Der Einfluss der Bevölkerungsdichte auf die Kosten der öffentlichen Leistungserstellung [1 ed.] 9783428506682, 9783428106684


134 36 42MB

German Pages 131 Year 2002

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Der Einfluss der Bevölkerungsdichte auf die Kosten der öffentlichen Leistungserstellung [1 ed.]
 9783428506682, 9783428106684

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

H E L M U T SEITZ

Der Einfluss der Bevölkerungsdichte auf die Kosten der öffentlichen Leistungserstellung

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 899

Der Einfluss der Bevölkerungsdichte auf die Kosten der öffentlichen Leistungserstellung

Von

Helmut Seitz

Duncker & Humblot · Berlin

Die Arbeit ist hervorgegangen aus einem Gutachten im Auftrag der Finanzministerien der Länder Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10668-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Inhaltsverzeichnis

Α. Einleitung

7

Β. Theoretische Grundüberlegungen zum Zusammenhang von öffentlichen Ausgaben und der Bevölkerungsballung

12

C. Die Siedlungsstruktur in der Bundesrepublik und der Zusammenhang von Siedlungsgröße und Siedlungsdichte

23

D. Siedlungsstruktur, Bevölkerungsballung und öffentliche Ausgaben

31

I. Der Bereich der Abwasserentsorgung II. Der Bereich des Straßenverkehrs

37 56

III. Der Schulbereich

74

IV. Selektive Evidenz zum Zusammenhang von Siedlungsdichte und öffentlicher Leistungserstellung in anderen Aufgabenbereichen

92

V. Ausgaben Verteilung auf Länder-und Gemeindeebene

100

E. Einnahmen und Wirtschaftskraft dünn besiedelter Regionen im Vergleich

103

F. Zusammenfassung und Bewertung der empirischen Befunde im Rahmen der Neufassung des Finanzausgleichsgesetzes

116

Anhang: Eine kurze Einführung in die Regressionsanalyse

122

Literaturverzeichnis

128

Abkürzungsverzeichnis ATV

Abwassertechnische Vereinigung

BBR

Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung

BEZ

Bundesergänzungszuweisungen

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

EW

Einwohner

FAG

Finanzausgleichsgesetz

LFA

Länderfinanzausgleich

ÖPNV

Öffentlicher Personennahverkehr

qkm

Quadratkilometer Verwendete Länderkurzbezeichnungen :

BB

Brandenburg

BER

Berlin

BW

Baden-Württemberg

BY

Bayern

FO

Flächenländer Ost

FW

Flächenländer West

HB

Bremen

HES

Hessen

HH

Hamburg

MV

Mecklenburg-Vorpommern

NBL

Neue Bundesländer (ohne Berlin)

NDS

Niedersachsen

NRW

Nordrhein-Westfalen

RP

Rheinland-Pfalz

SAA

Saarland

SAC

Sachsen

SAN

Sachsen-Anhalt

SH

Schleswig-Holstein

TH

Thüringen

Α. Einleitung In seinem Urteil (,Maßstäbeurteir) vom 11. 11. 1999 hat das BVerfG den Gesetzgeber dazu aufgefordert, „die Finanzkraft der Stadtstaaten der Finanzkraft dünn besiedelter Flächenstaaten gegenüberzustellen und zu prüfen, ob eine Ballung der Bevölkerung in einem Land oder eine unterdurchschnittliche Bevölkerungszahl einen abstrakten Mehrbedarf pro Einwohner rechtfertigen kann" (BVerfG 1999 S. 102). Das Gericht bezog sich dabei explizit auf die beiden Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. 1 Dass diese Prüfung durch die Einbeziehung der neuen Länder in den Finanzausgleich notwendig ist, resultiert aus dem Umstand, dass diese beiden ostdeutschen Länder in einem in der alten Bundesrepublik nie gekannten Ausmaß von der durchschnittlichen Bevölkerungsdichte Gesamtdeutschlands, aber auch von der Bevölkerungsdichte des nächst dünn besiedelten Bundeslandes abweichen. Das Gericht begründet seinen Prüfauftrag mit der auch in der Literatur vielfach geäußerten These, dass die Kosten vieler öffentlicher Leistungen in dünn besiedelten Gebieten deutlich höher liegen können als in den Städten und zudem die Gemeinkosten auf eine geringere Kopfzahl umgelegt werden müssen, siehe BVerfG 1999 S. 102. Ferner problematisierte das Gericht die Dichteklausel in § 9 Abs. 3 FAG, da sie keinen empirisch nachweisbaren Bedarfsindikator erkennen lässt. Es ist daher erforderlich, dass diese Thesen des Gerichts, die vielfach in der finanzwissenschaftlichen, siehe ζ. B. Littmann (1977), aber auch in der finanzjuristischen Literatur, siehe ζ. B. Grawert (1989) und Dietrich (1997) geäußert aber nicht belegt werden, empirisch untersucht werden. Finanzausgleichspolitisch ist die hier untersuchte Fragestellung deshalb relevant, da im derzeit 2 noch gültigen FAG eine Reihe von ,Agglomerationsprämien 4 festgeschrieben sind, die höher verdichtete Länder - und dies sind insbesondere die Länder in Westdeutschland - begünstigen, während die erhöhten Kosten der öffentlichen Güterversorgung im dünn besiedelten Raum keine Abgeltung erfahren 3 und auch empirisch bislang - wie auch das Brecht'sche Gesetz4 - nicht detail1

In dem Urteil wird auch das Bundesland Thüringen erwähnt. Wie wir noch belegen werden, kann Thüringen aber nicht als extrem dünn besiedelt bezeichnet werden. 2 Im Sommer 2001 wurde das FAG reformiert und ist in der derzeitigen Fassung noch bis Ende 2004 gültig. Wir werden später noch auf die im Rahmen unserer Thematik relevanten Neufassungen des Gesetzes eingehen. Wenn zukünftig auf das FAG Bezug genommen wird, ist grundsätzlich die derzeit noch gültige Fassung gemeint. 3 Eine Ausnahme bilden hier sicherlich die BEZ der Kosten der politischen Führung in kleinen Ländern, die implizit auf der Annahme steigender Skalenerträge im Bereich der zentralen Verwaltung bzw. der politischen Führung beruhen.

Α. Einleitung

8

liert untersucht wurden. Historisch gesehen war das bis zum Jahr 1990 auch sicherlich nicht notwendig, da kein Land der alten Bundesrepublik auch nur annähernd so dünn besiedelt war bzw. ist, wie es bei einigen der ostdeutschen Länder der Fall ist. Ferner waren bzw. sind die Unterschiede in der Siedlungsdichte der westdeutschen Länder deutlich geringer als dies heute in Gesamtdeutschland zu verzeichnen ist. Diese Umstände haben sicherlich dazu beigetragen, dass man bislang in der Finanzausgleichsdiskussion nur die Sonderrolle der Stadtstaaten bzw. der Bevölkerungsballung gesehen hat und die damit verbundenen tatsächlichen oder vermeintlichen Nachteile mit vielfachen Agglomerationsprämien ausgleicht. So wird im § 9 des derzeit noch gültigen FAG die Einwohnerveredlung bestimmt, wobei diese sogar - zumindest im Fall der Stadtstaaten - dreifach erfolgt: Bei der Bestimmung der Messzahlen der Steuereinnahmen der Länder werden die Einwohner der Stadtstaaten um den Faktor 1,35 vervielfacht und bei der Ermittlung der Messzahlen zum Ausgleich der Steuereinnahmen der Gemeinden erfolgt eine stufenförmige Anhebung des Einwohnerveredlungsfaktors, der für sehr große Städte mit einer Bevölkerung von mehr als 500.000 Einwohnern 1,25 bzw. für Städte mit mehr als einer Million Einwohner 1,3 beträgt. Ferner werden für die Großstädte über 500.000 Einwohner noch Dichtezuschläge zugeteilt. Angesichts der in der juristischen und finanzwissenschaftlichen Finanzausgleichsliteratur bisher vorherrschenden Dominanz einer ungeprüften Ausrichtung am Brecht'sehen Gesetz ist eine wissenschaftliche Aufbereitung dieser Thematik nicht nur eine interessante Herausforderung, sondern auch überfällig. In diesem Kontext ist auch anzumerken, dass auf EU-Ebene die Raumordnungs- und Förderpolitik eher in ländlichen als in städtischen Regionen höhere Kosten der Güterbereitstellung sieht. So wird im europäischen Raumordnungsbericht,Europe 2000+' von 1994 festgehalten, „given the cost of developing facilities, which is often high [Anmerkung des Autors: in ländlichen Gebieten] because of the inability to realise economies of scale .. public support is vital for rural development" (Europe 2000+, S. 121) und daraus die Forderung nach einer größeren Unterstützung der dünn besiedelten ländlichen Gebiete beim Aufbau und dem Unterhalt der Infrastruktur abgeleitet. Mit der vorliegenden Untersuchung sollen theoretische Grundüberlegungen und empirische Fakten bezüglich der Kosten der öffentlichen Güterbereitstellung in dünn besiedelten Räumen vorgelegt werden. Ferner soll die Finanzkraft in Abhängigkeit von der Siedlungsdichte einer näheren Analyse unterzogen werden, um vermeintliche oder tatsächliche Unterschiede zu ,normal' besiedelten Räumen oder zu den Stadtstaaten aufzuzeigen. Aufbauend auf empirischen Befunden soll versucht werden, nachvollziehbare Ansätze zur Quantifizierung der Sonderlasten dünn besiedelter Räume zu erarbeiten, die eine Ausgangsbasis für die Ermittlung eines Sonderbedarfs - oder der Modifikation der Finanzkraft - darstellen können. 4

Man kann sicherlich heute nicht mehr die Untersuchungen von Brecht (1932) und Popitz (1932) aus den 30er Jahren als ernst zu nehmende empirische Studien betrachten.

