Ein Bild von Skulptur: Der Einfluss der Fotografie auf die Wahrnehmung von Bildhauerei 9783839445440

Between instrumentalization and interpretation - photography of sculptures in German history.

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German Pages 324 Year 2018

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Table of contents :
Inhalt
Dank
Einleitung
1. Bedingungen der Skulpturfotografie
2. Dreidimensionalität
3. Materialität
4. Im Hintergrund der Skulptur – von Isolation bis Standortbezug
5. Skulptur im Atelier
6. Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches
7. Ein Bild von Skulptur
Literaturverzeichnis
Liste der untersuchten Bildbände
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Ein Bild von Skulptur: Der Einfluss der Fotografie auf die Wahrnehmung von Bildhauerei
 9783839445440

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Karoline Schröder Ein Bild von Skulptur

Image  | Band 142

Karoline Schröder, geb. 1982, ist Kunsthistorikerin, museale Kunstvermittlerin, Diplom-Designerin und Künstlerin. Sie studierte an der Kunstakademie Düsseldorf Bildhauerei und promovierte dort bei Guido Reuter im Fach Kunstgeschichte.

Karoline Schröder

Ein Bild von Skulptur Der Einfluss der Fotografie auf die Wahrnehmung von Bildhauerei

Zgl. Dissertation Kunstakademie Düsseldorf Veröffentlicht mit freundlicher Unterstützung der Dr. Werner Jackstädt Stiftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Nachlass Norbert Kricke Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4544-6 PDF-ISBN 978-3-8394-4544-0 https://doi.org/10.14361/9783839445440 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Dank | 7 Einleitung | 9 (De-)Kontextualisierung von Skulptur | 11 Produktions- und Präsentationskontext | 15 Methodik | 19

1 Bedingungen der Skulpturfotografie | 21 1.1 „ Wie man Skulpturen aufnehmen soll“ – Skulpturfotografie im Diskurs | 27 1.2 Die Rolle der Fotografen | 50 1.3 Produktionsbedingungen | 53

2 Dreidimensionalität | 57 2.1 Die Abbildung verschiedener Ansichtsseiten einer Skulptur | 58 2.2 Plastizität | 76 2.3 Skulptur und Raum | 86 2.4 Zwischenresümee | 99

3 Materialität | 101 3.1 Wahrnehmung von Materialität in der Fotografie | 102 3.2 Gips als bevorzugtes Material der fotografischen Wiedergabe | 104 3.3 Material als Bedeutungsträger in der Kunstgeschichte | 122 3.4 Materialität und Abstraktion | 134 3.5 Der Verlust der Farbe | 144 3.6 Zwischenresümee | 151

4 I m Hintergrund der Skulptur – von Isolation bis Standortbezug | 153 4.1 Vollständige Isolation durch monochrome Hintergründe | 154 4.2 Kritik an der Ortlosigkeit | 157

4.3 G  rößtmögliche Präsenz der Skulptur unter Berücksichtigung der Umgebung | 160 4.4 Skulptur und Architektur – Standortbezüge | 172 4.5 Skulptur und Natur | 194 4.6 Zwischenresümee | 204

5 Skulptur im Atelier | 205 5.1 Traditionen der Atelierfotografie | 208 5.2 Produktion von Skulptur | 210 5.3 Präsentation von Skulptur im Atelier | 238 5.4 Zwischenresümee | 257

6 Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches | 259 6.1 Ordnungsprinzipien in Kunstbildbänden | 260 6.2 Kurt Lothar Tank: Deutsche Plastik unserer Zeit, 1942 | 264 6.3 Carola Giedion-Welcker: Plastik des XX. Jahrhunderts, 1955 | 271 6.4 Peter H. Feist: Plastik in der DDR, 1965 | 286 6.5 Zwischenresümee | 296

7 Ein Bild von Skulptur | 297 7.1 S kulpturfotografie in Wechselwirkung mit historischen Entwicklungen | 297 7.2 Plädoyer für die Skulpturfotografie | 302

Literaturverzeichnis | 305 Liste der untersuchten Bildbände | 317

Dank Diese Publikation stellt die Veröffentlichung meiner im September 2017 an der Kunstakademie Düsseldorf eingereichten Dissertation mit dem Titel „Ein Bild von Skulptur. Die Vermittlung bildhauerischer Konzepte durch Abbildungen in Bildbänden von 1920 bis 1970 in Deutschland“ dar. Auf das Thema der Arbeit wurde ich während der Seminare und Exkursionen meiner Studienzeit an der Kunstakademie aufmerksam, bei denen wir die Originale der Museen in Düsseldorf sowie in zahlreichen europäischen Großstädten besichtigten. Die Ansicht der Skulpturen und meine von Abbildungen geprägten Vorstellungen stimmten häufig nicht überein. Aus dieser Beobachtung entwickelte sich die Frage, unter welchem Einfluss die Fotografie von Skulpturen steht und inwiefern Bildhauer die Darstellung ihrer Werke in Printmedien beachten oder lenken. Professor Dr. Guido Reuter ermutigte mich zur Erforschung des Themas und förderte meine Arbeit. Seine Anregungen und seine Begeisterungsfähigkeit haben mir den Weg bis hin zur Veröffentlichung dieses Buches maßgeblich erleichtert. Ich möchte mich herzlich für die Unterstützung und das mir entgegengebrachte Vertrauen bedanken. Ebenso danke ich Professor Dr. Hans Körner, der bereitwillig das Zweitgutachten übernahm und mir mit entscheidenden Hinweisen weiterhalf. Ich danke außerdem von ganzem Herzen meinem Mann Benjamin Zix, meinen Eltern Bärbel und Peter Schröder, meiner Schwester Henrike Schröder, m ­ einen Schwiegereltern Ute und Nikolaus Zix sowie meinen Freundinnen Daniela Knizia und Petra Kather, die mich immer unterstützt und bestärkt haben.

Einleitung Seit der Erforschung der ersten fotografischen Verfahren im 19. Jahrhundert beeinflussten sich Fotografie und bildende Kunst gegenseitig. Auch Skulptur und Fotografie standen seit jeher in enger Verbindung.1 Fotografen nutzten Skulpturen von Beginn an als Motiv, da die Unbeweglichkeit der Werke ermöglichte, trotz langer Belichtungszeiten beste Ergebnisse zu erzielen.2 So wurden Skulpturen zum Hilfsmittel, um die technischen Errungenschaften der Fotografie zu verdeutlichen. Die Skulptur wiederum wurde durch die Fotografie einem größeren Publikum zugänglich gemacht. Während das dreidimensionale Original als Einzelstück oder in kleiner Auflage nur für wenige Menschen zu sehen war, erreichte die Fotografie durch die Veröffentlichung in Printmedien ein Massenpublikum. Zudem boten fotografische Kunstreproduktionen den Vorteil, dass sie mit wenig Mühe ­archiviert, aber auch transportiert werden konnten. Skulpturen wurden daher häufiger in Form einer fotografischen Abbildung betrachtet als in Form des Originals. Mitte des 19. Jahrhunderts nahmen fotografische Verfahren den größten Stellenwert in der Kunstreproduktion ein und lösten Kupferstich und Holzschnitt in kurzer Zeit vollständig als Wiedergabemedium ab. Die Kunstgeschichte stützte sich fortan auf fotografische Abbildungen, die als Belege für kunsthistorische Analysen verwendet wurden. Bereits um 1900 konnte die Fotografie mithilfe serieller Druckverfahren in Verbindung mit Text produziert und massenhaft verbreitet werden. Dadurch wur1 | In der deutschen Sprache wird zwischen den Begriffen Skulptur und Plastik unterschieden. Um Redundanzen zu vermeiden wird in diesem Text der Begriff Skulptur allgemeingültig für alle dreidimensionalen Kunstwerke verwendet. Diese Präferenz wird aus dem englischen Sprachgebrauch abgeleitet. Der Begriff Skulpturfotografie wird ebenfalls auf alle fotografierten dreidimensionalen Werke angewandt. Wird ein konkretes Werkbeispiel besprochen, werden die Begriffe Plastik und Skulptur differenziert verwendet. Abgeleitet von bildhauerischen Herstellungstechniken (lateinisch: sculpere, schnitzen/griechisch: plastikē [téchnē] formbar) werden die Werke, deren Material abgetragen wurde, als Skulpturen bezeichnet (Stein, Holz etc.), und Werke, deren Material aufgetragen wurde, als Plastik (Ton, Gips, Bronze etc.). 2 | Auf genderspezifische Formulierungen wurde aus Gründen der Lesbarkeit verzichtet.

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de es möglich, ein fotografisches Bild in verschiedene Sinnzusammenhänge zu stellen.3 Die fotografische Kunstreproduktion nahm im 20. Jahrhundert weiter zu, und ein eigenständiger Markt mit großen Kunstbuchverlagen wuchs heran.4 Der Buchdruck wurde kostengünstiger und sowohl für Fachleute als auch für ein interessiertes Laienpublikum wurden zahlreiche bebilderte Kunstmonografien, Ausstellungskataloge und Übersichtswerke hergestellt. Im Zusammenhang mit Texten, Layout und anderen Bildern wurde die Sichtweise auf Skulptur für den Betrachter erweitert, verändert oder gelenkt, denn mit der Abbildung von Skulpturen konnten Inhalte vermittelt werden, die unterschiedlich eng mit dem bildhauerischen Konzept verbunden waren. Da Abbildungen von Kunstwerken nur selten als gestaltete Kompositionen wahrgenommen wurden, wurde häufig auch die Eigenwirkung der Fotografie übersehen. Doch da auch Kunstreproduktionen eigenständige Inhalte transportieren, sind sie historisch geprägte, gestaltete Werke, die als solche verstanden und behandelt werden müssen. Die Fotografie von Skulptur nahm seit jeher großen Einfluss auf die Wahrnehmung des Kunstpublikums, das sich mit Hilfe von Abbildungen eine Vorstellung – ein Bild von Skulptur – verschafft. Das Ziel dieser Forschungsarbeit ist zu untersuchen, welche Inhalte dem Betrachter durch die Abbildung einer Skulptur vermittelt werden können und wie sich diese Inhalte im Bild manifestieren. Die Skulpturabbildung wird als eigenständige, dem Text gegenüberstehende Aussage verstanden und analysiert. Dadurch wird der Stellenwert der Abbildung als historische Quelle hervorgehoben und eine Reflexion über die Wirkungsweise der Bilder von Skulptur angestoßen. Die untersuchten Abbildungen stammen aus dem Zeitraum 1920 bis 1970 und beschränken sich auf Publikationen aus dem deutschsprachigen Raum sowie auf die Werke der dort arbeitenden Bildhauer. Dieser Zeitraum beinhaltet mit dem Nationalsozialismus sowie mit der Gründung der Staaten BRD und DDR politische und gesellschaftliche Umbrüche, die sich auch in der zeitgenössischen Kunst zeigen. Inwieweit die Skulpturfotografie diese Entwicklungen widerspiegelt und ihrerseits Einfluss auf den Betrachter nimmt, ist eine zentrale Frage dieser Arbeit. Durch die Fotografie wird die Wahrnehmung des Betrachters beeinflusst, so dass dessen Auffassung über eine Skulptur von der Fotografie abhängig ist. Eine Abbildung in Printmedien kann der Skulptur ein verändertes Aussehen geben und es werden neue Zusammenhänge geschaffen. Diese können das bildhauerische Konzept unterstützen, aber auch Inhalte transportieren, die nicht unmittelbar mit dem Kunstwerk verbunden sind. Die Kunstreproduktion richtet sich im Gegen3 | Vgl. Ruchatz, Jens: Kontexte der Präsentation. Zur Materialität und Medialität des fotografischen Bildes, in: Fotogeschichte 124/2012, S. 19-28. 4 | Die Verlage E. A. Seemann (1860, Leipzig), Fischer-Verlag (1886, Berlin), Hanfstaengl-Verlag (1893, München), Piper-Verlag (1904, München) sowie Rembrandt-Verlag (um 1923 Berlin) und Prestel-Verlag (1924, München) gehörten zu den erfolgreichsten deutschen Kunstbuchverlagen.

Einleitung

satz zu einem Kunstwerk an ein bestimmtes Publikum und der Herausgeber eines Buches verfolgt mit der Veröffentlichung einen bestimmten Zweck, sei er politisch, ökonomisch oder wissenschaftlich. Die hinter der Veröffentlichung stehende Intention und die Gestaltung der Abbildungen hängen zusammen und geben Aufschluss über die Inhalte, die nicht vom Bildhauer an den Betrachter herangetragen werden. Es ist daher notwendig, das jeweilige bildhauerische Werk von der durch die Abbildung vermittelten Wirkung wenn möglich zu trennen und beides miteinander zu vergleichen. Dieser Vergleich gelingt, wenn verschiedene Abbildungen, zeitgenössische und aktuelle Beschreibungen sowie übergeordnete kunsthistorische Einschätzungen berücksichtigt werden.

(De-)Kontextualisierung von Skulptur Die Zusammenhänge, die sich von einem Kunstwerk ausgehend auffächern, sind äußerst vielfältig. Eine rein werkbezogene Betrachtung ist meist der erste Schritt kunsthistorischer Analysen. Der Künstler, seine Intention, sein Gesamtwerk und auch seine Lebensdaten zählten bereits seit Vasaris ersten Künstlerbiografien von 1550 zu den Untersuchungsfeldern der Kunstwissenschaft. Auch die Entstehungszeit eines Werks mit sozialen, gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Gegebenheiten und Veränderungen sowie die Entstehungsbedingungen unter einem Auftraggeber und an einem Aufstellungsort wurden von Kunsthistorikern berücksichtigt, da sie als zum Werk gehörende Faktoren angesehen wurden.5 Für die Skulptur des 20. Jahrhunderts war die Bedeutung von sozialen und räumlichen Kontexten jedoch zunächst umstritten. Die kunsttheoretischen Debatten gingen bis in die 1960er Jahre hinein von einem unabhängigen Objekt aus, das jenseits von Kontextbezügen steht, denn die Kunst der Moderne setzte sich insbesondere durch eine Befreiung vom Auftraggeber und durch ihre Unabhängigkeit gegenüber äußeren Faktoren von der Kunst früherer Epochen ab.6 Da Autonomie als definierendes Kriterium der Kunst der Moderne galt, wurde nur selten thematisiert, dass Kunstwerke durch fotografische Reproduktionen in wechselnde Zusammenhänge gestellt wurden, von denen die Wahrnehmung des Betrachters abhängig ist. Erst ab den 1970er Jahren wurde thematisiert, dass auch ein modernes Kunstwerk in Verbindung zu seiner Umgebung steht. Als eine der ersten Wissenschaft5 | Jens Ruchatz führt 2012 in seinem Aufsatz „Kontexte der Präsentation – zur Materialität und Medialität des fotografischen Bildes“ überzeugend aus, welche Beziehungen sich zwischen der Kontextforschung, der Kunstgeschichte und der Fotografie bilden. Dieser Text dient als Grundlage für die hier ausgeführten Überlegungen und Begrifflichkeiten. 6 | Vgl. Gülicher, Nina: Inszenierte Skulptur. Auguste Rodin, Medardo Rosso und Constantin Brancusi, München 2011, S. 11.

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lerinnen berücksichtigte Rosalind E. Krauss 1977 in ihrem Buch „Passages in Modern Sculpture“ räumliche und zeitliche Strukturen moderner Skulptur sowie die Erfahrungen des Betrachters.7 Ihre Erkenntnis, dass zwischen Kunstwerk und Rezipient eine wechselseitige Beziehung steht, führte zu neuen Ansätzen der Kunstgeschichte. Wolfgang Kemp entwickelte in den 1980er Jahren eine rezeptionsästhetische Methodik, um zu untersuchen, wie Kunstwerke auf die Gedanken und Gefühle eines Betrachters wirken.8 Kemp machte darauf aufmerksam, dass nur durch Kontexte Bedeutung geschaffen wird und dass dies auch auf die Kunst der Moderne zutrifft: „An diese im Grunde selbstverständlichen Regeln wird hier erinnert, weil die Kunst der Neuzeit, ihre Institutionen und die Kunstwissenschaft in einer oft unheiligen Allianz sich zu dem Ziel verbündet haben, ihren Gegenstand als beziehungslose Monade zu präsentieren. Die Tatsache, dass viele Kunstwerke der neueren Zeit nie für einen konkreten Ort und Adressaten bestimmt waren, darf dabei nicht verunsichern. Die Berücksichtigung einer offenen Rezeptionssituation kann sich bei der Interpretation genauso aufschlussreich auswirken wie die Informationen, die die Einbindung eines situierten Kunstwerkes betreffen. [...] Die jeweils besondere Aufgabe der rezeptionsästhetischen Interpretation eröffnet sich erst an der Schnittstelle von ‚Kontext‘ und ‚Text‘, also an der Stelle, wo das Werk mit seinen inneren Möglichkeiten den Dialog mit Umgebung und Betrachter zu führen beginnt, um sich mitzuteilen.“9

Kemp stuft Kunstwerke grundsätzlich als Mittel der visuellen Kommunikation ein. Er benutzt Formulierungen, die das Kunstwerk zu einem aktiven Subjekt machen, das sich mitteilen, sprechen, antworten und fragen kann. Das Kunstwerk wird zu einem Gesprächspartner, der im Dialog mit dem Betrachter steht. Dadurch werden die individuellen Sichtweisen eines Betrachters akzeptiert und reflektiert: „Kunstwerk und Betrachter kommen unter Bedingungen zusammen; sie sind keine klinisch reinen und isolierten Einheiten. Und so, wie der Betrachter sich dem Werk nähert, so begegnet ihm das Kunstwerk: antwortend und seine Tätigkeit anerkennend.“10

7 | Krauss, Rosalind E.: Passages in Modern Sculpture, Cambridge 1977. 8 | Kemp, Wolfgang: Kunstwerk und Betrachter: Der rezeptionsästhetische Ansatz, in: Belting, Hans (Hrsg.): Kunstgeschichte. Eine Einführung, Berlin 1985/2008, S. 247-266. 9 | Kemp, in: Belting, 1985/2008, S. 251f. 10 | Ebenda, S. 248.

Einleitung

Die Methoden der Sprachwissenschaft fließen verstärkt in die Kunstgeschichte ein und auch die Kontextanalyse wird auf Kunstwerke angewendet.11 Hans Belting legte die Grundlagen für fächerübergreifende, bildwissenschaftliche Methoden. Er sieht das Kunstwerk ebenfalls als einen dem Betrachter gegenüberstehenden Kommunikationspartner an, der sich mit der Zeit verändern kann: „Die Fragen ändern sich, die an Kunstwerke gerichtet werden. Entsprechend verschieden fallen die Antworten aus.“12 Der Kontext gilt für beide Wissenschaftler als Bedeutungsgeber der Kommunikation und wird somit auch grundsätzlich als Bedeutungsgeber der Kunst positioniert. Die Ansätze von Krauss, Kemp und Belting eröffneten Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts neue Sichtweisen auf Kunstwerke und stellten das Konzept der Autonomie moderner Kunst in Frage. Dementsprechend wurde die moderne Skulptur nicht mehr von Kontextbeziehungen ausgeschlossen. Im Sinne der Bildwissenschaften trägt nicht nur ein Kunstwerk einen flexiblen, weil vom Betrachter und von der Zeit beeinflussten Kontext mit sich, sondern allgemein jedes Bild. Die Abbildung eines Kunstwerks muss demnach in einem ähnlichen Beziehungsgefüge gesehen werden wie das Kunstwerk selbst und ist ebenfalls als Kommunikationsmittel einzuordnen, mit dem eine Aussage über das abgebildete Motiv (die Skulptur) getätigt wird. Da eine Abbildung meistens für eine Veröffentlichung bestimmt ist, basiert die Gestaltung der Bilder je nach Herausgeber auf wissenschaftlichen, künstlerischen oder kommerziellen Entscheidungen. Auf diese Weise eröffnet sich eine Vielfalt möglicher Kontexte für eine fotografische Abbildung, die aufgrund ihrer zahlreichen Verknüpfungen zur Unübersichtlichkeit führen und zum Problem werden können, da sie häufig nicht mehr auf ihren Ursprung zurückgeführt werden können. Die Schwierigkeit ergibt sich aus den Bedingungen der Reproduzierbarkeit von Fotografie im Sinne einer massenhaften Vervielfältigung der Bilder.13 Über Jahrzehnte hinweg wurden die gleichen Abbildungen von Kunstwerken für Publikationen wiederverwendet und es

11 | Der Begriff Kontext stammt aus der Sprachwissenschaft und beschreibt ursprünglich verschiedene verbale und non-verbale Kommunikationsformen, die zum Verständnis einer Äußerung führen. Der Begriff wurde um soziale, zeitliche und räumliche Elemente erweitert und auf andere Wissenschaften übertragen. Seit den 1970er Jahren spielt die Kontextanalyse auch in der Kunstgeschichte eine wesentliche Rolle. Vgl. Belting, Hans: Das Werk im Kontext, in: Belting, 1985/2008. 12 | Ebenda, S. 229. 13 | Vgl. Benjamin, Walter/Lindner, Burkhard: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Stuttgart 1936/2011, S. 15.

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wurde nicht bedacht, dass die Fotografie ihre zeitgenössische Gestaltung behält.14 Ändert sich der Zusammenhang durch eine andere Präsentationsform, so erfolgt auch eine Bedeutungsänderung des abgebildeten Motivs für den Betrachter.15 Andreas Krase macht darauf aufmerksam, dass sich „die Deutungshorizonte und Erkenntnisinteressen […] ändern, nicht die (fotografischen) Objekte“.16 Doch diese Veränderung sieht er als weitgreifend an: „Unterschiedliche Kontextualisierungen verändern anscheinend den ästhetischen Charakter des betrachteten Objekts.“17 Die verschiedenen Kontexte eines Kunstwerks, die mit unterschiedlichen Interessen verknüpft sind, überlagern sich insbesondere in Bildbänden, da die Buchproduktion von vielen verschiedenen Akteuren bestimmt wird. Erst in den letzten Jahren wurden Fotografien als historische Dokumente präsentiert und in Bildbänden als solche gekennzeichnet.18 Je geringer jedoch der zeitliche Abstand zwischen der Produktion von Fotografie und Buch ist, desto seltener wird die historische Dimension erkannt, die sich auch bereits in Abbildungen zeigt, die erst wenige Jahrzehnte alt sind. Doch „Fotografie geschieht nicht im ‚luftleeren‘ oder besser politikfreien Raum“, wie Hans-Michael Koetzle ausführt, „sondern stets vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Strömungen“.19 So tragen sich durch Abbildungen unterschiedliche zeitspezifische Inhalte in Publikationen weiter und vermischen sich mit anderen Inhalten weitestgehend unbemerkt.

14 | Durch die Vermischung dieser Ebenen entstehen beim Rezipienten eines Bildbandes aus unterschiedlichen Quellen gespeiste Eindrücke, die selten aufgeschlüsselt werden können. Es ist nicht abwegig, sondern eher üblich, dass große zeitliche Abstände zwischen der Veröffentlichung von Büchern und dem Produktionszeitpunkt des darin verwendeten Bildmaterials liegen. So kann beispielsweise in einem Buch aus dem 21. Jahrhundert mit einem zeitgenössischen Text eine Abbildung von 1960 abgedruckt sein, die ein Kunstwerk von 1900 zeigt. Jedes Element des Buches ist an seinen zeitspezifischen Kontext gebunden, bildet sich im Verbund jedoch wieder zu einem eigenen Inhalt aus. 15 | Vgl. Ruchatz, 2012, S. 22. 16 | Andreas Krase: Sowohl Dokumentation als auch Kunst. Zur Umbewertung fotografischer Sammlungsbestände, in: Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.): Verwandlungen durch Licht. Fotografieren in Museen & Archiven & Bibliotheken, Dresden 2001, S.107. 17 | Ebenda. 18 | Historische Aufnahmen werden zum Beispiel verwendet und gekennzeichnet in: Berger, Ursel: Georg Kolbe. Leben und Werk, Berlin 1990, sowie in: Bornscheuer, Marion/Stecker, Raimund (Hrsg.): Hundert Jahre Kniende. Lehmbruck in Paris 1911 mit Matisse, Brancusi, Debussy, Archipenko, Rodin, Nijinsky..., Köln 2011. Außerdem: Henze, Wolfgang: Die Plastik Ernst Ludwig Kirchners, Wichtrach/ Bern 2002. 19 | Koetzle, Hans-Michael: Von der Propaganda zur Kunst, vom Journalismus zum Design. Anmerkungen zur Fotografie in Deutschland 1939 bis 1970, in: Fotogeschichte 117/2010, S. 5.

Einleitung

Produktions- und Präsentationskontext Die unreflektierte Wiederverwendung von Bildmaterial hat besonders bei der Abbildung von Skulpturen starke Auswirkungen, denn anders als die Reproduktion von Malerei bieten Aufnahmen von Skulpturen dem Fotografen einen großen Gestaltungsspielraum in der Komposition der Bilder. Zwar wird auch die ­Malerei in der fotografischen Abbildung einem Übersetzungsprozess unterworfen, der materielle Eigenschaften, Größe und Farbe verändern kann, doch die Gestaltung der fotografischen Wiedergabe wird vorwiegend durch technische Bedingungen bestimmt. Die Skulpturfotografie unterliegt hingegen der Herausforderung, ein dreidimensionales Objekt in ein zweidimensionales Bild zu verwandeln. Durch die Wahl von Aufnahmestandpunkt, Perspektive und Beleuchtung kann eine Skulptur sehr unterschiedlich vom Fotografen inszeniert werden. Bildinhalte zu verändern, beizufügen, wegzulassen oder hervorzuheben und dadurch die Wahrnehmung des Betrachters zu lenken, ist bei Skulpturfotografie unumgänglich, so dass die Fotografie von Skulpturen grundsätzlich als eigenständige Bildproduktion bewertet werden muss.20 Jede einzelne Fotografie einer Skulptur bringt bereits ein komplexes Geflecht an Kontextbezügen mit sich, die sich noch dazu mit weiteren Inhalten eines Bildbandes überlagern können. Für den Rezipienten eines Bildbandes ist am Ende nicht mehr zu unterscheiden, welche Gestaltung vom Bildhauer und welche vom Fotografen stammt beziehungsweise welche Gestaltung auf den Fotografen und welche auf die Buchproduktion zurückgeht. Dadurch werden die der Bildgestaltung zugrunde liegenden Intentionen nur selten vom Betrachter erkannt, obwohl diese als Eindruck unmittelbar auf ihn einwirken. Die Wirkung einer Skulptur wird mit dem Eindruck der Fotografie und des Printmediums vermischt und festigt sich als Vorstellung von den tatsächlichen Eigenschaften der Skulptur. Es ist nahezu unmöglich, alle Produktionsschritte einer gedruckten Skulptur­ fotografie mit den jeweiligen Urhebern im Einzelnen aufzuschlüsseln und die dahinterstehenden Entscheidungen zu belegen. Jens Ruchatz bringt in seinem Aufsatz „Kontexte der Präsentation – Zur Materialität und Medialität des fotografischen Bildes“ mehr Klarheit in das komplexe Gefüge, indem er den Kontext der fotografischen Aufnahme und den Kontext der Präsentation voneinander 20 | Die Unterscheidung von Skulpturfotografie und Reproduktion von Gemälden ist sogar in der deutschen Gesetzgebung festgehalten: Die Fotografie eines Gemäldes oder einer Zeichnung gilt als technische Reproduktion, während die Fotografie einer Skulptur als Lichtbild oder Lichtbildwerk kategorisiert wird. Von dieser Einstufung leitet sich das Urheberrecht ab. Während das Urheberrecht von Reproduktionen eines Gemäldes beim Maler verbleibt, besitzt der Fotograf (und nicht der Bildhauer) das Urheberrecht für Aufnahmen von Skulpturen. Die Begründung dieser Unterscheidung liegt in der grundsätzlich eigenständigen Gestaltung einer Skulpturfotografie als Leistung des Fotografen. Siehe § 2, § 72 UrhG.

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Produzent

Produkt

Bildhauer

Produktionskontext

Fotograf

Skulptur Fotografie (Negativ) Fotografie (Abzug)

Klischeewerkstatt

Klischee

Verleger, Autoren

Abbildung, Druck

Kurator Bildhauer

Präsentationskontext

Herausgeber Verleger Autoren Bildhauer

Ausstellung

Printmedien

Betrachter Abbildung 1 | Produktions- und Präsentationskontext (Grafik: d. Verf.) trennt. Durch die Unterscheidung der beiden Kontextfelder kann der fotografische Prozess strukturiert und der Einflussbereich verschiedener Akteure besser kenntlich gemacht werden. Der Produktionskontext eröffnet sich nach Ruchatz um den Zeitpunkt der Aufnahme und schließt Fotograf, Zeit, Ort und Auftrag ein, während sich der Präsentationskontext auf das zeitlich später erstellte Produkt als Abbildung in einem Printmedium bezieht.21 Die gleiche Unterscheidung kann in Bezug auf die Skulptur angewendet werden, deren Produktionskontext durch den Bildhauer entsteht und deren Präsentationskontext zum Beispiel in einer Ausstellung zum Tragen kommt. Auch die Veröffentlichung von Skulpturfotografie in einem Printprodukt gehört zum Präsentationskontext der Skulptur, wobei nun die Ebenen und Akteure aus dem Bereich der Fotografie mit denen aus dem Bereich der Skulptur zusammenlaufen (Abb. 1). 21 | Vgl. Ruchatz, 2012, S. 22.

Einleitung

Der Produktionskontext der Fotografie beinhaltet alle vom Fotografen ausgeführten Tätigkeiten: die Aufnahme mit allen gestalterischen Entscheidungen und vorgegebenen Bedingungen, die Entwicklung und gegebenenfalls Retusche des Negativs im Labor sowie die Erstellung von Papierabzügen mit weiteren gestalterischen Entscheidungen. Außerdem wirken sich die dem Fotografen zur Verfügung stehenden technischen Geräte sowie der historische Kontext des Aufnahmezeitpunktes, der Aufnahmeort und die fotografierte Skulptur auf die Bildgestaltung aus. Der Präsentationskontext der Fotografie bezieht sich ausschließlich auf den Papierabzug eines Negativs, der zum Beispiel in Ausstellungen gezeigt werden kann. Für den Druck wurde das fotografische Negativ mittels belichtungsempfindlicher Stoffe und anschließender Ätzung in ein Klischee aus Zink, Kupfer oder Kunststoff übersetzt, das in den Hochdruck integriert werden konnte. Das Klischee funktionierte wie ein feiner Metallstempel und bestimmte das Aussehen des Bildes in entscheidender Weise mit. Die Wahl des Papiers und der Druckfarbe sowie die Qualität des Klischees beeinflussten das Ergebnis der Abbildung. Klischees wurden meist von spezialisierten Betrieben angefertigt, so dass der Fotograf als Urheber des Negativs nur noch indirekt an der Weiterverarbeitung für den Buchdruck beteiligt war. Von der Gestaltung der Aufnahme blieb in erster Linie die Bildkomposition bestehen, wobei Helligkeit und Differenziertheit der Grauwerte von der Qualität des Drucks abhängig waren. Streng genommen ist ab diesem Produktionsschritt der Begriff Fotografie nicht mehr zutreffend, denn es handelt sich um einen Druck nach fotografischer Vorlage.22 Der Präsentationskontext des Drucks kann sich in vielen verschiedenen Medien simultan eröffnen: Bücher, Zeitschriften, Postkarten und andere Produkte können zeitgleich oder zeitversetzt mit unterschiedlichen Herausgebern herge22 | Die Drucktechnik ist wiederum einer ständigen Entwicklung unterworfen, da eine Optimierung von Qualität und Kosten angestrebt wurde. Die historische Veränderung der Druckverfahren kann hier im Einzelnen nicht thematisiert werden, da dieses Thema umfassend genug für eine eigene Forschung ist. Die Geschichte der Druckverfahren wurde 1992 von Hans-Jürgen Wolf in einem circa 1000 Seiten umfassenden Band wiedergegeben. Die Geschichte des Papiers führt er in einem weiteren, ähnlich ausführlichen Band aus. Zum Abschluss seines Kapitels zur Farbfotografie fasst Wolf zusammen: „Die Geschichte des photographischen Rasters verdeutlicht, wie kompliziert die Verfahrenstechnik seit ihrer Erfindung geworden ist.“ Die Komplexität der Techniken führt dazu, dass es kaum möglich ist, die verschiedenen Druckverfahren auseinanderzuhalten. Unzählige Erfindungen, die an bestimmten Stellen zusammenfließen, führen zu den Bildern, die uns in Büchern begegnen. Wolf, Hans-Jürgen: Geschichte der Druckverfahren. Historische Grundlagen, Portraits, Technologie, Elchingen 1992, S. 631.Die hier besprochenen Abbildungen sind durch das verwendete Druckverfahren in ihrer Erscheinung geprägt worden. Im Zentrum dieser Arbeit steht jedoch die Frage, welchen Eindruck die Bilder vermitteln und nicht, wie dieser Eindruck technisch erzeugt wurde. Aus diesem Grund wird nur in Einzelfällen auf die Drucktechnik hingewiesen.

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stellt werden. Alle in dieser Arbeit behandelten Bilder gehen auf eine filmbasierte Fotografie zurück, die zuerst im Negativbild erscheint. Dieses dient sowohl dem Fotografen als auch dem Verleger zur Weiterverarbeitung. Die vom Fotografen durchgeführte Aufnahme der Skulptur trägt sich so durch das Negativ in alle Produktionsschritte weiter, wird jedoch durch den Druckprozess auch verändert. Die fotografische Vorlage kann in jedem Printmedium unterschiedlich erscheinen, da die Materialität des Produkts, dessen Inhalte und Gestaltung, dessen Größe, dessen kommerzielle Interessen und dessen historischer Kontext zum Zeitpunkt der Veröffentlichung variieren. Jede Gestaltung einer Skulpturfotografie beruht auf den Produktionsschritten und den Kontexten von Skulptur, Fotografie und Druck. Die Entscheidungen der Produzenten (Bildhauer, Fotografen, Verleger, Autoren) vermischen sich und ­stehen am Ende dem Betrachter als Tatsachen gegenüber. Der Kern dieser Untersuchung liegt darin, den Präsentationskontext von Skulptur als gedrucktes Bild zu hinterfragen und die Auswirkungen auf den Betrachter zu ermitteln. Die Skulptur, ihre bildhauerische Konzeption und ihre Entstehungsgeschichte sind die Ausgangspunkte für alle Überlegungen, da nur ein Vergleich von der Skulptur mit ihrer Abbildung Aufschluss darüber geben kann, welche Betonungen, Abweichungen oder Ergänzungen durch die Fotografie erzeugt wurden. Die bisher veröffentlichten Publikationen, die sich mit dem Thema der fotografierten Skulptur beschäftigten, nutzen häufig den Begriff Skulpturfotografie.23 Der Begriff und auch die Analysen beziehen sich auf das Produktionsmoment der Fotografie, der auch gelegentlich die Bewertung der Fotografie unter künstlerischen Gesichtspunkten einschließt. Für die Erforschung wurden Archive der fotografischen Abzüge, Negative, Glasplatten und Kontaktabzüge ausgewertet, anhand derer die fotografischen Vorgehensweisen belegt werden konnten. Anhand der fotografischen (Neben-)Produkte konnte nachvollzogen werden, welche gestalterischen Eingriffe der Fotograf vorgenommen hat. Retuschen, unterschiedliche Entwicklungszeiten, Ausschnittbestimmung und Vergrößerungen ließen sich durch diese Forschungen belegen. Die Verwendung des Begriffs Skulpturfotografie ist in diesem Zusammenhang schlüssig, denn die Untersuchungen beziehen sich tatsächlich auf den Produktionskontext der Fotografie und nicht auf ein gedrucktes Bild. Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit erfordert hingegen eine andere Vorgehensweise, denn es soll nicht der Produktionskontext, sondern der Präsentationskontext untersucht werden. Die durch die fotografische Abbildung vermittelten Inhalte stehen zur Disposition und diese können nicht ohne einen Betrachter gedacht werden. Der Betrachter jedoch bekommt eine Fotografie nur in Ausnahmefällen zu sehen, zum Beispiel wenn sie als Exponat in einer Ausstellung 23 | Vgl. Gülicher, 2011, S. 161ff.

Einleitung

präsentiert wird. Viel häufiger ist Fotografie in Form von gedruckten Abbildungen in Büchern, Zeitschriften oder als Postkarte verfügbar, so dass diese als Untersuchungsobjekte herangezogen werden müssen. In Druckerzeugnissen finden sich alle Ebenen des Produktionsprozesses wieder, die sich durch die Verwendung des fotografischen Negativs in den Präsentationskontext übertragen. Um die unterschiedlichen Ebenen zu unterscheiden, werden alle Begriffe ausschließlich innerhalb ihres jeweiligen Kontextfeldes verwendet. Die Begriffe Fotografie und Skulpturfotografie werden in dieser Arbeit als Tätigkeit des Fotografen definiert und nur dann verwendet, wenn sie den Produktionskontext der fotografischen Aufnahme einschließen. Erscheint Fotografie in Form eines Printprodukts wird bevorzugt von einer Abbildung gesprochen. Um den fotografischen Ursprung des Bildes deutlich machen zu können, wird fotografische Abbildung genutzt. Auf den Begriff Reproduktion wird nach Möglichkeit verzichtet, da er die Gestaltung des Fotografen vernachlässigt. Liegt jedoch einer Abbildung eine reproduzierende Intention zugrunde, wird der Begriff Reproduktion genutzt, um dieses Anliegen zu betonen.24

Methodik Aus den zuvor ausgeführten Überlegungen zum Kontext von Skulptur und Abbildung leiten sich grundlegende Parameter für die vorliegende Forschungsarbeit ab: 1. Skulptur und Abbildung werden als Kommunikationsmittel eingestuft, die jeweils dem Betrachter Inhalte vermitteln. Eine Skulptur wird als vom Betrachter sowie von räumlichen und zeitlichen Strukturen abhängiges Werk v­ erstanden, also in einem flexiblen Kontext verortet. Die Abbildung einer Skulptur wird in einem vergleichbaren Beziehungsgeflecht gesehen.

24 | Der Vorgang und das Ergebnis der Vervielfältigung eines Originals werden als Reproduktion bezeichnet. Dies schließt das Anliegen ein, eine möglichst getreue Kopie des Originals zu erhalten. Wird dieser Gedanke auf die Skulpturfotografie angewandt, entsteht ein Konflikt in der Ausführung. Zwar werden Aufnahmen von Skulpturen gemacht, um das Werk zu reproduzieren, doch die Differenzen zwischen der Gattung Skulptur und der Gattung Fotografie stellen sich als unüberbrückbare Hindernisse heraus. Die Skulptur kann durch eine Fotografie nicht vervielfältigt werden, denn sie wird in ein zweidimensionales, fotografisches Bild verwandelt, das eigene Eigenschaften besitzt und somit immer eine Produktion ist. Der geläufige Begriff der Reproduktion trifft also auf Skulpturfotografie nicht zu. Ganz verzichtet werden kann auf den Begriff Reproduktion jedoch nicht, denn die zugrunde liegende Intention der Vervielfältigung und der Anspruch der möglichst getreuen Wiedergabe nehmen einen historisch wichtigen Stellenwert ein und wirken sich bis in die Gestaltung heutiger Skulpturabbildung aus.

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2. Die fotografische Abbildung wird in ihrer Ausführung als gedrucktes Bild untersucht. Dabei wird vorausgesetzt, dass in einem vielschichtigen Prozess mit mehreren beteiligten Personen und Institutionen (Fotograf, Bildhauer, Auftraggeber, Klischeewerkstatt, Verlag) durch bewusste Entscheidungen ein intentionales Ergebnis erreicht wird. 3. Die fotografische Abbildung wird grundsätzlich als Produktion anerkannt. Sie wird unabhängig von dem vorausgegangenen fotografischen und drucktechnischen Prozess wie ein Original behandelt. Nur durch dieses Vorgehen kann ein spezifisches Untersuchungsobjekt festgelegt werden, da Abbildungen, die auf demselben Negativ basieren, in verschiedenen Büchern unterschiedlich aussehen können. Der Präsentationskontext und somit der letzte Schritt der Bildproduktion dient somit als Grundlage der Analyse. Es wird folglich nicht angestrebt, eine Bewertung der fotografischen Leistung vorzunehmen oder ihren Stellenwert als künstlerisches Medium zu hinterfragen. 4. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Analyse der Bildwirkung. Die Informationen des Produktionskontextes, die Entstehungsgeschichte der Bilder und Ausführungen zu technischen Gegebenheiten können nur dann erläutert werden, wenn sie sich im Präsentationskontext widerspiegeln. Nach diesen Grundsätzen wurden rund 200 Bildbände zeitgenössischer deutscher Bildhauerei der Jahre 1920 bis 1970 gesichtet und auf Besonderheiten und Gemeinsamkeiten untersucht.25 Dabei wurden möglichst nah beieinanderliegende Produktionskontexte von Bildhauerei und Buchdruck gewählt, um die Überlagerungen von historischen Kontexten gering zu halten. Außerdem wurden Äußerungen über Skulpturabbildungen aus zeitgenössischen Büchern, Fachzeitschriften, Künstlerbriefen und Aufsätzen zusammengetragen und ausgewertet. Aus diesen kristallisierten sich einzelne Aspekte der Skulpturfotografie heraus, die als wesentliche Diskussionspunkte zur Gliederung der Kapitel dienen. Die Darstellung von Dreidimensionalität, Materialität und Standortbezügen bildet den ersten Teil der Untersuchung. Die dort behandelten Aspekte gehen von der Skulptur aus und werden durch Vergleiche zwischen Skulpturkonzept und fotografischer Darstellung analysiert. Die Atelierfotografie eröffnet im zweiten Teil ein weiteres, unabhängiges Feld der Vermittlung bildhauerischer Konzepte, das stärker mit dem Selbstbild des Künstlers verknüpft ist. Im letzten Schritt werden exemplarische Bildbände in ihrer Gesamtheit behandelt, um wissenschaftliche und politische Einflüsse offenzulegen, die sich insbesondere aus der Analyse der Bezüge zwischen Text und Bild ergeben.

25 | Eine Liste der untersuchten Bildbände findet sich im Anhang ab S. 317.

1 Bedingungen der Skulpturfotografie Das wachsende Interesse an der Erforschung von Skulpturen, das im 15. Jahrhundert durch die ersten Archäologen aufkam, war eine wichtige Voraussetzung für die Herstellung von Skulpturabbildungen. Zum ersten Mal wurden archäologische Fundstätten systematisch untersucht und der Bedarf nach Dokumentation der dort gefundenen Skulpturen stieg an. Die Wissenschaftler waren zugleich Produzenten und Abnehmer von Zeichnungen mit reproduzierender Intention. Der Vorteil einer Abbildung von Skulpturen bestand insbesondere darin, dass eine weite Verbreitung, leichte Verfügbarkeit und ein reger Austausch über die neuen Funde möglich wurde, denn die Bilder dienten als Informations- und Dokumentationsmedium der wissenschaftlichen Tätigkeit. Das Interesse an antiken Fundstücken wuchs während der Renaissance stetig an und bereits Mitte des 16. Jahrhunderts wurden in Italien in großer Zahl Zeichnungen von antiken Skulpturen produziert, die nicht als künstlerische Studien, sondern als dokumentierende Wiedergabe gedacht waren.1 Die Verbreitung von Bildern beschleunigte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts, da Stecherwerkstätten Drucke nun in Serien anfertigten. Große Bildsammlungen wurden von den Archäologen angelegt, die als wissenschaftliche Archive der vergleichenden Forschung dienen sollten.2 Da Kupferstiche aus linearen Umrisszeichnungen und Strukturen bestehen, konnten vorwiegend formale Kriterien wiedergegeben werden. Die inventio (Erfindung) wurde jedoch zu dieser Zeit ohnehin höher bewertet als die executio (Ausführung), so dass die mimetische Nachbildung kein Kriterium für eine gelungene Reproduktion war.3 Es wurden im Gegenteil sogar die Vorzüge der individuellen Gestaltung der Kupferstiche betont, da diese den Be-

1 | Vgl. Kopf, Barbara: Skulptur im Bild. Visuelle Dokumentation und deren Beitrag zur Entwicklung der archäologischen Wissenschaft, in: Reichle, Ingeborg/Siegel, Steffen/Spelten, Achim (Hrsg.): Verwandte Bilder. Die Fragen der Bildwissenschaft, Berlin 2007, S. 153. 2 | Vgl. Ebenda, S. 153. 3 | Vgl. Reichle, Ingeborg: Kunst – Bild – Wissenschaft. Überlegungen zu einer visuellen Epistemologie der Kunstgeschichte, in: Reichle/Siegel/ Spelten (Hrsg.), 2007, S. 171.

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trachter mit einer durch Reduktion vereinfachten Darstellung auf das Wesentliche eines Kunstwerks lenken konnten.4 Im 18. Jahrhundert wurde mit der Aufklärung und der Hinwendung zu den Naturwissenschaften die Überprüfbarkeit von nachweisbaren Fakten relevant. Die Kunstwissenschaft stand vor dem Problem, dass sie auf Erzählungen basierte, die kaum zu beweisen waren. Hinzu kam, dass die Überzeugung verloren ging, Bilder könnten gänzlich durch Sprache erfasst werden.5 Johann Joachim Winckelmann begründete Mitte des 18. Jahrhunderts ein neues Konzept der Kunstwissenschaft. Seine „Geschichte der Kunst des Altertums“ von 1764 trägt als erstes Buch die historische Ausrichtung im Titel und begründet damit die wissenschaftliche Disziplin Kunstgeschichte. Winckelmann übertrug Methoden der Naturwissenschaft auf die Kunstwissenschaft und konstituierte das vergleichende Sehen als Forschungsmodus. Die Abbildungen seines Buches dienten dazu, seine Thesen nachvollziehbar und anschaulich belegen zu können. Er verwendete Kupferstiche, die homogenisiert und objektiviert den Inhalten seiner Texte angepasst waren, damit sie als wissenschaftliche Belege dienen konnten.6 Die Erfindung der Fotografie um 1839 unterstützte die von Winckelmann angestoßene Neukonzeption der Kunstwissenschaft, denn sie konnte besser als alle anderen Reproduktionstechniken beweisfähige Bilder liefern.7 Im Gegensatz zu Kupferstichen wurde die Fotografie nicht als individuelle Gestaltung anerkannt, 4 | Vgl. Kopf, 2007, S. 155. Diese Ansicht taucht auch im 20. Jahrhundert immer wieder auf. Zum Beispiel äußert sich Ernst Langlotz 1979: „Das Betrachten der alten Kupferstiche [...] ist nicht nur ein ästhetischer Genuss, sondern auch ein geistesgeschichtliches Nachdenken in dem Sinne, daß diese Reproduktion die verschiedenen Arten des geistigen Wahrnehmens und des plastischen Sehens dieser Epochen augenfällig machen.“ Langlotz, Ernst: Über das Photographieren griechischer Skulpturen, in: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 94/1979, S. 1. 5 | Vgl. Reichle, 2007, S. 171. 6 | Vgl. ebenda, S. 172ff. 7 | Die Erfindung der Fotografie muss als Prozess gesehen werden, der nicht an einem bestimmten Datum abgeschlossen war. Das Jahr 1839 wird als Erfindungsjahr der Fotografie genannt, da in diesem Jahr zwei verschiedene Verfahren veröffentlicht wurden, die als entscheidende Wegbereiter der Fotografie gelten. Zum einen stellte der französische Staat 1839 das von Joseph Nicèphore Nièpce und Louis Jacques Mandé Daguerre entwickelte Verfahren der Daguerreotypie der Öffentlichkeit vor. Dieses Verfahren ermöglichte gestochen scharfe Abbildungen auf Kupferplatten, jedoch keine Vervielfältigung des Bildes. Zum anderen machte William Fox Talbot 1839 die Erstrechte auf die Erfindung der Fotografie in England geltend. Er hatte das Positiv-Negativ-Verfahren erforscht, mit dem beliebig viele Kopien eines Bildes angefertigt werden konnten. Die Bildqualität kam jedoch in ihrer Detailgenauigkeit nicht an die Daguerreotypie heran. Von diesem Zeitpunkt an wurden die Verfahren stetig verbessert und in Kombination mit neuen Druckverfahren konnte die Fotografie um 1900 als Massenmedium genutzt werden.

Bedingungen der Skulpturfotografie

sondern zunächst als objektivstes aller Abbildungsverfahren eingestuft, galt sie doch als technisches Verfahren ohne Autor.8 Es wurde davon ausgegangen, dass der fotografierte Gegenstand selbst das Bild erzeuge, so dass keine Beeinflussung durch die menschliche Hand geschehe. Henry Fox Talbot, der Erfinder des Negativ-Positiv-Verfahrens, beschreibt die Fotografie als „Prozeß, durch den natürliche Objekte dazu gebracht werden, sich selbst abzubilden ohne die Hilfe des Stiftes eines Künstlers.“9 Auch die Differenz, die zwischen Wirklichkeit und Abbild offenkundig auftritt, wurde nicht als Widerspruch gesehen, so dass die Fotografie von Beginn an als reproduzierendes Medium verstanden wurde. Da die Autorschaft der Fotografie einem Apparat zugeschrieben wurde, warb man damit, dass der Mensch, der den Auslöser bedient, keine besondere Befähigung bräuchte. Talbot preist die Fotografie als Verfahren, das in der Lage sei, mangelndes Können von Zeichnern auszugleichen: „Zahlreiche Amateure haben bereits den Stift beiseitegelegt und sich stattdessen mit chemischen Lösungen und der Camera Obscura bewaffnet. Diese Amateure, und es sind nicht wenige, die es schwierig finden, die Regeln der Perspektive zu lernen und anzuwenden – und welche außerdem das Pech haben, faul zu sein – bevorzugen eine Methode, die diesen ganzen Ärger vermeidet.“10

Die Herabstufung der Leistung des Fotografen zieht sich fortan durch die Geschichte und wirkt sich langanhaltend auf die Einstufung der Fotografie als Handwerk und Dienstleistung aus.11 Noch 1939 stuft Bernhard von Tieschowitz die Fotografie als Möglichkeit für die Wissenschaft ein, die „Fehlerquellen subjektiver

8 | Vgl. Reichle, 2007, S. 186, sowie Tietenberg, Annette: Die Fotografie – bescheidene Dienerin der Wissenschaft und Künste? Die Kunstwissenschaft und ihre mediale Abhängigkeit, in: Tietenberg, Annette (Hrsg.): Das Kunstwerk als Geschichtsdokument. Festschrift für Hans-Ernst Mittig, München 1999, S. 61-80. 9 | Talbot, Henry Fox, zitiert nach: Kemp, Wolfgang: Geschichte der Fotografie. Von Daguerre bis Gursky, München 2011, S. 14. 10 | Im Original: „Already sundry amateurs have laid down the pencil and armed themselves with chemical solutions and with camera obscurae. Those amateurs especially, and there are not few, who find the rules of perspective difficult to learn and to apply – and who moreover have the misfortune to be lazy – prefer to use a method which dispenses with all that trouble.“ (Übersetzt von Verfasserin.) 11 | Eine Auswirkung dieser Einschätzung ist, dass von Beginn an auch zahlreiche Frauen den Fotografenberuf ausführen. Vgl. Rösgen, Petra (Hrsg.): Frauenobjektiv. Fotografinnen 1940 bis 1950, Köln 2001, S. 14. Dies liegt nicht an einer emanzipatorischen Bewegung, sondern an der Geringschätzung für die Leistung des Fotografen, die als moderne Version von Kunsthandwerk auch den gebildeten Frauen offenstand. Eine weitere Auswirkung ist der große Widerstand gegen die Anerkennung der Fotografie als künstlerische Gattung. Vgl. Kemp, 2011, S. 9ff.

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Auffassung oder mangelnden Könnens beim Zeichner beseitigt und auf mechanischem Wege das Original unmittelbar vorstellt“.12 Auch für die Bewertung von Skulptur ergaben sich Auswirkungen aus der Annahme, das Objekt bilde sich selbstständig mittels eines technischen Vorgangs ab. Der amerikanische Schriftsteller Oliver Wendell Holmes ging sogar so weit, dass er 1859 dazu ermunterte, das Original zu zerstören, wenn es genügend fotografische Aufnahmen des Objektes gebe.13 Selbst dieser Vorschlag ist dem Denken geschuldet, es bestünde kein fundamentaler Unterschied zwischen Objekt und fotografischer Wiedergabe. Aus heutiger Sicht erscheint es verwunderlich, dass der Fotograf nicht als Gestalter der Fotografie anerkannt wurde. Doch es muss bedacht werden, dass alle Abbildungen vor der Erfindung der Fotografie sehr individuell und per Hand geschaffen worden waren. Hinzu kommt, dass insbesondere die Erfinder der Fotografie großes Interesse daran hatten, die Objektivität der fotografischen Verfahren hervorzuheben, um sie auf dem Markt zu etablieren. Henry F. Talbot beispielsweise erkannte sehr wohl den Stellenwert des Fotografen als Produzenten des Bildes. Schon 1844 weist er darauf hin: „Die fotografische Ansicht jedoch ist nur der Eindruck einer Wirklichkeit des Fotografen.“14 Doch die Positionierung der Fotografie als technikbasiertes Bild verlieh ihr ein Alleinstellungsmerkmal als wahres Abbild und machte die enorme Verbreitung und die Erforschung weiterer fotografischer Techniken erst möglich. Um die Funktion eines beweiskräftigen Bildes für die Wissenschaft erfüllen zu können, musste Fotografie auch in ihrer Gestaltung objektiv, einheitlich und systematisch wirken und konnte nicht als künstlerisches oder experimentelles Verfahren in Erscheinung treten. „Die Diskussionen, die unter Fachleuten von etwa 1850 bis 1900 geführt wurden, zeigen [...], daß an der Existenz einer wissenschaftlichen Abbildungstechnik niemals ernsthaft gezweifelt wurde; im Gegenteil, die Glaubwürdigkeit der fotografischen Abbildung zu verteidigen, galt als oberstes Ziel.“15

Die Kunstgeschichte war abhängig von der Beweisfähigkeit der fotografischen Abbildung geworden, denn ihre Existenz als wissenschaftliche Disziplin wurde durch

12 | Tieschowitz, Bernhard von: Die Photographie im Dienste der kunstgeschichtlichen Forschung, Burg 1939, S. 151. 13 | Vgl. Mattysek, Angela: „Entdecker“ und „Finder“. Über die fotografische Wissensproduktion der Kunstgeschichte und die Probleme der Reproduktion von Kunstwerken, in: Krafft, Fritz (Hrsg.): Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 28, Marburg 2005, S. 227. 14 | Billeter, Erika: Zur Ausstellung, 1. Teil: Der Dialog zwischen Fotografie und Skulptur, in: Billeter, Erika/Brockhaus, Christoph (Hrsg.): Skulptur im Licht der Fotografie. Von Bayard bis Mapplethorpe, Bern 1997, S. 15. 15 | Tietenberg, 1999, S. 68.

Bedingungen der Skulpturfotografie

das Bildmaterial legitimiert.16 In Forschung und Lehre hatte die Fotografie einen wachsenden Stellenwert eingenommen und führte zur Entwicklung neuer Methoden. Ab 1865 wurde die Lichtbildprojektion als Hilfsmittel der Kunstgeschichte an der Universität Berlin von Hermann Grimm eingeführt.17 Bald waren weder kunstgeschichtliche Vorlesungen noch kunstwissenschaftliche Texte ohne Verdeutlichung durch fotografische Abbildungen denkbar. Im Bewusstsein dieser historischen Basis kristallisiert sich besonders ein Aspekt heraus, der sich bis heute auf die Skulpturfotografie auswirkt: Die Abbildung von Kunstwerken sollte der Wissenschaft als sachliche Dokumentation dienen und wurde als Reproduktion von Kunstwerken verstanden. Aus diesem Grund musste bestärkt werden, dass die Fotografie ein technisch erzeugtes Bild ist, und der Einfluss des Fotografen musste als gering eingestuft werden. Als wichtigstes Kriterium für die Qualität einer Kunstreproduktion galten Objektivität, Detailreichtum und Genauigkeit.18 Diesen Ansprüchen der Wissenschaft traten bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts auch kommerzielle Anliegen entgegen. Der Kunstkritiker Jules Janin schlug 1839 vor, man könne „zu geringen Kosten die schönsten Kunstwerke popularisieren“19. Damit wurden die Anforderungen an das fotografische Abbild von Kunstwerken erweitert, es wurde als Konsumgut entdeckt und euphorisch beworben. Der Tourismus führte zu einer gesteigerten Nachfrage an fotografischen Bildern, denn die Erholungsreise wurde infolge der industriellen Revolution für immer größer werdende Teile der europäischen Bevölkerung möglich. Abbildungen von bekannten Kunstwerken und Gebäuden wurden als Andenken verkauft und Sammlungen von Fotografien und Postkarten wurden sogar zum Ersatz für die Bildungsreise erklärt. Die neue Funktion der Fotografie als Souvenir bewirkte, dass der Geschmack der Käufer bei der Bildproduktion berücksichtigt wurde.20 Die Folge war eine Selektion der Motive und die Entwicklung neuer Bildtraditionen, die nicht mehr nach wissenschaftlichen, sondern nach kommerziellen Kriterien gebildet wurden.21 Zahlreiche Verlage wie beispielsweise Seemann, Bruckmann und Hanfstaengl spezialisierten sich auf den Kunstbildband und eroberten große Absatzmärkte.22 Auch Kunstpostkarten wurden immer populärer und um

16 | Vgl. ebenda. 17 | Vgl. ebenda, S. 65. 18 | Vgl. ebenda, S.63. 19 | Janin, Jules, zitiert nach: Tietenberg, 1999, S. 61. 20 | Vgl. Wiegand, Thomas: Über das Photographieren antiker Skulpturen, in: Apollon und Athena: klassische Götterstatuen in Abgüssen und Rekonstruktionen, Kassel 1991, S. 31. 21 | Vgl. Kopf, 2007, S. 155. 22 | Vgl. Tietenberg, 1999, S. 65.

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1900 als Sammelobjekt massenweise hergestellt, beispielsweise von der Neuen Photographischen Gesellschaft in Berlin-Steglitz.23 Die widerstrebenden Intentionen, die sich zwischen wissenschaftlichen und kommerziellen Anliegen eröffneten, prägten den gesamten Diskurs um Skulpturfotografie und schufen ein ambivalentes Verhältnis zwischen Wissenschaft und Unterhaltung. Die Kunstgeschichte profitierte während ihrer Etablierung als wissenschaftliches Fach von der Popularität, die durch ein breitgefächertes Publikum und durch das kommerzielle Bildkonvolut entstanden waren. Karl Krumbacher kommt 1906 zu dem Schluss: „Wenn die Kunstgeschichte [...] die Gunst und die materielle Unterstützung des Publikums erobert hat, so verdankt sie das in erster Linie ihren reich ausgestatteten Bildwerken, denen auch fernerstehende und im übrigen gegen die Wissenschaft gleichgültige Kreise eine gewisse Teilnahme entgegenbringen.“ 24

Aber die Konsumierbarkeit von Kunst wurde auch als Gefahr gesehen, denn eine Minderung der Abbildungsqualität wurde befürchtet. Paul Kristeller fordert die Kunsthistoriker dazu auf, die Qualität von Abbildungen zu verteidigen: „Im allgemeinen wird man sich bei der Betrachtung von Abbildungen in unseren kunstgeschichtlichen Büchern des Eindrucks kaum erwehren können, daß durch die Masse der Erzeugung die Qualität der Ausführung und des Druckes der Reproduktionen eine wesentliche Einbuße erlitten habe. Die Hauptschuld tragen wohl die Verleger, aber auch die Autoren könnten, wenn sie mit größerer Sachkenntnis und Aufmerksamkeit die Arbeit beobachten wollten, viele Mißbräuche bei der Herstellung und Verwendung der Reproduktionen verhindern. Der Verleger muß naturgemäß auf die geschäftliche Seite den größeren Nachdruck legen, der Kunstforscher sollte demgegenüber den wissenschaftlichen Standpunkt mit mehr Nachdruck vertreten, weniger auf die Masse der Abbildungen, als auf ihre Vorzüglichkeit und auf genügend große Abmessungen Wert legen, auf bestechende Wirkungen verzichten, aber auf der Anwendung von ganz verlässlichen Methoden der Reproduktion energisch bestehen.“25

Kunstwissenschaftliche Texte spielten bald eine das Bild ergänzende, oft sogar untergeordnete Rolle. Eine Aussage der Redaktion der Zeitschrift „Kunst für alle“, 23 | Komander, Gerhild H. M.: Kunst für alle. Kunst auf Postkarten, in: Gütgemann-Holtz, Wilma/Holtz, Wolfgang (Hrsg.): Neue Photographische Gesellschaft Steglitz. Die Geschichte eines Weltunternehmens (1897-1921), Berlin 2009, S. 96. 24 | Krumbacher, Karl: Photographie im Dienste der Geisteswissenschaft, in: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und Literatur 17/1906, S. 601-660, zitiert nach: Tietenberg, 1999, S. 66. 25 | Kristeller, Paul: Über Reproduktionen von Kunstwerken, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 31/1908, S. 543.

Bedingungen der Skulpturfotografie

die ab 1885 im Münchener Bruckmann-Verlag erschien und über Jahrzehnte eine der auflagenstärksten Kunstzeitschriften in Deutschland war, verdeutlicht den hohen Stellenwert des Bildes. Im Vorwort wird konstatiert, dass die Zeitschrift „eine lebendige Vermittlung zwischen dem Atelier und der Nation dadurch ausreichend unternähme, daß sie ihren Schwerpunkt auf die Anschauung, d. h. auf die Illustration verlegt und dem Text daher nur eine begleitende Rolle zuerkennt“ 26. Der Bildhauer Ernst Barlach wollte am liebsten gleich ganz auf Text verzichten. Er schreibt 1934 an den Verleger Reinhard Piper: „[E]s könnte ein Buch mit Zeichnungen von mir sehr wohl ohne Text, Vor- oder Nachwort erscheinen. Gekauft wird es doch nur, oder wohl vorzugsweise, der Bilder wegen, weniger aus Interesse an gedruckten Erläuterungen – ??“27 Das Konfliktpotential zwischen Wissenschaft und Kommerz, zwischen Bildhauer, Wissenschaftler, Fotograf und Verleger tritt unmittelbar in Erscheinung, denn obwohl Skulptur, Bild und Text in ihrer Vermittlung aufeinander angewiesen sind, treten ihre Produzenten gleichsam in Konkurrenz zueinander und verfolgen jeweils eigene Interessen. Es verwundert nicht, dass es unter diesen Voraussetzungen zu Diskussionen über eine angemessene Betrachtung bzw. Darstellung von Skulptur kam, in denen die Vertreter der Disziplinen ihre jeweiligen Standpunkte verteidigten und durchzusetzen versuchten.

1.1 „Wie man Skulpturen aufnehmen soll“ – Skulpturfotografie im D iskurs Künstler, Fotografen und Kunsthistoriker diskutierten seit Erfindung der Fotografie deren Vorzüge und Nachteile für die Abbildung von Skulpturen. Heinrich Wölfflin beantwortete 1895 die Frage „Wie man Skulpturen aufnehmen soll“ in drei vielbeachteten Aufsätzen, deren Fragestellung bis heute zahlreiche Autoren aufgriffen, um seine Argumentation zu ergänzen.28 Seitdem wird immer wieder versucht, Skulpturfotografie zwischen Reproduktion und Interpretation, zwischen Abbild und eigenständigem Bild zu verorten. Im kunsthistorischen Kontext werden häufig Forderungen nach einer wissenschaftlichen Gestaltung von Bildmaterial gestellt. Das Kunstwerk soll möglichst sachlich wiedergegeben werden, damit die Fotografie als Beleg für kunsthistori26 | Aus dem Vorwort, zitiert nach: Lauterbach, Iris: Die Kunst für Alle (1885-1944). Zur Kunstpublizistik vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus, München 2010, S. 16. 27 | Tarnowski, Wolfgang (Hrsg.): Ernst Barlach – Reinhard Piper. Briefwechsel 1900-1938, München 1997, S. 327. Die Satzzeichen entsprechen Barlachs Brief. Durch das doppelte Fragezeichen macht der Künstler seine Entrüstung deutlich. 28 | Die drei Aufsätze von Heinrich Wölfflin wurden erstmals veröffentlicht in: Zeitschrift für Bildende Kunst, N.F. 7/1895, S. 224-228; N.F. 8/1896, 294-297; N.F 26/1914, S. 237-244.

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sche Argumente dienen kann. Die Ansprüche an die Skulpturfotografie liegen dabei in Erkennbarkeit, Genauigkeit und Objektivität. Im Sinne der Reproduktion wird eine größtmögliche Ähnlichkeit zwischen Skulptur und Abbildung intendiert. Es wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass faktische Eigenschaften der Skulptur wie Material, Größe und Form dem Betrachter die wesentlichen Erkenntnisse über die Skulptur vermitteln. Dem gegenüber stehen Positionen, die einen Vorteil in einer subjektiven Interpretation des Kunstwerks durch den Fotografen sehen. Durch gezielte gestalterische Eingriffe wird die Wahrnehmung des Betrachters auf einen bestimmten Eindruck von Skulptur gelenkt. Um eine starke (auch emotionale) Wirkung zu erzeugen, wird auf Sachlichkeit, Detailgenauigkeit und Erkennbarkeit gegebenenfalls verzichtet.29 Der Fotograf gestaltet eigenständig und interpretiert das Kunstwerk, anstatt es zu reproduzieren. Erika Billetter datiert diese Emanzipation der Fotografen auf das Ende des 19. Jahrhunderts: „Der Dialog [zwischen Skulptur und Fotografie] wird nun vom Fotografen angeführt, er wird nicht mehr von der Skulptur diktiert.“30 Die beiden Kategorien sachliche Fotografie und subjektive Fotografie lassen sich durch den Grad der fotografischen Freiheit unterscheiden, je nachdem wie stark die Gestaltung darauf ausgelegt ist, ein eigenständiges Bild mit fotografischen Mitteln zu produzieren. Dass es keine scharfe Trennung zwischen diesen beiden Möglichkeiten der Skulpturfotografie geben kann, liegt auf der Hand. Die beiden Kategorien stehen einander als Pole gegenüber, zwischen denen vielerlei Abstufungen und Übergänge existieren. Beide Ansätze beanspruchen für sich, Skulptur ‚angemessen‘ darzustellen, denn die Antworten auf die Frage „Wie man Skulptur aufnehmen soll“ sind abhängig davon, welche Aspekte von Skulptur als wesentlich angesehen werden. Es geht also nicht um eine Unterscheidung zwischen künstlerischer und dokumentarischer Fotografie, sondern um die Frage nach der Intention, der inhaltlichen und gestalterischen Ausrichtung von reproduzierender Fotografie.

29 | Häufig werden diese beiden Arten der Fotografie mit den Begriffen dokumentarische und inszenierte Fotografie unterschieden. Da jedoch auch die dokumentarische Fotografie im Hinblick auf ihre objektive Erscheinung gestaltet ist, sind alle Fotografien als Inszenierung anzusehen. Auch die Bezeichnung künstlerische Fotografie wird als Gegenpol zur sachlichen Fotografie genutzt. Da die Definition von Kunst jedoch zeitgenössischen Einschätzungen unterliegt, ist auch dieser Begriff problematisch. Der Begriff subjektive Fotografie macht die Rolle des Fotografen am besten deutlich und wird daher in dieser Arbeit verwendet. Es ist jedoch nicht die historische Stilrichtung Subjektive Fotografie der Nachkriegszeit gemeint, obwohl deren Grundsätze mit der hier verwendeten Bedeutung in ihren Grundzügen übereinstimmen. 30 | Billeter, 1997, S. 28.

Bedingungen der Skulpturfotografie

Um die historischen Bedingungen und die Argumente zu Vor- und Nachteilen der fotografischen Gestaltungsmöglichkeiten deutlich zu machen, werden im Folgenden beide Positionen historisch aufgefächert und anschließend an einer beispielhaften Abbildung die wesentlichen Charakteristika demonstriert.

1.1.1 Sachliche Fotografie Nachdem die anfängliche Euphorie über das vermeintlich objektive Abbildungsverfahren abgeklungen war, kamen von Seiten der Wissenschaft Zweifel auf, ob die fotografische Abbildung wie zunächst angenommen der Forschung als Beweismittel dienen könne. Das Vertrauen in die Objektivität der Abbildung war bereits um 1900 gesunken, da einerseits die Möglichkeiten der Einflussnahme des Fotografen bemerkt (und zugegeben) wurden und andererseits ein Qualitätsverlust der Abbildungen durch die Massenproduktion fotografischer Bilder festgestellt wurde. Die Differenz zwischen Skulptur und Reproduktion wurde von Kunsthistorikern vermehrt hervorgehoben und die Betrachtung des Originals wurde wieder zur bevorzugten Rezeptionsweise von Skulptur erklärt. So mahnt Paul Kristeller 1908 an: „Man scheint manchmal fast über der Reproduktion das Original vergessen zu wollen.“31 Und auch Bernhard von Tieschowitz sieht 1939 eine Notwendigkeit, die Originalbetrachtung verteidigen zu müssen: „Kunstgeschichte ist Geisteswissenschaft; ihre Theorien bilden sich aus der Anschauung der künstlerischen Gegenstände – idealerweise der Originale.“32 Ernst Murbach befürchtet 1946, „daß der Beschauer gegenüber den wahren Werten eines Kunstwerkes abgestumpft, wenn nicht sogar blind geworden“ sei, weil er nur noch Abbildungen und kaum noch Originale betrachten würde.33 Die Unterschiede von Original (Skulptur) und Abbild traten verstärkt in den Mittelpunkt der Diskussion, die vorwiegend von Kunsthistorikern geführt wurde. Es mangelte nicht an Kritik über falsche und schlechte Aufnahmen in Publikationen.34

31 | Kristeller, 1908, S. 538. 32 | Von Tieschowitz, 1939, S. 151. 33 | Murbach, Ernst: Plastik und Photographie (Wie mittelalterliche Plastik aufzunehmen ist), in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 8/1946, S. 16. 34 | „Wer mit der Geschichte der Plastik zu tun hat, ist in größter Verlegenheit um gute Abbildungen. [...] Selbst in monumental angelegten Publikationen finden derartige falsche Bilder Platz und Duldung.“ Wölfflin, Heinrich: Wie man Skulpturen aufnehmen soll (1895), in: Billeter, 1997, S. 409. Die Aufsätze von Heinrich Wölfflin „Wie man Skulpturen aufnehmen soll“ sind 1997 in Erika Billeters Band „Skulptur im Licht der Fotografie“ erneut veröffentlicht worden. Aus dieser Veröffentlichung sind die Zitate Wölfflins entnommen. „Fast alle Abbildungen sind schlecht.“ Paul Mahlberg kritisiert die Fotos des Buches „Moderne Plastik“, herausgegeben von Karl Robert Langewiesche, in: Kunst und Künstler 12, 1913/14, S. 518.

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Auch viele Bildhauer sahen das leicht verfügbare Massenmedium Fotografie als unvollkommenes Ersatzmittel an und verteidigten die Betrachtung des Originals. Fotografie wurde als Bedrohung für die Wahrnehmungsfähigkeit des Publikums empfunden. Der Bildhauer Waldemar Grzimek stellte 1957 fest: „Man muss wohl oder übel registrieren, dass die Menschen bequem geworden sind und sich an das zweidimensionale Sehen auf Fotos gewöhnt haben. Deshalb spielt sich ja auch der grösste Teil des modernen Kunstlebens nicht vor den Originalen ab sondern mittels Publikationen. Wir sind sicher einig darin, dass dies eine verdrehte Praxis ist, aber wenigstens hat sie noch etwas mit musischer Betätigung zu tun.“35

Die fotografische Kunstreproduktion verlor also ihren Stellenwert als eine dem Original ebenbürtige Darstellungsform. Dies liegt auch begründet in dem gesellschaftlichen Umbruch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der nicht mehr ausschließlich von Technikbegeisterung, sondern auch von Skepsis gegenüber den neuen Massenmedien und von Angst vor Entfremdung geprägt war. Doch obwohl die Fotografie einer Skulptur als unzureichendes Ersatzmittel angesehen wurde, konnten Kunstgeschichte und Kunstmarkt nicht auf das fotografische Abbild verzichten. Um die vermeintlichen Defizite der Abbildungen zu vermindern, versuchten zunächst die Wissenschaftler und später auch die Fotografen, Regeln für eine angemessene Skulpturfotografie aufzustellen. Mit dem Festlegen von Standards erhofften sich die Kunsthistoriker, wissenschaftliche Kriterien für die Bildproduktion zu erreichen und die Fotografie als Beweismittel neu zu legitimieren. Mit drei Artikeln in der „Zeitschrift für Bildende Kunst“ eröffnete Heinrich Wölfflin 1895 die Diskussion, „Wie man Skulpturen aufnehmen soll“. Er beanstandete, dass „falsche Bilder Platz und Duldung“ in Publikationen fänden, und stellte am Beispiel von Skulpturen der Renaissance Kriterien auf, wie ein Fotograf eine Skulptur richtig abzubilden habe.36 Die von Wölfflin aufgestellten Kriterien entsprechen größtenteils der Frage nach der richtigen Ansicht einer Skulptur und beanspruchen keine Allgemeingültigkeit, sondern beziehen sich auf die Skulptur in ihrem historischen Kontext und auf deren spezifische werkgerechte Darstellung. Dabei setzt er den Maßstab, dass die fotografische Abbildung der Konzeption des Bildhauers entsprechen solle.37 Skulpturfotografie sollte keine ästhetische Eigenqualität als Fotografie aufweisen, sondern sich nach der Skulptur richten. Dadurch sollte die Fotografie ihre wissenschaftliche Nutzbarkeit erhalten.

35 |  Marcks, Gerhard, zitiert nach: Marcks, Gerhard/Semrau, Jens: Durchs dunkle Deutschland. Gerhard Marcks, Briefwechsel 1933 bis 1980, Leipzig 1995, S. 245. 36 | Wölfflin, 1895, in: Billeter, 1997, S. 409. 37 | Vgl. ebenda.

Bedingungen der Skulpturfotografie

Wölfflin forderte, kunsthistorische Erkenntnisse über eine Skulptur in der Fotografie umzusetzen, wodurch eindeutige Forschungsergebnisse zu einer Voraussetzung für ein gelungenes Abbild wurden. Dass auch die Forschung spezifische Sichtweisen beinhaltet und der Wissensstand über Skulpturen sich im Laufe der Zeit wandeln kann, berücksichtigte Wölfflin dabei nicht. Sein Grundanliegen war es, die Eigenschaften des Originals, der Skulptur, möglichst gut wiederzugeben, damit in Lehre und Forschung aussagekräftiges Bildmaterial zur Verfügung steht. Nach diesem Auftakt in der Auseinandersetzung mit Skulpturfotografie folgten weitere Autoren vornehmlich mit Aufsätzen in Fachzeitschriften, die Vor- und Nachteile der Skulpturfotografie diskutierten. Die Thesen Wölfflins wurden bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts aufgegriffen und fortgeführt. Einige Aspekte kristallisierten sich als grundlegend für die Skulpturfotografie heraus.38 Durchgängige Kritikpunkte an der Fotografie als reproduzierendes Medium von Skulptur waren zwischen 1920 und 1970: • • • •

die Reduktion auf die Fläche die Reduktion auf eine einzige Ansichtsseite die fehlende Wiedergabe von Materialität durch das Schwarz-Weiß die Ausschnitthaftigkeit (fehlender räumlicher Kontext)

Damit wurden Eigenschaften der Fotografie bemängelt, die das Medium unveränderlich ausmachen. Darüber hinaus wurde die Arbeit der Fotografen beanstandet wegen: • fehlender kunsthistorischer Sachkenntnisse • fehlender Sorgfalt • Selbstdarstellung, Effekthascherei und Manipulation Gelegentlich wurde auch das Verlagswesen bedacht. Im Fokus der Diskussion standen dann: • mangelnde Größe und schlechte Druckqualität der Abbildungen • kommerzielle Interessen der Herausgeber Nur selten konnten Autoren die geäußerten Kritikpunkte in konstruktive Vorschläge für eine angemessene Aufnahme von Skulptur umwandeln, denn es wurde eine der einzelnen Skulptur angepasste Gestaltung gefordert, die Verallgemeinerungen ausschloss. Die Diskussionen darüber, wie man Skulpturen aufnehmen solle, konnten aufgrund der unterschiedlichen Skulpturkonzepte nie zu einer ein38 | Vgl. Matyssek, 2005, S. 230.

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zigen empfohlenen Vorgehensweise zusammengeführt werden. So wurden zwar Beispiele für das vorbildliche Vorgehen eines Fotografen bis in jedes technische Detail beschrieben, aber ein Standard der Skulpturfotografie konnte nicht eingeführt werden.39 Die Debatte blieb jedoch nicht gänzlich ohne Auswirkungen, denn das Bewusstsein für die anspruchsvolle Gestaltung fotografischer Abbildungen von Skulptur nahm zu. Die Forderung nach objektiven Bildern, die der Wissenschaft zum Beweis ihrer Thesen dienen sollten, schlug sich in der Bildgestaltung nieder, die aufgrund dieses Anspruches wenig kreativ und kaum innovativ war. Die angestrebte Vereinheitlichung von Bildmaterial, die insbesondere der besseren Vergleichbarkeit dienen sollte, wurde jedoch selten konsequent umgesetzt. Die Buchproduktion unterlag ihren eigenen Gesetzen, die auch wirtschaftliche Faktoren berücksichtigen mussten. Aus Kostengründen wurde häufig auf bereits vorhandene Abbildungen zurückgegriffen, so dass die Herausgeber und Autoren höchstens durch die Auswahl der Bilder Einfluss auf die Gestaltung des zusammengetragenen Materials nehmen konnten.

1.1.2 Analyse einer sachlichen Fotografie Die Grundzüge der sachlichen Fotografie sind weitestgehend einheitlich, denn standardisierte Aufnahmen sollten eine bessere Vergleichbarkeit für die Wissenschaft ermöglichen. Alle Entscheidungen zur Gestaltung des Bildes leiten sich von dem Anliegen ab, dem Betrachter möglichst viele und genaue Informationen über das Kunstwerk als überprüfbare Fakten zu vermitteln. Der Fotograf inszeniert die Skulptur ausgehend von deren Eigenschaften und hält dazu fotografische Gestaltungsmittel zurück. Die Aufnahme von Gerhard Marcks' „Hahn im Regen“ des Fotografen Friedrich Hewicker weist typische Eigenschaften sachlicher Skulpturfotografie auf (Abb. 2a). Der 1924 geborene Fotograf arbeitete in Hamburg und Umgebung unter anderem für die Galerie Rudolf Hoffmann, das Museum für Völkerkunde und die Hamburger Kunsthalle. Als Auftragsfotograf war Hewicker auf die Ablichtung von Skulpturen spezialisiert, weshalb er in sehr vielen Abbildungsverzeichnissen als Urheber aufgeführt ist. Seine Aufnahmen verschiedener Werke sind einheitlich

39 | Vgl. Kristeller, 1908, von Tieschowitz, 1939, Murbach, 1946.

Bedingungen der Skulpturfotografie

Abbildung 2a | Gerhard Marcks: Hahn im Regen, Bronze, 1952. Fotograf: Friedrich Hewicker, in: Platte 1957, S.109. gestaltet, sie unterscheiden nicht nach bildhauerischen Konzepten.40 Mit dieser seriellen, einheitlichen Gestaltung erfüllt er ein wichtiges Kriterium der sachlichen Aufnahme, die durch Einheitlichkeit vergleichbare Bilder bieten sollte. In den 1950er Jahren fotografierte Hewicker zahlreiche kleinformatige Tierplastiken des Bildhauers Gerhard Marcks. Die Plastik „Hahn im Regen“, die

40 |  Dies zeigt sich bei Hewickers Aufnahmen für die Galerie Hoffmann in Hamburg. Er fotografierte für einen 1956 erschienenen Katalog die Werke von Gerhard Marcks und für einen 1957 veröffentlichten Band die Werke von Gustav Seitz. Die Aufnahmen sind sehr ähnlich, teilweise verwendet der Fotograf die gleichen Sockel und setzt die Skulpturen auf vergleichbare Weise ins Bild. Lediglich in der Wahl der Ansichtsseite variieren die Abbildungen von Seitz' Werk durch vermehrte Seitenansichten. Dies entspricht dem Skulpturkonzept der Bildhauer, denn Marcks betont häufig eine Hauptansicht, während Seitz seine Werke auf runden Plinthen mehransichtig anlegt. Ob die Entscheidung von dem Fotografen oder durch eine spätere Bildauswahl getroffen wurde, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Vgl. Galerie Hoffmann (Hrsg.): Gerhard Marcks. Plastiken, Zeichnungen, Holzschnitte. Von einer Reise durch Südafrika, Hamburg 1956, und Galerie Hoffmann (Hrsg.): Gustav Seitz. Plastik und Zeichnungen, Hamburg 1957.

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Marcks 1952 schuf, wurde in Hans Plattes dreibändigem Werk „Die Kunst des 20. Jahrhunderts – Plastik“ von 1957 abgebildet. Die Abbildung zeigt einen bronzenen Hahn mit stolz geschwellter Brust, dessen charakteristische, sichelförmige Federn durch den im Titel erwähnten Regen nach unten hängen. Rumpf und Federn des Hahns bilden eine geschlossene Rundform, die das Werk in seiner reduzierten Gestaltung auszeichnet. Marcks gibt dem symbolträchtigen Tier damit eine ironische Färbung, denn das prachtvolle Tier wirkt ziemlich niedergeschlagen. Der Bildhauer enthebt das Tier seiner repräsentativen Funktion als Symbol für Kampfbereitschaft und Wachsamkeit und lässt es stattdessen für sich selbst stehen. Hans Platte spricht von einem „Urbild dieses stolzen Tieres“, obwohl „fast nicht eine einzige Form unseren Vorstellungen [entspricht]“.41 Friedrich Hewicker präsentiert den „Hahn im Regen“ im Zentrum des Bildes auf einer Bodenfläche stehend. Es wurde die Seitenansicht der Plastik gewählt, die gegenüber den anderen Ansichtsmöglichkeiten mehrere Vorteile bietet: Die ungewöhnliche Körperform des Hahns in seiner Reduktion auf eine geometrische Form kommt in dieser Ansicht am besten zum Ausdruck. Die durch die ovale Form gebildete Abstraktion von Marcks’ figürlicher Darstellung ist zentral für das Werk. Auch im nebenstehenden Text wird die Seitenansicht beschrieben: „Eine einfache keilartige Rundform ruht auf zwei nach unten auseinandergespreizten Stützen.“42 Damit der Leser die Beschreibung des Autors nachvollziehen kann, muss sie in der Abbildung wiederzufinden sein. Auch die Vorder- und Rückansicht der Plastik zeigen eine Reduktion auf geometrische Formen, doch nur die Seitenansicht ermöglicht Rückschlüsse auf die anderen Ansichten. Zudem gibt die Ansicht die Ironie des Motivs wieder, denn die regennassen, hängenden Federn des stolzen Gockels sind nur in dieser Ansicht sichtbar. Hewickers Wahl der Ansichtsseite vermittelt dem Betrachter also formal und inhaltlich die größtmögliche Menge an Informationen über das Werk. Die zentrale Position der Plastik in der Bildmitte wird von Hewicker präzise bestimmt. Werden Breite und Höhe der Abbildung in zwei Hälften unterteilt, wird die ausgewogene Komposition deutlich (Abb. 2b). Der Körper des Hahns ist leicht in die linke Bildhälfte gerückt, doch das Bild wirkt trotzdem sehr ausgewogen. Dies liegt daran, dass die rechte Bildhälfte mit der geschwellten Brust des Hahns durch seine massive Form und die dunkel verschatteten Flächen besonders schwer erscheint. Die Position des Werks lässt im Bild einen Rahmen von 8 Millimetern zum Bildrand stehen. Lediglich an der rechten Seite wird dieser Rand nicht von der Figur tangiert, sondern auf das Dreifache verbreitert. Dieser Freiraum auf der rechten Bildseite wird genutzt, um den Eindruck der Schwere aufzuheben. Die Figur wölbt sich kraftvoll in die rechte Bildseite und der Freiraum ermöglicht, dass 41 | Platte, Hans: Die Kunst des 20. Jahrhunderts, Band Plastik, München 1957, S. 108. 42 | Ebenda.

Bedingungen der Skulpturfotografie

Abbildung 2b | Gerhard Marcks: Hahn im Regen, Bronze, 1952. Fotograf: Friedrich Hewicker, in: Platte 1957, S.109, mit Kompositionslinien [d. Verf.]. die Figur nicht eingeschlossen wirkt. Auch die Blickrichtung des Hahns benötigt den leeren Raum. Nur durch die einheitliche Rahmung der drei anderen Seiten kann der Freiraum rechts zu seiner Wirkung gelangen. Die Position der Figur im Bild ist genau auf diese Wirkung ausgerichtet, möglicherweise erzielt durch einen nachträglich im Labor gefassten Bildausschnitt. Ebenso akkurat wie mit der Bildkomposition geht Hewicker mit der Beleuchtung um, die er durch eine künstliche Lichtquelle erzeugt. Die dunkelgrau erscheinende Plastik setzt sich vor den helleren Flächen des Hintergrundes deutlich ab, ohne einen allzu starken Kontrast zu bilden. Die Ausleuchtung lässt die Abstufungen der Grautöne homogen und harmonisch erscheinen. Die symmetrische Figur steht minimal nach vorne rechts gedreht im Bild, so dass im unteren Teil des Werks auch das Volumen zu erkennen ist. Hier ist der dunkelste Punkt der Fotografie, der am unteren Bauch und an den Schwanzfedern des Hahns in kleinen Flächen beinahe schwarz erscheint. Von dort aus fächern sich die Grautöne in ihrer gesamten Spannweite der Abstufungen auf, bis sie im Zentrum des Rundkörpers ihren hellsten Punkt erreichen. Dort spiegelt sich das Licht des Scheinwerfers und zieht sich zu hellen Flächen zusammen. Zum oberen Rand hin werden die Graustufen wieder dunkler, so dass das Kunstwerk als dreidimensionaler Körper erkennbar ist.

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Auch Unebenheiten des Materials und feine Werkzeugspuren bleiben durch die akkurate Beleuchtung sichtbar. In das Material gezogenen Furchen, die Federn andeuten und Körperpartien voneinander abgrenzen, treten als helle und dunkle Linien hervor. Die Art der Spiegelung vermittelt die glatte, glänzende Oberfläche des Materials Bronze. Der Glanz der Plastik erscheint weich und an den Kanten in fließendem Übergang, so dass der Betrachter schließen kann, dass sie nicht hochglänzend poliert ist, sondern nur leicht schimmert. Auch den Schlagschatten setzt Hewicker gezielt ein, um dem Betrachter vielfältige Erkenntnisse über das Werk zu ermöglichen. Als dunklere Fläche unterhalb des Hahns bricht der Schatten am Rand der Bodenfläche ab, anstatt sich an der Wand fortzusetzen, so dass sich eine Horizontlinie bildet. Die sich gleichenden, hellen Flächen der Wand und des Bodens werden getrennt, wodurch sich die räumliche Tiefe in ihrer Ausdehnung definiert. Hewicker hat zwischen Boden und Wand einen Spalt gelassen (vermutlich steht die Plastik auf einem Sockel, den er weit genug von der Wand wegrückte), um diesen Effekt zu erreichen. Allein durch den Schlagschatten bekommt die Figur so eine Standfläche und einen erkennbaren Abstand zu Vorder- und Hintergrund. Anhand des Schattens wird außerdem deutlich, an welchen Punkten die Plastik den Boden berührt. Die Schwanzfedern des Hahns liegen mit den Spitzen auf dem Boden auf, während sich unter den Füßen des Hahns ebenfalls ein Schatten zeigt, der eine Wölbung nach oben kenntlich macht. Die massive Körperform des Hahns erscheint durch die vom Boden leicht emporgewölbten Fußflächen optisch leichter. Auch die dünnen Beine des Tiers tragen zu diesem Eindruck bei. In Hewickers Aufnahme sind beide Beine des Hahns sichtbar, doch stehen sie so nah beieinander, dass sie wie eine einzige dünne Stütze wirken. So bleibt die Zierlichkeit der Vogelbeine erhalten und der im Werk angelegte Kontrast von massivem Körper und fragilem Stand wird in der Fotografie aufgegriffen. Die auf den ersten Blick einfach erscheinende Komposition der sachlichen Fotografie enthüllt bei näherem Hinsehen einen bis ins Detail genauestens durchdachten Bildaufbau. Da die Wirkung der Fotografie auf eine bestmögliche Erkennbarkeit der Skulptur abzielt, eröffnen sich nur wenige Fragen für den Betrachter und die Darstellungsweise des „Hahn im Regen“ erscheint so stimmig, dass sie für deckungsgleich mit dem Kunstwerk gehalten wird. Das objektiv aussehende Bild ist jedoch genauestens inszeniert obwohl zugleich versucht wird, die intentionale Gestaltung des Fotografen nicht sichtbar werden zu lassen. Friedrich Hewicker erschafft somit eine Abbildung, die das Werk in möglichst vielen Facetten wiedergibt und durch den dokumentarischen Anschein ihre Faktizität bezeugt. Folgende Grundsätze lassen sich aus der Abbildung des „Hahn im Regen“ von Friedrich Hewicker für die sachliche Fotografie ableiten: Der Fotograf setzt ausgewählte Kompositionsmittel ein, um die Abbildung als zum Beweis geeignetes, wissenschaftliches Bild zu etablieren. Die Skulptur wird in der Regel frontal und mittig in das Bild gesetzt und von ihrer Hauptansichtsseite vor einem neutralen,

Bedingungen der Skulpturfotografie

gleichmäßigen Hintergrund fotografiert. Dabei bleiben sowohl die Gesamtform der Skulptur als auch die Details der Materialoberfläche sichtbar. Die Gestaltung wird durch kunsthistorische Erkenntnisse legitimiert, so dass der Fotograf seine persönliche Sichtweise nachrangig behandelt und eher eine handwerkliche Perfektion anstrebt. Die Ziele der Gestaltung sind die bestmögliche Sichtbarmachung der formalen und inhaltlichen Aspekte einer Skulptur, die keinen Widerspruch zwischen Bildgestaltung und Skulpturkonzept bilden sollen. Häufig wird dann von einer werkgerechten Aufnahme gesprochen. Der Fotograf nimmt möglichst seine fotografischen Gestaltungsmittel zurück, um das abgebildete Werk nicht zu manipulieren. Wird in Bildserien gearbeitet, vereinheitlicht er die Aufnahmebedingungen, um die Abbildungen vergleichbar zu machen. Die sachliche Fotografie wird meistens als unkünstlerisch bewertet und wird daher selten in Forschungen über Skulpturfotografie einbezogen, obwohl sie den Großteil aller Abbildungen ausmacht. Doch auch die sachliche Darstellung ist eine gestaltete Form der Skulpturfotografie, die Entscheidungen unter ästhetischen Kriterien sowie ein tiefgehendes Verständnis der Skulptur und der fotografischen Technik voraussetzt. Wenngleich der zugrundeliegende Bildaufbau bei allen Werkfotografien ähnlich ist, gibt es Variablen und Möglichkeiten der Gewichtung einzelner Aspekte, die dem Fotografen viele Entscheidungen über das Bild lassen und hohe Ansprüche an seine Arbeit geltend machen. Es gibt also keine objektive Fotografie, sondern lediglich den Versuch, eine Fotografie objektiv erscheinen zu lassen. Der Fotograf Brassaï schildert, wie er ein Gespräch zwischen Picasso und einigen Besuchern seines Ateliers beobachtet. Picasso soll dort gesagt haben: „…[A]ber alle Dokumente aus allen Zeiten sind falsch! Alle geben sie das Leben ‚mit den Augen des Künstlers‘ wieder. Alle Vorstellungen, die wir von der Natur besitzen, verdanken wir Malern. Wir sehen sie durch ihre Augen. Schon das allein müßte uns mißtrauisch machen… Sie sprechen von ‚objektiver Wirklichkeit‘? ... Gerade heute morgen ist mir beim Rasieren folgender Satz eingefallen, machen Sie damit, was sie wollen: Die ‚objektive Wirklichkeit‘ sollte man wie ein Bettlaken sorgfältig zusammenfalten und in einen Wandschrank einschließen, ein für allemal…“43

Obwohl Picasso sich auf die Malerei bezieht, so sind seine Worte doch allzu gut auf die Diskurse um Fotografie zu übertragen. Das objektive Abbild einer Skulptur muss misstrauisch betrachtet werden, denn es kann nicht existieren. Die sachliche Skulpturfotografie versucht jedoch, sich dem Wunsch nach Objektivität möglichst eng anzunähern, und minimiert dazu die Individualität der gewählten fotografischen Stilmittel.

43 | Brassaï: Gespräche mit Picasso, Hamburg 1966, S. 109. Satzzeichen entsprechen dem Originaltext.

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1.1.3 Subjektive Fotografie Die sachliche Fotografie einer Skulptur wurde in erster Linie von Kunstwissenschaftlern gefordert, die möglichst detaillierte Ansichten eines Kunstwerks benötigten. Der Fotograf Albert Renger-Patzsch weist jedoch darauf hin, dass diese Art von Aufnahmen unter Künstlern auch auf Kritik stieß: „Kommt man zu Bildhauern, so hört man wieder und wieder die Klage, daß es ihnen nicht gelänge, vom Photographen gute Abbildungen ihrer Werke zu erlangen. Gewöhnlich besitze der Photograph nicht das Verständnis und die Erfahrung oder das Interesse, das solche Arbeiten verlangen; er begnüge sich damit, eine technisch glatte Arbeit zu liefern, die meist langweilig und ohne jeden Ausdruck zwar die äußerliche Form des Werkes wiedergibt, nichts aber vom seelischen Gehalt aufweist.“44

Dieses von Renger-Patzsch als seelischer Gehalt bezeichnete Mehr eines Kunstwerks wurde immer wieder in der Skulpturfotografie vermisst. Die bekannteste und einflussreichste Position bildet Walter Benjamins Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“ von 1936.45 Benjamin spricht dem Kunstwerk eine Aura zu, die er in der Anwesenheit und Einzigartigkeit des Originals begründet sieht. In Film oder Fotografie könne die Aura jedoch nicht übertragen werden: „Denn die Aura ist an sein [des Menschen] Hier und Jetzt gebunden. Es gibt kein Abbild von ihr.“46 Es entstehe ein Auraverlust durch die Fotografie, da sie das Kunstwerk an jeden beliebigen Ort und in jede beliebige Zeit transportieren könne.47 Die am häufigsten zitierte und oft auch aus dem Zusammenhang gerissene Aussage Benjamins lautet: „[W]as im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura.“48 Diese Worte positionieren die fotografische Reproduktion als grundsätzlich minderwertig gegenüber dem Kunstwerk und üben bis heute einen starken Einfluss auf die Bewertung von Skulpturfotografie aus. Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich spricht 2009 die Überpräsenz von Benjamins Thesen innerhalb der Diskussion um Reproduktionen von Kunstwerken an: 44 | Renger-Patzsch, Albert: Über das Photographieren von plastischen Kunstwerken, in: Stiegler, Bernd/ Wilde, Ann/Wilde, Jürgen: Albert Renger-Patzsch. Die Freude am Gegenstand. Gesammelte Aufsätze zur Photographie, Paderborn 1925/2009, S. 35. 45 | Der Aufsatz erschien in der „Zeitschrift für Sozialforschung“ und thematisiert die Auswirkungen der Medien Fotografie und Film auf die Interpretation und Rezeption von Kunstwerken. Die politische und medientheoretische Bedeutung des Textes wurde jedoch erst erkannt, nachdem der Text 1963 im Suhrkamp-Verlag erneut aufgelegt wurde. Benjamin/Lindner, 2011, S. 95. 46 | Ebenda S. 31. 47 | Vgl. ebenda, S. 14. 48 | Ebenda, S. 15.

