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German Pages 202 [203] Year 2007
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 193 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Klaus J. Hopt und Reinhard Zimmermann
Nils Schmidt-Ahrendts
Das Verhältnis von Erfüllung, Schadensersatz und Vertragsaufhebung im CISG Eine Untersuchung zum deutschen und englischen Recht
Mohr Siebeck
Nils Schmidt-Ahrendts, geboren 1979; Studium der Rechtswissenschaft in Freiburg und Grenoble; 2007 Promotion; Referendariat am OLG Hamburg.
e-ISBN PDF 978-3-16-151378-7 ISBN 978-3-16-149528-1 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2007 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Held in Rottenburg gebunden.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2007 von der juristischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Für die Druckfassung wurden Rechtsprechung und Literatur bis Juli 2007 berücksichtigt. Mein Dank gilt zuvörderst meinem verehrten Doktorvater Prof. Dr. Günter Hager. Bedanken möchte ich mich sowohl für die vielen juristischen und lebenspraktischen Ratschläge, die er mir während meiner Tätigkeit als Assistent an seinem Lehrstuhl mit auf dem Weg gab, als auch für die Gewährung des nötigen wissenschaftlichen Freiraums, der es mir ermöglichte, die Arbeit in einem angemessenen zeitlichen Rahmen anzufertigen. Stets werde ich mit Freude an die Zeit an seinem Institut zurückdenken. Die Erstellung des Zweitgutachtens erfolgte durch Prof. Dr. Gerhard Hohloch. Prof. Dr. Jürgen Basedow danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe, Prof. Dr. Peter Schlechtriem für den Anstoß zum Thema der Arbeit und der Studienstiftung des dt. Volkes für die finanzielle Förderung der Arbeit. Mein ganz besonderer Dank aber gilt meinen Eltern für ihre Fürsorge und Unterstützung in allen Stadien meiner Ausbildung. Ivo Bach, Christof Kuhn, Simon Manner und meinem Vater danke ich für ihre unendliche Mühe bei der sprachlichen Korrektur der Arbeit sowie für ihre vielen wertvollen fachlichen Anregungen. Mein letzter Gedanke an dieser Stelle gilt meiner Freundin Anika B., die mich in den letzten beiden Jahren stets unterstützte und durch ihre konstruktive fachliche Kritik, ihre Geduld und ihre Zuneigung maßgeblichen Anteil an der Fertigstellung der Arbeit hatte. Ihr und meinen Eltern sei dieses Buch gewidmet.
Freiburg, im Juli 2007
Nils Schmidt-Ahrendts
Inhaltsübersicht Einführung in die Problematik .......................................................................1 1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG ...............................................................5 1. Kapitel: Die Systematik der Rechtsbehelfe im CISG ...............................5 2. Kapitel: Der Anspruch auf Erfüllung im CISG........................................7 3. Kapitel: Der Anspruch auf Schadensersatz im CISG .............................17 4. Kapitel: Der Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung im CISG ..................30 2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG.............................46 1. Kapitel: Rechtsvergleichung und Einheitsrecht .....................................47 2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG...........................66 3. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 76 CISG.........................100 4. Kapitel: Die Pflicht zur Schadensminderung .......................................114 3. Teil: Der Differenzschadens gem. Art. 74 CISG.....................................119 1. Kapitel: Die Grundproblematik ...........................................................119 2. Kapitel: Die Sachfragen ......................................................................124 3. Kapitel: Die Lösungsansätze der Literatur...........................................139 4. Kapitel: Der eigene Lösungsansatz .....................................................150 5. Kapitel: Die Überprüfung des eigenen Lösungsansatzes......................166 Zusammenfassung .....................................................................................178
Inhaltsverzeichnis Vorwort ..................................................................................................................................V Inhaltsübersicht ................................................................................................................ VII Inhaltsverzeichnis ..............................................................................................................IX Einführung in die Problematik.........................................................................................1 1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG...............................................................................5 1. Kapitel: Die Systematik der Rechtsbehelfe im CISG .......................................5 2. Kapitel: Der Anspruch auf Erfüllung im CISG ..................................................7 § 1 Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers ......................................................................8 § 2 Der Nacherfüllungsanspruch des Käufers .................................................................10 I. Der Ersatzlieferungsanspruch des Käufers ...............................................................11 II. Der Nachbesserungsanspruch des Käufers ..............................................................11 § 3 Das Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung ...................................................12 I. Das Verhältnis zum Erfüllungsanspruch des Käufers...............................................13 II. Das Verhältnis zum Schadensersatzanspruch des Käufers ......................................14 III. Das Verhältnis zum Recht der Vertragsaufhebung des Käufers ............................14 § 4 Zusammenfassung .....................................................................................................16
3. Kapitel: Der Anspruch auf Schadensersatz im CISG .....................................17 § 1 Die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs .................................................17 § 2 Die Entlastungsmöglichkeiten des Schuldners ..........................................................19 I. Der Regelungsinhalt des Art. 79 CISG.....................................................................19 II. Der Regelungsinhalt des Art. 80 CISG....................................................................21 III. Das Verhältnis beider Befreiungstatbestände.........................................................22 § 3 Der Haftungsumfang des Schadensersatzanspruchs..................................................22 I. Das Prinzip der Totalreparation ................................................................................23 II. Das Prinzip der Kausalität .......................................................................................24 III. Das Prinzip der Vorhersehbarkeit ..........................................................................25 IV. Das Prinzip der Pflicht zur Schadensminderung....................................................27 § 4 Zusammenfassung .....................................................................................................29
4. Kapitel: Der Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung im CISG .......................30 § 1 Das Recht zur Vertragsaufhebung .............................................................................30 I. Die Aufhebung im Fall einer wesentlichen Vertragsverletzung ............................30
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Inhaltsverzeichnis 1. Die Entstehungsgeschichte des Art. 25 CISG ....................................................31 2. Der Wortlaut des Art. 25 CISG ..........................................................................33 3. Die Funktion des Art. 25 CISG im System des CISG ........................................35 4. Art. 25 CISG in Lehre und Praxis ......................................................................36 II. Die Aufhebung im Fall des Ablaufs einer Nachfrist.............................................37 § 2 Die Aufhebungserklärung..........................................................................................40 I. Die inhaltlichen Anforderungen an die Aufhebungserklärung...............................41 II. Die zeitlichen Anforderungen an die Aufhebungserklärung ................................42 § 3 Die Rechtsfolgen der Vertragsaufhebung..................................................................43 § 4 Zusammenfassung .....................................................................................................44
2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG ....................................46 1. Kapitel: Rechtsvergleichung und Einheitsrecht ...............................................47 § 1 Die konkrete und abstrakte Schadensberechnung im deutschen Recht .....................47 I. Begriff und Formen konkreter und abstrakter Schadensberechnung .....................47 II. Der Anwendungsbereich konkreter und abstrakter Schadensberechnung ............49 III. Der Zeitpunkt und Ort konkreter und abstrakter Schadensberechnung...............50 IV. Das Verhältnis konkreter und abstrakter Schadensberechnung...........................50 V. Die Pflicht zur Vornahme eines konkreten Deckungsgeschäfts ...........................51 VI. Die Berücksichtigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts ..............................52 § 2 Die konkrete und abstrakte Schadensberechnung im amerikanischen Recht ............52 I. Begriff und Formen konkreter und abstrakter Schadensberechnung .....................52 II. Der Anwendungsbereich konkreter und abstrakter Schadensberechnung ............53 III. Der Zeitpunkt und Ort konkreter und abstrakter Schadensberechnung...............54 IV. Das Verhältnis konkreter und abstrakter Schadensberechnung...........................55 V. Die Begrenzung des abstrakten Schadensersatzanspruchs auf das Erfüllungsinteresse ....................................................................................................57 VI. Die Pflicht zur Vornahme eines konkreten Deckungsgeschäfts..........................58 § 3 Die konkrete und abstrakte Schadensberechnung im EKG .......................................60 I. Die Regelung des Differenzschadens in Art. 84-87 EKG ......................................60 1. Die abstrakte Berechnung des Differenzschadens gem. Art. 84 EKG................60 2. Die konkrete Berechnung des Differenzschadens gem. Art. 85 EKG ................61 3. Der Ersatz jedes weiteren Schadens gem. Art. 86 EKG .....................................62 4. Zusammenfassung ..............................................................................................63 II. Die Auswirkungen der Regelung der Art. 25 und 61 EKG ..................................63 § 4 Zusammenfassung .....................................................................................................65
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG ..................................66 § 1 Die Regelung des Art. 75 CISG in ihrer Grundkonzeption .......................................67 § 2 Die Voraussetzungen des Art. 75 CISG ....................................................................67 I. Das Erfordernis des Rechts zur Vertragsaufhebung...............................................68 1. Der Zweck des Erfordernisses............................................................................68 2. Die Anwendungsfälle des Erfordernisses ...........................................................69 3. Die Entbehrlichkeit des Erfordernisses...............................................................70 II. Das Erfordernis der Aufhebungserklärung ...........................................................72 1. Der Zweck des Erfordernisses............................................................................73 2. Die inhaltlichen Anforderungen an das Erfordernis ...........................................75 3. Die Entbehrlichkeit des Erfordernisses...............................................................77 a) Die Argumentation der herrschenden Meinung ............................................78 b) Der eigene Lösungsansatz ............................................................................79
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III. Das Erfordernis eines angemessenen Deckungsgeschäfts...................................82 1. Der Begriff des Deckungsgeschäfts....................................................................82 2. Der zeitliche Aspekt des Angemessenheitskriteriums ........................................84 3. Der inhaltliche Aspekt des Angemessenheitskriteriums.....................................87 IV. Das Erfordernis der Vorhersehbarkeit.................................................................90 § 3 Die Rechtsfolgen des Art. 75 CISG...........................................................................91 I. Der Ersatz der Mehrkosten des Deckungsgeschäfts...............................................91 II. Der Ersatz jedes weiteren Schadens gem. Art. 74 CISG ......................................92 1. Die typischen weiteren Schäden .........................................................................93 2. Der Ersatz frustrierter Aufwendungen................................................................93 3. Der Ersatz entgangenen Gewinns .......................................................................97 § 4 Zusammenfassung .....................................................................................................99
3. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 76 CISG ................................100 § 1 Die Regelung des Art. 76 CISG in ihrer Grundkonzeption .....................................100 § 2 Die Voraussetzungen des Art. 76 CISG ..................................................................101 I. Das Erfordernis des fehlenden tatsächlichen Deckungsgeschäfts........................101 II. Das Erfordernis der Vertragsaufhebung .............................................................103 III. Das Erfordernis eines Marktpreises...................................................................105 IV. Das Erfordernis der Vorhersehbarkeit.....................................................................107 § 3 Die Rechtfolgen des Art. 76 CISG ..........................................................................107 I. Der Ersatz der Differenz von Vertragspreis und Marktpreis................................107 1. Der Zeitpunkt der Ermittlung des Marktpreis gem. Art. 76 (1) S. 1 CISG.......107 2. Der Zeitpunkt der Ermittlung des Marktpreises gem. Art. 76 (1) S. 2 CISG ...110 3. Der Ort der Ermittlung des Marktpreises gem. Art. 76 (1) S. 2 CISG..............111 II. Der Ersatz jedes weiteren Schadens gem. Art. 74 CISG ....................................112 § 4 Zusammenfassung ...................................................................................................114
4. Kapitel: Die Pflicht zur Schadensminderung..................................................114 3. Teil: Der Differenzschadens gem. Art. 74 CISG...............................................119 1. Kapitel: Die Grundproblematik ..........................................................................119 2. Kapitel: Die Sachfragen ........................................................................................124 § 1 Die generelle Anwendbarkeit des Art. 74 CISG......................................................124 § 2 Die Ersatzfähigkeit der Mehrkosten eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts als Schadensersatz wegen Nichterfüllung.....................................................................126 I. Die Notwendigkeit der vorherigen Vertragsaufhebung .......................................127 1. Die grammatikalische Auslegung des Art. 74 CISG ........................................127 2. Die historische Auslegung des Art. 74 CISG ...................................................128 3. Die systematische Auslegung des Art. 74 CISG ..............................................128 4. Die teleologische Auslegung des Art. 74 CISG................................................129 II. Das Prinzip der Wirtschaftlichkeit......................................................................132 III. Das Prinzip der Totalreparation.........................................................................135 IV. Das Prinzip des Erfüllungsvorrangs ..................................................................136 § 3 Die Ersatzfähigkeit der Mehrkosten eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts als Schadensersatz wegen Verzugs...............................................................................137 § 4 Zusammenfassung ...................................................................................................138
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3. Kapitel: Die Lösungsansätze der Literatur ......................................................139 § 1 Der Lösungsansatz Schönles ...................................................................................139 § 2 Der Lösungsansatz Schlechtriems ...........................................................................142 § 3 Der Lösungsansatz Hubers ......................................................................................148
4. Kapitel: Der eigene Lösungsansatz....................................................................150 § 1 Die fehlende Sperrwirkung der Art. 75 und 76 CISG .............................................150 § 2 Die Notwendigkeit der Wahrung der Aufhebungsvoraussetzungen........................152 § 3 Die Pflicht zur Vornahme eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts ............................155 § 4 Die Grundregel der Nichtberücksichtigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts .157 I. Fehlen einer späteren wirksamen Vertragsaufhebung..........................................158 II. Vorliegen einer späteren wirksamen Vertragsaufhebung ...................................159 § 5 Die Ausnahmen von der Grundregel der Nichtberücksichtigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts ..............................................................................163 I. Die ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung.......................................163 II. Der drohende Verzugsschaden ...........................................................................164 § 6 Zusammenfassung ...................................................................................................165
5. Kapitel: Die Überprüfung des eigenen Lösungsansatzes ............................166 Fall 1: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts vor Vertragsbruch....................166 Fall 2: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts vor Eintritt der Aufhebungsvoraussetzungen ..............................................................................168 Fall 2a) Die Nichtleistung des Verkäufers ..............................................................168 Fall 2b) Die Nichtleistung des Käufers ...................................................................168 Fall 3: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts vor Erklärung der Aufhebung ....................................................................................................170 Fall 4: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts im Fall des Verlustes des Rechts zur Vertragsaufhebung .....................................................................171 Fall 5: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts im Anschluss an eine endgültige und ernsthafte Erfüllungsverweigerung ............................................172 Fall 5a) Die Möglichkeit zur konkreten Schadensberechnung ................................172 Fall 5b) Die Möglichkeit zur abstrakten Schadensberechnung ...............................172 Fall 6: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsverkaufs im Fall eines drohenden Verzugsschadens ................................................................................................175
Zusammenfassung ...........................................................................................................178 Literaturverzeichnis ........................................................................................................181 Register ...............................................................................................................................189
Einführung in die Problematik A party’s expectation interest will represent the general worth of the contract to that party. Perfect expectation interest will leave an injured party indifferent between performance and non-performance1. Das CISG2 feierte im vergangenen Jahr seinen 25. Geburtstag und zählt gegenwärtig 65 Mitgliedstaaten3. In der Bundesrepublik gilt das CISG seit dem 01.01.1991. Auch in der Praxis erfreut es sich als lingua franca 4 mittlerweile einer immer größeren Beliebtheit und findet weltweit potentiell auf 70 % aller Warenkäufe Anwendung. Es überrascht daher, dass es bis zum heutigen Tage an einer umfassenden wissenschaftlichen Aufarbeitung der Systematik des Schadensersatzrechts in Art. 74-77 CISG fehlt5. Insbesondere die zahlreichen, teils stark divergierenden Entscheidungen, die zu diesem Themenkomplex ergangen sind, lassen erkennen, dass auch ein praktisches Bedürfnis an einer wissenschaftlichen Aufarbeitung dieser Frage besteht. Folgende Entscheidung des Tribunal of International Commercial Arbitration at the Russian Federation Chamber of Commerce vom 16.03.1995 liegt dieser Arbeit zu Grunde6: Ein russischer Verkäufer und ein deutscher Käufer einigten sich über den Verkauf chemischer Produkte. Die Lieferung der Ware durch den Verkäufer sollte spätestens im vierten Quartal des Jahres 1992 erfolgen. Nachdem die Lieferung bis Ende 1992 nicht erfolgt war, forderte der Käufer den Verkäufer mehrfach per Fax auf, diese vorzunehmen. Der Verkäufer reagierte auf keines dieser Schreiben. Im Mai 1993 informierte der Käufer 1 2
Chengwei, Remedies, S. 3. Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11. April 1980, BGBl. 1989, 588 ff. Wegen seiner internationalen Bedeutung üblicherweise auch bezeichnet als CISG (United Nations Convention on Contracts on the International Sale of Goods). 3 . 4 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Vorwort zur 4. Auflage. 5 Auch die CISG-A.C. Opinion No. 6, Calculation of damages under Article 74 (CISG- A.C. Opinion No. 6), schafft hier keine Abhilfe. 6 .
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schließlich den Verkäufer, dass er einen Deckungskauf zu einem im Vergleich zum Vertragspreis deutlich höheren Preis getätigt habe. Mit der Klage vor dem russischen Schiedsgericht begehrt der Käufer Ersatz der ihm entstandenen Mehrkosten. Das Schiedsgericht gab dem Schadensersatzverlangen des Klägers in voller Höhe statt. In der Nichtlieferung liege eine Vertragsverletzung i.S.v. Art. 74 CISG, die kausal und für den Verkäufer vorhersehbar zum Schaden in Höhe des Differenzbetrags geführt habe. Der dem Käufer durch die Mehrkosten des Deckungsgeschäfts entstandene Differenzschaden sei von einem gem. Art. 74 CISG zu ersetzenden Schaden umfasst. Der Verkäufer habe ferner keinen Nachweis dafür erbracht, dass der Käufer sich zu einem niedrigeren Preis hätte eindecken können. Mag das Ergebnis auf den ersten Blick gerechtfertigt erscheinen, ist die Begründung zweifelhaft. So ist es zumindest überraschend, dass das Gericht bei der Berechnung des Umfangs des zu ersetzenden Schadens allein Art. 74 CISG heranzieht, die spezielleren Normen Art. 75 und 76 CISG hingegen nicht einmal erwähnt. Art. 74 CISG gewährt dem Gläubiger Anspruch auf Ausgleich aller Nachteile, die ihm kausal und vorhersehbar durch eine Vertragsverletzung entstanden sind. Art. 75 und 76 CISG enthalten eine spezielle Regelung zur Ersatzfähigkeit der Mehrkosten eines konkreten oder abstrakten Deckungsgeschäfts. Eine ausführlichere Auseinandersetzung des Gerichts mit der Frage der anwendbaren Norm wäre insofern wünschenswert gewesen, als die Voraussetzungen der Art. 75 und 76 CISG eine deutlich höhere Eingriffsschwelle beinhalten als jene des Art. 74 CISG. So setzt der Wortlaut der Art. 75 und 76 CISG die Aufhebung des Vertrags und somit mittelbar das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung voraus. Art. 74 CISG setzt hingegen nur eine einfache Vertragsverletzung voraus. Eine wirksame Aufhebung war im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Bei wortlautgetreuer Anwendung der speziellen Regelung zum Differenzschaden in Art. 75 und 76 CISG hätte die Klage des Käufers abgewiesen werden müssen. Das Schiedsgericht hätte prüfen müssen, ob in diesem Fall überhaupt auf Art. 74 CISG zurückgegriffen werden konnte oder ob das Nichtvorliegen der Voraussetzungen der Art. 75 und 76 CISG einem Rückgriff auf die Grundnorm des Art. 74 CISG im Fall des Differenzschadens entgegensteht. Der Fall bietet Anlass, die Systematik der Schadensersatznormen der Art. 74-76 CISG zu untersuchen. Hierbei ist auch ihr Verhältnis zum Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung näher zu erörtern. Gerade am Beispiel des Differenzschadens wird deutlich, dass beide Rechtsbehelfe, Schadensersatz und Vertragsaufhebung, eng miteinander verknüpft sind. So gestattet das CISG in Art. 75 und 76 CISG dem Gläubiger, seinen Nichterfüllungsschaden anhand des Differenzbetrages aus einem konkreten oder hypothe-
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tischen Deckungsgeschäft zu berechnen. Diese Art der Berechnung knüpft das CISG expressis verbis an eine vorherige Aufhebung des Vertrags. Art. 74 CISG eröffnet dem Gläubiger ebenfalls die Möglichkeit, Ersatz des Erfüllungsinteresses zu verlangen, jedoch ohne dies an eine vorherige Aufhebung zu knüpfen. Fraglich ist somit, ob in den Fällen, in denen eine Aufhebung nicht erfolgte, der Gläubiger gleichwohl in der Lage ist, seinen Differenzschaden gem. Art. 74 CISG zu liquidieren. Auf der einen Seite könnte ein solches Vorgehen eine unzulässige Umgehung der Voraussetzungen der Art. 75 und 76 CISG beinhalten sowie gegen das Prinzip des Erfüllungsvorrangs verstoßen. Auf der anderen Seite könnte in bestimmten Fällen für den Gläubiger eine wirtschaftliche Notwendigkeit bestehen, so vorzugehen. Unter Umständen mag er hierzu aufgrund seiner Pflicht zur Schadensminderung sogar rechtlich verpflichtet sein. Diese Fragen bilden die Kernproblematik des Ausgangsfalls und sind im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu untersuchen. Auch der CISG Advisory Council, ein Gremium hochrangiger Experten aus Lehre und Praxis für Rechtsfragen im CISG, hatte sich im Rahmen seiner sechsten „Opinion“ mit diesen Fragen auseinandergesetzt, ohne sich jedoch zu einer abschließenden Lösung durchringen zu können7. Ziel der Arbeit ist es, eine dogmatisch tragfähige Lösung zu entwickeln, die es den Gerichten ermöglicht, sowohl wirtschaftlich sinnvolle und somit interessensgerechte als auch systematisch kohärente und somit vorhersehbare Entscheidungen zu fällen. Zunächst erfolgt ein grober Überblick über die relevanten Rechtsbehelfe des Gläubigers im CISG; Erfüllung, Schadensersatz und Vertragsaufhebung (Zweiter Teil). Im Anschluss erfolgt die Darstellung des Ersatzes des Differenzschadens im Rahmen der speziellen Normen Art. 75 und 76 CISG (Dritter Teil). Das Hauptanliegen der Arbeit ist die Analyse der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger berechtigt ist, auch im Rahmen des Grundtatbestands des Art. 74 CISG, Ersatz eines etwaigen Differenzschadens zu verlangen. Hierbei sind zunächst die sich stellenden Sachprobleme und in der bisherigen Literatur vertretenen Lösungsansätze zu erörtern. Sodann gilt es, einen eigenen Lösungsansatz zu entwickeln und diesen anhand der maßgeblichen Fallkonstellationen aus Lehre und Rechtsprechung zu überprüfen (Vierter Teil). Die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit sind am Ende zusammenzufassen (Fünfter Teil).
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CISG-AC Opinion No. 6, Opinion Nr. 8, S. 23 ff.
1. Teil
Die Rechtsbehelfe im CISG Jedes vertragsrechtliche Regelungssystem basiert auf dem Prinzip pacta sunt servanda. In einer „perfekten Welt“, in der jeder Mensch, jedes Unternehmen seinen Pflichten nachkäme, wäre zu erwägen, ob ein Vertragsrechtliches Regelungssystem allein mit dieser Regel auskäme. Jede weitere Regel wäre der Bestimmung durch die Parteien überlassen. Allein die Welt ist nicht „perfekt“ und auch ein entsprechend simplifiziertes Regelungssystem müsste sich mit der Frage befassen, welche Konsequenzen eine Nichtbeachtung dieser Regel nach sich zöge und welche rechtlichen Möglichkeiten dem Gläubiger zur Verfügung stünden. Ein vertragsrechtliches Regelungssystem ist somit darauf angewiesen, die dem Gläubiger zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe sowie ihre Voraussetzungen und Rechtsfolgen festzulegen8. Ziel dieses Teils ist es, einen Überblick über die Rechtsbehelfe des Gläubigers im CISG zu geben.
1. Kapitel: Die Systematik der Rechtsbehelfe im CISG Art. 45 CISG beinhaltet eine zusammenfassende Regelung der Rechtsbehelfe des Käufers. Hiernach kann der Käufer entweder die in Art. 46 – 52 CISG vorgesehenen Rechte – Erfüllung, Nacherfüllung, Vertragsaufhebung und Minderung – ausüben oder Schadensersatz gem. Artikel 74 – 77 CISG verlangen. Eine spiegelbildliche Regelung der Rechtsbehelfe des Verkäufers enthält Art. 61 CISG. Hiernach ist der Verkäufer berechtigt, Erfüllung (Art. 62), Vertragsaufhebung (Art. 64) und Schadensersatz (Art. 74-77) zu verlangen9. Zum besseren Verständnis des Verhältnisses von Erfüllung, Schadensersatz und Vertragsaufhebung im CISG ist es zweckmäßig, sich an dieser Stelle zunächst einen Überblick über die Grundzüge und den Regelungsinhalt dieser Rechtsbehelfe zu verschaffen. Um den Rahmen der Arbeit zu wahren, beschränkt sich die Darstellung darauf, einen Überblick über Vor8 Für einen rechtsvergleichenden Überblick über die Rechtsbehelfe des Gläubigers im Vertragsrecht: Treitel, Remedies, S. 1 ff. 9 Karollus, S. 133, spricht trotz der gesetzlichen Regelung etwas missverständlich von „vertraglichen Rechtsbehelfen“.
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1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG
aussetzungen, Rechtsfolgen und Sinn und Zweck der einzelnen Rechtsbehelfe zu geben. Hierbei soll verdeutlicht werden, dass jeder dieser Rechtsbehelfe einem unterschiedlichen Zweck dient und daher an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft ist. Diese verschiedenen Voraussetzungen ermöglichen es, den Anwendungsbereich der Rechtsbehelfe abzugrenzen. Die Konventionsgeber hatten im Rahmen der Vorbereitung des CISG zwei Modelle zur Regelung der Rechtsbehelfe zur Auswahl. Eine Option wäre die Aufteilung der Rechtsbehelfe in einzelne Leistungsstörungstypen gewesen. Stellvertretend für eine solche Konzeption sei auf die Regelung des BGB von 1900 verwiesen. Der deutsche Gesetzgeber hatte die Unmöglichkeit und den Verzug als wichtigste Typen der Leistungsstörung im Allgemeinen Teil des Schuldrechts geregelt. Daneben gab es die Rechtsbehelfe des Käufers im Fall der mangelhaften Leistung im Kaufrecht. Eine allgemeine Regelung der Schlechterfüllung enthielt hingegen weder das Allgemeine Schuldrecht noch das Kaufrecht. Insoweit bedurfte es der richterlichen Rechtsfortbildung in Form der „positiven Vertragsverletzung“ 10. Eine andere Option wäre gewesen, einen einheitlichen Tatbestand der Nichterfüllung zu schaffen, wie sie das angloamerikanische Recht (breach of contract), die einheitlichen Kaufgesetze der skandinavischen Länder (Kontraktsbrott) und das französische Recht (inexécution) vorsehen. Die Konventionsgeber entschlossen sich, eine Regelung zu schaffen, die auf einem einheitlichen Tatbestand der Nichterfüllung (failure to perform) basiert11. Im Vergleich mit der aus dem nationalen Recht bekannten Differenzierung zwischen den Pflichtverletzungen Verzug, Unmöglichkeit und Sachmangel ist diese Lösung vorzuziehen12. Grundgedanke dieser Lösung ist, dass es sich bei den vorgenannten Haftungstatbeständen eben nicht um voneinander losgelöste Rechtsinstitute handelt, die einer separaten Regelung bedürften. Vielmehr liegt ihnen eine gemeinsame Grundstruktur zugrunde, die es rechtfertigt, diese Haftungstatbestände in einem einheitlichen System zusammenzufassen13. Die „Konsolidierung der Rechtsbehelfe“, die auch einen Fortschritt gegenüber der Lösung des Einheitlichen Kaufgesetzes (EKG) darstellt, ist nicht völlig gelungen14. Auch das CISG kommt nicht umhin, eine Diffe10 11
RGZ 52, 18. Die Begriffe der Nichterfüllung (“failure to perform“) und der Vertragsverletzung (“breach of contract“) beinhalten keinen sachlichen Unterschied, v. Caemmerer, Vereinheitlichung des Kaufrechts, S. 264. 12 BT-Drucks. 14/6040, S. 86: „Das Leistungsstörungsrecht des BGB und des CISG führen zu gleichen Ergebnissen. Der Unterschied liegt darin, dass das CISG die Grundprinzipien seines Leistungsstörungsrechts, verständlich, widerspruchsfrei und rechtspolitisch einleuchtend niedergelegt hat.“ 13 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 176. 14 Enderlein/Maskow/Strohbach, Art. 45, Rn. 1.
2. Kapitel: Der Anspruch auf Erfüllung im CISG
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renzierung zwischen Nicht- und Schlechtlieferung sowie zwischen Sachund Rechtsmängeln vorzunehmen.15 Die Notwendigkeit, einer besonderen Ausgestaltung der Sachmängelhaftung ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass das CISG in Aufbau, Struktur und Dogmatik von einem einheitlichen Begriff der Nichterfüllung ausgeht. Die aus den Rechtsordnungen romanistischer Tradition bekannten „tiefen Gräben“ zwischen Erfüllungs-, Sach- und Rechtsmängelhaftung wurden „zugeschüttet“16. Die grundlegende Weichenstellung hinsichtlich der dem Gläubiger zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe trifft das CISG gerade nicht durch eine Differenzierung verschiedener Leistungsstörungstypen, sondern durch die für alle Arten der Verletzung einschlägige Unterscheidung zwischen „wesentlichen“ und „unwesentlichen“ Vertragsverletzungen. Letztere Unterscheidung ist gleichsam die Basis der Analyse des Verhältnisses von Schadensersatz und Vertragsaufhebung. Das Kriterium der Wesentlichkeit ist daher bereits in diesem Teil der Arbeit eingehend zu analysieren. Der Aufbau dieses ersten Teils der Arbeit ist dem so genannten Konzept „gestufter Voraussetzungen“17 des CISG angepasst. Zunächst erfolgt eine Darstellung des Regelungsinhalts des Primärrechtsbehelfs im CISG, des Erfüllungsanspruchs gem. Art. 46 und 62 CISG. Diese Darstellung beinhaltet zugleich eine Analyse der besonderen Ausgestaltung des Erfüllungsanspruchs des Käufers im Fall der Lieferung nicht vertragsgemäßer Ware durch den Rechtsbehelf der Nacherfüllung, in Form der Nachlieferung gem. Art. 46 (2) CISG und der Nachbesserung gem. Art. 46 (3) CISG (2. Kapitel). Anschließend wird der Regelungsinhalt des Sekundärrechtsbehelfs Schadensersatz dargestellt (3. Kapitel). Die Rechtsbehelfe Erfüllung, Nacherfüllung und Schadensersatz stehen dem Schuldner grundsätzlich bei jeder Art der Vertragsverletzung zur Verfügung. Die Darstellung des Rechtsbehelfs der Vertragsaufhebung, der eine wesentliche Vertragsverletzung voraussetzt, erfolgt daher zum Abschluss (4. Kapitel).
2. Kapitel: Der Anspruch auf Erfüllung im CISG Gem. Art. 46 und 62 CISG ist der Gläubiger grundsätzlich berechtigt, in jedem Fall der Vertragsverletzung des Schuldners Erfüllung zu verlangen (§ 1). Eine „Einschränkung“18 dieser Grundregel sehen Art. 46 (2) und 15 16 17
Kranz, Schadensersatzpflicht, S. 100. v. Caemmerer, Vereinheitlichung des Kaufrechts, in SJZ 1981, S. 264. Leser, Strukturen, S. 457: „Die vertikale Stufung [der Rechtsbehelfe im CISG] steht im Gegensatz zur horizontalen Gleichstufigkeit von Schadensersatz und Rücktritt […] im deutschen Recht.“ 18 Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 46, Rn. 17.
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1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG
(3) CISG für den Erfüllungsanspruch des Käufers vor. Im Fall der Lieferung nicht vertragsgemäßer Ware beschränkt sich der Anspruch des Käufers auf ein Recht zur Nacherfüllung (§ 2). Korrespondierend hierzu gewährt das CISG dem Verkäufer ein Recht zur zweiten Andienung (§ 3). § 1 Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers Der Erfüllungsanspruch umfasst die Vornahme aller Handlungen, die der Schuldner aufgrund der gesetzlichen Regelung im CISG, aufgrund der gem. Art. 8 CISG auszulegenden speziellen vertraglichen Vereinbarung und aufgrund von Handelsbräuchen i.S.v. Art. 9 CISG dem Gläubiger schuldet. Zu nennen sind insbesondere die sog. Kardinalpflichten der Parteien eines Kaufvertrags, die Lieferung und Übereignung durch den Verkäufer, Art. 30 CISG, sowie die Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises und Abnahme der Sache durch den Käufer, Art. 53 CISG. Die Erfüllungsansprüche beider Parteien stehen im Synallagma und sind Zug-um-Zug zu erfüllen19. Von besonderem Interesse für die vorliegende Arbeit ist das Verhältnis des Erfüllungsanspruchs zu den übrigen Rechtsbehelfen, die das CISG zu Gunsten des Gläubigers vorsieht. Die parallele Aufzählung der Rechtsbehelfe in Art. 45 und 61 CISG lässt zunächst vermuten, dass es dem Gläubiger im Fall der Vertragsverletzung des Schuldners freigestellt ist, Erfüllung zu verlangen oder zu einem anderen Rechtsbehelf überzugehen20. Dies ist jedoch ein Trugschluss. Das CISG erkennt ebenso wie das EKG und das BGB an, dass der Erfüllungsanspruch der vorrangige Rechtsbehelf ist21. Dies ergibt sich bereits aus seiner systematischen Stellung an der Spitze der Rechtsbehelfe22. Zu beachten ist jedoch, dass die Ausübung des Erfüllungsanspruchs dem materiellen Vorbehalt der Art. 46 (1) Hs. 2 und 62 Hs. 2 CISG unterliegt. Erfüllung ist dann nicht mehr möglich, wenn der Gläubiger bereits einen anderen Rechtsbehelf ausgeübt hat, der mit diesem Verlangen unvereinbar wäre. Zu nennen sind hier die Rechtsbehelfe Vertragsaufhebung und Minderung23. Prinzipiell vereinbar mit dem Erfüllungsanspruch ist hingegen das Verlangen des Gläubigers nach Schadensersatz, Art. 45 und 61 CISG. Besondere Beachtung verdient ferner, dass die gerichtliche Durchsetzung des Erfüllungsanspruchs nach Art. 28 CISG der Einschränkung unterliegt, dass ein Gericht eine Entscheidung auf Erfüllung in natura nur dann treffen muss, wenn es dieses bei gleicher Sachlage auch bei Anwendbarkeit 19 20 21 22 23
Torsello, Remedies, S. 61. Soergel/Lüderitz/Schüßler-Langeheine, Art. 46, Rn. 1. Huber, Rechtsbehelfe, S. 203. Vahle, Der Erfüllungsanspruch des Käufers, in ZVerglRW 1999, S. 54. Botzenhardt, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 54.
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des nationalen Rechts des Forumstaats täte.24 Die Vorschrift des Art. 28 CISG ändert aber nichts am materiellrechtlichen Vorrang des Erfüllungsanspruchs. Auch in den Ländern, deren Rechtsordnung einen Anspruch auf specific performance in der Regel nicht anerkennt, ist der Gläubiger verpflichtet, die Voraussetzungen nachzuweisen, die ihn berechtigen, vom ursprünglichen Erfüllungsanspruch auf einen Sekundärrechtsbehelf überzugehen.25 Erwähnt sei zudem, dass die oft getroffene Verallgemeinerung, Erfüllung werde durch kontinentaleuropäische Gerichte in der Regel gewährt, während angloamerikanische Gerichte nur Schadensersatz zusprächen26, mit Vorsicht zu genießen ist. Der einzig bekannte Fall zum CISG, in dem ein Verkäufer zur Erfüllung verurteilt wurde, wurde durch ein amerikanisches Gericht entschieden27. Sehr strittig ist, ob der Schuldner bei Vorliegen eines Leistungshindernisses zur Erfüllung verpflichtet bleibt. Teilweise wird hier entgegen dem Wortlaut des Art. 79 (5) CISG eine Befreiung des Schuldners angenommen28. Die Gegenauffassung wendet dagegen Art. 28 CISG an und stellt darauf ab, dass in diesen Fällen nationale Gerichte regelmäßig nicht Erfüllung zusprechen würden29. Eine vermittelnde Ansicht möchte Art. 79 CISG allein im Fall der objektiven Unmöglichkeit anwenden, nicht hingegen bei bloß subjektiver Unmöglichkeit30. Nach überzeugender Ansicht ist ein auf etwas objektiv Unmögliches gerichteter Erfüllungsanspruch „evident sinnlos“ und von Art. 46 und 62 CISG erst gar nicht erfasst, impossibilium nulla obligatio est 31. Eines Rückgriffs auf Art. 79 CISG bedarf es nicht. Das bloße subjektive Unvermögen des Schuldners hingegen lässt einen materiellen Erfüllungsanspruch aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Art. 79 (5) CISG unberührt. Die Frage der prozessualen Durchsetzbarkeit richtet sich in diesem Fall gem. Art 28 CISG nach nationalem Recht32. 24
Vahle, Der Erfüllungsanspruch des Käufers, in ZVerglRW 1999, S. 62: „Diese Vorschrift stellt einen Kompromiss her zwischen kontinentalem Recht und Common Law.“ 25 Huber, Rechtsbehelfe, S. 203; Schlechtriem, Einheitliches UN-Kaufrecht, S. 51. 26 Torsello, Remedies, S. 66. 27 Magellan International v. Salzgitter Handel, U.S. Federal District Court, 76 Fed. Suppl. 2d 919. 28 Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 46, Rn. 9. 29 Herber/Czerwenka, Art. 79, Rn. 23; Lautenbach, Haftungsbefreiung, S. 71. 30 Soergel/Lüderitz/Schüßler-Langeheine, Art. 46, Rn. 15; Staudinger/Magnus, Art. 79, Rn. 59. 31 Ausführlich zur Frage der Unmöglichkeit: Bach/Stieber, Unmöglichkeit, in IHR 2006, S. 59 ff.; Karollus, S. 141. 32 Enderlein/Maskow/Strohbach, Art. 62, Rn. 1; Honnold, Rn. 195 ff.; Ziegel, Remedial Provisions, S. 9 f.
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§ 2 Der Nacherfüllungsanspruch des Käufers Im Fall der Lieferung nicht vertragsgemäßer Ware wandelt sich der ursprüngliche Erfüllungsanspruch des Käufers in einen Anspruch auf Nacherfüllung. Der Käufer hat nunmehr das Recht, Nachbesserung gem. Art. 46 (3) CISG (I) oder Ersatzlieferung gem. Art. 46 (2) CISG zu verlangen (II). Diese beiden Ansprüche sind neben dem Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen des Erfüllungsanspruchs an das kumulative Vorliegen weiterer Voraussetzungen geknüpft. Zweck dieser zusätzlichen Anforderungen ist es, eine wirtschaftlich sinnvolle, d.h. möglichst kostenextensive Vertragsdurchführung zu garantieren33. Sowohl Art. 46 (2) CISG als auch Art. 46 (3) CISG enthalten im Grunde eine Beschränkung des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs des Käufers gem. Art. 46 (1) CISG34. Dem eindeutigen Wortlaut der Norm zufolge kommt eine solche Einschränkung nur im Fall der Lieferung „nicht vertragsgemäßer Ware“ in Betracht. Keine Anwendung findet diese Einschränkung daher unstreitig bei Nicht-, Spät- oder Minderlieferungen35. Strittig ist hingegen, ob die Vorschrift nur bei Vorliegen eines Sachmangels oder auch bei Vorliegen eines Rechtsmangels Anwendung findet36. Der explizite Verweis in Art. 46 (2) CISG auf Art. 39 CISG spricht für die Beschränkung auf Sachmängel. Andernfalls hätte die Norm auch auf die Vorschrift des Art. 43 CISG, der die Rügepflicht für Rechtsmängel regelt, Bezug nehmen müssen. Ferner spricht für diese Ansicht, dass bei Sachmängeln eine weitere Verwendung der Sache in Betracht kommt, während dies bei Rechtsmängeln in der Regel nicht der Fall ist37. Sowohl der Nachlieferungs- als auch der Nachbesserungsanspruch setzen voraus, dass der Gläubiger sie entweder gleichzeitig mit oder in angemessener Frist nach Erhebung der Mängelrüge i.S.v. Art. 39 CISG geltend macht. Zweck dieser Frist ist, dem Verkäufer Klarheit darüber zu verschaffen, welchen der in ihren Rechtsfolgen sehr verschiedenen Rechtsbehelfe der Käufer geltend machen möchte, und ihm so zu ermöglichen, die entsprechenden Dispositionen zu treffen38. Bei Vorliegen der Voraussetzungen beider Arten der Nacherfüllung besteht ein Wahlrecht des Käufers39. 33 34 35 36 37 38 39
Schlechtriem/Huber, Art. 46, Rn. 20; Staudinger/Magnus, Art. 46, Rn. 10. Torsello, Remedies, S. 63. Soergel/Lüderitz/Schüßler-Langeheine, Art. 46, Rn. 2. Herber/Czerwenka, Art. 46, Rn. 6; Neumayer/Ming, Art. 46, Rn. 8. Karollus, S. 136; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 184. MK/Huber, Art. 46, Rn. 34; Schlechtriem/Huber, Art. 46, Rn. 52. MK/Huber, Art. 46, Rn. 44; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 186, der aber darauf hinweist, dass dies aufgrund der verschiedenen Voraussetzungen praktisch sehr selten der Fall sein wird.
2. Kapitel: Der Anspruch auf Erfüllung im CISG
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I. Der Ersatzlieferungsanspruch des Käufers Der Anspruch auf Ersatzlieferung umfasst den Austausch der vertragswidrigen Ware gegen vertragsgemäße Ware. Rechtsfolge des Ersatzlieferungsanspruchs ist somit wie im Fall der Vertragsaufhebung die teilweise Rückabwicklung der ausgetauschten Leistungen und die erneute Vornahme der Lieferung durch den Verkäufer. Diesen treffen sowohl die anfallenden Transportkosten als auch das Transportrisiko, da die mangelfreie Erfüllung bereits durch Zahlung des Kaufpreises abgegolten war40. Es wäre aber unbillig, wenn der Verkäufer Transportkosten und -risiko zu tragen hätte, obgleich der Qualitätsmangel der gelieferten Ware nicht so gravierend war, dass der Käufer kein Interesse an der erhaltenen Ware hatte41. Folgerichtig setzt der Ersatzlieferungsanspruch das Vorliegen einer „wesentlichen Vertragsverletzung“ i.S.v. Art. 25 CISG voraus. Gem. Art. 25 CISG kommt es für die Frage der Wesentlichkeit darauf an, ob der konkrete Vertrag dem Fehlen eines bestimmten Mangels besondere Bedeutung zumisst und ob dem Interesse des Käufers auch durch Nachbesserung, Minderung oder Schadensersatz gedient werden kann. Ähnlich wie die Rückabwicklung im Fall der Vertragsaufhebung erfolgt die Ersatzlieferung nur Zug-um-Zug gegen Rückgabe der mangelhaften Ware42. Gem. Art. 82 (1) CISG ist der Ersatzlieferungsanspruch daher dann ausgeschlossen, wenn der Käufer zur Rückgabe der Sache in ihrem ursprünglichen Zustand außerstande ist und keine der in Art. 82 (2) CISG normierten Ausnahmen in Betracht kommt. II. Der Nachbesserungsanspruch des Käufers Unter Nachbesserung i.S.v. Art. 46 (3) CISG versteht man jede Form der Mängelbeseitigung, die nicht einen Austausch der vertraglich geschuldeten Ware beinhaltet, wie z.B. die Reparatur oder der Austausch schadhafter Teile der Ware43. Anders als bei der Ersatzlieferung scheinen auf den ersten Blick somit keine Transportkosten anzufallen. Konsequenterweise wird der Anwendungsbereich der Nachbesserung somit unabhängig von der Frage bestimmt, ob der Mangel eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt. Der Anspruch auf Nachbesserung ist nur dann ausgeschlossen, wenn diese dem Verkäufer nicht zuzumuten ist. Die Unzumutbarkeit für den Verkäufer ist mittels einer wertenden Betrachtung objektiv zu bestimmen. Sie kann
40 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 187; Staudinger/Magnus, Art. 46, Rn. 38. 41 Karollus, S. 137; Soergel/Lüderitz/Schüßler-Langeheine, Art. 46, Rn. 4. 42 Leser, Vertragsaufhebung und Rückabwicklung, S. 242. 43 MK/Huber, Art. 46, Rn. 50.
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1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG
sich auf technische Schwierigkeiten der Reparatur, die Nichtbehebbarkeit des Mangels oder die Unverhältnismäßigkeit der Kosten beziehen44. Der Begriff der „Unzumutbarkeit“ enthält m.E. auch den Ansatz zur Lösung der Frage, ob hinsichtlich der Lieferung der zur Reparatur benötigten Ersatzteile Art. 46 (3) CISG Anwendung findet. Schließlich besteht auch hier, wie im Fall der Ersatzlieferung, die Gefahr, dass den Verkäufer erhebliche Transportkosten treffen. So erlaubt ein richtiges Verständnis des Begriffs der „Unzumutbarkeit“ ohne weiteres, die zur Bestimmung der „Wesentlichkeit“ heranzuziehenden Kriterien auch im Rahmen von Art. 46 (3) CISG fruchtbar zu machen45. Fehlt es an einer wesentlichen Vertragsverletzung, ist eine Nachbesserung dem Verkäufer nicht zuzumuten. § 3 Das Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung Im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erfüllungsanspruch des Käufers steht das Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung gem. Art. 48 CISG46. Dieses erstreckt sich auf jede Form der Nichterfüllung der Verkäuferpflichten47. Eine Einschränkung erfährt dieses Recht des Verkäufers durch das Erfordernis der Zumutbarkeit. So darf die Nacherfüllung weder eine unzumutbare Verzögerung noch unzumutbare Unannehmlichkeiten oder Ungewissheit über die Erstattung seiner Auslagen für den Käufer mit sich bringen. Auf diese einschränkenden Voraussetzungen des Art. 48 (1) CISG kommt es nicht an, wenn eine „Vereinbarung“ der Nacherfüllung i.S.v. Art. 48 (2-4) CISG vorliegt48. Die Art der Behebung steht im Belieben des Verkäufers. Dieser trägt schließlich auch im vollen Umfang die Kosten49. Sehr strittig ist das Verhältnis des Nacherfüllungsrechts des Verkäufers zu den Rechtsbehelfen des Käufers. Die Frage ist deshalb so kompliziert, da der Verkäufer durch Geltendmachen des Rechts zur Nacherfüllung in der Lage ist, bestimmten Rechtsbehelfen des Käufers die rechtliche und tatsächliche Grundlage zu entziehen. Daher ist die Darstellung der Rechtsbehelfe des Käufers ohne eine zumindest grobe Darstellung des Rechts zur Nacherfüllung nicht möglich. Der gewählten Struktur folgend, ist das Verhältnis des Nacherfüllungsrechts des Verkäufers zum Erfüllungsanspruch des Käufers (I), zum Anspruch des Käufers auf Schadensersatz (II) und zum Recht des Käufers zur Vertragsaufhebung (III) darzustellen. 44 45 46 47 48 49
Bianca/Bonell/Will, Art. 46, Rn. 2.2.2; Kranz, Schadensersatzpflicht, S. 103. Vgl. OLG Hamm vom 09.06.1995, CISG-online 146; ähnlich Karollus, S. 137. Reinhart, Art. 48, Rn. 3. Witz/Salger/Lorenz, Art. 48, Rn. 1. Karollus, S. 145. Herber/Czerwenka, Art. 48, Rn. 2.
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I. Das Verhältnis zum Erfüllungsanspruch des Käufers Das Nacherfüllungsrecht des Verkäufers gem. Art. 48 CISG ist die Kehrseite des Nacherfüllungsanspruchs des Käufers gem. Art. 46 (2) und (3) CISG. Ziel ist jeweils die Sicherung der ordnungsgemäßen Erfüllung durch den Verkäufer. Ein Konkurrenzverhältnis beider Rechtsbehelfe scheint daher zunächst nicht denkbar50. Ein Konkurrenzverhältnis ist jedoch in den Fällen denkbar, in denen sowohl die Voraussetzungen des Anspruchs des Käufers auf Ersatzlieferung als auch die des Anspruchs auf Nachbesserung vorliegen. In diesem Fall hätte der Käufer nach der Regelung des Art. 46 CISG ein Wahlrecht. Fraglich ist jedoch, ob das Recht des Verkäufers zur Nacherfüllung nach seiner Wahl in diesem Fall nicht einem Wahlrecht des Käufers entgegensteht. Hierfür spricht vor allem der Wortlaut des Art. 48 CISG, der das Recht des Verkäufers allein unter den Vorbehalt des Rechts zur Vertragsaufhebung stellt und eben keinen Vorbehalt zu Gunsten des Anspruchs des Käufers auf Ersatzlieferung oder Nachbesserung vorsieht51. Nach anderer Auffassung widerspricht eine solche einschränkende Interpretation dem Zweck des Vorbehalts. Im Fall einer wesentlichen Vertragsverletzung könne sich der Verkäufer gerade nicht auf sein Recht zur Nacherfüllung berufen, unabhängig davon, ob der Käufer Vertragsaufhebung oder Ersatzlieferung begehrt52. Der Wortlaut des Art. 48 CISG ist eindeutig. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass sowohl die Ersatzlieferung als auch die Vertragsaufhebung eine wesentliche Vertragsverletzung voraussetzen. Diese Überlegung wäre nur dann ausschlaggebend, wenn Art. 48 CISG einen Vorbehalt zu Gunsten des Art. 25 CISG vorsehen würde53. Auch in der Sache ist die Differenzierung zwischen Vertragsaufhebung und Ersatzlieferung keine „merkwürdige Konsequenz“54. Das Nacherfüllungsrecht des Verkäufers ist wie das Verlangen des Käufers nach Ersatzlieferung letztlich auf ordnungsgemäße Erfüllung gerichtet. Allein daher trägt der Vergleich zur Vertragsaufhebung nicht. Vielmehr erscheint es richtig, dass im Fall eines wesentlichen Vertragsbruchs der Käufer sich zunächst entscheiden kann, ob er vom Vertrag Abstand nimmt oder durch das Verlangen nach Nacherfüllung an ihm festhält. Ist letzteres der Fall, ist es jedoch sinnvoll, den sachkundi-
50 51 52 53
Karollus, S. 143; Welser, Die Vertragsverletzungen, S. 125. Karollus, S. 143; Schlechtriem/Huber, Art. 48, Rn. 9. Herber/Czerwenka, Art. 48, Rn. 11; Staudinger/Magnus, Art. 48, Rn. 32. Es bedarf daher auch nicht der unterschiedlichen Interpretation des Wesentlichkeitsbegriffs, Karollus, Vertragsaufhebung und Nacherfüllungsrecht, in ZIP 1993, S. 495. Zutreffend daher: MK/Huber, Art. 48, Rn. 31. 54 Soergel/Lüderitz/Schüßler-Langeheine, Art. 48, Rn. 6.
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geren Verkäufer mit der Wahl der richtigen Nacherfüllungsart zu betrauen. Der Käufer ist hierbei über den Begriff der Zumutbarkeit geschützt. II. Das Verhältnis zum Schadensersatzanspruch des Käufers Das CISG enthält keine explizite Regelung des Konkurrenzverhältnisses des Schadensersatzrechts des Käufers und des Nacherfüllungsrechts des Verkäufers. Art. 50 S. 2 CISG regelt allein das Verhältnis des Nacherfüllungsrechts des Verkäufers zum Minderungsrecht des Käufers. Auch Art. 48 (1) S. 2 CISG ist insofern nicht einschlägig, da diese Bestimmung nur für solche Schäden gilt, die auch durch die nachträgliche Erfüllung nicht mehr zu beseitigen sind und bei denen sich ein Konkurrenzverhältnis zum Nacherfüllungsrecht gerade nicht stellt55. Die überwiegende Ansicht überträgt die Regelung des Art. 50 S. 2 CISG zu Recht insoweit auf das Verhältnis zum Schadensersatzanspruch, als sie auch hier vom Vorrang des Nacherfüllungsrechts ausgeht56. Solange das Recht zur Nacherfüllung besteht, ist der Käufer sowohl gehindert, den Minderwert der Ware im Wege des Schadensersatzes geltend zu machen, als auch den Schaden selbst zu beheben und Ersatz der Kosten zu verlangen57. An dieser Stelle werden erneut der Vorrang des Erfüllungsanspruchs und das Primat der Vertragsdurchführung deutlich. Der Grundsatz pacta sunt servanda beinhaltet eben auch die Verpflichtung des Käufers, dem Verkäufer die wirtschaftlich sinnvolle und kostengünstigere Möglichkeit der zweiten Andienung zu gewähren, bevor er zum Rechtsbehelf des Schadensersatzes übergeht. III. Das Verhältnis zum Recht der Vertragsaufhebung des Käufers Das Verhältnis von Nacherfüllungsrecht und Vertragsaufhebung betrifft eine Kernfrage des Gewährleistungsrechts: Ist der Käufer bei einer Vertragsverletzung des Verkäufers unmittelbar zur Abstandnahme vom Vertrag berechtigt oder sollte der Verkäufer die Chance zu einem oder mehreren weiteren Erfüllungsversuchen erhalten58? Zur Lösung dieser „klassischen Streitfrage des CISG“59 werden zahlreiche Ansätze vertreten60. Der Wortlaut des CISG scheint zunächst eindeutig. Art. 48 (1) CISG gewährt dem Verkäufer zwar das Recht zur Nacherfüllung, jedoch nur vorbehaltlich des Art. 49 CISG, d.h. vorbehaltlich des Rechts der Vertragsauf55 56 57 58 59
Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 48, Rn. 21. Karollus, Vertragsaufhebung und Nacherfüllungsrecht, in ZIP 1993, S. 491. Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 48, Rn. 21. Karollus, Vertragsaufhebung und Nacherfüllungsrecht, in ZIP 1993, S. 490. Fountoulakis, Das Verhältnis von Nacherfüllungsrecht und Vertragsaufhebungsrecht, in IHR 2004, S. 160. 60 Vgl. hierzu die sehr ausführliche Darstellung bei MK/Huber, Art. 49, Rn. 21 ff.
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hebung des Käufers. Daher besteht kein Zweifel, dass bei einer zu Recht erklärten Vertragsaufhebung der Verkäufer nicht mehr zur Nacherfüllung berechtigt ist61. Richtigerweise führt aber bereits das Recht zur Vertragsaufhebung dazu, dass der Verkäufer sein Nacherfüllungsrecht verliert62. Es kann keinen Unterschied machen, ob zuerst der Verkäufer Bereitschaft zur Nacherfüllung signalisiert oder der Käufer die Aufhebung des Vertrags erklärt63. Das Verhältnis beider Rechtsbehelfe ist aber auch bei diesem Verständnis nur scheinbar geklärt64. Unbeantwortet bleibt die Frage, inwiefern die Möglichkeit zur Nacherfüllung bereits die Voraussetzungen des Rechts zur Vertragsaufhebung entfallen lässt, indem sie die Wesentlichkeit der Vertragsverletzung ausschließt oder zumindest suspendiert65. Einer Ansicht zufolge hat die Behebbarkeit eines Sachmangels weder Auswirkungen auf das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung noch auf ein eventuelles Vertragsaufhebungsrecht des Käufers66. Hierfür spreche vor allem der Wortlaut des Art. 25 CISG, demzufolge allein die Folgen eines Vertragsbruchs, d.h. eines unbehobenen Mangels, über das Vorliegen des Wesentlichkeitskriteriums entscheiden. Folgte man diesem äußerst käuferfreundlichen Ansatz, wäre der Käufer auch bei evidenter Behebbarkeit des Mangels berechtigt, den Vertrag aufzuheben. Mit der Intention der Konventionsgeber die Vertragsaufhebung nur als ultima ratio zuzulassen, ist diese Ansicht indes nicht zu vereinbaren67. Nach der Gegenauffassung, ist die Frage der Behebbarkeit stets zu berücksichtigen68. Sei eine Nachbesserung oder Nachlieferung möglich, so liege es in der Hand des Verkäufers, durch ein entsprechendes Angebot der Nacherfüllung die Aufhebung des Vertrags zu vermeiden. Allein in den Fällen, in denen aus der hiermit verbundenen Verzögerung ein entscheidender Nachteil zu Lasten des Käufers entstünde, bestehe ein sofortiges Aufhebungsrecht des Käufers.
61 62
Heuzé, Rn. 422; Ziegel, Remedial Provisions, S. 9 ff. Staudinger/Magnus, Art. 48, Rn. 22 f.: Die Formulierung des New Yorker Entwurfs “unless the buyer has declared the contract avoided“ wurde auf der Wiener Konferenz durch die Formulierung, “subject to Art. 49“ ersetzt. 63 Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 48, Rn. 17. 64 Karollus, Vertragsaufhebung und Nacherfüllungsrecht, in ZIP 1993, S. 491: „Die dunkle Verweisung auf Art. 49 löst die Frage nicht, sondern verlagert sie nur auf die Voraussetzungen der Vertragsaufhebung.“ 65 Schlechtriem/Schwenzer/Schlechtriem, Art. 25, Rn. 20. 66 Holthausen, Wesentliche Vertragsverletzung, in RIW 1990, S. 298 f.; Ziegel, Remedial Provisions, S. 9-22 f. 67 Honnold, Rn. 296. 68 O.R., S. 40; Herber/Czerwenka, Art. 48, Rn. 9; Honnold, Rn. 296.
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Überzeugend ist eine dritte, differenzierende Ansicht69. Ihr zufolge ist die Behebbarkeit eines Mangels grundsätzlich bei der Entscheidung über die Wesentlichkeit zu berücksichtigen. Kann ein Mangel auf zumutbare Art und Weise durch Nachbesserung oder Nachlieferung behoben werden, liegt eine zur sofortigen Vertragsaufhebung berechtigende wesentliche Vertragsverletzung nicht vor. Etwas anderes kann sich jedoch im Einzelfall aufgrund der konkreten Umstände oder der vertraglichen Vereinbarung ergeben70. Diese Lösung ist zum einen mit Wortlaut und Systematik zu vereinbaren, zum anderen dient sie dem wirtschaftlich sinnvollen Bestreben der Vertragsaufrechterhaltung. § 4 Zusammenfassung Der Erfüllungsanspruch ist im CISG als Rechtsbehelf konstruiert. Der Gläubiger hat Anspruch auf die Vornahme der vertraglich oder gesetzlich geschuldeten Leistung durch den Schuldner. Dies gilt auch im Fall einer wesentlichen Vertragsverletzung des Schuldners. Anders als im Common Law hat der Schuldner nicht die Möglichkeit, sich durch Leistung von Geldersatz seiner Pflicht zur Erfüllung in natura zu entziehen (sich loszukaufen). Eine gerichtliche Durchsetzung des Erfüllungsanspruchs ist jedoch nur dann möglich, wenn das zuständige Gericht auch im hypothetischen Falle der Anwendung nationalen Rechts dem Verlangen nach Erfüllung in natura stattgeben könnte. Im Fall der Lieferung sachmängelbehafteter Ware wandelt sich der ursprüngliche Erfüllungsanspruch des Käufers in einen Nacherfüllungsanspruch um. Die Variante der Ersatzlieferung kann der Käufer nur bei Vorliegen einer „wesentlichen Vertragsverletzung“ verlangen. Nachbesserung kann der Käufer im Fall der Zumutbarkeit für den Verkäufer verlangen. Bei Vorliegen beider Ansprüche besteht ein Wahlrecht des Käufers, welches wiederum durch das Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung eingeschränkt wird. Der Erfüllungsanspruch ist der primäre Rechtsbehelf im CISG. Zu Schadensersatz und Vertragsaufhebung ist der Gläubiger nur berechtigt, wenn ein weiteres Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. Zweck dieser Stärkung des Erfüllungsanspruchs ist zum einen der Vorrang des Vertrags, pacta sunt servanda. Die Durchführung der vertraglichen Leistungen, sei es auch im Wege der Nachbesserung, ist der wirtschaftlich günstigere Weg der Vertragsabwicklung. Die im Fall der Vertragsaufhebung oder der Ersatzlieferung entstehenden Kosten der Rückabwicklung erbrachter Leis69 70
Botzenhardt, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 210 ff. Vgl. hierzu die Beispiele in MK/Huber, Art. 48, Rn. 28: Fixgeschäft, Vertrauensverlust in Kompetenz des Verkäufers und Verpflichtung zur Lieferung einer unbehandelten Sache.
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tungen werden vermieden. Die Absicherung des Vorrangs der Erfüllung erfolgt durch die Festlegung erhöhter Voraussetzungen für den Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung und Ersatzlieferung sowie durch die Normierung eines Rechts des Verkäufers zur zweiten Andienung. Letzteres beschränkt die Rechtsbehelfe des Käufers. Dies gilt bei richtigem Verständnis trotz des Vorbehalts in Art. 48 CISG auch für das Recht des Käufers zur Vertragsaufhebung. Besteht nämlich eine dem Käufer zumutbare Möglichkeit der Nacherfüllung, so fehlt es an einer wesentlichen Vertragsverletzung, die es dem Käufer gestatten würde, sich vom Vertrag zu lösen.
3. Kapitel: Der Anspruch auf Schadensersatz im CISG Zentrale Norm des Schadensersatzrechts ist Art. 74 CISG. Der Gläubiger ist berechtigt, den Ersatz des ihm durch die Vertragsverletzung des Schuldners kausal und vorhersehbar entstandenen Verlusts zu verlangen. Auf den ersten Blick regelt der Wortlaut des Art. 74 CISG somit sowohl die Voraussetzungen als auch den Umfang der Schadensersatzhaftung. Dieses Verständnis widerspricht jedoch der Systematik des CISG. Zwar ist es richtig, dass dieser Rechtsbehelf „in wenigen zentralen Bestimmungen und einheitlich für alle denkbaren Fälle geregelt ist“71, aber nicht in nur einer einzigen Norm. Vergleichbar zur Regelungstechnik des deutschen Rechts trennt auch das CISG zwischen Anspruchsgrundlage (§ 1), Entlastungsmöglichkeiten des Schuldners (§ 2) sowie Bestimmungen zum Haftungsumfang (§ 3). § 1 Die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs Zunächst ist festzuhalten, dass nicht Art. 74 CISG, sondern Art. 45 und 61 CISG die einschlägigen Anspruchsgrundlagen für ein Schadensersatzbegehren des Käufers bzw. Verkäufers bilden72. Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs ist allein die „Nichterfüllung“ einer dem Schuldner nach dem Vertrag oder dem Übereinkommen obliegenden Pflicht. Der Begriff der „Vertragsverletzung“ des Art. 74 CISG ist eine bloße und nur terminologisch abweichende Wiederholung dieser Voraussetzung. Inhaltlich stimmen die Begriffe “Vertragsverletzung“ und „Nichterfüllung“ überein73. Der Begriff der „Nichterfüllung“ umfasst jede Form der objektiven Nichtvornahme einer gesetzlichen oder vertraglichen Pflicht74. Nicht ent-
71 72 73 74
Stoll, Inhalt und Grenzen der Schadensersatzpflicht, S. 257. Cohen, Achieving a Uniform Law, Rn. 3.1. Scheifele, S. 110; Soergel/Lüderitz/Dettmeier, Art. 74, Rn. 2; Vischer, S. 174. Schlechtriem/Stoll, Art. 74, Rn. 7.
