Auskunftsrecht, S. 100; Zöllner, in: Kölner Komm. A k t G , § 131 Rdn. 64. 31 Nachw. o b e n § 1 5 F n . 14. 32 Nachw. oben § 15 Fn. 51-52. 29
Ebenroth,
518
5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
zweifelhafte Wortlautargument herangezogen werden, dass es am Bezug zur Aktionärseigenschaft fehle. Vorzugswürdig erscheint vielmehr die Erklärung, dass § 131 Abs. 4 AktG wegen der Spezialität der konzernrechtlichen Vorschriften auf Konkurrenzebene zurücktritt 3 3 . Entgegen der h.M. ist Letzteres nach der hier vertretenen Ansicht auch dann anzunehmen, wenn kein (faktischer) Konzern, sondern lediglich schlichte Abhängigkeit i.S. des § 17 AktG vorliegt 34 . In demselben Umfang, wie § 131 Abs. 4 AktG durch das Konzernrecht verdrängt wird, muss dies auch für den aus § 53a AktG bzw. § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG 35 abgeleiteten Anspruch auf sofortige Nachinformation gelten.
5. Zulässigkeit
von
Ausforschungsfragen?
Häufig werden die Aktionäre nicht wissen und auch nicht wissen können, ob und welche Auskünfte außerhalb der Hauptversammlung an andere Aktionäre erteilt worden sind. In Teilen des Schrifttums w i r d deshalb vorgeschlagen, den Vorstand f ü r verpflichtet zu halten, in der Hauptversammlung auf Anfrage darüber zu informieren, ob anderen Aktionären außerhalb der Hauptversammlung Auskünfte erteilt worden sind 3 6 . Rechtsprechung und h.L. gehen demgegenüber davon aus, dass der Vorstand solche „Ausforschungsfragen" nicht zu beantworten braucht 3 7 . Dem ist, was pauschal gehaltene Ausforschungsfragen anbetrifft, nachdrücklich zuzustimmen. Die Gegenansicht käme im Ergebnis einer Verpflichtung des Vorstands zur unaufgeforderten Nachholung aller zuvor erteilten Auskünfte gleich, da von der pauschalen Abfragemöglichkeit routinemäßig Gebrauch gemacht werden würde 3 8 . Eine so weitreichende Verpflichtung hat der Gesetzgeber jedoch zweifelsfrei nicht vorsehen wollen 3 9 . In gewissen Grenzen w i r d man den benachteiligten Aktionären aber gleichwohl entgegenkommen können. Sofern ein Aktionär den Verdacht hegt, dass aus einem bestimmten Anlass zu einem näher umrissenen Themenkreis VorausS.oben § 15 11 b und § 15 I 3 abb. Näher oben §15 13 abb. 35 Künftig § 30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG; vgl. oben 2 II 3. 36 Vgl. Burgard, Offenlegung, S.87; Ebenroth., Auskunftsrecht, S. 103; Heidel, in: AnwKomm. AktG, § 131 Rdn. 80; Meilicke/Heidel, DStR 1992,113 (114); U.H. Schneider, FS Lutter, S. 1193 (1202). 37 BayObLG NZG 2002, 1020 (1021) (die Entscheidung wird teilweise für die Gegenauffassung angeführt, folgt aber im hier interessierenden Punkt der h.M.); OLG Dresden AG 1999, 274 (275 f.); LG Düsseldorf AG 1992, 461 (462); Decker, in: Großkomm. AktG, § 131 Rdn. 360; Eckardt, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 131 Rdn. 153; Hoffmann-Becking, FS Rowedder, S. 155 (159ff.); H ü f f e r , AktG, § 131 Rdn. 41; Kubis, in: MünchKomm. AktG, § 131 Rdn. 136; Wilde, ZGR 1998,423 (462); Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 131 Rdn. 74. 38 Zutr. Kubis, in: MünchKomm. AktG, § 131 Rdn. 136. 39 Aufschlussreich aus der Entstehungsgeschichte des § 131 Abs. 4 AktG insbesondere die Erläuterungen von Franta, seinerzeit Referent im Bundesjustizminsterium, in: Das Wertpapier 1959, 6 (8). Näher dazu auch Hoffmann-Becking, FS Rowedder, S. 153 (161 f.). 33 34
§ 22 Informationelle
Gleichbehandlung
519
Informationen an einzelne Aktionäre erteilt worden sind, kann der Vorstand auf entsprechend konkrete Anfrage gemäß § 131 Abs. 1 A k t G verpflichtet sein, die Tatsache einer erfolgten Vorausinformation offenzulegen. Der insoweit erforderliche Bezug zur Tagesordnung lässt sich nicht generell leugnen. Vielmehr wird sich, da eine Vorausinformation einzelner Aktionäre bei Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung als rechtswidrig anzusehen ist 40 , ein Bezug zur Vertrauenswürdigkeit des Vorstands und damit zum Tagesordnungspunkt der Entlastung des Vorstands nicht selten bejahen lassen 41 . Folgt man dem, sind die Möglichkeiten der Aktionäre zwar immer noch begrenzt. Von einer nahezu vollständigen Aushöhlung des Nachinformationsrechts, wie sie im Schrifttum bisweilen befürchtet wird 42 und die im Übrigen auch mit Blick auf das gemeinschaftsrechtliche Effektivitätsgebot bedenklich wäre, wird man aber nicht sprechen können.
6. Schranken der aktiven
Gleichbehandlung
a) Auskunftsverweigerungsrechte
im Rahmen des § 131 Abs. 4 AktG
Gemäß § 131 Abs. 4 Satz 2 A k t G darf der Vorstand die Nachinformation in der Hauptversammlung nicht nach Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 - 4 A k t G verweigern. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Auskunftsverweigerungsgrund des §131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AktG, der an eine drohende Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit 43 der Auskunftserteilung anknüpft, auch auf das Nachinformationsrecht Anwendung findet44. Als einschlägige Straftatbestände werden vor allem §404 Abs. 1 Nr. 1 AktG (Verletzung der Geheimhaltungspflicht des Vorstands), § 266 StGB (Untreue) und bei börsennotierten Gesellschaften § 14 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. §§ 38 Abs. 1 Nr. 2a, 39 Abs. 2 Nr. 3 WpHG (Mitteilung von Insiderinformationen) in Betracht gezogen. Eine nähere Untersuchung mahnt S. oben Ziff. 2. Deutlich zurückhaltender die h.M.; vgl. etwa Hoffmann-Becking, FS Rowedder, S. 153 (161): Ein Bezug zur Tagesordnung liege „so gut wie niemals" vor, da mit der Frage nach dem „ O b " einer Auskunftserteilung außerhalb der Hauptversammlung keine inhaltliche Aussage zum Gegenstand der Tagesordnung begehrt werde. 4 2 Vgl. die Nachw. in F n . 3 6 . 4 3 Für Ausdehnung des § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 A k t G auch auf Ordnungswidrigkeiten die h.M.; vgl. Eckardt, in: Geßler/Hefermehl, A k t G , § 131 Rdn. 124; Rubis, in: MünchKomm. A k t G , §131 Rdn. 115; Decher, in: Großkomm. A k t G , §131 Rdn. 323 m.w.Nachw. auch zur Gegenauffassung; a.A. etwa Heidel, in: AnwKomm. A k t G , § 131 Rdn. 71. 4 4 Anderes gilt für § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 A k t G , obwohl auch hier der Wortlaut den Umkehrschluss nahe legt. Diese speziell auf Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute zugeschnittene Vorschrift ist erst nachträglich durch das B a n k B i R i L i G vom 30.11.1990 ( B G B l . I, 2570) eingefügt worden. Dabei ist die erforderliche Abstimmung mit §131 Abs. 4 Satz 2 A k t G offenbar nur aufgrund eines Redaktionsversehens unterblieben; näher dazu Decher, in: Großkomm. A k t G , § 131 Rdn. 369; Rubis, in: MünchKomm. A k t G , § 131 Rdn. 139. 40 41
520
.5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
indes dazu, nicht vorschnell vom Bestehen eines Auskunftsverweigerungsrechts auszugehen. aa) Bedenkt man, dass der Begriff des Geheimnisses i.S. des § 404 A k t G weit verstanden wird 45 und seine Preisgabe nach § 93 Abs. 1 Satz 2 A k t G grundsätzlich nur zulässig ist, soweit daran ein überwiegendes Gesellschaftsinteresse besteht, scheint man allerdings auf den ersten Blick zu dem Ergebnis zu gelangen, dass nahezu alle vertraulichen Daten vom Nachinformationsrecht ausgenommen sind. Die entscheidende Einschränkung ergibt sich jedoch daraus, dass ein Vorstand, der seiner Auskunftspflicht gemäß § 131 Abs. 1 oder Abs. 4 A k t G entspricht, nach h.M. kein unbefugtes Offenbaren i.S. des § 404 A k t G begeht 46 . Dem wird im Schrifttum zwar verschiedentlich widersprochen 47 , doch leuchtet die h.M. gerade im Anwendungsbereich des § 131 Abs. 4 A k t G unmittelbar ein: Indem der Gesetzgeber in § 131 Abs. 4 Satz 2 A k t G das Auskunftsverweigerungsrecht nach Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ausdrücklich ausgeschlossen hat, hat er deutlich zu erkennen gegeben, dass die Auskunft auch dann zu erteilen ist, wenn dadurch erhebliche Nachteile für die Gesellschaft zu besorgen sind. Mit dieser klaren Entscheidung des Gesetzgebers ist eine Auslegung des § 404 Abs. 1 Nr. 1 AktG, die eine für die Gesellschaft nachteilige Auskunftserteilung in diesen Fällen unter Strafe stellen würde, ersichtlich unvereinbar. Einzuräumen ist allerdings, dass die in § 131 Abs. 4 Satz 2 A k t G enthaltene Regelung, trotz drohender Schädigung der Gesellschaft Informationen offenbaren zu müssen, in rechtspolitischer Hinsicht bedenklich ist 48 . De lege lata ist die Rechtslage jedoch eindeutig und lässt sich auch nicht mit verfassungsrechtlichen Überlegungen wie der Behauptung eines Verstoßes gegen das Ubermaßverbot außer Kraft setzen 49 . Für eine solche Korrektur besteht jedenfalls dann kein zwingender Anlass, wenn man anerkennt, dass in besonders gravierenden Fällen bereits die Treuepflicht des Aktionärs gegenüber der Gesellschaft dem 45 Vgl. etwa Geilen, in: Kölner Komm. AktG, §404 Rdn.22ff.; Otto, in: Großkomm. AktG, §404 Rdn. 13 ff.; jeweils m.w.Nachw.: jede nicht offenkundige, das Unternehmen betreffende Tatsache, hinsichtlich derer die Gesellschaft ein objektives Geheimhaltungsinteresse hat und die sie nicht offenbaren will. Einschränkend allerdings Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 131 Rdn. 41. 4 6 Vgl Decher, in: Großkomm. AktG, §131 Rdn. 324; Eckardt, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 131 Rdn. 123; Heidel, in: AnwKomm. AktG, § 131 Rdn. 71; Hoffmann-Becking, FS Rowedder, S.155 (164); Hüffer, AktG, §131 Rdn. 31; Kubis, in: MünchKomm. AktG, §131 Rdn. 116; Wohlleben, Informationsrechte, S. 186. 4 7 Vgl. Körber, N Z G 2002, 263 (266); Schroeder, DB 1997, 2161 (2165 f.); Angersbach, Due Diligence, S. 97. 4 8 Kritisch etwa Boesebeck, AG 1963, 89 (92 f.); Karehnke, AG 1968,280 (283 f.); Kubis, in: MünchKomm. AktG, § 131 Rdn. 139; Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, § 131 Rdn. 73 („gesetzgeberische Fehlleistung"). 4 9 So aber Zöllner, in: Kölner Komm. AktG, §131 Rdn. 73, der §131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG uneingeschränkt anwenden will. Wie hier dagegen die h.M., vgl. Decher, in: Großkomm. AktG, § 131 Rdn. 366; Hoffmann-Becking, FS Rowedder, S. 155 (163); Hüffer, AktG, § 131 Rdn. 42; Kubis, in: MünchKomm. AktG, § 131 Rdn. 139.
5 22 Informationelle
Gleichbehandlung
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Auskunftsverlangen eine äußerste Schranke setzt 50 . Relevanz gewinnt diese Einschränkung beispielsweise in den unten 51 noch näher zu erörternden Fällen, in denen einzelnen Gesellschaftern zur Vorbereitung eines Beteiligungsverkaufs die Durchführung einer due diligence gestattet worden ist, obwohl hierfür keine hinreichende sachliche Rechtfertigung im Gesellschaftsinteresse vorlag. In solchen Fällen ist nicht davon auszugehen, dass sämtliche im Rahmen der due diligence zugänglich gemachten Informationen nunmehr auch allen anderen Aktionären offenzulegen sind, wenn und weil dies für die Gesellschaft geradezu ruinöse Folgen hätte. Man wird den Aktionären vielmehr nur das Recht zugestehen dürfen, Auskunft über solche Tatsachen zu verlangen, deren Bekanntgabe an alle Aktionäre zu Nachteilen für die Gesellschaft führt, die zu dem begangenen Gleichbehandlungsverstoß nicht gänzlich außer Verhältnis stehen. Freilich versteht sich, dass die so beschriebenen treuepflichtbedingten Grenzen des Nachinformationsrechts weit zu ziehen sind, um die grundsätzliche Wertung des § 131 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG nicht zu unterlaufen. bb) Aus den soeben zu §404 StGB angeführten Gründen kann ein Auskunftsverweigerungsrecht auch nicht auf eine drohende Strafbarkeit aus § 266 StGB mit der Begründung gestützt werden, dass der Vorstand mit einer gesellschaftsschädigenden Auskunft seine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Gesellschaft verletze und deshalb den Tatbestand der Untreue verwirkliche52. Wenn der Vorstand nach § 131 Abs. 4 Satz 2 AktG Auskünfte auch dann nicht verweigern darf, wenn der Gesellschaft daraus erhebliche Schäden drohen, ist die Erteilung solcher Auskünfte auch im Hinblick auf § 266 StGB als gerechtfertigt und damit nicht strafbar anzusehen 53 . Andernfalls würde die gesetzgeberische Entscheidung, das Auskunftsverweigerungsrecht des § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG auszuschließen, praktisch vollständig umgangen. Dem Ausschluss des § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG wird man vielmehr die generelle Aussage entnehmen müssen, dass Nachinformationen (in den durch die Treuepflicht der Aktionäre gezogenen Grenzen) zu erteilen sind, solange ausschließlich das Gesellschaftsvermögen und nicht auch andere strafrechtlich geschützte Rechtsgüter beeinträchtigt werden. cc) Schwieriger zu beantworten ist dagegen die Frage, ob sich das Nachinformationsrecht bei börsennotierten Gesellschaften auch auf Insiderinformationen erstreckt oder ob insoweit der Vorstand die Auskunft mit Rücksicht auf das insiderrechtliche Weitergabeverbot (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. §§ 38 Abs. 1 Nr. 2a, 50 Allgemein zu den ungeschriebenen Schranken des Auskunftsrechts Decker, in: Großkomm. A k t G , § 131 Rdn. 274 ff. 51 Ziff. III 2. 52 So aber Eckardt, in: Geßler/Hefermehl, A k t G , § 131 Rdn. 158; Decher, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 131 Rdn. 367', Angersbach, Due Diligence, S.97. 53 Zutr. Hoffmann-Becking, FS Rowedder, S. 155 (164).
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5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
39 Abs. 2 Nr. 3 WpHG) verweigern kann. In Bezug auf das allgemeine Auskunftsrecht des § 131 Abs. 1 AktG ist diese Frage bekanntlich umstritten: Während eine Auffassung den Vorstand für berechtigt hält, die Mitteilung einer Insiderinformation unter Berufung auf § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AktG zu verweigern 54 , gelangt die Gegenauffassung zu dem Ergebnis, dass die Auskunft in der Hauptversammlung zu erteilen ist, dass aber zumindest zeitgleich die Bereichsöffentlichkeit hergestellt werden muss 55 , um die durch das Insiderrecht angestrebte informationelle Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer zu gewährleisten 56 (vgl. nunmehr § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG n.F.). Nur falls dies ausnahmsweise technisch nicht möglich sei, dürfe die Auskunft verweigert werden 57 . Ob dasselbe auch für nach § 131 Abs. 4 AktG zu erteilende Auskünfte gelten soll, wird nicht gesondert erörtert. Man wird aber annehmen dürfen, dass beide Auffassungen diesen Fall nicht anders behandeln würden. Jedenfalls für das hier interessierende Nachinformationsrecht aus § 131 Abs. 4 AktG, aber konsequenterweise auch in Bezug auf § 131 Abs. 1 AktG, ist der zuletzt genannten Auffassung zu folgen, die keine Auskunftsverweigerung nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AktG zulässt. Sinn und Zweck des Auskunftsverweigerungsrechts nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AktG bestehen darin, den Vorstandsmitgliedern unzumutbare Pflichtenkollisionen zu ersparen. Diese ratio legis ist aber nicht berührt, wenn die Vorstandsmitglieder der Pflichtenkollision ohne weiteres, d.h. ohne schutzwürdige Belange opfern zu müssen, ausweichen können. Genauso verhält es sich hier; denn die mögliche Strafbarkeit nach §§ 14 Abs. 1 Nr. 2, 38 Abs. 1 Nr. 2a, 39 Abs. 2 Nr. 3 WpHG entfällt, wenn der Vorstand vor oder zeitgleich mit der Auskunftserteilung in der Hauptversammlung die Bereichsöffentlichkeit herstellt. Zwar wird der Einwand erhoben, diese Lösung vernachlässige die Interessen der Gesellschaft, indem sie den Vorstand zur Herstellung der Bereichsöffentlichkeit zwinge, obwohl schützenswerte Interessen der Gesellschaft an einer einstweiligen Geheimhaltung bestehen könnten 58 . Darin liegt indes schon im Rahmen des § 131 Abs. 1 AktG kein triftiges Argument, da bei drohenden Nachteilen für die Gesellschaft die Auskunft bereits nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG verweigert werden kann. Ebenso wenig verfängt die 54 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 14 Rdn. 87; Kubis, in: MünchKomm. AktG, § 131 Rdn. 117; mit Einschränkungen auch Schwark, in: Schwark, KMRK, § 14 Rdn. 36; in Bezug auf nicht ad-hoc-publizitätspflichtige Tatsachen ferner Wüsthoff, Auskunftsanspruch, S. 121 ff., 148; alle m.w.Nachw. 55 Die Kundgabe in der Hauptversammlung genügt dafür unstreitig nicht; statt aller Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 13 Rdn. 40. 56 Vgl. Decher, in: Großkomm. AktG, §131 Rdn. 326 ff. m.w.Nachw.; Götz, DB 1995, 1949 (1951 f.); Heidel, in: AnwKomm. AktG, §131 Rdn. 72; U.H. Schneider/Singhof, FS Kraft, S.585 (597f.); für Auskunftspflicht auch ohne gleichzeitige Herstellung der Bereichsöffentlichkeit zuletzt S.H. Schneider, Informationspflichten, S. 61 ff. 57 Decher, in: Großkomm. AktG, § 131 Rdn. 329. 58 Schwark, in: Schwark, KMRK, § 14 WpHG Rdn. 36.
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Gleichbebandlung
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genannte Argumentation in Bezug auf § 1 3 1 Abs. 4 A k t G : W e n n hier nach der klaren Regelung des Gesetzes (§ 131 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 A k t G ) die Information trotz drohender erheblicher Nachteile für die Gesellschaft zu erteilen ist, lässt sich allein mit dem Hinweis auf das Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft - von Ausnahmefällen der Treuepflichtwidrigkeit des N a c h i n f o r m a tionsverlangens abgesehen (oben lit. aa) - kein Auskunftsverweigerungsrecht begründen. A u c h der weitere E i n w a n d , die hier b e f ü r w o r t e t e L ö s u n g trage der insiderrechtlich angestrebten informationellen Gleichbehandlung aller M a r k t t e i l n e h mer nicht hinreichend R e c h n u n g , da die Hauptversammlungsteilnehmer von der Insiderinformation zwangsläufig erst mit einer gewissen zeitlichen V e r z ö gerung e r f ü h r e n 5 9 , z w i n g t letztlich zu keinem anderen Ergebnis. B e i sorgfältigem Vorgehen erscheint eine solche zeitliche V e r z ö g e r u n g vermeidbar oder jedenfalls auf ein M i n i m u m reduzierbar. D a s G e s e t z geht im Ü b r i g e n in § 15 A b s . 1 Satz 3 W p H G n.F. selbst davon aus, dass es möglich ist, eine Insiderinformation einem D r i t t e n mitzuteilen und sie zeitgleich in dem elektronischen Informationsverbreitungssystem nach § 15 A b s . 7 W p H G i.V.m. § 5 A b s . 1 W p A I V 6 0 zu veröffentlichen. I m R a h m e n des § 131 A b s . 4 A k t G k o m m t ein Weiteres h i n z u : W e n n m a n den hier zugrunde gelegten Ausgangspunkt a k z e p tiert, dass § 131 Abs. 4 A k t G nur zur A n w e n d u n g k o m m t , w e n n die Vorausinformation außerhalb der H a u p t v e r s a m m l u n g einen V e r s t o ß gegen § 53a A k t G darstellt, also nicht sachlich gerechtfertigt w a r 6 1 , so ist dadurch die i n f o r m a t i o nelle Gleichbehandlung bereits verletzt worden. G e w ä h r t e man d e n n o c h ein Auskunftsverweigerungsrecht, w ü r d e dieser Gleichbehandlungsverstoß bis auf weiteres perpetuiert. D a m i t wäre dem Anliegen der informationellen G l e i c h b e handlung ersichtlich weniger gedient als mit der hier b e f ü r w o r t e t e n L ö s u n g . dd) F o l g t man den vorstehenden A u s f ü h r u n g e n , bleibt der A n w e n d u n g s b e reich des Auskunftsverweigerungsrechts nach § 1 3 1 A b s . 3 Satz 1 N r . 5 A k t G vergleichsweise schmal. D i e Vorschrift läuft gleichwohl nicht gänzlich leer; zu denken ist vornehmlich an Tatbestände z u m Schutz von persönlichen D a t e n (§ 2 0 3 S t G B ) , der persönlichen E h r e ( § 1 8 6 S t G B ) oder - w o r a n der G e s e t z g e b e r offenbar primär gedacht hat - von Staatsgeheimnissen (§§ 93 ff. S t G B ) 6 2 .
59 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 14 Rdn. 86 („systematische Benachteiligung der in der Hauptversammlung anwesenden Aktionäre"). 60 Verordnung zur Konkretisierung von Anzeige-, Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten sowie der Pflicht zur Führung von Insiderverzeichnissen nach dem Wertpapierhandelsgesetz vom 13.12.2004, BGBl. I, 3376. 61 S. oben Ziff. 1. 62 Vgl. Begr. RegE AktG bei Kropff, AktG, S. 187; aus dem Schrifttum Decher, in: Großkomm. AktG, § 131 Rdn. 323.