Bedingungen der Skulpturfotografie „[Es] herrscht heutzutage die Ansicht, es genüge, Walter Benjamins Aufsatz aus dem Jahr 1936 zu zitieren, um dem Thema ‚Reproduktion‘ abschließend gerecht zu werden. Die dadurch bedingte Monotonie in der Auseinandersetzung dürfte ohne Vergleich sein.“49

Tatsächlich wird vorwiegend die Unzulänglichkeit von Skulpturfotografie diskutiert, und nur wenige Autoren berücksichtigen Argumente, die den Wert und Nutzen von Reproduktionen hervorheben. Martina Dobbe merkt jedoch 2007 an, dass es „durchaus zu den dialektischen Implikationen von Benjamins These [gehöre], daß gerade die massenhafte Dauerpräsenz der kunstreproduzierenden Fotografie die Auratisierung des Originals noch gesteigert und intensiviert hat“.50 Benjamins Thesen lassen sich demnach um folgende Frage ergänzen: Kann die Fotografie durch ihre Präsenz oder durch die Art ihrer Gestaltung das Kunstwerk vielleicht sogar aufwerten, seine ‚Aura‘ oder seinen ‚seelischen Gehalt‘ abbilden, verstärken oder erzeugen? Dass es noch mehr als Fakten einer Skulptur zu vermitteln gilt, wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts bemerkt. Ausgehend von den Schriften des britischen Fotografen Peter Henry Emerson entbrannte in Europa eine Diskussion über den künstlerischen Wert von Fotografie. Emerson vertrat zunächst die Ansicht, dass es die Aufgabe des Künstlers sei, die Natur so abzubilden, wie die menschliche Wahrnehmung sie aufnimmt: „Nichts in der Natur ist scharf umrissen, alles was man sieht, sieht man vor etwas anderem, und seine Konturen gehen in dieses Andere oft so sachte und unmerklich über, daß man gar nicht unterscheiden kann, wo das eine endet und das andere beginnt.“51

Er setzte sich von den Bestrebungen der Fotoindustrie nach gestochen scharfen Abbildungen ab und empfahl eine weichzeichnende, leicht unscharfe Aufnahme.52 Die Unschärfe, die auch malerische Eindrücke erzeugt, begründet für Emerson

49 | Ullrich, Wolfgang: Raffinierte Kunst. Übung vor Reproduktionen, Berlin 2009, S. 16. 50 | Dobbe, Martina: Fotografie als theoretisches Objekt. Bildwissenschaft, Medienästhetik, Kunstgeschichte, München 2007, S. 33. 51 | Emerson, Peter Henry zitiert nach Newhall, Beaumont: Geschichte der Photographie, München 1984, S. 147. 52 | Emersons Argumentation zugunsten der Unschärfe basiert auf den Schriften Leonardo da Vincis, die er über seine Maltechnik Sfumato und die damit verbundene Wahrnehmungstheorie verfasste. Der Renaissancekünstler wird von Emerson als Höhepunkt des künstlerischen Schaffens aller Zeiten genannt. Vgl. Newhall, 1984, S. 145.

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Abbildung 3a | Auguste Rodin: Balzac, Gips, 1897. Fotograf: Edward Steichen: Balzac, towards the light, Midnight, 1908, in: Marcoci 2010, S. 94. den künstlerischen Wert der Fotografie.53 Seine Thesen verbreiteten sich umgehend in ganz Europa und das Streben nach weichgezeichneten Bildern fand viele Nachfolger. Unter dem Namen Piktorialisten setzten Fotografen sich zum Ziel, Fotografie als eigenständige künstlerische Gattung zu etablieren. Unschärfe, Retuschen und diffuse Lichtführung wurden als stilistische Mittel eingesetzt, womit der objektive Eindruck der Fotografie zugunsten einer künstlerischen Ästhetik aufgehoben wurde. Die Piktorialisten vertraten die Meinung, „dass eine Fotografie durch die Interpretationsleistung und technischen Fertigkeiten des Fotografen ein künstlerisches Bild der Realität schaffen könne“.54 Die Unschärfe und Weichheit wurde zum Markenzeichen der avantgardistischen Fotografen, die sich von Wissenschaft und akademischer Fotografie absetzen wollten. Beeinflusst von der europäischen Avantgarde wurde in Amerika Alfred Stieglitz zur führenden Persönlichkeit der piktorialistischen Fotografie. Er gründete gemeinsam mit Edward

53 | Im Jahr 1898 rückt Emerson von seinen bisher vertretenen Ansichten ab, da er eine Beschränkung in der fotografischen Darstellung feststellte und erklärte die Fotografie in der dritten, überarbeiteten Auflage seines Buches „Naturalistic Photographie“ ab sofort zur „Nicht-Kunst“. Vgl. Newhall, 1984, S. 149. 54 | Gülicher, 2011, S. 23.

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Abbildung 3b | Auguste Rodin: Balzac, Gips, 1897. Fotograf: Edward Steichen: Balzac, the Silhouette – 4 a-m., 1908, in: Marcoci 2010, S. 95. Steichen und Frank Eugene 1902 die Gruppe „Photo-Secession“, die flüchtige, impressionistische und heftig umstrittene Fotografien veröffentlichte und ausstellte.55 Die künstlerisch ausgerichtete Fotografie stieß auch auf das Interesse von Bildhauern. Allen voran war es Auguste Rodin, der den Nutzen der Fotografie für seine eigene Arbeit erkannte. Er ließ Skulpturen im Atelier in verschiedenen Stadien dokumentieren, verwendete Fotografien als Skizzenmaterial und Gedankenstütze und legte mit der Zeit ein großes fotografisches Archiv seiner Arbeiten an, das er zunächst ausschließlich für seine eigene bildhauerische Auseinandersetzung benötigte.56 In den 1890er Jahren änderte sich sein Umgang mit der Fotografie, denn er nutzte sie zunehmend zur Veröffentlichung, stellte Fotografien zusammen mit seinen Skulpturen aus und kontrollierte das von der Presse verwendete Abbildungsmaterial.57 Rodin arbeitete nun mit ausgewählten Fotografen zusammen. Dabei suchte er nach einem Fotografen, der seine Werke „nicht minutiös in ihren Einzelheiten zu erfassen suchte, sondern der die Finessen ihrer Gestalt im Wech55 | In der zur „Photo-Secession“ gehörenden „Galerie 291“ in New York stellten die Fotografen ihre eigenen Werke aus. Darüber hinaus wurden auch europäische Künstler gezeigt, unter anderem die Bildhauer Auguste Rodin (1908) und Constantin Brancusi (1914). 56 | Vgl. Pinet, Hélène: „Das Wichtigste ist, zu zeigen“. Rodin und die Fotografie, in: Billeter, 1997, S. 71-80. 57 | Vgl. Gülicher, 2011, S. 167.

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sel der Licht- und Raumsituation erkannte“58. Solche Aufnahmen wurden nicht in konventionellen Fotostudios gemacht. Rodin begegnete dem experimentierfreudigen Amateurfotografen Eugène Druet, mit dem er daraufhin eng zusammenarbeitete, sowie Edward Steichen, der sich bereits als Künstler-Fotograf einen Namen gemacht hatte.59 Es ist bezeichnend für das Selbstverständnis der Fotografen, dass Druet seine Negative stolz mit „ph. am.“ (photographe amateur) signierte, um sich von der konventionellen Fotografie abzugrenzen und dadurch die Qualität seines eigenständigen Blicks hervorzuheben.60 Es war Rodin bewusst, dass Fotografien einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung seiner Arbeiten in der Öffentlichkeit nahmen. So hoffte er, dass sich seine vielkritisierte Plastik Honoré Balzacs durch die Fotografie von Steichen dem Publikum erschließen würde: „Sie werden der Welt durch diese Bilder helfen, meinen Balzac zu verstehen.“61 (Abb. 3a-b) Rodin sah sein bildhauerisches Konzept durch Steichens Aufnahmen treffender umgesetzt als durch sachliche Studioaufnahmen. Die Flüchtigkeit seiner Formgebung, die in Licht- und Schattenflächen wechselnden Oberflächen und die Bewegung der Figur fanden sich in Steichens experimenteller Fotografie wieder und wurden durch die Ähnlichkeit der künstlerischen Konzepte unterstützt. Doch Steichens bei Nacht aufgenommene ­Fotografien des „Denkmals für Balzac“ wurden kaum als Abbildungsmaterial in Zeitschriften und Büchern über Rodins Werk verwendet.62 Zu fest verankert waren die Konventionen der sachlichen Skulpturfotografie und in Folge zu groß die Ablehnung der malerischen Aufnahmen seitens der Presse, die stattdessen einen detaillierten Eindruck der Plastik forderten.63 Auch die beiden Bildhauer Constantin Brancusi und Medardo Rosso sind dafür bekannt, dass ihnen eine konventionelle, sachliche Abbildung ihrer Werke nicht zusagte.64 Sowohl Brancusi als auch Rosso übernahmen selbst die Aufgabe, ihre Werke zu fotografieren, und lehnten alle anderen Fotografen ab.65

58 | Ebenda, S. 168. 59 | Vgl. Pinet, in: Billeter, 1997, S. 76. 60 | Maaz, Bernhard: Druet sieht Rodin. Photographie & Skulptur, Berlin, 2005, S. 7. 61 | Dobbe, 2007, S. 63. 62 | Die Aufnahmen wurden als Werke Steichens behandelt und in der von Stieglitz herausgegebenen Zeitschrift „Camera-Work“ sowie als Illustration einer Rilke-Monografie von 1903 abgebildet. Siehe Gülicher, 2011, S. 175. 63 | Vgl. Gülicher, 2011, S. 175. 64 | Rodin, Brancusi und Rosso vertreten die am vollständigsten erforschten bildhauerischen Positionen in Bezug auf den Umgang mit Fotografie. Sie sind aber bei weitem nicht die einzigen Bildhauer, die sich mit Fotografie beschäftigten. Auch Henri Moore, Alberto Giacometti und Marcel Duchamp setzten sich mit Fotografie auseinander. 65 | Vgl. Brockhaus, Christoph: Vision statt Reproduktion, in: Billeter, 1997, S. 81-86.

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Abbildung 4 | Constantin Brancusi: Vogel im Raum, polierte Bronze, um 1932. Fotograf: Constantin Brancusi, o. J., in: Marcoci 2010, S.101. Constantin Brancusi arrangierte und fotografierte seine Skulpturen im eigenen Atelier und schuf so ein fotografisches Œuvre, das untrennbar mit seinen skulpturalen Arbeiten verbunden ist und das deren Aussagekraft stützte und intensivierte. Durch die Beobachtung des natürlichen Lichteinfalls auf die Skulpturen in seinem Atelier „überhöhte, transformierte [er] in Licht und Raum noch einmal die Mehrdeutigkeit und Vielschichtigkeit seiner Plastik in der Fotografie“66. Die von Christoph Brockhaus als Überhöhung bezeichnete Wirkung der Skulpturen Brancusis in der Fotografie könnte ebenso gut als Verstärkung der Aura bezeichnet werden, denn durch das Licht verlieh der Künstler seinen skulpturalen Werken eine besondere Strahlkraft, die ausschließlich durch die Fotografie in Erscheinung tritt. Die Fotografie diente Brancusi dazu, dem Betrachter die gewünschte Wirkung der Skulpturen im Raum zu verdeutlichen (Abb. 4). Bei Medardo Rosso ist die Inszenierung der Plastik im Ausstellungsraum ein wesentlicher Bestandteil des Werks. Für die Wirkung der Plastiken ist zudem die atmosphärische Beleuchtung von entscheidender Bedeutung. Rosso nutzte die Fotografie, um durch die Inszenierung seiner Plastiken seine bildhauerischen Ab66 | Brockhaus, in: Billeter, 1997, S. 84.

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sichten deutlich zu machen und legte daher großen Wert auf die eigenhändige Bearbeitung und Auswahl der Fotografie. Christoph Brockhaus argumentiert, dass Rosso nicht an die Objektivität der Fotografie glaubte und daher nur seine eigenen, subjektiven Aufnahmen zuließ. Rossos Äußerungen in einem auf 1927 datierten Brief, auf die Brockhaus seine Thesen stützt, sind jedoch stichwortartig formuliert und daher nur schwer zu deuten. Sie belegen seine Ablehnung gegenüber den Aufnahmen der Fotografen, machen jedoch nicht eindeutig klar, wie er die Objektivität von Fotografie einschätzt. Rosso schrieb: „Niemals habe ich schlimmere Kriminelle kennengelernt als Fotografen / Äusserst unverantwortlich – / … Enormer Feind des Sehens – weil sie [die Produktion der Fotografen] begrenzt – weil sie objektiv ist –/Verleumdung unserer Geisteshaltung = des Unbegrenzten… / Jeder Gedanke ist ein Grenzenloser – Jede Vision eine Einheit, sogar wenn sie minimal [ist] / Je mehr Effekt Du auf einem sogenannten Bild siehst – Desto falscher ist es weil es objektiv ist…Und wer sieht, denkt mit Weite – handelt mit Weite / Ohne den Anfang zu verlassen – Ich schicke Dir hier ein Foto – es ist nicht retuschiert, um es möglichst objektiv sichtbar zu machen… / Fotografie als Erfindung ist eine große Sache – aber für das Sehen ist sie das größte Übel – Und viel mehr, seit sie Einkünfte bewirkt!“67

Rossos Meinung zur Objektivität der Fotografie kann überzeugender anhand seiner eigenen Aufnahmen belegt werden: Der Bildhauer fotografierte seine Plastiken in vielen Varianten aus verschiedenen Blickwinkeln, übermalte oder überzeichnete die Fotografien, die ihrerseits unscharf und skizzenhaft waren. Der Bildhauer war sich sicher, „diese sind die besten [Aufnahmen]“, und nahm damit Stellung für eine sehr subjektive Fotografie ein, die er jedoch ausschließlich selbst anfertigte, um die Vermittlung seiner künstlerischen Intention nicht durch den Eingriff eines Fotografen zu gefährden.68 Nina Gülicher sieht das Interesse der Bildhauer Rodin, Brancusi und Rosso an der Inszenierung ihrer Werke in deren bildhauerischen Konzepten begründet, die „Transformation und Auflösung der plastischen Materialien […] suggerieren“ und „durch das Zusammenspiel von Material, Licht, Raum und Betrachterblick“ die Umgebung der Werke einbeziehen.69 Diese Themen können von der Fotografie besonders gut aufgegriffen werden, da sie als Lichtbild ähnliche Fragestellungen aufwirft und entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Den drei Bildhauern Rodin, Rosso und Brancusi, die zu den bedeutendsten Vertretern moderner Plastik zählen, ist im Umgang mit der Fotografie gemein, dass sie ihr bildhauerisches Konzept mit der Fotografie vereinbarten und durch die 67 | Rosso, Medardo, zitiert nach Brockhaus, in: Billeter, 1997, S. 82. Die Satzzeichen und Hervorhebungen sind aus dem Original übernommen. Kürzungen der Verfasserin werden grundsätzlich mit [...] kenntlich gemacht.. 68 | Ebenda. 69 | Gülicher, 2011, S. 10.

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Fotografie Eigenschaften der Skulptur für sich selbst und für das Publikum sichtbar machten. Sie bevorzugten Aufnahmen, die keine sachlichen Ansichten boten, wobei sie diese Konvention in der Praxis nicht vollständig unterbinden konnten. Heute werden die subjektiven Fotografien ihrer Werke verstärkt von Kunsthistorikern betrachtet, da von ihnen abgeleitet werden kann, wie die Künstler ihre Skulpturen gesehen und verstanden haben wollten.70 Da die Bildhauer selbst Urheber der Fotografien waren (Brancusi und Rosso) oder diese genauestens kontrollierten (Rodin) werden die Aufnahmen heute als weitere Facette ihrer künstlerischen Arbeit bewertet.71 Die Bildhauerei Rodins und auch die piktorialistische Fotografie wirkten sich auf die Skulpturfotografie des 20. Jahrhunderts in Deutschland aus. Die Abbildungen in Publikationen waren zwar nicht im gleichen Maße unkonventionell, wie es die Fotografien der europäischen Vorbilder waren, doch es entstand eine neue Experimentierfreude unter den Fotografen und der Wunsch nach malerisch gestalteten Fotografien wuchs. Die Vorteile der subjektiven Fotografie wurden zum einen in ihrer interpretatorischen Leistung gesehen, zum anderen in ihrer Fähigkeit, bestimmte Eigenschaften einer Skulptur hervorzuheben und so die bildhauerische Idee zu präzisieren. Laut Christoph Brockhaus zeigt sich eine „Vision anstelle von Reproduktion“72 . Nicht nur für Wissenschaftler und Publikum, auch für die Bildhauer selbst konnten Fotografien als Interpretationen plastischer Kunstwerke aufschlussreich sein. So schätzte Picasso den Perspektivwechsel durch den Fotografen Brassaï: „Es ist vielleicht merkwürdig, aber Ihre Fotos helfen mir, meine Skulpturen zu beurteilen, ich sehe sie dadurch mit ganz anderen Augen…“73 Ursula Frohne stellt 2014 fest, dass die Fotografie damit „die Bedeutung eines Erkenntnisinstruments [gewann], mit dem der Bildhauer die Wahrnehmungsmodalitäten seiner Skulptur auslotete und die Wirkung seiner Werke […] konzeptionell erprobte“74. Obwohl Skulpturfotografie grundsätzlich immer die subjektive Gestaltung des Fotografen einschließt, wird die objektive Darstellung dennoch meist angestrebt. Wolf Strache beobachtet 1941: „Nur selten ergibt sich aus der engen Zusammenarbeit eines Bildhauers und eines Kameramannes die Absicht, mehr als dies zu wollen, ja, womöglich den Rahmen sachlicher Abbildung zu sprengen und 70 | Vgl. Frohne, Ursula: Skulptur seit Erfahrung der Fotografie. Kristallisationen plastischen und fotografischen Denkens, in: Ecker, Bogomir/Kummer, Raimund/Malsch, Herbert/Molderings, Friedemann: Lens/Based Sculpture. Die Veränderung der Skulptur durch die Fotografie, Berlin 2014, S. 75. 71 | Ohne die Beteiligung von Bildhauern angefertigt, fiel das Urteil über subjektive Fotografie zumeist kritischer aus, da die Legitimation fehlte. Vgl. Billeter, 1997, S. 28. 72 | Dobbe, 2007, S. 59, sowie Brockhaus, in: Billeter, 1997, S. 81. 73 | Brassaï: Gespräche mit Picasso, Hamburg 1966, S. 91. 74 | Frohne, in: Ecker/Kummer/Malsch/Molderings, 2014, S. 75.

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Ein Bild von Skulptur dem freien künstlerischen Schaffen des Bildhauers die ganz persönliche Schau des Fotografen hinzuzufügen, so daß die endlich erreichten Aufnahmen eigentlich eine zweifache künstlerische Gestaltung wiedergeben: die des Bildhauers und die des Lichtbildners.“ 75

Gerade der Umstand, dass eine zweite Person den Eindruck der Skulptur mitbestimmen kann, wird nur selten positiv bewertet. Stattdessen wird die Arbeit des Fotografen als minderwertig dargestellt: „Die Mehrheit [der Bildhauer] arrangierte sich mit der zwangsläufigen Verzerrung und den ‚falschen Eindrücken‘, die eine herkömmliche Bebilderung mit sich brachte.“76 Die Vermittlung des bildhauerischen Konzepts kann jedoch auf eigenständige Weise durch fotografische Mittel erzeugt werden, insbesondere wenn es um Raumwirkung, Stimmung und Emotionen geht. Die Fotografie ermöglicht, durch ihre Gestaltung eine eigene Erlebniswirkung herzustellen, die bei objektiv angelegter Fotografie häufig vermisst wird.77 Benjamins These zum Verlust der Aura eines Kunstwerks kann nur dann greifen, wenn die Fotografie konsequent wie bei Benjamin als Reproduktion behandelt wird. Da Fotografie jedoch (wie bereits erläutert) auch eine Produktion ist, muss sie auch in ihrer medialen Eigenwirkung betrachtet werden. Wird Fotografie vom Anspruch nach Reproduktion befreit, so erfährt sie eine Erweiterung ihrer Aufgaben und Fähigkeiten, so dass es möglich wird, ihr eine eigene Aura zuzuschreiben. Fotografie als grundsätzlich subjektives Verfahren hat die Möglichkeit, auch Inhalte jenseits von formalen Fakten zu vermitteln. Dabei wird sie immer mehr zum Bild und entfernt sich von der Abbildhaftigkeit. Die Bewertung dieser Varianten der Fotografie wurde seit jeher kontrovers diskutiert und spiegelt insbesondere die Einordnung der Fotografie als künstlerische oder eben nichtkünstlerische Gattung wider.

1.1.4 Analyse einer subjektiven Fotografie Eine Fotografie wurde immer dann als besonders künstlerisch empfunden, wenn sie nach Kriterien der Malerei funktionierte. Doch auch die auf dem Piktorialismus basierende Fotografie konnte wenig Gestaltungsfreiraum für den Fotografen beinhalten, folgten die deutschen Fotografen doch ihren europäischen Vorbildern und übernahmen deren Gestaltungsmittel als neuen Konsens. Edmund Kesting gehört zu den Fotografen, deren Skulpturaufnahmen einen eigenständigen Wiedererkennungswert besitzen, da sie sich von allen anderen 75 | Strache, Wolf: Bildbericht über eine Plastik, in: Gebrauchsfotografie. Das Atelier des Fotografen, September 1941, 48. Jahrgang, Heft 9, S. 165. 76 | Bosse, Dagmar: Souvenir, Dokument und Substitut. Die Abbildung im Ausstellungskatalog, in: Bosse, Dagmar/Glasmeier, Michael/Prus, Agnes (Hrsg.): Der Ausstellungskatalog. Beiträge zur Geschichte und Theorie. Köln 2004, S. 52. 77 | Vgl. Mattysek, 2005, S. 233.

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Fotografien abheben und sich dadurch als subjektiv einordnen lassen. Kesting sah sich als modernen Bildgestalter, der sowohl Malerei als auch Fotografie beherrschte und die Skulpturfotografie nutzte, um eigenständige Bilder zu komponieren.78 Besonders in der Zusammenarbeit mit Bernhard Heiliger entstanden Kompositionen, die eine individuelle Gestaltung aufweisen und zugleich das Skulpturkonzept des Bildhauers stützen.79 Die Fähigkeiten der Fotografie setzte Kesting bewusst als Stilmittel ein und versuchte nicht, sie der Skulptur unterzuordnen. Er begriff die Fotografie als eigenständiges Medium, das die Möglichkeiten zur Bildgestaltung erweiterte: „Bei geübter Anwendung dieses Verfahrens entstehen neuwertige Tonabstufungen, wie sie weder Malerei noch Zeichnung hervorbringen können.“80 Er scheute sich zudem nicht, Techniken einzusetzen, die zunächst als Fehler in der Fotografie bewertet worden waren. Doppelbelichtung, Solarisation, Montagen und Fotogramme führten ihn zu Bildern, die nicht mehr einen realistischen oder objektiven Eindruck widerspiegelten. Dadurch war Kesting in seinen Kreationen unabhängig von tatsächlich Vorhandenem, und so bildete er aus vielen Teilen bestehende Bilder, die er mit Mosaiken verglich.81 Die individuelle Gestaltung der Fotografie, die bei Kesting durch eine Vielzahl von veröffentlichten Aufnahmen nachweisbar ist, ist schwer zu belegen, sobald der Fotograf unbekannt ist oder nur einzelne Abbildungen vorliegen. Ist die Skulptur jedoch stark verfremdet, in Kombination mit anderen Dingen oder fotografischen Effekten gebracht oder durch Beleuchtung, Belichtung oder Retuschen verändert – tritt also die Gestaltung des Fotografen offen in Erscheinung –, ist die Fotografie nicht mehr als sachlich anzusehen. Zwei Aufnahmen des Werks „Vogelbauer“ von Hans Uhlmann, die der Fotograf Johannes Felbermeyer anfertigte, machen die Gratwanderung zwischen sachlicher und subjektiver Fotografie deutlich (Abb. 5a-b).82 Die erste Aufnahme zeigt die Drahtplastik von Uhlmann auf der rechten Seite des Bildes, daneben ihren durch einen hellen Lichtkegel erzeugten Schlagschatten. Die Plastik leuchtet teilweise hell auf, geht an anderen Stellen jedoch beinahe in den dunklen Hintergrund über. Die Form der Skulptur ist dadurch gerade noch für den Betrachter erkennbar. Der Schatten links neben der Figur ist größer als die Plastik und unscharf, so dass er bewegt und flüchtig erscheint.

78 | Vgl. Kesting, Edmund: Ein Maler sieht durch’s Objektiv, Halle 1958, S. 9. 79 | Siehe Kapitel 5.3.2. 80 | Kesting, 1958, S. 28. 81 | Vgl. ebenda. 82 | Die Fotografien befinden sich im Archiv des ZIKG in München unter den Nummern 323900 und 323901. Sie sind beschriftet mit: „Hans Uhlmann: Vogelbauer“ und „Foto: Felbermeyer, München“, beide sind undatiert und ihre Veröffentlichung ist nicht nachgewiesen.

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Abbildung 5a | Hans Uhlmann: Vogelbauer, Eisendraht, o. J. (1946-1952). Fotograf: Felbermeyer, in: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München, Archivnummer 323900. Die zweite Aufnahme desselben Werks ist ähnlich komponiert, jedoch befindet sich die Plastik auf der linken Seite des Bildes. Hier sind nur einzelne Metallstreben vom Licht erfasst, so dass die exakte Form der Skulptur verfremdet wird. Stattdessen zeichnet sich der Schlagschatten in aller Deutlichkeit auf dem hell beleuchteten Hintergrund ab. Beide Fotografien vernachlässigen die Erkennbarkeit der Skulptur zugunsten der Bildeigenwirkung, die durch die Licht- und Schattenspiele geheimnisvoll und interessant wird. Auch wenn einzelne Gestaltungsprinzipien der sachlichen Fotografie beibehalten werden (z. B. der monochrome Hintergrund), so ist die Plastik offensichtlich mit fotografischen Mitteln inszeniert worden. Trotz des Eingriffs des Fotografen liefert diese Interpretation dem Betrachter eine Fülle von Informationen über das Kunstwerk. So wird durch den Schatten die Wandelbarkeit von Uhlmanns Werk betont, die dadurch entsteht, dass es von verschiedenen Seiten betrachtet sehr unterschiedlich erscheint und somit die Form für den Betrachter nicht zu fixieren ist. Auch weicht Felbermeyer in seiner Skulpturfotografie von der Ansicht ab, die ein Betrachter von der originalen Skulptur erwarten könnte. Die Inszenierung durch die Beleuchtung stellt zwar die reflektierende Materialeigen-

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Abbildung 5b | Hans Uhlmann: Vogelbauer, Eisendraht, o. J. (1946-1952). Fotograf: Felbermeyer, in: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München, Archivnummer 323901. schaft des Stahls deutlich heraus, käme jedoch in einer natürlichen Beleuchtung kaum zum Tragen und könnte demnach so vom Betrachter nicht gesehen werden. Der Fotograf verstärkt an dieser Stelle mit fotografischen Mitteln die Wirkung der Plastik, ohne sich an eine exakte Wiedergabe des Werks zu binden. Subjektive Fotografie zeichnet sich demnach dadurch aus, dass der Fotograf eigenständig gestaltet, um ein für den Betrachter attraktives, schönes, aufsehenerregendes oder unterhaltsames Bild zu erzeugen. Da sich diese Art der Fotografie gerade durch ihre Individualität und durch die Freiheit des Fotografen auszeichnet, können keine Kriterien für subjektive Fotografie festgelegt, sondern nur Abweichungen von der Objektivität summiert werden. Eine eigenständige fotografische Bildsprache jenseits von historischem Zeitgeschmack ist nur äußerst selten in der Skulpturfotografie zu finden. Trotzdem muss bei allen Bildbeispielen die Subjektivität des Fotografen Ausgangspunkt der Betrachtung sein, denn das objektive Abbild ist wie bereits dargelegt eine nicht zu erreichende Utopie und kann demnach nur als Zielsetzung gelten.

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1.2 D ie Rolle der Fotografen Die historischen Argumentationen um sachliche oder subjektive Skulpturfotografie verdeutlichen die Vielschichtigkeit der Auseinandersetzung. Die Fotografen standen vor der Herausforderung, als Dienstleister den teils widersprüchlichen Anforderungen von Bildhauern, Wissenschaftlern und Buchproduzenten ausgesetzt zu sein. Auch wenn die subjektive Fotografie dem Fotografen mehr individuelle Gestaltungsmöglichkeiten bot und aus fotografischer Sicht interessanter war, wurde sie nur selten umgesetzt. Abbildungen von Kunstwerken wurden im 20. Jahrhundert als den wissenschaftlichen Text unterstützende Hilfsmittel verstanden und daher entwickelte sich das kunsthistorische Sachverständnis über ein Werk zum Kriterium angemessener Skulpturfotografie. Zugleich wurde die Fotografie als rein dienendes Handwerk eingestuft, das den hohen wissenschaftlichen Anforderungen nicht gewachsen sei. Zwar trat immer stärker in das öffentliche Bewusstsein, dass „auch die photographische Aufnahme [...] noch von der Individualität eines Zwischenträgers abhängig“83 sei, denn „zur Photographie gehört der Photograph“84. Doch diese Erkenntnis wurde nach wie vor als potentieller Qualitätsverlust angesehen und es wurde daher gefordert, dass der Fotograf sich möglichst in der Gestaltung zurücknehmen solle. „Ernsthaftes Bemühen, Bescheidenheit und Achtung vor dem Kunstwerk, diese drei Begriffe umschreiben das beste Zeugnis, das man einem kunstwissenschaftlichen Fotografen ausstellen kann“85, so Heinrich L. Nickel 1959. Zahlreiche Wissenschaftler waren sich darüber einig, dass der Fotograf sich als Gestalter vollkommen zurücknehmen müsse. Er habe sich „jeder Künstelei zu enthalten“86. Der Verleger Reinhard Piper berichtet von einem 1934 geführten Gespräch mit Ernst Barlach: „Nachdem der Fotograf [Berthold Kegebein] sich empfohlen, erzählte Barlach von seinen Erfahrungen mit Fotografen. ‚Die früheren haben immer zu weich und verschwommen gearbeitet, alles wollten sie künstlich malerisch und ›interessant‹ machen, schräg von unten, mit Glanzlichtern und so weiter. Herr Kaegebein ist aber so dumm – er ist so dumm, daß er nur gute Aufnahmen machen kann. Anders ist es ihm gar nicht möglich.‘ (Das war, in Barlachs etwas skurriler Ausdrucksweise, ein hohes Lob.)“87

83 | Von Tieschowitz, 1939, S. 152. 84 | Ebenda. 85 | Nickel, Heinrich L.: Fotografie im Dienste der Kunst. Die Anwendung der Fotografie in der Kunstwissenschaft, Archäologie und Vorgeschichte, Halle 1959, S. 8. 86 | Von Tieschowitz, 1939, S. 152. 87 | Tarnowski, 1997, S. 472.

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Barlach bringt in seiner direkten Art deutlich zum Ausdruck, wie gering die Achtung für einen Fotografen sein konnte. Eine selbstbewusste, eigenständige Positionierung der Fotografen war häufig gar nicht erwünscht. Die Kunsthistoriker sahen sich selbst als alleinige Experten des kunsthistorischen Wissens an und fühlten sich dazu befähigt, die Ansprüche an Abbildungen am besten umsetzen zu k­ önnen: „Grundsätzlich werden die Aufnahmen künstlerischer Gegenstände, soweit sie Unterlagen für die Forschung sein sollen, am besten durch den Wissenschaftler selbst hergestellt; er allein kann [...] beurteilen, welche Ansichten wichtig und richtig sind.“88 Die fotografische Expertise wurde durch die Ausrichtung nach kunsthistorischen Belangen vollständig ignoriert. Auf der einen Seite wurden hohe Anforderungen an das fotografische Bild gestellt, auf der anderen Seite traute man dem Fotografen die Umsetzung nicht zu. Der Fotograf Paul Kristeller entgegnet 1908, dass leider „die meisten Kunsthistoriker in technischen Fragen der Reproduktion, die sie doch so nahe berühren, von einer unbegreiflichen Unerfahrenheit und Gleichgültigkeit“ seien.89 Thomas Wiegand brachte die Anforderungen an den Fotografen 1991 in einer beinahe ironisch wirkenden Schlussfolgerung auf den Punkt: „Um das Wesen einer antiken Plastik fotografisch angemessen zu erfassen, müsste man nicht nur Fotograf, sondern zusätzlich akademisch geschulter Bildhauer und Archäologe sein.“90 Nicht die fotografischen Fähigkeiten galten als Maßstab, sondern die Einfühlung in das Kunstwerk war das Qualitätskriterium. Eine Abbildung konnte nur durch den Bildhauer selbst oder durch Wissenschaftler legitimiert werden. Die Aufnahmen von Bildhauerfotografen wurden häufig denen der Fotografen vorgezogen, da sie eher „den individuellen Zielsetzungen […] gerecht“ würden.91 Zudem wurde die besondere Fähigkeit der Fotografie, Inhalte an den Betrachter zu vermitteln, nicht wertgeschätzt, sondern als Manipulation empfunden und häufig als negative Eigenschaft herausgestellt.92 Die Fotografen selbst folgten zwar weitestgehend der Einschätzung, dass kunsthistorisches Wissen notwendig für eine angemessene Aufnahme von Skulptur sei, doch sie verteidigten auch ihr Fachgebiet, indem sie insbesondere auf die Fähigkeiten der Berufsfotografen hinwiesen, das geeignete technische Equipment auszuwählen und zu bedienen.93 Anstatt sich jedoch auf ihr individuelles Können 88 | Von Tieschowitz, 1939, S. 152. 89 | Kristeller, 1908, S. 539. 90 | Wiegand, 1991, S. 33. 91 | Bosse, 2004, S. 51. 92 | In zahlreichen Texten zu Skulpturfotografie wird bis heute das negativ besetzte Wort manipulieren verwendet und damit eine Bewertung der Fotografie vorgegeben. Zum Beispiel: Bosse 2004, S. 52. 93 | Vgl. Renger-Patzsch, 1925/2009, S. 35.

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wie dem geschulten fotografischen Blick zu berufen, betonten die Fotografen eher ihre handwerklichen Fähigkeiten.94 Ein Grund dafür mag sein, dass die meisten Aufsätze über Skulpturfotografie, die von Fotografen verfasst wurden, in Fachzeitschriften publiziert wurden, deren redaktionelle Ausrichtung auf den neuesten Techniken und Produkten im Bereich Fotografie lag.95 Die Wahl des richtigen Equipments wurde in diesen Aufsätzen als die wichtigste Entscheidung der Fotografen dargestellt, dessen persönliche Fähigkeiten spielten hingegen eine untergeordnete Rolle. Rolf Sachsse legt in seinem 1982 veröffentlichten Aufsatz „Die Arbeit des Fotografen – Marginalien zum beruflichen Selbstverständnis deutscher Fotografen 1920-1950“ dar, wie sich die handwerklichen Fähigkeiten als Berufsauszeichnung der Fotografen historisch konstituierten. Sachsse beobachtet in diesem Zeitraum ein durchgängig geringes Selbstbewusstsein der Fotografen und sieht ihren Status als Handwerker auch ideologisch begründet.96 Die Berufsfotografen und die Fachpresse lehnten in den 1920er Jahren künstlerische Experimente ab und bewerteten sie sogar als Schädigung für das Berufsbild des Fotografen.97 Während des Nationalsozialismus kam es zu „intellektueller Selbstaufgabe“ der Fotografen, die nach dem Zweiten Weltkrieg dazu führte, dass sie keine Verantwortung für ihre Rolle im Propagandabetrieb übernahmen.98 Die Selbsteinschätzungen der Fotografen und die Außenwahrnehmung fügten sich so zu einem Gesamtbild über den fotografischen Beruf, das von Geringschätzung geprägt war. Immer wieder wurde das Argument hervorgebracht, Amateure würden die besseren Ergebnisse erzielen als ausgebildete Fotografen.99 Der Fotograf eines bildhauerischen Werks musste also in einer komplexen Vielfalt von teils widersprüchlichen Anforderungen arbeiten. Aus Sicht der Wissenschaftler sollte er gestalterisch nicht in Erscheinung treten.100 Aus Sicht mancher Bildhauer und der Betrachter sollte er aufregende Bilder machen.101 Darüber hinaus waren sich Kunsthistoriker und Bildhauer meist einig, dass seine Aufnah94 | Vgl. Sachsse, Rolf: Die Arbeit des Fotografen. Marginalien zum beruflichen Selbstverständnis deutscher Fotografen 1920-1950, in: Fotogeschichte 4/1982, S. 55-63. 95 | Aufsätze zur Skulpturfotografie erschienen in den Zeitschriften „Der Photograph“, „Gebrauchsfotografie“, „Photographische Rundschau“, „Agfa-Photoblätter“. Diese Zeitschriften wurden unter anderem durch die Werbeanzeigen großer Fotofirmen finanziert. 96 | Vgl. Sachsse, 1982, S. 55f. 97 | Vgl. ebenda, S. 57. 98 | Vgl. ebenda, S. 58-61. 99 | Vgl. Renger-Patzsch, 1925/2009, S. 35. 100 | Schwarz, Oskar: Über das Fotografieren von alten Plastiken, in: Photographische Rundschau 79/1942, S. 8. 101 | Vgl. von Schintling, Karl: Über die Lichtbildaufnahme plastischer Kunstwerke, in: Photographische Rundschau 65/1928, S. 13

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me ohnehin nur gegenüber dem Original verlieren könne.102 Selbst der Fotohistoriker Janos Frecot wertet noch 2007 die Arbeit des Skulpturfotografen ab: „Bei aller Kunstfertigkeit und allem Verständnis des Fotografen für das Werk verhält sich das fotografische Abbild der Skulptur mit ihrer haptischen Präsenz wie die Schwarz-Weiß Reproduktion zum farbigen Original: Es informiert allenfalls über Inhalt und Umriss.“103

Es verwundert daher nicht, dass die Skulpturfotografie bisher wenig erforscht ist, trägt sie doch den Stempel eines langweiligen Dienstleistungsprodukts. Die geringe Aufmerksamkeit, die Bildhauer, Wissenschaftler und auch die Fotografen selbst der Abbildung von Skulpturen entgegenbrachten, steht nicht im Verhältnis zu ihrer Komplexität und zu ihrer häufigen Verwendung. Es ist daher für diese Forschungsarbeit relevant, keine Bewertung nach künstlerischen Kriterien vorzunehmen, sondern Skulpturfotografie, die als Dienstleistungsprodukt entstanden ist, in der Untersuchung gleichwertig zu behandeln wie Aufnahmen, die künstlerischen Anspruch besitzen.

1.3 Produktionsbedingungen Sachliche und subjektive Fotografie stehen einander als Pole gegenüber und jeder Skulpturabbildung liegt eine Entscheidung über die Positionierung innerhalb dieses Spannungsfeldes zugrunde. Doch nur in seltenen Fällen scheinen Bildbände durchgängig nach einer dieser Kategorien konzipiert zu sein, zumal die Übergänge der Kategorien fließend sind. Verschiedene Herausgeber und Autoren äußerten sich ab den 1950er Jahren unzufrieden über das in ihren Publikationen verwendete Bildmaterial. Anscheinend gab es ein Bewusstsein für die Qualität von Abbildungen, das jedoch nicht dazu führte, die eigenen Anforderungen erfüllen zu können. Eduard Trier erklärt 1955 im Vorwort seines Bandes „Moderne Plastik – Von Auguste Rodin bis Marino Marini“: „Die photographischen Vorlagen sind nicht immer so, wie man sie sich idealiter wünscht. Aber die Verstreuung der Werke über die halbe Welt und die immer noch wenig verbreitete Kenntnis, wie Plastik aufzunehmen ist, zwingen dazu, sich mit dem Erreichten zufrieden zu geben.“104

102 | Vgl. Murbach, 1946, S. 16. 103 | Frecot, Janos/Kaernbach, Andreas/Lammert, Norbert/Kozińska, Bogdana: Licht – Bild – Skulptur. Skulpturen von Bernhard Heiliger im Blick der Fotografen, Berlin 2007, S. 16. 104 | Trier, Eduard: Moderne Plastik – Von Auguste Rodin bis Marino Marini, Frankfurt am Main 1955, S. 5.

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Es ist hilfreich, sich den Ablauf einer Buchproduktion vor Augen zu führen, um die Faktoren zu erkennen, die nicht in der Macht der Fotografen, Bildhauer und Autoren liegen und die entscheidend dazu beitragen, dass Abbildungen nicht immer den Anforderungen der Herausgeber entsprachen. Um eine Monografie oder einen Übersichtsband über Bildhauerei zu veröffentlichen, werden oft hundert oder mehr Abbildungen von Skulpturen zusammengetragen. Der Herausgeber muss die Aufnahmen entweder selber in Auftrag geben oder auf bereits vorhandene Bildbestände zurückgreifen. Die Thematik des Bandes entscheidet häufig über die Auswahl der Bilder. Übersichtsbände besitzen selten einheitliches Bildmaterial, da die Liste der Fotografen länger wird, je mehr verschiedene bildhauerische Positionen thematisiert werden. Auch die Standorte der Skulpturen verteilen sich über ein großes Gebiet, so dass es kaum möglich ist, dass ein einzelner Fotograf für neue und einheitliche Aufnahmen engagiert werden kann. Die Quellen für Bilder sind häufig Archive der Museen und Galerien, in denen sich die Werke befinden, oder die Bildhauer selbst steuern Abbildungsmaterial bei. Aus diesen Konvoluten wird eine heterogene Bildsammlung erstellt, die sich in der Publikation sammelt. Monografien sind dagegen häufig etwas einheitlicher gestaltet, denn die abzubildenden Werke stehen in engerem Zusammenhang. Oft werden die Skulpturen in Ausstellungen oder im Atelier des Künstlers aufgenommen und die Werke, die sich im öffentlichen oder privaten Besitz befinden, aus anderen Quellen ergänzt. Gelegentlich werden auch Fotografen beauftragt, neue Bilder für eine Publikation zu schaffen, die dann meistens ein einheitliches Erscheinungsbild tragen. In diesem Fall werden die Fotografen auch häufig als Urheber der Bilder namentlich erwähnt. Die Quellen, aus denen die ausgewählten Bilder stammen, weisen bereits auf unterschiedliche Intentionen der Bildgestaltung hin. Während vom Bildhauer eingebrachte Abbildungen am ehesten dessen Vorstellung seines Werks entsprechen können, bieten die Archive öffentlicher Einrichtungen meist serielle Aufnahmen, die nicht auf das Werk, sondern auf den Nutzen des Bildes als Forschungsobjekt abgestimmt sind: „Der funktionale Zusammenhang der empirischen Beschreibung bestimmte den Produktionsmodus fotografischer Bilder. Bibliotheken, Schulen und Hochschulen, Stadtmuseen, Technik- und Kunstgewerbemuseen traten als Auftraggeber auf. Ihre Anforderungen bestimmten die Praxis der gewerblichen Fotografen.“105

Wirtschaftliche Interessen der Verleger führen außerdem dazu, dass auf leicht verfügbares Bildmaterial zurückgegriffen wird, ohne auf dessen Qualität zu achten. Paul Kristeller sieht dadurch die „Zuverlässigkeit der Hilfsmittel unserer kunst105 | Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.), 2001, S. 109.

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geschichtlichen Forschung“106 bedroht. Er meint: „Der Verleger will zu billigen Preisen viel und wenigstens dem Anscheine nach Vollendetes.“107 Er spricht damit die fehlende Qualität zugunsten der Quantität von Abbildungen an. Immer wieder wird auf bereits vorhandenes Material zurückgegriffen. So entschuldigt sich der Galerist Wolfgang Ketterer in einem Ausstellungskatalog: „Für die Abbildungen müssen wir um Nachsicht bitten. Zum Teil waren nur noch Abbildungen in ­Büchern oder alte Photos als Reproduktionsvorlagen verfügbar.“108 Die Layoutgestaltung und die Auswahl des Druckverfahrens spielen ebenfalls eine große Rolle für die verwendeten Bilder. Einige Verlage veröffentlichen Bücher in Serien, die ein einheitliches Format tragen und sich daher nicht an besondere Anforderungen anpassen können.109 Ernst Barlach kritisiert die Interessenslage seines Freundes und Verlegers Reinhard Piper in einem Brief vom 14.05.1935 recht vehement: „Dabei weiß ich ja allerdings, daß die Rücksicht auf die Frage, ob Querformate im Ganzen ungünstig sind, ob dem Buch im Handel dieses oder das schaden könnte, in Ihren Augen erstrangig ist. [...] Nehmen sie mal ruhig an, daß ich in Hinsicht auf meine Zeichnungen ein ganz besonderer Narr bin. Aber erlauben Sie auch, geltend zu machen, daß so viele schlechte, ja miserable Reproduktione‹n› meiner Arbeiten, ungünstig placiert und in unmöglicher Verkleinerung, Auswahl der Wiedergaben nach kleinlichsten Rücksichten herumfliegen, zu viele, um die Einsicht zu hindern, daß Nichts am Ende das Bessere sei.“110

Auch wenn Barlach andeutet, er ziehe es vor, nicht zu publizieren, statt schlecht zu publizieren, ordnen die meisten Autoren und Herausgeber ihre Ansprüche an die Abbildungsqualität und -auswahl der ökonomischen Realisierbarkeit einer Buchpublikation unter. Es müssen Kompromisse in der Buchproduktion eingegangen werden, die dem Kosten- und Zeitaufwand geschuldet sind. Daher muss bei der Analyse von Abbildungen in Bildbänden zwar davon ausgegangen werden, dass immer das bestmögliche Ergebnis produziert wurde, aber ob die verwendeten Abbildungen von den Produzenten tatsächlich für ideal gehalten wurden, kann in vielen Fällen nur erahnt werden.

106 | Kristeller, 1908, S. 538. 107 | Ebenda, S. 539. 108 | Galerie Wolfgang Ketterer: Rudolf Belling, München 1967, S. IV. 109 | Z. B. Marcks, Gerhard: Gerhard Marcks Tierplastik. Mit einem Geleitwort des Künstlers, Insel-Bücherei Nr. 595, Wiesbaden 1954. Die Reihe der Insel-Bücherei besteht aus kleinen Büchern im Hochformat. Da viele Fotografien der Plastiken von Gerhard Marcks querformatig angelegt sind, muss das Buch bei der Durchsicht immer wieder gedreht werden. 110 | Barlach, Ernst: Briefe an Reinhard Piper, München 1968, S. 343f.

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2 Dreidimensionalität Mit der Abbildung einer Skulptur wird ein dreidimensionales Objekt in ein zweidimensionales Bild verwandelt. Erst durch seine Dreidimensionalität kann ein Kunstwerk jedoch der Gattung zugeordnet werden. Der Bildhauer Norbert Kricke hebt mit prägnanter Deutlichkeit hervor: „Skulptur ist immer das Dreidimensionale.“1 Es verwundert daher nicht, dass die Reduktion auf zwei Dimensionen und damit auf eine einzige Ansichtsseite einer der am häufigsten genannten Kritikpunkte an der Skulpturfotografie ist, denn sie bedeutet, dass ein substanzielles Merkmal der Bildhauerei verloren geht. Selten wird die Reduktion auf eine Ansichtsseite so positiv bewertet, wie es Walther von Heering 1929 formuliert: „Und damit wandelt sich der technische Mangel der Photographie, das plastisch vielseitige Werk nur flächenhaft und einseitig wiedergeben zu können, zu dem großen Vorteil, aus der erdrückenden Fülle des Möglichen und Vorhandenen allein das Wesentliche herausgreifen zu können.“2

Die Kritik von Bildhauern und Wissenschaftlern zielt zumeist darauf ab, dass eben nicht die ihrer Meinung nach richtige Ansichtsseite vom Fotografen ausgewählt worden sei. Am 10.01.1960 beschwerte sich der Bildhauer Gerhard Marcks in einem Brief an seinen Freund und Bildhauerkollegen Friedrich B. Henkel: „Die Foto[grafie] meiner Arbeit im Dokumenta-Katalog war ganz dumm: Sie ist frontal gedacht.“3 Bei dem abgebildeten Werk handelt es sich um die sitzende Figur „Hiob“ von 1957, die im Halbprofil gezeigt wird (Abb. 6). Der Bildhauer, der seine Werke als Silhouette plus Querschnitt definierte, sah sein Werk in dieser Ansicht nicht angemessen repräsentiert.4 Gerhard Marcks verweigerte auch gelegentlich sein Urteil über die Arbeiten seiner Kollegen mit dem Argument, „die Statue müsste

1 | Trier, Eduard: Bildhauertheorien im 20. Jahrhundert, 5. Aufl., Berlin 1999, S. 333. 2 | Heering, Walther von: Die Photographie von Plastiken und Gemälden, in: Photographische Rundschau 66/1929, S. 447. 3 | Vgl. Marcks/Semrau, 1995, S. 319. 4 | Vgl. Rieth, Adolf: Gerhard Marcks. Monografien zur rheinisch-westfälischen Kunst der Gegenwart, Bd. 16, Recklinghausen 1959, S.17.

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man ringsum sehn“5. Waldemar Grzimek verteidigte seine Werke gegen eine vorangegangene Kritik von Marcks, indem er die bemängelte fehlende Plastizität der Fotografie anlastet, denn er glaube, dass seine Werke „mehr plastische Grundkonzeption haben als dies das Foto vermuten lässt“.6 Mit Plastizität und Mehransichtigkeit führen die Bildhauer Eigenschaften von Skulptur an, die aus der Dreidimensionalität eines Werks abgeleitet sind. Die zweidimensionale Fotografie steht vor der Herausforderung, diese Eigenschaften durch bildnerische Mittel zu ersetzen, um dem dreidimensionalen Werk als reproduzierendes Medium gerecht werden zu können. Der Wunsch nach Vermittlung von Dreidimensionalität in der Fotografie führte dazu, dass Fotografen Strategien für die Skulpturabbildung entwickelten, um eine räumliche Wirkung im Bild zu erzeugen. Wie Dreidimensionalität in der Fotografie dargestellt und aus welchen Gründen auch die Flächigkeit einer Abbildung betont wurde, soll im folgenden Kapitel aufgefächert werden.

2.1 D ie Abbildung verschiedener Ansichtsseiten einer Skulptur Obwohl Zweidimensionalität eine nicht zu ändernde Grundeigenschaft des Mediums Fotografie ist, wurde nach Möglichkeiten gesucht, diesen vermeintlichen Mangel der Skulpturfotografie auszugleichen. Gerhard Marcks stellte die naheliegende Forderung, zur Beurteilung eines bildhauerischen Werks mittels Fotografie „müsste man da wohl mehrere Ansichten haben“7. Die Aufnahme verschiedener Seiten einer Skulptur war gängige Praxis in der Arbeit der Fotografen, wie sich anhand von Fotoarchiven und im Vergleich verschiedener Publikationen nachweisen lässt. Der Fotograf machte bei einem Aufnahmetermin eine Vielzahl von Fotografien, die verschiedene Seiten der Skulptur zeigten. Zunächst ist diese Handhabung dem fotografischen Prozess zuzuschreiben: Die Aufnahme verschiedener Ansichten bedeutete die einfache Erstellung von vielfältigem Material, das erst in der anschließenden Entwicklung im Fotolabor als Bild sichtbar wurde. Der Aufwand wurde am geringsten gehalten, wenn vor Ort viele Varianten fotografiert wurden, die dann im Nachhinein für eine Reproduktion ausgewählt und zusammengestellt werden konnten. Das Bedürfnis, sich nicht auf eine einzige Hauptansicht zu konzentrieren, hängt mit der Wahrnehmung von Skulptur zusammen. Michel Frizot nimmt diesen Aspekt in den Versuch einer Charakterisierung der künstlerischen Medien auf: „Genuss bereitet eine Skulptur durch die Abfolge visueller Eindrücke im Raum 5 | Marcks/Semrau, 1995, S. 327. 6 | Ebenda, S. 242. 7 | Marcks, 1995, S. 239.

Dreidimensionalität

Abbildung 6 | Gerhard Marcks: Hiob, Bronze, 1957, in: Trier 1959, S. 119.

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und im Licht, durch eine mentale Mehrung des schon Gesehenen.“8 Auch Skulpturen, die eine Hauptansichtsseite besitzen oder die auf eine einzige Ansicht hin konzipiert sind, bieten durch geringste Veränderungen des Blickwinkels unterschiedliche Eindrücke. Daher ist es von zentraler Bedeutung, welche Perspektive der Fotograf bei der Aufnahme einer Skulptur wählt und ob unterschiedliche fotografische Varianten in Publikationen berücksichtigt werden.

2.1.1 S  teigerung der Wirkung einer Skulptur durch die Bildserie In der Zeitschrift „Gebrauchsfotografie. Das Atelier des Fotografen“ wird dem Zielpublikum des Amateurfotografen zur fotografischen Inszenierung einer Skulptur die Produktion in Bildserien geraten. Im September 1941 ist die Zeitschrift mit der Nahaufnahme einer Skulptur betitelt, die den Artikel „Bildbericht über eine Plastik“ ankündigt (Abb. 7a-d). Acht Aufnahmen plus Titelbild werden von dem Marmortorso „Die am Morgen aus dem Tal der Nacht Heraufsteigende“ des Bildhauers Joss Röwer gezeigt. Der Artikel erläutert die Bedeutung der verschiedenen

Abbildung 7a-b | Joss Röwer: Die am Morgen aus dem Tal der Nacht Heraufsteigende, Marmor, undatiert, Fotograf: Wolf Stache, in: Gebrauchsfotografie 9/1941, S.164f.

8 | Frizot, Michel: Skulptur zwischen visueller Anschauung und Fotografie. In: Ecker/Kummer/Malsch/ Molderings, 2014, S. 57.

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Aufnahmewinkel und der unterschiedlichen Beleuchtung, die „den Anblick einer ganz neuen Figur“ erschaffen würden.9 Die „Folge von acht oder zwölf Bildern dieser Art vermag dem Betrachter ohne Zweifel mehr vom Wesen der Plastik auszusagen als eine einzige sachliche Ansicht“ meint der Autor des Textes, Dr. Wolf Strache, der zugleich der Fotograf der abgebildeten Aufnahmen ist.10 Er betont den eigenständigen Wert der Fotografie, durch welche Formen sichtbar gemacht würden, die vorher kaum zugänglich gewesen seien.11 Selbst der Bildhauer entdecke auf den Abbildungen eine Figur, die er „in seiner Plastik nur geahnt, aber sicher nicht bewußt gewollt“ habe.12 Die Plastik erhalte durch die Fotografie Lebendigkeit, wechsle ihren Ausdruck und bringe das Material dazu, dass sich die Flächen des Körpers „wirklich atmend zu bewegen scheinen“.13 Nach Anraten Straches soll der Fotograf sich nicht nur um die Figur herum bewegen, sondern auch von Aufsicht zu Untersicht wechseln. Er wird ermuntert, mit verschiedenen Objektiven, die im Artikel erläutert werden, die Skulptur experimentell zu gestalten. Auch die Inszenierung durch eine extreme Beleuchtung wird befürwortet. Die Bildserie wird als Möglichkeit für den Fotografen gesehen, sich als Gestalter einzubringen und der Autor bekräftigt die Fähigkeit der Fotografie, die Wirkung einer Plastik

Abbildung 7c-d | Joss Röwer: Die am Morgen aus dem Tal der Nacht Heraufsteigende, Marmor, undatiert, Fotograf: Wolf Stache, in: Gebrauchsfotografie 9/1941, S.164f. 9 | Strache, 1941, S. 166. 10 | Ebenda. 11 | Vgl. ebenda, S. 165. 12 | Ebenda, S. 166. 13 | Ebenda, S. 165.

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zu steigern. Dieser Standpunkt steht im Gegensatz zu der verbreiteten Meinung, die Fotografie sei lediglich ein unzureichender Ersatz für die Skulpturbetrachtung, und der Autor setzt sich damit von den an die sachliche Fotografie gestellten Ansprüchen deutlich ab. Die Bildserie vermittelt Dreidimensionalität, indem sie verschiedene Ansichten einer Skulptur nebeneinander zeigt. Für Straches Empfehlung ist ausschlaggebend, welche Eindrücke mittels fotografischer Inszenierung neu erschaffen werden können. Der Verfasser beugt der Kritik vor, „daß eine solche Auffassung des Lichtbildners das Werk des Künstlers vergewaltige und darum ganz und gar verboten sei“, indem er zur Bedingung macht, dass Bildhauer und Fotograf gemeinsam eine solche Bildserie gestalten sollten. 14 Durch die Beteiligung des Bildhauers versucht er, die subjektiven Aufnahmen der Skulptur zu legitimieren. Die verschiedenen Ansichten sollen nicht nur eine Erkenntnis über die räumliche Dimension für den Betrachter bieten, sondern auch die Skulptur mit facettenreichen Eindrücken inszenieren und ihre Wirkung steigern. Der Artikel „Bildbericht über eine Plastik“ stellt die Entscheidung zur Bildserie als Gestaltungsmittel des Fotografen vor. Die Veröffentlichung der Bilder in Zeitschriften und Büchern hing jedoch von ganz anderen Faktoren ab. Die wenigsten Publikationen weisen Abbildungen auf, die den Anregungen des Autors Wolf Strache entsprechen. Obwohl Fotografen meist in Serien fotografierten, wurden in den meisten Publikationen lediglich Einzelaufnahmen verwendet. Weder die geforderte Zusammenarbeit zwischen Bildhauer und Fotograf noch die starke Inszenierung einer Skulptur setzte sich in der fotografischen Praxis durch. Der Fotograf einer Skulptur wurde meist von Künstlern, Museen oder Galerien beauftragt, bestimmte Bilder anzufertigen. In ihrer weiteren Verwendung waren die Fotografien dann dem Auftraggeber überlassen und kaum zu kontrollieren. Für eine Publikation wurden die Abbildungen im Nachhinein durch Autoren oder Verleger aus der entstandenen Reihe ausgewählt und häufig auf eine einzige Aufnahme reduziert. In diesem Auswahlprozess liegt der Grund, warum sowohl Bildhauer als auch Fotografen nur bedingt Einfluss auf die Entscheidung über die Wahl der veröffentlichten Ansichten hatten. Nur wenige Bildhauer, darunter Ernst Barlach und Ernst Ludwig Kirchner, versuchten, die von ihrem Werk publizierten Reproduktionen zu kontrollieren. Barlach, indem er die Negative beschlagnahmte, Kirchner, indem er die Fotografien selbst fertigte und ein Urheberrecht auf ver-

14 | Ebenda, S. 166.

Dreidimensionalität

öffentlichte Bilder seiner Werke beanspruchte.15 In den meisten Fällen kursierten Bilder relativ unkontrolliert und wurden zweckmäßig und ohne Rücksprache mit Künstlern oder Fotografen verwendet. Die Frage nach der Wahl der Ansichtsseite war somit kein rein fotografisches Problem, sondern eine Frage der Auswahl im Prozess der Layoutgestaltung. Die Entscheidung, welche und wie viele Abbildungen in ein Buch oder eine Zeitschrift aufgenommen wurden, hing von den Bedingungen der Buchproduktion ab und lag häufig in den Händen von Verlegern, Autoren und Buchgestaltern.16

2.1.2 Imitation von Skulpturbetrachtung Einige Herausgeber erhoben die Entscheidung, mehrere Ansichten der skulpturalen Werke zu zeigen, zum Konzept ihres Buches. In der 1949 veröffentlichten Monografie „Freie Schöpfungen“ mit Werken des Bildhauers Fritz Klimsch wird dieser Ansatz im Vorwort offengelegt: „In diesem Buch werden hauptsächlich überlebensgroße Plastiken in vielfacher Ansicht und Teilansicht gezeigt. [...] Die verstehende Wiedergabe und liebevolle Beleuchtung des Eigentlichen, das nahegebracht werden soll, muß auch dem Laien auffallen. Hier sind viel mehr Einzelteile und Einzelbestrahlungen als Gesamtbildnisse zu schauen; es ist wie ein Drehen und Wenden um das Werk herum, ein unermüdlicher Versuch, das Werk dem Schauenden wirklich plastisch nahezubringen.“17

15 | Barlach schreibt 1936 an Reinhard Piper über einen Gerichtsprozess, den er gegen einen Fotografen führte. Die Gerichtsakten sind nicht erhalten, doch Barlach schreibt, dass es zur Verurteilung eines Fotografen kam: „Es geschieht enorm viel Unfug mit Photos. Mein Prozeß gegen Fall liegt mir noch in den Knochen. Er ist ja endlich verurteilt, kann aber Schadensersatz nicht leisten. […] Und er vertreibt die skandalösen Bilder unter der Hand weiter.“ Diese Erfahrung führte dazu, dass der Bildhauer von da an misstrauisch gegenüber Fotografen eingestellt war: „[Der Fotograf] Kegebein arbeitet gut, billig, und damit er keine Nebengeschäfte macht, was er tat, nehme ich ihm die Platten ab.“ Tarnowski, 1997, S. 379f. Zu Kirchner vgl.: Kirchner, Ernst Ludwig/Henze, Wolfgang/Lohberg, Gabriele/Scotti, Roland: Katalog der Sammlung. Kirchner-Museum Davos, Davos 1994, S. 19., sowie Scotti, Roland: Ernst Ludwig Kirchner. Das fotografische Werk, Bern 2005, S. 22. 16 | Der Briefwechsel zwischen dem Bildhauer Ernst Barlach und dem befreundeten Verleger Reinhard Piper, 1997 herausgegeben von Wolfgang Tarnowski, bietet ein aussagekräftiges Beispiel dafür, wie viele Kompromisse Künstler und Verleger in der Buchproduktion eingehen müssen. Die beiden Freunde tauschen sich in ihren Briefen regelmäßig über Publikationen des Piper-Verlags und Publikationen von Barlachs Werk aus und geben dadurch einen Einblick in die Entscheidungen des Verlegers und die Argumente des Bildhauers. Technische Möglichkeiten, finanzielle Aspekte, marktrelevante Standpunkte und Wünsche von Autoren fließen in den Prozess mit ein und führen dazu, dass Verleger und Künstler nicht die für sie optimale Gestaltung erreichen können. Vgl. Tarnowski, 1997, S. 247ff. 17 | Klimsch, Fritz: Freie Schöpfungen, Berlin 1949, S. 8.

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Die Wortwahl des Autors und Sohns des Bildhauers, Uli Klimsch, macht ein Bestreben nach optimalen Bedingungen der Betrachtung deutlich. Die Vermittlung von Dreidimensionalität wird in verschiedenen Aspekten als Leistung des Buches hervorgehoben, indem Klimsch auf die Abbildung mehrerer Ansichtsseiten („in vielfacher Ansicht“) und auf die Plastizität („wirklich plastisch“) verweist. Mit der Fähigkeit zur „Beleuchtung des Eigentlichen“ wird die Abbildung beziehungsweise das Buch nicht als minderwertiger Ersatz für die Skulpturbetrachtung angesehen, sondern als vermittelndes, Verständnis förderndes Medium beschrieben. Dass dieser Anspruch laut Klimsch dennoch als „unermüdlicher Versuch“ endet, zeugt wiederum von einer Denkweise, die eine Hierarchie der Rezeptionsweisen aufrecht erhält und letztendlich doch die Betrachtung der originalen Skulptur der Abbildung vorzieht.18 Der Herausgeber versucht durch die Verwendung mehrerer Fotografien, das Buch der Betrachtung einer Skulptur anzunähern (Abb. 8a-h). Das „Drehen und Wenden um das Werk herum“ wird zur maßgeblichen Tätigkeit der Skulpturrezeption erhoben, die von den Abbildungen imitiert werden soll. Der Wechsel von unterschiedlichen Perspektiven und Abständen in der Fotografie ahmt die Bewegung des Betrachters nach, der die Skulptur umkreist.Die Verwendung mehrerer Ansichtsseiten in der Skulpturfotografie steht in Zusammenhang mit der grundsätzlichen Frage nach der angemessenen Rezeption einer Skulptur. Während Uli Klimsch als Herausgeber seinen eigenen Ansatz als gelungen bewertete, standen viele andere Autoren dem Anliegen einer Annäherung der Rezeptionsweisen von Abbildungen und Skulpturen kritisch gegenüber. Geraldine A. Johnson erklärte derartige Versuche für utopisch: „Egal wie viele Blickwinkel einer Statue fotografiert werden, es ist unmöglich, das Gefühl zu erfassen, sie vollständig in der Umrundung zu sehen. Denn nur dann erfährt man die Skulptur in ihrer eigenen, dreidimensionalen Präsenz, deren Aussehen sich ständig mit Veränderungen in Licht und Schatten als auch mit dem Standpunkt des Betrachters verschiebt.“19

Johnson ergänzt die Erfahrung von Dreidimensionalität um die Wahrnehmung der räumlichen Situation, die wechselnden Eindrücken und Gefühlen unterliege und demnach nicht fixiert werden könne. Darüber hinaus wurde von der Skulpturrezeption gelegentlich auch eine haptische Erkenntnis erwartet, die in der Realität jedoch kaum jemals gewährleistet 18 | Vgl. ebenda. 19 | Johnson, Geraldine A.: Sculpture and photography. Envisioning the third dimension, Cambridge/ New York 1998, S. 3. Im Original: „In the case of sculpture, however, the shift to two dimensions is particularly problematic: no matter how many angles of a statue are photographed, it is impossible to capture the sensation of seeing it fully in the round, for only then does one experience it as an assertive, three-dimensional presence whose appearance shifts constantly with changes in light and shadow as well as in the viewer's own position.“ (Übersetzt von Verfasserin.)

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Abbildung 8a-h | Fritz Klimsch: Anadyomene, Marmor, 1941, in: Klimsch 1949, S. 58-65.

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Abbildung 9a-d | Gustav Seitz: Pariser Negerin, Gips, 1955, in: Seitz 1956, S. 49f. war. So äußerte sich Peter H. Feist, dass sich „Kleinbronzen [...] der Wiedergabe in einem Foto eigentlich entziehen, weil ihre allansichtige Rundheit und Plastizität verlangt, daß man das Stück in der Hand drehe“.20 Die Abbildung mehrerer Ansichtsseiten wurde als Annäherung an eine ideale Skulpturrezeption zwar begrüßt, gleichzeitig aber als unvollkommene Möglichkeit bewertet. Viele Monografien griffen das Verfahren der Bildserie auf und veröffentlichten mehrere Ansichtsseiten der Skulpturen. Meist wurde es als ausreichend empfunden, die Vorderansicht mit einer Seitenansicht zu kombinieren. Auch eine Unterteilung in vier Ansichten (vorne, hinten, rechts, links) wurde vermehrt vorgenommen.21 Mehr als vier Ansichtsseiten einer Skulptur wurden hingegen nur selten abgebildet. Vermutlich steht die große Gesamtzahl abzudruckender Bilder einer durchgängigen Umsetzung entgegen, aber auch das jeweilige bildhauerische Konzept ist ausschlaggebend dafür, wie viele Ansichtsseiten sinnvoll erscheinen. Übersichtsbände verzichten meist ganz auf die Abbildung verschiedener Ansichtsseiten, um den Raum für die Abbildung möglichst vieler verschiedener Kunstwerke zu nutzen. Es ist natürlich auch ein Platz- und somit ein Kostenfaktor, wenn jede Skulptur mehrfach abgebildet werden soll.

20 | Feist, Peter H.: Plastik in der Deutschen Demokratischen Republik, Dresden 1965, S. 29. 21 | Vgl. Galerie Henning: Georg Kolbe. Abbildungen von Plastiken, Halle 1949; Stadt- und Bergbaumuseum Freiberg/Sachsen (Hrsg.): Waldemar Grzimek. Plastik, Handzeichnungen, Druckgraphik, Freiberg 1956; Flemming, Hanns Theodor: Der Bildhauer Gustav Seitz, Frankfurt am Main 1963.

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Abbildung 10 | Tafel I in: Alscher 1956. Werke von oben nach unten: Westmarcottscher Ephebe, Idolino, Hermes Andros-Farnese, einschenkender Satyr des Praxiteles. Fotografien nach Gipsabgüssen.

2.1.3 Die Bildserie als Ergänzung der sachlichen Fotografie Die Monografie „Gustav Seitz. Skulpturen und Zeichnungen“ von 1956 besteht aus einer Zusammenstellung von mehransichtig und einansichtig abgebildeten Skulpturen. Die Gestaltung der Abbildungsreihen entspricht einem in vielen Publikationen verwendeten Muster und soll daher als repräsentatives Beispiel für die Visualisierung von Mehransichtigkeit dienen. Die Plastik „Pariser Negerin“ von 1955 wird mit vier fotografischen Abbildungen gezeigt (Abb. 9a-d). Die Aufnahmen werden als Reihe in einheitlichem Format und Bildaufbau präsentiert und auf zwei Doppelseiten eng nebeneinandergestellt, so dass der Zusammenhang der Bilder als Abbildungen einer einzigen Skulptur unmittelbar deutlich wird. Dem Betrachter fällt die Orientierung leicht, denn der menschliche Körper gibt die Verortung der Ansichtsseiten vor. Anhand der rechteckigen Plinthe, von der die Figur aufragt, können Vorder- und Rückansicht sowie die Ansicht beider Seiten definiert werden. Für die vier Abbildungen wurden keine schematisch nach der Plinthe ausgerichteten Aufnahmewinkel, sondern leicht versetzte Ansichten ausgewählt. Nur eine einzige Abbildung zeigt die rechteckige Grundplatte parallel zum Bildrand positioniert. Durch die Vermeidung von Frontalität wird deutlich gemacht, dass es sich um ein rundansichtiges Werk handelt und noch weitere Ansichten möglich wären. Die Folge von Bildern fordert dazu auf, die Ansichten wie einen filmischen Ablauf von links nach rechts zu lesen: Die Sequenz der vier Abbildungen der „Pariser Negerin“ bildet jedoch keinen linearen Ablauf der einem durchgängig verlaufenden Schwenk der Kamera entsprechen würde, sondern es ergibt sich ein Wechsel

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Abbildung 11a-d | Gustav Seitz: Pariser Negerin, Bronze, 1955, Fotograf: Friedrich Hewicker, in: Galerie Hoffmann, 1957, S. 19.

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von vor- und zurückspringenden Schnitten. Die beiden Seitenansichten werden mit Blickrichtung der Figuren zur Buchmitte wie eine Rahmung der gesamten Seite verwendet. Hinzu kommt eine von Bild zu Bild leicht veränderte Betrachterposition, durch welche die Aufsicht auf die Plastik in kleinen Nuancen verschoben wird. Die Zusammenstellung wirkt objektiv und kann als erweiterte sachliche Fotografie angesehen werden, die zusätzliche Informationen über die formale Gestaltung der Plastik bietet. Die Form der Reihung trägt zu einem wissenschaftlichen Erscheinungsbild bei, denn das Arrangement erinnert an die sogenannte Panoramafotografie von antiker Plastik, die von dem Archäologen Ludger Alscher zwischen 1951 und 1985 angewandt wurde (Abb. 10). Alscher umrundete die Skulpturen mit der Kamera in gleichmäßigen Abständen, ohne die Kameraperspektive zu verändern. So entstanden Fotografien mit messbaren Intervallen, die den Abbildungen als Beschriftung beigefügt wurden und eine wissenschaftliche Genauigkeit bekundeten. Der wissenschaftliche Ansatz wird in der Reproduktion von Seitz’ Werk jedoch nur ansatzweise aufgegriffen. Zwar bleibt die Gesamtgestaltung der Bilder sachlich, doch die leichten Wechsel in der Kameraperspektive heben die Einheitlichkeit auf. Der Bildhauer und Autor Hans Joachim Albrecht schreibt zur Wirkung der Kameraperspektiven: „Frontalität und Schrägsicht verstärken [in fotografischen Interpretationen] das Empfinden von Ruhe oder Bewegung, Distanz oder Beteiligung.“22 Die Fotografien von Gustav Seitz’ Werk werden somit zwar in strengem Aufbau präsentiert, die leicht verschobenen Standpunkte bringen jedoch Dynamik ins Bild und bieten Ansätze eines bewegten Betrachterblicks, der sich als sprunghafte Umrundung der Plastik durch die filmische Reihung ergibt. Werden die Abbildungen in anderer Weise auf der Seite arrangiert, verschiebt sich auch der auf die Skulptur gelenkte Fokus. In einer 1957 erschienenen Publikation der Galerie Hoffmann wird das Werk „Pariser Negerin“ als Bronzeversion mit vier Ansichten des Fotografen Friedrich Hewicker abgebildet (Abb. 11a-d). Hewicker erzielt ebenfalls durch die Vermeidung von Frontalität eine leichte Dynamik in der Bildserie. Die Aufnahmen werden jedoch auf einer einzigen Seite des Buches präsentiert, indem jeweils zwei Abbildungen übereinandergesetzt wurden. Dadurch entfällt der Eindruck einer Filmsequenz, der nur durch die Reihung geschaffen wird. Stattdessen werden die leichten Neigungen der Figur betont, die mal in die eine, mal in die andere Richtung zu kippen scheint. Die beiden Beispiele verdeutlichen, wie sich das Arrangement mehrerer Bilder auf die Wirkung von Skulptur auswirkt und wie auch schon durch leichte Verschiebungen der Kameraperspektive unterschiedliche Aspekte wie Statik und Dynamik betont werden können. Nicht nur die Fotografie selbst, sondern auch die Reihenfolge der Abbildungen und deren Platzierung auf der Buchseite spie22 | Albrecht, Hans Joachim: Skulptur im 20. Jahrhundert. Raumbewusstsein und künstlerische Gestaltung, Köln 1977, S. 148.

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Abbildung 12a | Toni Stadler: Marshall-Brunnen, Bronze, 1963, Fotograf: Bernhard Dörries, in: Schmidt, 1965, S.11. len dabei eine Rolle. Durch die Abbildung mehrerer Ansichtsseiten einer Skulptur wird der Informationsgehalt für den Betrachter erhöht, ohne dass der Fotograf die Sachlichkeit der Fotografie aufgeben muss.

2.1.4 Inszenierung von Dynamik Eine Ausnahme im Umgang mit mehreren Ansichtsseiten eines Werks bildet die 1965 im Waldemar Kramer Verlag erschienene Publikation „Der Marshall-Brunnen von Toni Stadler“. Die Besonderheit des kleinformatigen Bandes besteht darin, dass der Brunnen als einziges Werk präsentiert wird. Das Buch zeigt 23 fotografische Abbildungen und ermöglicht damit einen ungewöhnlich ausführlichen Blick auf ein einziges Werk. Zum Gedenken an den ehemaligen Außenminister der USA, George C. Marshall, wurde 1963 in Frankfurt am Main der Marshall-Brunnen von Toni Stadler enthüllt. Der Brunnen besteht aus einem großen runden Steinbecken, in dem sich drei liegende Frauenakte befinden. In der Mitte sprudelt eine Wasserfontäne in die Höhe. Der Rand des Beckens ist mit vielen kleinen Zuläufen versehen, aus denen

Dreidimensionalität

Abbildung 12b-e | Toni Stadler: Marshall-Brunnen, Bronze, 1963, Fotograf: Bernhard Dörries, in: Schmidt, 1965, S.12f. Wasser in das Becken fließt. Zwei Tafeln sind zu beiden Seiten des Brunnens angebracht. Die eine verweist auf die historischen Zusammenhänge des Marshall-Plans zum Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, die andere Tafel entstammt dem Konzept des Bildhauers und zitiert drei Verse aus Goethes „Faust“. Die dort von drei Grazien gesprochenen Verse thematisieren die Gesten von Geben, Empfangen und Danken.23 Stadlers Figuren im Brunnen können als Sprecherinnen der Verse gedeutet werden, so dass der Wasserkreislauf des Marshall-Brunnens symbolisch für diese Gesten steht. Der Abbildungsteil des Buches eröffnet mit einer Gesamtansicht auf den Brunnen, die über dessen Standort vor dem Frankfurter Opernhaus informiert (Abb. 12a). Die Aufnahme besitzt eine einleitende Funktion und wurde auf die rechte Hälfte einer Doppelseite neben den einführenden Text von Doris Schmidt gesetzt. Die Abbildung zeigt den Brunnen am unteren Rand des Bildes, dahinter schiebt 23 | Die auf der Tafel zitierten Verse lauten: „Aglaia: Anmut bringen wir ins Leben; Leget Anmut in das Geben. Hegemone: Leget Anmut in‘s Empfangen, Lieblich ist‘s den Wunsch erlangen. Euphrosine: Und in stiller Tage Schranken höchst anmutig sei das Danken.“ Goethe, Johann Wolfgang: Faust II

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sich das Opernhaus aus dichtem Nebel hervor und füllt den oberen Bildraum. Das Wasserbecken des Brunnens wird von der Bildkante angeschnitten, so dass die Figuren im Becken weit nach vorne treten. Der Brunnen besitzt auf der Abbildung keine übermächtige Präsenz, sondern fügt sich in seine Umgebung ein, die sich durch eine Vielzahl von Details auszeichnet. Bäume, Straßenlaternen, Häuser, eine Treppe, Autos und Blumenbeete gehören zu den alltäglichen Dingen, die vom Fotografen neben dem Kunstwerk aufgenommen wurden. Zwischen Opernhaus und Brunnen befindet sich eine belebte Straße, in deren Mitte vier Männer stehen und sich unterhalten. Ihre Anzüge sind sehr dunkel, so dass sie sich von der vom Nebel eingehüllten Umgebung abheben. Sie bilden ein Pendant zu den Figuren des Brunnens und verknüpfen die Inhalte des Kunstwerks mit der alltäglichen Lebenswelt der Menschen. Die Fotografie zeigt den Brunnen in einer alltäglichen Situation, die nicht von nebensächlichen Details befreit wurde und daher keine gereinigte, konzentrierte und wissenschaftliche Ansicht bietet. Der Eindruck des Bildes entspricht eher einem sich nähernden Betrachter vor Ort, der statt Sachlichkeit ein stimmungsvolles Stadtbild vorfindet. Auch die weiteren Abbildungen des Buches legen den Schwerpunkt auf die Atmosphäre und steigern die Wirkung des Brunnens noch durch verschiedene Ansichten (Abb. 12b-e). Die ausschnitthaften Bilder füllen die Seiten bis zu ihren Rändern und zur Mittelpfalz aus, so dass jeweils zwei Ansichten direkt aneinanderstoßen und regelrecht miteinander verschmelzen. Die Oberflächen der Figuren und die Wasseroberfläche werden dadurch in ihrer strukturellen Ähnlichkeit betont. Da die Aufnahmen aus Details und wechselnden Ansichten des Brunnens bestehen, wird die Übersichtlichkeit zugunsten einer bewegten und auch irritierenden Komposition aufgegeben. Die Perspektive wird mehrfach geändert, Anschnitte verdecken die Figuren oder zeigen Einzelheiten der Materialoberfläche. Durch den Wechsel von verschiedenen Nahansichten wird der Eindruck von schnellen, blitzlichtartigen Momenten vermittelt. Das Drehen, Kippen und Zoomen der Kamera erzeugt einen bewegten Eindruck der Bildfolgen, der den Betrachter wie einer der Wasserstrudel des Brunnens mitreißt. Die sprungartigen Nahansichten steigern und dramatisieren die Annäherung des Betrachters an die Skulptur. Das Durchblättern des Buches erhöht die Nähe zum Kunstwerk und erzeugt Wucht, Schnelligkeit und Spannung. Der Bildhauer Toni Stadler arbeitete bevorzugt mit dem Fotografen Bernhard Dörries zusammen, der die Bilder des Marshall-Brunnens fotografierte. Seine Aufnahmen unterstützen das Anliegen Stadlers, keine Starrheit in seinen Arbeiten zuzulassen, die „nicht einzelne für sich abgeschlossene Resultate“ seien, sondern „alles in einem gewissen Sinn als Übergangsstudien erscheinen“ lassen sollten.24

24 | Zweite, Armin: Toni Stadler, München 1978, S. 14.

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Die Bildsprache der fotografischen Abbildungen des Marshall-Brunnens zeigt kein abgeschlossenes Werk in seiner Vollkommenheit, sondern eine Sammlung von Teilansichten des Kunstwerks in einer belebten Umgebung. Zugleich wird der runde Brunnen durch die wechselnden Ansichten in Bewegung gesetzt. Das fotografische Konzept verbindet sich dadurch mit der inhaltlichen Aussage des Brunnens, die „Normalisierung des Lebens“ zu feiern.25 Doris Schmidt betont im einleitenden Text, dass der Brunnen ein „Denkmal ohne Pathos“ sei, „voller Spannung und doch gelassen, – frei.“26 Details wie herumliegende Blätter und beschäftigte Fußgänger im Hintergrund der Abbildungen können in diesem Zusammenhang als bewusste Kompositionselemente gesehen werden, die eine Verbindung zwischen Kunstwerk und Lebenswelt herstellen. Die Fotografien des Brunnens betonen, dass Toni Stadlers Werk nicht Stillstand, sondern Veränderlichkeit thematisiert. Die Abbildung mehrerer Ansichtsseiten bewirkt in diesem Band, dass Bewegung und Dynamik erzeugt werden, die den Betrachter bis zu einer gesteigerten Schnelligkeit der Wahrnehmung führen. Auf diese Weise werden unterschiedliche und veränderliche Sichtweisen deutlich gemacht, die sowohl formal als auch inhaltlich das Konzept des Brunnens spiegeln.

2.1.5 Inszenierung von Bewegung Obwohl die Beteiligung des Betrachters und die Beziehung von Kunstwerk und Raum im Laufe des 20. Jahrhunderts eine wachsende Rolle spielten, setzte sich die Abbildung mehrerer Ansichtsseiten nicht durchgängig als fotografisches Darstellungskonzept durch. Verschiedene Ansichtsseiten wurden vorwiegend von figürlicher Plastik publiziert, da eine Figur dem Betrachter den räumlichen Zusammenhang mit definierten Seiten-, Vorder- und Rückenansichten vorgibt. Sobald ein Kunstwerk vollkommen ohne figürliche Verweise auskommt, spielen festgelegte Ansichtsseiten vermeintlich eine geringere Rolle. Die Fotografen mussten und konnten andere Ziele für die Abbildung abstrakter Plastik setzen. Die schon bei Wölfflin zentrale Frage nach der richtigen Ansicht einer Skulptur führte nun mehr denn je zu unterschiedlichen Antworten und stellte den Fotografen vor Herausforderungen, gab ihm aber auch mehr Freiheit in der Gestaltung. Gottfried Boehm macht in Hinblick auf die abstrakten Werke des Bildhauers Norbert Kricke darauf aufmerksam, dass man es „nicht mehr mit Ansichten oder Schauseiten zu tun [habe]“27. Tatsächlich erstrecken sich die Drähte der von Kricke als Raumplastiken bezeichneten Werke in derart viele Richtungen, dass es unmöglich erscheint, eine oder mehrere Ansichtsseiten festzulegen. 25 | Schmidt, Doris: Der Marshall-Brunnen von Toni Stadler, Frankfurt am Main 1965, Nachwort. 26 | Ebenda, Einleitung. 27 | Kricke, Norbert/Kricke-Güse, Sabine/von Wiese, Stephan: Norbert Kricke. Plastiken und Zeichnungen. Eine Retrospektive, Düsseldorf 2006, S. 13.

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Abbildung 13a-d | Norbert Kricke: Raumplastik, Stahl, 1957, Fotograf: Manfred Leve, in: Morschel 1976, S. 76-77. In der fotografischen Darstellung dieser Werke ergibt sich die Schwierigkeit, dass sich Bilder unterschiedlicher Ansichtsseiten einer Skulptur kaum von Bildern verschiedener Skulpturen abgrenzen lassen. Diese Beobachtung führt zu zwei unterschiedlichen Nutzungen in der Fotografie: Die meisten Publikationen beschränken sich auf je eine Ansicht eines Werks. Da auch die Titel der Werke oft nur anhand der Datierung auseinandergehalten werden können, erhält so jede Plastik eine wiedererkennbare, feste Form durch die fotografische Fixierung. Dieses Vorgehen ist vor allem der Übersichtlichkeit dienlich.28 Es bewirkt jedoch auch, dass die für die Fotografie ausgewählte Ansicht zum Wiedererkennungsmerkmal des Werks wird, und somit eine (beliebige) Seite größere Bedeutung erhält als die vielen anderen möglichen Ansichten. Es gibt jedoch auch Publikationen, die sich die Verwechselbarkeit der Werke gezielt zunutze machen, um die Wirkung der Plastiken zu illustrieren. Die 1976 veröffentlichte Monografie „Norbert Kricke“ von Jürgen Morschel zeigt besonders häufig Abfolgen von identisch gestalteten Aufnahmen nebeneinander (Abb. 13ad). Vor einem tiefschwarzen Hintergrund treten die Drahtgebilde wie weiße Linien hervor. Die Plastiken Krickes werden von verschiedenen Seiten gezeigt, doch da die Ansichten kaum aufeinander bezogen werden können, wirken die Bilder wie eine filmische Sequenz, in der die Skulptur ihr Aussehen verändert. Nicht der Betrachter, beziehungsweise der Fotograf, scheint um die Plastik zu kreisen, sondern die Plastik selbst scheint sich zu verändern. Das dreidimensionale Gebilde wirkt aus verschiedenen Perspektiven wie ein sich ständig wandelndes Liniengeflecht. Norbert Kricke hat durch die radikale Reduktion seiner Plastiken als einer der ersten deutschen Bildhauer Werke geschaffen, die sich vollkommen von der figürlichen Darstellung lösen. Dennoch blieb er einem traditionellen Skulpturbegriff verhaftet, da er seine Werke als statische Objekte konzipierte, die auf Sockeln oder auf dem Boden stehen. Der Bildhauer strebte an, Eigenschaften wie Dynamik, Ge28 | Einzelaufnahmen werden zum Beispiel verwendet bei Trier, Eduard: Norbert Kricke, Recklinghausen 1963, sowie Thwaites, John Anthony: Kricke, Stuttgart 1964.

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Abbildung 14 a-d | Norbert Kricke : oben links: Raumplastik Weiß, Edelstahl weiße Farbe, 1964; oben rechts: Raumplastik Weiß, Edelstahl, weiße Farbe, 1968/V; unten links: Raumplastik Weiß, Edelstahl, weiße Farbe, 1968/I; unten rechts: Raumplastik Weiß, Edelstahl, weiße Farbe, 1968/III, in: Morschel 1976, S. 100f. schwindigkeit und Bewegung darzustellen, ohne sie zu Eigenschaften der Plastik zu machen.29 Kricke formulierte 1954: „Mein Problem ist nicht Masse, ist nicht Figur, sondern es ist der Raum und es ist die Bewegung – Raum und Zeit. Ich will keinen realen Raum und ich will keine reale Bewegung (Mobile), ich will Bewegung darstellen. Ich suche der Einheit von Raum und Zeit eine Form zu geben.“30

Die Abbildungen der Plastiken unterstützen dieses von Kricke beschriebene Ziel, indem das Objekt in der Bildfolge als veränderlich und einem zeitlichen Prozess unterliegend inszeniert wird.31 Diese Wirkung wird in der Monografie von Jürgen Morschel sogar mit Abbildungen verschiedener Plastiken erzeugt. Vier unterschiedliche Raumplastiken werden in gleicher Weise vor schwarzem Grund fotografiert (Abb. 14a-d). Das Arrangement der Bilder mit zwei mal zwei Bildern 29 | Vgl. Reuter, Guido: „Ich suche der Einheit von Raum und Zeit eine Form zu geben.“ Der künstlerische und ideengeschichtliche Hintergrund von Norbert Krickes „Raum-Zeit-Plastiken“, in: Reuter, Guido: Skulptur und Zeit im 20. und 21. Jahrhundert, Köln 2017, S. 49-63. 30 | Hatje, Gerd (Hrsg.): Norbert Kricke 1922- 1984. Den Freunden, o.O.1984, S. 6. 31 | Zudem werden die Skulpturen durch die Abbildungen ihrer Materialität enthoben, denn die Drähte sind vollständig weiß und nicht als Rundstäbe kenntlich gemacht. Die Skulpturen werden zu immateriellen Linienbündeln, die dadurch auch ihre Festigkeit verlieren. Vgl. Kapitel 3.3.4.

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übereinander ist eine vertraute Komposition zur Darstellung verschiedener Ansichtsseiten.32 Die einheitliche Gestaltung der Fotografien wahrt den Eindruck, es handle sich um ein einziges fotografiertes Werk. Doch die Ansichtsseiten lassen sich nicht in eine räumlich logische Abfolge bringen, denn es werden verschiedene Plastiken mit unterschiedlichen Formen nebeneinandergestellt. Die Erwartung, dass die nach gleichen Prinzipien gestalteten Abbildungen in einem zeitlichen oder räumlichen Zusammenhang stehen, führt den Betrachter zu dem Eindruck eines bewegten Objekts. Die verschiedenen Plastiken ergeben in der Bildserie eine konstruierte zeitliche Abfolge, die bewirkt, dass die Linien aus Draht beweglich erscheinen, sich krümmen und öffnen, sich erheben, wenden, verzweigen und verdichten. Damit unterstützen die Abbildungen das künstlerische Konzept Norbert Krickes, der die Darstellung von Bewegung und Zeit innerhalb der statischen Plastik anstrebte. Die fotografische Inszenierung von Krickes Plastiken als bewegtem Objekt fällt in eine Zeit, in der der Kunstbegriff bereits von Objektkunst, kinetischen Werken, Happenings und Performances erweitert wurde. Krickes Arbeiten erschienen im Vergleich zu den in den 1970er Jahren entwickelten Kunstformen bereits wieder eher traditionell. Die fotografische Darstellung betonte daher die zeitgenössisch bedeutsamen Aspekte des Werks und bestärkte dadurch Krickes Position als fortschrittlicher, zeitgemäßer Bildhauer.33 Die Abbildung mehrerer Ansichtsseiten einer Skulptur ist also zu einer Bildtradition geworden, die bestimmte Annahmen im Betrachter weckt. Die Intention einer Zusammenstellung mehrerer Skulpturansichten reicht von dem Nachvollziehen des Umrundens einer Skulptur bis hin zur Illusion von Bewegung.

2.2 Plastizität Neben der Abbildung verschiedener Ansichtsseiten ist die Darstellung von Plastizität der am häufigsten geforderte Aspekt in der Debatte um die angemessene Reproduktion von Skulptur. Plastizität ist ein eng mit der Dreidimensionalität verbundener Begriff, der jedoch nicht synonym verwendet werden kann. Der Kunstwissenschaftler Kurt Badt prägte die Verwendung des Begriffs Plastizität durch 32 | Siehe Kapitel 2.1.1. 33 | Krickes Position war in den 1970er Jahren durch einen Konflikt mit Joseph Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie höchst umstritten. Kricke stellte sich als Rektor der Akademie den Aktionen von Beuys kritisch entgegen und unterstützte 1972 dessen Entlassung. In den Medien gab es eine beispiellose Diskussion über Aufgaben und Formen moderner Kunst, in denen Kricke als konservative Position angeführt wurde. Kricke selbst versuchte, die Bedeutung von Beuys herunterzuspielen: „Kunst bringt uns Neues, Beuys bringt Altes. Wenn unsere Welt aus seinen Materialien gebaut wäre, sie wäre aus Pappe, Filz und Papier und geistig noch mehr von gestern.“ Die Zeit, 20.12.1968, Nr. 51.

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seine Definition in einem 1940 erstmals vorgetragenen Aufsatz, den er 1963 unter dem Titel „Wesen der Plastik“ veröffentlichte. Die dort festgelegten Eigenschaften eines plastischen Kunstwerks beinhalten klare formale Gestaltungsprinzipien, die nicht auf jedes dreidimensionale Kunstwerk zutreffen. Badt leitet seinen theoretischen Diskurs zur Plastik von Naturbeispielen ab: „Nicht leicht wird etwas eine Mohnkapsel, eine Melone, eine Zwiebel, eine geschlossene Tulpenblüte an Plastizität überbieten, woran sich zeigt, daß die geschlossene, sich nach außen vorwölbende, die konvex begrenzte Masse das Charakteristische der Plastizität ausmacht. [...] Es gehört dazu die Eindringlichkeit, das Auf-uns-Eindringen der Erscheinungen, ihr Von-innen-nach-außen-Drängen, welches auf solch durchgehende und bestimmende Weise konvex erscheint.“34

Der Kunsthistoriker deutet die konvexen Formen als Ausdruck von Lebendigkeit, die er als ein weiteres Kriterium für Plastizität nennt: „Plastisch nennt man also eine Form, in welcher sich Leben körperbildend wahrnehmbar anzeigt, nennt man Gebilde, an denen die in ihnen liegende Kraft in die Grenzen ihrer Erscheinungen hinein sich voll ausdrückt. Plastisch nennen wir Körper, die in ihren Formen dreidimensional als voll erfüllt von ihrer eigenen Lebenskraft erscheinen.“35

Der Begriff Plastizität ist nach Badt als ein Gesamteindruck des Werks zu verstehen, der nicht ausschließlich von der tatsächlichen Ausdehnung in den dreidimensionalen Raum abhängig ist, sondern auch inhaltlich begründet wird: „Alles Zerknitterte, Welkende, Faulende in der Natur ist unplastisch, nicht weil seine Form zertrümmert ist, (auch zertrümmerte Formen können noch plastisch sein), sondern weil sich für die Anschauung die bildende Kraft aus den Formen zurückgezogen hat.“36

Die formale Definition wird also mit einer inhaltlichen Definition verbunden und auf eine bestimmte Darstellungsweise von Körpern bezogen. Dieser Ansatz lässt sich ebenfalls in zeitgenössischen Beschreibungen von Bildhauerei wiederfinden. So sei das Werk von Gerhard Marcks von „edler Geschlossenheit“, „straffe Organisation von Volumen“ zeichne das Werk von Gustav Seitz aus und die F ­ iguren Barlachs seien „voll innerer Spannung“.37 Der von Kurt Badt geprägte Begriff Plastizität wurde besonders häufig auf figürliche Bildhauerei aus der ersten Jahrhunderthälfte angewendet. Sobald in den 1960er Jahren die traditionellen Eigen34 | Badt, Kurt: Raumphantasien und Raumillusionen. Wesen der Plastik, Köln 1963, S. 136f. 35 | Ebenda, S. 137. 36 | Ebenda. 37 | Rieth, 1959, S. 6; Platte, 1951, S. 186; Carls, Carl Dietrich: Ernst Barlach. Das plastische, graphische und dichterische Werk, Berlin 1958, S. 33.