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scheidend ist, ob die Nichterfüllung zeitweilig oder dauerhaft ist75. Auch die Art der verletzten Pflicht, Neben- oder Hauptpflicht, ist irrelevant, sofern sie im Zusammenhang mit der Vertragsdurchführung steht. Insbesondere kommt es anders als bei der Vertragsaufhebung nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 74 CISG nicht darauf an, ob die Vertragsverletzung wesentlich war76. Die Nichterfüllung einer außervertraglichen allgemeinen Verhaltens- oder Verkehrssicherungspflicht fällt dagegen nicht unter Art. 74 CISG77. Ebenso wenig ist die Verletzung einer bloßen Obliegenheit ausreichend. Die Verletzung einer Obliegenheit (Art. 77, 38, 39 CISG) durch den Schuldner führt lediglich zu einer Verschlechterung seiner eigener Rechtsposition. Sie berechtigt den Gläubiger nicht, hieraus eigene Ansprüche abzuleiten78. Strittig ist, ob der Gläubiger bereits bei einer drohenden Vertragsverletzung zum Schadensersatz berechtigt ist79. Zu unterscheiden ist zwischen der bloß „drohenden“ und der „vorzeitigen“ Vertragsverletzung. Im Fall der drohenden Vertragsverletzung ist dem Schuldner ein konkretes Fehlverhalten nicht vorzuwerfen. Somit besteht auch kein Recht des Gläubigers auf Schadensersatz. Die vorzeitige Vertragsverletzung hingegen ist eine besondere Form der Nichterfüllung, die in Art. 72 CISG geregelt ist. Die Tatsache, dass Art. 77 EKG für diesen Fall noch ausdrücklich die Schadenersatzpflicht des Schuldners normierte, Art. 72 CISG aber nicht, steht einem Schadensersatzanspruch nach richtigem Verständnis nicht entgegen. Vielmehr ist es ein allgemeines Prinzip des Übereinkommens, dass in allen Fällen der Vertragsverletzung Schadensersatz geschuldet wird80. Unstrittig gilt dies im Fall der vorzeitigen Erfüllungsverweigerung i.S.v. Art. 72 (3) CISG81. Der Anspruch auf Schadenersatz des Gläubigers setzt grundsätzlich kein Verschulden voraus. Die verschuldensunabhängige Haftung entspringt dem angloamerikanischen Recht und dem dort verankerten Prinzip der Garantiehaftung82. Dieses sieht im Eingehen einer Verpflichtung durch den Schuldner die Abgabe eines Garantieversprechens mit dem Inhalt, den Gläubiger im Fall der Nichterfüllung der Pflicht zu entschädigen83. Das Prinzip der Garantiehaftung stellt letztlich die konsequente Weiterführung der Privatautonomie dar. Diese umfasst zum einen die Abschlussfreiheit, 75 76 77 78 79 80 81 82 83
Audit, Vente International, Rn. 171; Weber, Vertragsverletzungsfolgen, S. 193. Botzenhardt, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 66. MK/Huber, Art. 74, Rn. 5; Schlechtriem/Stoll, Art. 74, Rn. 10. Achilles, Art. 74, Rn. 2; Piltz, Internationales Kaufrecht, Rn. 424. Ablehnend: MK/Huber, Art. 74, Rn. 5; Schlechtriem/Stoll, Art. 74, Rn. 7. Botzenhardt, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 66. Leser, Erfüllungsverweigerung, S. 651; Stoll, Erfüllungsverweigerung, S. 622. Staudinger/Magnus, Art. 74, Rn. 5. Treitel, The Law of Contract, S.746 ff.
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d.h. im Positiven die Freiheit, eine vertragliche Verpflichtung mit einem beliebigen Vertragspartner einzugehen, und im Negativen die Freiheit, hiervon Abstand zunehmen. Zum anderen erfasst sie die Inhaltsfreiheit, d.h. die Freiheit der Parteien sich zu jedweder Leistung zu verpflichten. Der weite Spielraum, den die Privatautonomie den Parteien überlässt, erfordert als Korrelat einen verstärkten gesetzlichen Schutz. So erlaubt die Eingehung einer vertraglichen Bindung der einen Partei, auf die Rechtsgüter der anderen Partei einzuwirken. Diese Rechtsgüter sind daher zu schützen. Der Vertragspartner muss darauf vertrauen können, dass die vertraglichen Verpflichtungen eingehalten werden, und er muss die Möglichkeit haben, dieses Vertrauen auch gerichtlich durchzusetzen. Dieses Ziel erreicht man durch die Gewährung eines verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruchs des Gläubigers. § 2 Die Entlastungsmöglichkeiten des Schuldners Die „notwendige Korrektur“ der Garantiehaftung84 erfolgt durch die Entlastungsregeln der Art. 79 (I) und 80 CISG (II)85. Beide Vorschriften basieren auf dem Grundgedanken, dass der Schuldner nicht für die Nichterfüllung seiner vertraglichen und gesetzlichen Pflichten in Anspruch genommen werden kann, sofern diese außerhalb seines Verantwortungs- und Risikobereichs liegen. In gewisser Weise nähert sich das CISG auf diesem Wege doch wieder dem im kontinentaleuropäischen Raum vorherrschenden Prinzip der Verschuldenshaftung an. Eine weitere Eingrenzung der Haftung des Schuldners erfolgt durch Normierung einer Pflicht des Gläubigers zur Schadensminderung in Art. 77 CISG (III). I. Der Regelungsinhalt des Art. 79 CISG Art. 79 CISG ist Ausdruck der allgemeinen Regel der Haftungsbefreiung im Fall der force majeure86. Voraussetzung ist, dass der Schuldner beweist, dass die „Nichterfüllung“ auf einem außerhalb seines Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und er diesen weder in Betracht ziehen noch vermeiden konnte. Erstens muss somit ein Hinderungsgrund vorliegen, der außerhalb des schuldnerischen Einflussbereichs liegt. Dieses Kriterium ist objektiv87 und anhand der vertraglichen Risikoverteilung zu bestimmen, die die Parteien bei Vertragsschluss vorgenommen haben88. Diese wiederum bestimmt sich anhand einer umfassenden Interpretation der vertraglichen Vereinbarung 84 85 86 87 88
Rathjen, Haftungsentlastungen, in RIW 1999, S. 561; Vischer, S. 174 f. Kranz, Schadensersatzpflicht, S. 190. Staudinger/Magnus, Art. 79, Rn. 2. Bartels/Motomura, Haftungsprinzip, in RabelsZ 1979, S. 664. Kranz, Schadenersatzpflicht, S. 192; Witz/Salger/Lorenz, Art. 79, Rn. 3.
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1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG
gem. Art. 8 CISG. Zu beachten ist, dass den Schuldner ein bestimmter „typischer Verantwortungsbereich“ trifft89. Folgerichtig obliegt es ihm zu beweisen, dass ausnahmsweise der Hinderungsgrund nicht diesem Verantwortungsbereich zuzuordnen ist. Zweite Voraussetzung ist, dass der Schuldner den Hinderungsgrund weder auf zumutbare Weise vermeiden noch durch Ausweichen auf eine andere Leistungsmodalität überwinden konnte90. Für die Frage, welche Anstrengungen insofern vom Schuldner zu erwarten sind, ist wiederum der Inhalt des Vertrags entscheidend91. Drittens setzt Art. 79 CISG voraus, dass eine verständige Partei bei Vertragschluss den Hinderungsgrund nicht vorhergesehen hätte. Dies entspricht dem Verständnis der ökonomischen Analyse des Rechts, demzufolge am besten derjenige das Risiko tragen sollte, der es „abstrakt“ beherrschen und daher am ehesten vermeiden kann. Dies setzt aber naturgemäß zunächst die Kenntnis des Risikos voraus92. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der Schuldner gem. Art. 79 (5) CISG gleichwohl nur von seiner Pflicht zum Schadensersatz befreit. Eine Befreiung von der ursprünglichen Leistungspflicht schließt der eindeutige Wortlaut dagegen aus93. Ergänzt wird Art. 79 (1) CISG durch Art. 79 (2) CISG, der klarstellt, dass sich der Schuldner nicht durch die Übertragung von Leistungspflichten an Dritte entlasten kann. Art. 79 (2) CISG gilt jedoch nur bei der Einschaltung sog. selbständiger Dritter, z.B. Subunternehmer. Für das Verschulden von Angestellten und bei der Einschaltung unselbständiger Hilfspersonen kann sich der Schuldner dagegen nie gem. Art. 79 (1) CISG entlasten. Diese sind Teil des vom Schuldner kontrollierten Herrschafts- und Verantwortungsbereichs94. Art. 79 (3) CISG stellt klar, dass die Befreiung des Schuldners nur für die tatsächliche Dauer des Leistungshindernisses eintritt. Art. 79 (4) CISG beinhaltet schließlich die Verpflichtung des Schuldners, dem Gläubiger den Hinderungsgrund innerhalb einer angemessenen Frist mitzuteilen. Andernfalls haftet der Schuldner für jeden aus dem Nichterhalt dieser Mitteilung entstandenen Schaden.
89 90
Karollus, S. 208; Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 79, Rn. 14. Zum umgekehrten Verständnis der Begriffe „Vermeidung und Verhinderung“: Karollus, S. 209. 91 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 290. 92 Witz/Salger/Lorenz, Art. 79, Rn. 5. 93 Ein entsprechender Antrag der norwegischen und deutschen Delegation auf der Wiener Konferenz blieb ohne Erfolg, vgl. Stoll, Schadensersatzpflicht, S. 271; O.R., S.383 ff., Rn. 18. 94 Stoll, Schadensersatzpflicht, S. 276; Welser, Vertragsverletzungen, S. 130.
3. Kapitel: Der Anspruch auf Schadensersatz im CISG
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II. Der Regelungsinhalt des Art. 80 CISG Art. 80 CISG bestimmt, dass der Gläubiger, der die Vertragsverletzung der anderen Partei verursacht, sich nicht auf die Nichterfüllung des Schuldners berufen kann. Die Norm ist letztlich eine Ausgestaltung des Verbots des venire contra factum proprium in einem speziellen Fall95. Rechtsfolge des Art. 80 CISG ist die umfassende Befreiung des Schuldners von allen aus der konkreten Vertragsverletzung resultierenden Pflichten, d.h. der Gläubiger kann weder Erfüllung noch Aufhebung noch Minderung noch Schadensersatz verlangen96. In seinen Rechtsfolgen ist der Anwendungsbereich des Art. 80 CISG somit weiter als jener des Art. 79 CISG. Die Voraussetzungen des Art. 80 CISG hingegen sind teilweise geringer als die des Art. 79 CISG. Anders als bei Art. 79 CISG ist Voraussetzung einer Entlastung des Schuldners allein die Ursächlichkeit zwischen Gläubigerverhalten und Pflichtverletzung. Hierbei kommt sowohl ein positives Tun als auch ein Unterlassen des Gläubigers in Betracht, ein Unterlassen jedoch nur, sofern den Gläubiger eine vertragliche, gesetzliche oder aus Treu und Glauben folgende Handlungspflicht trifft97. Auf ein Verschulden des Gläubigers kommt es ebenso wenig an wie auf die Frage, ob die Handlung des Gläubigers selbst eine Pflichtverletzung darstellt98. Ist Letzteres der Fall, steht dem Schuldner ein separater Schadensersatzanspruch zu, sofern der Eintritt des Schadens nicht bereits durch die Sperrung der Rechtsbehelfe des Gläubigers verhindert wird99. Strittig ist, ob Art. 80 CISG auch auf den Fall der anteiligen Verursachung der Nichterfüllung durch Schuldner und Gläubiger Anwendung findet. Teilweise wird vertreten, dass Art. 80 CISG nur dann Anwendung findet, wenn der Gläubiger allein die Nichterfüllung verursacht hat100. Bei anteiliger Verursachung läge eine Lücke i.S.v. Art. 7 (2) CISG vor, die durch Anwendung der allgemeinen, der Konvention zugrunde liegenden Grundsätze zu füllen sei. Die Gegenposition wendet Art. 80 CISG an101. Auch sie erkennt aber an, dass die „Alles-oder-nichts-Lösung“ im Ergebnis unbillig ist, und korrigiert dies im Rahmen der Rechtsfolgen. Eine vermittelnde Position differenziert zwischen „teilbaren“ und „unteilbaren“ 95 Vgl. English Court of Exchequer, Cave v. Mills (1862), Hurlstone & Norman, 913 at 927 “A man shall not be allowed to blow hot and cold – to affirm at one time and to deny at another“. 96 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 297. 97 Staudinger/Magnus, Art. 80, Rn. 10. 98 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 297. 99 Schlechtriem/Stoll, Art. 80, Rn. 11; Staudinger/Magnus, Art. 80, Rn. 5. 100 Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 80, Rn. 11. 101 Bianca/Bonell/Tallon, Art. 80, Rn. 2.4; Schlechtriem, Internationales UN - Kaufrecht, Rn. 298.
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1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG
Rechtsbehelfen102. Im Fall teilbarer Rechtsbehelfe wie Schadensersatz und Minderung sei aus Art. 77 und 80 CISG der allgemeine Grundsatz abzuleiten, dass der Anspruch des Gläubigers anteilig um seinen Mitverursachungsbeitrag zu kürzen ist. Handelt es sich dagegen um unteilbare Rechtsbehelfe wie die Erfüllung oder Vertragsaufhebung, sei ein völliger Ausschluss nur bei einem „deutlichen Überwiegen“ des Verursachungsbeitrags des Gläubigers statthaft. Andernfalls sei der Schuldner durch einen Schadensersatzanspruch in Höhe des Mitverursachungsbeitrags des Gläubigers zu kompensieren103. Diese Lösung lässt sich direkt auf den Wortlaut des Art. 80 CISG stützen, der von „soweit“ spricht. Sie entspricht zudem der Lösung der UNIDROIT Principles104, die insofern eine Auslegungshilfe darstellen105. III. Das Verhältnis beider Befreiungstatbestände Beide Befreiungstatbestände enthalten die allgemeine Wertung, dass der Schuldner nur insofern für seine Verpflichtung einzustehen hat, als von ihm die Erfüllung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben noch erwartet werden kann. Dies ist weder der Fall, wenn der Gläubiger allein die Nichterfüllung verursacht hat (Art. 80 CISG) noch, wenn die Nichterfüllung völlig außerhalb des Verantwortungsbereichs des Schuldners liegt (Art. 79 CISG) und ebenfalls nicht, wenn der aus der Nichterfüllung resultierende Schaden durch den Gläubiger hätte verringert oder vermieden werden können (Art. 77 CISG). Die Befreiungstatbestände sind alternativ anwendbar. § 3 Der Haftungsumfang des Schadensersatzanspruchs Art. 74-77 CISG bestimmen Inhalt und Umfang der Schadensersatzpflicht. Während Art. 74 CISG die Grundnorm darstellt, beinhalten Art. 75 und 76 CISG besondere Methoden zur Berechnung des Anspruchs auf Schadensersatz im Fall der Vertragsaufhebung. Art. 77 CISG enthält das Gebot der Schadensminderungspflicht106. Im Folgenden erfolgt ein Überblick über die Grundprinzipien der Art. 74 ff. CISG. Zunächst ist das Prinzip der Totalreparation zu erörtern (I). Dieses findet seine Grenzen im Kausalitätserfordernis (II), in der Vorhersehbarkeitsregel (III) und in der Schadensminderungspflicht (IV). 102 103 104
Neumayer/Ming, Art. 80, Rn. 3; Rudolph, Art. 80, Rn. 10. MK/Huber, Art. 80, Rn. 6; Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 80, Rn. 10. Art. 7.4.7 UPICC “Where the harm is due in part to an act or omission of the aggrieved party […], the amount of damages shall be reduced to the extent that these factors have contributed to the harm.“ 105 Chengwei, Remedies, S. 19. 106 MK/Huber, Art. 74, Rn. 1; Staudinger/Magnus, Art. 74, Rn. 1.
3. Kapitel: Der Anspruch auf Schadensersatz im CISG
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I. Das Prinzip der Totalreparation Gem. Art. 74 S. 1 CISG ist „als Schadensersatz für die durch eine Partei begangene Vertragsverletzung […] der der anderen Partei infolge der Vertragsverletzung entstandene Verlust, einschließlich des entgangenen Gewinns zu ersetzen“. Das CISG normiert das Prinzip des vollen Schadensausgleichs. Man spricht auch vom „Prinzip der Totalreparation“107. Nicht geregelt ist die Haftung aus vorvertraglichem Verschulden (culpa in contrahendo)108. Darüber hinaus bleibt auch die Frage der außervertraglichen Haftung durch das CISG unberührt und ist nach Maßgabe des kollisionsrechtlich berufenen nationalen Deliktsrechts zu beurteilen109. Sehr umstritten ist die Ersatzfähigkeit von zukünftigen Schäden sowie dem Verlust von Erwerbschancen110. Der zu ersetzende Schaden ergibt sich aus einem Vergleich des nach dem Vertragsbruch bestehenden Istzustands des Vermögens und dem Vermögenszustand, der bestanden hätte, wenn der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre111. Das Prinzip der Totalreparation ist letztlich die konsequente Fortsetzung des Prinzips pacta sunt servanda112. Die ursprüngliche Verpflichtung des Schuldners in natura zu leisten, wird ersetzt durch einen auf Erfüllung in Geld gerichteten Schadensersatzanspruch, dessen Ziel es ist, den Gläubiger „voll“ zu entschädigen. Diese „volle“ Entschädigung beinhaltet sowohl den Ersatz des tatsächlich eingetretenen Verlusts (damnum emergens) als auch den Ersatz des entgangenen Gewinns (lucrum cessans)113. Durch folgende Art. 74 CISG immanenten Grundregeln wird das Prinzip der Totalreparation begrenzt: Erstens ist Schadensersatz stets in Geld zu leisten. Ein Recht auf Naturalrestitution gibt es, anders als im deutschen Recht, nicht.114 Zweitens sind nur materielle Vermögensschäden zu ersetzen.115 Ein Anspruch auf Schmerzensgeld als typischer immaterieller 107 108 109 110
Bianca/Bonell/Knapp, Art. 74, Rn. 3.2.; Eiselen, Unidroit, Rn. c. Schlechtriem, Einheitliches UN-Kaufrecht, S. 45. Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 74, Rn. 9. Ausführlich: Eiselen, Unresolved damages issues, Rn. 4 und 5; Saidov, The Need for Uniformity, S 2 ff. 111 Delchi Carrier SpA v. Rotorex Corp., U.S. Ct. App. (2nd Cir.) vom 6.12.1995, CISG-online 140: “The basic philosophy of the action for damages is to place the injured party in same the economic position it would have been if the contract had been performed“. 112 Chengwei, Remedies, S. 2. 113 „Verlust“ beinhaltet nicht in allen Rechtsordnungen „entgangenen Gewinn“. 114 Vgl. die englische Fassung des Gesetzestext “Damages […] consist of a sum equal to the loss, […]“. 115 Honsell, Vertragsverletzung, in SJZ 1992, S. 361 f.; Soergel/Lüderitz/Dettmeier, vor Art. 74-77, Rn. 6.
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1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG
Schaden stünde hingegen im Widerspruch zum Ausschluss des Ersatzes des Personenschadens gem. Art. 5 CISG. Drittens erfüllt der Schadensersatz gem. Art. 74 CISG nur eine Ausgleichsfunktion116. Pönale oder präventive Zwecke, wie sie die aus dem US-Recht bekannten Institute der punitiveund exemplary damages verfolgen, sind dem CISG fremd117. Ebenso wenig ist der Gläubiger gem. Art. 74 CISG berechtigt, einen dem Schuldner aufgrund der Vertragsverletzung zugeflossenen Gewinn herauszuverlangen. Art. 74 CISG erfüllt keine Abschöpfungsfunktion.118 Die wohl wichtigste immanente Begrenzung des Schadensersatzanspruchs ist darin zu sehen, dass der Gläubiger nur „voll“ zu kompensieren ist, aber auch keinesfalls besser dastehen darf, als er bei ordnungsgemäßer Erfüllung gestanden hätte119. Von einem tatsächlich erlittenen Schaden sind somit stets die durch die Vertragsverletzung erlangten vermögenswerten Vorteile abzuziehen120. Ausgehend vom Prinzip der Totalreparation lassen sich folgende Arten des zu ersetzenden Interesses des Gläubigers unterscheiden: Primär ist sein Erfüllungsinteresse zu ersetzen. Hierunter versteht man das Interesse des Gläubigers, die Vorteile zu erhalten, die ihm bei ordnungsgemäßer Vertragsdurchführung zugeflossen wären. Grundgedanke ist die Durchsetzung des Erfüllungsversprechens121. Darüber hinaus schützt Art. 74 CISG das Integritätsinteresse, das Interesse des Gläubigers, keine Einbuße an seinen vorhandenen Gütern und Vermögenswerten zu erleiden122. Schließlich erfasst Art. 74 CISG auch den Ersatz des Vertrauensinteresses. Zu ersetzen sind solche Schäden, die der Gläubiger dadurch erleidet, dass er auf die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung durch den Schuldner vertraut123. II. Das Prinzip der Kausalität Ersatzfähig ist nur der durch die Verletzung verursachte Schaden. Die Vertragsverletzung muss conditio sine qua non für den Eintritt des schädlichen Erfolgs sein124. Ist es dem Gläubiger gestattet, seinen Schaden anhand des Vertrauensinteresses zu berechnen, muss darauf abgestellt werden, ob der geltend gemachte Schaden kausal auf dem enttäuschten Interesse beruhte. 116 117 118 119
Honnold, Rn. 403; Sarcevic/Volken, S. 247. Honsell, Vertragsverletzungen, in SJZ 1992, S. 361. MK/Huber, Art. 74, Rn. 16; Staudinger/Magnus, Art. 74, Rn. 18. Delchi Carrier SpA v. Rotorex Corp., U. S. Ct. App. (2 nd Cir.) vom 06.12.1995, CISG-online 140. 120 Blase/Höttler, Remarks on Damages in the CISG, Rn. 3 (a). 121 Chengwei, Remedies, S. 3: “Protecting expectation interest has been said to accord directly with the underlying morality of promise keeping“. 122 Karollus, S. 214. 123 OGH vom 14.01.2002, CISG-online 643; Roßmeier, Schadensersatz, in RIW 2000, S. 408. Anderer Auffassung: Stoll, Schadensersatzpflicht, S. 261. 124 Staudinger/Magnus, Art. 74, Rn. 28; Witz/Salger/Lorenz, Art. 74, Rn. 26.
3. Kapitel: Der Anspruch auf Schadensersatz im CISG
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Insoweit stimmen CISG und autonomes deutsches Recht überein. Anders als im autonomen Recht ist im CISG jedoch kein Raum für weitergehende Kausalitätstheorien, anhand derer eine Begrenzung des ersatzfähigen Schadens erfolgen könnte. So spielt es für die Frage der Ersatzfähigkeit keine Rolle, ob der Schaden unmittelbar oder nur mittelbar herbeigeführt worden ist125. Die Begrenzung des Schadens und die Verhinderung einer ausufernden Haftung des Schuldners werden vielmehr durch die Kriterien der Vorhersehbarkeit und der Schadensminderungspflicht gewährleistet. Weitestgehend ungeklärt ist, ob das CISG zudem auch die Frage des erforderlichen Grads an Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bzw. des Vorliegens der Kausalität regelt (level of proof oder level of certainty). Teilweise wird vertreten, dass auch diese Frage zumindest mittelbar den Bestimmungen des CISG zu entnehmen ist126. Ausreichend sei, dass der Gläubiger darlegen kann, dass der geltend gemachte Schaden mit hinreichender Sicherheit auf der Vertragsverletzung des Schuldners beruht127. Der Gegenansicht zufolge ist die Lösung dieses Problems den entsprechenden nationalen Regeln zur Beweislast und zum Beweisumfang zu entnehmen128. III. Das Prinzip der Vorhersehbarkeit Die Schadenszurechnung wird begrenzt durch die in Art. 74 S. 2 CISG enthaltenen Vorhersehbarkeitsregel (contemplation rule). Hiernach darf der Schadensersatz „den Verlust nicht übersteigen, den die Vertragsbrüchige Partei bei Vertragsschluss als mögliche Folge der Vertragsverletzung vorausgesehen hat oder unter Berücksichtigung der Umstände, die sie kannte oder kennen musste, hätte voraussehen müssen.“ Diese Begrenzung des Schadensersatzanspruchs auf das bei Vertragsschluss vorhersehbare Maß basiert auf dem Vorhersehbarkeitskonzept des Art. 1150 des französischen Code Civil129. Seit der berühmten englischen Grundsatzentscheidung Hadley v. Baxendale130 bildet diese Regel die Grundlage der Schadensberechnung im gesamten angloamerikanischen Recht und wurde von Ernst Rabel im Rahmen der Entwürfe zum Einheitskaufrecht fruchtbar gemacht131. Art. 74 S. 2 CISG trägt dem Umstand Rechnung, dass die vertragliche 125 Botzenhardt, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 68; Schlechtriem/Stoll, Art. 74, Rn. 23. 126 Gotanda, Awarding Damages, S. 12. 127 Gotanda, Awarding Damages, S. 13. 128 Vgl. hierzu: Delchi Carrier SpA v. Rotorex Corp., U.S. Ct. App. (2nd Cir.) vom 6.12.1995, CISG-online 140. 129 Zur Geschichte: Faust, Die Vorhersehbarkeit des Schadens, S. 51 ff. 130 Hadley v. Baxendale, 9 Ex 341 (1854). 131 König, Voraussehbarkeit, S. 75 ff.; Tallon, Damages, Exemption Clauses, and Penalties, in American Journal of Comparative Law 1992, S. 678 f.
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1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG
Verbindung zwar den Vertragspartnern die Möglichkeit gibt, auf ihre Rechtsgüter gegenseitig einzuwirken, die Parteien sich aber nicht darüber bewusst sind, welche Risiken damit für den jeweiligen Vertragspartner verbunden sind. Der Grundgedanke der Regel ist somit leicht verständlich. Die Parteien sollen bei Vertragsschluss in die Lage versetzt werden, Gefahr und potentielles Haftungsrisiko des jeweiligen Vertrags zu kalkulieren, d.h. abzuschätzen, in welcher Höhe die andere Partei bei Nichterfüllung der vertraglichen Leistung Regress nehmen wird. Gegenstand der Vorhersehbarkeit sind hierbei nur die eingetretenen Schäden, nicht die Vertragsverletzung selbst132. Insofern dient die Regel der Vermeidung unvorhersehbarer Haftungsrisiken133 und der Beschränkung einer zu weiten Garantiehaftung134. Bei richtigem Verständnis erfüllt die Regel noch einen weiteren Zweck. Sie fördert den Informationsfluss unter den Parteien und stellt dadurch sicher, dass beide Parteien den größtmöglichen Vorteil aus dem Vertrag ziehen135. Bei optimaler Information ist es den Parteien möglich, unter entsprechender Anpassung des Kaufpreises, demjenigen das Risiko der Nichterfüllung aufzuerlegen, der es ökonomisch am günstigsten vermeiden kann. Die Vorhersehbarkeitsregel in Art. 74 CISG enthält sowohl einen „objektiven“ als auch einen „subjektiven Test“136. Zurechenbar sind zunächst die Schäden, die der Schuldner tatsächlich vorausgesehen hat. Entscheidend ist somit der subjektive Kenntnisstand des Schuldners bei Vertragsschluss. Auf diesen wird sich der beweispflichtige Gläubiger jedoch faktisch nur dann berufen können, wenn er den Schuldner bei Vertragsschluss auf das konkrete Risiko hingewiesen hat137. Der praktische Regelfall ist somit die Anwendung des objektiven Maßstabs. Hiernach sind die Schäden ersetzbar, die eine vernünftige Person in der Lage des Schuldners bei Vertragsschluss hätte vorhersehen können138. Die Zurechnung erfolgt normativ139. Ausgangspunkt einer wertenden Betrachtung ist die vertragliche Risikoverteilung sowie der Schutzzweck einzelner vertraglicher Verpflichtungen140. Garantien für einen bestimmten Verwendungszweck erhöhen das Haftungsrisiko des Verkäufers, während Freizeichnungsklauseln es be-
132 133 134 135 136 137 138 139
Piltz, Internationales Kaufrecht, Rn. 450; Vékás, Foreseeability, S. 161. Chengwei, Remedies, S. 10. MK/Huber, Art. 74, Rn. 2. Chengwei, Remedies, S. 10. Schneider, Measuring damages under the CISG, S. 2. OGH vom 14.01.2002, CISG-online 643. Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 74, Rn. 38. Huber, UNCITRAL, in RabelsZ 1979, S. 499; Ziegler, Leistungsstörungsrecht, S. 210. 140 Soergel/Lüderitz/Dettmeier, Art. 74, Rn. 16.
3. Kapitel: Der Anspruch auf Schadensersatz im CISG
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schränken141. Vorhersehbar ist ein Schaden dann, wenn sich das vom Schuldner übernommene, durch wertende Betrachtung zu ermittelnde vertragliche Risiko im konkreten Schaden verwirklicht hat142. Aufgrund dieses normativen Verständnisses unterscheidet sich die Vorhersehbarkeitsregel kaum von der im nationalen Recht vertretenen Einschränkung der Zurechnung anhand der Adäquanztheorie sowie der Lehre vom Schutzzweck der Norm. Zur Förderung einer einheitlichen Auslegung des normativen Begriffs der Vorhersehbarkeit ist es unerlässlich, eine Typisierung der zu beurteilenden Schäden vorzunehmen143. Vereinfachend: Die Schäden, die das unmittelbare Vertragsinteresse des Gläubigers betreffen, sind regelmäßig vorhersehbar. Dagegen ist bei der Beurteilung von Folgeschäden stets eine Betrachtung im Einzelfall vorzunehmen144. IV. Das Prinzip der Pflicht zur Schadensminderung Gem. Art. 77 CISG trifft den Gläubiger eine Pflicht zur Schadensminderung. Der Gläubiger ist sowohl verpflichtet, den bereits eingetretenen Schaden durch angemessene Maßnahmen zu beheben, als auch dem drohenden Schaden entgegenzuwirken. Kommt er diesen Pflichten nicht nach, kann der Schuldner Herabsetzung des Ersatzanspruchs in Höhe des Betrages verlangen, um den der Verlust hätte verringert werden können. Sowohl der Vorläufer des CISG, das EKG, als auch viele nationale Rechte enthalten wortgleiche oder ähnliche Bestimmungen145. Vermeidbare Schäden sind nicht zu ersetzen146. Die Vorschrift verbindet den allgemeinen Gedanken des Verbots des venire contra factum proprium mit dem Gebot der Wirtschaftlichkeit: Erstens wäre es unbillig zuzulassen, dass der Gläubiger, der passiv den Eintritt des Schadens abwartet, den Schuldner in voller Höhe in Anspruch nimmt, obwohl ihm selbst die Verhinderung des Schadens möglich gewesen wäre147. Zweitens ist es ökonomisch sinnvoll, einen Anreiz für den Gläubiger zu schaffen, den Eintritt oder zumindest die Ausweitung eines Schadens zu verhindern148. Der Eintritt von Schäden lässt sich am ehesten dadurch ver141 142 143
Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 302. Weber, Vertragsverletzungsfolgen, S. 199. Vgl. hierzu die Versuche bei MK/Huber, Art. 74, Rn. 34 ff. sowie Faust, Die Vorhersehbarkeit des Schadens, S. 166 ff. 144 Karollus, S. 217. 145 ICC Award, Case 2103/72: “Art. 77 CISG constitutes the lex mercatoria in its present form”. 146 Sutton, Measuring damages, S. 7. 147 Chengwei, Remedies, S. 20. 148 Saidov, Limiting damages, S. 17.
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1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG
meiden, dass man nicht notwendigerweise der Partei die Kosten der Wiedergutmachung auferlegt, die den Schaden verursacht hat, sondern der Partei, die die Entstehung des Schadens am günstigsten hätte verhindern können149. Es handelt sich bei Art. 77 CISG nicht um eine echte Pflicht, sondern um eine bloße Obliegenheit. Ihre Nichtbeachtung begründet daher keinen eigenen Anspruch des Schuldners auf Schadensersatz. Sie führt nur zur Anspruchskürzung des Gläubigers150. Der Anwendungsbereich des Art. 77 CISG ist weit. Die Norm gilt für alle Schadensersatzansprüche des Gläubigers. Die Pflicht zur Schadensminderung trifft den Gläubiger auch im Fall einer nur drohenden Vertragsverletzung des Schuldners151. Art. 77 CISG findet hingegen keine Anwendung auf andere Rechtsbehelfe152. Welche Maßnahme als „angemessen“ anzusehen ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab153. Anders als die Prinzipien des europäischen Vertragsrechts enthält das CISG keine Definition des Begriffs der Angemessenheit154. Zurückzugreifen ist auf die Auslegungsregeln der Art. 8 und 9 CISG. Entscheidend ist somit das Verhalten einer verständigen Person in der Lage des Gläubigers unter Einbeziehung der vertraglichen Risikoverteilung sowie der Gepflogenheiten und Gebräuche, die sich zwischen den Parteien gebildet haben155. In Betracht kommt hierbei insbesondere die Vornahme eines Deckungsgeschäfts. Ferner beinhaltet Art. 77 CISG die Pflicht zu Erhaltungsmaßnahmen, zur Verhinderung von Mangelfolgeschäden, zur Vermeidung unnötiger Aufwendungen sowie zur umfassenden Information des Vertragspartners156. In einer aktuellen Entscheidung hielt ein spanisches Obergericht fest, dass die Weigerung des Verkäufers, eine geringere Kaufpreiszahlung des ursprünglichen Käufers zu akzeptieren, dann gegen Art. 77 CISG verstößt,
149 150 151
Zum sog. “cheapest cost avoider“, Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 146. Ryffel, Schadensersatzhaftung des Verkäufers, S. 80. Bianca/Bonell/Knapp, Art. 77, Rn. 3.11; Ryffel, Schadensersatzhaftung des Verkäufers, S. 81 152 Piltz, Internationales Kaufrecht, Rn. 456; Staudinger/Magnus, Art. 77, Rn. 6. 153 Chengwei, Remedies, S. 22; Soergel/Lüderitz/Dettmeier, Art. 77, Rn. 4. 154 Art. 1:302 PECL: “Reasonableness is to be judged by what a person acting in good faith and in the same situation as the parties would consider being reasonable. In assessing what is reasonable the nature and purpose of the contract, the circumstances of the case, and practices of the trades or professions involved should be taken into account.” 155 Staudinger/Magnus, Art. 77, Rn. 10. 156 Vgl. hierzu die Beispiele bei Staudinger/Magnus, Art. 77, Rn. 13 ff. sowie bei Schlechtriem/Stoll, Art. 77, Rn. 9 ff.
3. Kapitel: Der Anspruch auf Schadensersatz im CISG
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falls dieser Preis den im Rahmen eines Deckungsgeschäfts erzielten Preis übersteigt157. § 4 Zusammenfassung Das Recht auf Schadensersatz im CISG ist in wenigen Bestimmungen geregelt, die sowohl für Ansprüche des Käufers als auch des Verkäufers Anwendung finden. Voraussetzung eines solchen Rechts ist gem. Art. 45 und 61 CISG die Nichterfüllung einer vertraglichen oder gesetzlichen Pflicht. Vertragsverletzung i.S.v. Art. 74 CISG ist somit jede Form der objektiven Nichterfüllung einer dem Schuldner obliegenden vertraglichen oder gesetzlichen Pflicht. Auf ein Verschulden kommt es ebenso wenig an wie auf die Art oder Schwere der Pflichtverletzung. Eine umfassend verstandene vertragliche Garantiehaftung schützt das Prinzip pacta sunt servanda und stellt ein Korrelat zur Privatautonomie dar. Gemäß dem sog. Prinzip der Totalreparation gewährt Art. 74 CISG dem Gläubiger Ersatz sämtlicher erlittener Verluste einschließlich des entgangenen Gewinns. Erfüllung in natura kann der Gläubiger dagegen nicht verlangen. Als Ausgleich zur umfassenden Garantiehaftung sieht das CISG verschiedene Formen der Begrenzung des Anspruchs auf Schadensersatz vor. Diese orientieren sich in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen teilweise am Verhalten des Gläubigers, Art. 74 S.1, 77, 80 CISG und teilweise am Verhalten des Schuldners, Art. 74 S. 2, 79 CISG. Zweck aller Haftungsbegrenzungen ist die Erzielung interessensgerechter und ökonomisch sinnvoller Ergebnisse. Bei der Prüfung ihrer Voraussetzungen ist Ausgangspunkt somit stets die vertragliche Risikoverteilung unter Berücksichtigung aller Besonderheiten des Einzelfalls158. Primärer Zweck des Schadensersatzanspruchs als wichtigster Rechtsbehelf des Gläubigers ist es, den Gläubiger unter Beibehaltung der ursprünglichen Risikoverteilung zumindest wirtschaftlich so zu stellen, als wenn der Vertrag ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre159. Der Anspruch auf Schadenersatz ist somit letztlich die Fortführung des Erfüllungsanspruchs.160 157 158
Tribunal Supremo vom 28.01.2000 in: Koziol, Reduction in Damages, Rn. I. Leser, Strukturen, S. 460: „Der Vorzug der Lösung im CISG liegt in der Fruchtbarmachung des Vertrags für die Bestimmung der Tragweite des Einstandspflicht anstelle abstrakter Maßstäbe.“ 159 Leser, Strukturen, S. 458: „ Der […] Schadensersatz wegen Nichterfüllung orientiert sich am wirtschaftlichen Nutzen des Vertrags für die Vertragstreue Partei, einschließlich des Schutzes vor eingetretenen Schäden.“ 160 Chengwei, Remedies, S. 3: “A party’s expectation interest will represent the general worth of the contract to that party. Perfect expectation interest will leave an injured party indifferent between performance and non-performance”.
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1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG
4. Kapitel: Der Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung im CISG Der Gläubiger kann, sofern er infolge der Vertragsverletzung kein Interesse an der weiteren Durchführung des Leistungsaustausches hat und seine wirtschaftliche Dispositionsfreiheit wiedergewinnen will, die Aufhebung des Vertrags erklären. Rechtsfolge einer wirksamen Aufhebungserklärung ist die Befreiung beider Parteien von ihren ursprünglichen Leistungspflichten. Bezüglich bereits erfolgter Leistungen entsteht eine Verpflichtung zur Rückübertragung. Man spricht insofern von einer „Umwandlung des Schuldverhältnisses in ein Rückgewährschuldverhältnis“ oder einer „Umsteuerung des Vertrags in ein Abwicklungsverhältnis“161. Das CISG unterscheidet zwischen dem Aufhebungsrecht des Käufers, Art. 49 CISG, und dem des Verkäufers, Art. 64 CISG. Darüber hinaus finden sich an einigen Stellen des CISG Regelungen zur Vertragsaufhebung in besonderen Fällen, die teilweise nur auf den Käufer, Art. 51 (2) CISG, und teilweise auf beide Parteien gleichermaßen, Art. 72 und 73 CISG, zugeschnitten sind. Voraussetzung einer wirksamen Vertragaufhebung ist das Bestehen eines Aufhebungsrechts (§ 1) sowie das Vorliegen einer Aufhebungserklärung (§ 2). Die Rechtfolgen der Vertragsaufhebung sind in Art. 8184 CISG geregelt (§ 3). § 1 Das Recht zur Vertragsaufhebung Das CISG unterscheidet zwei Varianten des Rechts zur Vertragsaufhebung. Diese finden sowohl zu Gunsten des Käufers als auch des Verkäufers Anwendung. Ein Aufhebungsrecht besteht zunächst im Fall einer wesentlichen Vertragsverletzung des Schuldners (I). Verletzt der Schuldner eine seiner Kardinalpflichten, d.h. die Pflicht zur Lieferung respektive zur Zahlung des Kaufpreises, so eröffnet der erfolglose Ablauf einer angemessenen Nachfrist dem Gläubiger eine weitere Möglichkeit, den Vertrag aufzuheben (II). I. Die Aufhebung im Fall einer wesentlichen Vertragsverletzung Art. 49, 64, 51, 72 und 73 CISG enthalten ein Recht des Gläubigers zur Aufhebung im Fall einer wesentlichen Vertragsverletzung. Diese Normen enthalten jedoch keine nähere Erläuterung des Begriffs und der inhaltlichen Anforderungen, die an das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung zu stellen sind. Seiner zentralen Bedeutung im Leistungsstörungsrecht des CISG gerecht werdend findet sich eine Legaldefinition der „wesentlichen Vertragsverletzung“ in Art. 25 CISG, d.h. in den allgemeinen
161
Jan, S. 217; Leser, Vertragsaufhebung und Rückabwicklung, S. 228.
4. Kapitel: Der Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung im CISG
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Bestimmungen über den Warenkauf. Der Begriff ist somit gewissermaßen vor die Klammer gezogen. Gem. Art. 25 CISG ist „eine von einer Partei begangene Vertragsverletzung wesentlich, wenn sie für die andere Partei solchen Nachteil zur Folge hat, daß ihr im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen, es sei denn, daß die Vertragsbrüchige Partei diese Folge nicht vorausgesehen hat und eine vernünftige Person der gleichen Art diese Folge unter den gleichen Umständen auch nicht vorausgesehen hätte.“ Der Wortlaut der Norm ist zu Recht als „ebenso flexibel wie vage“162 bezeichnet worden. Er bedarf daher der Konkretisierung. Dies gilt umso mehr, als das Kriterium der Wesentlichkeit eine „Leitbildfunktion“163 im System der Rechtsbehelfe des CISG einnimmt und auch für die vorliegende Arbeit von zentraler Bedeutung ist. Ohne den Rahmen dieses einführenden Teils zu sprengen, sollen an dieser Stelle die Voraussetzungen und Bewertungskriterien aufgezeigt werden, anhand derer der Begriff der Wesentlichkeit zu konkretisieren ist: 1. Die Entstehungsgeschichte des Art. 25 CISG Eine erste rechtsvergleichende Studie zur Tendenz, die Vertragsaufhebung nur im Fall einer erheblichen Vertragsstörung zuzulassen, findet sich bereits in den Vorarbeiten Ernst Rabels zur Kaufrechtsvereinheitlichung164. Folgerichtig enthielten auch die sog. römischen Entwürfe von 1939/51 das Kriterium der Wesentlichkeit als Voraussetzung der Vertragsaufhebung165. Divergierten die Voraussetzungen der Vertragsaufhebung in den nationalen Rechtsordnungen im Detail noch erheblich166, so bestand doch bereits eine Grundtendenz, die Aufhebung nur bei Vertragsbrüchen eines bestimmten Gewichts zuzulassen167. Diese Grundtendenz besteht auch noch heute in zahlreichen nationalen Rechtsordnungen fort. So entspricht es einem generellen Prinzip des englischen Rechts, dass ein Mangel in der Erfüllung nur dann zur Aufhebung
162 163 164 165
Staudinger/Magnus, Art. 25, Rn. 3. Botzenhardt, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 177 f. Rabel, Entwurf eines einheitlichen Kaufgesetzes, in RabelsZ 1935, S. 1 f. Beinert, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 55; v. Caemmerer, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 38. 166 Botzenhardt, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 155: „Die Modelle weichen sowohl bezüglich Art und Weise, wie die Aufhebung zu erreichen ist, […] als auch in den Voraussetzungen voneinander ab.“ 167 Treitel, Remedies, S. 259: ”This principle exists in one form or another in all legal systems“.
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1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG
berechtigt, wenn dieser ein gewisses Gewicht erreicht hat168. Man unterscheidet zwischen dem breach of condition, der stets zur Vertragsaufhebung berechtigt, dem breach of warranty, bei dessen Vorliegen der Anspruch des Gläubigers sich auf Schadensersatz beschränkt sowie dem breach of intermediate, bei dem es auf die „Schwere“ des Vertragsbruchs ankommt169. Im US-amerikanischen Recht ist ein material breach Voraussetzung eines Rechts zur Vertragaufhebung170. In Frankreich räumen Rechtsprechung und Literatur dem Richter in Auslegung des Art. 1184 (3) Code civil ein Ermessen ein, den Vertrag im Fall einer „erheblichen Pflichtverletzung“ aufzuheben171. Seit 2002 findet sich mit §323 (5) BGB auch im deutschen Recht eine vergleichbare Regel: Im Fall einer unerheblichen Pflichtverletzung ist der Rücktritt ausgeschlossen. Dieser Konsens der einzelnen nationalen Rechtsordnungen stimmt zudem mit der gängigen Formularpraxis überein, bei Industrieprodukten die Rechte des Bestellers auf Nachbesserung, Preisminderung und Schadensersatz zu beschränken172. Das Kriterium der Wesentlichkeit als Voraussetzung findet sich auch in den Grundsätzen des internationalen und europäischen Vertragsrechts173, die als Interpretationshilfe zur Auslegung des Art. 25 CISG dienen174. Die erste Definition einer wesentlichen Vertragsverletzung in internationalen Konventionen enthält das EKG. Gem. Art. 10 EKG ist eine Vertragsverletzung dann wesentlich, „wenn die Partei, die sie begangen hat, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gewußt hat oder hätte wissen müssen, daß eine vernünftige Person in der Lage der anderen Partei den Vertrag nicht geschloßen hätte, wenn sie die Vertragsverletzung und ihre Folgen vorausgesehen hätte“. Diese Formulierung stellte einen Kompromiss zwischen zwei unterschiedlichen Konzeptionen des Begriffs der Wesentlichkeit dar, die während der Verhandlungen der Wiener Konferenz erneut aufeinander trafen175. Eine Ansicht vertrat die Meinung, dass der Begriff der Wesentlichkeit rein subjektiv zu bestimmen sei, indem man allein auf die Parteierwartun168 Treitel, The Law of Contract, S. 769: “The general principle is that any such defect in performance must attain a certain minimum of seriousness to entitle a party to rescind (substantial failure).” 169 Treitel, The Law of Contract, S. 796. 170 Farnsworth, Contracts, S. 611: “The breach must be significant enough to amount to the non-occurrence of a constructive condition of exchange. Such a breach is termed material.” 171 Ghestin, Les effets du contrat, S. 419. 172 v. Caemmerer, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 50. 173 Art. 7.3.1 PICC und Art. 3.103 PECL. 174 Zweifelnd: Koch, UNIDROIT Principles, S. 70. 175 Botzenhardt, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 161.
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gen abstelle. Als Beispiel sei hier der Vorschlag des Art. 15 EKG im Entwurf von 1956 genannt. Hiernach ist eine Vertragsverletzung immer dann wesentlich, wenn die vertragsbrüchige Partei hätte wissen müssen, dass die Vertragstreue Partei bei Kenntnis der Verletzung den Vertrag nicht geschlossen hätte. Die Gegenansicht vertrat dagegen die Meinung, dass der Begriff rein objektiv zu bestimmen sei, indem man auf das Ausmaß des Schadens abstelle. So ist nach dem sog. Donaldson Report das Kriterium der Wesentlichkeit nur dann erfüllt, wenn die Leistung aufgrund der Vertragsverletzung in radikaler Weise vom ursprünglichen Inhalt des Vertrags abweicht176. Die Verfasser des CISG einigten sich schließlich auf einen Kompromiss in Form eines „subjektiv-objektiven“ Ansatzes. Zentrale Errungenschaft dieses Kompromisses war die Einführung des Begriffs des „Nachteils“177. Auch an diesem entzündete sich zunächst der Streit zwischen den Befürwortern einer objektiven Betrachtung, die auf das Ausmaß des entstandenen Schadens abstellte178, und einer subjektiven Betrachtung, die das Kriterium der enttäuschten Parteierwartung zur Konkretisierung des Begriffs des Nachteils heranzog179. Der Kompromiss bestand darin, den zunächst objektiv erscheinenden Begriff anhand der durch den Inhalt des Vertrags konkretisierten und umschriebenen Interessen des Vertragsgläubigers und nicht durch das Ausmaß des Schadens zu bestimmen. Ob diese Lösung zu einem größeren Maß an Klarheit beigetragen hat, ist zweifelhaft180. 2. Der Wortlaut des Art. 25 CISG Im Rahmen internationaler Abkommen hat der Wortlaut besonderes Gewicht, da er eine einheitliche und von nationalen Vorverständnissen losgelöste Auslegung ermöglicht181. Die deutschsprachige Version des CISG weicht insofern von den sprachlichen Originalversionen ab, als sie eine tautologische Formulierung zur
176
“If the Performance of the contract is by reason of such breach rendered radically different from that for which the parties contracted”. Zu finden in: Beinert, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 57. 177 Zum Vorschlag der UNCITRAL Arbeitsgruppe in Art. 9 Genfer Entwurf (1976), UNCITRAL Yearbook VII (1977), S. 31 ff. 178 Art. 23 New Yorker Entwurf (1978). 179 Vgl. den Vorschlag der deutschen, tschechoslowakischen und pakistanischen Delegationen, O.R., S. 99. 180 Bianca/Bonell, Art. 25, Rn. 2: “Mediation over terms as pregnant as fundamental, substantial or foreseeable never ends, nor does controversy over their meanings. But while philosophers have time to muse, lawyers usually have not; and merchants even less”. 181 Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 264.
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1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG
Definition der wesentlichen Vertragsverletzung verwendet182. Allein aus diesem Grund soll im Folgenden von der englischen und französischen Originalversion ausgegangen werden183. Der verschachtelte Wortlaut des Art. 25 CISG lässt zwei Voraussetzungen erkennen, deren kumulatives Vorliegen zur Bejahung einer wesentlichen Vertragsverletzung führt. Erstens muss die Vertragsverletzung zu einem „substantiellen Nachteil“184 der vertragstreuen Partei geführt haben. Dies ist dann der Fall, wenn dieser Partei im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen. Bereits aus der Formulierung des Gesetzes ergibt sich somit deutlich, dass hiermit nicht allein das objektive Ausmaß eines Schadens gemeint ist. Bei der Bestimmung des Gewichts der Vertragsverletzung ist vielmehr auf die Bedeutung aller durch den Vertrag und seine einzelnen Pflichten geschaffenen Interessen des Gläubigers abzustellen185. Ein substantieller Nachteil ist allein von den Erwartungen des Gläubigers und nicht von denen des Schuldners abhängig186. Die Formulierung „was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen“ macht jedoch deutlich, dass die Bestimmung des Gläubigerinteresses keineswegs dem freien Ermessen eines Richters unterstellt ist, sondern vielmehr anhand objektiv bestimmbarer Kriterien durchzuführen ist. Der Vertrag entscheidet insofern sowohl über den Inhalt der Pflichten der Parteien als auch über deren Gewicht187. Zweitens muss der Eintritt dieses Nachteils für die vertragsbrüchige Partei oder zumindest für eine verständige Person der gleichen Art vorhersehbar gewesen sein. Strittig ist die Funktion dieser Voraussetzung. Nach herrschender Ansicht stellt bereits die Formulierung „es sei denn“ in Art. 25 CISG klar, dass es sich hierbei um eine Entlastungsmöglichkeit des Schuldners handelt188. Die Gegenansicht dagegen vertritt den Standpunkt, dass es sich um ein weiteres Kriterium zur Bewertung des Gewichts der Vertragsverletzung handelt189. Einigkeit besteht dahin, dass diese Voraussetzung eine gewisse Korrektur des ersten Halbsatzes darstellt, der einseitig auf die Erwartungen und Interessen des Gläubigers abstellt. Art. 25 Hs. 2 CISG beinhaltet einen doppelten Maßstab. So ist für die Frage der Vorhersehbarkeit entweder auf die konkreten subjektiven Kennt182
„Eine […] Vertragsverletzung ist wesentlich, wenn […] im Wesentlichen ent-
geht.“ 183 184
Trommler, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 59. Vgl. die englische Originalfassung (substantial detriment) und die französische Originalfassung (préjudice substantielle). 185 Schlechtriem/Schwenzer/Schlechtriem, Art. 25 CISG, Rn. 9. 186 Freiburg, Recht auf Vertragsaufhebung, S. 52. 187 Koch, The Concept of Fundamental Breach, S. 267; Schlechtriem, Pflichten des Verkäufers, S. 106. 188 Achilles, Art. 25, Rn. 13; Enderlein/Maskow/Strohbach, Art. 25, Rn. 4.1. 189 Bamberger/Roth/Saenger, Art. 25, Rn. 9.
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nisse des Schuldners oder auf die Kenntnisse eines objektiven Dritten in der Position des Schuldners abzustellen. Anders als in Art. 74 S. 2 CISG fehlt es in Art. 25 CISG an einer Bestimmung des relevanten Zeitpunkts der Bestimmung der Vorhersehbarkeit. Diese Frage blieb auf der Wiener Konferenz trotz entsprechenden Anregungen ungeklärt190. Es verwundert insofern nicht, dass auch diesbezüglich divergierende Ansichten bestehen. Teilweise wird vertreten, dass nur in Ausnahmefällen nachträglichen Informationen Bedeutung zukommt191. Weitergehend möchte eine andere Ansicht stets nachträgliches Wissen des Schuldners mit einbeziehen192. Die Gegenansicht stellt hingegen allein auf das Wissen des Schuldners zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab193. Das Vorliegen eines „substantiellen Nachteils“ bestimmt sich anhand des aus dem Vertrag erkennbaren Interesses des Gläubigers. Daher kann bei der Frage, ob ein bestimmter Nachteil vorhersehbar war, auch nur auf die Kenntnis des Gläubigers bei Vertragsschluss abgestellt werden. M.E. bietet Art. 8 (3) CISG bereits ausreichend Möglichkeit, nachträgliche Fakten zu berücksichtigen. Ist jedoch eine nachträgliche Information nicht in zurechenbarer Weise interpretationsfähiger Bestandteil des Vertrags geworden, dann kann diese Information weder zur Ermittlung des Interesses des Gläubigers noch zur Ermittlung des sich hierauf beziehenden Kenntnisstandes des Schuldners herangezogen werden. 3. Die Funktion des Art. 25 CISG im System des CISG Nicht zu behandeln ist an dieser Stelle die Frage des Zwecks, den die Konventionsgeber mit der Einführung des Begriffs der Wesentlichkeit als Voraussetzung der Vertragsaufhebung verfolgten. Diese Frage ist im Rahmen des Art. 75 CISG zu erörtern. Analysiert werden soll an dieser Stelle vielmehr die Frage der systematischen Funktion des Art. 25 CISG im Gesamtkonzept des CISG. Drei Funktionen des Art. 25 CISG lassen sich hierbei unterscheiden: Erstens erfüllt Art. 25 CISG die Funktion einer sog. „Definitionsnorm“194. Sie definiert die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen eine wesentliche Vertragsverletzung angenommen wird. Der Wortlaut des Art. 25 CISG knüpft aber keine bestimmte Rechtsfolge an das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung. Die Tatsache, dass Art. 25 CISG vor die Klammer gezogen ist, führt jedoch dazu, dass die hierin enthaltene 190 191
Vgl. den Antrag der Tschechoslowakei A/Conf.97/C.1/L.81 in O.R, S. 99. Bianca/Bonell/Will, Art. 25, Rn. 2; Botzenhardt, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 247. 192 Honnold, Rn. 183; Heuzé, Rn. 391; Neumayer/Ming, Art. 25, Rn. 8. 193 Loewe, Art. 25, S. 48; Schlechtriem, Einheitliches UN-Kaufrecht, S. 49. 194 Staudinger/Magnus, Art. 25, Rn. 1.
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Definition immer dann Anwendung findet, wenn der Tatbestand einer anderen Norm an das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung anknüpft. Zweitens erfüllt das in Art. 25 CISG enthaltene Kriterium der Wesentlichkeit eine „Leitbildfunktion“ im System des CISG195. Dies ergibt sich bereits aus der hervorgehobenen Stellung des Art. 25 CISG an der Spitze einer kleinen Anzahl von Normen in Teil III des Abkommens, „Allgemeine Bestimmungen“. Ferner findet sich der Begriff der Wesentlichkeit als zentrale Voraussetzung einer ganzen Reihe von Rechtsbehelfen wieder. Auch inhaltlich lässt sich die Leitbildfunktion des Art. 25 CISG feststellen. So geht das CISG prinzipiell von einem einheitlichen Begriff der Nichterfüllung aus und differenziert nicht nach Art und Form der Nichterfüllung. Es differenziert hingegen sehr wohl nach Schwere und Gewicht der Nichterfüllung, indem es bestimmte Rechtsbehelfe an das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung knüpft und andere nicht. Diese Differenzierung nach „unwesentlichen“ und „wesentlichen“ Vertragsverletzungen ist das zentrale Leitbild des Systems der Rechtsbehelfe im CISG196. Drittens fungiert Art. 25 CISG als „Steuerungsnorm“ im System der Rechtsbehelfe des CISG197. So stehen dem Gläubiger im Fall der Vertragsverletzung die einschlägigen Rechtsbehelfe nur scheinbar wahlweise zur Verfügung. In Wirklichkeit werden die Rechtsbehelfe zurückgedrängt, deren Geltendmachung das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung voraussetzt198. Vertragsaufhebung und Nachlieferung sind nur ultima ratio im Rahmen der Rechtsbehelfe199. Grundsätzlich aber geht das CISG vom favor contractus aus, d.h. vom Vorrang des Erfüllungsanspruchs, des Anspruchs auf Nachbesserung, auf Teilrückzahlung des Kaufpreises und des Anspruchs auf Schadenersatz200. 4. Art. 25 CISG in Lehre und Praxis Einigkeit besteht in Lehre und Praxis, dass zur Wahrung des ultima ratioCharakters der Vertragsaufhebung höchste Anforderungen an das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung zu stellen sind201. Nach verbreiteter Ansicht sind diese hohen Anforderungen nur dann erfüllt, wenn durch die 195 196
Trommler, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 57. Botzenhardt, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 178; Staudinger/Magnus, Art. 25, Rn. 1. 197 BGH vom 03.04.1996, CISG-online 135; BGE vom 28.10.1998, CISG-online 413. 198 Aicher, Leistungsstörungen, S.128; MK/Gruber, Art. 25, Rn. 5. 199 BGH vom 03.04.1996, CISG-online 135. 200 HG Kanton Aargau vom 05.11.2002, CISG-online 715; BGE vom 28.10.1998, CISG-online 413. 201 BGH vom 03.04.1996, CISG-online 135; Schlechtriem, Internationales UNKaufrecht, Rn. 188.
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Vertragsverletzung das für den Schuldner erkennbare Interesse des Gläubigers am Vertrag entfallen ist und ein verständiger Dritter in der Position des Schuldners diese Folge hätte voraussehen können202. Diese Formel beinhaltet aufgrund ihrer Abhängigkeit von den konkreten Umständen des Einzelfalls jedoch nur eine vage Konkretisierung des komplizierten Wortlauts des Art. 25 CISG. In der Praxis haben sich folgende Fallgruppen gebildet203: Die endgültige Nichtleistung des Schuldners ist stets als wesentliche Vertragsverletzung einzustufen. Gleiches gilt für eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung des Schuldners204. In den Fällen des Verzugs liegt hingegen regelmäßig nur bei besonderem Hinweis auf die Dringlichkeit, insbesondere bei sog. Fixgeschäften205, ein wesentlicher Vertragsbruch vor206. Ein solcher Hinweis kann sich auch aus der Verwendung der Klausel „CIF“ ergeben207. In den übrigen Fällen des Verzugs ist der Gläubiger nur bei Ablauf einer angemessenen Nachfrist berechtigt, den Vertrag aufzulösen, Art. 49 (1) (b), 64 (1) (b) CISG. Dies gilt insbesondere im Fall des Zahlungsverzugs, der nur in Ausnahmefällen zur Vertragsaufhebung berechtigt208. Sehr umstritten ist die Beurteilung der Fälle nicht vertragsgemäßer Lieferung. Als Anhaltspunkt mag hier die Erwägung dienen, ob der Gläubiger bereits durch die Gewährung anderer Rechtsbehelfe wie Nacherfüllung, Schadensersatz oder Minderung ausreichend kompensiert wird209. So ist gerade im Fall der zumutbaren Möglichkeit der Nachbesserung durch den Verkäufer eine wesentliche Vertragsverletzung regelmäßig nicht gegeben210. Weitere Kriterien sind die Möglichkeit zur Weiterverwendung der Ware sowie das Vorhandensein einer vertraglichen Bestimmung der Parteien, welche Arten von Mängeln als „wesentlich einzustufen sind“. II. Die Aufhebung im Fall des Ablaufs einer Nachfrist Gem. Art. 49 (1) (b), 64(1) (b) CISG kann der Gläubiger den Vertrag aufheben, wenn eine von ihm gesetzte Nachfrist abgelaufen ist oder der Schuldner erklärt hat, dass er nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist erfül202 OLG Frankfurt a.M. vom 18.01.1994, CISG-online 123; Schlechtriem, Uniform Sales Law, S. 77. 203 Ferrari, Wesentliche Vertragsverletzung, in IHR 2005, S. 6. 204 Achilles, Art. 25, Rn. 5; Brunner, Art. 25, Rn. 11. 205 Aicher, Leistungsstörungen, S. 131 f.; Brunner, Art. 25, Rn. 12. 206 OLG Düsseldorf vom 18.11.1993, CISG-online 92. 207 OLG Hamburg vom 28.02.1997, CISG-online. 261. 208 Schlechtriem/Schwenzer/Hager, Art. 64, Rn. 5. 209 OLG Köln vom 14.10.2002, CISG-online. 709; Ferrari, Wesentliche Vertragsverletzung, in IHR 2005, S. 6. 210 OLG Koblenz vom 31.01.1997, CISG-online 256.
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len wird. Zweck der Nachfristbestimmung ist, dem Gläubiger in den Fällen ein Recht zur Aufhebung zu gewähren, in denen das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung unsicher ist. So wird vermieden, dass der Gläubiger Gefahr läuft, durch eine unberechtigte Aufhebungserklärung selbst eine Vertragsverletzung zu begehen. Die formalisierte Voraussetzung des Ablaufs einer Nachfrist befreit den Gläubiger von diesem Risiko211. Allerdings ist entgegen der Vorschläge im Gesetzgebungsverfahren die Möglichkeit zur Vertragsaufhebung mittels Setzung einer Nachfrist sehr beschränkt212: Sie besteht nur im Fall der „Nichtlieferung“ (Art. 49 (1) (b) CISG) und nicht schon in dem sehr viel häufiger vorkommenden Falle der „Schlechtlieferung“213. Ratio dieser Einschränkung ist das Bestreben der Konventionsgeber, die Möglichkeit zur Vertragsaufhebung insgesamt einzuschränken214. Die ausdrückliche Verweisung in Art. 51 CISG stellt klar, dass auch der Fall der Teillieferung vom Anwendungsbereich der Nachfristregelung erfasst wird215. Eine Nichtlieferung liegt ferner auch im Fall fehlender Übertragung solcher Dokumente vor, die zur Verfügung über die Ware benötigt werden216. Auch Art. 64 (1) (b) greift nur in den Fällen ein, in denen der Käufer trotz einer ihm gesetzten Nachfrist, seinen Kardinalpflichten, Zahlung und Abnahme der Ware, nicht nachgekommen ist. Auf weitere Pflichten ist diese Möglichkeit der Vertragsaufhebung nicht übertragbar217. Hierdurch soll verhindert werden, dass der Verkäufer durch Setzen einer Nachfrist jede Art von Pflichtverletzung durch den Käufer zu einer wesentlichen Vertragsverletzung aufwertet. Gerade wegen des engen Anwendungsbereichs ist jedoch zu beachten, dass auch das Unterlassen vorbereitender Handlungen eine Verletzung der Abnahme- oder Zahlungspflicht darstellen kann218. Die inhaltlichen Anforderungen an eine Nachfrist richten sich nach Art. 47 und 63 CISG. Zunächst ist der Gläubiger verpflichtet, dem Schuldner eine angemessene Nachfrist zu setzen219. Zweck dieser Frist ist, dem Schuldner Klarheit über das zwar fortbestehende, aber zugleich zeitlich begrenzte Erfüllungsinteresse des Gläubigers zu verschaffen. Daher sind Zeitraum und Zeitpunkt des Fristablaufs deutlich zu bezeichnen. Auf eine 211 212
Koch, The Concept of Fundamental Breach, S.187. Ein Antrag zur Einführung einer Art. 44 (2) EKG verwandten Regelung, die bei jeder Vertragsverletzung ein Recht auf Aufhebung mittels Nachfristsetzung vorsieht, wurde abgelehnt, O.R. S. 116. 213 Soergel/Lüderitz/Schüßler-Langeheine, Art. 49, Rn. 8. 214 Freiburg, Das Recht zur Aufhebung, S. 158. 215 Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 49, Rn. 15. 216 Schlechtriem, Einheitliches UN-Kaufrecht, Rn. 69. 217 Daun, Grundzüge, in JuS 1997, S. 1002; Posch, S. 161. 218 Freiburg, Das Recht zur Aufhebung, S. 158; Honnold, Rn. 354. 219 Achilles, Art. 47, Rn. 3; Petrikic, Leistungsstörungen, S. 158.