524
y Kapitel:
Anwendung und Konkretisierung
b) Auskunftsverweigerungsrechte
im Rahmen
der erarbeiteten des § 53a
Grundsätze
AktG
Zu klären bleibt, o b die vorstehend beschriebene B e s c h r ä n k u n g der A u s k u n f t s verweigerungsgründe auch auf den hier bejahten 6 3 , direkt aus § 53a A k t G bzw. § 39 A b s . 1 N r . 1 B ö r s G abgeleiteten A n s p r u c h auf aktive Gleichbehandlung in F o r m der sofortigen N a c h i n f o r m a t i o n außerhalb der H a u p t v e r s a m m l u n g anzuwenden ist. Stellt man die Tatsache in R e c h n u n g , dass der G e s e t z g e b e r mit der Regelung des § 131 A b s . 4 A k t G - und damit auch der einschränkenden R e gelung der Auskunftsverweigerungsgründe in dessen Satz 2 - die A u s w i r kungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Bereich des I n f o r m a t i o n s r e c h t s konkretisieren wollte 6 4 , wird m a n diese Frage bejahen müssen. D a s s auf diese Weise der rechtspolitisch u m s t r i t t e n e 6 5 Ausschluss des § 131 A b s . 3 Satz 1 N r . 1 A k t G auch auf den A n s p r u c h auf sofortige N a c h i n f o r m a t i o n aus §§ 53a A k t G , 39 A b s . 1 N r . 1 B ö r s G ausgedehnt wird, mag z w a r im Ergebnis nicht u n b e d e n k lich sein. E i n e A b s t u f u n g der Auskunftsverweigerungsgründe je nachdem, o b das N a c h i n f o r m a t i o n s r e c h t auf § 131 Abs. 4 A k t G oder auf §§ 53a A k t G , 39 Abs. 1 N r . 1 B ö r s G gestützt wird, wäre aber ungereimt und k a u m begründbar, da beide A n s p r ü c h e auf denselben G r u n d g e d a n k e n und dasselbe Fehlverhalten der Gesellschaft zurückgehen. Solange der Gesetzgeber die restriktive R e g e lung der Auskunftsverweigerungsgründe in § 131 A b s . 4 Satz 2 A k t G beibehält, wird m a n daher nicht u m h i n k ö n n e n , diese auch auf den A n s p r u c h aus §§ 53a A k t G , 39 A b s . 1 N r . 1 B ö r s G anzuwenden. I n außergewöhnlich gravierenden Fällen sind aber auch hier die G r e n z e n des N a c h i n f o r m a t i o n s r e c h t s zu beachten, die sich aus der Treuepflicht der A k t i o n ä r e gegenüber ihrer Gesellschaft ergeben 6 6 .
7. Fazit Fasst man die wichtigsten Ergebnisse zusammen, so bestehen auf der Tatbestandsseite keine Unterschiede zwischen § 131 Abs. 4 A k t G und Ansprüchen unmittelbar aus §§ 53a A k t G , 39 Abs. 1 Nr. 1 B ö r s G auf N a c h i n f o r m a t i o n (aktive Gleichbehandlung). In beiden Fällen löst nur eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung das Nachinformationsrecht aus. Liegt kein Verstoß gegen § 53a A k t G vor, können sich auch aus § 131 Abs. 4 A k t G keine Ansprüche ergeben. W e n n im Folgenden die Zulässigkeit von Ungleichbehandlungen in einzelnen praktisch relevanten Fallgruppen der Informationserteilung untersucht wird, können daher § 131 Abs. 4 A k t G und § 53a A k t G gemeinsam betrachtet werden. S. oben Ziff. 3. Vgl. Begr. RegE AktG bei Kropff, AktG 1965, S. 187: § 131 Abs. 4 AktG als Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes; s. bereits oben Ziff. 1. 65 Vgl. die Nachw. oben in Fn. 48. 66 S.obenlit.aaa. 63
64
§ 22 Informationelle
Gleichbebandlung
525
Unterschiede bestehen dagegen in den Rechtsfolgen: Während der A n s p r u c h aus § 131 Abs. 4 A k t G auf Nachinformation (erst) in der nächsten Hauptversammlung gerichtet ist, lässt sich nach der hier vertretenen Auffassung aus § 53a A k t G bzw. § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG im Wege der richtlinienkonformen Auslegung ein Anspruch auf sofortige aktive Gleichbehandlung ableiten. H i n t e r g r u n d ist die Überlegung, dass ein Hinausschieben der Nachinformation auf den Termin der nächsten Hauptversammlung dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot w i r k s a m e r und abschreckender Sanktionen nicht genügen würde. Beide Ansprüche finden ihre Schranke in § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 A k t G sowie - falls der Gesellschaft aus der Offenlegung außergewöhnlich gravierende Nachteile drohen - der Treuepflicht des Aktionärs.
II. Gleichbehandlungsgrundsatz und kapitalmarktrechtliche Vorgaben W i e eingangs e r w ä h n t setzen nicht nur die § § 5 3 a , 131 Abs. 4 A k t G der selektiven Information einzelner A k t i o n ä r e durch die Gesellschaft Schranken. In Gesellschaften, deren A k t i e n an der Börse gehandelt werden, sind vielmehr auch die kapitalmarktrechtlichen B e s t i m m u n g e n zu beachten. Ein erhebliches M a ß an informationeller Gleichbehandlung w i r d neben den regelmäßigen Berichtspflichten u n d etwaigen Prospektveröffentlichungspflichten vor allem durch die ad-hoc-Publizität von Insiderinformationen gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 W p H G gewährleistet. Die Veröffentlichung einer ad-hoc-Mitteilung w a h r t in B e z u g auf die betreffende Information die Gleichbehandlung aller M a r k t t e i l nehmer u n d damit auch aller A k t i o n ä r e . Problematisch u n d i m vorliegenden Z u s a m m e n h a n g von besonderem Interesse sind aber die Fälle, in denen (vorerst) keine ad-hoc-Veröffentlichung erfolgt - sei es, weil die Insiderinformation den Emittenten nicht unmittelbar betrifft ( § 1 5 Abs. 1 Satz 1 W p H G ) , sei es, weil eine Selbstbefreiung von der Veröffentlichungspflicht vorliegt (§ 15 Abs. 3 W p H G ) - u n d die Insiderinformation zunächst nur einzelnen, meist besonders einflussreichen A k t i o n ä r e n mitgeteilt w i r d . Diese selektive Vorausinformation ist aus kapitalmarktrechtlicher Sicht vor allem am Verbot der u n b e f u g t e n Weitergabe von Insiderinformationen zu messen (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 W p H G ; d a z u Ziff. 1). Daneben ist die durch das A n S V G 6 7 neu eingeführte Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 3 W p H G zu beachten. N a c h dieser B e s t i m m u n g k a n n die befugte Weitergabe von Insiderinformationen unter bestimmten (sehr engen) Voraussetzungen eine zusätzliche ad-hoc-Publizitätspflicht auslösen (Ziff. 2) 6 8 . Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes vom 28.10.2004, B G B l . 1,2630. Im S c h r i f t t u m ist darüber hinaus unlängst der Versuch unternommen worden, aus den verschiedenen kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten auf einen allgemeinen kapital67
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526
5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
Ergänzend sei erwähnt, dass für börsennotierte Gesellschaften auch der freilich nicht mit Gesetzeskraft ausgestattete - Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) in Ziff. 6.3 die informationelle Gleichbehandlung der Aktionäre ausdrücklich anordnet. Ziff. 6.3 Satz 1 enthält aber lediglich eine Wiederholung dessen, was sich ohnehin aus § 53a AktG ergibt 69 , so dass sich eine gesonderte Erörterung erübrigt. Auf den in Ziff. 6.3 Satz 2 angesprochenen Fall der Analystenkonferenz wird dagegen zurückzukommen sein 70 .
1. Das insiderrechtliche
Weitergabeverbot
(§14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG)
a) Allgemeines Das in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG statuierte Verbot, Insiderinformationen „unbefugt mitzuteilen oder zugänglich zu machen", gilt für alle Gesellschaften, deren Aktien an der Börse - einschließlich des Freiverkehrs 71 - gehandelt werden. Das Schutzanliegen der Vorschrift und der geschützte Personenkreis unterscheiden sich von denen des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes: Während es diesem um den Schutz der Gesellschafter geht, zielt das Insiderrecht auf die informationelle Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer, also nicht nur der gegenwärtigen Aktionäre, und damit letztlich auf den Schutz der Funktionsfähigkeit und Integrität des organisierten Kapitalmarkts insgesamt 72 . Allerdings beschränkt sich der kapitalmarktrechtliche Schutz anders als der gesellschaftsrechtliche auf Insiderinformationen, also Informationen über nicht öffentlich bekannte Umstände, die geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsenkurs erheblich zu beeinflussen 73 . Ferner handelt es sich beim insiderrechtlichen Weitergabeverbot um einen Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitentatbestand, der folglich im Gegensatz zu §§ 53a, 131 Abs. 4 AktG
marktrechtlichen Grundsatz der informationellen Gleichbehandlung aller aktuellen und potenziellen Anleger zu schließen; eingehend dazu Zetzsche, Aktionärsinformation, S. 283 ff. Ob eine derart weitreichende Rechtsfortbildung methodisch zu rechtfertigen ist, erscheint allerdings mehr als fraglich. Näher liegt es, die Beschränkung des Insiderrechts und der adhoc-Publizität auf kursrelevante Informationen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG) dahin zu verstehen, dass unterhalb dieser Schwelle grundsätzlich keine kapitalmarktrechtliche Pflicht zur informationellen Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer besteht. In diesem Sinne auch die h.M., vgl. nur Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, vor §12 Rdn.45 („ganz offenbar keine umfassende Gleichbehandlung von Anlegern angestrebt"). 69 Vgl. v. Werder, in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, DCGK, Rdn. 1225. 70 S. unten Ziff. III 1. 71 Vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 1 WpHG. Beachte den Unterschied zu § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG; zu § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG sogleich unter Ziff. 2. 72 Vgl. statt vieler Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 14 Rdn. 6 ff.; Schwark, in: Schwark, KMRK, vor § 12 WpHG Rdn. 8. 73 Ausführliche Legaldefinition nunmehr in § 13 WpHG n.F.
5 22 Informationelle
Gleichbehandlung
527
auch an subjektive Voraussetzungen (Vorsatz, Leichtfertigkeit) geknüpft ist 74 und andere Rechtsfolgen nach sich zieht. Was den objektiven Tatbestand anbetrifft, zeigen sich aber trotz des unterschiedlichen Ausgangspunkts durchaus gewisse Parallelen. Das entscheidende Tatbestandsmerkmal im Rahmen des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG betrifft die „unbefugte" Weitergabe der Information. Ausweislich der zugrunde liegenden Marktmissbrauchs-RL erfolgt eine Weitergabe dann unbefugt, wenn sie nicht im „normalen Rahmen" der Berufs- und Geschäftsausübung oder der Erfüllung der Aufgaben des Insiders erfolgt 75 . Im Schrifttum wird dies dahin konkretisiert, dass von einer Befugnis zur Weitergabe immer dann auszugehen ist, wenn die Weitergabe entweder gesetzlich vorgeschrieben ist oder schützenswerten Interessen der Gesellschaft dient, die im Rahmen einer Abwägung mit dem Interesse der Marktteilnehmer an informationeller Gleichbehandlung vorrangig sind 76 . Diese Abwägung ähnelt der im Rahmen des § 53a AktG anzustellenden Abwägung zwischen dem Gesellschaftsinteresse und den mitgliedschaftlichen Interessen der benachteiligten Aktionäre. Der Unterschied besteht (lediglich) darin, dass auf Seiten der ungleich Behandelten im einen Fall die Interessen aller unbeteiligten Marktteilnehmer, im anderen Fall nur die ohne oder gegen ihren Willen benachteiligten Gesellschafter zu berücksichtigen sind. Im Ergebnis bedeutet dies, dass dann, wenn im Rahmen des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG die Abwägung zugunsten der selektiven Weitergabe der Information ausfällt, die Entscheidung im Rahmen des § 53a AktG nicht anders ausfallen kann. Der umgekehrte Schluss, dass immer dann, wenn im Rahmen des § 53a AktG die Abwägung zugunsten der Ungleichbehandlung ausfällt, keine „unbefugte" Weitergabe i.S. des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG vorliegt, ist dagegen angesichts des größeren Kreises der im Insiderrecht zu berücksichtigenden Interessen nicht zwingend. Parallelen zeigen sich auch im Verhältnis zum Konzernrecht. Ebenso wie der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz im Konzern Einschränkungen erleidet, steht auch § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG der konzernrechtlich zulässigen Weitergabe von Insiderinformationen an das herrschende Unternehmen zur Gewährleistung einer einheitlichen Konzernleitung nicht entgegen. Eine derartige Weitergabe wird heute sowohl im Vertrags- als auch im faktischen
74 Vgl. §§38 Abs. 1 N r . 2 , 39 Abs.2 Nr.3 WpHG (Vorsatzstraftat für Primärinsider, ansonsten Ordnungswidrigkeit bei Vorsatz oder Leichtfertigkeit). 75 Vgl. Art. 3 lit.a der Marktmissbrauchs-RL ( R L 2003/6/EG vom 28.1.2003, ABl. vom 12.4.2003, L 96/16); zuvor bereits A r t . 3 lit.a der Insider-RL (RL 89/592/EWG, ABl. vom 18.11.1989, L 334/30; Begr. RegE 2. FFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 47 re. Sp. Vgl. nunmehr auch Emittentenleitfaden BAFin, S. 31. 76 Vgl. Assmann, AG 1997, 50 (55); Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, §14 Rdn. 73, 79; Irmen, in: Hellner/Steuer, BuB, Rdn. 7/735; F. Schäfer, in: Schäfer, W p H G , § 14 Rdn. 23; Schwark, in: Schwark, K M R K , § 14 WpHG Rdn. 32.
528
5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
Konzern einmütig als befugt i.S. des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG angesehen 77 . Ob dies auch für den (seltenen) Fall gilt, dass eine schlicht abhängige (§17 AktG) Gesellschaft leitungsbezogene Informationen an das herrschende Unternehmen weitergibt, wird - soweit ersichtlich - nicht eigens erörtert. Die Frage dürfte aber konsequenterweise zu bejahen sein, da hinsichtlich des faktischen Konzerns auf die Privilegierungsfunktion der §§ 311 ff. AktG abgehoben wird 78 und diese gleichermaßen auch für Fälle schlichter Abhängigkeit gilt 79 . b) Weitergabeverbot
und Selbstbefreiung
(§ 15 Abs. 3 WpHG)
Seit In-Kraft-Treten des AnSVG ergibt sich ein weiter Überschneidungsbereich zwischen dem Weitergabeverbot (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG) und den besonderen Anforderungen, die an eine Selbstbefreiung von der ad-hoc-Publizität zu stellen sind (§ 15 Abs. 3 WpHG). Da der Begriff der Insiderinformation nunmehr auch in das Recht der ad-hoc-Publizität überführt worden ist, dürfen künftig außer nicht unmittelbar emittentenbezogenen Insiderinformationen nur noch solche im Unternehmen vorhanden sein, hinsichtlich derer eine Selbstbefreiung vorliegt. Diese knüpft § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG an besondere Voraussetzungen: Das Unterbleiben der Veröffentlichung muss zum Schutz berechtigter Interessen der Gesellschaft erforderlich sein und darf keine Irreführung der Öffentlichkeit befürchten lassen; ferner muss der Emittent die Vertraulichkeit der Insiderinformation gewährleisten. Im vorliegenden Zusammenhang ist vor allem die zuletzt genannte Voraussetzung von Interesse80, da sie die Frage aufwirft, ob dadurch die Weitergabe von Informationen über die Anforderungen des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG hinaus zusätzlich eingeschränkt wird. Konkretisiert werden die Anforderungen, die an die Wahrung der Vertraulichkeit im Zuge einer Selbstbefreiung zu stellen sind, durch Art. 3 Abs. 2 der zur Durchführung der Marktmissbrauchs-RL ergangenen Richtlinie 2003/124 (Durchführungs-RL) 81 sowie § 7 WpAIV. Danach muss der Emittent insbesondere Vorkehrungen dafür treffen, dass innerhalb des emittierenden Instituts die Insiderinformation nur an solche Personen gelangt, deren Zugang zu der Information für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben „unerlässlich" ist. Zudem müssen die Insider über ihre Pflichten aufgeklärt und angehalten werden, diese an77 Vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, §14 Rdn. 94 f.; U.H. Schneider, FS Wiedemann, S. 1255 (1267ff.); Schwark, in: Schwark, KMRK, § 14 WpHG Rdn. 38; Singhof, ZGR 2001,146 (161 ff.); vgl. auch BAWe/Deutsche Börse, Insiderhandelsverbote, S. 21. 78 U.H. Schneider, FS Wiedemann, S. 1255 (1267). 79 Zum Parallelproblem im Rahmen des § 131 Abs. 4 AktG oben § 15 I 3 a b b . 80 Hinsichtlich der übrigen Voraussetzungen sei verwiesen auf Simon, Konzern 2005, 13 (19ff.); Veith, NZG 2005, 254 (255 ff.); S.H. Schneider, BB 2005, 897 (898 ff.); Harbarth, ZIP 2005,1898 (1903 ff.). 81 ABl. vom 24.12.2003, L 339/70.
5 22 Informationelle
Gleichbehandlung
529
zuerkennen 82 . Schließlich muss der Emittent vorbereitet sein, die Information unverzüglich zu veröffentlichen, sobald er nicht mehr in der Lage ist, ihre Vertraulichkeit zu gewährleisten. Im vorliegenden Zusammenhang hervorzuheben ist das Kriterium der Unerlässlichkeit, da es auf den ersten Blick den Eindruck erwecken könnte, als gehe es über den Maßstab des Art. 3 lit. a Marktmissbrauchs-RL bzw. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG (Weitergabe im „normalen Rahmen" der Aufgabenerfüllung) hinaus 83 . Bei näherer Betrachtung ist jedoch nicht davon auszugehen, dass das Tatbestandsmerkmal „unerlässlich" tatsächlich in einem solchen strengeren Sinne auszulegen ist 84 . Auch die BAFin geht in ihrem Emittentenleitfaden ersichtlich davon aus, dass die Anforderungen an die Dringlichkeit der Weitergabe im Rahmen der Art. 3 Abs. 2 lit. a Durchführungs-RL, § 7 Nr. 1 WpAIV nicht über diejenigen der Art. 3 lit. a Marktmissbrauchs-RL, § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG hinausgehen 85 . Diese Auslegung erscheint schon deshalb als die einzig sinnvolle, da andernfalls für die betriebsinterne Weitergabe - nur für diese gelten die Art. 3 Abs. 2 lit. a Durchführungs-RL, § 7 Nr. 1 WpAIV - strengere Anforderungen gelten würden als für die Weitergabe an betriebsexterne Dritte 86 . Die genannten Vorschriften werden dadurch neben Art. 3 lit. a Marktmissbrauchs-RL bzw. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG nicht etwa redundant. Ihre Bedeutung liegt vielmehr darin, den Emittenten zu wirksamen Schutzvorkehrungen anzuhalten, während das Weitergabeverbot selbst nur die handelnden Personen mit Strafe bzw. Geldbuße belegt.
82 § 7 WpAIV sieht diese in Art. 3 Abs.2 lit. b Durchführungs-RL enthaltene Voraussetzung zwar nicht vor. Dass sie auch hierzulande gilt, ergibt sich aber aus § 15b Abs. 1 Satz 3 WpHG und der Regierungsbegründung zu § 15 Abs. 3 WpHG, BT-Drucks. 15/3174, S. 35 re. Sp.; kritisch Veith, NZG 2005, 254 (258). 83 So denn auch die Deutung von Simon, Konzern 2005, 13 (20 f.). Simon aaO. hält die Frage aber letztlich für müßig, da die Anforderung der „Unerlässlichkeit" entfalle, wenn der Empfänger zur Vertraulichkeit verpflichtet sei, was praktisch immer der Fall sei. Letzterem ist indes nicht zu folgen, da weder Art. 3 Abs. 2 lit.a Durchführungs-RL noch § 7 Nr. 1 WpAIV für eine derartige Einschränkung etwas hergeben; zutr. S.H. Schneider, BB 2005, 897 (900). 84 Wie hier Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 15 Rdn. 162. 85 Vgl. Emittentenleitfaden BAFin, S.56: Insiderinformationen dürfen im Zeitraum der Selbstbefreiung nur an Personen weitergegeben werden, die diese „zur Wahrnehmung der ihnen übertragenen Aufgaben benötigen." Diese Formulierung deckt sich mit derjenigen des Leitfadens zu § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG; vgl. aaO. S. 31. 86 Zu diesem Ergebnis gelangt aber Simon, Konzern 2005, 13 (20 f.), der freilich selbst feststellt, dass diese Folge „nicht einzuleuchten" vermöge.