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schaften von Skulptur durch die jüngere Bildhauergeneration aufgelöst wurden, galt Plastizität nicht mehr als Qualitätskriterium für Skulptur. Im kunstgeschichtlichen Diskurs wurden zu dieser Zeit Begriffe wie Raumplastik und Körperplastik entwickelt und einander gegenübergestellt. Die neuen, abstrakten und raumgreifenden bildhauerischen Konzepte sollten sich durch die Verwendung der beiden Kategorien von der traditionellen, oftmals als konservativ und veraltet bewerteten Körperplastik abheben können.38 Die Darstellung von Plastizität in der Skulpturfotografie beeinflusst daher auch die Zuordnung der abgebildeten Bildhauerei zu den verschiedenen bildhauerischen Konzepten.

2.2.1 D  ifferenzierte Grauabstufungen als Mittel zur Darstellung von Plastizität In der fotografischen Reproduktion muss Plastizität mit bildnerischen Mitteln dargestellt werden. Fotografen nutzten die Abstufungen von hell und dunkel, um eine räumliche Ausdehnung in die Bildtiefe zu zeigen. Diese Strategie entspricht den Gesetzen einer Malerei oder Zeichnung, in der die dunklen Bereiche in den Hintergrund treten und sich die hellen Formen in den Vordergrund schieben. Gemalte Skulpturen wurden bereits in der mittelalterlichen Tafelmalerei als Grisaille ausschließlich mit den Farben Schwarz, Weiß und Grau dargestellt. Mit der Darstellung von Licht und Schatten konnten dreidimensionale Effekte erzeugt werden, die der Schwarz-Weiß-Fotografie ähnlich sind. Um einen Körper plastisch erscheinen zu lassen, wird eine Fläche von hell nach dunkel in vielen Grauabstufungen aufgefächert. Die Formvorstellung leitet sich davon ab, in welcher Weise der Übergang von hell zu dunkel erscheint. Je näher Weiß und Schwarz aneinander liegen, desto stärker zeigt sich die Wölbung der Form. Eine sanfte Schattierung mit vielen Nuancen wirkt wie eine leichte Wölbung. Durch die Verteilung der Helligkeit innerhalb einer Fläche wird außerdem verdeutlicht, ob es sich um eine konvexe oder um eine konkave Form handelt. Für den Fotograf ist die Beleuchtung das entscheidende Werkzeug, um in dieser Weise Plastizität mittels Grauabstufungen zu erzeugen. In diesem Zusammen38 | Die Begriffe leiten sich von den Manifesten der russischen Konstruktivisten Naum Gabo und Alexander Rodtschenko ab, die ihre Werke als Raumkonstruktionen bezeichneten. Siehe dazu: Kricke/ Kricke-Güse/von Wiese (Hrsg.), 2006, S. 31. Wer den Begriff Raumplastik zum ersten Mal verwendete, ist nicht mehr nachzuweisen, er wird jedoch von zahlreichen deutschen Kunsthistorikern in den 1950er Jahren benutzt. Heute ist er eng mit dem Werk von Norbert Kricke verbunden, der viele seiner Arbeiten als Raumplastiken betitelte. Krickes Werk steht dem der Konstruktivisten nahe, doch der Unterschied zwischen Raumplastik und Raumkonstruktion ist evident. Kricke verwendet das Wort Plastik, einen traditionsreichen Begriff, der auf das Zusammenfügen von Material zurückgeht. Die Plastik beinhaltet etwas Wachsendes, Natürliches. Eine Konstruktion hingegen ist technisch, menschengemacht und planerisch-gedanklich entstanden.

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Abbildung 15 | Gerhard Marcks: Thüringer Venus, Bronze, 1930, in: Trier, 1955, Abb. 51. hang schlägt der Bildhauer Gerhard Marcks dem Künstler, Buchbinder und Publizisten Wilhelm Nauhaus in einem Brief vom 2. April 1974 vor: „Ich habe aber eine grosse tückische Bitte: würden Sie sich der Mühe unterziehn, von den beiden Cröllwitzer Bronzen Fotos machen zu lassen, und zwar draussen im himmlischen Oberlicht?“39 Dem Bildhauer war die Beleuchtung durch das Tageslicht im Außenraum wichtig, weil dadurch eine gleichmäßige, von der Form abgeleitete Verteilung der Graustufen erreicht wird. Eine Aufnahme des Werks „Thüringer Venus“ von Gerhard Marcks verdeutlicht, wie eine Fotografie im Tageslicht Plastizität vermitteln kann (Abb. 15). Die Plastik ist an ihrem Aufstellungsort im Museumspark Braunschweig zu sehen. Die Figur zeichnet sich durch gespannte, runde Körperformen aus, die sich nach außen wölben. Die gleichmäßige Beleuchtung eines bewölkten Himmels bewirkt, dass die Formen der Plastik an den zuvorderst liegenden Stellen hell erleuchtet sind und zu den Rändern hin dunkler werden. Auf diese Weise werden zylindrische und kugelförmige Körperformen als solche in der Fotografie sichtbar. Besonders gut zeigt sich dies an den Oberschenkeln der Figur, denn die unterschiedliche Hel39 | Marcks/Semrau, 1995, S. 281.

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Abbildung 16 | Emy Roeder: Selbstbildnis, Bronze, 1958, Fotograf: J. Schmitz-Fabri, in: Trier 1960, Abb. 90. ligkeit der Flächen macht sichtbar, dass das linke Bein der Venus dem Betrachter ein kleines Stück näher steht als das rechte. Zudem sind beide Beine als zylindrische Formen erkennbar, da sich die Rundungen nach außen hin abdunkeln. Solange die Abstufungen von hell und dunkel dem Betrachter schlüssig erscheinen, fällt die fotografische Gestaltung durch die Entscheidung über die Beleuchtung dem Betrachter kaum auf. Wird aber eine Skulptur nicht stimmig ausgeleuchtet fotografiert, macht sich der Einfluss des Fotografen unmittelbar bemerkbar. Emy Roeders „Selbstbildnis“ von 1958 wird mehrfach in einer Aufnahme abgebildet, auf der das Bronzeporträt extrem hell von vorne angestrahlt wurde (Abb. 16).40 Eigentlich tief liegende Partien der Plastik wie die Augeninnenflächen leuchten auf der Abbildung durch die Lichtreflexion hell auf und treten im Bild nach vorne. Die parallel verlaufenden, aber unterschiedlich weit vorne liegenden Flä-

40 | Zum Beispiel: Franke, Günther: Woty Werner, Emy Roeder, Eline McKnight. Galerie Günther Franke, München 1959; Kunstverein Hamburg: Emy Roeder. Ausstellung zum 70. Geburtstag, Hamburg 1960; Staatliche Kunsthalle Baden-Baden: Alfred Lörcher, Gabriele Münter, Emy Roeder, Baden-Baden 1960 sowie Trier, Eduard: Figur und Raum, Berlin 1960.

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chen der Stirn, der Nasenspitze und Partien zwischen Nase und Mund erscheinen dadurch im Bild auf derselben tiefenräumlichen Ebene. Der Eindruck von Plastizität und Lebendigkeit geht durch die irreführende Beleuchtung in der fotografischen Reproduktion verloren. Statt eines aussagekräftigen Porträts der Künstlerin wird dem Betrachter die Künstlichkeit und Kälte des reflektierenden Materials Bronze vorgeführt. Die Plastik erscheint regelrecht verzerrt, so dass auch ihr Ausdruck verfälscht wird. Der Betrachter kann die Form aufgrund seines Wissens über die Physiognomie eines Kopfes erschließen, doch die verkehrte räumliche Situation von hell und dunkel wird dabei als hinderlich empfunden. Der Eindruck von Plastizität entsteht in der Fotografie also nur dann, wenn die Beleuchtung der Tiefenräumlichkeit des Kunstwerks angepasst ist: Die dunkelsten Bildpartien müssen den zurückliegenden Formen und die hellen Bildpartien den hervortretenden Formen entsprechen. Wird die Beleuchtung einer Skulptur mit starken, künstlichen Lichtquellen gestaltet, teilt sich das Werk in helle und dunkle Flächen auf, die jedoch Wölbungen des Materials verschlucken können. Helles Scheinwerferlicht ist zudem ein Instrument der fotografischen Inszenierung, das durch den Schattenwurf eine Skulptur in ihrem Aussehen stark verändern kann.41

2.2.2 Unschärfe als Mittel zur Darstellung von Plastizität Plastizität wird in der Skulpturfotografie dadurch erzeugt, dass sich Übergänge von hell zu dunkel in vielen Grauabstufungen auffächern und nicht klar voneinander zu trennen sind. Sie erscheinen damit innerhalb der Plastik unscharf. Die fehlende Abgrenzung der Flächen durch aufgelöste Konturen ermöglicht die Wahrnehmung von gewölbten, plastischen und runden Formen innerhalb der Skulptur. Marc Wellmann beschreibt Unschärfe als ein Mittel der Unbestimmtheit: „Im optischen Sinn geht es bei dem Begriffspaar scharf / unscharf letztlich um die Möglichkeit einer Gebietszuordnung von Elementen. Befindet sich dieser oder jener Punkt innerhalb oder außerhalb, vor oder hinter, unterhalb oder oberhalb, diesseitig oder jenseitig einer Grenze? Die Unschärfe verhindert die Eindeutigkeit einer solchen Bestimmung. Sie weicht die Demarkation auf, macht sie durchlässig und passierbar [...] und ist als Bildeigenschaft die Ursache des möglichen Irrtums, des Schwankens zwischen verschiedenen Zuständen, der Unvorhersehbarkeit und des Zweifels.“42

Unschärfe widerspricht damit dem Wunsch nach Eindeutigkeit und Detailgenauigkeit, der für eine sachliche Aufnahme prägend ist. Häufig wird Unschärfe in der

41 | Siehe Kapitel 2.1.1. 42 | Wellmann, Marc: Die Entdeckung der Unschärfe in Optik und Malerei. Zum Verhältnis von Kunst und Wissenschaft zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2005, S. 12.

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Skulpturfotografie eingesetzt, um bestimmte Aspekte der Plastik hervorzuheben, ohne jedoch den Betrachter im Zweifel über die Gesamtform zu lassen. Eine Fotografie von Emy Roeders Porträt des Malers Hans Purrmann verdeutlicht den gezielten Einsatz von Unschärfe (Abb. 17). Das Bild zeichnet sich durch eine feinfühlige Gestaltung aus und wurde über mehrere Jahrzehnte hinweg als Reproduktion verwendet.43 Aus einem schwarzen Bildgrund schiebt sich das bronzene Porträt von Hans Purrmann kraftvoll hervor. Die Plastik zeigt den Kopf des Malers mit Hals, aber ohne Schultern als kompakte, geschlossene Form. Der kahle Schädel des Malers hebt sich von dem Hintergrund deutlich ab. Das Werk ist frontal auf den Betrachter ausgerichtet und vermittelt eine starke Präsenz. Die Beleuchtung teilt das Gesicht in zwei annähernd symmetrische Hälften, von denen die linke Seite im Schatten liegt. Die Fotografie besitzt eine geringe Schärfentiefe, die auf die Bildebene der Augen begrenzt ist. Diese Ebene ist scharf und zieht die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich. Auf dem Gesicht befinden sich feine, eingeritzte Linien, die die Person charakterisieren und gleichzeitig Unterteilungen in abstrakte Flächen innerhalb des Gesichts anlegen. Diese für das Verständnis des Werks wichtigen Details liegen auf der am besten sichtbaren Bildebene der Fotografie. Zu den Rändern der Plastik hin und in die hintere Bildebene hinein verschwimmen die Umrisse und erzeugen damit einen starken räumlichen Eindruck. Auch die vorderste Bildebene im Bereich der Nase erscheint unscharf. Die Unschärfe und die Schärfe des Bildes kontrastieren gewinnbringend und betonen zum einen die Gesamtform des Kopfes und seine Plastizität, zum anderen die Details der Materialoberfläche. Die Ausdehnung des Kopfes erstreckt sich in die Tiefe, so dass auch die Maße spürbar werden, die der Betrachter in der Frontalsicht nicht sehen kann. Das Porträt, das lediglich 26 Zentimeter misst, wirkt monumental, schwer, kraftvoll und massiv dadurch, dass ihr die Unschärfe die zusätzliche Dimension verleiht. Die Plastizität – auch im Sinne Badts als nach außen drängende Kraft gedacht – wird durch das fotografische Mittel der Unschärfe unterstützt. Unschärfe wird von Mandy Gnägi als fotografisches Mittel mit der „Konstruktion von perspektivischer Räumlichkeit mittels konstruierter Fluchten in der Malerei“ verglichen.44 Über die Darstellung der Tiefenräumlichkeit hinaus könne mit unterschiedlicher Tiefenschärfe eine Bedeutungstransformation erreicht werden, „die davon abhängig ist, welcher Bildinhalt die größte Schärfe innehat.“45 Auf diese Weise verleiht der Fotograf der Porträtplastik „Hans Purrmann“ eine raumfüllen43 | Vgl. Museumsverein Duisburg e.V. (Hrsg.): Marg Moll, Emy Roeder, Johanna Schütz-Wolff, Duisburg 1959; sowie Feist, Peter H.: Figur und Objekt. Plastik im 20. Jahrhundert, Leipzig 1996, S. 133. 44 | Gnägi, Mandy: Von der zweiten in die dritte Dimension. Anmerkungen zur Suggestion von Räumlichkeit in der Fotografie, in: Baltzer, Nanni/Kersten, Wolfgang (Hrsg.): Weltenbilder, Berlin 2011, S. 27. 45 | Ebenda.

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Abbildung 17 | Emy Roeder: Bildnis Hans Purrmann, Bronze, 1950/51, Fotograf: Erwin Böhm, in: Gerke 1963, Abb. 189.

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Abbildung 18 | Hans Uhlmann: Fetisch, Stahl, 1958, in: Trier, 1959, S. 181. de Kraft, die das Werk den schwarzen Hintergrund beherrschen lässt. „Die Dinge in der Aufnahme [werden] räumlich neu arrangiert“ und zu einer „innerbildlichen Räumlichkeit konstruiert“.46 Die fotografische Gestaltung ist dabei unabhängig von dem tatsächlichen Sehvorgang und daher eines der wichtigsten Mittel, den Blick des Betrachters zu lenken und so Bildinhalte fotografisch zu vermitteln.

2.2.3 Flächigkeit als neue Formensprache In den 1960er Jahren entfaltete sich in der Bildhauerei eine Gegenposition zur plastischen Skulpturauffassung, die sich auch fotografisch niederschlug. Konstruktionen aus Metallplatten und -stangen wurden darauf angelegt, Räumlichkeit mittels Flächen darzustellen und auf Volumen und Plastizität zu verzichten. Diese Tendenz der Bildhauerei war international in Europa, Russland und den USA zu beobachten und wurde in Deutschland unter anderem von Hans Uhlmann und Norbert Kricke vertreten. Die Fotografie musste auf die Entwicklungen der Bildhauerei reagieren. Hans Uhlmanns Werk „Fetisch“ von 1958, das im documenta-Katalog von 1959 abge46 | Ebenda, S. 28f.

Dreidimensionalität

Abbildung 19 | Bernhard Heiliger: Fährmann (Neckarbrücke Eßlingen), Bronze, 1956 , Fotograf: Dr. Albiker, in: Flemming 1962, S. 148f. bildet ist, zeigt beispielhaft, wie die Flächigkeit des abstrakten Werks zu neuen Möglichkeiten in der Fotografie führte (Abb. 18). Zwei dicht nebeneinanderstehende, auf einer Plinthe befestigte Metallstäbe halten ein Konstrukt aus mehreren geometrischen Metallplatten. Aufgrund der Plinthe ist die Plastik als dreidimensionales Objekt mit einer Standfläche ausgewiesen. Die aufragenden Stäbe sind jedoch nicht als plastische Form zu erkennen, sondern wirken in der Fotografie wie zwei breite, grafische Streifen, die von einer dünnen weißen Linie getrennt werden. Die Streifen können ähnlich einem Vexierbild auch als räumliche Anordnung gesehen werden, denn der weiße Durchblick erweckt den Anschein, es handle sich um eine Kante, die das Licht reflektiert. Die beiden Flacheisen können auf der Fotografie daher leicht mit einem Vierkantprofil verwechselt werden. Räumlichkeit und Flächigkeit werden hier als Illusion des menschlichen Sehens vorgeführt. Im oberen Aufbau der Plastik setzt sich dieses Verfahren fort. Die vorderste Platte zeichnet sich durch einen leichten Glanz als dreidimensionale Form mit materiellen Eigenschaften aus. Eine dreieckige Vertiefung innerhalb der Platte und zwei aufgesetzte Ringe bleiben in ihrer räumlichen Anordnung auf der Platte sichtbar. Die beiden anderen Platten sind auf der Fotografie als rein schwarze Flächen zu sehen, die keine Plastizität zu besitzen scheinen. Die Platten bestehen aus in zwei Richtungen weisenden Flächen, die sich aber in der Fotografie nicht in den Tiefenraum erstrecken, sondern flach auf der Bildebene bleiben. Die Fotografie kontrastiert somit vollkommen flächige, unplastische, grafisch erscheinende Elemente mit Andeutungen von Räumlichkeit. Dadurch wird die Form als wichtigster Bildinhalt fixiert und hervorgehoben sowie eine Auflösung der Grenzen zwischen

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Fläche und plastischer Form erzeugt, die auch in der Malerei dieser Zeit zu finden ist. Die Betonung der Fläche wird in der Fotografie direkt abgeleitet von der Form, die das Kunstwerk besitzt. Es kommt dem Betrachter selbstverständlich vor, dass ein aus Flächen zusammengesetztes Werk auch in der Fotografie flächig erscheint. Die Fotografie als Silhouette ist jedoch auch für viele weitere Werke nachweisbar. Selbst figürliche Werke wie der „Fährmann“ von Bernhard Heiliger wurden in den 1960er Jahren als Silhouette abgebildet (Abb. 19). Flächigkeit wurde als Gegenpol von Plastizität betont und starke Schwarz-Weiß-Kontraste wurden eingesetzt, um die Form der Plastik vor dem Hintergrund zusammenzuschließen. Die Reduktion auf die Fläche unterstützt somit die zeitgenössische Ästhetik, die sich durch starke Kontraste und grafische Elemente auszeichnete.

2.3 Skulptur und R aum Wie in den vorangegangenen Kapiteln bereits angedeutet, spielt bei der Darstellung von Dreidimensionalität in der Skulpturfotografie nicht nur die Plastizität der Skulptur eine Rolle, sondern auch der Zusammenhang zu dem Raum, in dem sich die Skulptur befindet. Das Verhältnis von Kunstwerk und Raum betrifft zentrale Konzepte der Bildhauerei des 20. Jahrhunderts, in denen die Skulptur als ein Zusammenspiel von Masse und Leere konzipiert wurde und Raum dadurch einen Bestandteil der Form bildete. Auch als Standort wurde der Raum für die Skulptur der Moderne zunehmend wichtiger. Die Fotografie einer Skulptur zeigt immer auch einen Bildraum, der nicht unmittelbar zum Kunstwerk gehören muss. Wie mit diesem Bildraum in Bezug auf den Standort der Skulptur umgegangen wird, behandelt das Kapitel „Im Hintergrund der Skulptur – von Isolation bis Standortbezug“. Da der Bildraum jedoch auch genutzt wird, um Dreidimensionalität zu vermitteln, wird auf diesen Aspekt im folgenden Kapitel eingegangen. Im Zentrum steht die Frage, wie durch den Bildhintergrund einer Skulpturfotografie Räumlichkeit erzeugt, unterstützt oder aufgehoben werden kann.

2.3.1 Aufhebung des Bildraums durch Retusche Sowohl Fotografien antiker Skulpturen, die seit der Mitte der 1850er Jahre gefertigt wurden, als auch Abbildungen zeitgenössischer Werke bis in die 1950er Jahre hinein zeigen den Bildraum um die Skulptur herum häufig vollständig in eine schwarze oder weiße Fläche aufgelöst. Der Umraum der Skulptur wurde auf dem Negativ mit dem Pinsel durch eine deckende Tusche gänzlich lichtundurchlässig gemacht, so dass sich der Bildraum zu einer neutralen Fläche ohne Standort und ohne Tiefenräumlichkeit wandelte. Der Archäologe Ernst Langlotz kritisierte 1929 dieses Verfahren:

Dreidimensionalität „Der schwarze Grund auf der Tafel ist schon deshalb zu verwerfen, weil er die Umrisse bei beschatteten Stellen gleichsam auffrißt. Meist werden dann die Konturen noch roh umrissen, so daß die Figur wie eine unkörperliche Silhouette auf eine schwarze oder weiße Folie aufgeklebt erscheint.“47

Die Ursache für die Retusche des Hintergrundes sah Langlotz in dem Bestreben, „das aufzunehmende Objekt im Sinne der Naturwissenschaften zu isolieren, gleichsam zu neutralisieren“.48 Die Präferenz für die Betonung des Umrisses sieht Stefanie Klamm in der Tradition archäologischer Abbildungen, die linienbezogene Darstellungen nutzten, um formale Merkmale hervorzuheben. Barbara Kopf weist darauf hin, dass auch die 1895 von Heinrich Wölfflin angeregte Fragestellung nach einer richtigen Ansichtsseite zu einer Betonung der Umrissform einer Skulptur in der Fotografie beigetragen habe.49 Weiterhin hätten auch produktionstechnische Ursachen dazu geführt, dass der flächige Hintergrund sich als Standard der Skulpturfotografie durchsetzen konnte.50 Die Retusche des Bildhintergrundes ermöglichte eine Vereinheitlichung der Aufnahmen, die unabhängig vom Aufstellungsort der Skulptur mit wenig Arbeitsaufwand erreicht werden konnte. Anhand der Postkartenserie „Skulpturen erster Meister“, die um 1900 massenhaft von der Neuen Photographischen Gesellschaft in Deutschland vertrieben wurde, lässt sich nachvollziehen, wie sich die wissenschaftliche Darstellungskonvention antiker Skulpturen auf die Skulpturfotografie zeitgenössischer Kunst übertrug. Die Postkarten zeigen Skulpturen durchgängig mit einem retuschierten Hintergrund, der je nach Material der Skulptur kontrastierend hell oder dunkel gestaltet ist (Abb. 20a-c).51 Um zu vermeiden, dass die Konturen der Kunstwerke im Dunkel verschwinden, sind die Figuren bis zu den Kanten hell ausgeleuchtet, was wiederum die plastische Wirkung der Werke beeinträchtigt. Langlotz bezeichnet in dieser Weise fotografierte Skulpturen abwertend als „Bild-Silhouetten“.52 Ihr Vorteil liegt jedoch darin, dass sie eine für das Medium Postkarte nützliche Plakativität mit sich bringen.53 Der flächige Bildhintergrund vermindert die räumliche Wirkung der Skulptur zugunsten einer klaren Komposition, die der 47 | Langlotz, zitiert nach: Kopf, 2007, S. 158f. Ernst Langlotz hinterfragte in den 1930er Jahren die Konventionen der Skulpturfotografie und entwickelte neue Kriterien wie die Berücksichtigung des ursprünglichen Aufstellungsortes und der dortigen Beleuchtung. 48 | Ebenda. 49 | Vgl. Kopf, 2007, S. 159; Klamm, Stefanie: Linie – Form – Raum. Über wissenschaftliche Bilder antiker Skulpturen, in: Probst, Jörg (Hrsg.): Reproduktion. Techniken und Ideen von der Antike bis heute. Einführung, Berlin 2011, S. 140. 50 | Vgl. Klamm, in: Probst, 2011, S. 137ff. 51 | Der überwiegende Teil der Aufnahmen zeigt Gipsmodelle, die vor schwarzem Grund präsentiert werden. Siehe dazu Kapitel 3. 52 | Langlotz, 1979, S. 3. 53 | Vgl. Klamm, in: Probst, 2011, S. 137.

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Abbildung 20a-c | Postkarten Skulpturen erster Meister, Neue Photographische Gesellschaft Berlin-Steglitz, 1897-1921. a) G. Eberlein: Der Traum, Nr. 1647; b) Adele Paasch-Berlin: Sein Weib, Nr. 111; c) Max Unger: Eva, Nr. 478. Skulptur maximale Präsenz verleiht. Doch ein dunkler Bildraum muss nicht zwingend die Plastizität der abgebildeten Skulptur aufheben. Die Fotografin Charlotte Rohrbach ersetzte nachweislich die Hintergründe ihrer Aufnahmen durch einen schwarzen Grund und steigerte dadurch die plastische Wirkung der Skulpturen.54 Die Fotografin retuschierte ausgesprochen akkurat, so dass sie den Eindruck eines ausgeschnittenen Motivs vermeiden konnte. Der entscheidende Unterschied in der Gestaltung liegt jedoch in der Beleuchtung der Skulpturen: Rohrbach setzte ein Gegenlicht ein, das die Kanten der Figur regelrecht leuchten lässt. Auch per Retusche fügte sie helle Lichtkanten um die Skulptur herum ein. Dadurch konnte sie das Verschmelzen von Außenkante und dunklem Hintergrund vermeiden und darüber hinaus den Figuren eine fast mystische Strahlkraft verleihen (Abb. 21). Obwohl Rohrbachs Aufnahmen die Silhouetten der Skulpturen sehr stark durch die hellen Lichtkanten hervorheben, erscheinen die Figuren nicht flächig. Dies liegt an der Ausleuchtung der Plastik, die den Körper modelliert. Das Licht von vorne wurde weich und indirekt gesetzt, so dass die gesamte Spannbreite der Grautöne von ganz dunklen zu ganz hellen Flächen erhalten bleibt. Der Kontrast zwischen der plastischen Skulptur und dem flächigen Hintergrund führt zu einer Steigerung der Wirkung. Auch wählt Rohrbach selten vollständig schwarze Flächen für den Hintergrund, so dass auch sehr dunkle Schatten auf der Skulptur nicht dazu führen, dass diese im Hintergrund verschwindet. Die Wirkung von Flächigkeit oder Plastizität der Skulptur wird also nicht allein durch die Retusche des Bild54 | Retuschierte Fotografien von Charlotte Rohrbach sind im Bildarchiv des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München vorhanden.

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Abbildung 21 | Arno Breker: Flora, 1943, Fotografin: Charlotte Rohrbach, in: Reindl 1944, Einzelseite. hintergrundes bestimmt, sondern entsteht vielmehr durch die Art und Weise, wie Figur und Hintergrund korrelieren. Insbesondere die Beleuchtung der Skulptur entscheidet, ob das Werk wie eine ausgeschnittene Silhouette oder wie ein plastischer Körper erscheint. Der Eindruck von ausgeschnittenen Silhouetten wurde nicht immer abgelehnt, sondern auch als Gestaltungsmittel bewusst eingesetzt. In der Reihe „Bücher des Wissens“ der Fischer Bücherei wurde 1958 der Band „Die Plastik des 20. Jahrhunderts“ von Werner Hofmann veröffentlicht. Auf der Titelseite ist eine Collage aus

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Abbildung 22 | Titellayout Hofmann: Die Plastik des 20. Jahrhunderts, 1958. Farbflächen und Skulpturabbildungen zu sehen (Abb. 22).55 Aristide Maillols figürliche Plastik „Die Nacht“ von 1902 wird dort mit Alexander Archipenkos abstrahierter Darstellung „Stehende Figur“ von 1920 kombiniert, freigestellt und auf einen türkisgrünen Hintergrund gesetzt. Die Figur von Archipenko überschneidet das Werk Maillols, so dass ein hintereinander gestaffelter, räumlicher Aufbau entsteht. Zugleich bleiben die einzelnen Bildelemente flach, denn sie ordnen sich wie grafische Formen einer Collage auf dem Papier an. Selbst das Logo des Fischer-Verlags wird als Bildebene einbezogen, indem es halb verdeckt hinter Archipenkos Figur erscheint. Da die Schrift „Fischer Bücherei“, die zu dem Logo dazugehört, vor die Skulptur gesetzt wurde, wirkt es, als ob die Skulptur wie ein aufgeklebtes Papier zwischen den grafischen Elementen liegen würde. Das Layout bewirkt, dass die Skulpturen stärker als Umrissform wahrgenommen werden und dass die Tiefenräumlichkeit der Kunstwerke verloren geht. Stattdessen werden die Konturen und Durchblicke der Plastiken betont und eine Vergleichbarkeit zwischen der figürlichen und der abstrahierten Plastik wird hergestellt. Durch die Betonung der Silhouette wird auch der Abstraktionsgrad der 55 | Ein ähnliches Layout wurde 1959 für „Henry Moore – Schriften und Skulpturen“ verwendet, das Hofmann in derselben Buchreihe herausgab.

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Werke erhöht, so dass die formale Nähe der beiden Skulpturen durch das Layout des Titelbildes verstärkt wird. Die flächige Darstellung gehörte zu einem Zeitstil, der sich durch Klarheit und Geradlinigkeit auszeichnete und an die Moderne anknüpfte. Layout und Design sollten fortschrittlich und frisch wirken und sich von dem rückwärtsgewandten Kulturverständnis der Vergangenheit (also auch vom Nationalsozialismus) abwenden. Das Freistellen von Skulpturen wurde daher nicht mehr allein aus praktischen Gründen eingesetzt, sondern als gestalterische Entscheidung zu einem zeitspezifischen Phänomen der 1950er und 1960er Jahre.56

2.3.2 Bildtiefe durch Dunkelheit Skulpturen, die vor einem geschwärzten Hintergrund stehen, verlieren häufig ihre Plastizität. Dies liegt unter anderem daran, dass Skulptur und Hintergrund durch eine nachträgliche Retusche als getrennt voneinander angelegte Elemente zu sehen sind, die collagenhaft nebeneinander existieren und sich nicht miteinander verbinden. In dieser Weise wurden die Hintergründe zahlreicher Fotografien geschwärzt, so auch Abbildungen der Werke Wilhelm Lehmbrucks. Die vom Bildhauer in Alben verwahrten Negative der Aufnahmen der Plastik „Große Kniende“ von 1911 besitzen bis auf eine einzige Ausnahme einen retuschierten Hintergrund.57 Marion Bornscheuer konnte 2011 belegen, dass der Bildhauer Einfluss auf die Gestaltung der Fotografien seiner Werke nahm. Es ist daher anzunehmen, dass er die Darstellung mit einem geschwärzten Bildraum zumindest nicht ablehnte. Neben den retuschierten Bildhintergründen existieren jedoch auch zeitgenössische Aufnahmen von Lehmbrucks Werken, die den schwarzen Hintergrund in anderer Weise einsetzen (Abb. 23). Marion Bornscheuer geht davon aus, dass diese Fotografien nach Lehmbrucks Anweisung entstanden sind, da er in einem Brief an die Leitung des Kölner Sonderbundes gefordert hatte, er würde bei den Aufnahmen „evtl. gerne zugegen sein.“58 Ob der Bildhauer tatsächlich Einfluss auf die Aufnahme genommen hat, geht jedoch nicht aus den Schriften hervor. Eine dieser 1911 entstandenen Fotografien zeigt den Oberkörper der „Großen Knienden“ im Anschnitt. Das Werk ist leicht von der Seite zu sehen und in die Dunkelheit des Hintergrundes eingebettet. Vorne liegende Teile der Plastik treten durch die Beleuchtung hervor, die hinteren Teile der Figur verschwinden im Schatten. Auch die Kanten der Figur werden aufgrund der Ausleuchtung von der Dunkelheit verschluckt, wirken jedoch natürlich, da sie sich über facettenreiche Grau56 | Weitere Beispiele finden sich bei: Hartung, Karl: Karl Hartung, Hannover 1953; Feldenkirchen, Toni: Ludwig Gies, Recklinghausen 1960; Badischer Kunstverein Karlsruhe (Hrsg.): Gustav Seitz, Karlsruhe 1961; Führmann, Franz: Ernst Barlach. Das schlimme Jahr, Rostock 1963. 57 | Vgl. Bornscheuer/Stecker, 2011, S. 207. 58 | Lehmbruck, Wilhelm zitiert nach Bornscheuer/Stecker, 2011, S. 33.

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Abbildung 23 | Wilhelm Lehmbruck: Große Kniende, 1911, Fotograf: unbekannt, 1911, in: Bornscheuer/Stecker 2011, S. 31. stufen ins Dunkel auflösen. Die Skulptur steht nicht vor einer schwarzen Fläche, sondern vielmehr in einem schwarzen Raum, der ähnlich wie ein dunkler Nebel die Figur stellenweise einhüllt.59 Die Dunkelheit hat dabei durchaus eine stoffliche Qualität. Nicht die Silhouette der Figur, sondern das Hervortreten der plastischen Formen aus dem dunklen Raum wird betont. Zwar wird die Erkennbarkeit aller Details der Plastik vernachlässigt, doch durch die sanfte Lichtführung bereichert eine intime, ruhige Atmosphäre das Bild. Unterstützt wird die Nähe zur Plastik in ihrer Sinnlichkeit noch durch den Bildausschnitt, der das Bein der Figur sehr weit nach vorne holt und den Betrachter so intensiver teilhaben lässt, als es eine sachliche Aufnahme anstreben würde. Dass die Umrisse „aufgefressen“ werden, wie es bei Langlotz heißt, wird bei der Fotografie von Lehmbrucks „Großer Kniender“ genutzt, um den räumlichen Eindruck der Figur zu steigern.

59 | Ein derartiger Umgang mit dem schwarzen Hintergrund ist bekannt von der piktorialistischen Fotografie des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Besonders Auguste Rodin arbeitete mit Fotografen zusammen, die einen malerischen, stimmungsvollen Bildeindruck schufen. Siehe dazu Kapitel 1.1.4.

Dreidimensionalität

2.3.3 Das Stereobild Kurt Lothar Tank hebt 1942 stolz hervor, dass der von ihm veröffentlichte Band „Deutsche Plastik unserer Zeit“ „ein Raumbildwerk ist, – ein Werk also, das schlechthin nicht nur das erste seiner Art auf dem Gebiete der Wiedergabe plastischer Kunst ist, sondern das einzige überhaupt, das für sich in Anspruch nehmen darf, Plastik richtig, – nämlich plastisch, abzubilden“60. Das Besondere an dieser Veröffentlichung ist die Verwendung von Stereofotografie, die Bilder räumlich erscheinen lässt.61 Zwei aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommene Fotografien imitieren das beidäugige Sehen und die damit verbundene Einschätzung von Entfernungen. Die Aufnahmen werden durch einen Bildbetrachter angeschaut, der die sehr kleinformatigen Abbildungen (ca. 5 x 5 Zentimeter) wie durch eine Lupe vergrößert und den für den tiefenräumlichen Eindruck geeigneten Abstand zum Auge erzeugt. Das Buch „Deutsche Plastik unserer Zeit“ bildet im Textteil einzelne Porträtbilder der Künstler als einfache Drucke ab. Die Kunstwerke hingegen sind als Stereofotografien aufgenommen und als kleinformatige Bildkarten zusammen mit dem Bildbetrachter im Bucheinband befestigt.62 Obwohl die Stereofotografie eine Attraktion des ausgehenden 19. Jahrhunderts war, betont Tank: „Es ist erst unserer Zeit möglich geworden, auf fotografischem Wege das Raumbild im Buche so zu nützen, daß sich dem Beschauer tatsächlich ein dreidimensionaler Eindruck dreidimensionaler Erscheinungen mitteilt. Erst diese technische Möglichkeit hat die Voraussetzung geschaffen, Plastik an jedem beliebigen Orte und von jedem beliebigen Menschen plastisch echt erleben zu lassen.“63

60 | Tank, Kurt Lothar: Deutsche Plastik unserer Zeit, München 1942, S. 9. 61 | Schausteller brachten am Ende des 19. Jahrhunderts Apparate zur Stereobildbetrachtung in die Städte und verbreiteten das Medium. Um 1900 wurden in zahlreichen deutschen Städten sogenannte Kaiserpanoramen betrieben, die sich zu einem Massenmedium der Unterhaltung entwickelten. Den überwiegenden Anteil aller Aufnahmen bildeten Landschaftsaufnahmen, Stadtansichten und die Dokumentation von Ereignissen. Mit den ersten Kinos und der Möglichkeit, selbst zu fotografieren, schwand der Bedarf an Kaiserpanoramen und die Stereofotografie wurde in den 1920er Jahren kaum mehr eingesetzt. Weiterhin verwendet wurde sie jedoch in militärischen, vermessungstechnischen oder medizinischen Bereichen. 62 | Die Konzeption des Bildbandes wird im Kapitel 6.2 ausführlich besprochen. 63 | Tank, 1942, S. 14-15.

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Das eigentlich veraltete Verfahren der Stereofotografie wurde im Nationalsozialismus neu entdeckt und propagandistisch genutzt.64 Als Raumbild bezeichnet wurde die Stereofotografie zur neuen Erfindung der nationalsozialistischen Zeit erklärt und als fortschrittliches Betrachtungsmedium von Skulptur dargestellt. Raum war ein zentraler Begriff in der Propagandasprache des Nationalsozialismus und wurde im kunsthistorischen Kontext den dreidimensionalen Eigenschaften von Skulpturen und Bauwerken zugeordnet.65 Die Betonung des räumlichen Bildeindrucks erfordert eine besondere Komposition der Fotografien. Die sachliche Skulpturfotografie, die in den meisten kunsthistorischen Publikationen bevorzugt wird, wird in dem Band „Deutsche Plastik unserer Zeit“ von einer großen Anzahl an Atelieraufnahmen sowie Aufnahmen im Außen- und Ausstellungsraum übertroffen. Die Skulpturen werden ausgesprochen selten als einziges Bildelement gezeigt, sondern größtenteils in einen räumlichen Zusammenhang gestellt. Selbst minimale räumliche Anordnungen erzeugen eine weitere Bildebene und bewirken einen Effekt der Dreidimensionalität, wie das Beispiel des Werks „Nymphe“ von Richard Scheibe verdeutlicht (Abb. 24). Die Figur wurde zwar nach den Konventionen der sachlichen Darstellung mittig im Bild platziert und vor einem hellen, einfarbigen Hintergrund gezeigt, doch ein deutlicher Schattenwurf hinter der Skulptur genügt, um den dreidimensionalen Effekt der Stereofotografie zur Wirkung kommen zu lassen. Sebastian Fitzner weist darauf hin, dass „in ästhetischer Hinsicht […] die Stereofotografie ebenso zur Abgrenzung und Ablehnung der modernen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts instrumentalisiert worden“ sei, da ein mittels der Perspektive genau erfasster und konstruierter Raum der Abstraktion entgegenstehe.66 Stereofotografie entspreche einer Bildauffassung, die auf den „klassischen ‚Blick aus dem Fenster‘ rekurrierte“ und damit eben gerade die im Expressionismus und Futurismus bedeutenden Experimente mit der Raumdarstellung ausschlösse.67 Dementsprechend wurden Skulpturen für Stereoaufnahmen vorwiegend in einem räumlichen Arrangement verortet, das deren realistischen Anspruch betont und häufig auch narrative Deutungen zulässt. Die Stereofotografie erlangt ihren 64 | Vgl. Fitzner, Sebastian: Raumrausch und Raumsehnsucht. Zur Inszenierung der Stereofotografie im Dritten Reich, in: Fotogeschichte 109/2008, S. 25. Die Verwendung der Stereofotografie als Propagandamittel wird in Kapitel 6 ausführlich dargelegt. An dieser Stelle soll die kompositionelle Gestaltung des räumlichen Bildes im Vordergrund stehen und politische Inhalte müssen daher nachrangig behandelt werden. 65 | Zur propagandistischen Verwendung des Wortes Raum siehe Kapitel 6.2. 66 | Fitzner, 2008, S. 30. 67 | Ebenda. Es bleibt zu ergänzen, dass keine experimentelle Fotografie in Stereobildern umgesetzt wurde. Das Medium könnte sich möglicherweise sehr wohl eignen, um Räumlichkeit aufzubrechen und Abstraktion zu betonen, zum Beispiel indem Objekte in einem falschen tiefenräumlichen Aufbau angeordnet würden.

Dreidimensionalität

Abbildung 24 | Richard Scheibe: Nymphe, 1937, Stereofotografie in: Trier, 1942, Bild Nr. 27. höchsten räumlichen Eindruck durch weit auseinanderliegende Bildelemente. Um den dreidimensionalen Effekt der Bilder zur Geltung kommen zu lassen, wurden daher Schatten, Vorhänge, Möbel und Zusammenstellungen von mehreren Skulpturen in die Bildkompositionen aufgenommen. Die Abbildungen zweier Werke von Fritz Klimsch verdeutlichen, wie stark die Kompositionen im Band „Deutsche Plastik unserer Zeit“ von konventioneller Skulpturfotografie abweichen. Die Frauenfigur „Maja“ von 1931 und der „Entwurf für eine Brunnenfigur“ werden gemeinsam auf einer Fotografie gezeigt (Abb. 25). Im Vordergrund des Bildes ist ein männlicher Reiter im Anschnitt zu sehen, im Hintergrund steht die Frauenfigur „Maja“. Außerdem sind auf dem Bild Elemente des Raums zu erkennen, zum Beispiel die kassettierte Gewölbedecke und der dunkle Fußboden, der an der Wand mit zwei Stufen endet. Auf der Treppe stehen in einer Reihe mehrere kleine Blumentöpfe und hinter der Skulptur „Maja“ hängt ein Wandteppich. Die beiden Werke waren im Auswärtigen Amt in Berlin aufgestellt und wurden mit den vor Ort vorgefundenen Gegebenheiten aufgenommen. Die vorne stehende Reiterfigur ist stark angeschnitten und weist dadurch über den

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Abbildung 25 | Fritz Klimsch: Maja, 1931 (hinten) und Entwurf für eine Brunnenfigur (vorne), Stereofotografie in: Trier, 1942, Bild Nr. 10 Bildrand hinaus.68 Sie rückt sehr nah an den Betrachter heran, der förmlich mitten im Bildraum zu stehen scheint. Die Räumlichkeit in die Tiefe hinein wird durch die im Hintergrund stehende weibliche Figur bestimmt. Diese ist recht klein abgebildet und daher in ihren Details nicht zu erkennen.69 Keine der Skulpturen kann als Hauptmotiv gelten, denn sie sind für den Betrachter nicht in ihrer Gesamtheit und auch nicht in ihren Details zu erfassen. Der Bildaufbau wird durch den Einsatz des Lichts sowie durch helle und dunkle Bildelemente bestimmt. Da Stereofotografie nicht auf die räumliche Wirkung von hell und dunkel angewiesen ist, können Objekte unabhängig von ihren Grauwerten in die Tiefe gerückt erscheinen. So steht die Figur „Maja“ als hellster Punkt des Bildes im Hintergrund, ohne dass sie optisch nach vorne tritt. Die Frauenfigur erstrahlt weiß vor dem dunklen Teppich, die eher dunkle Männerfigur wird von links angestrahlt und erhält im Gegenlicht eine schimmernde Kontur. Durch diese Beleuchtung wird beiden Skulpturen eine große Präsenz verliehen. Der Betrach68 | Die im Vordergrund positionierte Reiterfigur ist sehr stark angeschnitten, so dass das Pferd lediglich erahnt werden kann. Dem Betrachter wird ein großer Teil der Form vorenthalten. Tatsächlich zeigt das Werk in der Gesamtsicht ein Pferd mit dem Unterleib eines Fisches. Das Fabelwesen Hippocampus ist der griechischen Mythologie entnommen. Dem Betrachter wird diese Information nicht vermittelt, obwohl sie für die Formvorstellung über die Skulptur ausschlaggebend ist. Möglicherweise sollte die Narration des Bildes nicht durch das Fabelwesen irritiert werden. Mann, Frau und Pferd geben weitaus weniger Rätsel auf als Mann, Frau und ein Pferd mit Fischleib. Die Plastik gehört zu einer Brunnengruppe, deren zweite Figur eine Frau auf einem Seehund darstellt. Die Skulptur wird aus diesem Zusammenhang herausgenommen und in den neuen Kontext gesetzt. Die Brunnengruppe ist verschollen und nur aufgrund von Abbildungen überliefert. 69 | Eine weitere Stereofotografie im Band ergänzt die hier beschriebene Aufnahme. Die zweite Abbildung des Werks „Maja“ zeigt den Oberkörper der Figur mit detaillierter Ansicht des Gesichts.

Dreidimensionalität

Abbildung 26 | Adolf Wamper: Frau mit Lorbeer, Stereofotografie in: Trier, 1942, Bild Nr. 71. ter erahnt durch den Lichteinfall ein links außerhalb seines Blickfeldes liegendes Fenster, das den Raum zusätzlich – wenn auch nur gedanklich – erweitert. Die Raumkonzeption des Bildes ist darauf angelegt, den Betrachter in die Szene hineinzuversetzen, und bietet erzählerische Anknüpfungspunkte. Es wird ein neues Bild geschaffen, auf dem die Skulpturen wie Darsteller auf einer Bühne agieren. Die Anordnung von Gegenständen im Raum (und die Skulpturen gehören zu diesen Gegenständen) wird in der Stereofotografie genutzt, um eine Narration anzuregen und eine bestimmte Stimmung zu erzeugen. Auch die Abbildung des Werks „Frau mit Lorbeer“ von Adolf Wamper zeigt deutlich, wie sich die Stereofotografie in dieser Hinsicht von der sachlichen Skulpturaufnahme unterscheidet (Abb. 26). Das annähernd quadratische Bild wird in verschiedene räumliche Abschnitte in die Tiefe hinein gestaffelt. Auf vorderster Bildebene befindet sich eine glatte, dunkel spiegelnde Fläche, die an die Oberfläche eines Schranks oder einer Kommode erinnert. Die Fläche bildet eine leicht schräg verlaufende, horizontale Trennlinie zwischen Betrachter- und Bildraum. Hinter dem angedeuteten Möbelstück liegt eine Wand mit einer Türöffnung, die auf der linken Seite von einem dunklen Vorhang begrenzt wird. Die Lücke zwischen Wand und Vorhang bildet ein schmales, hochrechteckiges Feld, das wie ein Bild im Bild in seiner Mitte die Skulptur zeigt. In diesem Bildraum wird der Betrachter erneut von der Skulptur getrennt, denn ein dunkles Sofa versperrt das Blickfeld und verdeckt die Figur bis zur Höhe ihres Knies. Der Betrachter muss also über mehrere „Hürden“ schauen, bis er auf der Ebene der Frauenfigur angekommen ist. Da die Frauenstatue außerdem vor einem Fenster mit einem leichten, lichtdurchlässigen Vorhang positioniert ist, erscheint sie im Gegenlicht verschattet und auch ihre Details sind kaum zu erkennen. Der Bildraum wird in mehrfacher Weise verschachtelt und der Raum für die Skulptur im Verhältnis zum Gesamtbild stark verkleinert. Der Großteil der Aufnahme wird mit für die Skulpturbetrachtung irrelevanten Gegenständen wie

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Abbildung 27 | Jan Vermeer van Delft: Die Malkunst, 1666-73, Öl auf Leinwand. Vorhängen, Wand- und Bodenflächen gefüllt. Dieses „Nicht-Zeigen“ wird als Bildstrategie eingesetzt, um die Neugier des Betrachters zu steigern. Der Betrachter bekommt eine Beobachterposition zugewiesen, die eine inhaltliche Verbindung zur Skulptur erzeugt. Raumaufteilung und Lichtführung vermitteln einen Eindruck von Heimlichkeit oder gar Voyeurismus. Diese Bildstrategie erinnert an die Kompositionen der Gemälde von Jan Vermeer van Delft aus dem 17. Jahrhundert. Seine Durchblicke auf eine in sich versunkene Figur, die nicht merkt, dass sie beobachtet wird, vermitteln eine besonders intime Atmosphäre (Abb. 27). Anders als bei der zuvor analysierten Komposition der Werke Klimschs wird der Betrachter hier nicht durch den Anschnitt eines Objekts in das Bild hineingeholt, sondern durch die Staffelung von Flächen ausgeschlossen. Beide Kompositionen beziehen sich aber direkt auf den Betrachterstandort und binden den Betrachter in das Bildgeschehen ein. Die Stereofotografie in dem Band „Deutsche Plastik unserer Zeit“ strebt nicht die Vermittlung von faktischen Informationen über die Plastik an, sondern dient in erster Linie dazu, unterhaltsame Bilder mit tiefenräumlichem Effekt zu erzeugen. Die Figuren werden durch die Fotografie miteinander in Beziehung gebracht

Dreidimensionalität

und in eine narrative Situation gesetzt. Der Betrachter wird auf emotionaler Ebene angesprochen, so dass es weniger um eine Erkenntnis der Form als um eine Bewunderung des Dargestellten sowie um das Erlebnis der fotografischen Darstellung geht. Stereofotografie ist als Unterhaltungsmedium zu werten, das keinen kunstwissenschaftlichen Anspruch erhebt. Die stark inszenierten Bilder zielen vielmehr darauf ab, den Betrachter mittels räumlicher Illusion zu beeindrucken und dadurch den politisch gewünschten kulturellen Kanon zu festigen.

2.4 Zwischenresümee Ein häufiger Kritikpunkt an Skulpturfotografie ist, dass sie als zweidimensionales Medium nicht in der Lage sei, eine Skulptur angemessen darzustellen. Die ausgeführten Beispiele zeigen jedoch zweierlei auf: Zum einen kann die Fotografie mit unterschiedlichen Mitteln wie dem Einsatz von Tiefenschärfe und ­Beleuchtung sehr wohl Dreidimensionalität im Bild darstellen. Die Wechselwirkungen, die zwischen den Besonderheiten eines Kunstwerks und deren Inszenierung durch den Fotografen entstehen, ermöglichen es, den plastischen Eindruck eines Werks zu präzisieren und zu steigern. Zum anderen steht die fotografische Darstellung von Plastizität, Volumen, Mehransichtigkeit und Räumlichkeit in Abhängigkeit zum Skulpturkonzept und kann nicht als grundsätzliches Anliegen von Skulpturfotografie gelten. Die Vermittlung von Dreidimensionalität als Anspruch an Skulpturfotografie wurde vorwiegend an Kunstwerke mit einem traditionellen Gattungsbegriff gestellt. Sobald sich dieser aufzulösen begann, nahm die Fotografie sogar gegensätzliche Stilmittel auf, um die Fortschrittlichkeit der Kunstwerke offenzulegen und zu verstärken. Die Werke von Gerhard Marcks und Ernst Barlach wurden beispielsweise ausschließlich in sachlicher Skulpturfotografie abgebildet und vermitteln dadurch ein eher traditionelles Bild der figürlichen Plastik. Die ebenfalls figürlichen Arbeiten von Gustav Seitz und Bernhard Heiliger wurden hingegen durch eine flächige Darstellung in der Fotografie in ihren abstrakten Tendenzen betont und dadurch in ihrer Fortschrittlichkeit bestärkt. Der Bruch mit den Grundsätzen der Bildhauerei wird von der Fotografie verbildlicht und so auch zum Anhaltspunkt für eine Einschätzung verschiedener Bildhauereikonzepte. Die fotografischen Möglichkeiten zur Darstellung von Dreidimensionalität wurden also gezielt eingesetzt, um dem Betrachter Besonderheiten der Skulpturkonzepte zugänglich zu machen. Häufig steht die fotografische Gestaltung in enger Verbindung zu den entsprechenden Textpassagen und Werkbeschreibungen und stützt dadurch kunsthistorische Argumentationen.

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3 Materialität Es gibt wohl keine wichtigere Entscheidung für die Arbeit eines Bildhauers, als die Wahl des Materials: Das Material beeinflusst den gesamten Arbeitsprozess des Künstlers, gibt Gestaltungsmöglichkeiten vor und dient in der späteren Betrachtung des Werks als ein Anhaltspunkt für die formale und inhaltliche Deutung. Die Aussage und Form einer Skulptur kann vom Material mitbestimmt werden, es entspricht bildhauerischen Traditionen oder bricht mit ihnen, so dass aus der Materialwahl häufig auch eine Zuordnung zu anderen Werken und Künstlern abgeleitet wird. Wird eine Skulptur fotografisch abgebildet, so wird sie in die Materialeigenschaften und Darstellungsmöglichkeiten der Fotografie überführt. Ernst Murbach bewertet diese Transformation 1946 als Verlust: „Alle materiellen Werte eines Kunstwerkes, Farbschicht, Holz oder Stein, Bemalung, gehen als werkstoffliche Substanzen verloren.“1 Und auch Dagmar Bosse kritisiert 2004 die Materialdarstellung der Fotografie: „Wie jede Übertragung eines Objektes in ein anderes Medium, bedeutet sie eine Abstraktion des wiedergegebenen Gegenstandes, eine Reduktion seiner sinnlichen Qualitätsmerkmale auf ein Minimum. Die Abbildung nimmt dem Gegenstand seine Körperhaftigkeit und bannt ihn auf die Fläche, zwingt ihn in ein vorgegebenes Format, entmaterialisiert ihn und verändert seine Farbwirkung.“2

Die materielle Veränderung durch Skulpturfotografie wird häufig kritisiert. Obwohl durchaus wahrgenommen wird, dass Kunstwerke durch die Fotografie in ihrer Wirkung auch gewinnen können, lehnen die meisten Wissenschaftler die von der Fotografie veränderten Materialeindrücke ab. Abweichungen vom originalen Skulptureindruck gelten dann häufig entweder als Betrug oder als Schmeichelei.3 Hinzu kommt, dass die Umwandlung von Farben in Grauwerte und die fotografischen Möglichkeiten zur Veränderung der Helligkeit eines aufgenommenen Objektes dazu führen, dass Skulpturmaterial in der Abbildung leicht verwechselt 1 | Murbach, 1946, S. 18. 2 | Bosse, 2004, S. 50. 3 | Ullrich, 2009, S. 52.

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werden kann. Monika Wagner kritisiert den von Abbildungen beeinflussten Umgang mit Material: „Die kunstgeschichtliche Forschung hat die Marginalisierung des Materials fortgeschrieben. Zentrale Methoden des Faches wie die Ikonologie wurden auf der Basis von Fotoreproduktionen entwickelt, welche die Materialität der Werke zurücktreten lassen. Zwar ist dies angesichts weltweiter Bilddatenbanken von enormem Vorteil, doch überführt die Fotografie die ursprüngliche Materialität eines Werkes in ihre eigene und reduziert das Werk damit auf seine Form. Ohne eine Materialangabe läßt sich auf einem Foto nicht erkennen, ob es sich um eine Venusstatue aus parischem Marmor, Gips, Zement oder Styropor handelt. Für die Anmutungsqualität wie für die ästhetische Wertschätzung ist der Unterschied jedoch keineswegs belanglos, und zwar weniger deshalb, weil ein Zentner Zement billiger ist als ein Zentner Marmor, sondern weil sich bestimmte kulturelle Traditionen an den Marmor oder den Zement aufgrund der jeweiligen Verwendungsgeschichten angelagert haben.“4

Die Kritik an der Fotografie bezieht sich demnach nicht nur auf den Verlust der sinnlich spürbaren Stofflichkeit, sondern auch auf die fehlende Reflexion innerhalb der Kunstgeschichte und auf die Auswirkung für die kunsthistorische Forschung. Es bleibt zu hinterfragen, ob die Fotografie tatsächlich derart ungeeignet ist, um materielle Eigenschaften angemessen darzustellen oder ob mit der unterschiedlichen fotografischen Wiedergabe von Materialität auch bewusste Absichten von Fotografen, Künstlern und Autoren verfolgt wurden.

3.1 Wahrnehmung von Materialität in der Fotografie Skulpturfotografie beinhaltet die Materialität zweier unterschiedlicher Medien: Erstens besitzt sie selbst materielle Eigenschaften, die auch die Drucktechnik und das verwendete Papier betreffen. Zweitens stellt sie die Eigenschaften der Skulptur dar, also eine eigentlich abwesende Materialität. Die Fotografie muss dazu die Materialeigenschaften von Skulpturen in ihre eigenen Darstellungsmöglichkeiten

4 | Wagner, Monika: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne, München 2001, S. 11. Ohne die Bedeutung von Farbigkeit explizit zu nennen, wählt Monika Wagner weiße Materialien aus, um die Verwechselbarkeit in der fotografischen Reproduktion zu verdeutlichen. Wagner, die aus der heutigen Sicht argumentiert, geht von Bilddatenbanken aus, die Farbaufnahmen einschließen. Indem sie für ihre Argumentation weiße Materialien als Beispiele auswählt, lässt sich die Problematik der Verwechselbarkeit sowohl auf die Schwarz-Weiß-Fotografie als auch auf die Farbfotografie anwenden. Außerdem spielt Wagner auf die lange Tradition der Fotografiegeschichte an, in der besonders häufig Gipsmodelle von Skulpturen vor schwarzem Grund für Kunstreproduktionen fotografiert wurden.

Materialität

übersetzen. Daher stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten die Fotografie besitzt, um dem Betrachter Materialität von Skulptur zu vermitteln. Primäre Anhaltspunkte, um Rückschlüsse auf das Material einer Skulptur ziehen zu können, sind die Helligkeit und die Oberflächenbeschaffenheit. Wie hell das Skulpturmaterial erscheint, ist jedoch von fotografischen Techniken abhängig. Die Beleuchtung des Werks beeinflusst das Erscheinungsbild ebenso wie der Einsatz von Farbfiltern. Diese waren gängige Hilfsmittel der Fotografen, um Oberflächen von Skulpturen im Bild aufzuhellen oder abzudunkeln.5 Zusätzlich konnte der Fotograf durch die Bearbeitung der Negative im Labor die fotografische Erscheinung der Skulpturenoberfläche beeinflussen. Die Materialhelligkeit eines fotografierten Objektes kann demnach vom Fotografen stark verändert werden. Auch die Oberflächenstruktur kann Aufschluss über die materiellen Parameter einer Skulptur geben. Das Auge unterscheidet matt von glänzend, porös von geschlossen, hell von dunkel, einfarbig von mehrfarbig, modelliert von herausgeschlagen. Um diese Eigenschaften in der Fotografie darstellen zu können, müssen Details wie Werkzeugspuren, Maserungen und Strukturen sichtbar bleiben. Durch die Verteilung von Licht und Schatten können sie hervorgehoben oder unterdrückt werden. Eine bedachte Ausleuchtung, beste Druckqualität und hochwertiges Papier bilden die Voraussetzungen dafür, dass Detailgenauigkeit mit erkennbaren Materialoberflächen sichtbar gemacht werden kann.6 Die Farbigkeit eines Werkes, die ebenfalls ein Aspekt der Oberflächenbeschaffenheit ist, spielt selten eine Rolle in der Fotografie, da die meisten Abbildungen bis in die 1960er Jahre hinein Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind. Bereits durch diese Eigenschaft vermitteln sie einen abstrahierten Seheindruck, so dass der Betrachter eine interpretierende Leistung erbringen muss, um von den Grauwerten der Fotografie auf die Farbigkeit der Skulptur zu schließen. Auch die Form eines Werks kann Rückschlüsse auf das Material zulassen. Das Wissen über die für das jeweilige Material üblichen Verbindungen und statischen Gesetze setzt jedoch eine tiefgehende Erfahrung des Betrachters mit den bildhauerischen Verfahren voraus. Daher besteht die Gefahr einer Fehlinterpretation, wenn allein die formalen Kriterien berücksichtigt werden, zumal Künstler auch von der traditionellen Verwendung eines Materials abweichen können. Der Tastsinn, der zwar als charakteristischer Sinneseindruck für die Erfassung von Materialität dreidimensionaler Kunstwerke gilt, scheidet für die Rezeption einer zweidimensionalen Reproduktion aus. Haptische Materialeigenschaften wie Gewicht, Temperatur, Größe und Festigkeit der Skulptur können von der Fotografie (wenn überhaupt) nur indirekt dargestellt werden. In der Praxis ist hier der Unterschied zur Betrachtung eines Originals gar nicht so groß wie es scheint, denn das Ertasten einer Skulptur wird aus konservatorischen Gründen in der Regel nicht 5 | Vgl. Renger-Patzsch, 1925/2009, S. 36. 6 | Siehe Kapitel 2.2.1.

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gestattet. So bleibt dem Betrachter als wichtigstes Sinnesorgan das Auge, egal ob er das Original oder die Reproduktion einer Skulptur ergründet. Die körperliche Anwesenheit und Größe einer Skulptur im Raum sind jedoch Sinneseindrücke, die über das Sehen hinausgehen, da sich der Betrachter in seiner Körperlichkeit in Beziehung zur Skulptur befindet und bestimmte Gefühle durch die Größenverhältnisse ausgelöst werden. Bedingt durch die Eigenschaften des Schwarz-Weiß und der Zweidimensionalität, benötigt die Fotografie nun an ganz zentraler Stelle bildnerische Strategien, um die Beschaffenheit der Skulptur vermitteln zu können. Die aus der Fotografie abgeleiteten Erkenntnisse über das Material einer Skulptur setzen sich folglich aus visuellen Eindrücken sowie aus dem Wissen des Betrachters zusammen. Sobald von einer fotografischen Wiedergabe ausgehend Rückschlüsse auf das Skulpturmaterial gezogen werden, muss der Betrachter die bildlich vermittelten Eigenschaften der Skulptur interpretieren. Er kann lediglich eine Abwägung von Wahrscheinlichkeiten vornehmen und sich nur mit Hilfe von zusätzlichen Informationen wie Beschriftungen oder Texten Gewissheit über das abgebildete Material verschaffen.

3.2 G ips als bevorzugtes Material der fotografischen Wiedergabe In Monografien zu Bildhauerei sind häufig Fotografien von Gipsmodellen zu finden, obwohl diese lediglich eine Vorstufe für das Werk darstellten, das meistens in Bronze ausgeführt wurde.7 Die Abbildung einer Gipsplastik wird in Publikationen kaum kommentiert oder kenntlich gemacht – ein Zeichen dafür, dass eine Unterscheidung der Materialien in der Reproduktion nicht für relevant gehalten wurde. Es ist erstaunlich, dass die Fotografie von Gipsmodellen bei Kunsthistorikern, Archäologen und Bildhauern keine Diskussion auslöste, obgleich die theoretischen Auseinandersetzungen mit Materialität in den jeweiligen Disziplinen umfassend waren.8 Daher müssen folgende Fragen gestellt werden: War es fehlende Sorgfalt, dass Gipse zahlreich fotografiert und abgebildet wurden, oder handelte es sich um bewusste Entscheidungen der Produzenten? Konnte das Material Gips vielleicht sogar etwas zeigen, das andere Materialien nicht visualisieren konnten? Und hat die bevorzugte Abbildung von Gips, wie Monika Wagner vermutet, zu einer Marginalisierung des Materials durch die Kunstgeschichte beigetragen?

7 | Zum Beispiel bei: Carls, 1950; Feist, 1965; Flemming, 1962; Flemming 1963; Gertz, 1952; Passarge, o. J. 8 | Vgl. Rübel, Dietmar/Wagner, Monika/Wolff, Vera (Hrsg.): Materialästhetik. Quellentexte zu Kunst, Design und Architektur, Berlin 2005.

Materialität

3.2.1 Das Gipsmodell als Motiv der frühen Fotografie Im 19. Jahrhundert wurden Statuen auch aus dem Grund fotografiert, dass sie in ihrer Unbeweglichkeit Vorteile für eine gelungene Aufnahme boten. Nicht die Reproduktion der Skulptur war das primäre Ziel der Aufnahme, sondern es sollten die Fähigkeiten der neuen Technik herausgestellt werden. „Fotografien von Statuen waren, kurz gesagt, geeignete und überzeugende Demonstrationen der Fotografie im Allgemeinen.“9 Die Fotografen wollten ihre Erfindung etablieren, hatten aber noch mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ihre Aufnahmen benötigten eine sehr lange Belichtungszeit, so dass fotografierte Personen selbst durch minimale Bewegungen stets unscharf erschienen. Daher wurden Skulpturen als Ersatzmotiv genutzt, um den Menschen in der Fotografie zu repräsentieren und die fotografischen Themen zu erweitern. Darüber hinaus reichte die künstliche Beleuchtung noch nicht für eine brillante Aufnahme aus, so dass die Fotografien im Sonnenlicht angefertigt werden mussten. Es war jedoch unmöglich, wertvolle Marmorstatuen für fotografische Experimente aus den Museen ins Freie zu transportieren. Anstelle der originalen Skulpturen wurden deshalb Gipsreproduktionen verwendet. Das weiße Material war vorteilhaft, da die hellen Oberflächen das Licht reflektieren und so die Belichtungszeit weiter verkürzt werden konnte.10 Die matte, leicht poröse Oberfläche der Gipsmodelle ließ außerdem keine Spiegelungen entstehen. Auch ein anderer Schwachpunkt der Fotografie konnte überspielt werden: „Die Fotografien des 19. Jahrhunderts waren monochrom, doch Fotos von weißen Gipsabgüssen konnten diesen Nachteil dadurch wettmachen, dass sie vollkommen getreue Wiedergaben ihres Sujets blieben. Durch das Fotografieren von Skulpturen erhielten diese merkwürdigen, neuartigen Bilder in den Augen jener, die künstlerisch gebildet waren, unmittelbar einen Platz in einer etablierten Tradition, der des Stilllebens.“11

Einen weißen Gegenstand zu fotografieren machte das Fehlen von Farbigkeit also weniger offensichtlich und lenkte so von einer ganz wesentlichen Abstraktion ab, die den Wahrheitsanspruch der Fotografie gefährdete. Die Fotografie, die schon von Beginn an als Medium der Kopie und Reproduktion positioniert wurde, täuschte nicht nur über das veränderte Material, sondern häufig auch über einen veränderten Maßstab hinweg. Im 19. Jahrhundert waren Reproduktionen der Skulpturen des Louvre verbreitet, die aus Gips gefertigt in 9 | Batchen, Geoffrey: Eine fast grenzenlose Vielfalt. Fotografie und Skulptur im 19. Jahrhundert, in: Marcoci, Roxana (Hrsg.): FotoSkulptur. Die Fotografie der Skulptur 1839 bis heute, Ostfildern 2010, S. 20. 10 | Vgl. Wiegand, 1991, S. 28. 11 | Batchen, in: Marcoci, 2010, S. 20.

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verkleinertem Maßstab erhältlich waren. Die Pioniere der Fotografie Henry Fox Talbot, Louis Jaques Daguerre, François-Alphonse Fortier und Armand-Pierre Séguier besaßen derartige Gipsmodelle, die sie für ihre frühen Aufnahmen verwendeten.12 Solange die Form übereinstimmte, war die Gipskopie trotz der Abweichungen in Größe und Material dem Original in der Fotografie ebenbürtig, wenn nicht sogar aufgrund ihrer Praktikabilität überlegen. Die von Monika Wagner kritisierte Marginalisierung des Materials liegt demnach bereits in dieser frühen fotografischen Praxis begründet. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelte sich daraus eine eigenständige Ästhetik, die das Erscheinungsbild der fotografierten Skulptur nachhaltig prägte. Eine der ersten fotografierten Skulpturen überhaupt ist die antike Büste des Patroklus, die Henry Fox Talbot um 1846 aufnahm.13 Talbot verwendete eine Gipskopie der Marmorbüste, um mit den verschiedenen Ansichtsseiten, dem Abstand von Kamera und Objekt sowie der Beleuchtung zu experimentieren.14 Zwei dieser Aufnahmen veröffentlichte Talbot 1844-46 in seinem mit Fotografien bebilderten Buch „The Pencil of Nature“ (Abb. 28a-b). Die Frontalansicht ist die bis heute am häufigsten abgebildete Aufnahme der zahlreichen Varianten, die Talbot von der Büste des Patroklus angefertigt hat. Die Skulptur wird vor einem einheitlich dunklen Hintergrund gezeigt. Der Kopf des bärtigen Mannes hebt sich deutlich in seiner weißen Materialität vom Hintergrund ab. Die Büste ragt über den unteren Rand des Bildes hinaus, so dass keine Standfläche definiert wird. Durch den Schattenwurf werden die Merkmale des Gesichts hervorgehoben und in ihrer Plastizität deutlich gemacht. Die tiefliegenden Augen, die differenziert modulierte Nasen- und Mundpartie sowie die Struktur der lockigen Kopf- und Barthaare sind so ausgeleuchtet, dass die räumlichen Zusammenhänge der Figur vom Betrachter nachvollzogen werden können. Der Kontrast zwischen dem dunklen Hintergrund und der hellen Skulptur wirkt dramatisch, lässt die Figur jedoch zugleich durch ihr helles Aufleuchten anmutig erscheinen. Das Material der Skulptur bleibt unbestimmt, denn die Aufnahme gibt feine Oberflächenstrukturen nicht wieder. Die sichtbaren Kanten und die leeren Augen der Statue sind deutlich zu sehen, so dass die Skulptur als solche jedoch eindeutig definiert werden kann. Henry Fox Talbot erklärt in „The Pencil of Nature“ seine fotografische Vorgehensweise und hebt hervor, dass sich die weiße Oberfläche einer Skulptur besonders gut für die fotografische Wiedergabe eigne.15 Diese Feststellung steht in Wechselwirkung mit einer sich im 19. Jahrhundert festigenden Vorstellung, dass antike Skulpturen aus unbemaltem weißen Marmor bestünden. Die einheitlich 12 | Vgl. ebenda, S. 21. 13 | Vgl. Wiegand, 1991, S. 29. 14 | Vgl. Batchen, in: Marcoci, 2010, S. 23. 15 | Im Original: „Statues, busts and other specimens of sculpture, are generally well represented by the Photographic Art; and also very rapidly, in consequence of their whiteness.“

Materialität

Abbildung 28a-b | Büste des Patroklus. Fotograf: Henry Fox Talbot, 1844-46, in: Amelunxen 1989, S. 45. weiße Marmorstatue wurde zum Prototyp der antiken Skulptur erhoben und ist bis heute recht hartnäckig im allgemeinen Bildgedächtnis verankert. Karina Türr legt 1994 in ihrem Buch „Farbe und Naturalismus in der Skulptur des 19. und 20. Jahrhunderts“ dar, wie sehr sich die Kunstrezeption stäubte, die zahlreichen Belege für eine naturalistische Bemalung antiker Skulpturen anzuerkennen. Sie berücksichtigt dabei die Entstehung der Kunstgeschichte zur Zeit des Klassizismus und dessen ästhetisches Ideal:16 „Ähnlich wie später im 19. Jahrhundert der Abguß über der Natur oder die Fotografie zu Beispielen einer unkünstlerischen – weil nicht nur mechanischen, sondern die Natur verdoppelnden – Handlung werden, steht die Färbung der Skulptur, auch ohne den Vorwurf der nur mechanischen Reproduktion,

16 | Die Epoche des Klassizismus zeichnete sich im Vergleich zu den vorangegangenen Stilrichtungen Barock und Rokoko durch klar abgegrenzte Farben, schlichte Formen und Betonung der Linie aus. Die Künstler orientierten sich an der klassischen Antike und der Renaissance, um strukturierte Kompositionen zu schaffen. Zum Leitmotiv des Klassizismus wurden Johann Joachim Winckelmanns „Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“ von 1755. Die dort formulierten Charakteristika „edle Einfalt“ und „stille Größe“ prägten die Kunstrezeption nachhaltig. Skulpturen (und auch die Darstellungen von Skulpturen in der Malerei) wurden auf ihre weiße Marmoroberfläche reduziert, so wie sie an den archäologischen Fundstätten vorgefunden wurden. Eine farbige Bemalung passte nicht in die Ästhetik von Klarheit und formaler Ordnung, die während des Klassizismus gesucht wurde.

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Ein Bild von Skulptur für die bloße Wiederholung und den platten Illusionismus, die nicht erst im Klassizismus für kunstunwürdig gelten.“17

Unter anderem durch Johann Joachim Winckelmann, der „die barbarische Sitte des Bemalens von Marmor und Stein“ kritisierte, wie auch durch Johann Gottfried Herder, der die Farbe generell nicht als plastisches Gestaltungsmittel anerkannte, wurde die Ablehnung von Farbe in der Bildhauerei zusätzlich gefestigt.18 „Schon bei Winckelmann spielt daher das Weiß eine Rolle, auch wenn er in seiner Aufzählung der ihm bekannten polychromen Werke der Antike noch einräumt, daß ‚die Farbe zur Schönheit beitrage‘, um dann hinzuzufügen, daß sie ‚aber nicht die Schönheit selbst sei, sondern sie und ihre Formen erhebe.‘ Das Weiß in seiner Eigenschaft, die Gegenstände größer erscheinen zu lassen und das Licht zu reflektieren, wird von ihm nur in seinen physikalischen Werten genannt, es spielt gleichwohl eine vor allem in aesthetischer und symbolischer Hinsicht bedeutende Rolle, die sich in der gesamten Auseinandersetzung um antike oder zeitgenössische Skulptur spiegelt.“19

Die Ansichten der Kunsthistoriker beeinflussten auch die Skulpturfotografie. In seinem Aufsatz „Wie man Skulpturen aufnehmen soll“ ignoriert Heinrich Wölfflin Farbe und Material der Skulpturen vollständig und konzentriert sich stattdessen auf Form, Kontur und Silhouette. Auch Aufnahmen archäologischer Funde wurden für die bessere Vergleichbarkeit vereinheitlicht, neutralisiert und von jedem Kontext freigestellt auf die Form reduziert.20 Durch die massenhafte Verbreitung dieser Bilder prägten nicht nur die Kunsttheorie, sondern besonders die Drucke auf Postkarten und in Büchern die Vorstellung von antiker Skulptur als weiße, unbemalte Figur. In der Folge wurde die Farbe auch auf Abbildungen zeitgenössischer Plastik nicht sonderlich vermisst; Farbe wurde der Malerei zugeordnet und galt für die Skulpturrezeption als nachrangig.

17 | Türr, Karina: Farbe und Naturalismus in der Skulptur des 19. und 20. Jahrhunderts, Mainz 1994, S. 102ff. 18 | Winckelmann, Johann Joachim und Herder, Johann Gottfried, zitiert nach Türr, 1994, S.106. 19 | Ebenda, S. 103. Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Altertums. Dresden 1764, I, 1 VI, in: Studien zur deutschen Kunstgeschichte Bd. 343, Baden-Baden und Straßburg 1966, S. 147f., zitiert nach Türr, 1994, S.103. 20 | Vgl. Moschik, Mila: Österreichs Pioniere der fotografischen Kunstreproduktion, in: Weber-Unger, Simon (Hrsg.): Gipsmodell und Fotografie im Dienste der Kunstgeschichte 1850-1900. Wien 2011, S. 88.

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3.2.2 W eiß auf Schwarz: Fortführung der Bildtradition im 20. Jahrhundert Die Komposition einer weißen Figur auf schwarzem Grund entwickelte sich durch Abbildungen antiker Skulpturen zu einer eigenständigen Bildtradition und wurde im 20. Jahrhundert auch für die Fotografie von zeitgenössischen Werken übernommen. Um 1900 veröffentlichte die Neue Photographische Gesellschaft (NPG) in Berlin-Steglitz die Postkartenserie „Skulpturen erster Meister“ als eines der ersten massenhaft gefertigten Printprodukte. Mehr als 1000 bildhauerische Werke wurden in großer Auflage als Postkarte reproduziert und auch als Druckvorlage für Bücher und Kunstkalender verwendet. Weiße Gipsmodelle wurden für die Postkartenserie vor einen schwarzen Hintergrund gestellt, der einen plakativen Kontrast zur weißen Oberfläche der Skulpturen bietet und die Figuren regelrecht leuchten lässt (Abb. 20a-c). Die Vereinheitlichung als Bildserie hatte Vorteile für eine schnelle und damit kostengünstige Produktion. Die Skulpturen wurden auf dem Gelände der NPG in eigens angefertigten Konstruktionen aufgenommen, so dass direkt mehrere Skulpturen hintereinander fotografiert werden konnten, ohne Beleuchtung, Kameraeinstellungen und Hintergrund jeweils neu einstellen zu müssen. Der Großteil der Postkarten zeigt Gipsmodelle von zeitgenössischen, größtenteils regionalen Bildhauern. Die Gipse konnten leicht transportiert werden und boten für die Künstler zudem den Vorteil, dass sie die teuren Bronzen erst ausführen mussten, wenn ein Käufer gefunden war. Die Postkarten konnten als Werbemittel genutzt werden, um die Popularität der Künstler zu steigern und Auftraggeber zu finden. Vor allem fungierten sie aber als eigenständige Sammelobjekte, so dass sie auch eine eigene ästhetische Qualität mitbringen mussten. Die Motive der Serie „Skulpturen erster Meister“ zeigen verstärkt Liebesszenen und erotische Frauenakte. Der Betrachter kann nicht unterscheiden, ob es sich bei den fotografierten Figuren um Marmor oder Gips handelt, doch die weiße Materialoberfläche vor dem schwarzen Grund weist die Aktdarstellungen als Skulptur aus und untermauert so deren Wert als Kunstwerk. Der so gebildete kulturelle Rahmen ermöglichte es, dass die teils sehr freizügigen Aktdarstellungen überhaupt gesellschaftsfähig werden konnten. Die Fotografie ließ also eine Verwechselbarkeit des Skulpturmaterials nicht nur zu, sondern sie profitierte von dieser Gleichmachung, denn es bedeutete eine Erhöhung des kulturellen Wertes, wenn Gips wie Marmor erschien. Die Diskrepanz zwischen dem fotografierten Material und dem Material der ausgeführten Skulptur wurde daher aus ästhetischen und kommerziellen Gründen nicht offengelegt. Es wurde also nicht eine fotografische Darstellung von Gipsplastiken angestrebt, sondern durch den Gips und seine weiße Farbigkeit wurden die materiellen Eigenschaften mit Absicht neutralisiert. Die fotografische Wiedergabe konnte so lediglich die Visualisierung der Form und der bildhauerischen Idee leisten. Arie Hartog stellt 2014 in seinem Aufsatz „Warum Kunsthistoriker so viel Müll über Gips reden. Hypothesen zum zentralen Material

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der Bildhauerei“ die These auf, dass die Verwendung des Materials Gips in der modernen Bildhauerei über den Einsatz als Hilfsmittel hinausging. Er hält das Schema „Idee – Tonmodell – Gipsmodell – Werk“ (Bronze) für überholt und kritisiert den akademischen Umgang von Kunsthistorikern, der wenig mit der Praxis der Kunstschaffenden zu tun habe. Außerdem werde an der Vorstellung festgehalten, der Gips diene ausschließlich der Visualisierung einer Idee, während zahlreiche Bildhauer die Form auch aus dem Gestaltungsprozess heraus entwickeln würden.21 Die Skulpturfotografie verschärft den von Hartog beschriebenen Umgang und die fehlende Beachtung der Qualität von Gips zusätzlich, da das Material Gips auch in der fotografischen Wiedergabe als Hilfsmittel, als Ersatz oder als vermeintlich neutrale, unbestimmte weiße Form eingesetzt wird und nur sehr selten mit ihren eigenen ästhetischen und materialtechnischen Qualitäten dargestellt wird.22 Auch zahlreiche Werke der 1920er bis 1960er Jahre wurden als Gipsplastiken abgebildet, obwohl sie der endgültigen Ausführung (meist Bronze) nicht entsprachen. Praktische Gründe flossen in die Entscheidungen über die Bildauswahl ein, sind jedoch als alleinige Erklärung für die Akzeptanz der Materialabweichung nicht ausreichend, zumal einzelne Künstler und Verleger großen Aufwand betrieben haben, um Werke in ihrer endgültigen Materialität abzubilden. So schreibt Ernst Barlach 1910 über ein Werk seines Kollegen August Gaul an den Verleger Reinhard Piper: „[D]er Löw ist lebensgroß – wenn nicht über: die Photographie ist nach der Bronce, eben darum um nach dem ausgeführten Werk photographieren zu können hat es so lange gedauert.“23 Barlach vermittelt die Fotografie des Werks „Löwe“ (datiert auf 1904, also sechs Jahre vor Barlachs Brief) und nimmt für die Fotografie der endgültigen Ausführung in Bronze eine lange Wartezeit in Kauf. Der Brief Barlachs zeigt, dass es durchaus möglich war, auf Fotografien der Bronzegüsse zu warten, auch wenn dies sicher nicht unproblematisch für die Herausgeber der Bücher war. Hanns Theodor Flemming veröffentlicht in seinem Band „Der Bildhauer Gustav Seitz“ von 1963 mehrere Gipsplastiken, die als Vorstufen für Bronzen gefertigt wurden. Eine Abbildung zeigt das „Porträt Kim Ir-Gu“ in einer weißen Materialausführung vor schwarzem Grund (Abb. 29). Das Werk wird als Bronze ausgegeben, doch die Materialdetails weisen das Porträt in der Abbildung als Gipsplastik aus. Die Oberfläche erscheint sehr hell und matt und es gibt kleine Löcher, die auf Luftbläschen aus dem Gussverfahren des Gipses zurückzuführen sind. Die Porträtplastik ist auf 1951 datiert, so dass bei der Buchproduktion zwölf Jahre später 21 | Hartog, Arie: Warum Kunsthistoriker so viel Müll über Gips reden. Hypothesen zum zentralen Material der Bildhauerei, in: Wallner, Julia/Wellmann, Marc (Hrsg.): Skulpturenstreit. Texte zur Skulptur und Bildhauerei der Moderne, Berlin 2014, S. 125f. 22 | Eine Ausnahme bildet zum Beispiel die von Wolf Stubbe veröffentlichte Monografie „Ernst Barlach. Plastik“ von 1961. Siehe dazu Kapitel 3.3. 23 | Tarnowski, 1997, S. 81.

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von einer bereits vorhandenen Umsetzung in Bronze auszugehen ist. Auch hier könnten ästhetische Merkmale eine Rolle für die Wahl des fotografierten Materials gespielt haben, denn das Porträt wirkt in der Ausführung in Gips sehr präsent, klar und rein.

Abbildung 29 | Gustav Seitz: Porträt Kim Ir-Gu. Fotograf: unbekannt, o. J., in: Flemming 1963, Abb. 42.

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Es ist auffällig, dass Abbildungen von Gipsen häufig in den Werkangaben als Bronze aufgeführt werden. Die falsche Kennzeichnung der Materialien findet dabei nur in eine Richtung statt: Gips wird als Bronze ausgegeben, umgekehrt kommt die falsche Materialbezeichnung nicht vor. Die Beschriftung bezieht sich demnach auf das Endprodukt, während das Foto ein Zwischenstadium zeigt. Nur selten, wie zum Beispiel in Flemmings Publikation „Bernhard Heiliger“, bezieht sich die Materialangabe exakt auf das Foto. Dort steht im angehängten Abbildungsverzeichnis das Material Bronze aufgeführt mit der Ergänzung „Photo nach Zement“. Bernhard Heiliger fertigte verschiedene Fassungen seiner Werke an, die unterschiedliche Gussmaterialien einbezogen, so dass der Hinweis auf den Zement nicht als Zwischenstadium, sondern als andere Variante des Werkes zu verstehen ist. Die genauen Materialangaben weisen auf einen sehr bewussten Umgang mit den durch die Fotografie vermittelten Eigenschaften hin und bilden eine Ausnahme innerhalb der untersuchten Publikationen. Die verschiedenen Beispiele zeigen, dass die Fotografie von Gipsen nicht zufällig in Publikationen ihren Platz findet. Zwar gab es für manche Abbildungen schlichtweg keine Alternativen (dies ist bis heute zum Beispiel bei zerstörten oder verschollenen Werken der Fall), doch die meisten Entscheidungen wurden bewusst getroffen, um eine bestimmte Ästhetik zu vermitteln, die durch den weißen Gips erzeugt wird. Die weißen Gipse erhalten auf schwarzem Grund eine regelrechte Strahlkraft, die zwar plakativ, doch auch edel und klar erscheint.

3.2.3 H  eroisierung der Antike durch die Abbildung von Gipsmodellen Die Aufwertung von Kunstwerken durch eine visuelle Angleichung an Vorbilder der Antike war zwar keine neue Erfindung, doch für die Propaganda des Nationalsozialismus erhielt sie eine besondere Bedeutung. Abbildungen von Kunstwerken trugen dazu bei, eine kulturelle Ebenbürtigkeit des nationalsozialistischen Staates mit der idealisierten Hochkultur zu suggerieren. Eine Fotografie von Charlotte Rohrbach, die den Kopf der Skulptur „Bereitschaft“ von Arno Breker zeigt, verdeutlicht diese absichtsvolle Bezugnahme auf die Antike (Abb. 30). Der Staatsbildhauer des Nationalsozialismus orientierte sich an der Formensprache antiker Skulpturen.24 In der Gegenüberstellung mit der Patroklus-Aufnahme von Henry F. Talbot fallen besonders die Haltung des Kopfes, die Gestaltung der Haare und die Form der Büste als formale Ähnlichkeiten der beiden Werke auf. Insgesamt wirkt Brekers Krieger jedoch einheitlicher und geradliniger als das antike Pendant (Abb. 28a). Patroklus ist kein junger Mann mehr, einzelne 24 | Vgl. Bressa, Birgit: Nachleben der Antike. Klassische Bilder des Körpers in der NS-Skulptur Arno Brekers, Tübingen 2001; Imdahl, Max: Pose und Menschenbild. Anmerkungen zu Plastiken von Arno Breker, in: Die Zeit, 11.12.1987, Nr. 51.

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Abbildung 30 | Arno Breker: Bereitschaft (Detail), 1937. Fotografin: Charlotte Rohrbach, o. J., in: Sommer 1942, Abb. 8. Falten sind auf seiner Stirn zu sehen und die Schultern wirken kräftig, aber zugleich leicht gebeugt. Die Mimik des Mannes schwankt zwischen Entschlossenheit und Furcht und seine Gesichtszüge sind mit individuellen Merkmalen versehen. Der Krieger Brekers hingegen vereint keine Widersprüche in sich und wirkt prächtig und glatt. Der junge, kämpferische Mann ist durchgängig idealisiert dargestellt. Mit zusammengezogenen Brauen blickt der athletische Krieger mit hoch-

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Abbildung 31 | Arno Breker: Bereitschaft, 1937. Fotografin: Charlotte Rohrbach, o. J., in: Flammarion 1942, S. 113.. erhobenem Kopf stolz in die Ferne und vermittelt nur eine einzige Botschaft, die auch als Titel für die Figur dient: Bereitschaft.25 Die Fotografin Charlotte Rohrbach betont in ihrer fotografischen Wiedergabe von Arno Brekers „Bereitschaft“ die Ähnlichkeit zu Talbots Fotografie der antiken Skulptur „Patroklus“: Beide Aufnahmen zeigen einen unbekleideten, männlichen Krieger als Büste bis zum Halsansatz in ähnlichem Bildaufbau. Besonders in der Wahl des Bildausschnitts und der starken Kontrastierung sind die beiden Aufnahmen vergleichbar. Die Kante der Büste wird von Rohrbach in ihrer Materialstärke hervorgehoben, so dass das Skulpturale besonders betont wird. Bruchkanten sind typische Merkmale für antike Skulpturen, da sie selten unbeschadet geborgen 25 | Auch Michelangelos Skulptur „David“, die zwischen 1501 und 1504 aus einem einzigen Marmorblock herausgearbeitet wurde, dient als Vorbild für Brekers Werk. Michelangelo schaffte mit der 5,17 Meter messenden Figur eine künstlerische und handwerkliche Sensation, die von Arno Breker nicht im Ansatz erreicht werden konnte. Die Fotografische Darstellung, die Brekers Werk monumentalisiert abbildet und die die Materialität des Gipses nicht deutlich macht, erinnert den Betrachter jedoch an die weltberühmte Marmorskulptur Michelangelos und versucht so, die beiden Werke auf die gleiche Bedeutungsebene zu setzen.

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werden konnten. Die Leitsätze nationalsozialistischer Kunst lehnten jedoch jede Torsion und Beschädigung des Körpers ab. Die Kante von Brekers Büste, die als Teil der Gussform entstanden ist, wurde gerade geschnitten und bildet so einen eindeutig künstlichen Rand, der wie ein Rahmen das Werk abschließt. So kann das Fragmentarische angedeutet werden, ohne dass die Form zerstört erscheint. Um diesen gekonnten inhaltlichen sowie visuellen Bezug zu dem berühmten Bild des Patroklus herzustellen, greift Rohrbach für ihre Aufnahme der „Bereitschaft“ auf ein Modell aus Gips zurück, das wie das antike Vorbild eine weiße Oberfläche besitzt. Das Gipsmodell ist lediglich ein Fragment der ganzfigurigen Bronzefassung, das für den Guss benötigt wurde (Abb. 31). Die weiße Oberfläche und die Fragmentierung sind wesentlich, um einen fotografischen Bezug zur antiken Büste herstellen zu können. Der Gipskopf kann durch diese Aspekte besser auf die Antike verweisen, als es die bronzene Plastik in der Gesamtansicht leisten könnte. Hinzu kommt, dass die Fokussierung auf das Gesicht eine größere Nähe zum Betrachter erzeugt. Rohrbach perfektioniert ihre Aufnahme mit der Beleuchtung, die durch rein weiße Lichtkanten das markante Gesicht zusätzlich mit einer strahlenden Aura versieht. Die Büste existiert als Werk weder in Gips noch in Bronze, so dass das Motiv ausschließlich durch die Abbildung geschaffen wird. Es handelt sich bei Rohrbachs Fotografie demnach nicht um eine Reproduktion im eigentlichen Sinne, sondern um ein erst durch die Fotografie erzeugtes Werk. Da sich sowohl der Bildhauer Arno Breker an der Formensprache der Antike orientiert, als auch die Fotografin Charlotte Rohrbach ein berühmtes Vorbild für sich beanspruchte, wurde ein doppelter Verweis auf die Antike gezogen. Diesem Vorgehen liegt die Intention zugrunde, die zeitgenössischen künstlerischen Leistungen an einer zum Ideal erklärten Hochkultur zu messen und die eigene Epoche als ebenbürtig zu präsentieren. Dabei sind sich die Bilder der beiden Büsten ähnlicher, als die Büsten selbst. Eine Differenzierung der Materialien in der fotografischen Wiedergabe wird absichtsvoll vernachlässigt, um die Bezüge zwischen den Bildern zu konstruieren.

3.2.4 Skulptur als Illusion des menschlichen Körpers Die Schwarz-Weiß-Fotografie führte nicht nur zur Angleichung von Skulpturmaterial wie Gips, Marmor oder Zement, sondern sie ließ auch eine ­Verwechselbarkeit mit dem menschlichen Körper zu. Arie Hartog stellt 2013 fest, dass „das Hilfsmittel Fotografie jede Figur zu einer Abbildung von einem Menschen reduziert.“26 Die figürliche Bildhauerei des 20. Jahrhunderts war jedoch nicht auf die naturalistische Darstellung des Menschen angelegt, sondern ihre Besonderheit lag in der „Verbin26 | Hartog, Arie: Zurück zum Feld. Drei Überlegungen zur deutschen figürlichen Bildhauerei nach 1945, in: Körner, Hans/Reuter, Guido (Hrsg.): Reaktionär – konservativ – modern? Figürliche Plastik der frühen Nachkriegszeit in Deutschland, Düsseldorf 2013, S. 33.

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dung zwischen Naturvorbild und einer abstrakt gedachten plastischen Form.“27 Die Verwechselbarkeit von Materialien, die durch die Fotografie erzeugt werden konnte, bedeutete folglich einen Verlust für den Großteil der figürlichen Werke, da die Fokussierung auf das Dargestellte ausgerechnet die modernen Besonderheiten in den Hintergrund rücken ließ. Einzig die idealisierte Skulptur des Nationalsozialismus benötigte zur Entfaltung ihrer propagandistischen Wirkung das Gegenüber des Menschen als Maßstab. Die nackten, muskelbepackten Männer- und anmutigen Frauengestalten sollten das Idealbild des deutschen Volkes prägen und als Identifikationsmöglichkeit einen Bezug zum Menschen herstellen. Die idealisierten Körper mussten also, um ihre Aussagekraft nicht zu verlieren, dem Betrachter einen Anknüpfungspunkt zur Identifikation bieten. Die überdimensionierten Figuren wirkten jedoch respekteinflößend und übernatürlich, so dass die idealisierten Helden wenig gemein hatten mit dem normalen Menschen. Joachim Petsch vertritt in diesem Zusammenhang die These, dass sich die Idealisierung in der Bildhauerei ab 1936 so weit von der Realität der Menschen entfernt habe, dass sie nicht mehr zur Identifikation dienen könne, sondern dazu gedacht gewesen sei, „die totale Erfassung des öffentlichen Raumes mit Herrschaftssymbolen zu erreichen“28. Skulptur wurde also vorwiegend als einschüchterndes Propagandamittel genutzt, dass die Macht des Staates verdeutlichte. In der fotografischen Reproduktion der Skulpturen wurde jedoch versucht, diese Kluft zwischen Ideal und Identifikationsfigur zu schließen. In Magazinen und Zeitungen der 1930er und -40er Jahre wurden dazu fotografische Vergleiche zwischen Mensch und Skulptur gezogen. Insbesondere zwischen Skulptur und Aktfotografie bestand eine enge Verbindung. Silke Wenk legt in ihrem Aufsatz „Volkskörper und Medienspiel“ 1991 dar, dass „im NS-Medienverbund immer wieder versucht [wurde], Körper und Skulpturen bildlich bzw. medial einander anzugleichen“29. Ein gängiges Mittel war die direkte Gegenüberstellung von Mensch und Plastik in ein oder zwei Bildern. Diese Vergleiche tauchten nicht ausschließ27 | Ebenda, S. 30. 28 | Petsch, Joachim: Kunst im Dritten Reich. Architektur, Plastik, Malerei, Alltagsästhetik, Köln 1994, S. 49. Hinzu kommt, dass eine Identifikation mit den Skulpturen nicht für jeden Betrachter in Frage kam und auch nicht gewünscht war. Die Situation des einzelnen Betrachters, der in Bezug zum nationalsozialistischen Staat stand, bestimmt die Wirkung der Skulptur. Als Ausdruck der eigenen Stärke oder der Stärke des Gegners konnte das gleiche Werk Bewunderung oder Angst auslösen, erzeugt durch den Kontext der Figuren und durch die Situation des Betrachters. Die Werke dienten also auch dazu, Grenzen zwischen denjenigen, die sich mit dem Staat identifizierten, und denjenigen, die ausgeschlossen werden sollten, zu ziehen, und mussten daher für den einen Identifikationsmöglichkeiten bieten sowie den anderen mit übermächtiger Präsenz einschüchtern. 29 | Wenk, Silke: Volkskörper und Medienspiel. Zum Verhältnis von Skulptur und Fotografie im deutschen Faschismus, in: Kunstforum international, 114/1991, S. 232.