Α. Einleitung

Ein zentraler Grundgedanke unseres Analyseansatzes ist - im Einklang mit dem Urteil des BVerfG - die Orientierung an den Kosten der öffentlichen Leistungserstellung, d. h. es stehen weniger die tatsächlichen Ausgaben der Gebietskörperschaften, sondern mehr die technischen Bedingungen der Erstellung öffentlicher Leistungen im Vordergrund. Unsere Untersuchungsstrategie folgt nicht der von Brecht und Popitz bereits in den 30er Jahren verfolgten und heute immer noch angewandten Forschungsstrategie, tatsächliche Ausgaben von Ländern oder Gemeinden in Abhängigkeit von der Bevölkerungsgröße und /oder der Siedlungsdichte zu bestimmen. Von solchen Analysen werden wir nur gelegentlich Gebrauch machen, da diese Strategie in der Literatur zu Recht heftig kritisiert wird, da sie einer kaum kontrollierbaren ,Endogenitätsproblematik' unterliegt, siehe ζ. B. Hansmeyer (1980) und Junkernheinrich (1991). Die Endogenitätsproblematik resultiert daraus, dass a) größere Städte bzw. Gemeinden - die, wie wir aufzeigen werden, auch höher verdichtet sind - eine deutlich höhere Finanzkraft haben als kleinere Städte und Gemeinden und b) dass Agglomerationsräume sowohl im Länderfinanzausgleich (Stadtstaatenprivileg, Dichteklausel und Einwohnerveredlung bei den kommunalen Steuern) aber auch in den kommunalen Finanzausgleichssystemen höhere Zuweisungen erhalten bzw. geringere Transfers in die Finanzausgleichstöpfe zahlen müssen. Die höheren Einnahmen bedingen, dass auch die Pro-Kopf-Ausgaben größerer Städte und Gemeinden signifikant höher sind als in kleineren Städten und Gemeinden. Unser Untersuchungsansatz verfolgt eine völlig andere Strategie. Wir abstrahieren zunächst von vermeintlichen oder begründeten Bedarfsunterschieden und betrachten - möglichst losgelöst von den tatsächlichen Ausgaben - die Kosten der Erstellung öffentlicher Leistungen bzw. das Angebot öffentlicher Güter in Abhängigkeit von der Siedlungsdichte und/oder der Gemeindegröße. Bei unseren Berechnungen gehen wir auch bewusst so vor, dass wir die Situation in den neuen Ländern nicht als Maßstab heranziehen. Da die neuen Länder noch immer in allen Bereichen der öffentlichen Infrastruktur einen großen Nachholbedarf haben und dieser Mehrbedarf zumindest teilweise durch ostspezifische Zuweisungen des Bundes finanziert wird, werden wir unsere Untersuchungen in der Regel mit Datensätzen der westdeutschen Länder durchführen. Das ist schon deshalb erforderlich, weil die Fragen, ob a) die Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern (wie auch die anderen neuen Länder) wegen ihrer Aufbauprobleme einen besonderen Zuweisungsbedarf haben und b) ob diese beiden Länder - losgelöst von den Aufbauproblemen - durch ihre siedlungsstrukturelle Eigenart höhere Kosten bei der Erstellung öffentlicher Leistungen zu tragen haben, strikt getrennt zu bearbeiten sind. Für unsere Untersuchung ist lediglich die zweite Frage von Relevanz, während die erste Frage die Finanzierung des Infrastrukturaufbaus der neuen Länder betrifft und hier nicht zur Diskussion steht. Eine sicherlich berechtigte Frage in unserem Kontext ist, ob eine Untersuchung des Zusammenhangs von Siedlungsstruktur und den Kosten der öffentlichen Leistungserstellung nicht in Analogie zum bekannten Stadtstaatengutachten des ifo In-

10

Α. Einleitung

stituts, siehe ifo (1986), behandelt werden kann bzw. sollte. Die vom ifo Institut in seinem ,Stadtstaatengutachten4 angewandte Analysenmethode ist in unserem Fall nicht anwendbar und dies aus mehreren Gründen: Die Grundstrategie des ifo-Gutachtens bestand darin, die Stadtstaaten mit großen Städten in den Flächenländern zu vergleichen, wobei versucht wurde, durch Hinzurechnen bzw. Abziehen von Ausgaben und Einnahmen aus westdeutschen Großstädten ,fiktive 4 Stadtstaaten zu machen. Dieser Ansatz beruhte auf der Grundhypothese, dass die Stadtstaaten nicht unmittelbar mit den Flächenländern vergleichbar sind. Ferner zielte das ifoStadtstaatengutachten mehr auf einen Finanzkraftvergleich der Stadtstaaten mit Städten in Flächenländern ab. Die vorliegende Arbeit ist im Gegensatz zur finanzjuristischen aber auch finanzwissenschaftlichen Literatur, die beide überwiegend juristisch ausgelegt sind, weitgehend an ökonomischen Kriterien orientiert. Wie Homburg (1994) zu Recht bemerkt, fehlt es bei der Auseinandersetzung um Finanzausgleichsprobleme weitgehend an ökonomischer Basis und dem ist noch hinzuzufügen, dass grundlegende empirische Analysen auf diesem Gebiet nahezu gänzlich fehlen, wenn man einmal von den Arbeiten absieht, die mit Hilfe von Simulationsrechnungen unterschiedliche Finanzausgleichsregelungen auf deren finanzielle Wirkungen untersuchen, siehe ζ. B. Lenk (1992). Das BVerfG hat mit seinem Urteil vom November 1999 und der darin erhobenen Forderung nach einem Maßstäbegesetz explizit auf den Mangel an empirischer Fundierung bzw. Uberprüfung vieler finanzausgleichsrelevanter Fragestellungen hingewiesen. Dies wird sicherlich dazu beitragen, dass der Gesetzgeber sich von unbestimmten Rechtsbegriffen in der Finanzverfassung trennen muss bzw. diese durch klare Begriffsdefinitionen, die einer empirischen Messung zugänglich sind, ersetzen muss. Unsere Analyse folgt einem durch die Aufgabenstellung vorgegebenen Aufbau. Im Abschnitt Β werden wir zunächst grundlegende Anmerkungen zur Diskussion um das Brecht'sehe Gesetz machen und die in der Literatur hierzu vermerkten kritischen Gedanken - die vielfach bereits auf die Probleme in dünn besiedelten Räumen hinweisen - aufarbeiten. Der Abschnitt C untersucht die Siedlungsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland und leitet eine Arbeitshypothese zum Zusammenhang von Siedlungsdichte und Gemeindegröße ab. Das zentrale Kapitel D untersucht in vier Unterabschnitten den Zusammenhang zwischen den Kosten der Leistungserstellung bzw. dem Angebot öffentlicher Güter und der Siedlungsstruktur. Hierbei werden schwerpunktmäßig die Bereiche Abwasser, Verkehr (Straßen) und der Schulbereich untersucht. Ein weiterer Unterabschnitt präsentiert Befunde aus anderen Aufgabenbereichen. Die Auswahl der untersuchten Aufgabenbereiche wurde durch die Datenverfügbarkeit bestimmt. Da unsere Analyse einen betont kleinräumigen Untersuchungsansatz verfolgt, können wir nur solche Aufgabenbereiche im Detail behandeln, für die kleinräumige Daten vorhanden sind. Der Abschnitt E wendet sich der Analyse der Steuereinnahmen und der Wirtschaftskraft in Abhängigkeit von der Bevölkerungsdichte zu. Unsere empirischen Befunde beziehen sich insbesondere auf die beiden Länder Mecklenburg-Vorpommern und

Α. Einleitung

Brandenburg, da diese im Maßstäbeurteil eine besondere Erwähnung finden. Eine zusammenfassende Bewertung der Ergebnisse präsentiert der Abschnitt F. Hier werden auch Änderungen des Finanzausgleichsgesetzes diskutiert, die im Sommer 2001 verabschiedet wurden und ab dem 1.1. 2005 gültig sein werden. Ferner bietet ein technischer Anhang eine einfache Einführung in die Handhabung und Interpretation regressionsanalytischer Verfahren, die in der vorliegenden Studie vielfältig zum Einsatz kommen.

Β. Theoretische Grundüberlegungen zum Zusammenhang von öffentlichen Ausgaben und der Bevölkerungsballung In der Bundesrepublik werden die Finanzausgleichssysteme auf der Ebene des Länderfinanzausgleichs aber auch vielfach auf kommunaler Ebene durch das von Arnold Brecht in den 30er Jahren formulierte ,Gesetz der progressiven Parallelität zwischen Ausgaben und Bevölkerungsmassierung' dominiert. Wie tief das Denken in Termini des Brecht'schen Gesetzes in der Bundesrepublik verwurzelt ist, kann man auch daran ablesen, dass im LFA die Einwohnerveredlung sogar dreifach zur Anwendung kommt: Im Stadtstaatenbonus (§ 9 FAG Abs. 2) sowie in der Größenklassenwertung und der Dichteklausel (§ 9 FAG Abs. 3) bei der Anrechnung der kommunalen Steuereinnahmen. Die Brecht'sehe Hypothese ist auch in Form der Hauptansatzstaffel in den meisten Kommunalfinanzausgleichsgesetzen verankert, wobei allerdings einige Länder wie Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern in ihren Finanzausgleichsgesetzen dieser nicht folgen und hierfür alternativ mit Nebenansätzen versuchen, den Finanzbedarf mit Hilfe diverser Indikatoren zu bemessen.1 Diese bundesdeutsche Praxis steht in markantem Gegensatz zur internationalen finanzwissenschaftlichen und stadtökonomischen Literatur, in der das Brecht'sche Gesetz kaum Erwähnung und Beachtung findet. Im Gegenteil: Hier wird das Konzept der »optimalen Stadtgröße4 diskutiert, wobei es ausnahmslos gängig ist, einen u-förmigen Kostenverlauf für die öffentlichen Pro-Kopf-Ausgaben in Abhängigkeit der Bevölkerungsgröße bzw. der Bevölkerungsdichte einer Gebietskörperschaft zu unterstellen, siehe ζ. B. Tullock (1968) oder Sullivan (1990). Hinter dem Konzept der optimalen Stadtgröße steht die Vorstellung, dass es auch bei der öffentlichen Leistungserstellung »economies of scale'2 gibt, zumindest bis zu einer gewissen Größe der Stadt, während das Brecht'sche Gesetz von ,diseconomies of scale'3 im gesamten Wertebereich ausgeht. 1 Für eine vergleichende Darstellung kommunaler Finanzausgleichssysteme sei auf Birke (2000) verwiesen. 2 Economies of scale (steigende Skalenerträge) liegen vor, wenn mit zunehmendem Faktoreinsatz der Output überproportional ansteigt. In diesem Fall steigen die Gesamtkosten nur unterproportional und die Stückkosten bzw. die Kosten je Einwohner sinken mit zunehmender Stück- bzw. Einwohnerzahl. 3 Diseconomies of scale (sinkende Skalenerträge) liegen vor, wenn mit zunehmendem Faktoreinsatz der Output unterproportional ansteigt. In diesem Fall steigen die Gesamtkosten überproportional und die Stückkosten bzw. die Kosten je Einwohner steigen mit zunehmender Stück- bzw. Einwohnerzahl.