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5. Kapitel:
Anwendung
2. Ad-hoc-Publizitätspflicht von Insiderinformationen
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
nach befugter Weitergabe (§ 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG)
Für den Fall, dass eine Insiderinformation befugt weitergegeben wird, schreibt die neue Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG eine zeitgleiche ad-hoc-Veröffentlichung der Information vor, sofern der Empfänger nicht zur Vertraulichkeit verpflichtet ist. Erfolgt die Weitergabe unwissentlich, ist die Veröffentlichung unverzüglich nachzuholen (§ 15 Abs. 1 Satz 4 WpHG n.F.). Diese Regelung, die anders als das Insiderhandelsverbot nicht für den Freiverkehr gilt 87 , beruht auf Art. 6 Abs. 3 Marktmissbrauchs-RL, der offenbar seinerseits durch die Regulation Fair Disclosure der US-amerikanischen Securities and Exchange Commission (SEC) inspiriert ist. Diese sieht eine Veröffentlichungspflicht vor, wenn erhebliche Informationen selektiv an bestimmte Empfänger, z.B. professionelle Marktteilnehmer, weitergegeben werden 88 . Die ad-hoc-Veröffentlichung nach § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG stellt die Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer mit dem Empfänger der Insiderinformation her, weshalb die Vorschrift im Schrifttum auch als „Gleichbehandlungsgrundsatz" bezeichnet wird 8 9 . Ihr Anwendungsbereich unterliegt jedoch (ebenso wie der des Art. 6 Abs. 3 Marktmissbrauchs-RL) sehr weitreichenden Einschränkungen. Eine bedeutsame Einschränkung ergibt sich zunächst daraus, dass die Vorschrift - anders als die Regulation Fair Disclosure - nur die befugte Weitergabe einer Insiderinformation erfasst, wobei „befugt" in derselben Weise wie in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG auszulegen ist 90 . In Bezug auf die unbefugte Weitergabe ergibt sich bereits aus der Straf- bzw. Bußgeldandrohung der §§ 38 Abs. 1 Nr. 2, 39 Abs. 2 Nr. 3 WpHG ein indirekter Zwang, die Information mindestens zeitgleich zu veröffentlichen, wenn nicht von der Weitergabe ganz abgesehen wird. Liegt eine befugte Weitergabe vor, ist als weitere Einschränkung zu beachten, dass § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG ausweislich seines letzten Halbsatzes nur zur Anwendung kommt, sofern der Empfänger nicht zur Vertraulichkeit verpflichtet ist. Eben dies wird aber bei befugter Weitergabe der Insiderinformation schon deshalb regelmäßig der Fall sein, weil der Empfänger seinerseits an das insiderrechtliche Weitergabeverbot (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG) gebunden ist 91 , 87 Arg. e § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG; näher Leuering, NZG 2005, 12 (13); U.H. Schneider/ v. Buttlar, ZIP 2004,1621 (1623). 88 Die Regulation Fair Disclosure ist abrufbar unter www.sec.gov; ausführlich zu ihr Drygala, W M 2001,1282 ff., 1313 ff. 89 St. Koch, DB 2005,267 (272). 90 Vgl. die gleichlautende Formulierung in den zugrunde liegenden Art. 3 lit a. und Art. 6 Abs. 3 Marktmissbrauchs-RL; ferner Leuering, NZG 2005,12 (14); Simon, Konzern 2005,13
(18). 91 Seit In-Kraft-Treten des AnSVG gilt § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG anders als früher auch für sog. Sekundärinsider. Die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärinsider hat nur
§22 Informationelle
Gleichbehandlung
531
sofern er nicht ausnahmsweise den Charakter der Information als Insiderinformation verkennt. Nach richtiger Ansicht stellt das insiderrechtliche Weitergabeverbot eine hinreichende Vertraulichkeitsverpflichtung i.S.des §15 Abs. 1 Satz 3 WpHG dar 92 . Aber selbst wenn man dem nicht folgen wollte, da § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG und Art. 6 Abs. 3 Marktmissbrauchs-RL bei dieser Auslegung nahezu kein Anwendungsbereich verbliebe 93 , wird doch in aller Regel eine zusätzliche vertragliche oder gesetzliche Vertraulichkeitsverpflichtung vorliegen. So wird bei Mitteilungen von Insiderinformationen im Rahmen von bestehenden oder sich anbahnenden Vertragsbeziehungen meist auch ohne gesonderte Vertraulichkeitsvereinbarung eine vertragliche (Neben-) Pflicht zur Geheimhaltung von Insiderinformationen anzuerkennen sein. Wem als (ggf. auch nur künftiger) Vertragspartner Umstände offengelegt werden, an deren diskreter Behandlung dem anderen gelegen sein muss, ist dem anderen nach Treu und Glauben zur Verschwiegenheit verpflichtet (§§242, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB) 94 . Bei Informationen an Berater wird darüber hinaus häufig eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht eingreifen (vgl. §§ 43a Abs. 2 BRAO, 43 Abs. 1 Satz 1 WPO, 57 Abs. 1 StBerG). In dem im vorliegenden Zusammenhang interessierenden Fall, dass Insiderinformationen selektiv einzelnen Aktionären mitgeteilt werden, wird man ebenfalls auch ohne gesonderte Vertraulichkeitsvereinbarung eine Pflicht des Aktionärs zur Verschwiegenheit bejahen können. Als Rechtsgrundlage bietet sich die Treuepflicht des Aktionärs gegenüber der Gesellschaft an 95 . Unabhängig davon, wie intensiv die Treuebindung des Aktionärs im Einzelfall sein mag, bleibt sie jedenfalls nicht hinter dem allgemeinen Standard des §242 BGB zurück. Wenn sich schon aus diesem eine Verschwiegenheitspflicht ergibt (s.o.), muss also für die Treuepflicht erst recht dasselbe gelten. Einer zusätzlichen Absicherung dieser Verschwiegenheitspflicht durch Vereinbarung einer Vertragsstrafe bedarf es nicht 96 . Im Ergebnis dürfte der neue § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG daher keine zusätzliche Hürde für die selektive Information einzelner Aktionäre darstellen. noch für die Rechtsfolgen Bedeutung (Straftat nach §38 Abs. 1 Nr. 2 WpHG oder Ordnungswidrigkeit nach §39 Abs. 2 Nr. 3 WpHG); vgl. Cahn, Konzern 2005, 5 (11); Spindler, N J W 2004,3449 (3451). 92 Vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, §15 R d n . l l 7 f f . ; Widder/Gallert, NZG 2006,451 (453); jeweils m.w.Nachw. zum Streitstand. 93 So Leuering, NZG 2005, 12 (15); gegen dieses Argument aber Assmann, in: Assmann/ Schneider, WpHG, § 15 Rdn. 118. 94 Zutr. Leuering, NZG 2005,12 (16) unter Verweis u.a. auf Heinrichs, in: Palandt, BGB, §280 Rdn. 28a a.E., und Wiedemann, in: Soergel, BGB, vor §275 Rdn. 175. 95 Vgl. Körber, NZG 2002, 263 (272); in anderem Zusammenhang (Informationen nach § 327b Abs. 1 Satz 2 AktG) auch Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, § 327b Rdn. 5 m.w.Nachw.; zum GmbH-Recht Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 51a Rdn. 24, ebenfalls m.w.Nachw. 96 So ausdrücklich Emittentenleitfaden BAFin, S.46; Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, §15 Rdn. 117.
532
5. Kapitel:
Anwendung und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
I I I . Einzelne Problemkreise M i t den vorstehenden Ü b e r l e g u n g e n ist der B o d e n bereitet, u m im Folgenden beispielhaft zwei T h e m e n k r e i s e aus der jüngeren D i s k u s s i o n aufzugreifen, die besonders aktuelle Fragen der informationellen Gleichbehandlung aufwerfen. Z u m einen handelt es sich u m die Frage, inwieweit es zulässig ist, zur Pflege der Beziehungen zu gegenwärtigen und künftigen A n l e g e r n (Investor
relations)
einzelne interessierte Kreise bevorzugt zu informieren, etwa im R a h m e n von A n a l y s t e n k o n f e r e n z e n oder Einzelgesprächen mit wesentlich beteiligten A k tionären (Ziff. 1). Z u m anderen stellen sich praktisch wichtige G l e i c h b e h a n d lungsfragen im Z u s a m m e n h a n g mit der im Vorfeld von Beteiligungskäufen ü b lichen Praxis, dem E r w e r b e r und/oder dem Veräußerer eines Aktienpakets eine der Verhältnisse der Zielgesellschaft zu ermöglichen u n d damit
due diligence
E i n b l i c k in I n f o r m a t i o n e n zu geben, die anderen A k t i o n ä r e n nicht zugänglich sind (Ziff. 2).
1. Gleichbehandlung
und Investor relations
Insbesondere börsennotierte Gesellschaften entfalten heutzutage vielfältige Investor
re/iiiiows-Tätigkeitcn, zu denen u.a. regelmäßige A n a l y s t e n k o n f e r e n z e n
und Einzelgespräche mit bedeutenden A k t i o n ä r e n zählen. F ü r E m i t t e n t e n , die dem Prime
Standard
der F r a n k f u r t e r Wertpapierbörse angehören, sind m i n -
destens einmal jährlich stattfindende A n a l y s t e n k o n f e r e n z e n sogar vorgeschrieben 9 7 . Aus Sicht der Gesellschaft ist Ziel dieser und ähnlicher Veranstaltungen, aktuellen und potenziellen Investoren durch Präsentationen, B e a n t w o r t u n g von Fragen und Bereitstellung von zusätzlichen I n f o r m a t i o n e n , die über die in Zwischenberichten, Jahresabschlüssen und H a u p t v e r s a m m l u n g e n
üblicher-
weise enthaltenen bzw. erteilten I n f o r m a t i o n e n deutlich hinausgehen, Vertrauen in ein Aktienengagement zu vermitteln, u m auf diese Weise den A k t i e n kurs langfristig zu optimieren und die Kapitalkosten des U n t e r n e h m e n s zu reduzieren. D i e B e u r t e i l u n g , o b die Bereitstellung der betreffenden I n f o r m a t i o n tatsächlich diesem Ziel dienlich ist und der Vorteil ein etwaiges G e h e i m h a l tungsinteresse der Gesellschaft an der I n f o r m a t i o n überwiegt, ist Sache des Vorstands und unter den Anwendungsvoraussetzungen der business
judgment
rule gerichtlich nur eingeschränkt ü b e r p r ü f b a r . Ist die Frage zu bejahen, steht der I n f o r m a t i o n die in §§ 93 Abs. 1 Satz 2 , 4 0 4 A b s . 1 N r . 1 A k t G verankerte Verschwiegenheitspflicht des Vorstands nicht entgegen, da diese i m Gesellschaftsinteresse ihre G r e n z e findet 9 8 . B e d e n k e n gegen die beschriebene Praxis Vgl. §§ 65, 80 BörsO FWB; dazu Gebhardt, WM 2003, Sonderbeil. Nr. 2, S. 3 (13 f.). Pontiert Mertens, in: Kölner Komm. AktG, § 93 Rdn. 82: „Wo es das Unternehmensinteresse gebietet zu reden, hört die Schweigepflicht auf." Ferner etwa Hefermehl/Spindler, in: 97 98
5 22 Informationelle
Gleichbehandlung
533
können sich dann nur noch unter dem Aspekt des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§§ 53a, 131 Abs. 4 AktG) und des insiderrechtlichen Weitergabeverbots (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG) ergeben". Insoweit erscheint eine Auffächerung der unterschiedlichen Fallgruppen geboten. a)
Analystenkonferenzen
Was zunächst die Informationserteilung auf Analystenkonferenzen betrifft, so wird darin zwar verbreitet ein Problem der §§ 53a, 131 Abs. 4 AktG gesehen 100 . Richtigerweise ist aber schon der Anwendungsbereich dieser Vorschriften nicht berührt. Dies liegt auf der Hand, wenn keiner der geladenen Analysten selbst Aktionär ist oder für einen solchen handelt. Aber auch wenn es anders liegt und einzelne der teilnehmenden Analysten für einen an der Gesellschaft bereits beteiligten Investor arbeiten, steht die Informationserteilung in aller Regel in keinem inneren Zusammenhang mit der Aktionärseigenschaft dieses Investors. Vielmehr werden den betreffenden Analysten - wie den übrigen Teilnehmern auch - die Informationen deshalb erteilt, weil sie durch besondere Fachkenntnisse ausgewiesene Beobachter des Kapitalmarktgeschehens und in dieser Eigenschaft in der Lage sind, durch ihre Analysen das Verhalten potenzieller Investoren in Bezug auf eine Anlage in Aktien der Gesellschaft zu beeinflussen. Mangels Bezugs zur Aktionärseigenschaft sind die §§ 53a, 131 Abs. 4 AktG also von vornherein nicht einschlägig 101 . Eine Grenze wird der selektiven Informationserteilung an Analysten daher allein durch das Insiderrecht gezogen. Dabei besteht im Ergebnis Einigkeit, dass die Weitergabe von Insiderinformationen an diesen Personenkreis als unbefugt im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG anzusehen ist 102 . Zwar mag die Information der Analysten aus den genannten Gründen dem Gesellschaftsinteresse entsprechen. Dieses Interesse rechtfertigt aber nicht, die den Analysten gegebenen Informationen anderen Marktteilnehmern vorzuenthalten und so die informationelle Gleichbehandlung zu beeinträchtigen. Soweit InsiderinforMünchKomm. AktG, §93 Rdn.46, 48 f., 62; Wilde, ZGR 1998, 423 (460 f.); jeweils m.w.Nachw. 99 Anlässlich eines öffentlichen Angebots von Wertpapieren oder deren Zulassung zum Börsenhandel ist daneben das Gleichbehandlungsgebot des neuen §15 Abs. 4, 5 WpPG zu beachten, das auf Art. 15 Abs. 4, 5 der Richtlinie 2003/71/EG vom 4.11.2003 (ABl. L 345 vom 31.12.2003, S. 64 - Prospekt-RL) beruht. Zu dieser im Folgenden nicht näher behandelten Regelung etwa Wieneke, NZG 2005,109,112 f.; Zetzsche, Aktionärsinformation, S.286. 100 Vgl. etwa Drygala, W M 2001,1313 (1322), und Seiht, VGR Bd. 3 (2001), S. 37 (52 f.), die allerdings im Ergebnis keinen Verstoß annehmen. 101 Zutr. Wilde, ZGR 1998,423 (463). 102 Vgl. Schreiben des BAWe an die Vorstände der börsennotierten Aktiengesellschaften vom 7.8.1997 (abrufbar unter www.bafin.de); Assmann, AG 1997, 50 (57); Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 14 Rdn. 104 f.; Zetzsche, Aktionärsinformation, S. 375.
534
5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
mationen Gegenstand von Analystengesprächen werden sollen, ist also vor oder zeitgleich mit dem Gesprächstermin eine ad-hoc-Mitteilung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 W p H G zu veröffentlichen und damit die informationelle Chancengleichheit aller Marktteilnehmer zu wahren. Diese Lösung liegt letztlich auch im Interesse der Analysten, da diese andernfalls die Information nicht verwerten dürften (§ 14 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 WpHG). Hier zeigt sich deutlich das unterschiedliche Regelungsanliegen des Insiderrechts und des § 53a A k t G : Dem Insiderrecht geht es u m die Chancengleichheit aller Marktteilnehmer, dem § 53a A k t G dagegen ausschließlich u m die Gleichbehandlung der Gesellschafter. Unterhalb der Schwelle zur Insiderinformation, also insbesondere bei Informationen, die noch nicht hinreichend konkret oder nicht geeignet sind, den Börsenkurs erheblich zu beeinflussen 1 0 3 , greifen die Bestimmungen des W p H G nicht ein. Zu erinnern ist aber an die in Ziff. 6.3 Satz 2 D C G K enthaltene Empfehlung an börsennotierte Gesellschaften, allen Aktionären unverzüglich sämtliche neue Tatsachen zur Verfügung zu stellen, die sie Finanzanalysten und vergleichbaren Adressaten mitgeteilt haben 104 . In den veröffentlichten Entsprechenserklärungen (§ 161 A k t G ) w i r d diese Kodexempfehlung, soweit ersichtlich, gemeinhin akzeptiert. Da sich eine Verpflichtung zur Unterrichtung der A k t i o näre nicht bereits aus § 53a A k t G ergibt, formuliert der Kodex folgerichtig eine Empfehlung und gibt insoweit keinen verbindlichen Rechtssatz wieder. b) Selektive Information
wesentlich beteiligter
Gesellschafter
Wesentlich schwieriger zu beantworten ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen die selektive Information einzelner wesentlich beteiligter Gesellschafter zulässig ist. Dass besonders bedeutsame Gesellschafter bevorzugt informiert werden, sei es im Wege der Information von Gesellschafterausschüssen, A k t i o närspools oder Beiräten, in denen Aktionäre mit wesentlicher Beteiligung vertreten sind, sei es durch direkte Ansprache einzelner Gesellschafter, entspricht zwar in vielen Gesellschaften einer seit langem geübten Praxis. Da sie eine Ungleichbehandlung in der Eigenschaft als Gesellschafter mit sich bringt, ist diese Praxis jedoch nur mit erheblichen Einschränkungen zulässig. Sofern es sich nicht u m leitungsbezogene Informationen an ein herrschendes Unternehmen handelt und somit die herausgearbeiteten konzernrechtlichen Besonderheiten 103 Vgl. dazu nunmehr die Konkretisierung in § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG, wonach darauf abzustellen ist, ob ein verständiger Anleger die Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Auf das früher für maßgeblich gehaltene Uberschreiten bestimmter Schwellenwerte - z.B. Kursschwankung von 5 % - kommt es somit nicht mehr an; vgl. Begr. RegE AnSVG, BT-Drucks. 15/3174, S. 34. 104 Die Kodexempfehlung geht auf einen entsprechenden Vorschlag der Regierungskommission Corporate Governance zurück, vgl. Baums, Bericht, Rdn. 143. Diese verweist ihrerseits auf das US-amerikanische Vorbild der Regulation Fair Disclosure; dazu bereits oben Ziff. II 2 im Zusammenhang mit dem neuen § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG n.F.
5 22 Informationelle
Gleichbehandlung
535
eingreifen 105 , bedarf sie vielmehr nach allgemeinen Regeln einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung mit Blick auf § 53a AktG und - soweit es sich um Insiderinformationen in einer börsennotierten Gesellschaft handelt - § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG. Wo in derartigen Fällen exakt die Grenzen des Zulässigen verlaufen, ist nach wie vor wenig geklärt. aa) Vorausinformation wesentlich beteiligter Gesellschafter bei zustimmungspflichtigen Maßnahmen Weithin Einigkeit besteht allerdings noch darin, dass die Vorausinformation wesentlich beteiligter Aktionäre insbesondere dann gerechtfertigt sein kann, wenn es um die Vorbereitung von Grundlagenentscheidungen geht, die der Zustimmung der Hauptversammlung bedürfen, und Geheimhaltungsinteressen der Gesellschaft eine Ausbreitung des beabsichtigten Vorhabens in der Öffentlichkeit verbieten. Unter diesen Umständen liegt es im Interesse der Gesellschaft, sich durch selektive Information bedeutender Aktionäre bereits vor der Hauptversammlung ein Bild über die Zustimmungsfähigkeit der geplanten Maßnahme zu verschaffen, ohne zugleich durch Information aller übrigen Aktionäre die Vertraulichkeit preisgeben zu müssen. Die häufig sehr aufwändigen Vorbereitungen von Grundlagenentscheidungen durch den Vorstand ergeben nur dann einen Sinn, wenn die betreffende Maßnahme Aussicht auf Zustimmung in der Hauptversammlung hat. Zudem lässt sich nur durch eine Vorabstimmung mit den Großaktionären ein gewisses Maß an Planungssicherheit hinsichtlich der Durchführung des Vorhabens gewährleisten. Im Insiderrecht ist aus diesen Gründen zu Recht anerkannt, dass in den beschriebenen Fällen das Interesse der Gesellschaft an der selektiven Vorausinformation so gewichtig sein kann, dass die im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der „unbefugten" Mitteilung i.S. des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG anzustellende Abwägung mit dem Interesse der anderen Marktteilnehmer an informationeller Chancengleichheit zu Gunsten des Gesellschaftsinteresses ausfällt 106 . Als Paradebeispiel wird die Vorabstimmung mit einzelnen Großaktionären über eine beabsichtigte Kapitalerhöhung genannt 107 . In diesem Fall ist die Vorabstimmung mit etwaigen Großaktionären gleich aus zwei Gründen bedeutsam, zum einen, um ihre Zustimmung in der Hauptversammlung sicherzustellen, und zum anderen, um ihre Bereitschaft zu ergründen, sich durch Ausübung ihrer Bezugsrechte an der S.oben § 15 11 b, 3 abb. Vgl .Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 14 Rdn. 84; U. H. Schneider/Singhof, FS Kraft, S. 585 (603); Schwark, in: Schwark, KMRK, § 14 WpHG Rdn. 35; wohl auch Zetzsche, Aktionärsinformation, S. 367f.; kritisch aber F. Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, Börsennotierte AG, § 13 Rdn. 66. 107 Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, §14 Rdn. 84; U. H. Schneider/Singhof, FS Kraft, S. 585 (603). 105 106
536
i. Kapitel: Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
Kapitalerhöhung zu beteiligen. Ein vergleichbar dringliches Bedürfnis nach Vorabstimmung mit einzelnen bedeutenden Aktionären kann aber auch bei anderen hauptversammlungspflichtigen Maßnahmen gegeben sein 108 . Im Schrifttum wird vorgeschlagen, in Anlehnung an § 21 W p H G als wesentlich beteiligte Aktionäre in dem genannten Sinn solche Aktionäre anzusehen, die mindestens 5 % der Stimmrechte halten 109 . Dabei handelt es sich aber lediglich um eine Faustregel; die Anwendung im Einzelfall ist von der üblichen Hauptversammlungspräsenz abhängig 110 . Gelangt man in den genannten Fällen zu dem Ergebnis, dass die selektive Vorausinformation wesentlich beteiligter Aktionäre insiderrechtlich zulässig ist, kann die Abwägung im Rahmen des §53a A k t G nicht anders ausfallen 111 . Sofern die selektive Weitergabe von Insiderinformationen zur Vorbereitung von Grundlagenentscheidungen als befugt i.S. des § 14 Abs. 1 Nr. 2 W p H G anzusehen ist, steht ihr also auch § 53a A k t G nicht im Wege 112 . bb) Generelle Sonderbehandlung
wesentlich beteiligter
Gesellschafter?
Weniger eindeutig sind die Stellungnahmen des Schrifttums zu der Frage, ob einflussreiche (aber nicht herrschende 113 ) Gesellschafter fortlaufend, z.B. im Rahmen turnusmäßiger Treffen, bevorzugt informiert werden dürfen. Im Insiderrecht dominiert insoweit eine strenge Haltung: Eine generelle Vorabinformation einzelner bedeutender Aktionäre wird ganz überwiegend f ü r unzulässig gehalten 114 . Das allgemeine Interesse der Gesellschaft an der Pflege ihrer Beziehungen zu diesen Aktionären wird also nicht als so gewichtig angesehen, dass es das Anliegen des Insiderrechts, informationelle Gleichbehandlung der Marktteilnehmer zu gewährleisten, überwiegen würde. Im Schrifttum zu §§ 53a, 131 Abs. 4 A k t G wird die Frage dagegen häufig anders beurteilt und die
108 U. H. Schneider/Singhof, FS Kraft, S.585 (603); Schwark, in: Schwark, K M R K , §14 W p H G Rdn.35. 109 U. H. Schneider/Singhof, FS Kraft, S. 585 (602). 110 Relativierend auch U. H. Schneider/Singhof, FS Kraft, S.585 (602): „typischerweise" bei 5 % . 111 S. oben Ziff. II 1 a. 112 Vgl. i.E. auch Hopt, Z G R 1997,1 (26); ders., in: G r o ß k o m m . A k t G , § 93 Rdn. 212; zum österreichischen Recht S. Schmidt, in: M ü n c h K o m m . A k t G , § 131 Rdn. 223. 113 Zu den Besonderheiten im Konzern oben § 15 11 b, 3 a b b . 1,4 Vgl. Assmann, AG 1997, 50 (56 f.); Assmann, in: Assmann/Schneider, W p H G , §14 Rdn. 92; Irmen, in: Hellner/Steuer, BuB, Rdn. 7/738; Schwark, in: Schwark, K M R K , §14 W p H G Rdn.35; besondere Rechtfertigungsgründe verlangen auch U.H. Schneider/Singhof FS Kraft, S. 585 (603 f.), und Hopt, Z G R 1997,1 (15 ff.); großzügiger aber zuletzt U.H. Schneider, FAZ v. 27.1.2006 (zur Vorabunterrichtung des Großaktionärs über den bevorstehenden Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden): Die Weitergabe von Insiderinformationen an Aktionäre mit einer wesentlichen Beteiligung sei grundsätzlich zulässig.
5 22 Informationelle
Gleichbehandlung
537
sachliche Rechtfertigung bejaht 115 . Zur Begründung werden im Wesentlichen zwei Argumente angeführt: Zum ersten ermögliche die selektive Information wesentlich beteiligter und damit besonders interessierter Paketaktionäre eine effektivere Kontrolle der Verwaltung durch die betreffenden Aktionäre. Durch die selektive Information erhielten Letztere einen besonderen Anreiz, die Kontrollfunktion zu übernehmen. Die dadurch zu erwartenden positiven Kontrolleffekte würden vom Kapitalmarkt offenbar höher bewertet als der Nachteil exklusiver Information. Nur so sei es zu erklären, dass die Vorstände unabhängiger Gesellschaften von sich aus Investorengespräche anböten. Die positive Bewertung durch den Kapitalmarkt führe ihrerseits zu sinkenden Kapitalbeschaffungskosten für die Gesellschaft 116 . Zum zweiten trage eine selektive Informationspolitik zugunsten von Paketaktionären dazu bei, dass diese die Risiken ihres Investments besser abschätzen könnten und deshalb eher bereit seien, sich längerfristig in größerem Umfang an der Gesellschaft zu beteiligen. Dies führe zu einer stabileren Aktionärsstruktur, die es dem Management erleichtere, erfolgversprechende Strategien nicht unter dem Druck der Märkte kurzfristig orientierten Anlegerinteressen opfern zu müssen 117 . Es soll hier nicht in Abrede gestellt werden, dass die kontinuierliche Information wesentlich beteiligter Gesellschafter dem Gesellschaftsinteresse dienen mag. Auch die Erforderlichkeit der Ungleichbehandlung soll nicht geleugnet werden: Zwar mag man als milderes Mittel ins Auge fassen, die Zusatzinformationen, die den Großaktionären eine effektivere Kontrolle ermöglichen sollen, unmittelbar anschließend auch allen anderen Aktionären zugänglich zu machen. Im Ergebnis wäre diese Lösung aber nicht gleichermaßen effektiv; sie würde häufig nur dazu führen, dass der Vorstand von der Unterrichtung der Großaktionäre von vornherein absehen würde, um die Information nicht anschließend publik machen zu müssen. Für ausschlaggebend wird man vielmehr eine andere Überlegung halten müssen. Nach der aktienrechtlichen Zuständigkeitsordnung wird die Leitung der Gesellschaft primär durch den Aufsichtsrat, nicht unmittelbar durch die Aktionäre kontrolliert. Der Gedanke, daneben bedürfe es fortlaufender Zusatzinformationen an einzelne Großaktionäre, die gewissermaßen einen „Schattenaufsichtsrat" 118 bilden würden, ist dem AktG ersichtlich fremd. Das Gesetz bewertet also mögliche positive Kontroll- oder Anreizeffekte, die von derartiger selektiver Zusatzinformation ausgehen mögen, nicht so hoch, dass das Interesse der übrigen Aktionäre an Gleichbehandlung dahinter zurücktre115 V g l . J a n k e , Treuepflicht, S. 240 ff.; Seiht, VGR Bd. 3 (2001), S. 37 (53); für das schweizerische Recht auch R u f f n e r , Ökonomische Grundlagen, S. 263 ff.; abweichend aber Wilde, ZGR 1998,423 (461 f.): Gleichbehandlungsverstoß. 116 Vgl Janke, Treuepflicht, S. 242 f.; verkürzt auch Seiht, VGR Bd. 3 (2001), S. 37 (53). 117 Vgl. R u f f n e r , Ökonomische Grundlagen, S.264•, Janke, Treuepflicht, S.240. 118 Assmann, AG 1997, 50 (57).