Materialität

lich im Kunstkontext auf, sondern fanden auch in diversen Zeitschriften und Modemagazinen ihren Platz. Als Vorläufer dieser Zusammenstellungen war zwischen 1901 und 1917 eine Kunstbuchreihe des Architekten Paul Schultze-Naumburg erschienen, die als didaktisches Konzept Gegenüberstellungen von jeweils zwei Bildbeispielen präsentierte, von denen eines als gute und eines als schlechte Lösung einer städtebaulichen oder landschaftsgestaltenden Aufgabe diente. Die Vergleiche kamen fast ohne Text aus und etablierten eine neue Form der Kunstpublizistik, bei der aufgrund von rein visuellen Merkmalen Genealogien aufgedeckt werden sollten.30 1935 erschien der Bildband „Menschenschönheit – Gestalt und Antlitz des Menschen in Leben und Kunst“ von Hans W. Fischer, in dem diese Bildstrategie in abgewandelter Form eingesetzt wurde. Mit wissenschaftlichem Anspruch wurden Röntgenbilder neben anatomische Zeichnungen Leonardos gesetzt, berühmte Gemälde mit fotografischen Porträts zeitgenössischer Personen verglichen und Skulpturen neben die Körper von Sportlern oder Arbeitern gestellt. Die Fotografie wird dort als beweisfähiges Dokument behandelt, um die „Menschenschönheit“ darzustellen und deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.31 Die einander gegenübergestellten Abbildungen zielen darauf ab, eine Ähnlichkeit zwischen dem realen Menschen und Darstellungen von Menschen in der Kunst aufzuzeigen. Die Kunst dient dabei als Ideal – sie ist sozusagen die Messlatte, an der sich der zeitgenössische Mensch orientieren soll. Dazu werden Werke aus verschiedenen Epochen der Kunstgeschichte herangezogen, vornehmlich der Antike, des Mittelalters, der Renaissance und des Biedermeiers, deren Formen-

30 | Vgl. Christolova, Lena: Das emanzipatorische Potenzial der gedruckten Fotografie bei André Malreaux und Aby Warburg, in: Gedruckte Fotografie. Abbildung, Objekt und mediales Format, Münster 2015, S. 138f. 31 | Das Buch ist in sieben „Schau-Kreise“ unterteilt. „Erster Kreis: Der wohlgeformte Leib. Sport, Gymnastik, griechische Plastik; Zweiter Kreis: Geschöpf in der Schöpfung. Naturvölker, Freiluftleben an der See und in den Bergen; Dritter Kreis: Zucht des Willens. Junge Menschen von heute, Arbeiter und Bauern, Jünglingsbildnisse und große Machtköpfe der Kunst; Vierter Kreis: Glanz der Seele. Jungfrau, Mutter, Madonna, Familie und Kinder – Kunstwerke vom Mittelalter bis zur Biedermeierzeit; Fünfter Kreis: Würde des Volkstums. Völker fremder Kontinente und Europas, besonders ausführlich das Deutschtum außer- und innerhalb der Reichsgrenzen; Sechster Kreis: Pracht und Laune der Kultur. Die wiederkehrende Venus, die Dame von der Renaissance bis zur neuen Zeit in großen Kunstwerken, Mode, Zierkulturen des fernen Ostens, Theater, Film, Tanz; Siebenter Kreis: Die Erhabenheit der letzten Dinge: Gott und Geist, Schicksal, Alter und Tod. Kunst, aufsteigend bis zu Michelangelo und Grünewald, geniale Gesichter, schöne Altersköpfe, Totenmasken.“ Fischer, Hans W.: Menschenschönheit. Gestalt und Antlitz des Menschen in Leben und Kunst, Berlin 1935, S. 248.

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Abbildung 32 | Fischer: Menschenschönheit, 1935, Layout der S. 21. sprache als „Schönheitskanon des menschlichen Körpers“ bezeichnet wird.32 Im Kapitel „Der wohlgeformte Leib“ werden Plastiken der griechischen Antike mit Fotografien von Sportlern verglichen. Eine Abbildung der Bronzestatuette „Diskobol des Myron“ wird beispielsweise der Fotografie eines Diskuswerfers gegen32 | Fischer 1935, S. 7. Werke des 20. Jahrhunderts sind nur vereinzelt abgebildet, im Bereich der Bildhauerei stellen „die Tänzerin“ von Georg Kolbe und die „Große Kniende“ von Wilhelm Lehmbruck die Ausnahmen dar. Die Abbildung der „Großen Knienden“ in diesem bereits deutlich von der nationalsozialistischen Ideologie geprägten Buch ist ein weiteres Beispiel dafür, wie unterschiedlich und wechselhaft die Bewertung von Kunst in der Zeit des Nationalsozialismus war. 1937 wurde die Skulptur in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München diffamiert und anschließend zerstört.

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Abbildung 33a-b | Leni Riefenstahl: Olympia, Fest der Schönheit, Filmstills, 1938, in: Mackenzie 2003, S. 320. übergestellt, die den Sportler kurz vor dem Abwurf der Scheibe zeigen (Abb. 32). Die Fotografie des lebenden Sportlers sieht jedoch bewegter aus als die griechische Statue, die still stehend in einer idealisierten Pose dargestellt ist. Diese ideale Körperhaltung der Skulptur kann in der Fotografie des Sportlers nicht exakt nachgezeichnet werden, da die Abläufe zu schnell sind und die Kamera den Bewegungsablauf nicht ohne Verwischungen festhalten kann. Hinzu kommt, dass die in der Skulptur festgehaltene Pose von dem Athleten in keinem Moment der Bewegung in dieser Vollkommenheit ausgeführt wird. Dennoch wird aus der Zusammenstellung der beiden Bilder deutlich, dass der Körper des Diskuswerfers mit dem griechischen Ideal gleichgesetzt werden soll. Die Materialität von Körper und Skulptur wird dazu jedoch nicht angeglichen, zumal der Sportler bekleidet ist. Abgesehen von der Ausübung gleicher Tätigkeit mit vergleichbarer Körperhaltung existieren kaum formale Ähnlichkeiten zwischen der Fotografie der dunklen Bronzeplastik und des menschlichen Athleten. Der Fotograf kann in der Bewegung des Sportlers keine skulpturale Wirkung erzielen, denn nur eine still stehende, dauerhafte Körperhaltung eignet sich dazu, Skulptur und Mensch verwechselbar erscheinen zu lassen. In Perfektion wurde diese Angleichung von Skulptur und Körper jedoch mit filmischen Mitteln von Leni Riefenstahl erreicht. Mit großem Aufwand inszenierte sie 1938 die Bewegung eines Diskuswerfers in ihrem Film „Olympia, Fest der Völker“ (Abb. 33a-b). Sie blendete dazu von der Statue des Diskobol zu einem lebendigen Athleten über, der anschließend den Diskuswurf ausführt. Die Filmemacherin näherte die beiden Bilder bis ins Detail einander an. Das dunkle, bronzene Material des Diskobol aus der Antike war für diese Zwecke hinderlich, so dass sie es kurzerhand durch ein Gipsmodell ersetzte, das in der Aufnahme ähnlich hell wie die Hautfarbe des

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realen Sportlers erscheint. Der Athlet stellte die Körperhaltung der Skulptur exakt (und zunächst unbewegt) nach und beide Diskuswerfer wurden in gleicher Weise akribisch ausgeleuchtet. Der Unterschied zwischen dem Material Gips und dem menschlichen Körper wurde dadurch annähernd aufgehoben. Durch die anschließende Bewegung des Sportlers im Film scheint es, als ob die Skulptur lebendig würde. Dieser überraschende Effekt fällt in der Fotografie zwangsläufig weg. Die Dauerhaftigkeit bestimmt sowohl die fotografische als auch die skulpturale Wirkung der Bilder. Um den Betrachter dennoch in Erstaunen über die Skulpturalität des menschlichen Körpers zu versetzen, muss daher eine gewisse Erkennbarkeit des jeweiligen Materials bestehen bleiben.33 Die Balance zwischen Erkennbarkeit und Verwechselbarkeit von Skulptur und menschlichem Körper erzeugt also die zentrale Spannung innerhalb der Bildkompositionen. Diese Bildstrategie wurde in zahlreichen Varianten in den nationalsozialistischen Medien eingesetzt.34 Auch zeitgenössische Plastik wurde im Kontext von Reklame, Aktfotografie und Artikeln in Frauenzeitschriften dem menschlichen Körper gegenübergestellt. So wurde beispielsweise bei Werbeaufnahmen für Bademode die Skulptur „Faustkämpfer“ von Joseph Thorak verwendet, für die der Boxer Max Schmeling Modell gestanden hatte (Abb. 34). Die Skulptur bildet in ihrer gigantischen Größe und dunklen Bronzeoberfläche einen Kontrast zu dem weiblichen Model in weißem Badeanzug. Eine Verbindung wird durch den dunklen Lederball geschaffen, den die Frau im Arm hält. Dieser Ball wird aufgrund seiner dunklen, glänzenden Oberfläche und seiner Größe eher der Skulptur zuge-

33 | In „Menschenschönheit – Gestalt und Antlitz des Menschen in Leben und Kunst“ wird dies zum Beispiel mit einer Fotografie erreicht, die einen männlichen Athleten als Aktmodell in einer skulpturalen Pose abbildet. Der Verweis auf die Skulptur geschieht durch die statische Körperhaltung, die Nacktheit des Athleten sowie durch das Stehen des Mannes auf einem Sockel – Gestaltungsmerkmale, die einer stereotypen Vorstellung von antiker Skulptur entsprechen. Die Schwarz-Weiß-Aufnahme gleicht zwar die Hautfarbe des Menschen einer hellen Gipsoberfläche an, doch nicht so weit, dass sie wirklich verwechselt werden könnte. Die Differenzen zwischen Mensch und Skulptur werden zwar gemildert, aber nicht aufgehoben, da ansonsten kein Erstaunen über die Ähnlichkeit beim Betrachter ausgelöst werden könnte. 34 | Die bildnerische Zusammenführung von Körper und Skulptur wurde von Bildunterschriften und Texten unterstützt. Anhand mehrerer Beispiele belegt Silke Wenk die Annäherung von Aktfotografie und Skulptur sowie deren sprachliche Verbindung. In Bildunterschriften wurden Materialien absichtsvoll vertauscht. So wurde beispielsweise „Lebender Stein und steinernes Leben“ unter eine Kombination von Aktfotografie und Steinskulptur gesetzt oder das Wort Bronze unter einen Frauenakt gesetzt. Des Weiteren stellt Wenk fest, dass Skulpturen des Nationalsozialismus in fotografischer Pose gestaltet sind. Die Verwechselbarkeit der Materialien wird in der fotografischen Umsetzung noch leichter dadurch, dass die Erwartungen des Betrachters durch bekannte Bildformate bedient werden. Vgl. Wenk, in: Kunstforum international, 1991, S. 226-236.

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ordnet, denn die Materialien Leder und Bronze gleichen sich in der fotografischen Darstellung. Der Umgang mit Materialität von Skulpturen unterscheidet sich in den angeführten Beispielen ganz erheblich von allen anderen Skulpturaufnahmen. Grund dafür ist der politische Kontext, der sich auf die Gestaltung der Printmedien auswirkt. Materialität anzugleichen und Mensch und Skulptur gegenüberzustellen ist ein ideologisch motiviertes Bildverfahren, das für die Propaganda des Nationalsozialismus genutzt wurde. Die Verwechselbarkeit von Materialien, insbesondere durch die Fotografie von Gipsplastiken, stellte Bezüge zur Antike oder zum Alltag der Menschen her und diente damit der kulturellen Aufwertung und der Identifikation. Für die Kunstreproduktion zu wissenschaftlichen Zwecken bedeutet es eher einen Nachteil, wenn Materialität nicht oder falsch dargestellt wird, da Informationen über das Werk verschleiert werden und stattdessen andere Inhalte von der Fotografie transportiert werden.

Abbildung 34 | Josef Thorak: Der Boxer, Bronze, 1936. Fotograf: Ewald Gnilka, o. J. Werbeaufnahme, Bildarchiv preußischer Kulturbesitz.

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3.3 Material als Bedeutungsträger in der Kunstgeschichte Für die Kunstgeschichte ist das Material als Bedeutungsträger und Formgeber ein wesentlicher Aspekt der Skulpturanalyse. In der deutschsprachigen kunsthistorischen Literatur wurden seit dem späten 19. Jahrhundert die Begriffe Materialgerechtigkeit und Materialgesetz verwendet, die implizieren, dass das Material eigene Regeln aufstellen würde, nach denen es bearbeitet werden müsse. Dieser Ansatz geht auf eine Diskussion über den Eigenwert des Materials zurück, die durch die Präsentation von Industrieprodukten auf der ersten Weltausstellung 1851 in London ausgelöst wurde. Ausgangspunkt war die Frage, inwieweit das Material mit seinen jeweiligen Eigenschaften und Bedingungen die Ästhetik von Gegenständen und Kunstwerken bestimmen könne und dadurch stilbildend wirke. Die neuen Industriematerialien waren flexibel einsetzbar und wurden aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit als stillos empfunden.35 Gottfried Semper leitete als Vertreter dieses Standpunktes eine Stilgeschichte ein, die das Material zum Ausgangspunkt nahm und dessen historische Gebrauchsweisen betonte.36 Die Gegenposition wurde von Alois Riegl vertreten, der Stilbildung von Kunstwollen ableitete, das er als der jeweiligen Epoche zugrunde liegende ästhetische Entscheidung definierte.37 Riegls Ansatz beinhaltet eine freie Entscheidung des Menschen über die Gestalt der Dinge, während Semper die Eigengesetze des Materials hervorhebt.38 Die beiden Theorien führten zu einer Polarisierung der Frage, welche Auswirkung das Material auf die Aussagekraft und die Qualität einer Skulptur habe. Das Arbeiten mit oder gegen das Material wurde zum Kriterium für die Qualität eines Kunstwerks erhoben. Die Debatte über die Bedeutung von Material hatte außerdem gesellschaftliche Relevanz erlangt, da Befürworter und Gegner der industriellen Revolution auch moralische Werte daraus ableiteten. Um 1900 hatte sich die Diskussion bereits entschärft und die Positionen wurden differenzierter betrachtet. Franz Landsberger betont: „Ob er [der Künstler] aber im einzelnen Falle das ihm zur Verfügung stehende Material belauscht oder vergewaltigt, das ist für die Bewertung eines Kunstwerkes nicht von Belang.“39 35 | Vgl. Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 95. 36 | Wagner, 2001, S. 189. 37 | Riegl, Alois: Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn im Zusammenhange mit der Gesamtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern, Wien 1901, S. 5. 38 | Einen ausführlichen Überblick bietet Rübel/ Wagner/Wolff (Hrsg.), 2005. 39 | Vgl. Trier, Eduard: Kategorien der Plastik in der deutschen Kunstgeschichte der zwanziger Jahre, in: Dittmann, Lorenz/ Bätschmann, Oskar (Hrsg.): Kategorien und Methoden der deutschen Kunstgeschichte 1900-1930. Stuttgart 1985, S. 42.

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Eine materialbewusste Bearbeitung galt zwar als wichtiger Faktor, war aber nicht mehr alleiniges Kriterium für die Entstehung von Stil- und Kunstformen.40 Unter dem Einfluss der Manifeste futuristischer Künstler negierten einige deutsche Bildhauer die Bedeutung von Material und erweiterten den Materialbegriff. Karl Albiker erklärte bereits 1919: „Der Bildhauer hat das Recht auf jedes Material, dem er Form geben kann, und er hat das Recht sich noch morgen ein neues Material für seine Kunst zu suchen.“41 Kurt Schwitters nahm eine noch radikalere Position ein, indem er formulierte: „Das Material ist so unwesentlich, wie ich selbst. Weil das Material unwesentlich ist, nehme ich jedes beliebige Material.“42 Dem entgegen stand die Position deutscher Kunsthistoriker, die Eduard Trier in seiner Zusammenstellung „Bildhauertheorien im 20. Jahrhundert“ aufführt. Trier stellt fest, dass diese verstärkt den Eigenwert des Materials betonten und nennt Beispiele, in denen die Materialität in der Kunstwissenschaft als ordnendes Prinzip genutzt wurde.43 Je bedeutender das Material für die Konzeption einer Skulptur eingeschätzt wird, desto wesentlicher muss für Künstler und Kunsthistoriker die Sichtbarkeit des Materials in der Reproduktion sein. Die Sichtbarmachung von Materialität in der Fotografie hat daher nicht nur ästhetische Auswirkungen, sondern sie bedeutet auch eine Entscheidung über die Relevanz des Materials in der Analyse der Skulpturen.

3.3.1 Detailgenaue Wiedergabe von Skulpturmaterial Das Werk von Ernst Barlach soll an dieser Stelle als Beispiel dienen, um zu untersuchen, wie Materialität in fotografischen Reproduktionen dargestellt wird und wie die Abbildungen mit den Deutungen und Analysen in Monografien verknüpft sind. Da Barlach seine Entwürfe stets in verschiedenen Materialien ausführte, bieten sich viele Möglichkeiten für die Reproduktion der Werke. Barlach fertigte im ersten Schritt Gipsfiguren, die er anschließend in Holz umsetzte. Außerdem entstanden zusätzlich Güsse in Bronze sowie Ausarbeitungen in verschiedenen keramischen Materialien wie Porzellan, Terrakotta und Steinzeug. Barlach selbst betonte den Eigenwert des Materials: „Die Gedankenwelt des Plastischen ist an die solidesten Begriffe des Materials, des Steins, des Metalls, des Holzes, fester Stoffe gebunden. Das Gebirge, der Baum haben Gefühlswelten in sich, die herausgearbeitet werden können.“44 Doch war Barlach nicht ausschließlich ein Verfechter der Eigengesetzlichkeit von Material, denn er machte die Form eines Werks nicht vom Material abhängig sondern unterwarf es seiner Bearbei40 | Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 96. 41 | Trier, 1999, S. 63. 42 | Ebenda, S. 61. 43 | Vgl. Trier, in: Dittmann, 1985, S. 42. 44 | Trier, 1999, S. 61.

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tung. So leimte er sich aus mehreren Holzstücken große Blöcke zusammen, bis er die gewünschte Form daraus schaffen konnte. „Das Format habe er in sich erklärte er, und auf das Format komme es an.“45 Hinzu kommt, dass Barlach ein und dieselbe Form in verschiedenen Materialien ausführte und sich die Skulptur somit aus der bildhauerischen Konzeption und nicht aus der Vorgabe des Materials entwickelte. Barlachs Werk vereint sowohl Argumente für die Bedeutung des Materialeigenwerts als auch für die Positionierung des Künstlers als maßgeblichen Gestalter der Form. Anhand zweier Monografien über das Werk des Bildhauers wird im Folgenden dargelegt, wie diese Aspekte durch die fotografische Reproduktion gewichtet werden können.

3.3.2 Bildauswahl als Zeichen der Materialpräferenz Carl Dietrich Carls beschreibt 1931 in der im Rembrandt-Verlag erschienenen Monografie „Ernst Barlach. Das plastische, graphische und dichterische Werk“ eine klare Hierarchie der von Barlach verwendeten Materialien, die der Diskussion um Materialgerechtigkeit entsprechend das Holz an oberste Stelle setzt: „Der Plastiker Barlach hat als Material immer wieder Holz bevorzugt. Erst seit einiger Zeit, zum Teil nicht ohne äußere Veranlassung, hat er mehr als bisher auch in Bronze ausgeführt. Die betonte Vorliebe für ein so eigenwilliges und schweres Material wie das Holz [...] ist für seine Kunst in einem tieferen Sinne charakteristisch. Die seltsame Phantastik, die in dem erstarrten Leben des Holzes verborgen liegt, übt auf die Gestaltung Barlachs offenbar besonderen Anreiz.“46

Der Autor bezeichnet Holz als eigenwilliges Material und betont dadurch dessen Wirkung auf die Gestalt der Skulptur. Carls hebt außerdem die Könnerschaft des Bildhauers empor, indem er erwähnt, dass „nicht aus Liebe der Phantastik des Stoffes, sondern vor allem um der Möglichkeit willen, phantastische Form zu schaffen“47 das Material Holz von Barlach gewählt würde. „Diese Vordergrundstellung seiner Holzplastiken schließt natürlich nicht aus, daß Barlach auch in seinen Bronzen völlig eigenwüchsig ist“, führt der Autor weiter aus.48 Obwohl Carls die Bronzen mehrfach positiv hervorhebt, wird deutlich, dass er die Holzplastiken favorisiert. Die von Carls herausgegebene Monografie über Barlachs Werk erschien in mehreren Ausführungen zwischen 1931 und 1988. Lediglich die hier untersuchte 45 | Carls, 1958, S. 56. 46 | Carls, Carl Dietrich: Ernst Barlach. Das plastische, graphische und dichterische Werk, Berlin 1931, S. 37. 47 | Ebenda, S. 38. 48 | Ebenda, S. 39.

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erste Fassung von 1931 wurde noch zu Lebzeiten Barlachs veröffentlicht. In dieser Erstausgabe sind neben 34 Holzfiguren mit 18 Abbildungen verhältnismäßig zahlreiche Bronzeplastiken vertreten. Hinzu kommen drei keramische Werke sowie zwei als Bronzen beschriftete Gipsmodelle. Die große Zahl der Abbildung bronzener Werke lässt sich mit Strategien des Kunsthandels erklären. Ein Brief Barlachs, der am Ende des Bandes unter dem Titel „Barlachs Bronzen“ abgedruckt ist, offenbart die Zusammenarbeit mit dem Kunsthändler Alfred Flechtheim, auf die Carls mit der Formulierung „äußere Veranlassung“ anspielt.49 Der Bildhauer dankt in seinem Brief Alfred Flechtheim für dessen Drängen auf die Fertigung von Bronzeplastiken. Barlach erläutert sein anfängliches Unbehagen dem Material Bronze gegenüber und beschreibt anschließend seine Meinungsänderung und die Vorteile der Bronze. Diese Stellungnahme des Künstlers soll der Bevorzugung des Holzes entgegenwirken, indem der Leser die Änderung von Barlachs Standpunkt nachvollziehen soll, so dass er möglicherweise seine eigene Meinung anpasst. Der Hintergrund des abgedruckten Briefes ist, dass der Kunsthändler Flechtheim 1930 mit Barlach ein Gussprogramm von 20 Werken vereinbarte und der Sammler diese Bronzen in seinen Galerien in Berlin und Düsseldorf ausstellte und verkaufte.50 Der Alfred Flechtheim Verlag wird außerdem als Unterstützer des Buches genannt, da er „die Vorlagen für die Bronzen“ zur Verfügung gestellt habe.51 Die Förderung beinhaltete zudem eine Bürgschaft für Barlachs neues Atelier. Die Betonung der Vorzüge des bronzenen Materials durch Barlachs Brief und die Abbildung von 18 Bronzen kann als Schachzug gedeutet werden, den Verkauf der Plastiken anzuregen und die Kooperation mit dem Kunsthändler und Sammler Flechtheim zu stärken. Barlach musste in diesem Zusammenhang die Bevorzugung des Materials Holz zumindest in schriftlicher Form relativieren, um die Bronzen nicht minderwertig erscheinen zu lassen und die Verkäufe zu fördern. Dabei wendete er sich nicht nur gegen die verbreitete Hierarchie der Materialien, sondern auch gegen die Wertschätzung des Kunstwerks als Unikat. In späteren Ausgaben der Monografie wurde Barlachs Brief nicht mehr abgedruckt, ebenso wenig wurde Flechtheim als Stifter genannt. Auch wurden weniger Abbildungen von bronzenen Werken veröffentlicht.52 Die folgenden Auflagen des 49 | Ebenda, S. 37. 50 | Der jüdische Kunsthändler Alfred Flechtheim stellte ab 1913 Barlachs Werke aus. Nach dem Tod Paul Cassirers 1926 übernahm die Galerie Flechtheim die gesamte kunsthändlerische Vertretung des Bildhauers. Da das Buch vor der nationalsozialistischen Machtergreifung erschien, war trotz verbreitetem Antisemitismus die Zusammenarbeit noch möglich. 1933 wurden die Galerien Flechtheims geschlossen und Alfred Flechtheim flüchtete zunächst nach Paris, später nach London. Dort starb er 1937. Vgl. http://alfredflechtheim.com [05.06.2014]. 51 | Carls, 1931, S. 82. Die Formulierung lässt offen, ob der Verlag die Fotografien oder die Bronzen zur Verfügung stellte. 52 | Der Band von 1950 bildet beispielsweise lediglich sechs Bronzen ab.

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Abbildung 35a | Ernst Barlach: Der Asket, 1925, Gips unter Schellack. Fotograf: Friedrich Hewicker, o. J., in: Stubbe 1961, S. 57. Buches kehrten also frei von Interessen des Kunstmarktes zur Präferenz des Holzes zurück, denn für die später erschienenen Bände spielten wirtschaftliche Strategien keine Rolle mehr. Der Sammler und der Künstler waren inzwischen verstorben und Verleger und Autoren zogen keine Vorteile aus einer Werbung für die Bronzen Barlachs. Hinzu kommt, dass die fotografischen Vorlagen der Erstauflage größtenteils nach dem Krieg verschollen waren und daher ohnehin neues Bildmaterial hergestellt werden musste. Die Arbeit mit Holz wurde in der Bildhauerei des

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frühen 20. Jahrhunderts nur selten ausgeführt und daher als besonderes Markenzeichen Barlachs herausgestellt. Eine Sichtbarmachung dieser Materialpräferenz geschieht in den Monografien ausschließlich durch die Auswahl der Bilder, fotografisch werden die Materialeigenschaften der Skulpturen nicht unterschieden.

3.3.3 B  etonung von Materialität als Beleg kunsthistorischer Thesen 1961 wird von Wolf Stubbe eine Monografie im Piper-Verlag veröffentlicht, die – 23 Jahre nach dem Tod des Bildhauers – die Materialität von Barlachs Plastiken umfassend behandelt. Der Fotograf Ernst Hewicker fertigte 100 Bildtafeln für den Band an. Stubbe geht im Vorwort seines Buches ausführlich auf die Fotografie der Werke ein und thematisiert, dass zu jeder Zeit eine eigene Sichtweise auf die Kunst geprägt würde. Über die Abbildungen Hewickers schreibt er: „Anderes von Barlach anders abzubilden, ist ein Bedürfnis, mit dem unser Photograph gewiß nicht allein steht.“53 Ohne zu erläutern, was an Hewickers Aufnahmen nun so anders sei, schließt er weitere Überlegungen an die fotografische Reproduktion von Skulpturen an: „Seit langem wird im Scherz behauptet, daß die Photographie das Kunstwerk wirksamer mache und besser von ihm zu zeugen vermöge, als es auf sich allein gestellt vermag. Inzwischen haben wir längst eingesehen, welche Unwahrheiten, aber auch, welche Wahrheiten in dieser verdächtigen Einräumung beschlossen sind. Das Kunstobjekt, mit ‚unbewehrtem Auge‘ gesehen, bietet sich mit weit mehr Wirkenskomponenten an als seine Abbildung. Indessen diese Fülle von Wirkenskomponenten macht die ‚Wahrnehmung‘ des Originalkunstwerkes nicht einfacher. Im Gegenteil, das Betonen einer einzelnen besonderen Eigenschaft des Kunstwerkes durch das Mittel der Reproduktion gibt seinem Anblick eine geschärfte Prägnanz, allerdings natürlich durch Vernachlässigung anderer möglicher Wirkungen des Originals. So erklärt sich die Enttäuschung, die mancher Besucher vor dem Original, das er bisher nur aus Reproduktionen kannte, empfindet, das heißt zunächst empfindet. Man muß das Original nur länger betrachten, um mehr zu erfahren, als eine Reproduktion mitzuteilen vermag.“54

In diesem Bewusstsein über die Möglichkeiten der Reproduktion strebt der Autor eine Konzentration der Bildinhalte an, die sich in einer direkten, anschaulichen Verbindung von Text und Bild zeigt. Eine großzügige Layoutgestaltung des 20 x 28 Zentimeter großen Buches unterstützt den hohen Stellenwert der Abbildungen. Jede Fotografie wird formatfüllend auf die rechte Buchseite gesetzt. Nur wenige Seiten werden mit zwei Bildern gefüllt, um verschiedene Ansichten derselben Figur zu zeigen. Auf der linken Buchseite bleibt im Regelfall eine ganze Seite als weißer Freiraum stehen, auf der lediglich eine Beschriftung platziert wird, so dass jedes 53 | Stubbe, Wolf: Ernst Barlach. Plastik, München 1961, S. 8. 54 | Ebenda.

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Abbildung 35b | Ernst Barlach: Der Asket, 1925, Holz. Fotograf: Friedrich Hewicker, o. J., in: Stubbe 1961, S. 58. Bild für sich allein wahrgenommen werden kann. Die Fotografien sind auf glattes, hochauflösendes Papier gedruckt, das eine detaillierte Wiedergabe gewährleistet. Die Skulpturen werden meist in mehreren Varianten abgebildet (Abb. 35a-d). Auf eine Gesamtansicht folgt häufig eine vergrößerte Detailaufnahme des Gesichts der Skulptur. Die Materialoberfläche wird dadurch sehr genau sichtbar gemacht, beinahe so als betrachte man sie durch eine Lupe. Einige Werke werden von verschiedenen Ansichtsseiten sowie in mehreren Materialausführungen abgebildet. Durch die Kombination verschiedener Materialien und Ansichten werden in zwei

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Abbildung 35c | Ernst Barlach: Der Asket, 1925, Gips (Detail). Fotograf: Friedrich Hewicker, o. J., in: Stubbe 1961, S. 59. Abbildung 35d | Ernst Barlach: Der Asket, 1925, Holz (Detail). Fotograf: Friedrich Hewicker, o. J., in: Stubbe 1961, S. 60. bis vier Abbildungen viele unterschiedliche Aspekte des Werkes verdeutlicht. Auch die jeweilige Beschriftung ist ausgesprochen genau, da Materialien, Holzsorten sowie Einfärbungen oder Lackierungen explizit genannt werden. Wolf Stubbe stellt heraus, dass der Umgang Barlachs mit jedem der verwendeten Materialien von seiner Formvorstellung geleitet sei. Er betont, dass eine Verbindung zur gotischen Schnitzkunst, wie sie in anderen Publikationen gezogen würde, deshalb auszuschließen sei, und empfindet die Bewertung der Skulpturen nach den Kriterien von Materialgerechtigkeit als überholt: „Vielleicht hätte man damals dieses folgerichtig aus Barlachs plastischem Grundkonzept hervorgehende Verfahren mißbilligt, es bei seinen Holzarbeiten nicht als ‚materialgerecht‘ angesprochen. Inzwischen ist aber längst erkannt, daß dieser Begriff nicht vom Material als solchem gesetzt wird, sondern höchstens im Umgang des Künstlers mit dem Werkstoff in immer neuer Weise entstehen wird, im eingeschränkten Sinne dagegen hinfällig ist, wie soviele andere, das künstlerische Verhalten normierende Bestimmungen.“55

Um Barlachs Umgang mit Material neu zu bewerten, nutzte Stubbe die dem Buch zugrunde liegenden Fotografien zur Unterstützung seiner These. Besonders stechen die zahlreichen fotografierten Gipsmodelle hervor, die mit 40 Abbildungen

55 | Ebenda, S. 21.

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Abbildung 36 | Ernst Barlach: Der Mann mit dem Mantel, Gips unter Schellack, 1922. Fotograf: Friederich Hewicker, o. J., in: Stubbe 1961, S. 47. den größten Anteil des Bandes ausmachen.56 Die Gipsmodelle werden hier nicht aufgrund ihrer Verwechselbarkeit mit anderen Materialien bevorzugt, sondern weil ausschließlich in der Variante als Gips entscheidende bildhauerische Metho-

56 | Außerdem sind abgebildet: 32 Holzfiguren, 12 Bronzegüsse und 14 Aufnahmen verschiedener keramischer Materialien sowie 2 Zinkgüsse.

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den Barlachs aufgezeigt werden können.57 Die Gipse Barlachs werden folgerichtig in ihrer spezifischen Materialität abgebildet. In der Abbildung wirken sie eher grau und durch das Sichtbarmachen von Details sind sie eindeutig als skizzenhaftes Werkstattstück einzuordnen. Da Barlach Zahlen und Linien auf den Gips zeichnete, um Maße und geometrische Kompositionen festzulegen, offenbaren sie die konstruktive Arbeitsweise des Bildhauers. Stubbe erkennt insbesondere in den Details der bezeichneten Gipse Barlachs sehr genaue und feinsinnige Formgestaltung. In diesem Zusammenhang weist er beispielsweise auf die Abbildung „Der Mann mit dem Mantel“ hin, die eine minimale Neigung der Figur durch eine auf den Gips gezeichnete, senkrechte Lotlinie sichtbar werden lässt (Abb. 36). Die Lotlinie ist ausschließlich anhand des Gipsmodells nachzuvollziehen und beweist die durchdachte Komposition des Werks. Stubbe belegt mit den Abbildungen der Gipse, dass das Übertragen ein und derselben Form in verschiedene Materialien kein Entstehungsprozess aus dem Material heraus ist, sondern dass Barlachs Formvorstellung unabhängig von der materiellen Umsetzung existiert. Dem Autor „erscheint es notwendig, sie [Barlachs Kunst, d. Verf.] auf das hin anzusehen, was sie auch ‚rein künstlerisch‘, was sie als gestaltete Form ist“.58 Daher setzt er die Abbildungen ein, um insbesondere die kompositionelle Stärke Barlachs zu betonen und modernisiert damit den Blick auf Barlach. Die Monografie setzt sich damit deutlich von zuvor veröffentlichten Bänden anderer Autoren ab, die häufig biografische Schwerpunkte legten und Barlachs Werk vermehrt mit Betonung der symbolischen Inhalte und psychologisch-emotionalen Deutungen beschrieben.59 Die Reproduktionen der Gipse stützen die Argumente des Autors, die das Werk unter konzeptionell-formalen Aspekten beleuchten. Das Gipsmodell fungiert als dreidimensionales Atelierbild, das in seiner Materialität unverwechselbar erkannt werden muss, um als Beleg für den Entwurf des Bildhauers dienen zu können. Laut Stubbe „werden in besonderer Absicht die Gebilde von nahem betrachtet. Oft aus kürzester Entfernung, wobei nicht allein die Hölzer und Bronzen im Vordergrund stehen, sondern – mehr als üblich – auch Gipsmodelle einbezogen werden, Barlachs ‚Puppen‘ als unmittelbare Ausformungen des von seiner Hand modellierten.“60

Stubbe ist sich bewusst, dass seine auf Fotografie gestützte Argumentation auf Kritik stoßen könnte. Deswegen beugt er möglichen Vorwürfen anhand des Beispiels der Figur „Das Grauen“ vor (Abb. 37). Der Fotograf hat durch die Beleuchtung 57 | Zur Bevorzugung des Materials Gips in der fotografischen Reproduktion siehe Kapitel 3.2. 58 | Stubbe, 1961, S. 33. 59 | Vgl. Barlach, Ernst: Ein selbsterzähltes Leben, München 1948, sowie Carls, 1931. 60 | Stubbe, 1961, S. 9.

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Abbildung 37 | Ernst Barlach: Das Grauen, Lindenholz, 1923. Fotograf: Friedrich Hewicker, o. J., in: Stubbe 1961, S. 52. der Figur deren kompositorische Grundkonzeption hervorgehoben und dadurch Stubbes formalistischen Ansatz der Werkanalyse unterstützt. Stubbe ergänzt, „[d] aß die Raumdiagonale am Gewand [...], wie sie durch Licht- und Schattengrenze auf der Seitenansicht erscheint, nicht eine illegitime ‚Entdeckung‘ des Photographen ist“, indem er auf eine Zeichnung Barlachs verweist, die die Diagonale ähnlich der Fotografie betont.61 Obwohl die Zeichnung selbst nicht abgebildet ist, macht Stubbe durch deren Erwähnung einen bewussten Umgang mit dem Bildmaterial deutlich und untermauert sein Vorgehen. Neben der Besonderheit, Gipsmodelle zu fotografieren, wird darüber hinaus der Einsatz von Detailaufnahmen zu nachfolgendem Zweck herausgestellt: „Es geht darum, zu sehen, was bisher weniger oder gar nicht gesehen wurde: man möchte nicht die Plastik Barlachs zeigen, sondern Barlach den Plastiker zu Worte kommen lassen in einer von seinen Sprachen, die heute besonders vernehmbar ist. Werkstatt und Nahsicht bieten andere Aspekte als das Denkmal in seiner räumlichen Distanz mit der notwendigen Einbeziehung der Wirklichkeit des Standortes.“62

Die Nähe, die in der fotografischen Reproduktion von Details entsteht, wird mit der Erkenntnis über das bildhauerische Arbeiten gleichgesetzt, da Arbeitsspuren in der Detailaufnahme besser zu sehen sind als in der Gesamtansicht (Abb. 38).

61 | Ebenda, S. 15. 62 | Ebenda, S. 8f.

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Abbildung 38 | Ernst Barlach: Moses, 1919, Eichenholz (Detail). Fotograf: Friedrich Hewicker, o. J., in: Stubbe 1961, S. 37. Somit vereint Stubbes Barlachmonografie gezielt verschiedene Möglichkeiten, das Material der Skulpturen in der fotografischen Reproduktion sichtbar zu machen. Die gewissenhafte Benennung der Materialien, die hochwertigen Drucke und der Einbezug verschiedener Ausführungen und Ansichtsseiten sowie die Detailaufnahmen tragen zur Sichtbarmachung von Materialität in diesem Band bei. Die Abbildungen dienen als Beleg für die Argumentation des Kunsthistorikers Wolfgang Stubbe, so dass durch den sorgfältigen und durchdachten Umgang mit der

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fotografischen Wiedergabe in der Zusammenarbeit mit dem Fotografen Friedrich Hewicker ein eigenständiges Werk entstanden ist, das Stubbes Forschungsergebnissen visualisiert. Die Neubewertung von Barlachs Umgang mit dem Material konnte nur erfolgen, indem das Bildmaterial extra für die Publikation unter den für den Autor als wesentlich erachteten Aspekten neu angefertigt wurde. Die sachlichen und detailgenauen Aufnahmen Hewickers ermöglichen es dem Kunsthistoriker, die abstrakte Form innerhalb der Figuren hervorzuheben und den konzeptionellen Entwurf der Werke zu betonen. Die Andersartigkeit von Hewickers Aufnahmen, die Stubbe zu Beginn beschreibt, liegt also in den Detailansichten und in der Berücksichtigung der zahlreichen Varianten, die Barlachs Umgang mit Material besonders gut sichtbar machen.

3.4 Materialität und Abstraktion Wie im vorherigen Kapitel dargelegt, kann sich eine kunsthistorische Argumentation auf die fotografische Reproduktion stützen, indem ausgewählte Aspekte in der Abbildung betont und andere vernachlässigt werden. Diese Gegebenheit ist besonders dann relevant, wenn Traditionen gebrochen werden und neue Kunstströmungen sich gegen bekannte Formen durchsetzen. Von der Nachkriegszeit bis in die 1960er Jahre hinein entwickelte sich in der Bildhauerei eine zunehmende Abstraktion, beeinflusst durch die informelle Malerei und einhergehend mit der Erweiterung des bildhauerischen Materialkanons. Die Bewertung nach Materialgerechtigkeit wurde kaum noch als zeitgemäß angesehen, und viele Künstler wendeten sich Techniken und Materialien zu, die industriell gefertigt als fortschrittlich und zukunftsweisend angesehen wurden. Mit der Fokussierung auf abstrakte Kunst wurden in der Nachkriegszeit auch die Standards von Reproduktionen verändert. Die zeitgenössische Skulptur stand als gesamte Gattung im ständigen Verdacht, rückständig gegenüber der informellen, gestischen Malerei zu sein, die international als Sensation gefeiert wurde.63 In der Reproduktion wurden daher abstrakte Aspekte betont, um die Aktualität von Bildhauerei zu demonstrieren.

3.4.1 Annäherung von Materialien durch Kontraste Der Berliner Bildhauer Bernhard Heiliger schuf seit 1945 plastische Werke, die zwischen figürlicher und abstrakter Darstellung standen und sich bis in die 1970er Jahre zu vollständig abstrakten, technischen Stahlkonstruktionen entwickelten. 63 | Vgl. Wimmer, Dorothee: Die „Freiheit“ der Kunst im westlichen Nachkriegsdeutschland: „Das Kunstwerk“ als Forum der Kunstgeschichte, in: Doll, Nikola (Hrsg.): Kunstgeschichte nach 1945. Kontinuität und Neubeginn in Deutschland, Köln 2006, S. 142.

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Abbildung 39 | Bernhard Heiliger: Vegetative Plastik II, Bronze, 1960. Fotograf: Ewald Gnilka, o. J., in: Flemming 1965, S. 74. Abbildung 40 | Bernhard Heiliger: Phönix III, Gips für Bronze, 1962. Fotograf: Ewald Gnilka, o. J., in: Flemming 1965, S. 102. Die Verbindung von Figur und Abstraktion war ein außergewöhnlicher Aspekt seines frühen Werks und wurde daher in Publikationen besonders beachtet. Dem gegenüber stand der zunächst noch konventionelle Skulpturbegriff Heiligers, der aus dem klassischen Materialkanon Gips, Terrakotta, Zement, Stucco und Bronze schöpfte. Obwohl Heiliger sehr vielfältig mit den verschiedenen Materialien umgeht, wird in der fotografischen Darstellung seiner Werke nicht immer zwischen ihnen differenziert. Der Bildband „Bernhard Heiliger“, der 1962 im Rembrandt-Verlag von Hanns Theodor Flemming veröffentlicht wurde, hebt in zahlreichen Abbildungen die Materialität von Heiligers Werken anhand von starken Kontrasten auf. Im Vergleich zweier Abbildungen wird deutlich, welche Auswirkungen diese Gestaltung hat (Abb. 39 und 40): Die bronzene „Vegetative Plastik“ von 1960 wird vor tiefschwarzem Grund abgebildet. Das Werk wird von mehreren Scheinwerfern beleuchtet, so dass sich sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite der Plastik weiße Lichtkanten ergeben. Einige teils großflächige Schatten sowie Löcher und Riefen in der Plastik erscheinen vollständig schwarz. Die schwarzen und weißen Flächen liegen sehr nah beieinander und nur wenige Grauabstufungen ergänzen die Darstellung, so dass die Plastizität des Werks verringert wird. Unebenheiten in der Materialoberfläche treten hingegen deutlich hervor. Ganz ähnlich erscheint das Werk „Phönix III“ von 1962 in der fotografischen Abbildung. Das Bild besteht ebenfalls aus einem schwarzen Hintergrund, bei dem

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eine Bodenfläche als alleiniger räumlicher Anhaltspunkt dient. Die darauf stehende Plastik wird durch die Beleuchtung in weiße und schwarze Flächen geteilt, so dass die Oberflächen der Werke „Phönix III“ und „Vegetative Plastik“ einander gleichen. Die Abbildung von „Phönix III“ zeigt jedoch keine Bronzeplastik, sondern ein Gipsmodell, das im Bildverzeichnis des Buches auch als solches ausgewiesen wird. Die Eigenschaften der Materialien Gips und Bronze unterscheiden sich in den beiden Abbildungen nicht, denn die Fotografie vernachlässigt die vom Material bestimmten Aspekte wie matte oder glänzende Oberflächen sowie den Grad der Helligkeit. Die Abbildungen zeigen die Oberflächen beider Werke bewegt, zerlöchert und schroff und heben damit die vom Künstler gestaltete Fläche in ihrer formalen Gestaltung hervor, die nicht vom Material der Werke abhängig ist. Die spotartige Beleuchtung führt dazu, dass die Oberfläche der Plastiken wie eine Zeichnung aus Linien und Farbflecken erscheint. Auch räumliche Zusammenhänge werden vernachlässigt, um die abstrakte Fläche zu betonen. Die Dunkelheit der Fotografie lässt die Plastik fremd und geheimnisvoll erscheinen, so dass die neuartige Formensprache deutlicher hervortritt als die traditionellen Aspekte wie die verwendeten Materialien oder das statische Prinzip. Durch die Aufhebung der Materialität wird erreicht, dass die Abbildung den Grad der Abstraktion erhöht und sich die Plastik einem zweidimensionalen, gestischen Gemälde annähert. Der Bezug zu den zeitgenössischen Tendenzen in der Kunst wird bestärkt und die fortschrittlichen Aspekte von Heiligers Werk werden hervorgehoben. Im Gegenzug wird auf die Darstellung von Plastizität und die Erkennbarkeit der Materialität in den Abbildungen verzichtet.

3.4.2 Papier als Vermittler von Materialität Die Abbildungen in Hanns Theodor Flemmings Buch „Bernhard Heiliger“ betonen die vom Künstler geschaffenen Oberflächen, doch die Materialien der verschiedenen Werke werden nicht differenziert dargestellt und gehen häufig verloren. Ausgleichend wird jedoch im Layout des Buches die Materialität der Skulpturen vermittelt. In unregelmäßiger Abfolge sind zwischen den Abbildungen gefärbte Papiere eingefügt (Abb. 41). Das Farbspektrum umfasst Grau, Ocker, Dunkelbraun, Blaugrün und ein gelbliches Grau. Diese Farbtöne spiegeln einen Kanon wider, der charakteristisch für die von Bernhard Heiliger verwendeten Materialien wie patinierte Bronzen, Stahl sowie Beton und Zement ist. Auch haptisch stechen die Farbpapiere hervor, denn sie unterscheiden sich aufgrund ihrer matten, rauen Oberfläche von den anderen, glatten Abbildungsseiten des Buches. Das Papier ist nicht farbig bedruckt, sondern besteht aus farbigen Papierfasern, so dass es als eigenständiges Material wahrgenommen wird. Die farbigen Blätter werden im Buch teils als Fläche frei gelassen, teils mit Heiligers Skizzen bedruckt (Abb. 42). Indem die Zeichnungen auf die Farbseiten

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Abbildung 41 | Farbpapiere der Publikation Flemming 1962, Foto: Verfasserin. Abbildung 42 | Bernhard Heiliger: Zeichnung, Feder, 1958, in: Flemming 1965, S. 75. gebracht werden, vermittelt sich einen Eindruck von der Materialfarbe der Skulpturen. Die Materialität der Zeichnung, die im Original ebenfalls eine Papierfarbe und -beschaffenheit besitzen muss, wird dafür aufgegeben. Die nicht bedruckten Farbseiten bieten einen Ausgleich zu den spannungsgeladenen und kontrastreichen Fotografien, die zudem sehr dunkel wirken. Die Abbildungen, die in der Reihung schwer und wuchtig erscheinen, werden von großzügigen Freiräumen in Form von leeren Farbseiten unterbrochen. So entstehen eigenständige, bildhafte Kompositionen, wie das Layout der Seite 66/67 mit der Plastik „Kopf“ von 1956 zeigt (Abb. 43). Die Plastik wurde von ihrem Hintergrund gelöst und auf einen weißen Grund gesetzt. Am rechten Rand des Bildes, das die gesamte Buchseite füllt, wird sie ein wenig angeschnitten. Der Blick der Figur ist nach links gerichtet. Dort befindet sich auf der gegenüberliegenden Hälfte der Doppelseite eines der nicht bedruckten Papiere im grünlichen Farbton. Die Farbseite und die Plastik stehen miteinander in Bezug, da die Doppelseite wie ein einziges Bild empfunden wird. Die Farbe verschafft der Plastik ein Gegengewicht, ohne ihre Präsenz als alleiniges Objekt zu stören. Als Gegenpol zu der weißen Fläche im Hintergrund der Skulptur stellt die grüne Seite eine Balance zwischen Leere und Fülle her und gibt dem Bild eine luftige, offene Wirkung. Die Farbfläche wirkt still und klar und bietet eine Möglichkeit des Verweilens, der im Kontrast zu den dynamischen, dunklen Abbildungen der Skulpturen im gesamten Band steht. Diese Verknüpfungen der materiellen Eigenschaften von Skulptur, Fotografie und Papier sind höchst ungewöhnlich und sehr intelligent gemacht. Bestimmte Eigenschaften der Skulptur kann der Betrachter nicht aus der Fotografie ablesen. Deshalb werden diese Aspekte von anderen Seiten im Buch vermittelt. So wird die Materialfarbe von den Farbseiten aufgegriffen. Obwohl die Farbigkeit der einzelnen Skulpturen sich nicht eindeutig für den Betrachter zuordnen lässt, zeigt der

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Abbildung 43 | Bernhard Heiliger: Kopf, 1956, Layout mit Farbpapier, Fotograf nicht genannt, Flemming 1965, S. 67f. Farbkanon, welche Ästhetik das Gesamtwerk Heiligers trägt. Die gedeckten, natürlichen Töne erinnern an Bronze, Terrakotta und Zement, hingegen erscheint beispielsweise eine bunte Bemalung der Skulpturen abwegig. Auch ein Gefühl für Schwere gegenüber Leichtigkeit kann der Betrachter nicht ausschließlich aus der Fotografie, sondern aus der Kombination mit den leeren Farbseiten ziehen. In Heiligers bildhauerischem Werk werden massive Formen entgegen der statischen Gesetze auf dünnen Streben aufgestellt und der Luftraum, der sich um die Skulpturen herum öffnet, beeinflusst die Wirkung der Werke. Dieses Prinzip wird von den Buchseiten aufgegriffen: die dunklen, schweren Fotografien gewinnen durch den Kontrast zu den Freiräumen der Farbseiten an Kraft und Spannung. Der Bildband „Bernhard Heiliger“ bietet eine ungewöhnliche Verknüpfung von Schwarz-Weiß-Fotografie, Layoutgestaltung und Papierauswahl, die dem Betrachter zwar nicht das Faktenwissen über die Materialien der dargestellten Werke fotografisch vermittelt, doch einen unmittelbaren und sogar haptischen Materialeindruck über das Papier bietet.64 Anstatt in der Fotografie das Material der Werke wiederzugeben, wird das Papier in seiner eigenen Materialität genutzt, um einen Eindruck von Farbe und Oberflächenstruktur der Skulptur zu vermitteln. In dieser engen Verbindung von Material der Skulptur und Material des Buches bildet die Monografie „Bernhard Heiliger“ ein singuläres Beispiel. Die Farbig64 | Die Beschriftung im Abbildungsteil ist jedoch ausgesprochen genau, so dass der Leser die Materialität der fotografierten Werke nachvollziehen kann.

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keit von Papier bestimmt jedoch auch bei anderen Publikationen unterschwellig den Eindruck von Materialität der Skulpturen mit.65

3.4.3 Abstraktion durch Detailaufnahmen Auch die Detailaufnahmen des Buches „Bernhard Heiliger“ von Hanns Theodor Flemming heben sich in ihrer Wirkung stark von den Konventionen der sachlichen Skulpturfotografie ab. Eine Reihe von Porträtköpfen macht besonders deutlich, welches Spannungsfeld in Heiligers Werk angelegt ist und wie es durch die Abbildungen hervorgehoben wird. Die Gattung des Porträts erfordert Ähnlichkeit zu der abgebildeten Person, während die Abstraktion und die Beschäftigung mit formalen bildhauerischen Fragestellungen dieser Ähnlichkeit vordergründig entgegen zu stehen scheinen. Eine genaue Auslotung zwischen der Gestaltungsfreiheit des Bildhauers und der Wiedererkennbarkeit der Person zeichnet die Porträtköpfe Heiligers aus. Die Abbildungen der Werke sind als Bildfolge mit wechselnden Ansichtsseiten, isolierten Formen, Anschnitten und Detailaufnahmen angelegt. Der Kopf „Ernst Schröder“ von 1955 wird sowohl als Gesamtansicht in frontaler Ausrichtung als auch in einer Detailaufnahme gezeigt. Die beiden Aufnahmen desselben Werks werden im Buch jedoch nicht direkt hintereinander aufgeführt, so dass der Zusammenhang der Abbildungen für den Betrachter nicht unmittelbar deutlich wird. Während Detailaufnahmen meistens einen genauen Blick auf die Oberfläche einer bereits in der Gesamtansicht gesehenen Stelle des Werks ermöglichen, erscheint die Detailaufnahme hier als eigenständiges Bild (Abb.44). Die Abbildung weist sowohl einen hohen Abstraktionsgrad als auch erkennbar figürliche Bildelemente auf. Der Bildausschnitt zeigt die Nase, den Mund und ein Auge der Plastik in einer Ansicht von links vorne. Die Aufnahme bietet mit diesen Elementen das Minimum an figürlichen Anhaltspunkten, um ein Gesicht erkennbar werden zu lassen. Der Porträtkopf ist in seiner tatsächlichen Größe 30 Zentimeter hoch. Das Buch zeigt einen Ausschnitt, der weniger als die Hälfte der Höhe der Plastik ausmacht, der aber die gesamte Buchseite von 28 Zentimetern einnimmt. Die Abbildung bietet somit nicht den realen Anblick der Plastik, sondern eine Nahsicht in doppelter Größe, die jedes Detail hervorheben müsste. Doch ein starker Kontrast verhindert diese Wirkung und lässt die vielen unterschiedlich großen, durch Luftblasen entstandenen Vertiefungen in der Oberfläche des Zementgusses wie schwarze Flächen erscheinen. Die Reproduktion ist übersät von schwarzen Flecken, Sprenkeln und Schlieren, die an abstrakte Malerei erinnern. Die Detailaufnahme von Heiligers Werk betont „Materialfehler“ – Löcher, Risse, Kratzer, 65 | Besonders zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden viele Bücher auf leicht gelblichem Papier mit Sepiafarbe bedruckt. Die Brauntöne wirken wärmer und malerischer als Graustufendrucke auf weißem Papier.

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Abbildung 44 | Bernhard Heiliger: Ernst Schröder, Bronze (Foto nach Zement), 1955. Fotograf: Ewald Gnilka, o. J., in: Flemming 1965, S. 186.

Materialität

Reste der Gussform – die zum Ausdruck der Plastiken beitragen. Durch die Wahl des Ausschnitts ist die Außenform der Skulptur nicht sichtbar und die hellen und dunklen Oberflächen verteilen sich über das gesamte Bild. Dadurch wird verdeutlicht, dass es in Heiligers Werk nicht um Illusion oder Imitation geht. Das Material wird unkenntlich und erhält ein bildhaftes Aussehen, das die Bildhauerei der zeitgenössischen Malerei angleichen soll. Die Fotografie erinnert mit ihren Sprenkeln, ihren harten Kontrasten und ihrer Kompositionsform an das All-over in den Gemälden von Jackson Pollock, an die dynamisch aufgeladenen schwarz-weiß-Gemälde von K. R. H. Sonderborg oder die schnellen, abstrakten Tuschezeichungen von K. O. Götz, selbst wenn die Fotografie den Bewegungsmoment der Malerei nicht aufgreifen kann. Die Abbildung macht sich die Kompositionsprinzipien der abstrakten Malerei zunutze, um deren vermeintlichen Vorsprung aufzuholen. Eine derartig abstrakte Fotografie unterstützt den Ansatz, Heiligers neuartige Form des Porträts zu betonen und als zeitgemäße Position anzuerkennen.

3.4.4 Entmaterialisierung Mit der Erweiterung des Materialrepertoires um vorgefertigte Industriematerialien wurden im 20. Jahrhundert die Möglichkeiten der Bildhauerei erweitert und Konventionen aufgelöst, so dass neue Formen von Skulpturen entstanden. In der Nachkriegszeit lösten Bildhauer wie Norbert Kricke und Hans Uhlmann die traditionell der Bildhauerei zugeordneten Eigenschaften Volumen und Plastizität durch eine radikale Reduktion der Materialität auf. Unter dem Begriff Entmaterialisierung fasste Carola Giedion-Welcker bereits 1955 die progressiven Ansätze der zeitgenössischen Bildhauerei zusammen, die in unterschiedlicher Gestalt zu einer „Entwertung der statischen Kompaktheit“ führten.66 Der Begriff wurde von da an häufig auf Bildhauerei angewendet, die dem Gedanken der geschlossenen Form und der Plastizität entgegenstand. Als zentraler Begriff wurde Entmaterialisierung auch bei der Beschreibung von Norbert Krickes Werk verwendet.67 Der Bildhauer entwickelte aus Stahldrähten und -stangen raumgreifende Plastiken, indem er in viele Richtungen gebogene Stäbe in den Raum ragen ließ. Da das von Kricke verwendete Material gleichmäßig dick und glatt ist, fehlt der Eindruck eines voluminösen Körpers der Skulptur. Der Betrachter kann innerhalb der Stahldrähte keine Räumlichkeit festmachen und nimmt das Material als Linien im Raum wahr. Dies ist entscheidend für die Lenkung des Blicks, denn der Betrachter fährt mit dem Auge an dem Materialstrang entlang, ohne unterbrochen zu werden. Die dadurch erfahrenen Richtungen, Längen und Kurven des Materials lassen den Betrachter den Raum erfassen, 66 | Giedion-Welcker, Carola: Plastik des XX. Jahrhunderts. Volumen- und Raumgestaltung. Stuttgart 1955, S. 24. 67 | Vgl. Trier, 1963, S. 15.

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ohne dass körperhafte Volumen sichtbar sind. Gerade der Eindruck des Materials, die Zwischenräume und die Gleichförmigkeit des Materialvolumens führen dazu, dass die Wirkung der Plastiken von paradoxen Materialeigenschaften geprägt ist, die Fläche und Raum, Plastizität und Linie zugleich betonen wie negieren. Gottfried Boehm beschreibt Krickes Plastiken folgendermaßen: „Obwohl materiell gefertigt, sind sie doch imstande, dieser Materialität und ihrer Konstruktion abzuschwören.“68 Der Bildhauer selbst bewertet es als „nebensächlich, vom Material zu sprechen.“69 Er macht darauf aufmerksam, dass seine Werke eine eigene Wirklichkeit erzeugen: „In unserer materiellen Hochflut fällt es uns schwer, neben Materie noch etwas anderes zu sehen. Das läßt viele die physikalische Wirklichkeit mit der künstlerischen, spirituellen verwechseln.“70 Wird bei der Reproduktion von Krickes Werk diese künstlerische Wirkung nicht unterstützt, kann es passieren, dass ein wenig eindrucksvolles Bündel Drähte abgebildet wird. Krickes Plastiken können jedoch ebenso gut in ihrer bildhauerischen Konzeption vermittelt werden, wenn die Reduktion des Materials fotografisch betont wird. In Eduard Triers Monografie „Norbert Kricke“ von 1963 wird die Abwesenheit von Material unter anderem bei der Abbildung des Werks „Grüne Kurve“ von 1952 deutlich gemacht (Abb.45). Die 20 Zentimeter große Plastik steht vor einem schwarzen Grund auf einer grauen Fläche, die in der rechten Bildhälfte spitz zuläuft. Die „Grüne Kurve“ erhebt sich von einem kleinen, würfelförmigen Sockel. Sie besteht aus einem einzigen Draht, der zunächst senkrecht aufragt, sich dann nach links in kleinen Kurven kräuselt und anschließend nach rechts oben in größeren Bögen und Schlingen aufsteigt. Der Draht ist in der Fotografie als weiße Linie sichtbar, die nur an manchen Stellen in Grauabstufungen aufgefächert ist und daher nur wenig dreidimensionale Wirkung erzeugt. An mehreren Stellen verschwindet die Plastik vollständig im Schwarz des Hintergrundes, denn es wird nur eine einzige Lichtquelle verwendet, die ausschließlich die nach vorne gerichteten Drahtstücke beleuchtet. Die nach hinten ragenden Teile der Plastik werden vom Licht nicht erfasst und lösen sich im Dunkel des Hintergrundes auf. Dies bewirkt, dass die Plastik nicht an allen Stellen vorhanden zu sein scheint. Das Material der Plastik wirkt wie etwas Bewegtes, Flüchtiges, das verschwindet und wieder auftaucht. Obwohl der Betrachter den Zusammenhang des Drahtes aus den hellen Linien ableiten kann, bleibt ein Teil der Form in der fotografischen Reproduktion unsichtbar. Die Materialeigenschaften, zu denen unter anderem die grüne Lackierung und das Material des Sockels gehören, werden in der Abbildung nicht aufgegriffen. Trier bewertet die Farbe in Krickes Werk unter anderem als ein zusätzliches Mittel der Entmaterialisierung: 68 | Boehm, Gottfried: In die Luft geschrieben. Zu Norbert Krickes Große Raumplastik Hatje, 1969, in: Kricke/Kricke-Güse,/von Wiese (Hrsg.), 2006, S.12. 69 | Hatje, Gerd (Hrsg.), 1984, S. 20. 70 | Ebenda, S. 10.

Materialität „Bei Krickes polychromen Plastiken sind die Farben jedoch keine malerischen Valeurs und sie haben auch keine dekorative Funktion. Sie dienen ausschließlich der Differenzierung von Bewegungs- und Raumqualitäten, in zweiter Linie auch der Entmaterialisierung, weil sie den Materialcharakter des blinkenden Metalls unterdrücken.“71

Krickes Plastiken besitzen häufig in der fotografischen Wiedergabe die Wirkung einer zweidimensionalen Linie. Durch starke Kontraste in der Fotografie wird die Materialität zusätzlich reduziert. Die glatten Stäbe bieten außerdem keinen Anlass, mit Detailaufnahmen oder besonderer Ausleuchtung auf die Oberflächen und

Abbildung 45 | Norbert Kricke: Grüne Kurve, Stahl, gestrichen, 1952. Fotograf: Ruth Baehnisch, o. J., in: Trier 1955, S. 37 sowie Morschel 1976, S.40. 71 | Trier, 1963, S. 15.

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Materialeigenheiten hinzuweisen, zumal die gebogene Form, nicht aber das Material selbst vom Künstler gestaltet wurde. Besonders Schwarz-Weiß-Abbildungen der 1960er Jahre legen den Fokus auf die Form der Skulptur und nicht auf ihre materielle Beschaffenheit. Dabei spielt Materialität sehr wohl eine Rolle für Krickes Werk, denn zum einen sind es die Materialeigenschaften, die zur Formfindung führen und die das Erscheinungsbild der Plastiken entscheidend prägen, zum anderen setzte Kricke in der Wahl seiner Sockel sehr differenzierte Materialien ein, um die Plastiken zu kontrastieren. Der Eindruck von Materialnegation wird also vom Material erzeugt – ein Paradox, das sich in die Prinzipien von Krickes Werk schlüssig einreiht. Die fotografische Betonung von Entmaterialisierung ist ein zeitspezifisches Phänomen der 1950er bis 1960er Jahre, das darauf beruht, die fortschrittlichen Aspekte der Plastiken besonders hervorzuheben. In den 1960er Jahren wurde die Tatsache, dass auch Krickes Werk konventionelle Aspekte wie Sockel, Standfläche und Material beinhaltet, weniger betont als sein Bruch mit den Traditionen. Die Perspektive auf eine Entmaterialisierung in Krickes Werk hat sich heute insofern verschoben, als dass in der Nachfolge sehr viel radikalere Materialnegierungen folgten. Krickes Werk wird in aktuellen Katalogen auch farbig und unter Berücksichtigung der Sockel abgebildet. Doch ebenso werden alte Aufnahmen, die teils in den 1950er Jahren fotografiert wurden, erstaunlich häufig wieder verwendet.72 Diese Abbildungen verdeutlichen in ihrer bewussten fotografischen Gestaltung Krickes bildhauerische Konzeption so eindrücklich, dass sie zeitlos geworden sind.

3.5 Der Verlust der Farbe Die Erkennbarkeit von Materialität hängt eng mit der Farbigkeit von Oberflächen zusammen, die bis in die 1960er Jahre durch das Schwarz-Weiß der Fotografie nicht übermittelt wurde. Das Schwarz-Weiß bildete eine eigenständige Ästhetik, die aus verschiedenen Motivationen heraus nicht immer auf die genaue Sichtbarkeit der Materialien abzielte. Wie in den vorausgegangenen Kapiteln dargelegt, konnte eine Aufwertung des Materials durch Bezüge zur Antike oder zum menschlichen Körper sowie durch die Betonung von Abstraktion vom SchwarzWeiß der Fotografie unterstützt werden. Dabei gingen jedoch Informationen über die materiellen Eigenschaften der Skulptur verloren. Die Farbigkeit eines Werks gehört zu den wesentlichen gestalterischen Entscheidungen des Bildhauers, wobei die Eigenfarbe des Materials ebenso beachtenswert ist wie die Veränderung von Materialien durch Patinierung, Färbung oder Bemalung. Nachdem die Kunstgeschichte Farbigkeit von Skulpturen zunächst wenig beachtete, da die Einschät72 | Ein aussagekräftiges Beispiel für heutige und historische Aufnahmen von Krickes Werk ist der 2012 von Roland Scotti veröffentlichte Band „Norbert Kricke. Raum, Linie“.

Materialität

zung vorherrschte, Farbe sei vorwiegend ein malerisches Thema, veränderte sich diese Ansicht im 20. Jahrhundert parallel zur Entstehung gattungsübergreifender Werke. Die fotografische Technik verlangsamte diese Entwicklung jedoch, da die Schwarz-Weiß-Fotografie bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts weiterhin kostengünstiger und einfacher zu produzieren war als die Farbfotografie. Farbigkeit von Skulpturen wurde daher in Publikationen zu Bildhauerei nur selten visualisiert oder thematisiert. Die Auswirkungen der Schwarz-Weiß-Darstellung auf die Vorstellung des Betrachters sind größer, als es zunächst den Anschein macht. Besonders in der frühen Schwarz-Weiß-Fotografie lassen sich Farbwerte nicht immer aus den vorhandenen Grauwerten ableiten und bieten dadurch Raum für Fehlinterpretationen. Die von Ernst Ludwig Kirchner angefertigten Aufnahmen seiner bemalten Holzskulpturen machen dieses Problem der Fehleinschätzung besonders deutlich. Der Künstler bezeichnete den Einsatz von Farbe in der Bildhauerei als ein Mittel „zur Erhöhung und Hervorhebung der plastischen Idee“73 und setzte Farbe unabhängig vom dargestellten Gegenstand als Gestaltungsmittel ein. Die Verwendung der Farbe ist bei Kirchner nicht an naturalistische Vorgaben gebunden, so dass bei Schwarz-Weiß-Abbildungen nicht vom Motiv ausgehend auf die Farbe geschlossen werden kann. Die Fotografien, die Kirchner angefertigt hat, sind von großem Forschungsinteresse, da sie für die Kunstgeschichte teilweise das einzige Zeugnis über die Werke sind, denn viele Skulpturen sind verschwunden oder zerstört. Wolfgang Henze weist darauf hin, dass jedoch technische Grenzen der Fotografie den Eindruck der Skulpturen beeinflussen: „Kirchner [fertigte] ausschliesslich schwarz-weisse Fotografien von seinen Plastiken an, so dass wir uns bezüglich der farbigen Fassungen auf eine Interpretation der Hell-Dunkel-Werte verlassen müssen, die bei den für Rotlicht unempfindlichen Negativplatten, welche Kirchner verwandte, allerdings bisweilen nicht zuverlässig sind.“74

Die Auswirkungen der für Rotlicht unempfindlichen Negativplatten lassen sich an einer Fotografie der Skulpturengruppe „Kind und Mutter“ von 1924 nachvollziehen. Da diese Skulptur erhalten geblieben ist, können die Aufnahmen Kirchners mit heutigen Farbfotografien desselben Werks verglichen werden (Abb. 46a-c). In der historischen Fotografie von „Kind und Mutter“ fallen besonders fehlende Differenzen in der Dunkelheit der Grauwerte auf, denn sowohl die Haare der Figuren als auch die Gegenstände, die das Kind in der Hand hält, erscheinen gleichermaßen dunkel. Auf der Farbabbildung wird deutlich, dass einzig die Gegenstände in der Hand des Kindes schwarz sind. Die Haare der beiden 73 | Henze, Wolfgang: Die Plastik Ernst Ludwig Kirchners. Monographie mit Werkverzeichnis, Wichtrach/Bern 2002, S. 30. 74 | Ebenda, S. 63.

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Abbildung 46a | Ernst Ludwig Kirchner: Kind und Mutter, Arvenholz, bemalt, 1924. Fotograf: Ernst Ludwig Kirchner, o. J., in: Henze 2002, S. 32.

Figuren erscheinen in rötlichem Braun wesentlich heller. Auch helle Farben lassen sich aus der Schwarz-Weiß-Fotografie nur unzureichend ableiten. Wird die Schwarz-Weiß-Fotografie zum Ausgangspunkt genommen, kann kaum erkannt werden, ob die Hautfarbe des Kindes weiß, hellgelb, hellrosa oder unbemalt ist. Die Schwarz-Weiß-Fotografie bedeutet also nicht nur den offensichtlichen Verlust der Farbe, sondern sie kann das Material auch in veränderter Helligkeit erscheinen lassen. Diese Abweichung kann durch technische Mängel ausgelöst worden sein, konnte aber auch vom Fotografen gezielt eingesetzt werden, um eine bestimmte Bildwirkung zu erreichen. Dazu wurden Farbfilter vor das ­Objektiv gesetzt, die die Helligkeit der Grauwerte einer Schwarz-Weiß-Fotografie verändern. Ohne farbige Vergleichsabbildungen oder die Ansicht des Originals kann der Betrachter deshalb keine eindeutigen Schlüsse aus den Grauwerten einer schwarz-weißen Abbildung ziehen. Die Dunkelheit oder Helligkeit des Materials wird jedoch meistens als faktischer Wert wahrgenommen und prägt somit die Vorstellung des Betrachters. Die Möglichkeit der falsch wiedergegebenen Materialhelligkeit wird in der Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht reflektiert und ist vermutlich kaum ins Bewusstsein der Kunstrezipienten eingedrungen.

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Abbildung 46b | Ernst Ludwig Kirchner: Kind und Mutter, Arvenholz, bemalt, 1924. Fotograf: unbekannt, o. J., in: Henze 2002, S. 243. Abbildung 46c | entspricht 46b, umgewandelt in Grauwerte (d. Verf.). Auch für Farbabbildungen blieb das Problem einer korrekten Wiedergabe vorerst bestehen. Nicht jeder Künstler freute sich darüber so sehr wie Pablo Picasso im Gespräch mit dem Fotografen Brassaï über die Reproduktionen seiner frühen Skulpturen: „Sie sind wirklich unter aller Kritik! So grundverschieden von der Wirklichkeit, daß es interessant wird… Sie geben oft schwarz wieder, was bei mir weiß war… Und erst die farbigen Reproduktionen! Manchmal geben diese, von meinen eigenen völlig verschiedenen, fremden Farbtöne mir einen Schock… Es ist mir vorgekommen – und das ist eine seltsame Geschichte – daß die scheußlichsten Reproduktionen, bei denen alles falsch ist, die nichts mehr von meiner Malerei erkennen lassen, daß mich diese Reproduktionen begeistern. Tatsächlich! Gibt dieser Überraschungseffekt nicht zu denken? Es kommt mir vor, als stünde ich vor einer neuen Version, einer Interpretation oder gar einer Nachschöpfung meines Werkes… In einer tadellosen Reproduktion finde ich meine eigene Arbeit, eine schlechte Wiedergabe bringt mich dagegen auf neue Ideen, zeigt mir manchmal sogar neue Wege…“75

75 | Brassaï, 1966, S. 143. Die Satzzeichen wurden aus dem Originaltext übernommen.

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Abbildung 47 | Germaine Richier: La Toupie, Blei, Bemalung von Hans Hartung, 1953. Fotograf: Wolfgang Salchow, in: Trier 1960, Abb. 120.

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Abbildung 48 | Alexander Calder: Kleines Mobile aus sieben Elementen, Stahl, 1958. Fotograf: unbekannt, o. J., in: Trier 1960, Abb. 20. Abbildung 49 | Marino Marini: Tänzerin, polychromierte Bronze, 1949-58. Fotograf: Wolfgang Salchow, o. J., in: Trier 1960, Abb. 59. Die abweichenden Farbwerte kamen vor allem durch technische Probleme zustande. Obwohl Versuche mit Farbfotografie bereits im 19. Jahrhundert ihre ersten Erfolge hatten, wurden Farbabbildungen in Übersichtsbänden zur Bildhauerei erst in den 1960er Jahren eingesetzt.76 Der Kunsthistoriker Eduard Trier legte großen Wert auf die von ihm verwendeten Abbildungen, und so überrascht es nicht, dass er als einer der ersten Herausgeber auch die Farbe der Plastik in dem 1960 erschienenen Band „Figur und Raum“ berücksichtigte. Dass dieses Anliegen jedoch in erster Linie von Kosten und Aufwand gebremst wurde, macht die geringe Anzahl 76 | Sowohl Nièpce als auch Daguerre versuchten Ende der 1820er Jahre, farbige Fotografien zu erzeugen. Die Fixierung der Farben blieb jedoch erfolglos. 1850 behauptete Levi L. Hill in New York, auf Daguerrotypieplatten Farben fixieren zu können. Seine Ergebnisse waren jedoch nicht wiederholbar, wahrscheinlich beruhten sie auf einer zufälligen Chemikalienmischung. 1891 konnte Gabriel Lippmann, Professor für Physik an der Universität Paris-Sorbonne, die ersten Farbaufnahmen mit einem Interferenzverfahren herstellen. Die Methode konnte sich jedoch aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nicht durchsetzen. Der britische Physiker James Clerk Maxwell erreichte 1861 die ersten fotografischen Ergebnisse mit additiver Farbmischung von Licht, die sich als Grundprinzip für die Farbfotografie durchsetzte. Parallel dazu experimentierten verschiedene andere Wissenschaftler in Europa mit ähnlichen Verfahren. Der erste Dreischichtenfarbfilm wurde 1935 von Kodak vorgestellt und 1936 von Agfa auf den Markt gebracht. Vgl. Newhall, 1984, S. 277ff. Zu den Versuchen Maxwells vgl. Kellerbauer, Albarn: Interferentielle Fotografie. Farbbilder aus gefrorenem Licht, in: Physik unserer Zeit 1/2010, S. 16-22.

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von drei im gesamten Band vorhandenen Farbabbildungen deutlich. Es handelt sich um die Werke „La Toupie“ von Germaine Richier (Abb.47), „Kleines Mobile aus sieben Elementen“ von Alexander Calder (Abb.48) sowie „Tänzerin“ von Marino Marini (Abb.49). Zwei der Werke wurden auf separaten Blättern gedruckt und in das Buch hineingeklebt, eines wurde in den Abbildungsteil eingefügt. Bei den für die Farbabbildung ausgewählten Skulpturen handelt es sich jeweils um farbig gefasste Werke. Die Bemalung einer Skulptur scheint dringender nach farbiger Reproduktion zu verlangen als die Eigenfarbe eines Materials. Zwei der Aufnahmen (Marino Marini und Germaine Richier) wurden von Trier bereits im documenta-Katalog von 1959 als Farbabbildung gezeigt und wurden möglicherweise auch aufgrund ihrer Verfügbarkeit eingesetzt. Das Bedürfnis, Farbabbildungen auch für die Bildhauerei zu etablieren, hängt mit der zunehmenden Verschmelzung der Gattungsgrenzen zusammen. Das abgebildete Werk Germaine Richiers verdeutlicht dies, da es sich um eine Figur handelt, die vor einem von Hans Hartung bemalten Hintergrund positioniert ist. Malerei und Skulptur sind bei diesem Werk nicht mehr voneinander zu trennen und können daher nicht mehr ausschließlich auf die Eigenschaften Form im Gegensatz zu Farbe reduziert werden. Vielen Kritikpunkten an der Skulpturfotografie, wie der Isolation der Skulptur, kann mit der Farbfotografie entgegengewirkt werden. Doch es wäre verkürzt dargestellt, wenn die Entwicklung hin zur Farbfotografie allein mit dem technischem Fortschritt begründet würde. Das Schwarz-Weiß wurde lange Zeit der Skulpturfotografie zugeordnet, um die Form der Werke zu betonen. So bot diese Darstellung der Skulpturfotografie Vorteile und eine eigenständige Ästhetik, die erst mit der Aufhebung der Grenzen zwischen den Kunstgattungen als nachteilig empfunden wurde. 1966 erscheint in Deutschland das zwei Jahre zuvor in England veröffentlichte Buch „Geschichte der modernen Plastik“ von Herbert Read mit 49 Farbtafeln. 291 Schwarz-Weiß-Abbildungen bilden den größten Anteil der Reproduktionen, doch die Farbabbildungen fügen sich bereits in ein einheitlich gestaltetes Layout von Text und schwarz-weißen Abbildungen ein. Es werden sowohl farbig gefasste Werke als auch Werke, die in ihrer Materialeigenfarbe belassen sind, farbig reproduziert. Die Farbabbildung wird mit Erweiterung der technischen Möglichkeiten auch für die Bildhauerei immer selbstverständlicher, so dass die Darstellungskonvention Weiß auf Schwarz fast vollständig verschwindet und nach und nach von Farbabbildungen ersetzt wird. Statt des schwarzen Hintergrundes wird nun der helle Grund bevorzugt, vor dem sich jede Farbe außer Weiß abhebt. Diese Entwicklung in der Fotografie ist verbunden mit der Ausstellungspraxis, denn seit den 1920er Jahren wird zeitgenössische Kunst bevorzugt vor weißen Wänden gezeigt. Der white cube ist zum Inbegriff des modernen Museums geworden und die Reproduktionen von Skulptur spiegeln dies seit den 1970er Jahren verstärkt wider.

Materialität

3.6 Zwischenresümee Der Kritik an dem durch die Fotografie verursachten Verlust von Materialität ist entgegenzusetzen, dass die Sichtbarkeit des Materials nicht immer ein Ziel der Abbildung sein muss. Die Relevanz von Materialität für die Skulpturfotografie ist abhängig von der wissenschaftlichen Bewertung oder der gestalterischen Motivation der Buchproduzenten. Texte und Bilder lenken die Aufmerksamkeit des Rezipienten und bestimmen, welchen Stellenwert das Material in der jeweiligen Betrachtung einnimmt. Das fotografische Mittel zur Darstellung von Materialität ist in erster Linie die Detailgenauigkeit, die durch eine möglichst hohe Qualität in Druck und Papier sowie durch die Ausleuchtung des Werks erreicht werden kann. Materialeigenschaften wurden bei der sachlichen Skulpturabbildung möglichst präzise abgebildet. Die serielle Gleichmachung der Bilder brachte es jedoch mit sich, dass Besonderheiten eines Werks nicht hervorgehoben wurden. Dem standen Abbildungen entgegen, die Materialität durch Detailabbildungen betonten oder im Gegenteil bewusst mit der Verwechselbarkeit von Materialien arbeiteten. In den 1960er Jahren brachte die zunehmende Abstraktion eine größere Freiheit der Darstellung mit sich, denn die veränderten Skulpturkonzepte führten zu neuen Bildformen der Reproduktion. Der kompositionelle Aufbau blieb häufig unverändert, doch extreme Kontrastierungen und Detailvergrößerungen steigerten die Abstraktion der Werke und verfremdeten das Material der Skulptur bis hin zu einer eigenständigen Materialwirkung in der Abbildung.

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4 Im Hintergrund der Skulptur – von Isolation bis Standortbezug

Durch die Fotografie einer Skulptur entsteht immer ein bildmäßiger Ausschnitt. Dieser Ausschnitt zeigt Dinge, die jenseits der Skulptur liegen und manchmal, aber nicht immer einen relevanten Kontext für die Skulptur bilden. Der Fotograf Karl von Schintling beschreibt 1928 dieses Problem in der Zeitschrift „Photographische Rundschau“, das besonders bei der Fotografie von Skulpturen im Außenraum entstehen kann: „Da zeigt meine Aufnahme auf einmal mit ganz gleicher Schärfe Häuserfassaden und anderes um die Monumentalfigur herum, womöglich drängen sich auf dem Bild sogar Firmenschilder und anderes dem Blick unangenehm auf, lauter Dinge, die ich an Ort und Stelle gar nicht gesehen hatte, und in dem Wust von nicht zur Sache gehörenden Nebendingen geht das plastische Werk völlig verloren, mindestens hebt sich die Außensilhouette nicht mehr mit wünschenswerter Deutlichkeit ab. Derartige sinnlose, naturwidrige Abbildungen sind wertlos.“1

Anschließend fordert er: „Nur die unmittelbare Umgebung, sofern sie mit dem Figürlichen eine künstlerische Einheit bildet, gehört mit zur Abbildung.“2 Diese Forderung – so nachvollziehbar sie ist – wirft mehr Fragen auf als sie Antworten gibt, denn wie lässt sich im Einzelfall entscheiden, wo die unmittelbare Umgebung einer Skulptur aufhört und ob sie eine künstlerische Einheit mit dem Objekt bildet? Und so wie von Schintling zu viele Dinge um die Skulptur herum auf seinem Bild bemerkt, so können auch zu wenige Informationen übermittelt werden. Aus diesem Grund kritisiert Adolf Behne 1942 die Ausschnitthaftigkeit der Fotografie: „Aber unsere Fotografen erliegen so leicht einer noch bedenklicheren Inkorrektheit: der Zerstörung des Zusammenhanges, dem zu engen Ausschnitt, dem Kult des Details, überhaupt der Blickverengung und -vereinzelung.“3 1 | Schintling, 1928, S. 12. 2 | Ebenda, S. 13. 3 | Behne, Adolf: Das Problem der Sichtbarkeit, in: Das Werk 29/1942, S. 146.

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Ein Bild von Skulptur

Es benötigt eine gewisse Expertise, um bewerten zu können, welcher räumliche Kontext für eine Skulptur relevant ist. Heinrich L. Nickel hält 1959 fest: „Die Wahl des geeigneten Hintergrundes ist wieder von kunstwissenschaftlichen Überlegungen abhängig.“4 Um die Bildgrenze einer Skulpturfotografie festlegen zu können, muss also zunächst für jedes einzelne Werk die Relevanz des Standortes unter Berücksichtigung kunsthistorischer Forschungsergebnisse bestimmt werden. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, dass der Fotograf seine persönliche Zielsetzung bei der Skulpturfotografie verfolgt und ästhetische Vor- und Nachteile bei der Aufnahme bedenkt. Auch äußere Bedingungen können auf die Entscheidungsfreiheit des Fotografen einwirken: Die meisten Skulpturen im Außenraum sind an ihrem Standort verankert und können nur an diesem Platz aufgenommen werden. Perspektive und Ansichtsseite lassen sich häufig nicht frei wählen, sondern sind abhängig von den Möglichkeiten des Ortes. Die Wahl des Bildhintergrundes ist eine wichtige Entscheidung in der Skulpturfotografie, da sich durch sie ein Kontext für die Skulptur bildet. Im folgenden Kapitel wird ausgeführt, wie sich der Bildhintergrund auf die Wirkung und Bedeutung der abgebildeten Skulptur auswirkt und welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten die Gestaltungsweisen mit sich bringen.

4.1 Vollständige Isolation durch monochrome H intergründe Ein großer Teil der Skulpturfotografie stellt Kunstwerke als isolierte Objekte dar. Der Hintergrund wurde retuschiert oder von einer monochromen Leinwand gebildet, so dass außer der Skulptur keine weiteren Gegenstände sichtbar werden. Die Standfläche wurde nicht von der Hintergrundfläche unterschieden, so dass der räumliche Zusammenhang vollständig aufgelöst wurde (Abb. 50). Durch die Aufhebung der Standfläche scheinen die Figuren zu schweben, da die schwarze Fläche als räumliches ‚Nichts‘ empfunden wird. Der Fotograf Albert Renger-Patzsch erläutert 1925 die Praxis dieses Verfahrens: „Aus technischen und künstlerischen Gründen muss man regelmäßig für helle Figuren wie Gips, Ton, Marmor, Porzellan, Silber usw. einen dunklen Hintergrund haben; für dunkle Objekte, wie Bronzen, gefärbten Gips, oder Ton, dunklen Stein usw. braucht man dagegen einen hellen Grund. Die Plastik muss sich in den meisten Fällen vollkommen vom Hintergrund loslösen.“5

4 | Nickel, 1959, S. 34. 5 | Renger-Patzsch, 1925/2009, S. 38.

Im Hintergrund der Skulptur

Abbildung 50 | Ernst Barlach: Der Rächer, Holz, 1923. Fotograf: unbekannt, o. J., in: von Walter 1930, S. 25. Bis in die 1930er Jahre hinein lauteten die Ratschläge an die Fotografen recht einhellig: „Als Hintergrund, der die Aufgabe hat, die Plastik möglichst stark hervortreten zu lassen, dient am besten ein einfarbiges Tuch, das den Farbwerten des Vorwurfs entspricht und möglichst glatt gespannt werden soll.“6 Das Tuch im Hintergrund der Plastik sollte nicht anhand von Faltenwürfen sichtbar werden. „Der Hintergrund als solcher tritt beim Bilde am besten gar nicht in Erscheinung, er soll wie Luft empfunden werden, nicht wie feste Materie.“7 Karl von Schintling erläuterte, wie dieses Ergebnis erzielt werden konnte: „Man lasse sich die Mühe nicht gereuen, statt alles mögliche, störende Beiwerk mit in Kauf zu nehmen, durch Helfer, wenn irgend tunlich, ein, je nach dem vorliegenden Fall helles oder dunkles Tuch hinter der Figur hinundher bewegen zu lassen, um so das Abbild vor ruhigem, neutralen Hintergrund zu bekommen [...]. Vom richtig gewählten Hintergrund hängt ja, wie wir gesehen haben, der künstlerische Eindruck ganz wesentlich ab.“8

6 | Zantner-Busch, Richard: Die Aufnahme alter Skulpturen, in: Agfa-Photoblätter 3/1926-27, S. 278. 7 | Renger-Patzsch 1925/2009, S. 38. 8 | Von Schintling 1928, S. 36.

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Ein Bild von Skulptur

Durch lange Belichtungszeiten wurde das bewegte Tuch regelrecht immateriell und erschien somit als undefinierter Raum hinter der Skulptur. Die Ursachen für die Bevorzugung einer Isolation der Skulptur sind unter anderem in der angestrebten Sachlichkeit der Objektfotografie zu sehen. Als Zeichen von Wissenschaftlichkeit wurden Kunstwerke zum alleinigen Bildmotiv erhoben und durch standardisierte Aufnahmebedingungen (scheinbar) vergleichbar gemacht. Gestützt wurde die isolierte Darstellung durch die einflussreichen Schriften von Heinrich Wölfflin und Adolf von Hildebrand, die eine Betonung der Hauptansichten und Silhouetten der Skulpturen proklamierten.9 Die fotografische Gestaltung und die Forderungen einflussreicher Kunstwissenschaftler korrelierten in diesem Fall miteinander: „Ist der Umriß als wesentliches, künstlerisches Wirkungsmittel mit ausgeprägt kompositionellen Absichten geformt, so muß ihn die Flächenreproduktion auch als eine der Hauptsachen herausarbeiten, sie muß seine Funktion aufzeigen. Das geschieht dadurch, daß man die Figur oder die Gruppe vor einen Hintergrund stellt, der stark mit den Tonwerten der Plastik kontrastiert, und der ganz neutral und ruhig wirkt, sodaß sich die Silhouette unbeeinträchtigt, scharf und deutlich von ihm abhebt.“10

Der monochrome Hintergrund bildet einen Standard der Skulpturfotografie, der vorwiegend in Studioaufnahmen umgesetzt wurde. Der Wunsch nach Objektivität, Einheitlichkeit und guter Erkennbarkeit sowie praktische Vorteile führten dazu, dass der einfarbige Hintergrund sehr häufig eingesetzt wurde, um der Skulptur die größtmögliche Präsenz zu verleihen.

9 | Vgl. Wölfflin, in: Billetter, S. 409ff. und Hildebrand, Adolf: Das Problem der Form in der bildenden Kunst, Paderborn 1913/2013, S. 11. 10 | Von Schintling, 1928, S. 12.

Im Hintergrund der Skulptur

4.2 K ritik an der O rtlosigkeit In den frühen 1940er Jahren begannen verschiedene Kunsthistoriker, die isolierte Darstellung von Kunstwerken zu kritisieren.11 Mit der Begründung, dass die fotografische Isolation das Kunstwerk aus seinem Kontext reiße, wurden die Bildhintergründe der Skulpturaufnahmen vermehrt beachtet. Das Bewusstsein über Standortbezüge beschränkte sich auf Skulpturen, die in direkter Verbindung zur Architektur standen, insbesondere auf antike, mittelalterliche und barocke Kunstwerke.12 Ernst Murbach erklärte: „Für den Kunsthistoriker steht fest, daß die gotische Figur in der Regel nicht nur einen isolierte Statue war, sondern in den Zusammenhang eines ganzen Altares gehörte.“13 Den Fotografen wurde daher von einer Isolation der Skulptur abgeraten: „Man versuche auch nicht, etwa durch Spannen von Tüchern o. dgl. den Hintergrund zu bearbeiten, denn derartige Manipulationen gehen doch immer auf Kosten der künstlerischen Qualität der Bilder.“14 Der Wandel im Bewusstsein über Standortbezüge einer Skulptur ging mit einer Suche nach Ursprünglichkeit einher. Ernst Langlotz forderte, „[g]riechische Statuen so aufzunehmen, wie Griechen sie gesehen haben“15. Ernst Murbach traute dem „Gegenwartsmensch[en]“ kein Urteil zu, da ihm „das Gefühl für die richtige Aufstellung des Beschauers gegenüber der plastischen Figur fehlt“.16 Deswegen regte er an, mittelalterliche Skulpturen so abzubilden, „wie es der mittelalterliche Mensch gesehen hat, der ja auch für uns immer irgendwie als Maßstab gelten muß“.17 Der Standort einer Skulptur wurde zum Anhaltspunkt genommen, um die ursprüngliche Betrachtungsweise abzuleiten. Mit diesem Ansatz erhoffte man, 11 |  Große Beachtung fand der 1939 veröffentlichte Bildband „Die archaischen Marmorbildwerke der Akropolis“ von Hans Schrader. Die Abbildungen des Buches zeigen Ausgrabungsstücke der Akropolis als Freiluftaufnahmen, die vor Ort in Athen aufgenommen wurden. Der Fotograf Hermann Wagner arbeitete dazu eng mit dem Kunsthistoriker Ernst Langlotz zusammen. Die Veröffentlichung regte die Auseinandersetzung um eine Berücksichtigung des Skulpturenstandortes in der Fotografie an. Hauptargument für die Fotografie vor Ort war die Suche nach einer ursprünglichen Betrachtungsweise. Es wird dabei jedoch außer Acht gelassen, wie die Akropolis selbst sich als Ort innerhalb von mehr als 2000 Jahren verändert hat und inwieweit sie in einem Zustand von 1939 überhaupt dem ursprünglichen Standort gleicht. Die Aufnahmen sind stark inszeniert und teils ideologisch beeinflusst, denn Autor und Fotograf folgten einem zeittypischen Idealbild der griechischen Antike. Indem sie versuchten, die Antike nachzuempfinden, entstanden Bilder, die von einer verklärten Rückschau der 1920er und 1930er Jahre auf die Antike zeugen. 12 | Vgl. Klamm 2011, S. 137ff. 13 | Murbach, 1946, S. 26. 14 | Schwarz, 1942, S. 8. 15 | Langlotz, 1979, S. 4. 16 | Murbach, 1946, S. 19. 17 | Ebenda, S. 27.

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auch andere gestalterische Entscheidungen der Skulpturfotografie legitimieren zu können. Ernst Murbach bemerkte: „So kann auf Grund des originalen Standortes ein Kunstwerk in seiner ganzen äußeren Bedingtheit festgehalten werden, und zwar nicht nur in bezug auf das Licht, sondern auch des Aufstellungsortes, der für den Photographen wichtig sein muß.“18 Die Argumentationen der Wissenschaftler folgten einer klaren Logik: War das Werk ursprünglich in hellem Sonnenlicht präsentiert und nur von unten zu sehen, sollte es auch in dieser Weise fotografiert werden. War es ursprünglich in einem dunklen Kirchenraum und in die Architektur gebunden, sollten diese Faktoren in der Abbildung berücksichtigt werden. Der Standort einer Skulptur wurde dadurch zum Ausgangspunkt für die fotografischen Entscheidungen, die Wahl der Perspektive und der Ansichtsseite eingeschlossen. Moderne Hilfsmittel wie die künstliche Beleuchtung wurden folgerichtig abgelehnt. „Abwegig wäre es, durch Effekte in der Beleuchtung etwas Eigenes tun zu wollen. Wenn wir bei derartigen Aufgaben schon zu Kunstlicht greifen, dann nur zur Gesamtaufhellung des Raumes oder zum Auflockern der tiefsten Schatten. Müssen wir doch annehmen, daß viele dieser Werke von ihren Meistern gerade für diesen Platz und die dort herrschende Beleuchtung geschaffen wurden.“19

Die Intention des Künstlers galt neben der ursprünglichen Betrachterperspektive als Hauptargument für die Berücksichtigung des Standortes, denn es sollten „wenigstens die wesentlichen Intentionen des Künstlers zur Geltung kommen“.20 Diese Herangehensweise ist ganz entscheidend vom Wissen über eine Skulptur und ihre ursprüngliche Verwendung abhängig. Eine historisch begründete Perspektive auf eine Skulptur ist jedoch nicht immer herzuleiten. Zudem befinden sich Skulpturen sehr häufig nicht an ihrem ursprünglichen Aufstellungsort. Richard Zantner-Busch beklagte: „Das meiste Kopfzerbrechen verursachen Statuen, deren örtliche Herkunft und ursprünglicher Zweck unbekannt ist.“21 Von Tieschowitz schlug für diesen Fall vor: „Ist die Plastik aus dem architektonischen Zusammenhang gelöst und im Museum aufgestellt, muß sie auch dort aus der Richtung aufgenommen werden, in der sie einst gesehen wurde. Beispiel: die Figuren des ehemaligen Zeustempels in Olympia, die nur im hohen Giebel standen, dürfen bei ihrer heutigen Aufstellung im Museum nur von unten photographiert werden.“22

18 | Murbach, 1946, S. 22. 19 | Schwarz, 1942, S. 8. 20 | Von Schintling, 1928, S. 10. 21 | Zantner-Busch,1926/27, S. 277. 22 | Von Tieschowitz, 1939, S. 160.