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bestimmte Form, das Verwenden des Ausdrucks „Nachfrist“ oder die Beifügung einer Ablehnungsandrohung kommt es hingegen nicht an220. Für die Frage der Angemessenheit der Fristsetzung sind sämtliche Umstände des Einzelfalls heranzuziehen221. In Betracht kommen das Ausmaß und die Folgen des Verzugs, die vertragliche Erfüllungsfrist, das Parteiinteresse sowie die Gründe, die einer ordnungsgemäßen Erfüllung im Weg stehen222. Hervorzuheben ist, dass nicht nur eine solche Frist angemessen ist, die es dem Schuldner ermöglichen würde, zum Zeitpunkt der Fristsetzung mit der Erfüllung neu zu beginnen. Vielmehr darf der Gläubiger erwarten, dass der Schuldner bereits vorher Vorbereitungen getroffen hatte, die es ihm ermöglichen, seinen vertraglichen Pflichten gerecht zu werden223. Korrespondierend zum Recht zur Nachfristsetzung ist der Gläubiger gehindert, während des Fristablaufs „Rechtsbehelfe wegen Vertragsverletzung“ auszuüben. Diese Einschränkung ist als eine gesetzliche Ausprägung des Verbots des venire contra factum propium ohne weiteres einleuchtend224. An dieser Stelle ist kurz auf das Verhältnis der Aufhebungsalternativen „wesentliche Vertragsverletzung“ sowie „Fristablauf bei Nichtleistung“ einzugehen: Eine Ansicht sieht in der Nachfristvariante eine lex specialis-Regelung im Fall der Nichtlieferung, die den Anwendungsbereich der Wesentlichkeitsvariante sperrt225. Hierfür spreche vor allem der Gewinn an Rechtssicherheit, der durch ein zwingendes Nachfristerfordernis erzielt werden würde. Nur bei besonderer Vereinbarung, wie z.B. im Fall eines Fixgeschäfts, führe die bloße Verzögerung zu einer wesentlichen Vertragsverletzung. In allen anderen Fällen sei es daher sinnvoll, den Gläubiger auf den Weg der Nachfristsetzung zu verweisen, um den Schuldner auf die besondere Bedeutung einer rechtzeitigen Erfüllung hinzuweisen226. Die Gegenansicht lehnt einen derartigen Vorrang der Nachfristvariante ab227. Aus den Vorarbeiten der Wiener Konferenz gehe deutlich hervor, dass gerade die Möglichkeit zur Aufhebung durch bloßes Setzen einer 220 221 222 223 224 225
Honsell, Vertragsverletzung, in SJZ 1992, S. 353. Petrikic, Leistungsstörungen, S. 67. Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 47, Rn. 6. Achilles, Art. 63, Rn. 4. MK/Huber, Art. 63, Rn. 3; Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 47, Rn. 6. AG Oldenburg vom 24.04.1990, CISG-online 20; OLG Düsseldorf vom 18.11.1993, CISG-online 92. Das Urteil des BGH vom 15.2.1995, CISG-online 149 bestätigte diese Entscheidung nur teilweise. Die Frage, ob eine wesentliche Vertragsverletzung vorlag, ließ es genauso offen, wie die Frage, ob trotzdem eine Nachfrist gesetzt werden müsste. 226 OLG Düsseldorf vom 18.11.1993, CISG-online 92. 227 Bianca/Bonell/Knapp, Art. 63, Rn. 2.7; MK/Huber, Art. 63, Rn. 2; Staudinger/Magnus, Art. 63, Rn. 8.
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Nachfrist eingeschränkt werden sollte. Allein in den Fällen der Nichterfüllung der Kardinalpflichten eines Kaufvertrags erschien es gerechtfertigt, dem Gläubiger eine weitere Möglichkeit einzuräumen, sich von seinen vertraglichen Verpflichtungen zu lösen. Es wäre daher geradezu paradox, nun ausgerechnet im Fall der Verletzung der Kardinalpflichten die Möglichkeit der Vertragsaufhebung zu beschränken. Prinzipiell stehen dem Gläubiger nach herrschender Meinung im Fall der Verletzung dieser Pflichten beide Wege, „Nachfrist-“ oder „Wesentlichkeitsvariante“ offen. Betrachtet man die Variante der Nachfrist jedoch genauer, so wird deutlich, dass diese letztlich nur eine vom Gesetzgeber typisierte Form einer wesentlichen Vertragsverletzung darstellt. Hat der Gläubiger dem Schuldner durch Setzen einer Nachfrist deutlich gemacht, dass das zeitliche Moment nun eine zentrale Bedeutung erhält, so liegt in der Nichterfüllung innerhalb dieses Zeitraums eine erhebliche Beeinträchtigung des vertraglichen Interesses des Gläubigers. Diese Sichtweise wird durch einen Blick auf die Bestimmungen des EKG bestätigt. Diese gewährten dem Gläubiger in einer Vielzahl von Fällen die Möglichkeit, durch Setzung einer Nachfrist eine Aufhebung des Vertrags zu erreichen. Hierbei sah jedoch der Wortlaut kein unmittelbares Aufhebungsrecht des Gläubigers vor. Er sah vielmehr vor, dass im Fall des Ablaufs der Nachfrist die Nichtleistung des Schuldners eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt228. § 2 Die Aufhebungserklärung Anders als das EKG kennt das CISG nicht das Konzept der sog. ipso factoAufhebung. Dieses sah vor, dass allein das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung die Parteien von ihren Leistungspflichten befreite. Der Nachteil einer Aufhebung kraft Gesetzes liegt im hieraus resultierenden Verlust an Rechtssicherheit229. Zu Recht wurde deshalb auf eine Übernahme dieses Konzepts verzichtet230. Art. 26 CISG erfordert für die Wirksamkeit der Aufhebungserklärung die ordnungsgemäße Mitteilung durch ein nach den Umständen geeignetes Mittel. Bei der Auswahl des Mittels sind Zuverlässigkeit und Schnelligkeit von Transportmitteln im Absender- und Empfängerland sowie in etwaigen Transitländern zu berücksichtigen. Als Erklärungsmittel kommen je nach Eilbedürftigkeit Brief, Telefon, Telex, Telegramm oder E-Mail in Be228 Art. 27 (2) EKG: „Der Käufer kann dem Verkäufer jedoch eine Nachfrist […] gewähren. Wird die Lieferung nicht innerhalb dieser Frist bewirkt, so stellt dies eine wesentliche Vertragsverletzung dar.“ 229 Enderlein/Maskow/Strohbach, Art. 26, Rn. 1.1; Staudinger/Magnus, Art. 25, Rn. 2. 230 Bianca/Bonell/Date-Bah, Art. 26, Rn. 2.3.
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tracht231. Aus Art. 27 CISG ergibt sich, dass der Begriff der Mitteilung keine Empfangsbedürftigkeit der Erklärung impliziert. Die ordnungsgemäß abgesandte, aber nicht angekommene Erklärung führt zur Aufhebung232. Im Folgenden ist zwischen den inhaltlichen (I) und zeitlichen (II) Anforderungen zu unterscheiden, die an eine wirksame Aufhebungserklärung gestellt werden. I. Die inhaltlichen Anforderungen an die Aufhebungserklärung Schwieriger ist die Frage zu beurteilen, wann eine Aufhebungserklärung i.S.v. Art. 26 CISG vorliegt. Festzuhalten ist zunächst, dass die Erklärung nicht schriftlich erfolgen muss233. Die englische Originalfassung des Art. 26 CISG effective only if made by notice legt nahe, dass eine Aufhebungserklärung explizit erfolgen muss234. Zwingend ist diese Interpretation aber nicht und die besseren Argumente sprechen gegen eine solche Betrachtung235. So ginge es an der Realität des Handelsgewerbes vorbei, eine explizite Aufhebungserklärung zu verlangen. Gerade im Fall des erstmaligen Vertragsbruchs durch den Handelspartner erfolgt die Aufhebungserklärung im Regelfall durch einen Nichtjuristen. Es wäre somit nicht sachgerecht, eine Erklärung zu verlangen, die das Wort Vertragsaufhebung oder Rücktritt enthielte. Richtig ist, dass eine Erklärung hinreichend deutlich den Willen des Erklärenden zum Ausdruck bringen muss, sich vom Vertrag zu lösen236. Dies ist jedoch keine Frage der expliziten oder impliziten Erklärung, sondern eine Frage der Auslegung. So werden die Interessen des Erklärungsempfängers an Rechtssicherheit durch Art. 8 CISG, der auch bei Aufhebungserklärungen Anwendung findet, ausreichend gewahrt. Verlangt eine Partei Schadenersatz wegen Nichterfüllung in Form entgangenen Gewinns und bringt gleichzeitig hinreichend zum Ausdruck, an der Lieferung der Ware kein Interesse mehr zu haben, ist hierin eine Aufhebungserklärung i.S.v. Art. 26 CISG zu sehen237. Als Erklärung eines Gestaltungsrechts ist die Aufhebungserklärung nach herrschender Meinung bedingungsfeindlich und unwiderruflich238. Sie
231 232 233
Kritzer, S. 212. Herber/Czerwenka, Art. 26, Rn. 2; Loewe, Art. 26, S. 48. Ein entsprechender Vorschlag wurde explizit abgelehnt, vgl. UNCITRAL Yearbook VIII (1977), 32 f. 234 Staudinger/Magnus, Art. 26, Rn. 6. 235 Schlechtriem/Schwenzer/Hornung, Art. 26, Rn. 10. 236 LG Frankfurt a.M. vom 16.09.1991, in RIW 1991, 652. 237 Schiedsgericht der Hamburger freundlichen Arbitrage vom 29.12.1998, CISGonline 638. 238 Zur Gegenansicht: Schlechtriem/Schwenzer/Hornung, Art. 26, Rn. 6.
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1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG
kann jedoch nach ganz überwiegender Ansicht mit einer Fristsetzung zur Nacherfüllung verbunden werden239. II. Die zeitlichen Anforderungen an die Aufhebungserklärung Prinzipiell ist das Aufhebungsrecht des Gläubigers nicht an die Beachtung einer bestimmten Frist gebunden240. Gewisse Grenzen werden allein durch nationale Regelungen der Verwirkung und Verjährung gesetzt241. Etwas anderes gilt gem. Art. 49 (2) und 64 (2) CISG nur dann, wenn der Verkäufer die Ware geliefert oder der Käufer den Kaufpreis beglichen hat242. Hintergrund dieser Regelung ist die unterschiedliche Beurteilung der Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit des vertragsbrüchigen Schuldners. Nur im Fall der gänzlich ausgebliebenen Leistung könne der Schuldner nicht darauf vertrauen, dass der Gläubiger nach einem bestimmten Zeitablauf am Vertrag festhalten wird243. Die sachlich berechtigte, aber in der Tat schwer mit dem Wortlaut der Art. 49 und 64 CISG zu vereinbarende Gegenansicht, verweist dagegen auf ein allgemeines Prinzip des CISG, demzufolge jeder Rechtsbehelf zumindest innerhalb einer angemessenen Frist geltend zu machen ist244. Für die zeitliche Beschränkung des Aufhebungsrechts sind prinzipiell zwei Fälle mangelhafter Erfüllung zu unterscheiden: Art. 49 (2) (a) und 64 (2) (a) CISG regeln den Fall der verspäteten Lieferung bzw. Zahlung, Art. 49 (2) (b) CISG erfasst sämtliche Fälle sonstiger Vertragsverletzungen. Die Abgrenzung anhand des Kriteriums der “late performance“ erscheint auf den ersten Blick leicht nachvollziehbar. Doch führt insbesondere die komplizierte Fassung des Art. 64 (2) CISG zu erheblichen Auseinandersetzungen in der Literatur245. So ist fraglich, ob Art. 64 (2) (a) CISG jede Art verspäteter Leistung erfasst246 oder der Anwendungsbereich auf die Hauptpflichten Abnahme und Zahlung zu beschränken ist247. Ferner gilt es, sich den gesetzlichen Grundgedanken klarzumachen: Der Gläubiger soll in den Fällen das Recht zur Vertragsaufhebung verlieren, in denen er trotz Möglichkeit zur Aufhebung den Schuldner im Glauben lässt, weiter erfüllen zu können. Es würde gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoßen, nun, da der Gläubiger „erhalten hat, was ihm zu239 240 241 242 243 244 245 246
Karollus, S. 152. Piltz, Internationales Kaufrecht, Rn. 390; Staudinger/Magnus, Art. 64, Rn. 30. OGH vom 06.02.1996; CISG-online 224. Schlechtriem/Schwenzer/Hager, Art. 64, Rn. 11. MK/Huber, Art. 64, Rn. 2; Staudinger/Magnus, Art. 64, Rn. 36. Schlechtriem/Schwenzer/Hornung, Art. 26, Rn. 14. Ausführlich: Schlechtriem/Schwenzer/Hager, Art. 64, Rn. 10 ff. Bianca/Bonell/Knapp, Art. 64, Rn. 3.13; Enderlein/Maskow/Strohbach, Art. 64,
Rn. 7. 247
Karollus, S. 180; Posch, Pflichten des Käufers, S. 161.
4. Kapitel: Der Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung im CISG
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steht248“, die Leistung rückabzuwickeln. Auch aus wirtschaftlicher Sicht sind diese Kosten zu vermeiden. Hierbei kann es aber weder eine Rolle spielen, ob es sich um eine Haupt- oder eine Nebenpflicht handelt, noch, ob das ursprüngliche Recht zur Vertragsaufhebung auf einer wesentlichen Vertragsverletzung oder dem Verstreichen einer Nachfrist beruht249. § 3 Die Rechtsfolgen der Vertragsaufhebung Die Rechtsfolgen der Vertragsaufhebung sind in den Art. 81-84 CISG geregelt. Die Gestaltungswirkung der Aufhebungserklärung beseitigt das vertragliche Verhältnis nicht ex tunc250. Vielmehr wandelt sich das ursprüngliche Vertragsverhältnis mit Wirkung für die Zukunft in ein Rückgewährschuldverhältnis um und der Vertrag bleibt als Rahmen erhalten251. Unmittelbare Rechtsfolge der Aufhebung ist das Erlöschen der Primärleistungspflichten der Parteien. Sofern ein Leistungsaustausch bereits stattgefunden hat, ergibt sich ferner die Pflicht zur Rückgewähr. Die auf der Vertragsverletzung beruhenden Schadensersatzansprüche bleiben von der Vertragsaufhebung unberührt, Art. 81 (1) S. 1 CISG. Selbstverständlich sind jedoch die Folgen der Rückabwicklung bei der Geltendmachung dieses Rechtsbehelfs mit einzubeziehen. Prinzipiell ist die Aufhebung des Vertrags ausgeschlossen, wenn es dem Käufer „unmöglich ist, die Ware im Wesentlichen in dem Zustand zurückzugeben, in dem er sie erhalten hat“. Art. 82 (2) CISG beinhaltet jedoch eine ganze Reihe von Ausnahmen, die faktisch die Grundregel des ersten Absatzes in ihr Gegenteil verkehren252. Ist dem Käufer die Verschlechterung der Sache nicht anzulasten, da sie außerhalb seines Einflussbereichs lag, sie aufgrund der von ihm gesetzlich verlangten Untersuchung erfolgte oder sie auf einer dem normalen Geschäftsverkehr entsprechenden Verwendung, dem Verbrauch oder der Weiterveräußerung beruhte, so behält der Käufer sein Recht zur Aufhebung. An dieser Stelle wird deutlich, dass Art. 81-84 CISG eine gegenüber Art. 66 ff. CISG spezielle Gefahrtragungsregel enthalten. Um Unbilligkeiten zu vermeiden, die dadurch entstehen können, dass es dem Käufer auch im Fall des Weiterverkaufs der Ware im normalen Geschäftsverkehr möglich ist, sich vom Vertrag zu lösen und den Kaufpreis zurückzufordern, enthält Art. 84 CISG eine Regelung zur Vorteilsausgleichung. Zugleich wird jedoch die Lückenhaftigkeit der Regelungen zur 248 249 250
Schlechtriem/Schwenzer/Hager, Art. 64, Rn. 15. Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 49, Rn. 28. Zur Gegenauffassung im romanischen Rechtskreis: Leser, Rücktritt vom Vertrag, S. 155. 251 Leser, Vertragsaufhebung und Rückabwicklung, S. 228. 252 Enderlein/Maskow/Strohbach, Art. 82, Rn. 1.2.
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1. Teil: Die Rechtsbehelfe im CISG
Rückabwicklung im CISG deutlich. So fehlt es an umfassenden Ausgleichsmechanismen für veräußerte, untergegangene, verwertete oder aber auch durch Verwendung aufgewertete Ware253. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die Vertragsaufhebung ein „beschränkter Rechtsbehelf“ sei und daher der Ergänzung durch den Rechtsbehelf des Schadensersatzes bedürfe254. § 4 Zusammenfassung Die Regelungen zum Recht zur Vertragsaufhebung im CISG finden sich in den Art. 49, 51, 64 und 72 CISG. Voraussetzung einer wirksamen Vertragsaufhebung sind das Recht zur Vertragsaufhebung und das Vorliegen einer wirksamen Aufhebungserklärung. Im Fall der bereits erfolgten Erfüllung der Kardinalpflichten – Lieferung oder Kaufpreiszahlung – muss die Erklärung innerhalb einer angemessenen Frist erfolgen. Zentraler Begriff im Rahmen der Voraussetzungen der Vertragsaufhebung ist das Kriterium der wesentlichen Vertragsverletzung. Die Möglichkeit zur Aufhebung des Vertrags durch Setzung einer Nachfrist stellt dagegen, anders als noch im EKG, den Ausnahmefall dar. Der Begriff der Wesentlichkeit wird in Art. 25 CISG legal definiert. Er erfordert jedoch eine Konkretisierung durch die Bildung von Fallgruppen. Obwohl Art. 25 CISG selbst keine bestimmten Rechtsfolgen vorsieht, fungiert der Begriff der „Wesentlichkeit“ als entscheidendes Leitkriterium im CISG. So differenziert das CISG grundsätzlich zwischen den Rechtsbehelfen, die eine wesentliche Vertragsverletzung voraussetzen, und den Rechtsbehelfen, die dem Gläubiger bei jeder Form der Nichterfüllung zur Verfügung stehen. Hierin zeigt sich die generelle Tendenz des CISG, den Rechtsbehelf der Vertragaufhebung nur als ultima ratio zuzulassen. Dieses Bestreben ist konform zur jüngeren Entwicklung im europäischen und internationalen Vertragsrecht. Zur Erreichung dieses Ziels bedient sich das CISG dreier Mittel: Erstens stellt das CISG in Art. 25 CISG höchste Anforderungen an das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung. Eine solche liegt nur dann vor, wenn sie dem Gläubiger einen substantiellen Vorteil entzieht und dieses für den Schuldner vorhersehbar war. Zweitens beschränkt das CISG die Möglichkeit zur Vertragsaufhebung mittels Nachfristsetzung auf den Fall der Verletzung einer Kardinalpflicht. Drittens gewährt das CISG dem Schuldner ein Recht zur Nacherfüllung. Zwar verweist Art. 48 (1) CISG auf den Vorrang der Vertragsaufhebung gem. Art. 49 CISG, jedoch liegt nach überzeugender Ansicht eine wesentliche Vertragsverletzung dann nicht vor, 253 254
Neumayer/Ming, Art. 84, Rn. 4; Staudinger/Magnus, Art. 84, Rn. 26. Leser, Rücktritt vom Vertrag, S. 210-215; Schlechtriem/Schwenzer/Hornung, vor Art. 81-84, Rn. 10.
4. Kapitel: Der Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung im CISG
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wenn bereits die übrigen Rechtsbehelfe Nacherfüllung, Minderung und Schadensersatz ausreichen würden, um dem verletzten Interesse des Gläubigers gerecht zu werden. Zusammengefasst ist es gerechtfertigt, von einem System gestufter Rechtsbehelfe zu sprechen.
2. Teil
Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG Art. 74 CISG ist die Grundnorm des Schadensrechts. Art. 75 und 76 CISG hingegen enthalten zwei spezielle Methoden der Schadensberechnung im Fall der Vertragsaufhebung. Der Grundgedanke dieser Vorschriften ist einfach nachzuvollziehen: In der Absicht einen Betriebsausfallschaden zu vermeiden, die Chance auf einen besonders günstigen Weiterkauf zu erhalten oder das Verderben nicht konservierbarer Ware zu verhindern, sieht sich der Gläubiger genötigt, ein Deckungsgeschäft zu tätigen. Aufgrund des zeitlichen Drucks gelingt es ihm nicht, den gleichen Preis wie im Ausgangsgeschäft zu erzielen. In diesem Fall gewährt Art. 75 CISG dem Gläubiger das Recht, den Differenzbetrag zwischen Vertragspreis und Deckungsgeschäft einzufordern. Verzichtet der Gläubiger auf die Vornahme eines konkreten Deckungsgeschäfts, gewährt Art. 76 CISG zusätzlich die Möglichkeit zur abstrakten Schadensberechnung. Beide Vorschriften befreien den Gläubiger von der Pflicht, seinen Schaden gem. Art. 74 CISG unter Offenlegung seiner Geschäftsbücher und Margen zu berechnen. Die Vorschriften entsprechen einer Reihe ähnlicher Sachregelungen in den nationalen Rechtssystemen der Mitgliedsstaaten des CISG. Eine entsprechende Möglichkeit der Schadensberechnung enthalten zudem Art. 8487 EKG. Für ein besseres Verständnis des Inhalts und der Konzeption der Vorschriften im CISG ist daher eine kurze rechtsvergleichende und historische Analyse der Bestimmungen des EKG und des nationalen Rechts zweckmäßig (1. Kapitel). Das CISG enthält zwei Möglichkeiten der Berechnung des „Differenzschadens“255. Erstens ist der Gläubiger berechtigt, seinen Schaden konkret zu berechnen: Zu ersetzen ist die Differenz zwischen dem ursprünglichen Vertragspreis und dem Preis des Deckungsgeschäfts, Art. 75 CISG (2. Kapitel). Zweitens kann er seinen Schaden abstrakt berechnen: Ersetzt wird der Differenzbetrag zwischen dem ursprünglichem Vertragspreis und dem Marktpreis zum Zeitpunkt der Aufhebung des Vertrags, Art. 76 CISG (3. Kapitel). In beiden Fällen besteht eine Pflicht des Gläubigers zur Schadensminderung (4. Kapitel).
255
Karollus, S. 218.
1. Kapitel: Rechtsvergleichung und Einheitsrecht
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1. Kapitel: Rechtsvergleichung und Einheitsrecht Zunächst erfolgt eine Analyse des Anspruchs auf Ersatz des Differenzschadens in den beiden großen und für die Regelungen des CISG prägenden Rechtskreisen des Civil Law und des Common Law256. Beispielhaft wird die Rechtslage im vor dem 1. Januar 2002 geltenden deutschen (§ 1) sowie im US-amerikanischen Recht (§ 2) analysiert. Im Anschluss wird auf die Regelung im EKG eingegangen (§ 3). § 1 Die konkrete und abstrakte Schadensberechnung im deutschen Recht I. Begriff und Formen konkreter und abstrakter Schadensberechnung Grundregel des deutschen Schadensrechts ist die Differenzhypothese. Im Fall der nicht erfolgten oder mangelhaften Leistung ist der Schuldner verpflichtet, durch Zahlung eines Geldbetrags den Zustand im Vermögen des Gläubiger herzustellen, der bestanden hätte, wenn der Schuldner ordnungsgemäß geleistet hätte257. Im Rahmen eines Kaufvertrags erfordert die Differenzhypothese, dass der Wert des Kaufgegenstandes in Geld umgerechnet wird258. Für die Bewertung der Kaufsache gibt es verschiedene Methoden. Zu unterscheiden ist zwischen den Methoden der konkreten und der abstrakten Schadensberechnung259. §§ 249 ff. BGB selbst enthalten jedoch keinerlei Bestimmung darüber, in welcher Form eine abstrakte oder konkrete Berechnung des Schadens zu erfolgen hat. Eine entsprechende Regelung findet sich lediglich in § 376 HGB. Das Fehlen einer expliziten Regelung im BGB führte seit jeher zu heftigen Auseinandersetzungen in Literatur und Rechtsprechung über die gebotene Art der Berechnung260. Sowohl im Fall des Vertragsbruchs des Käufers als auch des Verkäufers kommen nicht weniger als vier potentielle Methoden abstrakter und konkreter Schadensberechnung in Betracht: Der Verkäufer hat zunächst die Möglichkeit, seinen Schaden konkret zu berechnen. Dies kann er zum einen dadurch tun, dass er einen Deckungsverkauf tätigt und nach Abzug eventueller Kosten die Differenz zwischen dem erzieltem Mindererlös und dem ursprünglich vereinbarten Kaufpreis
256 Zur Einteilung der Rechtskreise: Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 62 ff. 257 Grundlegend hier die Entscheidung des großen Zivilsenats des BGH, in BGHZ 98, 212. 258 Huber, Leistungsstörungen II, § 38 I 1. 259 MK/Emmerich, vor § 281, Rn. 37 ff. und Rn. 56 ff. 260 Die erste grundlegende Analyse findet sich bei Rabel, Recht des Warenkaufs, S. 168 f.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
liquidiert261. Zum anderen ist er berechtigt, seinen Differenzschaden insofern konkret zu berechnen, als er den objektiven Wert der in seinem Vermögen verbliebenen Kaufsache von dem ihm entgangenen Kaufpreis abzieht262. Daneben hat der Verkäufer die Möglichkeit seinen Schaden abstrakt zu berechnen. Hierbei kann er zum einen den Differenzbetrag von Vertragspreis und Marktpreis der Ware geltend machen263. Zum anderen gestattet ihm die Rechtsprechung, den Differenzbetrag zu verlangen, der sich aus dem Vergleich von Vertragspreis und den Kosten der Anschaffung bzw. Herstellung der Ware ergibt264. Auch der Käufer ist zunächst berechtigt, seinen Differenzschaden konkret zu berechnen. Entweder er erwirbt anstelle des nicht gelieferten Gegenstandes entsprechende Ersatzware und stellt eventuelle Mehrkosten dem Verkäufer in Rechnung265 oder er verlangt den Gewinn, der ihm aus einem bereits abgeschlossenen, nun aber nicht mehr durchführbaren Weiterverkauf entgangenen ist266. Ferner kommen zwei Möglichkeiten abstrakter Schadensberechnung in Betracht: Nach Ansicht des BGH kann sich der Käufer auf die Möglichkeit eines „hypothetischen Weiterverkaufs“ des Kaufgegenstands zum Marktpreis berufen267. Der Käufer sei so zu stellen, als habe er das Vertragsobjekt zum vereinbarten Zeitpunkt bezogen und weiterverkauft. Insofern sei ihm der Differenzbetrag zwischen Einkaufsund hypothetischen Weiterverkaufspreis zu ersetzen. Nach Ansicht der Literatur ist der Käufer hingegen nur berechtigt, seinen abstrakten Schaden anhand der Differenz zwischen Vertragspreis und des darüber liegenden „Einkaufsmarktpreises“ zu berechnen268. Bereits Rabel hatte auf das „insofern falsche Verständnis der Marktpreisregel“ der Rechtsprechung hingewiesen. Während die Rechtsprechung in Wirklichkeit eine abstrakte Berechnung des entgangenen Gewinns (lucrum cessans) gem. § 252 S. 2 BGB durchführe, entspräche allein der Ansatz der Literatur der herkömmlichen Vorstellung einer abstrakten
261
RGZ 53, 11 (Versteigerung von Briketts); BGH NJW-RR 1997, 654 (Grundstücksverkauf). 262 RGZ 141, 259; BGHZ 136, 52; Huber, Leistungsstörungen II, § 38 II 1. 263 BGH ZIP 1995, 220; Steindorff, Abstrakte und konkrete Schadensberechnung, S. 12 f. 264 Im Fall des Händlers BGH BGHZ 126, 305. Im Fall des Herstellers BGHZ 107, 67. 265 RGZ 52, 150; BGH ZIP 1995, 220 „ist der Käufer aufgrund der bereits getätigten Kaufpreiszahlung außerstande, den Ersatzkauf zu finanzieren, reicht der Nachweis der Ankaufsmöglichkeit.“ 266 BGH NJW 1979, 811. 267 BGHZ 2, 310. 268 Bardo, Die abstrakte Schadensberechnung, S. 93 ff.
1. Kapitel: Rechtsvergleichung und Einheitsrecht
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Schadensberechnung anhand der Marktpreisregel269. Beide Ansätze kommen dann zum gleichen Ergebnis, wenn der Käufer Kaufmann ist, ihm somit die Vermutung des Handelns mit solcher Ware zugute kommt, und Einund Verkaufspreise am Markt identisch sind. Fehlt es hingegen an einer dieser Voraussetzungen, so z.B. wenn die Ware nachweislich nur zur Verarbeitung und nicht zum Weiterverkauf bestimmt war, führt allein der Ansatz der Literatur zu interessensgerechten Ergebnissen270. In seiner jüngsten Entscheidung hat sich der BGH der Ansicht der Literatur insofern genähert, als er dem Käufer nunmehr das Recht zuspricht, wahlweise auf einen hypothetischen Weiterverkauf oder einen hypothetischen Deckungskauf abzustellen271. II. Der Anwendungsbereich konkreter und abstrakter Schadensberechnung Die konkrete Form der Differenzschadensberechnung anhand eines tatsächlich getätigten Deckungsgeschäfts steht sowohl dem gewerblich als auch dem nicht gewerblich handelnden Gläubiger offen272. Im Fall eines Fixhandelskaufs ist der Gläubiger jedoch an die zusätzlichen Voraussetzungen des § 376 (3) HGB gebunden und kann das Deckungsgeschäft der Berechnung nur dann zugrunde legen, wenn er es unmittelbar nach Ablauf der Leistungsfrist vorgenommen hat. Ziel dieser zusätzlichen Einschränkungen ist, Spekulationen des Gläubigers zu Lasten des Schuldners zu verhindern273. Voraussetzung ist stets, dass der Gläubiger bei Vornahme des Deckungsgeschäfts die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet. Im Fall des Annahmeverzugs und Fortbestehens des Erfüllungsanspruchs steht dem gewerblich handelnden Verkäufer gem. § 373 HGB die zusätzliche Möglichkeit des Selbsthilfeverkaufs auf Rechnung des Käufers zur Verfügung. Schwieriger ist die Bestimmung des Anwendungsbereichs der abstrakten Schadensberechnung. Nach überwiegender Ansicht steht die Möglichkeit der Differenzschadensberechnung anhand eines hypothetischen Deckungsgeschäfts nur dem gewerblich tätigen Gläubiger zur Verfügung und dies auch nur dann, wenn es sich beim Vertragsgegenstand um marktgängige Ware handelt274. Allein in diesem Fall sei die Vermutung gerechtfer-
269 Rabel, Recht des Warenkaufs, S. 170 „Der ganze Aufbau der Lehre ist anfechtbar und die abstrakte Berechnung gar nicht bestimmt, den entgangenen Gewinn zu ermitteln.“ 270 OLG Nürnberg NJW-RR 2002, 47; Huber, Leistungsstörungen II, § 38 III 3. 271 BGH WM 1998, 931. 272 Soergel/Wiedemann, § 325, Rn. 56. 273 MK/Emmerich, vor § 281, Rn. 58. 274 BGHZ 126, 305.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
tigt, der Gläubiger wäre jederzeit in der Lage, die Ware am Markt zu erwerben oder zu veräußern275. Hauptanwendungsfall ist somit der Handelskauf mit marktgängiger Ware. Handelt es sich hierbei um ein Fixgeschäft, findet § 376 (2) HGB Anwendung. Der wesentliche Unterschied zwischen dieser speziellen Regelung und der von der Rechtsprechung über § 252 S. 2 BGB analog entwickelten „abstrakten Schadensersatzberechnung“ besteht darin, dass im Rahmen des § 376 (2) HGB der Schuldner nicht in der Lage ist, den Gegenbeweis zu erbringen und darzulegen, dass der tatsächliche Schaden des Gläubigers geringer ist als die Spanne zwischen Vertrags- und Marktpreis276. III. Der Zeitpunkt und Ort konkreter und abstrakter Schadensberechnung Die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts und Orts erübrigt sich im Fall des konkreten Deckungsgeschäfts. Im Fall eines verkehrsüblichen und angemessenen Geschäfts ist einzig und allein der Preis des konkreten Ersatzgeschäfts maßgeblich277. Für die Berechnung des abstrakten Schadens kommen verschiedene Zeitpunkte in Betracht: Neben dem vertraglich vereinbarten Leistungszeitpunkt, dem Zeitpunkt des Verzugseintritts, dem Zeitpunkt des Erlöschens der Leistungspflicht oder dem Zeitpunkt des Entstehens des Schadensersatzanspruchs, könnte man auch an den Zeitpunkt der Klageerhebung oder der letzten mündlichen Verhandlung denken278. Die von der Rechtsprechung vorgeschlagenen Lösungen werden in ihrer Vielfalt nur noch von den verschiedenen Ansätzen der Literatur übertroffen279. Eine ausführliche Darstellung würde daher den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Jedoch ist bei der Analyse des Art. 76 CISG auf diese Frage zurückzukommen. Was den maßgeblichen Ort der abstrakten Schadensberechnung anbelangt, so ist in der Regel auf den Ort der Erfüllung abzustellen280. IV. Das Verhältnis konkreter und abstrakter Schadensberechnung Nach herrschender Meinung besteht ein Wahlrecht des Gläubigers zwischen konkreter und abstrakter Schadensberechnung281. Dieses berechtigt 275 276 277 278 279
MK/Emmerich, vor § 281, Rn. 41. Larenz, Schuldrecht Band I, S. 513. OLG Karlsruhe NJW 1971, 1809; Palandt/Heinrichs, § 281, Rn. 26. Soergel/Wiedemann, § 325, Rn. 47. Zum Meinungsstand: MK/Emmerich, vor §281, Rn. 53 ff.; Soergel/Wiedemann, § 325, Rn. 49. 280 MK/Emmerich, vor § 281, Rn. 54. 281 BGHZ 2, 313; Steindorff, Abstrakte und konkrete Schadensberechnung, S. 12 f.
1. Kapitel: Rechtsvergleichung und Einheitsrecht
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den Gläubiger, sich noch im Prozess zwischen den beiden Arten der Berechnung zu entscheiden. Es gestattet dem Gläubiger hingegen nicht, verschiedene Methoden der Berechnung in Rahmen ein und desselben Schadenspostens anzuwenden282. Innerhalb dieser Ansicht ist es jedoch strittig, ob der Schuldner einer abstrakten Schadensberechnung des Gläubigers entgegenhalten könnte, dass es dem Gläubiger gelungen wäre, ein im Vergleich zum Marktpreis günstigeres Ersatzgeschäft vorzunehmen. Ein so verstandener Vorrang konkreter Berechnung wird teilweise unter dem Hinweis auf die Figur der „überholenden Kausalität“ bejaht283. Eine andere Ansicht hingegen vertritt, dass von vornherein kein Wahlrecht des Gläubigers besteht. Um eine unbillige Belastung des Schuldners zu vermeiden, sei stets nur die Art der Berechnung statthaft, die zu einem möglichst geringen Schaden führe. Die Möglichkeit zur abstrakten Schadensberechnung sei lediglich eine Beweiserleichterung284. Kein echtes Wahlrecht besteht im Rahmen des Fixhandelskaufs. § 376 (2) HGB normiert den Vorrang abstrakter Schadensberechnung, sofern der Vertrag aufgehoben wurde und ein Börsen- oder Marktpreis besteht. Nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 376 (3) HGB, der sofortigen Vornahme des Deckungsgeschäfts durch öffentliche Versteigerung oder durch Einschaltung eines Handelsmaklers, lebt das ursprüngliche Wahlrecht des Gläubigers wieder auf. Auch in diesem Fall ist der Gläubiger jedoch berechtigt, nach § 376 (2) HGB vorzugehen285. V. Die Pflicht zur Vornahme eines konkreten Deckungsgeschäfts Sehr umstritten ist die Frage, inwieweit eine Pflicht oder Obliegenheit des Gläubigers besteht, ein Deckungsgeschäft vorzunehmen. Folgende Grundzüge lassen sich feststellen: Eine Pflicht zur Vornahme eines Deckungsgeschäfts trifft den Gläubiger gem. § 254 (2) BGB dann, wenn dies „sachlich geboten und zumutbar“ war286. Bei Kaufleuten und im Fall der Marktabhängigkeit der Ware ist diese Voraussetzung in der Regel erfüllt287. Weiterhin ist strittig, ob eine Pflicht zum Deckungsgeschäft ungeachtet des Fortbestehens des Erfüllungsanspruchs angenommen werden kann. Während dieses von einer sehr starken Meinung im Schrifttum im Anschluss an eine Reihe von Entscheidungen des Reichsgerichts und des BGH verneint wird288, hat der fünfte Zivilsenat des BGH in einer jüngeren Entscheidung, 282 283 284 285 286 287 288
BGHZ 2, 313. OLG Düsseldorf NJW 1988, 1382; v. Caemmerer, Überholende Kausalität, S. 8 f. BGH WM 1998, 931; Soergel/Wiedemann, § 325, Rn. 60. Baumbach/Hopt, § 376, Rn. 12. BGH NJW 1987, 291; Erman/Battes, § 325, Rn. 17. RGZ 101, 90. RGZ 91, 99; BGH NJW 1972, 1702; Huber, Leistungsstörungen II, § 35 VI 1.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
ohne die Frage näher zu problematisieren und ohne sich mit der Gegenmeinung auseinanderzusetzen, eine Pflicht zur vorzeitigen Vornahme eines Deckungsgeschäfts bejaht289. Der Verkäufer, Verwalter in einem Gesamtvollstreckungsverfahren, hatte ein Gewerbegrundstück am 18.11.1991 für 800.000 DM verkauft. Dem Käufer, der das Grundstück schon bisher gewerblich nutzte, misslang die erhoffte Finanzierung. Erst am 29.04.1993 setzte der Verkäufer dem Käufer eine Nachfrist mit Ablehnungsandrohung bis zum 10.05.1993. Nach Ablauf der Nachfrist verkaufte er das Grundstück für 500.000 DM und verlangte Schadensersatz wegen Nichterfüllung in Höhe von 300.000 DM. Der Käufer hingegen behauptete, dass es noch im Herbst 1992 möglich gewesen wäre, das Grundstück für 600.000 bis 650.000 DM zu verkaufen.
Nach Ansicht des BGH war die Behauptung des Käufers, sofern sie denn zutraf, geeignet, ein Mitverschulden des Verkäufers zu begründen. In einem solchen Fall sei stets zu prüfen, ob der Verkäufer durch Vornahme eines Deckungsgeschäfts den Vertrag frühzeitig hätte beenden müssen. Hierbei sei maßgeblich, ob ein „berechtigtes Interesse des Käufers“ bestand, sich vom Vertrag zu lösen. Diese Entscheidung des BGH ist in der Literatur auf erhebliche Kritik gestoßen290. Auch auf diese Frage wird im Rahmen des CISG zurückzukommen sein. VI. Die Berücksichtigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts Nach Ansicht des BGH ist der Gläubiger berechtigt, ein vor Ablauf einer dem Schuldner gesetzten Nachfrist vorgenommenes Deckungsgeschäft in die Berechnung seines konkreten Differenzschadens mit einzubeziehen291. Er trägt jedoch das Risiko, dass der Schuldner noch vor Ablauf der Nachfrist und somit vor Entstehung des Anspruchs auf Schadensersatz seinen vertraglichen Pflichten nachkommt292. Das OLG München hatte dahingehend argumentiert, dass ein Anspruch des Gläubigers auf den Ersatz des Nichterfüllungsschadens nur die Schadensposten umfasst, die nach dem Zeitpunkt der Anspruchsentstehung, d.h. nach Ablauf der Nachfrist, aufgetreten sind293. § 2 Die konkrete und abstrakte Schadensberechnung im amerikanischen Recht I. Begriff und Formen konkreter und abstrakter Schadensberechnung Im US-amerikanischen Recht erfolgte die Berechnung des Schadens im Fall der Vertragsaufhebung ursprünglich allein anhand der Market-Price289 290 291 292 293
BGH NJW 1997, 1231. Ausführlich: Huber, Leistungsstörungen II, § 35 VI 3. BGH NJW 1998, 2901. BGH NJW 1998, 2901. OLG München NJW 1995, 2363.
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Rule294. Dies galt sowohl im Fall des Vertragsbruchs des Käufers als auch des Verkäufers295. Mit der Einführung des Uniform Commercial Code (UCC) wurde jedoch die Rechtsstellung des Gläubigers erheblich erweitert: Sec. 2-706 UCC (Verkäufer) und Sec. 2-712 UCC(Käufer) gewähren dem Gläubiger das Recht, seinen Schaden anhand eines konkreten Deckungsgeschäfts zu berechnen. Voraussetzung ist ein Vertragsbruch des Schuldners sowie die Vornahme eines „angemessenen Deckungsgeschäfts“ durch einen die „Grenze von Treu und Glauben“ beachtenden Gläubiger296. Die Möglichkeit der konkreten Berechnung besteht sogar dann, wenn es dem Gläubiger gelungen ist, die Mehrkosten des Deckungsgeschäfts auf seine Endabnehmer abzuwälzen297. Die Einführung der Möglichkeit zur konkreten Schadensberechnung erfolgte aufgrund der Tatsache, dass in einer Reihe von Fällen die Marktpreisregel als „schwierig, teuer und zeitaufwendig“ empfunden wurde298. Die Normen hingegen, die es dem Gläubiger ermöglichen, seinen Schaden konkret zu berechnen, seien nicht nur „einfach und leicht zu verstehen“, sondern „arbeiten wie eine gut geölte Maschine, die es den Gerichten ermöglicht, angemessene Entscheidungen zu fällen“299. Zusätzlich zur neu geschaffenen Möglichkeit der konkreten Berechnung bleibt der Gläubiger berechtigt, seinen Differenzschaden abstrakt zu berechnen. Während der Käufer die Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis am Erfüllungsort und im Moment seiner Kenntnis von der Vertragsverletzung verlangen kann, Sec. 2-713 UCC, wird der Differenzschaden des Verkäufers durch den Vergleich von Vertragspreis und Marktpreis im Moment und am Ort der Erfüllung ermittelt, Sec. 2-708 UCC. Die Anforderungen an die Darlegung des Marktpreises ergeben sich aus Sec. 2723 UCC. II. Der Anwendungsbereich konkreter und abstrakter Schadensberechnung Mangels einer besonderen gesetzlichen Regelung entspricht der sachliche und persönliche Anwendungsbereich der Regelung der konkreten und abstrakten Schadensberechnung dem des Artikels 2 UCC. Artikel 2 UCC wiederum erfasst grundsätzlich sämtliche Fälle des Warenverkaufs, einerlei, ob die Parteien in Ausübung einer gewerblichen Tä294 295 296 297
Calamari/Perillo, Law of Contracts, S. 570. Sec. 64 and 67 Uniform Sales Act. Murray, On Contracts, S. 740. KGM Harvesting v. Fresh Network, 36. Cal. App. 4th 376, 42 Cal. Rptr. 2d 286 (1995). 298 Calamari/Perillo, Law of Contracts, S. 570. 299 White/Summers, UCC, § 7-6.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
tigkeit oder als Privatleute handeln300. Dies ergibt sich u.a. aus einem Umkehrschluss aus Sec. 2-102 UCC. Sec. 2-102 UCC behandelt das Verhältnis des UCC zu anderen Gesetzen und sieht vor, dass die Vorschriften des Artikel 2 UCC nicht der Anwendung besonderer Vorschriften über den Verkauf an „Verbraucher, Farmer oder andere spezielle Klassen von Käufern“ entgegenstehen. Umgekehrt ergibt sich aus Sec. 2-102 UCC aber, dass das UCC im Übrigen auch Verträge mit solchen Parteien erfasst, die keine gewerbliche Tätigkeit ausüben. Bestimmte Normen des UCC sehen Sonderregelungen für Kaufleute vor. Dies gilt jedoch weder für die konkrete noch für die abstrakte Schadensberechnung des Gläubigers, die somit sowohl auf Privatleute als auch Kaufleute Anwendung findet. Der sachliche Anwendungsbereich der Vorschriften zur Differenzschadensberechnung erschließt sich neben dem Wortlaut vor allem aus dem System der Vorschriften zum Schadensersatz301. Diese trennen zwischen dem Fall, in dem der Gläubiger die geschuldete Leistung nicht erhält oder sie berechtigterweise zurückweist302, und dem Fall, in dem die verspätet oder mangelhaft erbrachte Leistung beim Gläubiger verbleibt303. Nur im ersten Fall ist eine Differenzschadensberechnung statthaft304. III. Der Zeitpunkt und Ort konkreter und abstrakter Schadensberechnung Wie im deutschen Recht stellt sich auch im US-amerikanischen Recht allein im Fall der abstrakten Schadensberechnung die Frage des relevanten Orts und Zeitpunkts zur Bestimmung des Marktpreises. Hierbei unterscheidet das UCC zwischen der Berechnung des Käufers und der des Verkäufers. Sec. 2-713 UCC stellt bei der Berechnung des Käufers auf den Marktpreis im Zeitpunkt der Kenntnis des Käufers vom Vertragsbruch des Verkäufers ab. Maßgeblicher Ort ist grundsätzlich der Erfüllungsort (place of tender), im Fall der Zurückweisung der Ware ist es der Erfolgsort. Sec. 2-708 UCC hingegen stellt bei der Berechnung des Verkäufers sowohl für den Ort als auch für den Zeitpunkt auf die vertragliche Leistungsvereinbarung ab (time and place for tender). Die gesetzliche Normierung der schwierigen Frage des relevanten Zeitpunkts der Marktpreisregel verhinderte die Entstehung ähnlicher Streitigkeiten wie im deutschen Recht305. Ratio der Festlegung des Erfüllungstermins als des grundsätzlich relevanten Zeitpunkts ist die Erkenntnis, dass 300 Calamari/Perillo, Law of Contracts, S. 19. 301 Nordstrom, Sales, S. 709 f. 302 Sec. 2-711,- 2-713, 2-715, 2-716 (Käufer) sowie
Sec. 2-703, 2-704, 2-706, 2-708 2-710 (Verkäufer). 303 Sec. 2-714 und 2-715 (Käufer) sowie Sec. 2-710 (Verkäufer). 304 Nordstrom, Sales, S. 709 f. 305 Vgl. hierzu die Ausführungen auf S. 53.
1. Kapitel: Rechtsvergleichung und Einheitsrecht
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auch der Ersatz des abstrakten Differenzschadens letztlich ein Surrogat des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs darstellt306. Die abweichende Lösung in Sec. 2-713 UCC hingegen beabsichtigt den Käufer zu schützen, der in einer Reihe von Fällen wie z.B. beim Streckengeschäft erst nach dem vertraglichen Erfüllungszeitpunkt von der unterbliebenen Erfüllung des Verkäufers erfährt307. Gänzlich umstritten ist hingegen auch im amerikanischen Recht die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts im Fall der vorzeitigen Erfüllungsverweigerung des Gläubigers308. Die Frage wird durch die Existenz einer ganzen Reihe von Regelungen erschwert, die ebenfalls den Fall des „vorzeitigen Vertragsbruchs“ behandeln und deren Anwendungsbereich sich nur schwer vom jenem der Sec. 2-713 und 2-708 UCC abgrenzen lässt309. Die wohl überwiegende Rechtsprechung stellt auf den Zeitpunkt der Kenntnis der Erfüllungsverweigerung ab310. Die in der Lehre aber auch in der Rechtsprechung vertretene Gegenansicht, der sich auch die mit der Ausarbeitung von Revisionsvorschlägen betraute Study Group angeschlossen hat311, stellt auf den Zeitpunkt der hypothetischen Vertragserfüllung ab312. Eine sehr ausführliche Analyse des Problems nahm der Court of Appeal in der Entscheidung Cosden Oil & Chemical Co. v. Karl O. Helm Aktiengesellschaft vor313. Das Gericht hielt den Zeitpunkt der Kenntnis der Vertragsaufsagung zuzüglich einer handelsrechtlich angemessenen Überlegungsfrist für sinnvoll. Hierfür spricht insbesondere die Tatsache, dass das UCC prinzipiell das in angemessener Zeit getätigte Deckungsgeschäft als den wirtschaftlich sinnvollsten und daher primären Rechtsbehelf des Gläubigers erachtet314. IV. Das Verhältnis konkreter und abstrakter Schadensberechnung Der Wortlaut des UCC scheint, ähnlich wie im kontinentaleuropäischen Recht, ein freies Wahlrecht des Gläubigers zwischen abstrakter und konkreter Schadensberechnung vorzusehen315. Die Entstehungsgeschichte der 306 307 308
Murray, On Contracts, S. 744. Study Group Report, at 224-25 und Task Force Report, at 1231. White/Summers, UCC, § 6-7: “One of the most impenetrable interpretive problems in the Code“. 309 Vgl. Sec. 2-723 (1) und 2-610 UCC. 310 Oloffson v. Coomer, 11. Ill. App. 3d 918, 296; N.E. 2d 871; 12 UCC 1082 (1973). 311 Study Group Report, at 225. 312 Cargill v. Stafford, 553 F. 2d 1222; 21 UCC 707 (1977); White/Summers, UCC, § 6-7. 313 Cosden Oil & Chemical v. Karl O. Helm 736 F. 2d 1064, 38 UCC 1645 (1984). 314 Nordstrom, Sales, S. 831. 315 Vgl. Sec. 2-712 und 2-713 UCC für den Käufer sowie Sec. 2-706 und 2-708 UCC für den Verkäufer.
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Vorschriften spricht ebenfalls für ein solches Wahlrecht316. Auch die Literatur folgte zunächst dieser Auffassung317. Fraglich ist jedoch, ob es wirtschaftlich gerechtfertigt ist, einem Gläubiger auch dann zu gestatten, seinen Schaden abstrakt zu berechnen, wenn es ihm gelungen ist, seinen Schaden durch die Vornahme eines tatsächlichen Deckungsgeschäfts zu minimieren. Zur Verdeutlichung folgender Fall318: Die Parteien einigten sich über den Verkauf von Rindern zu $ 0.61 pro Pfund. Aufgrund der Weigerung des Käufers, die Ware abzunehmen, lud der Verkäufer drei professionelle Viehhändler ein und ließ eine Test-Versteigerung durchführen, die einen Preis von $ 0.42 erbrachte. Aus ungeklärten Gründen gelang es dem Verkäufer jedoch am selben Abend, einen noch günstigeren Deckungsverkauf zu tätigen. Bei der Berechnung seines Nichterfüllungsschadens verlangte er gleichwohl die Differenz von Vertragspreis und dem durch die Versteigerung ermittelten Marktpreis. Das Gericht entsprach unter Bejahung eines Wahlrechts dem abstrakten Schadensersatzverlangen des Verkäufers.
Die vorzitierte Entscheidung ist in der Literatur weitestgehend auf Ablehnung gestoßen319. Diese Ansicht beruft sich zum einen auf den in Sec. 1106 UCC normierten Grundsatz, dem zufolge der Schadensersatzrechtsbehelf nur dazu dient, den Gläubiger in die Position ordnungsgemäßer Erfüllung zu versetzen, nicht aber in eine noch bessere. Zum anderen beruft sie sich auf die so genannten comments zu den entsprechenden Bestimmungen des UCC. Diese weisen explizit darauf hin, dass die abstrakte Schadensberechnung nur im Fall eines nicht erfolgten konkreten Deckungsgeschäfts zulässig sei320. Sowohl die Study Group als auch die Task Force haben sich dieser Meinung angeschlossen. Darüber hinaus fordern sie, dass eine abstrakte Schadensberechnung auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Gläubiger es aus „schlechter Absicht“ heraus unterlässt, ein günstigeres Deckungsgeschäft zu tätigen321. Die Regeln der abstrakten Schadensberechnung fänden dann keine Anwendung, wenn ein konkretes Deckungsgeschäft vorliegt, der hieraus entstandene Schaden geringer ist und der Gläubiger ohne die Vertragsverletzung des Schuldners das Deckungsgeschäft nicht vorgenommen hätte322. Unbestritten ist hingegen die umgekehrte Einschränkung des Wahlrechts in den Fällen des sog. lost volume seller. Kann der Verkäufer nachweisen, 316
Comment 1 to 2-703 UCC: “This Article rejects any doctrine of election of rem-
edy.” 317 318 319 320
Peters, A Roadmap for Article Two, S. 260. Wendling v. Puls, 227 Kann. 780; 28 UCC 1362 (1980). White/Summers, UCC, § 6-4; Nordstrom, Sales, S. 827. Comment 5 to 2-713 UCC: The present section […] only applies when […] the buyer has not covered. 321 Study Group Report, at 223 und 207-08; Task Force Report, at 1228. 322 Tesoro Petroleum Corp. V. Holborn Oil Co., 145 Misc. 2d 715; 10 UCC2d 814 (1989); Eades Commodities, Co. v. Hoeper, 17 UCC2d 771 (1992).
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dass die Vornahme eines Deckungsgeschäfts zugleich mit dem Verlust der Möglichkeit des Abschlusses eines weiteren Geschäfts einhergeht, sog. lost volume, so kommt allein eine abstrakte Schadensberechnung in Betracht323. V. Die Begrenzung des abstrakten Schadensersatzanspruchs auf das Erfüllungsinteresse Fraglich ist ferner, ob ein abstrakt berechneter Schadensersatzanspruch des Gläubigers in der Höhe stets auf das ursprüngliche Erfüllungsinteresse des Gläubigers zu begrenzen ist. Dies wird teilweise mit der Begründung bejaht, dass dann, wenn der anhand der Marktpreisregel berechnete Schaden das Erfüllungsinteresse übersteige, dies für den Gläubiger ein nicht zu ersetzendes „Geschenk des Himmels“ sei324. Als Beispiel diene folgender Fall325: Die Parteien, Victor und Allied, einigten sich über den Kauf von Rosinen. Der Käufer, Allied, hatte sich bereits vorher zum Weiterverkauf der Rosinen an zwei japanische Käufer verpflichtet. Der Nettogewinn aus diesem Weiterverkauf sollte bei ca. $ 4.500 liegen. Durch heftigen Regen wurde die gesamte kalifornische Rosinenernte erheblich beschädigt. Da der Rosinenmarkt fast ausschließlich aus kalifornischen Rosinen bestand, konnte ein Deckungsgeschäft nicht in angemessener Frist erfolgen. Der geringe Vorrat an Rosinen führte zudem zu einem erheblichen Anstieg des Marktpreises. Allied gelang es, sich ohne weitere Verpflichtungen aus beiden Weiterverkaufsgeschäften zurückzuziehen. Gleichwohl verlangte Allied von Victor Ersatz des Differenzbetrags zwischen Vertragspreis und Marktpreis in Höhe von ca. $ 150.000.
Der Court of Appeal Kaliforniens befasste sich mit der schwierigen Frage, ob der Gläubiger aufgrund seines prinzipiell bestehenden Wahlrechts berechtigt sei, seinen Schaden so zu berechnen, dass er im Ergebnis um ein Vielfaches besser stünde als im Fall ordnungsgemäßer Erfüllung. Das Gericht verneinte ein solches Recht des Käufers. Es stützte sich hierbei auf zwei Argumente. Zum einen stünde das Besserstellungsverbot des UCC einem solchen Ersatzanspruch entgegen326. Zum anderen sei der abstrakt berechnete Differenzschaden deswegen nicht vorhersehbar, da der Verkäufer Kenntnis von den Weiterverkaufsabsichten des Käufers hatte327. Gerade weil diese Entscheidung dem spontanen Gerechtigkeitsgefühl entspricht, erscheint es interessant zu untersuchen, ob auch bei Anwendung des CISG, das kein explizites Besserstellungsverbot enthält, ein solches Ergebnis begründbar wäre. Doch auch im Rahmen des UCC erscheint das 323 324 325
Teradyne, Inc. v. Teledyne Industries, Inc., 676 F. 2d 865, 33 UCCR 1669 (1982). White/Summers, UCC Stud. Edition S. 253. Allied Canners & Packers, Inc. v. Victor Packing, Co., 162 Cal. App. 3d 905, 39 UCC 1567 (1984). 326 Vgl. Sec. 1-106 UCC. 327 Allied Canners & Packers, Inc. v. Victor Packing, Co., 162 Cal. App. 3d 905, 39 UCC 1567 (1984).
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gefundene Ergebnis nicht zwingend. Schließlich wäre der Schaden bei tatsächlicher Vornahme eines Deckungskaufes zum Marktpreis ebenfalls so hoch gewesen. Alle weiteren Überlegungen, wie z.B. die Befreiung von der Pflicht zum Weiterverkauf schließen sich zeitlich später an. Ob derartige nach Vertragsbruch liegende Umstände bereits bei der Frage der zulässigen Berechnungsart zu berücksichtigen sind, ist zumindest fraglich328. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich im Rahmen des UCC die Ansicht durchgesetzt hat329, dass in bestimmten Fällen nur die konkrete Schadensberechnung anhand eines Deckungsgeschäfts330, in anderen Fällen nur der Ersatz des entgangenen Gewinns331 und in wieder anderen Fällen nur die abstrakte Methode der Schadensberechnung anhand des Marktpreises332 zulässig ist. Das vom Wortlaut des UCC vorgesehene Wahlrecht des Gläubigers hat somit durch Rechtsprechung und Literatur erhebliche Einschränkungen erfahren. VI. Die Pflicht zur Vornahme eines konkreten Deckungsgeschäfts Die Frage der Pflicht zur Vornahme eines konkreten Deckungsgeschäfts ist untrennbar mit der Frage der Reichweite der Pflicht zur Schadensminderung (mitigation duty) verbunden333. Die Konzeption des USamerikanischen Rechts weicht diesbezüglich in ganz erheblichem Maße vom deutschen Recht ab. Nach überwiegender Ansicht besteht im deutschen Recht keine Pflicht zur Vornahme eines Deckungsgeschäfts vor Erlöschen des Erfüllungsanspruchs. Der UCC hingegen anerkennt einen Anspruch des Gläubigers auf Erfüllung (specific performance) überhaupt nur dann, wenn ein angemessener Versuch des Gläubigers, ein Deckungsgeschäft zu tätigen, erfolglos geblieben ist oder ein solcher Versuch von Anfang an keinen Erfolg versprach334. Die Situation im US-amerikanischen Recht ist somit umgekehrt zum deutschen Recht: Nicht der Erfüllungsan-
328 329 330
White/Summers, UCC Stud. Edition, S. 253. Murray, On Contracts, S. 745. Sun Maid Raisin Growers v. Victor Packing, Co., 146 Cal. App. 3d 787, 194 Cal. Rptr. 612: Vgl. § 2-713 UCC comment 5: “The present section provides a remedy which is completely alternative to cover under section § 2-712 and applies only when and to the extent that the buyer has not covered.” 331 Allied Canners & Packers, Inc. v. Victor Packing, Co., 162 Cal. App. 3d 905, 209 Cal. Rptr. 60. 332 Madsen v. Murrey & Sons, Co., 743 P. 2d 1212 unter Hinweis auf die Schadensminderungspflicht. 333 Teilweise findet man den Ausdruck der “Limitation of avoidable loss“, Murray, On Contracts, S. 695. 334 Vgl. Sec. 2-710 (Verkäufer) und 2-716 (Käufer).
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spruch unterliegt einem besonderen Schutz, sondern das wirtschaftlich sinnvolle Deckungsgeschäft335. Hält der Käufer zu lange an seinem Erfüllungsverlangen fest und entstehen ihm hierdurch Folgeschäden, “consequential damages“, so kann er diese dann nicht ersetzt verlangen, wenn sie bei frühzeitiger Vornahme eines Deckungskaufs nicht entstanden wären336. Dies gilt insbesondere für sog. Betriebsausfallschäden. Verwendet ein Käufer eines LKW diesen in seinem Betrieb, so kann er bei Mangelhaftigkeit des LKW nicht schlicht dessen Reparatur oder Neulieferung abwarten und seinen Betriebsausfallschaden liquidieren, wenn es ihm möglich gewesen wäre, den LKW von einem anderen Verkäufer sofort zu beziehen oder zu leasen337. Genauso wenig ist es einem Verkäufer gestattet, die Vornahme eines Deckungsverkaufs innerhalb eines fluktuierenden Markts hinauszuzögern. Im Gegenteil: Der Verkäufer ist nur dann berechtigt, die Mehrkosten des Deckungsgeschäfts im Rahmen eines späteren Schadensersatzverlangens gem. Sec. 2-706 UCC geltend zu machen, wenn der Deckungsverkauf ohne schuldhaftes Zögern erfolgt338. Besonders deutlich wird die Pflicht zur frühzeitigen Vornahme eines Deckungsgeschäfts im Fall des vorzeitigen Vertragsbruchs. Der vorzeitige Vertragsbruch des Schuldners berechtigt den Gläubiger, seine Erfüllungsbemühungen einzustellen. Daneben hat der Gläubiger das Recht, entweder für einen angemessenen Zeitraum an seinem Erfüllungsverlangen festzuhalten oder sofort Schadensersatz zu verlangen339. Das Recht, im Fall des Vertragsbruchs Erfüllung zu verlangen, stellt im deutschen Recht eine Selbstverständlichkeit dar. Im US-amerikanischen Recht musste es hingegen ausdrücklich normiert werden. Ferner begrenzt der UCC das Fortbestehen des Erfüllungsanspruchs auf eine „handelsübliche Zeitspanne“. Bereits mit Eintritt der Erfüllungsverweigerung des Schuldners entsteht, quasi als Pendant zur Befreiung des Gläubigers von seinen eigenen Erfüllungspflichten und zu seinem Recht, Schadenersatz zu verlangen, die Pflicht des
335 336
Calamari/Perillo, Law of Contracts, S. 571. Sec. 2-715 (2) (a) UCC; Murray, On Contracts, S. 696; Calamari/Perillo, Law of Contracts, S. 571. 337 Murray, On Contracts, S. 699. 338 Apex Oil, Co. v. Belcher, Co. of NY, 855 F. 2d 997, 6 UCCR2d 1025 (1988); Nordstrom, Sales, S. 819. 339 Sec. 2-710 UCC.
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Gläubigers zur Schadensminderung340. Kommt der Gläubiger dieser Pflicht nicht nach, so ist sein späterer Anspruch entsprechend zu mindern341: Der Verkäufer, ein Landwirt, informierte den Käufer, einen Getreidehändler, dass er aufgrund des übermäßigen Regens kein Korn anpflanzen würde. Obgleich der Käufer deshalb wissen musste, dass der Verkäufer seinen Lieferverpflichtungen nicht nachkommen würde, wartete er mit der Vornahme eines Ersatzgeschäfts bis zum Eintritt des vertraglich vereinbarten Erfüllungszeitpunkts. Hierin sah das Gericht eine Verletzung der Schadensminderungspflicht.