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Kapitel:
Anwendung
und, Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
ten müsste. Die im Rahmen der Verhältnismäßigkeit anzustellende Abwägung der widerstreitenden Interessen ist vielmehr durch das Gesetz dahingehend vorgezeichnet, dass sich eine permanente, generelle Sonderbehandlung einzelner Großaktionäre im Hinblick auf die Informationserteilung nicht rechtfertigen lässt. Dem von der h.M. im Insiderrecht befürworteten Abwägungsergebnis ist daher zuzustimmen. Es besteht kein Grund, im Rahmen der §§ 53a, 131 Abs. 4 AktG anders zu entscheiden. cc) Weitere
Fallgruppen
Zwischen den bisher beschriebenen Polen - punktuelle Vorabinformation aus Anlass geplanter hauptversammlungspflichtiger Maßnahmen einerseits, fortlaufende anlassunabhängige Sonderinformation andererseits - befindet sich ein weites, bislang kaum gesichertes Terrain. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass es auch in diesem Bereich einzelne Anlässe gibt, in denen die bevorzugte Information wesentlich beteiligter Gesellschafter als gerechtfertigt anzusehen ist und einer Prüfung sowohl am Maßstab des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG als auch des § 53a AktG standhält. Auf der Hand liegt dies zunächst in Fällen, in denen die Gesellschaft mit einem ihrer Gesellschafter (mit Rücksicht auf dessen Gesellschaftereigenschaft119) kontrahieren will und diesem aus Anlass des anzubahnenden Rechtsgeschäfts besondere Informationen zukommen lässt. So hat das OLG Stuttgart im Fall „MotoMeter" zur übertragenden Auflösung ohne Umschweife festgestellt, dass es „selbstverständlich sachgerecht" sei, das zur Ermittlung des Ubernahmepreises erstellte Bewertungsgutachten nur dem Großaktionär als dem in Aussicht genommenen Vertragspartner, nicht aber den übrigen Aktionären zur Verfügung zu stellen120. Zwar ist in einem solchen Fall genau zu prüfen, ob die Auswahl des Gesellschafters als Vertragspartner ihrerseits vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz gerechtfertigt werden kann. Ist dies aber der Fall, z.B. weil zu vergleichbaren Konditionen kein anderer interessierter Bewerber vorhanden war, ist es auch als gerechtfertigt anzusehen, allein den betreffenden Gesellschafter mit den für den Abschluss des Geschäfts notwendigen Informationen zu versorgen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf § 53a AktG also auch in Bezug auf § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG. Aber auch sonst können sich im Zusammenhang mit grundlegenden Unternehmensentscheidungen, auch wenn diese nicht hauptversammlungspflichtig sind, Situationen ergeben, in denen die bevorzugte Information einzelner Groß119
Ansonsten ist der Gleichbehandlungsgrundsatz von vornherein nicht b e r ü h r t ; s. oben
§91. 120 O L G Stuttgart Z I P 1995,1515 (1522). Der Fall spielte vor In-Kraft-Treten des W p H G , so dass insoweit nur § 53a A k t G , nicht aber das insiderrechtliche Weitergabeverbot den Prüfungsmaßstab bildete.
5 22 Informationelle
Gleichbehandlung
539
aktionäre gerechtfertigt ist121. Hopt führt das Beispiel einer das Gesellschaftsinteresse gefährdenden122 feindlichen Übernahme an, die es für den Vorstand erforderlich machen kann, einzelne wesentlich beteiligte Aktionäre vorab zu informieren, um den Vorstand bei der Ubernahmeabwehr zu unterstützen 123 . Als weiteres Beispiel nennt er den Fall, dass ein bedeutender Aktionär ein großes Paket von Aktien der Gesellschaft veräußern will und der hiervon in Kenntnis gesetzte Vorstand sich daraufhin bemüht, unter den übrigen Großaktionären einen Käufer für das Paket zu finden, um eine bei Veräußerung über die Börse drohende Belastung des Aktienkurses der Gesellschaft zu verhindern124. Eine abschließende Aufzählung der in Betracht kommenden Konstellationen ist gewiss nicht möglich. Die angeführten Beispiele zeigen aber schon, dass es sich um außergewöhnliche Anlässe handeln muss, in denen gewichtige Gründe des Gesellschaftsinteresses für eine Vorausinformation der wesentlich beteiligten Aktionäre sprechen, wenn eine sachliche Rechtfertigung der informationellen Ungleichbehandlung gelingen soll. Würde man die Schwelle zu gering ansetzen, geriete man letztlich doch wieder in Widerspruch zu der angeführten Wertung des Gesetzes, dass Ansprechpartner und Kontrollorgan des Vorstands in erster Linie der Aufsichtsrat ist und eine laufende Sonderinformation wesentlich beteiligter Aktionäre außerhalb von Konzernverhältnissen unzulässig ist.
2. Gleichbehandlung a) Ausgangspunkt
und due diligence
und Überblick über den
Meinungsstand
Praktisch relevante Gleichbehandlungsfragen stellen sich schließlich auch im Zusammenhang mit der im Vorfeld von Beteiligungskäufen üblichen Praxis, dem Erwerber und dem Veräußerer eines Aktienpakets eine due diligence der Verhältnisse der Zielgesellschaft zu ermöglichen. Ziel einer solchen due diligence, wörtlich also einer Prüfung mit der gebotenen Sorgfalt, ist es, dem Erwerber zu ermöglichen, Risiken des geplanten Investments aufzuspüren und darauf mit entsprechenden Absicherungen im Kaufvertrag oder einer Berücksichtigung im Rahmen der Kaufpreisbemessung zu reagieren. Zugleich hat auch der Veräußerer ein großes Interesse daran, dass die Geschäftsleitung der Zielgesellschaft dem potenziellen Erwerber eine due diligence gestattet. Zum einen könnte er sein Aktienpaket ansonsten allenfalls mit erheblichen Preisabschlägen veräußern, zum anderen werden spätere Streitigkeiten und Haftungsfälle Vgl. Hopt, ZGR 1997,1 (16,26); U.H. Schneider/Singhof, FS Kraft, S. 585 (602). Dazu oben § 12 II 1 d cc. 123 Hopt, ZGR 1997, 1 (16). In börsennotierten Gesellschaften ist die Ubernahmeabwehr freilich nur in den Grenzen des § 33 WpUG zulässig. 124 Hopt, ZGR 1997,1 (16). 121
122
540
5. Kapitel: Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
aus Gewährleistungen vermieden, soweit dem Erwerber die entsprechenden Mängel bekannt sind 125 . Ein Anspruch des Veräußerers gegen die Gesellschaft, ihm die Veräußerung seines Anteils durch Gestattung der due diligence zu erleichtern, besteht allerdings nicht 126 . Ein derartiger Anspruch lässt sich insbesondere nicht auf die Überlegung stützen, dass andernfalls eine „faktische Vinkulierung" des Aktienpakets drohe 127 . Träfe diese Prämisse zu, ließe sich unter Rückgriff auf die Treuepflicht der Gesellschaft 128 zwar tatsächlich ein entsprechender Anspruch in Betracht ziehen. Indes geht es zu weit, die Verweigerung einer due diligence mit einer faktischen Vinkulierung gleichzusetzen. Gewiss ist die D u r c h f ü h rung einer due diligence wichtig, um ein optimales Verhandlungsergebnis zu erzielen. Dass der Beteiligungsverkauf ohne sie praktisch unmöglich wäre, lässt sich aber (auch bei nicht-börsennnotierten Gesellschaften) nicht behaupten, sofern entsprechende Gewährleistungen gegeben werden und/oder ein Sicherheitsabschlag beim Kaufpreis hingenommen wird 129 . Die Problematik der due diligence besteht darin, dass der Erwerber und der Veräußerer, sofern dieser nicht ohnehin schon (z.B. als herrschendes Unternehmen) über die mitgeteilten Informationen verfügt, einen nahezu umfassenden Einblick in die wirtschaftlichen, rechtlichen und steuerlichen Verhältnisse der Gesellschaft erhalten und somit auch vertrauliche Daten aus dem Innersten der Gesellschaft durchleuchtet werden 130 . Dies wirft zunächst wiederum die Frage auf, wie sich die D u r c h f ü h r u n g einer due diligence mit der Verschwiegenheitspflicht des Vorstands (§§ 93 Abs. 1 Satz 2,404 Abs. 1 Nr. 1 AktG) der Zielgesellschaft vereinbaren lässt. Die ganz h.M. ist diesbezüglich allerdings nicht allzu streng und gewährt dem Vorstand unter den Anwendungsvoraussetzungen der business judgment rule einen weiten Ermessensspielraum, innerhalb dessen das Geheimhaltungsinteresse gegen das Interesse der Gesellschaft an der Durchf ü h r u n g der Transaktion abzuwägen ist 131 . Im Ergebnis bedeutet dies, dass § 93 125 Ausführlich zu den Beweggründen f ü r die D u r c h f ü h r u n g einer due diligence im Vorfeld der Akquisition von Unternehmensbeteiligungen etwa Berens/Schmitting/Strauch, in: Berens/Brauner/Strauch, D u e Diligence, S. 79 ff.; Angersbach, Due Diligence, S. 38 ff. 126 So aber neuerdings Krömker, N Z G 2003, 418 ff.; dagegen mit Recht Hemeling, Z H R 169 (20 05), 274 (286f.); Hüffer, A k t G , §93 Rdn.8; Böttcher, D u e Diligence, S.72ff.; S.H. Schneider, Informationspflichten, S.56; zurückhaltend auch Henze/Notz, in: G r o ß k o m m . A k t G , § 53a Rdn. 58 Fn. 180. 127 So das entscheidende Argument von Krömker, N Z G 2003,418 (420 f.). 128 D a z u oben §2 III 2 c. 129 Wie hier Hemeling, Z H R 169 (2005), 274 (286). 130 Z u m U m f a n g der due diligence vgl. die üblicherweise verwendeten, sehr detaillierten „Checklisten"; Muster etwa bei Hess/Fabritius, in: H o p t , Formularbuch, B IV 1 (S. 639 ff.). 131 Vgl. aus der Fülle des Schrifttums etwa Fleischer/Körber, in: Berens/Brauner/Strauch, D u e Diligence, S.219 (226 ff.); Hefermehl/Spindler, in: M ü n c h K o m m . A k t G , §93 Rdn. 63; Hemeling, Z H R 169 (2005), S. 274 (279ff.);Körber, N Z G 2002,263 (269); Meincke, W M 1998, 749 (751); K. Mertens, A G 1997, 541 (544ff.); Stoffels, Z H R 165 (2001), 362 (374 f.); Zum-
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Gleichbehandlung
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Abs. 1 Satz 2 A k t G nicht als Hindernis f ü r eine due diligence angesehen w i r d , sofern der Vorstand die Transaktion f ü r dem Gesellschaftsinteresse dienlich hält, hinreichende Vorkehrungen z u m Schutz der Vertraulichkeit der mitgeteilten Daten getroffen und besonders sensitive Informationen erst in einem Verhandlungsstadium zugänglich gemacht werden, in dem an der ernsthaften Erwerbsabsicht des in Aussicht genommenen Erwerbers kein Zweifel besteht 1 3 2 . Folgt man dem, bleiben als weitere Schranken das Insiderrecht (bei börsennotierten Gesellschaften) und - weil den an der Transaktion unbeteiligten G e sellschaftern vergleichbare Informationen vorenthalten werden - der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. A u c h insoweit dominiert im S c h r i f t t u m eine großzügige Haltung, die unter den genannten Voraussetzungen weder das Insiderrecht 1 3 3 noch den Gleichbehandlungsgrundsatz 1 3 4 als verletzt ansieht. Letzteres w i r d häufig nur knapp mit dem Hinweis auf die (angeblich) unterschiedliche Situation der an der Transaktion beteiligten und der übrigen A k t i o n ä r e begründet. Konsequenterweise soll auch das Nachinformationsrecht des § 131 Abs. 4 A k t G nicht eingreifen 1 3 5 . Bei näherem Hinsehen mehren sich allerdings die Zweifel, ob an dieser großzügigen Linie uneingeschränkt festgehalten w e r den kann 1 3 6 . bansen/Lachner, BB 2006, 613 ff.; Böttcher, Due Diligence, S. 68 f.; Knöfler, Due Diligence, S. 87 ff. Deutlich restriktiver dagegen Lutter, ZIP 1997, 613 (617): Die Offenlegung sei nur bei Vorliegen eines ungewöhnlichen und überragenden, anders nicht erreichbaren, eigenen unternehmerischen Interesses zulässig, was „sehr, sehr selten" sei. Ahnlich restriktiv Ziemons AG 1999, 492 (495). 132 Näher zu den geforderten Sicherheitsvorkehrungen etwa S t o f f e l s , ZHR 165 (2001), 362 (376ff.); Hemeling, ZHR 169 (2005), 274 (280ff.). 133 Für „befugte" Weitergabe i.S.des §14 Abs. 1 Nr.2 WpHG etwa Emittentenleitfaden BAFin, S. 31; Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 14 Rdn. 164; Hemeling, ZHR 169 (2005), 274 (283 f.); vor In-Kraft-Treten des AnSVG, das insoweit keine Änderung gebracht hat, auch schon Assmann, AG 1997, 50 (56); Schwark, in: Schwark, KMRK, § 14 WpHG Rdn.41; S t o f f e l s , ZHR 165 (2001), 362 (380f.); Angersbach, Due Diligence, S. 284 ff.; alle m.w.Nachw.; a.A. wohl Weimann, DStR 1998, 1556 (1560 f.). Zu der durch das AnSVG neu entfachten Diskussion, ob der Erwerber, der im Zuge der due diligence Insiderinformationen erfährt, diese beim Abschluss des Kaufvertrags i.S. des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG „verwendet", s. unten lit. bbb . 134 Für Vereinbarkeit mit § 53a AktG Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, § 53a Rdn. 58; Hemeling, ZHR 169 (2005), 274 (288); Körber, NZG 2002, 263 (265); Krömker, NZG 2003, 418 (423); Linker/Zinger, NZG 2002,497 (502); K. Mertens, AG 1997,541 (547); S t o f f e l s , ZHR 165 (2001), 362 (382); O. Ziegler, DStR 2000, 249 (254); zum österreichischen Recht Doralt/ Winner, in: MünchKomm. AktG, § 53a Rdn. 49; a.A. Lutter, ZIP 1997, 613 (618); Heidel, in: AnwKomm. AktG, § 131 Rdn. 76. 135 Nachw. wie Fn. 134; ferner Decher, in: Großkomm. AktG, §131 Rdn. 350 (für Veräußerung einer beherrschenden Einfluss vermittelnden Beteiligung); i.E. auch Angersbach, Due Diligence, S. 96 ff. 136 Bedenken gegen die bisherige Praxis wurden zuletzt auch auf der ZHR-Tagung 2005 laut; s. dazu den Diskussionsbericht von Schürnbrand, ZHR 169 (2005), 295 (295 f.). Jüngst hat sich Zetzsche, Aktionärsinformation, S. 369f., sogar dafür ausgesprochen, dass der Vorstand einer börsennotierten AG die im Rahmen der due diligence zugänglich gemachten In-
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Kapitel:
Anwendung
b) Kapitalmarktrechtliche
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
Gleichbehandlung
aa) In der bisherigen Diskussion wird häufig ohne Umschweife von dem allgemeinen Interesse der Gesellschaft an einer komplikationsfreien Durchführung der Transaktion auf die Befugnis zur Weitergabe von Insiderinformationen im Rahmen der due diligence geschlossen. Ein Vorstand, der im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung zu dem Ergebnis gelange, dass das Interesse der Gesellschaft an der Durchführung der Transaktion ihr Geheimhaltungsinteresse überwiege, sei damit stets zugleich als „befugt" i.S. des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG anzusehen, Insiderinformationen im Rahmen der due diligence weiterzugeben 137 . Im Ergebnis werden so die Anforderungen, die im Hinblick auf § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG bestehen, mit denen des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung ist jedoch angesichts des unterschiedlichen Schutzguts beider Vorschriften - Schutz der Gesellschaft einerseits, Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts andererseits - nicht zulässig. Wie dargelegt genügt auch sonst nicht irgendein Interesse der Gesellschaft an der Weitergabe der Information, um einen Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG abzuwenden, sondern nur ein solches, das so gewichtig ist, dass es einer Abwägung mit dem Interesse der Marktteilnehmer an informationeller Gleichbehandlung standhält 138 . Im Rahmen der sonach anzustellenden Abwägung muss ins Gewicht fallen, dass die informationelle Gleichbehandlung der Marktteilnehmer angesichts des üblicherweise sehr weitreichenden Umfangs einer due diligence in besonders schwerwiegendem Maße beeinträchtigt wird. Die Abwägung kann deshalb nur dann zugunsten der due diligence ausfallen, wenn sich hierfür wirklich triftige Gründe des Gesellschaftsinteresses anführen lassen. Im Einzelnen wird man differenzieren müssen: Am ehesten wird sich die Durchführung der due diligence rechtfertigen lassen, wenn die Veräußerung einer beherrschenden Einfluss vermittelnden Beteiligung (im Folgenden verkürzt: Mehrheitsbeteiligung) betroffen ist. Zwar muss der Vorstand der Zielgesellschaft auch in diesem Fall abwägen und darf nicht ohne Prüfung des Eigeninteresses der Gesellschaft dem Wunsch des herrschenden Gesellschafters nachgeben, dem prospektiven Erwerber eine due diligence zu ermöglichen. Dies gilt sogar dann, wenn ein Beherrschungsvertrag besteht, da sich das Weisungsrecht nach § 308 Abs. 1 AktG nur auf die „Leitung der Gesellschaft" bezieht, um die es hier nicht geht 139 . Die f o r m a t i o n e n stets i m R a h m e n der n ä c h s t e n R e g e l p u b l i z i t ä t b z w . i m Fall von I n s i d e r i n f o r m a tionen d u r c h a d - h o c - M i t t e i l u n g veröffentlichen müsse, u m die i n f o r m a t i o n e l l e G l e i c h b e h a n d l u n g aller M a r k t t e i l n e h m e r zu w a h r e n . Eine d e r a r t i g e R a d i k a l l ö s u n g , die f r a g l o s z u m Ende der due-diligence-Praxis f ü h r e n w ü r d e , ist jedoch nicht v e r a n l a s s t ; vgl. das F o l g e n d e i m Text. 137 E x e m p l a r i s c h Hemeling, Z H R 169 (20 05), 274 (283). 138 139
S. oben Ziff. l i l a .
Lutter, Z I P 1997, 613 (616f.); Stoffels, Z H R 165 (2001), 362 (371); Ziemons, A G 1999, 492 (496f.); K. Mertens, A G 1997, 541 (543); Eggenberger, D u e D i l i g e n c e , S. 136; g r u n d s ä t z -
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anzustellende Abwägung wird aber gleichwohl häufig ergeben, dass das Interesse an informationeller Chancengleichheit bei der Veräußerung einer Mehrheitsbeteiligung zurücktreten kann. Zum einen ist hier das eigene Interesse der Gesellschaft an der Transaktion besonders handfest. So mag die Integration in einen neuen Unternehmensverbund positive Synergieeffekte, die Erschließung neuer Märkte, eine viel versprechende strategische Neuausrichtung oder dergleichen mehr erwarten lassen. Wechselt dagegen lediglich eine Minderheitsbeteiligung ihren Inhaber, werden sich ähnlich spürbare Auswirkungen für die Gesellschaft weniger häufig feststellen lassen. Zum anderen ist bei der Veräußerung einer Mehrheitsbeteiligung zu bedenken, dass in diesen Fällen die informationelle Gleichbehandlung schon vor der Transaktion in zulässiger Weise durchbrochen ist. Angesichts der konzernrechtlichen Informationsprivilegien 140 des herrschenden Unternehmens wird der Veräußerer/herrschende Gesellschafter in aller Regel bereits einen signifikanten Informationsvorsprung gegenüber allen anderen Gesellschaftern und Marktteilnehmern besitzen. Spätestens mit Vollzug der Transaktion würde dieser Informationsvorsprung ohnehin auf den Erwerber übergehen; denn dieser hätte es als dann herrschendes Unternehmen seinerseits in der Hand, die bestehenden konzernrechtlichen Informationsprivilegien zu nutzen. Unter diesen Umständen beinhaltet die Durchführung der due diligence keinen allzu gewichtigen zusätzlichen Eingriff in die informationelle Gleichbehandlung, sofern nur die üblichen, eingangs genannten Sicherheitsvorkehrungen (Abschluss von Vertraulichkeitsvereinbarungen, Preisgabe besonders vertraulicher Daten erst in fortgeschrittenem Verhandlungsstadium, etc.) eingehalten werden. Dagegen ist bei der Veräußerung von - auch bedeutenderen - Minderheitsbeteiligungen größere Zurückhaltung angezeigt. Wie dargelegt wird hier das eigene Interesse der Gesellschaft meist weniger spürbar betroffen sein, sondern das Interesse von Veräußerer und Erwerber ganz im Vordergrund stehen. Im Unterschied zur Veräußerung einer Mehrheitsbeteiligung lässt sich auch nicht auf das ohnehin bereits bestehende Informationsungleichgewicht verweisen. Vielmehr erhält der Erwerber durch die due diligence Informationen, die zuvor auch der Veräußerer nicht hatte. Damit soll nicht behauptet werden, dass die mit der Weitergabe von Insiderinformationen verbundene Durchführung einer due diligence im Vorfeld der Veräußerung von Minderheitsbeteiligungen generell unzulässig wäre. Wenn es etwa aus strategischen Gründen oder gar zum Zwecke der Sanierung der Gesellschaft darum geht, einen neuen Investor mit einer lieh auch Hemeling, Z H R 169 (2005), 274 (287); abweichend Körber, N Z G 2002, 263 (265); Treeck, FS Fikentscher, S.434 (449); S.H. Schneider, Informationspflichten, S. 185. Gleiches gilt im faktischen Konzern, da auch die Einflussnahme nach § 311 AktG einen Funktionsbezug zur Leitung der Gesellschaft voraussetzt; vgl. Lutter, ZIP 1997, 613 (617 f.); Eggenberger, Due Diligence, S. 136. 140 Zu diesen oben §15 I I b , 3 abb.