Im Hintergrund der Skulptur

Heinrich L. Nickel kommt 1959 zu dem überzeugend einfachen Schluss, dass sich „leider [...] keine allgemein zutreffenden Regeln aufstellen [lassen], aus welchem Blickwinkel ein Bauwerk oder eine Plastik aufzunehmen seien“. Er wirft die Fragestellung jedoch direkt wieder auf, indem er anschließt: „Man muß jedenfalls das Kunstwerk so aufnehmen, daß die fotografische Darstellungsweise nicht im Widerspruch zum Zeitstil des Werkes steht.“23 Die Fotografen und Wissenschaftler diskutierten zwar den Standort als Ausgangspunkt für die fotografische Inszenierung der Skulptur, aber als Bildhintergrund der Skulptur wurde er – wenn überhaupt – erstaunlich selten erwähnt. Die Beschaffenheit der Umgebung und die Frage nach der Wahl des Bildausschnitts wurden ausgeklammert, da diese Aspekte sehr stark vom Einzelfall abhängig sind und die komplexen kunsthistorischen Zusammenhänge kaum verallgemeinert werden konnten. Die Diskussion der Fotografen und Kunstwissenschaftler verdeutlicht jedoch, dass zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine vollständige Isolation der Skulptur nicht mehr grundsätzlich als beste Möglichkeit der Skulpturdarstellung angesehen wurde. Heinrich L. Nickel hält 1959 „die Zeiten, in denen der Hintergrund der Abbildung eines Kunstwerkes weiß oder schwarz wegretuschiert wurde“ für „glücklicherweise überwunden“.24 Es zeigt sich jedoch, dass er damit falsch liegt: Skulpturen wurden ab den 1950er Jahren zwar tendenziell seltener vollständig isoliert abgebildet, aber der monochrome Hintergrund verschwand nie vollständig aus dem Abbildungskanon fotografierter Skulptur. Das Bewusstsein für die Vor- und Nachteile der Isolation einer Skulptur im Bild führte jedoch dazu, dass sich das Spektrum der Bildhintergründe erweiterte und verschiedene Möglichkeiten der Bildgestaltung fortan gleichwertig nebeneinander existierten.25 Die Diskussion über die Berücksichtigung des Standortes in der Skulpturfotografie bezieht sich auf die Kunst zurückliegender Epochen, die häufig in einen architektonischen Zusammenhang eingebunden war. Über die Fotografie moderner Skulptur wurde kein vergleichbarer Diskurs geführt. Dies mag daran liegen, 23 | Nickel, 1959, S. 36. 24 | Ebenda, S. 34. 25 | Bis heute wird gelegentlich bemängelt, dass architektonische Bezüge nicht umfassend in der Skulpturfotografie veranschaulicht werden. So fordert Robert Suckale 2009 eine Berücksichtigung des Standortes gotischer Skulpturen. „Wo vorhanden, sollte man Figuren immer mit Plinthe und Baldachin fotografieren, außerdem mit Rahmen, Ehrentüchern, Lichtern usw.“ Er geht ausführlich auf die ursprüngliche Standhöhe der Skulpturen ein und meint, diese müsse in ihrer Abbildung berücksichtigt werden. Suckales Argumentationslinie entspricht den Äußerungen von Kunsthistorikern seit den 1930er Jahren. Die in der Wissenschaft geführte Diskussion hat demnach keinen umfassenden Wandel bewirkt, denn der Bezug zum Standort bleibt eine durchgängig aktuelle, grundsätzliche Problemstellung der Skulpturfotografie. Da Suckale die Fragestellung auch auf museale Präsentationsformen anwendet, erweitert er das Thema über die Abbildung hinaus auf den Ausstellungskontext. Suckale, Robert: Schöne Madonnen am Rhein, Leipzig 2009, S. 176.

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dass die für unabhängig erklärte moderne Kunst eine Kritik an der durch Abbildungen geschaffenen Kontextlosigkeit nicht im gleichen Maße herausforderte.26 Die Autonomie der modernen Kunst ist jedoch mittlerweile ein umstrittenes Konzept, da gesellschaftliche und zeitspezifische Inhalte auch in der Moderne einen Bestandteil von Kunstwerken bilden.27 Skulpturen des 20. Jahrhunderts wurden ebenso für Auftraggeber geschaffen wie in den Jahrhunderten zuvor und die Bedeutung von Raumbezügen nahm sogar zu, denn außerhalb der Skulptur liegende Eindrücke wurden in die Konzeption von Bildhauerei einbezogen. Neue Skulpturkonzepte wie Readymades, kinetische Objekte und sockellose Skulpturen waren entschieden abhängig vom räumlichen Kontext.28 Daher ist die Umgebung für die Fotografie von moderner Skulptur inhaltlich und ästhetisch relevant, obwohl sich kein theoretischer Diskurs darüber eröffnet hat.

4.3 G rösstmögliche Präsenz der Skulptur unter Berücksichtigung der Umgebung Die vollständige Schwärzung des Bildgrundes erzeugt eine große Präsenz der Skulptur, löscht aber auch jeden räumlichen Zusammenhang aus. Um den Raumzusammenhang zu erhalten und trotzdem die Skulptur vom Bildhintergrund optisch trennen zu können, wurden verschiedene Gestaltungsmittel in der Fotografie eingesetzt. Viele Studioaufnahmen von klein- bis mittelformatigen Skulpturen beschränkten sich auf die Gestaltung einer minimalen räumlichen Anordnung mit Unterteilung in Bodenfläche und Hintergrund oder mit Schattenwürfen zur Kenntlichmachung der Standfläche (Abb. 51). Diese Aufnahmen wurden häufig in Atelier- und Ausstellungsräumen angefertigt und bezogen meist die vorhandenen Wände sowie Fußböden oder Sockel ein. In diesen Bildern werden die Skulpturen

26 | Seit der Französischen Revolution hat sich die Rolle von Kunst und Künstler in der Gesellschaft grundlegend geändert. Kunst wurde frei von den Intentionen eines Auftraggebers oder von gesellschaftlichen Bedürfnissen geschaffen und sollte ausschließlich für sich selbst stehen. Als individueller Ausdruck eines Künstlers war das Werk nur seinen eigenen Regeln unterworfen und losgelöst von einem gesellschaftlichen Kontext. Die Vorstellung eines autonomen Kunstwerks festigte sich im 19. Jahrhundert und wirkt bis in die heutige Zeit hinein. Vgl. Gombrich, Ernst H.: Die Geschichte der Kunst, Berlin 1995/2001, S. 499f. 27 | Vgl. Einleitung, S. 6f. 28 | Diese Konzepte entwickelten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Beispiele: die sockellose Plastik „Bürger von Calais“ von Auguste Rodin 1895, das Readymade „Fountain“ von Marcel Duchamp 1917, Naum Gabos „Kinetische Konstruktion“ um 1919/20. Man Ray verwendet 1923 ein selbstgebautes bewegliches Objekt für seinen Film „The return to reason“.

Im Hintergrund der Skulptur

Abbildung 51 | Ludwig Engelhart: Am Strand, Bronze, 1961. Fotograf: Deutsche Fotothek Dresden, o. J., in: Feist 1965, Abb. 99. Abbildung 52 | Gerhard Marcks: Mädchen mit ausgebreiteten Armen, Bronze, 1938. Fotograf: Schuch, o. J., in: Werner 1940, S. 79. zwar isoliert, aber sie erscheinen als ein auf dem Boden stehendes Objekt, das in einem definierten Bereich seinen Platz findet. Im Außenraum aufgestellte Skulpturen können meistens nur an ihrem Standort fotografiert werden und der Fotograf muss sich den dortigen Bedingungen anpassen. Der Ort der Aufstellung besitzt bei Skulpturen im Außenraum und bei Denkmälern oft eine explizite Bedeutung, die es dann bei der Fotografie zu berücksichtigen gilt. Fotografen setzten daher verschiedene Techniken ein, um einerseits den Standort zu zeigen, andererseits aber zu vermeiden, dass die Skulptur sich optisch mit ihrem Hintergrund verbindet. Häufig mussten Kompromisse eingegangen werden, um die Erkennbarkeit der Skulptur nicht zu gefährden und zugleich den Zusammenhang mit dem Standort zu verdeutlichen.

4.3.1 Unschärfe Eine häufig angewendete, da einfache Methode, den Hintergrund einer Skulptur zurücktreten zu lassen, ist der Einsatz von Unschärfe (Abb. 52). Durch die Kameraeinstellungen von Blende und Brennweite kann der Fotograf den Hintergrund einer Skulptur verschwimmen lassen, so dass nur die Skulptur für den Betrachter als Hauptmotiv des Bildes erkennbar bleibt. Der Hintergrund wird zwar als Raum angedeutet, bleibt aber weitestgehend unbestimmt. Je nachdem, wie sehr die Unschärfe den Hintergrund verschleiert, kann der Betrachter kaum einen Standortbezug herstellen. Unscharfe Bildhintergründe wurden daher eher als Alternative

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Abbildung 53 | Mirko: Die große Maske, Zement, o.J. Fotograf: Eduard Trier, o. J., in: Trier 1960, Abb. 7. Abbildung 54 | Umberto Mastroianni: Der Reiter, weißer Marmor, 1953. Fotograf: Eduard Trier, o. J., in Trier 1960, Abb. 70. zu monochromen Hintergründen verwendet, um den Hintergrund zurückzunehmen, wie Walther von Heering 1929 erläutert: „In den meisten Fällen wird man einen ruhigen, einfarbigen Hintergrund aus weißem oder farbigem Stoff oder gespanntem Papier wählen. Wo das nicht möglich ist, kann man bei genau abgepaßter Scharfeinstellung des Objekts den Hintergrund durch möglichst starke Unschärfe und geschickt gewählte Beleuchtung zurücktreten lassen [...].“29

Die minimal erkennbare räumliche Anordnung birgt jedoch gegenüber der Schwärzung des Bildhintergrundes oder dem Verdecken durch ein Tuch den Vorteil, dass die Skulptur nicht vollständig isoliert erscheint und sie weniger ausgeschnitten wirkt.

4.3.2 Aufhellung oder Abdunkelung durch Retusche Um das unerwünschte Verschmelzen von Skulptur und Hintergrund zu vermeiden, wurden Abbildungen häufig auch nachträglich durch eine Retusche verändert. Dabei konnte neben der vollständigen Schwärzung auch eine teilweise Aufhellung oder Abdunkelung des Bildhintergrundes durch Abwedeln oder Nachbelichten vorgenommen werden. Der Standort der Skulpturen blieb dann sichtbar, doch die 29 | Von Heering, 1929, S. 448.

Im Hintergrund der Skulptur

Abbildung 55 | Richard Scheibe: Denkmal des 20. Juli 1944, Bronze, 1953. Foto: Berolina-Foto, o. J., in: Gertz 1953, S. 135. Skulptur wurde durch die unterschiedlichen Helligkeiten klarer vom Hintergrund getrennt. Somit wurde ein Kompromiss zwischen Isolation des Motivs und Berücksichtigung des Standortes erzeugt. In Eduard Triers Übersichtsband „Figur und Raum“ von 1960 finden sich mehrere Abbildungen, die der Kunsthistoriker selbst fotografiert hat. Bei der Aufnahme von Mirkos „Die große Maske“ wurde der Hintergrund nachträglich aufgehellt (Abb. 53). Die Fotografie erinnert an eine Bleistiftzeichnung, die mit verschiedenen Strichstärken Betonungen vornimmt. Die im Vordergrund stehende Plastik mit Sockel und einem Stück Wiese bleiben dunkel stehen, während die Umgebung der Skulptur, eine Wasserfläche und Stadtansicht, in eine helle Hintergrundfolie verwandelt wird. Der aufgehellte Bildabschnitt beginnt mit einer klaren Grenze am Rande des Wassers. Dieser Übergang von aufgehellter zu unbearbeiteter Bildfläche ist ein problematischer Punkt der Gestaltung, da er die künstliche Verände-

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rung innerhalb des Bildes offenbart. In einem weiteren Beispiel desselben Bandes wird hinter der Skulptur „Der Reiter“ von Umberto Mastroianni eine schwarze Fläche eingesetzt (Abb. 54). Die Schwärze überdeckt einige Pflanzen, deren Blätter im unteren Teil der Fläche noch aufblitzen. In diesem Fall bildet die dunkle Fläche keine klare Kante, sondern geht in die sichtbare Umgebung langsam über. Dennoch ist der Bruch zwischen der tiefschwarzen Fläche im oberen Teil des Bildes und dem Standort mit Wiese, Weg und Bepflanzung im unteren Teil des Bildes als irritierende Konstruktion sichtbar. Beide Retuschen heben die Plastik hervor, ohne dass der räumliche Kontext der Skulptur verloren geht, doch sie machen auch den Eingriff des Fotografen sehr deutlich. Die Retusche ist eine Form der fotografischen Bildbearbeitung, die im Regelfall unbemerkt bleiben soll. Eine Aufhellung oder Abdunkelung einzelner Bildpartien ist jedoch meist sehr offensichtlich, deswegen wurden diese Techniken nur selten offen als gestalterisches Mittel eingesetzt. In den meisten Fällen wurde nur eine leichte Abdunkelung oder Aufhellung des Hintergrundes vorgenommen, die kaum zu bemerken ist. Die Retusche einer Fotografie erfordert große Sorgfalt, Erfahrung und Können, und nicht immer wurde qualitativ hochwertige Arbeit geleistet. Ränder wurden nicht präzise behandelt oder Bildflächen wurden vergessen – wie beispielhaft an der 1953 in „Plastik der Gegenwart“ von Ulrich Gertz veröffentlichten Abbildung von Richard Scheibes „Denkmal des 20. Juli 1944“ nachvollzogen werden kann. Dort wurde schlichtweg übersehen, den Hintergrund auch zwischen den Füßen der Figur abzudunkeln (Abb. 55). Die Retusche lässt die Bronzefigur regelrecht leuchten, und nur der Fehler in der Retusche offenbart, dass sie sich künstlich von ihrer Umgebung absetzt. Die Veränderung von Helligkeit im Bildhintergrund ist einer der am häufigsten angewandten fotografischen Eingriffe, der die Skulptur betont, ohne deren Standort vollständig zu ignorieren. Da die Retuschen das Bild verändern, obwohl zugleich diese Veränderung unbemerkt bleiben soll, wirken sie häufig wie ein illegitimer Eingriff des Fotografen und überzeugen meist weder als künstlerische noch als wissenschaftliche Bildgestaltung.

4.3.3 Erzeugung von Präsenz durch die Wahl des Bildausschnitts Eine Retusche des Bildhintergrundes ermöglicht zwar die Berücksichtigung des Standortes und zugleich die Hervorhebung der Skulptur, doch die künstliche Gestaltung des Bildes widerspricht dem Wunsch nach Objektivität der Skulpturfotografie. Hinzu kommt, dass die Retusche ein zusätzlicher, nachträglicher Arbeitsschritt war, der einen Mehraufwand in der Produktion bedeutete. Um diesen zu vermeiden, wählten viele Fotografen einheitlich gefärbte Flächen in der Umgebung der Skulptur aus, um sie als kontrastierenden Bildgrund zu nutzen. Weiße Hauswände oder dunkle Sträucher erzeugten den gewünschten Kontrast zwischen Hintergrund und Skulptur, und die Bearbeitung der Negative entfiel. Dies bedeutete auch, dass die Wahl von Ansichtsseite und Perspektive vom Vorhandensein

Im Hintergrund der Skulptur

Abbildung 56 | Norbert Kricke: Raumplastik Große Fließende, Edelstahl, 1965-66. Fotograf: unbekannt, o. J., in: Morschel 1976, S. 99. geeigneter Bildhintergründe bestimmt wurde und nicht von der Skulptur ausgehend entschieden werden konnte. Ein weiterer häufig verwendeter Bildhintergrund für die Fotografie von Skulpturen im Außenraum ist der wolkenverhangene Himmel. Um diesen als Hintergrund zu nutzen, musste entweder eine starke Untersicht auf die Skulptur eingenommen werden oder die Skulptur musste vor einer flachen Ebene stehen. Von Norbert Krickes „Raumplastik Große Fließende“ ist mehrfach eine Abbildung veröffentlicht, die eine Landschaft am Flussufer zeigt, vor der sich die Skulptur in den Himmel erhebt (Abb. 56).30 In der unteren Bildhälfte ist ein Streifen der Landschaft zu sehen, der mit hintereinandergestaffelten, heller werdenden Ebenen einer Wiese, dem Fluss und dem dahinterliegenden Ufer die Horizontale betont. Es ragen rechts und links von der Plastik Bäume auf, die jedoch nur bis in die Mitte der Höhe des Bildes reichen. Die Plastik weitet sich ausgehend von einem Stabbündel nach oben aus, indem einzelne Stäbe des Werkes in verschiedene Richtungen vor dem Himmel ausgestreckt sind. Die „Große Fließende“ hebt sich besonders vor dem Himmel deutlich ab, ist aber auch im unteren Bildteil gut zu sehen, zumal der Hintergrund am Horizont der Landschaft zusätzlich aufgehellt wurde. Durch ihre Position im Vordergrund erscheint das Werk sehr viel größer, als es tatsächlich 30 | Vgl. Kricke, Norbert/Scotti, Roland/Wicky, Gaston/Jansen, Bernd (Hrsg.): Norbert Kricke. Raum, Linie, Göttingen 2012, S. 42 sowie Kricke/Kricke-Güse/von Wiese 2006, S. 130.

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ist. Die Aufhebung von Entfernungen und Maßstäben bewirkt eine Monumentalisierung der Skulptur, die dadurch noch fremdartiger erscheint. Zudem bieten die Horizontalen und Vertikalen der Landschaft einen nützlichen Kontrast für die rhythmisch fließende Form der Plastik. Nicht jeder Aufstellungsort ist geeignet, um Skulpturen in dieser Weise zu inszenieren. Steht das Werk nicht vor einer weiten Landschaft, muss der Bildausschnitt entsprechend nach oben verschoben werden, um den Himmel als Bildhintergrund zu nutzen. Dies bewirkt jedoch eine starke Untersicht, die zwangsläufig Verzerrungen mit sich bringt. Auch nicht jede Skulptur eignet sich dazu, in Untersicht aufgenommen zu werden. Um Verzerrungen zu rechtfertigen, wurde häufig auf den Betrachterstandpunkt verwiesen. So wurden hoch auf Sockeln stehende Figuren oder monumentale Plastiken in der Regel ohne Bedenken aus einer Untersicht aufgenommen, da die Ansicht von unten in den Werken bereits angelegt war. Figürliche Plastik – insbesondere kleine bis mittelgroße Werke – wurden hingegen sehr viel seltener in Untersicht gezeigt. Bei abstrakten Plastiken wurde wiederum weniger auf diesen Aspekt geachtet, da Verzerrungen bei abstrakten Formen weniger auffallen.31 Wie stark die Verzerrungen im Bild auftreten, ist davon abhängig, welcher Bildausschnitt und welcher Abstand zur fotografierten Skulptur vom Fotografen gewählt wurden. Häufig wurde die Bildgrenze möglichst nah an die Skulptur gesetzt, um sie groß und deutlich erkennbar im Bild zu zeigen. Der Fotograf Oskar Schwarz empfiehlt: „[S]o sollte man grundsätzlich den knappsten, eben noch zulässigen Ausschnitt wählen.“32 Der enge Bildausschnitt lässt jedoch unter Umständen relevante Aspekte für die Deutung einer Skulptur wie zum Beispiel die Aufstellung auf einem hohen Sockel wegfallen. Auch das nahe Herantreten des Fotografen kann problematisch sein, denn es bewirkt, dass Verzerrungen sehr stark in Erscheinung treten. Entfernt sich der Fotograf von der Skulptur, kann er die Verzerrung minimieren. Bernhard von Tieschowitz schlägt vor, eine Aufnahme von „möglichst weit entferntem Standpunkt unter Benutzung eines Objektivs mit langer, längerer oder längster Brennweite“ vorzunehmen.33 Die Wahl der Brennweite ermöglicht, trotz weit entferntem Standpunkt den Bildausschnitt nah an das fotografierte Objekt zu setzen und sich zugleich der frontalen Ansicht anzunähern.

31 | Sobald eine Skulptur nicht mehr an ihrem ursprünglichen Standort steht, z.B. indem sie statt im Außenraum in einem Museum präsentiert wird, treten dieselben Probleme auf, die auch bei der Fotografie von antiker und gotischer Plastik beanstandet wurden. Figuren, die für eine Untersicht konzipiert waren, wurden dann in frontaler Ansicht fotografiert und konnten ein stark verändertes Aussehen aufweisen, das bis hin zu einer Bedeutungsänderung führen kann. 32 | Schwarz, 1942, S. 8. 33 | Von Tieschowitz, 1939, S. 160.

Im Hintergrund der Skulptur

Abbildung 57 | Fritz Cremer: Denkmal der Opfer des Faschismus, 1948. Fotograf: Curt Pongers, o. J., in: Lüdecke 1956, Abb. 23. Nur selten wird die Umgebung zu einem der Skulptur ebenbürtigen Bildmotiv erhoben. Eine Fotografie des „Mahnmal für die Opfer des Faschismus 1934-1945“ von Fritz Cremer zeigt die Gedenkstätte am Wiener Zentralfriedhof, bestehend aus drei Statuen, sieben mit den Namen der Opfer beschrifteten Bodenplatten und einem gemauerten Rundbogen, der die auf sieben flachen Stufen arrangierte Komposition einfasst (Abb.57). Die Steinfiguren „Die Trauernde“, „Die Anklagende“ und „Der befreite Mensch“ sind so angeordnet, dass dem Besucher „räumlich und geistig der Weg gewiesen“ werden soll, „von der passiven Trauer über die Anklage zum Befreiungskampf“ zu gelangen.34 Der Aufstellungsort der Skulpturengruppe befindet sich zwischen hochgewachsenen Laubbäumen auf einer Wiese. Die Abbildung setzt diese Umgebung sowie zwei der Figuren im Zusammenspiel mit dem Rundbogen in Szene, während andere Elemente des Ensembles zurücktreten. Das Denkmal selbst nimmt nur einen geringen Teil der Abbildung ein, stattdessen bestimmen die großen, belaubten Bäume, die wie Scherenschnitte aus flächigen, schwarzen Silhouetten bestehen, den Bildeindruck. Trotzdem werden zwei der nur klein im Bild sichtbaren Skulpturen durch die Wahl des Blickwinkels sowie durch die daraus resultierende Verteilung von Hell und Dunkel betont. „Die Trauernde“ hebt sich als hell erscheinende Frauengestalt von dem hinter ihr liegenden schwarzen Waldstück ab, während „Der befreite Mensch“ als dunkle, kämpferische Männerfigur in einer Lücke zwischen den Bäumen am Horizont in 34 | Lüdecke, Heinz: Fritz Cremer. Der Weg eines deutschen Bildhauers, Dresden 1956, S. 9.

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den Himmel aufragt. Aus der vom Fotografen gewählten Perspektive kommt auch die ansteigende Mauer in ihrer kompositionellen Bedeutung zur Geltung. Die in einer Kurve aufsteigende Fläche lenkt den Blick des Betrachters von der trauernden Frau zum kampfbereiten Mann hin und verbindet die Figuren miteinander. Dadurch bekommen beide Figuren eine große Präsenz, im Gegensatz zu der dritten Figur des Mahnmals „Die Anklage“, die sich von ihrem Hintergrund auf der rechten Seite des Bildes nicht unterscheiden lässt und daher vollständig im Dunkel der Bäume verloren geht. Auch die Bodenplatten sind nur für einen wissenden Betrachter zwischen den Figuren zu erahnen. Der Fotograf Kurt Pongers inszeniert das Mahnmal im Zusammenhang mit seinem Aufstellungsort, ohne eine detaillierte Ansicht der Skulpturen anzustreben. Stattdessen nutzt er die Umgebung der Figurengruppe, um der Gedenkstätte eine passende Stimmung zu verleihen. Die Silhouette der männlichen Skulptur wirkt durch die Reduktion auf den Umriss, trotz ihrer geringen Größe, kämpferisch und stark. Damit verkörpert sie als zusätzliche Deutungsebene den Mut und die Stärke, die die Widerstandskämpfer gegen den übermächtigen Nationalsozialismus aufbrachten. Pongers erzeugt durch die Dunkelheit des Bildes eine bedrohliche Atmosphäre und steigert so die Emotionalität des Betrachters in Anbetracht eines bedrückenden Themas.35 Die fotografische Gestaltung von Pongers unterstützt die Einschätzung des Autors Heinz Lüdecke, der betont, das Werk sei „kein Denkmal im klassischen Sinne, sondern eine plastisch-architektonische Anlage, die den Besuchenden in sich hereinzieht, um ihn aus einem Schauenden in einen Miterlebenden zu verwandeln“.36 Die Wahl des Bildausschnitts nutzt der Fotograf dazu, die hellen und dunklen Flächen so im Bild zu platzieren, dass die von ihm angestrebte Stimmung erzeugt wird und die dafür notwendigen Bildelemente zur Geltung kommen. Die Ansichtsseite der Skulptur spielt dabei eine untergeordnete Rolle, denn Pongers nimmt sogar in Kauf, dass eine Skulptur der Gruppe im Hintergrund verschwindet. Pongers Fotografie verdeutlicht, dass der Fotograf besonders bei der Aufnahme von Skulpturen im Außenraum entscheiden muss, ob die Sichtbarkeit von Details oder der Zusammenhang im Raum deutlich gemacht werden sollen. Diese beiden Aspekte schließen einander häufig gegenseitig aus, da die Wahl des Bildausschnitts immer mit der Entfernung zum fotografierten Gegenstand zusammenhängt.

35 | Die von Pongers erreichte Bildwirkung kann nur in der Schwarz-Weiß-Fotografie richtig zur Geltung kommen. Der Fotograf erzeugt die düstere Stimmung durch starke Kontraste, die im Bild verschiedene Elemente zu schwarzen Flächen verbinden. Eine Farbfotografie würde verschiedenfarbige Flächen voneinander trennen. Durch die Farbvielfalt könnte dieselbe Situation auch lebensfroh erscheinen, die Wiese und die Bäume würden im Sonnenlicht möglicherweise eine sommerliche Wirkung erhalten, die der Gedenkstätte in ihrer mahnenden Funktion entgegenstehen würde. 36 | Lüdecke 1956, S. 8.

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Auch im Innenraum fotografierte Skulpturen verändern ihre Wirkung, je nachdem, wie der Bildausschnitt gewählt wird. Das Verhältnis des Werks zum Bildrand erzeugt beim Betrachter ein Gefühl von Nähe oder Distanz zu der abgebildeten Skulptur und kann insbesondere den Eindruck ihrer Größe bestimmen. Ernst Ludwig Kirchner nutzte diese Wirkung bei der Fotografie seiner Arbeiten. Er fotografierte seine Werke für einen avantgardistischen Künstler überraschend sachlich, setzte die Figuren zentral ins Bild und verwendete monochrome Hintergründe, so wie es den Konventionen der Skulpturfotografie entsprach. Ungewöhnlich ist hingegen seine Wahl des Bildausschnitts: er grenzte den Bildraum so stark ein, dass die Werke das Format fast vollständig ausfüllen oder sogar die Bildränder berühren. Die Skulpturen wirken dadurch nah, massiv und wuchtig, denn der fehlende Raum um die Skulpturen herum bewirkt, so dass sie optisch nach vorne und nach außen drängen (Abb. 58). Die Wirkung der Fotografie bestärkt so die grob

Abbildung 58 | Seite aus dem von Ernst Ludwig Kirchner unter dem Pseudonym „L. de Marsalle“ verfassten Aufsatz „Über die plastischen Arbeiten von Ernst Ludwig Kirchner“, 1925. Fotograf: Ernst Ludwig Kirchner, o. J., in: Henze 2002, S. 31.

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geschnitzten Holzfiguren in ihrer kraftvollen Körperlichkeit und in ihrem Ausdruck. Der Kunsthistoriker Will Grohmann beschreibt 1926, dass bei Skulpturen von Ernst Ludwig Kirchner „nicht nur das Volumen der Körperformen, sondern auch der durch sie begrenzte Luftraum in die Wirkung einbezogen [ist], so dass sie einen viel grösseren Raum rhythmisch füllen, als sie tatsächlich einnehmen“37. Grohmann geht davon aus, dass die Grenze des Luftraums von der Skulptur bestimmt wird. Viel deutlicher wird diese Grenze jedoch bei der Abbildung von Skulpturen durch den Fotografen gezogen. Beschreibungen der Größenwirkung von Skulpturen können daher in Wechselwirkung zu veröffentlichten Fotografien stehen und sich gegenseitig stützen. Die Präsenz einer Skulptur in der Fotografie hängt maßgeblich davon ab, welcher Bildausschnitt vom Fotografen gewählt wird und wie er mit dem entstandenen Raum im Hintergrund umgeht. Adolf Behne macht auf das veränderte Sehen durch die rechteckige Begrenzung von Fotografie aufmerksam: „Wir finden das schon so normal, dass wir die merkwürdige Bevormundung und Schematisierung unseres Sehens gar nicht mehr bemerken. Gerade weil das im Rechteck gezeigte so sehr präzis ist, stumpfen wir gegen die Tatsache ab, dass das Rechteck selbst – unpräzise, willkürlich, weit ausschneidend und isolierend ist – dabei scheinbar immer – ein ganzes Bild!“38

Die vorangegangenen Beispiele zeigen, dass die Wahl des Bildausschnitts von Fotografen mit großer Genauigkeit und sehr bewusst vorgenommen wurde. Trotzdem hält sich die Kritik an der Ausschnitthaftigkeit der Fotografie hartnäckig, denn die Entscheidungen des Fotografen werden häufig als willkürlich oder manipulativ abgelehnt. Dies liegt darin begründet, dass jeder Bildausschnitt entweder die Nahsicht oder die Fernsicht ausschließt und sich die jeweiligen Vorteile für die Präsenz einer Skulptur nicht gleichzeitig eröffnen können.

4.3.4 Isolation als Betonung des Kunstcharakters Die Gestaltungsmittel, die genutzt wurden, um eine Skulptur aus ihrem Umraum hervorzuheben, waren vielfältig. Das Anliegen der Fotografen, einen möglichst einheitlichen Hintergrund für die Skulptur zu erzeugen, scheint groß gewesen zu sein, denn es wurden teils recht aufwändige Maßnahmen ergriffen und ästhetische Nachteile in Kauf genommen, um die Skulptur als alleiniges Objekt zu präsentieren. Auch die Architekturfotografie setzte die Isolation eines Objektes bevorzugt ein, um Gebäude möglichst exponiert zu präsentieren. Heinrich Klotz hält es für „offensichtlich, wie sehr sich die Fotografen bemüht haben, eine freie Szenerie zu 37 | Grohmann, Will: Das Werk Ernst Ludwig Kirchners, München 1926, S. 47, zitiert nach: Henze, 2002, S. 43. 38 | Behne, 1942, S. 147.

Im Hintergrund der Skulptur

gewinnen, um das Bauwerk möglichst ungestört zur Wirkung zu bringen“39. Klotz sieht diese Bemühungen dadurch begründet, dass die Bauwerke durch die Isolation zu Kunstwerken aufsteigen. „Da stehen Bauten, wie man sie nie gesehen hat: als stünden sie hinter Glas. Im Foto sind auch sie unantastbare Museumsstücke geworden [...]. Sie sind das geworden, wozu Architekturhistoriker sie gemacht haben: zu Objekten und Denkmälern, zu isolierten Kunstwerken, denen jegliche Relation genommen ist“. 40

Die „phänomenologische Einzelwerkinterpretation“, die „Frage nach dem Kunstcharakter“ sowie eine „Methodenhaltung der Sachlichkeit“ sieht Heinrich Klotz als Ursachen für die Isolation von Bauwerken in der Architekturfotografie an.41 Die Ausführungen von Heinrich Klotz lassen sich in Teilen auch auf die Skulpturfotografie übertragen. Besonders hervorzuheben ist sein Argument, dass die Isolation eine künstliche Darstellung ist, die von den Gegebenheiten vor Ort abweicht. Architektur, die bewohnt und verändert wird, unterscheidet sich stark von der idealisierten, unbewohnten Darstellung in der Fotografie. Auch für die Skulptur gilt dieser Gegensatz: Das für sich stehende Kunstwerk, das allein zum Selbstzweck existiert, ist eine Erfindung der Moderne. Auch das Museum, das mit weißen Wänden am ehesten eine visuelle Ähnlichkeit zu den einheitlich gefärbten Hintergründen der Skulpturfotografie aufweist, ist ein isolierter, künstlicher Umraum für die Skulptur. In Vitrinen, an Museumswänden sowie auf Schautafeln werden Objekte losgelöst von ihrem Kontext dargestellt oder auch in neue Zusammenhänge gesetzt. Durch diese Präsentation wird der Kunstcharakter von den Objekten erhöht, die ursprünglich eine Funktion besessen haben. So können zum Beispiel Masken, Kleidungsstücke oder Schmuck in ethnologischen Museen zu rein ästhetischen Objekten werden. Klotz beschreibt die isolierte Darstellung als Präsentationsmittel, das ein Objekt zum Kunstwerk erhebt. Auch für Skulpturen bedeutet diese Art der Präsentation eine Aufwertung und Erhöhung – sie verwandeln sich durch die Isolation von einem beliebigen Gegenstand zu einem besonderen Gegenstand. Die Erkenntnis, dass Isolation eine Betonung des Kunstcharakters bewirkt, birgt eine wichtige Bedeutungsebene für die Skulpturfotografie in sich: Die Wahl des Bildraums hängt unmittelbar damit zusammen, ob eine Skulptur als für sich stehendes Kunstwerk inszeniert wird oder ob sie in einen Zusammenhang gesetzt wird, der eine politische oder gesellschaftliche Funktion bedeuten kann.

39 | Klotz, Heinrich: Über das Abbilden von Bauwerken, in: Architectura 1/1971, S. 1. 40 | Ebenda. 41 | Ebenda, S. 7.

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4.4 Skulptur und Architektur – Standortbezüge Der Standort einer Skulptur wird in der Skulpturfotografie häufiger ­berücksichtigt, wenn der Aufstellungsort eine inhaltliche Wichtigkeit für das Kunstwerk besitzt. Ob das Kunstwerk für sich allein steht oder in einen Kontext eingebunden ist, kann die Aussage des Kunstwerks verändern. Kunstwerke können in Bezug zur Architektur, zur Geschichte ihres Standortes, zur Natur oder zu benachbarten Werken stehen. Anhand der folgenden Beispiele soll untersucht werden, wie und warum der Standort eines Kunstwerks in der Skulpturfotografie berücksichtigt wird.

4.4.1 S  kulptur im Kirchenraum – Das Güstrower Ehrenmal von Ernst Barlach Das „Güstrower Ehrenmal“ von Ernst Barlach ist ein Werk mit ausdrücklichem Standortbezug. Die 1927 geschaffene Bronzeplastik, die auch „Der Schwebende“ oder „Engel von Güstrow“ genannt wird, wurde für den Güstrower Dom konzipiert und sollte an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges erinnern. Das Denkmal besteht aus einer mehr als zwei Meter messenden Bronzefigur, die an einer Aufhängung aus Metallstäben von der Decke des Kirchenraums hängt. Die Figur hat die Hände vor der Brust gekreuzt an den waagerecht gestreckten Körper angelegt. Der Kopf ist erhoben, die Augen der Figur sind geschlossen und die Gesichtszüge entspannt.42 Die Körperhaltung wird in der Seitenansicht von einem langen Gewand bestimmt, das eine kompakte, nach vorne zulaufende Form bildet. Die Nase der Figur bildet die Spitze der abstrahierten Form, an deren Rückseite die nackten Füße des „Schwebenden“ herausragen. Der Bildhauer wählte den Platz für die Plastik im Güstrower Dom im östlichen Joch der Nordhalle selbst aus. Die persönliche Verbindung Barlachs zu seinem Wohnort Güstrow und die Freundschaft zum dortigen Pastor Schwartzkopff haben die Wahl des Standortes entschieden. Die Figur wurde von Barlach mittig über ein schmiedeeisernes, rundes Taufgitter aus dem 18. Jahrhundert gehängt, in dem ein kreisförmiger Gedenkstein mit den Jahreszahlen des Ersten Weltkrieges, 1914-1918, das Denkmal vervollständigt. Mit diesem Verweis auf die Taufe setzte Barlach das Werk in einen christlichen Kontext, der einen Ewigkeitsanspruch beinhaltet. Das Kunstwerk fügt sich in den christlichen Glaubenszyklus von Taufe, Tod und Ewigkeit ein und besitzt somit über die Funktion des Denkmals hinaus

42 | Das „Güstrower Ehrenmal“ wird in der Literatur und auch von Barlach selbst häufig als Engel bezeichnet, abgeleitet von dem Eindruck eines schwebenden Körpers, der durch die Aufhängung an der Decke erzeugt wird. Das Schweben der Figur ist der ungewöhnlichste und prägendste Eindruck des Werks. Der Verzicht auf eine Standfläche ist ein wichtiges Mittel, um inhaltlich und formal eine Distanz zur Tradition des heroisierenden Standbildes zu schaffen.

Im Hintergrund der Skulptur

Abbildung 59 | Ernst Barlach: Güstrower Ehrenmal, Bronze, 1927, Güstrower Dom. Fotograf: unbekannt, um 1927, Historische Ansichtskarte, Archiv Rainer Benox, in: Probst 1989, S. 90. auch eine religiöse Komponente. Dieser Ansatz liegt auch vielen anderen Denkmalen zugrunde und bildet eine eher konventionelle Bedeutungsebene des Werks.43 Barlach berücksichtigte in seiner Komposition auch die Lichtverhältnisse des Raums. Zwei Fenster des Nordschiffs wurden nach seinen Entwürfen in ihrer Farbigkeit verändert. Die Fenster lassen ein diffuses Licht herein und erhöhen die mystische Wirkung des „Schwebenden“. Am 21.03.1929 schreibt Barlach in einem Brief an Karl Muggly, den Gestalter der Glasfenster: „Also mit dem Zustandekommen der Glasfenster ist meine Sache im Dom nunmehr als ganz beendet anzusehen“.44 Der Bildhauer betrachtet demnach nicht nur die Plastik, sondern auch die Gestaltung des Kirchenraums als Bestandteil seiner Arbeit. Die Beleuchtung sowie das 43 | Vgl. Probst, Volker: Ernst Barlach. Das Güstrower Ehrenmal, Leipzig 1998, S. 86. 44 | Kölpien, Dieter/Moeller, Gernot: Daten und Fakten zum „Güstrower Ehrenmal“, Güstrow 2010, S. 6.

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Taufgitter und die Gegebenheiten des Raums sind Teil von Barlachs Konzeption und sowohl von ästhetischer als auch von inhaltlicher Wichtigkeit für das Werk. Der Güstrower Dom war zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgrund seiner backsteingotischen Architektur eine beliebte Touristenattraktion, und auch Barlachs Ehrenmal erlangte zunehmend an Berühmtheit. Für die Besucher des Güstrower Doms wurden Ansichtskarten als Andenken oder Grußkarte erstellt. Eine historische Postkarte zeigt Barlachs Werk über dem Taufgitter schwebend, mitsamt den architektonischen Elementen des Kirchenraums (Abb. 59). Indem Taufgitter und Kirchenraum gemeinsam mit dem Kunstwerk abgebildet wurden, wurde der religiöse Zusammenhang deutlich gemacht und das Kunstwerk im Güstrower Dom verortet. Die Plastik selbst musste wegen der Berücksichtigung des Raumgefüges an Detailgenauigkeit und Abbildungsgröße einbüßen. Der Fotograf Berthold Kegebein wählte seinen Standpunkt so, dass die Form der Skulptur und die durch das Fenster beleuchteten Gesichtszüge trotzdem bestmöglich zu sehen sind. „Der Schwebende“ diente im Kontext des Kirchenraums als Objekt der Andacht und die Postkarte als Souvenir für diejenigen, die das Kunstwerk an Ort und Stelle besichtigt hatten. Für die Besucher des Doms waren der Ort und die dortige Atmosphäre genauso wichtig wie die Plastik und wurden daher auch in der fotografischen Wiedergabe berücksichtigt. In frühen Monografien über Barlachs Werk wird das „Güstrower Ehrenmal“ durch eine Fotografie von Walter Block repräsentiert (Abb. 60).45 Die Anforderungen an eine Kunstmonografie unterscheiden sich von denen an die Souvenirfotografie insofern, als der Standort des Kunstwerks für den Leser eines Buches nicht den gleichen Stellenwert besitzt wie für den Besucher eines Ortes. Die Skulptur wird in der Monografie zum alleinigen Gegenstand der Auseinandersetzung, die primär die künstlerischen Zusammenhänge fokussiert. Zur Zeit der Aufnahme befand sich „Der Schwebende“ an seinem ursprünglichen Aufstellungsort im Güstrower Dom. Walter Block berücksichtigte den Standpunkt des Betrachters im Raum und zeigt eine frontale Ansicht der schwebenden Figur in Untersicht. Die aus dieser Perspektive nicht zu vermeidenden Verzerrungen lotet er genau aus. Jede Verschiebung der Kamera nach oben oder unten erzeugt eine Veränderung der Gesamterscheinung und wirkt sich besonders auf die Mimik der Figur aus. Block wählte eine Ansicht, in der das Gesicht der Figur natürlich und entspannt aussieht. Dafür verzichtet er auf die Erkennbarkeit der Gesamtform, denn der Körper der Plastik wird auf der Abbildung verdeckt und die wenigen sichtbaren Teile erscheinen perspektivisch stark verkürzt. Anstatt die Form zu betonen, die in der Seitenansicht am deutlichsten sichtbar ist, betont der Fotograf das Gesicht der Plastik. Durch diese Entscheidung entsteht eine große 45 | Walter, Reinhold von: Ernst Barlach. Eine Einführung in sein plastisches und graphisches Werk, Berlin 1929, S. 4, sowie Carls, Carl Dietrich: Ernst Barlach. Das plastische, graphische und dichterische Werk, Berlin 1931, S. 5.

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Abbildung 60 | Ernst Barlach: Güstrower Ehrenmal, Bronze, 1927, Güstrower Dom. Fotograf: Walter Block, o. J., in: von Walter 1929, S. 4 sowie Carls 1931, S. 5

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emotionale Nähe zwischen Betrachter und Werk. Die geschlossenen Augen lenken die Aufmerksamkeit auf das Wesen der Figur und verweisen auf die Gefühls- und Gedankenwelt. Das Gesicht dient zudem als Identifikationsmöglichkeit für den Betrachter und beinhaltet damit eine Aufforderung zum Nachdenken, zur Empathie und zur Trauer. Die Beleuchtung der Plastik trägt zu der ruhigen Stimmung der in sich gekehrten Figur bei. Das Licht fällt sanft von der Seite auf die Schulter und die linke Gesichtshälfte der Figur. Der Fotograf hat das natürliche Licht des Fensters genutzt, anstatt Scheinwerfer einzusetzen. Die Aufnahme entstand „bei Dämmerlicht und großer Blende“, so dass wenig Licht ausreichte, um dennoch alle Details der Plastik sichtbar zu machen.46 Da das Fenster links der Figur außerhalb des Bildausschnitts liegt, wird dem Betrachter die Lichtquelle vorenthalten. Die Kanten der Figur sind außerdem von einem leichten Lichtschimmer umgeben, der sich aus der räumlichen Situation nicht ableiten lässt. Der Lichtkranz, der an einen zarten Heiligenschein erinnert, grenzt die Plastik von ihrem Hintergrund ab. Walter Block hat den hellen Lichtschimmer vermutlich nachträglich per Retusche erzeugt, um den unwirklichen Eindruck der schwebenden Figur zu steigern. Der Hintergrund des Bildes wird von der weißen Ziegelwand des Kirchenraums gebildet und hebt durch seine Einheitlichkeit die Plastik als Hauptmotiv hervor. Es wird auf die Abbildung des Taufgitters verzichtet, so dass der christliche Zusammenhang nicht in den Vordergrund gestellt wird. In den oberen Bildkanten sind die Seiten eines dunklen Spitzbogens des Gewölbes zu sehen, die den einzigen Hinweis auf die Verortung im Kirchenraum bieten. Dieser dezente Verweis auf den räumlichen Kontext der Figur ist inhaltlich und formal äußerst bedeutend. Zum einen lässt der Ansatz des Gewölbes den religiösen Kontext für den Betrachter erahnen, ohne dass die Architektur selbst im Einzelnen gezeigt wird. Zum anderen wird durch die architektonischen Elemente in den oberen Bildecken die Leere unterhalb der Figur deutlich kontrastiert. Das Fehlen der Standfläche und das Schweben der Figur werden so hervorgehoben. Walter Block inszenierte das „Güstrower Ehrenmal“ als eigenständiges Kunstwerk, ohne vollständig auf Ortsbezüge und die Berücksichtigung der Raumwirkung zu verzichten. Die Balance zwischen Isolation und Ortsbezug wird von ihm genau austariert, so dass sich eine klare, sachliche Darstellung mit einem atmosphärischen und emotionalen Eindruck des Kunstwerks vereinen. In Neuauflagen der Monografien ab 1950 wird die Aufnahme von Walter Block nicht weiter verwendet. Möglicherweise ist das Bildmaterial im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. Neue Aufnahmen konnten jedoch zunächst nicht angefertigt werden, denn das „Güstrower Ehrenmal“ war unter der Herrschaft der National-

46 | Roloff, Andreas: Ernst Barlach – Skulpturen im Bild des Rembrandt Verlages [sic!] Berlin. Faltblatt zur Ausstellung in der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2008.

Im Hintergrund der Skulptur

Abbildung 61 | Ernst Barlach: Güstrower Ehrenmal, 1927/ 1952 Zweitguss Antoniterkirche Köln. Foto: Rheinisches Bildarchiv, o. J., in: Platte 1957, S. 55.

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sozialisten eingeschmolzen worden.47 Aus Mangel an Alternativen wurde daher vermehrt in den 1950er Jahren eine bronzene Detailstudie des Kopfes fotografiert. Auch auf alte Aufnahmen des „Güstrower Ehrenmal“ wurde zurückgegriffen, diese zeigen die Figur jedoch im Gegenlicht des Fensters und geben die Plastik nur unzureichend wieder. Ab 1952 konnte neues Fotomaterial des Kunstwerks erstellt werden, denn in der Kölner Antoniterkirche wurde ein Zweitguss präsentiert, den ein Freund Barlachs während des Krieges versteckt hatte. „Der Schwebende“ wurde daher ab diesem Zeitpunkt an seinem neuen Standort fotografiert, wenngleich das Raumkonzept Barlachs durch den Standortwechsel verloren ging. Die Abbildungen betonten vorwiegend das Schweben der Figur, das eines der wichtigsten und fortschrittlichsten Gestaltungselemente des Denkmals ist. Die Säulenbündel in der Antoniterkirche ermöglichen es, die massive Aufhängung optisch verschwinden zu lassen, so dass die Befestigung der Figur verschleiert wird und die fehlende Standfläche der Plastik noch erstaunlicher erscheint (Abb. 61). Der Zweitguss aus Köln diente zur Fertigung einer weiteren Gussform, so dass seit 1953 „Der Schwebende“ auch an seinem ursprünglichen Aufstellungsort in Güstrow wieder zu sehen war. Das Werk wurde nun als transportables Objekt behandelt und auch für museale Präsentationen an verschiedene Orte gebracht. Seit 1987 wird ein weiterer Guss des „Schwebenden“ dauerhaft im Landesmuseum in Schleswig-Holstein ausgestellt. Mit zunehmender Lösung aus dem räumlichen Kontext wurde der „Engel von Güstrow“ auch in seiner fotografischen Wiedergabe immer stärker in seinem autonomen Kunstcharakter betont (Abb. 62). Die Vervielfältigung des Werks führte dazu, dass die Berücksichtigung des Standortes in Texten und Bildern des „Schwebenden“ schwindet.48 Trotz der raumbezogenen Konzeption Barlachs geriet die Bedeutung des Kirchenraums als Aufstellungsort mehr und mehr in Vergessenheit. Besonders das Taufgitter wurde sowohl in Texten als auch in der fotografischen Abbildung ignoriert.49 Da es nicht 47 | Das „Güstrower Ehrenmal“ wurde als „offene Verhöhnung dessen, was sich ein gesunder Deutscher unter einem Kriegerdenkmal vorstellt“ gesehen und zu Beginn der 1940er Jahre eingeschmolzen (Brief mit unbekanntem Absender an den Oberkirchenrat in Schwerin, 1933), in: Kölpien/Moeller, 2010, S. 6. 48 | Zugleich ändert sich die Deutung des Werks. Mit der Präsentation des Zweitgusses wurde das Werk durch eine Inschrift mit den Daten von Erstem und Zweitem Weltkrieg erweitert, so dass Barlachs Entwurf zu einem Friedensmal mit allgemeingültiger Aussagekraft umgedeutet wurde. Schließlich wurden die Daten des Zweiten Weltkrieges durch die Daten der nationalsozialistischen Herrschaft ersetzt, so dass wiederum ein Mahnmal für alle Opfer des Nationalsozialismus entstand. Die Umdeutung des Werks ist ein weiterer Hinweis darauf, dass das Werk als autonome Schöpfung mit allgemeiner Gültigkeit angesehen wurde, das für verschiedene Kontexte gelten konnte. 49 | Eine Ausnahme bildet die Publikation Probst, Volker (Hrsg.): Ernst Barlach. Das Güstrower Ehrenmal, Leipzig 1998.

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Abbildung 62 | Museale Präsentation auf Schloss Gottdorf, Landesmuseum Schleswig Holstein, seit 1987. Fotograf: unbekannt, o. J., in: http://www. schloss-gottorf.de/landesmuseum-kunst-und-kulturgeschichte/dasmuseum/sammlungen/StiftungRolfHorn (09.08.2017). von Barlach gestaltet wurde, sondern aus dem 18. Jahrhundert stammt, wurde es nicht als Teil des Kunstwerks angesehen, obwohl es unmittelbar zum Werk gehört. Da der religiöse Aspekt des Taufgitters nicht zur Fortschrittlichkeit des schwebenden Denkmalentwurfs zu passen schien, wurde das Taufgitter wie ein beliebiges Kirchenobjekt behandelt und von der Betrachtung ausgeklammert. Dass Barlachs Vorgehensweise, einen vorhandenen, kulturell geprägten Gegenstand in sein Werk zu integrieren, eine höchst bemerkenswerte und moderne künstlerische Strategie ist, geht in der Rezeption des Werks daher verloren. Durch die unvollständige Wiedergabe des Kunstwerks in der Fotografie verkürzt sich auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Werk.

4.4.2 S  kulptur im politischen Auftrag – Das Reichssportfeld in Berlin Die isolierte Darstellung einer Skulptur wurde besonders häufig eingesetzt, um die Autonomie eines Kunstwerks zu betonen und den Kontext der Umgebung, der Gesellschaft und der zeitgenössischen Betrachtungsweisen aufzulösen. Doch genau diese Bezüge sind es, die für die Deutung von Skulpturen relevant sein können. Besonders für die Propagandawirkung der nationalsozialistischen Skulptur trug die Verbindung zu Architektur und Standort wichtige symbolische Inhalte bei. Magdalena Bushart macht in ihrem Aufsatz „Überraschende Begegnungen mit alten Bekannten. Arno Brekers NS-Plastik in neuer Umgebung“ deutlich, dass die Skulpturen des Nationalsozialismus ohne ihren räumlichen Kontext kaum

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Abbildung 63a | Reichssportfeld Berlin. Fotografin: Charlotte Rohrbach, um 1936, in: March 1936, Abb. 5. als Propagandawerke des nationalsozialistischen Staates erkennbar sind.50 Daher stellt sich die Frage, ob eine Berücksichtigung der Ortsbezüge in Fotografien nationalsozialistischer Werke von besonderem Interesse gewesen ist. Die nationalsozialistischen Kulturpolitik strebte eine enge Verknüpfung von Architektur und Skulptur an. Der Bau des Berliner Reichssportfeldes verdeutlicht beispielhaft, welche Funktion Skulpturen bei Bauten des NS-Regimes einnahmen. Als erstes Großprojekt des nationalsozialistischen Staates ist das Gelände um das heutige Olympiastadion eines der wenigen Bauvorhaben der Nationalsozialisten, das im gesamten Ausmaß umgesetzt wurde. Die Ausrichtung der Olympischen Spiele 1936 wurde von den nationalsozialistischen Machthabern als Gelegenheit ergriffen, ihre Herrschaftsansprüche deutlich zu machen. Das Bauprogramm für das Reichssportfeld war in Form und Inhalt ideologisch determiniert und sollte als prestigeträchtiges Zeugnis der deutschen Kultur sowohl eine beeindruckende Außenwirkung besitzen als auch das eigene Volk in seinem Nationalstolz stärken.51 Auf dem Berliner Reichssportfeld wurden Plastiken deutscher Bildhauer aufgestellt, die laut dem Architekten Werner March eine „Beseelung des ganzen, die 50 | Bushart, Magdalena: Überraschende Begegnungen mit alten Bekannten. Arno Brekers NS-Plastik in neuer Umgebung, in: Hinz, Berthold (Hrsg.): NS-Kunst. 50 Jahre danach: neue Beiträge, Marburg 1989, S. 35-54. 51 | Vgl. Schäche, Wolfgang/Szymanski, Norbert: Das Reichssportfeld. Architektur im Spannungsfeld von Sport und Macht, Berlin 2001, S. 8.

Im Hintergrund der Skulptur

Abbildung 63b | Reichssportfeld Berlin. Fotografin: Charlotte Rohrbach, um 1936, in: March 1936, Abb. 24. nur die freie Kunst zu schaffen vermag“,52 erreichen sollte. Wie frei diese Kunst war, ist fraglich. Eine Kommission aus konservativen Künstlern vergab die Aufträge für die skulpturale Gestaltung des Geländes – zumeist an sich selbst. Außerdem nahm die Kommission Einfluss auf die Entwürfe der anderen teilnehmenden Bildhauer.53 Die Skulpturen wurden explizit in Zusammenhang mit der Architektur konzipiert und zu einem Gesamtwerk verbunden. Viele der Werke sind aus Muschelkalk hergestellt, um dem Material der Gebäude zu entsprechen. Diese Vorgabe lässt nur sehr grobe und blockhafte Formen zu, so dass die Skulpturen von vorneherein in ihrer Ästhetik vorbestimmt wurden. Die fotografische Dokumentation und Publikation des Geländes war ein wichtiger Aspekt für die Nationalsozialisten, sollte das architektonische Werk mitsamt den Skulpturen doch die Bevölkerung beeindrucken. Das Reichssportfeld wurde als Leistung des neuen Staates regelrecht vermarktet: Postkarten sowie Souvenirund Stereofotografien des Geländes wurden verbreitet. Außerdem wurden hochwertige Bildbände veröffentlicht, die das Bauprojekt vorstellten. Bereits im Jahr der Olympiade 1936 erschien der Bildband „Bauwerk Reichssportfeld“ im Deutschen Kunstverlag Berlin. Der Architekt Werner March for52 | March, Werner: Bauwerk Reichssportfeld, Berlin 1936, S. 42. 53 | Vgl. Bushart, Magdalena: Die Bildwerke auf dem Reichssportfeld in Berlin, in: Tietenberg, Annette (Hrsg.): Das Kunstwerk als Geschichtsdokument. Festschrift für Hans-Ernst Mittig, München 1999, S. 133f.

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Abbildung 63c | Reichssportfeld Berlin. Fotografin: Charlotte Rohrbach, um 1936, in: March 1936, Abb. 26. muliert im Vorwort des Buches sein Anliegen, das Reichssportfeld als Bauwerk darzustellen, da „das Erleben der Spiele und Feiern [...] die ganze Teilnahme in Anspruch nehmen und die künstlerischen Zusammenhänge kaum bewußt werden lassen [wird]“.54 Mit dieser Aussage deutet er die Befürchtung an, seine gestalterischen Leistungen könnten unter dem Eindruck der Veranstaltung unbemerkt bleiben. Das Buch sollte daher das „Bauwerk Reichssportfeld“ als Architektur ins Bewusstsein der Betrachter rücken. Der Bildband ist gegliedert nach den Bauten des Reichssportfeldes, zu denen March jeweils eine Erläuterung verfasste. Zeichnungen und Grundrisse der Gebäude verdeutlichen die Texte des Architekten. Das Buch zeigt den hohen Anspruch der architektonischen Planung, der auch noch über das Ereignis Olympia

54 | March, 1936, S. 6.

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Abbildung 64 | Joseph Wackerle: Rosseführer am Marathontor, Tonmodell. Fotograf: unbekannt, o. J., in: March 1936, Abb.56. Abbildung 65 | Willy Meller: Siegesgöttin am Maifeld, Fotograf: unbekannt, o. J., in: March 1936, Abb.59. 1936 hinausweisen sollte. Ganzseitige Fotografien von Charlotte Rohrbach vervollständigen das Buch in einem angehängten Abbildungsteil. Die Abbildungen zeigen zunächst Luftaufnahmen, die einen Überblick über das gesamte Gelände bieten. Anschließend werden Plätze und Stadien gezeigt und schließlich einzelne Gänge und Geschosse sowie Innenräume und Ausblicke aus Räumen. Die Fotografien sind klar und sachlich gestaltet. Einige wenige Aufnahmen zeigen Gebäude während des Baus, die Mehrheit der Bilder ist jedoch frei von Menschen und situativen Ereignissen. Dadurch sind die Maßstäbe der unbelebten Szenerien aufgehoben und die Aufnahmen wirken beinahe wie ein fotografiertes Modell. Die Fotografien heben besonders die Stringenz der Bauten sowie die Größe der Anlage hervor (Abb. 63a-c). Obwohl in Marchs Texten explizit auf die „Bindung der Bildhauer an den Gesamtplan“ und das „gemeinsame Streben“ von Architektur und Plastik hingewiesen wird, sind die Fotografien der Gebäude von den Abbildungen der Plastik als separates Kapitel getrennt.55 In einem dreiseitigen Text zur Plastik betont March besonders die Funktion der Skulpturen, die Architekturen mit rhythmisch verteilten Akzenten aufzulockern.56 Trotz der engen Verbindung von Skulptur und Architektur zeigen nur sehr wenige Aufnahmen die Werke in ihrem räumlichen Zusammenhang. Im Bildteil 55 | Ebenda, S. 42. 56 | Vgl. ebenda.

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„Plastik“ wird zunächst eine Hitler-Büste gezeigt, die von Josef Thorak gefertigt wurde und gegenüber dem „Zehnkämpfer“ von Kolbe im mittleren Geschoss des Stadions aufgestellt war. Der Raum wird nicht gezeigt, die Büste ist sachlich vor weißem Grund aufgenommen. Ebenso verhält es sich mit den Aufnahmen des „Rosseführers“ von Joseph Wackerle, der „Kameraden“ von Sepp Mages, den „Diskuswerfern“ von Karl Albiker sowie Willy Mellers „Siegesgöttin“. Diese vier Plastiken sind als Modell abgebildet, wobei im Buch nicht darauf hingewiesen wird, dass lediglich die Entwürfe abgebildet wurden (Abb. 64 und 65). Die Künstler haben die Aufnahmen selbst bereitgestellt, was sich in einer vergleichbar geringen Qualität der Bilder niederschlägt. Möglicherweise waren die Plastiken noch nicht fertiggestellt, als das Buch gedruckt wurde. Es folgen Reliefs von Adolf Wamper, die seitenfüllend abgebildet werden und so ebenfalls keinen Zusammenhang mit den Bauwerken des Standortes verdeutlichen. Der Gesamtplan von Architektur und Skulptur, der in den Texten hervorgehoben wird, lässt sich anhand der Anordnung und Gestaltung der Abbildungen im Buch nicht nachvollziehen. Die Werke werden getrennt voneinander abgebildet und die politisch geforderten künstlerischen Zusammenhänge nur gelegentlich in den Bildern kenntlich gemacht. Die Intention der Herausgeber lag in der Herausstellung der künstlerischen (Einzel-)Leistung, und der Architekt als Herausgeber und Autor verfolgte das Interesse, die Qualität seines Entwurfs zu demonstrieren und die Architektur wie ein Kunstwerk zu isolieren. Da der Band in einem Kunstverlag erschien, waren die Ziele der Veröffentlichung weniger von der politischen Strategie und Propaganda geprägt, sondern orientierten sich vielmehr an den Konventionen von Kunstmonografien. Während der Band „Bauwerk Reichssportfeld“ von Walter March den Fokus auf die Gestaltung des Olympiageländes legt, steht der Band „Das Reichssportfeld. Eine Schöpfung des Dritten Reiches für die Olympischen Spiele und die Deutschen Leibesübungen“ unter politischer Prägung. Der Bildband wurde 1936 im Reichssportverlag Berlin veröffentlicht. Bereits der Titel des Buches macht deutlich, dass es nicht um eine kunstkritische Betrachtung geht, sondern dass die Leistungen des Staates im Vordergrund stehen. Die Rolle Adolf Hitlers als Gestalter wird hervorgehoben, während der Architekt Werner March eine untergeordnete Rolle spielt. Direkt das erste Bild des Buches zeigt Adolf Hitler laut Bildunterschrift „bei der ersten Planung des Reichssportfeldes“.57 Gemeinsam mit Minister Dr. Frick steht er an einem Wegesrand und scheint mit einer Geste seiner rechten Hand seine visionären Pläne zu erläutern (Abb. 66). Im darauf folgenden Geleitwort wird all denjenigen gedankt, die „diese herrliche Schöpfung unseres Führers“ umgesetzt hätten. Werner March wird nicht einmal namentlich in seiner Position als Archi-

57 | Reichsministerium des Innern (Hrsg.): Das Reichssportfeld. Eine Schöpfung des Dritten Reiches für die Olympischen Spiele und die Deutschen Leibesübungen, Berlin 1936, S. 9.

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Abbildung 66 | Adolf Hitler und Wilhelm Frick. Fotograf: unbekannt, o. J., in: Reichsministerium des Innern (Hrsg.) 1936, S. 9. tekt erwähnt, stattdessen wird allein Adolf Hitler die Gestaltung und Planung des Geländes zugeschrieben. Auch die Entscheidung, Plastiken auf dem Reichssportfeld aufzustellen, wird Adolf Hitler zugeordnet: „Der Führer und Reichskanzler hatte bei dem Besuch des Reichssportfeldes am 31. Oktober 1934 die Ausschmückung mit Werken der bildenden Kunst als eine Aufgabe von besonderer Bedeutung bezeichnet.“58 Im Anschluss erläutert Frick, in welcher Weise die Aufstellung der Plastiken von Adolf Hitler und einigen Ministern (Goebbels, Rust) finanziell gefördert wurde. Im Schlusswort betont Frick mehrfach die Nutzung des Reichssportfeldes über die Olympischen Spiele hinaus als „herrliche Pflegestätte deutscher Kraft und Tüchtigkeit“.59 Der gesellschaftliche Nutzen und die symbolische Bedeutung des Ortes rücken so ins Zentrum der Betrachtung, während das Sichtbarmachen künstlerischer Zusammenhänge nachrangig behandelt wird. Im Anschluss an das Vorwort des Ministers folgen mehrere Kapitel des Architekten Werner March, die den Ausführungen des Bildbandes „Bauwerk Reichssportfeld“ ähneln und in einigen Abschnitten vollständig entsprechen. Er geht auf die Lage des Geländes, die Verkehrsanbindung und die einzelnen Bauten ein. Insgesamt ist der Text etwas ausführlicher und berücksichtigt im Unterschied zur Veröffentlichung des Deutschen Kunstverlags besonders die Standpunkte der Plastiken. Es folgen Beiträge verschiedener Autoren, die sich jedoch nicht den Skulpturen des Reichssportfeldes zuwenden. 58 | Ebenda, S. 23f. 59 | Ebenda, S. 26.

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Abbildung 67a | Reichssportfeld Berlin. Fotograf: unbekannt, um 1936, in: Reichsministerium des Innern (Hrsg.) 1936, Abb.7. Der Abbildungsteil des Buches ist in mehrere Unterkapitel unterteilt. Zunächst werden einige Pläne des Geländes abgebildet. Danach folgen Bilder vom Abriss der alten Anlagen sowie Aufnahmen der Gebäude während des Baus. Anschließend sind Luftaufnahmen zu sehen, die jedoch nicht identisch mit denen Charlotte Rohrbachs sind (Abb. 67a-b). Die Aufnahmen dieses Bandes sind belebter als die Fotografien von Rohrbach. Es sind Fußgänger zu sehen und Teile des Geländes werden während der Bauvorgänge gezeigt. Baumaterialien, Häuser der Umgebung und Fahrzeuge sind zu entdecken, die zum Bauwerk Reichssportfeld nicht unmittelbar dazugehören. Die Abfolge der Bilder visualisiert den zeitlichen Verlauf, der den Bauprozess bis zur Fertigstellung und somit die aktive Gestaltung des neuen Staates sichtbar macht. Diese narrative Struktur unterscheidet die beiden Publikationen. Da Marchs Band das Reichssportfeld als architektonisches Kunstwerk präsentiert, wurden Darstellungen von Personen nur äußerst selten einbezogen. Das Gelände wird als fertiggestelltes, ästhetisches Gebäude präsentiert. March isoliert sein Bauwerk, um es als Kunstwerk auszuzeichnen. Der Band des Innenministeriums betont hingegen die Rolle Adolf Hitlers und seiner Staatsmacht. Das Projekt wird durch die situativen Bilder als Bauleistung und als für das Volk nutzbarer Ort präsentiert. Der materielle Aufwand, die baulich-technische Leistung und die Arbeitskraft der Menschen sollten die Kraft des Staates bezeugen. Aus diesem Grund wurden auch die Skulpturen des Reichssportfeldes in den beiden Bänden unterschiedlich abgebildet. Ein aussagekräftiges Beispiel für die fotografische Inszenierung im Band „Das Reichssportfeld. Eine Schöpfung des

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Abbildung 67b | Reichssportfeld Berlin. Fotograf: unbekannt, um 1936, in: Reichsministerium des Innern (Hrsg.) 1936, Abb.22. Dritten Reiches für die Olympischen Spiele und die Deutschen Leibesübungen“ ist die Abbildung der Skulptur „Siegesgöttin“ von Willy Meller (Abb. 68). Die „Siegesgöttin“ ist der antiken Nike nachempfunden, wurde aber durch das Symbol einer Schlange, deren Kopf sie mit ihrem linken Fuß niederdrückt, einem christlichen Kontext zugewiesen. In der Hand hält sie ein Eichenblatt aus Bronze, das direkt auf die Siegerehrung der Olympischen Spiele verweist und einen aktuellen Bezug zu ihrem Standort setzt. Die Frauenfigur leitet als eng mit der Architektur verbundene Skulptur am Ende einer Mauer den Fußgängerweg zum Eingang des Maifeldes ein. Ihr Standort bildet eine Achse mit den Türmen des Olympiageländes. Mit Postament misst das aus Muschelkalk gefertigte Werk sechs Meter, wobei der Sockel etwa ein Drittel der Höhe der Skulptur beansprucht. Durch die aufstrebende Form von Skulptur und Postament wird ein Bezug zu den in Sichtweite liegenden Türmen hergestellt. Das verwendete Material Muschelkalk entspricht den vorhandenen Bauten und bildet eine weitere Verbindung zwischen Skulptur und Architektur. Die Figur ist mit ihrer Rückenfläche an einem säulenartigen Fortsatz des Sockels verhaftet, der zusätzlich durch den Faltenwurf des Kleides mit dem Körper der „Siegesgöttin“ verbunden ist. Ihr linkes Bein befindet sich in Schrittstellung, die vom Faltenwurf des Gewandes als horizontale Bewegung unterstützt wird. Dennoch wirkt die Skulptur durch ihre blockhafte Form und die Anbindung an das Wandelement statisch und fest, was auf die Materialeigenschaften des groben Muschelkalks und die Bezugnahme zu den Gebäuden zurückzuführen ist.

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Die Abbildung im Bildband „Das Reichssportfeld. Eine Schöpfung des Dritten Reiches für die Olympischen Spiele und die Deutschen Leibesübungen“ zeigt die Skulptur in ihrer räumlichen Umgebung.60 Im unteren Abschnitt des Bildes ist die Bodenfläche zu sehen, von der sich eine sechsstufige Treppe erhebt, an die der Skulpturensockel angrenzt. Die Skulptur ist an den rechten Bildrand gesetzt und reicht fast bis in die obere Ecke des Bildes. Die „Siegesgöttin“ ist von links vorne zu sehen, so dass sich eine große Fläche hinter der Figur öffnet, aus der diese dem Betrachter entgegenzutreten scheint. Hinter der Figur öffnet sich der an die Treppe anschließende Weg, der auf der rechten Seite von einer Mauer begrenzt ist. Diese Mauer schließt direkt an den Sockel der „Siegesgöttin“ an. Im Hintergrund ragen die charakteristischen, 36 Meter hohen Türme des Reichssportfeldes auf. Eine stark fluchtende Perspektive zeigt die Weite und Größe von Skulptur und Anlage. Zwischen der Skulptur und dem hinteren Turm liegen circa 300 Meter, die sich im Bild optisch extrem verkürzen. Das Bild erzeugt eine Rhythmik der architektonischen Elemente, die Skulptur und Türme gleichstellen. Die verzerrten Größenverhältnisse lassen zunächst auf eine gigantische Skulptur schließen, die beinahe die Höhe eines Turmes einnimmt. Auch die Untersicht, die der Fotograf wählt, verstärkt diesen Eindruck. Die Fotografie unterstützt durch die Wahl der Perspektive den Eindruck der Monumentalität und die Zugehörigkeit zur Architektur. Trotz ihrer Abbildungsgröße scheint die „Siegesgöttin“ nicht das Hauptmotiv des Bildes zu sein, sondern die gesamte bauliche Anlage wird als Komposition präsentiert. Die Türme des Maifeldes besitzen einen hohen Wiedererkennungswert und waren als Wahrzeichen des Reichssportfeldes dem Publikum bekannt. Die fotografische Abbildung der „Siegesgöttin“ nutzt dies, um den Kontext zum NS-Regime herzustellen und die Verbildlichung von Macht und Stärke des Staates für Propagandazwecke zu gebrauchen. Die Abbildungen im Band „Das Reichssportfeld. Eine Schöpfung des Dritten Reiches für die Olympischen Spiele und die Deutschen Leibesübungen“ beziehen verstärkt die Umgebung der Skulpturen ein, da nicht die Einzelleistung eines Künstlers, sondern die Kunst als Leistung des Staates hervorgehoben werden sollte. Den Skulpturen wurde eine dienende Funktion zugeschrieben, die dem Gesamtplan untergeordnet war. Eine Vielzahl von ähnlichen Bildern des Reichssportfeldes wurde in den späten 1930er Jahren publiziert. Skulpturen wurden zur politischen Einflussnahme verwendet – für die sie auch geschaffen worden waren. Das geeignetste Medium der Propaganda war jedoch nicht die Skulptur selbst, sondern deren massenhaft gefertigte fotografische Wiedergabe. Diese bildete häufig den Kontext der Skulpturen mit ab, um die politischen Inhalte zu erzeugen und zu transportieren.

60 | Die Aufnahme wurde auch als Postkarte veröffentlicht.

Im Hintergrund der Skulptur

Abbildung 68 | Willy Meller, Siegesgöttin am Maifeld, Muschelkalk, 1936. Fotograf: unbekannt, o. J., in: Reichsministerium des Innern (Hrsg.) 1936, Abb. 59, unten rechts beschädigt.

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4.4.3 S  kulptur und Wirtschaft – Norbert Kricke: Große Mannesmann Die Verknüpfung von Architektur und Skulptur war im Laufe der Geschichte immer wieder Mittel zur Präsentation gesellschaftlicher Werte. Claudia Büttner legt in der „Geschichte der Kunst am Bau in Deutschland“ umfassend dar, wie sich die Staatsformen Weimarer Republik, Nationalsozialismus, DDR und BRD durch Kunstwerke an Gebäuden repräsentierten.61 Zu allen Zeiten arbeiteten Künstler in öffentlichem Auftrag, doch in der Nachkriegszeit wurde Abstand genommen von offen zur Schau gestellten politischen Inhalten. Es wurden in den 1950er Jahren zunächst Künstler gefördert, die zurückhaltende, allgemeine Themen in ihren Werken aufgriffen. Ab den 1960er Jahren wandten sich Auftraggeber dann verstärkt jungen Künstlern zu, die mit abstrakten Formen arbeiteten, denn Deutschland suchte Anschluss an die Ästhetik der westlichen Welt, insbesondere der USA. Auch in der Stadtplanung kam dieses Anliegen zum Ausdruck. Es wurden zahlreiche Gebäude gebaut, die mit modernen Entwürfen den gegenwärtigen Fortschritt versinnbildlichen sollten und insbesondere von US-amerikanischen Architekten beeinflusst waren. Dazu zählt auch eines der ersten modernen Hochhäuser in Deutschland, das 1956 bis 1958 von der Firma Mannesmann in Düsseldorf gebaut wurde. Das Gebäude des Architekten Paul Schneider-Esleben, das als Symbol des wirtschaftlichen Aufschwungs galt, war bereits fertiggestellt, als der Bildhauer Norbert Kricke 1958 beauftragt wurde, eine monumentale Plastik für den Vorplatz zu schaffen. Mit der Wahl von Paul Schneider-Esleben als Architekt und Norbert Kricke als Bildhauer der zentralen Plastik vor dem Gebäude wollte die Firma Mannesmann ihre Modernität und Fortschrittlichkeit demonstrieren, galten doch beide Künstler als aufstrebende, progressive Vertreter der jungen Nachkriegsgeneration.62 Darüber hinaus wurde das Werk von Norbert Kricke als passende Wahl empfunden, da der Bildhauer von Mannesmann produzierte Stahlrohre als Material für seine Plastiken verwendete.63 Betitelt als „Große Mannesmann“ wurde die Plastik 1961 auf dem Vorplatz des Hochhauses aufgestellt. Das Werk besteht aus mehreren gebogenen Stahlstangen und fügt sich in Krickes als „Raumknoten“ bezeichnete Werkreihe ein. Auch aufgrund seiner Größe und seines prominenten Standortes gilt es als eines der Hauptwerke von Norbert Kricke und durfte daher in kunsthistorischen Publikationen über den Künstler nicht fehlen. Die fotografische Wiedergabe des Werks ist jedoch besonders schwierig, denn es ist kaum möglich, das Kunstwerk isoliert aufzunehmen: Eine Retusche oder Schwärzung des Hintergrundes wäre bei einem derartig komplexen, vielteiligen 61 | BMVBS (Hrsg.): Geschichte der Kunst am Bau in Deutschland, Berlin 2011. 62 | Vgl. Kricke/Kricke-Güse/von Wiese (Hrsg.), 2006, S. 65f. 63 | Vgl. ebenda, S. 67.

Im Hintergrund der Skulptur

Gebilde sehr aufwändig gewesen und hätte den Standort vollkommen ausgelöscht. Die Fotografen konnten außerdem nicht das Werk vor Ort freistellen, da die Plastik viele Durchblicke besitzt und sich zudem keine Objekte in der Umgebung der Plastik befinden, die als einheitliche Hintergrundfläche dienen könnten. Auch eine Berücksichtigung des Standortes ist nicht ohne weiteres möglich. Hinter der „Großen

Abbildung 69 | Norbert Kricke: Große Mannesmann, Stahl, 1958-61. Fotograf: J. Retzlaff, o. J., in: Trier, 1963, S. 48.

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Mannesmann“ ist bei frontaler Ansicht das Sockelgeschoss des Gebäudes sichtbar, das jedoch nicht die charakteristischen Merkmale des Hochhauses wiedergibt und als Bezugspunkt daher nur bedingt geeignet ist. Um die „Große Mannesmann“ abbilden zu können, mussten also verschiedene Faktoren gegeneinander abgewogen und von den Standards der sachlichen Fotografie abgewichen werden. In der Monografie „Norbert Kricke“ von Eduard Trier wird die Plastik in einem Anschnitt mit starker Untersicht abgebildet (Abb. 69). Dadurch ist das Hochhaus der Firma Mannesmann im Hintergrund in seiner vollen Größe zu sehen, denn es erstreckt sich perspektivisch verzerrt in den Tiefenraum. In seiner Symmetrie und Geradlinigkeit wirkt das Gebäude aufstrebend, streng und klar gegliedert. Dem gegenüber steht die Plastik von Norbert Kricke, die aus der Nahsicht unterhalb des Sockels aufgenommen wurde. Sie erscheint als verschlungenes, in Runden verlaufendes Gebilde, das sich nach oben hin weitet und öffnet. Die Knäuel aus Stahlrohren überschneiden sich mehrfach und ragen über den Bildrand hinaus. Es überwiegen gebogene, verschlungene Linien, hinter denen im oberen Teil des Werks in verschiedene Richtungen weisende gerade Stäbe aufragen. Diese treten zwar im Bild zurück, doch verbinden sie sich optisch mit den geraden Linien des Hochhauses, indem sie teilweise annähernd parallel zueinander verlaufen. Die Linien des Hauses fluchten nach oben hin, während der Abstand zwischen den Stäben der Plastik größer wird. Diese gegenläufigen Kompositionsrichtungen setzen das gesamte Bild in Dynamik. Die extreme Perspektive der Fotografie verjüngt das Haus nach oben und verstärkt dadurch Tiefenräumlichkeit und den Eindruck von Höhe. Die „Große Mannesmann“, die, den Sockel eingeschlossen, circa sieben Meter hoch ist, wird in der Gegenüberstellung mit dem 88 Meter messenden Hochhaus zu einem ebenbürtigen Objekt. Der Bildausschnitt und die Perspektive von unten bewirken, dass die Plastik größer erscheint, als sie ist. Die Verzerrung bleibt bei den verschlungenen, abstrakten Formen der Plastik unbemerkt, während sie bei den fluchtenden Linien des Hochhauses deutlich ins Auge fällt. Der Größenvergleich wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die Plastik an allen Bildkanten angeschnitten wird. Die Ausmaße des Werks können dadurch nicht mehr in ihrer Gesamtheit nachempfunden werden, denn es gibt keinen Maßstab im Bild, an dem sich der Betrachter orientieren könnte. Vielmehr tritt der Kontrast zwischen den Formen von Plastik und Architektur in den Vordergrund, was besonders die Fremdartigkeit des Stahlobjekts betont. Die Fotografie stellt die Fortschrittlichkeit von Kunstwerk und Gebäude dar, indem sie die beiden Objekte dynamisch inszeniert und dafür auf die Erkennbarkeit der Gesamtform verzichtet. Beide Motive werden in der Fotografie verbunden, so dass auch der Bezug der Plastik zum Gebäude durch die Fotografie vermittelt wird. Direkt auf der nächsten Seite in Triers Monografie befindet sich eine Abbildung der „Großen Mannesmann“, die den Bildausschnitt dagegen vom Kunstwerk ableitet und die Raumbezüge des Standortes vernachlässigt (Abb. 70). Die Maße

Im Hintergrund der Skulptur

Abbildung 70 | Norbert Kricke: Große Mannesmann, Stahl, 1958-61. Fotograf: unbekannt, o. J., in: Trier, 1963, S. 49. der Plastik mit ihren nach Außen ragenden Streben bestimmen das Bildformat, das dort endet, wo die Gesamtansicht des Werks erreicht ist. Die Aufnahme zeigt das Werk aus einer frontalen Perspektive, so dass es auf dem Sockel stehend wie ein konventionelles Kunstwerk in einer konventionellen Abbildungsform präsentiert wird. Bei dem Gebäude, das im Hintergrund der Plastik zu sehen ist, handelt es sich um den Anbau des neben dem Mannesmann-Hochhaus stehenden alten Firmengebäudes. Zwischen dieser Architektur und Krickes Stahlplastik gibt es keine konzeptionellen Bezüge. Ein weiteres Haus im Bildhintergrund und viele Autos auf einem Parkplatz lassen darauf schließen, dass die Umgebung der Skulptur nur zufällig den Bildausschnitt füllt.

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Wenngleich die Abbildung auf die Nachvollziehbarkeit der Standortbezüge verzichtet, so bietet sie jedoch auch einen Vorteil gegenüber der vorherigen Aufnahme: Die Gesamtform der Plastik und die Größenverhältnisse des Werks kann der Betrachter zumindest ungefähr ableiten, denn es entstehen keine Verzerrungen, die Häuser und Autos geben den Maßstab vor und eine frontale Ansicht der Plastik ermöglicht Rückschlüsse auf die Gesamtform. Der Vergleich der beiden fotografischen Abbildungen verdeutlicht, wie die Festlegung eines einzelnen fotografischen Aspektes (hier die Wahl der Perspektive) sich auf die vermittelten Bildinhalte (hier Standortbezug sowie Form und Größe der Plastik) auswirkt. Da die Fotografen der beiden Aufnahmen unterschiedliche Prioritäten setzten und daher auch unterschiedliche Inhalte vermittelt wurden, verwendet Eduard Trier beide Aufnahmen. So können durch zwei Fotografien mit unterschiedlichen Ansichten die Eigenschaften der Plastik vom Betrachter umfassender nachvollzogen werden als in einer einzigen Abbildung.

4.5 Skulptur und Natur Sobald eine inhaltliche Verbindung zwischen Kunstwerk und Aufstellungsort besteht, ist eine Berücksichtigung der Umgebung für eine Abbildung naheliegend. Der Ortsbezug gehört als konkrete Information zum Kunstwerk dazu und soll daher in der Skulpturfotografie vermittelt werden. Im Zuge der Kritik an der Ortlosigkeit von fotografierten Skulpturen wurden in den 1960er Jahren Bildhintergründe auch ohne diesen direkten kunsthistorischen Anlass als einfache räumliche Szenarien gestaltet.64 Die Fotografen zeigten keine spezifischen Orte, sondern bildeten ästhetische Räume, die die Skulpturen umgaben. Aufnahmen in der Natur nehmen dabei einen besonderen Stellenwert ein. Durch die Verwendung von natürlichen Sujets als Bildhintergrund konnte auf die Lebenswirklichkeit Bezug genommen werden, Abstraktion und Gegenständlichkeit konnten thematisiert werden oder Gegensätze und Gemeinsamkeiten von gewachsenen und konstruierten Formen herausgestellt werden.

4.5.1 Vergänglichkeit als ästhetisches Moment Der Bildhauer Toni Stadler legte großen Wert darauf, dass seine Plastiken grundsätzlich in einem räumlichen Zusammenhang fotografiert wurden. Er arbeitete bevorzugt, aber nicht ausschließlich mit dem Münchener Fotografen, Maler und Kunstschriftsteller Bernhard Dörries zusammen. Die Publikationen der 1960er Jahre zeigen Stadlers Werke vor rauen, zerkratzten Wänden, die den Oberflächen der Skulpturen ähnlich sind. Auch Pflanzen, Schatten oder weitere Skulpturen 64 | Siehe Kapitel 4.2.

Im Hintergrund der Skulptur

sind oftmals im Bild zu sehen. Der Bildhauer hatte laut Doris Schmidt klare Anforderungen an die Fotografie seiner Arbeiten: „[Bernhard Dörries’] Art zu sehen entspricht den Vorstellungen, die Stadler sich vom Ort und von der Umgebung seiner in der Abgeschlossenheit von Atelier und Gartenhof geschaffenen Figuren macht. Stadler möchte seine Figuren nicht objekthaft isoliert, sondern in einfache räumliche Zusammenhänge, oft in einem romantischen Verhältnis zur Natur, eingebunden wissen.“65

Die Fotografien von Bernhard Dörries weisen Aspekte unterschiedlicher Bildkategorien auf. Die Plastiken werden zwar der sachlichen Fotografie entsprechend frontal in die Mitte des Bildes gesetzt, doch häufig scheinen sie am Arbeitsort aufgenommen worden zu sein, so dass die Hintergründe auch Ähnlichkeiten zu

Abbildung 71 | Toni Stadler: Mädchenfigur, 1962. Fotograf: Bernhard Dörries, o. J., in: Kunstverein Hannover (Hrsg.) 1965, Abb. 17. 65 | Schmidt, Doris: Toni Stadler, St. Gallen 1972, S. 5.

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Abbildung 72 | Toni Stadler: Stehender (Kuros), 1972. Fotograf: Bernhard Dörries, o. J., in: Zweite, 1978, S. 86. reduzierten Atelierfotografien aufweisen. Viele Fotografien sind im Außenraum entstanden, vermutlich in dem Gartenhof, der zu Stadlers Atelier gehörte. Das Verhältnis von Stadlers Skulpturen zur Natur wird von Schmid als romantisch bezeichnet. Eine üppige, verwunschene Gartenlandschaft ist auf den Fotografien jedoch nicht zu sehen. Der Hof zeichnet sich auf den Abbildungen als spärlich bepflanzte, mit Steinplatten ausgelegte Fläche aus. Wände und Boden sind uneben und abgenutzt. Die Natur zeigt sich durch karge Äste und einzelne Blätter, die oftmals vertrocknet am Boden liegen. Vorwiegend scheinen die Fotografien im Herbst und Winter angefertigt worden zu sein, um eine Stimmung zu erzeugen, die von einem gleichermaßen schönen und traurigen Verfall geprägt ist. Die Romantik in den Skulpturaufnahmen trägt einen sentimentalen, sehnsuchtsvollen Anteil in sich (Abb. 71).

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Abbildung 73 | Alberto Giacometti im Atelier. Fotograf: Henri CartierBresson, 1961, in: Wiesinger 2007, Abb. 58. Das Wechselspiel von Verfall, Zerstörung und Versehrtheit auf der einen Seite gegenüber Schönheit und Nostalgie auf der anderen Seite findet sich auf mehreren Ebenen innerhalb von Stadlers bildhauerischem Werk wieder. Werner Haftmann sieht auch im Arbeitsprozess Stadlers zugleich Schöpfung und Destruktion, wenn er beschreibt: „[O]ft genug fand sich der Künstler vor den Trümmern seiner Figur wieder. [...] Aber gerade in diesem Akt der Zerstörung macht er doch immer wieder seine eigentliche, große und tröstliche Erfahrung: – daß nämlich gerade in den tragischen Intervallen der Formverwandlungen, in jenem Schwebezustand also, wo die unbefriedigende figurale Materialisation in einen neuen Zustand überzugehen wünscht, die Traumfigur wie eine flüchtige Erscheinung aber in großer Deutlichkeit ihm wieder aufleuchtet, ehe er sich im neuen Formgewand wieder verbirgt.“66

Das von Haftmann beschriebene Spannungsverhältnis zwischen Verbergen und Aufleuchten lässt sich auf die Abbildungen von Stadlers Werk übertragen. Die Ähnlichkeit zwischen den Oberflächen der Hintergründe und der Plastiken bewirkt, dass das Werk mit der Umgebung verschmilzt, Grenzen unklar werden und sich die Kunstwerke regelrecht auflösen, also im Hintergrund verbergen (Abb. 72). Trotzdem können die Körperumrisse immer vom Betrachter erkannt werden, so dass er wie bei einem Vexierbild verschiedene Eindrücke gleichzeitig gewinnen kann.

66 | Haftmann, Werner: Der Bildhauer Toni Stadler, München 1961, S. 42f.

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Die Melancholie und Vergänglichkeit, die durch die Hintergründe mit in die Abbildung gebracht wird, verdeutlicht die Ästhetik von Stadlers Werken. Schönheit und Verfall sind zentrale Aspekte seines Werks, die in der fotografischen Wiedergabe durch den Einbezug von Natur besonders betont werden. Die deformierten, unvollständigen und zerkratzten Körper von Stadlers Plastiken und die Umgebung von Hof und Garten stehen einem sterilen Aussehen entgegen. Die Abbildungen bilden nicht nur einen Gegenpol zur Isolation, sondern sie stellen der sachlichen Darstellung auch eine Ästhetik des Verfalls gegenüber. Die Verflechtung von Hintergrund und Figur in Dörries’ Aufnahmen weist Parallelen zu Werken des Malers und Bildhauers Alberto Giacometti auf – und besonders zu Fotografien aus seinem Atelier (Abb. 73). Zu Beginn der 1960er Jahre wurden im deutschsprachigen Raum mehrere Bildbände von Giacomettis Atelier veröffentlicht, die den Bildhauer in einem Chaos aus Skulpturen, Zeichnungen, Werkzeugen und bemalten Wänden zeigen.67 Giacomettis Atelier und Wohnraum waren überzogen von abblätternden Farbschichten, Flecken, Tonresten und Gipsstaub, die an die Oberflächen seiner Malerei und Plastik erinnerten, zugleich aber auch kaputt und heruntergekommen wirkten. Jean Genet befürchtete 1958: „Dieses Atelier im Erdgeschoss kann übrigens jeden Moment einstürzen. [...] Alles ist fleckig und brackig, alles ist schwankend und nahe daran einzustürzen, alles neigt sich aufzulösen, alles fließt: aber alles ist wie in einer absoluten Realität gefasst.“68 Die Fotografien aus Giacomettis Atelier wurden unmittelbar in Verbindung zu seinem künstlerischen Werk gesetzt. Die lebendigen Oberflächen der Skulpturen, Schichten und Strukturen auf Gemälden und Zeichnungen wurden von den Schichten der Atelierwände abgeleitet. Auf Giacomettis Zeichnungen werden Figuren und Hintergründe miteinander verwoben, so dass sie sich kaum voneinander unterscheiden. Damit bildet sich das Gegenteil eines plakativen, kontrastierenden Bildaufbaus: Grenzen verschwimmen, Übergänge werden unklar, Verfall und Erneuerung sind nicht voneinander zu trennen. Die Fotografien, die in den Ateliers von Giacometti sowie von Stadler entstanden sind, präsentieren die Werke der Künstler an dem Ort, an dem sie geschaffen wurden und an dem sie sich in ein Gesamtbild einfügen. Abnutzung und Spuren auf Oberflächen werden von beiden Bildhauern als ästhetischer Wert erkannt und in Werk sowie Abbildung genutzt. Konzeptionelle Ähnlichkeiten wie die 67 | In den 1930er Jahren entdeckten die Fotografen Man Ray und Brassaï das Studio Giacomettis als Motiv. In den 1950er und 1960er Jahren folgten Robert Doisneau, Henri Cartier-Bresson und Ernst Scheidegger. „Dies war der Moment, wo der Raum endgültig als ‚Giacomettis Atelier‘ bekannt wurde und sich die Rezeption der Werke an dieses Studio und die Persönlichkeit des Künstlers zu knüpfen begann.“ Stoeßel, Julia: Alberto Giacomettis Atelier. Die Karriere eines Raumes, München 1994, S. 2. 68 | Genet, Jean: L’atelier d’Alberto Giacometti, Paris 1958. Deutsche Übersetzung in: Beye, Peter/ Honisch, Dieter: Alberto Giacometti. Skulpturen – Gemälde – Zeichnungen – Graphik, München 1987, S. 371.

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Reduktion der Form und das Erschaffen vielschichtiger Oberflächen, die die Anmutung von etwas natürlich Entstandenem oder Gewachsenem besitzen, bilden Bezüge zwischen den Werken. Die Popularität der Fotografien aus Giacomettis Atelier und die sich daraus entwickelnde Mythenbildung über den Künstler kann ein Ausgangspunkt für die Position von Toni Stadler gewesen sein. Es ist jedoch nicht zu belegen, ob Toni Stadler oder der Fotograf Bernhard Dörries sich an den berühmten Fotografien aus Giacomettis Atelier orientiert haben. Beide Künstler liefern in jedem Fall einen ästhetischen Gegenentwurf zu sachlicher Skulpturfotografie, indem sie die in ihrem Werk angelegten Themen von Verfall und Erneuerung fotografisch vermitteln lassen.

4.5.2 Natur als Bestandteil einer Narration Die Berücksichtigung von Standortbezügen bringt häufig narrative Elemente in die Skulpturfotografie ein, die sich aus den verschiedenen abgebildeten Objekten ergeben. Narration kann ein wichtiger Bestandteil einer Skulptur sein, der sich uch aus der Umgebung ableiten kann. Eine Fotografie von Hildegard Heise, die das Werk „Daphne“ von Renée Sintenis zeigt, verdeutlicht die Narration der Skulptur durch einen Bezug zu ihrer Umgebung, obwohl die Plastik nicht für einen bestimmten Standort konzipiert wurde (Abb.74). Das Werk „Daphne“ bezieht sich auf den bei Ovid geschilderten Mythos, der in einem Konflikt zwischen den beiden Göttern Apoll und Eros seinen Anfang nimmt. Apoll wird von Eros durch einen Liebespfeil dazu verdammt, die Bergnymphe Daphne zu begehren, während diese – ebenfalls von Eros getroffen – die Liebe Apolls nicht erwidert. Apoll verfolgt Daphne, während diese wiederum versucht, ihrem Verehrer zu entkommen. Letztendlich kann Daphne nicht entfliehen, so dass sie als letzten Ausweg ihren Vater Peneios bittet, ihre Gestalt zu verwandeln. Daraufhin erstarrt sie und ihr Körper wandelt sich zu einem Lorbeerbaum.69 Die Geschichte von Apoll und Daphne ist in vielfacher Variation in die Kunstgeschichte eingegangen. Daphnes Verwandlung vom weiblichen Körper in einen Baum forderte besonders Bildhauer heraus, eine Darstellung für die Veränderung von Bewegung zu Erstarrung zu finden. Auch die Bildhauerin Renée Sintenis wählte den ambivalenten Zustand, in dem der Übergang vom Menschen zur Pflanze zu sehen ist, als Darstellungsmoment für ihre Bronzeplastik aus. Ihr Werk zeigt eine unbekleidete Frau, deren Körper wie eine Säule emporragt. Beine, Hüfte, Oberkörper und Kopf schließen sich zu einer langen, schmalen Form zusammen. Die über den Kopf erhobenen Arme winkeln sich unnatürlich, aber geschmeidig vom Körper ab. Der Frauenkörper erinnert bereits an die Form eines Baumes. Beine und Oberkörper werden zu einem Baumstamm, an dem sich bereits Blätter zeigen, die Hände und Arme deuten das Geäst an, die Haare streben nach oben und 69 | Vgl. Ovidius Naso, Publius; von Albrecht, Michael: Metamorphosen, Stuttgart 2013.