Β. Theoretische Grundüberlegungen

13

In der finanzwissenschaftlichen aber auch finanzrechtlichen Literatur (siehe ζ. B. Grawert 1989) gibt es hierzu eine Vielzahl kritischer Stimmen, wobei es nicht darum geht, einen höheren Finanzbedarf von hochverdichteten Städten in Frage zu stellen, sondern viel mehr darum, die Asymmetrie zu problematisieren. So wird vielfach darauf hingewiesen, dass auch dünn besiedelte Räume höhere Pro-KopfAufwendungen tätigen müssen, die insbesondere daraus resultieren, dass wegen der geringen Bevölkerungszahl keine »economies of scale4 ausgebeutet werden können. Einige Autoren gehen sogar noch weiter. So stellte Littmann (1977) die These auf, dass das Brecht'sehe Gesetz „als höchst fragwürdige Aussage qualifiziert werden muss, denn es ist theoretisch unfundiert und statistisch in keiner Weise abgesichert44 (Littmann, 1977, S. 360). Kitterer (1994, S. 19) merkt an, dass die Annahme eines mit zunehmender Einwohnerzahl (bzw. in unserer Interpretation auch mit zunehmender Siedlungsdichte) progressiv steigenden Finanzbedarfs aus finanzwissenschaftlicher Sicht auf schwankendem Boden steht. Ferner benachteiligt eine solche Regelung ländliche Räume und fördert übermäßig die räumliche Konzentration, die ihrerseits wiederum mit vielfachen sozialen, ökonomischen und ökologischen Kosten verbunden ist. Auch in dem eingangs bereits zitierten Urteil des BVerfG vom 11. 11. 1999 wurde die Asymmetrie der auf dem Brecht'schen Gesetz beruhenden Einwohnerveredlung in Frage gestellt und eine Prüfung der Zusammenhänge angemahnt. Die Hypothese, dass mit steigender Siedlungsdichte die Kosten der öffentlichen Leistungserstellung und/oder der Bedarf an öffentlichen Gütern ansteigen, geht auf die Arbeiten von Brecht und Popitz in den 30er Jahren zurück. 4 Brecht (1932) sprach davon, „dass fast alle öffentlichen Aufwendungen in den großen Städten erheblich teurer seien als draußen44, wobei der Terminus ,teuer4 in der Interpretation der Literatur nicht nur auf eine höhere ,Preiskomponente4 zurückgeführt wird, sondern auch auf ein höheres Mengenvolumen, siehe ζ. B. Littmann (1977). Insgesamt lieferten Brecht und auch Popitz nur wenige stichhaltige Gründe für den von ihnen postulierten Zusammenhang. Explizite Erwähnung fanden lediglich der Polizeibereich sowie die Abwasserentsorgung (unter dem Schlagwort des ,kanalisierten Einwohners4). Mit dem Brecht'schen Gesetz ist aber auch implizit die Vorstellung verbunden, dass der Stadtbewohner Anspruch auf mehr und auch ein breiteres Spektrum öffentlicher Güter hat, insbesondere öffentliche Güter des ,höheren Bedarfs 4, wie ζ. B. Kultureinrichtungen. Das mag in den 30er Jahren, in denen Brecht und Popitz ihre »Gesetze4 formulierten, durchaus noch der Fall gewesen sein, ist aber heute mit Sicherheit nicht mehr zutreffend und auch nicht zu rechtfertigen. Hier ist Bennet zuzustimmen, der festhält, ,the basic assumption is that similar individuals need similar standards of service irrespective of where they live 4 (Bennet [1980] S. 112-113). Theater, Museen und Opernhäuser gibt es nicht deshalb in größeren Städten bzw. Großstädten, weil die Stadtbewohner einen anderen Bedarf haben als 4 Da die Beiträge von Brecht und Popitz in der finanzwissenschaftlichen aber auch finanzrechtliche Literatur eine breite Diskussion erfahren, wollen wir hier auf eine wiederholende Darstellung verzichten.

14

Β. Theoretische Grundüberlegungen

die Landbewohner, sondern deshalb, weil diese öffentlichen Güter in geringer Menge nachgefragt werden5 und deren Produktion mit erheblichen Skalenerträgen verbunden ist. Daher lohnt sich das Angebot ökonomisch erst dann, wenn eine Mindestmenge an Bevölkerung im Einzugsgebiet der Einrichtung lebt. Ein weiterer Grund, dass »höherwertige4 öffentliche Güter in der Regel in großen Städten und nicht auf dem flachen Land angeboten werden, ist natürlich in der Finanzierung zu sehen. Städte sind produktiver als das »flache4 Land und haben daher höhere (Pro-Kopf-)Steuereinnahmen und die Bewohner erzielen höhere Einkommen als die Landbewohner.6 Aus diesen »Überschüssen4 der Städte lassen sich öffentliche Güter finanzieren, deren Angebot im ländlichen Raum an der Finanzierung scheitert, sofern es keine fremde Finanzierungsbeteiligung (ζ. B. durch Zuschüsse aus dem Landesetat) gibt. Es ist somit eine Frage des Standortes, der Produktionskosten und der Finanzierbarkeit und nicht eine Frage des Bedarfs, da wohl niemand ernsthaft die Hypothese aufstellen und verteidigen wollte, dass die Menschen außerhalb der Stadt weniger an Kunst, Bildung und Kultur interessiert sind als die Stadtbewohner.7 In einigen Untersuchungen ist man der Brecht'schen Tradition folgend der Frage nachgegangen, ob es einen progressiven Zusammenhang zwischen der Größe einer Gemeinde und den Kosten der Erstellung öffentlicher Güter gibt. Von einer Vielzahl von Autoren, siehe ζ. B. Hansmeyer (1980), wurde darauf hingewiesen, dass es kaum möglich ist, diese Frage isoliert von der Finanzkraft der Gemeinden zu untersuchen. Das liegt daran, dass man bei empirischen Untersuchungen vom tatsächlichen Ausgabenverhalten ausgeht und die Ausgaben sowohl von Kosten- als auch von Finanzkraftmerkmalen beeinflusst werden. Seiler (1980) sieht daher nur die Möglichkeit, »umfangreiche vorwiegend ingenieurwissenschaftlich orientierte Untersuchungen über Größe, zumutbare Entfernungen, Einzugsbereiche, Rächenbedarf, Minimal- und Maximalkapazitäten kommunaler Einrichtungen4 durchzuführen und aus diesen Untersuchungen isolierte Informationen über tatsächliche Kostenverläufe zu gewinnen. Die Untersuchungen zum Zusammenhang von Siedlungsdichte und öffentlicher Leistungsbereitstellung werden aber durch das Problem erschwert, dass bei unterschiedlichen Siedlungsstrukturen auch völlig unterschiedliche Technologien eingesetzt werden können bzw. müssen, die einen Kostenvergleich erschweren. Man denke ζ. B. an Verkehrssysteme. Ein S-Bahnoder U-Bahn-System ist in der Fläche kaum rentabel, da man entweder ein extrem investitionsintensives Strecken- und Haltestellensystem einrichten oder in Kauf nehmen müsste, dass die Fahrgäste lange Anfahrtswege (mit anderen öffentlichen 5 Zumindest im Vergleich zu den öffentlichen Basisgütern wie Schulen, Straßen und Krankenhäuser. 6 Siehe hierzu unsere Ausführungen im Kapitel E. 7 Im Hinblick auf die Einwohnerveredlung der Stadtstaaten ist anzumerken, dass deren Begründung in den zentralen Punkten nicht auf dem Brecht'schen Gesetz, sondern wie in dem bereits zitierten Stadtstaatengutachten des ifo Instituts ausgeführt wird, auf einem Finanzkraft- und Ausgabenvergleich von Großstädten beruht.

Β. Theoretische Grundüberlegungen

15

Verkehrsmitteln oder mit dem PKW) hinnehmen müssten, was zeit- und kostenintensiv ist und die Nachfrage nach diesem Verkehrsmittel reduziert. In Städten oder sehr dicht besiedelten Regionen (wie ζ. B. im stadtnahen Umland) ist ein solches System dagegen rentabel und für die Fahrgäste attraktiv. Auch die Abwasserversorgung kann in dichter besiedelten Gebieten völlig anders organisiert werden als in ländlichen Räumen. So sind in Städten Sickergruben kaum zu realisieren, während in den ländlichen Räumen ein solches System zwar realisierbar ist, aus ökologischen Gründen aber keine langfristig tragbare Problemlösung darstellt. Hier und auch beim Verkehrssystem tritt Vergleichs- und erfassungserschwerend das Problem auf, dass ein bestimmtes Gut (wie Personentransport oder Abwasserentsorgung) mit unterschiedlichem Einsatz von privaten und öffentlichen Inputs hergestellt wird. Deshalb muss ein ,fairer 4 Vergleich der Kosten der öffentlichen Leistungserstellung in Abhängigkeit von der Raumstruktur private und öffentliche Ausgaben gleichgewichtig einbeziehen. Das ist auch wegen des verfassungsrechtlichen Gebots der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Raum geboten. In der finanzwissenschaftlichen Literatur gibt es eine weitere Forschungsrichtung - allerdings mehr theoretischer und weniger empirischer Art - die sich mit dem Auffinden ökonomischer Ursachen eines möglichen positiven Zusammenhangs von öffentlichen Ausgaben und der Siedlungsdichte bzw. der Bevölkerungsballung beschäftigt. Littmann (1977) kommt hierbei zum Ergebnis, dass man bei der Analyse des Zusammenhangs von öffentlichen Pro-Kopf-Ausgaben und der Siedlungsdichte gedanklich drei Einflussfaktoren voneinander trennen muss, die allerdings nicht unabhängig voneinander sind: • die Bedarfsstruktur, • die Kostenstruktur und • die Finanzstruktur (Finanzkraft). So hängt die Bedarfsstruktur im Wesentlichen von der zentralörtlichen Funktion der einzelnen Gemeinden ab. Hierbei muss aber beachtet werden, dass die zentralörtliche Funktion von Gemeinden ebenfalls von den siedlungsstrukturellen Charakteristika der Region abhängig ist, in der sich die Gemeinde befindet. So können solche Funktionen in ländlichen Räumen von Städten bzw. Gemeinden mit nur wenigen tausend Einwohnern übernommen werden, während in hochverdichteten Räumen hierfür in der Regel nur Gemeinden mit mehreren zehntausend Einwohnern in Frage kommen. Im Hinblick auf die Kostenstruktur wird in der Literatur besonders auf die höheren Boden- und Baupreise in Agglomerationsräumen hingewiesen. Das Finanzkraft- bzw. Finanzstrukturargument ist etwas schwieriger einzuordnen, da die Finanzkraft und die Finanzstruktur auch direkt vom Agglomerationsgrad und der zentralörtlichen Einstufung von Gemeinden abhängig sind. So haben dicht besiedelte Regionen im Vergleich zu weniger dicht besiedelten Regionen einen deutlich höheren Arbeitsplatzbesatz, eine höhere Produktivität (gemessen ζ. B. als Wertschöpfung je Einwohner oder je Erwerbstätigen) und auch eine höhere Steuerkraft (und zwar sowohl bei der Grundsteuer, der Einkommensteuer

16

Β. Theoretische Grundüberlegungen

als auch bei der Gewerbesteuer). Das führt dazu, dass die Finanzkraft von Städten bzw. Regionen mit zunehmender Bevölkerungsballung ansteigt. Ferner werden dichter besiedelte bzw. größere Städte und Städte oder Gemeinden mit zentralörtlicher Funktion in allen kommunalen Finanzausgleichssystemen bevorzugt. Beide Faktoren führen somit zu einer Stärkung der Finanzkraft und ermöglichen daher ein größeres Angebot an öffentlichen Gütern. Eine alternative Systematisierung der Beziehungen zwischen Agglomeration und Staatsausgaben lässt sich in Anlehnung an Kähler (1982) formulieren. Kähler begründet die höheren Pro-Kopf-Ausgaben in Städten damit, dass: a) die gleichen Leistungen sich nur zu höheren Kosten erbringen lassen (Preiseffekt), b) die Staatstätigkeit bei höherer Agglomeration ausgeweitet wird (Intensivierungseffekt) und c) in Agglomerationen neue Aufgabenbereiche (Extensivierungseffekt) entstehen. Der unter a) erfasste Punkt korrespondiert weitgehend mit dem Kostenargument von Littmann, während die beiden Punkte b) und c) eine differenziertere Darstellung des Bedarfsarguments von Littmann liefern. Das Intensivierungsargument besteht darin zu behaupten, dass größere Städte je Einwohner von einer bestimmten Leistung - die auch in kleineren Städten angeboten wird - eine größere Menge anbieten. Eine Ursache hierfür sind ζ. B. die Berufs- und Konsumpendler aus dem Umland der Städte. Diese nehmen öffentliche Leistungen der Kernstädte in Anspruch und machen ζ. B. eine Ausweitung des kommunalen Straßennetzes erforderlich. Der Extensivierungseffekt zielt darauf ab, dass größere Städte öffentliche Güter anbieten, die von kleineren Städten überhaupt nicht - oder nur sehr selten - angeboten werden. Dieses Argument hat aber in den letzten Jahrzehnten mit Sicherheit erheblich an Bedeutung verloren, da man Hallenbäder und Theaterhäuser auch zunehmend in kleineren Städten und auch im ländlichen Raum eingerichtet hat. So hatten im Jahr 1995 die 81 deutschen Städte mit einer Einwohnerzahl von 100.000 bis 1.000.000 Menschen insgesamt 360 Theaterspielstätten (Durchschnitt: 4,4), die 108 Städte in der Kategorie mit 50.000 bis 100.000 Einwohnern kamen auf 134 Theaterspielstätten (Durchschnitt 1,2) und die vom Statistischen Jahrbuch deutscher Städte und Gemeinden erfassten 470 Städte in der Kategorie unter 50.000 Einwohnern hatten insgesamt 91 Spielstätten (Durchschnitt: 0,2). Aus finanziellen Gründen, aber auch aus Gründen der Rentabilität sind somit große Städte deutlich besser mit höherwertigen Kultureinrichtungen ausgestattet. Es ist aber keineswegs so, dass in Kleinstädten ein solches Angebot überhaupt nicht zu finden ist. Der Extensivierungseffekt kann ohnehin nur im Bereich der freiwilligen Aufgaben und nur in geringem Umfang im Bereich der Pflichtaufgaben (ζ. B. höhere Schuleinrichtungen oder Sonderschulen für Blinde, Gehörlose usw.) relevant sein.