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5. Kapitel:
Anwendung und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
erheblichen Minderheitsbeteiligung an der Gesellschaft zu beteiligen, mag sie sogar im dringenden Eigeninteresse der Gesellschaft liegen und ist d a n n zweifellos zulässig. A b e r es muss sich schon u m gewichtige Eigeninteressen der G e sellschaft an der D u r c h f ü h r u n g der T r a n s a k t i o n handeln. Dies b e d a r f sorgfältiger P r ü f u n g im Einzelfall und lässt sich jedenfalls nicht mit der R e g e l m ä ß i g keit bejahen, mit der dies in der bisherigen Praxis häufig geschieht. Selbst wenn ein gewichtiges Interesse der Gesellschaft an der D u r c h f ü h r u n g der T r a n s a k tion gegeben sein sollte, ist ferner stets zu prüfen, ob als vermittelnde L ö s u n g nicht auch eine im U m f a n g eingeschränkte due diligence
genügt, u m den I n t e r -
essen der Beteiligten R e c h n u n g zu tragen. D e n vorstehenden A u s f ü h r u n g e n lässt sich nicht entgegenhalten, dass der Gesetzgeber selbst von der grundsätzlichen U n b e d e n k l i c h k e i t der due
diligence
im H i n b l i c k auf § 14 A b s . 1 N r . 2 W p H G ausgegangen sei. Zwar findet sich in der R e g i e r u n g s b e g r ü n d u n g z u m Zweiten F i n a n z m a r k t f ö r d e r u n g s g e s e t z die B e m e r k u n g , dass der E r w e r b e r eines Aktienpakets, der sich im Laufe der Vertragsverhandlungen Unterlagen mit Insidertatsachen vorlegen lässt und anschließend den E r w e r b tätigt, nicht gegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 W p H G a.F. verstoße 1 4 1 . D a r a u s ist geschlossen worden, der G e s e t z g e b e r gehe davon aus, dass die Vorlage der Unterlagen zur Vorbereitung eines Paketkaufs ihrerseits zulässig und mit § 14 A b s . 1 N r . 2 W p H G vereinbar sei 1 4 2 . D i e s e Schlussfolgerung lässt sich j e d o c h in dieser Allgemeinheit nicht ziehen 1 4 3 ; denn die B e m e r k u n g der R e g i e r u n g s b e g r ü n d u n g ergibt ohne weiteres auch dann einen S i n n , wenn man die D u r c h f ü h r u n g einer due diligence
nicht generell, sondern - wie hier -
nur unter einschränkenden Voraussetzungen f ü r mit § 14 A b s . 1 N r . 2 W p H G vereinbar hält. bb) U m g e k e h r t besteht aber auch kein Anlass, über die hier verlangten Restriktionen noch hinauszugehen. Dies gilt auch nach In-Kraft-Treten des A n S V G . Zwar ist im neueren S c h r i f t t u m auf den bereits erwähnten 1 4 4 Zusammenhang zwischen Weitergabeverbot und Selbstbefreiung ( § 1 5 Abs. 3 W p H G ) hingewiesen und daraus abgeleitet worden, dass die Weitergabe von Insiderinformationen im R a h m e n einer due diligence
künftig mit Blick auf die in § 15 Abs. 3 Satz 1
W p H G geforderte Vertraulichkeit erheblichen Zweifeln unterliege 1 4 5 . Sofern aber - wie im Vorstehenden vorausgesetzt - eine Vertraulichkeitsvereinbarung abgeschlossen wird und der Einsichtnehmende auf die insiderrechtlichen Pflichten und Sanktionen hingewiesen wird (vgl. A r t . 3 Abs. 2 lit. b D u r c h f ü h r u n g s - R L ) , Vgl. Begr. RegE 2. FFG, BT-Drucks. 12/6679, S.47. So etwa Körber, NZG 2002, 263 (267); Stoffels, Z H R 165 (2001), 362 (371). 143 Kritisch auch Hasselbach, NZG 2004, 1087 (1089); Angersbach, Due Diligence, S. 286 f. 144 S. oben Ziff. II l b . 145 So ein Diskussionsbeitrag auf dem ZHR-Symposion 2005 in Glashütten; vgl. den Diskussionsbericht von Schürnbrand, ZHR 169 (2005), 295 (296). 141
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§ 22 Informationelle
Gleichbehandlung
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ist nicht ersichtlich, warum die Vertraulichkeit i.S. des § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG durch die Gewährung der due diligence in unzulässiger Weise gefährdet wäre. Dass eine Weitergabe an Betriebsexterne im Zeitraum der Selbstbefreiung schlechthin ausgeschlossen oder nur noch zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen zulässig wäre, lässt sich jedenfalls weder § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG noch dem zugrunde liegenden Art. 6 Abs. 2 Marktmissbrauchs-RL entnehmen. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass sich auch aus der neuen Fassung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG (Erwerb unter „Verwendung" von Insiderinformationen) keine einschneidenden Neuerungen für die hier interessierende Konstellation ergeben. Unmittelbar vor und nach In-Kraft-Treten des AnSVG ist zwar lebhaft diskutiert worden, ob ein Erwerbsvorgang, der im Anschluss an die due diligence und in Kenntnis daraus erlangter Insiderinformationen stattfindet, nunmehr unter § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG zu subsumieren sei 146 . Die Zweifel rührten daher, dass die Vorschrift nicht mehr auf die „Ausnutzung" der Insiderkenntnis abstellt, sondern die bloße „Verwendung" genügen lässt. Inzwischen hat die BAFin in ihrem Emittentenleitfaden indes mit Recht klargestellt, dass sich trotz der weiteren Tatbestandsfassung für die hier zu beurteilende Rechtsfrage nichts Wesentliches verändert hat 147 . Die zutreffende Begründung für dieses Ergebnis liegt darin, dass Sinn und Zweck des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG und des ihm zugrunde liegenden Art. 2 Abs. 1 MarktmissbrauchsRL ebenso wie im alten Recht darauf gerichtet sind, zu verhindern, dass der Insider infolge seines Wissensvorsprungs einen Sondervorteil realisiert, den er nicht erzielt hätte, wenn die ihm bekannte Insiderinformation öffentlich bekannt gewesen wäre 148 . Nur auf eine entsprechende Absicht kommt es nach neuem Recht nicht mehr an; das Ziel, Sondervorteile zu verhindern, bleibt dagegen unverändert. Immer dann, wenn Veräußerer und Erwerber - wie in der hier interessierenden Situation regelmäßig der Fall - über den gleichen Kenntnisstand verfügen, droht aber keine Gefahr von Sondervorteilen aufgrund von Informationsvorsprüngen. Deshalb ist in diesen Fällen § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG nicht verletzt 149 . Die entscheidenden kapitalmarktrechtlichen Grenzen gegen146 Vgl. einerseits Ziemons, NZG 2004, 537 (539 f.); andererseits Cahn, Konzern 2005, 5 (7 ff.); Diekmann/Sustmann, NZG 2004, 929 (931); Fromm-Russenschuck/Banerjea, BB 2004,2425 ff.; Hemeling, ZHR 169 (2005), 274 (284 f.). 147 Vgl. Emittentenleitfaden BAFin, S.27f.; Merkner/Sustmann, NZG 2005, 729 (732); ebenso i.E. die in Fn. 146 Genannten mit Ausnahme von Ziemons. 148 Vgl. Emittentenleitfaden BAFin, S.27: Es soll verhindert werden, dass „einzelne Marktteilnehmer durch exklusive Informationen gegenüber anderen in ungerechtfertigter Weise privilegiert werden." 149 So der Sache nach auch Emittentenleitfaden BAFin, S.27; ferner Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 14 Rdn.28; Cahn, Konzern 2005, 5 (11); Diekmann/Sustmann, NZG 2004, 929 (931); letztlich auch Fromm-Russenschuck/Banerjea, BB 2004, 2425 (2427). Nicht überzeugend ist dagegen das sowohl zum alten als auch zum neuen Recht vorgetragene Argument, dass § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG schon deshalb nicht verletzt sei, weil der Kaufentschluss bereits vor Durchführung der due diligence gefasst worden sei und es somit an der
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5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
über einer allzu großzügigen due-diligence-Praxis erwachsen daher auch künftig aus § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG, nicht aus § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG150. c) Aktienrechtliche
Gleichbehandlung
Wie dargelegt stellen §§ 53a, 131 Abs. 4 AktG keine strengeren Anforderungen an die selektive Weitergabe von Insiderinformationen auf, als es § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG in seinem Anwendungsbereich anordnet151. Gleichwohl kommt der aktienrechtlichen Gleichbehandlung auch im vorliegenden Kontext Bedeutung zu: zum einen, da sie einen größeren Anwendungsbereich hat und auch Informationen unterhalb der Schwelle der Insiderinformation sowie nicht-börsennotierte Gesellschaften miteinbezieht, und zum anderen, da ihre Verletzung zusätzliche Rechtsfolgen, namentlich das Nachinformationsrecht, auslöst152. Für die Zulassung einer due diligence wird indes - wie schon erwähnt - § 53a AktG meist nicht als nennenswerte Hürde angesehen, ebenso wenig § 131 Abs. 4 AktG 153 . Auch insoweit mahnt jedoch eine nähere Betrachtung zu größerer Zurückhaltung. aa) Betroffenheit
in der Eigenschaft
ah Aktionär
Was den bevorzugten Informationszugang des Erwerbers betrifft, so ist sich das Schrifttum weitestgehend darin einig, dass keine Anwendung der §§ 53a, 131 Abs. 4 AktG in Betracht kommt, da die Informationen dem Erwerber in der due diligence nicht „wegen der Eigenschaft als Aktionär", sondern als Erwerbsinteressent erteilt werden. Dies soll auch dann gelten, wenn er bereits Aktionär ist und den Zukauf weiterer Anteile vorbereitet154. Dem ist jedenfalls für den Regelfall zuzustimmen. Zwar finden § 53a AktG und als dessen besondere Ausprägung § 131 Abs. 4 AktG auch dann Anwendung, wenn Informationen mit Rücksicht auf eine noch nicht bestehende, sondern erst zukünftige AktioKausalität zwischen Kenntnis der Insiderinformation und Transaktion fehle (so z.B. Hemeling, ZHR 169 [2005], 274 [285]). Zumindest für die konkrete Ausgestaltung des Geschäfts, namentlich die Höhe des Kaufpreises und das Ausmaß der Garantien, wird die Kenntnis der Insiderinformationen sehr wohl ursächlich sein. 150 Ein Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG liegt aber selbstverständlich dann vor, wenn der Erwerber die in der due diligence erlangte Kenntnis von günstigen Insiderinformationen zum Anlass nimmt, neben dem Aktienpaket des Veräußerers am Markt noch weitere Aktien zu erwerben. 151 S. oben Ziff. l i l a . 152 S.dazuauchnochuntenZiff.IV. 153 S. die Nachw. in Fn. 134-135. 154 Fleischer/Körber, in: Berens/Brauner/Strauch, Due Diligence, S.219 (229); Hemeling, ZHR 169 (2005), 274 (288); Körber, NZG 2002, 263 (265); Linker/Zinger, NZG 2002, 497 (502); S t o f f e l s , ZHR 165 (2001), 362 (381 f.); Treeck, FS Fikentscher, S.434 (448); Ziemons, AG 1999, 492 (495).
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Gleichbehandlung
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närseigenschaft erteilt werden 155 . Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass eben dies bei der Informationserteilung im Rahmen einer due diligence der Fall sei 156 . In der Regel ist aber in dem Zeitpunkt, in dem der potenzielle Erwerber an die Gesellschaft herantritt, noch gänzlich ungewiss, ob es tatsächlich zu dem Erwerb kommt. Unter diesen Umständen tritt der potenzielle Erwerber der Gesellschaft noch als außenstehender Dritter, nicht als künftiger Gesellschafter gegenüber 157 . Auch ein Bezug zu einer etwa bereits bestehenden Mitgliedschaft des Erwerbers ist zumindest dann zu verneinen, wenn diese - wie häufig - die Entscheidung über die Gestattung der due diligence nicht beeinflusst hat, sondern lediglich einen zufälligen Begleitumstand bildet. Im Einzelfall kann es aber durchaus anders liegen: Wenn beispielsweise ein bereits mit Sperrminorität an der Gesellschaft beteiligter Gesellschafter eine Aufstockung seiner Beteiligung erwägt und deshalb um Durchführung einer due diligence bittet, streitet nach den im Verlauf der Untersuchung dargelegten Grundsätzen 158 ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Entscheidung der Gesellschaftsorgane über die Gestattung der due diligence nicht ohne Rücksicht auf die einflussreiche Gesellschafterstellung des Erwerbers getroffen wird. In diesem Fall ist daher nach der hier vertretenen Auffassung eine Bevorzugung (auch) in der Eigenschaft als Aktionär zu bejahen und somit eine Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der Entscheidung am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes geboten. Sofern aus Anlass der geplanten Transaktion auch dem Veräußerer zusätzliche Informationen zur Verfügung gestellt werden, liegt darin fraglos eine Bevorzugung in der Eigenschaft als Aktionär, die am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen ist. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei dem Veräußerer um das herrschende Unternehmen im Sinne des Konzernrechts handelt. Die §§ 53a, 131 Abs. 4 AktG werden durch die §§308, 311 AktG nur in Bezug auf Informationen verdrängt, die einen Bezug zur Leitung der Gesellschaft aufweisen. Daran fehlt es bei Informationen, die allein zum Zwecke der Veräußerung der Beteiligung erteilt werden 159 . bb) Sachliche Rechtfertigung Da hinsichtlich des Erwerbers schon der erforderliche Bezug zur Aktionärseigenschaft generell verneint wird, beschäftigt sich das Schrifttum konsequenterweise nur mit der Frage der Zulässigkeit (Rechtfertigung) der bevorzugten S. oben §101. So U. Schroeder, DB 1997,2161 (2165). 157 S. schon oben § 10 I a.E.; wie hier (jeweils zu § 131 Abs. 4 AktG) auch Stoffels, 165 (2001), 362 (381 f.), und Linker/Zmger, NZG 2002, 497 (502). 158 S. oben §9 I 4a aa. 159 Nachw. oben Fn. 139. 155
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ZHR
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und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
Information des Veräußerers. Hierzu wird meist kurzerhand ausgeführt, dass der verkaufswillige Großaktionär anlässlich der Veräußerung ein besonders großes Informationsbedürfnis habe, das nicht mit dem generellen Informationsinteresse der Kleinaktionäre gleichgestellt werden könne160. Die Ungleichbehandlung sei deshalb sachlich gerechtfertigt161; nach anderen Stimmen fehlt es - im Ergebnis gleichbedeutend - an den in § 53a AktG verlangten „gleichen Voraussetzungen"162. Auch wenn die bisweilen anzutreffende Behauptung, dem Veräußerer drohe ohne Zulassung der due diligence eine faktische Vinkulierung seiner Anteile163, überzogen erscheint164, lässt sich ein gesteigertes Informationsinteresse des Veräußerers in der Tat nicht bestreiten. Der Hinweis darauf reicht jedoch nicht aus, um einen Gleichbehandlungsverstoß auszuschließen. An „gleichen Voraussetzungen" i.S. des § 53a AktG fehlt es nach den getroffenen Feststellungen nur, soweit Ungleichbehandlungen statutarisch oder gesetzlich vorgesehen sind165. Wenn es daran fehlt, bedarf die Ungleichbehandlung einer sachlichen Rechtfertigung. Für diese genügt aber gerade nicht das Partikularinteresse eines wesentlich beteiligten Aktionärs; vielmehr muss die Ungleichbehandlung im Interesse der Gesellschaft liegen. Richtigerweise ist also auf deren Interesse an der Durchführung der Transaktion abzustellen166. Zudem muss dieses Interesse so gewichtig sein, dass es einer Abwägung mit den mitgliedschaftsbezogenen Interessen der benachteiligten Aktionäre am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes standhält167. Diese Grundsätze gelten sowohl für die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung zugunsten des Veräußerers als auch derjenigen zugunsten des Erwerbers, soweit ausnahmsweise auch in Bezug auf diesen eine Bevorzugung in der Eigenschaft als Aktionär vorliegt. Hinsichtlich der im Rahmen der Abwägung relevanten Kriterien sei auf die Überlegungen verwiesen, die oben (lit. b aa) zum insiderrechtlichen Weitergabeverbot (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG) angestellt wurden 168 .
160 Hemeling, ZHR 169 (2005), 274 (288); Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn.58; Körber, NZG 2002, 263 (265); Krömker, NZG 2003, 418 (423); O. Ziegler, DStR 2000,249 (254). 161 Krömker, NZG 2003,418 (423). 162 Hemeling, ZHR 169 (20 05), 274 (288); Henze/Notz, in: Großkomm. AktG, §53a Rdn. 58 i.V.m. Rdn. 68; Körber, NZG 2002,263 (265); O. Ziegler, DStR 2000, 249 (254). 163 Krömker, NZG 2003,418 (420 f.). 164 Dazu oben bei Fn. 126-129. 165 S. oben §9 II 3. 166 Vgl. denn auch S t o f f e l s , ZHR 165 (2001), 362 (382) („... findet ihre sachliche Rechtfertigung in dem im Unternehmensinteresse angestrebten Anteilsverkauf"); ähnlich Linker/ Zinger, NZG 2002, 497 (502). 167 S. oben §12 IV. 168 Zu Unterschieden im Detail oben Ziff. II 1 a.
5 22 Informationelle
Gleichbehandlung
549
d) Sonderproblem: Bietergleichbehandlung im Übernahmerecht Die vorstehenden Ausführungen betrafen Differenzierungen seitens der Gesellschaft zwischen Veräußerer/Erwerber einerseits und den übrigen Aktionären andererseits. Daneben kann sich auch die Frage stellen, ob und in welchen Grenzen die Gesellschaft zwischen mehreren potenziellen Erwerbern differenzieren darf. Diskutiert wird diese Frage vor allem im Anwendungsbereich des WpUG unter dem Stichwort der Bietergleichbehandlung. Konkret geht es darum, ob die Zielgesellschaft, die im Vorfeld eines öffentlichen Ubernahmeangebots dem Bieter die Durchführung einer due diligence gestattet hat, dies auch gegenüber einem konkurrierenden Bieter tun muss. Dieselbe Frage stellt sich, wenn die Gesellschaft dem konkurrierenden Bieter (z.B. einem Weißen Ritter i.S. des § 33 Abs. 1 Satz 2,2. Var. WpUG) eine due diligence gestattet, dem Erstbieter eine solche aber bislang verweigert hat. Anders als der Übernahmekodex, der zumindest für den erstgenannten Fall eine Gleichbehandlung anordnete 169 , und anders als einige ausländische Rechtsordnungen 170 sieht das WpUG eine derartige Bietergleichbehandlung nicht ausdrücklich vor. Dieses Schweigen des Gesetzes hat dazu geführt, dass die Frage im Schrifttum inzwischen ganz unterschiedlich beurteilt wird 171 . Nach dem Gesagten liegt auf der Hand, dass sich ein Prinzip der Gleichbehandlung der Bieter nicht schon aus § 53a AktG herleiten lässt. Selbst dann, wenn beide Bieter bereits Aktionär sein sollten, erhält doch der bevorzugte Bieter die Informationen in aller Regel nicht in dieser Eigenschaft. Nur im Einzelfall kann es - wie dargelegt 172 - anders liegen, wenn es sich bei dem bevorzugten Bieter um einen bereits vor dem Angebot einflussreichen Aktionär handelt und deshalb zu vermuten ist, dass ihm der privilegierte Informationszugang nicht ohne Rücksicht auf seine Aktionärsstellung gewährt worden ist. Sofern das Schrifttum ein Prinzip der Bietergleichbehandlung befürwortet - so die inzwischen wohl h.L. - , stützt es sich denn auch durchweg auf andere Rechtsgrundlagen. Die Begründung variiert allerdings beträchtlich: Teils wird 169 Vgl. Art. 2 Abs. 2 Übernahmekodex (abgedr. in AG 1998, 133 [134]): „Ist ein öffentliches Angebot erfolgt, so ist der Vorstand der Zielgesellschaft nach pflichtgemäßem Ermessen und im Interesse der Wertpapierinhaber verpflichtet, anderen Personen, die ihrerseits ein ernsthaftes Interesse an der Übernahme glaubhaft gemacht haben, die gleichen Informationen wie dem ursprünglichen Bieter zur Verfügung zu stellen. Über die Ernsthaftigkeit des Antrags entscheidet auf Antrag der Zielgesellschaft die Übernahmekommission." 170 Vgl. Rule 20.2 City Code on Takeovers and Mergers (abgedr. bei Hirte, WpÜG, S. 451); Art. 48 Schweiz. UEV-UEK; ähnlich trotz fehlender Regelung im Gesetz die h.M. in Osterreich (in Anknüpfung an das Neutralitätsgebot), vgl. Huber/Löber, ÜG, § 12 Rdn.30f.; Fleischer, ZIP 2002, 651 (652f.). S.aber auch Hartm. Krause, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, §22 Rdn.95, der darauf hinweist, dass viele andere Rechtsordnungen kein Prinzip der Bietergleichbehandlung kennen. 171 Nachw. sogleich in Fn. 173-177. 172 S.oben lit. c aa.