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Abbildung 74 | Renée Sintenis: Daphne, Bronze, 1930. Fotograf: Hildegard Heise, o. J., in: Werner 1940, S. 62

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nehmen die Form von wachsenden Zweigen auf. Die Figur wird in dem Moment der Verwandlung gezeigt, in dem der Körper teils noch als solcher erkannt werden kann und teils schon zum Baum erstarrt ist. Das Werk von Renée Sintenis wird in mehreren Bildbänden mittels einer Fotografie von Hildegard Heise publiziert, die die Bronzefigur „Daphne“ optisch mit einem im Hintergrund stehenden Baum verschmelzen lässt.70 Die Fotografin wählt den Bildausschnitt so aus, dass ein blattloser Baum exakt hinter der Bronzefigur aufragt und sich mit dieser verbindet. Dadurch sieht es so aus, als ob die Arme der Plastik von den Ästen des Baumes fortgesetzt würden. Im Hintergrund sind mehrere Laub- und Nadelbäume sowie Hausdächer zu sehen, davor eine Mauer und eine Rasenfläche. Die Plastik setzt sich nicht vom Hintergrund ab, sondern fügt sich in ihn ein – entsprechend der Idee, eine Verbindung zwischen Natur und Skulptur zu schaffen. Die Fotografie unterstützt nicht nur den narrativen Inhalt, sondern ergänzt sogar die Form der Plastik. Die Äste des Baumes werden durch die Fotografie regelrecht zu Teilen der Skulptur, indem sie nicht voneinander zu trennen sind. Diese Ergänzung der Form stimmt mit der Erzählung des Daphne-Mythos und der Bildidee überein, setzt jedoch den Moment der Erzählung weiter in die Zukunft, da die Verwandlung auf der Fotografie weiter fortgeschritten scheint, als es die Plastik allein wiedergeben würde. Während die Bildhauerin Annäherungen von Körper und Baum andeutet und direkte Verweise nur dezent einsetzt, ist die Figur auf der Abbildung bereits vollständig zu einem Baum verwandelt worden, dessen Krone der echte Baum bildet. Die Fotografie zielt nicht auf die bestmögliche Erkennbarkeit der Plastik ab, sondern erzählt die in der Skulptur angelegte Geschichte weiter. Das optische Verschmelzen von Skulptur und Hintergrund wird absichtsvoll eingesetzt, wohingegen es auf vielen anderen Abbildungen gerade zu vermeiden versucht wird. Die eigenständige, wohlüberlegte Gestaltung unterscheidet sich stark von den Kriterien einer sachlichen Aufnahme. Die narrative Verknüpfung von Plastik und Bildhintergrund wurde auf das Motiv abgestimmt und ist als Ausnahme innerhalb der Skulpturfotografie einzuschätzen. Silbergelatine-Abzüge dieser Fotografie werden heute im Kunsthandel angeboten, was bezeugt, dass der Fotografie auch ein künstlerischer Wert zugeordnet wird.

4.5.3 Natur und Skulptur im Kontrast Nicht nur enge inhaltliche Verknüpfungen zwischen Werk und Umgebung können ausschlaggebend für eine Skulpturfotografie in der Natur sein, durch eine Kombination von Skulptur und Natur können auch Kontraste gesetzt werden. So wur70 | Zum Beispiel: Hentzen, Alfred: Deutsche Bildhauer der Gegenwart, Berlin 1935, S. 61 sowie Gertz, 1953, S. 129.

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den in den 1960er Jahren abstrakte Werke, die eine geometrische, technische und konstruierte Formensprache besaßen, sprachlich und bildlich in Bezug zur Natur gesetzt. Das Werk von Norbert Kricke wird häufig mit Vokabular aus Naturbeschreibungen charakterisiert. Eduard Trier bezeichnet Krickes Arbeiten als Raumkeimlinge und bescheinigt ihnen ein „Wachstum, das keine andere Regel kennt als die Bewegung zum Licht hin“71. Auch Helmut Schneider verwendet Worte aus der Pflanzenwelt für Krickes Drahtplastiken: „aufsteigend aus dünnen Stengeln, wuchsen im Licht glänzende Wunderblumen aus Edelstahl“.72 Der Bildhauer selbst betont 1962 die in seinen Werken angelegte Ambivalenz von Natur und Technik, indem er sie als „gewachsene Konstruktion“ umschreibt.73 Kricke schließt damit die organische Form seiner Arbeiten mit der technischen Komponente des Materials zusammen. Fotografien von Krickes im Außenraum aufgestellten Plastiken nehmen die Natur als Kontext häufig auf. In der Monografie von Antony Thwaites wird 1964 eine Abbildung der Plastik „Tempel“ verwendet, die in einem Wald aufgenommen wurde (Abb. 76). Der Titel des Werks verweist auf die säulenartig aufstrebende Form der Stahlplastik, die Kricke lakonisch als „griechisch“ bezeichnet haben soll.74 Der Fotograf der Abbildung wählt den Bildausschnitt so, dass ein dunkler Baumstamm dem weißen Material der Plastik einen Hintergrund bietet und sie hervorhebt. Die Plastik steht zentral, aber nicht ganz mittig im Bild. Oben und unten stößt sie beinahe an die Bildkante, während rechts und links viel Raum bleibt, so dass die vertikale Ausrichtung der Plastik zur Geltung kommt. Es scheint, als ob die Plastik den Baumstamm umfassen würde oder als wäre sie wie ein Liniengeflecht in dessen Rinde hineingeritzt. Auch die Äste der umstehenden Bäume und die Form der Plastik nehmen Verbindung miteinander auf, denn sie weisen strukturelle Ähnlichkeiten auf. Dort, wo die Plastik über den schwarzen Hintergrund des Baumes hinausreicht, verschwinden die Drahtstäbe im unruhigen Wechsel der Durchblicke von dunklen Ästen und hellen Himmelsflächen. Da die Plastik ausschließlich aus geraden Linien besteht, die an den äußeren Punkten die Richtung wechseln, setzt sie sich jedoch von den wechselhaft gekrümmten Naturformen ab. „Tempel“ wirkt fremd und zugleich passend an diesem Ort. Jürgen Morschel beschreibt die Wirkung einer anderen Aufnahme (Abb. 56) von Krickes Werk im Naturkontext wie folgt: „Das Bild der ‚Raumplastik Große Fließende‘ – vor einem Landschaftshintergrund mit Bäumen – sah ich zum ersten Mal als Großfoto bei einem Besuch in Krickes Haus. Was mich an dieser Aufnahme 71 | Trier, 1963, S. 20. 72 | Schneider, Helmut: Plastik zwischen Raum und Zeit, in: Die Zeit 14.01.1977, Nr. 3. 73 | Hatje, Gerd (Hrsg.): Norbert Kricke 1922-1984, o. O. 1984, o. S., zitiert nach: Kricke/Kricke-Güse/ von Wiese (Hrsg.), 2006, S.15. 74 | Schneider, in: Die Zeit, 14.01.1977, Nr. 3.

Im Hintergrund der Skulptur sofort faszinierte, war das spezifische Verstehbarwerden der plastischen Gestaltung im sich unwillkürlich anbietenden Vergleich mit den natürlichen Formen der Bäume. Der Vergleich liegt nahe, weil ja die Plastik auf den ersten flüchtigen Blick durchaus pflanzlich [Hervorhebung im Original] anmutet. Dann wird allerdings schnell deutlich, wie die Plastik sich entscheidend in ihrer ausgeprägten Offenheit von den geschlossenen Baumformen absetzt […]. “75

Das Paradox der gewachsenen Konstruktion lässt sich in diesem Wechselspiel von technischer Präzision und bewegter Natürlichkeit besonders gut nachvollziehen. Die Kontraste zwischen Natur und Plastik betonen die konstruktiven Elemente

Abbildung 75 | Norbert Kricke: Tempel, Stahl, 1952. Fotograf: unbekannt, o. J., in: Thwaites 1964, S. 17. 75 | Morschel, Jürgen: Norbert Kricke, Stuttgart 1976, S. 97.

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des Kunstwerks, während die Verschmelzung von Kunstwerk und Naturraum eine Zusammengehörigkeit deutlich macht. Das Werk „Tempel“ wird durch die Aufnahme in der Natur zu einem fremd erscheinenden Objekt, das in Beziehung zu seinem Umraum steht und wie ein Naturphänomen vom Betrachter beobachtet werden kann.

4.6 Zwischenresümee Die Gestaltung des Bildhintergrundes ist entscheidend für die von der Skulpturfotografie vermittelten Inhalte eines Werkes, denn der Kontext einer Skulptur wird durch ihren Standort in besonderer Weise bestimmt. Zwei gegensätzliche Intentionen führten zu einer Vielfalt von Darstellungsmöglichkeiten: Auf der einen Seite wurde uneingeschränkte Präsenz für die Skulptur angestrebt, was sich in der Auslöschung des Bildhintergrundes mittels verschiedener Verfahren zeigt. Die isolierte Darstellung eignet sich außerdem dazu, den Kunstwert des Gegenstandes zu betonen. Die Schwärzung des Bildhintergrundes durch Retusche oder durch die Verwendung von dunklen Tüchern zur Abschirmung der Umgebung stand jedoch ab den 1930er Jahren in der Kritik, da der manuelle Eingriff des Fotografen negativ bewertet wurde. In Folge wurde häufiger mittels Beleuchtung ein dunkler Hintergrund erzeugt. Obwohl das Ergebnis letztlich ebenso vom Fotografen gesteuert war und einen schwarzen Hintergrund für die Skulptur erzeugte, wurde die Inszenierung mit Licht nicht im gleichen Maße als Manipulation bewertet. Auf der anderen Seite versuchte man ab den 1940er Jahren gezielt, Standortbezüge in der Skulpturfotografie zu erfassen, da man sich ihrer Bedeutung bewusst wurde. Aufstellungsorte wurden insbesondere bei der Aufnahme von Skulpturen im Außenraum berücksichtigt, um künstlerische, formale, gesellschaftliche oder politische Inhalte zu vermitteln. Die Einbeziehung des Standortes ermöglichte dem Fotografen einerseits eine Chance, neue und eigenständige Bildkompositionen zu entwickeln, andererseits bewirkte er auch Einschränkungen in der Skulpturdarstellung. Der Aufstellungsort einer Skulptur bringt Gegebenheiten für den Fotografen mit sich, die der Betrachter zwar nicht immer im Bild sehen kann, aber die sich auf die Skulpturfotografie auswirken, da sich andere fotografische Entscheidungen davon ableiteten. Die Aufstellungshöhe der Skulptur, umgebende Gegenstände, (fehlende) Möglichkeiten der Standortwahl oder die Lichtsituation können den Fotografen zu ungewöhnlichen Aufnahmen herausfordern oder Kompromisse erzwingen. Bei der Betrachtung von Skulpturfotografie ist es daher notwendig, den Standort einer Skulptur immer mit zu bedenken, unabhängig davon, ob und wie er fotografisch dargestellt wird.

5 Skulptur im Atelier Eine eigenständige Position innerhalb der Skulpturfotografie nehmen Aufnahmen ein, die im Atelier des Künstlers entstanden sind. Diese zeigen die Skulptur an ihrem Entstehungsort, oft im Zusammenspiel mehrerer Werke und häufig eingebettet in ein Künstlerporträt. Kaum eine Bildhauermonografie verzichtet auf die Abbildung einer solchen Atelierszene. Meist wird eine Atelierfotografie einleitend oder abschließend in einem Bildband platziert, denn sie soll dem Betrachter einen übergreifenden Eindruck des künstlerischen Schaffens sowie der Künstlerpersönlichkeit bieten. Der Konzeptkünstler und Autor Brian O’Doherty merkt in seinem Essay „Atelier und Galerie“ 2012 an: „Jedes Atelier impliziert eine Ideologie, die sich von einer solchen [sozialen] Übereinkunft ableitet. Daher können wir Ateliers als Texte ‚lesen‘, die auf ihre Weise ebenso aufschlussreich sind wie Kunstwerke selbst.“1 Der Arbeitsraum wird stellvertretend für künstlerische Positionen, für Können und Wissen sowie für das Kunstverständnis und den gesellschaftlichen Status eines Künstlers gedeutet. Dass eine Abbildung des Künstlerateliers als Informationsquelle gesehen wird, die in der Lage sein soll, diese vielschichtigen Inhalte zu transportieren, steht in einer langen Tradition. Das Atelier wurde „über Jahrhunderte nicht nur in seiner pragmatischen Funktion als Werkstätte oder gedankliches Laboratorium registriert, sondern in viel größerem Maße als ein Ort empfunden, an dem die Prämissen für die individuelle künstlerische Identität ergründet werden können“.2 Eva Mongi-Vollmer führt in ihrem Aufsatz „Das Atelier als ‚anderer Raum‘“ die Tradition von Interpretationen des Künstlerarbeitsraums darauf zurück, dass mit der Verwendung des Begriffs Atelier im deutschen Sprachgebrauch Mitte des 19. Jahrhunderts ein epochaler Wandel des Künstlerbildes eingeleitet wurde. Künstler, Werk und Arbeitsraum wurden so eng und symbiotisch miteinander verknüpft, dass sie sich gegenseitig bedingten: Erst der arbeitende Künstler machte einen beliebigen Raum zum Atelier. Laut Brian O’Doherty entstand so eine „selbstreferenzielle Zirkulation“, bei der Atelier, Künstler, Werkzeuge, Kunstwer1 | O’Doherty, Brian: Atelier und Galerie, Berlin 2012, S. 12. 2 | Buschmann, Renate: Der Besuch der Fotografen: Atelierfotografie zwischen Dokumentation und Einfühlung, in: Buschmann, Renate (Hrsg.): Fotos schreiben Kunstgeschichte, Köln 2007, S. 204.

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ke und Schaffensprozess gegenseitig aufeinander verweisen.3 Damit unterscheidet sich das Atelier grundsätzlich von der Werkstatt, die durch ihre Raumeigenschaften und Ausstattung verschiedenen Menschen als Arbeitsstätte dienen kann. Dem Künstler wird eine große Bedeutung als Individuum und Schöpfer zugewiesen, da er als Person den Raum erst zu einem Atelier macht.4 Hinzu kommt, dass das Atelier meist ein gegenüber der Außenwelt abgeschlossener Ort ist, der als Rückzugsort für den allein arbeitenden Künstler dient. Beatrice von Bismarck weist in ihrem Aufsatz „Künstlerräume und Künstlerbilder“ 1998 darauf hin, dass die Voraussetzungen für diese Vorstellung im 19. Jahrhundert ihren Ursprung nahmen, als das Bild des Künstlers eines „gesellschaftlich entfremdeten, [...] mit besonderen Gaben ausgestatteten Menschen, der sich von dem Unverständnis seiner Mitmenschen in die Bereiche des Privaten und der Innerlichkeit zurückzieht“, gefestigt wurde.5 Diese Fremdartigkeit von Künstler und Raum schürt die öffentliche Neugier auf einen Einblick in das Atelier des Künstlers. Das Interesse des Publikums an Atelieransichten wird durch die Faszination angestoßen, Zeuge eines außergewöhnlichen, exklusiven Ereignisses zu werden. Der eigentlich private Ort des Ateliers, der nur ausgewählten Personen zugänglich ist, wurde zunehmend touristisch vermarktet, in Reiseführern beworben, gegen Eintrittsgeld geöffnet und in Büchern und Journalen umfassend zeichnerisch oder fotografisch dargestellt.6 Durch Atelierbeschreibungen und veröffentlichte Atelierbilder entstand eine regelrechte Mystifizierung des Künstlerateliers. Teils nutzten die Künstler selbst das Atelier zu programmatischen Inszenierungen, teils trugen Berichte von Besuchern oder literarische Werke über Ateliers zur Mythenbildung bei.7 Es wurden Erwartungen nach einer besonderen Erfahrung geweckt, die dem Besuch eines religiösen Kultortes ähnelt. So schildert beispielsweise Margarita Cappock das Atelier des Malers Francis Bacon wie folgt: „Noch als ich das Atelier besuchte und es schon lange Zeit nicht mehr den Zweck hatte, dem Künstler als Arbeitsraum zu dienen, war es alles andere als ein leeres Gehäuse; es war noch immer von einer faszinierenden Energie erfüllt.“8 Über das rekonstruierte Atelier von Constantin Brancusi schreibt Brigitte Léal: „Selbst ein ungeschultes Auge erkennt ohne 3 | O’Doherty, 2012, S. 9. 4 | Mongi-Vollmer, Eva: Das Atelier als ‚anderer Raum‘. Über die diskursive Identität und Komplexität des Ateliers im 19. Jahrhundert, in: Kunstforum international, Bd.208, Mai 2011, S. 92f. 5 | Bismarck, Beatrice von: Künstlerräume und Künstlerbilder. Zur Intimität des ausgestellten Ateliers, in: Schulze, Sabine (Hrsg.): Innenleben – Die Kunst des Interieurs. Vermeer bis Kabakov, Ostfildern-Ruit 1998, S. 313. 6 | Vgl. Mongi-Vollmer, in: Kunstforum international, 2011, S. 103. 7 | Vgl. Diers, Michael/Wagner, Monika: Vorwort, in: Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte: Topos Atelier. Werkstatt und Wissensform, Hamburg 2010, S. VIIf. 8 | Cappock, Margarita: Francis Bacon. Spuren im Atelier des Künstlers, München 2005, S. 15.

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Weiteres, […] dass diese ungewöhnliche Ansammlung von Formen […] einer geheimnisvollen Ordnung unterliegt, die nicht den in Museen üblichen Gepflogenheiten entspricht.“9 Der Einblick in ein Künstleratelier wird zu einem auratischen Erlebnis erhoben, bei dem selbst in Abwesenheit des Künstlers dessen schöpferische Kraft erfahren und nachvollzogen werden soll.10 Das „elitäre Versprechen von Nähe zum Geheimnis des Schöpfertums“ macht den Einblick in ein Atelier zu einer besonderen Publikumsattraktion.11 Da jedoch nur selten die Ateliers der Künstler zur Besichtigung offen stehen, die Besucher eigens anreisen müssen und auch die Inszenierungsmöglichkeiten vielfältiger sind, wird das Interesse des Publikums nach dieser authentischen Begegnung mit dem Künstler häufig durch Atelierfotografie bedient. Diese ermöglicht nicht nur, den Raum zu sehen, sondern zeigt in vielen Fällen auch den Künstler während seiner Arbeit. Atelierfotografie gilt als Zeugnis, um Verborgenes offenzulegen und dem Geheimnis des Kunstschaffens nahezukommen. Der lange Zeit gepflegte Ruf der Fotografie als beweiskräftiges Dokument stellte sich als nützlich für Atelieraufnahmen heraus. Die Einschätzung eines Betrachters, dass es so gewesen sein musste wie auf einer Fotografie zu sehen war, konnte vom Künstler durch seine Anwesenheit verstärkt werden, denn durch sie wurde eine Aufnahme zusätzlich als wahrhaftig legitimiert.

9 | Léal, Brigitte: Das Atelier als Kunstwerk. Kurt Schwitters, Piet Mondrian und Constantin Brancusi, in: Conzen, Ina/Schmengler, Dagmar (Hrsg.): Mythos Atelier. Von Spitzweg bis Picasso, von Giacometti bis Nauman, Stuttgart/München 2012, S. 164. 10 | Wie groß das öffentliche Interesse an den Ateliers der Künstler ist, zeigen die besonders aufwändigen Rekonstruktionen von Ateliers als Ausstellungsobjekten. So kann unter anderem das Atelier von Eugène Delacroix an seinem ursprünglichen Ort in Paris besucht werden und das Atelier von Constantin Brancusi wurde auf Wunsch des Bildhauers zunächst im Musée National d’Art Moderne und anschließend sogar an mehreren verschiedenen Orten rekonstruiert. Auch das Atelier von Francis Bacon wurde mit archäologischer Exaktheit samt Wänden, Fußböden und Türen in London ab- und in Dublin wieder aufgebaut und dem Publikum als eigenes Museum zugänglich gemacht. Vgl. Cappock, 2005, S. 11. Auch die Ateliers von Joan Míro, Salvador Dalí, Claude Monet, Max Liebermann und Emil Nolde sind heute der Öffentlichkeit zugänglich. Die Wirkung der Orte ist an den Bekanntheitsgrad von Künstler und Werk gekoppelt. Vgl. Behrens, Julia: Der musealisierte Mythos. Zur Rekonstruktion und Konservierung des Künstlerateliers im 20. und 21. Jahrhundert, in: Conzen/Schmengler (Hrsg.), 2012, S. 24. 11 | Conzen, Ina: Mythos Atelier. Von Spitzweg bis Picasso, von Giacometti bis Nauman. In: Conzen/ Schmengler (Hrsg.), 2012, S. 17.

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5.1 Traditionen der Atelierfotografie Bevor die Fotografie im 20. Jahrhundert eigenständige Bildformen entwickelte, orientierte sie sich an den traditionellen Gattungen der Malerei. Fotografische Porträts, Landschaftsdarstellungen, Stillleben oder Aktbilder wurden den Kompositionsmustern der Malerei entlehnt.12 Auch das gemalte (Selbst-)Bildnis eines Künstlers diente als Vorbild für die Fotografie. Den kunsthistorischen Ursprung für das Porträt eines arbeitenden Künstlers bildet der heilige Lukas, der, eine Marienerscheinung zeichnend, als Schutzpatron der Malergilden gilt. Im ausgehenden Mittelalter wurde das Motiv des malenden Lukas außerdem genutzt, um die Selbstdarstellung von Künstlern zu legitimieren, da sie ansonsten in den Malerwerkstätten noch weitestgehend anonym blieben. Darstellungen des heiligen Lukas zeigen die göttliche Maria häufig innerhalb des Realraums des Malers, so dass die Trennung von göttlicher und irdischer Sphäre bildlich aufgehoben wird. Das Künstlerporträt beruht also zunächst auf der Darstellung eines Malers (nicht eines Bildhauers) und betont die besondere Fähigkeit des Künstlers, etwas Unfassbares mittels Farbe und Papier festzuhalten. Das Bild des arbeitenden Künstlers wurde also von Beginn an genutzt, um dessen Außergewöhnlichkeit hervorzuheben sowie malerisches Können unter Beweis zu stellen. Im 17. Jahrhundert löste sich die Darstellung von Maler mit Modell aus dem religiösen Kontext und entwickelte sich zu einer eigenständigen Form von Selbstbildnis und Porträt, die repräsentative Zwecke erfüllte. Auch das Bildhaueratelier wurde nun als Motiv entdeckt. Arbeitsutensilien, vollendete oder begonnene Werke und die Einrichtung des Raums wurden in den Kompositionen eingesetzt, um die dargestellte Person als Bildhauer zu charakterisieren. Häufig wurden Gemälde von Bildhauerateliers in Anspielung auf den Pygmalion-Mythos angelegt, der auf Ovids „Metamorphosen“ zurückgeht.13 Der Bildhauer Pygmalion erschafft in dieser Verwandlungsgeschichte eine Statue, die wie eine lebendige Frau aussieht. Er verliebt sich in die Statue, die mit Hilfe der Göttin Venus zum Leben erwacht. Den Malern ermöglichte der Mythos, die Verwandlung der Statue von totem zu lebendigem Material darzustellen. Das malerische Können wurde somit sogar in Darstellungen von Bildhauerateliers zelebriert. Erst die Fotografie eröffnete dann im 19. Jahrhundert für die Bildhauer eine Möglichkeit der (Selbst-)Darstellung, die nicht mehr auf malerisches Können verweisen musste. Bildhauer und Fotografen arbeiteten von da an häufig kooperativ zusammen. Selbst nach der Anerkennung der Fotografie als Kunstgattung entstand zwischen Bildhauerei und Fotografie keine Konkurrenzsituation, möglicherweise da sie weniger Überschneidungen in 12 | Vgl. Klant, Michael: Von der Lukasmadonna zu den Photos von Benjamin Katz, in: Katz, Benjamin (Hrsg.): Souvenirs, Köln 1996, S. 15. 13 | Vgl. Ovidius Naso/von Albrecht, 2013.

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ihren Gattungseigenschaften aufwiesen und sich viel mehr ergänzten als Malerei und Fotografie. Das Bildhaueratelier war für viele Fotografen ein beliebtes Motiv, da die dreidimensionalen Objekte eine große Gestaltungsfreiheit zulassen. Im Gegensatz zu Gemälden haben Skulpturen keinen abgeschlossenen Bildraum und können daher vom Fotografen zu freien Kompositionen zusammengestellt werden, ähnlich einem Stillleben oder Interieurbild. Genau die Aspekte, die bei der sachlichen Skulpturaufnahme zum Problem werden können (Perspektive, Maßstab, Wahl der Ansichtsseiten etc.), erwachsen bei der Fotografie im Atelier zum kompositorischen Vorteil. Der Anspruch nach Reproduktion eines Kunstwerks gilt nicht als primäres Ziel der Aufnahme, so dass der Fotograf eigenständiger arbeiten kann. Die Atelierfotografie ermöglicht es dem Fotografen daher, aus den recht starren Konventionen der Skulpturfotografie auszubrechen und das Werk zu interpretieren sowie eine eigenständige Bildatmosphäre zu erzeugen. Der gesamte Konflikt, der sich um die werkgerechte Darstellung einer Skulptur dreht, ist durch die abweichende Funktion des Atelierbildes außer Kraft gesetzt. Atelierfotografie wurde deshalb in vielen Fällen als fotografisches Werk anerkannt, und nicht selten wurden fotografische Serien von Ateliers als Bildbände veröffentlicht. Auch illustrierte Zeitungen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts verstärkt produziert wurden, trugen dazu bei, dass sich Fotoberichte aus Künstlerateliers als Werke der Fotografen etablierten.14 Atelierfotografie kann Inhalte deutlich machen, die Aufnahmen einzelner Skulpturen nicht vermitteln können. Beatrice von Bismarck führt den besonderen Stellenwert von Atelierfotografie darauf zurück, dass die Atelierszene „innerhalb des Kunstdiskurses der Moderne als eine Form der künstlerischen Selbstdarstellung zu verstehen [sei], die in besonderem Maße die Bedingungen der Produktion und Präsentation von Kunst thematisiert“15. Die Themengebiete Produktion und Präsentation von Skulpturen wurden durch die Abbildung unvollendeter Werke und die Darstellung des Künstlers bei der Arbeit gebildet sowie durch die Zusammenstellung mehrerer Skulpturen im Arbeitsraum. Das Atelierbild ist häufig ein Gesamtkonstrukt, bei dem Künstler, Raum und Skulptur gleichermaßen relevant sind. In welcher Weise Fotografen Bildhauerateliers inszenierten und wie die Atelierfotografie als Ergänzung zu kunsthistorischen Texten genutzt wurde, um Inhalte visuell zu vermitteln, soll im folgenden Kapitel untersucht werden. Um das Themenfeld nicht zu sehr auszuweiten und den Zusammenhang zur vorliegenden Arbeit nicht zu gefährden, soll vordergründig die Darstellung der Skulptur im Atelier behandelt werden.

14 | Vgl. Klant, 1996, S. 17. 15 | Von Bismarck, 1998, S. 312.

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5.2 Produktion von Skulptur Die Atelierfotografie wird häufig wie ein beweisfähiges Dokument der Arbeitsmethoden eines Künstlers verwendet. Dazu wird besonders oft der Bildhauer während der Arbeit an einer Skulptur gezeigt. Diese Bildform wird einerseits dem Wunsch des Publikums gerecht, den Schaffensprozess eines Künstlers nachempfinden zu können, und zugleich vom Bildhauer genutzt, um seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und sein Profil als Künstler zu schärfen. Die Darstellung der künstlerischen Arbeit ist insofern aussagekräftig, als dass sie zeigt, wie der Porträtierte künstlerische Arbeit definiert. Ist der Künstler als Handwerker oder als Denker zu sehen, experimentiert er oder verfolgt er ein Konzept, ist er allein oder mit anderen Menschen zusammen, kommt die Inspiration von ihm selbst oder von außen – die Bilder eines arbeitenden Künstlers lassen Rückschlüsse auf die Auffassung von Kunst zu, für die der Abgebildete Pate steht.16 Darüber hinaus ist ein Atelierbild auch eine Beobachtung des Fotografen. Diese von außen kommende Sichtweise und das Statement des Bildhauers fließen zusammen und ergeben ein Bild, das festlegt, in welcher Weise die Öffentlichkeit den Künstler wahrnimmt.

5.2.1 Skulptur als Bestandteil des Künstlerporträts Der Fotograf Herbert List porträtierte zwischen 1944 und 1966 zahlreiche bekannte Künstler, Schriftsteller und Schauspieler, darunter die deutschen Bildhauer Toni Stadler, Heinrich Kirchner, Gerhard Marcks, Georg Kolbe, Hans Uhlmann, Bernhard Heiliger und Fritz Cremer. Die Porträts wurden erst 1977, zwei Jahre nach dem Tod des Fotografen, als Kompendium „Herbert List, Portraits – Kunst und Geist um die Jahrhundertmitte“ veröffentlicht.17 Im Vorwort des Bandes beschreibt Manuel Gasser die Aufnahmen von Herbert List als „Auseinandersetzung mit der Person“, deren Qualität durch die Einfühlungskraft des Fotografen und das „in jedem einzelnen Fall abgegebene, psychologische Urteil“ entstehe.18 Mit der Zielsetzung, die Persönlichkeit eines Künstlers wiedergeben zu wollen, blei16 | Michael Klant zeigt in seinem 1995 erschienenen Buch „Künstler bei der Arbeit von Fotografen gesehen“ Kategorien von Bildern arbeitender Künstler auf und zeichnet den historischen Verlauf von den ersten, starr komponierten Langzeitbelichtungen des 19. Jahrhunderts bis hin zu situativen, spontanen Fotografien der 1970er Jahre nach. Dieses Werk dient als Grundlage für die historische Einordnung der Beispiele. 17 | Die späte Veröffentlichung der Bilder zeigt das Interesse an Atelierbildern als historische Dokumente. Der Untertitel des Bandes „Portraits – Kunst und Geist um die Jahrhundertmitte“ macht deutlich, dass die Buchproduzenten aus den als Einzelbilder entstandenen Fotografien einen Gesamteindruck über die Avantgarde der Zeit extrahieren möchten. 18 | Scheler, Max: Herbert List, Portraits. Kunst und Geist um die Jahrhundertmitte, Hamburg 1977, S. 5.

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ben Lists Atelieraufnahmen der Tradition des Porträtbildes verhaftet. List fotografierte jedoch nicht nur den Künstler, sondern verortete ihn in einem Kontext von Arbeitsraum und Kunstwerken. Manuel Gasser stellt fest: „Beim bildenden Künstler stellt sich außer der Frage nach der Einbeziehung der Umwelt zusätzlich diejenige, ob und in welchem Ausmaß auch das Werk in Erscheinung treten sollte. List spielt hier alle nur denkbaren Möglichkeiten durch.“19

Abbildung 76 | Georg Kolbe. Fotograf: Herbert List , 1947, in: Scheler 1977, Abb. 38. 19 | Ebenda, S. 12.

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Eine 1947 entstandene Aufnahme des Bildhauers Georg Kolbe verdeutlicht, wie geschickt der Fotograf die abgebildete Person mit ihrem Werk zu verbinden vermochte (Abb. 76). Die Fotografie zeigt den Bildhauer Georg Kolbe in Anzug, Hemd und Krawatte auf einem Korbstuhl sitzend. Im Bildvordergrund ist eine Tischplatte zu sehen, die seine Beine verdeckt. Der Bildhauer wendet sich mit leicht gedrehtem Oberkörper seitlich zum Betrachter hin. Seine Arme sind auf den Lehnen des Stuhls abgestützt, und seine Hände locker zusammengehalten. Der Kopf des Bildhauers ist leicht nach vorne gestreckt, so dass er mit ernster, aber entspannter Miene den Betrachter direkt anblickt. Sein Ausdruck ist von dezenten Widersprüchen geprägt: Der wache Blick und die aufrechte Körperhaltung strahlen Selbstbewusstsein und Aufmerksamkeit aus, während die leicht gerunzelte Stirn und die nach unten gerichteten Mundwinkel zweifelnde, prüfende oder kritische Züge sichtbar machen. Auf der linken Seite des Bildes stehen drei Frauenstatuetten hintereinander auf der Tischplatte, während rechts hinter dem Bildhauer eine weitere Frauenfigur auf einer erhöhten Standfläche sichtbar ist. Die vier Werke schließen sich zu einer Reihe zusammen, die durch den dazwischen sitzenden Künstler unterbrochen wird. Eine auffällige Unschärfe im Vorder- und Hintergrund des Bildes und damit auf den Bildebenen der Skulpturen unterstützt die Fokussierung auf den Künstler und verhindert die detaillierte Skulpturbetrachtung. Auch kompositorisch wird der Blick des Betrachters auf den Bildhauer gelenkt: Die Figuren sind kleinformatig und sehr hell gefärbt, wahrscheinlich Gips- und Tonmodelle. Durch die Abfolge dunkler und heller Flächen setzen die Skulpturen einen Rahmen um Georg Kolbe, der durch den Einsatz von Schärfentiefe zusätzlich aus der Umgebung hervorgehoben wird. Durch die perspektivische Verzerrung der Fotografie füllt die vorderste Plastik die Höhe des Bildes vollständig aus. An der Seite und unten ragt die Figur über den Bildrand hinaus, auch die ganz hinten stehende Statuette wird angeschnitten. Durch den Anschnitt wird dem Betrachter suggeriert, dass auch jenseits der Bildgrenze weitere Entwürfe die Reihe ergänzen könnten. Die zwei Plastiken im vorderen Bild lassen formale Ähnlichkeiten in der Gestaltung der Köpfe erkennen. Es können Variationen derselben Figur oder verschiedene Stadien des Gussverfahrens sein. Kolbes intensive Beschäftigung mit der Darstellung des menschlichen Körpers wird durch die Varianten und die Reihung der Frauenkörper bekräftigt. List zeigt nicht eine einzelne, vollendete Plastik des Bildhauers in ihrer Perfektion, sondern betont die permanente Auseinandersetzung, das Suchen und Finden der Formen, das den kritischen Blick des Künstlers zu einer Auszeichnung seiner eigenen Ansprüche werden lässt. Die Skulptur wird nicht als einzelnes Meisterwerk präsentiert, sondern als ein Teil einer kontinuierlichen, vielteiligen Arbeit – des gesamten, umfassenden Œuvres des Bildhauers. Die inhaltliche Verbindung zwischen Bildhauer und Werk erzeugt List durch ein Detail der Aufnahme: Die ineinandergefassten Hände des Bildhauers heben

Skulptur im Atelier

sich von dem dunklen Anzug ab. Obwohl Kolbe nicht an seinem Werk arbeitet, sind seine Hände nicht untätig im Schoß abgelegt. Die Aktivität des Künstlers ist vorstellbar – greifend, arbeitend, formend – sowohl in vergangenen als auch in zukünftigen Handlungen. Wären die Hände des Bildhauers nicht sichtbar, könnte der Betrachter keinen Zusammenhang zum Schaffensprozess an den Skulpturen herstellen. Zugleich würdigt die Ruhe der Haltung auch die bereits geschaffene Arbeit des Bildhauers. Kolbe, der noch im selben Jahr verstarb, hatte sein künstlerisches Werk bereits erarbeitet und musste sich als 70-Jähriger nicht mehr beweisen. Herbert List setzte die Körperhaltung Kolbes ein, um dessen bildhauerische Fähigkeiten von Konzeption und Umsetzung in der Fotografie zu symbolisieren. Der Fotograf ist dafür bekannt, dass er gerade die nebensächlich wirkenden Details gezielt auswählte und inszenierte, so dass ihnen eine „verschlüsselte, aber hochwichtige Bedeutung zukommt“ – eine Methode, die wiederum auf die Traditionen der Porträtmalerei zurückgeht.20 Diese Vorgehensweise nutzte Herbert List nicht nur, um auf die Schöpfungskraft des Bildhauers hinzuweisen, sondern er räumte auch seiner eigenen Arbeit einen Stellenwert ein. Auf dem Tisch in der unteren Ecke des Bildes liegen wie beiläufig einige dunkle Papiere, auf denen helle Formen zu sehen sind. Es scheint sich um Fotografien von Skulpturen zu handeln, die zwar unauffällig am Rande des Bildes, aber zugleich auf vorderster Bildebene platziert sind. Die Abzüge verweisen auf den Fotografen als partnerschaftlichen Begleiter der bildhauerischen Arbeit und als Betrachter und Schöpfer der abgebildeten Situation. Zugleich bleibt vorstellbar, dass die Bilder tatsächlich zufällig auf dem Tisch gelegen haben könnten. Vielleicht haben Fotograf und Künstler sich gegenübergesessen und die entstandenen Abzüge beurteilt oder ihre Ansichten über die jeweilige Profession ausgetauscht. List erreicht durch das realitätsnahe Arrangement, dass der Verweis auf den Fotografen die Aufnahme nicht als künstliches Konstrukt enttarnt, denn die Wirkung eines Atelierbildes leidet, wenn es zu offensichtlich inszeniert erscheint. Durch die arrangierten Details schafft List eine Situation, die für den Betrachter wie eine spontane Zufälligkeit erscheint, die jedoch gerade einen Teil der Inszenierung ausmacht. Die Fotografie von Georg Kolbe ist ein bis ins kleinste Detail von Herbert List durchdachtes Bild, das nicht nur den Bildhauer und seine Arbeit, sondern auch den Fotografen thematisiert. Eingebettet in ein Künstlerporträt charakterisiert List den Bildhauer Georg Kolbe am Ende seines Lebens als nachdenklichen und schöpferischen Künstler. Obwohl Georg Kolbe nicht während der Arbeit gezeigt wird, so verweist doch das gesamte Arrangement der Aufnahme auf seine Schaffenskraft. Die Künstlerpersönlichkeit wird unmittelbar in Zusammenhang zu den geschaffenen Plastiken gestellt, die entsprechend der Tradition der Porträtmalerei eingesetzt werden. Dass List auch seine eigene Position als Fotograf inner20 | Ebenda.

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halb des Bildes thematisiert, zeugt zum einen von Selbstbewusstsein, zum anderen ist es eine weitere Rückbesinnung auf den Ursprung des Künstlerporträts, bei dem sich der Urheber des Bildes häufig ebenfalls darstellte.

5.2.2 Das vollendete Werk als Reputation für Bildhauer und Politik Bereits im 19. Jahrhundert entwickelte sich innerhalb der Atelierfotografie eine Konvention, die Michael Klant als Geste der Vollendung charakterisiert.21 Sie zeichnet sich dadurch aus, dass der Bildhauer anhand eines bereits fertiggestellten Werks eine Arbeitssituation simuliert. Aufgrund langer Belichtungszeiten konnte bewegte Aktivität wie beispielsweise das Schlagen mit einem Hammer zunächst nicht dargestellt werden. Unschärfe, Verwischungen oder das vollständige Verschwinden bewegter Handlungen konnten in der Fotografie nur vermieden werden, indem die Künstler im Stillstand posierten. Das Ergebnis waren recht steife, arrangierte Bilder, die den Künstler mit einem Werkzeug zeigen, das er an ein bereits vollendetes Werk hält. Innerhalb des Bildes befindet sich somit ein Zeitsprung: Der Künstler steckt in der Arbeitsphase, während das Werk schon als das abgeschlossene Ergebnis der Arbeit zu sehen ist. Diese beiden Zeitebenen lassen sich nur dann vereinen, wenn angenommen wird, dass es sich um den letzten Arbeitsmoment handelt, bei dem das Werk soeben vollendet wurde. Viele Fotografien, bei denen die Geste der Vollendung eingesetzt wurde, offenbaren, dass die dargestellte Arbeitssituation für die Kamera arrangiert wurde und der Künstler lediglich so tut, als ob er an dem Kunstwerk beschäftigt wäre. Dadurch verlieren die Szenen an Authentizität, die als Kriterium für die Atelierfotografie grundlegend ist. Trotzdem wurden bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts häufig Arbeitssituationen in dieser Weise arrangiert, fotografiert und veröffentlicht. Ausschlaggebend dafür ist der Anspruch nach Repräsentation, denn das abgebildete Werk sollte gut zu erkennen sein, um die qualitätsvolle Gestaltung durch den Bildhauer deutlich zu machen. Würde sich der Bildhauer mit einem rohen Klumpen Ton oder einem grob beschlagenen Stein ablichten lassen – sein bildhauerisches Können und seine künstlerische Identität kämen nicht zur Geltung. Das Atelierbild und vornehmlich die Geste der Vollendung erfüllte somit vor allem eine repräsentative Funktion für den Bildhauer, die jedoch auch auf außerhalb der Kunstrezeption liegende Inhalte ausgeweitet werden konnte. Besonders deutlich wird dies anhand von Atelieraufnahmen, die im Nationalsozialismus eine starke politische Lenkung erfuhren und eine Funktion als Propagandamittel erfüllten. Eine Aufnahme der Fotografin Charlotte Rohrbach aus dem Atelier des Bildhauers Arno Breker veranschaulicht, in welcher Weise politische Aussagen durch eine gezielte Inszenierung im Künstleratelier ins Bild gesetzt wurden (Abb. 21 | Vgl. Klant, Michael: Künstler bei der Arbeit von Fotografen gesehen, Stuttgart 1995, S. 36.

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Abbildung 77 | Arno Breker im Atelier. Fotograf: Charlotte Rohrbach, o. J., in: Tank 1942, S. 112. 77). Die Fotografie wurde 1942 im Textteil des Bandes „Deutsche Plastik unserer Zeit“ von Kurt Lothar Tank abgedruckt, der im Hauptteil Stereofotografie auf separaten Fotokarten beinhaltet.22 Die Bildunterschrift „Professor Arno Breker modelliert Reichsminister Speer in seinem Atelier in Jäckelsbruch“ stellt sicher, dass die Personen auf dem Bild vom Betrachter richtig zugeordnet werden und verortet zugleich die Arbeitssituation. Das ehemalige Rittersgut Jäckelsbruch wurde samt Parkanlagen 1938 als Geschenk von Adolf Hitler an Arno Breker übergeben.23 Da diese Schenkung medial verbreitet worden war, erinnerte die Nennung des berühmten Ortes den Betrachter an die hohe Wertschätzung Hitlers für den Bildhauer und bildete einen ersten, indirekten Verweis auf die Verbindung zwischen dem Staatsoberhaupt und dem Künstler. Die Abbildung zeigt Arno Breker, während er mit einem feinen Werkzeug den modelstehenden Reichsminister Albert Speer porträtiert. Der Bildhauer trägt einen weißen Kittel über einem Hemd mit Krawatte und schaut konzentriert auf 22 | Es existieren weitere Aufnahmen derselben Ateliersituation, die aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen wurden. Diese werden bis in die heutige Zeit hinein abgebildet, zum Beispiel bei Hirlé, Ronald/Bodenstein, Joe F.: Arno Breker. Sculpteur, dessinateur, architecte, Straßburg 2010, S. 37. 23 | Vgl. Doll, Nikola/Koch, Almut/Schöne, Dorothea: Das Staatsatelier Arno Breker. Bau- und Nutzungsgeschiche 1938-1945, Berlin 2014, S. 9.

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das vor ihm stehende Werk. Um seine Arbeitshandlung an der hoch stehenden Büste anzudeuten, muss Breker beide Arme heben, doch er wirkt nicht angestrengt. Das feine Werkzeug, das der Bildhauer mit beiden Händen festhält, und sein eindringlicher Blick auf die überlebensgroße Büste vermitteln den Eindruck einer sehr kleinteiligen Feinarbeit.24 Die Arbeit an der Büste wird als Handwerk ohne anfallenden Staub und Schmutz dargestellt, das mit Genauigkeit und Ruhe eigenhändig durch den Künstler ausgeführt wird. Tatsächlich wurden die Entwürfe von Breker in der Regel in den Steinbildhauerwerkstätten Arno Breker GmbH in einer geschäftigen Massenproduktion gefertigt. Im Jahr 1943 arbeiteten dort 46 Mitarbeiter, darunter zwölf Bildhauer, die die kleinen Tonmodelle Brekers in monumentale Plastiken umsetzten.25 Der Betrieb wurde in den folgenden Jahren sogar noch vergrößert und die Mitarbeiterzahl durch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene erhöht.26 Im Gegensatz zu der fabrikähnlichen Produktionsstätte in Wriezen stellt die abgebildete Atelierszene den Arbeitsprozess als intime Situation dar, die den Geniestatus des Künstlers betont. Doch nicht dem Künstler allein wird in der Aufnahme Ruhm erwiesen: Durch die Büste gedoppelt wird der in selbstbewusster Haltung an ein Möbelstück gelehnte Albert Speer gewürdigt. Er ist ähnlich wie die Porträtplastik im Halbprofil zu sehen, so dass es scheint, als könnte Breker während der Arbeit immer wieder kurz zu Speer hinüberschauen, um sein Werk zu überprüfen. Auch der Betrachter wird von der Komposition angeregt, die Büste direkt mit dem lebenden Vorbild zu vergleichen. Es wird dem Betrachter nahegelegt, sich dadurch sein eigenes Bild von der Leistung des Künstlers machen zu können. Nach welchen Kriterien Kunst beurteilt werden kann, wird im Vorwort des Buches von Albert Speer benannt: „Die bildende Kunst unserer Tage hat zurückgefunden zu klassischer Einfachheit und Natürlichkeit und damit zum Wahren und Schönen.“27 Die ästhetische Leitlinie, die Naturtreue propagiert, kann nur anhand eines abgeschlossenen, vollkommenen Werks deutlich gemacht werden. Folgerichtig weist die fotografierte Plastik der Atelierszene keine erkennbaren Unterschiede zur vollendeten Büste auf. Auch

24 | Brekers Werke werden häufig als sehr detaillierte, feine Ausarbeitungen dargestellt und beschrieben. In der Betrachtung der Originale fällt jedoch auf, dass die Werke tatsächlich recht großflächig angelegt sind. Durch die Verkleinerung und Komprimierung in der Fotografie gewinnen die Monumentalskulpturen eine Detailtreue, die sie in der direkten Ansicht nicht erfüllen. Vgl. Bressa, Birgit: Subjektive Ansichten durch das Objektiv. Die Skulpturen Arno Brekers in der Fotografie des deutschen Faschismus, in: Fotogeschichte 51/1994, S. 43. 25 | Vgl. Backes, Klaus: Hitler und die bildenden Künste. Kulturverständnis und Kulturpolitik im Dritten Reich, Köln 1988, S. 97. 26 | Vgl. Doll 2014, S. 16. 27 | Tank, 1942, S. 7.

Skulptur im Atelier

die feinsten Linien wie Augenbrauen, die Andeutung der Pupillen und die Ausgestaltung der Haare sind auf dem Atelierbild bereits zu erkennen (Abb. 78). Die Büste wird durch die Inszenierung der Fotografin zum wichtigsten Bildmotiv erhoben: Obwohl das Werk mehr als lebensgroß ist, wird es zusätzlich auf einem Bildhauerblock mit einem Stab erhöht, so dass es die beiden Personen überragt. Der Block, auf dem die Plastik befestigt ist, wurde mit einem Tuch im Vordergrund abgedeckt, so dass die Holzkonstruktion nicht vom Geschehen ablenkt. Die Ansichtsseite der Büste wird exakt ausgeleuchtet und im Halbprofil auf den Blick des Betrachters ausgerichtet. Der Bildhauer muss die verschattete Seite der Skulptur bearbeiten, damit er die ideale Ansicht der Büste für den Betrachter nicht behindert. So wird die Plastik zum strahlenden Ergebnis der Zusammenkunft der beiden gestaltenden Staatsmänner Speer und Breker, doch es wird weniger die künstlerische Handschrift Brekers gefeiert als die Schaffenskraft des Staates allgemein. Die enge Verbindung von Speer zu Hitler war den Zeitgenossen durch die

Abbildung 78 | Arno Breker: Porträt Alber Speer, 1941. Fotograf:, in: Flammarion 1942, S. 60.

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Berichterstattung der Medien bekannt; Speer gehörte zu den engsten Vertrauten des Machthabers und wurde als Visionär des neuen Staates präsentiert. Unterstützt wird dieser Eindruck durch den einleitenden Text des Buches, der deutlich macht, dass jede schöpferische Einzelleistung erst durch Adolf Hitler ermöglicht worden sei: „Aus allem aber formt sich der Dank an den, ohne dessen Dasein und Wirken all dies nicht wäre – der Dank an der Führer, der in unserem Volk wieder die schöpferischen Kräfte der Fesseln entband, in die sie so lange geschlagen waren, und der den Edelsten wieder die Kraft und den Stolz eingab, selbst Gestalter zu sein, aus Eigenem neue und dauernde Wirklichkeit zu schaffen, sich und uns Unsterblichkeit!“28

Unter Berücksichtigung des gesamten Gefüges aus Atelierbild, Texten des Buches und Berichterstattung der Medien, kristallisiert sich das politische Statement heraus, das der bei Tank abgebildeten Atelierfotografie übergeordnet ist. Die nationalsozialistische Propaganda nutzte häufig die Ateliers der geförderten Bildhauer als Repräsentationsobjekte für den Staat.29 Nicht nur durch Fotografien in Zeitschriften und Büchern, auch in der Wochenschau wurde mehrfach über das Atelier Arno Brekers berichtet, so dass es vielen Deutschen bekannt war.30 Indem Künstler und Politiker auf den Medienbildern zusammengebracht und als Einheit des Staates präsentiert wurden, sollten die Bilder den Eindruck einer schöpferisch handelnden Regierung festigen. In einem Bericht aus dem Frühjahr 1942 wurde das Atelier Brekers als Staatsatelier präsentiert und der Einfluss von Albert Speer betont: „Vertreter der in- und ausländischen Presse besichtigen Plastiken, die jetzt in Paris zur Ausstellung gelangen. Ein Teil davon ist im Auftrage des Generalbauinspektors Reichsminister Speer für die Neugestaltung Berlins geschaffen worden.“31 Im Anschluss folgen mehrere Beiträge mit Frontaufnahmen, die das Kriegsgeschehen mit Schießereien, Sprengungen und Gefangennahmen einseitig, aber dennoch drastisch zeigen. Für die Medien waren die Bilder aus den Künstlerateliers von wichtiger symbolischer Funktion, denn sie boten im Gegensatz zur Kriegsberichterstattung ein positives Image der Neugestaltung des Staates. Somit erfüllte auch die Fotografie von Charlotte Rohrbach eine politische Aufgabe, die in das Kunstbuch eingeschleust wurde. Die arrangierte Situation Bildhauer – Plastik – Minister sollte nicht nur Bewunderung für die künstlerischen Fertigkeiten Brekers hervor-

28 | Tank, 1942, S. 16. 29 | Vgl. Bressa, 1994, S. 41. 30 | Vgl. Doll, 2014, S. 8. 31 | Deutsche Wochenschau 610, 23. Mai 1942.

Skulptur im Atelier

rufen, sondern auch die Relevanz des Reichsministers zeigen, in dessen Auftrag eine Vielzahl der Werke entstanden war.32 Die durch die Geste der Vollendung angelegte Reputation für den Bildhauer wird somit auf den Staat ausgedehnt und das Atelierbild erweitert sich zum Sinnbild eines komplexen Machtgefüges. Zugleich passt die Geste der Vollendung zu der Haltung der nationalsozialistischen Kulturpolitik, die ausschließlich klar erkennbare, naturalistische Plastik unterstützte. Nicht fertiggestellte Skulpturen hätten als Fotografie festgehalten eine unerwünschte Abstraktion und Fragmentierung sichtbar gemacht. Da die Darstellungskonvention Geste der Vollendung in einer langen Tradition steht, fließt die Staatspropaganda außerdem in ein bereits anerkanntes Bildsujet ein. Der öffentlichkeitswirksame Nutzen von Atelierbildern im Nationalsozialismus ist in der Forschung zur NS-Skulptur und deren Fotografie bisher selten und nur bruchstückhaft thematisiert worden. Birgit Bressa weist zwar 1994 in ihrem Aufsatz „Subjektive Ansichten durch das Objektiv“ auf die zahlreichen Veröffentlichungen von Atelierbildern Arno Brekers hin, doch unterschätzt sie deren Inszenierung. Obwohl Bressa die Tragweite der Atelierfotografie als politisch-ideologischen Bedeutungsträger offenlegt, bezeichnet sie die Aufnahmen als „Dokumentationsmittel, um den Kunstakt zu thematisieren“ und zählt das „sachliche Festhalten des Arbeitsprozesses“ als Methode der nationalsozialistischen Propaganda auf.33 Die sachliche Aussagekraft der Abbildungen über den künstlerischen Prozess kann jedoch als gering eingestuft werden, vielmehr handelt es sich um minutiös inszenierte Kompositionen, die nicht mit der Arbeitswirklichkeit der Künstler übereinstimmen müssen. Aus diesem Grunde muss der Umgang mit Bildmaterial aus der Zeit des Nationalsozialismus mit Vorsicht geschehen. Während die Furcht vor der Propagandawirkung nationalsozialistischer Skulptur bis in die 1960er Jahre hinein dazu führte, dass nur wenige Kunsthistoriker in diesem Themenbereich forschten, wurde mit dem Bildmaterial – insbesondere aus den Ateliers der Künstler – leichtfertig umgegangen. So wurden nicht selten Fotografien der Staatsateliers auch nach 1945 noch wie Dokumente abgebildet.34 Ein Bewusstsein für die detaillierte Inszenierung der Atelierbilder ist dringend notwendig, um die Fotografien in ihrer propagandistischen Wirkung richtig einordnen zu können. Die Geste der Vollendung ist eines der bildnerischen Mittel, die im Nationalsozialismus zur Erzeugung eines kulturellen Konsenses genutzt wurde und die das Kunstverständnis der Zeit mitprägte. 32 | Arno Breker profitierte von Kontakten zu den politischen Führern des Nationalsozialismus. Seine Karriere wurde erheblich von Adolf Hitler, Joseph Goebbels, und Albert Speer protegiert. Vgl. Doll, 2014, S. 1. 33 | Bressa, 1994, S. 41. 34 | Zum Beispiel in: Wulf, Joseph: Die Bildenden Künste im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Gütersloh 1963.

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5.2.3 Das unvollendete Werk Die Beispiele für Atelieraufnahmen, die die Geste der Vollendung einsetzen, sind vielfältig und nicht an einen bestimmten Zeitabschnitt gebunden. Seit Mitte des 20. Jahrhundert wurde es jedoch zunehmend nicht mehr als zeitgemäß empfunden, dass Künstler vor dem Kunstwerk posieren. Deshalb wurden neue Kompositionsmöglichkeiten gesucht, um die traditionsreichen Sujets Künstler bei der Arbeit und Künstler mit Modell zu aktualisieren. Eine 1959 entstandene Aufnahme des Fotografen Wolf Lücking zeigt das Atelier Bernhard Heiligers während einer Porträtsitzung mit Walter Gropius (Abb. 79). Die Situation, die zwischen Künstler, Werk und Modell entsteht, ist vergleichbar mit dem im vorherigen Kapitel analysierten Beispiel aus Arno Brekers Atelier. Die beiden Künstler stehen zudem in einer biografischen Verbindung: Bernhard Heiliger hatte von 1938 bis 1941 bei Arno Breker studiert und gehörte zu den Bildhauern, die 1943 im Atelier des Staatsbildhauers in Wriezen die Entwürfe Brekers ausführten. Ab 1949 bezog Heiliger das ehemalige Atelier Brekers am Käuzchensteig, das von Breker jedoch aufgrund von Bombenschäden kaum genutzt worden war. Trotz dieser gemeinsamen Historie gestaltet sich der künstlerische Ansatz sowohl der beiden bildhauerischen Œvres als auch der beiden Atelierfotografien ausgesprochen unterschiedlich. Die Abbildung zeigt eine Porträtsitzung zwischen Bernhard Heiliger und dem Architekten und Gründer des Bauhauses, Walter Gropius. Bildhauer, Werk und Architekt sind nicht nebeneinander im Bild zu sehen, sondern ordnen sich hintereinandergestaffelt in der Tiefe des Bildraums an. Dadurch ergeben sich Überschneidungen, die Einzelheiten der Situation für den Betrachter verstellen. Der Bildhauer Bernhard Heiliger ist in der Rückenansicht zu sehen. Er verdeckt die Porträtbüste gerade so viel, dass noch genug Einzelheiten erkennbar bleiben, um ein Gesicht in der Tonplastik auszumachen. Mit seiner linken Hand berührt Heiliger das Tonmodell, so dass eine formende Tätigkeit angedeutet wird. Das Zusammenspiel von Büste und Hand ist für den Bildaufbau zentral, da durch die Rückenansicht des Künstlers und dessen ausgestreckten Arm der Blick des Betrachters direkt zum Werk hingelenkt wird. Trotzdem kann weder der Künstler noch die entstehende Plastik vollständig erfasst werden (Abb. 80). Rechts neben dem Bildhauer ist Walter Gropius zu sehen, der, durch die Perspektive der Kamera verkleinert, weiter hinten im Raum auf einem Stuhl sitzt. Gropius trägt Anzug und Fliege, hält die Arme vor dem Bauch verschränkt und hat seinen rechten Fuß auf den linken Oberschenkel gelegt. Die Körperhaltung wirkt leicht zusammengesunken, aber entspannt. Gropius wird ebenso wie die Plastik teilweise von Bernhard Heiligers Körper verdeckt. Trotzdem sind Werk und Architekt sehr präsent, da sie zum Betrachter hingewendet platziert sind und im Gegensatz zu den vor und hinter ihnen liegenden Gegenständen vom Fotografen scharf fokussiert wurden.

Skulptur im Atelier

Abbildung 79 | Bernhard Heiliger im Atelier mit Walter Gropius. Fotograf: Wolf Lücking, 1959, in: Wellmann 2000, S. 108. Die Atelierfotografie von Wolf Lücking zeichnet sich dadurch aus, dass sie zwar das traditionelle Sujet Künstler und Modell aufgreift, aber an vielen wesentlichen Punkten dem Betrachter den Einblick verwehrt und eben gerade nicht offenlegt, was im Atelier passiert. Die Inszenierung folgt dabei einer Bildstrategie, der ein berühmtes Vorbild vorausgeht. In seinem Aufsatz „Atelier und Galerie – Studio and Cube“ nennt Brian O’Doherty vier Darstellungen der europäischen Kunst, die seiner Einschätzung nach das Atelier als Sujet manifestierten, darunter „Die Malkunst“ von Jan Vermeer, entstanden zwischen 1666 und 1673 (Abb. 27).35

35 | O’Doherty nennt außerdem Jan van Eyck: Die Arnolfini-Hochzeit, 1434; Diego Velázquez: Las Meninas, 1656; Gustave Courbet: Das Atelier des Künstlers, 1855. Vgl. O’Doherty, 2012, S. 12.

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Ein Bild von Skulptur „In Vermeers Gemälde werden wir mit der Rückenansicht des Künstlers bekannt gemacht, die unsere Sicht zugleich unterstützt und verdeckt. […] Der Künstler ist eindrucksvoll anwesend und bleibt dennoch unerkannt. Sein Rücken ist so geheimnisvoll wie die Rückseite einer Leinwand.“ 36

O’Dohertys Beschreibung von Vermeers Malerei findet viele Übereinstimmungen in der Atelierfotografie von Wolf Lücking. Auch Bernhard Heiligers Rücken bildet eine spannungsvolle Leerstelle im Bild. Das weiße Hemd, das wie ein leuchtendes Quadrat aus der Mitte des Bildes hervorsticht, wirkt fast so, als wäre ein Loch in die Aufnahme geschnitten worden. Dass der Bildhauer sich dem Atelierbild entzieht, indem er dem Betrachter den Rücken zuwendet, stilisiert ihn als in sein Werk vertieften Künstler, der sich nicht um die selbstdarstellende, möglicherweise narzisstisch wirkende Repräsentation durch die Fotografie schert. Der Fotograf zeigt um die weiße Fläche des Oberkörpers herum genau so viel Bildinformation, dass eine Vorstellung vom Geschehen angeregt wird – aber auch nicht mehr. Das ständige Verstellen des Blicks erzeugt Spannung und macht den Betrachter neugierig auf die ihm vorenthaltenen Dinge. Außerdem scheint es, als ob die Aufnahme unbemerkt von Bernhard Heiliger entstanden wäre, wodurch ihr noch mehr Authentizität beigemessen wird. Auch der Aspekt des verborgenen, voyeuristischen Beobachtens geht auf Vermeer zurück und wird in Lückings Atelierfotografie aufgegriffen. Eine Öffnung des Bildes in Richtung des Fotografen geschieht durch Walter Gropius, der direkt in die Kamera blickt. Die Anwesenheit des Fotografen wird damit enttarnt und zugleich wird dem Betrachter ein Gegenüber geboten. Die Gefüge zwischen den Protagonisten und dem Betrachter des Bildes sind genauestens inszeniert und keinesfalls dokumentierend angelegt. Doch obwohl diese Atelierfotografie sich bei genauem Hinsehen als arrangiertes Konstrukt offenbart, vermittelt sie ein anderes Kunstverständnis als die gestellt wirkenden, auf Repräsentation angelegten Atelierfotografien vorheriger Jahrzehnte. Der Bildhauer zeigt sich unabhängig, eigenwillig und weniger angepasst und auch die Ansicht des Kunstwerks wird dem Betrachter zu großen Teilen vorenthalten. Besonders für die Fotografie einer Porträtplastik ist diese Darstellung ungewöhnlich. Kaum ein anderes Sujet steht in vergleichbarem Maße in der Pflicht, Ähnlichkeit zu seinem Vorbild aufzuweisen. Die Werke Heiligers zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass der Bildhauer die Porträtaufgabe mit einer zunehmend abstrahierenden Formensprache vereinbarte.37 Indem das Kunstwerk in einem nicht abgeschlossenen Zustand gezeigt wird, wird der Fokus vom Produkt auf den Prozess gelenkt. Zugleich ist die Atelieraufnahme als Künstlerporträt angelegt. Es wird jedoch der porträtierte Walter Gropius hervorgehoben, der in den Mittel36 | Ebenda. 37 | Vgl. Berger, Ursel: Symbole unserer Zeit. Heiligers Bildnisköpfe im Rahmen der Entwicklung der Porträtplastik in Deutschland, in: Wellmann, Marc/Schneckenburger, Manfred (Hrsg.): Bernhard Heiliger. Die Köpfe. Köln 2000, S. 24.

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Abbildung 80 | Bernhard Heiliger: Walter Gropius, 1959. Fotograf: Ewald Gnilka, o. J., in: Wellmann 2000, S. 109. punkt gerückt wird und der somit gleichzeitig vom Bildhauer als auch vom Fotografen dargestellt wird. Die Fotografie von Wolf Lücking verdeutlicht, wie ab Mitte der 1950er Jahre nicht mehr das abgeschlossene Werk, sondern Konzeption und Prozess in den Vordergrund des Interesses rückten. Es wurde häufiger versucht, die starren fotografischen Arrangements aufzubrechen um die neuen Konzepte darzustellen. Auch unfertige Plastiken im Atelier wurden zum Thema der Fotografie, die sich mehr und mehr dem Prozess der bildhauerischen Arbeit zuwandte. Unterstützt wurde diese Tendenz durch den technischen Fortschritt, der immer kürzere Belichtungszeiten möglich machte.

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5.2.4 Prozesshaftigkeit Die Malerei der 1950er Jahre brachte mit Action Painting, Informel und Tachismus neue Ausdrucksformen in die Produktion von Kunst, die auch die Atelierdarstellungen und den Blick auf den Künstler veränderten. Schnelle Gesten, intuitive Gestaltungsprozesse und öffentliche Auftritte vor Publikum führten zu einer Abkehr vom romantischen Künstlermythos des einsamen Genies.38 Künstler wie Jackson Pollock wurden wie Popstars gefeiert und auch als Zeichen von Fortschrittlichkeit und Demokratie medial vermarktet. Das Atelierbild änderte sich mit diesen neuen Impulsen und gerade das Flüchtige, Dynamische und Bewegte wurde von den Fotografen betont. Die berühmteste Bildserie aus dieser Zeit ist Hans Namuths Reihe über Jackson Pollock, die um die 500 Aufnahmen umfasst und ab 1950 innerhalb von zwei Jahren entstanden ist. Eine Auswahl der Fotografien wurde zunächst 1951 in der Zeitschrift „ARTnews“ veröffentlicht und seither in einer Vielzahl von Publikationen verwendet (Abb. 81). Jackson Pollock wird während der Arbeit an einem seiner Dripping-Bilder gezeigt. Anders als bei früheren Atelierbildern wurde der Künstler hier gerade nicht dazu angehalten, für die Aufnahme in einer Körperhaltung zu verharren, sondern er bewegte sich schnell um die am Boden liegende Leinwand herum und schüttete, warf und tropfte Farbe darauf. Die dynamischen Gesten führten in der Fotografie zu Unschärfe und Verwischungen, die von Hans Namuth als gestalterisches Mittel eingesetzt wurden, um die Geschwindigkeit des Arbeitsprozesses hervorzuheben. Die Bildserie verabschiedete den einen entscheidenden Moment der Kunstschöpfung und ersetzte ihn durch viele aufeinanderfolgende Eindrücke, die der Bildfolge eines Films ähneln. Da die Bilder ungezählte Male nachgedruckt wurden, geht Michael Klant davon aus, dass „sie mehr Publikum als die Werke Pollocks selbst erreicht“ haben.39 Auch Barbara Rose schreibt den Bildern eine Bedeutung zu, „die keine vorhergehende Dokumentation von einem Künstler jemals hatte. Die Konzentration auf die Tätigkeit – den Prozess des Kunstmachens – statt auf den Künstler änderte den Gang der Kunstkritik und sogar der Kunstgeschichte.“40 Eine entscheidende Neuerung lag in der Sicht auf die künstlerische Arbeit, die als Aktion und weniger als handwerkliches Können präsentiert wurde. Der Einfluss der gestischen Malerei, die sowohl in Amerika als auch in Europa für Aufsehen sorgte, blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Bildhauerei in Deutschland. Der Begriff informelle Plastik wurde eingeführt und wird bis heute verwendet. Doch immer wieder wurde angezweifelt, ob die Bezeichnung informell

38 | Vgl. Klant, 1995, S. 161. 39 | Ebenda, S. 163. 40 | Ebenda.

Skulptur im Atelier

Abbildung 81 | Jackson Pollock im Atelier. Fotograf: Hans Namuth, um 1950, in: O’Doherty /Namuth 1988, S. 90. überhaupt auf Bildhauerei angewendet werden könne.41 Die schnellen und spontanen Vorgehensweisen der Malerei ließen sich nur eingeschränkt in der Bildhauerei wiederfinden, da statische Gesetze und materielle Eigenschaften bestimmte handwerkliche Abläufe erzwangen. „Der Aufbau einer Skulptur braucht Zeit“, schreibt Hans Wille 1966 und Eduard Trier, der den Begriff der informellen Plastik selbst prägte, fragt sich, ob „Plastik des Informel, informelle Plastik, also Plastik ohne Form“ nicht „ein Widerspruch in sich“ sei.42 Heutige Analysen informeller Plastik stellen vermehrt die Erkenntnis in den Mittelpunkt, dass Geschwindigkeit und Formlosigkeit in der Wahrnehmung des Betrachters evoziert werden und nicht in der Plastik selbst zu suchen sind.43 Dadurch wird der Widerspruch entkräftet, dass informelle Plastik letztendlich als unbewegte, feste Form in ihren traditionellen skulpturalen Eigenschaften bestehen bleibt. Laut Christoph Zuschlag gibt es jedoch auch darüber hinaus ausreichend große Entsprechungen der künstlerischen Methoden beider Gattungen, so dass er es für zutreffend hält, die Bezeichnung informel auf die Bildhauerei zu übertragen. Er nennt als wesentliche Kriterien informeller Plastik „die Tendenz zur Entgrenzung“, die „Handschriftlichkeit“ und dass 41 | Vgl. Zuschlag, Christoph: Struktur, Rhythmus, Geste, in: Lorenz, Ulrike/Patruno, Stefanie/Wagner, Christoph (Hrsg.): Skulptur pur, Heidelberg 2014, S. 78. 42 | Wille, Hans: Emil Cimiotti, Göttingen 1966, S. 21 sowie Trier, Eduard: Zur Plastik des Informel, in: Schneider, Ulrich (Hrsg.): Festschrift für Gerhard Bott zum 60. Geburtstag, 1987, S. 283-294, hier S. 283, zitiert nach Zuschlag, 2014, S. 78. 43 | Vgl. Zuschlag, 2014.

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„der Schaffensprozess im Hinblick auf das bildnerische Ergebnis offen ist.“44 Auch andere Kunsthistoriker sehen die Art und Weise, wie ein Kunstwerk entstanden ist, als Kriterium informeller Plastik an. Katja Blomberg benennt die „Unmittelbarkeit des Schaffensvorganges“ und ein „dialektisches Verfahren zwischen intuitiver Handlung und bewußter Reflexion“ als Gemeinsamkeit informeller Plastik. Margit Rowell sieht „den Willen und die Geste des Künstlers als eine physische, fast automatisch reagierende Handschrift einzusetzen und einer rohen, unspezifischen, ursprünglichen Energie plastische Gestalt zu verleihen“ als Ziel der informellen Bildhauer an.45 Der Entstehungsprozess eines Kunstwerks war nun zum Anhaltspunkt geworden, um ein Werk der informellen Kunst zuzuordnen. Dadurch fiel der Atelierfotografie, die den Arbeitsprozess inszenieren kann und ihn öffentlich macht, eine ebenso wichtige wie veränderte Rolle zu: Es war nicht mehr die Vollendung eines Kunstwerks, anhand derer die Arbeit des Künstlers erfasst werden konnte, sondern der von Zufälligkeit und intuitiver Lenkung geprägte Schaffensprozess, der verschiedene vor- und zurückbewegende, aufeinanderfolgende Schritte beinhaltete. Dieses veränderte Kunstverständnis erforderte neue Bildformen der Atelierfotografie, die erst noch entwickelt werden mussten. In Amerika und Frankreich entstanden diese neuen Bildformen parallel zu den künstlerischen Entwicklungen, während in Deutschland in den 1950er Jahren keine unmittelbare Reaktion von Künstlern und Fotografen auszumachen ist.46 Renate Buschmann führt diese Beobachtung darauf zurück, dass viele Künstler während der nationalsozialistischen Herrschaft emigriert waren und die Öffentlichkeit kritisch bis unverständig auf die junge Künstlergeneration reagierte.47 Einzelne Bildhauer wie Norbert Kricke, Hans Uhlmann, Otto Herbert Hajek und Emil Cimiotti nahmen zwar ab den 1950er Jahren die Impulse der Malerei auf, doch dauerte es bis in die 1960er Jahre hinein, dass sie in der Kunstwissenschaft anerkannt wurden. Die Atelierfotografie reagierte mit weiterer Verzögerung. Erst in den 1970er Jahren, als Joseph Beuys, die Gruppe ZERO, Ulrich Rückriem, Franz Erhard Walther und andere Künstler die Grenzen der Bildhauerei bereits vollständig in Frage gestellt hatten, wurden auch die Atelieraufnahmen der Künstler mo44 | Ebenda, S. 79f. 45 | Rowell, Margit: Skulptur im 20. Jahrhundert. Figur – Raumkonstruktion – Prozess, München 1986, S. 195. 46 | Monika Wagner analysiert in ihrem Aufsatz „Der kreative Akt als öffentliches Ereignis“ den performativen Arbeitsprozess von Künstlern. Sie legt dar, wie die in Amerika und Frankreich lebenden Künstler Georges Mathieu, Pablo Picasso, Jackson Pollock, Yves Klein und César ab den 1950er Jahren den kreativen Akt direkt der Öffentlichkeit präsentierten, teils als Bühnenaufführung, teils medial vermittelt. Vgl. Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte 2010, S. 45-58. 47 | Buschmann, Renate: Der Besuch der Fotografen: Atelierfotografie zwischen Dokumentation und Einfühlung, in: Buschmann, Renate (Hrsg.), 2007, S. 208.

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dernisiert. Von da an gab es auch Künstlerporträts, die die Handlung des Künstlers als schnellen Prozess darstellen, in der Atelierdarstellung deutscher Bildhauer. Norbert Kricke gehört zu der Künstlergeneration, die nach dem Zweiten Weltkrieg begann, das Skulpturverständnis zu revolutionieren, und war Wegbereiter für die spätere Auflösung des Gattungsbegriffs. Seine Skulpturen bestehen zwar aus festem Material, doch aufgrund der Vielzahl der in viele Richtungen weisenden Drähte und Stäbe kann ein Betrachter kaum eine feste Form beschreiben. Jürgen Morschel führt die Form von Krickes Werken sowie deren Bewegungseindruck auf die Art und Weise zurück, wie der Bildhauer das Material bearbeitete: „Die Plastik entsteht hier weder nach einem zuvor festgelegten Plan oder Entwurf, noch als das ungeplante Ergebnis eines psychischen Automatismus. Man könnte diesen Prozeß wohl am treffendsten beschreiben als ein ‚Ertasten von Raum‘. […] Da ist zunächst nichts als der Mensch und sein Material, ein Stückchen Draht. Der Mensch führt Bewegungen aus, ruhige oder heftige, mit dem Draht, den er biegt, hierhin und dorthin, nicht selten geschlossenen Auges, ohne das Spiel mit dem Draht optisch zu überwachen, aber mit dem sicheren Gefühl dafür, wann es vollendet ist. […] Alle Plastiken Krickes sind aus den beschriebenen Handbewegungen mit dem Draht entstanden; alle Plastiken sind somit auch in ihrer Größe durch die Grenze der Handhabbarkeit des Materials bestimmt.“48

Ob Morschel den Bildhauer persönlich im Atelier besucht und beobachtet hat, geht aus seinen Ausführungen nicht hervor. Zahlreiche Atelierfotografien konstruieren jedoch ein ähnliches Bild von Krickes Arbeitsweise. Der Fotograf Bernd Jansen fertigte 1975 ein Porträt des Künstlers an, das den Aspekt der Prozesshaftigkeit im Werk Krickes betont (Abb. 82). Kricke steht in einem langen Flur der Kunstakademie Düsseldorf. Im Hintergrund sind hohe Deckengewölbe zu erkennen, während der Mittelgrund dunkel bleibt. Der Bildhauer wird von einem hellen Lichtkegel erfasst, der den Boden im Vordergrund des Bildes beleuchtet. In seinen Händen hält er eine seiner Arbeiten, deren gebogene Drahtstäbe in alle Richtungen des Raums ragen. Die vorderen Drähte reichen sehr nah an die Kamera heran, so dass sie unscharf das Bild zerteilen. Das Bild vermittelt eine auf die Kamera zukommende Bewegung, die durch die Beleuchtung und den zu nah an der Kamera stehenden Norbert Kricke ausgelöst wird. Kricke hält die Arbeit nicht in einer präsentierenden Geste, sondern es sieht aus, als ob er noch an dem veränderlichen Werk biegen würde. Mit der Pfeife im Mund zelebriert er eine lässige Geste, die nicht nach Expertentum aussieht, sondern als könne die künstlerische Tätigkeit beiläufig, im Gehen, im Stehen, beim Rauchen mal eben schnell ausgeführt werden. Die Skulptur erscheint in der Fotografie als weißes Linienknäuel, das sich im Raum zu verselbstständigen scheint. Die Drähte weisen über die Bildkanten hinaus und wirken durch die Fokussierung auf den Mittelgrund sowie durch die Be48 | Morschel, 1976, S. 13.

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Abbildung 82 | Norbert Kricke in der Kunstakademie Düsseldorf. Fotograf: Bernd Jansen, 1975, in: Kricke/Kricke-Güse 2006, S. 38. wegung unscharf. Eine feste Form lässt sich nicht ausmachen. Die Skulptur wird so in Szene gesetzt, dass sie das Bild durchkreuzt, ohne ihre Materialität deutlich zu machen. Der Betrachter kann auf Grundlage des Bildes nicht feststellen, wie die Skulptur in ihren Einzelheiten aussieht. Vermittelt wird stattdessen der Eindruck, dass im nächsten Moment das Werk ganz anders erscheinen könnte. Der Fotograf Bernd Jansen betont 2004 in einem Interview mit Stephan von Wiese, dass seine Künstlerporträts mit den Künstlern abgesprochene Inszenierungen seien. Er wolle „immer, dass der jeweilige Künstler etwas Spezielles für die Ka-

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mera macht, was es nur einmal gibt, und zwar auf meinem Foto.“49 Darüber hinaus versuche er, das Werk des Künstlers darzustellen: „Ich zeige auch keinen Künstler bei der Arbeit, sondern ich habe ein Gegenüber und den Wunsch, mir von dem Künstler und seiner Kunst ein Bild zu machen.“50 Aus diesem Grund inszeniert Bernd Jansen das Werk von Norbert Kricke genau wie die Handlung des Bildhauers als ein kurzfristiges Erlebnis. Raum, Zeit und Bewegung werden als Schlüsselbegriffe für Krickes Werk auch fotografisch betont. Die Aufnahme setzt der Darstellungskonvention eines arbeitenden Bildhauers das Bild des nonchalanten Norbert Krickes entgegen, der die Tätigkeit als Künstler banalisiert und gleichsam wundersam erscheinen lässt. Durch diese Momentaufnahme der nicht vollendeten Produktion einer Skulptur thematisiert die Fotografie Prozesshaftigkeit und Bewegung als Bestandteil informeller Plastik.

5.2.5 Der Arbeitsprozess als handwerkliche Produktion Während nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik eine starke Orientierung an internationalen und insbesondere amerikanischen Kunstströmungen zu beobachten war, lehnte die DDR-Kulturpolitik die kapitalistischen Einflüsse vehement ab. Diese politische Haltung floss auch in kunsthistorische Texte ein. So formuliert Peter H. Feist in dem Übersichtswerk „Plastik in der DDR“, dass die „Bildhauerei in den kapitalistischen Ländern [...] unter die Vorherrschaft inhumaner Tendenzen zur Entstellung, Zerstörung und schließlich Austreibung des Menschenbildes aus der Kunst“ geraten sei.51 Mit dem Ablehnen von Abstraktion ging ein eigener Wertekanon einher: Während in der BRD und den USA Individualismus und Freiheit der Künstler zum neuen Sinnbild der Demokratie erhoben wurden, besann sich die DDR auf eine realistische Darstellung und traditionelle handwerkliche Arbeit, die vordringlich sozialistische Inhalte vermitteln sollten. Das Bild vom Künstler und seiner Tätigkeit entwickelte sich in der DDR demzufolge abweichend von den Vorstellungen in der Bundesrepublik und wurde genährt von Fotografien und Texten, die das Handwerk betonten. Eine Bildserie des Fotografen Ewald Gnilka verdeutlicht die Sichtweise auf den Künstler als Arbeiter. Der Fotograf begleitete den Bildhauer Gustav Seitz über den gesamten Arbeitsprozess hinweg bei der Erstellung der Bronzeplastik „Die Gefesselte“, die auf 1949 datiert wird. Es handelt sich um insgesamt 51 veröffentlichte 49 | Jansen, Bernd/von Wiese, Stephan: Bernd Jansen. Camera Cameleon, Düsseldorf 2004, S. 54. Diese Aussage trifft nicht uneingeschränkt auf die Aufnahme von Norbert Kricke zu, denn Krickes Tätigkeit wird sehr wohl auf anderen Atelierbildern ähnlich dargestellt. Dennoch ist die Beleuchtung, die räumliche Inszenierung und der Einsatz von Unschärfe in Jansens Aufnahme einzigartig. Vgl. Aufnahmen von Wolfgang Kuehn in: Kricke/Kricke-Güse/von Wiese, 2006, S. 25f. 50 | Ebenda. 51 | Feist, 1965, S. 13.

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Abbildung 83a | Konstruktionsskizze in: Kinkel 1951, S. 17. Fotografien, die zunächst als Mappe mit großformatigen Abzügen erschien. Im Jahr 1951 wurden die Aufnahmen dann in einem Bildband publiziert, der unter dem Titel „Entstehung einer Plastik“ durch die Deutsche Akademie der Künste herausgegeben wurde.52 Die Intention der Veröffentlichung wird in der Einleitung von Hans Kinkel unmissverständlich deutlich gemacht: Er beanstandet fehlendes Verständnis für die Plastik im Allgemeinen und möchte mit der Publikation des Bandes dazu beitragen, dass diese wieder einen hohen kulturellen Stellenwert erhält. Kinkel zitiert dazu den Bildhauer Phillipp Harth, welcher fordert: „Um in der Plastik wieder eine Kultur zu erreichen, wie sie die früheren deutschen großen Bildwerke aufweisen, wäre es notwendig, daß die Allgemeinheit begreift, unter welchen Umständen ein Kunstwerk überhaupt entstehen kann.“53

Mit diesem Anliegen benennen die Herausgeber den didaktischen Ansatz des Buches, der in einer stringenten, chronologischen Abfolge von Bildern das Abgussverfahren einer Plastik Schritt für Schritt erklärt. Jede Doppelseite ist durch ein Bild auf der rechten Seite und einen kurzen, erläuternden Satz auf der linken Seite strukturiert. Das Buch bekommt durch diesen Aufbau den Charakter einer Anleitung, da das gezeigte Verfahren als allgemeingültiger, feststehender Ablauf präsentiert wird. Die chronologische Anordnung der Bilder bedingt, dass sie in ihrem Zusammenhang als aufeinanderfolgende Reihe betrachtet werden müssen 52 | Vgl. Klant, 1995, S. 168. 53 | Deutsche Akademie der Künste/Kinkel, Hans: Entstehung einer Plastik. Der Bildhauer Gustav Seitz, Berlin 1951, S. 6.

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Abbildung 83b | Entstehung einer Plastik, Gustav Seitz im Atelier. Fotograf: Ewald Gnilka, um 1949, in: Kinkel 1951, S.19. und die Analyse eines einzelnen Bildes nicht aussagekräftig ist. Daher werden die Abbildungen im Folgenden den Sinnzusammenhängen entsprechend beschrieben und durch einzelne detailliertere Ausführungen ergänzt. Die ersten drei Abbildungen des Bandes zeigen Entwurfs- und Konstruktionsskizzen der Figur, die laut begleitendem Text „am Naturmodell gemessen“ wurden Abb. 83a).54 Der darauf folgende Arbeitsschritt zeigt eine Ateliersituation, bei der Gustav Seitz Tonklumpen an einem Gerüst aus Draht und Holz anfügt, das wie das medizinische Modell eines Skeletts an einer Stange herunterhängt (Abb. 83b). Die Bemaßungen der Konstruktionszeichnung geben in Kombination mit dem skelettartigen Gerüst den Eindruck von anatomischer Richtigkeit wieder. Der Realismus der Figur wird bereits zu Beginn der Konstruktion angestrebt und durch die Bildfolge deutlich gemacht, obwohl das Werk noch roh und unfertig er54 | Ebenda, S. 16.

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scheint. Die Fotografie zeigt einen Arbeitsschritt, der beim Bronzeguss benötigt wird und der schon eine menschliche Figur erahnen lässt, aber nur eine sehr ungewisse Formvorstellung zulässt. Innerhalb der Bildreihe löst das rudimentäre, mit Draht und Holzklötzchen behelfsmäßig wirkende Gebilde Erstaunen aus, da am Ende des Bandes die anmutige Frauenfigur zu sehen ist, die daraus entstehen wird. Als Einzelbild separiert könnte die Abbildung diesen Zweck nicht erfüllen, denn der Betrachter erahnt zwar die menschliche Gestalt, kann jedoch das Ergebnis der künstlerischen Arbeit nicht beurteilen. Obwohl die Aufnahme des arbeitenden Bildhauers realistisch wirkt, gibt es Hinweise auf eine bewusste Inszenierung durch den Fotografen. Beispielsweise ist hinter dem Gerüst ein schwarzer Vorhang aufgehängt, der verhindert, dass die kleinteiligen Strukturen des Tonmodells vor dem Hintergrund eines unruhigen Ateliers verschwinden. Dass die Fotografien von Gnilka sowohl inszenierte als auch dokumentierende Eigenschaften besitzen, ist innerhalb des Buches mehrfach zu beobachten. Vier Ansichten eines groben Tonmodells schließen an die Darstellung von Bildhauer und Gerüst an, unterbrochen von einer Modellsitzung und – wie der Zusammenhang nahe legt – den beim Aktzeichnen entstandenen Skizzen. Die Position der Arme der Figur wird nach der Aktstudie noch einmal gewechselt, so dass die Bildauswahl den Prozess kleiner, gezielter Veränderungen betont. Anschließend wird das Tonmodell gezeigt, wie es mit Tüchern verhüllt von Seitz mit einer Wasserpumpe befeuchtet wird, um es bei Unterbrechung der Arbeit vor dem Austrocknen zu schützen. Danach folgt eine Aufnahme von Künstler, Werk und Aktmodell mit der Textzeile „Die statischen Gesetze werden vor der Natur geprüft.“55 Da die Figur auf dieser Abbildung bereits vollständig ausgearbeitet ist, ist eine Veränderung des Werks kaum vorstellbar (Abb. 83c). Das Prüfen des Bildhauers, das durch eine Berührung der Figur und einen konzentrierten Blick auf das Aktmodell verbildlicht wird, entspricht der Konvention einer Geste der Vollendung und betont erneut den Realismus der Figur, der nach messbaren und für den Betrachter nachvollziehbaren Regeln zum Ergebnis geführt wird. Zwölf Abbildungen zeigen anschließend, wie der Kunstformer Max Schmidt von der Tonfigur eine Gipshülle erstellt. Während der Erstellung der Form wird das innen liegende Tonmodell zerstört. Gnilka erzeugt mit Nahaufnahmen der Figur einen brutal anmutenden Kontrast zwischen dem Frauenkörper und dem freigelegten Material (Abb. 83d). Die Skulptur wird im Bild vermenschlicht und durch die Destruktion und die Härte der Arbeit in imaginäre Gefahr gebracht. Diese Spannung setzt Gnilka auch in der nächsten, elf Bilder umfassenden Reihe ein, die verdeutlicht, wie mit Hilfe der Gipsform nun das Gipspositiv der Figur – also das endgültige Werk –gegossen wird. Eine der Fotografien zeigt, wie Schmidt mit einem Meißel die Hülle der Figur abschlägt und das Werkzeug nah an den Hals der 55 | Ebenda, S. 34.

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Frauenfigur setzt. Ähnlich dramatisch führt er an anderer Stelle eine Säge, um der Figur den Kopf abzuschneiden (Abb. 83 e-f). Diese Inszenierungen, die ausschließlich von der figurativen Plastik getragen werden können, bringen den Betrachter in eine spannungsgeladene Haltung. Es wird deutlich, dass bei dem dargestellten Arbeitsprozess alles nach Plan ablaufen muss, da sonst die Figur zerstört werden könnte. Dass die Figur nicht beschädigt werden soll, entspricht den Emotionen des Betrachters, der durch die Blickführung der Kamera auf die hellen, ebenmäßigen

Abbildung 83c | Entstehung einer Plastik, Gustav Seitz im Atelier. Fotograf: Ewald Gnilka, um 1949, in: Kinkel 1951, S. 35.

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Abbildung 83d | Entstehung einer Plastik, Gustav Seitz im Atelier. Fotograf: Ewald Gnilka, um 1949, in: Kinkel 1951, S. 59. Gesichtszüge der Figur gelenkt wird, die in der rauen Werkstattatmosphäre zart und empfindsam erscheint. Die Wertschätzung für den Handwerker steigt, der mit Zigarette im Mund arbeitet und entspannt verbildlicht, dass er genau weiß, was er tut. Erst zum Ende der Produktion der Gipsfigur wird der Bildhauer wieder in den Prozess einbezogen. Er ist nun aber nicht mehr die ausführende, sondern die kontrollierende Kraft (Abb. 83g). Seine Tätigkeit besteht im Prüfen des Gusses und

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Abbildung 83e-f | Entstehung einer Plastik, Gustav Seitz im Atelier. Fotograf: Ewald Gnilka, um 1949, in: Kinkel 1951, S. 69 und 77. in der Überarbeitung vorhandener Fehler. Anschließend übernehmen wieder die Werkstattarbeiter den Gussprozess in der Bronzewerkstatt, der weitere elf Abbildungen umfasst. Es wird von der Gipsform eine Sandform erstellt, die in einer eingefügten Zeichnung in den technischen Details erläutert wird. Auch das Gießen der Bronze wird vom Fotografen begleitet (Abb. 83h). Die Arbeit mehrerer Männer mit Schutzkleidung zeigt nicht nur das handwerkliche Können, sondern auch die Schwere der Arbeit. Der Bronzeofen, das Glühen des heißen Metalls, Maschinen und Ketten und die Anzahl mehrerer Arbeiter verdeutlichen, dass der Bronzeguss Kraft und Fachwissen benötigt. Doch auch Feinarbeit wie das anschließende Ziselieren und das Entfernen der Gussnähte wird dem Werkstattarbeiter „unter Aufsicht des Bildhauers“ anvertraut (Abb. 83i).56 Gustav Seitz wird der Abschluss der Figur überlassen, indem er nach dem Schema der Geste der Vollendung mit einem kleinen Werkzeug die Figur berührt und scheinbar fertigstellt. Mit Abbildungen von vier Ansichtsseiten der Figur und zwei Detailaufnahmen endet der Band. Das Buch „Entstehung einer Plastik“ stellt das vorgeführte ­Bronzegussverfahren als allgemeingültig dar, da nicht das Handeln des Bildhauers, sondern die Produktionsschritte der Plastik mit der Kamera verfolgt und festgehalten werden. Auch der Titel des Buches weist nicht auf ein spezifisches Werk hin. Gustav Seitz wird ebenso wie Ewald Gnilka und der Autor Hans Kinkel im Vorsatztitel namentlich genannt. Ansonsten wird im kommentierten Bildteil des Buches – mit einer einzigen Ausnahme – ausschließlich von dem „Bildhauer“ gesprochen. Seitz ist insgesamt nur auf sieben von 51 Abbildungen zu sehen und selbst die Titelab56 | Deutsche Akademie der Künste, 1951, S. 98.

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Abbildung 83g-h | Entstehung einer Plastik, Gustav Seitz im Atelier. Fotograf: Ewald Gnilka, um 1949, in: Kinkel 1951, S. 73 und 87. bildung zeigt den Kunstformer Max Schmidt bei der Arbeit. Der Kunstformer und die Werkstattmitarbeiter der Gießerei sind in dem Band sehr präsent und werden nicht hierarchisch vom Künstler unterschieden. Die Fotografie wird genutzt, um Informationen über die Technik des Bronzegusses zu vermitteln, Verständnis zu erzeugen und künstlerische Arbeitsschritte zu belegen. Der Gussvorgang ist dabei der Anlass, um grundsätzlich die Vorstellung einer vorbildlichen Plastik zu festigen. Ein traditioneller bildhauerischer Ansatz wird dabei betont, zum Beispiel indem als Materialien der Bildhauerei Stein, Holz und Bronze genannt werden, die menschliche Gestalt als Mittelpunkt des plastischen Darstellungsbereiches gesetzt wird und die Studie nach der Natur in den Arbeitsablauf des Künstlers als mustergültig einbezogen wird.57 Dem in Amerika entstandenen, neuen Künstlerbild eines Genies, das sich durch seine Ideen und Aktionen auszeichnet, wird ein Künstler entgegengesetzt, der geplant und fachkundig vorgeht und der nicht ohne die gemeinschaftliche, handwerkliche Arbeit der Werkstattmitarbeiter produzieren kann. Bildhauerei und Handwerk werden durch Text und Bild miteinander verknüpft und umfassend thematisiert. Der Handwerker übernimmt dem Künstler gleichwertige, sehr anspruchsvolle und verantwortliche Tätigkeiten, die entscheidend für das Gelingen der Plastik sind. Auch der einleitende Text des Bandes weist auf das Handwerk und die Ablehnung der Abstraktion hin:

57 | Vgl. ebenda, S.10-25.

Skulptur im Atelier

Abbildung 83i | Entstehung einer Plastik, Gustav Seitz im Atelier. Fotograf: Ewald Gnilka, um 1949, in: Kinkel 1951, S. 99. „In einem sehr viel stärkeren Maße als die Malerei ist die Plastik mit dem Handwerk verbunden. Dieser produktive, von strengen Arbeitsgrenzen diktierte Zwang unterdrückt weitgehend die subjektive Willkür und verpflichtet den Bildhauer zu ernster und redlicher, anstrengender Bemühung.“58

58 | Ebenda, S. 8.

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Michael Klant beschreibt Gnilkas Aufnahmen als „eine Reihe idealtypischer Abbildungen des künstlerischen Schaffensprozess, die sich von früheren gestellten Szenen aber dadurch unterscheiden, daß sie – verbunden mit mehrmaligem Schauplatzwechsel – realistischerweise auch die Helfer des Künstlers bei der Arbeit zeigen“.59 Es lohnt sich, diesen Gedanken weiter auszuführen: Dadurch, dass der Arbeitsprozess zugleich realistisch als auch idealtypisch dargestellt werden soll, müssen die Fotografien sachlich und dokumentarisch erscheinen, aber auch alle Geschehnisse, die nicht vorbildlich ablaufen, ausblenden. Einige Sequenzen werden daher gezielt arrangiert, um fehlende, zum idealtypischen Prozess gehörende Aufnahmen zu ergänzen. Details wie der mehrfache Einsatz der Geste der Vollendung und die einheitliche Kleidung inklusive Schal von Gustav Seitz, die er bei zeitlich weit auseinanderliegenden Arbeitsschritten trägt, deuten darauf hin, dass insbesondere die Aufnahmen, die den Bildhauer zeigen, inszeniert wurden, um den idealen Arbeitsprozess bei der Entstehung einer Plastik zu vervollständigen. Die Publikation bietet demnach eine in sich schlüssige, logische Abfolge von Fotografien der technischen Durchführung eines Bronzegusses, die jedoch im Sinne der kulturpolitischen Vorgaben der DDR gelenkt und inszeniert ist, damit sie das grundsätzliche Kunstverständnis des Betrachters prägt. Die Fotografie übernimmt von kurzen Textzeilen begleitet die Funktion, den Betrachter des Buches zu informieren und konstruiert einen starken Wahrheitsanspruch der Bilder durch den hohen Anteil sachlich erscheinender Kompositionen.

5.3 Präsentation von Skulptur im Atelier Die Ausstellungsmöglichkeiten für Künstler bis Ende des 18. Jahrhunderts beschränkten sich in Europa in erster Linie auf Institutionen wie Museen oder auf Ausstellungen, die von den jeweiligen Machthabern kontrolliert wurden. Da die Auswahlkriterien der Herrscher sehr restriktiv waren, organisierten Künstler um die Jahrhundertwende Ausstellungen in ihren eigenen Ateliers, um sich gegenüber den staatlich kontrollierten Instanzen unabhängig zu zeigen.60 Das Publikum besuchte die Atelierausstellungen der Künstler in großen Scharen, auch weil sie sich von den unkonventionellen Werken Skandale erhofften. Das Atelier war mit dieser Entwicklung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu einem halböffentlichen Raum geworden, das sowohl Ort der Produktion als auch Ort der Präsentation sein konnte.61

59 | Klant, 1995, S. 168. 60 | Vgl. Diers, Michael: atelier/realité. Von der Atelierausstellung zum ausgestellten Atelier, in: Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte 2010, S. 3. 61 | Vgl. Diers, in: Diers/Wagner, 2010, S. 2f.