Β. Theoretische Grundüberlegungen

17

Weitgehend vernachlässigt bleiben in der Diskussion auch immer wieder die Vorteile der Städte bzw. der Bevölkerungsballung, die aus Skaleneffekten resultieren. Fixkosten für die Erbringung einer bestimmten Leistung oder Fixkosten bei der Erstellung von Infrastruktureinrichtungen verteilen sich auf mehr Köpfe und bringen somit einen Kostenrückgang mit sich. Fischer-Menshausen (1980) geht sogar so weit, hieraus im Finanzausgleich eine Umkehrung des Brecht'schen Gesetzes zu fordern und damit den Einwohner in dünn besiedelten Gebieten zu veredeln und die städtischen Einwohner unveredelt zu belassen. Dietrich (1997, S. 109) weist zu Recht darauf hin, dass es aber erforderlich ist, jede einzelne Ausgabenkomponente einer genauen Analyse zu unterziehen, um zu einer abschließenden Beurteilung der Skaleneffekte zu kommen. In diesem Punkt ist der Diagnose von Hidien (1999) zuzustimmen, dass es sich die Befürworter einer Einwohnerveredlung zu einfach machen, wenn sie - wie das vielfach der Fall ist - auf (vermeintliche) intuitiv einsichtige Agglomerationsnachteile der größeren Städte hinweisen (vgl. Hidien 1999, S. 479), ohne nachvollziehbare und empirisch quantifizierbare Begründungsfakten zu liefern. Die bisher angestellten Überlegungen sollen nun in einen mehr theoretisch orientierten Rahmen gebracht werden. Hier gilt es zunächst Kostenfunktionen für die öffentliche Güterbereitstellung zu formulieren, wobei als Einflussvariablen insbesondere siedlungsstrukturelle Parameter im Vordergrund stehen. Es stellt sich hier das Problem, dass bei der Analyse der Kosten der öffentlichen Leistungserstellung in Abhängigkeit von der Siedlungsdichte zu berücksichtigen ist, dass die Größe einer Region (gemessen an der Bevölkerungszahl und / oder der Fläche) und die Dichte nicht unabhängig voneinander sind und daher sowohl die empirische als auch die theoretische Trennung von Dichte und Größe nicht unproblematisch ist. Die Trennung der Größe- und Dichteeffekte ist auch bei dem von Arnold Brecht in den 30er Jahren formulierten »Gesetz der progressiven Parallelität zwischen Ausgaben und Bevölkerungsmassierung' nicht eindeutig, da Bevölkerungsmassierung sowohl in Termi von Dichte als auch Bevölkerungsgröße interpretiert werden kann. Man wird ohnehin von Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte erst dann sprechen, wenn diese eine bestimmte Größe (gemessen anhand der Bevölkerungszahl) erreichen und von „dünner Besiedlung" wird man erst dann sprechen, wenn sich diese auf eine bestimmte Mindestfläche bezieht. Am einfachsten kann man sich den Zusammenhang zwischen den Kosten der öffentlichen Leistungserstellung und der Bevölkerungszahl sowie der Dichte verdeutlichen, wenn man die Pro-Kopf-Kosten, PC, der öffentlichen Güterbereitstellung in der allgemeinen Form: (B.l)

PC = C\ (q, Ρ,D)

schreibt. Hierbei bezeichnet q den Vektor der Inputpreise, Ρ die Bevölkerungszahl und D die Bevölkerungsdichte mit D = P/A, wobei A die Fläche der betrachteten Region ist. Somit würde sich die Kostenfunktion auch in der Form 2 Seitz

18

Β. Theoretische Grundüberlegungen

(B.2)

PC=C 1(q ìP ìA)

schreiben lassen. Die Ableitung (B.3)

ÖC2(q,P,A)/6P = 8C\ (q,P ìD)/6P + (\/A)6C\ (q ìP ìD)/6D

zeigt den Effekt einer Erhöhung der Bevölkerungszahl, wobei diese aber mit einer Veränderung der Dichte einhergeht. Der isolierte Effekt einer dichteneutralen Erhöhung der Einwohnerzahl ist gegeben mit 6C\ (q, P, D)/6P und impliziert die Annahme einer Veränderung der Gebietsfläche im Betrag von dA = dP/D. Der isolierte Effekt einer Veränderung der Dichte ist gegeben durch 6C2(q,P i A)/6A = —6C\(q,P,D)/6D(D/A) . Aus dieser Betrachtung folgt, dass zur Analyse der isolierten Effekte der Dichte auf die Kosten der Leistungserstellung aus theoretischen Gründen eine Kostenfunktion in der Form Cziq.P.A) am geeignetsten erscheint. Diese Überlegungen implizieren, dass empirische Analysen des Zusammenhangs von Bevölkerungsdichte und den Kosten der öffentlichen Leistungserstellung folgende Frage beantworten müssten: Welche Kosten der Leistungserstellung fallen ζ. B. in Nordrhein-Westfalen an und wie würden sich diese Kosten verändern, wenn man die Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen auf ein Gebiet mit einer größeren Fläche verteilen und die Einwohner mit dem gleichen öffentlichen Leistungsniveau versorgen würde? Aus theoretischer Sicht, aber auch aus praktischen Erwägungen heraus, sind drei grundsätzliche Typen von Kostenverläufen für die öffentliche Güterbereitstellung in Abhängigkeit von der Einwohnerzahl von Städten und Gemeinden (bzw. der Bevölkerungsdichte) vorstellbar, die wir in der Abbildung B.l schematisch dargestellt haben. Hier sind auf der horizontalen Achse die Siedlungsdichte und auf der vertikalen Achse die Pro-Kopf-Kosten der öffentlichen Güterversorgung aufgetragen. Es wird unterstellt, dass es sich um ein spezifisches öffentliches Gut (ζ. B. Straßen oder Grundschulausbildung) und nicht um das gesamte Spektrum öffentlicher Güter handelt. Im Abbildungsteil A werden über den gesamten Wertebereich diseconomies of density unterstellt; die Abbildung Β zeigt economies of density, während in C zunächst in der Dichte fallende und ab einer bestimmten Größenklasse steigende Kosten der Güterbereitstellung vorliegen. 8 In A sind die Kosten der Güterversorgung mit zunehmender Dichte monoton ansteigend, d. h. es gilt: (B.4)

C2(q ìP 0ìA 0)>C2{q ìP 0ìA l)

mit A 0 < A !

für eine gegebene Bevölkerungszahl PQ. In diesem Fall würden die Pro-Kopf-Kosten der Versorgung einer gegebenen Bevölkerungszahl mit einem spezifischen 8 Natürlich ist es auch denkbar, dass es zwischen der Dichte und den Kosten keinerlei Zusammenhang gibt, so dass in diesem Fall die aufgezeigte Kostenfunktion horizontal verlaufen würde.

Β. Theoretische Grundüberlegungen Kosten der öffentlichen

Leistungserstellung

19 (je Einwohner)

Abbildung B.l: Die Kosten der öffentlichen Leistungserstellung in Abhängigkeit der Größe von Städten und Gemeinden bzw. der Bevölkerungsdichte

öffentlichen Gut mit zunehmender Dichte steigen. Die hier aufgezeigten Kostennachteile können sowohl pekuniärer als auch nichtpekuniärer Natur sein. Im ersten Fall würden sich die höheren Kosten einer dichten Besiedlung unmittelbar in den öffentlichen Budgets niederschlagen, während im zweiten Fall soziale oder externe Kosten der Bevölkerungsballung ζ. B. infolge von Umweltbelastungen, Verkehrsstaus usw. wirksam werden, die sich nicht unbedingt unmittelbar in den öffentlichen Ausgaben niederschlagen. Den einwohnerveredelnden Regelungen im bisherigen FAG unterliegt implizit die in A dargestellte Kostenfunktion. Im Abbildungsteil Β gilt: (B.5)

C2te,Po,Ao) < C 2(q,P Q,Ax)

mit

A0 α c

g

c W

10-20 20-50 50-100

>100 0

50

100

150

200

250

DM je Einwohner (1997) Quelle: Berechnet aus einer Datensonderaufbereitung des Statistischen Bundesamtes.

Abbildung DII.6a: Unmittelbare Pro-Kopf-Ausgaben der kreisangehörigen Gemeinden, sowie der Landkreise, Amter, Verbandsgemeinden und Samtgemeinden 1997 im Aufgabenbereich,Straßen'

DM je Einwohner (1997) Quelle: Berechnet aus einer Datensonderaufbereitung des Statistischen Bundesamtes.