Die Frage der Pflicht zur Schadensminderung ist eng verbunden mit der Frage des maßgeblichen Zeitpunkts bei der Bestimmung des Marktpreises im Fall der Erfüllungsverweigerung. Stellt man bei der abstrakten Berechnung auf den Zeitpunkt der Kenntnis von der Erfüllungsverweigerung ab342, entsteht auch die Pflicht zur Vornahme des Deckungsgeschäfts zu diesem Zeitpunkt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man die Marktpreisregel als weitere Form des Ersatzes des Erfüllungsinteresses begreift343. Denn nur wenn der Gläubiger sofort tätig wird, versetzt ihn der abstrakt berechnete Differenzschaden hypothetisch in die Lage ordnungsgemäßer Erfüllung. Die Gegenansicht stellt hingegen auf den Zeitpunkt der Kenntnis der Erfüllungsverweigerung plus einer angemessenen Überlegungsfrist ab344. Die hier beschriebenen unterschiedlichen Ansätze des deutschen und US-amerikanischen Rechts sind zugleich die antagonistischen Ausgangspunkte im Rahmen der Analyse des Differenzschadens in Art. 74 – 76 CISG. § 3 Die konkrete und abstrakte Schadensberechnung im EKG Die Regelungen des Einheitlichen Kaufgesetzes zum Ersatz des Differenzschadens finden sich in Art. 84 bis 87 EKG unter der Überschrift „Schadensersatz in Fällen, in denen der Vertrag aufgehoben ist“ (I). Zudem enthält das EKG in Art. 25 und 61 EKG eine Regelung des Erfüllungsanspruchs, die in unmittelbarem Zusammenhang zum Ersatz des Differenzschadens steht (II).
340 Murray, On Contracts, S. 703 “There can be little doubt of the injustice in permitting the promisee to fail to take reasonable steps to prevent the accumulation of unnecessary damages where the promisor clearly manifest his intention not to perform the contract.“ 341 Oloffson v. Coomer, 11. Ill. App. 3d 918, 296; N.E. 2d 871; 12 UCC 1082 (1973). 342 So das Gericht in Oloffson v. Coomer, 11. Ill. App. 3d 918, 296; N.E. 2d 871; 12 UCC 1082 (1973). 343 Anders: White/Summers, UCC, § 6-4 (Marktpreisregel als eine “statutory liquidated damages clause“). 344 Murray, On Contracts, S. 703.
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I. Die Regelung des Differenzschadens in Art. 84-87 EKG 1. Die abstrakte Berechnung des Differenzschadens gem. Art. 84 EKG Art. 84 EKG beinhaltet die Marktpreisregel. Im Fall der Aufhebung des Vertrags ist der Gläubiger berechtigt, vom Vertragsbrüchigen Schuldner die Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis zu verlangen. Die „abstrakte“ Schadensberechnung befreit den Gläubiger von der Pflicht, seinen Schaden anhand eines tatsächlich vorgenommenen Deckungsgeschäfts oder anhand eines konkreten Gewinnausfalls zu berechnen. Folgende Voraussetzungen müssen gegeben sein: Voraussetzung ist zunächst das Vorliegen einer wirksamen Vertragsaufhebung. Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut des Art. 84 EKG selbst und zum anderen aus der systematischen Stellung des Art. 84 EKG innerhalb eines mit der Überschrift „Schadensersatz in Fällen, in denen der Vertrag aufgehoben ist“ versehenen Abschnitts des EKG. Dieser „doppelte Hinweis“ auf das Erfordernis des aufgehobenen Vertrags erscheint überflüssig und ist in Art. 85 und 86 EKG, deren Wortlaut nicht das Erfordernis des aufgehobenen Vertrags vorsieht, vermieden worden345. Weitere Voraussetzung ist das Vorliegen eines Marktpreises. Eine Legaldefinition des Begriffs „Marktpreis“ findet sich in Art. 12 EKG. Unter Marktpreis ist der Preis zu verstehen, „der sich aus seiner amtlichen Preisnotierung auf einem Markt oder aus den Faktoren ergibt, die nach den Marktbräuchen zur Festsetzung des Preises dienen“. Maßgeblich ist gem. Art. 84 (2) EKG in erster Linie der Markt, auf dem das gescheiterte Geschäft vorgenommen werden sollte. Lässt sich auf diesem Markt kein Preis bestimmen oder erscheint die Maßgeblichkeit dieses Markts als „unangemessen“, ist auf einen angemessenen Ersatzmarkt abzustellen. „Unangemessen“ ist ein Markt dann, wenn dessen Maßgeblichkeit dem Prinzip der Schadensminderungspflicht widersprechen würde, so zum Beispiel bei einem räumlich weit entfernten Markt346. Sehr umstritten bei der Vorbereitung des EKG war die Frage, welcher Zeitpunkt bei der Bestimmung des Marktpreises maßgeblich sein sollte347. Aus Gründen der Rechtssicherheit entschloss man sich, auf den Zeitpunkt der Vertragsaufhebung und nicht auf den Zeitpunkt der Möglichkeit zur Vertragsaufhebung abzustellen. 2. Die konkrete Berechnung des Differenzschadens gem. Art. 85 EKG Art. 85 EKG gestattet es dem Gläubiger, den Betrag zu verlangen, der sich aus der Differenz des ursprünglichen Vertragspreises und des Preises des 345 Vgl. hierzu auch die kritische Anmerkung von Dölle/Weitnauer, vor Art. 8487 EKG, Rn. 4. 346 Mertens/Rehbinder, Art. 84, Rn. 10. 347 Dölle/Weitnauer, Art. 84, Rn. 4 f.
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ersatzweise getätigten Deckungsgeschäfts ergibt. Das Deckungsgeschäft bildet somit zugleich die Grundlage der Schadensberechnung348. Voraussetzung ist ein aufgehobener Vertrag. Ferner muss das Deckungsgeschäft in angemessener Weise vorgenommen worden sein. Anders als Art. 75 CISG enthält Art. 85 EKG keinen expliziten Hinweis, dass das Deckungsgeschäft auch in angemessener Zeit vorzunehmen ist. In der Sache besteht aber kein Unterschied, da sich diese Anforderung ohne weiteres unter den Begriff „in angemessener Weise“ fassen lässt349. Das EKG enthält keine Definition des Begriffs der „Angemessenheit“. Abzustellen ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls. Maßgeblich ist „das Verhalten eines vorsichtigen und umsichtigen Geschäftsmanns im Rahmen der einschlägigen kaufmännischen Übung“350. Um der Gefahr der Preisspekulation vorzubeugen, ist ein Deckungsgeschäft regelmäßig unverzüglich nach Aufhebung des Vertrags am Markt des Ausgangsgeschäfts vorzunehmen351. Der selbständige Anwendungsbereich des Art. 85 EKG ergibt sich hierbei gerade aus dem Umstand, dass auch Abweichungen vom Marktpreis gerechtfertigt sein können, sofern die Pflicht zur Schadensminderung durch den Schuldner beachtet wurde352. 3. Der Ersatz jedes weiteren Schadens gem. Art. 86 EKG Zusätzlich zur abstrakten Schadensberechnung gem. Art. 84 EKG und zur konkreten Schadensberechnung gem. Art. 85 EKG ist der Gläubiger gem. Art. 86 EKG berechtigt, jeden weiteren durch die Nichterfüllung des Schuldners verursachten Schaden geltend zu machen. Zu ersetzen sind zum einen die entstandenen angemessenen zusätzlichen Kosten des Deckungsgeschäfts und zum anderen der über den Differenzbetrag hinausgehende tatsächliche Verlust und entgangene Gewinn des Gläubigers. Grundgedanke der Norm ist das Prinzip der Totalreparation353. Der Hinweis auf die Ersatzfähigkeit „entstandener Kosten“ ist rein beispielhaft zu verstehen. Er umfasst alle Aufwendungen für Untersuchung, Lagerung und Rücktransport354. Der Ersatz dieser Kosten erscheint selbstverständlich. Schließlich ließen sich diese Kosten auch zwanglos als Bestandteil des höheren Preis des Deckungsgeschäfts verstehen. Problematisch hingegen ist der zusätzliche Ersatz des entgangenen Gewinns. Fraglich ist zum einen, ob der Gläubiger den Anspruch auf Ersatz des entgan348 349 350 351 352 353 354
Dölle/Weitnauer, Art. 85, Rn. 2. Schlechtriem/Stoll, Art. 75, Rn. 1. Vgl. den Entwurf von 1956/63 Art. 96. Mertens/Rehbinder, Art. 85, Rn. 4. Mertens/Rehbinder, Art. 85, Rn. 4. Dölle/Weitnauer, Art. 86, Rn. 1. Mertens/Rehbinder, Art. 86, Rn. 3.
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genen Gewinns mit einem Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens verbinden kann355 und zum anderen, welche Auswirkungen die Pflicht des Gläubigers zur Vornahme eines Deckungsgeschäfts auf sein Recht hat, Ersatz weiterer Schäden gem. Art. 86 EKG zu verlangen. Gemäß Art. 25 EKG ist in diesem Fall zumindest der Erfüllungsanspruch ausgeschlossen. Konsequenterweise müsste aber wie im Rahmen des UCC auch der Ersatz des Nichterfüllungsschadens entfallen356. 4. Zusammenfassung Die im EKG besonders plakativ vollzogene Trennung der Schadensersatzrechtsbehelfe des Gläubigers im Fall der Vertragsaufhebung und im Fall des fortbestehenden Vertrags beruht auf der Erkenntnis, dass Schadensersatz wegen Nichterfüllung grundsätzlich nur bei gleichzeitiger Befreiung der Parteien von ihren Erfüllungspflichten gewährt werden sollte357. Liegt eine Vertragsaufhebung vor, gestattet das EKG dem Gläubiger, zwischen drei Arten der Schadensberechnung wegen Nichterfüllung zu wählen. Er kann seinen Schaden anhand eines fiktiven Deckungsgeschäfts zum Marktpreis gem. Art. 84 EKG, anhand eines tatsächlich vorgenommen Deckungsgeschäfts gem. Art. 85 EKG oder anhand des ihm konkret entstandenen Nichterfüllungsschadens gem. Art. 86 EKG berechnen. Art. 84 und 85 EKG beinhalten zwei spezielle Methoden der Schadensberechnung, die den Gläubiger insbesondere vom Nachweis der Vorhersehbarkeit befreien. Der Gläubiger ist hingegen nicht an diese beiden speziellen Methoden der Berechnung gebunden. Vielmehr steht es ihm frei, seinen Schaden gem. Art. 86 EKG zu berechnen. Man spricht vom einem schadenersatzrechtlichen ius variandi des Gläubigers358 oder einer „elektiven Anspruchskonkurrenz“359. Eine Bindung des Gläubigers an eine bestimmte Methode tritt erst ein, wenn aufgrund einer entsprechenden Einigung oder einer faktischen Abwicklung des Vertrags ein endgültiger Zustand geschaffen wurde360. Bereits bei der Vorbereitung des EKG war umstritten, ob die in Art. 84 und 85 EKG enthaltenen Methoden der Berechnung des Differenzschadens auch im Fall des fortbestehenden Vertrags Anwendung finden. Aufgrund des zeitlichen Drucks bei der Entstehung des EKG wurde letztlich auf eine hierfür notwendige systematische Überarbeitung des Abschnitts zum Schadensersatzrecht verzichtet. In der Sache hielt man die 355 356 357 358 359 360
Ablehnend Mertens/Rehbinder, Art. 86, Rn. 3. Mertens/Rehbinder, Art. 86, Rn. 4. Vgl. § 2-715 (2) (a) UCC. Dölle/Weitnauer, vor Art. 82-89, Rn. 3. Dölle/Weitnauer, vor Art. 82-89, Rn. 11. Dölle/Weitnauer, vor Art. 84-87, Rn. 11. Dölle/v. Caemmerer, Art. 63, Rn. 10-12; Dölle/Weitnauer, vor Art. 84-87, Rn. 11.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
Methoden der abstrakten und konkreten Schadensberechnung für übertragbar, d.h. auch im Fall des fortbestehenden Vertrags für anwendbar361. II. Die Auswirkungen der Regelung der Art. 25 und 61 EKG Die Regelungen in Art. 25 und 61 (2) EKG sind spiegelbildlich formuliert und beinhalten eine erhebliche Einschränkung des Erfüllungsanspruchs des Gläubigers. Der Anspruch auf Erfüllung ist dann ausgeschlossen, wenn die Vornahme eines angemessenen Deckungsgeschäfts möglich ist und den Gebräuchen des Marktes entspricht. Nach herrschender Meinung ist die Möglichkeit eines Deckungsgeschäfts bereits dann gegeben, wenn es sich um vertretbare Ware handelt, insbesondere um Massengüter362. Auch an das Vorliegen der „Gebräuchlichkeit“ sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Ausreichend ist das Vorliegen eines Handelsbrauchs, in vergleichbaren Situationen zur Geltendmachung von Schadensersatz überzugehen363. Liegen die Voraussetzungen der Art. 25 und 61 (2) EKG vor, gilt der Vertrag kraft Gesetzes ab dem Zeitpunkt als aufgehoben, zu dem das Deckungsgeschäft vorzunehmen war. Hintergrund der Art. 25 und 61 (2) EKG ist das Bestreben des EKG, einen angemessenen Ausgleich zwischen den Systemen des angloamerikanischen und des kontinentaleuropäischen Rechts zu gewährleisten. Das System des angloamerikanischen Rechts beruht auf der Vorstellung, die Gewährung von Schadensersatz sei ökonomisch sinnvoller als die Gewährung eines Anspruchs auf Erfüllung in natura364. So weist zum Beispiel Hager im Rahmen einer Würdigung der Rechtsbehelfe des Verkäufers im USamerikanischen Recht zu Recht darauf hin, dass es aus ökonomischer Sicht deutlich sinnvoller sei, den Verkäufer damit zu betrauen, die nicht abgenommene Ware zu verkaufen, als den Käufer zu zwingen die Ware tatsächlich abzunehmen365. Es sei einem Käufer, der keinen Handel treibt und daher über keinen entsprechenden Zugang zum Markt verfügt, schlicht nicht zuzumuten, die Ware zu veräußern366. Die Regelung des kontinentaleuropäischen Rechts beruht hingegen auf dem Prinzip des pacta sunt servanda. Rechtsvergleichende Studien Ernst Rabels haben gezeigt, dass der praktische Unterschied der Regelungskonzepte eher gering ist, da auch im kontinentaleuropäischen Recht die Gläubiger dazu neigen, im Fall des Vertragsbruchs des Schuldners sofort Scha-
361 362 363 364 365 366
Dölle/Weitnauer, vor Art. 84-87, Rn. 4. Dölle/v. Caemmerer, Art. 61, Rn. 16; Dölle/Huber, Art. 25, Rn. 19. Dölle/v. Caemmerer, Art. 61, Rn. 16; Dölle/Huber, Art. 25, Rn. 21. Hager, Die Rechtsbehelfe des Verkäufers, S. 26. Hager, Die Rechtsbehelfe des Verkäufers, S. 26. Hager, Die Rechtsbehelfe des Verkäufers, S. 26.
1. Kapitel: Rechtsvergleichung und Einheitsrecht
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densersatz zu verlangen367. Dies ändert jedoch nichts an dem grundsätzlich verschiedenen Hintergrund beider Regelungsansätze368. Die Lösung des EKG stellt einen Kompromiss dar. Prinzipiell erkennt sie einen Erfüllungsanspruch an und ähnelt insofern dem kontinentaleuropäischen Regelungskonzept. Die Tatsache hingegen, dass Erfüllung bereits dann ausgeschlossen erscheint, wenn kein „vernünftiges Interesse“ des Gläubigers besteht369, führt dazu, dass die Lösung des EKG im Ergebnis wohl eher dem Regelungskonzept des anglo-amerikanischen Rechts zuzuordnen ist370. Zweck der Art. 25 und 61 (2) EKG ist eine Einschränkung des Erfüllungsanspruchs des Gläubigers aus wirtschaftlichen Gründen. Leistungsstörungen, auch wenn sie die Kernpflichten der vertraglichen Vereinbarung betreffen, sollen weder dem Vertragsbrüchigen Schuldner noch dem Vertragstreuen Gläubiger die Möglichkeit eröffnen, auf Kosten der anderen Partei zu spekulieren371. Folgendes Szenario soll die Lösung des EKG verhindern: Der Gläubiger verzögert trotz eines sich negativ entwickelnden Markts die mögliche Aufhebung des Vertrags. Hierdurch verschiebt sich der für die Berechnung seines Ersatzanspruchs maßgebliche Zeitpunkt. Folge dieser Verschiebung ist ein höherer Schadenersatzanspruch des Gläubigers gegen den Schuldner. Die Frage, ob eine konkrete oder abstrakte Schadensberechnung anhand eines Deckungsgeschäfts bei Fortbestehen des Vertrags zulässig ist, scheint sich aufgrund der Regelung in Art. 25 und 61 EKG nicht zu stellen. Schließlich käme ein Ersatz der Mehrkosten eines Deckungsgeschäfts bei Fortbestehen des Vertrags gem. Art. 82 EKG nur dann in Betracht, wenn dieses den Gebräuchen des Markts entspricht und in angemessener Art und Weise durchgeführt wird. Dies folgt bereits aus der Pflicht zur Schadensminderung gem. Art. 88 EKG. In diesem Fall aber ordnen Art. 25 und 61 EKG bereits die Auflösung des Vertrags „kraft Gesetzes“ an. Die Frage der Ersatzfähigkeit des Differenzschadens im Fall der Nichtaufhebung scheint sich somit nicht zu stellen. Folgendes gilt es jedoch zu beachten: Art. 25 und 61 EKG intendieren allein den Schutz des Schuldners vor Spekulationen des Gläubigers. Zweck dieser Regelung ist es jedoch nicht, die Möglichkeit des Schuldners zur Leistung zu beschränken. Nach richtiger Ansicht kommt eine Aufhebung kraft Gesetzes daher auch gem. Art. 25 und 61 EKG nur im Fall einer wesentlichen Vertragsverletzung in Be-
367 368 369 370 371
Rabel, Der Entwurf eines einheitlichen Kaufgesetzes, in RabelsZ 1935, S. 45. Hager, Die Rechtsbehelfe des Verkäufers, S. 192. Dölle/Huber, Art. 25, Rn. 4. Hager, Die Rechtsbehelfe des Verkäufers, S. 192. Mertens/Rehbinder, Art. 25, Rn. 3.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
tracht372. Der Ersatz der Mehrkosten eines konkreten oder hypothetischen Deckungsgeschäfts setzt somit auch im EKG zumindest das Bestehen eines Aufhebungsrechts voraus. § 4 Zusammenfassung Die Regelungen der abstrakten und konkreten Schadensberechnung bei Deckungsgeschäften im deutschen und US-amerikanischen Recht sind exemplarisch für die unterschiedliche Konzeption des Verhältnisses von Erfüllung, Schadensersatz und Vertragsaufhebung im Common Law und Civil Law. Das EKG verkörpert einen Kompromiss dieser Konzeptionen, gleichwohl mit eindeutiger Tendenz zu Gunsten der des „common law“. Sowohl das EKG als auch das UCC enthalten eine spezielle Regelung der konkreten und abstrakten Schadensberechnung. Obwohl es an einer speziellen Regelung fehlt, ist auch im Rahmen des BGB diese Möglichkeit als allgemeine Methode der Schadensberechnung durch Rechtsprechung und Literatur anerkannt. Im deutschen Recht ist allein der gewerblich tätige Gläubiger berechtigt, seinen Schaden abstrakt zu berechnen, im US-amerikanischen Recht hingegen auch der Privatmann. Aufgrund des engen persönlichen Anwendungsbereichs stellt sich diese Frage im EKG nicht. Anknüpfungspunkt für die konkrete Berechnung ist in allen drei Rechtsordnungen das tatsächlich vorgenommene Deckungsgeschäft. Der maßgebliche Ort und Zeitpunkt der abstrakten Berechnung ist im USamerikanischen Recht ebenso umstritten wie im deutschen Recht. Dies gilt insbesondere für den Fall der Erfüllungsverweigerung. Das EKG hingegen bestimmt den Zeitpunkt der ipso facto Vertragsaufhebung als Stichtag der abstrakten Schadensberechnung. Umstritten ist die Frage, ob eine abstrakte Berechnung auch dann statthaft ist, wenn das tatsächlich vorgenommene Deckungsgeschäft zu einem geringeren Schaden geführt hat. Die ganz hM im EKG geht von einem umfassenden Wahlrecht des Gläubigers aus. Im Rahmen des BGB stellt es keine Verletzung der Schadensminderungspflicht dar, wenn der Gläubiger trotz der Möglichkeit zur Vornahme eines angemessenen Deckungsgeschäfts an seinem Erfüllungsverlangen festhält. Sowohl im US-amerikanischen Recht als auch im EKG erlischt hingegen in diesem Fall ipso iure der Erfüllungsanspruch. Das wirtschaftlich geprägte Verständnis des US-amerikanischen Rechts und des EKG stehen im Gegensatz zu einem durch dogmatische Schärfe geprägtem Verständnis des BGB. Hierin liegt der wohl wichtigste Unterschied der drei untersuchten Rechtsordnungen. 372
Überzeugend: Dölle/Huber, Art. 25, Rn. 14 f.
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG
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2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG Zunächst ist die Grundkonzeption des Art. 75 CISG darzustellen (§ 1). Im Anschluss sind Voraussetzungen (§ 2) und Rechtsfolgen (§ 3) der Regelung zu analysieren. § 1 Die Regelung des Art. 75 CISG in ihrer Grundkonzeption Art. 75 CISG ermöglicht es dem Gläubiger, seinen Nichterfüllungsschaden in einer einfachen und typisierten Art und Weise zu berechnen. Hat der Gläubiger den Vertrag wirksam aufgehoben und im Anschluss hieran ein angemessenes Deckungsgeschäft vorgenommen, so ist er berechtigt, die Differenz zwischen Vertragspreis und dem Preis des vorgenommenen Deckungsgeschäfts zu verlangen. Man spricht vom „natürlichen Schaden“ des Gläubigers, den er ohne weiteres verlangen kann373. Die wesentliche Erleichterung zu Gunsten des Gläubigers besteht darin, dass dieser unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 74 CISG, zu nennen ist insbesondere das Erfordernis der Vorhersehbarkeit, sein Erfüllungsinteresse liquidieren kann. Das CISG geht davon aus, dass die Vornahme eines Deckungsgeschäfts den Schaden angemessen beschränkt und der zu ersetzende Betrag folglich auch in seiner Höhe vorhersehbar ist374. Die konkrete Berechnung des Differenzschadens ist vorrangig gegenüber der sog. Marktpreisregel. Die Marktpreisregel ist, anders als noch im EKG, gem. Art. 76 CISG nur möglich, wenn gerade kein angemessenes konkretes Deckungsgeschäft getätigt wurde. Es besteht daher kein echtes Wahlrecht des Gläubigers375. Ziel ist, zu verhindern dass der Gläubiger einen Schaden im Wege der Marktpreisregel geltend macht, dessen Ersatz ihn besser stellen würde, als er bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung gestanden hätte376. Nimmt der Gläubiger jedoch ein Deckungsgeschäft vor, das nicht den Anforderungen des Art. 75 CISG entspricht377, bleibt es ihm unbelassen, seinen Schadensersatzanspruch nach Art. 76 CISG zu berechnen. Der Ersatzanspruch des Gläubigers beschränkt sich nicht auf den Ersatz des Differenzschadens378. Vielmehr kann er gem. Art. 75 Hs. 2 CISG auch alle weiteren entstandenen Schäden nach Art. 74 CISG verlangen. 373 374 375
Staudinger/Magnus, Art. 75, Rn. 1. MK/Huber, Art. 75, Rn. 1. ICC Schiedsspruch 8574 aus September 1996; Honnold, Rn. 414; MK zum HGB/Mankowski, Art. 75, Rn. 17. 376 Staudinger/Magnus, Art. 75, Rn. 3. 377 Besonders schwierig ist die Zuordnung eines Deckungsgeschäfts zum Ausgangsgeschäft in den Fällen, in denen die betroffene Person ständig mit solchen Waren handelt. 378 Karollus, S.220.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
§ 2 Die Voraussetzungen des Art. 75 CISG Folgende Voraussetzungen lassen sich dem Wortlaut des Art. 75 CISG entnehmen: Das Recht des Gläubigers zur Vertragsaufhebung (I), das Vorliegen einer wirksamen Aufhebungserklärung (II) und die Vornahme eines angemessenen Deckungsgeschäfts (III). Strittig ist hingegen die Frage, ob im Rahmen des Art. 75 CISG die Vorhersehbarkeitsregel des Art. 74 S. 2 Anwendung findet (IV). I. Das Erfordernis des Rechts zur Vertragsaufhebung Wie bereits erörtert, hatte auch die Vorgängerbestimmung des Art. 85 EKG das Recht zur Vertragsaufhebung als Voraussetzung eines Differenzanspruchs vorgesehen379. Diese Voraussetzung findet sich zudem in den entsprechenden Vorschriften europäischer und internationaler Prinzipien des Vertragsrechts wieder380. Untersucht wird zunächst der Sinn und Zweck des Erfordernisses im Rahmen des Art. 75 CISG (1). Im Anschluss erfolgt ein Überblick über die Anwendungsfälle des Rechts zur Vertragsaufhebung im Rahmen des Art. 75 CISG (2). Abschließend ist die Frage zu behandeln, ob im Rahmen des Art. 75 CISG ein Verzicht auf das Erfordernis des Rechts zur Vertragsaufhebung in Betracht kommt (3). 1. Der Zweck des Erfordernisses Hintergrund des Erfordernisses des „Rechts zur Vertragsaufhebung“ im Rahmen des Art. 75 CISG ist die Erkenntnis, dass der Gläubiger durch die Vornahme eines Deckungsgeschäfts seinerseits vom Vertrag Abstand nimmt. Sprachlich exakter spricht die englische und französische Originalfassung in Art. 75 CISG daher nicht vom „Deckungsgeschäft“, sondern vom „Ersatzgeschäft“381. Der Begriff des „Ersatzgeschäfts“ macht deutlich, dass es dem Käufer oder Verkäufer nicht nur darum geht, einen vorübergehenden Engpass zu überbrücken. Auch ein solches Vorgehen könnte man ohne weiteres durch den vom deutschsprachigen Konventionstext benutzten Begriff des „Deckungsgeschäfts“ ausdrücken. Vielmehr bezweckt der Gläubiger mittels des Ersatzgeschäfts, dauerhaft das Scheitern des ursprünglichen Kaufvertrags zu kompensieren. Dies geschieht, indem er ein gleichwertiges Geschäft tätigt, das gleichsam an die Stelle des ursprünglichen Rechtsgeschäfts tritt. Die Vornahme des Deckungsgeschäfts gestattet somit den Schluss, dass der
379 380 381
Vgl. hierzu die Ausführungen auf S. 60 ff. Art. 7.4.5. PICC und Art. 9:506 PECL. Art. 75 CISG: “goods bought in replacement”. Art. 75 CISG: « achat de remplacement ».
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG
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Schuldner die geschuldete Primärleistung nicht will und nicht länger bereit ist, seinerseits den Vertrag zu erfüllen382. Der Gläubiger muss sich daher entscheiden: Entweder er behält es sich weiterhin vor, aus dem ursprünglichen Vertrag heraus gegen den Schuldner vorzugehen, d.h. seine Ansprüche notfalls mittels einer Klage auf Erfüllung durchzusetzen, oder er entscheidet sich, hiervon Abstand zu nehmen und zu einem neuen Rechtsgeschäft überzuwechseln. Diese Entscheidung setzt jedoch voraus, dass der Gläubiger seine Dispositionsfreiheit wiedererlangt hat383. Erst die Wiedererlangung der Dispositionsbefugnis versetzt den Gläubiger in die Lage, zu einem neuen Rechtsgeschäft überzugehen und dieses gleichsam als „Ersatz“ für das ursprüngliche Geschäft vorzunehmen384. Diese Dispositionsfreiheit hatte der Gläubiger zunächst durch die Eingehung eines Vertrags mit dem Schuldner verloren. Fraglich ist, wodurch der Gläubiger seine ursprüngliche Dispositionsbefugnis wiedererlangt. Nicht ausreichend ist hierbei das Vorliegen einer einfachen Vertragsverletzung, die bloße Vornahme eines Deckungsgeschäfts oder die anschließende Geltendmachung des Differenzschadens385. Andernfalls würde man dem Gläubiger gestatten, sich durch eine bestimmte Art der Schadensberechnung von seinen Leistungspflichten zu befreien, ohne an die erschwerten Voraussetzungen der Vertragsaufhebung gebunden zu sein. Das Verlangen des Differenzschadens stimmt in seinen Rechtsfolgen mit denen der Vertragsaufhebung überein386. Die Widererlangung der Dispositionsfreiheit, die den Gläubiger zu diesem Vorgehen berechtigt, setzt daher voraus, dass ein Recht des Gläubigers zur Vertragsaufhebung besteht387. Dies ist nur bei einer wesentlichen Vertragsverletzung oder bei Ablauf einer dem Schuldner gesetzten Nachfrist der Fall. Zweck des Erfordernisses des Rechts zur Vertragsaufhebung im Rahmen von Art. 75 CISG ist, zu verhindern, dass der Gläubiger sich unter Umgehung der Aufhebungsvoraussetzungen durch eine bestimmte Art der Schadensberechnung von seinen Erfüllungspflichten befreit. 2. Die Anwendungsfälle des Erfordernisses In folgenden Fällen bejahte die Rechtsprechung speziell im Rahmen von Art. 75 CISG das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung i.S.v. Art. 25 CISG: 382 383
MK/Huber, Art. 75, Rn. 2. Kantonsgericht Zug vom 12.12.2002, CISG-online 720; Staudinger/Magnus, Art. 75, Rn. 7. 384 Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 75, Rn. 5. 385 OLG Bamberg vom 13.01.1999, CISG-online 516; Achilles, Art. 75, Rn. 2. 386 MK/Huber, Art. 75, Rn. 2. 387 Schlechtriem/Stoll, Art. 75, Rn. 5.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
Eine die Wesentlichkeitshürde überschreitende Vertragsverletzung liegt dann vor, wenn eine der Parteien die Vertragsgerechte Erfüllung ihrer Leistungspflichten ernsthaft und endgültig verweigert. Dies gilt sowohl für die Erfüllungsverweigerung des Verkäufers388 als auch für die des Käufers389. Darüber hinaus liegt eine wesentliche Vertragsverletzung stets dann vor, wenn die Kardinalpflichten der Parteien endgültig nicht erfüllt werden, d.h. der Verkäufer nicht liefert390 oder der Käufer den Kaufpreis nicht zahlt bzw. es unterlässt, ein Akkreditiv zu Gunsten des Verkäufers zu eröffnen391. Hierunter fällt auch die dauerhafte Verletzung der Abnahmepflicht durch den Käufer392. Ferner kann sich die Berechtigung des Gläubigers zur Vertragsaufhebung auch aus einem vorzeitigen Vertragsbruch des Schuldners ergeben393. Schließlich wurden auch die erheblich abweichende Beschaffenheit der Ware und die fehlende Information des Verkäufers hinsichtlich der erforderlichen Beschaffenheit der Verpackung als wesentliche Vertragsverletzungen eingestuft, die es dem Käufer gestatten, sich anderweitig einzudecken394. 3. Die Entbehrlichkeit des Erfordernisses Die praktische Relevanz der Frage der Entbehrlichkeit des Rechts zur Vertragsaufhebung sei anhand folgender Entscheidung des OLG Bamberg dargestellt395. Ein portugiesischer Verkäufer und ein deutscher Käufer einigten sich über den Verkauf von Stoffen. Die Verkäuferin lieferte die von der Käuferin bestellten Artikel Nr. 19094/M/46 und 19094/M/49 verspätet und nicht in der bestellten Menge. Hieraufhin tätigte die Käuferin ein Deckungsgeschäft und stellte die entstandenen Mehrkosten in Höhe von 694,54 DM und 883,30 DM der Verkäuferin in Rechnung. Das Gericht hielt fest, dass die Mehrkosten eines Deckungsgeschäfts gem. Art. 75 CISG nur dann zu ersetzen seien, wenn es im Anschluss an eine wirksame Vertragsaufhebung vorgenommen 388
OLG München vom 15.9.2004, CISG-online 1013; Cour d’Appel de Grenoble vom 04.02.1999, CISG-online 443. 389 Tribunal of International Commercial Arbitration at the Russian Federation Chamber of Commerce vom 25.09.1995, UNILEX 142/94; Tribunal Supremo vom 28.01.2000, CISG-online 503. 390 BGE vom 15.09.2000, CISG-online 770. 391 Audiencia Provincial de Barcelona vom 02.02.2004, CISG-online 950; ICC Award 7582 aus 1996; Downs Investment P/L v. Perjawa Steel, Supreme Court of Queensland vom 12.10.2001, CISG-online 955. 392 OLG Hamm vom 22.09.1992, CISG-online 57. 393 LG Berlin vom 30.09.1992, CISG-online 70; OLG Düsseldorf vom 22.07.2004, CISG-online 916. 394 ICC Award 8740 aus 1996 (Beschaffenheit); ICC Award 8128 aus 1995 (Informationspflichtverletzung). 395 OLG Bamberg vom 13.01.1999, CISG-online 516.
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG
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wurde. Mangels einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung der Verkäuferin fehle es bereits an einem Recht zur Vertragsaufhebung. Die bloße Vertragsverletzung der einen Partei gebe der anderen Partei noch nicht das Recht sich durch Vornahme eines Deckungsgeschäfts vom Vertrag zu lösen.
Der Entscheidung ist zuzustimmen. Ein Deckungsgeschäft setzt ein Recht zur Vertragsaufhebung deshalb voraus, weil der Gläubiger durch einen solchen Akt sein Erfüllungsinteresse liquidiert und vom bisherigen Vertrag Abstand nimmt. Faktisch betrachtet führen die Geltendmachung des Differenzanspruchs und die Erklärung der Vertragsaufhebung somit zu identischen Ergebnissen. Folglich ist der Ersatz des Differenzschadens gem. Art. 75 CISG an ein Recht des Gläubigers zur Aufhebung gebunden. Die Erkenntnis, dass das Verlangen des Differenzschadens einer faktischen Vertragsaufhebung gleichkommt, gilt jedoch sowohl im Rahmen des Art. 75 CISG als auch im Rahmen des Art. 74 CISG396. Im Rahmen des Art. 74 CISG hingegen bestreitet eine immer stärker werdende Ansicht, dass der Gläubiger an das Erfordernis eines Rechts zur Vertragsaufhebung gebunden sei397. Die Frage der Ersatzfähigkeit des Differenzschadens bei Fehlen eines Rechts zur Vertragsaufhebung gem. Art. 74 CISG soll an dieser Stelle noch offen bleiben. Vielmehr soll anhand des unterschiedlichen Wortlauts, der unterschiedlichen Systematik und der unterschiedlichen Funktion der Normen dargelegt werden, dass das Erfordernis des Rechts zur Vertragsaufhebung nur im Rahmen von Art. 74 CISG, nicht jedoch im Rahmen von Art. 75 CISG entbehrlich erscheint398: Bereits der Blick auf den unterschiedlichen Wortlaut der Bestimmungen der Art. 74 und 75 CISG lässt erkennen, dass der argumentative und interpretationszugängliche Spielraum im Rahmen des Art. 74 CISG weit über den im Rahmen des Art. 75 CISG hinausgeht. Denn während Art. 75 CISG explizit ein Recht zur Vertragsaufhebung voraussetzt, lässt sich ein derartiges Erfordernis dem Wortlaut des Art. 74 CISG nicht entnehmen. Die gegenteilige Ansicht in Literatur399 und Rechtsprechung400 muss daher das Erfordernis der Vertragsaufhebung in die Voraussetzungen des Art. 74 CISG hineinlesen. Bei wortlautgetreuer Interpretation setzt Art. 74 CISG ein Aufhebungsrecht gerade nicht voraus. Ferner spricht die Systematik der Art. 74-76 CISG dafür, dass ein Absehen vom Erfordernis des Aufhebungsrechts nur im Rahmen von Art. 74 396 Überzeugend insofern der Querverweis bei MK/Huber, Art. 75, Rn. 2 auf Art. 74, Rn. 12. 397 CISG- A.C. Opinion No. 6, S. 23 ff.; Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 5. 398 So auch Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 13. 399 Statt vieler: MK/Huber, Art. 74, Rn. 12. 400 OGH vom 14.01.2002, CISG-online 643.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
nicht jedoch im Rahmen von Art. 75 CISG in Betracht kommt. Besonders deutlich wird dies anhand eines Vergleichs mit der Systematik der Normen zum Schadensersatz im EKG. So waren mit Art. 84 und 85 EKG die Parallelnormen zu Art. 75 und 76 CISG unter dem Ordnungstitel „Schadensersatz in den Fällen des aufgehobenen Vertrags“ zu finden. Die Art. 74 CISG entsprechende Norm des Art. 82 EKG fand sich hingegen unter der Überschrift „Schadensersatz im Fall des nicht aufgehobenen Vertrags“. Diese systematische Aufteilung des EKG sollte durch die Schaffung eines Grundtatbestandes insofern überwunden werden, als Art. 74 CISG in allen Fällen des Vertragsbruchs Anwendung findet401. An der Voraussetzung der Vertragsaufhebung in Art. 75 und 76 CISG wurde hingegen festgehalten. Schließlich spricht auch die unterschiedliche Funktion der Art. 74 und 75 CISG dafür, dass allenfalls im Rahmen von Art. 74 CISG ein Absehen vom Erfordernis der Vertragsaufhebung in Betracht kommt, nicht jedoch im Rahmen von Art. 75 CISG. Art. 74 CISG ist als „Grundnorm des Schadensersatzrechts“ notwendigerweise generalklauselartig formuliert und bietet hinreichend Spielraum für Auslegung und Interpretation. Art. 75 CISG hingegen regelt einen bestimmten Einzelfall, den Ersatz des Differenzbetrags im Fall eines konkreten Deckungsgeschäfts. Anders ausgedrückt beinhaltet Art. 75 CISG eine besondere Berechnungs- bzw. Beweiserleichterungsregel. Die Anwendung dieser Norm befreit den Gläubiger von seiner Pflicht zur näheren Substantiierung eines Nichterfüllungsschadens. Die Voraussetzungen dieser Norm sind abschließend. Das allgemeine Auslegungsprinzip, demzufolge Normen, die bereits eine spezielle und von der Grundregel abweichende Regelung beinhalten, restriktiv auszulegen sind, ist auch hier zu beachten. Andernfalls würde die Ausnahme zur Regel werden. Der Wortlaut, die historisch geprägte Systematik und die unterschiedliche Funktion der Art. 74 und 75 CISG sprechen somit dafür, die Frage, ob bei Geltendmachung des konkreten Differenzschadens vom Erfordernis des Rechts zur Vertragsaufhebung abgesehen werden kann, allein im Rahmen von Art. 74 CISG zu erwägen. Art. 75 CISG hingegen bietet keinen Raum für eine derartige Diskussion. II. Das Erfordernis der Aufhebungserklärung Art. 75 CISG zufolge darf ein Deckungsgeschäft – anders als ein Selbsthilfeverkauf – erst „nach der [wirksamen] Aufhebung“ vorgenommen werden. Voraussetzung einer wirksamen Vertragsaufhebung ist neben dem Recht zur Vertragsaufhebung eine Aufhebungserklärung (Art. 26 CISG). Parallel zum vorherigen Abschnitt gilt es zunächst, den Zweck des Erfordernisses der Aufhebungserklärung im Rahmen von Art. 75 CISG zu ana401
Zur Entstehungsgeschichte des Art. 74 CISG: Schlechtriem/Stoll, Art. 74, Rn. 1.
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG
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lysieren (1). Anschließend sind die Anforderungen an das Vorliegen einer Aufhebungserklärung im Rahmen von Art. 75 CISG zu konkretisieren (2). Die Beantwortung der Frage der Entbehrlichkeit der Aufhebungserklärung im Rahmen von Art. 75 CISG erfolgt zum Abschluss (3). 1. Der Zweck des Erfordernisses In Literatur und Rechtsprechung findet sich überwiegend der bloße Hinweis, dass eine Aufhebungserklärung erforderlich sei, da das CISG anders als das EKG die sog. ipso facto avoidance nicht vorsehe402. Dieser Aussage lässt sich jedoch nicht entnehmen, zu welchem Zweck das CISG eine Aufhebungserklärung voraussetzt. Die Lösung des EKG sieht für bestimmte Fälle vor, dass sich unabhängig von einer Erklärung des Gläubigers der Vertrag kraft Gesetzes und somit „automatisch“ auflöst403. Auf diese Art und Weise werden Spekulationsmöglichkeiten des Gläubigers zulasten des Schuldners ausgeschlossen404. Die Gefahr einer Spekulation zulasten des Schuldners lässt sich insbesondere am Beispiel des Art. 75 CISG gut illustrieren. Die Höhe des ersatzfähigen Differenzbetrags zwischen Vertragspreis und Preis des Deckungsgeschäfts hängt gerade im Fall des Handels mit Gebrauchsgütern im Rahmen instabiler Märkte sehr stark vom Zeitpunkt des Deckungsgeschäfts ab. Art. 75 CISG sieht vor, dass ein ersatzfähiges Deckungsgeschäft innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach der Aufhebung zu erfolgen hat. Durch Hinauszögern der Aufhebungserklärung kann der Gläubiger daher auch den Zeitpunkt des zulässigen Deckungsgeschäfts beliebig bestimmen und hat hierdurch die Möglichkeit, auf Kosten des ersatzpflichtigen Schuldners zu spekulieren. Dieser Gefahr sollte im EKG dadurch vorgebeugt werden, dass die Aufhebung des Vertrags unabhängig von einem weiteren Verhalten des Gläubigers automatisch eintrat. Der Nachteil einer solchen Aufhebung kraft Gesetzes besteht jedoch in der damit verbundenen Unsicherheit, ob und wann ein Vertrag aufgelöst worden ist405. Diese Unsicherheit hatte bereits im Vorfeld der Wiener Konferenz zu erheblicher Kritik an der Lösung des EKG geführt406. Durch einen entsprechenden Beschluss der UNCITRAL Arbeitsgruppe wurde das Konzept der ipso facto Aufhebung für das CISG verworfen407. 402 403 404 405
Reinhardt, Art. 26, Rn. 1; Trommler, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 36. Art. 25, 26, 30, 61 sowie 62 EKG. Staudinger/Magnus, Art. 75, Rn. 1 Honsell/Karollus, Art. 26, Rn. 3; Trommler, Wesentliche Vertragsverletzung,
S. 36. 406 Hellner, Ipso facto avoidance, S. 85 ff.; Leser, Vertragaufhebung und Rückabwicklung, S. 7; Treitel, Remedies, S. 339. 407 Hellner, Ipso facto avoidance, S. 88; Schlechtriem/Leser/Hornung, Art. 26, Rn. 2.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
Dieser Auszug aus der Entstehungsgeschichte verdeutlicht den primären Zweck der Einführung der Aufhebungserklärung408. Die Konventionsgeber beabsichtigten, durch die Einführung ein höheres Maß an Rechtssicherheit zu gewährleisten. Der Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit einer Willenserklärung lässt sich eindeutig bestimmen. Die Frage hingegen, wann eine bestimmte Vertragsverletzung durch Zeitablauf zu einer so wesentlichen Vertragsverletzung wird, die das Vertragsverhältnis beendet, ist deutlich schwieriger zu beantworten. Dieser Gewinn an objektiver Rechtssicherheit kommt insbesondere den mit dieser Frage betrauten Gerichten zustatten. Darüber hinaus führt die Einführung des Erfordernisses der Aufhebungserklärung jedoch auch zu einem deutlichen Gewinn an subjektiver Rechtsicherheit, das heißt an Rechsicherheit zu Gunsten der Vertragsparteien. Zum einen schützt das Erfordernis der Aufhebungserklärung den Schuldner. Mit Zugang der Aufhebungserklärung weiß dieser, dass er von nun an von seinen Erfüllungspflichten befreit ist. Zugleich erhält er Kenntnis von seinen ihn zukünftig treffenden Pflichten zur Rückabwicklung bereits ausgetauschter Leistungen. Zum anderen wird auch der Gläubiger auf diese Art und Weise besser geschützt. Auch dieser ist verpflichtet, Vorkehrungen zur Rückabwicklung bereits ausgetauschter Leistungen zu treffen. Er hat daher ebenfalls ein Interesse an einer möglichst genauen und frühzeitigen Bestimmbarkeit des Zeitpunkts der Aufhebung. Die bloße Vornahme des Deckungsgeschäfts gewährt hingegen kein entsprechendes Maß an subjektiver Rechtssicherheit. Es besteht nämlich keine rechtliche Verpflichtung des Gläubigers, den Schuldner umgehend über die Vornahme des Deckungsgeschäfts in Kenntnis zu setzen. Der Schuldner erhält erst durch das Schadensersatzverlangen des Gläubigers Kenntnis von dessen Vorgehen. In der Zwischenzeit läuft der Schuldner jedoch Gefahr, weitere Erfüllungsanstrengungen zu unternehmen. Dies zu verhindern, erfordert die Statuierung einer Pflicht zur Erklärung der Vertragsaufhebung. Der Gewinn an Rechtssicherheit ist, wie aus den vorherigen Ausführungen deutlich wird, auch mit einem Gewinn an Wirtschaftlichkeit verbunden. Erst die Kenntnis von der Befreiung von ihrer Pflicht zur Vertragsdurchführung und von der Entstehung ihrer Pflicht zur Rückabwicklung gestattet es den Vertragsparteien, entsprechende wirtschaftliche Dispositionen zu treffen. Nicht jeder zur Aufhebung berechtigende Vertragsbruch beruht auf einer vorsätzlichen Pflichtverletzung des Schuldners. In vielen Fällen wird daher der Schuldner zunächst von sich aus bemüht sein, die negativen Folgen des Vertragsbruchs abzuwenden. Als Beispiel diene die Verletzung der Lieferpflicht durch den Verkäufer aufgrund eines Ausfuhrverbots im Land seines Zulieferers: Unabhängig davon, dass ein solches Verbot den Verkäufer von einer eventuellen Schadensersatzpflicht gem. 408
MK/Gruber, Art. 26, Rn. 1; Staudinger/Magnus, Art. 26, Rn. 2.
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Art. 79 CISG befreien würde, bliebe der Käufer bei hinreichend langem Ausbleiben der Lieferung zur Vertragsaufhebung berechtigt. Allein um dies zu verhindern, wird der Verkäufer versuchen, sich durch erhöhte finanzielle und organisatorische Anstrengungen in einem anderen Land mit Ware einzudecken. Zur Vorbereitung eines solchen Ersatzgeschäfts fallen Kosten für Schiffsmiete, Handelsmakler und die Erledigung von Zollformalitäten an. Diese Aufwendungen erweisen sich jedoch bei einer späteren Vertragsaufhebung als unwirtschaftlich. Hat der Käufer bereits gezahlt, ist es für den Verkäufer zudem sinnvoll, dafür Sorge zu tragen, dass er in kürzester Zeit wieder über dieses Kapital disponieren kann. Im Fall einer bereits erfolgten Teillieferung erscheint es geboten, deren Rücktransport vorzubereiten. Diese Maßnahmen setzen jedoch die Kenntnis der Vertragsaufhebung voraus. Diese Kenntnis gewährleistet allein das Erfordernis der Aufhebungserklärung. Ein drittes Argument, das für das Erfordernis einer Aufhebungserklärung spricht, ist die Wahrung der Parteiautonomie. Die konzeptionelle Grundidee des CISG sieht vor, dass die Parteien selbst das Schicksal ihrer vertraglichen Beziehung bestimmen409. Schon früh erkannten die Konventionsgeber, dass es bei internationalen Verträgen den Vertragsparteien nicht zuzumuten ist, das Schicksal ihres Vertrags in die Hände eines Richters zu legen. Gerade in den Fällen, in denen der Gerichtsort nicht in einem neutralen Land liegt und die Entscheidung nicht durch ein neutrales Schiedsgericht erfolgt, würde das Vertrauen der ausländischen Vertragspartei in die sachliche Rechtfertigung der Entscheidung des Richters über die Maßen auf die Probe gestellt. Vielmehr solle es in der Hand des Gläubigers liegen, zu entscheiden, ob er trotz der Vertragsverletzung des Schuldners am Vertrag festhält oder nicht410. Die automatische Auflösung des Vertrags sei keineswegs immer interessengerecht. Sie berge vielmehr in bestimmten Fällen die Gefahr unbilliger Ergebnisse zu Lasten des Vertragstreuen Gläubigers in sich411. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn der Gläubiger ein berechtigtes Interesse an einer Erfüllung des Schuldners in natura geltend machen kann. Ferner bestünde auch hier die Gefahr unzulässiger Spekulationen412. 2. Die inhaltlichen Anforderungen an das Erfordernis Weder Art. 75 noch Art. 26 CISG ist zu entnehmen, welchen inhaltlichen Anforderungen eine Aufhebungserklärung im Rahmen des Art. 75 CISG 409 410 411
Schlechtriem/Schwenzer/Hornung, Art. 26 CISG, Rn. 5. Enderlein/Maskow/Strohbach, Art. 26, Rn. 1.1. Enderlein/Maskow/Strohbach, Art. 26, Rn. 1.1.; Leser, Erfüllungsverweigerung, S. 650. 412 Leser, Erfüllungsverweigerung, S. 650.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
entsprechen muss. Nach allgemeiner Auffassung genügt eine Erklärung, die in hinreichender Weise den Willen des Erklärenden zum Ausdruck bringt, nicht mehr am Vertrag festhalten zu wollen413. Strittig ist, ob eine Aufhebungserklärung im Rahmen von Art. 75 CISG allein durch konkludentes Handeln erfolgen kann. Die überwiegende Ansicht bejaht dies414. Dem Bedürfnis des Vertragsbrüchigen Schuldners an Rechtsicherheit sei bereits dann ausreichend Rechnung getragen, wenn die Erklärung unmissverständlich den Willen des Gläubigers, sich vom Vertrag zu lösen, zum Ausdruck bringt. Ob dies der Fall ist, sei eine Frage der Auslegung415. Dem ist zuzustimmen, denn die sonst notwendige Abgrenzung, ob die Erklärung explizit und somit wirksam oder implizit und somit unwirksam erfolgte, würde keinen Gewinn an Rechtssicherheit bedeuten. Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine implizite Aufhebungserklärung bereits im Verlangen des Gläubigers auf Ersatz des Differenzschadens oder sogar in der bloßen Mitteilung der Vornahme des Deckungsgeschäfts, zu sehen ist416. Teilweise wird vertreten, dass das Verlangen nach Schadensersatz wegen Nichterfüllung stets eine Aufhebungserklärung beinhaltet417. Die Rechtsfolgen eines solchen Verlangens stimmten zumindest teilweise mit jenen der Vertragsaufhebung überein. Der Ersatz des Erfüllungsinteresses stelle den Gläubiger so, als ob der Vertrag ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre. Daher sei es nur „logisch“, dass der Gläubiger sein Erfüllungsinteresse nicht doppelt, in Form des Erfüllungsanspruchs und in Form eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung geltend machen kann. Könne er dies aber nicht, so erlösche de facto wie im Fall der Vertragsaufhebung auch bei Verlangen des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung die Leistungspflicht des Schuldners. Folglich sei im Verlangen des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung auch die Aufhebung des Vertrags zu sehen. Auch der Differenzanspruch gem. Art. 75 CISG sei als Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu qualifizieren418. In der Mittei-
413 414
OGH vom 06.02.1996, CISG-online 224; Schlechtriem/Huber, Art. 49, Rn. 29. BGH vom 25.06.1997, CISG-online 277; OGH vom 05.07.2001, CISGonline 652; MK/Gruber, Art. 26, Rn. 4. 415 Bamberger/Roth/Saenger, Art. 26, Rn. 3; Schlechtriem/Leser/Hornung, Art. 26, Rn. 10. 416 OLG Bamberg vom 13.01.1999, CISG-online 516 und OLG München vom 15.09.2004, CISG-online 1013. Die Urteile setzen sich eingehend mit der Frage der Entbehrlichkeit der Erklärung auseinander, enthalten jedoch keine Feststellung, ob das Verlangen nach Schadensersatz selbst eine solche Erklärung beinhaltet. 417 Schiedsgerichts der Handelskammer Zürich vom 31.05.1996 in Achilles, Art. 26, Rn. 2. 418 Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 75, Rn. 1; Staudinger/Magnus, Art. 75, Rn. 5.
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG
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lung des Deckungsgeschäfts und dem Verlangen des Differenzschadens sei somit die implizite Erklärung der Vertragsaufhebung zu sehen419. Diese Lösung steht auch nicht im Widerspruch zum Wortlaut des Art. 75 CISG. Zwar spricht dieser von der Vornahme des Deckungsgeschäfts „nach“ der Vertragsaufhebung, jedoch ist die Frage des grundsätzlichen Vorliegens einer wirksamen Vertragsaufhebung strikt von der später noch zu erörternden Frage zu trennen, ob das Deckungsgeschäft den zeitlichen Anforderungen des Art. 75 CISG entspricht. Die Problematik einer großzügigen Interpretation einer impliziten Aufhebungserklärung liegt vielmehr in dem damit einhergehenden Verlust an Rechtsicherheit des Schuldners. So ist es nicht zwingend, dass der durchschnittliche Schuldner das bloße Schadenersatzverlangen des Gläubigers als Aufhebungserklärung versteht. Zwar mag es richtig sein, dass sich das Verlangen des Differenzbetrags und das Verlangen nach Erfüllung ausschließen, doch erscheint es zumindest fraglich, ob dieses Verständnis, das auch in der juristischen Literatur weiterhin bestritten wird420, von einem Kaufmann zu erwarten ist. Meines Erachtens ist stets im Einzelfall festzustellen, ob der Gläubiger in ausreichender Weise deutlich gemacht hat, dass er sich an den Vertrag mit dem Schuldner nicht mehr gebunden sieht und an einer Erfüllung des Schuldners kein Interesse hat. Dies wird in der Regel bei Verlangen des Differenzbetrags der Fall sein. Nicht ausreichend ist hingegen, dass der Gläubiger alternativ „Ersatz der ihm entstandenen Mehrkosten eines Deckungsgeschäfts oder die Vornahme der noch ausstehenden Lieferung“ durch den Schuldner verlangt421. 3. Die Entbehrlichkeit des Erfordernisses Nach ganz herrschender Meinung kommt ein Absehen vom Erfordernis der Aufhebungserklärung im Rahmen von Art. 75 CISG allein bei Vorliegen einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung des Schuldners in Betracht422. Nur in dieser Konstellation sei es gerechtfertigt, den Gläubiger vom Erfordernis einer wirksamen Aufhebungserklärung zu befreien und ihm gleichwohl den aus der Tätigung eines Deckungsgeschäfts ent419 OLG Hamburg vom 28.02.1997, CISG-online 261: „Wann die Klägerin die Beklagte [über den] Deckungskauf und der damit einhergehenden konkludenten Aufhebungserklärung in Kenntnis gesetzt hat, [kann nicht ermittelt werden]“. 420 Vgl. nur Honsell/Schönle, Art. 75, Rn. 5 „Auch im Fall der Aufrechterhaltung des Vertrags kann der Geschädigte seiner Beweislast durch Nachweis seines Differenzschadens genügen.“ 421 Tribunal of International Commercial Arbitration at the Russian Federation Chamber of Commerce vom 16.03.1995, CISG-online 205. 422 Supreme Court of Poland vom 27.01.2006, CISG-online 1399 (unter Ablehnung eines SE-Anspruchs gem. Art. 75 CISG); Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 75 CISG, Rn. 5.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
standenen Differenzschaden zu ersetzen423. Diese Ansicht der Literatur wurde in den letzten Jahren wiederholt durch die Rechtsprechung bestätigt424. Als Beispiel diene die Entscheidung des OLG Hamburg425: Der deutsche Verkäufer (V) und der englische Käufer (K) einigten sich über den Verkauf von 18.000 kg Eisenmolybdän zum Preis von 9,70 US $/kg zu liefern im Oktober 1994 CIF Rotterdam. Einen Antrag des V vom 20.10.1994 auf Anpassung des Preises aufgrund des erheblich gestiegenen Marktpreises für Eisenmolybdän lehnte K ebenso ab wie die Bitte des V um Zeitaufschub aufgrund der Lieferschwierigkeiten des chinesischen Zulieferers. K bestand vielmehr auf Verladung zum 15.11.1994 unter Androhung der Vornahme eines Deckungsgeschäfts. In einem späteren Schreiben gewährte K V eine letzte Frist. Dieses Schreiben des K beantworte V am 14.12.1994 mit dem Angebot einer „Kompensationszahlung“ iHv. $ 10.088 und am 29.12.1994 mit dem Angebot einer „Abfindung“ iHv. $ 15.000. Daraufhin tätigte K am 11.01.1195 ein Deckungsgeschäft über 17.942 kg Eisenmolybdän zum damaligen Marktpreis von 30 US $/Kg. Mit der am 7.6.1995 zugestellten Klage verlangt K Ersatz des ihm entstandenen konkreten Differenzschaden iHv. $ 218.840,06.
Das OLG Hamburg entsprach dem Verlangen des Käufers in vollem Umfang. Der Anspruch des Käufers ergebe sich aus Art. 45 (1) (b) CISG iVm. Art. 75 CISG. Sowohl die Nichteinhaltung der Lieferfrist im Rahmen eines CIF Vertrags als auch das ungerechtfertigte Verlangen nach zeitlichen Aufschub verbunden mit einem Angebot zur Abfindung seien wesentliche Vertragsverletzungen, die den Käufer zur Aufhebung des Vertrags berechtigen. Eine Aufhebungserklärung i.S.v. Art. 26 CISG sei zwar nicht erfolgt, jedoch insofern entbehrlich, als der Verkäufer vor Vornahme des Deckungsgeschäfts die Erfüllung des Kaufvertrags ernsthaft und endgültig verweigert habe. Der Verkäufer durfte folglich nicht mehr davon ausgehen, dass ihm weiterhin die Möglichkeit zur Vertragsdurchführung bliebe. Die Entbehrlichkeit der Aufhebungserklärung ergebe sich aus dem „Gebot der Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel“, Art. 7 (1) CISG. a) Die Argumentation der herrschenden Meinung Die Begründung des Absehens vom Erfordernis der Aufhebungserklärung stützen Rechtsprechung und herrschende Lehre im Wesentlichen auf drei Erwägungen: Erstens sei die Aufhebungserklärung in den Fällen eine bloße „Förmelei“, in denen der Schuldner bereits unzweideutig die eigene Leistung verweigert habe426. 423
MK/Huber, Art. 75 Rn. 5: Nur hier fehle es an der Schutzwürdigkeit des Schuld-
ners. 424 425 426
Staudinger/Magnus, Art. 75, Rn. 8. OLG Hamburg vom 28.02.1997, CISG-online 261. Staudinger/Magnus, Art. 75, Rn. 8; Sauthoff, Auslegung der Art. 75 und 76 CISG, S. 151.
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG
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Zweitens entstünde, anders als von der Gegenansicht427 behauptet, im Fall einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung kein Verlust an Rechtssicherheit bzw. Rechtsklarheit. Der Gegenansicht zufolge kann allein schon deswegen nicht auf eine Aufhebungserklärung verzichtet werden, da andernfalls offen bliebe, ab welchem Zeitpunkt die dem Gläubiger durch den Wortlaut des Art. 75 CISG gesetzte angemessene Frist zu laufen begänne, innerhalb derer ein Deckungsgeschäft vorzunehmen sei. Dies sei nicht richtig. Im Fall der endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung sei schlicht auf den Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung der Erfüllungsverweigerung abzustellen428. Drittens ergebe sich die Entbehrlichkeit der Aufhebungserklärung sowohl nach Ansicht der Rechtsprechung429 als auch der Literatur430 aus dem „Gebot der Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel“. Die Vertragsbrüchige Partei schaffe mit der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung einen Vertrauenstatbestand, auf den sich der Gläubiger einrichten könne. Letzterer müsse den Schuldner beim Wort nehmen und seine wieder gewonnene Dispositionsbefugnis nutzen können, um seinerseits durch ein die Erfüllung des Kaufvertrags ausschließendes Deckungsgeschäft vom Vertrag Abstand zu nehmen. Der Grundsatz von Treu und Glaubens werde durch das Prinzip des Verbots des venire contra factum proprium konkretisiert. Hiernach könne eine Partei, die ihrerseits die Vertragserfüllung verweigere oder das Bestehen vertraglicher Verpflichtungen überhaupt leugne, sich nicht auf eine fehlende Vertragsaufhebung der anderen Partei berufen. Der Schuldner sei nicht schutzwürdig. b) Der eigene Lösungsansatz Parallel zur Analyse der Frage der Entbehrlichkeit des Rechts zur Vertragsaufhebung soll im Folgenden aufgezeigt werden, dass auch eine Entbehrlichkeit der Aufhebungserklärung im Rahmen von Art. 75 CISG nicht in Betracht kommt. Die Frage der sachlichen Berechtigung des Absehens vom Erfordernis der Aufhebungserklärung zur „Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel“ ist stattdessen im Anwendungsbereich des Art. 74 CISG zu erörtern431. Art. 7 (1) CISG gibt zentrale Ziele und Maßgaben der Auslegung vor, ohne jedoch die Vorgehensweise und Methode der Auslegung zu bestim427
Bamberger/Roth/Saenger, Art. 75, Rn. 3; Soergel/Lüderitz/ Dettmeier, Art. 75,
Rn. 3. 428 429
OLG München vom 15.09.2004, CISG-online 1013. OLG Hamburg vom 28.02.1997, CISG-online 261; OLG München vom 15.09.2004, CISG-online 1013. 430 MK/Huber, Art. 75, Rn. 4; Schlechtriem/Stoll, Art. 75, Rn. 5. 431 Ferrari, Interpretation, S. 156; Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 13.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
men432. Auch im CISG gelten die klassischen Methoden der Auslegung anhand des Wortlauts, der Historie, der Systematik und des Telos der Norm433. Die in Art. 7 CISG aufgeführten Auslegungsziele „der Wahrung des guten Glauben“, „der Beachtung des internationalen Charakters“ und „der Notwendigkeit der einheitlichen Anwendung“ stellen hingegen bloße Orientierungshilfen dar, die es bei Anwendung der klassischen Auslegungsmethoden zu beachten gilt. Eine Auslegung anhand des Wortlauts, der Historie, der Systematik und der Funktion des Art. 75 CISG stehen einem Absehen vom Erfordernis der Aufhebungserklärung mittels einer teleologischen Reduktion des Art. 75 CISG aufgrund von Treu und Glauben entgegen: Der Wortlaut des Art. 75 CISG ist eindeutig und setzt einen „aufgehobenen Vertrag“ voraus. Die grammatikalische Auslegung widerspricht daher der These der Entbehrlichkeit einer Aufhebungserklärung im Fall der Erfüllungsverweigerung. Gerade im Rahmen internationaler Verträge kommt dieser Form der Auslegung besondere Bedeutung zu, da der Wortlaut oftmals einen mühsam erarbeiteten Kompromiss widerspiegelt, der nicht durch eine großzügige teleologische Interpretation überspielt werden darf434. Eine Auslegung anhand der Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt dieses Ergebnis. So enthielt bereits die Überschrift zu Art. 84 und 85 EKG die Voraussetzung des „aufgehobenen Vertrags“435. Zwar sah das EKG in einer Reihe von Fällen die Aufhebung des Vertrags kraft Gesetzes vor, jedoch wurde dieses Konzept gerade nicht ins CISG übernommen. Bezeichnenderweise gewährte zudem bereits das EKG dem Gläubiger im Fall einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung nur ein Recht zur Aufhebung. Eine automatische Auflösung fand in diesem Fall nicht statt. Das Bestreben der Konventionsgeber, sich vom Konzept der ipso facto-avoidance zu lösen, würde konterkariert, wenn im Rahmen des Art. 75 CISG eine Art gesetzlicher Vertragsaufhebung zulässig wäre, die es in dieser Form noch nicht einmal im EKG gab. In systematischer Hinsicht ist zunächst auf Art. 26 CISG hinzuweisen. Diese im „allgemeinen Teil436“ des CISG enthaltene Vorschrift beinhaltet folgendes Grundprinzip: Die wirksame Aufhebung eines Vertrags erfordert die Mitteilung der Aufhebungserklärung gegenüber der anderen Partei. 432 Ferrari, Vendita, S. 132; Honsell/Melis, Art. 7, Rn. 3; Staudinger/Magnus, Art. 7, Rn. 30. 433 Schlechtriem/Ferrari, Art. 7, Rn. 28 ff.; Staudinger/Magnus, Art. 7, Rn. 32 ff. 434 Zum Einheitlichen Kaufgesetz: BGH WM 1991, 2108. 435 Vgl. die englische Originalfassung von Art. 84 ULIS: “B. Damages where the contract is avoided“. 436 Vgl. die amtliche Überschrift im Teil III Warenkauf, vor Art. 25 CISG: “General provisions“.