Skulptur im Atelier

Durch die Ausstellung ihrer Werke im eigenen Atelier konnten die Künstler ihre Vorstellungen einer Präsentation selbstverantwortlich realisieren. Das Atelier wurde als Raum wahrgenommen, in dem die Wirkung der Kunstwerke am besten im Sinne der Künstler wiedergegeben werden konnte. Museen oder Ausstellungsräume wurden hingegen als seelenlos empfunden und es wurde kritisiert, dass dort klassifizierend über die Werke verfügt wurde.62 Atelierausstellungen haben dennoch zum Ende des 19. Jahrhunderts an Bedeutung verloren, da ihre Funktion von der zunehmend großen Anzahl an Galerien übernommen wurde, die sich neben den institutionellen Kunstausstellungen behaupteten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfuhr das Atelier eine weitere Umnutzung durch die Künstler. Indem Bildhauer ihre künstlerischen Konzepte auf den Raum ausweiteten, wurde nun auch das Atelier selbst zu einem Ausstellungsexponat. Constantin Brancusi, Marcel Duchamp und Kurt Schwitters regten mit ihren Arbeiten und Präsentationsformen zu einer Neudefinition der Künstlerwerkstatt an, die Werk und Raum besonders eng verband und in letzter Konsequenz sogar gleichsetzte. Brancusi präsentierte in den 1920er Jahren Ort und Werk als Einheit und nutzte fotografische Aufnahmen, um den Bezug zwischen Atelier und Skulpturen darzustellen. Marcel Duchamp verlagerte das Atelier in einen Gedankenraum, da er für seine Readymades ab 1913 kein Atelier im Sinne einer Werkstatt mehr benötigte, und Kurt Schwitters verwirklichte um 1923 mit seinem „Merzbau“ eine vollständige Verschmelzung von Atelier, Werk und Person, indem er seinen Wohn- und Arbeitsraum in eine skulpturale Arbeit verwandelte.63 Das Atelier wurde durch die veränderte Nutzung durch die Bildhauer nicht mehr ausschließlich als Ort der Produktion, sondern auch als Ort der Präsentation definiert. Für die Fotografie bedeutet diese Entwicklung eine Verschiebung der Prioritäten weg von der Fokussierung auf die Arbeitsmethoden des Künstlers hin zu der Raumwirkung der Skulpturen. Das Zusammenspiel mehrerer Werke sowie die Lichtverhältnisse und Ausmaße des Atelierraums wurde von den Fotografen aufgenommen und prägte das Gesamtbild der neuen künstlerischen Konzepte. Die veröffentlichte Atelierfotografie übernahm damit die Funktion einer Atelierausstellung, Zusammenhänge zwischen Raum, Künstler und Kunstwerk herzustellen. Zudem diente sie als Vermittler zwischen der künstlerischen Idee und dem Betrachter, der im musealen Raum das Werk normalerwiese nur isoliert wahrnehmen kann. Auch auf die Kunstwissenschaft wirkten sich die Fotografien von Künstlerateliers aus. Werke von Bildhauern wie Constantin Brancusi oder Medardo Rosso erfuhren eine Neubewertung, nachdem die auf Fotografien festgehaltenen Präsentationen der Bildhauer analysiert worden waren. Fotografien dienten ähnlich wie Skizzenbücher als zusätzliche Informationsquelle und Beleg für die 62 | Vgl. von Bismarck, 1998, S. 312. 63 | Vgl. Diers in: Diers/Wagner, 2010, S. 4f sowie Léal, in: Conzen/Schmengler (Hrsg.), 2012, S. 158171.

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konzeptionelle Neudeutung der Skulptur.64 Atelierfotografie fungierte demnach als Ausstellungsmedium und als Vermittler von Ideen, da die vom Künstler intendierte Präsentation von Skulptur im Raum belegt und verbreitet werden konnte.

5.3.1 Skulptur als Statussymbol Die Atelierfotografie besaß für die Propaganda des NS-Regimes eine wichtige Bedeutung, da sie in anderer Weise Bewunderung erzeugen konnte, als es die Aufnahmen von isolierten Skulpturen leisteten. Dass die nationalsozialistische Skulptur in den Medien der 1930er und 1940er Jahre ohnehin in enger Verbindung zu ihrem Umraum inszeniert wurde, konnte bereits anhand mehrerer Beispiele nachgewiesen werden. Dazu wurde meist der Aufstellungsort als Kontext der Skulptur einbezogen.65 Das Atelier des Bildhauers erweiterte das Spektrum der Darstellungsmöglichkeiten. Besonders im Fokus der Medien standen die Ateliers der Bildhauer Joseph Thorak und Arno Breker. Beide Bildhauer wurden großzügig vom Staat gefördert und mit eigens für sie errichteten Ateliers ausgestattet.66 Lothar Tank nahm eine Ansicht der Werkstatt Joseph Thoraks in seinen 1942 veröffentlichten Band „Deutsche Plastik unserer Zeit“ auf. Die Aufnahme ist in dem von Albert Speer entworfenen Atelier entstanden, das ab 1938 als Arbeitsstätte für Joseph Thorak in Baldham, nahe München, errichtet wurde. Das Gebäude bestand aus einem 16 Meter hohen Raum mit insgesamt 700 Quadratmetern Grundfläche.67 Ein Glasdach sorgte für das benötigte Licht im Arbeitsraum und die Fassade der Halle war zum Transport der Monumentalplastiken mit drei großen Toren ausgestattet, die in unmittelbarer Nähe zu einem Gleisanschluss der Eisenbahn lagen. Das Atelier war außerdem von Wohnungen für Arbeiter und von Ställen für die Pferde, die Thorak als Modell dienten, umgeben. Das Gebäude war insgesamt also von imposantem Ausmaß und an sich schon als Repräsentationsraum geschaffen worden. Die Stereofotografie des Ateliers zeigt den hohen Innenraum mit glatten, hellen Wänden, einer großzügigen Bodenfläche und einem kleinen Teil der Decke (Abb. 84). Im Raum befinden sich mehrere Plastiken einer Figurengruppe, die Thorak 1938 für die Tribüne des Nürnberger Märzfeldes konzipierte. Die Entwurfsskizze, die Hitler im Januar 1938 korrigiert hatte, umfasst eine Siegesgöttin, die von zwei Kriegern sowie zwei Rosseführern flankiert wird und die in ihrer Anordnung an

64 | Vgl. Léal in: Conzen/Schmengler (Hrsg.), 2012, S. 164f. 65 | Siehe Kapitel 4.4.2. 66 | Zu Arno Breker siehe Kapitel 5.2.2. 67 | Vgl. http://denkmaeler-muenchen.de/ns/thorak.php [11.02.15].

Skulptur im Atelier

Abbildung 84 | Das Staatsatelier in Baldham bei München, Werkstatt von Josef Thorak, erbaut von Alber Speer, in: Tank 1942, Bild Nr. 96. einen griechischen Tempelgiebel erinnert.68 Die Mittelfigur sollte 13,5 Meter und die männlichen Figuren sollten je neun Meter messen (Abb. 85).69 Auf der Fotografie ist das rechte Pferd des Ensembles mit der männlichen Aktfigur als Hauptmotiv vollständig im Bild zu sehen. Die Ausführung besteht aus Gips, der in der endgültigen Größe von circa neun Metern die Vorstufe für den angestrebten Bronzeguss bildet. Links neben dem Rosseführer steht die Siegesgöttin in kleinerem Maßstab, vermutlich 1:3, wie sie 1938 auf der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ in München gezeigt worden war.70 Rechts im Bild sowie hinter und zwischen den Figuren sind Leitern, Gerüste und weitere Skulpturen zu sehen. Im Vordergrund ragen eine Plastik mit zwei Figuren sowie eine monumentale Pferdeplastik in den Bildraum hinein, die jedoch nicht zu der Gruppe des Märzfeldes gehören. Alle monumentalen Plastiken sind in Gips ausgeführt, so dass in 68 | Tank, 1942, S. 100. 69 | Gabler, Josephine: „Auftrag und Erfüllung“. Zwei Staatsbildhauer im Dritten Reich, in: Berger, Ursel (Hrsg.): Ausdrucksplastik, Berlin 2002, S. 81. 70 | Vgl. ebenda.

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Abbildung 85 | Josef Thorak: Modell der Figurengruppe Bekrönung für das Maifeld des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg, 1938. Fotograf: unbekannt, o. J., in: Berger (Hrsg.) 2002, S. 78. Verbindung mit den hellen Wänden und dem Boden des Ateliers die weiße Farbigkeit überwiegt und ein strahlender, reiner und edler Eindruck des Raums und der Werke entsteht. Durch die Stereoaufnahme ergibt sich aus der Komposition eine enorme Tiefenräumlichkeit, die überlagernde Bildelemente trotz der ähnlichen Helligkeiten deutlich voneinander abhebt. Zwei Personen befinden sich am Sockel des Rosseführers. Die linke Person, die auf dem Sockel der Plastik steht und das Werk mit einer Hand berührt, ist anhand von Körperhaltung und Statur als Josef Thorak zu identifizieren. Daneben befindet sich ein Assistent, der sich zu einem Werkzeug hinunterbeugt. Ein unwissender Betrachter könnte aufgrund der Positionen der Personen den Bildhauer ausmachen, obwohl sein Gesicht nicht zu sehen ist und er sehr klein abgebildet wurde. Dennoch ist die Rolle des Bildhauers für die Abbildung als gering einzustufen, da der Betrachter sich sehr bemühen muss, um ihn überhaupt zu erkennen. Da der Standpunkt des Fotografen erhöht liegt, wirken die beiden Personen extrem klein, wohingegen die Skulpturen trotz des erhöhten Standpunktes eine leichte Untersicht behalten und dadurch noch größer erscheinen. Die Menschen geben den Maßstab für die Skulpturen vor und machen so die gigantische Größe der Figuren deutlich und bieten einen Anhaltspunkt für die Dimensionen des Raums. Durch die Zusammenstellung der verschiedenen Maße der Skulpturen wird eine Steigerung von Monumentalität erreicht. Auch der Atelierraum selbst trägt dazu bei, dass die enormen Ausmaße der Werke betont werden. Da es nur selten derart hohe Innenräume gibt und der Raum nicht von anderen Objekten überragt werden kann, wie es bei Aufnahmen im Außenraum der Fall sein kann, wirken die Ausmaße des Ateliers beinahe unwirklich. Die Monumentalität der Werke Thoraks gehört zu den Merkmalen, die in der zeitgenössischen Rezeption stets hervorgehoben wurden. Auch Lothar Tank stellt in seinem Textabschnitt über Joseph Thorak die Dimensionen der Skulpturen in

Skulptur im Atelier

den Mittelpunkt und setzt das Wort Größe sowohl für die Maße der Werke als auch für Qualität und Bedeutsamkeit ein. Ein Besuch in Thoraks Atelier könne „Zeugnis ablegen nicht nur für die Größe des Planens, sondern auch für die Größe des Vollbringens in unserer Zeit“.71 Mehrfach erläutert er, dass in der Vergangenheit Künstler unter schlechten Bedingungen gearbeitet hätten und ihre „Sehnsucht nach überzeitlicher Gestaltung“ nicht hätten umsetzen können.72 Erst mit dem Nationalsozialismus erfolge ein Wandel, da nun der Staat für die Künstler sorge und „ihnen die besten Schaffensbedingungen“ ermögliche.73 Das Atelier wird von Tank zum Sinnbild für die Unterstützung der Künstler durch den Staat erklärt, und die guten Arbeitsbedingungen werden auf die Förderung Hitlers zurückgeführt. So klingen die Beschreibungen von Tank geradezu schwärmerisch: „Man muß die herrlichen Arbeitsräume von Professor Thorak in Baldham bei München gesehen haben, muß in dem riesigen Hauptatelier mit den drei maschinell beweglichen dreiteiligen Flügeltüren lange umhergewandert sein, in dem intimeren Arbeitsraum, in dem der Meister nach dem Modell arbeitet, mehrere Stunden gesessen haben, um zu verstehen, daß nicht der materielle, sondern der künstlerische Anteil der Staatsführung das Entscheidende ist, daß aus dem künstlerischen Impuls des Führers das bildnerische Schaffen der Gegenwart Macht und Ansehen gewonnen und den Mut bekommen hat, Aufgaben anzupacken und zu meistern, wie sie seit Jahrhunderten nur noch von einsamen Künstlern geträumt, nicht aber verwirklicht werden konnten.“74

Dass wegen vermehrter Rüstungsaufträge die Metallfabrik WMF die Arbeit an Thoraks Werken 1942 einstellte und die Figuren für das Märzfeld nie realisiert wurden, wird nicht erwähnt.75 Es gehört zur propagandistischen Verklärung des Nationalsozialismus, dass Tank ausführt, der „künstlerische Impuls des Führers“

71 | Tank, 1942, S. 105. Auch das Wort gigantisch gehörte zu den Modeworten des Nationalsozialismus und wurde häufig von Adolf Hitler genutzt, um die Einzigartigkeit des Nationalsozialismus hervorzuheben. Vgl. Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin 2000, S. 273f. Die Skulpturen der Atelierfotografie werden als Giganten inszeniert und verbildlichen dadurch die Propagandasprache. 72 | Ebenda, S. 99. 73 | Ebenda. 74 | Ebenda. 75 | Die genauen Daten der Veröffentlichung des Buches sowie der Einstellung der Skulpturenproduktion sind nicht bekannt. Eine Erwähnung der wirtschaftlichen Krise wäre theoretisch auch aufgrund anderer Entwicklungen möglich gewesen, denn der Rohstoffmangel und die Konzentration auf die Rüstungsindustrie waren im Jahr 1942 allgegenwärtig. Der Bau der Reichsautobahnen wurde im Januar eingestellt, im Februar wurden private Autofahrten untersagt, um Treibstoff zu sparen, und im April wurden Frauen zur Arbeit in Rüstungsbetrieben verpflichtet.

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und der „künstlerische Anteil der Staatsführung [sei] das Entscheidende“.76 In Anbetracht der seit 1941 zentral angeordneten, systematischen Ermordung von Juden und anderen Verfolgten sowie der besonders grausamen Kriegsführung Hitlers im Erscheinungsjahr des Buches, 1942, erscheinen diese Worte aus heutiger Sicht makaber. Das Atelier ist laut Tank „eine Insel der Kunst, ein Ort fruchtbaren Schaffens“, das jedoch auch mit der Lebenswirklichkeit der Menschen in Deutschland nicht viele Gemeinsamkeiten besaß.77 Die ersten britischen Luftangriffe hatten im Frühjahr 1942 eingesetzt und die Städte Lübeck, Rostock und Köln zerstört. Kurt Lothar Tank vermittelt ein positives Kriegsbild, bei dem „ der Sieg schon in der Sicherheit des Anpackens [liegt], in der freiwilligen und frohen Gestaltung des deutschen Schicksals.“78 Kunst und Krieg präsentiert er wie zwei Seiten derselben Medaille: „[D]ie Anspannung, die die Lösung der Aufgabe in der Zeit erfordert, sie dringt auch ein in den Kampf um die Form und macht ihn zu einem Kampf um Leben und Tod, einem Schicksalskampf, wie er mit den Waffen in der Wirklichkeit nicht härter ausgefochten wird.“79

Er präsentiert den Staat – insbesondere durch die Atelierdarstellungen – als ein sich im Aufbau befindendes imposantes Reich. Die Atelierfotografie wurde somit genutzt, um Größe und Macht des Staates zu symbolisieren sowie den Glauben an das Entstehen eines neuen, besseren Zeitalters zu stärken. Die Fotografie von Thoraks Atelier soll das Schaffen des Bildhauers für den Betrachter offenlegen und Ehrfurcht und Bewunderung erzeugen. Die Skulpturen dienten zur Verdeutlichung von Macht und Stärke des Staates als eine Gegendarstellung zum Kriegsalltag und um den Menschen die Vision einer durch den Nationalsozialismus zu erreichenden, besseren Zukunft zu vermitteln. Es wird deutlich, welch starkes Parallelbild innerhalb der Kunstrezeption geschaffen wurde, um durch die positive Darstellung des Staates die Bildung der politischen Meinung zu beeinflussen.

5.3.2 Werkübergreifende Zusammenhänge Die Visualisierung von Zusammenhängen eines künstlerischen Gesamtwerks ist eine der Hauptintentionen von Skulpturaufnahmen, die in Ateliers von Künstlern entstehen. Der Maler, Grafiker und Fotograf Edmund Kesting setzte in seinen Aufnahmen besonders häufig Bezüge zwischen mehreren Werken. Kesting hatte schon in den 1930er Jahren mit Mehrfachbelichtungen collageartige Fotografien erzeugt

76 | Tank, 1942, S. 99. 77 | Ebenda, S. 104. 78 | Ebenda, S. 105. 79 | Ebenda, S. 109.

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und malerische Elemente in die Fotografie integriert.80 Er fand zu eigenständigen Kompositionen, die gattungsübergreifende Konzeptionen und experimentelle Verfahren einschlossen und zur Anerkennung der Fotografie als künstlerisches Werk beitrugen. Nach dem Zweiten Weltkrieg lernte er den Bildhauer Bernhard Heiliger an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee kennen, an der beide Künstler eine Anstellung gefunden hatten. Von da an erschienen in den Publikationen über das Werk des Bildhauers vereinzelt, aber regelmäßig Abbildungen nach Fotografien von Edmund Kesting. Da Kestings fotografische Arbeit sich jedoch keinesfalls auf die Skulpturfotografie beschränkte, sondern die Aufnahmen von Heiligers Plastiken eine Art Freundschaftsdienst und Ausnahme zu sein scheinen, werden sie in den ohnehin seltenen Texten über den Maler und Fotografen kaum behandelt. Obwohl die Skulpturfotografie Hauptthema des Ausstellungskatalogs „Licht – Bild – Skulptur, Skulpturen von Bernhard Heiliger im Blick des Fotografen“ ist, begnügt sich Janos Frecot mit der Feststellung, die Aufnahmen Kestings seien ein „künstlerischer Sonderfall“ und „hinsichtlich ihrer freien Bildsprache […] einzigartig.“81 Da Kesting jedoch ein zusammenhängendes fotografisches Werk schuf, können Grundsätze seiner fotografischen Position auf die Skulpturfotografie übertragen werden. Der Aufsatz „Experimentelle Fotografie in der DDR“ von Sigrid Hofer bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für das Verständnis seiner Skulpturfotografie, obwohl Edmund Kestings Porträtaufnahmen im Zusammenhang der staatlichen Direktiven der DDR im Zentrum des Textes stehen. Das Hauptaugenmerk setzt Hofer auf die koexistenten malerischen und fotografischen Bildmittel der Aufnahmen, die sich auch in der Skulpturfotografie wiederfinden. Sie belegt, dass Kesting einerseits Motive aus der Malerei zitiert, um eine Verbindung zur kunsthistorischen Tradition zu erzeugen, und andererseits Verfahren einsetzt, die genuin der Fotografie zugeschrieben sind.82 Die Eigenständigkeit von Kestings Aufnahmen führt Hofer unter anderem darauf zurück, dass der Fotograf „das Medium Fotografie als prädestiniert dafür hält, das Repertoire anderer Gattungen aufzugreifen und zu integrieren, um daraus Neues zu schöpfen“.83 Unter dieser Voraussetzung liegt es nahe, dass Kesting während seiner Kooperation mit Bernhard Heiliger auch die Bildhauerei in diesen Prozess aufnimmt und die Konventionen der Skulpturfotografie aufzubrechen versucht. In Hanns Theodor Flemmings Monografie über Bernhard Heiliger sind acht von Edmund Kesting gefertigte Fotografien abgebildet. Anhand der Abbildung des Werks „Paar“ lassen sich die Besonderheiten von Kestings Atelieraufnahmen nachvollziehen (Abb. 86). Das abgebildete Werk, das auf 1950 datiert und als zer80 | Vgl. Hofer, Sigrid: Experimentelle Fotografie in der DDR. Edmund Kestings Porträtaufnahmen, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 34/2007, S. 309. 81 | Frecot/Kaernbach, 2007, S. 14. 82 | Vgl. Hofer, 2007, S. 324f. 83 | Ebenda, S. 329.

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stört ausgewiesen wird, umfasst zwei Figuren, die sich im Vordergrund des Bildes nah gegenüberstehen. Sie sind im Anschnitt bis zu den Oberschenkeln zu sehen, wobei die eine Figur von vorne und die andere von hinten zu sehen ist. Die Rückenfigur steht auf vorderster Bildebene und verdeckt einen Teil der zweiten Figur, die im Halbprofil zu sehen ist. Eine starke Beleuchtung von rechts betont die Silhouetten des Werks mit einer breiten, weißen Lichtkante, während die beiden Figuren insgesamt dunkel erscheinen. Hinter den Figuren befindet sich im rechten Bilddrittel ein weiteres Werk Heiligers, das in seiner vollen Größe zu sehen ist. Diese weibliche Figur wendet ihre rechte Seite zum Betrachter und zeigt sich annähernd in Profilansicht. Sie wird von vorne links durch ein Licht angestrahlt, das sie hell aufleuchten lässt. Ein kräftiger Schlagschatten zeichnet ihre Silhouette auf der Wand ab. Auf dem Boden im linken Bildhintergrund sind einige Gegenstände zu sehen, bei denen es sich um Gussformen handeln könnte. Zusammen mit dem Holzblock, auf dem die weiße Figur steht, deuten die Details auf das Atelier des Bildhauers als Entstehungsort der Fotografie hin. Kestings Aufnahme zeichnet sich durch eine Komposition aus, die durch den Einsatz von Licht und Schatten sowie durch die räumliche Anordnung der Figuren eine gezielte Spannung aufbaut. In dem 1958 erschienenen Band „Ein Maler sieht durch’s Objektiv“ beschreibt Edmund Kesting unter der Überschrift „Einblicke in die Bildgestaltung“ die Kompositionsprinzipien seiner Werke. Er betont: „Das Wesen des Gegensatzes macht uns das Wesen des Einzelnen begreiflich. Die Beherrschung der polaren Kontraste ist unerläßlich; denn eine isolierte, für sich allein betrachtete Naturform wirkt starr und unlebendig.“84 Übertragen auf die Skulpturfotografie bedeutet dieser Grundsatz, dass ihn eine konventionelle Studioaufnahme von Skulpturen kaum begeistert haben kann, denn ein einzelnes Werk bietet nur wenige Möglichkeiten der Kontrastierung.85 Die Atelieraufnahme hingegen ermöglicht es Kesting, die von ihm kritisierte Isolation aufzuheben. Allein der Umstand, dass sich mehrere Skulpturen mit verschiedenen Eigenschaften im Atelier befinden, lässt dem Fotografen große Gestaltungsfreiheit. Durch die Anordnung im Raum ergeben sich vielfältige Kontraste aus großen und kleinen Formen sowie hellen und dunklen Flächen. Dazu muss Kesting nicht zwingend in die vorgefundene Ateliersituation eingreifen und die Gegenstände arrangieren, sondern er kann die Objekte durch die Optionen, die ihm die fotografische Technik bietet, inszenieren:

84 | Kesting, 1958, S. 16. 85 | Dennoch existieren auch konventionelle Aufnahmen von Kesting. Diese heben sich nicht grundlegend von den Aufnahmen anderer Fotografen ab. Beispiele finden sich bei Flemming, 1962, S. 35, S. 39, S. 44 und S. 182.

Skulptur im Atelier „Es ist möglich, bei genauer Kenntnis des Materials, der Optik und des Entwicklungsprozesses nur das wiederzugeben, was wiedergegeben werden soll. Es ist möglich, jede Form, welche die Einheit der Komposition stören würde, durch Licht und Schatten, Richtung oder Blickwinkel ganz wegzudrücken oder passiv zu machen. Im gleichen Maße kann man auch Formen betonen, ja sogar vervielfältigen.“86

Abbildung 86 | Bernhard Heiliger: Paar, Stucco, 1950 (zerstört). Fotograf: Edmund Kesting, o. J., in: Flemming 1963, S. 117. 86 | Kesting, 1958, S. 24.

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Auf diese Weise bleibt der Fotograf außenstehender Beobachter, der nicht in das bildhauerische Werk eingreift, und zugleich kann er innerhalb seines Mediums mit den Objekten gezielt kompositorisch arbeiten. Im vorliegenden Beispiel nutzt Kesting die Beleuchtung, um einen Kontrast zwischen den beiden vorderen Figuren und der hinteren Figur zu erzeugen, die sich wiederum von ihrem schwarzen Schatten abhebt. Dazu setzt er mindestens zwei starke Scheinwerfer ein, die aus verschiedenen Richtungen die Werke anstrahlen und ihre Helligkeit bestimmen. Der Schatten, insbesondere der Schlagschatten, der die Silhouette bildet, spielt eine besondere Rolle in Kestings Werk. Gerda Kesting, die Ehefrau des Fotografen, betont den gezielten Umgang ihres Mannes mit der Lichtführung: „In der gestaltenden Fotografie kommt dem Schatten die gleiche Bedeutung zu wie dem Licht, ihre Wechselwirkung ist notwendig; und stets ist es der Schatten, der einem Kopf oder Körper die Modulation gibt. In den Kestingfotos ist der Schatten eine seiner verschiedenen Bildkomponenten. Er holt sich ihn, wo er ihn braucht. In seinen Lichtbildgestaltungen gleicht er einer Struktur... seine tiefste Schwärze macht das hellste Licht erst greifbar.“87

Das Nebeneinander der sehr hellen Figur und des tiefschwarzen Schattens gehört also zu den Kompositionsprinzipien Kestings. Es bleibt zu ergänzen, dass auch die räumliche Darstellung durch den Kontrast von plastischem Objekt und flächigem Schlagschatten gesteigert wird und damit besonders die für die Skulpturfotografie wichtige Darstellung von Plastizität unterstützt wird. Auch mit der Wahl des Aufnahmestandpunktes erzeugt Kesting Räumlichkeit. Durch die Nahsicht auf die beiden Hauptfiguren und die Weitsicht auf die Gegenstände und die Figur im Hintergrund ergibt sich ein Wechselspiel aus kleinen und großen Formen. Die drei Figuren messen ungefähr dieselbe Höhe von circa zwei Metern, doch durch die perspektivische Verkleinerung wird Abwechslung erzeugt. Kesting legte großen Wert auf eine ausgewogene Verteilung der Bildelemente: „Obwohl oft unsichtbar für den Betrachter, ist die Gewichtsverteilung der Form- und Farbwerte, der Helligkeitsunterschiede in der Fotografie entscheidend für seine Beziehung zu dem Bilde. Man kann diese Gleichgewichtsspannung mit dem Balancieren eines Menschen über ein Seil vergleichen, der sich durch Verlagerung der eigenen Schwerkraft vor dem Sturz hütet. Der Sturz wäre sein Fehler, wenn nicht gar sein Unglück. Auch beim Schaffen eines Bildes muß man sich vor einem falsch verlagerten, kompositorischen Fehltritt hüten, sonst fällt es auseinander, und seine Aussage entbehrt jeder intuitiven Spannung.“88 87 | Potsdam-Museum (Hrsg.): Edmund Kesting. Malerei-Grafik-Fotografie. Manuelle und maschinelle Bildgestaltung, Potsdam 1983, S. 26. 88 | Kesting, 1958, S. 14.

Skulptur im Atelier

Die Spannung erzeugt Kesting, indem er das „Paar“ als Hauptmotiv im Vordergrund des Bildes mit der Frauengestalt in Beziehung setzt. Im Abbildungsverzeichnis wird ausschließlich das „Paar“ benannt, die hintere Figur wird nicht einbezogen. Doch gerade durch ihre Anwesenheit wird die Komposition erweitert. Die helle Beleuchtung der hinteren Figur verleiht ihr eine große Präsenz, die im Widerspruch zu der Nahsicht auf die anderen Figuren steht. So vermag der Blick hin und her zu wechseln, um entweder das eine oder das andere Werk zu fokussieren, wobei sich die doch so unterschiedlichen Anblicke gegenseitig stützen. Auch die Anordnung der Skulpturenköpfe bietet verschiedene, aber gleichwertige Betrachtungsmöglichkeiten. Die Rückenfigur lenkt mit ihrem nach links gewendeten Blick auf das Gesicht ihres Gegenübers, wodurch sich eine von der Mitte ausgehende, nach links aufsteigende Diagonale bildet. Gleichzeitig zieht die weiße Figur im rechten Bildfeld die Aufmerksamkeit auf sich. Gemeinsam mit ihrem Schatten bildet sie die gegenläufige Diagonale im Bild, die sich von der beleuchteten Silhouette der Rückenfigur über die weiße Frauenplastik und deren Schatten in den rechten Bildraum öffnet. Der Blick der hinteren Figur führt rechts aus dem Bild heraus und lässt sie von dem sich anblickenden Paar abgeschieden erscheinen. Die Komposition lebt von der formalen Wirkung ebenso sehr wie von der angedeuteten Narration, die durch die beiden eng stehenden, sich anblickenden sowie die abgewandte Figur entsteht. Nähe und Distanz, Einsamkeit und Zweisamkeit sind in der Komposition der Fotografie wie auch der Konzeption von Heiligers „Paar“ angelegt und verweisen auf zwischenmenschliche Beziehungen. Die Komposition der Fotografie erzeugt daher nicht nur eine formale, sondern auch eine narrative Spannung und fügt dadurch eine Deutungsebene hinzu. Durch die Zusammenstellung der drei Figuren sind drei Ansichtsseiten von Heiligers Skulpturen sichtbar. Heinz Schönemann führt das Kompositionsprinzip auf Kestings Wunsch nach Mehransichtigkeit zurück, denn „waren schon die tiefgestaffelten Gemälde vom Verlangen nach ‚dem Blick um die Ecke‘ gezeichnet, mußte ihm nun die Fotografie diesen Wunsch durch Montage zweier Aufnahmen, dann durch Mehrfachbelichtungen, erfüllen. Er begann mit Versuchen an den Skulpturen der Dresdener Sammlung, römischen Porträtbüsten, die er en face und en profil gleichzeitig aufnahm, wobei ein völlig neuer Typus der Adaption von Kunstwerken entstand.“89

Die Atelieraufnahme von Heiligers Plastiken kommt allein durch Wahl von Aufnahmestandort und Perspektive zu einem vergleichbaren Ergebnis, da statt mehrerer Aufnahmen mehrere Figuren die vielschichtigen Ebenen erzeugen. Sigrid Hofer sieht den Vorteil von Kestings Methode darin, dass er „rein quantitativ ein Mehr an Informationen übermitteln“ könne.90 Kesting ordnete jeder komposito89 | Potsdam-Museum (Hrsg.), 1983, S. 8. 90 | Hofer, 2007, S. 316.

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rischen Entscheidung eine Funktion im Bild zu, die er mit der inhaltlichen Aussage und der Wirkung auf den Betrachter verknüpfte. Er lehnte es ab, „allein nach ästhetischen Gesichtspunkten“ ein Bild zu komponieren, da sonst jede Spannung fehle und kein gedanklicher Inhalt geformt werden könne.91 Es ist anzunehmen, dass der Künstler bei der Aufnahme der Werke von Bernhard Heiliger ebenfalls eine zusätzliche Bedeutung, ein Mehr durch die Fotografie angestrebt hat. Die Kontraste, mit denen Kesting die Spannung in seiner Aufnahme aufbaut, sind nicht zu trennen von den Eigenschaften der Plastiken. Die Werke erscheinen abwechslungsreich, ihre Konturen werden als klare Formen hervorgehoben und ihre Details treten hervor. Hanns Theodor Flemming beschreibt unter der Überschrift „Konfiguration“, in welcher Weise Bernhard Heiliger Werke konzipiert, die aus mehreren Figuren bestehen. Die Formulierungen des Autors ähneln dabei den Äußerungen von Edmund Kesting erstaunlich. Flemming bemerkt, Heiligers Figuren seien „nicht zufällig nebeneinander gestellt“, sondern „ergänzen einander komplementär.“92 Es gehe dem Bildhauer „um eine spannungsvolle Ganzheit, die sich in selbstständigen Teilen äußert, um einen ganzheitlichen Bewegungsstrom, der mehrere Gestalten gemeinsam durchpulst, auch wenn sie einander nicht berühren“.93 Er analysiert ebenso wie Kesting die Wirkung von diagonalen, senkrechten und horizontalen Kompositionslinien und auch die Silhouette thematisiert er als sich wiederholende „Echofigur“ in Heiligers Werk.94 Die Beschreibungen des bildhauerischen Werks können ohne weiteres auch auf die Fotografie übertragen werden: „Auch der Raum zwischen den […] Figuren wird aktiviert und als Teil des Ganzen in die Konzeption einbezogen. Wieder ist der Leerraum als plastischer Wert empfunden, diesmal aber […] als spannungsgeladener Freiraum zwischen den Gestalten.“95

Das Wechselspiel zwischen den Figuren interessiert demnach sowohl Kesting als auch Heiliger, und so kann der Fotograf die Konzepte des Bildhauers unterstützen, ohne seine Eigenständigkeit aufzugeben. Die Fotografie ist nach Kesting nicht bloß als dienendes Medium zu verwenden, sondern er proklamiert wiederholt dessen Anerkennung als künstlerische Gattung: „Der Übergang von der gewöhnlichen Fotografie zur gestalteten Aufnahme liegt da, wo man beginnt, die technischen Möglichkeiten in den Dienst künstlerischer Absichten zu stellen.“96

91 | Kesting, 1958, S. 15. 92 | Flemming, 1962, S. 105. 93 | Ebenda. 94 | Ebenda, S. 107. 95 | Ebenda, S. 105. 96 | Kesting, 1958, S. 24.

Skulptur im Atelier

Indem er seine künstlerischen Absichten aufrechterhält und diese auf Heiligers Werk anwendet, missachtet er die so häufig geforderte Objektivität der Skulpturfotografie. Trotzdem erfüllen seine Fotografien viele Forderungen an die fotografische Reproduktion von Skulpturen: Er bezieht verschiedene Ansichtsseiten ein, betont die Plastizität der Figuren durch den Einsatz von Kontrasten, gibt Zusammenhänge wieder und macht verschiedene Materialeigenschaften sichtbar. Die wiedergebende Funktion der Aufnahme geht trotz der künstlerischen Gestaltung der Fotografie nicht verloren, da sich die Konzeptionen von Kesting und Heiliger sehr nahe stehen und ergänzen. Heiligers Werk profitiert von der Vielschichtigkeit der Aufnahme und der Hervorhebung plastischer Grundprinzipien. Das Atelier spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Es ist zwar Schauplatz der Aufnahme, aber Kesting thematisiert weder den Ort als Arbeitsraum noch strebt er eine Inszenierung der Künstlerpersönlichkeit an. Vielmehr nutzt er den Arbeitsraum, weil er ihm die dargelegten erweiterten Möglichkeiten der Bildgestaltung bietet.

5.3.3 Skulptur und Abstraktion Das Atelier als Aufnahmeort für Skulpturfotografie eignet sich gut, um Skulpturen in einen bestimmten Kontext zu setzen, welche Eigenschaften ein Betrachter vorwiegend wahrnimmt. Dies ist besonders dann relevant, wenn bildhauerische Positionen in der Kritik stehen und eine fotografische Inszenierung den künstlerischen Wert eines Werks hervorheben soll. Bildhauern, die nach 1950 an der menschlichen Figur festhielten, wurden häufig als rückständig und nicht zeitgemäß bezeichnet. Bei internationalen Ausstellungen wie der II. documenta 1959 wurde figürliche Bildhauerei weniger beachtet als neue, abstrakte Positionen. Besonders die Nominierung von Gustav Seitz als Vertreter bei der Biennale in Venedig 1968, bei der unter anderem sein Werk „Geschlagener Catcher“ gezeigt wurde, löste eine empörte Diskussion in den deutschen Zeitungen aus. Der Künstler Günther Uecker bezeichnete die ausgewählten deutschen Bildhauer in der Zeitung „Die Welt“ als „Equipe lebender Greise“ und die Zeitschrift „Der Spiegel“ charakterisierte Seitz als Bildhauer, der „sacht abstrahierte vollplastische Statuen formt und sich vor Experimenten hütet“.97 Unter den figurativ arbeitenden Bildhauern entstand daher das Bedürfnis, die Aktualität ihrer Werke zu beweisen, wobei sie von einigen Kunstkritikern unterstützt wurden. Auch Gustav Seitz zeigte sich gekränkt, dass „die Deutsche Kritik [...] sich wirklich schlecht benommen“ habe, doch behielt er seine bildhauerische Position konsequent bei und verteidigte die zeitlose Relevanz der menschlichen

97 | Seitz, Gustav: Gustav Seitz. Werke und Dokumente, München 1984, S. 172; sowie: Der Spiegel, 6/1968, S. 109.

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Abbildung 87 | Titelbild Kunsthalle Mannheim (Hrsg.): Seitz, 1966, Fotograf: Michael Fackelmann, o. J. Figur auch mit Rückbezug auf die Kunst vergangener Epochen.98 Aktualität lag für Seitz innerhalb der traditionellen Bildhauerei, auch wenn er bedauerte, dass „[l] eider [...] nicht vielen die Augen offen für das Neue und Junge im Alten“ seien.99 1966 konzipierte die Mannheimer Kunsthalle anlässlich des 60. Geburtstages des Bildhauers eine Ausstellung, zu der ein begleitender Katalog erschien. Der Direktor der Kunsthalle, Heinz Fuchs, betont im einleitenden Text des Bandes, dass Kritiker, die Gustav Seitz „zu den konservativen Künstlern zu zählen“ pflegten, „einseitig auf den ‚Fortschritt‘ in Kunstdingen“ bedacht seien.100 Dem Bildhauer 98 | Seitz, 1984, S. 176. 99 | Ebenda, S. 150. 100 | Kunsthalle Mannheim: Gustav Seitz, Mannheim 1966, S. 3.

Skulptur im Atelier

könne weder Stagnation noch mangelnde Aktualität vorgeworfen werden, da sein Werk mit „Gegenwärtigkeit und Frische“ überrasche.101 Um diese Aktualität innerhalb der figurativen Plastik anschaulich zu machen, wurde der Bildteil des Katalogs ausschließlich mit Atelieraufnahmen bestückt, die der Fotograf Michael Fackelmann in den frühen 1960er Jahren angefertigt hatte. Die Mutter von Michael Fackelmann war mit Luise Seitz, der Ehefrau des Bildhauers, verwandt. Gustav Seitz vermittelte dem jungen Fotografen einen Kontakt zur Kunsthochschule in Hamburg, an der er seit 1960 studierte.102 Wie bei vielen anderen Atelieraufnahmen geht also ein privater Kontakt dem Einblick in das Künstleratelier voraus. Laut Fackelmann war es beinahe selbstverständlich, Aufnahmen im Atelier des Bildhauers anzufertigen: „Dass ich von der Fotoklasse nur zum Erdgeschoss hinunter gehen musste, um im Atelier von Gustav Seitz zu fotografieren, lag auf der Hand.“103 Die Aufnahmen des jungen Studenten bilden die Grundlage für die Bildauswahl des ausstellungsbegleitenden Bandes. Obwohl die Fotografien für einen Ausstellungskatalog ungewöhnlich erscheinen, werden sie im einleitenden Text nicht thematisiert. Michael Fackelmann wird lediglich im Impressum namentlich als Urheber genannt.104 Der Fokus der Veröffentlichung liegt auf der Arbeit des Bildhauers, die Fotografien sind nicht als künstlerische Arbeit ausgewiesen. Bereits das Titelbild des Bandes betont die Abstraktion innerhalb der figürlichen Bildhauerei: Eine Nahaufnahme zeigt zwei hintereinanderliegende runde Formen, die mit deutlichen Bearbeitungsspuren eine abwechslungsreiche Oberflächenstruktur aufweisen (Abb. 87). Ein starker Schwarz-Weiß-Kontrast verstärkt den Grad der Abstraktion. Der Bildausschnitt erinnert an figürliche oder organische Formen, doch die Gesamterscheinung der Plastik kann von dieser Nahsicht nicht abgeleitet werden. Erst aus dem Vergleich mit anderen Abbildungen des Bandes kann der Betrachter schließen, dass es sich bei den zwei runden Formen um Kopf und Brust des Werks „Flensburger Venus“ handeln muss. Auch in der grafischen Gestaltung wird ein minimalistischer Ansatz gewählt. Auf dem Buch befindet sich als einziges, serifenloses Wort in Majuskeln der Nachname des Bildhauers Seitz. Der Betrachter erhält durch die Umschlaggestaltung recht wenige Informationen – auf den Inhalt des Buches muss er selbst schließen. Vom Titelbild lässt sich ableiten, dass Formgestaltung, Räumlichkeit, Licht und Schatten sowie die handwerkliche Fertigung Thema des Buches sein könnten. Dies wird durch den Bildausschnitt, die Schärfentiefe, die Lichtführung und die sichtbaren Fingerabdrücke im Material in der Fotografie angedeutet. Diese Informationen sind jedoch 101 | Ebenda. 102 | Vgl. Fackelmann, Michael: Michael Fackelmann fotografiert Gustav Seitz, Lübeck 2011, S. 5. 103 | Ebenda. 104 | 2011 wurden diese und weitere Aufnahmen unter dem Titel „Michael Fackelmann fotografiert Gustav Seitz“ mit einem Vorwort des Fotografen erneut veröffentlicht.

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subtil im Bild eingeflochten und belassen eine große Freiheit über die Vorstellung des Buchinhalts, so dass die Neugier des Betrachters geweckt wird. Nicht die Erkennbarkeit der Plastik, sondern gerade das Rätselhafte der Formen erzeugt den visuellen Reiz. Durch die abstrakte Darstellung der figürlichen Plastik werden zudem die Worte von Heinz Fuchs bestätigt, man könne über die Werke von Gustav Seitz „schlecht von Naturalismus sprechen“.105 Auch dass eine „Zuneigung [...] zum Einfachen zu beobachten“ sei, wird durch die grafische, flächenbetonte Gestaltung des Buches hervorgehoben.106 Das Buch, das mit 28 Doppelseiten im Format 19 x 22 Zentimeter einen relativ kleinen Umfang besitzt, setzt im Innenteil verschiedene Papiere ein. So sind der einleitende Text in blockförmiger, kompakter Schrift sowie die letzte Seite des Buches auf grauem, grob strukturiertem Papier gedruckt. Eine Porträtfotografie des Bildhauers befindet sich auf transparentem Papier. Es folgen der Lebenslauf des Künstlers, Angaben zu seinen Werken und einige Entwurfsskizzen auf weißem, rauem Papier. Der anschließende Bildteil wurde auf glattes Fotopapier gedruckt. Insgesamt entsteht durch diesen differenzierten Einsatz der Papiere der Eindruck von Hochwertigkeit und Modernität, der sich vom Buch auf das darin dargestellte Werk übertragen soll. Auch die abgebildeten Fotografien unterstützen das bildhauerische Werk mit einer zeitgemäßen Gestaltung. Es wechseln Nahansichten einzelner Werke mit Ansichten mehrerer Plastiken, so dass erst in der Abfolge der Bilder ein Gesamteindruck der Werke entsteht. Alle abgebildeten Plastiken sind durchnummeriert und jeweils oberhalb der Abbildungen kenntlich gemacht, damit der Leser die verschiedenen Ansichten eindeutig zusammenführen kann. Zwei Hauptwerke kristallisieren sich aus den Abbildungen heraus: die „Flensburger Venus“ von 1963/64 und der „Geschlagene Catcher“ von 1963-66. Beide Werke sind großformatig und werden in den Atelierbildern von kleineren Studien oder verwandten Darstellungen begleitet. Die Plastik des „Geschlagenen Catchers“ ist zur Zeit der Aufnahmen noch nicht fertiggestellt und ist daher in Form des Gipsmodells zu sehen. Oft sind neben den Hauptwerken mehrere bronzene Skulpturen ins Bild gesetzt, so dass die 18 Abbildungen sich zu einer Vielzahl von Eindrücken potenzieren. So zeigt die sechste Abbildung im Band eine Kombination aus den vier Plastiken „Catcher“, „Männlicher Torso“, „Geschlagener Catcher“ und „Großer weiblicher Torso“, die neben- und hintereinander im Raum aufgestellt sind (Abb. 88). Weitere Werke, die sich hinter den Plastiken befinden, sind nur schemenhaft als helle oder dunkle Formen zu erkennen und nicht betitelt. Im Vordergrund, gewissermaßen als Hauptmotiv, da scharf fokussiert und vollständig zu sehen, steht der 72 Zentimeter hohe „Catcher“. Seine Vorderansicht ist leicht zum links liegen105 | Kunsthalle Mannheim, 1966, S. 4. 106 | Ebenda.

Skulptur im Atelier

Abbildung 88 | Atelier Gustav Seitz, Fotograf: Michael Fackelmann, o. J., in: Kunsthalle Mannheim (Hrsg.) 1966. den Fenster gedreht, so dass die Details seines Körpers und Gesichts durch helle und dunkle Flächen deutlich zu erkennen sind. Die rechte, verschattete Außenkontur hebt sich in einer klaren Silhouette aus dem Bild hervor. Rechts neben ihm befindet sich der „Männliche Torso“, der beinahe vollständig dunkel erscheint, aber als abstrahierte Variante des „Catchers“ zu erkennen ist. Die rechte Bildhälfte wird von der hellen, stark modulierten, geschundenen Oberfläche der Gipsplastik „Geschlagener Catcher“ ausgefüllt, die sich als Ausschnitt der Rückenansicht in eine bewegte Struktur auflöst und kaum noch figürliche Anteile besitzt. Der unscharf im linken Bildhintergrund stehende „Große weibliche Torso“ bildet durch seine runden Formen einen Kontrast zu den geraden, kantigen, männlichen Körpern im Vordergrund und eine formale Verbindung zu dem fragmentarischen „Männlichen Torso“. Zwischen den Werken bestehen direkte motivische und formale Bezüge, die im Bild auch eine Entwicklung der künstlerischen Arbeitsschritte mit zunehmender Lösung von der naturalistischen Körperdarstellung unterstreichen. Der Fotograf Michael Fackelmann setzt helle und dunkle Flächen, kleine und große Figuren sowie figürliche und abstrakte Ansichten in Kombination, so dass die Vielfalt der Werke und die Experimentierfähigkeit von Gustav Seitz besonders gut zur Geltung kommen. Der Anschnitt von Plastiken und die Fokussierung auf die Materialbearbeitung erhöhen den abstrakten Eindruck der Plastiken. Die Wahl des Bildausschnitts wird von Fackelmann als Hauptwerkzeug der Inszenierung genutzt, so dass der dokumentarische Anteil der Aufnahmen als hoch einzustufen

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ist. Künstliche Lichtquellen, Eingriffe in die Arrangements der Objekte oder Retuschen sind nicht zu entdecken. Ob die teils flächig erscheinenden schwarzen und weißen Formen mit Absicht derart hart kontrastiert wurden oder ob sie auf den Druckvorgang zurückzuführen sind, lässt sich nicht nachprüfen. Die starken Kontraste erhöhen jedoch zusätzlich den Grad der Abstraktion in der Abbildung.107 Der Ausstellungskatalog präsentiert das bildhauerische Konzept von Gustav Seitz durch die Atelierfotografie als eine vorwärts gerichtete, den aktuellen Kunstströmungen nahestehende Position. Die Aufnahmen Fackelmanns betonen den Arbeitsprozess, das Fragment, expressive Oberflächen und die Materialität, so dass die im Werk angelegte Abstraktion zur Geltung kommt, ohne dass die figürliche Konzeption verleugnet werden muss. Gustav Seitz selbst scheint die Orientierung nach aktuellen Strömungen fremd gewesen zu sein: „Je mehr ungegenständlich gearbeitet wird, je mehr werde ich augenblicklich gegenständlich“, schreibt er 1960 dem Maler Fritz Griebel.108 Während die Gegner der figürlichen Plastik diese Hartnäckigkeit als restaurative Position kritisierten, schätzten Befürworter die konsequente Haltung des Bildhauers als souveräne Position. „Seitz ist kein Freund modischer Attitüden und artistischer Spekulationen. Er hat sich seine Unabhängigkeit bewahrt“, betont Gottfried Sello 1966 im „Hamburger Abendblatt“.109 Der Herausgeber des Buches, Heinz Fuchs, versucht hingegen, zwischen den Fronten zu vermitteln und den Bildhauer weniger konservativ erscheinen zu lassen. Der veröffentlichte Ausstellungskatalog ist ein Marketinginstrument für Bildhauer und Museum und damit auch ein kommerzielles Produkt, das den Geschmack des Publikums aufnehmen muss. Der Bildband „Seitz“ inszeniert das Werk des Bildhauers etwas eindeutiger als abstrahierende Bildhauerei, als es der Künstler selbst getan hat. Andere Publikationen, insbesondere in der DDR publizierte Bücher, stellen dagegen die figurative Ausrichtung innerhalb des Werkes stärker in den Vordergrund.110 Die bildhauerische Konzeption wird durch die Gestaltung der Publikation zwar nicht vollständig verändert dargestellt oder verfälscht, doch es werden Schwerpunkte auf bestimmte Eigenschaften gesetzt, die die Einschätzung der Werke beeinflusst und ihre Positionierung innerhalb der Kunstrezeption verändert.

107 | Die 2011 veröffentlichten Aufnahmen zeigen facettenreichere Abstufungen der Grautöne. 108 | Seitz, 1984, S. 143. 109 | Ebenda, S. 167. 110 | Vgl. Kapitel 6.4.

Skulptur im Atelier

5.4 Zwischenresümee Atelierfotografie ist eine stark inszenierte Darstellung von einem Künstler und seinem Werk, obwohl sie mit einem widersprüchlich hohen Authentizitätsanspruch verbunden ist. Der Künstler steht meist im Mittelpunkt dieser Inszenierung und das bildhauerische Werk dient dazu, seine Tätigkeit deutlich zu machen. Der arbeitende Künstler wurde als Motiv aus der Malerei aufgegriffen und durch die Fotografie weiterentwickelt. Ähnlich wie ein Maler kann der Fotograf ein genauestens arrangiertes Künstlerporträt schaffen, das jedoch durch die der Fotografie zugeschriebene Realitätsnähe an Glaubwürdigkeit zu gewinnen scheint. Darüber hinaus entstanden Formen der Atelierfotografie, die sich durch gattungsspezifische Eigenschaften begründen lassen und sich von dem Vorbild der Malerei vollständig lösten. Zum einen war die Schnelligkeit der fotografischen Aufnahme prädestiniert dazu, die prozessorientiert arbeitenden Künstler ab den 1950er Jahren darzustellen. Zum anderen erwies sich besonders die Bildserie als geeignetes fotografisches Mittel, um Arbeitsprozesse darzustellen. Die Atelierfotografie wurde daher zu einem wichtigen und erfolgreichen Medium, das die Popularität neuer Kunstströmungen zu erhöhte. Der Fotograf wird bei der Abbildung von Atelierfotografie häufiger namentlich genannt, als es bei anderen Aufnahmen der Fall ist. Dies liegt zum einen darin begründet, dass er bei einer Atelieraufnahme mehr gestalterische Freiheit als bei der Fotografie einzelner Skulpturen besitzt. Darüber hinaus wird der Fotograf als Besucher des Ateliers bei der Betrachtung von Atelierfotografie mitgedacht und ist somit als Gestalter präsenter. Atelierfotografie wurde so – im Gegensatz zur allgemeinen Skulpturfotografie – zu einem anerkannten fotografischen Sujet. Die Darstellung von Skulpturen im Atelier kann ein Beziehungsgeflecht zu anderen Gegenständen, Kunstwerken oder zu Personen bilden, so dass der Fotograf vielfältige Möglichkeiten besitzt, die verschiedensten Bildinhalte zu vermitteln. Es ist daher nicht verwunderlich, dass neben der Visualisierung künstlerischer Zusammenhänge das Atelierbild auch für politische Botschaften genutzt wurde. Das Atelierbild besitzt immer repräsentativen Charakter und es muss von Bild zu Bild hinterfragt werden, welche Personen sich dort darstellen. Neben Fotograf und Bildhauer können es auch Auftraggeber sein, die sich in einem Atelierbild würdigen lassen oder politische Machthaber, die ihre kulturellen Leitgedanken mit einem Atelierbild zum Ausdruck bringen.

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6 Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

Skulpturfotografie erreicht den Betrachter erst durch eine Veröffentlichung als Druckerzeugnis innerhalb eines vervielfältigten Massenprodukts. Eine vorrangige Rolle spielt dabei das Buch, das als Medium der Wissensproduktion mittlerweile verstärkt wissenschaftlich untersucht wird, auch um seine Relevanz im Vergleich mit digitalen Medien festzustellen. Im Kontext der Medienwissenschaften und der Wissenschaftsforschung gewinnt das Fach „Buchwissenschaft“ zunehmend an Bedeutung. An den deutschen Universitäten in Mainz und Erlangen wird das Fach schon seit Ende der 1970er Jahre gelehrt.1 Die Aufgaben des Studiengebietes fasst Ursula Rautenberg in ihrem Vortrag „Wir lesen Bücher, nicht Texte“ zusammen. Sie nennt als Forschungsgebiete der Buchwissenschaft neben dem Hauptgebiet der Rezeptionsgeschichte auch die Materialität von Büchern, individuelle Rezeptionsweisen, ideelle und kommerzielle Ziele von Büchern sowie Nutzungs- und Wirkungsweisen. Das Fach behandelt Felder, die an die Kunstgeschichte grenzen (zum Beispiel Text-Bild-Beziehungen und Illustration), kommt aber ebenso mit Technikgeschichte, Literaturgeschichte, Soziologie und weiteren Fächern in Berührung.2 Das Buch ist neben Fachzeitschriften das wichtigste Mittel der Kunstpublikation und folglich auch ein bedeutendes Medium der Kunstrezeption. Insbesondere der Bildband nimmt eine wichtige Stellung ein, denn er richtet sich mit großformatigen Abbildungen und wenig Text an ein breitgefächertes Publikum. Je hochwertiger und zugleich kostengünstiger der Druck von Abbildungen wurde, desto zahlreicher wurden Bilder eingesetzt und die Bedeutung der Texte in der Kunstbuchproduktion nahm ab. Es wurde verstärkt davon ausgegangen, dass der Betrachter sich anhand der Abbildungen seine eigene Meinung bilden könne 1 | In Mainz seit 1978, in Erlangen seit 1984. Rautenberg, Ursula: Wir lesen Bücher, nicht Texte. Der Studiengang „Buchwissenschaft“ an der Universität Erlangen, in: Kerlen, Dietrich/Kirste, Inka (Hrsg.): Buchwissenschaft und Buchwirkungsforschung. VIII. Leipziger Hochschultage für Medien und Kommunikation, Leipzig 2000, S. 31. 2 | Vgl. ebenda, S. 34f.

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Ein Bild von Skulptur

und dass Texte über Kunstwerke überflüssig oder sogar manipulativ seien. In den vorangestellten Kapiteln wurde dargelegt, in welchem Maße Fotografien eigenständige Inhalte erzeugen und vermitteln können, so dass eine Abbildung nie als objektives Dokument gelten kann und nicht weniger einflussreich ist als ein Text. Das Kunstbuch muss ebenfalls unter der Annahme betrachtet werden, dass es als gestaltetes Gesamtprodukt den Betrachter in seinem Kulturverständnis beeinflusst. Auch die Gestaltung eines Buches unterliegt einem zeitgenössischen Stil, der sich im Laufe der Jahre zu einer historischen Position festigt. Pierre Bourdieu und Roger Chartier heben die historische Veränderung des Buches hervor, indem sie auf veränderte zeitgenössische Sichtweisen aufmerksam machen: „Ein Buch ändert sich durch die Tatsache, daß es sich nicht ändert, während die Welt sich ändert.“3 Diese paradoxe und doch so treffende Feststellung ist auch für das kunsthistorische Buch und die darin enthaltenen Texte und Abbildungen von großer Bedeutung. Die Historizität von Texten wird in der kunsthistorischen Forschung viel stärker beachtet, als die zeitgenössische Prägung von Abbildungen oder ganzen Büchern. In diesem Kapitel soll daher untersucht werden, welche Konzepte in Kunstbüchern durch die Verbindung von Text, Bild und Layout umgesetzt wurden.4 Dazu werden Übersichtsbände zu Bildhauerei aus verschiedenen Jahrzehnten analysiert, die Zusammenhänge zwischen den Werken verschiedener Künstler herstellen.

6.1 O rdnungsprinzipien in Kunstbildbänden „Die schwere Geburt des Kunstbuchs“ wurde 1987 von Francis Haskell in seinem gleichlautenden Vortrag auf die Mitte des 17. Jahrhunderts datiert. Kompendien aus Texten und Kupferstichen wurden zu dieser Zeit in Handarbeit als sehr aufwändige Einzelstücke produziert und galten als Statussymbol, „deren Besitzer mindestens ebensosehr verherrlicht werden sollten wie die reproduzierten Werke selbst“.5 Das erste deutschsprachige Übersichtswerk zur Kunstgeschichte wurde 1842 von Franz Kugler vorgelegt, erschien jedoch zunächst als 900 Seiten umfassender Text ohne Abbildungen. Drei Jahre später wurden vier Bände mit ergänzendem Bildmaterial herausgegeben, die den Argumentationsverlauf des Tex3 | Boudieu, Pierre/Chartier, Roger zitiert nach: Rautenberg, in: Kerlen/Kirste, 2000, S. 34. 4 | In der Buchwissenschaft werden weitere Aspekte in der Analyse von Büchern berücksichtigt: „Ausgehend vom Paradigma der Materialität der Kommunikation ist das Medium Buch als Sprach- und Bildzeichenträger in seinen herstellerischen (Ausstattung, Drucken, Bedruckstoffe, Schreiben, Beschreibstoffe), buchwirtschaftlichen (Buchhandel, Buchwirtschaft, Buchtitelproduktion), und kulturellen Bezügen (Autor, Leserforschung, Typographie) Gegenstand der Buchwissenschaft.“ Rautenberg, 2003, S. 126. 5 | Haskell, Francis: Die schwere Geburt des Kunstbuchs, Berlin 1993, S. 8

Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

tes stützen sollten.6 Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde verstärkt das Bild als Ergänzung kunsthistorischer Ausführungen eingesetzt und durch verschiedene Druckverfahren im Buch integriert. Das fotografische Verfahren war neben Lithografie, Kupferstich, Holzschnitt und weiteren Abbildungstechniken nur eine von vielen Möglichkeiten, die unter Kunsthistorikern kontrovers in ihren Vor- und Nachteilen diskutiert wurden. Im Laufe des späten 19. Jahrhunderts setzten sich Druckverfahren nach fotografischen Vorlagen in der Kunstbuchproduktion weitestgehend durch, und Bücher mit Abbildungen wurden industriell als Massenware hergestellt.7 Die anschauliche Kunstgeschichte, die erst mit der Fotografie zur Praxis des Faches wurde, führte zur Verbreitung des Kunstbuches und schuf ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Fotografie, Buch, Forschung und Publikum. Die repräsentative Funktion hochwertiger Bücher blieb dabei weitestgehend bestehen. Auf die besonders aufwändig gestalteten Prachtausgaben des 19. Jahrhunderts folgten die ironisch als Coffeetable-Books bezeichneten Bildbände des 20. Jahrhunderts, die hauptsächlich großformatige Abbildungen beinhalten. Diese Bildbände wurden weniger gelesen als angeschaut und sollten ihre Besitzer als gebildete und wohlhabende Kenner kultureller Werte auszeichnen.8 Obwohl die historische Entwicklung der Kunstbücher zeigt, dass den Bildern wachsende Bedeutung zugemessen wurde und ihr Anteil in Büchern stetig zunahm, verzichtet kaum ein Herausgeber auf einen einleitenden Text. Die Worte der Autoren bewahren den intellektuellen Anspruch an den Bildband und besonders Vorworte werden häufig dazu genutzt, Institutionen oder Förderer zur Sprache kommen zu lassen, die ihr kulturelles Engagement dem Publikum darlegen möchten. Die Ordnungsprinzipien eines Bildbandes geben die vom Herausgeber festgelegte inhaltliche Ausrichtung wieder. Monografien werden als Gesamtschau eines einzelnen Künstlers meist chronologisch oder nach Werkgruppen geordnet. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann zumindest in Werkverzeichnissen gegeben sein, aber auch innerhalb eines einzigen künstlerischen Œvres können Werkgruppen separiert und als eigene Bände zusammengefasst werden.9 Kataloge zu Ausstellungen bieten meist Abbildungen der gezeigten Kunstwerke und gelegentlich ergänzende Werke, die für das Konzept der Ausstellung relevant sind. Die Herausgeber von Übersichtsbänden zur Kunstgeschichte hingegen stehen vor der Aufgabe, aus der Gesamtheit aller Kunstwerke eine schlüssige Auswahl präsentieren zu müssen. Dazu werden geografische oder politische Grenzen gezogen, Themengebiete aufgefächert oder historische Zeiträume abgesteckt, die die Zusammenstellung begründen. Immer wieder entschuldigen sich Autoren im 6 | Vgl. Reichle, 2007, S. 179. 7 | Vgl. Reichle, 2007, S. 185f., und Rautenberg, Ursula: Reclams Sachlexikon des Buches, Stuttgart 2003, S. 312. 8 | Vgl. Rautenberg, 2003, S. 134 und S. 404. 9 | Zum Beispiel: Marcks, Gerhard, 1954, sowie Wellmann/Schneckenburger (Hrsg.), 2000.

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Vorwort für die unausweichliche Beschränkung auf einen Teilbereich von Kunst. Doch jede Auswahl, die mit Auslassung oder Verkürzung von Themen einhergeht, ließe sich, so Herbert Read im Vorwort zu „Geschichte der modernen Plastik“ nur dann beanstanden, wenn „der verfügbare Raum unbegrenzt gewesen“ wäre.10 Da jedoch kein Bildband vollständig sein kann, muss die Auswahl der behandelten Kunstwerke eine konzeptionelle Richtung des Buches festlegen und spiegelt somit die Einschätzungen des Herausgebers oder Autors über die Relevanz einzelner Werke, Künstler oder Stilrichtungen wider. In den Jahrzehnten zwischen 1920 und 1970 wurde die Bedeutung zeitgenössischer deutscher Skulptur unterschiedlich hoch bewertet und dementsprechend unterschiedlich häufig wurde Bildhauerei zum Thema von Büchern gemacht. Um die Jahrhundertwende widmeten sich nur vereinzelt Autoren der aktuellen Bildhauerei, denn zwischen Tradition und Moderne zeichnete sich eine klare Linie noch nicht ab und Bildhauerei war wenig populär. Alexander Heilmeyer schreibt in „Die moderne Plastik in Deutschland“ 1903, der „neueren deutschen Plastik“ werde „von Seiten des Publikums weit weniger Interesse entgegengebracht“ als der Malerei und der Architektur. Die Gründe dafür sieht er darin, dass „überragende Geister und nachhaltige Anregungen von außen fehlten“, denn es „quälten sich die Bildhauer, in der Stille ihrer Werkstätten in abgelebten Formen etwas Neues zu schaffen“.11 Georg Lill lässt 1925 die „Deutsche Plastik“ schon im 18. Jahrhundert enden, denn er ist der Meinung, dass „dem germanischen und dem deutschen Volke […] ohne Zweifel der eingeborene Trieb zur plastischen Gestaltung“ fehle und dass dieser nur durch Stolz und hohe Ansprüche der Nation in den Epochen der Vergangenheit erweckt worden sei.12 Dieses Argument nutzten später dann die Nationalsozialisten, um ein durch ihre Herrschaft ausgelöstes neues plastisches Zeitalter heraufzubeschwören. Es wurde besonders die Bildhauerei der eigenen Zeit hervorgehoben, denn der kunsthistorische Wandel wurde auf einen gesellschaftlichen Wandel zurückgeführt. 1940 schreibt Bruno E. Werner in „Deutsche Plastik der Gegenwart“, der „Versuch, das bildhauerische Schaffen der Gegenwart darzustellen“, sei „dankbar in einer Zeit, in der sich deutlich der Weg vom malerischen zum plastischen Sehen abzeichnet“.13 Kurt Lothar Tank sieht 1942 eine Epoche eingeläutet, die „wieder die Plastik als wesentliche Ausdrucksform ihres Geistes, ihrer Gesinnung und ihrer Stärke mit Recht ansieht“14. Von Nationalstolz getragen rückte die deutsche Bildhauerei also wieder in den Mittelpunkt des Interesses.

10 | Read, Herbert: Geschichte der modernen Plastik, München/Zürich 1966, S. 7. 11 | Heilmeyer, Alexander: Die moderne Plastik in Deutschland, Bielefeld/Leipzig 1903, S. 1. 12 | Lill, Georg: Deutsche Plastik, Berlin 1925, S. 9 und S. 16. 13 | Werner, Bruno E.: Die Deutsche Plastik der Gegenwart, Berlin 1940, S. 7. 14 | Tank, 1942, S. 9.

Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der ersten existenziellen Lebensversorgung der Bevölkerung fanden schon recht bald wieder Ausstellungen unter dem Titel „Deutsche Kunst der Gegenwart“ statt und im Zuge dessen wurden auch Kataloge veröffentlicht. Ursel Berger macht 2013 in ihrem Aufsatz „Der Umgang mit figürlicher Plastik nach dem Zweiten Weltkrieg“ darauf aufmerksam, dass Künstler der Gegenwart kaum beachtet wurden, sondern zunächst „die großen Namen der Weimarer Republik […] im Vordergrund standen“, und „dass ganz markant Künstler vertreten waren, die damals nicht mehr lebten.“15 Nach dieser Rückbesinnung auf die vor dem Krieg entstandene Kunst, folgte in den 1950er Jahren eine kulturelle Neuorientierung. 1953 fragt Ulrich Gertz, ob die künstlerische Tätigkeit „ziellos [schwanke], seit die Autoritäten schwanden, die sich ihrer Kraft bedienten“, und bemüht sich, die Plastik der Gegenwart in ihrer „verwirrenden Mannigfaltigkeit“ vorurteilsfrei zu sehen.16 Auf der Suche nach einer verbindenden Einheit sieht er sich zwar mit seiner Zusammenstellung von „Plastik der Gegenwart“ noch nicht am Ziel angekommen, doch ist er überzeugt, dass sich für eine zukünftige Generation „die Besonderheiten zum Gesamtbild“ vereinigen werden.17 Für Carola Giedion-Welcker kristallisiert sich 1955 die Entwicklung der Bildhauerei schon deutlicher heraus: „Für die Plastik scheint sich jedoch die Situation insofern weiterhin positiv verschoben zu haben, als ihre Stellung auch innerhalb der bildenden Künste stetig an Bedeutung und Beachtung zunimmt. Man möchte beinahe annehmen, daß ein ‚plastisches Zeitalter‘ im Anzuge ist.“ 18

Und auch Werner Hofman sieht 1958 die Bedeutung der Bildhauerei wachsen: „Die Stunde ist der Plastik günstig, wenn die künstlerische Weltverwandlung sich von weitläufigen Wirklichkeitseindrücken wegwendet und die Bereiche des Symbols aufsucht […]. Diese Stunde scheint gekommen.“19 Die Betonung der Qualität von Nachkriegsbildhauerei liegt auch darin begründet, dass die informelle Malerei zunächst eine Vormachtstellung in der Kunstrezeption eingenommen hatte, die von einer stetigen Auflösung der Gattungsgrenzen begleitet wurde. Kunsthistoriker, die sich der deutschen Bildhauerei zuwandten, sahen sich gedrängt, die Gattung Bildhauerei zu verteidigen.

15 | Berger, Ursel: Der Umgang mit figürlicher Plastik nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Körner, Hans/ Reuter, Guido (Hrsg.), Düsseldorf 2013, S. 13. 16 | Gertz, Ulrich: Plastik der Gegenwart, Berlin 1953, S. 5. 17 | Ebenda. 18 | Giedion-Welcker, 1955, S. XXIII. Das Zitat stammt aus dem Textabschnitt „Die heutige Situation“, den die Autorin 1955 verfasst hat. In der 1937 veröffentlichten Erstausgabe des Buches äußert sie sich nicht zur Entwicklung der Bildhauerei. 19 | Hofmann, Werner: Die Plastik des 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 1958, S. 7.

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Das unterschiedlich starke Interesse für die Bildhauerei der eigenen Zeit wirkt sich auf die Quantität der Buchproduktion zur zeitgenössischen Skulptur und auf die Ausrichtung der Inhalte aus. Im Folgenden soll je ein Übersichtswerk der Bildhauerei aus der Zeit des Nationalsozialismus, sowie aus der BRD der 1950er und der DDR der 1960er Jahre daraufhin untersucht werden, welche kulturelle Prägung ihnen zugrunde liegt und wie sich diese in Texten und Bildern niederschlägt. Der Fokus liegt dabei auf der politischen und gesellschaftlichen Situation zur Zeit der Buchveröffentlichung, da zeitgenössische Sichtweisen auf Kunst im Zusammenhang eines Übersichtswerks besonders deutlich werden. Die zentrale Frage soll sein, wie die Auswahl der abgebildeten Kunstwerke begründet wird und welcher kulturelle Kanon sich aus der Bildzusammenstellung in Verbindung mit den Texten vermittelt.

6.2 Kurt Lothar Tank: Deutsche Plastik unserer Zeit, 1942 Im Raumbild-Verlag Otto Schönstein erschien 1942 der Band „Deutsche Plastik unserer Zeit“. Das Buch beruht auf einer besonderen Konzeption, da die Abbildungen der Kunstwerke als Stereofotografien auf separaten, kleinformatigen Karten angelegt sind. Die Fotografien werden durch einen Bildbetrachter angeschaut, der das Bild dreidimensional erscheinen lässt.20 Es existieren verschiedene Ausführungen des Buches mit Leder- sowie Leineneinbänden, auf denen der Buchtitel in goldenen Lettern eingeprägt ist. Die Karten sowie der Raumbildbetrachter sind in eingelassenen Fächern auf den marmorierten Innenseiten der sehr dicken Buchdeckel befestigt. Ein Textteil mit einzelnen fotografischen Künstlerporträts bildet den gebundenen Innenteil des Buches, das etwa 30 x 21 Zentimeter misst. Insgesamt wirkt der Band sehr solide, aufwändig gestaltet und hochwertig (Abb. 89).21 Raumbildbände waren teuer und dadurch exklusiv.22 Bereits das von Albert Speer verfasste Vorwort macht deutlich, dass „Deutsche Plastik unserer Zeit“ von höchster politischer Stelle unterstützt wurde. Speer 20 | Die formalen Besonderheiten der Stereofotografie werden in Kapitel 2.3.3 erläutert. 21 | Die Ausstattung der Raumbildbände änderte sich gegen Kriegsende aufgrund von Materialknappheit. Daher existieren auch reine Textausgaben des Bandes. Zur Entwicklung der Ausstattung von Raumbildbänden im Verlag Otto Schönstein vgl. Lorenz, Dieter: Der Raumbild-Verlag Otto Schönstein. Zur Geschichte der Stereoskopie, Berlin 2001, S. 17f. 22 | Für ein größeres Publikum wurde die Zeitschrift „Das Raumbild“ herausgegeben, die dazu beitragen sollte, Stereofotografie zum „Repräsentanten eines ‚realistischen‘ Kunststils“ zu stilisieren und die als „Garant einer fotografischen Objektivität und Wahrheit“ diente. Fitzner, in: Fotogeschichte 109/2008, S. 35.

Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

Abbildung 89 | Kurt Lothar Tank: Deutsche Plastik unserer Zeit, 1942. Buchdeckel Innenseite mit Stereobildern, Bildbetrachter und Anleitung. Foto: d. Verf. spricht sich gegen das „Zergrübelte und Zerquälte der Kunst der jüngeren Vergangenheit“ aus und erklärt „schwierige Worte“ über die Kunst für unnötig.23 Die direkte Anschauung solle ausreichen, um „alle Volksgenossen lebendigen Anteil nehmen zu lassen.“24 In Speers Worten findet sich ein kluger Schachzug der nationalsozialistischen Propaganda wieder: Das Bild mit seiner unmittelbaren Wirkung wurde dem Text vorgezogen. Speer kann so die Meinung der Leser vordergründig demokratisch freigeben, da er auf die Eigenwirkung der Abbildungen vertraut.25 Stereofotografie ist dazu besonders gut geeignet, denn der dreidimensionale Effekt der Bilder ist unabhängig vom Motiv beeindruckend. Das Medium Stereofotografie wirkt wie ein erstaunliches Erlebnis auf den Betrachter und bekommt durch diesen Erfahrungswert einen hohen Wahrheitsgehalt zugesprochen. Widersprüchlich erscheint, dass, obwohl Speer „schwierige Worte“ über Kunst für überflüssig hält, im Anschluss an sein Vorwort 95 Seiten Text folgen. Doch für den hochwertigen Eindruck des Buches ist der Textteil schon auf formaler Ebene wichtig, da die kleinen Karten ohne den Zusammenhalt als Buch sehr spielerisch und weniger eindrucksvoll erscheinen würden. Außerdem bietet der Text die 23 | Tank, 1942, S. 5. 24 | Ebenda. 25 | Eindeutige Grundsätze zur Propagandastrategie finden sich in Hitlers „Mein Kampf“. Dort wird empfohlen, die Gefühle der Menschen zu aktivieren und sich nicht an den Verstand zu richten.

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Möglichkeit, politische Inhalte zu formulieren und zu festigen. Sebastian Fitzner macht in seinem Aufsatz „Raumrausch und Raumsehnsucht – zur Inszenierung der Stereofotografie im Dritten Reich“ deutlich, das Stereofotografie zum einen Kunstrezeption entintellektualisierte, zum anderen aber durch die zur Seite gestellten Artikel und Bildunterschriften kontextualisiert wurde.26 Auch der Textteil von „Deutsche Plastik unserer Zeit“ „ist weniger eine Bildbeschreibung, in der ästhetische Aspekte verhandelt werden, sondern eine Festschreibung bestimmter Geschichtskonzeptionen, die sich scheinbar in dem Stereobild […] als Instanz der Anschauung bestätigen lassen“.27 Die „Einführung zur Plastik unserer Zeit“ wurde von Wilfried Bade verfasst. Bade arbeitete ab 1933 als Schriftsteller und Ministerialbeamter für die nationalsozialistische Propaganda. Er schrieb vorwiegend über nationalsozialistische Themen, unter anderem verfasste er 1933 eine Biografie über Joseph Goebbels, den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Bades Ausführungen zur Bildhauerei sind durchzogen von politischen Schlagworten. Er schreibt über die Aufgaben der Bildhauer als Schöpfer und lässt immer wieder Aussagen über „unsere Zeit“ einfließen, so dass der Nationalsozialismus von allen vorangegangenen Epochen und Kunstströmungen als besondere Leistung abgegrenzt wird.28 Die Entwicklung der Kunst und der Aufbau des Staates werden zu einer Einheit verbunden: „Wenn wir diese in der Gemeinschaft des Volkes ausgedrückte Existenzform das Vaterland heißen, das alles umschließt, – von der rassischen Grundlage bis zur staatlichen Organisation – dann ist das Wort berechtigt, daß es der tiefste Sinn der Kunst ist, das Vaterland auszudrücken, seine Seele zu offenbaren, seinen Glauben darzustellen, und sein innerstes Wesen sichtbar werden zu lassen.“29

26 | Vgl. Fitzner, in: Fotogeschichte 109/2008, S. 28 und 32. 27 | Ebenda, S. 34. 28 | Tank, 1942, S. 9, S. 12, S. 15. 29 | Ebenda, S. 12.

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Bade schließt mit dem Dank an Adolf Hitler, den er als Initiator der Kunst darstellt.30 Die Bildhauerei der Gegenwart wird fokussiert, weil sie als Ausdruck des politischen Systems angesehen wird. Die Kunst vergangener Epochen wird hingegen lediglich als Maßstab für die eigenen Leistungen herangezogen, die entweder mit Vorbildern, zum Beispiel aus der Antike, oder mit negativ dargestellten Beispielen aus der jüngeren Vergangenheit verglichen werden, um die zeitgenössischen Werke emporzuheben.31 In „Deutsche Plastik unserer Zeit“ wird bereits im Titel eine starke Kohäsion angestrebt, die durch das Wir-Gefühl und das Jetzt bestimmt ist. Die Bildhauerei, die den eigentlichen Inhalt des Buches ausmacht, wird in diesen gemeinschaftlichen Kontext eingebunden. Das Buch richtet sich explizit nicht an Fachleute, sondern an die „Gemeinschaft selbst, deren reinste und schönste Schöpfungen es enthält“.32 Erst nach dieser Kontextualisierung als Staatsleistung folgen die Ausführungen des Kunsthistorikers Kurt Lothar Tank. Im ersten Teil beschreibt er die „Probleme der deutschen Plastik“ in der Vergangenheit. Er beginnt mit der erzählerischen Wiedergabe eigener Erlebnisse mit Kunst und bestätigt die von Speer und Bade angestoßene Ablehnung von Wissenschaft und Intellekt zugunsten eines „Herzenszugang[s]“ zur Kunst.33 Er stellt eine „stark nachwirkende Gewalt plastischer Bildwerke“ fest, die auch in vergangenen Zeiten „eine seelenstärkende Macht besessen“ habe.34 Nach dem Ersten Weltkrieg sei diese Kraft verloren gegangen. Da „der starke Glaube an die Mission der deutschen Plastik in dieser Zeit“ jedoch allen

30 | Bis heute wird die nationalsozialistische Herrschaft häufig als Zäsur innerhalb der Geschichte dargestellt. Auch in der Kunstgeschichte hält sich die Annahme, dass die Kunst des Nationalsozialismus mit Gründung des Staates ihren Stil entwickelt hätte und nach 1945 mit einer Stunde null endet. Diese Denkweise wird auch in der NS-Propaganda verbreitet, nur eben positiv besetzt. Einige Kunsthistoriker, darunter Hans-Ernst Mittig, kritisierten seit den 1970er Jahren diesen Umgang mit der NS-Geschichte. In seinem Aufsatz „Die Reklame als Wegbereiterin der nationalsozialistischen Kunst“ stellt er insbesondere die kulturellen Kontinuitäten dar. „Das Ziel ist es ja gerade, die Meinung zu überprüfen, nach der die nationalsozialistische Kunst dem vorher und nachher Entwickelten unvergleichbar ist, ein Unglücksfall außerhalb umfassender geschichtlicher Kontinuität wie nach Meinung Vieler das nationalsozialistische System selbst. Wenn sich eine Beeinflussung nationalsozialistischer Kunst durch Reklame nachweisen läßt, ist dies ein Argument dafür, daß diese Kunst ebensowenig wie das nationalsozialistische System insgesamt aus der Entwicklung des Kapitalismus herausfällt.“ Mittig, Hans-Ernst: Die Reklame als Wegbereiterin der nationalsozialistischen Kunst, in: Hinz, Berthold (Hrsg.): Die Dekoration der Gewalt. Kunst und Medien im Faschismus, Gießen 1979, S. 31. 31 | Vgl. Tank, 1942, S. 13. 32 | Ebenda, S. 15. 33 |  Ebenda, S. 19. 34 |  Ebenda.

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deutschen Bildhauern gemein sei, zeigt sich Tank sicher, dass die Kunst „in unserer Zeit diese magische Gewalt über die Herzen wiedergewinnen“ werde.35 Bereits dieser erste Textabschnitt, der lediglich einen Umfang von anderthalb Seite besitzt, zeigt, dass auch die Ausführungen des Kunsthistorikers von den Vokabeln der Propaganda durchzogen sind. Beispielsweise ist die positiv umgedeutete Verwendung des Wortes Gewalt typisch für die nationalsozialistische Rhetorik. Flächendeckend eingestreut und durch Wiederholungen in den Köpfen der Menschen festgesetzt, hält das Vokabular der Propaganda in jedem gesellschaftlichen Kontext Einzug, auch in der Kunstrezeption. Tank behauptet beispielsweise: „Das Judentum hatte wie an der Zerstörung des Reichsgedankens auch an der Zersetzung der Kunstformen entscheidenden Anteil.“36 Die Hetze gegenüber den Feindbildern, die Verherrlichung der eigenen Leistungen und die Betonung der eigenen Stärke sind unmissverständlich in die Kunstkritik eingeflochten. Obwohl sich die anschließenden Kapitel vorwiegend der Bildhauerei widmen, ist die politische Färbung der Texte eindeutig. Wie ein Wolf im kunsthistorischen Pelz verstecken sich mal mehr, mal weniger auffällig politische Inhalte in den Texten des Buches, um die Meinung des Lesers zu manipulieren. Im zweiten Teil stellt Kurt Lothar Tank die ausgewählten deutschen Bildhauer vor, die er in vier Gruppen einteilt. Die Anordnung der Bildhauer erzeugt einen Eindruck von Fortschrittlichkeit, der mit „Tradition und Gegenwart“ beginnt, sich mit dem „Ringen um die neue Form“ und dem „Weg zur Deutschen Monumentalplastik“ weiterentwickelt und schließlich mit „Auftrag und Erfüllung“ vollendet wird. In das letzte Kapitel werden lediglich die beiden am stärksten vom Staat vereinnahmten Bildhauer Josef Thorak und Arno Breker aufgenommen, die beinahe ausschließlich im Auftrag des NS-Regimes arbeiteten. Die Bildkärtchen mit den Stereoaufnahmen, die dem Buch beigefügt sind, sind durchnummeriert und entsprechen der Reihenfolge der im Text besprochenen Künstler. Darüber hinaus gibt es im Text keine Verweise auf die Bilder und auch keine anderen visuellen Verknüpfungen von Text und Bild. Als Informationen zum Bild werden Bildnummer, Werktitel, Bildhauer und Fotograf sowie gegebenenfalls der Aufnahmeort jeweils auf der Rückseite der Karten vermerkt. So können die Bilder unabhängig vom Text in jeder beliebigen Reihenfolge betrachtet werden und trotzdem noch zugeordnet werden. Die Stereoaufnahmen machen das Buch zu einer besonderen Attraktion und tragen wie die Texte zur politischen Meinungsmache bei. Da der Betrachter selbst eine interpretierende Leistung erbringen muss, bleibt die Beeinflussung jedoch subtil. Die eigentlich bereits veraltete fotografische Präsentationsform der Stereofotografie wurde von den Nationalsozialisten als Propagandamedium wiederentdeckt und unter dem Namen „Raumbild“ als Erfindung der nationalsozialistischen 35 | Ebenda, S. 19 und 22. 36 | Ebenda, S. 39.

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Zeit präsentiert: „Es ist erst unserer Zeit möglich geworden, auf fotografischem Wege das Raumbild im Buche so zu nützen, daß sich dem Beschauer tatsächlich im Abbild ein dreidimensionaler Eindruck dreidimensionaler Erscheinungen mitteilt.“37 Das historische Verfahren der Stereofotografie steht im Gegensatz zu dem ansonsten sehr fortschrittlichen Medieneinsatz der Nationalsozialisten, die ihre rückwärtsgewandten Inhalte bevorzugt mit den neuesten technischen Möglichkeiten, wie zum Beispiel dem Radio, verbreiteten.38 Der Unterhaltungswert der Stereofotografie hatte sich jedoch bewährt, um die Betrachter zu beeindrucken und ihre politische Haltung zu lenken. Aus diesem Grunde profitierte der Raumbild-Verlag Otto Schönstein, der auch „Deutsche Plastik unserer Zeit“ verlegte, von einer umfassenden finanziellen und konstitutionellen Förderung und wurde 1942 sogar als kriegswichtiger Betrieb eingestuft.39 Zwischen 1935 und 1944 wurden aufwändige Bildbände über das deutsche Herrschaftsgebiet sowie über kulturelle Errungenschaften im Raumbild-Verlag produziert. Ein Großteil der Fotografien, die nicht in ihrer Gesamtheit veröffentlicht wurden, befindet sich heute im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Das Schönstein-Archiv beinhaltet vorwiegend Aufnahmen deutscher Landschaften, Städte und Sehenswürdigkeiten sowie sogenannter NS-Musterbetriebe. Es war ein Anliegen der Nationalsozialisten, eine Bestandsaufnahme Deutschlands zu erstellen, die die landschaftliche Schönheit des Landes, die Ideale der Arbeiter, Großereignisse und das deutsche Kulturgut vorstellen sollte.40 Das Wiederaufleben der Stereofotografie während des Nationalsozialismus wird von Jens Schröter auf eine regelrechte „Raumideologie“ zurückgeführt, die in der Propaganda des Dritten Reiches aufblühte.41 In seinem Aufsatz „Politiken des Raumbildes. Stereoskopien im Dritten Reich und bei Thomas Ruff“ belegt er die zentrale Rolle der Semantik des Raums innerhalb der Ideologie der NSDAP anhand zahlreicher Beispiele aus der Zeitschrift „Das Raumbild“.42 Bereits 1920 hatte die NSDAP in ihrem 25-Punkte-Programm „Land und Boden (Kolonien) zur Ernährung unseres Volkes und Ansiedlung unseres Bevölkerungsüberschus-

37 | Ebenda, S. 14. 38 | Auch wurden neue Techniken genutzt, um ästhetisch zu beeindrucken. Beispielsweise nutzte Albert Speer eine rasant entwickelte Lichttechnik zur Erzeugung eines „Lichtdoms“ auf dem Reichsparteitag 1934. Vgl. Mittig, 1979. 39 | Schröter, Jens: Politiken des Raumbildes. Stereoskopien im Dritten Reich und bei Thomas Ruff. In: Johanna Barck, Jens Schröter und Gundolf Winter (Hrsg.): Das Raumbild. Bilder jenseits ihrer Flächen. München 2009, S. 207. 40 | Die Geschichte des Schönstein-Verlags und der Publikationen werden ausführlich besprochen bei: Vorsteher (Hrsg.): Magazin Deutsches Historisches Museum, Heft 27, 11. Jahrgang, 2001. 41 | Schröter in: Barck/Schröter/Winter, 2009, S .202. 42 | Vgl. ebenda, S. 206.

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ses“ gefordert.43 Von da an wurde der Glauben verbreitet, das deutsche Volk leide unter einem Mangel an Raum. Letztendlich wurden auch die Angriffskriege gegen Osteuropa durch die Vorstellung legitimiert, die Deutschen seien ein „Volk ohne Raum“, das durch seine privilegierte Rasse das Recht habe, andere Völker zu verdrängen.44 In der Kunstgeschichte geht die Raumideologie mit einer Hierarchisierung der Gattungen einher, an deren Spitze die Architektur und das plastische Bildwerk stehen. In den Texten von „Deutsche Plastik unserer Zeit“ wird der Raum besonders häufig thematisiert.45 Tank führt unter der Überschrift „Reichsgedanke und Monumentalstil“ aus, dass nach dem Ersten Weltkrieg ein Tiefpunkt der deutschen Kunst erreicht worden sei: „Das deutsche Lebensgefühl war geschwächt, seine raumordnende Kraft gebrochen oder in enge Grenzen eingeschlossen. Ist es da verwunderlich, daß auch in der Kunst eine verkümmerte, gequälte, krankhaft anmutende Körper- und Raumgestaltung anzutreffen war?“46

Die Kunst des Dritten Reiches wird im Gegensatz dazu als ordnende und starke Kraft angesehen. Tank zählt die wichtigsten Orte auf, an denen im Staatsauftrag Gebäude und Skulpturen errichtet wurden und die die Leistungen belegen sollen: „Wer aber die Dynamik des Reiches in der Gestaltung des Königlichen Platzes in München, in Bau und Anlage des Reichssportfeldes, in der raumordnenden Breite der Berliner Ost-West-Achse wenigstens einmal erlebt hat, der begreift auch die Monumentalplastik eines Breker und Thorak, eines Meller und Wamper, eines Wackerle und Schmid-Ehmen.“47

Das Erlebnis der eigenen Anschauung, das die Erkenntnis über die Qualität der Kunst bringen soll, greift die Stereofotografie auf, so dass sie zum Ersatz für die Betrachtung vor Ort dient. Die Auswahl der Kunstwerke umfasst daher zahlreiche Auftragsarbeiten des NS-Staates, die auf öffentlichen Plätzen oder in Parteigebäuden aufgestellt waren und die auch an diesen Orten fotografiert wurden. Die Standorte der Skulpturen, darunter das Reichssportfeld in Berlin, das Reichsparteitaggelände in Nürnberg, die Ordensburg Vogelsang und das Luftgaukommando Dresden, werden immer auf der Rückseite der Bildkarte benannt. Ein weiterer großer Anteil der Bilder wurde 1941 auf der Großen Deutschen Kunstausstellung in 43 | Schmitz-Berning, 2000, S. 375ff. 44 | Der Roman „Volk ohne Raum“ von Hans Grimm gehörte zwischen 1933 und 1945 zu den meistverkauften Romanen. Vgl. Schneider, Tobias: Bestseller im Dritten Reich, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1/2014, S. 77-97. 45 | Vgl. Tank, 1942, S. 13f. 46 | Ebenda, S. 38. 47 | Ebenda, S. 14f.

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München aufgenommen oder ist bei anderen repräsentativen Ereignissen entstanden wie der Weltausstellung in Paris 1937. Nur sehr wenige Kunstwerke werden ohne einen räumlichen oder ereignishaften Kontext wiedergegeben. Zur Popularisierung der wichtigen Staatsbauten tragen die Abbildungen daher ebenso bei wie zur Bewunderung der Kunstwerke. Kurt Lothar Tank stellt den Zusammenhang von Kunstgeschichte und gesellschaftlichen Zielen auch im Text her: „Dies Buch handelt von der Plastik unserer Zeit. Es soll dabei weder eine trockene Kunstgeschichte noch eine leere Aesthetik darstellen. […] Es beschränkt sich vielmehr auf die Wiedergabe derjenigen Werke, die wir als beispielhaft empfinden: weil nämlich in ihnen das Wollen unserer Zeit mit höchstem Können ausgesprochen wird.“48

In der Zeitschrift „Das Raumbild“, die ebenfalls vom Schönstein-Verlag herausgebracht wurde, wird noch viel drastischer der Propagandanutzen der Stereobilder offengelegt: „Mit der Einführung des Raumbildes […] wäre es gegeben, gerade durch die optisch-plastische Beeinflussung […] unserem Volk alles Große und Gewaltige ins Bewusstsein zu hämmern.“49 Das Buch „Deutsche Plastik unserer Zeit“ gehört zu den Publikationen, die diesem manipulativen Anliegen folgt. Die Inhalte der Texte, die die Leistungen der eigenen Zeit emporheben, die Künstler- und Bildauswahl und die Wahl des Bildmediums Stereofotografie sowie die prachtvolle Buchgestaltung betonen das Große und Gewaltige, das von Kunst und Staat ausgestrahlt werden soll. Als Produkt der nationalsozialistischen Propaganda trägt der Band zur Popularisierung der politischen Orte bei und erzeugt kulturelle Identifikation mit den abgebildeten Werken.

6.3 C arola G iedion -Welcker: Plastik des XX. Jahrhunderts, 1955 Als eines der frühesten veröffentlichten Übersichtswerke zur Gegenwartsplastik nach dem Zweiten Weltkrieg erschien 1955 der Bildband „Plastik des XX. Jahrhunderts – Volumen und Raumgestaltung“ von Carola Giedion-Welcker. Das im Verlag Gerd Hatje herausgegebene Buch basiert auf der Erstfassung „Moderne Plastik. Elemente der Wirklichkeit, Masse und Auflockerung“, das bereits 1937 im Züri-

48 | Ebenda, S. 15. 49 | Thinius, Carl: Der Wert der plastischen Bildbetrachtung, in: Das Raumbild. Monatszeitschrift für die gesamte Stereoskopie und ihre Grenzgebiete, Jg. 3, 3/1937, S. 42, zitiert nach: Schröter in: Barck/ Schröter/Winter, 2009, S. 208.

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cher Verlag Dr. H. Girsberger erschien.50 Während sich die Erstveröffentlichung im deutschsprachigen Raum schlecht verkaufte – auch weil sie im nationalsozialistischen Deutschland zensiert und daher kaum wahrgenommen wurde – traf die zweite Ausgabe 1955 auf reges Interesse bei Publikum und Fachleuten.51 Dies mag auch darin gegründet sein, dass im selben Jahr auf der ersten documenta in Kassel ein besonderes Augenmerk auf abstrakte Kunst und die während des Nationalsozialismus diffamierten Künstler gelegt wurde. So traf Giedion-Welckers Zusammenstellung auf eine „rege Nachfrage nach Kompetenzhilfen für das Verständnis der abstrakten Kunst.“52 Die Bücher zur Gegenwartsplastik von Carola Giedion-Welcker gelten bis heute als Standardwerke der Skulpturgeschichte.53 Insbesondere die Auswahl der Künstler, die von Auguste Rodin, Aristide Maillol, Henri Matisse, Pablo Picasso, Alberto Giacometti und Wilhelm Lehmbruck über Constantin Brancusi, Hans Arp, Henry Moore, Barbara Hepworth, Naum Gabo und Antoine Pevsner bis zu Alexander Calder und weiteren reicht, hat sich heute als Kanon wichtiger bildhauerischer Positionen der Moderne etabliert. Die beiden Bücher gleichen sich in ihrer Konzeption, wobei der spätere Band mit 331 Seiten ausführlicher ist als der 165 Seiten umfassende Vorgänger. Die Bildauswahl und die Seitengestaltung des zweiten Bandes sind teilweise identisch mit dem Erstwerk. Es wurde jedoch die Anzahl an Aufnahmen erhöht, außerdem wurden wenige Abbildungen ausgetauscht und gelegentlich Bildzusammenstellungen 50 | In dieser Arbeit wird der Band von 1955 analysiert, da die überarbeitete Fassung ausführlicher ist und die Veränderungen der Autorin ihre Sichtweise in der Nachkriegszeit widerspiegeln. Das Konzept der Bücher ist identisch, wurde aber durch eine größere Zahl von Abbildungen erweitert, so dass die Besonderheiten der Gestaltung noch deutlicher hervortreten als im Band von 1937. Die Erstausgabe „Moderne Plastik, Elemente der Wirklichkeit, Masse und Auflockerung“ von 1937 wird von Iris Bruderer-Oswald in „Das neue Sehen, Carola Giedion-Welcker und die Sprache der Moderne“ 2007 besprochen. Einige ihrer Erkenntnisse lassen sich auf den später erschienenen Band übertragen. Auch Christian Brachts Aufsatz „Die Logik des Kommentars. Carola Giedion-Welckers ‚Moderne Plastik‘ (1937)“ von 2011 analysiert die Erstausgabe. Er geht insbesondere auf die Verbindung der Kunstliteratur mit Konzepten wissenschaftlicher Objektivität ein. 51 | Vgl. Bracht, Christian: Die Logik des Kommentars. Carola Giedion-Welckers „Moderne Plastik“ (1937), in: Krähenbühl, Regula (Hrsg.): Avantgarden im Fokus der Kunstkritik, Zürich 2011, S. 56 sowie Berger, 2013, S. 24. 52 | Bracht, 2011, S. 72. 53 | Beide Bände sind auch als englischsprachige Ausgaben erschienen: Die englischsprachige Ausgabe von „Moderne Plastik, Elemente der Wirklichkeit, Masse und Auflockerung“ wurde 1937 in London unter dem Titel „Modern Plastic Art. Elements of reality, volume and disintegration“ im Verlag Dr. H. Girsberger veröffentlicht. „Plastik des XX. Jahrhunderts – Volumen und Raumgestaltung“ wurde 1955 unter dem Titel „Contemporary Sculpture. An Evolution in Volume and Space“ bei Faber & Faber in London und beim Verlag Wittenborn in New York herausgebracht.