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5. Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
versucht, das übernahmerechtliche Gleichbehandlungsgebot (§ 3 Abs. 1 WpÜG) fruchtbar zu machen 173 , während andere auf den Rechtsgedanken des §22 Abs. 3 WpÜG 1 7 4 oder auf die Neutralitätspflicht (§ 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG) 1 7 5 zurückgreifen wollen. Wieder andere sehen in der Pflicht zur Bietergleichbehandlung eine Ausprägung der allgemeinen Pflicht des Vorstands, im Gesellschaftsinteresse zu handeln (§ 3 Abs. 3 W p Ü G , §§ 76, 93 AktG) 176 . Vollauf befriedigend ist indes keiner dieser Begründungsansätze 177 . § 3 Abs. 1 WpÜG bietet keinen geeigneten Ansatzpunkt, da die Vorschrift nur eine Gleichbehandlung der Aktionäre der Zielgesellschaft anordnet und diese offenkundig allein in ihrer Eigenschaft als Angebotsadressaten erfassen will, nicht in ihrer Eigenschaft als potenziell konkurrierende Bieter178. Auch aus dem in §22 Abs. 3 WpÜG normierten Rücktrittsrecht der Aktionäre, das diesen ermöglichen soll, ein konkurrierendes Angebot anzunehmen, lässt sich schwerlich auf ein allgemeines Prinzip der Bietergleichbehandlung schließen. Auch diese Vorschrift zielt auf die Gleichbehandlung nicht der Bieter, sondern der Angebotsadressaten 179 und wird folgerichtig als besondere Ausprägung des § 3 Abs. 1 WpÜG angesehen 180 . Wenn aus §3 Abs. 1 WpÜG kein Grundsatz der Bietergleichbehandlung abzuleiten ist, kann also aus § 22 Abs. 3 WpÜG nichts anderes folgen 181 . 173 Ekkenga, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, W p Ü G , § 33 Rdn. 54; Schwennicke, in: Geibel/Süßmann, W p Ü G , § 3 Rdn. 14. 174 Fleischer, Z I P 2002, 651 ff.; Hopt, Z G R 2002, 333 (358). 175 Hirte, in: Kölner Komm. W p Ü G , § 33 Rdn. 77; ders., Z G R 2002, 623 (640); ebenso die h.M. in Osterreich (oben Fn. 170). O h n e Spezifizierung der Rechtsgrundlage f ü r eine Pflicht zur Bietergleichbehandlung auch Ekkenga, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, W p Ü G , §33 Rdn. 54 (soweit Bieter schon Aktionär ist, §3 Abs. 1 W p Ü G , ansonsten allgemeiner „kapitalmarktrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz"); Grunewald, in: Baums/Thoma, W p Ü G , §33 Rdn. 46; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und G m b H - K o n z e r n r e c h t , vor §311 Rdn. 18 a.E.; Noack, in: Schwark, K M R K , §33 W p Ü G Rdn. 10; Schlitt, in: MünchKomm. A k t G , §33 W p Ü G Rdn. 159; de lege ferenda auch D. Becker, Z H R 165 (2001), 280 (286). 176 Liekefett, AG 2005, 802 (806 ff.); ähnlich f ü r Österreich Winner, Zielgcsellschaft, S. 205 ff. 177 Gegen eine Pflicht zur Bietergleichbehandlung auf Grundlage der lex lata daher Assmann, Z G R 2002,697 (709); Drygala, W M 2004,1457 (1464); Hemeling, Z H R 169 (2005), 274 (290); Hartm. Krause, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, W p Ü G , § 22 Rdn. 94 ff., 100; kritisch auch Hasselbach, N Z G 2004, 1087 (1094); offen lassend Baums/Hecker, in: Baums/Thoma, W p Ü G , § 3 Rdn. 10. 178 Vgl. Baums/Hecker, in: Baums/Thoma, W p Ü G , § 3 Rdn. 10; Fleischer, Z I P 2002, 651 (654); A. Möller, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, W p Ü G , §3 Rdn. 16; Versteegen, in: Kölner Komm. W p Ü G , § 3 Rdn. 15; Liekefett, AG 2005, 802 (803). 179 Reflexartig mag auch der konkurrierende Bieter profitieren, doch ist dies nicht das primäre Schutzanliegen der Vorschrift; vgl. die A u s f ü h r u n g e n in Begr. RegE W p Ü G , BTDrucks. 14/7034, S. 50, die allein aus Sicht der Angebotsempfänger formuliert sind. Wie hier Hemeling, Z H R 169 (20 05), 274 (290). 180 Vgl. Baums/Hecker, in: Baums/Thoma, W p Ü G , §3 Rdn. 15; Hemeling, Z H R 169 (2005), 274 (290); Paefgen, Z I P 2002,1509 (1517). 181 Ebenso Hemeling, Z H R 169 (2005), 274 (290); i.E. auch Hasselbach, N Z G 2004, 1087
§ 22 Informationelle
Gleichbehandlung
551
B e d e n k e n bestehen aber auch gegen den Versuch, die Neutralitätspflicht oder besser: das Verhinderungsverbot 1 8 2 (§ 33 Abs. 1 Satz 1 W p Ü G ) als R e c h t s g r u n d lage einer Pflicht zur Bietergleichbehandlung zu b e m ü h e n 1 8 3 . A u c h diese V o r schrift b e z w e c k t den Schutz der A k t i o n ä r e , denen die Entscheidung über das U b e r n a h m e a n g e b o t überlassen bleiben soll 1 8 4 , nicht den Schutz der Bieter. D e m g e g e n ü b e r mag man einwenden, dass durch eine Ungleichbehandlung der Bieter mittelbar auch die Interessen der A k t i o n ä r e b e r ü h r t werden, da die V e r weigerung der due diligence
gegenüber dem benachteiligten Bieter dazu führen
k a n n , dass dieser sich daran gehindert sieht, ein höheres A n g e b o t abzugeben 1 8 5 . A b e r diese G e f a h r besteht unabhängig von der Ungleichbehandlung der Bieter: Sie ist auch dann gegeben, w e n n es nur einen einzigen B i e t e r gibt und der V o r stand diesem die E i n s i c h t n a h m e in die Unterlagen der Gesellschaft verwehrt oder wenn der Vorstand gleichmäßig beiden konkurrierenden Bietern die E i n sichtnahme versagt. A u c h hier k ö n n t e man anführen, dass der oder die Bieter in die Lage versetzt w ü r d e n , ein n o c h höheres A n g e b o t abzugeben, wenn sie aufgrund eines besseren Informationsstands mit geringeren Risikoabschlägen kalkulieren könnten. G l e i c h w o h l lässt sich in diesen Fällen aus § 33 Abs. 1 Satz 1 W p Ü G unstreitig keine Pflicht des Vorstands ableiten, dem oder den Bietern b e s t i m m t e I n f o r m a t i o n e n zugänglich zu machen, da die Vorschrift kein aktives Förderungsgebot, sondern lediglich ein passives Vereitelungsverbot enthält 1 8 6 . Wenig überzeugend ist schließlich auch der Vorschlag, ein Prinzip der Bietergleichbehandlung unmittelbar aus der Bindung des Vorstands an das Gesellschaftsinteresse (§ 3 Abs. 3 W p Ü G , §§ 76, 93 A k t G ) abzuleiten, da dieses z u m i n dest im Regelfall die Bietergleichbehandlung gebiete. § 3 Abs. 3 W p Ü G enthält lediglich eine Klarstellung, dass der Vorstand während des Übernahmeverfahrens dem Gesellschaftsinteresse verpflichtet bleibt, modifiziert dieses jedoch nicht 1 8 7 . D e r Vorstand muss sein Handeln also nach wie vor an den im Gesellschaftsinteresse gebündelten Anteilseignerinteressen ausrichten (nach der Lehre vom Unternehmensinteresse unter Einschluss der Belange weiterer
stakehol-
(1094); Hartm. Krause, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 22 Rdn. 98; Liekefett, AG 2005, 802 (806). 182 Zur Terminologie Schlitt, in: MünchKomm. AktG, § 33 WpÜG Rdn. 58. 183 Ablehnend auch Hartm. Krause, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, §22 Rdn. 98; Fleischer, ZIP 2002,651 (654); Liekefett, AG 2005, 802 (803 ff.). 184 Vgl. Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 57. 185 So die Argumentation von Hirte, in: Kölner Komm. WpÜG, § 33 Rdn. 77; ders., ZGR 2002,623 (640). 186 Selbst wenn man anders entscheiden und aus § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG tatsächlich eine Pflicht zur Bietergleichbehandlung ableiten wollte, wäre damit im Übrigen in vielen Fällen nicht geholfen. Konsequenterweise müsste man nämlich auch §33 Abs. 1 Satz 2 WpÜG zur Anwendung bringen, was zur Folge hätte, dass die Bietergleichbehandlung von der Haltung des Aufsichtsrats abhängig wäre (§ 33 Abs. 1 Satz 2, 3. Var. WpÜG). 187 Vgl. Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 35.
552
y Kapitel:
Anwendung
und Konkretisierung
der erarbeiteten
Grundsätze
der)m, nicht daran, wie er sich gegenüber etwaigen anderen Bietern verhalten hat. Ob die Unterstützung eines Übernahmeangebots durch Gewährung einer due diligence dem Gesellschaftsinteresse entspricht, ist für jeden potenziellen Bieter gesondert zu untersuchen. Entspricht die Unterstützung eines Angebots nicht dem Gesellschaftsinteresse, ist nicht zu erkennen, warum allein der Umstand, dass einem anderen Bieter eine solche Unterstützung zuteil geworden ist, an dieser Beurteilung etwas ändern sollte. Umgekehrt sagt der Umstand, dass einem Bieter die due diligence verweigert worden ist, nichts darüber aus, ob eine solche Verweigerung auch gegenüber einem zweiten Bieter im Gesellschaftsinteresse liegt. Eine allgemeine Regel, dass das Gesellschaftsinteresse grundsätzlich die Bietergleichbehandlung gebiete, lässt sich somit nicht aufstellen189. Auch wenn man ein Gebot der Bietergleichbehandlung rechtspolitisch begrüßen mag, erscheint es nach allem methodenehrlicher, einzuräumen, dass sich dem geltenden Recht ein derartiges Prinzip nicht entnehmen lässt190. Die dadurch verbleibende Regelungslücke mag man bedauern, aber sie ist nicht so unerträglich, dass mit Blick auf unabweisbare Bedürfnisse des Rechtsverkehrs eine richterliche Rechtsfortbildung praeter legem angezeigt wäre. Richtiger erscheint es vielmehr, die Entscheidung über die Einführung und nähere Ausgestaltung eines Prinzips der Bietergleichbehandlung dem Gesetzgeber zu überlassen. Die Gelegenheit zur Einführung einer solchen Regelung anlässlich der jüngst vorgenommenen Änderungen des WpÜG durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz 191 hat der Gesetzgeber allerdings nicht wahrgenommen.
IV. Rechtsfolgen von Verstößen Der Vollständigkeit halber sei abschließend kurz der Blick auf die Rechtsfolgen gerichtet, die sich bei Verstößen gegen den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz im Bereich der Informationserteilung ergeben. Zu der primär in Betracht kommenden Rechtsfolge - der Beseitigung der Ungleichbehandlung, die in den Fällen der Informationserteilung jeweils nur durch aktive Gleichbehandlung in Form der Nachinformation der übergangenen Gesellschafter möglich ist - ist das Erforderliche bereits gesagt worden: Nach der hier vertretenen Auffassung ist neben dem Anspruch aus § 131 Abs. 4 AktG (Nachinformation in der nächsten Hauptversammlung) ein unmittelbar aus § 53a AktG bzw. S. oben §12 II 1,2 a. Anders Liekefett, AG 2005, 802 (807 ff.), der aber selbst zahlreiche Ausnahmen von der von ihm postulierten Regel einräumt und diese damit wieder weitgehend einschränkt. 190 Ebenso i.E. die Nachw. in Fn. 177. 1 , 1 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Ubernahmeangebote (Ubernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz); in Kraft getreten am 14.7.2006. 188
189
§ 22 Informationelle
Gleichbehandlung
553
§ 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG abgeleiteter Anspruch der benachteiligten Aktionäre auf sofortige Nachinformation anzuerkennen, da ein Hinausschieben auf den Termin der nächsten Hauptversammlung dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot wirksamer und abschreckender Sanktionen nicht genügen würde 1 9 2 . Nach der rechtspolitisch kritikwürdigen, aber eindeutigen Regelung des § 131 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG besteht der Anspruch aus § 131 Abs. 4 AktG auch dann, wenn die Nachauskunft geeignet ist, der Gesellschaft erhebliche Nachteile zuzufügen; dies wird man auf den Anspruch aus § 53a A k t G bzw. § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG übertragen müssen 193 . Soweit einzelne Nachauskünfte außergewöhnlich gravierende Nachteile für die Gesellschaft mit sich bringen würden, ist allerdings zu beachten, dass auch die Ausübung des Nachinformationsrechts unter dem Vorbehalt der Treuepflicht des Aktionärs steht 194 . Im Übrigen gelten keine Besonderheiten gegenüber den herausgearbeiteten allgemeinen Regeln. Der Anspruch auf Beseitigung der Ungleichbehandlung wird also auch hier ergänzt durch mögliche Schadensersatzansprüche aus Sonderverbindung gegen die Gesellschaft 1 9 5 und ggf. aus Delikt gegen die Organwalter. In Bezug auf Letztere kommt eine Außenhaftung gegenüber den benachteiligten Aktionären wegen des Gleichbehandlungsverstoßes nur bei Vorsatz in Betracht (§ 826 BGB, § 117 AktG), da der Gleichbehandlungsgrundsatz weder dem deliktischen Schutzbereich der Mitgliedschaft als „sonstiges Recht" i.S. des § 823 Abs. 1 BGB zuzuordnen ist noch ein Schutzgesetz im Sinne des §823 Abs. 2 BGB bildet 196 . Dasselbe muss konsequenterweise auch f ü r § 131 Abs. 4 A k t G gelten 197 . W i e bei anderen Gleichbehandlungsverstößen auch steht den Aktionären ferner ein Anspruch auf Unterlassung der Ungleichbehandlung zu, den sie ggf. im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen können 1 9 8 . Sofern die ungleichmäßige Information zugleich gegen kapitalmarktrechtliche Vorschriften, namentlich gegen das insiderrechtliche Weitergabeverbot (§14 Abs. 1 Nr. 2 W p H G ) oder die aJ-Äoc-Publizitätspflicht (§15 Abs. 1 W p H G ) verstößt, sind schließlich die hierfür geltenden Straftat- und Bußgeldtatbestände zu beachten (§§ 38 f. WpHG).
S. oben Ziff. I 3. S. oben Ziff. I 6 b. 194 S. oben Ziff. I 6 a aa, b. 195 S. oben §17 II. 196 S. oben §181. 197 Im Schrifttum wird der Schutzgesetzcharakter des § 131 AktG unterschiedlich beurteilt; bejahend Eckardt, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 131 Rdn. 172; Decher, in: Großkomm. AktG, §131 Rdn. 407 (zu Abs. 1); verneinend H ü f f e r , AktG, § 131 Rdn. 44; Rubis, in: MünchKomm. AktG, § 131 Rdn. 152; jeweils m.w.Nachw. Dabei wird jedoch nicht gesondert auf den hier interessierenden Abs. 4 eingegangen. 198 S. oben §17 III. 192
193
6. Kapitel
Schluss
§ 23 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse I. Plädoyer für eine stärkere Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes Der
gesellschaftsrechtliche
Gleichbehandlungsgrundsatz
-
verstanden
als
Schranke der Verbandsmacht 1 , die der Gesellschaft auferlegt, ihre Gesellschafter unter gleichen Voraussetzungen und vorbehaltlich sachlich gerechtfertigter Differenzierungen gleich zu behandeln - gehört seit langem zu den fundamentalen Rechtsprinzipien unseres Gesellschaftsrechts im Allgemeinen und des hier betrachteten Kapitalgesellschaftsrechts im Besonderen. Seine Hauptbedeutung liegt im Schutz der Minderheitsgesellschafter vor Ubervorteilungen durch die Gesellschaftsorgane. Der Umstand, dass ihn bereits das R G als „obersten" und „beherrschenden" Grundsatz des Gesellschaftsrechts bezeichnete und der europäische und deutsche Gesetzgeber seine Bedeutung an prominenter Stelle hervorheben (Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL, §§53a A k t G , § 3 9 Abs. 1 Nr. 1 BörsG 2 ), darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine Bedeutung in der Entscheidungspraxis sowohl des R G als auch der aktuellen Rechtsprechung auf einen vergleichsweise schmalen Anwendungsbereich beschränkt war und ist 3 . Diese Entwicklung hat ihren Grund vor allem darin, dass die ältere Rechtsprechung den Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf formale Ungleichbehandlungen beschränkte und auch neuere Entscheidungen den Grundsatz nur selten auf materielle Ungleichbehandlungen ausgedehnt haben. Dies hat dazu geführt, dass mit dem Gleichbehandlungsgebot von Anfang an lediglich ein relativ kleiner Ausschnitt der möglichen Fälle des Mehrheitsmissbrauchs kontrolliert werden konnte. Zur entscheidenden „beweglichen" Schranke des Mehrheitsprinzips avancierte deshalb zunächst das vom R G aus den guten Sitten hergeleitete, inzwischen in § 243 Abs. 2 Satz 1 A k t G geregelte Verbot, auf Kosten der Gesellschaft oder der Mitgesellschafter gesellschaftsfremde Sondervorteile anzustreben 4 . In 1 2 3 4
Zur Terminologie oben § 1 II. Künftig § 30a Abs. 1 Nr. 1 W p H G ; vgl. oben § 2 II 3. S. oben § 2 1 , I I I 1. S. oben § 2 1 2 b.
558
6. Kapitel:
Schluss
neuerer Zeit hat der BGH mit der Lehre vom sachlichen Grund („Kali und Salz"), der Treuepflicht der Gesellschafter untereinander sowie der Treuepflicht der Gesellschaft im Wege der Rechtsfortbildung weitere Kontrollmaßstäbe eingeführt, die die Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (und nunmehr auch des Sondervorteilsverbots) erheblich einschränken. Insbesondere im Anwendungsbereich der Lehre vom sachlichen Grund, die der BGH für den Bezugsrechtsausschluss entwickelt hat, aber auch zur Übertragung auf weitere Beschlussgegenstände als grundsätzlich geeignet ansieht, konvergiert die Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes inzwischen gegen null; denn die Anforderungen, die an die sachliche Rechtfertigung im Rahmen der Lehre vom sachlichen Grund gestellt werden, sind nach h.M. (nahezu) dieselben wie bei der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen 5 . Aber auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Lehre vom sachlichen Grund gerät der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Spruchpraxis der Gerichte nicht selten aus dem Blick, da stattdessen unmittelbar auf die Treuepflicht zurückgegriffen wird 6 . Das Schrifttum hat diese Entwicklung überwiegend mitgetragen und betont demgemäß die (vermeintlich) geringe Wirkungskraft des Gleichbehandlungsgrundsatzes 7 . Die vorliegende Untersuchung setzt dagegen anders an und fragt danach, ob es richtig war, die Lehre vom sachlichen Grund und die Treuepflicht in der Weise, wie dies geschehen ist, in den Vordergrund zu rücken, oder ob es nicht im Gegenteil angezeigt wäre, dem Gleichbehandlungsgrundsatz künftig stärkere Beachtung zu schenken und ihm mehr zuzutrauen, als dies bisher der Fall war. Nach den Ergebnissen der Untersuchung sprechen gute Gründe für eine derartige Neuorientierung: Namentlich die Lehre vom sachlichen Grund sieht sich mit Recht zunehmender Kritik ausgesetzt. Ihr entscheidendes Manko liegt sieht man einmal von der Unsicherheit ab, auf welche Beschlussgegenstände sie überhaupt anwendbar sein soll - vor allem darin, dass sie zu einer flächendeckenden gerichtlichen Inhaltskontrolle bestimmter Beschlussgegenstände führt. Eine solche flächendeckende Inhaltskontrolle erweist sich aber als überschießend, wenn man die Grundlagen des Mehrheitsprinzips in Erinnerung ruft 8 . Dass das Mehrheitsprinzip nicht ständig missbraucht wird, sondern im Regelfall durchaus sachgerechte Ergebnisse verbürgt, beruht auf der grundsätzlichen Interessengleichrichtung der Gesellschafter, die (in den Worten von Fastrich9) eine „prozedurale Gewährleistung der Richtigkeit" von Mehrheitsbeschlüssen mit sich bringt. Indem die Mehrheit sich bereits im eigenen Interesse darum bemühen muss, sachgerechte und im Interesse der Gesellschaft liegende 5 6 7 8 9
S. oben § 2 III 2 a aa. S. oben § 2 III 2 b, c. S. oben § 3 1 . S. oben §3 II 1. Funktionales Rechtsdenken, S. 49 f. i.V.m. S. 20 ff.
5 23 Zusammenfassung
der wesentlichen
Ergebnisse
559
Beschlüsse zu fassen, nimmt sie unvermeidlich zugleich die Interessen der Minderheit wahr. Anlass zu einer gerichtlichen Inhaltskontrolle - mit all ihren nachteiligen Folgen, namentlich für die Rechtssicherheit - besteht deshalb nur, wenn die grundsätzliche Interessengleichrichtung der Gesellschafter gestört und damit die prozedurale Richtigkeitsgewähr des Beschlusses erschüttert ist. Es bedarf daher eines Aufgreifkriteriums, das in der Lage ist, die (um mit Röhricht10 zu sprechen) „wirklich kranken Fälle", die nach einer Inhaltskontrolle verlangen, von denjenigen Fällen zu sondern, in denen mit Rücksicht auf die beschriebene Richtigkeitsgewähr eine gerichtliche Inhaltskontrolle unterbleiben kann. Ein solches Aufgreifkriterium stellt, sofern man auch materielle Ungleichbeder Gesellschafhandlungen einbezieht, das Merkmal der Ungleichbehandlung ter dar: Immer dann, wenn sich ein Beschluss unterschiedlich auf die Gesellschafter auswirkt, sei es, weil einzelne einflussreiche Gesellschafter Sondervorteile erzielen, sei es, weil andere in abwägungserheblichen Belangen besonders nachteilig betroffen werden, besteht Anlass zur der Befürchtung, dass die Entscheidung der Mehrheit sich nicht am gemeinsamen Gesellschaftsinteresse, sondern an den Sondervorteilen einzelner orientiert und/oder die Sondernachteile für die benachteiligten Gesellschafter nicht hinreichend berücksichtigt. Die grundsätzliche Interessengleichrichtung der Gesellschafter ist in solchen Fällen beeinträchtigt, die prozedurale Richtigkeitsgewähr des Beschlusses mithin erschüttert11. Wenn es aber gerade das Merkmal der Ungleichbehandlung ist, welches das entscheidende Aufgreifkriterium für die Aussonderung der wirklich problematischen Fälle abgibt, liegt nichts näher, als die Inhaltskontrolle fortan am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu entwickeln und daneben auf die zunehmend kritisierte und, da sie auch „unverdächtige" Fälle erfasst, überschießende Lehre vom sachlichen Grund zu verzichten. Bestärkt wird diese Sicht der Dinge durch einen Seitenblick auf das französische Recht, das im Rahmen des abus de majorité den - weit verstandenen - Begriff der Ungleichbehandlung zum maßgeblichen Aufgreifkriterium der Beschlusskontrolle erhebt12. Freilich setzt dieser Weg die Bereitschaft voraus, auch hierzulande die noch aus der Rechtsprechung des RG nachwirkende formale Handhabung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu überwinden und künftig konsequenter als bisher auch materielle Ungleichbehandlungen an diesem Maßstab zu messen. Die ihm hier zugedachte tragende Rolle kann der Gleichbehandlungsgrundsatz allerdings nur spielen, wenn Grundlagen, Anwendungsbereich, Inhalt und Rechtsfolgen von Verletzungen des Grundsatzes genauer konkretisiert werden, ZGR 1999, 445 (474). S. oben §3 II 1 c. 12 S. oben § 7 I 2 a, b. Das französische Recht verlangt allerdings einschränkend eine bewusste Ungleichbehandlung, was mit Blick auf die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nicht unbedenklich ist. 10 11
560
6. Kapitel:
Schluss
als dies bisher gelungen ist. Hierzu einen Beitrag zu leisten war ein wesentliches Anliegen der Untersuchung. Die einzelnen Ergebnisse sind im Folgenden thesenartig zusammengefasst.