Abbildung DIL6b: Unmittelbare Pro-Kopf-Ausgaben der kreisfreien Städte 1997 im Aufgabenbereich »Straßen'

Auch für den Straßenbereich haben wir wiederum Daten des Statistischen Bundesamtes über die unmittelbaren Ausgaben der Städte und Gemeinden nach Einwohnergrößenklassen aufbereitet. Die Abbildung DII.6 zeigt die Resultate

70

D. Siedlungsstruktur, Bevölkerungsballung und öffentliche Ausgaben

dieser Auswertung, wobei in der Abgrenzung des Statistischen Bundesamtes der Aufgabenbereich ,Straßen' die Kreis- und Gemeindestraßen sowie die Parkeinrichtungen umfasst. In der Abbildung DII.6a werden die Pro-Kopf-Ausgaben im Jahr 1997 für die Gesamtheit der kreisangehörigen Gemeinden der westdeutschen Flächenländer und in Abbildung DII.6b die der kreisfreien Städte ausgewiesen. Die Pro-Kopf-Ausgaben der kreisangehörigen Gemeinden sind durchschnittlich noch um die Ausgaben der Landkreise in Höhe von ca. 35 DM sowie die Ausgaben der Amter, Verbands- und Samtgemeinden um ca. 9 DM je Einwohner zu erhöhen. Die letztgenannten Ausgaben sind wohl insbesondere den Kleinstgemeinden zuzuschlagen. Die kreisangehörigen Gemeinden - mit Ausnahme der Städte in der Kategorie mit mehr als 100.000 Einwohnern - zeigen ein klares Ausgabenmuster im Straßenbereich, das dadurch charakterisiert ist, dass kleinere Gemeinden deutlich höhere Pro-Kopf-Ausgaben tätigen müssen. Ein analoges Muster beobachten wir bei den kreisfreien Städten. Die kreisfreien Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern sowie die kreisangehörigen Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern passen jedoch nicht in dieses Bild. Beide Städtegruppen waren bereits bei der Analyse der Aufwendungen im Abwasserbereich auffällig, was mit Sicherheit auf die geringe Besetzungshäufigkeit dieser Gemeindegrößenklassen zurückzuführen ist, so dass sich für diese Kategorien kaum repräsentative Aussagen machen lassen. Daher sehen wir bezüglich der in den Abbildungen aufgetragenen Kostenverläufe keine Indikatoren für einen u-förmigen Verlauf der Ausgaben in Abhängigkeit von der Siedlungsdichte bzw. Gemeindegröße. Die dokumentierten Ausgabendifferentiale sind aufgrund der bereits angesprochenen Endogenitätsproblematik mit großer Wahrscheinlichkeit sogar noch zugunsten der größeren Städte verzerrt, da deren Pro-Kopf-Einnahmen deutlich höher sind als die der kleineren Städte und Gemeinden, was auch die Pro-Kopf-Ausgaben positiv beeinflusst. Auf einem etwas höheren Aggregationsniveau haben wir auch die Pro-KopfAusgaben im Straßenbereich für einzelne Bundesländer betrachtet. So gaben die kreisfreien (und damit überdurchschnittlich großen) Städte in Baden-Württemberg im Jahr 1997 in diesem Aufgabenbereich ca. 157 DM aus, während die kreisangehörigen (und damit im Durchschnitt wesentlich kleineren) Städte und Gemeinden (einschließlich der Landkreise) auf Pro-Kopf-Ausgaben von ca. 184 DM kamen. Ein ähnliches Bild zeigte sich in Bayern. Hier lagen die Pro-Kopf-Ausgaben der kreisangehörigen Städte und Gemeinden (einschließlich Landkreise) um ca. 36% über den Pro-Kopf-Ausgaben der kreisfreien Städte. Keine unmittelbare Kostenevidenz konnten wir bislang für die Landstraßen präsentieren. Hier steht uns nur die Schätzung der Aufwendungen für Flickarbeiten mit einem Kostensatz von ca. 0,23 bis 0,25 DM je qm zur Verfügung. Da diese Ausgabenkomponente nur den laufenden Straßenunterhalt abdeckt, haben wir ergänzend auch die Straßenbauausgaben auf der Ebene der westdeutschen Bundesländer im Zeitraum von 1977 bis 1996 untersucht und hierzu folgende Regression gerechnet:

71

II. Der Bereich des Straßenverkehrs (DII.6)

Reale Pro-Kopf-Bauausgaben im Jahr t = β Dichte + Kontrollvariablen für jedes einzelne Bundesland + Kontrollvariablen für jedes Jahr + Störterm

Beobachtungszeitraum: 1977 bis 1996 (Jahresdaten).

Bei dieser Schätzung handelt es sich in der Fachsprache um eine ,Panelschätzung4 mit länderspezifischen und zeitpunktspezifischen festen Effekten. Die Ländereffekte sollen die „Eigenarten" der Länder absorbieren, während die Zeitpunkteffekte konjunkturelle Bewegungen erfassen sollen. Die Bauausgaben wurden mit dem vom „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" publizierten Preisindex für Straßenbauleistungen (Basisjahr 1995) deflationiert, also um Inflationseffekte bereinigt, so dass die Bauausgaben auf die Preise des Jahres 1995 umgerechnet und damit in der Zeit auch vergleichbar sind. Eine graphische Analyse der Daten legte die Schlussfolgerung nahe, dass die Stadtstaaten aus der Analyse auszuklammern sind und eine lineare einer nicht linearen Spezifikation vorzuziehen ist. Wir haben die Schätzungen sowohl für die realen Bauinvestitionen der Länder, als auch die der Gemeindeebene (umfasst Städte, Gemeinden, Kreise und Gemeindeverbände) durchgeführt und hierbei für den Dichteparameter die folgenden Schätzungen erhalten: Länderebene:

β = -0.594(3.0),

R2 = 0,87,

Ν = 140

Gemeindeebene:28

β = -0.566(2.1),

R 2 = 0,90,

Ν = 160

Die Schätzungen implizieren auf Länderebene, dass ein Land mit der Dichte des Landes Mecklenburg-Vorpommern bzw. Brandenburg um ca. 15% bis 20% höhere Straßenbauinvestitionen durchführen muss als ein Land mit mittlerer Besiedlungsdichte, 29 während auf Gemeindeebene ein Differential von ca. 20% bis 25% errechnet wird. Diese Einschätzung lässt sich alternativ auch aus einem direkten Ausgabenvergleich der Länder ableiten. Während das dicht besiedelte Bundesland Nordrhein-Westfalen im Zeitraum von 1977 bis 1996 jahresdurchschnittlich reale Pro-Kopf-Bauinvestitionen im Straßenbereich (Land plus Gemeinden) von jahresdurchschnittlich ca. 160 DM getätigt hat, kommen die drei am dünnsten besiedelten westdeutschen Flächenländer auf ein jahresdurchschnittliches reales Pro-KopfInvestitionsvolumen von ca. 204 DM. Dieses Differential entspricht in etwa unseren Modellrechnungsergebnissen. Einschränkend muss zu unseren Schätzungen allerdings angemerkt werden, dass die Ergebnisse in der Interpretation nicht überstrapaziert werden dürfen. Die Ursache für diese Einschätzung ist insbesondere damit begründet, dass die Dichtevariable - wenn man einmal von Bevölkerungsmigration und natürlicher Bevölkerungsbewegung absieht - nur wenig variiert und damit die (statistische) Präzision der Koeffizientenschätzungen in der Gleichung (DII.6) eingeschränkt ist. 28

Gemeinden, Städte, Kreise und Gemeindeverbände. 29 Hierzu wurde als Referenzland Rheinland-Pfalz herangezogen.

72

D. Siedlungsstruktur, Bevölkerungsballung und öffentliche Ausgaben

Zusammenfassende Schlussfolgerungen und Bewertung der Ergebnisse Für die Aufwendungen im Aufgabenbereich Straßen muss seitens der Kostenrechnung der Zusammenhang gelten: Aufwendungen für die Straßenunterhaltung je Einwohner = Straßenlänge je Einwohner * Straßenbreite * Kostensatz je qm Straße .

Hierbei sind alle beteiligten Variablen von der Bevölkerungsdichte abhängig. Wie gezeigt wurde gilt, dass • die Straßenlänge je Einwohner mit zunehmender Bevölkerungsdichte sinkt, • die Straßenbreite mit zunehmender Bevölkerungsdichte ansteigt und • der Unterhaltungskostensatz je km Straße mit zunehmender Bevölkerungsdichte ebenfalls ansteigt. Theoretisch ist somit unklar, ob die Pro-Kopf-Aufwendungen für die Unterhaltung der Straßen mit zunehmender Bevölkerungsdichte ansteigen oder sinken. Die vorgelegten empirischen Befunde zeigen aber, dass per Saldo der Effekt der Bevölkerungsdichte auf die Pro-Kopf-Aufwendungen nachweislich negativ ist, d. h. mit abnehmender Bevölkerungsdichte steigen die Pro-Kopf-Ausgaben für den Aufbau und die Unterhaltung des Straßennetzes! Das haben unsere Analysen der Umfrageergebnisse der Deutschen Straßenliga sowie des Deutschen Städte- und Gemeindebundes gezeigt. Ferner haben die Auswertungen der Daten des Statistischen Bundesamtes dieses Bild ebenfalls klar reflektiert, wobei die Berechnungen aus den Ist-Ausgaben der Städte und Gemeinden mit Sicherheit sogar die kleineren Städte und Gemeinden in der Ausgabenbelastung unterschätzen bzw. die Großstädte überschätzen, da - wie schon mehrfach betont wurde - die Ausgaben endogen sind und insbesondere von den Einnahmen determiniert werden und die verdichteten Regionen sowohl durch Agglomerationseffekte als auch die kommunalen Finanzausgleichssysteme bevorzugt werden. Die Kostenevidenz aus der Analyse der Straßenbauinvestitionen der Länder ist schwächer. Allerdings sind noch die Instandhaltungskosten der Straßen zu berücksichtigen. Da der Straßenflächenbedarf nach unseren empirischen Untersuchungen eine Dichteelastizität von ca. -0,6 hat, d. h. ein Anstieg der Siedlungsdichte um 1% führt zu einem Rückgang der Straßenfläche um ca. 0,6%, kann selbst ein beispielsweise 30%-iger Abschlag bei den Instandhaltungskosten der Straßen in ländlichen Gebieten (wegen der im Vergleich zu städtischen Gebieten geringeren Abnutzungsintensität der Straßen) den Effekt der Flächenausweitung nicht überkompensieren. Zusammenfassend legen unsere Untersuchungsergebnisse die Schlussfolgerung nahe, dass sehr dünn besiedelte Räume einen um ca. 25% bis 30% höheren Straßenbedarf (gerechnet in qkm Straße je Einwohner) haben als »normal4 besiedelte Gebiete. Bei den Straßenunterhaltungskosten - wofür wir auch Evidenz auf Ge-

II. Der Bereich des Straßenverkehrs

73

meindeebene vorgelegt haben - ist von einem Kostenaufschlag in der Größenordnung von ca. 20% bis 25% je Einwohner auszugehen. Beide Einschätzungen sind aufgrund der mangelhaften Datenqualität bewusst konservativ, d. h. am unteren Rand angesiedelt. Übertragen auf die gesamten Ausgaben - wobei westdeutsche Verhältnisse zugrunde gelegt werden - dürften die extrem dünn besiedelten Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern bedingt durch den Straßenbereich auch langfristig zusätzliche Kosten tragen, die in einem Bereich von ca. 1% bis 1,5% der Gesamtausgaben liegen, wobei wir auch hier den unteren Rand wegen der aus der Datenproblematik resultierenden Unsicherheit ansetzen. Diese Einschätzung beruht insbesondere auf folgenden Fakten: • Die vorgelegten empirischen Fakten haben gezeigt, dass sich die economies of scale im Straßenbereich auf der Kosten- bzw. Ausgabenseite in einer Größenordnung von ca. 20% bis 25% der Ausgaben eines durchschnittlichen Flächenlandes bewegen. • Der Ausgabenanteil (bezogen auf die Nettoausgaben) im Straßenbereich lag in den letzten Jahren in den westdeutschen Flächenländern durchschnittlich bei ca. 5%. • Aus der Verknüpfung beider Kosteninformationen lässt sich der angegebene Streubereich einer Pro-Kopf-Mehrbelastung von ca. 1% bis 1,5% ableiten. Entgegen unserer Feststellung im Abwasserbereich ergeben unsere Untersuchungsergebnisse im Straßenbereich aber keine begründeten Verdachtsmomente für einen u-förmigen Verlauf der Kostenkurve. Die Ursache hierfür ist, dass der Rückgang der Streckenlänge und der Straßenflächen mit steigender Siedlungsdichte deutlich überproportional ist. Dies kommt auch in den Staßenbauausgaben der beiden Stadtstaaten zum Ausdruck. Im Zeitraum von 1977 bis 1996 lagen diese real bei jahresdurchschnittlich ca. 102 DM in Bremen bzw. ca. 90 DM in Hamburg (je Einwohner) und waren damit deutlich geringer als der Durchschnitt in den Flächenländern, der mehr als doppelt so hoch lag. Unsere Befunde legen eher den Verdacht nahe, dass sich in diesem Bereich das Brecht'sehe Gesetz über den gesamten Wertebereich der Bevölkerungsdichte umkehrt und damit die Stadtstaaten bei der Ausgabenbelastung noch deutlich unterhalb des Durchschnitts der Flächenländer liegen. Allerdings wären den Kosteneinsparungen im Straßenbereich bei den höher verdichteten Regionen die Kosten für andere ,stadtspezifische 4 Verkehrsträger, wie S-Bahnen, U-Bahnen und Straßenbahnen gegenzurechnen, die in der Regel aber nur in sehr großen Städten zu finden sind. Hier können keine Vergleiche zwischen dünn und dicht besiedelten Regionen durchgefühlt werden, da diese Verkehrssysteme in dünn besiedelten Regionen nicht vorhanden sind! Bei der Betrachtung des OPNV wäre jedoch zu beachten, dass diese zu einem erheblichen Teil durch Verkaufserlöse finanziert werden, während Ländern und Gemeinden aus der Straßennutzung keine unmittelbaren Nutzungsentgelte zufließen.