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anders angeordnet. In „Plastik des XX. Jahrhunderts“ von 1955 aktualisiert Giedion-Welcker ihre Erkenntnisse zur Gegenwartskunst um weitere Künstler und Kunstströmungen. Ihre 1937 verfassten Gedanken sieht sie bestätigt, so dass sie die Einleitung des Vorgängerbuches unverändert übernimmt.

6.3.1 Einleitung von 1937, wiederveröffentlicht 1955 Carola Giedion-Welcker bietet in der 1937 verfassten Einleitung einen Überblick über die Kunststile der Moderne, einzelne Künstler und die Beziehungen von Kunst zu anderen Wissenschaften und gesellschaftlichen Entwicklungen. Sie thematisiert die moderne europäische und amerikanische Bildhauerei und sucht verbindende Elemente zwischen den Positionen der einzelnen Künstler. Über die „Produzenten der Kunst von heute“ schreibt sie: „Die Vielschichtigkeit ihrer Verkörperungen ist sowohl auf die verschiedenartige Akzentsetzung, die man den Zeitproblemen zuteil werden läßt, als auch auf den verschiedenartigen Boden zurückzuführen, aus dem sie gewachsen. Geistige Einstellungen, landschaftliche Färbungen, individuelle Substanzen ergeben die Varianten.“54

In diesem Nebeneinander von künstlerischen Entwicklungen, das sie sowohl auf die Individualität der Künstler als auch auf gesellschaftliche Ursachen zurückführt, setzt sich die Kunsthistorikerin zum Ziel, eine „größere Ordnung“ und „die gemeinsame Sprache, die gemeinsamen Richtlinien herauszuschälen.“55 Sie lässt die unabhängigen künstlerischen Einzelpositionen gelten, versammelt diese jedoch unter kategorisierenden Begriffen. Das Layout des Textes hält den Zusammenhang der Argumentation aufrecht, indem statt Zwischenüberschriften zu verwenden, die wichtigsten Begriffe wie Notizen an den Rand neben Giedion-Welckers Ausführungen gesetzt werden. Der Text wird auf diese Weise übersichtlich strukturiert und mit Schlagworten versehen, ohne ihn zu zerteilen, so dass der Leser ähnlich wie bei einem Lexikon auch einzelne Abschnitte durchgehen und wiederfinden kann.56 Die Suche nach Verbindungen zwischen Künstlern, Epochen und Disziplinen führt Giedion-Welcker zu der Frage nach einem gemeinsamen Ausgangspunkt der plastischen Kunst. Diesem Gedanken liegt die Kunsttheorie Wilhelm Worringers zugrunde, dessen 1907 veröffentlichte Schrift „Abstraktion und Einfühlung“ Ca54 | Giedion-Welcker, 1955, S. IX. 55 | Ebenda, S. Xf. 56 | Giedion-Welcker nutzt in ihrem Text von 1937 folgende Begriffe und Namen als Randnotizen: Aristide Maillol, Auguste Rodin, Impressionismus, Barock, Honoré Daumier, Edgar Degas, Henri Matisse, Kubismus, Futurismus, Dadaismus, Surrealismus, Hans Arp, Constantin Brancusi, Neoplastizismus, Suprematismus und Konstruktivismus.

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rola Giedion-Welcker als persönlichen „Wendepunkt der historischen und aktuellen Kunstbetrachtung“ bezeichnete.57 Worringer erklärt darin den Abstraktionsdrang zum Urimpuls der Kunst. Die Nachahmung der Natur grenzt er hingegen kategorisch vom Kunstschaffen ab: „Die eigentliche Kunst hat jederzeit ein tiefes psychisches Bedürfnis befriedigt, nicht aber den reinen Nachahmungstrieb, die spielerische Freude an der Nachformung des Naturvorbildes.“58 Da Worringer den Abstraktionsdrang in Kulturen aller Zeiten beobachtet, müsse „also ein kausaler Zusammenhang bestehen zwischen primitiver Kultur und höchster, reinster gesetzesmäßiger Kunstform“.59 Der Kunsthistoriker legt dar, dass eine Bewertung der Kunststile von einem modernen Standpunkt aus „Sinnlosigkeiten und Plattheiten“ seien, da jeder Stil „für die Menschheit, die ihn aus ihren psychischen Bedürfnissen heraus schuf, die höchste Beglückung“ darstelle.60 Damit beruft er sich auf die Thesen von Alois Riegl, der die sich unterschiedlich entwickelnden Stile der Kunst mit „Kunstwollen“ begründet und damit lineare Fortschrittsvorstellungen der Kunstgeschichtsschreibung und deren Bewertungen hinterfragt.61 Carola Giedion-Welcker nimmt Worringers Gedanken auf, um den „gemeinsamen Ausgangspunkt einer literarisch unbelasteten Formbildung“ zu finden.62 Folglich zeigt die Kunsthistorikerin nicht nur Beziehungen zwischen zeitgenössischen Kunstwerken auf, sondern verdeutlicht die Gemeinsamkeiten der Werke unabhängig von kulturellen oder zeitlichen Grenzen. Giedion-Welcker hält den Entwicklungsprozess der modernen Kunst für noch nicht abgeschlossen und nimmt daher weder eine Wertung vor, noch legt sie Entwicklungslinien fest. Sie sieht aber eine „Beziehung zur modernen Zivilisation“ gleichermaßen gegeben wie einen auffallenden „Zusammenklang von moderner Kunst mit allem Primitiven, Archaischen und Prähistorischen.“63 Die Abstraktion scheint Giedion-Welcker das global verbindende Element zu sein: „Überall kündigt sich eine Abbreviatur, ein Abstrahierungswillen an.“64 Da jedoch noch zu wenige Menschen ein Bewusstsein für die neuen Tendenzen der Kunst besäßen, käme die allgemeingültige Substanz, die „diese Kunst zu einer öffentlichen Existenz“ prädestiniere, noch nicht vollständig zum Tragen.65 57 | Giedion-Welcker, Manuskript Juni 1974, zitiert nach: Bruderer-Oswald, 2007, S. 39. Vgl. Bruderer-Oswald, Iris: Das Neue Sehen. Carola Giedion-Welcker und die Sprache der Moderne, Bern 2007, S. 127ff. 58 | Worringer, Wilhelm: Abstraktion und Einfühlung, München 1907/1921, S. 15. 59 | Ebenda, S. 22f. 60 | Ebenda, S. 17. 61 | Vgl. ebenda, S. 10. 62 | Giedion-Welcker, 1955, S. XXII. 63 | Ebenda. 64 | Ebenda, S. XXVIII. 65 | Ebenda, S. XXII.

Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

6.3.2 „Die heutige Situation“ – Ergänzung der Einleitung 1955 Achtzehn Jahre später, 1955, sieht Carola Giedion-Welcker ihre früheren Beobachtungen bestätigt und vorangeschritten. Die Kunsthistorikerin beschreibt unter der Überschrift „die heutige Situation“, dass Ausstellungsmacher und Kunstpublikum sich nun verstärkt der modernen Plastik widmen würden und dass die Wertschätzung für die abstrakt arbeitenden Künstler zunähme.66 Sie „möchte beinahe annehmen, daß ein ‚plastisches Zeitalter‘ im Anzuge ist“, denn sie beobachtet, dass die moderne Plastik wachsende Anerkennung fände und auch von großen Institutionen gefördert zum Bestandteil der Gesellschaft geworden sei.67 Giedion-Welcker nennt Museen, die sich „nach der vorbildlichen Initiative der Museen in USA“ der Sammlung und Ausstellung von moderner Plastik widmen würden und lobt die Verbindung der Kunst zum öffentlichen Leben, die sich bei Großprojekten in Parks und Städten zeige.68 Die Entwicklung der Bildhauerei und das nach ihrer Einschätzung zunehmende Interesse an plastischen Kunstwerken sieht sie „Hand in Hand mit jenem allseitig erwachenden Bedürfnis einer reicheren Gestaltung des öffentlichen Lebens nach der Seite des Festlichen, Phantastischen und Emotionalen hin“.69 Dabei spielen auch die gesellschaftlichen Einflüsse wie der sich neu bildende internationale Kulturkreis der westlichen Staaten eine Rolle. Zwar nennt Giedion-Welcker keine politischen oder gesellschaftlichen Ereignisse, doch kommt die veränderte kulturelle Denkweise in ihrer Sichtweise auf ein neues Weltbild zum Ausdruck: „In diesem allseitigen Ausgreifen [...] kündigt sich das Komplexe, Weitverspannte unseres Weltbestandes an, der eben von der zusammenfassenden Formsprache der heutigen Kunst, in der Natur und Kultur durch universale Formen erfaßt werden, spiegelt sich durchgehend vor allem eines ab: unser neues dynamisches Weltbild.“70

In diesem Weltbild sei der Mensch „nicht mehr das dominierende Prinzip, sondern sein Mikrokosmos wird in einem weit größeren Makrokosmos eingegliedert.“71 Genau wie die moderne Kunst zeige das neue Weltbild eine „Umwandlung von Statik in Dynamik, von Materie in Energie“.72 Giedion-Welcker sieht also ihre kunsthistorischen Beobachtungen mit einem Zeitgefühl verbunden, das eine starke und positive Aufbruchsstimmung ausstrahlt. Da sie an ihre eigenen, bereits 66 | Ebenda, S. XXIII. 67 | Ebenda. 68 | Ebenda. 69 | Ebenda, S. XXIIIf. 70 | Ebenda, S. XXV. 71 | Ebenda. 72 | Ebenda, S. XXIV.

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1937 verfassten Gedanken anschließt, schildert die Kunsthistorikerin eine Entwicklung, in der sie selbst als Visionärin der abstrakten Kunst auftritt. Das, was sie bereits in einer Zeit gesehen hatte, als die Mehrheit der Menschen noch nicht bereit dafür war, sollte sich in der Nachkriegszeit endlich im Kunstverständnis der Öffentlichkeit durchsetzen. Die Begriffe, die Giedion-Welcker als Zwischenüberschriften verwendet, beziehen sich einerseits auf die Kunstwerke, andererseits fließen auch gesellschaftliche Schlagworte der Nachkriegszeit mit ein. Da die Kunsthistorikerin auf ganz aktuelle künstlerische Positionen eingeht, formuliert sie neue Kategorien für die aktuellen künstlerischen Themen wie „Entmaterialisierung“ oder „Die Körperbeseelung“.73 Diese (noch) nicht etablierten Gedankengänge werden gestützt, indem am Rand mit Seitenzahlen auf zum Thema passende Abbildungen des Buches verwiesen wird.74 Dabei klammert Giedion-Welcker die Zeit des Nationalsozialismus konsequent aus. Es geht ihr nicht um eine historische Übersicht der Kunst mit Brüchen und Nebenwegen, sondern sie „führt eine strikt avantgardistische Entwicklung vor“, die moderne figürliche Plastik vernachlässigt und als „Entwicklungskonstruktion […] anschließend fast durchgängig übernommen wurde.“75

6.3.3 Der Abbildungsteil 1955 Mit 281 Abbildungen gegenüber 26 Seiten Text nimmt die Bildreihe des Buchs „Plastik des XX. Jahrhunderts – Volumen und Raumgestaltung“, den Hauptteil des Bandes ein. Die Abbildungen zeichnen sich durch eine konzeptionelle Zusammenstellung aus, die Giedion-Welckers Kunstanschauung deutlich macht. Briefe belegen, dass die Kunsthistorikerin den Abbildungsteil der Erstausgabe von 1937 intensiv betreute und entschieden mitbestimmte.76 Sie korrespondierte mit dem Grafiker und Bauhaus-Lehrer Herbert Bayer über die Setzung und Größe der Abbildungen, um eine Gewichtung der Inhalte festzulegen. So wurde jede Abbildung durch ihre Größe und Platzierung auf der Seite in ihrer Bedeutung als Hauptwerk oder ergänzendes Bild ausgewiesen. Die Fotografien holte Carola Giedion-Welcker eigenhändig bei den Künstlern oder bei Museen und Galerien ein und wurde dabei von den Künstlern Hans Arp, Naum Gabo, Lázló Moholy-Nagy sowie dem Ver73 | Die strukturierenden Begriffe des 1955 verfassten Textes lauten: Die heutige Situation; Entmaterialisierung; Dynamik; Der emotionale Raum; Das Gruppenproblem; Die geistige Interpretation; Die poetische Raumkonstruktion; Die Körperbeseelung; Die expressive Struktur; Das Dingliche; Rückkehr zur menschlichen Gestalt mit veränderter Darstellungsmethode. 74 | Die Verweise auf die Abbildungen bewirken, dass Giedion-Welckers Worte besser nachvollzogen werden können. Die Verbindung zwischen Text- und Abbildungsteil führte die Autorin in ihrem Buch von 1955 ein. 75 | Berger, 2013, S. 24. 76 | Vgl. dazu und zu den folgenden Ausführungen: Bruderer-Oswald, 2007, S. 121ff.

Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

leger Hans Girsberger unterstützt. Da die Künstler in die Bildauswahl einbezogen wurden, erhielt deren Urteil über eine angemessene Abbildung der eigenen Werke Beachtung.77 Die Auswahl erscheint dadurch zwar heterogen, doch ist jedes einzelne Bild bewusst eingesetzt worden. Dieses 1937 begonnene Prinzip gilt auch für den Band von 1955, der die Seitengestaltung der Erstveröffentlichung in ihren Grundsätzen übernimmt. Die Ordnung der Bilder erfolgt nicht nach chronologischer oder geografischer Systematik, sondern ergibt sich aus assoziativen Formzusammenhängen, die der Betrachter direkt anschaulich nachvollziehen soll. Die Doppelseiten bilden eine wichtige Untereinheit des Buches, da auf ihnen jeweils zwei bis vier Abbildungen in einen Zusammenhang gestellt werden. Kurze Texte und Zitate der Künstler werden den Abbildungen hinzugefügt. Carola Giedion-Welcker verzichtet in ihrer Einleitung auf ausführliche Werkbeschreibungen und verlagert diese mit Hilfe der unterschiedlichen Textsorten in den Abbildungsteil. Die Fotografien besitzen, wie Christian Bracht 2011 ausführt, „keinen sekundären Status […]; sie illustrieren nicht die im Text versammelten Argumente, sondern sie liefern die Primärinformation zu den Kunstwerken.“78 Entscheidend dabei ist, dass die Kombination mehrerer Bilder und Textpassagen einen Sinnzusammenhang erzeugt, der Carola Giedion-Welcker als „wissenschaftliche[s] Argument in Form eines visuellen Diskurses“ dient.79 Es können vier Arten von Bildkombinationen in „Plastik des XX. Jahrhunderts“ unterschieden werden, die jeweils auf einer Doppelseite des Buches arrangiert sind und durch Zitate der Künstler oder durch erweiterte Bildunterschriften der Autorin ergänzt werden: • Mehrere Abbildungen eines künstlerischen Werks werden nebeneinander gezeigt. Dies können sowohl Werkreihen als auch verschiedene Ansichtsseiten einer Skulptur sein. • Moderne Kunstwerke werden in Bezug zueinander gesetzt. Die Verbindung wird durch formale Ähnlichkeiten der einzelnen Werke erzeugt. • Moderne Kunstwerke werden mit Kunstwerken aus anderen Epochen verglichen. Die Werke können aus verschiedenen Zeiten und Ländern stammen und werden ebenfalls aufgrund formaler Ähnlichkeiten einander gegenübergestellt. • Kunstwerke werden kunstfremden Bildern gegenübergestellt. Natur- und Landschaftsaufnahmen sowie Stadtansichten und Architektur werden von der Autorin zum Bildvergleich herangezogen.

77 | Vgl. ebenda, S. 135. 78 | Bracht, 2011, S. 60. 79 | Ebenda.

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Abbildung 90 | Layout S. 32/33 in: Giedion-Welcker 1955. Links: Ste. Radegonde, Stein, zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, Schlosskapelle Chateaudun (Eure-et-Loire), Fotograf: unbekannt, o. J., rechts: Wilhelm Lehmbruck: Kniende, Steinguss, 1911. Fotograf: Hermann Weishaupt, o. J., in: Giedion-Welcker, 1955, S. 32f. Die Bildreihen, die aus verschiedenen Epochen der Kunstgeschichte stammen oder die mit kunstfremden Bildern von der Autorin zusammengestellt werden, sind besonders außergewöhnlich und bedürfen einer näheren Betrachtung. So wird zum Beispiel Wilhelm Lehmbrucks „Große Kniende“ von 1911 einer Skulptur des 15. Jahrhunderts gegenübergestellt (Abb. 90).80 Die Plastik Lehmbrucks wird auf der rechten Seite des Buches formatfüllend abgebildet und durch ihre Größe als Hauptmotiv der Seite ausgezeichnet. Die Aufnahme zeigt die Frauenfigur samt Plinthe mittig im Bild aus einer Ansicht von vorne links. Die „Große Kniende“ wendet dem Betrachter ihre rechte Schulter zu und neigt den Kopf in die entgegengesetzte Richtung, so dass ihr Gesicht im Profil zu sehen ist. Auf der gegenüberliegenden Seite wird die Detailansicht einer gotischen Heiligenfigur unten links platziert. Bei der Frauenfigur handelt es sich um eine Statue aus der Schlosskapelle von Chateaudun in Frankreich, die die „Heilige Radegunde“ darstellt. Die Abbildung ist wesentlich kleiner als das Bild der „Großen Knienden“, sie füllt weniger als ein Viertel der Seite aus. Der Ausschnitt gibt das Gesicht der Skulptur im Profil von links wieder, so dass sie der Ansichtsseite der „Großen Knienden“ gleicht. Die Gesichtszüge der Skulpturen weisen ebenfalls Ähnlichkeiten auf: Die lange, gerade Nase mit dem sanften Übergang zur Stirn, der nach 80 | Das Werk Lehmbrucks wird erst in der Zweitfassung von 1955 abgebildet.

Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

Abbildung 91a-b | historische Postkarten Chateaudun, Schlosskapelle, Heilige Radegunde. unten gerichtete Blick mit den halb geschlossenen Augenlidern und die geneigte Kopfhaltung scheinen einander zu entsprechen. Carola Giedion-Welcker greift mit ihrer Gegenüberstellung von expressionistischer und gotischer Skulptur einen Bildvergleich auf, der bereits in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in der Kunstrezeption eine Rolle spielte. Damals suchte man nach den „Vorfahren“ zeitgenössischer Kunst um einen „deutschen Nationalstil“ zu belegen oder um im Gegensatz dazu internationale, übergeordnete Verbindungen zu offenbaren.81 Carola Giedion-Welcker folgt dieser zweiten, legitimierenden Denkweise indem sie aufzeigt, dass zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten wesensverwandte Kunstwerke entstanden seien. So erklärt Carola Giedion-Welcker die gotische Figur zwar nicht zum direkten Vorbild für Lehmbrucks Plastik, doch die Bildzusammenstellung fordert den Betrachter auf, formale Bezüge zwischen den Werken zu suchen. Im Text spricht Giedion-Welcker von einer „Verinnerlichung, die einer pflanzenhaft wachsenden Jugendstillinie den gotischen Glanz des Besinnlichen verleiht“ und von „gestreckter Körperlichkeit mit zarter Silhouettierung“.82 Der Bildvergleich unterstützt die Worte der Autorin insofern, als dass durch die Ausschnitthaftigkeit der linken Abbildung ein Fokus auf die Gesichter der Figuren gelegt wird. Damit wird der durch Mimik und Kopf81 | Bushart, Magdalena: Der Geist der Gotik und die expressionistische Kunst. Kunstgeschichte und Kunsttheorie 1911-1925, München 1990, S. 93ff. Magdalena Bushart nennt sowohl Publikationen als auch Ausstellungen um 1912, die ähnliche Vergleiche aufzeigen. 82 | Giedion-Welcker, 1955, S. 32.

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haltung erzeugte, nachdenkliche (verinnerlichte oder besinnliche) Ausdruck der Werke besonders hervorgehoben. Auch die von Giedion-Welcker erwähnte Silhouette wird fotografisch betont, denn das Profil der „Heiligen Radegunde“ ist von rechts beleuchtet, so dass die Umrissform des Gesichts durch eine helle Lichtkante deutlich hervortritt. Die These einer Verwandtschaft zwischen Expressionismus und Gotik war schon in den 1950er Jahren umstritten. So kritisiert Horst Jähner 1956 „einige Kunsthistoriker mit ihrem konstruierten Vergleichsspiel“.83 Er führt aus, dass es zwar formale Ähnlichkeiten zwischen Lehmbrucks Werk und gotischer Skulptur gäbe, dass aber auch „in der französischen Romanik, […] im spanischen Barock, […] im italienischen Manierismus und […] im französischen Rokoko“ vergleichbare Entsprechungen gefunden werden könnten.84 Daher ist er überzeugt, dass jeder „formale Vergleich nämlich im geistigen Niemandsland stecken [bleibt], wenn er die inhaltliche Bezüglichkeit als unmittelbaren Antrieb ignoriert.“85 Auch Magdalena Bushart sieht 1990 Lehmbrucks Überlängung der Körperproportionen weniger von gotischen Originalen als von der „Neugotik des Bildhauers Georg Minne und des Malers Jan Thorn-Prikker“ beeinflusst.86 Doch auch die formale Analogie, die Giedion-Welcker mit dem Bildvergleich zwischen der „Großen Knieenden“ und der „Heiligen Radegunde“ aufzeigt, ist fragwürdig. Betrachtet man historische Postkarten der „Heiligen Radegunde“, so erscheint sie auf anderen Fotografien weit weniger feingliedrig und ihr rundes Gesicht erinnert kaum an Lehmbrucks gelängte, kniende Frauengestalt (Abb.91a). Arie Hartog weist 2009 darauf hin, dass die Betonung der überlängten Körperformen „von der fotografischen Rezeption mittelalterlicher Arbeiten bestimmt wird. Während mittelalterliche Bildhauer ihre Figuren auch der perspektivischen Verkürzung wegen vertikal verlängerten, verschwand dieser Aspekt in der fotografischen Dokumentation mit horizontalem Blickwinkel.“87

Die bei Giedion-Welcker abgebildete Aufnahme der „Heiligen Radegunde“ verschärft dieses Phänomen noch weiter, da die Figur lediglich in einem Ausschnitt zu sehen ist. Bei der Gesamtansicht der stehenden Figur zeigt sich, dass sie kein 83 | Jähner, Horst: Lehmbruck und die „Heimliche Gotik“. Gedanken zu einer Gedächtnisausstellung seiner Werke in Duisburg“, in: Verband Bildender Künstler der Deutschen demokratischen Republik (Hrsg.): Bildende Kunst, 1956, S. 322 84 | Ebd. 85 | Ebd. 86 | Bushart, 1990, S. 81. Den Begriff „Neugotik“ zitiert Magdalena Bushart bei: Hausenstein, Wilhelm: Die Bildende Kunst der Gegenwart. Malerei, Plastik, Zeichnung, Stuttgart/Berlin 1914. 87 | Hartog, Arie: Moderne deutsche figürliche Bildhauerei. Umrisse einer Tradition, Pulsnitz, 2009, S. 38.

Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

rundplastisches Werk ist, da sie in die Architektur der Kapelle eingebettet ist (Abb. 91b). Die „Heilige Radegunde“ ist auf einer Halbsäule an der Wand der Kapelle angebracht und lässt sich so vom Betrachter nur aus der Untersicht sowie von vorne anschauen. Aus diesem Grunde weist die gotische Skulptur auch keinerlei Ähnlichkeit in dem für die „Große Kniende“ so relevanten Körperausdruck auf. Die Körperlichkeit, die durch die überlängten Gliedmaßen der „Großen Knienden“ zu einem wesentlichen Ausdrucksmittel Lehmbrucks zählt, und die von Giedion-Welcker ebenfalls erwähnt wird, kann in dem Bildvergleich mit der gotischen Plastik keine Analogie finden. Die Fotografie spielt also eine entscheidende Rolle in dem Vergleich der beiden Werke, denn sie trägt dazu bei, dass die beiden Skulpturen sich visuell annähern. So vergleicht Giedion-Welcker nicht zwei Skulpturen miteinander, sondern zwei Fotografien, die sie nach den für ihre kunsthistorische These passenden Kriterien aussucht. Auch andere Bildvergleiche von Carola Giedion-Welcker zielen auf formale Ähnlichkeiten ab und sind ebenso abhängig von der fotografischen Darstellung. Der außergewöhnlichste Ansatz von Giedion-Welckers Bildauswahl findet sich in Kombinationen von Kunstwerken mit kunstfremden Bildern. Den Werken von Hans Arp, den die Kunsthistorikerin persönlich kannte und dessen Werk sie mit neun Abbildungen berücksichtigt, stellt sie unter anderem eine Fotografie von Schnee gegenüber (Abb. 92).88 Die Beschreibungen von Carola Giedion-Welcker betonen die Nähe von Arps Werk zur Natur: „Arp wandte sich immer intensiver dem großen naturhaften Geschehen zu, um das Wesentliche der organischen Form, Wachstum und Verwandlung, zu erfassen und mit dem Humanen zu verbinden.“89 Auch zitiert sie den Künstler, der ebenfalls die Naturbezüge seines Werks herausstellt: „Die Kunstwerke sollten anonym bleiben in der großen Werkstatt der Natur, anonym wie Wolken, Berge, Meere, Tiere und Menschen. Ja, die Menschen sollten wieder in die Natur eingehen...“90 Texte und Abbildungen schaffen eine Beziehung zwischen den Kunstwerken und der Natur und vermitteln im Zusammenspiel den Eindruck, dass Arps Werke ähnlich wie Naturphänomene betrachtet werden sollten. Die „Schneebildungen“ zeigen einen Bachlauf, der runde Formen aus dem Schnee gespült hat, die als weiße, organische Volumen nebeneinander auf Steinen und Wasserflächen liegen. Das Werk „Konfiguration“ von Hans Arp, das auf der gegenüberliegenden Seite abgebildet ist, besteht aus drei verschiebbaren Gipsformen, die auf einer weiteren, größeren runden Plastik liegen. Die Formen wirken aufgrund ihrer weißen Farbe und ihrer runden Formen wie aus der Vergleichsabbildung herausgenommen. Der Na88 | Des weiteren vergleicht Giedion-Welcker das Werk „Concrétions Humaines“ von Hans Arp mit der Fotografie eines schlafenden Schwans. Vgl. Giedion-Welcker, 1955, S. 103f. 89 | Ebenda, S. 100. 90 | Hans Arp, zitiert nach: Giedion-Welcker, 1955, S. 100. Die Satzzeichen sind aus dem Original übernommen.

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Abbildung 92 | Layout S. 100/101 in: Giedion-Welcker 1955. Links: Schneebildungen. Fotograf: unbekannt, o.J., rechts: Hans Arp: Konfiguration, Gips, 1932. Fotograf: unbekannt, o. J., in: Giedion-Welcker 1955, S. 100f. turbezug, den Arp intendiert, wird durch das Gegenüberstellen der beiden Bilder deutlich. Zugleich gibt die Autorin mit dem Bild des Schnees dem Betrachter eine festgelegte Assoziation mit, die jedoch nur als eine von vielen Möglichkeiten gesehen werden kann. Die Abbildung des Schnees belegt nicht die Inspirationsquelle für Arps Formensprache, vielmehr wird dem Betrachter mit einem bekannten Seheindruck (Schnee) ein unbekannter Seheindruck (Arps Werk) nähergebracht. Es ist also eine Art Schulung des Sehens, ein beinahe didaktischer Gedanke von Giedion-Welcker, der in der Bildzusammenstellung zum Ausdruck kommt. Auch an dieser Stelle verbirgt sich eine die moderne Kunst legitimierende Absicht: Das Werk von Arp wird für den Betrachter in einen vertrauten Kontext gesetzt. So soll eine größere Akzeptanz der Plastiken Arps in Form und Inhalt beim Publikum erreicht werden. Da Hans Arp an der Buchveröffentlichung mitwirkte, ist davon auszugehen, dass der Bildhauer mit dieser Vorgehensweise einverstanden war. Dennoch beeinflusst Giedion-Welcker den Betrachter in seinen Assoziationsmöglichkeiten beträchtlich. In anderen Fällen muss es nicht unbedingt im Sinne der vertretenen Künstler gewesen sein, wie die Bildzusammenstellungen vorgenommen wurden und (wie am Beispiel Lehmbruck ausgeführt) nicht immer geben die Vergleiche die kunsthistorische Vielschichtigkeit angemessen wieder. Daher ergeben sich die Fragen, aus welcher Intention heraus Carola Giedion-Welcker diese ungewöhn-

Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

liche Herangehensweise wählte und wie „Plastik des XX. Jahrhunderts – Volumen und Raumgestaltung“ aus heutiger Sicht zu bewerten ist.

6.3.4 Der Bildvergleich als Buchkonzept Einen entscheidenden Einfluss auf Giedion-Welckers Zusammenstellungen von Bildern hatte der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin, bei dem sie zwischen 1915 und 1919 in München studierte. Der Bildvergleich, den Giedion-Welcker in der Konzeption der Doppelseiten ihres Buches „Plastik des XX. Jahrhunderts – Volumen und Raumgestaltung“ anregt, nimmt Wölfflins Herangehensweise aus seinen Vorlesungen auf, bei denen er zwei Diaprojektoren verwendete, um Abbildungen von Kunstwerken gegenüberstellen zu können. Die direkte Anschauung wurde bei Wölfflin zum Beleg für die kunsthistorische Theorie.91 Er strebte eine Kunstgeschichte an, „wo man Schritt für Schritt die Entwicklung des modernen Sehens verfolgen kann, eine Kunstgeschichte, die nicht nur von einzelnen Künstlern erzählt“.92 Wölfflin löste sich von chronologischen oder künstlerbezogenen Ordnungssystemen und setzte 1915 mit den „Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen“ den Ausgangspunkt für die stilanalytische Kunstgeschichte, die eine Konzentration auf die visuellen Kriterien der Werke beinhaltete.93 Die Bedeutung von Abbildungen spielt dabei eine grundlegende Rolle. Ohne umfangreiche Bilder können die Ausführungen Wölfflins nicht verstanden werden, da sie auf der Anschauung der Kunstwerke aufbauen.94 Ein Ziel der Kunstgeschichte war für Wölfflin, das Sehen zu lehren und die Betrachtung von Kunst (im Original) blieb für ihn dabei der optimale Ausgangspunkt. Die Abbildung von Kunstwerken war für den Kunsthistoriker „Teil eines pädagogischen Programms“, das die „richtige Anschauung des Kunstwerks wiedergeben“ sollte.95 Obwohl er also die Kunstreproduktion als einer von wenigen Wissenschaftlern kritisch reflektierte, benötigte er sie zwingend für seine Forschung und Lehre. Der Kunsthistoriker Franz Landsberger erinnert sich, dass Heinrich Wölfflin in seinen Vorlesungen seine Worte erst während der Betrachtung einer Reproduktion entwickelte:

91 | Vgl. Reichle 2007, S. 188. 92 | Wölfflin, Heinrich: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwickelung in der neueren Kunst, München, 1915, S. V, zitiert nach: Dilly, 1975, S. 167. 93 | Vgl. Brassat, Wolfgang/Kohle, Hubertus: Methoden-Reader Kunstgeschichte. Texte zur Methodik und Geschichte der Kunstwissenschaft, Köln, 2003, S. 51. 94 | Vgl. Dilly, Heinrich: Lichtbildprojektion – Prothese der Kunstbetrachtung, in: Below, Irene (Hrsg.): Kunstwissenschaft und Kunstvermittlung, Gießen 1975, S. 170. 95 | Bruderer-Oswald, 2007, S. 135.

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Das Bild erzeugt erst die Gedanken – dieser Ansatz wird von Carola Giedion-Welcker aufgegriffen und im Buch umgesetzt. Die Abbildungen in „Plastik des XX. Jahrhunderts“ sind der zentrale Inhalt, der durch die beigegebenen Worte unterstützt und leichter verständlich gemacht wird. Worte und Texte wurden von Giedion-Welcker mit Vorsicht behandelt: „[E]s war für mich das unter allen Umständen zu Vermeidende, die Dinge mit klaren Worten zuzuschütten, und es schien mit das kleinere Übel, Letztes ungesagt zu lassen, als mit allzu großer Zudringlichkeit sich diesen ewigen Geheimnissen und Wundern zu nähern.“97

Die Bildvergleiche bieten ein Konzept der Kunstbetrachtung, das den Betrachter schult, formale Kriterien innerhalb und außerhalb der Kunst zu erfassen. Damit ermöglicht Giedion-Welcker dem noch wenig mit Abstraktion vertrauten Publikum einen erleichterten Zugang, da die Formensprache der Kunst mit bekannten Eindrücken in Verbindung gesetzt wird. Die Fotografie der Werke erhält eine große Bedeutung, denn sie muss zu großen Teilen für sich sprechen. Iris Bruderer-Oswald vergleicht die Komposition des Buches mit einem „Museumsspaziergang“ und sieht darin eine „neue Art des Sehens, die eine Sprache per se bildet.“98 Weiter stellt sie fest: „Die eindeutige Bevorzugung des Bildes und seiner Autonomie gegenüber dem Wort verleiht dem Buch etwas Magisches, das den Leser gefangen nimmt.“99 Der Betrachter steigt durch das vergleichende Sehen zu einem eigenständig wahrnehmenden und interpretierenden Rezipienten auf. Er wird von Giedion-Welcker aufgefordert, seine Gedanken und Meinungen in einer „Intensität der freien Imagination“100 durch und über die Kunst selbst zu bilden. Auch die Künstler kommen verstärkt zu Wort, indem eine Vielzahl von Zitaten der Bildhauer den Reproduktionen unkommentiert zur Seite gestellt wird. So kann der Leser seine eigenen Erkenntnisse auf verschiedenen Ebenen mit denen der Fachleute, zu denen Autorin und Künstler zählen, abgleichen. Aus den Abbildungen, Zitaten und den kurzen Erläuterungen der Kunsthistorikerin vermitteln sich komplexe Zusammenhänge der zeitgenössischen Kunst, die jeweils für sich alleinstehend und in Bezug zueinander vom Betrachter gedeutet werden. Giedi96 | Landsberger, Franz zitiert nach: Dilly, 1975, S. 170. 97 | Giedion-Welcker zitiert nach: Bruderer-Oswald, 2007, S. 130. 98 | Bruderer-Oswald, 2007, S. 118. 99 | Ebenda, S. 130. 100 | Giedion-Welcker, 1955, S. XXIV.

Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

on-Welcker gibt dabei das System vor, das zwischen den einzelnen Künstlern und der übergeordneten Gesamtschau der modernen Plastik pendelt und beide Pole gleichwertig nebeneinander bestehen lässt. Der Bildband „Moderne Plastik des XX. Jahrhunderts“ zeichnet sich durch eine Sichtbarmachung von Carola Giedion-Welckers Kunstverständnis und ihrer Herangehensweisen aus, die in Form eines Buches vom Leser selbst angewendet werden können. Die Konzeption der Kunsthistorikerin beschränkt sich nicht auf den von ihr verfassten Text, sondern sie fordert durch die Bildauswahl und das Layout den Betrachter zum Selbstdenken und Überprüfen auf. Das vergleichende Sehen wird dem Betrachter nahegelegt, damit er eigenständige Schlüsse ziehen kann. Die Buchkonzeption lenkt und unterstützt ihn dabei. Durch das eigenständige Tun wird Verständnis beim Betrachter erzeugt – in diesem Fall durch das Sehen, Vergleichen und Reflektieren von Bildern.101 Damit überführt Giedion-Welcker die Methodik von Wölfflins Bildvergleich in eine Buchform. Im Gegensatz zu Wölfflin scheint sie der fotografischen Abbildung jedoch positiv gegenüberzustehen, denn sie nutzt deren Vorteile gekonnt, um die von ihr angestrebte Vermittlung von Inhalten zu erreichen. Der Band „Plastik des XX. Jahrhunderts – Volumen und Raumgestaltung“ von 1955 und sein 1937 verfasster Vorgänger sind intelligent komponierte Bände, die ihre Inhalte primär durch Abbildungen vermitteln. Es muss jedoch aus heutiger Sicht hervorgehoben werden, wie stark Giedion-Welckers Bildzusammenstellungen den Betrachter in eine bestimmte Denkrichtung lenken. Die Künstlerauswahl ist einseitig avantgardistisch ausgelegt, so dass Ursel Berger sogar von einer „Uminterpretation der Plastikgeschichte“ durch Giedion-Welcker spricht.102 Christian Bracht bewertet die Konzentration auf Bildmaterial als „Kapitulation des Textes vor der Bildermasse“, doch im Umkehrschluss folgt daraus, dass Giedion-Welcker mit ihrem bildbasierten Buchkonzept ein sehr erfolgreiches visuelles Vermittlungsmedium geschaffen hat. Carola Giedion-Welcker verfolgt mit ihrer Bildauswahl den Zweck, die avantgardistische Kunst dem Publikum näher zu bringen. Dabei vernachlässigt sie andere Kunstströmungen, so dass aus heutiger Sicht zwar ihr Einfluss auf die Etablierung moderner Bildhauerei imponiert, doch die zielgerichtete Bildauswahl in „Plastik des XX. Jahrhunderts – Volumen und Raumgestaltung“ als zu einseitig angesehen werden muss. Das Buch verdeutlicht jedoch auch, dass unabhängig von der Gestaltung einer einzelnen Skulpturfotografie durch die Kombination mit anderen Abbildungen vollkommen eigenständige Inhalte erschaffen werden können. 101 | Christian Bracht sieht eine weitere mögliche Intention der Buchveröffentlichung (1937) in der „Selbstverständigung jenes Netzwerks von Künstlern, Händlern, Kritikern und Museumsleuten, das Carola und ihr Mann Siegfried Giedion von Zürich aus um sich herum […] zu verdichten verstanden.“ Bracht, 2011, S. 56. 102 | Berger, 2013, S. 24.

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6.4 Peter H. Feist: Plastik in der DDR, 1965 Im VEB-Verlag der Kunst wurde 1965 der Band „Plastik in der Deutschen Demokratischen Republik“ von Peter H. Feist veröffentlicht. Das Buch ist in einen 33 Seiten umfassenden Textteil und einen Abbildungsteil mit 126 Schwarz-Weiß-Aufnahmen unterteilt. Der in sechs Unterpunkte gegliederte Text von Peter H. Feist ist von den Grundsätzen der DDR-Kulturpolitik beeinflusst, die einen gemeinsamen Stil der Kunst und Bildhauerei in der DDR hervorhebt. Der Autor formuliert als Ziele der Veröffentlichung, „fruchtbare Entwicklungstendenzen in der DDR sichtbar“ machen zu wollen und als Leitfaden für die Zukunft zu dienen.103 Ausführlich wird dargestellt, dass Kunst eine gesellschaftliche Funktion habe, die mit dem politischen System korrespondiere und als Teil der Bildung gesehen wird, die dem Betrachter sozialistische Werte vermitteln soll. Daher sollen möglichst viele Menschen mit Hilfe des Buches Kenntnisse über Kunst erlangen.104 Kunst wird von Feist auf sozialistische Inhalte festgelegt und auch in ihrer formalen Gestaltung definiert. Der Autor beruft sich dabei auf die kulturpolitischen Beschlüsse der SED.105 Unter dem Begriff sozialistischer Realismus wurde eine Kunstauffassung proklamiert, die sich gegen die Abstraktion wendete und politische Inhalte aufgriff. Plastische Kunstwerke sollten laut Feist der Architektur und Baukunst zugewandt sein und ein unveränderliches Standbild mit geschlossener Gesamtform ergeben. Das bevorzugte Motiv der DDR-Plastik sei der Mensch, der als einheitliches Ganzes gezeigt werden solle. Torsierung, Verzerrungen und Verdrehungen wurden abgelehnt. Nach außen gewölbte Formen mit gestrafften Oberflächen sollten das sozialistische Schönheitsideal des menschlichen Körpers widerspiegeln. Feist führt aus, dass ein „kräftiger aber nicht schwerfälliger Körpertypus“ als verbindendes Erscheinungsbild der DDR-Plastik gelten könne, die keine ätherischen Luxusgeschöpfe darstelle, sondern „Menschen, die zu arbeiten verstehen“.106 Er sieht „Tektonisierung und Kantigkeit“ als überwunden an und hält die neuen Arbeiten von Künstlern für „runder, saftiger und lebensvoller“.107 Der Arbeiter wird als Motiv der Kunst besonders hervorgehoben und auch als Rezipient von Kunst angesprochen. Die Arbeiterklasse sollte sich in der Kunst repräsentiert sehen und durch die sozialistische Kulturrevolution enger mit den Künstlern zusammengebracht werden. Bildnisse von Arbeitern sowie Porträts von sozialistischen Vorbildern werden von Feist daher als Motive der Bildhauerei 103 | Feist, 1965, S. 5. 104 | Vgl. ebenda, S. 6. 105 | Feist nennt: Bitterfelder Konferenz 1964, Beschluss des Zentralkomitees der SED gegen den Formalismus 1951, Kulturkonferenz 1957. 106 | Feist, 1965, S. 21. 107 | Ebenda, S. 31.

Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

besonders positiv hervorgehoben. Noch höher rangieren seiner Ansicht nach nur Denkmale zur Erinnerung an die Opfer des Faschismus, die er als vornehmste gesellschaftliche Aufgabe ansieht.108 Das von Feist verwendete Vokabular ist von politischen Schlagworten durchzogen. Er verwendet zum Beispiel Begriffe wie „antifaschistisch“ und „revolutionär“ für die Beschreibung von Bildhauern und ihren Werken.109 Die Ausführungen werden gelegentlich von Parolen begleitet, beispielsweise fordert Feist, Kunst „als Waffe und Werkzeug gegen Faschismus, Imperialismus und Krieg“ zu nutzen.110 Auch die Verweise auf Kunstentwicklungen in den kapitalistischen Ländern sind politisch geprägt. Diese werden als „inhuman“, „wertlos“ und als „purer Unsinn“ bezeichnet.111 Die allgemeinen Ausführungen über Kunst der DDR beinhalten keine konkreten Werkbeispiele und kaum kunsthistorische Analysen. Peter H. Feist argumentiert, dass „je bedeutender es [das Kunstwerk] ist, um so weniger ist es adäquat in ein anderes Kommunikationsmedium, etwa die erklärende Sprache, zu übertragen“.112 Der Betrachter solle das Werk selbstständig erschließen, indem er durch „die unmittelbare sinnliche Wirkung“ zu eigenen Gedanken angeregt würde, die dazu führten, dass er „an dem Bild mitschaffen“ müsse. Der Anschauung des Kunstwerks wird eine übergeordnete Stellung beigemessen und dem Betrachter eine eigene Urteilsfähigkeit zugesprochen. Feist legt diesen Ansatz als Grundlage der Kunstbetrachtung fest: „Diese Auffassung von einer aktiven Rezeption des Kunstwerks ist für das Verständnis aller bedeutenden Kunst des sozialistischen Realismus wie für das produktive Kunstverständnis überhaupt erforderlich.“113 Der Abbildungsteil bietet dem Betrachter 126 Schwarz-Weiß-Aufnahmen plastischer Werke, die von 51 in der DDR lebenden Bildhauern geschaffen wurden. Die Abbildungen sind nummeriert und mit dem Namen des Bildhauers sowie den Werktiteln versehen. Im Anhang befindet sich ein Verzeichnis mit den Angaben zu Datierung, Größe und Material der Werke. Es gibt keine Kommentare des Autors zu den einzelnen Werken und auch keine Verknüpfung durch Verweise zwischen Text- und Bildteil des Buches. Häufig wurden mehrere Abbildungen auf eine Seite gesetzt, so dass die Quantität der DDR-Plastik zum Ausdruck kommt. Feist merkt direkt zu Beginn seines Textes an, dass sich „für fast jede abgebildete Skulptur […] eine oder mehrere andere, gleichwertige einsetzen“ ließen und betont damit zusätzlich die Reichhaltig-

108 | Vgl. ebenda, S. 15. 109 | Vgl. ebenda, S. 11, 12 und 14. 110 | Ebenda, S. 6. 111 | Vgl. ebenda, S. 13. 112 | Ebenda, S. 28. 113 | Ebenda.

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Abbildung 93 | Seitenlayout Feist 1965, S. 124-125. Abbildungen von links nach rechts: Gerd Jaeger: Kleine Tänzerin, Gips, o. J., Fotograf: Richard Peter jr., o. J. Gerd Jaeger: Torso, Gips, o. J., Fotograf: Richard Peter jr., o. J. Lore Plietzsch: Alte Frau, Bronze, 1959, Foto: Deutsche Akademie der Künste Berlin. Lore Plietzsch: Füße waschen, Bronze, 1962, Fotograf: Richard Abraham, o. J. keit der DDR-Plastik. 114 Um möglichst viele Werke zeigen zu können, wird jedes Werk durch eine einzige Fotografie abgebildet. Auf die Ansicht verschiedener Seiten wird verzichtet und auch Detailaufnahmen sind rar, denn die Gesamtansicht wird vorgezogen. Die Fotografien sind überwiegend im Studio entstanden und entsprechen den Konventionen der sachlichen Fotografie. Wenige Außenaufnahmen zeigen Denkmale und andere im Außenraum aufgestellte Werke. Die Fotografien weisen keine einheitliche Gestaltung auf, sondern variieren in ihrer Qualität. Die Bildnachweise benennen eine übliche Mischung aus Archiven, Museen und verschiedenen Fotografen als Urheber der Aufnahmen. Die Reihenfolge der Abbildungen lässt keine eindeutige Ordnung erkennen. Der Band ist weder nach Künstlernamen noch nach Sujets noch chronologisch geordnet. Von den meisten Bildhauern ist nur ein einziges Werk abgebildet. 17 Bildhauer sind mit zwei bis drei Werken aufgeführt, die in den meisten Fällen hintereinander oder auf Doppelseiten abgebildet werden. Einige wenige Bildhauer sind mit deutlich mehr Abbildungen vertreten. Dabei handelt es sich um die bekanntesten Bildhauer der DDR: Fritz Cremers Werk wird mit elf Abbildungen, Theo Balden, 114 | Ebenda, S. 5.

Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

Abbildung 94 | Seitenlayout Feist 1965, S. 118-119. Abbildungen von links nach rechts: Ludwig Engelhard: Am Strand, Bronze 1961, Foto: Deutsche Fotothek Dresden, o. J.; Gerhard Lichtenfeld: Schwimmerin, Bronze 1960, Fotograf: unbekannt, o. J.; Siegfried Schreiber: Die Wasserscheue, Zinn, 1960, Fotograf: Heinz Hofmann, o. J.; Gerhard Rommel: Mutter mit Kind, Gips, 1963, Foto: Deutsche Akademie der Künste Berlin. Waldemar Grzimek und Gustav Seitz werden mit jeweils sieben Abbildungen ihrer Werke präsentiert. Auch das Layout des Buches ist nicht einheitlich. Die meisten Abbildungen sind mit einem Abstand von circa einem Zentimeter zur Seitenkante gesetzt, so dass ein weißer Rand die Bilder umrahmt. Einige Abbildungen sind jedoch direkt am Seitenrand platziert. Auch die Größe der Bilder variiert unabhängig von der auf der Seite verfügbaren freien Fläche oder ihrer inhaltlichen Bedeutung. Die Bilder einer Doppelseite sind meist an Ober- oder Unterkante an einer imaginären Linie ausgerichtet, doch es gibt ebenso Seiten, auf denen die Bilder locker verteilt und mal an der oberen, mal an der unteren Kante der Seite platziert sind (Abb. 93-94). Diese Gestaltung wirkt etwas unübersichtlich und beliebig, da es keine Kapitel oder Ordnungssysteme gibt, an denen sich der Betrachter orientieren kann. Einen Hinweis auf die Gründe für dieses lockere Arrangement der Bilder findet sich im Text von Feist: „Seine Gegner werfen dem sozialistischen Realismus Eintönigkeit und bloßes Abbilden der menschlichen Erscheinung vor. […] So wirken unsere Skulpturen insgesamt geeinter im Duktus – aber die

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Abbildung 95 a-b | Gustav Seitz: Bertold Brecht, Bronze, 1958, Foto: Deutsche Akademie der Künste Berlin, in: Feist 1965, Abb. 49. Vielfalt der Temperamente und Handschriften ist hier nicht geringer als in anderen Epochen realistischer Kunst.“115

Das Layout unterstützt den Eindruck von Vielfalt und betont die Eigenständigkeit des einzelnen Werks. Eine Ordnung nach Sujets, Themen oder Körperhaltungen und ein gleichbleibendes Layout hätten ein weitaus eintönigeres, wenn auch klareres Bild geschaffen. Während das Layout die Vielfalt der DDR-Plastik betont, wird durch die Auswahl der abgebildeten Werke der Formenkanon vereinheitlicht. Feist eröffnet den letzten Abschnitt seines Textes mit der Frage: „Gibt es einen Stil der DDR-Plastik, gibt es eine gemeinsame Formensprache?“116 Diese gemeinsame Formensprache 115 | Ebenda, S. 30. 116 | Ebenda.

Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

Abbildung 95c | Gustav Seitz: Thomas Mann, Bronze, 1954/56, Foto: Deutsche Akademie der Künste Berlin, in: Feist 1965, Abb. 51.Abbildung 96d | Gustav Seitz: Kim Ir-Gu, Bronze, 1951, Fotograf: Klaus G. Beyer, o. J., in: Feist 1965, Abb. 57. wird durch die Auswahl der Werke im Abbildungsteil produziert, denn die Werke entsprechen den Definitionen des Autors und klammern abweichende Positionen aus. Anhand der abgebildeten Werke des Bildhauers Gustav Seitz lässt sich nachvollziehen, in welcher Weise die Bildauswahl im Buch auf die kulturpolitischen Richtlinien abgestimmt wurde. Im Bildband „Plastik der DDR“ werden sieben Werke von Gustav Seitz abgebildet. Es handelt sich um zwei Statuetten von Bertolt Brecht sowie die Porträts von Thomas Mann und Kim Ir-Gu (Abb. 95a-d). Außerdem werden ein Denkmalsentwurf für Käthe Kollwitz, das Relief „Der Wählerische“ und die Plastik „Der Lehrer“ gezeigt (Abb. 95e-g). Die porträtierten Persönlichkeiten Bertolt Brecht, Käthe Kollwitz und Thomas Mann wurden in der DDR als Gegner von Faschismus und Krieg geehrt und entsprechen damit der Forderung Feists, die „Arbeiterklasse und ihre Verbündeten“ im künstlerischen Bildnis „als Ausdruck ihrer Hoffnungen und ihres Selbstbewusstseins“ zu zeigen.117 Das Porträt Kim Ir-Gus repräsentiert die Internationalität der DDR-Kunst, die laut Feist „selbstverständlich auch die Begegnung mit der Kunst außerhalb unserer Grenzen voraus[setzt]“, sich aber auf das befreundete sozialistische Ausland begrenzt.118 Seitz hatte die Plastik nach einer von der DDR unterstützten Reise 117 | Ebenda, S. 23. 118 | Ebenda, S. 12.

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durch China geschaffen. Das Werk ist also zusätzlich ein Beleg für „Studienreisen […], die der Künstlerverband oder das Ministerium für Kultur ermöglichen“, um eine Verbindung zu den „befreundeten Volksdemokratien“ und ihrer Kunst

Abbildung 95e | Gustav Seitz: Käthe Kollwitz, Denkmalentwurf, Bronze, 1957/58, Fotograf: Klaus G. Beyer, o. J., in: Feist 1965, Abb. 58.

Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

zu schaffen.119 Die Plastik „Der Lehrer“ nimmt den Bildungsaspekt auf, den Feist als Schlüsselmotiv der Kunst der DDR bezeichnet.120 Mit Verweis auf das Gedicht „Lob des Lernens“ von Bertolt Brecht führt er aus: „In der Epoche, in der Arbeiter und Bauern die Macht übernehmen und sich überdies eine industrielle Revolution vollzieht, wird es zur Lebensfrage, das Richtige zu wissen. Die bildende Kunst kann Ausdruck und Bestandteil dieses Vorgangs sein.“121

Außerdem dient „der Lehrer“ als Beispiel für einen Menschen aus dem Volk, der nicht „die Reduzierung des Menschen auf ein Gewächs, ein schönes Animalium oder ein tektonisches Gebilde“ darstellt, sondern „als einheitliches Ganzes“ erfasst wird.122 Das Relief „Der Wählerische“ wird explizit im Text hervorgehoben, da Feist Reliefs als Gattung für den Bau sozialistischer Stadtensembles „im Aufbruch zu neuen Möglichkeiten“ sieht.123 Es ist jedoch fraglich, ob die Intentionen des Autors auch denen des Bildhauers Gustav Seitz entsprochen haben. Zwar hat sich der Bildhauer als Pazifist bezeichnet und die porträtierten Personen geschätzt, zudem war er mit Bertolt Brecht befreundet, doch waren die sozialistischen Ziele für ihn kein künstlerischer Wert an sich. Ganz im Gegenteil geriet er immer wieder in Konflikt mit den kulturpolitischen Forderungen der SED und strebte offen eine Verbindung zur Kunst des Westens an.124

119 | Ebenda, S. 13. 120 | Vgl. ebenda, S. 25. 121 | Ebenda, S. 24. 122 | Ebenda, S. 20. 123 | Ebenda, S. 32. 124 | Gustav Seitz nahm zwischen den politischen Positionen von BRD und DDR eine ambivalente Haltung ein. Seine seit 1947 ausgeübte Professur an der Hochschule für bildende Künste in Berlin-Charlottenburg verlor er, weil er sich 1950 als Mitglied der in Berlin Ost gegründeten Akademie der Künste aufnehmen ließ und den Nationalpreis der DDR annahm. Ab 1951 leitete Seitz dort ein Meisteratelier und erfuhr eine Förderung durch die DDR, die den international bekannten Bildhauer für sich vereinnahmen wollte. Die SED kontrollierte die Lehrenden der Akademie und bemängelte die ideologische Ausrichtung einiger Künstler, darunter auch Gustav Seitz. Für Seitz und seine Frau Luise wurde die Politik der SED zu einer wachsenden Einschränkung und Seitz protestierte mehrfach gegen die Einseitigkeit der Kulturpolitik. Als Seitz 1957 aus diesem Grunde wieder zurück in die BRD ziehen wollte und für einen Lehrstuhl in Hamburg vorgeschlagen wurde, waren die Vorbehalte in der BRD groß. Dort besaß er den Ruf eines konservativen DDR-Künstlers. Da Seitz sich weder dem einen noch dem anderen politischen Lager zuordnen ließ, wurde er in beiden Staaten mit Misstrauen beobachtet. Aus den Äußerungen von Seitz selbst wird deutlich, dass er nicht aus einer politischen Motivation heraus Kunst schuf, sondern unabhängige Kunst befürwortete. Vgl. Grolle, Joist: Gustav Seitz. Ein Bildhauer zwischen Ost und West, Hamburg 2010, S. 33ff.

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Abbildung 95f | Gustav Seitz: Der Wählerische, Bronze, 1953, Foto: Deutsche Akademie der Künste Berlin, in: Feist 1965, Abb. 59. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches, 1965, entsprach der Großteil der Werke von Gustav Seitz nicht der Definition und den Zielen der sozialistisch-realistischen Plastik.125 Bereits in den 1950er Jahren beschäftigte Seitz sich mit dem Torso sowie mit abstrahierten Körpern. Anfang der 1960er Jahre entstanden der „Geschlagene Catcher“ und der „Catchertorso“, die als Höhepunkt dieser Entwicklung in Seitz’ Werk gelten.126 Dieser aktuellere Teil des Werks wird in Feists Buch unterschlagen, da es den Ausführungen des Autors und den Richtlinien der SED widerspricht. Es wird also insbesondere durch die Werke, die ausgelassen werden, ein Eindruck des Bildhauers Gustav Seitz geschaffen, der wesentlich systemkonformer erscheint, als er tatsächlich war. Die Bildauswahl im Band „Plastik der DDR“ geschieht nicht mit dem Ziel, das Gesamtwerk des einzelnen Bildhauers durch eine möglichst repräsentative Plastik vorzustellen, sondern um die Formensprache der DDR-Kultur zu belegen. Durch die Zusammenstellung der Bilder entsteht der Eindruck, dass die in der DDR arbeitenden Bildhauer durch den Sozialismus zu einer einheitlichen Formenspra125 | Vgl. Kapitel 5.3.3. 126 | Diese Werke wurden in der BRD stärker beachtet. Vgl. Mannheimer Kunsthalle (Hrsg.), 1966.

Skulpturfotografie im Zusammenhang des Buches

Abbildung 95g | Gustav Seitz: Der Lehrer, Bronze 1950/53, Fotograf: unbekannt, o. J., in: Feist 1965, Abb. 60. che gefunden hätten. Da das Buch auch als Leitfaden für die Zukunft der Plastik angelegt ist, werden klare Richtlinien vorgegeben, welche Art von Bildhauerei akzeptiert ist.127 Das Buch zeigt also weniger einen Überblick über die in der DDR entstandene Kunst als den von der Politik akzeptierten und geförderten Konsens. Der Bildband konstruiert diesen künstlerischen Konsens, der nicht zwingend der Realität entspricht, da er unerwünschte Entwicklungslinien gezielt ausklammert. Da die Werke zudem als sachliche Studioaufnahmen fotografiert wurden, bildet sich ein eher konservativer, wenig fortschrittlicher und in keiner Weise experimenteller Eindruck der Kunstwerke heraus, der die Bewertung der DDR-Kunst beim Betrachter beeinflusst und dazu beigetragen hat, dass sie sich erst in den letzten Jahren langsam und nur teilweise von dem Stigma reiner Propagandawerke befreien konnte.

127 | Vgl. Feist, 1965, S. 5.

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6.5 Zwischenresümee Im Vergleich der Publikationen zur Gegenwartsplastik von Kurt Lothar Tank (1942), Carola Giedion-Welcker (1955) und Peter H. Feist (1965) wird deutlich, dass jedes der Bücher Inhalte des jeweiligen Zeitkontextes transportiert und erstaunlich viele politische sowie gesellschaftliche Themen aufgegriffen und vermittelt werden. Während Tank und Feist ganz direkt politische Personen, Leitlinien und Beschlüsse in ihren Texten benennen, hält Giedion-Welcker die Politik vordergründig aus ihren Überlegungen heraus. Doch auch ihre Kunstauffassung entspricht zu großen Teilen dem Zeitgeist der Nachkriegszeit und greift die politisch motivierte Aufbruchsstimmung und Öffnung zur europäischen und US-amerikanischen Kultur auf. Alle drei Autoren proklamieren den Eigenwert der Kunstwerke und fordern den Betrachter auf, eigenständig die Inhalte anhand der Abbildungen zu erfassen. Damit erwecken sie den Anschein von gedanklicher Freiheit, die dem Betrachter gewährt würde. Die Vermittlung durch Bilder ist jedoch keine Garantie für weniger Einflussnahme des Autors auf den Betrachter. Ganz im Gegenteil – eine Manipulation mit Hilfe von Bildern ist viel schwieriger vom Betrachter zu durchschauen. Texte sind immer klar einem Autor zuzuordnen, der seine Gedanken, sein Wissen und seine Meinung wiedergibt. Zwar können Worte unterschiedlich interpretiert werden, doch besitzen sie grundsätzlich eine festgelegte Bedeutung. Fotografische Abbildungen hingegen transportieren Inhalte unterschwellig und nur selten werden ihre verschiedenen Bedeutungsebenen hinterfragt. Ein Betrachter muss sehr viel Zeit aufwenden und gut geschult sein, um alle Facetten einer Beeinflussung durch Bildmaterial zu reflektieren. Hinzu kommt, dass nach wie vor der Fotografie eine Beweiskraft zugesprochen wird. Alle drei Autoren machen sich dies zunutze, in erster Linie durch die Auswahl der Bilder, die sie als Beweismittel für ihre Thesen verwenden. Durch die Bildauswahl erfolgt eine starke Lenkung des Betrachters, der die versammelten Kunstwerke als Konsens der aktuellen Bildhauerei ansehen muss. Das Buch als ein Objekt das einen Anfang und ein Ende besitzt, suggeriert Vollständigkeit und trägt dazu bei, dass all die nicht abgebildeten Werke vom Leser nicht vermisst werden. So zeigt sich, dass nicht nur die Skulpturfotografie als Einzelbild Informationen vermittelt, sondern dass zusätzlich entscheidend ist, in welcher Auswahl Reproduktionen von Kunstwerken im Buch erscheinen, mit welchen Texten und Bildern sie kombiniert werden und in welcher Abfolge sie gesetzt werden. Auch durch diese konzeptionellen und gestalterischen Entscheidungen können Aussagen über Kunstverständnis, Wissenschaftsansätze und Denkweisen getroffen werden. Text, Bild und Layout ergeben ein Gesamtprodukt, das losgelöst vom einzelnen Kunstwerk auf den Betrachter wirkt und eigenständige Inhalte transportiert.

7 Ein Bild von Skulptur Entgegen der häufigen Unterstellung, Skulpturfotografie sei ein langweiliges Ergebnis standardisierter Aufnahmeprozesse, muss die Skulpturfotografie als ein inszenierendes und gezielt eingesetztes Vermittlungsmedium anerkannt werden, das sich auf die Wahrnehmung des Betrachters auswirkt und das dessen Verständnis von Skulptur prägt. In der Kunstgeschichte wird dieser Einfluss häufig unterschätzt, obwohl das Fach auf fotografischen Bildern aufbaut. Nicht nur die individuellen Gestaltungsweisen einzelner Fotografen, sondern auch deren zeitgenössische Sichtweise auf Skulptur überträgt sich durch fotografische Abbildungen in Fachbüchern, Bildbänden und Zeitschriften. Skulpturfotografie ist außerdem eng verknüpft mit den Entwicklungen der Bildhauerei und reagiert auf deren Veränderungen. Neue bildhauerische Konzepte erfordern auch neue fotografische Lösungen. So entwickelt sich im Laufe der Zeit parallel zur Bildhauerei eine Vielfalt an fotografischen Möglichkeiten, wie Skulpturen aufgenommen werden. Die unterschiedlichen Formen der Skulpturfotografie existieren pluralistisch nebeneinander und werden je nach aktuellem Zeitgeschmack mal mehr, mal weniger präsent in Publikationen als Abbildungen eingesetzt. Da die Abbildung von Skulpturen in der Lage ist, Informationen über das Kunstwerk zu vermitteln und zu gewichten, wird durch die Gestaltung und Auswahl der verwendeten Bilder deutlich, welche inhaltlichen Schwerpunkte von den Herausgebern eines Buches gesetzt wurden. Politische, gesellschaftliche und künstlerische Entwicklungen spiegeln sich in Skulpturfotografie wider und fügen sich in Verbindung mit den veröffentlichten Texten zu einer Aussage über das zeitgenössische Kulturverständnis zusammen.

7.1 Skulpturfotografie in Wechselwirkung mit historischen E ntwicklungen Die zentralen Fragen dieser Forschungsarbeit lauten, wie bildhauerische Konzepte durch Abbildungen in Bildbänden vermittelt wurden und welchen Einflüssen die Skulpturdarstellung unterliegt. Die untersuchten Beispiele verdeutlichen, dass die

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Gestaltung von Abbildungen weder festen Regeln folgt noch dass sie unabhängig von zeitgenössischen Entwicklungen sein kann. Für den Untersuchungszeitraum zwischen 1920 und 1970 in Deutschland lässt sich eine stetige Erweiterung der Darstellungsmöglichkeiten feststellen, die eng in Verbindung zu gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen steht. Von Beginn an nahm die Kunstwissenschaft großen Einfluss auf das produzierte Abbildungsmaterial von Skulpturen. Im 20. Jahrhundert wirkte besonders Heinrich Wölfflins 1885 veröffentlichte Forderung nach standardisierten Aufnahmen nach. Der Versuch, möglichst sachliche Skulpturfotografie zu verwenden, um den Abbildungen anderer wissenschaftlicher Disziplinen zu entsprechen, war in Publikationen bis in die 1930er Jahre hinein allgegenwärtig. Die piktorialistische Fotografie, die mit experimentellen, stimmungsvollen Bildern eine Alternative bot, konnte sich in deutschsprachigen Medien nicht durchsetzen. Verlage, Autoren und der Geschmack des Publikums zeigten sich äußerst konservativ und nur in Einzelfällen wurden Aufnahmen abgebildet, die von der Konvention eines sachlichen Wissenschaftsbildes abwichen. Das Hauptanliegen von sachlicher Fotografie war die Vermittlung möglichst zahlreicher Informationen über das abgebildete Kunstwerk. Dazu gehörten die Berücksichtigung verschiedener Ansichtsseiten, die Darstellung von Plastizität und die Sichtbarmachung von Materialität. Eine in allen Punkten sachliche Aufnahme eines Objektes ist jedoch nicht realisierbar, denn der Fotograf muss immer aus sich gegenseitig ausschließenden Möglichkeiten der Fotografie auswählen und Kompromisse schließen. Das Anliegen, Informationen über ein Kunstwerk zu vermitteln, mündete also nicht zwangsläufig in einer sachlichen Aufnahme, sondern konnte auf verschiedenen Wegen angestrebt werden. Das Potential inszenierender Fotografie wurde in den 1920er und 1930er Jahren für die Abbildung antiker Skulptur entdeckt. Hieraus entwickelten sich neue Maßstäbe für die Skulpturfotografie. Die Aufnahmen standen zwar weiterhin unter wissenschaftlichem Anspruch, setzten sich jedoch nicht mehr Sachlichkeit zum Ziel, sondern suchten nach einer ursprünglichen Anschauung der Skulpturen. Das Nachempfinden der Bedingungen, die originär am Standort einer Skulptur geherrscht haben, beeinflusste die Entscheidung über Kameraausrichtung, Perspektivwahl und Beleuchtung und führte auch zur Berücksichtigung der umgebenden Architektur. Es wurde diskutiert, ob eine Steigerung der Wirkung von zeitgenössischer Skulptur durch die Fotografie zu befürworten sei, doch erneut setzten sich die Konventionen sachlicher Fotografie weitestgehend durch. Auch die Bildhauer hatten Anteil an dieser Festigung der Traditionen, denn viele von ihnen lehnten experimentelle Ansätze der Fotografie ab, da sie nicht wollten, dass ihr Werk durch Entscheidungen eines Fotografen womöglich verfremdet dargestellt werden k­ önnte. Erst durch politische Entwicklungen änderten sich die Anforderungen an Skulpturfotografie. Während des Nationalsozialismus war Fotografie nicht nur

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Diener der Wissenschaft, sondern auch Teil der politischen Propaganda und wurde deshalb von Seiten des Staates kontrolliert. Zwar änderten sich die Meinungen und Vorgehensweisen von Bildhauern und Fotografen nicht grundlegend, doch die Veröffentlichung von Büchern und damit die Auswahl und das Aussehen der Abbildungen wurde politisch gelenkt. Obwohl die Kulturpolitik der Nationalsozialisten nicht stringent und teils widersprüchlich war, zeigt sich in der Fotografie nationalsozialistischer Skulptur eine deutliche Abweichung vom Standard der sachlichen Aufnahme. Die Besonderheiten der Skulpturfotografie während dieser Zeit liegen in der Intention begründet, das Publikum zu beeindrucken und zu unterhalten. Die Vermittlung von kunsthistorischen Informationen war dem Wunsch nach Repräsentation des Staates untergeordnet. Dazu wurden vor allem zeitgenössische Skulpturen fotografisch inszeniert und monumental, sehr detailgenau oder besonders ausdrucksstark dargestellt. Frauenfiguren wurden häufig erotisch und mit deutlicher Ähnlichkeit zur Aktfotografie abgebildet, Männerfiguren hingegen wurden als stark und kämpferisch präsentiert. Die bereits in den Skulpturen angelegte Bildsprache wurde durch die Fotografie also zusätzlich geschärft. Es wurde jedoch nicht versucht, eine möglichst genaue Übereinstimmung von Fotografie und Skulptur zu erreichen, sondern die Skulptur wurde durch die Fotografie in der gewünschten Wirkung vervollständigt. Besonders die bereits in den 1920er Jahren auftretende Verehrung der griechischen Plastik wurde von den Nationalsozialisten aufgegriffen und auf zeitgenössische Bildhauerei übertragen. Bezüge zur griechischen Antike sollten das eigene Schaffen und die eigene Zeit aufwerten. Fotografie wurde genutzt, um einen kulturellen Kanon zu festigen und die Bildhauerei der eigenen Zeit durch Abgrenzung zu anderen Ländern und Kulturen hervorzuheben, so dass auch die Rassenideologie gestützt werden konnte. Die Skulpturfotografie bot anschauliche Bilder zu den politischen Parolen und wurde durch die Kontextualisierung im Buch als wirkungsvolles Propagandainstrument eingesetzt, denn die Darstellung von Skulpturen in den Medien war ein viel erfolgreicheres und besser zu steuerndes Mittel, um die Bevölkerung zu beeinflussen, als die Skulptur selbst. Da die Propaganda des deutschen Nationalsozialismus auch antiintellektuell ausgerichtet war und sich primär an die Gefühle der Adressaten richtete, wurden Bilder aufgrund ihrer Unmittelbarkeit zu einem bevorzugten Medium. Dies zeigt sich im Wiederaufleben des aufwändigen Stereobildes, das neben einem eindrücklichen Erlebnis auch den in der Propagandasprache relevanten Begriff des Raums thematisierte. Durch Berücksichtigung von konkreten Standorten und Ereignissen wurden nationalsozialistische Bauten und Schauplätze im Kontext der Skulptur popularisiert. Im Gegensatz zu den sachlichen Aufnahmen der Kunstwissenschaft wurde die Skulpturfotografie im Nationalsozialismus stark emotional aufgeladen und narrativ angelegt. Die Annäherung zwischen Kunstwerk und Betrachter war besonders wichtig für den Erfolg der Propagandawirkung, da die figürliche Skulp-

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tur trotz Idealisierung auch zur Identifikation dienen sollte. Die Fotografie konnte diese Verbindung häufig herstellen. Außer zur Erzeugung eines kulturellen Kanons wurde Skulpturfotografie genutzt, um von negativen Ereignissen abzulenken. Kunst, insbesondere Skulptur und Architektur, ließ sich einsetzen, um einen gestaltenden, wachsenden, im Aufbau befindlichen Staat zu präsentieren, während zugleich ganze Städte im zerstörerischen Krieg dem Erdboden gleichgemacht wurden. Die zeitgenössische Abbildungsästhetik sollte den Betrachter überzeugen, dass der nationalsozialistische Staat beeindruckende Leistungen vollbringe. Die sachliche Darstellung von Skulpturen wurde zeitgleich weiterhin verwendet, vornehmlich von auf Kunstreproduktion spezialisierten Verlagen mit wissenschaftlichem Anspruch. Vom nationalsozialistischen Staat geförderte Verlage besaßen jedoch weitaus größere finanzielle Mittel und konnten teils sehr aufwändige Bücher mit Abbildungen von hoher Qualität veröffentlichen. Auch dieser Umstand trug zur Aufwertung nationalsozialistischer Skulptur und zur politischen Beeinflussung der Kunstrezipienten bei. In der Zeit unmittelbar nach dem Krieg wurden beim Wiederaufbau Deutschlands zunächst Bildhauer gefördert, die unter dem Nationalsozialismus gelitten hatten, doch auf politische Botschaften wurde weitestgehend verzichtet. Im öffentlichen Raum wurden viele Denkmale und Außenskulpturen errichtet, meist figürliche Darstellungen in Bronze, die an die Bildhauerei der 1920er Jahre anknüpfte. Obwohl das kulturelle Leben erstaunlich rasch nach dem Krieg wieder aufblühte, wurden nur wenige kunsthistorische Publikationen in deutschen Verlagen veröffentlicht. Da jede Neuproduktion – sei es von Bildhauerei, einer Fotografie oder einem Buch – aufgrund der besonderen wirtschaftlichen Situation großen Aufwand bedeutete, dauerte es bis in die 1950er Jahre hinein, bis wieder Bildbände über Bildhauerei verlegt wurden. Häufig wurde dann auf noch vorhandenes Bildmaterial zurückgegriffen. Zu diesem Zeitpunkt entstand in der Bundesrepublik ein starker Fortschrittswille, der neue künstlerische Ausdrucksformen förderte. Abstrakte Kunst wurde zum Sinnbild der Demokratie erklärt und so wurden auch veränderte Anforderungen an die Bildhauerei gestellt. Die junge Bildhauergeneration war inspiriert von Industriematerialien, löste sich teils vollständig von der gegenständlichen Darstellung und nahm malerische Aspekte in ihren Werken auf. Da die Malerei jedoch besser geeignet zu sein schien, um aktuelle künstlerische Impulse wie Zufälligkeit, Prozesshaftigkeit und Auflösung der Formen umzusetzen, mussten sich Bildhauer immer wieder gegen die Kritik wehren, sie würden rückwärtsgewandte Werke schaffen. In diesem Wettstreit um die Aktualität zwischen Skulptur und Malerei spielte die Skulpturfotografie eine entscheidende Rolle, denn sie konnte den Abstraktionsgrad der bildhauerischen Werke steigern und sogar Ähnlichkeiten zur informellen Malerei herausstellen. Konstruktive Werke wurden in ihrer Neuartigkeit fotografisch unterstützt und figürliche Plastik wurde durch die Foto-

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grafie abstrahiert, indem sie die Figuren auf Silhouetten und geometrische Formen reduzierte. Die flächenbetonten Darstellungen stellten bewusst eine Differenz zu den traditionellen Skulpturkonzepten wie Plastizität und Materialgerechtigkeit her. Die Aufnahmen der Skulpturen waren dabei nicht darauf ausgelegt, möglichst viele Informationen des Kunstwerks zu vermitteln, sondern sie betonten die Fremdartigkeit der Werke indem sie deren abstrakte Formensprache unterstützten. Extreme Detailvergrößerungen, harte Kontrastierungen, spotartige Beleuchtung und wechselnde Aufnahmewinkel erreichten eine absichtsvolle Desorientierung des Betrachters, dem dadurch vermittelt wurde, dass die zeitgenössische Bildhauerei vollkommen losgelöst von Traditionen betrachtet werden sollte. Die über Jahrzehnte an Skulpturfotografie gestellte Forderung nach detailgenauer und werkgerechter Wiedergabe von Eigenschaften wurden ins Gegenteil gekehrt, indem fotografierte Skulpturen in ihren Materialeigenschaften verfremdet erschienen oder als veränderliche, bewegliche Objekte inszeniert wurden. Da die Grenzen zwischen Abstraktion und Figuration fließend verlaufen, beeinflusste die Fotografie durch Betonung einzelner Aspekte die Zuordnung von Bildhauern und ihren Werken in die eine oder andere Kategorie. Den Standards der sachlichen Aufnahme wurde Skulpturfotografie entgegengestellt, die darauf angelegt war, ein abstraktes Bild einer Skulptur zu schaffen, das häufig Ähnlichkeiten mit der Malerei und Grafik der Zeit besaß. Zeitgleich entwickelte sich in der Deutschen Demokratischen Republik die Skulpturfotografie in eine andere Richtung, denn die Kulturpolitik dort setzte sich gezielt von ihrem kapitalistischen Nachbarland ab. Die Bildhauerei sollte dem kulturellen Leitfaden des sozialistischen Realismus entsprechen und die Skulpturfotografie unterstützte dieses Anliegen. Es wurde eher sachlich und konservativ fotografiert, so dass das fotografische und bildhauerische Handwerk betont wurde, individuelle Besonderheiten der Künstler zurückgenommen wurden und an bildhauerische Traditionen angeknüpft werden konnte. Durch die Bildauswahl für Publikationen wurden für die Kulturpolitik relevante Themen wie die menschliche Figur, Denkmäler zum Antifaschismus, Darstellungen von Arbeitern und Porträts von sozialistischen Leitfiguren bevorzugt verbreitet. Somit wurde ein Konsens der Bildhauerei erzeugt, der abweichende Positionen ausschloss. Die Publikationen der DDR erzeugten vor allem durch die Bildauswahl ein einheitlicheres Bild von DDR-Skulptur, als tatsächlich durch die politisch gesetzte Grenze gegeben war. Die Gattungsgrenzen der Kunst lösten sich ab der Mitte der 1960er Jahre bis in die 1970er Jahre hinein immer weiter auf. Durch Happenings und Performances der Fluxus-Bewegung wurden die Konventionen von Bildhauerei in Frage gestellt. Skulptur war nun nicht mehr ein statisches, unveränderliches Objekt, und Fotografie wurde selbst als künstlerisches Medium eingesetzt. Zugleich war sie wichtiges Dokumentationsmedium für die neuen, ereignishaften Kunstrichtungen. Hinzu kommt, dass sich die Kommunikation über Ländergrenzen hinweg beschleunigte und intensivierte, so dass Kunstströmungen zunehmend in internationalem Ein-

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fluss standen. Mit dieser Entwicklung endet die vorliegende Arbeit, denn ab diesem Zeitpunkt bricht ein neues Kapitel für Bildhauerei und Skulpturfotografie an. Die Zusammenfassung der historischen Entwicklung macht deutlich, dass zwischen 1920 und 1970 in Deutschland zwar vielfältige Einflüsse auf die Skulpturfotografie einwirkten, doch dass die Fotografen und die Bildhauer selten den entscheidenden Einfluss besaßen, um die Gestaltung der Abbildungen zu bestimmen. Die Buchproduktion und die darin veröffentlichten fotografischen Abbildungen wurden in den meisten Fällen von Wissenschaftlern und Verlegern ausgewählt, die ihre Vorstellungen umsetzten oder von äußeren Bedingungen beeinflusst waren. Die Vermittlung bildhauerischer Konzepte und das Hervorheben künstlerischer Besonderheiten durch die Fotografie konnten immer dann besonders gut gelingen, wenn die Autoren der Bildbände frei von politischer Lenkung arbeiteten und die Wirkung der Skulpturabbildungen gezielt einsetzten.

7.2 Plädoyer für die Skulpturfotografie Da Skulpturfotografie immer Kompromisse eingehen muss, wird ihr häufig unterstellt, sie selbst sei ein Kompromiss, der nie an das Original der Skulptur heranreichen könne. Doch bietet die Abbildung von Skulpturen erhebliche Vorteile für den Betrachter, der durch die Fokussierung der Kamera einen erleichterten Zugang zur Skulpturbetrachtung finden kann. Wichtige Aspekte einer Skulptur können hervorgehoben werden, und so verdeutlicht Skulpturfotografie durch ihre Inszenierung den künstlerischen Wert der Werke und verbildlicht wissenschaftliche Erkenntnisse. Wenn Skulpturfotografie bewusst eingesetzt wird, um Inhalte zu vermitteln, und wenn die fotografischen Mittel gekonnt eingesetzt werden, dann bietet sie eine eigenständige und dem Original ebenbürtige Rezeptionsmöglichkeit einer Skulptur. Die vermittelnden Fähigkeiten der Skulpturfotografie bedeuten jedoch auch, dass Abbildungen von Kunstwerken in ihrer Historizität ernst genommen werden müssen. Sie müssen wie ein historischer Text als Quelle ausgewiesen werden, der Fotograf muss genannt werden wie ein Autor und in Publikationen muss eine Datierung der fotografischen Abbildungen vorgenommen werden. Nur auf diese Weise kann in der Kunstwissenschaft ein Bewusstsein für die Eigenwirkung von Abbildungen geschaffen werden, damit die unterschwelligen Inhalte einer Fotografie nicht weiterhin unbemerkt verbreitet werden. Die Schwierigkeit dieses Anliegens liegt natürlich in der Umsetzbarkeit, denn es wurde schon über 150 Jahre hinweg versäumt, Fotografien nachvollziehbar zu beschriften. Damit zusammen hängt die Notwendigkeit, in Forschung und Lehre auf die von der Fotografie vermittelten Inhalte aufmerksam zu machen. Bilder für Vorträge, Referate und Publikationen sollten nicht aufgrund ihrer bloßen Verfügbarkeit ausgewählt werden und Besonderheiten in der fotografischen Darstellung von

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Skulptur müssen thematisiert werden. Skulpturfotografie sollte sowohl kritisch hinterfragt als auch als Interpretation eines Kunstwerks anerkannt werden, um anregende Eindrücke zu gewinnen, unser Bild von Skulptur zu bereichern und um die historische Forschung zu vertiefen. Die wichtigste Erkenntnis dieser Arbeit ist gleichermaßen profan: Es gibt kein objektives Bild einer Skulptur. Es wird Zeit, dass dieser lange bekannte Umstand als Leistung der Fotografie anerkannt wird und der reflektierte Umgang mit Abbildungen in der Wissenschaft folgt.

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Liste der untersuchten Bildbände Akademie der Künste Berlin (Hrsg.): Rudolf Belling, Berlin 1962. Akademie der Künste Berlin (Hrsg.): Waldemar Grzimek und die Entwicklung der neueren deutschen Plastik, Berlin 1952. Amt für Kunst (Hrsg.): Karl Hartung. Ausstellung vom 2. Sept. bis 12. Okt. 1952, Berlin 1952. Aust, Günter: Otto Freundlich, Köln 1960. Badischer Kunstverein Karlsruhe (Hrsg.): Gustav Seitz, Karsruhe o.J. Badischer Kunstverein Karlsruhe: Waldemar Grzimek, Karlsruhe 1962. Barlach, Ernst: Ein selbsterzähltes Leben, München 1948. Belling, Rudolf: Rudolf Belling, Potsdam 1924. Bode, Wilhelm von: Fritz Klimsch, Freiburg 1924. Bode, Wilhelm von: Der Bildhauer Joseph Thorak, Berlin-Frohnau 1929. Boettcher, Horst: Richard Scheibe, Berlin 1946. Breker, Arno: Im Strahlungsfeld der Ereignisse, Preußisch Oldendorf 1972. Busch, Günter: Gerhard Marcks, Hamburg 1951. Canetti, Elias: Fritz Wotruba, Wien o.J. Carls, Carl Dietrich: Ernst Barlach. Die Kunst unserer Zeit Bd. 5, Berlin 1931. Carls, Carl Dietrich: Ernst Barlach, Berlin 1958. Cassirer, Paul: Bildwerke von August Gaul, O. O., o.J. Cassirer, Paul: August Gaul, o. O. 1914/17. Cassirer, Paul: Das Beethoven-Denkmal von Georg Kolbe, Berlin, 1928. Cremer, Fritz: Fritz Cremer: Ausstellung 9. Februar bis 4. März 1951, Berlin 1951. Das Kunstwerk (Hrsg.): Deutsche Bildhauer der Gegenwart, Baden-Baden 1951. Degenhart, Bernhard: Zu einem neuen Werk Hans Wimmers, München 1950. Deutsche Akademie der Künste (Hrsg.): Das Buchenwald Denkmal, Dresden1960. Deutsche Akademie der Künste (Hrsg.): Fritz Cremer, Berlin o.J. Deutsche Akademie der Künste (Hrsg.): Fritz Cremer, Berlin 1951. Deutsche Akademie der Künste (Hrsg.): Gustav Seitz, Berlin 1954. Deutsche Akademie der Künste (Hrsg.): Faltblatt der Kunst: Fritz Cremer, Berlin 1955. Deutsche Akademie der Künste (Hrsg.): Fritz Cremer, Berlin 1956.

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Ein Bild von Skulptur

Deutsche Akademie der Künste; Kinkel, Hans (Hrsg.): Entstehung einer Plastik: Der Bildhauer Gustav Seitz, Berlin 1951. Fackelmann, Michael: Michael Fackelmann fotografiert Gustav Seitz, Lübeck 2011. Fechter, Paul: Ernst Barlach, Gütersloh 1957. Feist, Peter H.: Plastik in der Deutschen Demokratischen Republik, Dresden 1965. Feldenkirchen, Toni: Ludwig Gies, Recklinghausen 1960. Fine Arts associates (Hrsg.): Fritz Wotruba, New York 1960. Fischer, Hans W.: Menschenschönheit, Berlin 1935. Flammarion, Ernest: Arno Breker, o.O., 1942. Flemming, Hanns Theodor: Ewald Mataré, München 1955. Flemming, Hanns Theodor: Bernhard Heiliger, Berlin 1962. Flemming, Hanns Theodor: Der Bildhauer Gustav Seitz, Frankfurt am Main 1963. Frankfurter Kunstkabinett (Hrsg.): Emy Roeder, Frankfurt am Main 1960. Frankfurter Kunstverein (Hrsg.): Gerhard Marcks: Bildwerke, Holzschnitte, Zeichnungen 1931-1953 ; III. Folge des Zyklus Deutsche Bildhauer der Gegenwart, Frankfurt am Main 1954. Franz Führmann: Ernst Barlach, Rostock 1963. Galerie Alex Vömel (Hrsg.): Kurt Lehmann, Düsseldorf 1958. Galerie Alfred Flechtheim (Hrsg.): Gedächnisausstellung für Eugen Zak, Düsseldorf 1926. Galerie Alfred Flechtheim (Hrsg.): Georg Kolbe, Düsseldorf 1930. Galerie Ferdinand Möller (Hrsg.): Georg Meistermann, E.W. Nay, Hans Uhlmann, Köln 1952. Galerie Franz (Hrsg.): Gerhard Marcks, Berlin 1947. Galerie Galetzki (Hrsg.): Arno Breker, Stuttgart, 1965. Galerie Goyert (Hrsg.): H.M. Pechstein und Rudolf Belling, Köln 1922. Galerie Günther Franke (Hrsg.): Gerhard Marcks, München 1949. Galerie Henning (Hrsg.): Ernst Barlach. Ausstellung im graphischen Kabinett, Halle 1948. Galerie Henning (Hrsg.): Georg Kolbe, Halle 1949. Galerie Karl Flinker (Hrsg.): Norbert Kricke, Paris 1961. Galerie Rudolf Hoffmann (Hrsg.): Gerhard Marcks, Hamburg 1947. Galerie Rudolf Hoffmann (Hrsg.): Gerhard Marcks, Zeichnungen, Plastik, Holzschnitte, Hamburg 1956. Galerie Rudolf Hoffmann (Hrsg.): Gustav Seitz. Dezember 1957 - Januar 1958, Hamburg 1957. Galerie Rudolf Hoffmann/Kunstverein Hannover (Hrsg.): Gerhard Marcks. Ausstellung vom 24. Januar bis 21. Februar 1960, Hamburg 1960. Galerie Schlüter (Hrsg.): Winfred Gaul, Otto Herbert Hajek, Berlin 1957. Galerie Springer (Hrsg.): Hans Uhlmann, Berlin 1959. Galerie Wolfgang Ketterer (Hrsg.): Rudolf Belling, München 1967. Gallwitz, Klaus: Kricke, Frankfurt am Main 1981.

Liste der untersuchten Bildbände

Gemälde-Galerie Abels (Hrsg.): F. Klimsch, Köln 1958. Georg Kolbe-Stiftung Berlin (Hrsg.): Georg Kolbe. Schriften, Skizzen, Plastiken, Berlin 1949. George, Magdalena: Der Bildhauer Richard Scheibe, Leipzig 1962. Gertz, Ulrich: Plastik der Gegenwart, Berlin 1953. Gesellschaft zur Förderung der bildenden Künste e.V. Hameln (Hrsg.): Kurt Lehmann, Hameln 1958. Giedion-Welcker, Carola: Plastik des XX. Jahrhunderts, Stuttgart 1955. Giedion-Welcker, Carola: Norbert Kricke, Hagen 1963. Gredig, Ruth: Fritz Cremer, Berlin 1954. Grothe, Heinz: Arno Breker, Königsberg 1943. Grzimek, Waldemar: Wilhelm Gerstel und seine Schüler, Karlsruhe 1955. Günther Franke: Woty Werner, Emy Roeder, Eline McKnight, München 1959. Haftmann, Werner: Gerhard Marcks und der griechische Traum, Hamburg 1951. Haftmann, Werner: Der Bildhauer Toni Stadler, München 1961. Hagelstange, Rudolf: Renée Sintenis, Berlin 1947. Hamburger Kunstverein (Hrsg.): Gerhard Marcks, Hamburg 1949. Hanna Kiel: Renée Sintenis, Berlin 1956. Hartung, Karl: Karl Hartung : Ausstellung vom 2. Sept. bis 12.Okt. 1952, Haus am Waldsee, Berlin 1952. Hartung, Karl: Karl Hartung, Hannover 1953. Haus am Waldsee (Hrsg.): Otto Herbert Hajek, Berlin 1963. Hentzen, Alfred: Deutsche Bildhauer der Gegenwart, Berlin 1935. Hentzen, Alfred; Kestner-Gesellschaft: Gerhard Marcks, Hannover 1949. Hoff, August: Wilhelm Lehmbruck, Berlin 1936. Hoffmann, Rudolf: Gerhard Marcks, Hamburg 1949. Hofmann, Werner: Die Plastik des 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1958. Jackson Groves, Naomi: Ernst Barlach. Plastiken, Zeichnungen und Graphiken, Dramen, Prosawerke und Briefe, Königstein im Taunus 1972. Kaiser Wilhelm Museum Krefeld (Hrsg.): Norbert Kricke, Krefeld 1962. Karl-Ernst-Osthaus-Museum (Hrsg.): Kurt Lehmann, Ewald Mataré, Bernhard Heiliger, Hagen 1955. Kasseler Kunstverein e.V. (Hrsg.): Kurt Lehmann, Kassel 1954. Kesting, Edmund: Ein Maler sieht durch´s Objektiv, Halle 1958. Kestner-Gesellschaft Hannover (Hrsg.): Gerhard Marcks, Hannover 1949. Kestner-Gesellschaft Hannover (Hrsg.): Gerhard Marcks. Ausstellung 9. Februar bis 1. März 1936, Hannover 1936. Kestner-Gesellschaft Hannover (Hrsg.): Emy Roeder, Hannover 1953. Kestner-Gesellschaft Hannover (Hrsg.): Hans Uhlmann, Theodor Werner, Woty Werner, Hannover 1953. Kiel, Hanna: Renée Sintenis, Berlin 1935. Kleemann Galleries (Hrsg.): Hans Uhlmann, New York 1957.

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Klimsch, Uli: Fritz Klimsch, Berlin 1938. Klimsch, Fritz: Freie Schöpfungen, Berlin 1949. Kolbe, Georg: Der Bildhauer Günther von Scheven, Dessau 1944. Kölnischer Kunstverein (Hrsg.): Carl Barth, Peter Herkenrath, Gerhard Marcks, Köln 1948. Kölnischer Kunstverein (Hrsg.): Gerhard Marcks. 4. Mai bis 16. Juni 1957, Köln 1957. Kricke, Norbert: Norbert Kricke. im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf 1955. Kroll, Bruno: Richard Scheibe – ein deutscher Bildhauer, Berlin 1939. Kultusministerium der UdSSR/Kultusministerium der DDR (Hrsg.): Fritz Cremer, Moskau 1956. Kunst- und Museumsverein Wuppertal (Hrsg.): Gerhard Marcks, Wuppertal 1949. Kunst- und Museumsverein Wuppertal (Hrsg.): Kurt Schwippert, Wuppertal 1959. Kunst- und Museumsverein Wuppertal (Hrsg.): Hans Uhlmann, Wuppertal 1960. Kunstgeschichtliches Seminar, Photo-Abteilung (Hrsg.): Georg Kolbe Plastik, o ­ . O. 1931. Kunsthalle Bern (Hrsg.): Norbert Kricke, Bernhard Luginbühl, Jean Tinguely, Bern 1960. Kunsthalle Bremen (Hrsg.): Hans Uhlmann. Plastik und Zeichnung der Jahre 1935-1960, Bremen 1960. Kunsthalle Mannheim (Hrsg.): Gustav Seitz, Mannheim 1966. Kunstmuseum der Stadt Düsseldorf (Hrsg.): Edwin Scharff, Düsseldorf 1957. Kunstmuseum Luzern (Hrsg.): Bernhard Heiliger, Luzern 1960. Kunstverein Braunschweig (Hrsg.): Fritz Koenig, Braunschweig 1965. Kunstverein Freiburg (Hrsg.): Gerhard Marcks – Heinrich Wittmer, Freiburg 1951. Kunstverein Hamburg (Hrsg.): Edwin Scharff, Hamburg 1956. Kunstverein Hamburg (Hrsg.): Emy Roeder, Hamburg 1960. Kunstverein Hamburg (Hrsg.): Gustav Seitz, Hamburg 1966. Kunstverein Hannover (Hrsg.): Toni Stadler, Hannover 1965. Lammert, Marlies: Will Lammert. Ravensbrück, Berlin 1968. Leipziger Kunstverein (Hrsg.): Georg Kolbe, Leipzig 1933. Leipziger Kunstverein (Hrsg.): Richard Scheibe, Leipzig 1939. Leonhardi, Klaus: Gerhard Marcks, Hamburg 1949. Lüdecke, Heinz: Fritz Cremer, Dresden 1956. Magistrat von Groß-Berlin /Amt Bildende Kunst und Museen (Hrsg.): Scheibe Ausstellung, Berlin 1949. March, Werner: Bauwerk Reichssportfeld, Berlin 1936. Marcks, Gerhard: Gerhard Marcks. Ausstellung vom 29. September bis 10. November 1957, o. O. 1957. Marcks, Gerhard: Europa und die „deutsche Gefahr“, Gauting 1949. Marcks, Gerhard: Gerhard Marcks : October 16-November 10, New York 1951.

Liste der untersuchten Bildbände

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Kunst- und Bildwissenschaft Julia Allerstorfer, Monika Leisch-Kiesl (Hg.)

»Global Art History« Transkulturelle Verortungen von Kunst und Kunstwissenschaft 2017, 304 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-4061-8 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4061-2

Horst Bredekamp, Wolfgang Schäffner (Hg.)

Haare hören – Strukturen wissen – Räume agieren Berichte aus dem Interdisziplinären Labor Bild Wissen Gestaltung 2015, 216 S., kart., zahlr. farb. Abb. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3272-9 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation ISBN 978-3-8394-3272-3

Heike Engelke

Geschichte wiederholen Strategien des Reenactment in der Gegenwartskunst – Omer Fast, Andrea Geyer und Rod Dickinson 2017, 262 S., kart. 32,99 € (DE), 978-3-8376-3922-3 E-Book: 32,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3922-7

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Kunst- und Bildwissenschaft Burcu Dogramaci, Katja Schneider (Hg.)

»Clear the Air«. Künstlermanifeste seit den 1960er Jahren Interdisziplinäre Positionen 2017, 396 S., kart., zahlr. z.T. farb Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3640-6 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3640-0

Astrit Schmidt-Burkhardt

Die Kunst der Diagrammatik Perspektiven eines neuen bildwissenschaftlichen Paradigmas 2017, 372 S., kart., zahlr. Abb. 39,99 € (DE), 978-3-8376-3631-4 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3631-8

Gerald Schröder, Christina Threuter (Hg.)

Wilde Dinge in Kunst und Design Aspekte der Alterität seit 1800 2017, 312 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 36,99 € (DE), 978-3-8376-3585-0 E-Book: 36,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3585-4

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