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG
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Art. 75 CISG weicht von diesem Grundsatz nicht ab, sondern verweist durch das Erfordernis des „aufgehobenen Vertrags“ auf Art. 26 CISG. Eine spezielle Regelung zur endgültigen Erfüllungsverweigerung enthält demgegenüber Art. 72 (3) CISG. Diese sieht im Fall der Erfüllungsverweigerung, anders als im Fall eines sonstigen antizipierten Vertragsbruchs, vor dass keine Verpflichtung des Gläubigers besteht, die andere Partei über seine Intention, den Vertrag aufzuheben, zu informieren. Vielmehr ist der Gläubiger sofort zur Aufhebung des Vertrags berechtigt. Art. 72 (3) CISG stellt insofern eine Ausnahme zu Art. 72 (2) CISG dar. Die Möglichkeit des Schuldners zur Abwendung der Aufhebung durch Stellung einer Sicherheit entfällt. Ratio dieser Regelung ist, dass es einer Prognose auf objektiver Basis nicht mehr bedarf. Die Erklärung des Schuldners, nicht erfüllen zu wollen, stellt eine ausreichende Grundlage für das Aufhebungsrecht des Gläubigers dar437. Diese Erleichterung geht jedoch eben nicht so weit, den Gläubiger auch vom Erfordernis der Aufhebungserklärung zu befreien. Die Konventionsgeber haben die besondere Konstellation einer endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung erkannt. Sie haben sich jedoch bewusst entschieden, den Gläubiger nur vom Erfordernis der „Warnung“ i.S.v. Art. 72 (2) CISG, nicht jedoch vom Erfordernis der Aufhebungserklärung zu befreien. Die Wertung des Art. 72 CISG ist auch im Rahmen des Art. 75 CISG zu beachten. Auch die systematische Auslegung spricht somit gegen die Entbehrlichkeit der Aufhebungserklärung. Gegen ein Absehen vom Erfordernis der Aufhebungserklärung spricht schließlich auch die Funktion des Art. 75 CISG. Insoweit ist auf die obige Argumentation im Rahmen der Frage der Entbehrlichkeit des Rechts zur Vertragsaufhebung Bezug zu nehmen. Art. 75 CISG ermöglicht es dem Gläubiger, seinen Schaden in typisierter Art und Weise geltend zu machen. Die Norm stellt eine Berechnungsregel und Beweiserleichterungsregel dar und ist als Ausnahmevorschrift zu Art. 74 CISG restriktiv und wortlautgetreu auszulegen. Zusammenfassend: Die Auslegung anhand des Wortlauts, der Historie, der Systematik und der Funktion sprechen eindeutig gegen ein Absehen vom Erfordernis der Aufhebungserklärung im Rahmen des Art. 75 CISG. Dass für eine teleologische Reduktion des Art. 75 CISG zur „Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel“ aufgrund des breiten Wortlauts des Art. 74 CISG kein Bedürfnis besteht und die in der Sache zu begrüßende Entscheidung des OLG Hamburgs auf letztere Norm zu stützen war, soll an späterer Stelle der Arbeit gezeigt werden438. 437 438
Leser, Erfüllungsverweigerung, S. 651; Stoll, Erfüllungsverweigerung, S. 622. Vgl. hierzu die Ausführungen: Der Differenzschadens gem. Art. 74 CISG, S. 118 ff.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
III. Das Erfordernis eines angemessenen Deckungsgeschäfts Nicht jedes Geschäft kann gem. Art. 75 CISG als Maßstab zur Berechnung des ersatzfähigen Schadens herangezogen werden. Voraussetzung ist vielmehr ein Rechtsgeschäft, das als Substitut des entgangenen Geschäfts einzuordnen ist (1) und in angemessener zeitlicher (2) sowie inhaltlicher (3) Art und Weise vorgenommen wurde. 1. Der Begriff des Deckungsgeschäfts Ein Deckungsgeschäft liegt vor, wenn der Ersatzberechtigte im hinreichenden zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem ursprünglichen Vertrag ein Ersatzgeschäft vornimmt, das die Folgen der Nichterfüllung beseitigen soll439. Anders ausgedrückt liegt ein Deckungsgeschäft dann vor, „wenn der Gläubiger – erstens – mit einem Dritten ein Ersatzgeschäft vornimmt, das – zweitens – auf die Befriedigung seines Erfüllungsinteresses abzielt“440. Zwei Voraussetzungen müssen kumulativ gegeben sein: Zum einen muss es sich um ein „Ersatzgeschäft“ handeln, d.h. das neue Geschäft tritt an die Stelle des nicht durchgeführten Geschäfts. Man spricht vom „Vertragsbezug“ des Geschäfts441. Zum anderen muss das als Surrogat durchgeführte Geschäft dazu geeignet und bestimmt sein, das Erfüllungsinteresse des Gläubigers zu befriedigen442. Nicht ausreichend für die Bejahung dieser Voraussetzung ist die bloße „begründete Aussicht“, der Gläubiger werde ein Ersatzgeschäft vornehmen443. Auf der anderen Seite bedarf es auch nicht der tatsächlichen Erfüllung des Deckungsgeschäfts. Vielmehr kommt es allein auf den Abschluss des Geschäfts an444. Die Zuordnung eines durch den Gläubiger abgeschlossenen Geschäfts als Ersatzgeschäft i.S.v. Art. 75 CISG bereitet in drei Fällen Schwierigkeiten: Im Fall der Ersatzherstellung, im Fall der Verwertung und Entsorgung sowie im Fall des regelmäßigen Abschlusses vergleichbarer Geschäfte. Sowohl im Fall der Ersatzherstellung der Ware durch den Käufer im eigenen Betrieb als auch im Fall der Verwertung und Entsorgung inzwischen verdorbener Ware verneint die überwiegende Ansicht ohne nähere Begründung das Vorliegen eines Deckungsgeschäfts445. Für den Verkauf verdorbe439 Kantonsgericht Zug in IHR 2004, 65 verweisend hierauf: Staudinger/Magnus, Art. 75, Rn. 10. 440 So wörtlich: MK/Huber, Art. 75, Rn. 7. 441 Bianca/Bonell/Knapp, Art. 75, Rn. 2.6. 442 OLG Hamburg vom 28.02.1997, CISG-online 261; Achilles, Art. 75, Rn. 3. 443 Zu Art. 85 EKG: LG Düsseldorf in Schlechtriem/Magnus, Art. 85 EKG, NR. 4. 444 Bamberger/Roth/Saenger, Art. 75, Rn. 4; Piltz, Internationales Kaufrecht, Rn. 431. 445 Borisova, Commentary on Art. 75, Rn. II.
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ner Ware bezieht sich die Literatur überwiegend auf ein Urteil des OLG Hamm, obgleich dieses mit keinem Wort erkennen lässt, dass ein solches Geschäft nicht als Deckungsgeschäft angesehen werden könne446. Diese Auffassung überzeugt nicht. In beiden angesprochenen Fällen ist das Verhalten des Gläubigers wirtschaftlich sinnvoll. Die Herstellung der Ware im eigenen Betrieb mag erheblich günstiger sein als ein Einkauf der Ware auf dem Markt. Entsprechendes gilt für die Verwertung und Entsorgung verdorbener Ware anstelle eines Verkaufs auf dem Markt. Bedenkt man, dass die Regelung des Art. 75 CISG gerade auf der Erkenntnis beruht, dass ein konkretes Deckungsgeschäft wirtschaftlich günstiger und somit schadensmindernd ist, erscheint eine Anwendung der Regelung auf die oben genannten Geschäfte als geboten.447. Was schließlich die Konstellation anbelangt, dass der Gläubiger regelmäßig vergleichbare Geschäfte tätigt, kann die Qualifikation eines bestimmten Geschäfts als Surrogat in der Tat Schwierigkeiten bereiten448. Überwiegend wird vertreten, dass in einem solchen Fall erhöhte Anstrengungen vom Gläubiger hinsichtlich seiner Beweispflicht in Bezug auf den Substitutionscharakter des Rechtsgeschäfts zu verlangen sind. Der Gläubiger könne dieser Beweispflicht allein durch eine entsprechende vorherige Anzeige des Rechtsgeschäfts gegenüber dem Schuldner nachkommen449. Die Gegenansicht verzichtet hingegen auch in diesen Fällen auf den Beweis eines konkreten Bezugs450. Eine vermittelnde Ansicht löst das Problem der Zuordnung, indem sie pauschal auf das erste Geschäft nach der Aufhebungserklärung abstellt451. Letztere Ansicht erscheint vorzugswürdig, da auf diesem Wege ohne eine unangemessene Belastung des Gläubiger verhindert wird, dass dieser durch Benennung eines beliebigen ungünstigen Geschäfts sein wirtschaftliches Risiko auf den Schuldner abwälzt. 2. Der zeitliche Aspekt des Angemessenheitskriteriums Art. 75 CISG setzt ferner voraus, dass das Deckungsgeschäft innerhalb „eines angemessenen Zeitraums nach der Vertragsaufhebung“ vorgenommen wurde. Durch diese Formulierung soll zum einen verhindert werden, dass der Gläubiger durch ein unangemessen langes Abwarten die Möglichkeit be446 OLG Hamm vom 22.09.1995, CISG-online 57. Das Gericht stellt lediglich fest, dass der Verkäufer kein vorteilhaftes Ersatzgeschäft getätigt hatte, sondern vielmehr die nicht abgenommene Ware zu einem deutlich unterhalb des Marktpreises liegenden Preis verkauft hatte. 447 Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 75, Rn. 3. 448 Achilles, Art. 75, Rn. 3; Brunner, Art. 75, Rn. 4. 449 Schlechtriem/Stoll, Art. 75, Rn. 3; Weber, Vertragsverletzungsfolgen, S. 201. 450 Herber/Czerwenka, Art. 75, Rn. 4; Honsell/Schönle, Art. 75, Rn. 21. 451 Honnold, Rn. 410.1.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
sitzt, die Vornahme des Deckungsgeschäfts spekulativ zu Lasten des Schuldners hinauszuzögern452. Anders als im Rahmen des Art. 76 CISG besteht im Rahmen des Art. 75 CISG nicht das Risiko, dass der Gläubiger bewusst einen Zeitpunkt abwartet, zu dem der Marktpreis für den Schuldner besonders ungünstig ist. Schließlich ist der Gläubiger zunächst selbst von diesem ungünstigen Preis betroffen. Gleichwohl könnten aber andere Interessen den Gläubiger dazu bewegen, unangemessen lange zuzuwarten. So mag ein Verkäufer geneigt sein, selbst von einem gestiegenen Marktpreis zu profitieren, indem er zunächst versucht, seinen übrigen Bestand am Markt zu veräußern. Für einen Käufer hingegen könnte es wirtschaftlich vorteilhaft sein, trotz steigender Preise einen Deckungskauf solange hinauszuzögern, bis er günstigere Lagerkapazitäten besitzt. Diese Arten von Spekulationen sollen vermieden werden. Zum anderen dient der Begriff der Angemessenheit auch dem Schutz des Gläubigers. Es wäre unbillig, von diesem die sofortige Vornahme eines Deckungsgeschäfts zu verlangen. Regelmäßig ist ihm dies bereits rein faktisch nicht möglich. Bestimmte Märkte sind schwierig zu durchschauen, Kauf- oder Verkaufsmöglichkeiten bestimmter Waren sind örtlich oder saisonal eingeschränkt, und gerade im internationalen Handel erfordert die Abwicklung von Ersatzgeschäfte gewisse Vorbereitungshandlungen. Eine den Umständen nach billige und angemessene Frist muss dem Gläubiger daher zustehen453. Diese kann im Fall saisonaler Ware bis zu drei454 oder bei besonderen Umständen sogar bis zu sechs455 Monate betragen. Die aus einem in nicht angemessener Frist getätigten Deckungsgeschäft entstandenen Mehrkosten des Gläubigers, sind nicht von Art. 75 CISG erfasst. In diesem Fall ist der Gläubiger gezwungen, seinen Schaden gem. Art. 74 CISG konkret zu berechnen456. Sehr umstritten ist die Frage, ob, abweichend vom Wortlaut des Art. 75 CISG, ein Deckungsgeschäft den zeitlichen Anforderungen entsprechen kann, wenn es bereits vor einer wirksamen Vertragsaufhebung getätigt wurde. Im Folgenden sei der Ausdruck des „vorzeitigen Deckungsgeschäfts“ verwendet. Denkbar ist sowohl die Konstellation, dass das Deckungsgeschäft noch vor Eintritt der Aufhebungsvoraussetzungen 452 453 454
Witz/Salger/Lorenz, Art. 75, Rn. 9; Weber, Vertragsverletzungsfolgen, S. 202. MK/Huber, Art. 75, Rn. 11; Staudinger/Magnus, Art. 75, Rn. 18. OLG Düsseldorf vom 14.01.1994, CISG-online 119 (Verkauf einer Winterkollektion nach Saisonbeginn). 455 Corte di Apello Milano vom 11.12.1998 (Verkauf einer Druckmaschine nach sechs Monaten). 456 Abzulehnen ist daher die Entscheidung des Hof van Beroep Antwerpen vom 24.04.2006, CISG-online 1258. Hiernach scheidet ein Ersatz der Mehrkosten gem. Art. 75 CISG nur dann aus, wenn der Schuldner konkret nachweisen kann, dass im Fall eines rechtzeitigen Deckungsgeschäfts der Schaden des Gläubigers geringer wäre.
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vorgenommen wurde, als auch jene, dass das Deckungsgeschäft zwar nach Eintritt der Aufhebungsvoraussetzungen, aber vor Erklärung der Aufhebung abgeschlossen wurde. Nach teilweise vertretener Ansicht ist ein vorzeitiges Deckungsgeschäft zumindest im Fall der endgültigen Erfüllungsverweigerung von Art. 75 CISG erfasst. Insofern bestehe einer Parallele zur Problematik der Entbehrlichkeit der Aufhebungserklärung457. Die Frage des vorzeitigen Deckungsgeschäfts ist jedoch nur scheinbar mit jener der Entbehrlichkeit der Aufhebungserklärung verwandt. Selbst wenn man mit der herrschenden Meinung eine Aufhebungserklärung bei Vorliegen einer Erfüllungsverweigerung für entbehrlich hielte, ließe sich hieraus noch keine endgültige Aussage darüber entnehmen, ob auch ein vorzeitiges Deckungsgeschäft zu berücksichtigen ist. Ein vorzeitiges Deckungsgeschäft hätte nämlich vor der Erklärung der Erfüllungsverweigerung stattfinden müssen, da letztere nach herrschender Ansicht ja gerade die Aufhebungserklärung ersetzt. In allen bisher entschiedenen Fällen war das Deckungsgeschäft jedoch die Reaktion auf die Erfüllungsverweigerung des Schuldners458. Einer Ansicht zufolge ist entgegen dem Wortlaut der Norm ein Deckungsgeschäft bereits dann von Art. 75 CISG erfasst, wenn es in geringem Zeitabstand vor Vertragsaufhebung vorgenommen worden und inhaltlich angemessen ist459. Nach der Gegenauffassung kann ein Deckungsgeschäft aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Norm nur dann Gegenstand der Berechnung des Differenzschadens gem. Art. 75 CISG sein, wenn dieses nach der Vertragsaufhebung erfolgte460. Welcher Ansicht der Vorzug zu gewähren ist, soll anhand des folgenden Urteils des BGHs zum deutschen Recht gezeigt werden461: Der Verkäufer erfüllte seine Pflicht zur Lieferung von 12 000 m² Stufenplatten, 120 m³ Stufenholz und 120 m³ Handlaufholz trotz mehrfacher Aufforderung und Setzung einer Nachfrist durch den Käufer nicht. Zum Ausgleich sämtlicher Minderlieferungen deckte sich der Käufer noch vor Ablauf der dem Verkäufer gesetzten Nachfristen mit Ersatzware ein. Nach Ablauf der Nachfrist und Erklärung der Vertragsaufhebung verlangte der Käufer Ersatz der ihm durch die Deckungskäufe entstandenen Mehrkosten. Der Verkäufer wandte hingegen ein, dass es auf das bereits vor der Vertragsaufhebung getätigte Geschäft nicht ankommen könne. Sowohl das erstinstanzliche Urteil als auch das Berufungsgericht wiesen die Klage des Käufers mit dem Hinweis ab, dass ein Recht des Käufers zum Ersatz seines Nichterfüllungsschadens in Form des Differenzbetrags erst mit Ablauf der Nachfrist entstanden sei und er somit auch nur den Nichterfüllungsschaden 457 458 459 460 461
MK/Huber, Art. 75, Rn. 12. Der Verweis in MK/Huber, Art. 75, Rn. 12 geht daher fehl. Staudinger/Magnus, Art. 75, Rn. 14. Soergel/Lüderitz/Dettmeier, Art. 75, Rn. 4. Zum internen Recht: BGH NJW 1998, 2901 (2903). Zur Möglichkeit der Übertragung des Urteils auf die Rechtslage im CISG: Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 75, Rn. 3.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
verlangen könne, der nach diesem Zeitpunkt bei ihm eingetreten sei. Einen vorher eingetretenen Schaden könne er nur verlangen, so weit es sich hierbei um reine Verzugsschäden handele. Der BGH dagegen entsprach dem Schadensersatzverlangen des Käufers. Dem Berufungsgericht sei insofern zuzustimmen, als ein Anspruch des Käufers auf Ersatz seines Nichterfüllungsschadens erst mit Ablauf der Nachfrist entstünde. Ab diesem Zeitpunkt sei der Käufer jedoch so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung stünde. Bliebe „die geschuldete Leistung aber bis zum Ablauf der Nachfrist aus, so bestehe kein Anlass, dem Gläubiger den Ersatz des Nichterfüllungsschadens […] allein deshalb zu verwehren, weil er mit der Vornahme des – rückblickend betrachtet gerechtfertigten – Deckungsgeschäfts nicht bis zum Ablauf der Nachfrist zugewartet habe.“
Bei strikter Anwendung des Wortlauts des Art. 75 CISG wäre der Auffassung der Vorinstanzen auch für den Fall der Anwendbarkeit des CISG zuzustimmen. Zudem scheint der Zweck des Art. 75 CISG der Einbeziehung eines vorherigen Deckungsgeschäfts entgegenzustehen. Solange der Gläubiger den Vertrag noch nicht aufgehoben hat, bestehen die Erfüllungspflichten fort. Erst die Aufhebung des Vertrags befreit die Parteien von ihren vertraglichen Pflichten. Erst in diesem Moment erhält auch der Gläubiger die Dispositionsfreiheit zurück, die es ihm gestattet, ein Rechtsgeschäft zu tätigen, das als Ersatz des ursprünglichen Rechtsgeschäfts angesehen werden kann. Bis zu diesem Moment ist es dem Gläubiger zuzumuten, mit der Vornahme eines Deckungsgeschäfts abzuwarten. Für die Gegenauffassung, die einen hinreichend engen zeitlichen Zusammenhang ausreichen lässt, spricht allerdings, dass der Gläubiger zumindest bis zur wirksamen Vertragsaufhebung das Risiko trüge, dass der Schuldner entgegen aller Erwartungen doch noch leistet. Auf dieses Risiko des Gläubigers hatte auch der BGH in seiner Entscheidung zu Recht explizit hingewiesen462. An dieser Stelle ist auf eine weitere, meines Erachtens entscheidende Voraussetzung hinzuweisen, die der BGH für den Ersatz des Differenzschadens aufstellte: Der Gläubiger müsse sich selbst bis zum Erlöschen der Erfüllungsansprüche, d.h. bis zur wirksamen Vertragsaufhebung, „vertragstreu“ verhalten und stets bereit sein, seinen vertraglichen Pflichten, Abnahme und Zahlung des Kaufpreises, nachzukommen463. Ob dies der Fall sei oder ob der Gläubiger durch die Vornahme des Deckungsgeschäfts selbst vom Vertrag Abstand nehme, sei eine Frage des Einzelfalls. Der Ansicht des BGH ist zuzugeben, dass sie eine nachvollziehbare Risikozuweisung trifft. Der Gläubiger kann sich bereits vor Vertragsauflö462 BGH a.a.O.: „Der Gläubiger läuft Gefahr, dass er die Leistung – als Käufer doppelt erhält oder sie – als Verkäufer – ein zweites Mal erbringen muss, falls der Schuldner seiner Leistungspflicht doch noch nachkommt.“ 463 Der Bundesgerichtshof (a.a.O.) ließ offen, ob in diesem Fall der Meinung des Berufungsgerichts, zuzustimmen sei. Er führte vielmehr aus, dass sich der Käufer anders als in der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Entscheidung RGZ 105, 280 trotz Vornahme des Deckungsgeschäfts leistungsbereit zeigte.
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG
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sung eindecken, falls er das wirtschaftlich für sinnvoll erachtet. Er trägt dann jedoch auch das Risiko, dass er gegebenenfalls doch noch die Leistung des Schuldners annehmen muss und die Mehrkosten des Deckungsgeschäfts nicht liquidieren kann. Die Möglichkeit zur Liquidation setzt ferner voraus, dass der Gläubiger sich selbst stets leistungsbereit gehalten hat. Fraglich ist jedoch, ob ein solches Deckungsgeschäft tatsächlich unter den Anwendungsbereich des Art. 75 CISG fällt. Ein Deckungsgeschäft, das der weiteren Durchführung des Vertrags nicht entgegensteht, ist nämlich kein Ersatzgeschäft. Es tritt nicht als Substitut an die Stelle der vertraglichen Leistung und fällt somit auch nicht in den Anwendungsbereich von Art. 75 CISG. Eine ganz andere Frage ist es, ob die Kosten des Deckungsgeschäfts alternativ als Verzugsschaden im Rahmen von Art. 74 CISG geltend gemacht werden können464. 3. Der inhaltliche Aspekt des Angemessenheitskriteriums Ein Deckungsgeschäft muss auch inhaltlich „angemessen“ sein. Der Vertragstreue Teil muss sich um den Abschluss eines möglichst günstigen Geschäfts bemühen. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass der Gläubiger den Ersatzbetrag durch einen schlechten Geschäftsabschluss fahrlässig oder gar willkürlich in die Höhe treibt465. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Deckungsgeschäft zu den exakt gleichen Konditionen wie das Ausgangsgeschäft durchzuführen ist. Ausreichend ist, dass – erstens – sich der Gläubiger bemüht hat, ein möglichst günstiges Deckungsgeschäft abzuschließen, und – zweitens – dieses Deckungsgeschäft soviel Gemeinsamkeiten zum ursprünglichen Geschäft aufweist, dass es sich um ein tatsächliches Ersatzgeschäft handelt466. Eine nur geringe Abweichung der Ware des Deckungsgeschäfts vom ursprünglich vereinbarten Vertragsgegenstand steht einem Schadensersatzanspruch aus Art. 75 CISG nicht entgegen467. Zu Recht wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass es der „kommerziellen Realität“ entspräche, dass ein Deckungsgeschäft in einem gegenüber dem Ausgangsgeschäft veränderten Marktumfeld getätigt wird468. So sei es zum Beispiel möglich, dass der Gläubiger gezwungen ist, sich in einem größeren oder einem kleineren Umfang einzudecken, als dies im ursprünglichen Vertrag vorgesehen war.
464 465 466
Vgl. hierzu die Ausführungen auf S. 118 ff. Borisova, Commentary on Art. 75, Rn. III; Karollus, S. 219. Bianca/Bonell/Knapp, Art. 75, Rn. 2; Roßmeier, Schadensersatz, in RIW 2000, S. 409. 467 ICC Award 8128, CISG-online 526. 468 Borisova, Commentary on Art. 75, Rn. III.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
Auch in diesem Fall sei Art. 75 CISG anwendbar, wenn auch nur im Hinblick auf den korrespondierenden Leistungsumfang469. Die Voraussetzung der „Angemessenheit“ bezieht sich insbesondere auch auf die Erzielung eines angemessenen Preises. Hat die Ware einen Marktpreis i.S.v. Art. 76 CISG mag dieser zwar als Anhaltspunkt dienen, doch kann auch ein hiervon abweichender Preis „angemessen“ sein. Wäre im Fall des Bestehens eines Marktpreises stets nur dieser „angemessen“, so wäre Art. 75 CISG neben Art. 76 CISG weitgehend überflüssig. Ferner wäre es schlicht unbillig, den Gläubiger ex ante anzuhalten, ein konkretes Deckungsgeschäft vorzunehmen, nur um ihm später ex post über die Vorzugswürdigkeit einer Berechnung anhand der Marktpreisregel zu belehren470. Nach Ansicht von Literatur471 und Rechtsprechung472 ist vielmehr das Verhalten eines vorsichtigen und umsichtigen Kaufmanns aus der betreffenden Branche, der sich um ein ökonomisch möglichst sinnvolles Ersatzgeschäft bemüht, entscheidend. Hierbei gelte: Je größer der Zeitdruck des Gläubigers, desto geringer die Anforderung an ein vernünftiges und ökonomisch angemessenes Verhalten473. Es wird deutlich, dass ein pauschales Urteil, ob ein Geschäft angemessen ist, nicht möglich ist. Vielmehr ist der Versuch zu unternehmen, im Einzelfall zu interessengerechten Ergebnissen zu gelangen. Eine bisher nicht abschließend von der Rechtsprechung gelöste Frage ist, ob ein solches Deckungsgeschäft inhaltlich angemessen ist, dessen Preis zunächst offen bleibt. Die fehlende Festlegung eines Preises kann darauf beruhen, dass ein Preis gar nicht festgelegt wird, dass lediglich eine bestimmte Preisspanne bestimmt wird oder dass der Preis anhand eines bestimmten späteren Marktpreises zu bestimmen ist. Folgendes Beispiel möge die Problematik veranschaulichen474: Der Verkäufer hatte sich im Juni 2004 zur Lieferung einer bestimmten Menge Stahl verpflichtet, zu liefern in zwei Raten im Laufe des Jahres 2005. Im Juni 2004 betrug der Preis für eine Tonne Stahl 500 €. Im Dezember 2004 verweigerte der Verkäufer ernsthaft und endgültig die Lieferung. Hintergrund der Weigerung des Verkäufers waren die mittlerweile exponentiell angestiegenen Preise am Stahlmarkt auf 750 € pro Tonne. 475 Der Käufer hob daraufhin gem. Art. 72 CISG den Vertrag auf und schloss Ende Dezember ein Ersatzgeschäft, ebenfalls über zwei Ratenlieferungen im Juni und November 2005. Der 469 MK zum HGB/Mankowski, Art. 75, Rn. 10; Roßmeier, Schadensersatz, in RIW 2000, S. 409. 470 Zur wortgleichen Vorschrift im UCC: White/Summers, UCC, § 6.3. 471 MK/Huber, Art. 75, Rn. 13; Schlechtriem/Stoll, Art. 75, Rn. 8. 472 ICC Award 8128, CISG-online 526. 473 ICC Award 8128, CISG-online 526; Heuzé, Vente internationale, Rn. 453. 474 Vgl.: Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 16. 475 Steigungsraten von bis zu 90 % waren Folge der erhöhten Nachfrage an Stahl durch die immer rasanter aufstrebenden Wirtschaftsmächte China u. Indien .
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG
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Preis des Deckungsgeschäfts wurde hierbei auf einen noch genau zu bestimmenden Preis von 3 % über dem jeweils gültigen Marktpreis festgelegt.
Welche Partei sich im vorliegenden Fall auf die Anwendbarkeit von Art. 75 CISG und welche sich auf die von Art. 76 CISG berufen wird, hängt von der Entwicklung des Marktpreises ab. Steigt der Marktpreis weiterhin, wird der Verkäufer geltend machen, dass das vom Käufer abgeschlossene Deckungsgeschäft kein inhaltlich angemessenes Deckungsgeschäft i.S.v. Art. 75 CISG darstelle, dem Käufer allein eine abstrakte Berechnung gem. Art. 76 CISG gestattet sei. Der Käufer könnte somit nur die Differenz zwischen Ausgangspreis im Juni 2004 und Marktpreis im Moment der Vertragsaufhebung im Dezember 2004, nicht aber den deutlich darüber liegenden Differenzbetrag zwischen Ausgangspreis und Marktpreis plus 3 % im Juni und November 2005 geltend machen. Fällt der Marktpreis hingegen, so ist die Interessenslage genau umgekehrt: Der Käufer wird eine Berechnung anhand der Marktpreisregel gem. Art. 76 CISG anstrengen und der Verkäufer sich auf den Vorrang konkreter Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG berufen. Die besseren Argumente sprechen gegen die Anwendbarkeit von Art. 75 CISG im Fall des Offenlassens des Preises des Deckungsgeschäfts476. Der Vorrang konkreter Schadensberechnung beruht auf der Vermutung, dass die Vornahme eines konkreten Deckungsgeschäfts regelmäßig zu einer Verringerung des Gesamtschadens des Gläubigers beiträgt477. Diese Vermutung greift jedoch nur dann, wenn der Preis des konkreten Deckungsgeschäfts hinreichend bestimmt ist, nicht jedoch im Fall der gänzlich fehlenden Bestimmung, des bloßen Verweises auf den zukünftigen Marktpreis oder der bloßen Angabe einer Preisspanne. Die Vermutung der wirtschaftlichen Vorzugswürdigkeit konkreter Berechnung greift daher nicht478. Durch Offenlassen des Preises im Rahmen des Ersatzgeschäfts entscheidet sich der Gläubiger vielmehr bewusst für eine spekulative Form der Berechnung. Sie beinhaltet das Risiko, dass der aus dem Vergleich von Deckungsgeschäft und Ausgangsgeschäft zu berechnende Differenzbetrag den nach der Marktpreisregel errechneten Betrag übersteigt. Dieses Risiko ist der Gläubiger jedoch bewusst eingegangen. Es ist keine Folge der Vertragsverletzung des Schuldners. Folglich erscheint es richtig, den Gläubiger und nicht den Schuldner mit diesem Risiko zu belasten479. Im Fall des Offenlassens des Preises des Deckungsgeschäfts ist daher der Gläubiger lediglich berechtigt, seinen Schaden abstrakt zu berechnen. 476 477 478 479
Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 17. UNCITRAL Yearbook VIII (1977), S. 60, Rn. 489. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 17. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 17.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
Eine konkrete Berechnung ist mangels eines „angemessenen“ Deckungsgeschäfts nicht möglich. Ungekehrt kann der Schuldner aber den Gläubiger auch nicht auf das für ihn ggf. vorteilhaftere konkrete Ersatzgeschäft verweisen. Verändert sich der Marktpreis dergestalt, dass sich das konkrete Deckungsgeschäft als im Vergleich zur Marktpreisregel günstiger erweist, so profitiert der Gläubiger von seiner Risikobereitschaft und kann trotz der Vornahme eines konkreten jedoch nicht „angemessenen“ Deckungsgeschäfts Schadensersatz gem. Art. 76 CISG verlangen480. IV. Das Erfordernis der Vorhersehbarkeit Abschließend ist zu klären, ob und inwieweit das Kriterium der Vorhersehbarkeit im Rahmen der Schadensersatzberechnung gem. Art. 75 CISG zu beachten ist. Einer Ansicht zufolge stellt die Vorhersehbarkeitsregel ein allgemeines dem CISG innewohnendes Prinzip dar, das stets Anwendung findet481. Grundsätzlich käme das Kriterium der Vorhersehbarkeit aufgrund der zusätzlichen Voraussetzung eines „angemessenen Deckungsgeschäfts“ im Rahmen des Art. 75 CISG nicht zum Tragen. Jedoch seien Fälle denkbar, in denen sich die preisliche Entwicklung am Markt nach Abschluss des Vertrags so gravierend verändere, dass ein Deckungsgeschäft zwar angemessen, der Schaden jedoch nicht mehr vorhersehbar sei482. Die Gegenansicht verweist insbesondere auf den abweichenden Wortlaut des Art. 75 CISG, demzufolge das Kriterium der Vorhersehbarkeit nicht Gegenstand einer konkreten Differenzschadensberechnung ist483. Ferner beruft sie sich auf die Systematik der Vorschriften zum Schadensersatz. Die das Erfordernis der Vorhersehbarkeit beinhaltende Vorschrift des Art. 74 S. 2 CISG beziehe sich allein auf den Schadensersatzanspruch des Gläubigers gem. Art. 74 S. 1 CISG und eben nicht auf Art. 75 CISG484. Der Verweis in Art. 75 Hs. 2 CISG auf die Ersatzfähigkeit jedes weiteren Schadens sei gerade so zu verstehen, dass ausnahmsweise für diese Schäden das zusätzliche Erfordernis der Vorhersehbarkeit gelte485. Schließlich ergebe sich die Nichtanwendbarkeit des Erfordernisses der Vorhersehbarkeit im Rahmen der Berechnung des Differenzschadens aus einem „rechtsvergleichend-historischen Vergleich“486. 480 481 482 483 484
Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 17. Achilles, Art. 7, Rn. 8; Witz/Salger/Lorenz, Art. 7, Rn. 31. Vékás, Foreseeability, S. 165; Weber, Vertragsverletzungsfolgen, S. 202. Rummel, Schadensersatz, S. 183; Witz/Salger/Lorenz, Art. 75, Rn. 12. MK/Huber, Art. 75, Rn. 16: „Der Vergleich mit der Pflicht zur Schadensminderung, die in einer auf alle Ansprüche anwendbaren Vorschrift normiert wurde, verdeutlicht, dass sich Art. 74 S. 2 CISG nur auf den Anspruch gem. Art. 74 S. 1 CISG bezieht.“ 485 MK/Huber, Art. 75, Rn. 16. 486 Faust, Die Vorhersehbarkeit des Schadens, S. 134 f.
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG
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Die Rechtsprechung zum CISG ist soweit ersichtlich noch nicht mit dieser Frage betraut worden. Ein bereits im Rahmen der Darstellung des USamerikanischen Rechts erörtertes Beispiel findet sich hingegen in der Rechtsprechung des kalifornischen Court of Appeal zum UCC487: Dieser entschied, dass ein unerwartet hoher Differenzschaden im Fall fehlender Vorhersehbarkeit für den Schuldner auch dann nicht zu ersetzen sei, wenn das Deckungsgeschäft aufgrund des gestiegenen Marktpreises „angemessen“ war. Meines Erachtens kann diese Entscheidung nicht auf die Rechtslage im CISG übertragen werden, da sie gegen den Zweck des Art. 75 CISG verstieße. So ist der Gläubiger in bestimmten Situationen wirtschaftlich gezwungen, ein Deckungsgeschäft zu tätigen. Geschieht dies in angemessener Art und Weise, so ist nicht einzusehen, warum der Vertragstreue Gläubiger und nicht der Vertragsbrüchige Schuldner das Risiko einer unvorhersehbaren Preisentwicklung tragen sollte. Der Zweck des Art. 75 CISG, den Gläubiger bei Vorliegen der engen Voraussetzungen der Norm zu entlasten, wäre vielmehr konterkariert, wenn es in den problematischen Fällen doch wieder auf die Vorhersehbarkeit ankommen sollte. § 3 Die Rechtsfolgen des Art. 75 CISG Rechtsfolge des Art. 75 CISG ist der Ersatz der Mehrkosten des Deckungsgeschäfts (I). Zudem ist der Gläubiger berechtigt, Ersatz für einen ihm darüber hinaus entstandenen Schaden zu verlangen, sofern die zusätzlichen Voraussetzungen des Art. 74 CISG vorliegen (II). I. Der Ersatz der Mehrkosten des Deckungsgeschäfts Zu ersetzen ist der Preisnachteil des Deckungsgeschäfts: Der Verkäufer ist berechtigt, die Differenz zwischen Vertragspreis und Mindererlös des Deckungsverkaufs zu verlangen, der Käufer die Differenz zwischen dem ursprünglichen Kaufpreis und dem höheren Kaufpreis des Deckungsgeschäfts. Der Vertragspreis des Ausgangsgeschäfts ist, falls er nicht ausdrücklich festgesetzt wurde oder zumindest durch Auslegung des Vertrags gem. Art. 8 CISG zu ermitteln ist, anhand der Marktpreisregel des Art. 55 CISG zu bestimmen488. Ersatz ist in der Währung geschuldet, in der das Deckungsgeschäft durchgeführt wurde489. Keine Anwendung findet im CISG die bereits auf nationaler Ebene stark kritisierte Rechtsprechung des BGH zum BGB, die den Käufer berechtigt, die Differenz zwischen Vertragspreis und dem aus einem Weiterverkauf 487 Allied Canners & Packers, Inc. v. Victor Packing, Co, 162 Cal. App. 3d 905, 200 Cal. Rpt. 60. 488 O.R., S. 429; Witz/Salger/Lorenz, Art. 75, Rn. 10. 489 OLG Hamburg ForInt 1997, 168.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
erzielten Preis zu fordern490. Ebenso wenig ist der Verkäufer berechtigt, die Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und den fiktiven Herstellungskosten der Schadensberechnung zugrunde zu legen. Eine solche Art der Schadensberechnung ist allein im Rahmen des Art. 74 CISG statthaft, da es sich hierbei nicht um eine konkrete Berechnung des Differenzschadens, sondern um eine konkrete Berechnung des entgangenen Gewinns handelt491. Ferner findet Art. 75 CISG dann keine Anwendung, wenn der Gläubiger ein für ihn vorteilhaftes Ersatzgeschäft getätigt hat. Dies gilt sowohl in den Fällen, in denen bereits der Vertragspreis des Deckungsgeschäfts vorteilhaft war492, als auch in jenen, in denen der Gläubiger sonstige Kosten in solcher Höhe einspart, dass letztendlich das Deckungsgeschäft für ihn wirtschaftlich günstiger war als das Ausgangsgeschäft493. Einen aus der Vornahme des Deckungsgeschäfts verbliebenen Gewinn braucht der Gläubiger aber auch in diesen Fällen nicht herauszugeben494. II. Der Ersatz jedes weiteren Schadens gem. Art. 74 CISG Der Ersatz des Differenzschadens wird den Gläubiger nicht zwangsläufig adäquat für alle ihm durch die Vertragsverletzung entstandenen Schäden entschädigen. Man spricht auch vom Ersatz des Mindestschadens495. Der Begriff Mindestschaden ist insofern berechtigt, als durch das nachteilige Deckungsgeschäft dem Gläubiger zumindest ein Schaden in der Differenz zum Ausgangsgeschäft entstanden ist. Art. 75 CISG ersetzt nur den „typischen“ Schaden des Gläubigers im Fall der Vertragsaufhebung. In konsequenter Fortführung des Prinzips der Totalreparation sind aber auch alle weiteren „untypischen“ Schäden zu ersetzen, die kausal auf der Vertragsverletzung des Schuldners beruhen. Art. 75 CISG bestimmt daher folgerichtig, dass auch jeder weitere Schaden des Gläubigers gem. Art. 74 CISG zu ersetzen ist. Der Verweis auf Art. 74 CISG stellt jedoch klar, dass diese „weiteren Schäden“ nicht von der Beweiserleichterung des Art. 75 CISG erfasst sind. Sie sind allein bei Vorliegen der zusätzlichen Voraussetzungen des Art. 74 CISG zu ersetzen. Im Folgenden ist zwischen dem Ersatz typischer weiterer Schäden (1), dem Ersatz frustrierter Aufwendungen (2) und dem Ersatz entgangenen Gewinns (3) zu unterscheiden. 490 491
Vgl. hierzu die Ausführungen auf S. 46 ff. Honsell/Schönle, Art. 75, Rn. 12: „Die Voraussetzungen [des] Art. 75 CISG sind dann nicht erfüllt.“ 492 Achilles, Art. 75, Rn. 3; Staudinger/Magnus, Art. 75, Rn. 19. 493 Kann der Käufer ein Deckungsgeschäft am Heimatmarkt tätigen und übersteigen die ersparten Transportkosten den höheren Vertragspreis des Deckungsgeschäfts, findet Art. 75 CISG keine Anwendung. 494 MK/Huber, Art. 75, Rn. 17. 495 Witz/Salger/Lorenz, Art. 75, Rn. 10.
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG
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1. Die typischen weiteren Schäden Als grundsätzlich voraussehbare und somit typischerweise ersatzfähige weitere Schäden kommen in Betracht: Durch die Nichtlieferung entstandene Verzögerungsschäden496, Mehrkosten des Verkäufers zur Erhaltung der Ware, Zinsaufwendungen oder Zinsverluste des Gläubigers497, Mangelfolgeschäden, Entwertungen sonstiger Leistungen beim Sukzessivlieferungsvertrag498, Zusatzaufwendungen für das Deckungsgeschäft499, wie z.B. Maklerkosten500, Frachtkosten sowie Aufwendungen des Gläubigers zur Rückabwicklung des Ausgangsgeschäfts501. Als Beispiel diene folgender Fall502: Die Käuferin von Schrott verweigert die Abnahme. Die Verkäuferin erklärt daraufhin die Aufhebung des Vertrags und unternimmt einen Deckungsverkauf. Im Zuge dieses Deckungsgeschäfts ist die Verkäuferin gezwungen, das für den Transport bereits gecharterte Schiff zu stornieren und ein anderes Schiff zu höheren Kosten für den Transport zum neuen Käufer zu buchen. Diese Mehrkosten stellen nach Ansicht des Gerichts einen „weiteren“ und „zweifelsfrei voraussehbaren“ Schaden dar, der nach Art. 75 a.E. i.V.m. Art. 74 CISG zu ersetzen ist.
2. Der Ersatz frustrierter Aufwendungen Unter frustrierten Aufwendungen versteht man solche Investitionen des Gläubigers, die dieser in der Erwartung ordnungsgemäßer Erfüllung durch den Schuldner trifft und die sich aufgrund der Vertragsverletzung des Schuldners nicht rentieren. In Betracht kommen sowohl vorherige Aufwendungen des Käufers (z.B. Anmietung oder Bau von Lagerräumen) als auch des Verkäufers (Vorhaltekosten für Arbeitskräfte und Maschinen, Neuanschaffungskosten)503. Die Regelungen zum Schadensersatz des CISG enthalten keine Bestimmung zur Ersatzfähigkeit frustrierter Aufwendungen. Gleichwohl geht die überwiegende Ansicht in Lehre504 und Recht-
496 497
O.R., S. 60; Kritzer, S. 485. LG Krefeld vom 28.4.1993, CISG-online 101; Piltz, Neue Entwicklungen, in NJW 1994, S. 1106. 498 Soergel/Lüderitz/Dettmeier, Art. 75, Rn. 8. 499 HG Aargau vom 26.9.1997, CISG-online 329. 500 Loewe, Internationales Kaufrecht, S. 93. 501 Der Gläubiger kann nur die Kosten der Rückabwicklung verlangen, die der Schuldner nicht bereits gem. Art. 81 ff. CISG zu tragen hatte. 502 Downs Investment v. Perjawa Steels SDN BHD, Supreme Court of Queensland vom 12.10.2001, CISG-online 955. 503 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 308; Soergel/Lüderitz/ Dettmeier, Art. 75, Rn. 8. 504 Honsell/Schönle, Art. 74, Rn. 15; Staudinger/Magnus, Art. 74, Rn. 53.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
sprechung505 davon aus, dass solche Aufwendungen gem. Art. 74 CISG ersatzfähig sind. Gewisse Schwierigkeiten bereitet die dogmatische Begründung der Ersatzfähigkeit frustrierter Aufwendungen im Rahmen von Art. 74 CISG. Die Einordnung als Schaden i.S.v. Art. 74 CISG ist unter zwei Gesichtspunkten problematisch. Zum einen versteht man unter Aufwendungen im Allgemeinen nur freiwillige Vermögensopfer. Unter den Begriff des Verlusts i.S.v. Art 74 CISG fallen hingegen prinzipiell nur unfreiwillige Vermögensopfer. Zum anderen ist der durch die Aufwendung eingetretene Vermögensverlust des Gläubigers keine direkte Folge der Vertragsverletzung des Schuldners. Gemäß der im Rahmen des Art. 74 CISG geltenden Äquivalenztheorie ist ein Schaden dann kausal, wenn die Vertragsverletzung nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der eingetretene Schaden entfiele506. Die Besonderheit der Aufwendungskosten besteht aber gerade darin, dass die Kosten auch dann anfallen, wenn der Schuldner ordnungsgemäß erfüllt. In dem von Schlechtriem angeführten Beispiel des Baus einer Lagerhalle507 beruhen die Baukosten insofern schon nicht auf der Vertragsverletzung, als die Halle bereits vor Vertragsabschluss gebaut wurde. Sowohl im deutschen Recht508 als auch im US-amerikanischen Recht509 wird zur Lösung dieser Fälle auf die sog. Rentabilitätsvermutung zurückgegriffen. Dieser juristische Kunstgriff beruht auf der Annahme, dass sich bestimmte Aufwendungen bei ordnungsgemäßer Vertragsdurchführung rentieren. Es wird daher widerleglich vermutet, dass der Gläubiger mittels der aus kommerziellen Gründen getätigten Investition einen Gewinnertrag erwirtschaftet hätte, der zumindest die Kosten der Investition abgedeckt hätte. Der kausal durch die Vertragsverletzung verursachte Schaden besteht somit nicht in der Aufwendung als solcher, sondern in der in gleichem Umfang fehlgeschlagenen Amortisation der getätigten Investition510. Nach richtiger Auffassung lässt sich die Idee der Rentabilitätsvermutung auch im Rahmen des Art. 74 CISG fruchtbar machen511. Auch die Rechtsprechung folgt mittlerweile dieser Ansicht512. Aufwendungen seien dann zu ersetzen, 505 BGH vom 25.06.1997, CISG-online 277; LG Freiburg vom 22.08.2002, CISGonline 711. 506 „But for Rule“, Honsell/Schönle, Art. 74, Rn. 20. 507 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 308. 508 BGH NJW 1991, 2277. 509 Calamari/Perillo, The Law of Contracts, S. 556 mwN. 510 Stoll, Nutzlose Aufwendungen, S. 650; Tröger, Investitionsschutz, in ZGS 2005, S. 463. 511 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht , Rn. 308; Schmidt-Ahrendts, Frustrierte Aufwendungen, in IHR 2006, S. 68. 512 LG Freiburg vom 22.08.2002, CISG-online 711; LG Landshut vom 05.04.1995, CISG-online 193.
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG
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„wenn sie im Vertrauen auf die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrags vorgenommen wurden, sie durch die Vertragsverletzung ihren Sinn verloren haben und aus der Sicht einer verständigen Person in gleicher Lage zur Vertragsdurchführung geeignet und angemessen waren“513. Im Folgenden ist zu erörtern, ob es dem Gläubiger gestattet ist, Ersatz frustrierter Aufwendungen nicht nur isoliert, sondern zusätzlich zu einem konkreten Differenzschaden als „weiteren Schaden“ gem. Art. 75 Hs. 2 CISG geltend zu machen. Auch an dieser Stelle soll ein praktisches Beispiel die Fragestellung verdeutlichen514: Die Käuferin, ein italienisches Fuhrunternehmen, kaufte im Juni 2002 von der Verkäuferin, einer großen deutschen Automobilherstellerin, zehn LKW zur gewerblichen Nutzung, finanziert durch ein Darlehen. Der Kaufpreis betrug 1.000.000 €. Nach der Übernahme ließ die Käuferin in alle Fahrzeuge Tempomaten, Funkanlagen und Navigationssysteme einbauen. Dieses Zusatzkosten beliefen sich auf 50.000 €. Aufgrund zahlreicher gravierender Serienmängel hob die Käuferin im Juli 2003 den Vertrag auf. Um einen noch größeren Betriebsausfallschaden ihres Fuhrunternehmens zu vermeiden, tätigte die Käuferin im August 2004 in angemessener Art und Weise ein Deckungsgeschäft in Form eines Ersatzkaufs von weiteren zehn LKW in Höhe von 1.200.000 €. Zusätzlich zum Ersatz des Differenzbetrags iHv. 200.000 € verlangt die Käuferin nun Schadensersatz iHv. 50.000 € für ihre frustrierten Aufwendungen.
Es handelt sich bei jenem Fall um ein Beispiel, dass sich jedes Jahr voraussichtlich unzählige Male so oder so ähnlich zutragen wird515. Ausgehend von der grundsätzlichen Ersatzfähigkeit sog. „frustrierter Aufwendungen“ im CISG kann die Klägerin hier zumindest alternativ zum Verlangen des Differenzbetrags in Höhe von 200.000 € gem. Art. 75 CISG auch den Ersatz der getätigten Aufwendungen in Höhe von 50.000 € gem. Art. 74 CISG verlangen. Aus Sicht der Klägerin stellt sich jedoch die Frage, ob nicht eine kumulative Geltendmachung beider Posten möglich ist. Der Wortlaut des Art. 75 Hs. 2.CISG sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor. In der Literatur wird hingegen vertreten, dass der Verweis in Art. 75 Hs. 2 auf Art. 74 CISG in diesem Fall teleologisch zu reduzieren sei516. Diese Ansicht stützt sich auf folgende Erwägung: Durch den Ersatz des Differenzbetrags wird der Käufer so gestellt, als ob ordentlich erfüllt worden wäre (Ersatz des Erfüllungsinteresse). Der Ersatz der Aufwendungskosten würde hingegen den Käufer zusätzlich so stellen, als ob er nie 513 OGH vom 14.01.2002, CISG-online 643; Ablehnend: Müller-Laube, Vertragsaufwendungen, S. 542. 514 Vgl. die Entscheidung des BGH zum deutschen Recht vom 20.07.2005, BGH NJW 2005, S. 2848 ff. 515 Dedek, Entwertung von Aufwendungen, in ZGS 2005, S. 409 ff. 516 Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 74, Rn. 5. Gruber bezieht sich hierbei auch auf § 284 BGB. Dieser geht von einer Alternativität von Aufwendungsersatz und Schadensersatz statt der Leistung aus.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
vom Vertrag gehört hätte (Ersatz des Vertrauensinteresses). Diese Besserstellung des Gläubigers sei unzulässig517. Das Verbot der kumulativen Geltendmachung des Vertrauensinteresse und des Erfüllungsinteresse entspräche ferner einem allgemein gültigen Grundsatz der Schadensberechnung518. Gerade in der vorliegenden Konstellation erscheint es jedoch mehr als fraglich, ob diese Argumentation ausreicht, um dem Käufer zu verwehren, beide Posten, den Differenzbetrag von 200.000 € und die frustrierten Aufwendungen von 50.000 €, zu liquidieren. Zwar ist es richtig, dass der Käufer durch den Ersatz der Mehrkosten des Deckungsgeschäfts prinzipiell so gestellt wird, wie wenn der ursprüngliche Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre, doch gilt dies nicht bezüglich der von ihm vorgenommenen Umbaumaßnahmen. Diese müssten vom Käufer an den erworbenen LKW erneut vorgenommen werden. Um tatsächlich so zu stehen wie im Fall ordnungsgemäßer Erfüllung, wäre der Käufer gezwungen ein weiteres Mal 50.000 € zu investieren519. Meines Erachtens kommt es entscheidend darauf an, ob man die Möglichkeit, einen Vertrauensschaden zu verlangen, allein als Korrektur der Beweisschwierigkeit eines Erfüllungsschadens begreift. In diesem Fall schiede eine Kumulation aus. Stellt man hingegen auf die Absicherung des Rechts des Gläubigers, im Vertrauen auf die Leistung des Schuldners zu investieren, und die wirtschaftliche Schutzwürdigkeit solcher Investitionen ab520, dann muss der Käufer seine Aufwendungen ersetzt verlangen können. Ein Einbau von Navigationssystemen, Funkanlagen und Tempomaten erweist sich gerade bei international operierenden Fuhrunternehmen als sinnvoll. Diese Ausgaben amortisieren sich regelmäßig in kürzester Zeit. Ferner sprachen vorliegend keine Gründe dafür, dass der Käufer mit einer eventuellen Rückabwicklung rechnen musste. Allein in diesem Fall hätte man erwarten können, dass der der Käufer mit etwaigen Investitionen abwartet. Die getätigten Aufwendungen sind daher zusätzlich zu den Mehrkosten eines Deckungsgeschäfts zu ersetzen. Der pauschale Verweis auf das generelle Verbot der Kumulation von Vertrauens- und Erfüllungsinteresse überzeugt nicht. Dieses Verbot soll allein verhindern, dass derselbe Schadensposten doppelt berücksichtigt wird521. Dies ist jedoch wie gezeigt vorliegend nicht der Fall.
517 LG Berlin vom 30.09.1992, CISG-online 70; Schlechtriem, Internationales UNKaufrecht, Rn. 310. 518 Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 74, Rn. 5; Soergel/Lüderitz/Dettmeier, Art. 75, Rn. 9. 519 Mankowski im MK zum HGB Art. 74, Rn. 37 verzichtet sogar auf den Nachweis, dass auch die Neuanschaffung eine entsprechende Investition verlangt. 520 Tröger, Investitionsschutz, in ZGS 2005, S. 462 ff. 521 Gsell, Aufwendungsersatz, in NJW 2006, S. 126.
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG
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Die praktische Relevanz eines schadensersatzrechtlichen Anspruchs auf Aufwendungsersatz entsteht insbesondere durch das Fehlen einer diesbezüglichen Regelungen in den Bestimmungen des Rückabwicklungsrecht der Art. 81 ff. CISG522. 3. Der Ersatz entgangenen Gewinns Umstritten ist ferner die Frage, ob der Gläubiger aufgrund des Verweises in Art. 75 Hs. 2 CISG berechtigt ist, einen den Differenzbetrag übersteigenden entgangenen Gewinn geltend zu machen. Art. 75 Hs. 2 CISG verweist pauschal auf die Ersatzfähigkeit jedes weiteren Schadens gem. Art. 74 CISG, ohne den von Art. 74 CISG explizit umfassten Ersatz entgangenen Gewinns auszuschließen. Eine grammatikalische Auslegung würde daher die Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns decken523. Gegen ein solches Verständnis könnte eine historische Auslegung der Norm sprechen. So enthält Art. 86 EKG einen expliziten Verweis auf die Ersatzfähigkeit eines über den Differenzschaden hinausgehenden weiteren Schadens „bis zum vollen Betrag des tatsächlich entstandenen Verlustes und entgangenen Gewinns“. Man könnte daher argumentieren, dass die Tatsache, dass das EKG im Unterschied zum CISG einen expliziten Verweis auf die zusätzliche Ersatzfähigkeit entgangenen Gewinns enthält, gegen die Ersatzfähigkeit entgangenen Gewinns im Rahmen des Art. 75 CISG spricht. Entscheidend ist jedoch, ob es in der Sache gerechtfertigt ist, dem Gläubiger die Möglichkeit einzuräumen, zusätzlich zum Ersatz des Differenzbetrags Ersatz eines ihm darüber hinaus entgangenen Gewinns zu verlangen: Teilweise wird dies bestritten. Das konkrete Deckungsgeschäft diene bereits dazu, dem Gläubiger seine Gewinnchance aus dem Ursprungsgeschäft zu erhalten. Nutze der Gläubiger diese Chance trotz Durchführung des Deckungsgeschäfts nicht, könne er für dieses Versäumnis nicht Entschädigung vom Schuldner verlangen524. Der Gläubiger habe sich hinsichtlich des „Hauptschadens“ mit dem Abschluss des Deckungsgeschäfts auf den Differenzschaden nach Art. 75 CISG festgelegt. Folglich stünde ihm die Möglichkeit der Berechnung seines Nichterfüllungsschadens gem.
522 Eine rechtsvergleichende Analyse zeigt, dass allein der Ersatz notwendiger Aufwendungen im Rahmen der Art. 81 ff. CISG als gesichert erscheint. Zur Vorzugswürdigkeit einer schadensersatzrechtlichen Lösung, Schmidt-Ahrendts, Frustrierte Aufwendungen, in IHR 2006, S. 70 f. 523 Bianca/Bonell/Knapp, Art. 76, Rn. 2.7; Honnold, Rn. 415. 524 LG München vom 6.04.2000, CISG-online 665; Staudinger/Magnus, Art. 75, Rn. 21.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
Art. 74 CISG nicht mehr zur Verfügung525. Zuzustimmen ist dem Versuch, eine Doppelkompensation des Gläubigers zu verhindern. Zu Recht wird von der Gegenauffassung526 jedoch folgende Konstellation angeführt, in der es gerechtfertigt erscheint, einen den Differenzschaden übersteigenden entgangenen Gewinn zu ersetzen527: Ein österreichischer Käufer und ein deutscher Verkäufer schlossen einen Vertrag über den Verkauf von Juwelen. Der Wert der Juwelen betrug 80.000 €, der Kaufpreis hingegen 100.000 €. Durch die Sendung zweier ungedeckter Schecks beging der Käufer einen Vertragsbruch. Der Verkäufer setzte dem Käufer daraufhin eine Nachfrist. Nach erfolglosem Ablauf dieser Frist hob der Verkäufer den Vertrag auf und tätigte ein Deckungsverkauf mit D zu einem Preis von 90.000 €. Im Folgenden verlangt der Verkäufer sowohl Ersatz des Differenzbetrags iHv. 10.000 € als auch des entgangenen Gewinns iHv. 20.000 €. Der Verkäufer macht hierbei glaubhaft geltend, dass er das Deckungsgeschäft auch zusätzlich zum Ausgangsgeschäft hätte durchführen können.
Der Fall beinhaltet die aus dem US-amerikanischen Recht bekannte Konstellation des sog. „lost volume sellers“528: Ein Verkäufer marktgängiger Ware kann aufgrund unbeschränkter Lieferkapazitäten eine beliebige Anzahl von Kaufinteressenten beliefern. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Verkäufer zugleich Hersteller der Ware ist. In dieser Konstellation erscheint es nicht interessensgerecht, den Anspruch des Verkäufers auf den Ersatz des Differenzschadens zu beschränken. Der Verkäufer kann vielmehr geltend machen, durch die Vornahme des Deckungsgeschäfts ein weiteres Geschäft verloren zu haben. Fraglich ist meines Erachtens bereits, ob überhaupt von einem Deckungsgeschäft gesprochen werden kann, da es kaum möglich sein wird, dem nicht erfüllten Ausgangsgeschäft ein bestimmtes Geschäft als Ersatzgeschäft zuzuordnen. In der Sache ist der Gläubiger jedenfalls nicht auf den Ersatz des Differenzbetrags beschränkt. Die Aussage, der Verkäufer habe sich durch die Vornahme eines Deckungsgeschäfts auf exklusive Anwendung des Art. 75 CISG festgelegt, ist schlicht unbillig und geht an der wirtschaftlichen Realität vorbei. Ebenso wenig überzeugt aber der Ansatz, dem Verkäufer eine unbeschränkte Kumulation beider Schadensersatzansprüche zu gestatten. Wäre der Vertrag ordnungsgemäß durchgeführt worden, hätte V 20.000 € Gewinn aus dem ersten Geschäft mit K gemacht und 10.000 € aus dem Deckungsgeschäft mit D. Aufgrund der Vertragsverletzung des K verbleibt V 525
MK zum HGB/Mankowski, Art. 75, Rn. 16; Soergel/Lüderitz/ Dettmeier, Art. 75,
Rn. 9. 526 527 528
Bamberger/Roth/Saenger, Art. 75, Rn. 7; Honnold, Rn. 415. OGH vom 28.04.2000, CISG-online 581; MK/Huber, Art. 75, Rn. 20. Zur Übertragbarkeit auf das CISG: Bianca/Bonell, Artt. 74-77, Rn. 6; Honnold, Rn. 415; Sutton, Damages, S. 747 f.; Witz/Salger/Lorenz, Art. 75, Rn. 13. Zweifelnd: Hellner, UN Convention, S. 100.
2. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG
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allein der Gewinn aus dem Geschäft mit D. Eine Kompensation des V kann somit die Summe von 20.000 € nicht übersteigen. Hierfür kommen zwei Wege in Betracht: Zum einen wird vertreten, entgangener Gewinn sei allein im Fall einer direkten Anwendung des Art. 74 CISG gerechtfertigt und nicht vom Verweis des Art. 75 Hs. 2 CISG erfasst. Der Gläubiger könne nicht einerseits durch Ersatz des Differenzbetrags so gestellt werden, als ob ordnungsgemäß erfüllt worden wäre und zusätzlich einen weiteren Nichterfüllungsschaden in Höhe des entgangenen Gewinns geltend machen529. Im vorliegenden Fall müsste sich V daher zwischen dem Ersatz des entgangenen Gewinns iHv. 20.000 € gem. Art. 74 CISG und dem Ersatz des Differenzbetrags iHv. 10.000 € gem. Art. 75 CISG entscheiden. Die Gegenansicht vertritt den Standpunkt, dass auch in diesem Fall der Gläubiger von der Beweiserleichterung des Art. 75 CISG profitieren müsse. So sei zunächst der Differenzbetrag als sog. Mindestschaden gem. Art. 75 CISG zu ersetzen. Anschließend könne der Gläubiger jedoch auch den ihm darüber hinaus entstandenen Gewinnausfall liquidieren, gem. Art. 75 Hs. 2 i.V.m. Art. 74 CISG. Hierbei sei jedoch der bereits erhaltene Differenzbetrag anzurechnen530. V kann somit kumulativ den Differenzbetrag iHv. 10.000 € und den Ersatz des ihm entgangenen Gewinn verlangen. Letzterer beträgt jedoch bei Berücksichtigung des zusätzlichen Ersatz des Differenzschadens nur 10.000 €. Diese Ansicht ist vorzuziehen. § 4 Zusammenfassung Art. 75 CISG stellt eine spezielle Berechnungs- und Beweiserleichterungsregel zu Gunsten des Gläubigers dar, die es ihm ermöglicht, seinen Schaden in typisierter Form zu berechnen. Hauptvorteil dieser Art der Berechnung ist die Befreiung des Gläubigers vom Nachweis der Vorhersehbarkeit und der konkreten Schadenshöhe. Voraussetzung ist das Vorliegen eines Rechts zur Vertragsaufhebung, einer Aufhebungserklärung und eines angemessen Deckungsgeschäfts. Zweck des Erfordernisses des Aufhebungsrechts ist die Gewährleistung der Dispositionsbefugnis des Gläubigers, die es ihm gestattet, das Ausgangsdurch das Ersatzgeschäft zu substituieren. Ferner ist zu verhindern, dass der Gläubiger durch eine bestimmte Art der Schadensberechnung in die Lage versetzt wird, die besonderen Voraussetzungen der Vertragsaufhebung zu umgehen. Die Voraussetzung der Aufhebungserklärung bezweckt die Gewährleistung eines höheren Maßes an Rechtssicherheit, die Vermeidung unwirtschaftlicher Dispositionen des Schuldners und die Wahrung 529 OLG Hamburg vom 26.11.1999, CISG-online 515; Lookofsky, Understanding the CISG, S. 112 f. 530 Bamberger/Roth/Saenger, Art. 75, Rn. 7; MK/Huber, Art. 75, Rn. 20.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
der Parteiautonomie im Rahmen der Abwicklung des Vertragsverhältnisses. Das Konzept der ipso facto avoidance des EKG hat keinen Eingang ins CISG gefunden. Ein Deckungsgeschäft ist dann „angemessen“, wenn es das Erfüllungsinteresse des Gläubigers befriedigt, es in einem angemessenem Zeitraum nach Vertragsaufhebung vorgenommen worden ist und sich der Gläubiger um den Abschluss eines günstigen Geschäfts bemüht hat. Diese Voraussetzungen sind eng auszulegen und stets zu beachten. Eine Entbehrlichkeit einer der Voraussetzungen kommt entgegen der bisher herrschenden Ansicht auch im Fall einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung nicht in Betracht. Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik und Zweck der Norm stehen einer teleologischen Reduktion dieser Berechnungsregel und Ausnahmevorschrift aufgrund von Treu und Glauben zwingend entgegen. Rechtsfolge des Art. 75 CISG ist der Ersatz des Differenzbetrags zwischen Deckungsgeschäft und Ausgangsgeschäft. Darüber hinaus ist jeder weitere Schaden des Gläubigers gem. Art. 74 CISG zu ersetzen. Der Verweis in Art. 75 S. 2 CISG erfasst neben dem Ersatz typischer Folgeschäden des Ersatzgeschäfts auch den Ersatz entgangenen Gewinns sowie frustrierter Aufwendungen, sofern eine Doppelkompensation des Gläubigers ausgeschlossen werden kann.
3. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 76 CISG Zunächst ist die Grundkonzeption des Art. 76 CISG darzustellen (§ 1). Im Anschluss sind Voraussetzungen (§ 2) und Rechtsfolgen (§ 3) der Regelung zu analysieren. § 1 Die Regelung des Art. 76 CISG in ihrer Grundkonzeption Erklärt die Vertragstreue Partei die Aufhebung des Vertrags und ist ein Deckungsgeschäft i.S.v. Art. 75 CISG nicht vorgenommen worden, eröffnet die Marktpreisregel dem Gläubiger die Möglichkeit, den ihm entstandenen Schaden anhand der Differenz von Marktpreis und Vertragspreis zu berechnen. Abzustellen ist hierbei auf den Marktpreis zum Zeitpunkt der Vertragsaufhebung. Sofern die Ware bereits dem Käufer übergeben wurde, ist der Zeitpunkt der Übernahme der Ware maßgeblich. Im Unterschied zum EKG enthält das CISG keine Definition des Marktpreises. Wie Art. 75 CISG eröffnet auch Art. 76 CISG dem Gläubiger eine zusätzliche und gegenüber Art. 74 CISG vereinfachte Art der Schadensberechnung. Im Gegensatz zu Art. 75 CISG erfolgt die Berechnung jedoch abstrakt. Die Möglichkeit zur abstrakten Schadensberechnung ist insbesondere dort relevant, wo es dem Gläubiger nicht möglich ist, seinen
3. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 76 CISG
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Schaden konkret darzulegen. Als Beispiel diene der Fall der Nichtlieferung. Für den Käufer ist es in der Regel gerade aufgrund der ausbleibenden Lieferung schwierig, einen konkreten Schaden zu beziffern. Insbesondere die Bezifferung eines Weiterverkaufs- oder Weiterverarbeitungsgewinns kann auf Schwierigkeiten stoßen. Der Käufer müsste dem Gericht und damit auch dem Verkäufer sowie möglichen Konkurrenten Einblick in seine Bücher gestatten. Dies ist einem im Wettbewerb stehenden Käufer jedoch nicht zuzumuten. Es besteht somit ein gewichtiges praktisches Bedürfnis, dem Gläubiger eine abstrakte Möglichkeit der Schadensberechnung zu eröffnen. Die abstrakte Berechnung gem. Art. 76 CISG ist subsidiär. Der Anwendungsbereich der Marktpreisregel ist nur in den Fällen eröffnet, in denen es dem Gläubiger nicht gelungen ist, ein Deckungsgeschäft in angemessener Art und Weise vorzunehmen. Wie Art. 75 CISG verweist auch Art. 76 CISG auf die Ersatzfähigkeit jedes weiteren Schadens gem. Art. 74 CISG. Im Rahmen der folgenden Analyse des Art. 76 CISG soll insbesondere untersucht werden, inwieweit sich die zu Art. 75 CISG gefundenen, Argumente, Lösungsansätze und Ergebnisse auf die abstrakte Schadensberechnung übertragen lassen. § 2 Die Voraussetzungen des Art. 76 CISG Die einzelnen Voraussetzungen lassen sich unmittelbar dem klar und verständlich formulierten Wortlaut des Art. 76 CISG entnehmen. Zu beachten ist zunächst der Vorrang konkreter Berechnung gem. Art. 75 CISG (I). Weitere Voraussetzung ist das Vorliegen einer wirksamen Vertragsaufhebung (II) sowie die Bestimmbarkeit eines Marktpreises (III). Es besteht keine Pflicht zum Nachweis der Vorhersehbarkeit (IV). I. Das Erfordernis des fehlenden tatsächlichen Deckungsgeschäfts Art. 76 CISG findet nur dann Anwendung, wenn der Gläubiger kein angemessenes Deckungsgeschäft i.S.v. Art. 75 CISG vorgenommen hat. Das vom EKG vorgesehene Recht des Gläubigers, seinen Schaden wahlweise abstrakt, mittels der Marktpreisregel, oder konkret anhand eines tatsächlich getätigten Deckungsgeschäfts zu berechnen, hat keinen Eingang ins CISG gefunden. Zweck der klaren Normierung des Vorrangs konkreter Berechnung ist, Spekulationen des Gläubigers zu Lasten des Schuldners vorzubeugen. Der Gläubiger soll nicht die Möglichkeit erhalten, einen abstrakten Differenzschaden geltend zumachen, der den eingetretenen Schaden
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
übersteigt531. Die Aussage, Art. 76 CISG gewähre Anspruch auf Ersatz eines Mindestschadens532, ist unzutreffend. Art. 76 CISG kommt zunächst dann in Betracht, wenn der Gläubiger überhaupt kein weiteres Rechtsgeschäft vorgenommen hat. Eine abstrakte Berechnung ist ferner möglich, wenn aus der Reihe von weiteren Rechtsgeschäften, die vorgenommen worden sind, keines eindeutig als Ersatzgeschäft zu qualifizieren ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Gläubiger regelmäßig am Markt kauft oder verkauft533. Schließlich kommt Art. 76 CISG in Betracht, wenn der Gläubiger zwar ein Ersatzgeschäft vorgenommen hat, dieses aber entweder in inhaltlicher oder in zeitlicher Hinsicht nicht den Voraussetzungen eines angemessenen Deckungsgeschäfts entspricht534. Nach der Gegenauffassung ist in diesem Fall Art. 75 CISG anwendbar. Der Schadensersatzanspruch des Gläubigers ist dann jedoch auf die Differenz zu einem angemessenen Deckungsgeschäft zu begrenzen535. Die praktische Relevanz dieser Unterscheidung mag gering sein536, gleichwohl sprechen die besseren Argumente für die zuerst genannte Ansicht537: Zum einen bietet der Rückgriff auf den Marktpreis eine größere Sicherheit als eine vom Gericht vorgenommene „angemessene Reduzierung“ des Schadensersatzes. Zum anderen wird die Frage dann relevant, wenn der Gläubiger einen bestimmten Marktpreis nicht nachweisen kann. In diesem Fall aber ist nicht einzusehen, dass der Gläubiger trotz Fehlens der Voraussetzungen des Art. 75 CISG von der Beweiserleichterung dieser Norm profitiert. Die Befreiung von den Voraussetzungen des Art. 74 CISG dient zugleich als Anreiz für den Gläubiger, ein angemessenes und zur Schadensminderung geeignetes Deckungsgeschäft zu tätigen. Würde man ihm aber auch in den Fällen, in denen er ein unangemessenes Deckungsgeschäft vornimmt und ein Marktpreis nicht besteht, von den Beweisschwierigkeiten des Art. 74 CISG befreien, entfiele dieser Anreiz. Eine weitere Frage, die sich im Zusammenhang mit dem Vorrang der konkreten Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG stellt, ist die, ob der Gläubiger auch dann berechtigt ist, seinen Differenzschaden nach der Marktpreisregel abstrakt zu berechnen, wenn er ein vorteilhafteres Deckungsgeschäft vor Vertragsaufhebung oder nach Ablauf einer angemesse531 Tribunal of Int. Commercial Arbitration at the Russian Federation Chamber of Commerce vom 24.1.2000, CISG-online 1042; OLG Hamm vom 22.09.1992, CISGonline 57. 532 Huber, UNCITRAL, in RabelsZ 1979, S. 470 f. 533 Audit, Vente Internationale, Rn. 178; Heuzé, Rn. 4. 534 MK/Huber, Art. 75, Rn. 16; Staudinger/Magnus, Art. 76, Rn. 12. 535 Honnold, Rn. 414; Honsell/Schönle, Art. 75, Rn. 15. 536 Der vielfach zitierte Fall OLG Hamm vom 22.09.1992, CISG-online 57 behandelt die Fragestellung nicht. 537 Andere Auffassung: Brölsch, Schadensersatz und CISG, S. 86.
3. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 76 CISG
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nen Frist i.S.v. Art. 75 CISG getätigt hat538. Die Frage ist eng mit der Frage verknüpft, ob der Gläubiger ein Recht hat, den ihm aus diesen, den Voraussetzungen des Art. 75 CISG nicht entsprechenden Rechtsgeschäften entstandenen Differenzschaden zu verlangen. Eine starke Meinung in der Literatur vertritt auch an dieser Stelle die Ansicht, dass stets auf das konkrete Deckungsgeschäft abzustellen sei, sofern es sich in Inhalt und Umfang dem Ausgangsgeschäft zuordnen lasse539. Diese Ansicht stützt sich insbesondere auf die Entstehungsgeschichte des Art. 76 CISG und die empirisch belegte Erkenntnis, dass ein tatsächliches Deckungsgeschäft wirtschaftlich sinnvoller sei. Es müsse verhindert werden, dass der Gläubiger über die Anwendung der Marktpreisregel einen Schaden geltend machen könne, der den ihm tatsächlich entstandenen Schaden übersteige540. In konsequenter Fortführung des bereits im Rahmen des Art. 75 CISG gefundenen Ergebnisses muss jedoch Folgendes gelten: Besteht kein Recht des Gläubigers, den aus einem konkreten, aber nicht den Anforderungen des Art. 75 CISG entsprechenden Deckungsgeschäft entstandenen Schaden zu verlangen, so besteht umgekehrt kein Recht des Schuldners, den Ersatz eines abstrakt berechneten Schadens unter Hinweis auf das günstigere konkrete Deckungsgeschäft zu verweigern. II. Das Erfordernis der Vertragsaufhebung Voraussetzung des Art. 76 CISG ist das Vorliegen einer wirksamen Aufhebung des Vertrags. Die bei der Erörterung des Zwecks dieses Erfordernisses im Rahmen von Art. 75 CISG gefundenen Ergebnisse lassen sich ohne weiteres übertragen541. Die Dispositionsbefugnis des Gläubigers zur Liquidation seines Erfüllungsinteresses im Wege der abstrakten Schadensberechnung setzt voraus, dass der Gläubiger selbst von seinen vertraglichen Leistungspflichten frei geworden ist. Dies wiederum erfordert eine vorherige wirksame Vertragsaufhebung. Voraussetzung einer wirksamen Vertragsaufhebung ist sowohl das Recht zur Vertragsaufhebung als auch das Vorliegen einer wirksamen Aufhebungserklärung. Auch hinsichtlich des Zwecks der Aufhebungserklärung sei auf die in der Analyse des konkreten Differenzschadens getroffenen Ausführungen verwiesen542: Das Gebot der Rechtssicherheit, die Vermeidung unwirtschaftlicher Investitionen der Parteien und das Ziel der Stär-
538 Zu dieser Fragestellung Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 8 und 11 ff. 539 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 9. 540 UNCITRAL Yearbook VIII (1977), S. 60, Rn. 489. 541 Vgl. die Ausführungen auf S. 67 ff. 542 Vgl. die Ausführungen auf S. 71 ff.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
kung einer parteiautonomen Abwicklung des Vertragsverhältnis sprechen für ein Festhalten am Erfordernis der Aufhebungserklärung. Zusätzlich zu diesen Erwägungen tritt im Rahmen des Art. 76 CISG noch ein weiterer Aspekt hinzu. Die Aufhebungserklärung ist Voraussetzung zur Bestimmung des relevanten Zeitpunkts für die Berechnung des Marktpreises. Insbesondere bei schwankenden Märkten muss die Frage, auf welchen Zeitpunkt bei der Berechnung des Marktpreises abzustellen ist, mit größtmöglicher Präzision beantwortet werden können. Die Konventionsgeber haben sich in diesem Zusammenhang entschieden, auf den Zeitpunkt der Vertragsaufhebung abzustellen. Dieser lässt sich aber nur dann in nachvollziehbarer und daher voraussehbarer Weise feststellen, wenn man am Erfordernis der Aufhebungserklärung festhält. Der Gegenansicht des OLG München543, derzufolge dies nicht im Fall der endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung gelten solle, kann nicht zugestimmt werden. Auch in dieser Konstellation ist eine Erklärung des Gläubigers erforderlich. Zur Verdeutlichung sei der Sachverhalt des Falls kurz dargestellt: Der italienische Verkäufer (V) und der deutsche Käufer (K) einigten sich im Sommer 2000 über die Lieferung von Möbelleder. V stellte K im Anschluss an die Lieferung der Möbel eine Rechnung iHv. 60.000 € aus. K beglich die Forderung nur iHv. 20.000 €. Im Übrigen erklärte K die Aufrechnung mit einer Schadensersatzforderung iHv. 40.000 €. In diesem Zusammenhang trug K folgendes vor: Die Parteien hätten am 16.02.2000 einen weiteren Kaufvertrag über die Lieferung von 20.000 m² Möbelleder geschlossen; jeweils 10.000 m² „Savanne Madras“ zum Preis von 24 DM pro Quadratmeter und „Delta Pony“ zum Preis von 26 DM. Insgesamt seien knapp 10.000 m² Möbelleder Vertragswidrig nicht geliefert worden. Die Aufforderung des K zur vollständigen Lieferung habe V unter Hinweis auf das nicht wirksame Zustandekommen des Kaufvertrags verweigert. K habe sich daher anderweitig eindecken müssen. Aufgrund der BSE-Krise sei der Marktpreis pro Quadratmeter Möbelleder vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Februar bis zum Sommer 2002 um 8 DM („Madras“) bzw. 7,5 DM („Pony“) gestiegen. In diesem Zeitraum habe V die Lieferung verweigert. Insgesamt sei K ein abstrakter Differenzschaden von umgerechnet 40.000 € entstanden.
Die Lösung des OLG Münchens544, bei der Berechnung des abstrakten Differenzanspruchs des deutschen Käufers auf den Zeitpunkt der Erklärung der Erfüllungsverweigerung durch den italienischen Verkäufer abzustellen, überzeugt nicht545. Es ist nicht ersichtlich, warum der Schuldner es in der Hand haben sollte, den Zeitpunkt und somit die Höhe des von ihm zu leistenden Ersatzes festzulegen. Das Abstellen auf diesen Zeitpunkt käme einer ebenfalls abzulehnenden Verpflichtung des Gläubigers gleich, sich unmittelbar nach Erklärung des Schuldners einzudecken und gleichsam vom 543 544
OLG München vom 15.09.2004, CISG-online 1013. Zustimmend Huber, Schadensersatz und Vertragsaufhebung, in IPRax 2005, S. 436 ff. 545 Unzutreffend daher: Schmidt-Kessel, Kurzkommentar, in EwiR 2005, S. 250.
3. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 76 CISG
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Erfüllungsanspruch abzusehen. Andernfalls liefe der Gläubiger Gefahr, dass sich der Marktpreis weiter zu seinen Ungunsten verändert. Es wäre aber geradezu paradox, dass ausgerechnet die Vertragsbrüchige Partei durch die Verweigerung der Leistung in die Lage versetzt werden sollte, die Vertragstreue Partei zu zwingen, auf ihren Erfüllungsanspruch zu verzichten. Bezüglich der Frage der inhaltlichen Anforderungen an eine Aufhebungserklärung ist ebenfalls an den im Rahmen von Art. 75 CISG gefundenen Ergebnissen festzuhalten: Ausreichend ist, dass der Gläubiger in hinreichender Weise deutlich macht, nicht mehr an seinem Erfüllungsanspruch festhalten zu wollen. Dies kann auch dadurch geschehen, dass er den Ersatz eines abstrakt berechneten Differenzbetrags verlangt. III. Das Erfordernis eines Marktpreises Grundvoraussetzung der Marktpreisregel ist die Ermittelbarkeit eines Marktpreises der betroffenen Ware. Die Beweislast hierfür liegt beim Gläubiger546. Eine Definition des Marktpreises ist in Art. 76 CISG nicht enthalten. Auch findet sich im CISG, anders als noch im EKG, keine allgemeine Begriffsbestimmung des Marktpreises547. Einigkeit besteht darin, dass es nicht erforderlich ist, dass ein solcher Marktpreis in Form eines offiziellen oder inoffiziellen Börsenpreises amtlich notiert ist548, obgleich es in diesen Fällen erheblich leichter fällt, einen Marktpreis zu ermitteln 549. Zur Schließung der durch die fehlende Legaldefinition des Marktpreises vorhandenen Lücke kommen verschiedene Lösungen in Betracht. Eine denkbare Lösung ist der Rückgriff auf Art. 55 CISG550. Art. 55 CISG bestimmt die Höhe des Kaufpreises, wenn der Vertrag diesen offen gelassen hat. Hiernach ist der Preis maßgebend, der allgemein für Waren berechnet wird, die in dem betreffenden Geschäftszweig unter vergleichbaren Umständen gehandelt werden. Eine andere Lösung sieht einen Marktpreis bereits dann als gegeben an, wenn die Ware marktgängig, d.h. laufend Gegenstand von Angebot und Nachfrage ist, so dass eine statistische Grundlage zur Ermittlung eines überwiegend vereinbarten Preis besteht551. Eine dritte Lösung greift zur Bestimmung des Marktpreises der Ware auf
546 547
Soergel/Lüderitz/Dettmeier, Art. 76, Rn. 5. Art. 12 EKG „Unter dem Ausdruck ‚Marktpreis’ versteht dieses Gesetz den Preis, der sich aus einer amtlichen Preisnotierung auf einem Markt oder in Ermangelung einer solchen Notierung aus den Faktoren ergibt, die nach den Marktbräuchen zur Festsetzung des Preises dienen.“ 548 Enderlein/Maskow/Strohbach, Art. 76, Rn. 2; Neumayer/Ming, Art. 76, Rn. 3. 549 Kritzer, Art. 76, Rn. 6. 550 Bamberger/Roth/Saenger, Art. 76, Rn. 2. 551 Witz/Salger/Lorenz, Art. 76, Rn. 3.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
den Marktpreis „vergleichbarer Ware“ zurück552. Vor einer allzu großzügigen Bestimmung des Marktpreises ist zu warnen. Zur Verdeutlichung diene eine Entscheidung des OLG Celle553: Der deutsche Käufer hob unter Berufung auf die Mangelhaftigkeit der gekauften „no name“ Staubsauger den Vertrag auf. Die Rücklieferung der Ware war ihm jedoch nicht möglich. Der holländische Verkäufer erhob daraufhin Klage auf Zahlung des Kaufpreises. Der Käufer erklärte die Aufrechnung mit einer ihm zustehenden Schadensersatzforderung, jedoch ohne einen konkreten Schaden darzulegen. Das Gericht führte aus, dass eine Gegenforderung des Käufers aus Art. 74 ff. CISG zwar grundsätzlich denkbar sei, es jedoch an einer hinreichenden Substantiierung des Schadensersatzverlangens mangele. Insbesondere habe der Käufer nicht darlegen können, dass ihm ein Differenzschaden aus einem hypothetischen Deckungsgeschäft am Markt entstanden sei, da es für die „noname“ Staubsauger an einem relevanten Marktpreis fehle. Der Hinweis, dass Staubsauger dieser Art einen Marktpreis von mindestens 99 DM hätten, während sich der vereinbarte Kaufpreis auf 50 DM belief, reiche nicht aus.
Der Hinweis der Literatur, die Gerichte mögen ähnlich großzügig wie im Rahmen des Art. 55 CISG einen Marktpreis anhand des impliziten Parteiverhaltens bestimmen, ist verfehlt. Die Ausgangssituationen in Art. 55 und 76 CISG unterscheiden sich erheblich: Zweck des Art. 55 CISG ist zu verhindern, dass dort, wo ein Vertrag „gültig“ geschlossen worden ist, die Durchführung des Vertrags an der fehlenden Bestimmbarkeit eines Preises scheitert. Die Parteien wollten ja gerade trotz der fehlenden Einigung über den Preis den Vertrag durchführen. Zweck des Art. 76 CISG hingegen ist, dem Gläubiger die Möglichkeit zu eröffnen, seinen Schaden abstrakt und ohne die Mühen eines tatsächlichen Deckungsgeschäfts zu berechnen. Dies ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Gläubiger durch den Ersatz des abstrakten Differenzbetrags in die Lage versetzt wird, sich am Markt einzudecken. Zweck der Norm ist es aber nicht, einer willkürlichen, unsubstantiierten und pauschalen Berechnung eines Schadens durch den Gläubiger Tür und Tor zu öffnen. Die Anwendung der Marktpreisregel ist aus Gründen der Rechtssicherheit nur dann gerechtfertigt, wenn ein Marktpreis tatsächlich besteht554. Die Auffassung, die bloße Käuflich- oder Verkäuflichkeit der Ware sei ausreichend555, überzeugt nicht. Eine abstrakte Berechnung ist nur dann gerechtfertigt, wenn eine Preisbildung laufend und anhand nachvollziehbarer objektiver Kriterien stattfindet556. Nur dann ist der
552 553 554 555 556
Bianca/Bonell/Knapp, Art. 74, Rn 3.3 (“comparable goods“). OLG Celle vom 02.09.1998, CISG-online 506. MK/Huber, Art. 76; Rn. 4; Honsell/Schönle, Art. 76, Rn. 10. Honsell/Schönle, Art. 76, Rn. 8. Schlechtriem/Stoll, Art. 76, Rn. 3.
3. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 76 CISG
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Schaden vorhersehbar. Der Begriff des Marktpreises ist daher eng auszulegen557. IV. Das Erfordernis der Vorhersehbarkeit Teilweise wird vertreten, dass Art. 74 S. 2 CISG auch im Rahmen des Art. 76 CISG zu beachten sei558. Soweit sich dies auf die Schäden bezieht, die aufgrund des in Art. 76 CISG enthaltenen Verweises auf Art. 74 CISG ersetzt werden, ist dies zutreffend. Soweit es aber um den Ersatz des abstrakt berechneten Differenzschadens geht, führt die Ansicht in die Irre. An dem im Rahmen des Art. 75 CISG gefundenen Ergebnis ist festzuhalten. Der Wortlaut des Art. 74 S. 2 CISG, seine systematische Stellung und die Funktion des Art. 76 CISG als Beweiserleichterungsregel sprechen gegen das zusätzliches Erfordernis der Vorhersehbarkeit559. § 3 Die Rechtfolgen des Art. 76 CISG Rechtsfolge des Art. 76 CISG ist der Ersatz der Differenz von Vertragsund Marktpreis (I). Ferner kann der Gläubiger Ersatz jedes weiteren Schadens gem. Art. 74 CISG verlangen (II). I. Der Ersatz der Differenz von Vertragspreis und Marktpreis Zu ersetzen ist die Differenz zwischen Markt- und Vertragspreis. Zu klären bleibt die Frage, welcher Zeitpunkt und welcher Ort bei Bestimmung des Marktpreises zugrunde zu legen sind. 1. Der Zeitpunkt der Ermittlung des Marktpreis gem. Art. 76 (1) S. 1 CISG Art. 76 (1) S. 1 CISG stellt zur Bestimmung des Marktpreises auf den Zeitpunkt der wirksamen Vertragsaufhebung ab. Noch während der Wiener Konferenz war der maßgebliche Zeitpunkt äußerst umstritten560. Trotz des eindeutigen Wortlauts des Art. 76 CISG soll an dieser Stelle daher eine kurze Analyse der Vorschrift erfolgen. Diese ist zugleich Voraussetzung für das Verständnis der im Anschluss zu erörternden Problematik des Inhalts der Schadensminderungspflicht.
557 Abzulehnen sind daher die Schlussfolgerungen Schönles in Honsell/Schönle, Art. 76, Rn. 8-10. Dieser versteht den Begriff des Marktpreises letztlich als „Verkehrswert der Sache“. Hintergrund dieses Verständnis ist ganz offensichtlich die in diese Richtung tendierende schweizerische Rechtsprechung zum nationalen Recht (BGE 104 II 198 (201); BGE 120 II 296 (299)). 558 In diese Richtung tendierend: Schlechtriem/Stoll, Art. 76, Rn. 11. 559 Bamberger/Roth/Saenger, Art. 76, Rn. 3; Enderlein/Maskow/ Strohbach, Art. 76, Rn. 7. 560 Staudinger/Magnus, Art. 76, Rn. 4.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
Die besondere Bedeutung des relevanten Zeitpunkts erklärt sich dadurch, dass die Schadenshöhe mittels der Marktpreisregel ex-post bestimmt wird561. Insbesondere bei sich verändernden Marktpreisen divergieren die Interessen von Schuldner und Gläubiger zwangsläufig. So werden beide Parteien versuchen, auf den für sie jeweils günstigeren Zeitpunkt abzustellen. Während der Gläubiger versuchen wird, auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Unterschied zwischen Markt- und Vertragspreis am größten war, ist es das natürliche Anliegen des Schuldners, sich auf den Zeitpunkt zu berufen, zu dem der Unterschied am geringsten war. In den verschiedenen nationalen Regelungen finden sich eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze für die Bestimmung des relevanten Zeitpunkts562. Folgendes Beispiel mag die praktische Relevanz dieser Frage aufzeigen: V und K einigten sich am 01.05.2005 über den Verkauf von 10.000 Tonnen Stahl zum damals gültigen Marktpreis von 500 € pro Tonne. Die Lieferung sollte zum 01.06.2005 erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt war der Marktpreis auf 700 € pro Tonne gestiegen. Nach Ausbleiben der Lieferung, Ablauf einer Nachfrist von einem Monat und einigen Wochen Bedenkzeit erklärte K am 01.08.2005 den Rücktritt vom Vertrag. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Preis für eine Tonne Stahl nunmehr 600 €. Zum Zeitpunkt des Ablaufs der Nachfrist am 01.07.2005 hingegen hatte der Preis nur 500 € pro Tonne betragen.
Gerade im Rahmen von Rohstoffmärkten sind teils erhebliche Preisschwankungen innerhalb kürzester Zeiträume zu verzeichnen563. Die Bestimmung des für die Berechnung des abstrakten Differenzschadens relevanten Zeitpunkts hat daher entscheidend Einfluss auf die Höhe des Ersatzanspruchs564. Dies zeigt auch der vorliegende Fall. Stellt man nämlich bei der Berechnung auf den vertraglich vereinbarten Erfüllungszeitpunkt ab, beträgt der abstrakte Differenzschaden des Käufers 2 Mio. €. Stellt man auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Nachfrist ab, so liegt überhaupt kein abstrakter Schaden des Gläubigers vor. Stellt man schließlich auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Vertragsaufhebung ab, ergibt sich ein abstrakter Differenzschaden von 1 Mio. €. Eine ganze Reihe nationaler Regelungen stellt auf den vertraglich vereinbarten Erfüllungszeitpunkt ab565. Hintergrund dieser Regelung ist die Vorstellung, die Schadensberechnung anhand der Marktpreisregel diene primär dazu, das Erfüllungsinteresse des Gläubigers zu befriedigen566. 561 562 563
Yovel, Comparison between CISG and PECL, Rn. 5. Hierzu: Yovel, Comparison between CISG and PECL, Rn. 5. Das Beispiel „Stahl“ wurde aufgrund der hier aufgetretenen Preisschwankungen von bis zu 80 % innerhalb weniger Monate aufgrund der starken Nachfrage von China und Indien gewählt (http://www.destatis.de/presse/deutsch/pm2004/p2230052.htm). 564 Friedmann, Specific Performance or Damages, S. 1027. 565 Art. 1518 Cc (Italien); § 51 (3) SGA (England); § 376 (2) HGB (Deutschland); § 25 SGA (Dänemark). 566 Zum internen Recht, OLG Frankfurt a.M. NJW 1977, 1015.
3. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 76 CISG
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Auch mittels des Ersatzes des abstrakten Differenzschadens sei der Gläubiger so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung gestanden hätte. Im Fall ordnungsgemäßer Erfüllung hätte K die Ware am 01.6.2005 erhalten. K hätte somit Ware im Wert von 7 Mio. € zum Preis von 5 Mio. € erhalten. Der abstrakte Differenzschaden beträgt somit 2 Mio. €. Dieser Ansatz hat jedoch folgende Schwäche567: Im Fall der Setzung einer angemessenen Nachfrist durch den Gläubiger ist der Schuldner berechtigt, bis unmittelbar vor Ablauf der Nachfrist zu leisten. Hätte V im vorliegenden Fall am 30.6.2005 geliefert, hätte K aber nur Ware im Wert von 5 Mio. € erhalten. Es ist nicht einsichtig, warum K berechtigt sein sollte, im Rahmen eines abstrakt berechneten Anspruchs auf Ersatz des Differenzschadens einen Wert zu fordern, der ihm selbst im Fall tatsächlicher Erfüllung nicht zugewiesen worden wäre. Schließlich konnte K auch im Moment des Ablaufs der Nachfrist nur Übereignung von Ware im Wert von 5 Mio. € fordern. Art. 84 EKG hingegen stellt bei der Berechnung des Marktpreises auf den Zeitpunkt der Vertragsaufhebung ab. Dies gilt auch dann, wenn der Vertrag aufgrund eines vorzeitigen Vertragsbruchs bereits vor dem vereinbarten Erfüllungszeitpunkt aufgehoben worden ist. Auch diese Lösung beinhaltet jedoch gewisse Schwächen568: So birgt sie insbesondere die Gefahr, dass der Gläubiger, anstatt den Vertrag sofort aufzuheben, auf seinem Erfüllungsverlangen beharrt und der Marktpreis sich inzwischen zu Lasten der Parteien verändert. Hätte K im vorliegenden Fall den Vertrag zum frühest möglichen Zeitpunkt mit Ablauf der Nachfrist aufgehoben, wäre ihm kein Schaden entstanden. In Anwendung der Regelung des EKG wäre K gleichwohl berechtigt, einen abstrakten Differenzschaden in Höhe von 1 Mio. € geltend zu machen. Die hier geäußerten Bedenken legen es nahe, bei der Berechnung des abstrakten Differenzschadens auf den Zeitpunkt des Eintritts des Rechts zur Vertragsaufhebung abzustellen. Dies entspricht dem Lösungsvorschlag des dem CISG vorangegangenen Wiener Entwurfs von 1977 sowie des New Yorker Entwurfs von 1978. Dieser hielt den Zeitpunkt für maßgeblich, zu dem der Gläubiger den Vertrag „aufheben konnte“ 569. Trotz dieser Bedenken stellt Art. 76 CISG auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Vertragsaufhebung ab. Dies hat mehrere Gründe: Zunächst lässt sich der Zeitpunkt der tatsächlichen Vertragsaufhebung deutlich einfacher und präziser bestimmen als jener der Möglichkeit zur Aufhebung. Ferner ist es dogmatisch einleuchtend, dass der Zeitpunkt relevant ist, zu dem der Scha567 Giesen, Verzögerungsschaden und Schaden statt der Leistung, S. 280; Knütel, Schadensberechnung, in AcP 2002, S. 585. 568 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 7. 569 O.R., S. 394, Rn. 28 ff und S. 222, Rn. 39 f.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
densersatzanspruch entsteht. Der Anspruch auf Ersatz des abstrakt berechneten Differenzschadens entsteht aber erst mit Vertragsaufhebung und nicht bereits mit Ablauf der Nachfrist bzw. mit Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung570. Schließlich berufen sich die Verfechter der vom CISG gewählten Lösung darauf, dass ein Hinauszögern des Zeitpunkts der Vertragsaufhebung eine Verletzung der Schadensminderungspflicht darstellt571. Gem. Art. 77 CISG sei in diesen Fällen ohnehin der Zeitpunkt der frühest möglichen Vertragsaufhebung zu berücksichtigen. Im Regelfall hingegen sei die klare Lösung des Art. 84 EKG vorzugswürdig572. Ob dieser Einschränkung zuzustimmen ist, ist im Rahmen von Art. 77 CISG zu untersuchen573. 2. Der Zeitpunkt der Ermittlung des Marktpreises gem. Art. 76 (1) S. 2 CISG Eine Ausnahme hinsichtlich des relevanten Zeitpunkts zur Ermittlung des Marktpreises enthält Art. 76 (1) S. 2 CISG. Hat die ersatzberechtigte Partei die Waren bereits übernommen, so gilt der Preis zum Zeitpunkt der Übernahme. Zur „Übernahme“ bedarf es der Inbesitznahme durch den Käufer gem. Art. 60 (b) CISG574. Gerade in dem Fall der Übernahme der Ware besteht das Risiko, dass der Käufer die mögliche Aufhebungserklärung in spekulativer Absicht verzögert. Dies sei dadurch zu verhindern, dass, unabhängig vom Zeitpunkt der Vertragsaufhebung, bei der Bestimmung des Marktpreises auf den Zeitpunkt der Übernahme der Ware abgestellt wird575. Die Abweichung vom Grundsatz, dass der Zeitpunkt der Vertragsaufhebung maßgebend ist, steht jedoch im eindeutigen Widerspruch zu Regelung in Art. 49 (2) CISG. Dieser gestattet es dem Käufer, im Fall der nicht vertragsgemäßen Lieferung eine „angemessene Frist“ nach Lieferung und Kenntnis der Vertragswidrigkeit abzuwarten, bevor er die Aufhebung des Vertrags erklärt576. Die Lösung des Art. 76 (1) S. 2 CISG zwingt den Käufer jedoch mittelbar, den Vertrag sofort bei Entgegennahme der Ware aufzulösen. Nur in diesem Falle versetzt ihn die Erstattung des Differenzbetrags zwischen Vertragspreis und Marktpreis in die Lage ordnungsgemäßer Erfüllung. Ein solches Vorgehen ist dem Käufer jedoch weder faktisch noch rechtlich möglich. Es 570 571 572 573 574 575 576
Giesen, Verzögerungs- und Schaden statt der Leistung, S. 284. Brölsch, Schadensersatz und CISG, S. 94. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 9. Vgl. hierzu die Ausführungen auf S. 113 ff. Kritzer, S. 491; Witz/Salger/Lorenz, Art. 76, Rn. 10. UNCITRAL Yearbook V (1974) S. 44, Rn. 170. Audit, Vente internationale, S. 170; Witz/Salger/Lorenz, Art. 76, Rn. 10.
3. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 76 CISG
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ist weder gewährleistet, dass der Käufer bei Annahme der Ware die Mangelhaftigkeit gleich erkennt, noch ist es gewährleistet, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt berechtigt ist, den Vertrag aufzuheben; im Gegenteil: Ist der Mangel ausnahmsweise so gravierend, dass eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt und erkennt dies der Käufer direkt bei Lieferung der Ware, so wird er die Ware nicht annehmen, sondern zurückweisen. In diesem Fall findet die Ausnahmeregelung des Art. 76 (1) S. 2 CISG aber gerade keine Anwendung577. Die Ausnahmeregelung des Art. 76 (1) S. 2 CISG ist ebenso verfehlt wie die zuvor angesprochene Lösung nationaler Regelungen, die bei der Berechnung des Marktpreises generell auf den Zeitpunkt der Erfüllung abstellen578. Erst im Zeitpunkt der Vertragsaufhebung erhält der Gläubiger seine Dispositionsfreiheit zurück. Erst in diesem Augenblick entsteht der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Folglich ist dieser Zeitpunkt auch stets bei der Bestimmung des Marktpreises heranzuziehen579. 3. Der Ort der Ermittlung des Marktpreises gem. Art. 76 (1) S. 2 CISG Gem. Art. 76 (2) CISG ist für die Ermittlung des Marktpreises prinzipiell der Ort maßgebend, „an dem die Lieferung der Ware hätte erfolgen sollen“. Der maßgebliche Lieferort ist gem. Art. 31 CISG zu bestimmen580. Falls sich an diesem Ort ein Marktpreis nicht ermitteln lässt, ist der an „einem angemessenen Ersatzort geltende Marktpreis“ heranzuziehen. Hierbei sind höhere Beförderungskosten der Ware zu berücksichtigen. Als angemessen gilt ein Ersatzort dann, wenn die gleiche Ware unter gleichen Marktbedingungen gehandelt wird581. Zu Recht wird jedoch in der Literatur darauf hingewiesen, dass es in der Praxis entweder möglich sein wird, einen Marktpreis am Lieferort zu bestimmen, oder dass sich ein Marktpreis überhaupt nicht feststellen lassen wird. Der praktische Anwendungsbereich der Ausnahme ist daher gering582. Hintergrund des Abstellens auf den Lieferort ist die Vorstellung, dass der Gläubiger in der Regel darauf angewiesen sein wird, das Ersatzgeschäft dort vorzunehmen. Zwar ist die Vornahme eines tatsächlichen Deckungsgeschäfts nicht Voraussetzung des Ersatzes i.S.v. Art. 76 CISG, je-
577 578 579
Chengwei, Remedies, S. 36; Staudinger/Magnus, Art. 76, Rn. 16. Schlechtriem, Uniform Sales Law, S. 98: „The solution is difficult to understand“. So auch: Art. 7.4.6 PICC. Zur Vorzugswürdigkeit dieser Lösung: Zeller, Remarks on Art. 76, Rn. 5. 580 Bianca/Bonell/Knapp, Art. 76, Rn. 3.2; Honsell/Schönle, Art. 76, Rn. 14. 581 MK/Huber, Art. 76, Rn. 8; Staudinger/Magnus, Art. 76, Rn. 19. 582 Chengwei, Damages, S. 37.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
doch soll der Gläubiger zumindest hypothetisch so gestellt werden, als ob ein Deckungsgeschäft getätigt wurde. Eine Ausnahme ist nach teilweise vertretener Ansicht im Fall des Versendungskaufs geboten583: Fallen Bestimmungsort und Lieferort i.S.v. Art. 31 CISG auseinander, sei es interessensgerechter, auf den Bestimmungsort abzustellen, da in der Regel an diesem ein Deckungsgeschäft vorgenommen werde584. Zwingend ist diese Argumentation nicht. Insbesondere stellt sie auf die tatsächliche Vornahme eines Deckungsgeschäfts ab. Sieht sich der Gläubiger gezwungen, ein Deckungsgeschäft am Bestimmungsort und nicht am Lieferort vorzunehmen, so kann er bei ordnungsgemäßer Vorgehensweise gem. Art. 75 CISG seinen Schaden ohnehin konkret berechnen585. Unterlässt er jedoch ein solches Vorgehen, ist auch im Fall eines Versendungskaufs auf den Marktpreis am Lieferort abzustellen586. II. Der Ersatz jedes weiteren Schadens gem. Art. 74 CISG Wortgleich zur Regelung des Art. 75 CISG verweist auch Art. 76 CISG auf die Ersatzfähigkeit jedes weiteren Schadens gem. Art. 74 CISG. Insofern besteht Einigkeit, dass der Verweis in Art. 76 CISG zumindest die sog. „typischen Begleitschäden“ wie Verzögerungsschäden, Mehraufwendungen zum Erhalt der Ware sowie Kosten und Aufwendungen zur Rückabwicklung des Ausgangsgeschäfts umfasst587. Hierbei ist im Einzelfall festzustellen, ob diese Folgeschäden bei der tatsächlichen Vornahme eines Deckungsgeschäfts hätten vermieden werden können und ob daher der Anspruch auf Ersatz dieser Folgeschäden gem. Art. 77 CISG entfällt. Strittig ist, ob der Gläubiger zusätzlich zum abstrakten Differenzschaden einen aufgrund der weiteren Marktentwicklung zu erwartenden Gewinnausfall geltend machen kann. Es stellt sich die Frage des Verhältnisses abstrakter Berechnung gem. Art. 76 CISG und konkreter Berechnung gem. Art. 74 CISG. Die praktische Relevanz dieser Frage zeigt sich insbesondere in den Fällen des gescheiterten Weiterverkaufs588: Der Verkäufer liefert die geschuldete Ware nicht wie vertraglich vereinbart – fix – zu einem bestimmten Termin. Der Käufer hebt aufgrund dieser wesentlichen Vertragsverletzung den Vertrag auf. Ein Deckungsgeschäft wird nicht vorgenommen. Der Vertragspreis betrug 50.000 €, der Marktpreis im Zeitpunkt der Aufhebung 53.000 € und der Preis ei583 584 585 586
Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 76, Rn. 9. Audit, Vente internationale, Rn. 178. Honnold, Rn. 413; MK/Huber, Art. 76, Rn. 7. So auch das OLG Hamm vom 22.09.1992, CISG-online 57, mit dem m.E. allerdings unzutreffenden Hinweis, der Verkäufer hätte die Kosten ohnehin tragen müssen. Wie hier: Sutton, Damages, S. 737 ff. 587 MK/Huber, Art. 76, Rn. 14; Staudinger/Magnus, Art. 76, Rn. 22. 588 Zum folgenden Beispiel: Bianca/Bonell/Knapp, Art. 76, Rn. 2.8. („Example B“).
3. Kapitel: Die Schadensberechnung gem. Art. 76 CISG
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nes zwischen dem Käufer und dem Endabnehmer vereinbarten Weiterverkaufs 54.500 €. Es stellt sich die Frage, ob der Käufer in diesem Fall zusätzlich zum Ersatz des Differenzschadens in Höhe von 3000 € auch noch Ersatz entgangenen Gewinns, als sog. weiterer Schaden, in Höhe von 4.500 € oder 1.500 € verlangen kann.
Teilweise wird vertreten, dass sich der Gläubiger, der sich einmal für eine Berechnung seines Schadens anhand der Marktpreisregel entschieden hat, hieran gebunden ist589. Eine Vermischung bzw. ein Übergang von abstrakter zur konkreten Schadensberechnung sei nicht möglich590. Dieser Ansicht zufolge würde sich im Beispielsfall der Ersatzanspruch des Käufers auf 3.000 € beschränken. Die Gegenansicht führt hingegen den obigen Fall als typisches Beispiel der Notwendigkeit der Ersatzfähigkeit entgangenen Gewinns als weiteren Schaden im Rahmen von Art. 76 CISG an591. Ersatzfähig sei neben dem Differenzschaden iHv. 3000 € auch der darüber hinaus verbliebene Schaden in Höhe von 1.500 €. Letzterer Ansicht ist zuzustimmen. Art. 76 CISG stellt eine Beweiserleichterung zu Gunsten des Gläubigers dar. Die Anwendung der Norm soll den Gläubiger aber nicht schlechter stellen, als er bei konkreter Berechnung seines Schadens stünde. Eine Kumulation der Schadensberechnungsmethoden ist durch ein entsprechend weites Verständnis des Verweises auf Art. 74 CISG zu gewährleisten. Die Notwendigkeit der Kumulation abstrakter und konkreter Berechnung gem. Art. 74 CISG besteht insbesondere dann, wenn der Gläubiger zunächst seinen Schaden nach Art. 76 CISG abstrakt berechnet und anschließend doch noch ein konkretes Deckungsgeschäft vornimmt. Übersteigen die Mehrkosten des konkreten Deckungsgeschäfts den bereits erhaltenen abstrakt berechneten Schadensbetrag, stellt sich die Frage, ob der Gläubiger die Differenz beider Beträge als „weiteren Schaden“ verlangen kann (Art. 76 CISG). Die herrschende Ansicht im Schrifttum gestattet dem Gläubiger ein solches Vorgehen592. Zweck des Ersatzes des Differenzbetrags gem. Art. 76 CISG sei der Ausgleich eines Mindestschadens des Gläubigers unter erleichterten Voraussetzungen. Zweck sei nicht, den Gläubiger abschließend auf eine abstrakte Berechnung seines Schadens zu verweisen. Andernfalls wäre das Vorgehen gem. Art. 76 CISG mit einem erheblichen Risiko für den Gläubiger verbunden. Für den Schuldner dagegen stelle die Beschränkung des Gläubigers auf den abstrakten Differenzbetrag ein „Geschenk des Himmels“ dar593. Diese Ansicht überzeugt. Ziel des Ersatzes des Differenzbetrags ist, den Gläubiger in die Lage zu versetzen, sich er589 590 591 592 593
MK zum HGB/Mankowski, Art. 76, Rn. 15. Staudinger/Magnus, Art. 76, Rn. 23. Bamberger/Roth/Saenger, Art. 76, Rn. 3; Bianca/Bonell/Knapp, Art. 76, Rn. 2.7 f. Enderlein/Maskow/Strohbach, Art. 76, Rn. 1. Roßmeier, Schadensersatz, in RIW 2000, S. 410.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
satzweise am Markt eindecken zu können. Entstehen dem Gläubiger hierdurch weitere Ausfälle, muss er diese zusätzlich zum abstrakt berechneten Differenzschaden liquidieren können. Eine Einschränkung ist allein in den Fällen zu machen, in denen die negative Marktentwicklung für den Gläubiger vorhersehbar war oder andere Umstände dafür sprachen, zuvor ein entsprechendes Deckungsgeschäft zu tätigen594. § 4 Zusammenfassung Wie Art. 75 beinhaltet auch Art. 76 CISG eine Berechnungs- und Beweiserleichterungsregel zu Gunsten des Gläubigers. Art. 76 CISG ist subsidiär zu Art. 75 CISG. Voraussetzung ist das Vorliegen einer wirksamen Vertragsaufhebung sowie die Ermittelbarkeit eines Marktpreises. Zu ersetzen ist die Differenz zwischen Markt- und Vertragspreis. Stichtag ist hierbei der Tag der Vertragsaufhebung. Dies gilt auch im Fall der Erfüllungsverweigerung, da andernfalls der Schuldner in der Lage wäre, den Gläubiger mittelbar zu zwingen, auf seinen Erfüllungsanspruch zu verzichten. Die abweichende Lösung des Art. 76 (1) (2) CISG im Fall der Übernahme der Ware sollte gestrichen werden.
4. Kapitel: Die Pflicht zur Schadensminderung Sehr umstritten ist die Frage, ob und in welchen Fällen dem Gläubiger eines Ersatzanspruches gem. Art. 75 und 76 CISG die Verletzung seiner Pflicht zur Schadensminderung vorgeworfen werden kann. Hierbei sind zwei Fragen zu unterscheiden: Erstens stellt sich die Frage des Verhältnisses abstrakter und konkreter Schadensberechnung. So ist fraglich, ob der Gläubiger im Fall der Vertragsaufhebung ein umfassendes Wahlrecht besitzt, ein Deckungsgeschäft zu tätigen und seinen Schaden konkret zu berechnen bzw. die Vornahme eines solchen zu unterlassen und den Differenzbetrag abstrakt zu berechnen, oder ob er durch Art. 77 CISG zur jeweils wirtschaftlich günstigeren Vorgehensweise gezwungen ist595. Zweitens stellt sich die zeitlich vorgelagerte Frage, ob der Gläubiger durch Art. 77 CISG gezwungen ist, den Vertrag frühzeitig aufzuheben und ein Deckungsgeschäft zu tätigen, um auf diese Weise den durch den Schuldner zu ersetzenden Schaden möglichst gering zu halten. Letztere Frage wurde bereits bei der Frage des für die Bestimmung des Marktpreises relevanten Zeitpunkts gestreift. Sie soll an dieser Stelle einem Ergebnis zugeführt werden. 594 595
Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 76, Rn. 13. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S.11.
4. Kapitel: Die Pflicht zur Schadensminderung
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Zunächst zur ersten Frage des Verhältnisses abstrakter und konkreter Berechnung im Fall einer wirksamen Vertragsaufhebung: Der Wortlaut des Art. 76 CISG verdeutlicht, dass das CISG, anders als noch das EKG, vom generellen Vorrang der konkreten Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG ausgeht. Einigkeit besteht daher darin, dass in den Fällen, in denen der Gläubiger ein Deckungsgeschäft tatsächlich vorgenommen hat, ein Rückgriff auf die Marktpreisregel des Art. 76 CISG nicht in Betracht kommt, und zwar auch dann nicht, wenn diese Art der Berechnung für den Gläubiger vorteilhafter wäre. Eine weit verbreitete Ansicht vertritt jedoch den Standpunkt, dass das Recht des Gläubigers zur abstrakten Berechnung des Differenzschadens einer weiteren Einschränkung unterliegt596. Hiernach komme ein vollständiger Ersatz des Differenzschadens gem. Art. 76 CISG auch dann nicht in Betracht, wenn die Vornahme eines angemessenen Deckungsgeschäfts dem Gläubiger zumutbar gewesen wäre und den Schaden tatsächlich verringert hätte597. Folgte man diesem Ansatz vorbehaltlos, bestünde freilich die Gefahr, dass das ursprüngliche Wahlrecht des Gläubigers völlig leer laufen würde. Zu Recht wird daher darauf hingewiesen, dass an die Voraussetzung der Zumutbarkeit des Deckungsgeschäfts hohe Anforderungen zu stellen sind598. Sehr viel schwieriger, aber praktisch relevanter und daher auch umstrittener ist die zweite Frage: Besteht gem. Art. 77 CISG eine Pflicht des Gläubigers, durch eine frühzeitige Vertragsaufhebung die Voraussetzungen für ein Deckungsgeschäft zu schaffen oder den Zeitpunkt für die abstrakte Schadensberechnung festzulegen? Lässt sich auf diese Weise, wie auf der Wiener Konferenz durch den norwegischen Delegierten Rognlien postuliert599, ein spekulatives Verhalten des Gläubigers, das zu einem Anwachsen des gem. Art. 75 und 76 CISG zu ersetzenden Differenzschadens führt, tatsächlich verhindern? In besonderem Maße stellt sich diese Frage im Rahmen von Art. 76 CISG. Die Gefahr der Spekulation ist hier besonders groß, da der Gläubiger aufgrund der abstrakten Berechnung, anders als in Art. 75 CISG, nicht unmittelbar selbst dem Nachteil eines ungünstigeren Marktpreises ausgesetzt ist. Zwei Entscheidungen sollen an dieser Stelle
596 597
OLG Hamm vom 22.09.1992, CISG-online 57. Vgl. OLG Hamm vom 22.09.1992, CISG-online 57: Der Käufer hatte die Abnahme verweigert. Das Gericht hielt daraufhin in seinem Urteil fest, dass der Verkäufer in einer solchen Situation nicht nur berechtigt, sondern gem. Art. 77 CISG verpflichtet wäre, ein Deckungsgeschäft vorzunehmen. Im konkreten Fall bestand diese Möglichkeit nicht, so dass es bei einer Schadensberechnung gem. Art. 76 CISG blieb. Einschränkend dagegen Achilles, Art. 77, Rn. 1, „Die Vornahme eines Deckungsgeschäft als Möglichkeit der Schadensverringerung müsse sich dem Gläubiger geradezu aufgedrängt haben“. 598 MK/Huber, Art. 77, Rn. 10. 599 O.R., S. 396, Rn. 48.
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2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
die Problematik verdeutlichen. Zunächst zur Entscheidung des OLG München600: Ein deutscher Verkäufer und italienischer Käufer einigten sich über den Verkauf von elf Autos, lieferbar bis spätestens Ende Oktober. Ein späterer Brief des Käufers mit dem Hinweis, er verlange die Lieferung aller Autos bis spätestens zum 15. August, blieb unbeantwortet. Stattdessen informierte der Verkäufer den Käufer Ende August, dass 5 der Autos lieferbar wären, während die übrigen 6 Anfang Oktober geliefert werden könnten. Der Käufer reagierte ebenfalls nicht auf dieses Schreiben, sondern informierte Ende Oktober den Verkäufer, dass es ihm aufgrund der Währungsfluktuationen nicht möglich sei, die Autos anzunehmen. Er bat daher um Aufschub. Der Verkäufer verlangte Schadensersatz in Form entgangenen Gewinns, der Käufer klagte seinerseits auf Ersatz der Schäden durch die verspätete Lieferung.
Das Gericht hielt zunächst fest, dass der ursprüngliche Vertrag, der eine Lieferung bis Ende Oktober vorsah, durch keines der Schreiben der Parteien wirksam geändert worden sei. Der Verkäufer habe ein entsprechendes Angebots des Käufers zur Vertragsänderung i.S.v Art. 29 CISG nicht angenommen. Eine Pflichtverletzung des Verkäufers in Form einer zu späten Lieferung liege daher nicht vor. Aufgrund des Vertragsbruchs des Käufers sei der Verkäufer daher grundsätzlich schadensersatzberechtigt. Jedoch sei der Schadensersatzanspruch des Verkäufers im Ergebnis auf Null zu reduzieren. Der Verkäufer habe es nämlich unterlassen, den Vertrag frühzeitig aufzuheben. Soweit ersichtlich ist dies die einzige Gerichtsentscheidung zum CISG, in der ein Gericht explizit eine Pflicht zur Vertragsaufhebung im Sinne des Art. 77 CISG bejaht. Diese Ansicht ist insofern äußerst problematisch, als dem Gläubiger auf diesem Wege nicht nur verwehrt wird, Schadensersatz in voller Höhe zu fordern. Vielmehr verbietet das Urteil dem Gläubiger mittelbar, an seinem primären Rechtsbehelf, dem Anspruch auf Erfüllung, festzuhalten. Der Vertragstreue Gläubiger ist gezwungen, sich vom Vertrag zu lösen. Er wird auf seine Sekundärrechtsbehelfe, Rückabwicklung und Schadensersatz, verwiesen. Dies widerspricht dem im CISG verankerten Prinzip pacta sunt servanda. Nach überwiegender Ansicht601 besteht daher grundsätzlich keine Pflicht des Gläubigers zur Vertragsaufhebung. Eine Ausnahme sei nur in den Fällen geboten, in denen der Gläubiger die Aufhebung spekulativ hinauszögere602. Bestätigt wird diese Sicht durch folgende Entscheidung des OLG Braunschweigs603: Ein belgischer Käufer bestellte Gefrierfleisch bei einem deutschen Verkäufer. Die AGB des Verkäufers sahen neben einer Rechtswahlklausel zu Gunsten der Anwendbarkeit deutschen Rechts vor, dass der Käufer zunächst eine Anzahlung vorzunehmen habe, be600 601 602 603
OLG München vom 08.02.1995, CISG-online 143. Staudinger/Magnus, Art. 77, Rn. 11. OLG Düsseldorf vom 14.01.1994, CISG-online 119. OLG Braunschweig vom 28.10.1999, CISG-online 510.
4. Kapitel: Die Pflicht zur Schadensminderung
117
vor der Verkäufer liefern würde. Der Käufer kam der mehrfachen Aufforderung des Verkäufers zur Zahlung unter Hinweis auf die angeblich einseitige Änderung des Erfüllungsorts durch den Verkäufer nicht nach. Der Verkäufer verlangte daraufhin Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Der Käufer hingegen machte geltend, dass einem Schadensersatzverlangen des Verkäufers in vollem Umfang die Verletzung der Schadensminderungspflicht des Art. 77 CISG entgegenstehe. Der Marktpreis zur Zeit der Aufhebung konnte mittels eines Gutachters ermittelt werden.
Das Gericht gab dem Schadensersatzverlangen des Verkäufers im vollen Umfang statt. Der Schaden des Verkäufers sei gem. Art. 76 CISG zu berechnen. Bei der Bemessung des Differenzbetrags zwischen Vertragspreis und Marktpreis könne auf den unbestrittenen Vortrag des Gutachters zurückgegriffen werden. Der vom Kläger geltend gemachte Preisverfall von 10 % sei hiervon auf jeden Fall umfasst. Insbesondere bestünde trotz der Erfüllungsverweigerung des Käufers keine Pflicht des Verkäufers gem. Art. 77 CISG, ein Deckungsgeschäft vorzunehmen und dadurch seine „primären Erfüllungsansprüche zu Gunsten sekundärer [Ansprüche] aufzugeben“. Dies gelte selbst bei drohendem Preisverfall. Der Verkäufer würde sich andernfalls zur Erfüllung außerstande setzen und dann selbst Vertragsbrüchig werden, wenn die andere Partei wider Erwarten doch zur Erfüllung bereit wäre. Etwas anderes gelte nur „in besonders gelagerten Ausnahmefällen“ und wenn „der Schwebezustand zwischen den Parteien so lange gedauert hat, dass vom Verkäufer billigerweise längst eine Entscheidung darüber zu erwarten war, ob er seine Erfüllungsansprüche durchsetzen oder zu Sekundäransprüchen übergehen wolle“. Die dogmatische Basis der herrschenden Ansicht ist das Prinzip pacta sunt servanda. Die Vornahme eines Deckungsgeschäfts führt regelmäßig dazu, dass die Vertragstreue Partei selbst nicht mehr ihren Erfüllungspflichten nachkommen kann. Dies ist zu verhindern. Zweifellos ist es denkbar, es dem Gläubiger aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu verwehren, auf seinem Erfüllungsverlangen zu beharren, wenn ein Deckungsgeschäft den Schaden in angemessener und zumutbarer Art und Weise verringern würde. Eine solche Lösung hatte das EKG in Art. 25 S. 2 und 61 (2) S. 2 EKG noch ausdrücklich vorgesehen. Jedoch wurde diese Einschränkung des Erfüllungsanspruchs nach reiflicher und gründlicher Überlegung nicht in das CISG übernommen604. Ein entsprechender Antrag des amerikanischen Delegierten Honnold wurde nach ausführlicher und überaus kontroverser Beratung mit 24 zu 8 Stimmen abgelehnt605. Zweifelsohne birgt die Lösung des CISG einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Grundansätzen des Civil Law und jenen des Common 604 605
O.R., S. 78; Honnold, Rn. 286. Für eine umfassende Wiedergabe der Beratung und Beiträge der einzelnen Delegierten: http://cisgw3.law.pace.edu/cisg/text/link77.html.
118
2. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG
Law606. Anders aber als noch im Rahmen des EKG hat sich im Rahmen des CISG der auf dem Grundprinzip des Erfüllungsvorrangs beruhende Ansatz des Civil Law durchsetzen können. Es erscheint somit bereits aufgrund der Entstehungsgeschichte nicht denkbar, der vom EKG vorgesehene ipso facto avoidance sozusagen „durch die Hintertür“ des Art. 77 CISG den Eingang in das CISG zu eröffnen607. Die Gegenansicht weist zwar zutreffend darauf hin, dass ein Teil der Mitglieder der Wiener Konferenz davon ausgingen, dass eine Pflicht zur vorzeitigen Tätigung eines Deckungsgeschäfts gem. Art. 77 CISG bestehen würde608. Allein deshalb habe man sich im Rahmen des Art. 76 CISG dazu durchringen können, auf den Zeitpunkt der Vertragsaufhebung abzustellen609. Dieses Verständnis einzelner Delegierter der Wiener Konferenz reicht jedoch nicht aus, um eine Pflicht zur vorzeitigen Vertragsaufhebung gem. Art. 77 CISG zu begründen. Maßgeblich ist der Wortlaut des Gesetzes, nicht das Verständnis der Konventionsgeber. Gerade Art. 49 (2) CISG macht deutlich, dass eine angemessene zeitliche Beschränkung des Vertragsaufhebungsrechts direkt den Normen des Rechts der Vertragsaufhebung zu entnehmen ist und nicht über Art. 77 CISG zur Wahrung von Gerechtigkeitsgesichtspunkten ausgebaut werden kann.
606 Hierzu zuletzt: Meyer, UN-Kaufrecht in der US-amerikanischen Gerichtspraxis, in IPrax 2005, S. 462. 607 Dies grob verkennend: Majumdar/Jha, The Law relating to Damages under International Sales, S. 11 und 13. Ihnen zufolge kenne das CISG - anders als das Englische und Indische Recht – gerade kein Recht des Gläubigers, auf Erfüllung des Schuldners zu bestehen. 608 Brölsch, Schadensersatz und CISG, S. 96; Zeller, Remarks on Art. 76, Rn. 6. 609 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 11; Zeller, Remarks on Art. 76, Rn.6.
3. Teil
Der Differenzschadens gem. Art. 74 CISG Das erste Kapitel hat sich mit der Analyse des Ersatzes des Differenzschadens nach Maßgabe der besonderen Beweislast- und Berechnungsregeln der Art. 75 und 76 CISG beschäftigt. Ziel des folgenden Kapitels ist die Erörterung des Ersatzes des Differenzschadens nach Maßgabe des Grundtatbestands des Art. 74 CISG. Dabei steht die Liquidierung des konkreten Differenzschadens im Vordergrund. Mitberücksichtigt wird aber auch die Möglichkeit, den Differenzschaden abstrakt zu berechnen. Zunächst erfolgt eine kurze Einführung in die Problematik des Ersatzes des Differenzschadens gem. Art. 74 CISG (1. Kapitel). Im Anschluss sind die verschiedenen Sachfragen und Wertungsgesichtspunkte zu erörtern, die sich im Zusammenhang mit der Frage der Ersatzfähigkeit des Differenzschadens im Rahmen von Art. 74 CISG stellen (2. Kapitel). Ferner sind die maßgeblichen Lösungsansätze der Literatur darzustellen (3. Kapitel). Zentrales Anliegen dieses Kapitels ist die Entwicklung eines eigenen Lösungsansatzes (4. Kapitel). Zum Abschluss erfolgt eine Überprüfung des eigenen Lösungsansatzes anhand der maßgeblichen Fallkonstellationen aus Rechtsprechung und Lehre (5. Kapitel).
1. Kapitel: Die Grundproblematik Art. 74-76 CISG regeln allein den Umfang der Schadensersatzhaftung im CISG, die Anspruchsgrundlage enthalten hingegen Art. 45 (1) (b) CISG für den Käufer sowie Art. 61 (1) (b) CISG für den Verkäufer610. Art. 75 und 76 CISG ermöglichen es dem Gläubiger, im Fall der vorherigen wirksamen Vertragsaufhebung seinen Schaden in typisierter und somit vereinfachter Art und Weise zu berechnen611. Art. 74 CISG hingegen ist der Grundtatbestand der Bestimmungen des CISG zum Schadensersatz. Die Vorschrift findet sowohl im Fall des aufgehobenen als auch des fortbestehenden Vertrags Anwendung612.
610 611 612
Zeller, Damages under the CISG, S. 70. Vgl. hierzu die Darstellung im Teil 2 ab S. 47 ff. Cohen, Achieving a Uniform Law, Rn. 3.1.