II. Wesentliche Einzelergebnisse in Thesen 1. Grundlagen des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
a) Das Streben nach der Begründung eines einheitlichen privatrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes, das die grundlegenden Arbeiten von L. Raiser und G. Hueck bestimmt und die anschließende Diskussion geprägt hat, hat dazu geführt, dass man die Gemeinsamkeiten der verschiedenen privatrechtlichen Gleichbehandlungsgebote betont, die Unterschiede aber nicht hinreichend beachtet hat. Die gängige These, dass alle Gleichbehandlungsgebote in der iustitia distributiva ihre gemeinsame Wurzel haben, erweist sich bei näherer Betrachtung als korrekturbedürftig. Dem gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz geht es vielmehr - jedenfalls primär - um die Wahrung der iustitia commutativa gegenüber Eingriffen der Gesellschaft in die Mitgliedschaft des Gesellschafters. Bei der Gründung der Gesellschaft bzw. dem späteren Beitritt eines Gesellschafters wird ein gewisses Maß an ausgleichender Gerechtigkeit noch dadurch verbürgt, dass der Gesellschafter den Konditionen, zu denen er beitritt, vertraglich zustimmen muss. Im weiteren Verlauf ist diese Gewähr durch das Konsensprinzip jedoch nicht mehr gegeben, weshalb es anderer Instrumente bedarf, um die ausgleichende Gerechtigkeit in diesem Stadium zu sichern. Eines dieser Instrumente ist der Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Grund dafür, dass der Schutz ausgerechnet auf Ungleichbehandlungen begrenzt wird, besteht darin, dass die grundsätzliche Interessengleichrichtung der Gesellschafter, die sonst für eine gewisse Richtigkeitsgewähr der Entscheidungen sorgt, in diesen Fällen gestört ist, die Gefahren aus der Aufhebung des Konsensprinzips hier also besonders groß sind13. b) Systematisch handelt es sich beim Gleichbehandlungsgrundsatz um einen besonderen Anwendungsfall der Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern. Die im Schrifttum nach wie vor verbreitete Gegenauffassung, die einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Gleichbehandlungsgrundsatz und Treuepflicht leugnet, mag zu einer Zeit verständlich gewesen sein, als unter Treuepflicht ausschließlich die Treuepflicht des einzelnen Gesellschafters thematisiert wurde und diejenige der Gesellschaft noch nicht so ins Bewusstsein getreten war wie heute. Beim inzwischen erreichten Entwicklungsstand der Treuepflicht lässt sie sich dagegen nicht mehr aufrechterhalten14. 13 14
S. oben § 4 I I I 2. S. oben § 5 I I I .
§ 23 Zusammenfassung
der wesentlichen
Ergebnisse
561
c) Die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 42 Kapital-RL, 17 Abs. 1 Transparenz-RL), namentlich der effet utile des Gemeinschaftsrechts, bedingen, dass nicht nur formale, sondern - wie bei anderen Diskriminierungsverboten des Gemeinschaftsrechts auch - ebenso materielle Ungleichbehandlungen am Maßstab des Gleichbehandlungsgebots auf ihre sachliche Rechtfertigung zu überprüfen sind 15 . Zudem verlangt das gemeinschaftsrechtliche Effektivitätsgebot, dass das nationale Recht die Sanktionen für Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz so auszugestalten hat, dass sie „jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend" sind. Diese Forderung ist hierzulande für Verstöße gegen § 53a AktG bislang nicht hinreichend beachtet worden 16 . Dagegen steht das Gemeinschaftsrecht den Einschränkungen und Modifikationen, die der Gleichbehandlungsgrundsatz im deutschen Konzernrecht erfährt, nicht im Wege 17 . d) Rechtsvergleichend ergibt sich trotz der Richtlinienvorgaben auch innerhalb der EU ein disparates Bild. Während die Handhabung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in den Niederlanden, Osterreich und (als Nicht-Mitgliedstaat) der Schweiz derjenigen in Deutschland weithin ähnelt 18 , zeigen sich in Frankreich und England erhebliche Unterschiede. So ist in England trotz der Richtlinienvorgaben ein Gleichbehandlungsgrundsatz im hier verstandenen Sinne einer unmittelbaren Schranke der Verbandsmacht allenfalls in Ansätzen anerkannt. Der Schwerpunkt liegt stattdessen bei der generalklauselartigen Schranke des unfairprejudice (sec. 459 CA 1985). Auch wenn sich mit dieser im Ergebnis viele Ungleichbehandlungen erfassen lassen, hat sich ein spezifischer Schutz vor Ungleichbehandlungen in England nicht herausgebildet 19 . In deutlichem Gegensatz dazu stellt in Frankreich im Rahmen der Rechtsprechung zum abus de majorité der - weit verstandene - Begriff der Ungleichbehandlung das zentrale Aufgreifkriterium der Inhaltskontrolle dar. Ohne eine solche Ungleichbehandlung darzulegen und ggf. zu beweisen, kann der einzelne Gesellschafter nicht verlangen, dass ein Eingriff der Gesellschaftsorgane in Mitgliedschaftsrechte von den Gerichten auf seine sachliche Rechtfertigung kontrolliert wird 2 0 . Der Schutz vor Ungleichbehandlungen wird in Frankreich zwar dadurch in gemeinschaftsrechtlich bedenklicher Weise relativiert, dass nur vorsätzliche Ungleichbehandlungen einer Prüfung auf ihre sachliche Rechtfertigung unterzogen werden. Wenn man davon absieht, stimmt der Grundansatz des französischen Rechts aber mit demjenigen der vorliegenden Untersuchung überein: Eine gerichtliche Inhaltskontrolle zum Schutz vor Eingriffen in die 15 16 17 18 19 20
S. oben S. oben S. oben S. oben S. oben S. oben
§6 II 3 b. § 6 II 5 i.V.m. §§ 171 2 und 3,22 I 3. §6 II 2 b. § 7 III. §7 II. §71.
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6. Kapitel:
Scbluss
Mitgliedschaft ist nur veranlasst, w e n n die grundsätzliche Interessengleichrichtung der Gesellschafter gestört ist und damit die nahe liegende G e f a h r besteht, dass die getroffene Entscheidung von Partikularinteressen der M e h r h e i t geleitet ist und/oder die besonderen Nachteile f ü r die Minderheit nicht hinreichend b e rücksichtigt.
2. Reichweite und Inhalt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes
a) E i n z i g e unmittelbare Adressatin des gesellschaftsrechtlichen G l e i c h b e h a n d lungsgrundsatzes ist die Gesellschaft. D e m im S c h r i f t t u m verschiedentlich u n t e r n o m m e n e n Versuch, den G r u n d s a t z zumindest in b e s t i m m t e n Fallgruppen auf R e c h t s a k t e einzelner Gesellschafter auszudehnen, ist zu widersprechen. Gleichbehandlungspflichten zwischen den Gesellschaftern k ö n n e n sich aus kapitalmarktrechtlichen Rechtsgrundlagen (namentlich dem W p U G )
ergeben,
nicht aber aus dem gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz 2 1 . b) D e r Gleichbehandlungsgrundsatz ist nur anwendbar, w e n n die bevorzugte oder benachteiligte Person gerade in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter betroffen ist. D i e s e E i n s c h r ä n k u n g beansprucht nicht nur f ü r gewöhnliche G e schäfte des schuldrechtlichen Individualrechtsverkehrs, sondern generell G e l tung. Bei G e s c h ä f t e n mit beherrschenden oder maßgeblich beteiligten Gesellschaftern streitet ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Entscheidung nicht ohne Rücksicht auf die Gesellschaftereigenschaft getroffen worden ist 2 2 . c) E i n e Gleichbehandlungspflicht wird nicht ausgelöst, soweit die Satzung Ungleichbehandlungen vorsieht, etwa in Gestalt unterschiedlicher Anteilsgattungen. Dies gilt jedoch nur in B e z u g auf die spezifischen M e r k m a l e , in denen sich die Anteilsgattungen ausweislich der Satzung unterscheiden. I m Ü b r i g e n bleibt der Gleichbehandlungsgrundsatz auch gattungsübergreifend z u beachten 2 3 . d) E i n e weitere E i n s c h r ä n k u n g erleidet der Gleichbehandlungsgrundsatz gegenüber gesetzlichen Sonderregeln, die in b e s t i m m t e n Situationen U n g l e i c h b e handlungen auch ohne Einzelfallprüfung der sachlichen R e c h t f e r t i g u n g vorsehen. H i e r z u zählen neben den Sonderregeln für den V e r t r a g s k o n z e r n und den faktischen K o n z e r n (§§ 291 ff., 311 ff.) etwa die V o r s c h r i f t e n über Mehrheitseingliederung und squeeze-out
(§§ 320 ff., 327a ff. A k t G ) sowie zahlreiche E i n z e l -
bestimmungen, die die A u s ü b u n g von Gesellschafterrechten an das E r r e i c h e n b e s t i m m t e r Schwellenwerte knüpfen. N i c h t hierher gehört j e d o c h die gesetzliche Regelung über das H ö c h s t s t i m m r e c h t (§ 134 A b s . 1 Satz 2 - 6 f ü r die nichtbörsennotierte A G ) . D i e nachträgliche E i n f ü h r u n g eines H ö c h s t s t i m m r e c h t s 21 22 23
S. oben § 8 II. S. oben § 9 1 . S. oben § 9 II 1.
§23 Zusammenfassung
der wesentlichen
Ergebnisse
563
ist vielmehr entgegen der Rechtsprechung des BGH am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen 24 . e) Sofern Satzung und Gesetz keine Ungleichbehandlung vorsehen, ist von der Vergleichbarkeit der Gesellschafter auszugehen. Eine der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgeschaltete zusätzliche Prüfung, ob sich die Gesellschafter in gleichen Umständen befinden, findet - anders als im Ausland teilweise erwogen - nicht statt. Etwaige Unterschiede zwischen den Gesellschaftern sind erst auf der Ebene der sachlichen Rechtfertigung einer inhaltlichen Bewertung zu unterziehen 25 . f ) In engen Grenzen kommt eine Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch auf Bevorzugungen ehemaliger oder künftiger Gesellschafter in Betracht. Benachteiligungen dieses Personenkreises liegen dagegen außerhalb des Schutzbereichs des Gleichbehandlungsgrundsatzes 26 . g) Der Eingrenzung des Tatbestands der Ungleichbehandlung kommt zentrale Bedeutung zu, wenn er die ihm zukommende Funktion als Aufgreifkriterium erfüllen soll, das die einer Inhaltskontrolle wahrhaft bedürftigen Fälle verlässlich auszusondern vermag. Neben formalen Abweichungen vom anwendbaren Gleichbehandlungsmaßstab - Umfang der Kapitalbeteiligung bei Hauptrechten, Gleichbehandlung nach Köpfen bei Hilfsrechten - sind auch materielle Ungleichbehandlungen unter den Tatbestand der Ungleichbehandlung zu subsumieren. Eine materielle Ungleichbehandlung liegt zum einen dann vor, wenn die betreffende Maßnahme für einzelne Gesellschafter besondere Vorteile mit sich bringt, die Anlass zu der Befürchtung geben, dass nicht das gemeinsame Gesellschaftsinteresse, sondern das Erstreben des Sondervorteils für die getroffene Entscheidung bestimmend war. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn der Sondervorteil einem Gesellschafter mit maßgeblichem Einfluss zugute kommt. Nicht entscheidend ist dabei, ob der Vorteil auf einem innerhalb oder außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Beziehung liegenden Umstand beruht. Eine materielle Ungleichbehandlung ist zum anderen dann zu bejahen, wenn einzelne Gesellschafter mit besonderen Nachteilen belastet werden und sich die nachteilige Betroffenheit auf einen abwägungserheblichen, d.h. mitgliedschaftlichen Belang bezieht. Die Beeinträchtigung dieses Belangs muss nicht notwendig eine rechtliche sein. Es genügt auch eine faktische Beeinträchtigung, sofern sie von solchem Gewicht ist, dass sie einer rechtlichen im Ergebnis gleich- oder doch sehr nahe kommt 27 . h) Ebenfalls unter den Begriff der Ungleichbehandlung fällt die Bevorzugung von dritten Personen, wenn der Vorteil des Dritten einem Gesellschafter 24 25 26 27
S. oben S. oben S. oben S. oben
§ 9 II 2. §9 II 3. §10. §11 112.
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6. Kapitel:
Scbluss
zuzurechnen oder der Dritte bei wirtschaftlicher Betrachtung selbst als Gesellschafter anzusehen ist 28 . i) Ungleichbehandlungen können (nur) durch das aus dem Verbandszweck abgeleitete Gesellschaftsinteresse, d.h. im Interesse der Gewinnmaximierung (bei der gesetzestypischen AG auch: Marktwertmaximierung) gerechtfertigt werden. Eine Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen unter Berufung auf Nichtanteilseignerinteressen, die im „Unternehmensinteresse" Berücksichtigung finden sollen, ist dagegen abzulehnen 29 . j) Hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen der sachlichen Rechtfertigung ist zu differenzieren. Sofern ein Gesellschafter besondere Vorteile erhält, die mitgliedschaftlichen Interessen der übrigen Gesellschafter durch die ungleiche Maßnahme aber in keiner Weise beeinträchtigt werden, genügt die Kontrolle am Maßstab des Gesellschaftsinteresses. In allen anderen Fällen, also immer dann, wenn einzelne Gesellschafter in mitgliedschaftlichen Interessen besonders benachteiligt werden, erstreckt sich die Prüfung dagegen auch auf die Erforderlichkeit der Ungleichbehandlung sowie deren Verhältnismäßigkeit i.e.S. Abweichenden Auffassungen im Schrifttum, die sich generell auf eine Uberprüfung der Vereinbarkeit mit dem Gesellschaftsinteresse beschränken oder aber - diametral entgegengesetzt - über die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips noch hinausgehen wollen („vollständiges Unterschiedsprinzip"), ist eine Absage zu erteilen 30 . Auch eine Rechtfertigung durch bloßen Vermögensausgleich (analog § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG) kommt - von Ausnahmen im Bereich des § 292 A k t G abgesehen - nicht in Betracht 31 . k) Besondere praktische Bedeutung kommt im Rahmen der sachlichen Rechtfertigung der präziseren Eingrenzung der Beurteilungsspielräume zu, welche die Rechtsprechung den Gesellschaftsorganen bislang mehr oder weniger pauschal und ohne klar gezogene Grenzen zugesteht. Insoweit gilt es, den im neueren Schrifttum entwickelten Ansatz, die business judgment rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG n.F.) als organübergreifende Regel aufzufassen und bei NichtVorliegen ihrer Geltungsvoraussetzungen einen Ermessensentzug auch für die Anteilseignerversammlung anzunehmen, konsequent fortzuentwickeln und auf die einzelnen Prüfungsstationen der sachlichen Rechtfertigung zu übertragen. Im Ergebnis führt dies zu einer differenzierten Prüfungsdichte, die vor allem dort besonders hoch ausfällt, wo sich das handelnde Gesellschaftsorgan in einem Interessenkonflikt befindet. Damit wird der Forderung, die „wahrhaft kranken" Fälle zu isolieren und diese besonders intensiv zu kontrollieren, auch auf den einzelnen Stufen der sachlichen Rechtfertigung zielgenau Rechnung getragen32. 28 29 30 31 32
S. oben S. oben S. oben S. oben S. oben
§11113. §12 II 1-2. §12 IV 1 b, 2 b. §13. §12 II 3, IV 3 , 4 d.
5 23 Zusammenfassung
der wesentlichen
Ergebnisse
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1) Die benachteiligten Gesellschafter können auf die Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Einzelfall verzichten. Sofern eine Gruppe von Gesellschaftern in gleicher Weise nachteilig betroffen wird, muss der Gleichbehandlungsverzicht nicht notwendig von allen Mitgliedern dieser Gruppe einstimmig erklärt werden. Vielmehr genügt zumindest bei den gesetzlich geregelten Sonderbeschlüssen (z.B. §§ 179 Abs. 3, 141 A k t G ) die Zustimmung der vorgesehenen (qualifizierten) Mehrheit der benachteiligten Gattung. Derselbe Grundgedanke lässt sich auch auf weitere, gesetzlich nicht geregelte Fälle übertragen, in denen die benachteiligten Gesellschafter mit (qualifizierter) Mehrheit der Ungleichbehandlung zustimmen 3 3 . m) I m Vertragskonzern wird der Gleichbehandlungsgrundsatz in gemeinschaftsrechtlich zulässiger Weise eingeschränkt und modifiziert. D e r Abschluss eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrags
bedarf
keiner
sachlichen Rechtfertigung vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Bei bestehendem Beherrschungsvertrag gestattet das Weisungsrecht des § 3 0 8 A k t G auch solche Weisungen, deren Befolgung eine Ungleichbehandlung zugunsten des herrschenden Unternehmens mit sich bringt. I m weisungsfreien Bereich bleibt das Gleichbehandlungsgebot dagegen anwendbar. D e n Maßstab für die sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen bildet im weisungsfreien Bereich weiterhin das Gesellschaftsinteresse, nicht das Konzerninteresse 3 4 . n) I m faktischen A G - K o n z e r n wird der Gleichbehandlungsgrundsatz
-
ebenfalls gemeinschaftsrechtlich zulässig - dadurch eingeschränkt, dass §311 A k t G der abhängigen Gesellschaft in gewissen Grenzen gestattet, Einflussnahmen des herrschenden Unternehmens zu dessen Gunsten und zulasten der G e sellschaft Folge zu leisten. Verdrängt wird in den Grenzen des § 311 A k t G nicht nur § 53a A k t G , sondern auch das erweiterte Auskunftsrecht des § 131 Abs. 4 A k t G , das eine besondere Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes darstellt. Die Einschränkungen erstrecken sich jedoch nicht auf den Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung. Deren Beschlüsse sind also nicht nur an § 311 A k t G , sondern auch am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen 3 5 .
3. Rechtsfolgen und prozessuale Geltendmachung von Gleichhehandlungsverstößen a) Vom Versammlungsleiter festgestellte Beschlüsse der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung, die gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, sind nicht (schwebend) unwirksam, sondern anfechtbar. F ü r den Anfechtungsprozess gelten keine Besonderheiten. Insbesondere ist die Anfechtungsbefugnis 33 34 35
S. oben §141. S. oben §151 1,2. S. oben §15 13.
566
6. Kapitel:
Scbluss
im Aktienrecht weder analog § 245 Nr. 3 A k t G auszudehnen noch auf die benachteiligten Gesellschafter zu beschränken 3 6 . b) Hinsichtlich der A u s w i r k u n g e n von Gleichbehandlungsverstößen auf Rechtsgeschäfte der Verwaltung lassen sich folgende Leitlinien formulieren: Einseitige Rechtsgeschäfte der Gesellschaft z u m Nachteil eines Gesellschafters sind wegen des Gleichbehandlungsverstoßes gemäß § 134 B G B nichtig. Demgegenüber sind zwei- und mehrseitige Rechtsgeschäfte zwischen der Gesellschaft und einzelnen Gesellschaftern - mit Ausnahme des Erwerbs eigener A k tien, für den die §§ 71 Abs. 4 Satz 2, Abs. 1 Nr. 8 Satz 3, 53a A k t G ausdrücklich die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts anordnen - als schwebend u n w i r k sam anzusehen (§ 134, letzter Halbs. BGB). Die Unwirksamkeit erstreckt sich nur auf das Verpflichtungs-, nicht auf das Verfügungsgeschäft. Wirksamkeit tritt ein, wenn die benachteiligten Gesellschafter nachträglich ihre Zustimmung erteilen oder der Verstoß anderweitig behoben wird. Dasselbe gilt, wenn dem Rechtsgeschäft ein anfechtbarer (nicht nichtiger) Beschluss der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung zugrunde liegt und bereits diesem der Gleichbehandlungsverstoß anhaftet, der Beschluss aber nicht rechtzeitig angefochten wird. Falls der Verstoß nicht geheilt wird, steht der Gesellschaft ein verschuldensunabhängiger gesellschaftsrechtlicher Rückgewähranspruch gegen den bevorzugten Gesellschafter zu 3 7 . c) Unmittelbar aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ergibt sich - auch in der AG - ein verschuldensunabhängiger Anspruch der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft auf Beseitigung des Gleichbehandlungsverstoßes. Wenn nach den Umständen des Einzelfalls die Beseitigung nur auf eine einzige A r t und Weise tatsächlich möglich und rechtlich zulässig ist, konzentriert sich der Anspruch auf diese Beseitigungsart, sei es den Entzug des gleichbehandlungswidrigen Vorteils vom Begünstigten, sei es die Erstreckung des Vorteils auf alle anderen (aktive Gleichbehandlung). Wenn dagegen mehrere Beseitigungsarten möglich und zulässig sind, steht der Gesellschaft ein Wahlrecht zu, welcher Variante sie den Vorzug gibt 3 8 . d) Wenn ein schuldhafter Gleichbehandlungsverstoß vorliegt, sind - entgegen einem durch weite Teile des Schrifttums vermittelten Eindruck - Schadensersatzansprüche der benachteiligten Gesellschafter gegen die Gesellschaft dem Grunde nach zu bejahen (§§280 Abs. 1, 31 BGB) und auch in der Rechtsprechung bereits gewährt worden. Zu beachten ist allerdings, dass ausschließlich Eigenschäden geltend gemacht werden können und die Ersatzleistung nicht mit den Vorschriften der Kapitalerhaltung in Konflikt geraten darf, sondern aus dem nicht gebundenen Kapital möglich sein muss. Sollte Letzteres nicht der Fall sein, kann der benachteiligte Gesellschafter analog § 285 Abs. 1 B G B die Abtre36 37 38
S. oben §161. S. oben §16 II. S. oben §171.
§ 23 Zusammenfassung
der wesentlichen
Ergebnisse
567
tung etwaiger Ersatzansprüche verlangen, die der Gesellschaft wegen des Verstoßes gegen die verantwortlichen Organwalter zustehen. In jedem Fall gilt, dass der geschädigte Gesellschafter die Möglichkeiten zur Schadensabwendung in vollem Umfang ausschöpfen muss 3 9 . e) Neben dem Beseitigungs- und ggf. Schadensersatzanspruch ist - auch in der A G - ein gegen die Gesellschaft gerichteter verschuldensunabhängiger Unterlassungsanspruch gegenüber bevorstehenden oder andauernden Gleichbehandlungsverstößen anzuerkennen. Voraussetzung ist neben dem Vorliegen einer Begehungsgefahr, dass der sich abzeichnende Verstoß genau bezeichnet werden kann und der benachteiligte Gesellschafter nicht bereits anderweitig (z.B. durch die Möglichkeit der Erhebung einer Anfechtungsklage) hinreichend geschützt ist. A n die Glaubhaftmachung des Verstoßes im Verfahren der einstweiligen Verfügung sind besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn der Gesellschaft - wie häufig - aus der Aussetzung des Vollzugs erheblich gravierendere Nachteile drohen als den benachteiligten Gesellschaftern aus dem Vollzug der Maßnahme. Wird dies beachtet, ist den Bedenken, die unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in die Zuständigkeitsverteilung und des beträchtlichen Erpressungspotenzials von Unterlassungsansprüchen und darauf gestützten einstweiligen Verfügungen bestehen, hinreichend Rechnung getragen 40 . f) E i n deliktischer Schutz des Gleichbehandlungsgrundsatzes, der zu D i rektansprüchen der Gesellschafter gegen die Organwalter führen könnte, lässt sich - von den nicht gleichbehandlungsspezifischen Fällen des § 826 B G B abgesehen - nicht begründen. Insbesondere stellt der Gleichbehandlungsgrundsatz kein Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs. 2 B G B dar. E b e n s o wenig lassen sich im Verhältnis zwischen den benachteiligten Gesellschaftern und den O r g a n waltern Ansprüche aus Sonderverbindung begründen 4 1 . g) Auch bei Gleichbehandlungsverstößen ist daran festzuhalten, dass eine jedem Einzelaktionär zustehende actio pro socio zur Geltendmachung von A n sprüchen der Gesellschaft gegen den bevorzugten Gesellschafter außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Spezialregelungen (§§ 309 Abs. 4 Satz 1 und 2, 310 Abs. 4 , 3 1 7 Abs. 4,318 Abs. 4 A k t G ) nicht in Betracht kommt. Auch eine D u r c h setzung dieser Ansprüche im Rahmen des neuen Verfolgungsrechts aus § 148 A k t G ist nur mit erheblichen Einschränkungen, nämlich nur in Bezug auf Schadensersatzansprüche, zulässig. Demgegenüber ist im G m b H - R e c h t die pro socio
actio
allgemein anzuerkennen. Die im Schrifttum vertretene Alternativ-
konzeption, die actio pro socio durch Zuerkennung eigener Ansprüche der benachteiligten Gesellschafter unmittelbar gegen den begünstigten Gesellschafter zu ersetzen, ist sowohl für die G m b H als auch die A G abzulehnen 4 2 . 39 40 41 42
S. oben S. oben S. oben S. oben
§17 II. §17 I I I . §18. §191.
568
6. Kapitel:
Schluss
h) Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche der benachteiligten Gesellschafter gegen die Mitgesellschafter, die in der Anteilseignerversammlung f ü r einen gleichbehandlungswidrigen Beschluss gestimmt haben bzw. stimmen wollen, kommen nur in (sehr) engen Grenzen in Betracht 43 .