74

D. Siedlungsstruktur, Bevölkerungsballung und öffentliche Ausgaben

I I I . Der Schulbereich Ein weiterer Aufgabenbereich, bei dem sich aufgrund der Notwendigkeit einer flächendeckenden Versorgung Verdachtsmomente in Richtung von Kostendifferentialen in Abhängigkeit von der Bevölkerungsdichte ergeben, ist der Schulbereich. Auch hier wollen wir zunächst die Ausgabenbedeutung des Bereichs untersuchen und dann eine Analyse der räumlichen Streuung des Schulangebots präsentieren. Abschließend werden die Kosten bzw. Ausgaben im Schulbereich in Abhängigkeit von der Siedlungsdichte ausgeweitet.

Zur quantitativen Bedeutung des Schulbereichs und der Struktur der Schulausgaben Tabelle DIII.l zeigt für die westdeutschen Länder die auf den Aufgabenbereich »Schulen einschließlich vorschulischer Erziehung4 entfallenden Nettoausgabenund Bauinvestitionsanteile in den Jahren 1980 und 1996. Auf der Landesebene werden ca. 20% der gesamten Nettoausgaben für den Schulbereich aufgewendet, bei den Stadtstaaten liegt die Quote bei ca. 15%. In etwa vergleichbar ist auch der Anteil der Bauinvestitionen an den Gesamtbauinvestitionen, die auf den Schulbereich entfallen.

Tabelle DIIL1 Nettoausgaben- und Bauinvestitionsanteil des Aufgabenbereichs ,Schulen, einschließlich vorschulischer Erziehung' in Westdeutschland^ Anteil an den gesamten Nettoausgaben

Anteil an den gesamten Bauinvestitionen

Flächenländer und Gemeinden: -1980 -1996

18,1% 17,1%

14,7% 16,7%

Flächenländer: -1980 -1996

20,1% 19,5%

2,2% 0,4%

15,6% 14,6%

15,0% 26,9%

14,3% 13,7%

16,6% 19,7%

Bremen und Hamburg -1980 -1996 Gemeinden -1980 -1996

Quelle: Berechnet aus Angaben des Statistischen Bundesamtes, Wiesbaden. 1) Die Gesamtnettoausgaben wurden aufgrund der Umstellung der Statistik im Jahr 1992 um die Ausgaben im Krankenhausbereich bereinigt.

75

III. Der Schulbereich

Auf der Gemeindeebene werden ca. 14% der gesamten Nettoausgaben und ca. 18% der gesamten Bauinvestitionsausgaben für den Schulbereich verausgabt. Tabelle DIII.2 Ausgabenstruktur im Schulbereich auf kommunaler Ebene 1997 in Westdeutschland (unmittelbare Ausgaben) Schulbereich Schulverwaltung Grund- und Hauptschulen Übrige allgemeinbildende Schulen Berufsschulen Schülerbeförderung übrige schulische Aufgaben

%-Anteil 4,2 34,5 36,2 13,1 8,6 3,4

Quelle: Berechnet aus Angaben des Statistischen Bundesamtes.

Die Tabelle DIII.2 zeigt die kommunale Ausgabenstruktur im Schulbereich 30 in den westdeutschen Flächenländern im Jahr 1997. Mehr als 70% der Schulausgaben werden für die allgemeinbildenden Schulen und ca. 13% für die Berufsschulen aufgewendet. Auf die Schülerbeförderung entfällt ein Anteil von ca. 8,6% der gesamten kommunalen Schulausgaben. Im Schulbereich gibt es eine mehr oder weniger strikte Trennung der Zuständigkeiten von Ländern und kommunaler Ebene. Während die kommunale Ebene insbesondere für den Bau und Unterhalt von Schulen zuständig ist, tragen die Länder die Aufwendungen für das Lehrpersonal. Diese Aufgabenverteilung spiegelt sich auch in der Ausgabenverteilung auf beiden Ebenen wider. So wurden 1996 in den westdeutschen Ländern ca. 82,5% der gesamten Personalausgaben im Schulbereich von den Ländern getätigt, während nahezu 100% der Schulbauinvestitionen von der kommunalen Ebene getragen wurden. 31 Insgesamt entfielen in den westlichen Flächenländern 1996 ca. 70% der Gesamtausgaben im Bereich ,Schulen4 auf die Länder und ca. 30% auf die Kommunen.

Die Schulausstattung in Abhängigkeit siedlungsstruktureller Charakteristika Nach einem Blick auf die aggregierte Ebene wenden wir uns nun einer detaillierten Untersuchung der Versorgung mit Schulen in Abhängigkeit von der Siedlungsdichte zu. Betrachten wir nun zunächst das Schulangebot in Abhängigkeit 30 Vergleichbare Angaben auf Länderebene sind leider nicht verfügbar. 31 Allerdings bezuschussen die Länder die Bauinvestitionen der Kommunen in erheblichem Umfang. Ferner werden in nahezu allen kommunalen Finanzausgleichssystemen besondere Schullasten abgegolten.

76

D. Siedlungsstruktur, Bevölkerungsballung und öffentliche Ausgaben

von der Siedlungsdichte auf der Ebene der Kreise. Dazu haben wir auf Kreisebene für alle Schultypen folgende Regressionsmodelle geschätzt: (DIII.l)

Log (Schulen/Einwohner) = Konstante + ßLog(Dichte) + aLog(Schüler/Einwohner) + Länderkontrollvariablen + Störterm .

Mit Hilfe dieser Regressionsgleichung wird die Frage untersucht, ob es einen systematischen Zusammenhang zwischen der Ausstattung mit Schulen (Schulen je Einwohner) auf der einen Seite und der Schülerdichte (Schüler je Einwohner) sowie der Bevölkerungsdichte auf der anderen Seite gibt. Völlig klar ist das Vorzeichen des Parameters a: Dieser Parameter muss positiv sein, da mit zunehmender Schülerdichte auch der Bedarf an Schulen steigt. A priori unklar ist aber das Vorzeichen des Dichteparameters ß. Da die Schulsysteme über die Länder variieren, wurden ferner Kontrollvariablen in Form von Dummies für die Länder in die Regressionsgleichung aufgenommen. Da die geschätzten Parameter der Kontrollvariablen für die Interpretation der Schätzergebnisse nicht relevant sind, werden sie nachfolgend auch nicht ausgewiesen. Es wurden Daten zur Anzahl der Schulen nach den verschiedenen Schulformen auf der Ebene der Kreise in Westdeutschland im Jahr 1994 verwendet. In der Tabelle DIII.3 sind die Ergebnisse unserer Schätzungen ausgewiesen. Wie die Resultate verdeutlichen, ist die Siedlungsdichte bei allen Schultypen signifikant negativ Tabelle DHU Regressionsergebnisse für die Abhängigkeit der Ausstattung mit Schulen von der Siedlungsdichte in den westdeutschen Kreisen 1994 Grund- / Hauptschulen: Realschulen: Gesamtschulen: Gymnasien:

2 ß = -0.135 (10.7); α = 0,510(10.7) R = 0,75; Ν = 327 2 ß = -0.038 (3.1); α = 0,948(22.5) R = 0,81;ΛΓ = 327 2 ß = -0.081 (3.5); α = 0,557(10.9) R = 0,91;W = 209 2 ß = -0.055 (4,2); α = 0,963(22.9) R = 0,75; TV = 324

mit der Schulausstattung korreliert. Die deutlichsten Effekte sind bei den Grundund Hauptschulen feststellbar, gefolgt von den Gymnasien, während der geringste Effekt für die Realschulen ermittelt wurde. Wegen der unterschiedlichen Verbreitung der Gesamtschulen sind die Resultate bezüglich dieses Schultyps mit Zurückhaltung zu interpretieren. Unsere Schätzungen implizieren, dass eine Verdopplung der Siedlungsdichte zu einem Minderbedarf an Schulgebäuden in Höhe von ca. 13% bei den Grund-/Hauptschulen, ca. 6% bei den Gymnasien und ca. 3% bei den Realschulen führt. Somit müssen in ländlichen Räumen - relativ gesehen deutlich mehr Schulen eingerichtet werden als in verdichteten und auch »normal4 besiedelten Regionen. Abbildung DIII.l zeigt die Enge des Zusammenhangs zwischen dem Besatz mit Grund- und Hauptschulen und der Bevölkerungsdichte für

77

III. Der Schulbereich

die Gesamtheit der westdeutschen Kreise (ohne Berlin). Auf die Darstellung der Verhältnisse in den neuen Ländern haben wir bewusst verzichtet, da sich diese Daten auf das Jahr 1994 beziehen und der Umstrukturierungsprozess im Schulbereich der neuen Länder zu diesem Zeitpunkt sicherlich noch nicht vollends abgeschlossen war. Die Tabelle DIII.4 zeigt ergänzend zu unseren regressionsanalytischen Untersuchungen die ,Schuldichte', gemessen in Schulen je 100.000 Einwohner im Jahr Tabelle DIII.4 Schulbesatz in Westdeutschland 1994 nach den siedlungsstrukturellen Kreistypen (Schulen je 100.000 E W ) 1 } GH

REA

GES

GYM

SON

/. Hochverdichtete Regionen 1.1 Kernstädte 1.2 hochverdichtete Kreise 1.3. verdichtete Kreise 1.4. ländliche Kreise

23,5 19,8 25,4 26,8 31,9

3,4 3,0 3,5 3,7 5,1

1,9 1,8 1,5 2,4 4,3

3,7 4,0 3,6 3,3 3,1

4,2 3,8 4,4 4,1 5,4

II. Regionen mit Verdichtungsansätzen II. 1 Kernstädte II.2 verdichtete Kreise II.3 ländliche Kreise

31,6 22,3 32,8 34,3

4,4 4,3 4,0 5,4

2,4 2,7 2,1 3,0

3,7 5,0 3,3 3,9

5,0 5,2 4,9 5,1

III. Ländlich geprägte Regionen III.l verdichtete Kreise III.2 ländliche Kreise

35,1 33,4 33,2

4,6 4,3 5,0

1,5 1,5 1,5

3,6 3,5 3,8

5,5 6,2 4,7

Quelle: Berechnet aus Angaben der BBR. 1) GH = Grund- und Hauptschulen, REA = Realschulen, GES = Gesamtschulen, GYM = Gymnasien, SON = Sonderschulen.