120
3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
Art. 74 CISG beruht auf dem Grundsatz der Totalreparation. Der Gläubiger hat Anspruch auf vollen Ausgleich aller vorhersehbaren Verluste, die ihm kausal durch die Vertragsverletzung entstanden sind613. Die Bestimmung des Umfangs des ersatzfähigen Schadens erfolgt mittels der Differenzhypothese: Zu vergleichen ist der hypothetische Vermögenszustand im Fall ordnungsgemäßer Erfüllung mit dem tatsächlichen Vermögenszustand, der aufgrund der Vertragsverletzung des Schuldners eingetreten ist614. Funktion des Schadensersatzes ist, den Gläubiger durch die Erstattung des Differenzbetrags zumindest finanziell in die Lage zu versetzen, die er bei ordnungsgemäßer Leistungserbringung durch den Schuldner inne gehabt hätte. Der Umfang der schadensrechtlichen Haftung erstreckt sich somit primär auf den Ersatz des „Erfüllungsinteresses“ des Gläubigers. Darüber hinaus sind aufgrund der weiten Formulierung des Art. 74 CISG615 das „Integritätsinteresse“ und das „Vertrauensinteresse“ des Gläubigers zu ersetzen616. Art. 74 CISG zufolge begründet jede Verletzung einer gesetzlichen oder vertraglichen Pflicht durch den Schuldner einen Anspruch des Gläubigers auf Ersatz des ihm kausal und vorhersehbar entstandenen Schadens. Auf die Schwere und Art der Pflichtverletzung kommt es nach ganz hM nicht an617. Ob diese Grundthese hinsichtlich aller im Rahmen des Art. 74 CISG in Betracht kommenden Schadensposten aufrechterhalten werden kann, ist zentraler Gegenstand der nachfolgenden Analyse. Insbesondere ist die Frage zu beantworten, inwiefern die Geltendmachung bestimmter Schadensersatzansprüche gem. Art. 74 CISG einer faktischen Vertragsaufhebung gleichkommt und daher, parallel zur Regelung der Art. 75 und 76 CISG, an die Voraussetzung einer vorherigen wirksamen Vertragsaufhebung zu binden ist. Diese Frage stellt sich insbesondere im Bezug auf die Ersatzfähigkeit des Erfüllungsinteresses. Der Ersatz des Erfüllungsinteresses umfasst den Ersatz des objektiven Werts der nicht erbrachten Leistung618, den Ersatz des Minderwerts der nicht ordnungsgemäßen Leistung619 und den Ersatz des entgangenen Gewinns620. Unter letzteren fallen sowohl die Handelsspanne des Verkäufers621 als auch der entgangene Weiterverkaufsgewinn622 sowie der Be613 614 615
OGH vom 14.01.2002, CISG-online 643; Bianca/Bonell/Knapp, Art. 74, Rn. 3. Witz/Salger/Lorenz, Art. 74, Rn. 12. Stockholm Chamber of Commerce, Arbitration Award 107/19997 („far reaching provision“). 616 Achilles, Art. 74, Rn. 4. 617 Witz/Salger/Lorenz, Art. 74, Rn. 5. 618 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 303. 619 BGH 25.06.1997, CISG-online 277; LG Trier 12.10.1995, CISG-online 160. 620 OGH 6.02.1994, CISG-online 224. 621 Kantonsgericht Zug IHR 2004, S. 65.
1. Kapitel: Die Grundproblematik
121
triebsausfallschaden des Käufers623. Auch der sog. Differenzschaden, der sich aus dem Vergleich von Vertragspreis mit dem Preis eines konkreten oder abstrakten Deckungsgeschäfts ergibt, fällt unter den Begriff des Nichterfüllungsschadens624. Potentiell fällt somit auch der Ersatz des Differenzschadens in den Anwendungsbereich des Art. 74 CISG. Folge des Ersatzes des Nichterfüllungsschadens ist, dass der Gläubiger wirtschaftlich so steht wie im Fall ordnungsgemäßer Vertragsdurchführung. Ein zusätzlicher Leistungsaustausch kommt somit nicht in Betracht, die Parteien werden von ihren ursprünglichen Leistungspflichten befreit. De facto beinhaltet der Ersatz des Erfüllungsinteresses somit die Aufhebung der ursprünglichen Leistungspflichten. Besonders deutlich wird dies im Hinblick auf den Ersatz des Differenzschadens. Folgerichtig koppeln Art. 75 und 76 CISG die Ersatzfähigkeit des Differenzschadens an das Vorliegen einer vorherigen wirksamen Vertragsaufhebung. Eine Reihe von Beispielen aus der Rechtsprechung zum CISG hat jedoch gezeigt, dass der Gläubiger nicht stets, wie von Art. 75 und76 CISG vorausgesetzt, den Vertrag zunächst aufhebt und im Anschluss daran ein Deckungsgeschäft tätigt. Vielmehr sind Konstellationen denkbar, in denen der Gläubiger sich veranlasst sieht, bereits vor Erklärung der Vertragsaufhebung, vor Eintritt der Aufhebungsvoraussetzungen oder sogar vor Eintritt einer Vertragsverletzung ein Deckungsgeschäft zu tätigen. Insbesondere in diesen Fällen wird die Frage praktisch relevant, ob und inwieweit ein Ersatz des Differenzschadens gem. Art. 74 CISG in Betracht kommt und welche Voraussetzungen hierbei zu beachten sind. An dieser Stelle erscheint es aus Gründen der Anschaulichkeit geboten, eine knappe Darstellung der relevanten Konstellation vorzuschalten (Fälle 1-6). Eine ausführliche Darstellung der jeweiligen Sachverhalte erfolgt im Zusammenhang mit der Überprüfung des eigenen Lösungsansatzes625: Fall 1: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts vor Vertragsbruch626 V verpflichtet sich zur Lieferung von Druckern an K. Aufgrund von Gerüchten über Lieferschwierigkeiten des V tätigt K, ohne sich bei V näher zu erkundigen, ein Ersatzgeschäft vor Liefertermin. K handelt in der Absicht, einen hohen Betriebsausfallschaden zu verhindern. Da V im weiteren Verlauf tatsächlich nicht liefert, erklärt K die Aufhebung des Vertrags und verlangt Ersatz der ihm durch das Deckungsgeschäft entstandenen Mehrkosten.
622 623 624
Handelgericht St. Gallen vom 03.12.2002, CISG-online 727. MK/Huber, Art. 74, Rn. 40. Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 76, Rn. 1; Staudinger/Magnus, Art. 75,
Rn. 5. 625 626
Vgl. hierzu die Ausführungen im Kapitel 5 ab S. 165 ff. Zu dieser Fallkonstellation: Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 309.
122
3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
Fall 2a und b: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts vor Eintritt der Aufhebungsvoraussetzungen Fall 2a) Die Nichtleistung des Verkäufers627: V und K schließen einen Kaufvertrag. Trotz mehrfacher Aufforderung liefert V nicht innerhalb der vereinbarten Lieferzeit. K setzt keine Nachfrist, sondern tätigt, ohne V vorher zu informieren, einen Deckungskauf. Im Anschluss verlangt K alternativ den Ersatz der Mehrkosten des Deckungsgeschäfts oder die Vornahme der vertraglich geschuldeten Leistung. Fall 2b) Die Nichtleistung des Käufers628: V und K einigen sich über den Verkauf von Schuhen. K nimmt nur einen Teil der Ware ab und zahlt auch nur einen Teil des Kaufpreises. Hieraufhin tätigt V, ohne K eine Nachfrist zu setzen, ein Deckungsgeschäft und verlangt Ersatz des ihm entstandenen Differenzschadens.
Fall 3: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts vor Erklärung der Aufhebung629 V und K einigen sich über den Verkauf von Stoffen. Der Vertrag enthielt einen ausdrücklichen Hinweis auf die besondere Bedeutung einer rechtzeitigen Lieferung. V liefert die bestellten Artikel verspätet und nicht in der bestellten Menge. Daraufhin tätigt K, ohne vorher den Vertrag gegenüber V aufgehoben zu haben, einen Deckungskauf und verlangt Ersatz der Mehrkosten.
Fall 4: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts im Fall des Verlusts des Aufhebungsrechts630 V verpflichtet sich zur Lieferung von Chemikalien an K. K hat im Vertrag auf die besondere Wichtigkeit einer rechtzeitigen Lieferung hingewiesen Die Lieferung erfolgt nicht rechtzeitig. Ohne V vorher hierüber zu informieren, nimmt K einen Deckungskauf vor. Im weiteren Verlauf liefert V. K versäumt es, die Aufhebung des Vertrags innerhalb einer angemessenen Frist zu erklären. Die Zahlung des Kaufpreises verweigert K gleichwohl unter Hinweis auf das fehlende Interesse am „doppelten Erhalt“ der Ware und verlangt stattdessen Ersatz der durch das Deckungsgeschäft entstandenen Mehrkosten Zug um Zug gegen Rückgabe der Ware.
Fall 5: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts im Anschluss an eine endgültige und ernsthafte Erfüllungsverweigerung Fall 5a) Die Möglichkeit zur konkreten Schadensberechnung 631: V und K einigen sich über den Verkauf von Eisenmolybdän. Trotz Mitteilung von Lieferschwierigkeiten durch V besteht K auf pünktlicher Lieferung unter Androhung eines Deckungskaufs. V verweigert hierauf ernsthaft und endgültig die Lieferung. K tätigt, ohne V vorher hierüber zu 627 Tribunal of International Commercial Arbitration at the Russian Federation Chamber of Commerce vom 16.03.1995, CISG-online 205. 628 OLG Düsseldorf vom 22.07.2004, CISG-online 916. 629 OLG Bamberg vom 13.01.1999, CISG-online 516 (leicht abgewandelt). 630 Zur Fallkonstellation: Schlechtriem/Stoll, Art. 74, Rn. 5. Zum Sachverhalt: Tribunal of Int. Commercial Arbitration at the Russian Federation Chamber of Commerce vom 16.03.1995, CISG-online 205. 631 OLG Hamburg vom 28.02.1997, CISG-online 261.
1. Kapitel: Die Grundproblematik
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informieren oder den Vertrag aufzuheben, einen Deckungskauf zu einem erheblich höheren Preis und verlangt Ersatz des ihm entstandenen konkreten Differenzschadens. Fall 5b) Die Möglichkeit zur abstrakten Schadensberechnung632: V liefert die vertraglich vereinbarte Menge an Möbelleder unter Berufung auf einen fehlenden wirksamen Vertragsschluss nicht. K gelingt es, die Nichtleistung des V durch eine Reihe anderer Geschäfte auszugleichen, ohne dass er einen konkreten Deckungskauf vornimmt. Eine Aufhebung des Vertrags durch K erfolgt ebenfalls nicht. Stattdessen verlangt K Ersatz der Differenz zwischen dem Vertragspreis und des Marktpreise zum Zeitpunkt der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung des V.
Fall 6: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsverkaufs im Fall eines drohenden Verzugsschadens 633 V verpflichtet sich zur Lieferung eines Druckers an K. K erwartet einen jährlichen Gewinn, der den Kaufpreis um mehr als das Zehnfache übersteigen würde. Der Drucker erbringt nicht die vertraglich zugesicherte Leistung. K tätigt noch während der Nachbesserungsversuche des V einen Deckungskauf. Nachdem endgültigen Scheitern der Nachbesserungsversuche des V tritt K wirksam vom Vertrag mit V zurück und verlangt Ersatz der Mehrkosten des konkreten Deckungsgeschäfts.
Alle Fallkonstellationen weisen die Gemeinsamkeit auf, dass die Grundkonstellation des Art. 75 CISG, nämlich die eines angemessenen Deckungsgeschäfts nach wirksamer Vertragsaufhebung, nicht vorliegt. Gleichwohl begehrt der Gläubiger Ersatz des ihm entstandenen konkreten Differenzschadens. An der Kausalität des Schadens besteht kein Zweifel. So beruhte die Vornahme des Deckungsgeschäfts des Gläubigers mit Ausnahme der ersten Fallkonstellation stets auf der Vertragsverletzung des Schuldners. Hätte der Schuldner ordnungsgemäß erfüllt, hätte der Gläubiger kein Deckungsgeschäft vorgenommen. Zudem handelte der Gläubiger in keinem der Fälle in der Absicht, den Schuldner zu schädigen. Vielmehr handelte er in der wirtschaftlich nachvollziehbaren Absicht, den Schaden möglichst gering zu halten. Ziel der vorzeitigen Vornahme des Deckungsgeschäfts war es, einen drohenden noch höheren Verzug- oder Nichterfüllungsschaden abzuwenden. Ein Ersatz des Differenzschadens gem. Art. 74 CISG erscheint auf den ersten Blick gerechtfertigt. Ferner ist für die vorliegende Arbeit davon auszugehen, dass in allen Konstellationen der jeweilige Marktpreis im Zeitpunkt der Vertragsaufhebung bzw. der Mitteilung des Deckungsgeschäfts nicht mit dem Vertragspreis des vorzeitigen konkreten Deckungsgeschäfts übereinstimmt, sondern zuungunsten des Gläubigers hiervon abweicht. Mit anderen Worten: Die Spanne zwischen dem Preis des Deckungsgeschäfts und dem des Ausgangsgeschäfts übersteigt in allen Fällen die Spanne zwischen dem rele632 633
OLG München vom 15.09.2004, CISG-online 1087. Der leicht abgewandelte Sachverhalt ist der Aufgabenstellung des 13. Willem C. Vis Arbitration Moot entnommen, .
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
vanten Marktpreis und dem Preis des Ausgangsgeschäfts. Andernfalls würde sich die Problematik der Ersatzfähigkeit des Differenzschadens gem. Art. 74 CISG gar nicht erst stellen. Art. 76 CISG böte dem Gläubiger ausreichend Möglichkeit, seinen Nichterfüllungsschaden mittels einer abstrakten Berechnung zu liquidieren.
2. Kapitel: Die Sachfragen Im Folgenden sind die verschiedenen Sachfragen und die bei ihrer Beantwortung zu berücksichtigenden Wertungsgesichtpunkte darzustellen, die sich im Zusammenhang mit der Problematik der Ersatzfähigkeit des Differenzschadens aus einem vorzeitigen Deckungsgeschäft im Rahmen von Art. 74 CISG ergeben. Dies ermöglicht es, die in der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Lösungsansätze richtig einzuordnen, gegeneinander abzuwägen und sodann in einen eigenen Lösungsansatz einfließen zu lassen. Zunächst stellt sich die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit zur Differenzschadensberechnung im Rahmen des Art. 74 CISG (§ 1). Ferner ist zu erörtern, an welche Voraussetzungen der Ersatz des Differenzschadens im Rahmen von Art. 74 CISG zu knüpfen ist. Hierbei ist insbesondere fraglich, ob ein vorzeitiges Deckungsgeschäft in die Berechnung des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung mit einzubeziehen ist (§ 2). Verneint man die Möglichkeit einer Berücksichtigung im Rahmen eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, stellt sich anschließend die Frage, ob die Berücksichtigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts nicht zumindest im Rahmen eines Anspruchs auf Ersatz des Verzugsschadens in Betracht kommt (§ 3). § 1 Die generelle Anwendbarkeit des Art. 74 CISG Es finden sich nur wenige Aussagen in Literatur und Rechtsprechung zum Konkurrenzverhältnis von Art. 75 und 76 CISG auf der einen, und Art. 74 CISG auf der anderen Seite. Die meisten dieser Beiträge beschränken sich auf die allgemeine Aussage, dass Art. 74 CISG die Grundregel zur Bestimmung des ersatzfähigen Schadens darstellt, während Art. 75 und 76 CISG spezielle Berechnungsregeln für den besonderen Fall des bereits aufgehobenen Vertrags enthalten634. Dieser allgemeinen Aussage ist jedoch kein Hinweis auf das Konkurrenzverhältnis dieser Vorschriften zu entnehmen. Insbesondere lässt sich hieraus keine Schlussfolgerung für die Frage ableiten, ob die in 634
Sutton, Damages, S. 3.
2. Kapitel: Die Sachfragen
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Art. 75 und 76 CISG vorgesehene Art der Differenzschadensberechnung auch im Rahmen des Art. 74 CISG statthaft ist. Die Frage des Konkurrenzverhältnisses ist im Rahmen des CISG insofern problematisch, als Art. 74 CISG sowohl im Fall des aufgehobenen als auch im Fall des fortbestehenden Vertrags potentiell Anwendung findet, Art. 75 und 76 CISG hingegen nur im Fall des aufgehobenen Vertrags635. Somit besteht ein grundlegender Unterschied zur Regelung des EKG, dem Vorläufer des CISG. Dieses sah bei der Regelung des Rechtsbehelfs des Schadenersatzes eine strikte Unterscheidung der Fälle des aufgehobenen Vertrags, Art. 84 bis 87 EKG, sowie der Fälle des fortbestehenden Vertrags, Art. 82 und 83 EKG, vor. Der Anwendungsbereich war klar voneinander abgegrenzt. Nach teilweise vertretener Ansicht enthalten Art. 75 und 76 CISG im Fall des aufgehobenen Vertrags spezielle Regeln der Schadensberechnung, die Art. 74 CISG vorgehen. Der Verweis in Art. 75 und 76 CISG auf die Ersatzfähigkeit „jedes weiteren Schadens“ verdeutliche, dass Art. 74 CISG jene speziellen Regeln nur ergänze636. Art. 74 CISG sei daher im Fall der Vertragsaufhebung nur subsidiär anzuwenden, sofern eine Berechnung anhand der Normen zum Differenzschaden ausscheide oder den Gläubiger nicht ausreichend kompensiere637. Gegen einen strengen Vorrang der Art. 75 und 76 CISG im Fall der Vertragsaufhebung spricht hingegen die ursprüngliche Intention der Konventionsgeber, in Art. 74 CISG einen Grundtatbestand zu schaffen, der in allen Fällen eines Vertragsbruchs Anwendung findet638. Ziel des Verweises der Art. 75 und 76 CISG auf die Ersatzfähigkeit jedes weiteren Schadens gem. Art. 74 CISG sei, klarzustellen, dass dem Gläubiger die Berechnung anhand des Differenzschadens kumulativ zur Geltendmachung weiterer Schäden zur Verfügung stehe. Der Gläubiger könne frei zwischen den verschiedenen Formen der Berechnung wählen. Art. 74 CISG werde durch Art. 75 und 76 CISG ergänzt, nicht umgekehrt. Die Vorschriften zur Ersatzfähigkeit des Differenzschadens stellten insoweit eine Erleichterung für den Gläubiger dar, als sie ihn vom Nachweis der Vorhersehbarkeit des geltend gemachten Schadens befreien. Ziel dieser Vorschriften sei nicht, den Anwendungsbereich des Art. 74 CISG zu be-
635 636 637
Honsell/Schönle, Art. 74, Rn. 15. Staudinger/Magnus, Art. 74, Rn. 4. Sutton, Damages, S. 5: “Article 74 establishes the rule for the measurement of damages whenever and to the extent that articles 75 and 76 are not applicable.” 638 Zur Entstehungsgeschichte: Staudinger/Magnus, Art. 74, Rn. 6.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
schränken. Sie seien vielmehr eine normative Ausgestaltung des Art. 74 CISG entnommenen Prinzips der Totalreparation639. Allein diese Ansicht entspricht dem systematischen Verständnis der Konventionsgeber bei der Schaffung des CISG640. Auch im Fall des aufgehobenen Vertrags kann der Gläubiger somit auf eine Schadensberechnung gem. Art. 75 und 76 CISG verzichten und stattdessen seinen Ersatzanspruch im Rahmen von Art. 74 CISG liquidieren641. Ausgehend von der generellen Anwendbarkeit des Art. 74 CISG stellt sich nun die Frage, ob der Gläubiger auch im Rahmen dieser Vorschrift berechtigt ist, seinen Schaden anhand eines konkreten oder abstrakten Deckungsgeschäfts zu berechnen oder ob diese Möglichkeit der Berechnung abschließend in Art. 75 und 76 CISG normiert wurde. Die Möglichkeit zur Berechnung des Nichterfüllungsschadens anhand eines Differenzschadens besteht auch in den Rechtsordnungen, die keine Art. 75 und 76 CISG vergleichbare explizite Regelung enthalten 642. Würde es an einer expliziten Regelung im CISG ebenfalls fehlen, müsste diese Form der Berechnung auf Art. 74 CISG gestützt werden643. Nach richtiger Ansicht kann jedoch auch die explizite Regelung in Art. 75 und 76 CISG nicht zur Unzulässigkeit einer Differenzschadensberechnung im Rahmen von Art. 74 CISG führen644. Auch im Anwendungsbereich des Art. 74 CISG besteht somit grundsätzlich die Möglichkeit für den Gläubiger, seinen Nichterfüllungsschaden in Form des Differenzschadens zu berechnen. § 2 Die Ersatzfähigkeit der Mehrkosten eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts als Schadensersatz wegen Nichterfüllung Ausgehend von der grundsätzlichen Möglichkeit des Gläubigers, seinen Nichterfüllungsschaden im Rahmen des Art. 74 CISG in Form eines Differenzschadens zu berechnen, ist zu erörtern, welche Voraussetzungen hierbei zu beachten sind. Insbesondere stellt sich die Frage, ob der Gläubiger im Rahmen von Art. 74 CISG berechtigt ist, ein bereits vor Vertragsaufhebung getätigtes Deckungsgeschäft in die Berechnung seines Nichterfüllungsschadens mit einzubeziehen. 639 Ziegel, Remedial Provisions, S. 14: „I would have expected an informed Tribunal to find that articles 75 and 76 are only particularized applications of the principles enshrined in article 74.” 640 Chengwei, Damages, S. 31. 641 Honnold, Rn. 404. 642 Vgl. u.a. §§ 249 ff. BGB. 643 Vgl. Honsell/Schönle, Art. 75, Rn. 5, der in der Berechnung anhand des Differenzschadens einen allgemeinen Grundsatz i.S.v. Art. 7 (2) CISG erblicken möchte. 644 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 3: “Art. 75 should not be regarded as an exclusive basis for this method of calculating damages.”
2. Kapitel: Die Sachfragen
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Zunächst ist die Frage zu erörtern, ob die in Art. 75 CISG normierten Voraussetzungen der Vertragsaufhebung auch im Rahmen der Differenzschadensberechnung gem. Art. 74 CISG zwingend Anwendung finden (I). Darüber hinaus sind der potentielle Einfluss des Gebots der Wirtschaftlichkeit und die in Art. 77 CISG normierte Pflicht zur Schadensminderung zu berücksichtigen (II). Ferner sind die Auswirkungen des Prinzips der Totalreparation zu beachten (III). Schließlich ist dem Prinzip des Erfüllungsvorrangs und dem sich hieraus ableitenden „Grundsystem der abgestuften Rechtsbehelfe“ im CISG Rechnung zu tragen (IV). I. Die Notwendigkeit der vorherigen Vertragsaufhebung Selbstverständlich erfordert der Ersatz eines konkreten Differenzschadens auch im Rahmen von Art. 74 CISG die Vornahme eines „angemessenen“ Deckungsgeschäfts. Bereits in Art. 75 CISG hätte es nicht zwingend einer expliziten Erwähnung dieses Erfordernisses bedurft. Der Begriff der „Angemessenheit“ ist letztlich nur eine konkrete Ausgestaltung der Obliegenheit zur Schadensminderung gem. Art. 77 CISG645. Schwieriger fällt hingegen die Beantwortung der Frage, ob es für die Ersatzfähigkeit des Differenzschadens auch im Rahmen des Art. 74 CISG einer vorherigen Vertragsaufhebung bedarf: 1. Die grammatikalische Auslegung des Art. 74 CISG Der Wortlaut des Art. 74 CISG „Als Schadenersatz für die durch eine Partei begangene Vertragsverletzung ist der der anderen Partei infolge der Vertragsverletzung entstandene Verlust, einschließlich des entgangenen Gewinns, zu ersetzen. Dieser Schadenersatz darf jedoch den Verlust nicht übersteigen, den die Vertragsbrüchige Partei bei Vertragsabschluss als mögliche Folge der Vertragsverletzung vorausgesehen hat oder unter Berücksichtigung der Umstände, die sie kannte oder kennen musste, hätte voraussehen müssen“ spricht eindeutig gegen das Erfordernis einer vorherigen wirksamen Vertragsaufhebung. Voraussetzung des Art. 74 CISG ist das Vorliegen eines Vertragsbruchs. Ausreichend ist somit jede einfache Pflichtverletzung des Schuldners i.S.v. Art. 45 (1) (b) CISG. Weder bedarf es einer wesentlichen Vertragsverletzung noch einer vorherigen Aufhebungserklärung. Der Wortlaut enthält keinen Hinweis auf das zusätzliche Erfordernis einer Vertragsaufhebung. Es kommt nicht einmal auf Recht des Gläubigers zur Vertragsaufhebung an. So setzt Art. 74 CISG, anders als Art. 49 und 64 CISG, gerade nicht eine wesentliche Vertragsverletzung oder den Ablauf einer Nachfrist voraus. 645
Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 311.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
2. Die historische Auslegung des Art. 74 CISG Zum gleichen Ergebnis führt die historische Auslegung. Die aktuelle Fassung des Art. 74 CISG entspricht weitestgehend der Vorläuferbestimmung des Art. 82 EKG. Art. 82 EKG befand sich an der Spitze eines Abschnitts des EKG, der die Überschrift „Schadensersatz in Fällen, in denen der Vertrag nicht aufgehoben ist“ enthielt. Bereits der erste Entwurf des CISG gab jedoch diese formelle Zweiteilung der Schadensersatzrechtsbehelfe im EKG in Fällen des aufgehobenen (Art. 84-87 EKG) und des fortbestehenden Vertrags (Art. 82-83 EKG) auf646. Mit Art. 74 CISG sollte ein Grundtatbestand eingeführt werden, der sowohl den Fall der Vertragsaufhebung als auch den des fortbestehenden Vertrags umfasst647. Art. 74 CISG findet daher auch dann Anwendung, wenn der Gläubiger vor Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erklärt hat, aufgrund der Vertragsverletzung des Schuldners nicht mehr am Vertrag festhalten zu wollen. Andernfalls würde der Gläubiger Gefahr laufen, sich für den falschen Rechtsbehelf zu entscheiden und kein Ersatz für die Schäden zu erhalten, die nicht durch Rückabwicklung der Leistungen ausgeglichen werden können648. Es würde jedoch der gesetzgeberischen Intention widersprechen, wenn das Vorliegen einer wirksamen Vertragsaufhebung stets Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs gem. Art. 74 CISG wäre649. In Betracht käme allein eine Differenzierung nach der Art des Schadens, d.h. danach, ob es sich um einen Nichterfüllungs- oder Verzugsschaden handelt. Auch dem stehen aber die Genesis der Norm und die Intention der Konventionsgeber, einen einheitlichen Haftungstatbestand zu schaffen, entgegen. Diese Intention, spricht vielmehr dafür, dass alle Schadensposten gem. Art. 74 CISG unabhängig vom Vorliegen einer wirksamen Aufhebung zu ersetzen sind. 3. Die systematische Auslegung des Art. 74 CISG Das CISG sieht hinsichtlich einer ganzen Reihe von Rechtsbehelfen explizit vor, dass diese dem Gläubiger nur bei Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung zur Verfügung stehen. Dies gilt für das Recht des Käufers zur Nachlieferung gem. Art. 46 (2) CISG sowie für die Rechte des Käufers und Verkäufers zur Vertragsaufhebung gem. Art. 49, 51 (2), 72, 73 CISG. Im Umkehrschluss, so wird argumentiert, stehe der Schadensersatzrechtsbehelf dem Gläubiger in jedem Fall einer Vertragsverletzung zur Verfü-
646 647 648 649
Vgl. Art. 55 Genfer Entwurf, UNCITRAL Yearbook VI [1975] S. 62, Rn. 107. Staudinger/Magnus, Art. 74, Rn. 6. MK/Huber, Art. 74, Rn. 9. Unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte: Bianca/Bonell/Knapp, Art. 74, Rn. 1.4.
2. Kapitel: Die Sachfragen
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gung und sei nicht an ein Recht zur Vertragsaufhebung gebunden650. Hierfür spricht zudem der Vergleich des Tatbestands des Art. 74 CISG mit denen der Art. 75 und 76 CISG. Letztere Normen setzen explizit die vorherige wirksame Vertragsaufhebung des Gläubigers voraus. E-contrario ist davon auszugehen, dass der Ersatz der von Art. 74 CISG erfassten Schäden nicht von einer vorherigen Vertragsaufhebung abhängt. Folgende systematische Erwägung spricht hingegen für das Erfordernis der Vertragsaufhebung in Art. 74 CISG. Die explizite Erwähnung der Vertragsaufhebung in den Vorschriften zum Differenzschaden spricht dafür, dass eine Berechnung des Nichterfüllungsschadens anhand des Differenzbetrags stets an das Vorliegen der Aufhebung gekoppelt ist. Die Befürworter des Erfordernisses der Vertragsaufhebung sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass die Normen zum Differenzschaden „selbstverständlich“ von einer parallelen Vertragsaufhebung im Fall der Liquidation des Erfüllungsinteresses ausgingen. Es sei eine „Selbstverständlichkeit“, die Gewährung des Erfüllungsinteresses im Rahmen von Art. 74 CISG an diese Voraussetzung zu binden651. 4. Die teleologische Auslegung des Art. 74 CISG Die trotz des gegenteiligen Wortlauts des Art. 74 CISG vielfach in Literatur und Rechtsprechung vertretene Ansicht652, dass ein Ersatz des Erfüllungsinteresses und somit auch des Differenzschadens an eine vorherige Vertragsaufhebung zu koppeln ist, stützt sich im Wesentlichen auf drei teleologische Erwägungen: Die Gefahr der Doppelkompensation, die Gefahr der Umgehung der vom CISG vorgesehenen erschwerten Voraussetzungen des Rechtsbehelfs der Vertragsaufhebung sowie die Substitutionsfunktion des Differenzschadensersatzes. Zur Gefahr der Doppelkompensation: Ziel eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung ist, den Gläubiger wirtschaftlich in die Position zu versetzen, die er innehätte, wenn der Schuldner seinen vertraglichen Pflichten ordnungsgemäß nachgekommen wäre653. Der Ersatz des Erfüllungsinteresses ist die wirtschaftliche Fortsetzung des Prinzips pacta sunt servanda654. Die Möglichkeit, im Wege des Schadensersatzanspruchs die vollständige Erstattung seines wirtschaftlichen Erfüllungsinteresses verlangen zu können, führt dazu, dass es in der Regel für den Gläubiger keinen Unterschied darstellt, ob der 650 651 652 653 654
Karollus, S. 206. Stoll, Erfüllungsverweigerung, S. 635; Weber, Vertragsverletzungsfolgen, S. 191. Stoll, Schadensersatzpflicht, S. 264. Saidov, Limiting Damages, S. 2; Treitel, Remedies, S. 76. Chengwei, Remedies, S. 2 „The right to damages is deduced from the principle pacta sunt servanda.”
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
Schuldner tatsächlich und freiwillig seinen Leistungspflichten nachkommt oder unfreiwillig durch ein Gericht zur Leistung von Schadensersatz in Höhe des Erfüllungsinteresses verurteilt wird655. Entscheidet sich der Gläubiger aber im Fall einer Vertragsverletzung des Schuldners für den Ersatz des Erfüllungsinteresses im Wege des Schadensersatzanspruchs, kann er nicht mehr zusätzlich die tatsächliche Vornahme der vom Schuldner versprochenen Leistung gem. Art. 46 CISG oder gem. Art. 62 CISG verlangen656. Man spricht insofern vom Verbot der „Doppelkompensation“657. Könnte der Gläubiger weiterhin Erfüllung verlangen, müsste der Schuldner den Vertrag doppelt erfüllen; wirtschaftlich im Wege der Zahlung von Schadensersatz und tatsächlich im Wege der Naturalerfüllung. Koppelt man hingegen das Recht des Gläubigers auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung an die vorherige Vertragsaufhebung, ist die Gefahr einer doppelten Kompensation des Gläubigers ausgeschlossen658. Daher, so die Befürworter der Vertragsaufhebung, sei es geboten, die Gewährung eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung sowie den Ersatz des Differenzschadens vom Vorliegen einer vorherigen Vertragsaufhebung abhängig zu machen659. Auch die Gegenansicht, der zufolge der Ersatz des Erfüllungsinteresses nicht an die vorherige Aufhebung des Vertrags zu koppeln ist, erkennt das Problem der drohenden Doppelkompensation des Gläubigers660. Eine Doppelkompensation drohe insbesondere deshalb, weil das CISG - anders als das deutsche Recht - keine Bestimmung enthält, derzufolge das Verlangen von Schadensersatz wegen Nichterfüllung zugleich zum Erlöschen des Erfüllungsanspruchs führt661. Jedoch löst diese Ansicht die Problematik der Doppelkompensation mittels eines Rückgriffs auf die Bestimmungen der Art. 46 und 62 CISG662. Diese knüpfen die Geltendmachung des Erfüllungsanspruchs des Gläubigers an die Voraussetzung, dass dieser keinen Rechtsbehelf ausgeübt hat, der mit diesem Verlangen „unvereinbar“ wäre. „Unvereinbar“ mit dem Anspruch auf Erfüllung sei neben der erklärten Vertragsaufhebung auch der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung663. Ähnlich wie die Erklärung der Vertragsaufhebung entfalte die rechtmäßige Geltendmachung des Anspruchs auf Schadensersatz wegen 655 656 657 658 659 660 661
Burrows, Remedies, S. 20; Saidov, Limiting Damages, S. 2. MK/Huber, Art. 74, Rn. 9. Achilles, Art. 45, Rn. 8. Welser, Vertragsverletzung, S. 116. MK/Huber, Art. 74, Rn. 10. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 2. Vgl. § 281 (4) BGB: „Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, sobald der Gläubiger statt der Leistung Schadensersatz verlangt hat.“ 662 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 310. 663 Achilles, Art. 46, Rn. 3; Enderlein/Maskow/Strohbach, Art. 46, Rn. 2.
2. Kapitel: Die Sachfragen
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Nichterfüllung Gestaltungswirkung und binde den Gläubiger an sein einmal ausgeübtes Wahlrecht. Die Gefahr der Doppelkompensation des Gläubigers allein vermöge es daher nicht, das Erfordernis einer vorherigen Vertragsaufhebung zu begründen664. Die vorgenannten Ansichten kommen scheinbar zum gleichen Ergebnis. Doch beantwortet der von der letztgenannten Ansicht erwogene Rückgriff auf die Vorschriften der Art. 46 und 62 CISG weder die Frage des Schicksals des Erfüllungsanspruchs des Schuldners noch dessen fortbestehendes Recht zur Leistungsvornahme. Die bloße Aussage, dass der Gläubiger nicht zusätzlich zum Schadensersatz vom Schuldner Erfüllung in natura verlangen kann, gibt keinen Aufschluss darüber, ob der Schuldner seinerseits berechtigt bleibt, zu erfüllen und vom Gläubiger Erfüllung zu verlangen665. Zur Gefahr der Umgehung der erschwerten Voraussetzungen: Die Ansicht, derzufolge am Erfordernis einer vorherigen Vertragsaufhebung festzuhalten ist, weist ferner darauf hin, dass es wertungsmäßig bedenklich sei, dass der Gläubiger, der die hohen Hürden der Vertragsaufhebung (wesentliche Vertragsverletzung oder erfolglose Nachfrist) nicht genommen oder die zeitlichen Grenzen des Aufhebungsrechts versäumt hat, das wirtschaftlich gleichwertige Ergebnis mittels eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung erreichen könne666. Dies gelte umso mehr, als das Recht des Gläubigers auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung noch über die Folgen der Vertragsaufhebung hinausgehe667. Neben der faktischen Befreiung der Parteien von ihrer Leistungspflicht ist es dem Gläubiger zusätzlich möglich, einen Anspruch auf Schadensersatz geltend zu machen, durch den das Vertragsverhältnis seine Fortsetzung und Abwicklung findet. Der Ersatz des Erfüllungsinteresses sei daher an die gleichen Voraussetzungen zu binden wie die Vertragsaufhebung668. Die Gegenansicht verweist hingegen darauf, dass Sinn und Zweck der hohen Voraussetzungen einer Vertragsaufhebung im Fall des Verlangens von Schadensersatz wegen Nichterfüllung nicht einschlägig seien. Zweck der Wesentlichkeitsschwelle sei es allein, die Entstehung unwirtschaftli-
664 Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 46, Rn. 7; Staudinger/Magnus, Art. 46, Rn. 19. 665 Dies gilt nach richtiger Ansicht trotz § 281 (4) BGB auch im deutschen Recht. Die eigenen Leistungspflicht des Gläubigers erlischt nur im Fall des Rücktritts gem. § 323 BGB, MK/Ernst, § 281 Rn. 11. 666 MK/Huber, Art. 74, Rn. 9. 667 Huber, Rechtsbehelfe, S. 216: „Der Schadensersatz ist kein aliud gegenüber dem Rücktritt, sondern in Wirklichkeit, wie jedem unmittelbar anschaulich wird, ein Plus.“ 668 Huber, Rechtsbehelfe, S. 214 f.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
cher Rückabwicklungskosten zu vermeiden. Diese Gefahr aber bestünde im Fall des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung nicht669. Zur Substitutionsfunktion des Differenzschadensersatzes: Die Ermittlung des Differenzschadens erfolgt durch eine Gegenüberstellung des Vertragspreises des Ausgangsgeschäfts und des Vertragspreises des Ersatzgeschäfts. Ein Differenzschaden des Gläubigers liegt dann vor, wenn der im Ersatzgeschäft vorgesehene Preis für ihn nachteilig, d.h. im Fall des Deckungsverkaufs „unter“ und im Fall des Deckungskaufs „über“ dem im ursprünglichen Vertrag vorgesehenen Vertragspreis liegt. Bereits der Begriff „Ersatzgeschäft“ macht deutlich, dass bei dieser Art der Berechnung das mit dem Dritten abgeschlossene Rechtsgeschäft an die Stelle des ursprünglichen Ausgangsgeschäfts tritt. Die Durchführung des Ersatzgeschäfts stellt eine Mischform eines auf Ersatz des Erfüllungsinteresses in Geld sowie eines auf Schadensersatz in natura gerichteten Rechtsbehelfs dar. Sie gestattet dem Gläubiger, zumindest teilweise den ursprünglichen Vertrag durchzuführen, d.h. als Verkäufer die Ware zu veräußern und als Käufer die geschuldete Ware zu beziehen. Es erscheint somit einsichtig, dass eine tatsächliche Durchführung des Ausgangsgeschäfts nicht zusätzlich zu dieser Form der Schadensberechnung in Betracht kommt. Folgerichtig koppeln Art. 75 und 76 CISG die Differenzschadensberechnung an das Vorliegen einer vorherigen wirksamen Vertragsaufhebung. Erst durch die wirksame Vertragsaufhebung gewinnt der Gläubiger die Dispositionsfreiheit zurück, die ihm gestattet, zu einem Ersatzgeschäft überzugehen und somit von seinen ursprünglichen Leistungsverpflichtungen gegenüber dem Schuldner Abstand zu nehmen. II. Das Prinzip der Wirtschaftlichkeit Die vorherigen Ausführungen mögen die Vermutung nahe legen, die Frage der Ersatzfähigkeit des Differenzschadens im Rahmen von Art. 74 CISG sei ein dogmatisches „Spezialproblem“670. Der Eindruck täuscht. Die Frage der Ersatzfähigkeit der Mehrkosten eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts ist eine höchst praktische. Nicht zuletzt die zuvor erwähnten Fälle aus der gerichtlichen Praxis verdeutlichen, dass die Vornahme eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts den praktischen Gepflogenheiten und wirtschaftlichen Bedürfnissen des internationalen Handels entspricht. Diesem Umstand ist bei der Entwicklung einer wirtschaftlich angemessenen und interessensgerechten Lösung Rechnung zu tragen. 669 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 2: „The threshold for avoidance is not supposed to prevent liquidation of a contract, but only the unwinding of contracts and the necessity to restitute goods already delivered and thus requiring transportation, possibly storage and other costly actions.” 670 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 18.
2. Kapitel: Die Sachfragen
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Die in Art. 77 CISG normierte Pflicht zur Schadensminderung ist ein denkbarer Ansatz, der es ermöglicht, diesem Anspruch gerecht zu werden. Art. 77 CISG beinhaltet die Pflicht des Gläubigers „alle den Umständen nach angemessenen Maßnahmen zur Verringerung des aus der Vertragsverletzung folgenden Verlusts, einschließlich des entgangenen Gewinns, zu treffen“. Einfacher ausgedrückt: „Der Gläubiger ist nach Treu und Glauben gezwungen, den Schaden klein zu halten“671. Die Praxis internationaler Kaufverträge zeigt, dass sich in einer Vielzahl von Fällen ein drohender Nichterfüllungsschaden – jedenfalls bei marktgängiger Ware – durch die rechtzeitige Vornahme eines angemessenen Deckungsgeschäfts vermeiden oder zumindest verringern lässt672. Ist dies der Fall, folgt aus Art. 77 CISG die Pflicht des Gläubigers, ein Deckungsgeschäft vorzunehmen673. Unterlässt der Gläubiger hingegen die Vornahme eines schadensmindernden Deckungsgeschäfts, läuft er Gefahr, seinen Anspruch auf Schadensersatz gem. Art. 74 CISG zu verlieren. Ob die Vornahme eines Deckungsgeschäfts im Sinne von Art. 77 CISG geboten war, bemisst sich nicht anhand rechtlicher, sondern anhand wirtschaftlicher Kriterien. Für den Gläubiger stellt sich daher die Frage, ab welchem Zeitpunkt es wirtschaftlich geboten ist, ein Deckungsgeschäft vorzunehmen. Nicht immer wird dieser Zeitpunkt mit dem von Art. 75 CISG vorgesehenen Zeitpunkt einer „angemessen Zeit nach Vertragsaufhebung“ zusammenfallen. Vielmehr werden drohende Betriebsausfallschäden, die Gefahr einer verpassten lukrativen Weiterverkaufsmöglichkeit und ein sich negativ entwickelnder Marktpreis dazu führen, dass es für den Gläubiger wirtschaftlich sinnvoll erscheint, bereits vor Vertragsaufhebung oder sogar vor Vertragsbruch ein Deckungsgeschäft zu tätigen. Es sind somit Fälle denkbar, in denen es zwar am Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs gem. Art. 75 und 76 CISG mangelt, die Vornahme des Deckungsgeschäfts jedoch gleichwohl aus wirtschaftlichen Gründen geboten erscheint. Bejaht man in diesen Fällen eine Pflicht des Gläubigers zur Vornahme eines Deckungsgeschäfts, so wäre es grob unbillig, ihm im Gegenzug den Ersatz eines ihm hieraus entstandenen Differenzschadens unter dem bloßem Hinweis auf das Nichtvorliegen der formalen Voraussetzungen der Art. 75 und 76 CISG zu verweigern. Möchte man aber zugleich, wie hier vertreten, an der wortlautgetreuen Auslegung der Art. 75 und
671 672
Staudinger/Magnus, Art. 77, Rn. 1. OLG Celle vom 02.9.1998, CISG-online 506; OLG Hamburg vom 28.2.1997, CISG-online 261; OLG Düsseldorf vom 13.09.1996, CISG-online 407 (insbesondere bei unangemessenen Kosten der Nachbesserung). 673 Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 77, Rn. 9; Staudinger/Magnus, Art. 77, Rn. 11.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
76 CISG festhalten, muss es dem Gläubiger möglich sein, seinen Schaden im Rahmen des Grundtatbestands des Art. 74 CISG zu liquidieren. Ist es hingegen wirtschaftlich betrachtet zweckmäßiger, am ursprünglichen Vertrag und seinem Pflichtenprogramm festzuhalten, scheidet ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens gem. Art. 74 CISG aus. Zur Veranschaulichung diene das Beispiel eines sich im Annahmeverzug befindenden Käufers674. Der ungeduldige Verkäufer, der einen Verfall der Marktpreise befürchtet, veräußert, ohne den Vertrag mit dem Käufer aufzuheben, die Ware an einen Dritten und verlangt Ersatz seines Differenzschadens gem. Art. 74 CISG. Der Käufer hingegen verlangt unter Hinweis auf den fortbestehenden Vertrag Lieferung. Für den Verkäufer stellt sich nunmehr das Problem, erneut erfüllen zu müssen. Die ihm durch die doppelte Lieferung entstandenen Mehrkosten sind im Fall der wirtschaftlichen Gebotenheit des ersten Verkaufs als Verspätungsschaden gem. Art. 74 CISG ersetzbar. Stellt sich jedoch der erste Verkauf als voreilig heraus und wäre es wirtschaftlich geboten gewesen, dem Käufer eine Nachfrist zu setzen und erst nach einer wirksamen Vertragsaufhebung das Deckungsgeschäft zu tätigen, so scheidet ein Anspruch des Verkäufers auf Ersatz des Differenzschadens genauso aus wie ein Ersatz der Mehrkosten der erneuten Lieferung an den Käufer675. Die Ersatzfähigkeit des Differenzschadens ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn bereits vor Vertragsaufhebung eine rechtliche Pflicht zum Deckungsgeschäft entsteht. Bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise erscheint eine solche Pflicht durchaus denkbar. Bereits im Rahmen des Art. 77 CISG ist jedoch dargelegt worden676, dass diese Pflicht nicht dazu führen kann, dass der Gläubiger gezwungen wäre, vom Erfüllungsanspruch Abstand zu nehmen und zur Geltendmachung von Schadensersatz wegen Nichterfüllung überzuwechseln677. Dies wäre ein Verstoß gegen das Prinzip pacta sunt servanda. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Festhalten am Erfüllungsanspruch rechtsmissbräuchlich und spekulativ wäre 678. Hieran ist festzuhalten. Der Umstand, dass keine Pflicht des Gläubigers besteht, ein vorzeitiges Deckungsgeschäft vorzunehmen, bedeutet jedoch nicht zwingend, dass kein Recht des Gläubigers besteht, ein solches vorzunehmen. Zwei Grundkonstellationen des vorzeitigen Deckungsgeschäfts sind denkbar:
674 675
Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 5. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 5 “in most cases it would be more reasonable to set an additional period of time for the buyer to take delivery“. 676 Vgl. die Darstellung auf S. 117 ff. 677 Staudinger/Magnus, Art. 77, Rn. 11. 678 Brunner, Art. 77, Rn. 2; Witz/Salger/Lorenz, Art. 77, Rn. 3.
2. Kapitel: Die Sachfragen
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Die erste Konstellation ist dadurch gekennzeichnet, dass nach Tätigung des Deckungsgeschäfts die Leistung des Schuldners endgültig ausbleibt und der Gläubiger infolgedessen berechtigt ist, den Vertrag aufzuheben. Hierbei stellt sich heraus, dass bei einem weiteren Zuwarten des Gläubigers bis zu Zeitpunkt der wirksamen Vertragsaufhebung ein noch größerer Schaden entstanden wäre. „Ex post“ und wirtschaftlich betrachtet erscheint das Vorgehen des Gläubigers somit sinnvoll. Im Umkehrschluss spricht auf den ersten Blick daher vieles dafür, dem Gläubiger zu gestatten, auch einen vorzeitigen Differenzschaden im Rahmen von Art. 74 CISG zu liquidieren. Die zweite Konstellation ist dadurch gekennzeichnet, dass der Schuldner nach Vornahme des Deckungsgeschäfts durch den Gläubiger wider Erwarten doch leistet. „Ex post“ betrachtet erweist sich das Deckungsgeschäft diesmal als verfrüht, denn in dieser Konstellation ist der Gläubiger gezwungen, seine Leistung ein zweites Mal zu erbringen. War es aus der wirtschaftlichen ex ante Perspektive des Gläubigers gleichwohl geboten, so vorzugehen, so spräche gleichwohl auch in dieser Konstellation die ökonomische Ratio für die Ersatzfähigkeit des vorzeitigen Differenzschadens. Zumindest erscheint es problematisch, den Schuldner in den Fällen der endgültig ausbleibenden Leistung vom Verhalten des Gläubigers profitieren zu lassen, ohne ihn im Fall der verspäteten Leistung am Risiko des Deckungsgeschäfts zu beteiligen. Rein wirtschaftlich betrachtet ist nämlich jedes Verhalten zu belohnen, das aus der ex ante Sicht eines objektiven Dritten geeignet ist, einen höheren Schaden zu vermeiden. Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Prinzip der Wirtschaftlichkeit eher für einen umfassenden Ersatz des Differenzschadens und somit für eine Einbeziehung vorzeitiger Deckungsgeschäfte in die Schadensberechnung spricht. III. Das Prinzip der Totalreparation Grundlegendes Prinzip der Normen des CISG zum Schadensersatz ist das Prinzip der Totalreparation. Der Gläubiger hat Anspruch auf vollen Ausgleich aller Nachteile, die ihm durch die Vertragsverletzung entstanden sind679. Die Bestimmung des ersatzfähigen Schadens erfolgt mittels der Differenzhypothese: Zu vergleichen ist der hypothetische Vermögenszustand im Fall ordnungsgemäßer Erfüllung mit dem tatsächlich eingetretenen Vermögenszustand680. Das Grundprinzip des umfänglichen Ersatzes aller kausalen Schäden ist auch bei der Frage der Ersatzfähigkeit eines durch die Vornahme eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts entstandenen Differenzschaden zu beachten. Auch das vorzeitige, das heißt das vor der wirksamen Aufhebung des 679 680
OGH vom 14.01.2002, CISG-online 643; Bianca/Bonell/Knapp, Art. 74, Rn. 3. Witz/Salger/Lorenz, Art. 74, Rn. 12.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
Vertrags vorgenommene Deckungsgeschäft, ist Folge der nicht ordnungsgemäßen Leistung des Schuldners. Etwas anderes gilt nur für das bereits vor Vertragsbruch getätigte Ersatzgeschäft. Somit ist auch der aus dem vorzeitigen Deckungsgeschäft entstandene Differenzschaden Folge der Pflichtverletzung des Schuldners. Bei Zugrundelegung des Prinzips der Totalreparation ist somit zunächst nicht ersichtlich, aus welchen Gründen es dem Gläubiger verwehrt sein sollte, seinen Differenzschaden im Rahmen einer Berechnung gem. Art. 74 CISG geltend zu machen. Der kausale Zusammenhang entfällt auch nicht bereits dadurch, dass der Gläubiger das Deckungsgeschäft selbst vorgenommen hat. Andernfalls wäre ein Differenzschaden nie zu ersetzen. Die Vornahme geschah gerade nicht aufgrund eines autonomen Willensentschlusses, sondern war zurechenbare und vorhersehbare Folge der Vertragsverletzung des Schuldners. Zusammenfassend spricht somit auch das Prinzip der Totalreparation eher für die umfassende Ersatzfähigkeit von Differenzschäden im Rahmen von Art. 74 CISG. IV. Das Prinzip des Erfüllungsvorrangs Die Gewährung eines Rechts des Gläubigers auf umfassenden Ersatz vorzeitiger Differenzschäden im Rahmen des Art. 74 CISG müsste selbstverständlich auch mit der Struktur der Rechtsbehelfe des CISG im Übrigen harmonieren. Primärer Rechtsbehelf des Gläubigers im CISG ist der Erfüllungsanspruch681. Auch im Fall der nicht ordnungsgemäßen Leistung ist der Gläubiger berechtigt, Erfüllung in natura zu verlangen und keineswegs gezwungen einen Rechtsbehelf zu wählen, der sich auf den Ersatz des Geldwerts der Leistung beschränkt682. Hierin liegt einer der wesentlichen Unterschiede zwischen dem System der Rechtsbehelfe im CISG und im angloamerikanischen Rechtskreis683. Der Vorrang des Erfüllungsanspruchs führt dazu, dass prinzipiell keine Pflicht des Gläubigers besteht, auf Erfüllung in natura zu verzichten und Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen. Insofern erfuhr der Rechtsbehelf der Erfüllung eine Aufwertung im Vergleich zum EKG. Das EKG normiert in Art. 25 und 61 EKG den Ausschluss des Erfüllungsanspruchs des Gläubigers für den Fall der Möglichkeit eines Deckungsgeschäfts zu angemessenen Bedingungen684. Auch das Kriterium der wesentlichen Vertragsverletzung dient letztlich dazu, den Vorrang der Erfüllung „in natura“ zu sichern. Die Rechtsbehelfe, die von einem Erlöschen der Erfüllungspflichten ausgehen, sind an das 681 682 683 684
Achilles, Art. 46, Rn. 1; Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 46, Rn. 1. Vgl. Art. 46 (1) und 62 CISG. MK/Huber, Art. 46, Rn. 2. Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 49, Rn. 28.
2. Kapitel: Die Sachfragen
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Vorliegen der erschwerten Voraussetzung der wesentlichen Vertragsverletzung geknüpft. Die Rechtsbehelfe hingegen, die von einem Fortbestehen der vertraglichen Leistungspflichten ausgehen, sind allein an das Vorliegen einer einfachen Pflichtverletzung des Gläubigers geknüpft. Ziel der Einführung der Wesentlichkeitsschwelle war es somit nicht nur, die Entstehung erhöhter Rückabwicklungskosten zu vermeiden685, sondern die Erfüllung des Leistungsversprechens als solche zu sichern. Man spricht insofern von einem „System der abgestuften Rechtsbehelfe“686. Ziel dieses Systems ist die Durchsetzung des Prinzips pacta sunt servanda. Auch das Erfordernis der Nachfrist als Voraussetzung der Vertragsaufhebung schützt das ursprüngliche Recht des Schuldners zur Erfüllung. So verbieten es Art. 47 (2) und 63 (2) CISG dem Gläubiger vor Ablauf der Nachfrist, einen Rechtsbehelf auszuüben, der das Recht des Schuldners auf Erfüllung konterkarieren würde. Es bleibt somit festzuhalten, dass nicht nur das Recht des Gläubigers, Erfüllung zu verlangen, sondern auch das Recht des Schuldners, erfüllen zu dürfen, besonderen Schutz in den Regelungen des CISG erfahren hat. Diesen Prämissen hat jede Lösung der Frage der Ersatzfähigkeit des Differenzschadens und seiner Voraussetzungen angemessen Rechnung zu tragen. § 3 Die Ersatzfähigkeit der Mehrkosten eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts als Schadensersatz wegen Verzugs Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Ersatzfähigkeit der aus einem vorzeitigen Deckungsgeschäft entstandenen Mehrkosten im Rahmen eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gem. Art. 74 CISG zumindest zweifelhaft ist. Insofern stellt sich die Frage, ob der Gläubiger diese Mehrkosten eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts zumindest im Rahmen eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Verzugs gem. Art. 74 CISG geltend machen könnte. Diese Frage wird sowohl in der Literatur zum CISG687 als auch in der Rechtsprechung zum EKG688 erörtert. Sie stellt sich ebenso im nationalen unvereinheitlichten Recht689. Die Verzögerung der fälligen Leistung, sei es in Form der gänzlich ausgebliebenen oder in Form der bloß nicht ordnungsgemäßen Leistung (Minder- oder Schlechtleistung), berechtigt den Gläubiger, angemessene Maßnahmen zur Überwindung des zeitweiligen Ausfalls zu treffen. Auch die Vornahme eines Deckungsgeschäfts kann eine solche angemessene Maß685 686 687 688 689
So aber Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 16. Vergleiche hierzu die Ausführungen im Teil 1 auf S. 46. Schlechtriem/Stoll, Art. 74, Rn. 16 unter Hinweis auf BGH NJW 1998, 2901. LG Heidelberg 30.1.1979 in Schlechtriem/Magnus, Art. 88 Nr. 2. Huber, Leistungsstörungen II, § 48 III 3; MK/Ernst, § 280, Rn. 118.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
nahme darstellen690. Ein solches, wenn auch möglicherweise verfrühtes Handeln des Gläubigers ist im normalen Geschäftsverkehr für den Schuldner ohne weiteres vorhersehbar. Liegen die Mehrkosten des Deckungsgeschäfts unter den drohenden Schadenskosten im Fall der endgültigen Nichtleistung des Schuldners, so besteht zudem ein wirtschaftlicher Anreiz für den Gläubiger, ein vorzeitiges Deckungsgeschäft vorzunehmen. Dieses Vorgehen entspricht schließlich auch dem Interesse des ersatzpflichtigen Schuldners. Es dient der Vermeidung eines größeren Schadens. Zu denken ist zum einen an einen drohenden Gewinnausfall, entweder in Form eines entgangenen Weiterverkaufs oder eines eintretenden Betriebsausfallschadens, und zum anderen an einen drohenden Haftungsschaden des Gläubigers. Sehr umstritten ist in diesem Zusammenhang die Frage der Berechnung eines aus dem Deckungsgeschäft resultierenden Verzugsschadens. Insbesondere ist strittig, ob diese Berechnung unter der Annahme des Fortbestehens691 oder des Erlöschens der Erfüllungsansprüche beider Parteien vorzunehmen ist. Teilweise wird eine unterschiedliche Lösung für die Fälle des säumigen Käufers bzw. des säumigen Verkäufers vorgeschlagen692. Zumindest letzteres erscheint widersprüchlich. Jedoch birgt auch eine Berechnung unter der Prämisse des Fortbestehens der Erfüllungsansprüche stets die Gefahr, dass beide Parteien ihre Leistung praktisch doppelt erbringen müssen. Es sprechen somit zumindest auf den ersten Blick gute Gründe für die Aussage Ulrich Hubers zum internen Recht, wonach „die einzige diskussionswürdige Lösung darin bestünde, dem Gläubiger die Mehrkosten des Deckungsgeschäfts zuzusprechen und zugleich sowohl den Anspruch auf die Leistung als auch die Verpflichtung zur Gegenleistung wegfallen zu lassen“693. § 4 Zusammenfassung Art. 74 CISG bildet den Grundtatbestand im Schadensersatzrecht des CISG. Der erklärte Wille der Konventionsgeber, einen Tatbestand zu schaffen, der in jedem Fall der Vertragsverletzung Anwendung findet, und die Tatsache, dass Art. 75 und 76 CISG bloße Beweiserleichterungsregeln zu Gunsten des Gläubigers darstellen, sprechen für die Zulässigkeit der konkreten Differenzschadensberechnung gem. Art. 74 CISG. Bei der Frage der Ersatzfähigkeit der Mehrkosten eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts als Schadensersatz wegen Nichterfüllung sind folgende 690 691
Schlechtriem/Stoll, Art. 74, Rn. 16. Hierfür: Schlechtriem/Stoll, Art. 74, Rn. 16 unter Hinweis auf BGH NJW 1998, 2901; Honsell/Schönle, Art. 74, Rn. 35. 692 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 5. 693 Huber, Leistungsstörungen II, § 30 I 3.
3. Kapitel: Die Lösungsansätze der Literatur
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Wertungsgesichtspunkte zu berücksichtigen: Zunächst stellt sich die Gefahr der Umgehung der Voraussetzungen der Art. 75 und 76 CISG, insbesondere des Erfordernisses der Vertragsaufhebung. Sprechen Wortlaut, Historie und Systematik tendenziell gegen die Beachtung dieses Erfordernisses im Rahmen von Art. 74 CISG, so spricht der Zweck des Ersatzes des Differenzschadens eindeutig dafür. Andernfalls bestünde die Gefahr der Doppelkompensation und der Umgehung der Wesentlichkeitsschwelle. Das Prinzip der Wirtschaftlichkeit und das Prinzip der Totalreparation hingegen lassen das Bedürfnis erkennen, dem Gläubiger durch die Möglichkeit der Einbeziehung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts in seine Schadensberechnung einen Anreiz zu geben, auch bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 75 CISG wirtschaftlich sinnvolle Deckungsgeschäfte zu tätigen. Zu beachten ist jedoch, dass Art. 77 CISG keine Pflicht des Gläubigers begründet, von seinem Erfüllungsanspruch Abstand zu nehmen. Der Vorrang des Erfüllungsanspruchs ist eines der Grundprinzipien des CISG. Eine Reihe von Beiträgen der Literatur versucht, die Problematik durch die Gewährung eines Verzugsschadensanspruchs zu lösen. Uneinigkeit herrscht bezüglich der Berechnung dieses Anspruchs: Teilweise wird eine Berechnung anhand der Differenzschadensregel befürwortet. Ferner findet sich der Vorschlag einer echten Verzugschadensberechnung anhand des vollen Preises des Deckungsgeschäfts abzüglich einer Vorteilsanrechnung. Ungeklärt ist ferner das Schicksal der Leistungsansprüche. Ein außerordentliches Aufhebungsrecht erscheint zumindest denkbar.
3. Kapitel: Die Lösungsansätze der Literatur Aus Gründen der Übersichtlichkeit beschränkt sich die Analyse auf die drei wesentlichen Lösungsansätze im Schrifttum. Die jeweils prägnanteste Darstellung entstammt den Beiträgen Schönles (§ 1), Schlechtriems (§ 2) und Hubers (§ 3). § 1 Der Lösungsansatz Schönles Der radikalste Lösungsansatz findet sich bei Schönle in seiner Kommentierung der Art. 74 bis 77 CISG694. Er basiert auf einer strikt wortlautgetreuen Auslegung der Normen im Schadensersatzrecht des CISG. Der Konzeption Schönles zufolge fungiert Art. 74 CISG als stets anwendbarer Grundtatbestand695. Art. 75 und 76 CISG enthielten lediglich eine Beweislasterleichterung zugunsten des Gläubigers für den Fall des aufgehobenen Vertrags. Sie stellten Berechnungsregeln auf, die es dem 694 695
Honsell/Schönle, Art. 74-77. Honsell/Schönle, Art. 74, Rn. 12.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
Gläubiger unter bestimmten Voraussetzungen gestatten, seinen Schadens abstrakt oder konkret zu berechnen, ohne an die zusätzliche Voraussetzung der Vorhersehbarkeit gebunden zu sein696. Weder Art. 75 CISG noch Art. 76 CISG entfalte eine Sperrwirkung, die einen Rückgriff auf den Grundtatbestand des Art. 74 CISG verbieten könne697. Bei Vorliegen der jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen bestehe vielmehr ein unbeschränktes Wahlrecht des Gläubigers, seinen Schaden entweder in Anwendung der speziellen Bestimmungen zum Ersatz des Differenzschadens, Art. 75 und 76 CISG, oder in Anwendung des Grundtatbestandes des Art. 74 CISG zu berechnen. Im Hinblick auf die Konsequenz dieses Wahlrechts des Gläubigers sind zwei Konstellationen zu unterscheiden: Zur Konsequenz des Wahlrechts im Fall des aufgehobenen Vertrags: Schönle zufolge ist der Gläubiger trotz wirksamer Erklärung der Vertragsaufhebung nicht an die Geltendmachung eines Differenzschadens gem. Art. 75 und 76 CISG gebunden698. Die Tatsache, dass der Wortlaut des Art. 74 CISG eine wirksame Vertragsaufhebung nicht voraussetze, schließe nicht aus, dass der Geschädigte trotz Ausübung seines Rechts zur Vertragsaufhebung Schadensersatz gem. Art. 74 CISG verlangen könne. Der Wortlaut der Art. 75 und 76 CISG eröffne nur die „Möglichkeit“ des Gläubigers, seinen Schaden im Fall der Vertragsaufhebung unter erleichterten Voraussetzungen zu berechnen. Eine dahingehende Pflicht bestehe nicht699. Auch nach der Vertragsaufhebung sei der Gläubiger sowohl berechtigt, einen Differenzschaden gem. Art. 75 und 76 CISG geltend zu machen, als auch den Ersatz seines Erfüllungs-, Integritäts- oder Vertrauensinteresses gem. Art. 74 CISG zu verlangen700. Zur Konsequenz des Wahlrechts im Fall des fortbestehenden Vertrags: Schönle zufolge sind die Voraussetzungen der Art. 75 und 76 CISG bei der Anwendung des Grundtatbestandes des Art. 74 CISG nicht zu beachten701. Dies gelte insbesondere bezüglich des Erfordernisses der Vertragsaufhebung. Im Unterschied zu Art. 75 und 76 CISG setze Art. 74 CISG gerade nicht voraus, dass der Gläubiger zuvor die Aufhebung des Vertrags erklärt hat, weder der Käufer noch der Verkäufer. Der Gläubiger könne vielmehr gerade deswegen Ersatz seines Erfüllungsinteresses, „positiven Vertragsinteresses“, verlangen, weil der Vertrag weiterhin seine verpflichtende Kraft entfalte702. Allein das Fortbestehen des Vertrags gestatte 696 697 698 699 700 701 702
Honsell/Schönle, Honsell/Schönle, Honsell/Schönle, Honsell/Schönle, Honsell/Schönle, Honsell/Schönle, Honsell/Schönle,
Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.