4. Anwendung und Konkretisierung der erarbeiteten Grundsätze in ausgewählten Fallgruppen a) Für die Inhaltskontrolle von Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss ist die Lehre vom sachlichen Grund („Kali und Salz") bei zweckgerechter Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes entbehrlich. Die „gefährlichen" Fälle des Bezugsrechtsausschlusses, in denen die Interessengleichrichtung der Gesellschafter gestört ist, lassen sich mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz hinreichend kontrollieren. Eine die Inhaltskontrolle auslösende Ungleichbehandlung liegt insbesondere auch dann vor, wenn die neuen Anteile nicht dem Großaktionär, sondern einem nahe stehenden Dritten zugeteilt werden, oder wenn trotz formal gleichmäßigen Bezugsrechtsausschlusses einzelne Gesellschafter dadurch einen besonderen Nachteil erleiden, dass ihre Beteiligung unter rechtlich relevante Beteiligungsschwellen absinkt. Allerdings sind ggf. die Wertungen des § 186 Abs. 3 Satz 4 A k t G (Nachkaufmöglichkeit über die Börse) und § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 A k t G (kein Gleichbehandlungsverstoß bei Abgabe von Aktien über die Börse) zu berücksichtigen. Eine sachliche Rechtfertigung von ungleichmäßigen Bezugsrechtsausschlüssen kommt bei Barkapitalerhöhungen nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht. Die allgemeinen Regeln über die Rechtsfolgen von Gleichbehandlungsverstößen werden durch besondere Bestandsschutzregeln - namentlich § 246a Abs. 4 Satz 2 A k t G und die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft - überlagert 44 . b) Erwerb und Veräußerung eigener Aktien über die Börse sind nach der gesetzlichen Interpretationsregel des § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 A k t G als gleichbehandlungskonform anzusehen. Gegen diese Regelung bestehen keine gemeinschaftsrechtlichen Bedenken. Für den Erwerb und die Veräußerung eigener Aktien im Wege eines öffentlichen Angebots lässt sich bereits aus § 53a A k t G eine Reihe von Anforderungen an die Gestaltung des Angebots und das Angebotsverfahren ableiten. Sofern es sich um Erwerbsangebote einer börsennotierten Gesellschaft handelt, ist entgegen der neueren Verwaltungspraxis der BAFin davon auszugehen, dass daneben auch die Vorschriften des W p Ü G einschließlich der darin enthaltenen kapitalmarktrechtlichen Gleichbehandlungsgebote Anwendung finden. Im Konflikt zwischen den einander widersprechenden Anforderungen des § 53a A k t G und § 19 W p Ü G (Repartierung bei 43 44
S. oben § 19 II, III. S. oben §§3 II 1,20.
5 23 Zusammenfassung
der wesentlichen
Ergebnisse
569
Überzeichnung des Angebots) gebührt jedoch ersterem der Vorrang. Erwerb und Veräußerung eigener Aktien im Rahmen individuell ausgehandelter Vereinbarungen außerhalb der Börse sind mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht generell unvereinbar, sondern nach allgemeinen Regeln bei Vorliegen einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung zulässig. Verletzungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes führen nach §§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3, 53a i.V.m. § 71 Abs. 4 AktG zur Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts über den Erwerb eigener Aktien. In Bezug auf die Veräußerung bewendet es nach allgemeinen Regeln bei der schwebenden Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts 45 . c) Für die informationelle Gleichbehandlung der Aktionäre trifft § 131 Abs. 4 AktG eine Regelung, die als besondere Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes konzipiert ist. Dies führt dazu, dass der in der Vorschrift vorgesehene Anspruch der Aktionäre auf Nachinformation nur gegeben ist, wenn die Vorausinformation an den bevorzugten Aktionär eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellte. Neben dem Anspruch aus § 131 Abs. 4 AktG, der auf Nachinformation (erst) in der nächsten Hauptversammlung gerichtet ist, ist entgegen der h.M. im Wege der richtlinienkonformen Auslegung ein unmittelbar auf § 53a AktG bzw. § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG 46 gestützter Anspruch auf sofortige aktive Gleichbehandlung anzuerkennen. Ein Hinausschieben der Nachinformation auf den Termin der nächsten Hauptversammlung würde dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot wirksamer und abschreckender Sanktionen nicht gerecht. Beide Ansprüche finden im Auskunftsverweigerungsrecht des § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AktG und - falls der Gesellschaft aus der Offenlegung außergewöhnlich gravierende Nachteile drohen - in der Treuepflicht des Aktionärs ihre Schranke 47 . d) In börsennotierten Gesellschaften werden die aktienrechtlichen Anforderungen an die informationelle Gleichbehandlung (§§ 53a, 131 Abs. 4 AktG) durch zusätzliche kapitalmarktrechtliche Anforderungen (Verbot von Insidergeschäften, ad-hoc-Publizität, §§ 14 f. WpHG) überlagert. Für die Beurteilung, ob die selektive Weitergabe von Insiderinformationen ausnahmsweise als „befugt" i.S. des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG anzusehen ist, stellen sich ähnliche Abwägungsfragen wie bei der sachlichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen im Rahmen des § 53a AktG. Die Anforderungen sind jedoch nicht in jeder Hinsicht identisch. Der neue Tatbestand des § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG, der unter bestimmten Voraussetzungen eine ad-hoc-Publizitätspflicht im Anschluss an die befugte Weitergabe von Insiderinformationen vorsieht, hat kaum praktische Bedeutung 48 .
45 46 47 48
S.oben §21. Zur einschlägigen Rechtsgrundlage oben § 22 Fn. 20. S. oben § 2 2 1 . S.oben § 2 2 II.
570
6. Kapitel:
Schiusi
e) Eine ständige Vorausinformation einflussreicher Aktionäre durch den Vorstand der A G ist außerhalb von Konzernverhältnissen mit § 53a A k t G und ggf. § 14 Abs. 1 Nr. 2 W p H G unvereinbar. Zulässig ist aber die punktuelle, anlassbezogene Vorausinformation wesentlich beteiligter Aktionäre zur Vorbereitung von M a ß n a h m e n , die der Zustimmung in der Hauptversammlung bedürfen. Sieht man hiervon ab, wird sich eine hinreichende sachliche Rechtfertigung f ü r Privilegierungen der Großaktionäre im R a h m e n der Informationserteilung nur in Ausnahmefällen finden lassen. O b der Vorstand einer A G dem Veräußerer und/oder Erwerber zur Vorbereitung des beabsichtigten (Ver-) Kaufs eines Aktienpakets eine due diligence ermöglichen darf, bedarf sorgfältiger Abwägung im Einzelfall und ist auch bei W a h r u n g der üblichen Vorkehrungen zum Schutz der Vertraulichkeit nicht so regelmäßig zu bejahen, wie dies in der Praxis häufig angenommen wird. E i n Prinzip der Bietergleichbehandlung, das es geböte, im R a h m e n einer bevorstehenden Ü b e r n a h m e der Gesellschaft mehreren Bietern dieselben I n f o r mationen zur Verfügung zu stellen, lässt sich weder aus § 53a A k t G n o c h aus dem W p Ü G ableiten 4 9 .
49
S.oben§22 III.
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Sachregister Abus de majorite 117ff., 166f., 559, 561 Abwehrklage 379 ff., 412 ff. Abwehrmaßnahmen gegen drohende Übernahme 262 f., 415 Actio pro socio 383, 384ff., 438ff., 567 Ad-hoc-Mitteilungspflicht - nach befugter Weitergabe von Insiderinformationen 530 f., 569 - Selbstbefreiung von der 528 f., 569 Aktien, eigene 29f., 34, 327 f., 3 6 3 , 3 6 7 f f , 391 f., 393, 3 9 4 , 4 6 4 , 4 7 4 f f , 568 f. - Andienungs- und Erwerbsrecht 483 ff. - Anwendbarkeit des WpÜG 478, 488 ff., 568 - Optionen auf 5 02 ff. - Schweiz 154 f. Aktionär - Anlegeraktionär 309, 311 f., 316 - „hybrider" 311 - Unternehmeraktionär 309 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 75 f. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten 16 Analystenkonferenzen 532 Anfechtbarkeit von gleichbehandlungswidrigen Beschlüssen 355 ff. Anfechtungsbefugnis 358 ff., 565 f. Auflösung, übertragende 40, 43 f. Aufsichtsrat, Unabhängigkeit 218 f. Auskunftserzwingungsverfahren 516 Auskunftsrecht - erweitertes 27, 194f., 342 ff., 381 f., 390, 419, 510 f f , 569 - des GmbH-Gesellschafters 509 - Verhältnis zum Insiderrecht 522 f. Auskunftsverweigerung 519 ff., 569 Auslegung - gespaltene 112 f., 516
-
richtlinienkonforme 112 f., 387f., 514 f., 569 Ausschluss von Minderheitsaktionären s. Squeeze-out
Beseitigungsanspruch - gegen die Gesellschaft 379 ff., 471 f., 566 - gegen die Mitgesellschafter 437 ff. Bezugsrecht 427,429 f., 457ff. - konzerndimensionales 47 Fn. 186 Bezugsrechtsausschluss 20 f f , 27, 33 f., 35, 36 f f , 54 f f , 243,262,295 f., 300 f., 317 f., 3 3 7 , 4 5 7 f f , 558, 568 - beim Genehmigten Kapital 38 f., 470f. - erleichterter 60 ff., 461 ff. - Niederlande 160, 281 - Osterreich 163 Bietergleichbehandlung (im Übernahmerecht) 549 ff., 570 Börsenrechtsrichtlinie 30 Börsenzulassungsrichtlinie 30 Business judgment rule 272 ff., 284, 285 f., 292,303,306,532, 540,564 Delisting 40, 42, 54, 174 Fn. 16 Deutscher Corporate Governance Kodex 526,534 Diskriminierung 75 f., 108 Fn. 60 Drittschadensliquidation 410 Due diligence 223, 521, 539ff, 570 Dutch auction 479, 494 Effektivitätsgebot, gemeinschaftsrechtliches U l f , 360, 387, 395, 398 f., 407f., 417f., 430, 436, 519, 553, 561, 569 Egalité des actionnaires 115 ff. Eingliederung 101, 174 Fn. 16, 209, 332, 562
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Sachregister
Einlageforderung - Abtretung 189 ff. - Pfändung 189ff. Einlagen, Anforderung von 362 f., 366 f. EuGH, Konkretisierungskompetenz bei Generalklauseln 94 ff. Europäische Aktiengesellschaft 32, 105 f. Fairness as between different shareholders 138 ff. Formalziel 254 f., 256 ff. Formwechsel 40, 235 Fraud on the minority 137 ff. Freigabeverfahren 420, 469 ff. Gesellschaft, Grundsätze der fehlerhaften 468 ff. Gesellschafter, „faktischer" 250f., 371 Gesellschafterklage s. actio pro socio Gesellschaftsinteresse 2 5 3 f f , 550, 551 f., 564 Gewinnausschüttungen, verdeckte s. Vermögenszuwendungen, verdeckte Gewinnmaximierung s. Formalziel Gewohnheitsrecht 2, 364, 427 „Girmes"-Entscheidung 450 ff. Gleichberechtigung der Gesellschafter 9 Gleichbehandlung - aktive 353, 381 f., 3 8 9 f f , 398 f., 414, 419, 442, 471 f., 566, 569 - Arbeitsrecht 24 f., 68, 69, 74, 75, 77, 84, 393,396 - Europarecht 24f., 75 f., 108 f., 214 - gattungsübergreifende 208, 562 - informationelle 10, 30 ff., 208,215, 223, 333, 342 ff., 381 f., 390,419, 427, 509ff, 569 - Insolvenzrecht 69, 75 - Kapitalmarktrecht 9 ff., 75, 179 f., 480, 488 ff., 549 ff. - Mietrecht 74 - Organwalter 206 f. - Personengesellschaftsrecht 10 f. - relative/absolute 7,229 - Ubernahmerecht s. Gleichbehandlung, Kapitalmarktrecht - Verfassungsrecht 29, 67, 81 f., 83 ff., 214,286
- Versicherungsrecht 74, 75 - Wettbewerbsrecht 74 - Zivilrecht allgemein 68 ff., 73 ff. Gleichbehandlungsmaßstab 107, 156, 228 ff., 482 Gleichbehandlungsverzicht 3 2 0 f f , 356, 477,486,500, 501 f., 565 Greenmailing 498 f. „Hibernia"-Entscheidung 20, 22 Höchststimmrecht 33,210 ff., 229,234, 242, 562 f. „Holzmüller"-Entscheidung 414 f. Insiderinformationen - Verbot der Weitergabe von 526 ff., 532 f., 535 ff., 542 ff., 553 Investor relations 532 ff. „ITT"-Entscheidung 42 ff., 438 f. Iustitia commutativa 77ff., 177, 218, 350, 560 Iustitia distributiva 67,69, 72, 77f., 560 Kaduzierung 363, 366 „Kali und Salz"-Entscheidung s. Lehre vom sachlichen Grund Kapitalherabsetzung 21, 40, 42, 44, 234, 242,293 Kapitalrichtlinie 1, 27ff, 94 ff, 318 f., 327, 332, 349, 387, 408,463 f., 474ff., 493, 514 ff., 557, 561 - Reform der 463 f., 476 Kontrollprämie 180 ff. Konzernrecht - Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge 174, 208 f., 3 3 2 f f , 517 f . , 527 f., 547, 565 - deutsches, Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht 101 ff. - faktischer Konzern 3 4 0 f f , 517f., 527 f., 547, 565 - Unternehmensverträge nach § 292 A k t G 310, 314 f., 318 f., 564 Lehre vom sachlichen Grund 36 ff, 54 ff, 211, 244,289, 290, 295, 312, 313, 317, 457,465, 558 f., 568 - Osterreich 163
Sachregister „ L i n o t y p e " - E n t s c h e i d u n g 42 ff. M a r k t w e r t m a x i m i e r u n g s. Formalziel Mehrheitseingliederung s. Eingliederung Mehrheitsprinzip 55 ff., 78 ff., 558 f. M e h r s t i m m r e c h t 34, 229 Minderheitenschutz 4, 24, 51 Missbrauchskontrolle, treuepflichtgestützte s. Treuepflicht Mitgliedschaft als „sonstiges" Recht 424 f., 472, 507, 553 N a c h i n f o r m a t i o n s r e c h t s. A u s k u n f t s recht, erweitertes „ N e u e F o r m e l " des BVerfG 286 Neutralitätspflicht 262, 415, 499, 550f. Nichtigkeit -
von Beschlüssen 356 f. von Rechtsgeschäften 362 ff., 372 f., 377, 505, 566, 569 von einzelnen Stimmen 357 f.
Paketzuschlag 174, 180 ff. Privatautonomie 4 ff., 24, 55 ff., 64, 67, 68f., 78 ff., 207, 230, 320 P r o p e r p u r p o s e - D o k t r i n 135 ff. P r o s p e k t h a f t u n g 406 ff. Rechtsausübung, P r i n z i p der schonenden 164 Rechtsrückbildung 38 Richtigkeitsgewähr von Mehrheitsentscheidungen 5 6 f f . , 79f., 195,196, 217,220, 2 3 6 , 2 3 9 f f . , 251, 326, 558f. Richtlinie z u r Stimmrechtsausübung der A k t i o n ä r e 32 Richtlinienumsetzung, überschießende 112 f., 516 R o z e n b l u m - D o k t r i n 102 Sachlichkeitsgebot 164 Satzungsstrenge 6, 229, 329 Schaden - unmittelbarer oder Eigenschaden 399, 400f., 432, 448f., 566 - mittelbarer oder Reflexschaden 399, 403 f., 448f., 454, 507
621
Schadensersatzanspruch - gegen die Gesellschaft 48, 399ff., 472, 566 f. - gegen die Mitgesellschafter 448 ff., 568 - gegen die O r g a n w a l t e r 423 ff., 472 f., 567 - u n d Kapitalerhaltung 405 ff. „ S i e m e n s / N o l d " - E n t s c h e i d u n g 38, 414 Schutzgesetz 425 ff., 472 f., 567 Selbstwahl z u m O r g a n w a l t e r 216 ff. Shareholder Value 257, s. auch Gesellschaftsinteresse, U n t e r n e h m e n s i n t e r esse Sittenwidrigkeit 6 , 1 8 , 20 f., 22 ff., 329 f., 356,359 Societas Europaea s. Europäische Aktiengesellschaft Societas leonina 6 Fn. 30 Sonderbeschluss 323 ff. Sonderrechte 18 f., 83, 321, 325 f., 356 Sonderverbindung 399 f., 429, 431 ff., 507, 553,567 Sondervorteilsverbot 22, 25 f., 41 f., 43, 48 f., 124, 2 3 2 , 2 3 5 , 2 4 0 , 3 0 8 f f , 356 f., 359, 557 Sonderzahlungen an opponierende Gesellschafter 186 ff. Squeeze-out 101, 174 Fn. 16, 209, 311 f., 316, 332, 511 f., 562 Stimmverbot 137, 217, 245 f., 328 Transparenzrichtlinie 3 0 f f , 9 4 f f , 318 f., 327, 332, 349, 387, 476, 514 ff., 557, 561 Treuepflicht - allgemein 1 8 , 2 3 , 4 2 6 , 520f., 524, 557f. - der Gesellschaft 46 f f , 88 f f , 401,540, 560 - der Gesellschafter gegenüber ihrer Gesellschaft 46 f., 357, 374 f., 397,411 f. - der Gesellschafter untereinander 42 f f , 357 f., 374 f., 4 3 8 f f , 444 ff., 449 - treuepflichtgestützte Missbrauchskontrolle 46, 6 3 , 3 0 4 f f , 462 - organschaftliche 431 ff. - Schadensersatz wegen treuepflichtwidriger Stimmrechtsausübung 449 ff.,473
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Sachregister
Verhältnis zum Gleichbehandlungsgrundsatz 62 ff., 8 7 f f . , 197f., 232, 321, 401,426, 560 Verhältnis zum Sondervorteilsverbot 309, 311, 312 f.
Übernahmerichtlinie 182,491,552 Unfair prejudice 141 ff., 166, 561 Ungleichbehandlung - als Aufgreikriterium der Inhaltskontrolle V//, 166 f., 233 f., 239//:, 559, 563 - Beweislast 37, 252 - formale/materielle 19 ff., 24 f., 33 ff., 42, 43 ff., 49, 52, 107ff., 231 ff, 459 ff., 476,497 f., 557,563,568 - England 134 - Frankreich 120 ff. - Niederlande 156 - Osterreich 156 f. - Schweiz 157 f. Unterlassungsanspruch - gegen die Gesellschaft 412 ff., 567 - gegen die Mitgesellschafter 454, 568 Unternehmensinteresse 264 ff., 564 Unternehmerisches Ermessen, s. Business judgment rule Unterschiedsprinzip, vollständiges 288 ff. Unwirksamkeit, schwebende 356, 365 f., 369 f., 377, 469, 566, 569
Verbandsautonomie 3 f., 24 Verbandsmacht - „bewegliche" Schranken der 18, 35 ff. - Gleichbehandlungsgrundsatz als Schranke der 3 f., 7 f., 557 Verbandszweck 253 ff, 312, 317 - im Vertragskonzern 259 f., 335 ff. Verbotsgesetz 362 ff. Verfügung, einstweilige 412, 416, 419 ff. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 36 ff., 109 f., 164, 283 ff., 466 f. Vermögenszuwendungen, verdeckte 34, 45,47 f., 333, 363, 372 f., 373 ff., 390 f., 393,394,401 Verschmelzung 40, 61 Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte 431 ff. „Victoria"-Entscheidung 22, 45 Vinkulierung 34, 47 Fn. 186, 299, 389 Vorgesellschaft 220 Vorzugsaktien 15, 34, 207f., 229, 323ff., 500 f. Wahlschuld 396, 442 Willkürverbot 283 ff., 306,466 WpÜG - Anwendbarkeit auf Erwerbsangebote für eigene Aktien 478, 488 ff., 568
Jus Privatum Beiträge zum Privatrecht — Alphabetische Übersicht
Adolphsen,]ens: Internationale Dopingstrafen. 2003. Band 78. Assmann, Dorothea: Die Vormerkung (§ 883 BGB). 1998. Band29. Bachmann, Gregor: Private Ordnung. 2006. Band 112. Barnert, Thomas: Die Gesellschafterklage im dualistischen System des Gesellschaftsrechts. 2003. Band 82. Bayer, Walter: Der Vertrag zugunsten Dritter. 1995. Band 11. Beater, Axel: Nachahmen im Wettbewerb. 1995. Band 10. Beckmann, Roland Michael: Nichtigkeit und Personenschutz. 1998. Band 34. Benecke, Martina: Gesetzesumgehung im Zivilrecht. 2004. Band 94. Berger, Christian: Rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen. 1998. Band25. Berger, Klaus: Der Aufrechnungsvertrag. 1996. Band20. Bitter, Georg: Rechtsträgerschaft für fremde Rechnung. 2006. Band 107. Bittner, Claudia: Europäisches und internationales Betriebsrentenrecht. 2000. Band46. Bodewig, Theo: Der Rückruf fehlerhafter Produkte. 1999. Band36. Braun, Johann: Grundfragen der Abänderungsklage. 1994. Band 4. Brors, Christiane: Die Abschaffung der Fürsorgepflicht. 2002. Band 67. Bruns, Alexander: Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung. 2003. Band 74. Buchner, Benedikt: Informationelle Selbstbestimmung im Privatrecht. 2006. Band 114 Busche, Jan: Privatautonomie und Kontrahierungszwang. 1999. Band40. Calliess, Gralf-Peter: Grenzüberschreitende Verbraucherverträge. 2006. Band 103. Casper, Matthias:~De.i Optionsvertrag. 2005. Band98. Dauner-Lieb, Barbara: Unternehmen in Sondervermögen. 1998. Band35. Dethloff, Nina: Europäisierung des Wettbewerbsrechts. 2001. Band 54. Dreier, Thomas: Kompensation und Prävention. 2002. Band 71. Drexl, Josef: Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers. 1998. Band31. Eberl-Borges, Christina: Die Erbauseinandersetzung. 2000. Band 45. Ebert, Ina: Pönale Elemente im deutschen Privatrecht. 2004. Band 86. Einsele, Dorothee: Wertpapierrecht als Schuldrecht. 1995. Band 8. Ekkenga, Jens: Anlegerschutz, Rechnungslegung und Kapitalmarkt. 1998. Band 30. Ellger, Reinhard: Bereicherung durch Eingriff. 2002. Band 63. Escher-Weingart, Christina: Reform durch Deregulierung im Kapitalgesellschaftsrecht. 2001. Band 49. Füller, Jens T.: Eigenständiges Sachenrecht. 2006. Band 104. Giesen, Richard: Tarifvertragliche Rechtsgestaltung für den Betrieb. 2002. Band 64. Gotting, Horst-Peter: Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte. 1995. Band 7. Gruber, Urs Peter: Methoden des internationalen Einheitsrechts. 2004. Band 87. Gsell, Beate: Substanzverletzung und Herstellung. 2003. Band 80. Haar, Brigitte: Die Personengesellschaft im Konzern. 2006. Band 113.
Jus Privatum — Beiträge yum
Privatrecht
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Jus Privatum - heiträge ^um Privatrecht
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Jus Privatum — Beiträge %um Privatrecht Trunk, Alexander: Internationales Insolvenzrecht. 1998. Band28. Veil, Rüdiger: Unternehmensverträge. 2003. Band 79. Verse, DirkA.: Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften. 2006.Band 115. Wagner, Gerhard: Prozeßverträge. 1998. Band33. Waltermann, Raimund: Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie. 1996. Band 14. Weber, Christoph: Privatautonomie und Außeneinfluß im Gesellschaftsrecht. 2000. Band 44. Wendehorst, Christiane: Anspruch und Ausgleich. 1999. Band 37. Wiebe, Andreas: Die elektronische Willenserklärung. 2002. Band 72. Wimmer-Teonhardt, Susanne: Konzernhaftungsrecht. 2004. Band 90. Würthwein, Susanne: Schadensersatz für Verlust der Nutzungsmöglichkeit einer Sache oder für entgangene Gebrauchsvorteile? 2001. Band48.
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