1994 für 5 Schultypen, wobei die Angaben nach siedlungsstrukturellen Kreistypen differenziert aufgeführt sind. Um transformationsbedingte Verzerrungen auszuschalten, wurden nur die Daten für die westdeutschen Kreise (ohne Berlin) ausgewertet. Allerdings muss beachtet werden, dass die Tabelle nicht problemlos zu interpretieren ist, da die einzelnen Länder unterschiedliche Schulstrukturen aufweisen.32 Als besonders problematisch sind sicherlich die Angaben über die Gesamtschulen anzusehen, da es z. B. in Bayern 1994 kaum Gesamtschulen gab, so dass wir diese bei unserer Interpretation vernachlässigen. Auch hier spiegelt sich das bereits bei den Regressionen ersichtliche Bild, nämlich der Anstieg im Schulbesatz mit geringer werdender Siedlungsdichte, wider. 33 Aus der Tabelle, aber auch aus 32 Die Regressionsanaylsen in (III.l) berücksichtigen durch die Kontrollvariablen länderspezifische Eigenarten und weisen daher ein solches Problem nicht auf!

78

D. Siedlungsstruktur, Bevölkerungsballung und öffentliche Ausgaben

den Parameterschätzungen der Regressionsmodelle lässt sich ableiten, dass in ländlichen Räumen je 100.000 EW im Vergleich zu Regionen mit Verdichtungsansätzen siedlungsstrukturbedingt mindestens ca. 4 Haupt-/ Grundschulen mehr gebaut werden müssen. Im Vergleich zu hochverdichteten Regionen ergibt sich sogar ein Mehrbedarf von ca. 12 Haupt-/ Grundschulen und ca. einer Realschule je 100.000 Einwohner. Bei Gymnasien ist der Unterschied zwischen ,normal4 besiedelten Räumen und ländlichen Regionen sehr gering. Der Unterschied im Schulbesatz zwischen städtischen und ländlichen Regionen liegt bei Gymnasien in etwa bei einer Schule je 100.000 Einwohner. Der höhere Besatz mit Sonderschulen in ländlichen bzw. gering verdichteten Räumen ist sicherlich der Reflex einer bewussten Standortplanung und soll daher hier unbeachtet bleiben.

5,7

6,7

Log der Bevölkerungsdichte Quelle: Berechnet mit Datenmaterial der BBR.

Abbildung DIU. 1 : Anzahl der Grund- und Hauptschulen je 100.000 Einwohner in Abhängigkeit von der Siedlungsdichte in den westdeutschen Kreisen 1994

Geschätzt wurden ferner Regressionen der folgenden Form: Schüler/Schule = Konstante + β · Dichte + a · Schüler/Einwohner + Kontrollvariable für Ostdeutschland + Länderkontrollvariablen + Störterm

mit deren Hilfe die ,Größe4 der Schule in Abhängigkeit von der Siedlungsdichte untersucht wird. Hier zeigten sich durchgängig hochsignifikante positive Schätzungen für den Dichteparameter ß, d. h. mit zunehmender Siedlungsdichte sind die Schulen größer, was man aufgrund der Schuldichte auch schon erwarten muss, so dass wir auf die Tabellierung der Schätzergebnisse verzichten können, da uns diese keine neuen Informationen liefern. Regressionsanalytisch untersucht wurde auch 33 Nur am Rande sei festgehalten, dass sich auch das interessante Ergebnis zeigt, dass Sonderschulen (für ζ. B. lernbehinderte oder gehörlose Schüler) eher in ländlichen Räumen als in Ballungsgebieten angesiedelt werden.

III. Der Schulbereich

79

Tabelle DIII.5 Anteil der schulpflichtigen Altersgruppen an der Gesamtbevölkerung 1996 nach den siedlungsstrukturellen Kreistypen in % Westdeutschland

Ostdeutschland

5-18

18-25

5-18

18-25

I. Hochverdichtete Regionen 1.1 Kernstädte 1.2 hoch verdichtete Kreise 1.3. verdichtete Kreise 1.4. ländliche Kreise

13.0 11.8 13.4 13.7 14,3

7.2 7.2 7.2 7.1 7.5

16.8 15.3 15.5 16.6 17.5

7.5 7.5 7.0 7.6 7.5

II. Regionen mit Verdichtungsansätzen II. 1 Kernstädte II.2 verdichtete Kreise II.3 ländliche Kreise

14.1 11.7 14.4 14.9

7.8 8.1 7.6 7,8

16.6 16,3 16.1 17.3

7.6 7.9 7.4 7.7

III. Ländlich geprägte Regionen III. 1 verdichtete Kreise III.2 ländliche Kreise

14.0 13.6 14.6

7.8 7.7 7.9

18.0 17.1 18.5

7.9 7.8 8.0

Quelle: Berechnet aus den Daten der laufenden Raumbeobachtung der BBR, Bonn.

Anzahl der Schulen je 100.000 Einwohner

Siedlungsdichte

Schüler je Schule

Siedlungsdichte

Abbildung DIII.2: Schulen und Schulgrößen in Abhängigkeit von der Siedlungsdichte

die Abhängigkeit der Schülerzahlen von der Siedlungsstruktur. Hier haben wir festgestellt, dass es in den Relationen der Schüler zur Gesamtbevölkerung kaum Unterschiede zwischen Kreisen unterschiedlicher siedlungsstruktureller Zugehörigkeit gibt. Das erklärt sich durch die in Tabelle DIII.5 ausgewiesenen Strukturdaten der Bevölkerungsanteile i m Alter von 5 bis 8 Jahren und von 18 bis 24 Jahren, die über die Regionstypen kaum systematisch variieren. Allerdings gibt es zwi-

80

D. Siedlungsstruktur, Bevölkerungsballung und öffentliche Ausgaben

sehen Ost- und Westdeutschland markante Unterschiede, da der Anteil der Bevölkerung im schulpflichtigen Alter zwischen 5 und 18 Jahren in den neuen Ländern nahezu 4% über dem Durchschnitt in den alten Ländern liegt. Diese Relationen haben sich bereits und werden sich auch in nächster Zukunft weiterhin deutlich verändern, da infolge des Geburtenrückgangs in den neuen Ländern der Anteil junger Menschen dramatisch sinken wird. Dies wird in den neuen Ländern zu erheblichen Effekten in der regionalen Organisation des Schulstandortsystems führen, siehe ζ. Β. Fickermann, Schulzeck und Weishaupt (2000). Tabelle DIII.6 Schulstatistische Kennziffern im Jahr 1997 in Baden-Württemberg Einwohnerdichte der Kreise: EW je qkm Landkreise 1 8 0

kreisfreie Städte

Schulen je 100.000 EW Grundschulen Hauptschulen Realschulen Gymnasien

31,0 15,4 4,7 3,5

25,1 12,0 4,2 3,5

14,2 7,6 3,1 4,1

Schüler je Schule Grundschulen Hauptschulen Realschulen Gymnasien

187 157 474 612

189 168 491 704

251 193 420 609

Schüler je Lehrer Grund und Hauptschulen Realschulen Gymnasien

19,9 18,4 15,5

19,9 18,5 14,9

19,5 17,2 13,5

Lehrer je Schule Grund- und Hauptschulen Realschulen Gymnasien

8,3 25,8 39,5

9,2 26,5 47,2

11,8 24,5 45,1

Quelle: Berechnet aus: ,Schulstatistische Daten in regionaler Gliederung', Aufbereitung des Statistischen Landesamtes von Baden-Württemberg, Mai 1999. 1) Teilzeitbeschäftigte Lehrer wurden in Vollbeschäftigte umgerechnet.

Es lässt sich zusammenfassend feststellen: Je geringer die Siedlungsdichte ist, desto mehr Schulen müssen je Einwohner errichtet werden. Diese Schulen sind im Durchschnitt auch deutlich kleiner als die Schulen in höher verdichteten Regionen. Diese Zusammenhänge haben wir in der Abbildung DIII.2 schematisch dargestellt. Die aufgezeigten economies of scale messen jedoch lediglich einen physischen

III. Der Schulbereich

81

Mehraufwand - d. h. konkret mehr Schulen je Einwohner - ländlicher Gebiete und sagen noch nichts über die damit verbundene Kostenbelastung aus. Das werden wir noch ausführlich untersuchen, wobei wir zeigen werden, dass sich der Mehrbedarf ländlicher Räume auch in zum Teil deutlich höheren Ausgaben niederschlägt. Die bisher aufgezeigten Befunde stehen auch im Einklang mit Erkenntnissen der bildungspolitischen Fachliteratur, siehe ζ. B. Weishaupt (1988). In dieser Literatur ist man sich der Probleme der Schulversorgung in ländlichen Räumen, die aus der höheren Fixkostenbelastung resultieren, sehr wohl bewusst und die Problematik wird auch politisch zur Kenntnis genommen. So hat die Bundesregierung 1981 im Bildungsplan II, Stand März 1981 im Hinblick auf die Schulversorgung in ländlichen Räumen festgehalten: „Zur Sicherung eines wohnnahen Bildungsangebots und zur Vermeidung von hohen Schulwegbelastungen der Schüler müssen teilweise Schulen weitergeführt werden, in denen einzelne Räume nicht, nur mit geringem Nutzungsgrad oder nur mit unterdurchschnittlichen Klassenfrequenzen genutzt werden". 34 Diese Feststellung wurde insbesondere auch vor dem drastischen Rückgang der Schülerzahlen in den 80er Jahren in Westdeutschland getroffen. Eine derartige Entwicklung steht - bedingt durch den drastischen Einbruch der Geburtenzahlen nach der Wende - auch den neuen Ländern in den nächsten 10 Jahren bevor, wobei sich die ersten Effekte bereits in den Grundschulen eingestellt haben. Dies impliziert, dass man zur Vermeidung sehr langer Schulwege, aber auch im Hinblick auf das grundgesetzliche Gebot der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse bereit ist, eine überdurchschnittliche Belastung mit Ausgaben für Schulen in ländlichen Räumen zu akzeptieren. Die bisherigen Analysen haben weitgehend nur die kommunale Ausgabenbelastung betrachtet, da die Kommunen für Bau und Unterhalt von Schulgebäuden zuständig sind. Allerdings beteiligen sich auch die Länder direkt und indirekt an diesen Kosten. Indirekt erfolgt eine Kostenbeteiligung durch die laufenden Übertragungen der Länder an die Kommunen. Ferner gibt es eine indirekte und auch direkte Kostenbeteiligung durch allgemeine oder zweckgebundene Investitionszuweisungen bzw. -Zuschüsse der Länder an die kommunale Ebene. Die Länder selbst tragen direkte Ausgabenbelastungen im Schulbereich insbesondere durch den Personalaufwand für die Lehrer. Datenmaterial über die regionale Aufgliederung der Personalausgaben der Länder im Schulbereich und auch Angaben über Lehrer auf regionaler Ebene (d. h. insbesondere der Kreisebene) stehen uns jedoch nicht flächendeckend zur Verfügung. Lediglich für das Land Baden-Württemberg konnten wir Angaben über Schüler, Lehrer und Schulen auf Kreisebene ausfindig machen und auswerten. Diese Daten haben wir in der Tabelle DIII.6 aufbereitet, wobei wir die Kreise des Landes Baden-Württemberg nach Landkreisen und Stadt-

34

Deutscher Bundestag, Entwurf der Fortschreibung des Bildungsgesamtplans, Bericht der Bundesregierung zum Stand der Beratungen sowie zum weiteren Verfahren der BundLänder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, BT-Drucksache 9/2012 vom 1. 10. 1982. 6 Seitz

82

D. Siedlungsstruktur, Bevölkerungsballung und öffentliche Ausgaben

kreisen (kreisfreie Städte) untergliedert haben. Die Landkreise wurden wiederum nach der Siedlungsdichte untergliedert, wobei als Abschnittsgrenze eine Bevölkerungsdichte von 180 EW je qkm gewählt wurde. Bei den Daten von Baden-Württemberg bestätigt sich der bereits für Westdeutschland aufgezeigte Befund, dass der Schulbesatz (Schulen je 100.000 EW) in den ländlichen Kreisen deutlich höher ist als in hochverdichteten Kreisen oder Stadtkreisen. Das gilt für Grund- und Hauptschulen sowie etwas abgeschwächt für Realschulen, aber - im Gegensatz zum westdeutschen Durchschnitt - nicht für Gymnasien. In Baden-Württemberg sind die Grund- und Hauptschulen in den ländlichen Räumen deutlich kleiner (gemessen an der Relation Schüler je Schule) als in den kreisfreien Städten, während es bei Gymnasien und Realschulen kaum Unterschiede gibt, bzw. die Realschulen in ländlichen Räumen sogar etwas größer sind als in den kreisfreien Städten. Die auf die Lehrer bezogenen Daten deuten - zumindest für Baden-Württemberg - darauf hin, dass es hier wohl keine signifikanten economies oder diseconomies of scale in der Siedlungsdichte gibt. In der Tendenz ist der Lehrerbesatz (gemessen in Schülern je Lehrer) in den verdichteten Städten sogar etwas kleiner als in ländlichen Gemeinden. Statistische Tests zeigten aber, dass dieser Befund statistisch nicht signifikant ist. Die Befunde auf Basis der Daten des Landes Baden-Württemberg bedeuten, dass man im Hinblick auf die (Pro-Kopf-)Ausgaben der Länder für die Lehrer den Schluss ziehen muss, dass diese Aufwendungen offensichtlich weitgehend siedlungsstrukturneutral sind. Nicht siedlungsstrukturneutral sind hingegen die Zuweisungen und Zuschüsse für laufende Zwecke sowie für Investitionen, die die Länder an die Städte, Gemeinden, Landkreise und Gemeindeverbände direkt oder indirekt für den Schulbereich aufwenden müssen.

Kostenaspekte

Nachdem wir uns bisher nur mit physischen Ausstattungsmerkmalen beschäftigt haben, wollen wir in einem abschließenden Untersuchungsschritt die Kostenseite beleuchten. Ein Vergleich der Ausgaben für den Schulbereich auf der Länderebene hat wohl kaum einen hohen Aussagewert. Das hat mehrere Gründe: • Die Schulsysteme zwischen den Ländern differieren erheblich. • Zwischen den westdeutschen Flächenländern gibt es nur geringe Unterschiede in der Siedlungsdichte und der Beobachtungsumfang ist zu gering, um statistisch zuverlässige Aussagen abzuleiten. • Die neuen Länder sind im Schulbereich mit Sicherheit nicht mit den alten Ländern vergleichbar. Das liegt daran, dass die Schulbereiche in den neuen Ländern bis zum Jahr 1996 (nur bis zu diesem Jahr liegen uns auf Länderebene Angaben über die Nettoausgaben im Schulbereich vor) sicherlich noch nicht gänzlich umgestaltet wurden. Die Schülerzahlen sind außerdem - relativ zur Gesamtbevölkerungszahl - in den neuen Ländern immer noch erheblich größer als in den

III. Der Schulbereich

83

alten Ländern, was auf die unterschiedlichen soziodemographischen Strukturen in Ost- und Westdeutschland in den Jahren vor der Wende zurückzuführen ist. So verbleibt als einzige ausbeutbare Informationsquelle die Statistik der Ausgabenstrukturen der Gemeinden in den westdeutschen Flächenländern. Wir haben daher wiederum die unmittelbaren Pro-Kopf-Ausgaben der westdeutschen Kommunen, die uns als Sonderaufbereitung vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden zur Verfügung gestellt wurden, nach Gemeindegrößenklassen untersucht. Die Abbildung DIII.3 zeigt für die Gesamtheit der Kommunen die Pro-KopfAusgaben im Aufgabenbereich ,Grund- und Hauptschulen4, wobei im Abbildungsteil a) die Ausgaben der kreisangehörigen Gemeinden nebst den Ausgaben der Landkreise sowie der Amter, Samtgemeinden und Verbandsgemeinden aufbereitet sind, während im Abbildungsteil b) die Ausgaben der kreisfreien Städte ausgewertet werden. Bei den kreisfreien Städten lässt sich kein klarer Zusammenhang zwischen der Größe der Städte und den Pro-Kopf-Ausgaben feststellen. Im Durchschnitt geben die kreisfreien Städte je Einwohner ca. 89 DM für diesen Schulbereich aus. Bei den kreisangehörigen Gemeinden liegen die durchschnittlichen ProKopf-Ausgaben bei ca. 97 DM. Diese sind noch um ca. 9 DM je Einwohner um die Ausgaben der Landkreise zu erhöhen. Ferner sind noch die Ausgaben der Gemeindeverbände (Ämter, Samtgemeinden und Verbandsgemeinden) von ca. 93 DM hinzuzurechnen, wobei diese Ausgaben nahezu gänzlich den Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern, und hier insbesondere den Gemeinden unter 3.000 Einwohnern, ,zuzuschlagen4 sind. Dies impliziert, dass im Bereich der Grund- und Hauptschulen, wie das auch die ,physischen Schulausstattungsindikatoren4 angedeutet haben, economies of scale klar erkennbar sind, 35 die wegen der bereits mehrfach angesprochenen Endogenitätsproblematik sogar unterschätzt werden. Noch transparenter wird dieser Effekt, wenn man sich die Zahlen für die BadenWürttembergischen Kommunen anschaut, die in der Abbildung DIII.4 aufbereitet sind. Die Zahlen für Baden-Württemberg haben den Vorteil, dass sie nicht durch Ausgaben von Amtern, Samtgemeinden oder Verbandsgemeinden ,verzerrt 4 sind, da es solche dort nicht gibt. Ferner tätigen die Landkreise in Baden-Württemberg keine unmittelbaren Ausgaben für Grund- und Hauptschulen, so dass auch diese den Vergleich erschwerenden Zahlungen entfallen. Die im Abbildungsteil b) dargestellten Ausgaben der kreisfreien Städte lassen, wie auch für Westdeutschland insgesamt, keine klare Systematik erkennen. Auf der Ebene der kreisangehörigen Gemeinden, siehe Abbildungsteil a), sind jedoch deutliche economies of scale identifizierbar, wobei lediglich die Kleinstgemeinden etwas aus dem Muster herausfallen. Hier ist aber zu vermuten, dass diese Ausgaben durch die Aufwendungen für den Schülertransport mehr als kompensiert werden, da für die Landkreise in Baden-Württemberg hierfür Pro-Kopf-Aufwendungen von ca. 41 DM ausgewiesen werden und zu vermuten ist, dass diese besonders in den ländlichen Räumen anfal35 Hierbei ist zu beachten, dass die Ausgaben der Ämter und Landkreise noch den Ausgaben der Kommunen zuzuschlagen sind!

6*

84

D. Siedlungsstruktur, Bevölkerungsballung und öffentliche Ausgaben

len. Auf der Basis der Angaben der Kommunen in Baden-Württemberg ist anzunehmen, dass die Kosten der Schulversorgung im Bereich der Haupt- und Grundschulen in dünn besiedelten ländlichen Räumen um mindestens ca. 40% über den Kosten »normal4 besiedelter Räume und sogar um ca. 50% über den Pro-Kopf-Aufwendungen für Grund- und Hauptschulen in städtischen Gebieten liegen. Auch hier muss wieder wegen der Endogenitätsproblematik davon ausgegangen werden, dass unsere Kostendifferentialschätzung die Mehrbelastung der dünn besiedelten Räume eher unter- als überschätzt! Es muss aber auch nochmals in Erinnerung gerufen werden, dass diese Einschätzung nur die kommunalen Schulausgaben, nicht aber die Ausgaben für Lehrer betrifft.

Tabelle DIIL7 Pro-Kopf-Ausgaben für den Schülertransport auf kommunaler Ebene in Westdeutschland insgesamt sowie im Bundesland Baden-Württemberg 1997 Westdeutsche Flächenländer insgesamt

BadenWürttemberg

Kreisfreie Städte - 500.000 und mehr - 200.000-500,000 - 100.000 - 200.000 - 50.000-100.000 - 20.000- 50.000

6,8 8,6 20,1 17,7 25,9

24,0 29,5 45,3 20,6 _D

Durchschnitt insgesamt

11,5

31,6

4,3 2,5 3,1 4,7 7,1 8,1 4,4 4,1 27,8

7,4 3,4 3,6 3,1 2,8 1,8 1,6 _2) 40,9

32,9

43,8

Einwohnergrößenklasse

Kreisanghörige Gemeinden - 100.000 - 200.000 - 50.000-100.000 - 20.000-50.000 - 10.000 - 20.000 - 5.000-10.000 - 3.000-5.000 - unter 3.000 - Ämter, Samtgemeinden, Verbandsgemeinden - Landkreise Durchschnitt insgesamt

Quelle: Berechnet aus den unmittelbaren Ausgaben (Statistisches Bundesamt). 1) In dieser Größenklasse gibt es in BW keine Stadt. 2) In BW gibt es keine Ämter, Samtgemeinden oder Verbandsgemeinden.

85

III. Der Schulbereich

8,9 £ X

92,7 l!

Lü Anter usw.

56,1 1

1

93,1 101,2 101,5

Ρ1)
500

20

40

60

80

100

120

DM je Einwohner (1997) Quelle : Berechnet aus einer Datensonderaufbereitung des Statistischen Bundesamtes.

Abbildung DIII.4b: Unmittelbare Pro-Kopf-Ausgaben der kreisfreien Städte 1997 im Aufgabenbereich,Grund- und Hauptschulen* in Baden-Württemberg

87

III. Der Schulbereich

43,7

Landkreise

22,2

Ämter usw.

24,7

5-10 10-20

59,1

88,8

20-50

118,8

50-100

113

>100 0

20

40

60

80

100

120

140

DM je Einwohner (1997) Quelle: Berechnet aus einer Datensonderaufbereitung des Statistischen Bundesamtes.

Abbildung DIII.5a: Unmittelbare Pro-Kopf-Ausgaben der kreisangehörigen Gemeinden, sowie der Landkreise, Ämter, Verbandsgemeinden und Samtgemeinden 1997 im Aufgabenbereich,Übrige allgemeinbildende Schulen' in Westdeutschland insgesamt

122,9

20-50

C

Q) £

148,1

50 -100

113,9

100-200

112,4

O) 200 - 500