75, Rn. 74, Rn. 74, Rn. 74, Rn. 74, Rn. 74, Rn. 74, Rn.
1. 14. 15. 15. 17. 14. 14.
3. Kapitel: Die Lösungsansätze der Literatur
141
dem Gläubiger, darauf zu bestehen, finanziell in die Position ordnungsgemäßer Erfüllung versetzt zu werden. Der Rechtsbehelf des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung sei insofern die wirtschaftliche Fortführung des Erfüllungsanspruchs. Die Ansicht, die den Ersatz des Nichterfüllungsschadens auch im Rahmen des Art. 74 CISG stets an die vorherige Aufhebung des Vertrags knüpfe, sei abzulehnen703. Es sei vielmehr „erstaunlich“, dass Art. 74 ff. CISG es dem Gläubiger zusätzlich gestatten, auch im Fall der Vertragsaufhebung Ersatz des Nichterfüllungsschadens zu verlangen704. Hierin läge ein „bemerkenswerter“ Unterschied des CISG zum nationalen Schweizer Recht705. Schönle zufolge besteht der Anspruch auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens im Fall des Fortbestehens des Vertrags gem. Art. 74 CISG auch in den Fällen, in denen es – trotz Bestehens eines Rechts zur Vertragsaufhebung – am Vorliegen einer Aufhebungserklärung fehlt706. Das CISG kenne anders als das EKG eben keine Pflicht des Gläubigers, von seinem Recht zur Aufhebung Gebrauch zu machen. Eine ipso facto Aufhebung sei eben gerade nicht vorgesehen. Bei Nichtausübung des Aufhebungsrechts träfe den Gläubiger nur die erschwerte Beweislast hinsichtlich der Höhe des geltend gemachten Nichterfüllungsschadens707. Dieser Beweislast könne der Gläubiger auch im Fall des fortbestehenden Vertrags durch den Nachweis eines Differenzschadens entsprechen708. Anders formuliert: Der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gem. Art. 74 CISG umfasse auch den Ersatz des Differenzschadens709. Schönle zufolge ist die Zulässigkeit der Berechnung eines Nichterfüllungsschadens anhand des Differenzschadens im Fall des fortbestehenden Vertrags auf einen allgemeinen, der Wiener Konvention zugrunde liegenden Grundsatz der Schadensberechnung, Art. 7 (2) CISG, zurückzuführen. Der Käufer könne einen Differenzschaden daher als „entgangenen Gewinn“, der Verkäufer als „effektiven Verlust“ seiner Schadensberechnung gem. Art. 74 CISG zugrunde legen710. Schönle geht jedoch noch einen Schritt darüber hinaus: Die fehlende Sperrwirkung der Art. 75 und 76 CISG führe dazu, dass im Fall des Fortbestehens des Vertrags Art. 74 CISG nicht nur eine konkrete, sondern auch eine abstrakte Berechnung des Differenzschadens gestatte711. Auch diesbe703 704 705 706 707 708 709 710 711
Honsell/Schönle, Honsell/Schönle, Honsell/Schönle, Honsell/Schönle, Honsell/Schönle, Honsell/Schönle, Honsell/Schönle, Honsell/Schönle, Honsell/Schönle,
Art. 74, Rn. 14. Art. 74, Rn. 17. vor. Art. 74-76, Rn. 2. Art. 75, Rn. 4. Art. 75, Rn. 4. Art. 75, Rn 5. Art. 74, Rn. 12. Art. 74, Rn. 12. Art. 74, Rn. 36
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
züglich bestehe ein Wahlrecht des Gläubigers. Daher sei es dem Gläubiger gestattet, seinen Schaden ähnlich wie im Rahmen von Art. 76 CISG anhand eines Vergleichs von Vertragspreis und Marktpreis zu berechnen712. „Möglicherweise“ sei es dem Gläubiger sogar zu gestatten, seinen entgangenen Gewinn im Rahmen von Art. 74 CISG abstrakt, durch den bloßen Beweis verschlechterter Marktverhältnisse, zu substantiieren713. Dies gelte jedenfalls dann, wenn eine solche Form der Berechnung im Rahmen des durch das IPR berufenen nationalen Prozessrechts zulässig sei714. In zwei Fällen nur sei eine Ausnahme vom Grundsatz des „unbeschränkten Wahlrechts des Gläubigers“ geboten: Erstens scheide eine abstrakte Berechnung anhand der Marktpreisregel dann aus, wenn nach wirksamer Vertragsaufhebung ein Deckungsgeschäft tatsächlich getätigt wurde. Dieser Vorrang der konkreten Berechnung gelte sowohl für den Fall, dass eine Berechnung anhand des konkreten Deckungsgeschäfts zu einem geringeren Schaden des Gläubigers führt715 als auch für den umgekehrten Fall, dass der konkret eingetretene Differenzschaden den abstrakt berechneten Schaden des Gläubigers übersteigt716. Zweitens scheide eine abstrakte Berechnung anhand der Marktpreisregel dann aus, wenn nach wirksamer Erklärung der Vertragsaufhebung der Abschluss eines konkreten Deckungsgeschäfts als „angemessene Maßnahme zur Verringerung des aus der Vertragsverletzung folgenden Verlusts“ erforderlich erscheine717. Eine Pflicht zur Schadensminderung gem. Art. 77 CISG, so Schönle, bestehe jedoch erst nach wirksamer Vertragsaufhebung und nicht bereits zuvor. Das wenn auch unbegründete Festhalten am Erfüllungsanspruch des Gläubigers stelle somit grundsätzlich keinen Fall der Verletzung der Pflicht zur Schadensminderung dar718. Eine Grenze bilde allein das Prinzip von Treu und Glauben, Art. 7 (1) CISG719. Mit anderen Worten: Es besteht zwar ein Recht des Gläubigers zur Berücksichtigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts, nicht jedoch eine Pflicht, ein solches vorzunehmen. § 2 Der Lösungsansatz Schlechtriems Auch Schlechtriem geht in der vierten Auflage seines Lehrbuches zum CISG720 sowie in einem Festschriftbeitrag aus dem Jahre 2005721 von ei712 713 714 715 716 717 718 719 720
Honsell/Schönle, Art. 75, Rn. 5. Honsell/Schönle, Art. 74, Rn. 36. Honsell/Schönle, Art. 75, Rn. 5. Honsell/Schönle, Art. 75, Rn. 8. Honsell/Schönle, Art. 75, Rn. 8. Honsell/Schönle, Art. 74, Rn. 15. Honsell/Schönle, Art. 77, Rn. 4. Honsell/Schönle, Art. 77, Rn. 4. Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 309.
3. Kapitel: Die Lösungsansätze der Literatur
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nem extensiven, wenn auch mit einigen Einschränkungen verbundenen Wahlrecht des Gläubigers im Rahmen der Art. 74 bis 76 CISG aus. Im Gegensatz zu Schönle stützt sich Schlechtriem jedoch nicht nur auf eine wortlautgetreue Auslegung der Art. 74 bis 76 CISG. Er verfolgt vielmehr einen wirtschaftlich determinierten Ansatz, dessen Ziel es ist, den besonderen Anforderungen des internationalen Handels gerecht zu werden722. Schlechtriem zufolge ist im Rahmen des Art. 74 CISG das Erfüllungsinteresse des Gläubigers unabhängig vom Vorliegen der in Art. 75 und 76 CISG normierten Voraussetzungen, insbesondere unabhängig vom Vorliegen einer wirksamen Vertragsaufhebung zu ersetzen723. Der Gläubiger sei auch im Rahmen des Art. 74 CISG berechtigt, seinen Nichterfüllungsschaden in Form eines sog. Differenzschadens, d.h. anhand der Mehrkosten eines Deckungsgeschäfts zu berechnen. Art. 74 CISG ermögliche dem Gläubiger jedoch nur, seinen Differenzschaden konkret zu berechnen724. Schlechtriem zufolge ergibt sich diese Einschränkung bereits aus dem Wortlaut des Art. 74 CISG, der eindeutig von einer konkreten Art der Schadensberechnung ausgehe. Darüber hinaus entspräche der prinzipielle Vorrang konkreter Berechnung der Intention der Konventionsgeber725. So habe sich zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Vorschriften zum Schadensersatz die Erkenntnis durchgesetzt, dass im Regelfall die tatsächliche Vornahme eines Deckungsgeschäfts dazu beitragen werde, den wirtschaftlichen Schaden des Gläubigers zu verringern. Insofern sei auch eine Berechnung des Schadens anhand eines konkreten Deckungsgeschäfts der Berechnung anhand eines hypothetischen Deckungsgeschäfts vorzuziehen726. Dies sei auch der Grund, warum Art. 76 CISG im Unterschied zu Art. 84 EKG den Vorrang konkreter Berechnung vorsehe 727. Nach Ansicht Schlechtriems stellt Art. 75 CISG somit keineswegs die ausschließlich anwendbare Anspruchsgrundlage für eine Berechnung des Nichterfüllungsschadens anhand eines konkreten Differenzschadens dar728. Der Gläubiger könne seine Berechnung auch auf Art. 74 CISG stützen. Praktisch relevant sei dies insbesondere in den Fällen, in denen es am Vorliegen der in Art. 75 CISG normierten Voraussetzung einer wirksamen Vertragsaufhebung fehle. Schlechtriem führt hierbei das Beispiel der Lieferung nichtvertragsgemäßer Ware an729. Diese stelle in der Regel gerade 721 722 723 724 725 726 727 728 729
Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 1 ff. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 18. Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 309. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 7. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 9. UNCITRAL Yearbook VIII (1977), S. 60, Rn. 489. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 9. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 3. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 3.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
keine wesentliche Vertragsverletzung dar, die es dem Käufer gestatten würde, sich umgehend vom Vertrag zu lösen. Trotz der fehlenden Möglichkeit zur Vertragsaufhebung sei der Käufer aber berechtigt, einen Deckungskauf durchzuführen und seinen Schaden auf Basis dieses konkreten Ersatzgeschäfts zu berechnen. Voraussetzung sei allein die Vorhersehbarkeit einer solchen Vorgehensweise des Käufers. Im Fall der Nicht- oder nicht vertragsgemäßen Lieferung einer Ware innerhalb eines fluktuierenden Markts sei ein Deckungskauf für den Verkäufer stets vorhersehbar730. Die fehlende Notwendigkeit der vorherigen Vertragsaufhebung begründet Schlechtriem folgendermaßen: Zweck der Koppelung der Rechtsbehelfe Vertragsaufhebung und Nachlieferung an die erhöhten Voraussetzung eines wesentlichen Vertragsbruchs oder des Ablaufs einer Nachfrist sei allein, die Entstehung unwirtschaftlicher Rückabwicklungskosten für Transport, Zwischenlagerung etc. zu verhindern. Zweck sei es aber nicht, die Liquidierung des Vertrags und die damit einhergehende Befreiung der Parteien von ihren ursprünglichen Leistungspflichten zu verhindern. Der Ersatz des Differenzschadens gem. Art. 74 CISG sei somit jedenfalls in den Fällen, in denen ein Leistungsaustausch zwischen den Parteien noch nicht stattgefunden hat, unabhängig davon zu gewähren, ob es sich um einen wesentlichen, unwesentlichen oder auch nur antizipierten Vertragsbruch des Schuldners handele731. Mindestvoraussetzung bleibe allerdings das Vorliegen eines Vertragsbruches des Schuldners732. Liegt zum Zeitpunkt der Vornahme des Deckungsgeschäfts durch den Gläubiger dagegen weder ein vollendeter noch ein antizipierter Vertragsbruch i.S.v. Art. 72 CISG des Schuldners vor, so könne der Gläubiger die ihm durch dieses Ersatzgeschäft entstandenen Kosten nicht in die Berechnung eines Schadensersatzanspruches einbeziehen. Dies gelte auch dann, wenn im weiteren Verlauf tatsächlich eine Vertragsverletzung des Schuldners eintritt und sich das Verhalten des Gläubigers als wirtschaftlich sinnvoll herausstellt. Der Gläubiger trage somit das volle Risiko eines Deckungsgeschäfts vor Vertragsbruch. Streng genommen stelle dieses gar kein Ersatzgeschäft dar, da es sich eben nicht dem Vertragsbruch des Schuldners zurechnen lasse733. Umgekehrt könne sich auch der Schuldner nicht auf die Vornahme eines Deckungsgeschäfts vor Vertragsbruch durch den Gläubiger berufen. Insbesondere stehe ein solches Geschäft nicht einer abstrakten Schadensberechnung des Gläubigers gem. Art. 76 CISG entgegen. Ein Verkäufer könne somit nicht einwenden, dass dem Käufer in Wirklichkeit kein gem. Art. 76 CISG zu ersetzender Scha730 731 732 733
Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 3. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 5. Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 310. Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 309.
3. Kapitel: Die Lösungsansätze der Literatur
145
den entstanden sei, da das tatsächlich vorgenommene Deckungsgeschäft vor Vertragsbruch im Vergleich zum Ausgangsgeschäft für den Käufer wirtschaftlich günstiger war734. Im Gegensatz zu Schönle behandelt Schlechtriem auch die Problematik der drohenden Doppelkompensation des Gläubigers im Fall der fehlenden Koppelung des Ersatzes des Differenzschadens an die vorherige Vertragsauflösung735. Mangels einer fehlenden expliziten Regelung dieser Problematik sei auf Art. 46 und 62 CISG zurückzugreifen. Hiernach könne der Gläubiger nur dann Erfüllung verlangen, wenn er nicht vorher einen mit diesem Verlangen „unvereinbaren Rechtsbehelf“ ausgeübt habe. Ein mit dem Erfüllungsverlangen „unvereinbarer Rechtsbehelf“ sei auch in der Geltendmachung des Differenzschadens zu sehen, sofern der Schuldner der Schadenersatzforderung nachkomme736. Ferner stünde bereits das Verbot des venire contra factum proprium einem Festhalten des Gläubigers an seinem Erfüllungsverlangen trotz Geltendmachung des Differenzschadens entgegen. Die Gefahr der Doppelkompensation bestehe daher nicht737. Der Schuldner hingegen bleibe zur Erfüllung berechtigt, der Gläubiger zur Abnahme und Zahlung des Kaufpreises bzw. zur Lieferung der Ware verpflichtet. Die Vornahme eines Deckungsgeschäfts ersetze nicht die Vertragsaufhebung. Folglich sei eine Umgehung der „Wesentlichkeitsschwelle“ nicht zu befürchten738. Der wirtschaftliche Hintergrund der Konzeption Schlechtriems ist folgender: Gerade der internationale Rohstoffhandel sieht sich mit der Problematik instabiler Märkte und somit stark fluktuierender Preise konfrontiert. Im Fall der Nichtlieferung oder der Nichtabnahme der Ware kann es daher geboten sein, möglichst zeitnah ein Ersatzgeschäft vorzunehmen, um der Entstehung eines noch größeren Schadens durch einen weiteren Anstieg oder Verfall der Preise zuvorzukommen. Schlechtriem zufolge besteht die wirtschaftliche Gebotenheit eines solchen Vorgehens auch dann, wenn die rechtlichen Voraussetzungen zur späteren Geltendmachung des Schadens gem. Art. 75 und 76 CISG, insbesondere die vorherige Aufhebung des Vertrags, nicht vorliegen739. Auch in diesen Fällen, so Schlechtriem, müsse es dem Gläubiger möglich sein, ein sofortiges Deckungsgeschäft zu tätigen, um so den Schaden möglichst gering zu halten. Richtige Anspruchsgrundlage für die Liquidation eines eventuellen Differenzschadens sei Art. 74 CISG740. 734 735 736 737 738 739 740
Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 309. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 4. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 4. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 4. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 5. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 10. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 10.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
Schlechtriem geht jedoch noch darüber hinaus: Im Fall eines sich absehbar negativ entwickelnden Marktes bestünde nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht des Gläubigers, bereits vor Vertragsaufhebung ein Deckungsgeschäft zu tätigen. Eine solche Pflicht zur Schadensminderung ergebe sich aus Art. 77 CISG. Die Verletzung dieser Pflicht verwehre es dem Gläubiger, auf ein nach der Aufhebung des Vertrags getätigtes konkretes oder hypothetisches Deckungsgeschäft abzustellen741. Schlechtriem beruft sich hierbei auf die Entstehungsgeschichte des CISG und insbesondere auf die vorgebrachten Argumente der Delegierten im Laufe der Wiener Konferenz. So sei z.B. der Käufer im Fall absehbar steigender Preise gem. Art. 77 CISG verpflichtet, sich bereits vor Eintritt einer wesentlichen Vertragsverletzung oder Ablauf einer angemessenen Nachfrist auf dem Markt ersatzweise einzudecken742. Im welchen Umfang sich der Käufer eindecken müsste sei eine Frage des Einzelfalls. In bestimmten Fällen könne es ausreichen, dass sich der Käufer zunächst nur teilweise eindeckt, um dem Verkäufer so zumindest die Chance teilweiser Erfüllung zu belassen743. An dieser entscheidenden Stelle weicht die Meinung Schlechtriems von der herrschenden Ansicht ab. Ohne eine abschließende Bewertung vorzunehmen, ist festzuhalten, dass die Lösung Schlechtriems insofern konsequent ist, als sie die Pflicht zur Vornahme eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts mit der Möglichkeit zur Berücksichtigung dieses Geschäfts im Zuge eines Schadensersatzanspruchs gem. Art. 74 CISG verknüpft. Die praktischen Auswirkungen der von Schlechtriem postulierten Pflicht und des hierzu korrespondierenden Rechts zur Vornahme vorzeitiger Deckungsgeschäfte sind folgende: Im Fall der endgültigen Nichtlieferung oder Nichtabnahme durch den Schuldner ist der Gläubiger berechtigt, den Vertrag aufzuheben. Er ist ferner berechtigt, die Differenz von Vertragspreis und Preis des tatsächlichen Deckungsgeschäfts im Wege des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung zu liquidieren, obwohl das Deckungsgeschäft vor Vertragsaufhebung durchgeführt wurde. Dies gilt unabhängig davon, ob sich der Marktpreis im Zeitpunkt der Vertragsaufhebung wie erwartet ungünstiger744 oder aber
741 742 743 744
Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 11. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 11. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 11. Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 12 “Not only the potentially more favourable cover contract, but also – even more so – the cover transaction actually concluded under more favourable conditions must be decisive.”
3. Kapitel: Die Lösungsansätze der Literatur
147
entgegen der berechtigten Erwartungen des Gläubigers günstiger als der Preis des Deckungskaufs gestaltet745. Im Fall der nur verspäteten Lieferung oder Abnahme durch den Schuldner ist der Gläubiger hingegen nicht berechtigt, den Vertrag aufzuheben und die Leistung zu verweigern746. Gleichwohl kann er verlangen, den ihm durch die Vornahme des Deckungsgeschäfts entstandenen Schaden gem. Art. 74 CISG zu ersetzen. Die Berechnung des Schadens erfolgt jedoch nicht anhand der Differenz von Deckungsgeschäft und Vertrag. Das Deckungsgeschäft tritt eben nicht an die Stelle des Vertrags. Vielmehr ist im Einzelfall festzustellen, welcher Schaden dem Gläubiger aufgrund der kumulativen Durchführung des ursprünglichen Vertrags und des Deckungsgeschäfts entstanden ist. Zu unterscheiden ist zwischen der Schadensberechnung des Käufers und der des Verkäufers: Der Schaden des Käufers ist identisch mit dem Kaufpreis des Deckungsgeschäfts. Hiervon ist aber der Wert der aus diesem Geschäft zusätzlich erlangten Ware abzuziehen. Hat der Käufer aufgrund der späteren Durchführung des Ausgangsgeschäfts für die aus dem vorzeitigen Deckungsgeschäft erlangte Ware (Deckungsware) keine Verwendung mehr – da er die Ware eben nur einmal und nicht mehrfach benötigt – so errechnet sich der abzuziehende Wert der Deckungsware anhand des auf dem Markt erzielbaren Wiederverkaufspreis. Es ist eine Frage des Einzelfalls, ob auf diesem Wege ein Schaden des Käufers möglicherweise gänzlich entfällt oder es aber im Fall der Unverkäuflichkeit der Deckungsware – weil es sich um eine Spezialanfertigung zugunsten des Käufers handelte – bei dem Ersatz der Kosten des Deckungsgeschäfts in voller Höhe bleibt747. Schlechtriem möchte in Anwendung des Art. 77 CISG sogar soweit gehen, den Verkäufer zu verpflichten, die Ware zurückzunehmen, wenn dieser sie einfacher veräußern könnte, ohne dass nennenswerte zusätzliche Transportkosten anfallen würden. Dies käme jedoch, wie er selbst betont748, einer „quasi Rückabwicklung“ gleich und widerspräche seiner Aussage, dass das Deckungsgeschäft die Vertragsaufhebung gerade nicht ersetze. Der Schaden des Verkäufers hingegen sei auch im Fall der verspäteten Abnahme anhand des Differenzbetrags von Ausgangs- und Deckungsgeschäft zu berechnen749. Dies ist zumindest widersprüchlich. Konsequent wäre es, auch hier eine Verzugsschadensberechnung durchzuführen, die 745 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 12 “The higher cost of the earlier cover transaction are a consequence of the breach and recoverable unless falling prices were foreseeable w/ certainty.” 746 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 6. 747 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 6. 748 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 6 “unwinding of the contract”. 749 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 5.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
allein das Deckungsgeschäft zum Gegenstand hätte. Zu ermitteln wäre der Verlust, der durch die zusätzliche Abgabe der Ware entsteht, abzüglich des Verkaufspreises des Deckungsgeschäfts. Insgesamt beinhaltet die Lösung Schlechtriems einen sehr wirtschaftlich determinierten Ansatz, der in gewissem Widerspruch zu dem vom CISG ausdrücklich geschützten Vorrang des Erfüllungsanspruchs steht. Er entspricht eher der im common law befürworteten Lösung des „effizienten Vertragsbruchs“. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass auch der „CISG Advisory Council“ die Ansicht vertritt, dass im Fall des Fortbestehens des Erfüllungsanspruchs der Einbezug eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts in eine Schadensberechnung gem. Art. 74 CISG statthaft sei750. Offen lässt der Advisory Council jedoch die Frage, wie in diesem Fall der Schaden des Gläubigers zu berechnen sei: Während die Überschrift der Opinion “difference between contract price and substitute transaction“751 die Zulässigkeit einer Differenzschadensberechnung bejaht, enthält die anschließende Begründung der Opinion den Hinweis auf die Vorzugswürdigkeit der von Schlechtriem vorgeschlagenen Verzugsschadensberechnung752. § 3 Der Lösungsansatz Hubers Peter Huber vertritt in seiner Kommentierung der Art. 74-77 CISG im Münchner Kommentar 753 einen deutlich restriktiveren Ansatz. Dieser entspricht zugleich der bisher herrschenden Meinung in Literatur754 und Rechtsprechung755. Auch Huber schließt sich grundsätzlich der Auffassung an, derzufolge Art. 74-76 CISG in freier Anspruchskonkurrenz zu einander stehen. Der Gläubiger sei im Fall der Vertragsaufhebung keineswegs an die Geltendmachung des Differenzschadens gem. Art. 75 und 76 CISG gebunden, sondern könne seinen Schaden auch im Wege des Art. 74 CISG liquidieren756. Im Fall des Fortbestehens komme hingegen allein Art. 74 CISG in Betracht. Jedoch sei im Rahmen des Art. 74 CISG, entgegen dem Wortlaut der
750 CISG A.C. Opinion No. 751 CISG A.C. Opinion No. 752 CISG A.C. Opinion No. 753 MK/Huber, Art. 74-77.
6, S. 23. 6, S. 23. 6, S. 24, Fn. 121. Bestätigt in Huber, Neues deutsches Kaufrecht und UN-
Kaufrecht, S. 343. 754 Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 74, Rn. 5; Weber, Vertragsverletzung, S. 191. 755 OGH vom 06.02.1996, CISG-online 224; OGH vom 28.04.2000, CISGonline 581. 756 MK/Huber, Art. 74, Rn. 19 unter Hinweis auf den Wortlaut der Art. 75 und 76 CISG („kann“).
3. Kapitel: Die Lösungsansätze der Literatur
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Vorschrift, in bestimmten Fällen ebenfalls das Erfordernis einer vorherigen wirksamen Vertragsaufhebung zu beachten757. Huber zufolge ist danach zu differenzieren, ob die vom Gläubiger geltend gemachte Form der Schadensberechnung von der Aufrechterhaltung und Durchführung des Vertrags ausgehe oder nicht. Die Geltendmachung eines Differenzschadens als typischer Nichterfüllungsschaden basiere grundsätzlich auf der Annahme, dass ein zusätzlicher Leistungsaustausch zwischen den Parteien nicht mehr gewollt sei. Das Deckungsgeschäft sei gleichsam ein Ersatzgeschäft, welches das ursprüngliche Vertragsverhältnis substituiere. Der Gläubiger berechne somit seinen Schaden unter der Annahme, an der Leistung des Schuldners nunmehr kein Interesse zu haben758. Dies, so Huber, soll dem Gläubiger jedoch nur dann möglich sein, wenn er zugleich in der Lage ist, sich wirksam von seinen vertraglichen Leistungspflichten durch Aufhebung zu befreien759. In der berechtigten Geltendmachung des Nichterfüllungsschadens sei dann zugleich auch die wirksame Erklärung der Aufhebung durch den Gläubiger zu sehen760. Lägen die Voraussetzungen eines Rechts zur Vertragsaufhebung jedoch nicht vor, sei der Gläubiger nicht berechtigt, über den Umweg des Schadensersatzanspruchs wegen Nichterfüllung faktisch das gleiche Ergebnis herbeizuführen. In diesem Fall komme allein eine Form der Schadensberechnung in Betracht, die auf der Aufrechterhaltung und Fortführung des Vertragsverhältnisses basiere. Die Koppelung des Ersatzes des Differenzschadens an das Vorliegen einer wirksamen Vertragsaufhebung diene mehreren Zielen: Zum einen werde verhindert, dass der Gläubiger sein Erfüllungsinteresse doppelt, d.h. im Wege der Vertragsdurchführung und im Wege des Schadensersatzanspruchs, geltend machen könne761. Ferner werde verhindert, dass sich der Gläubiger von seinen vertraglichen Pflichten lösen und die Rückabwicklung oder Zurückweisung der Leistungen des Schuldners erreichen könne, ohne an die im CISG besonders erschwerten Voraussetzungen der Vertragsaufhebung gebunden zu sein762. Drittens sei so eine einheitliche Behandlung des Differenzschadens sowie der übrigen Nichterfüllungsschäden im Rahmen der Art. 74-77 CISG gesichert763. Konsequent ist die Lösung Hubers auch im Hinblick auf die Frage der Reichweite der Schadensminderungspflicht. Diese greife, anders als von 757 MK/Huber, 758 MK/Huber, 759 MK/Huber, 760 MK/Huber, 761 MK/Huber, 762 MK/Huber, 763 MK/Huber,
Art. 74, Rn. 10. Art. 74, Rn. 10. Art. 74, Rn. 12. Art. 74, Rn. 10. Art. 74, Rn. 9. Art. 74, Rn. 12. Art. 74, Rn. 9.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
Schlechtriem vorgeschlagen, erst dann ein, wenn der Gläubiger sich durch eine wirksam erklärte Aufhebung von seinen vertraglichen Leistungspflichten gelöst habe und zum Rechtsbehelf des Schadensersatzes übergegangen sei. Sowenig wie ein Recht des Gläubigers bestehe, bereits vor Erklärung der Aufhebung ein Deckungsgeschäft vorzunehmen, sowenig bestehe eine Pflicht des Gläubigers. Ebenso wenig bestehe eine Pflicht des Gläubigers, durch eine schnellstmögliche Erklärung der Vertragsaufhebung selbst dafür Sorge zu tragen, dass die rechtlichen Voraussetzungen der Ersatzfähigkeit eines aus einem Deckungsgeschäft entstandenen Schadens vorlägen. Die zeitliche Grenze des Rechts zur Hinauszögerung der Aufhebung werde durch Art. 49 (2) und 64 (2) CISG, nicht aber durch rein wirtschaftliche Erwägungen im Rahmen des Art. 77 CISG determiniert764. Die von Huber postulierte Lösung ist schlüssig. Sie erfreut sich zudem des Anscheins einer gewissen Simplizität. Jedoch ist nicht ersichtlich, inwieweit den wirtschaftlichen Besonderheiten einzelner Fallkonstellationen Rechnung getragen wird.
4. Kapitel: Der eigene Lösungsansatz Art. 74 CISG gestattet es dem Gläubiger, seinen Nichterfüllungsschaden in Form eines Differenzschadens zu berechnen (§ 1). Jede Schadensberechnung, die unter der Prämisse der Zurückweisung oder der Rückabwicklung bereits erbrachter Leistungen erfolgt, setzt ein Aufhebungsrecht des Gläubigers voraus (§ 2). Grundsätzlich besteht keine Pflicht des Gläubigers, bereits vor Vertragsaufhebung ein Deckungsgeschäft vorzunehmen. Eine Ausnahme ist im Fall eines drohenden Verzugsschadens denkbar (§ 3). Tätigt der Gläubiger gleichwohl ein vorzeitiges Deckungsgeschäft, so kann er dieses grundsätzlich nicht im Rahmen eines gem. Art. 74 CISG berechneten Anspruchs auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung berücksichtigen (§ 4). Eine Ausnahme hiervon ist hingegen sowohl im Fall eines drohenden Verzugsschadens als auch im Fall einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung des Schuldners zu machen (§ 5). § 1 Die fehlende Sperrwirkung der Art. 75 und 76 CISG Zweck der Art. 75 und 76 CISG ist, dem Gläubiger eine vereinfachte Form der Schadensberechnung zu eröffnen765. Sie befreien den Gläubiger von seiner Pflicht zur konkreten Darlegung des Schadens und dessen Vorhersehbarkeit766. Der Gläubiger ist nicht genötigt, dem Gericht oder dem 764 MK/Huber, Art. 77, Rn. 12. 765 MK/Huber, Art. 75, Rn. 1. 766 Staudinger/Magnus, Art. 75,
Rn. 1.
4. Kapitel: Der eigene Lösungsansatz
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Schuldner Einblick in seine Bücher zu gewähren. Diese Beweislasterleichterung ist jedoch an enge Voraussetzungen geknüpft. Art. 75 und 76 CISG sind restriktiv und wortlautgetreu auszulegen767. Art. 75 und 76 CISG bezwecken hingegen nicht, den Handlungsspielraum des Gläubigers hinsichtlich der Berechnung seines Nichterfüllungsschadens gem. Art. 74 CISG einzuschränken768. Intention der Konventionsgeber war es, in Art. 74 CISG einen Grundtatbestand zu schaffen, der sowohl im Fall des aufgehobenen als auch des fortbestehenden Vertrags Anwendung findet769. Ersatzfähig ist daher jeder vorhersehbare Schaden, der kausal auf einer Vertragsverletzung des Schuldners beruht. Der Gläubiger ist im Rahmen des Art. 74 CISG gezwungen, seinen Schaden konkret darzulegen. Dies beinhaltet die Pflicht, sowohl dem Gericht als auch dem Schuldner Einblick in seinen Geschäftsbetrieb zu gewähren. Eine abstrakte Art der Schadensberechnung, wie sie in Art. 76 CISG vorgesehen ist, ist nicht möglich770. Die entgegenstehende Ansicht Schönles ist abzulehnen. Schönle zufolge ergibt sich das Recht des Gläubigers zur abstrakten Berechnung im Rahmen von Art. 74 CISG durch einen Rückgriff auf „nationale, gemäß des jeweiligen Kollisionsrechts anwendbare prozessrechtliche Beweiserleichterungen“771. Dies überzeugt nicht. Der Großteil nationaler Bestimmungen772 und die einschlägigen internationalen Vertragsprinzipien773 sehen vor, dass ein Ersatz des abstrakt berechneten Differenzschadens nur im Fall einer vorherigen Vertragsaufhebung des Gläubigers in Betracht kommt. Der ausdrückliche Hinweis Schönles auf die abweichende Rechtsprechung des Schweizer Bundesgerichts zum internen Recht774 deutet eher auf eine unzulässige Übertragung eines nationalen Vorverständnisses hin als auf ein internationales Prinzip. Das CISG enthält eine abschließende Regelung der Arten zulässiger Schadensberechnung. Ein Rückgriff auf nationales Prozessrecht gem. Art. 7 (2) CISG ist weder erforderlich noch zweckmäßig. Die Schadensberechnung im Rahmen von Art. 74 CISG hat somit konkret zu erfolgen. Im Übrigen ist der Gläubiger jedoch an keine bestimmte Form der Schadensberechnung gebunden. Somit ist es ihm auch im Rahmen von Art. 74 CISG prinzipiell möglich, seinen Nichterfüllungsschaden in Form eines konkreten Differenzschadens zu berechnen. Hiervon zu 767 768 769 770 771 772
Vgl. hierzu die Darstellung auf S. 68 ff. Karollus, S. 222; MK/Huber, Art. 75, Rn. 18 und Art. 76, Rn. 15. Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 74, Rn. 1. OLG Hamburg 26.11.1999, CISG-online 515; Herber/Czerwenka, Art. 74, Rn. 9. Honsell/Schönle, Art. 74, Rn. 35 f. Vgl. § 2-706 und 2-712 UCC; § 376 (2) und (3) HGB, Art. 191 (2) und 215 (1) OR. 773 Vgl. Art. 7.4.5 PICC und Art. 9:507 PECL. 774 BGE 104 II 198, 201.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
trennen ist die Frage, welchen Voraussetzungen eine derartige Form der Berechnung unterliegt. § 2 Die Notwendigkeit der Wahrung der Aufhebungsvoraussetzungen Im Unterschied zum Rechtsbehelf des Schadensersatzes ist der Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung im CISG an besonders hohe Voraussetzungen geknüpft775. So ist es dem Gläubiger nur im Fall einer wesentlichen Vertragsverletzung des Schuldners oder im Fall des Ablaufs einer angemessen Nachfrist möglich, sich von seinen vertraglichen Leistungspflichten zu lösen. Diese prinzipielle Entscheidung des CISG ist aus teleologischen Gründen auch im Rahmen von Art. 74 CISG zu beachten, obwohl die grammatikalische, historische und systematische Auslegung der Norm gegen das zusätzliche Erfordernis einer wirksamen Vertragsaufhebung spricht776. Bei der Frage, welche Schadensarten eine Aufhebung des Vertrags durch den Gläubiger erfordern, ist auf das vom österreichischen OGH entwickelte Kriterium des objektiv erkennbaren Gläubigerinteresses zurückzugreifen777. Entscheidend ist hiernach, ob die vom Gläubiger geltend gemachte Art der Schadensberechnung im konkreten Fall auf der Aufrechterhaltung und Durchführung des Vertrags oder aber auf der Nichtdurchführung und gegebenenfalls notwendigen Rückabwicklung des Vertrags basiert. Allein diese Art der Differenzierung berücksichtigt in angemessener Art und Weise die grundsätzliche Entscheidung des CISG für den Vorrang des Erfüllungsanspruchs778. Abzulehnen ist sowohl der Ansatz, eine Abgrenzung anhand des Begriffspaars Integritäts- und Erfüllungsinteresse vorzunehmen779, als auch der Versuch Schlechtriems780, die Abgrenzung allein anhand der Frage der Notwendigkeit von Rückabwicklungskosten auszurichten. Erfolgt die Schadensberechnung des Gläubigers auf der Grundlage, dass er an einer weiteren Durchführung des Vertrags kein Interesse mehr hat, so ist ihm dies nur möglich, wenn ihm ein Recht zur Vertragsaufhebung zusteht781. Ein einfacher Vertragsbruch berechtigt den Gläubiger zwar zum Verlangen von Schadensersatz, gibt ihm aber kein Recht zur Vertragsaufhebung und damit auch kein Recht zur Zurückweisung oder Rückabwicklung bereits erhaltener Leistungen. Ebenso wenig kann eine bestimmte 775 BGH NJW 1996, 2364; Huber/Kröll, Rechtsprechung zum UN-Kaufrecht, in IPRax 2003, S. 309. 776 Schlechtriem/Stoll, Art. 74, Rn. 3; Soergel/Lüderitz/Dettmeier, Art. 74, Rn. 3 f. 777 OGH vom 06.02.1996, CISG-online 224. 778 OGH vom 06.02.1996, CISG-online 224. 779 MK/Huber, Art. 74, Rn. 11. 780 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 5. 781 Stoll, Erfüllungsverweigerung, S. 635.
4. Kapitel: Der eigene Lösungsansatz
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Form der Schadensberechnung dem Gläubiger ermöglichen, dieses Ergebnis herbeizuführen. Anders ausgedrückt: Das bloße Recht, Schadensersatz gem. Art. 74 CISG zu verlangen, berechtigt den Gläubiger weder zur Zurückweisung noch zur Rückabwicklung bereits erfolgter Leistungen782. Unabhängig davon, ob ein Leistungsaustausch bereits stattgefunden hat, dürfen die hohen Voraussetzungen der Vertragsaufhebung nicht durch ein Ausweichen des Gläubigers auf eine bestimmte Form der Schadensberechnung umgangen werden. Der Einwand Schlechtriems783, die Gefahr der Umgehung der Aufhebungsvoraussetzungen bestehe nur scheinbar, überzeugt nicht. Es ist richtig, dass die Vermeidung hoher und unwirtschaftlicher Rückabwicklungskosten eines der Hauptziele war, die die Konventionsgeber mit der Einführung der Wesentlichkeitsschwelle verfolgten784. Es ist ferner richtig, dass diese Transport- und Aufbewahrungskosten nur dann anfallen, wenn ein Leistungsaustausch bereits stattgefunden hat. Es ist jedoch nicht richtig, dass dieses der alleinige Zweck ist, dem die Einführung der erschwerten Voraussetzungen der Vertragsaufhebung dienen sollte785: Erstens existiert das Wesentlichkeitskriterium als Voraussetzung der Vertragsaufhebung auch in Normen, die zwingend davon ausgehen, dass noch kein Leistungsaustausch stattgefunden hat. Rückabwicklungskosten sind in diesen Fällen nicht denkbar. Im Besonderen gilt dies für Art. 72 und 73 CISG, die eine Möglichkeit des Gläubigers vorsehen, sich bereits vor dem vereinbarten Erfüllungszeitpunkt von seinen vertraglichen Pflichten zu befreien. Zweitens zeigt die Möglichkeit der Vertragsaufhebung mittels Nachfristsetzung, dass die Erschwerung der Vertragsaufhebung zumindest auch dazu dient, das Recht des Schuldners zur Nacherfüllung zu schützen786. Der Schuldner erhält auf diesem Wege eine zweite Chance. Deutlich wird dies anhand des Wortlauts der Art. 47 und 63 CISG, die es dem Gläubiger untersagen, während einer dem Schuldner gewährten Nachfrist einen „Rechtsbehelf wegen Vertragsverletzung“ auszuüben. Diese Vorschriften schützen den Schuldner, der im Vertrauen auf die zusätzliche Frist unter Umständen kostspielige Erfüllungsmaßnahmen in die Wege geleitet hat. Drittens verhindert die hohe Hürde der Vertragsaufhebung, dass der Gläubiger in unzulässiger Weise auf Kosten des Schuldners spekuliert787. Würde man es dem Gläubiger gestatten, sich allzu leicht von seinen vertraglichen Leistungspflichten zu lösen, könnte dieser in unzulässiger Art 782 Zutreffend Supreme Court of Poland vom 27.01.2006, CISG-online 1399; MK/Huber, Art. 74, Rn. 12. 783 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 4 (”appears”). 784 Honnold, Rn. 304; Honsell/Schnyder/Straub, Art. 49, Rn. 1. 785 MK/Huber, Art. 49, Rn. 4 ff. 786 Staudinger/Magnus, Art. 49, Rn. 4. 787 Ferrari, Wesentliche Vertragsverletzung, S. 1.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
und Weise von sich verändernden Marktbedingungen profitieren. Man nehme das Beispiel eines Käufers, dem es gestattet wäre, sich allein durch die Vornahme eines Deckungskaufs von seinen vertraglichen Pflichten zu lösen. Fielen die Preise gegenüber dem Vertragsschluss, könnte der Käufer zwar keinen Differenzschaden geltend machen, jedoch würde er insofern von den gesunkenen Preisen profitieren, als er weniger aufwenden müsste als im ursprünglichen Vertrag vorgesehen. Der Verkäufer hingegen wäre gezwungen die nicht abgenommene Ware zu einem geringeren Preis zu veräußern. Verspekulierte sich der Käufer hingegen und würden die Preise steigen, so könnte er einfach den Differenzschaden liquidieren. Das Risiko läge somit stets allein beim Schuldner. Dieses wird dadurch vermieden, dass nicht jede Art der Vertragsverletzung den Gläubiger berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten. Viertens beruht die Einführung der Wesentlichkeitsschwelle auf dem Anliegen, den Erfüllungsanspruch des Gläubigers unfassend zu schützen788. Die These des angloamerikanischen Rechts, dass der Ersatz des Nichterfüllungsschadens gleichermaßen geeignet ist, dem Erfüllungsinteresse des Gläubigers gerecht zu werden, wie die Gewährung eines Anspruchs auf Naturalrestitution789, stößt in den Fällen an ihre Grenze, in denen der Gegenstand des Erfüllungsversprechens nicht am Markt erhältlich ist. Fehlt es an der Verfügbarkeit der versprochenen Ware, so wird der Käufer durch die bloße Gewährung eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung nicht ausreichend geschützt. Daher ist der Erfüllungsanspruch des Käufers besonders zu schützen. Dem Verkäufer sollte es nicht möglich sein, sich durch die bloße Vornahme eines Deckungsgeschäfts, z.B. im Fall eines vorübergehenden Zahlungsverzugs des Käufers, von seinem vertraglichen Pflichtenprogramm zu befreien. Im Ergebnis ist somit festzustellen, dass die hohen Hürden der Vertragsaufhebung den Vorrang des Erfüllungsanspruchs als solchen schützen. Ziel ist, die Parteien an ihrem Vertragsversprechen festzuhalten: pacta sunt servanda790. Ausgehend vom grundsätzlichen Vorrang des Erfüllungsanspruchs und der im System der Rechtsbehelfe des CISG angelegten Zurückdrängung des Rechtsbehelfs der Vertragsaufhebung ist es daher ausgeschlossen, dass der Gläubiger eine Form der Berechnung seines Nichterfüllungsschadens wählen kann, die auf der Nichtdurchführung des Vertrags beruht, ohne dass die Voraussetzungen eines Rechts zur Vertragsaufhebung 788 789
Ausführlich: Schlechtriem/Huber, Art. 28, Rn. 1 ff. Chengwei, Remedies, S. 3: “Perfect expectation interest will leave an injured party indifferent between performance and non-performance”. 790 Der besondere Schutz des Erfüllungsanspruchs zeigt sich auch darin, dass sich die Entlastungsmöglichkeit des Schuldners, Art. 79 (5) CISG, nur auf Schadensersatzansprüche bezieht.
4. Kapitel: Der eigene Lösungsansatz
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vorliegen791. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Leistungsaustausch bisher stattgefunden hat oder nicht. Insofern ist, trotz der beachtlichen Bemühungen Schlechtriems, ein Umdenken herbeizuführen, an der bisher herrschenden Meinung in Literatur792 und Rechtsprechung793 festzuhalten. Die vorstehend erörterte Gefahr der Doppelkompensation des Gläubigers besteht bei dieser Lösung ebenfalls nicht794. Die vorherigen Erwägungen betreffen jede Form des Ersatzes des Nichterfüllungsschadens. Darüber hinaus sprechen jedoch insbesondere im Fall der Differenzschadensberechnung weitere Argumente für ein Festhalten am Erfordernis des Rechts zur Vertragsaufhebung. So erfolgt gerade der Ersatz des Differenzschadens typischerweise unter der Prämisse, dass beide Parteien von der weiteren Durchführung des Vertrags absehen. Die Gegenüberstellung von Vertragspreis und Preis des Deckungsgeschäfts verdeutlicht, das das letztere das Ausgangsgeschäft substituiert. Die englische795 und französische796 Version des Art. 75 CISG sprechen daher auch vom „Ersatzgeschäft“ und nicht vom „Deckungsgeschäft“. Zu einer solchen Form der Berechnung ist der Gläubiger aber nur berechtigt, wenn neben den Voraussetzungen des Art. 74 CISG auch die zusätzlichen Voraussetzungen eines Rechts zur Vertragsaufhebung vorliegen. Erst das zusätzliche Recht zur Aufhebung des Vertrags vermittelt dem Gläubiger die notwendige Dispositionsbefugnis, das Deckungsgeschäft an die Stelle des Ausgangsgeschäfts zu setzen797. § 3 Die Pflicht zur Vornahme eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts An den bereits im Rahmen der Analyse der Art. 75 und 76 CISG gefundenen Ergebnissen ist festzuhalten: Grundsätzlich besteht weder eine Pflicht des Gläubigers, vor Vertragsaufhebung ein Deckungsgeschäft vorzunehmen, noch eine Pflicht, durch eine möglichst frühzeitige Vertragsaufhebung die rechtlichen Voraussetzungen für die Vornahme eines Deckungsgeschäfts herbeizuführen. Auch unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderung ist der Gläubiger nicht zu einem solchen Vorgehen gezwungen798. Grundgedanke dieser Konzeption ist der umfassende Schutz des Erfüllungsanspruchs. Die Konzeption des Common Law, den Gläubiger direkt auf den Schadensersatzan791 792 793 794 795 796 797 798
OGH vom 06.02.1996, CISG-online 224; Stoll, Erfüllungsverweigerung, S. 635. MK/Huber, Art. 74, Rn. 9; Stoll, Erfüllungsverweigerung, S. 634. OGH vom 06.02.1996, CISG-online 224. Vgl hierzu die Ausführungen auf S. 132 ff. Art. 75 CISG: “Goods bought in replacement“. Art. 75 CISG: « L’achat de remplacement ». Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 75, Rn. 5. OLG Braunschweig vom 28.10.1999, CISG-online 510; Staudinger/Magnus, Art. 77, Rn. 11.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
spruch zu verweisen799, wurde ebenso wenig ins CISG übernommen wie die Konzeption des eingeschränkten Erfüllungsanspruchs der Art. 25 und 61 EKG800. Eine Pflicht zur Vertragsaufhebung besteht allein in den Fällen, in denen ein Festhalten des Gläubigers am Erfüllungsanspruch allein aus dem Grund erfolgt, den zu ersetzenden Differenzschaden des Schuldners in die Höhe zu treiben801, oder in denen eine Entscheidung des Gläubigers billigerweise längst zu erwarten war802. Der Schuldner ist daher nicht berechtigt, einem Anspruch des Gläubigers auf Ersatz eines konkreten oder abstrakten Differenzschadens entgegenzuhalten, dass dieser Anspruch bei Vornahme eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts geringer ausgefallen wäre. Gleiches gilt jedoch auch für jeden im Rahmen von Art. 74 CISG geltend gemachten Schadensersatzanspruchs wegen Nichterfüllung. Die abweichende Ansicht Schlechtriems vermag nicht zu überzeugen803. Die Pflicht zur Schadensminderung entsteht erst ab dem Zeitpunkt, in dem auch der Schadensersatzanspruch entsteht. Im Fall des Differenzanspruchs ist dies der Zeitpunkt, an dem der Gläubiger durch Erklärung der Vertragsaufhebung vom Erfüllungsanspruch zum Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung übergeht804. Hiervon zu trennen ist die Frage, ob eine Pflicht zur Vornahme eines Deckungsgeschäfts vor Vertragsaufhebung besteht, um einen drohenden Verzugsschaden zu verhindern. In Betracht kommt zum einen der Fall eines drohenden Betriebsausfall- oder sonstigen Gewinnausfallschadens und zum anderen der Fall eines drohenden Haftungsschadens des Käufers im Verhältnis zu seinen eigenen Abnehmern805. Lassen sich diese Schäden durch die Vornahme eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts vermeiden und liegen die Mehrkosten des Deckungsgeschäfts unter der drohenden Schadenssumme, so erscheint es zumindest wirtschaftlich zwingend, ein Deckungsgeschäft vorzunehmen. In diesem Fall besteht nach richtiger Ansicht aber auch eine rechtliche Pflicht des Gläubigers gem. Art. 77 CISG806. „Unproblematisch“ ist dies der Fall, solange der Gläubiger das Deckungsgeschäft in der Absicht vornimmt, gleichwohl am ursprünglichen Vertrag festzuhalten807. Der Vorrang des Erfüllungsanspruchs steht in diesem Fall der Pflicht zur Schadensminderung nicht entgegen. 799 Hager, Rechtsbehelfe des Verkäufers, S. 194 ff. 800 Honnold, Rn. 286; Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 49, Rn 28. 801 OLG München vom 08.02.1995, CISG-online 143; Staudinger/Magnus,
Art. 77, Rn. 12. 802 OLG Braunschweig vom 28.10.1999, CISG-online 510; MK/Huber, Art. 77, Rn. 9. 803 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 10 f. 804 So schon das Reichsgericht in RGZ 83, 176. 805 MK/Huber, Art. 77, Rn. 8. 806 Zum EKG LG Heidelberg 30.1.1979 in Schlechtriem/Magnus, Art. 88 EKG, Nr. 2. 807 MK/Huber, Art. 77, Rn. 8; Schlechtriem/Stoll, Art. 77, Rn. 10.
4. Kapitel: Der eigene Lösungsansatz
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Meines Erachtens wird man jedoch noch einen Schritt weiter gehen müssen. Eine Pflicht zur vorzeitigen Vornahme eines Deckungsgeschäfts besteht im Fall eines drohenden Verzugsschadens auch dann, wenn die Vornahme unter der Prämisse geschieht, dass der Gläubiger an der weiteren Aufrechterhaltung des ursprünglichen Vertrags kein Interesse mehr hat. Diese Lösung steht, anders als es auf den ersten Blick scheinen mag, nicht im Widerspruch zu den obigen Ausführungen. Im Unterschied zum Anspruch auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens entsteht der Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens bereits mit Eintritt der einfachen Vertragsverletzung und nicht erst mit Erklärung der Vertragsaufhebung808. Folglich entsteht auch die Pflicht zur Schadensminderung, genauer die Obliegenheit des Gläubigers, den Verzugsschaden durch vernünftige, geeignete und zumutbare Gegenmaßnahmen gering zuhalten, bereits zu diesem Zeitpunkt809. Dieser Obliegenheit kann der Gläubiger in bestimmten Fällen nur dadurch gerecht werden, dass er sich für die ausgebliebene Leistung des Schuldners Ersatz beschafft. Dass in dieser Konstellation der Gläubiger berechtigt ist, seinen Schaden im Wege der Differenzschadensberechnung unter der Prämisse der Vertragsaufhebung und nicht im Wege einer Verzugsschadensberechnung unter der Prämisse der Vertragsdurchführung810 zu liquidieren, ist später zu zeigen811. Zusammengefasst: Grundsätzlich besteht keine Pflicht des Gläubigers vom Erfüllungsanspruch auf den Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung zu wechseln. Eine Pflicht zur Vornahme eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts ergibt sich aber aus der Pflicht des Gläubigers, einen drohenden höheren Verzugsschaden abzuwenden. Diese Pflicht entsteht im CISG bereits zum Zeitpunkt der einfachen Vertragsverletzung und nicht erst zum Zeitpunkt der Vertragsaufhebung. § 4 Die Grundregel der Nichtberücksichtigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts Art. 74 CISG gewährt dem Gläubiger kein Recht, ein vor Vertragsaufhebung getätigtes Deckungsgeschäft in die Berechnung seines Nichterfüllungsschadens mit einzubeziehen. Dies gilt zum einen dann, wenn der Gläubiger den Vertrag später nicht aufhebt (I). Dies gilt zum anderen jedoch auch dann, wenn der Gläubiger aufgrund der endgültig ausbleibenden Leistung des Schuldners den Vertrag später aufhebt (II). 808 809
MK/Huber, Art. 77, Rn. 8. Zur gleichen Problematik im deutschen Recht: Huber, Leistungsstörungen II, § 35 VI 4. 810 So aber Schlechtriem/Stoll, Art. 74, Rn. 16; Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 5. 811 Vgl. hierzu unten § 5. „Die Ausnahmen von der Grundregel“, S. 167 ff.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
I. Fehlen einer späteren wirksamen Vertragsaufhebung Die fehlende Möglichkeit zur Berücksichtigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts im Fall der endgültig ausbleibenden Vertragsaufhebung hat zwei Gründe: Erstens soll verhindert werden, dass der Schaden des Gläubigers durch die Vornahme eines Deckungsgeschäfts doppelt kompensiert wird, nämlich durch den kumulativen Ersatz des Erfüllungsinteresses in natura und in Geld812. Zweitens soll vermieden werden, dass der Gläubiger durch ein solches Verhalten die besonderen inhaltlichen und zeitlichen Voraussetzungen eines Rechts zur Vertragsaufhebung umgeht813. Ziel der Berechnung des Nichterfüllungsschadens anhand des Differenzbetrags zwischen dem Preis des Ausgangsgeschäfts und dem Preis des Deckungsgeschäfts ist es, den Gläubiger in die Position ordnungsgemäßer Erfüllung zu versetzen. Daher ist es dem Gläubiger verwehrt, zusätzlich zum Ersatz des Nichterfüllungsschadens Erfüllung des ursprünglichen Vertrags in natura zu verlangen814. Dieses Verbot der Doppelkompensation greift jedoch auch im umgekehrten Fall der endgültig ausbleibenden Vertragsaufhebung: Wird der Vertrag in natura erfüllt, ist der Gläubiger nicht berechtigt, zusätzlich Ersatz eines etwaigen Nichterfüllungsschadens zu verlangen. Ferner scheidet eine Berücksichtigung eines Differenzschadens auch dann aus, wenn ein Aufhebungsrecht mangels Vorliegen der inhaltlichen Voraussetzungen gem. Art. 49(1) oder 64 (1) CISG nie vorlag. Das Nichtvorliegen der Voraussetzungen der Vertragsaufhebung sperrt zugleich jede Art der Schadensberechnung, die zu einer faktischen Befreiung der Parteien von ihren Erfüllungsansprüchen führen würde815. Gleiches gilt für den Fall des zeitlichen Ablaufs eines ursprünglich bestehenden Aufhebungsrechts gem. Art. 49 (2) oder 64 (2) CISG816. Das CISG gewährt dem Gläubiger einen angemessenen zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen die Erklärung der Vertragsaufhebung zu erfolgen hat. Im Fall der Nichtleistung des Schuldners unterliegt das Aufhebungsrecht des Gläubigers keiner zeitlichen Einschränkung. Bei Spätleistungen kann der Verkäufer bis zur Kenntnis der Zahlung, der Käufer sogar bis zum Ablauf einer angemessenen Frist nach Lieferung den Vertrag aufheben. In allen übrigen Fällen steht dem Gläubiger eine angemessene Frist ab Kenntnis der Vertragsverletzung zur Verfügung817. Unterlässt es der Gläubiger, den Vertrag innerhalb dieser 812 813 814 815 816
MK/Huber, Art. 74, Rn. 9. Weber, Vertragsverletzung, S. 191. MK zum HGB/Mankowski, Art. 74, Rn. 8. MK/Huber, Art. 74, Rn. 9. Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 74, Rn. 5; Weber, Vertragsverletzungen, S. 191. 817 Schlechtriem/Schwenzer/Hager, Art. 64, Rn. 10 ff.
4. Kapitel: Der eigene Lösungsansatz
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eher großzügig bemessenen Frist aufzuheben, besteht kein Bedürfnis, ihm mittels des Ersatzes des Nichterfüllungsschadens zu gestatten, die gleichen wirtschaftlichen Folgen herbeizuführen. II. Vorliegen einer späteren wirksamen Vertragsaufhebung Auch im Fall einer im Anschluss an das Deckungsgeschäft erfolgten wirksamen Vertragsaufhebung ist der Gläubiger nicht berechtigt, ein vorzeitiges Deckungsgeschäft in die Berechnung seines Nichterfüllungsschadens mit einzubeziehen. Jedoch steht es dem Gläubiger frei, seinen Schaden anhand eines „weiteren“ in angemessener Frist nach Vertragsaufhebung getätigten Deckungsgeschäfts gem. Art. 75 CISG oder abstrakt gem. Art. 76 CISG zu berechnen. Hierbei ist die Möglichkeit eines weiteren Deckungsgeschäfts gem. Art. 75 CISG in der Regel nur von geringem Interesse für den Gläubiger. Für den Verkäufer bedeutet jedes „weitere“ Deckungsgeschäft zugleich den Verlust eines neuen Geschäfts („loss of volume“). Der Käufer von Gütern für den Eigengebrauch wird geltend machen, die Ware nur einmal und nicht zweimal innerhalb seines Betriebs einsetzen zu können818. Nur für den Käufer, der die Ware ein zweites Mal verwerten kann, ist die Vornahme eines weiteren Deckungsgeschäfts eine praktische Alternative. Ob die Möglichkeit zur abstrakten Berechnung gem. Art. 76 CISG den Gläubiger ausreichend kompensiert, hängt sehr von den Umständen des Einzelfalls ab. Hat sich der Marktpreis seit der Vornahme des vorzeitigen Deckungsgeschäfts nicht verändert, so stimmen vorzeitiger und abstrakter Differenzschaden überein. Übersteigt der anhand der Marktpreisregel berechnete Ersatzanspruch den aus dem vorzeitigen Deckungsgeschäft resultierenden Schaden, so ist die Berechnung gem. Art. 76 CISG für den Gläubiger sogar vorteilhaft819. Ein Nachteil entsteht dem Gläubiger somit nur in den Fällen, in denen der aus einem vorzeitigen Deckungsgeschäft resultierende Schaden den anhand der Marktpreisregel berechneten Schaden übersteigt820. Im Folgenden ist darzulegen, dass es gerechtfertigt ist, den Gläubiger mit diesem verbleibenden Risiko zu belasten: Anders als im Fall des fehlenden Rechts zur Vertragsaufhebung besteht im Fall der späteren Vertragsaufhebung weder die Gefahr einer Umgehung der erschwerten Voraussetzungen der Vertragsaufhebung noch die die Gefahr einer Doppelkompensation des Gläubigers. Schließlich ist bei richtigem Verständnis im Verlangen des Differenzschadens eine implizite Auf818 819
Huber, Leistungsstörungen II, § 48 III 3. Zur Rechtslage im deutschen Recht: Faust, Die Rechtslage nach Ablauf der Nachfrist, S. 254. 820 Faust, Die Rechtslage nach Ablauf der Nachfrist, S. 254.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
hebungserklärung des Gläubigers zu sehen821. Gleichwohl sprechen andere Gründe gegen die Ersatzfähigkeit eines Differenzschadens: Zu nennen ist hierbei zunächst das in Art. 74 CISG normierte Erfordernis der Kausalität. Auch im Rahmen von Art. 74 CISG umfasst der Anspruch des Gläubigers auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens allein die Schäden, die auf der endgültigen Nichtleistung des Schuldners beruhen. Der Schaden muss darauf zurückzuführen sein, dass der Schuldner die Leistung auch zum spätest möglichen Zeitpunkt nicht vorgenommen hat. Dies trifft für die aus einem vorzeitigen Deckungsgeschäft entstandenen Mehrkosten gerade nicht zu822. Diese wären auch dann entstanden, wenn der Schuldner noch vor Ablauf der Nachfrist bzw. vor Erklärung der Vertragsaufhebung die Leistung erbracht hätte. Es fehlt somit an der kausalen Verknüpfung der endgültigen Nichtleistung des Schuldners mit den aus dem vorzeitigen Deckungsgeschäft entstandenen Mehrkosten des Gläubigers. Der Anspruch auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens im CISG umfasst daher nur die Schäden, die nach Erklärung der Aufhebung entstehen823. Ferner sprechen wirtschaftliche Erwägungen gegen die Berücksichtigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts. Die Gefahr der vom Gläubiger gewählten Vorgehensweise besteht nicht darin, dass auf diesem Wege das vorrangige Leistungsrecht des Schuldners eingeschränkt wird. Es stand dem Gläubiger schließlich jederzeit frei, den Vertrag aufzuheben. Die Gefahr liegt vielmehr darin, dass der Schuldner erst im Nachhinein vom Abstandnehmen des Gläubigers vom Ausgangsgeschäft erfährt. Der nicht informierte Schuldner läuft somit Gefahr, im Zeitraum zwischen der tatsächlichen Vornahme und der Mitteilung des Deckungsgeschäfts weiterhin Erfüllungsanstrengungen zu unternehmen824. Trotz des Bestehens eines Aufhebungsrechts muss auch der Gläubiger damit rechnen, dass der Schuldner weiterhin versuchen wird, seinen Leistungspflichten zu entsprechen. Schließlich hat der Gläubiger ein dreifaches Wahlrecht: Er kann vom Vertrag zurücktreten, Schadensersatz wegen Nichterfüllung geltend machen oder aber in den Grenzen des Art. 28 CISG Erfüllung verlangen825. Der Gläubiger muss somit wissen, dass bei Nichterklärung der Aufhebung die Gefahr nutzloser Erfüllungsanstrengungen des Schuldners entsteht. Die Beachtung von Treu und Glauben im internationalen Handel gebietet, den
821 Hamburger freundliche Arbitrage vom 29.12.1998, CISG-online 638; MK/Huber, Art. 74, Rn. 10. 822 OLG München NJW 1995, 2363. 823 Soergel/Lüderitz/Dettmeier, Art. 75, Rn. 4; Witz/Salger/Lorenz, Art. 75, Rn. 6. 824 Faust, Die Rechtslage nach Ablauf der Nachfrist, S. 254. 825 Schlechtriem/Schwenzer/Hager, Art. 64, Rn. 22.
4. Kapitel: Der eigene Lösungsansatz
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Gläubiger zu zwingen, diese Gefahr zu unterbinden826. Daher hat er zunächst den Schuldner über seine Absicht, sich einzudecken, zu informieren. Erst im Anschluss hieran kann er ein Deckungsgeschäft vornehmen. Nur dann ist er berechtigt, seinen Differenzschaden anhand dieses Geschäfts zu berechnen. Denkbar wäre auch eine Lösung, die die Gefahr nutzloser Investitionen des Schuldners nur im Einzelfall berücksichtigt, aber im Regelfall dem Gläubiger gestattet, ein vorzeitiges Deckungsgeschäft in seine Berechnung einzubeziehen. Eine Möglichkeit wäre, das Recht des Gläubigers zur Berücksichtigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts nur dann auszuschließen, wenn der Schuldner aufgrund des Verhaltens des Gläubigers darauf vertrauen durfte, die Leistung noch erbringen zu können827. Für die generelle Möglichkeit zur Einbeziehung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts spräche die geringere Schutzwürdigkeit des Schuldners aufgrund seiner vorherigen Vertragsverletzung – insbesondere im Fall des Ablaufs einer Nachfrist828. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Schuldner die Leistung nach Fristablauf angeboten habe829. Rechtlich zu verankern wäre eine entsprechende Ausnahme im Gebot der Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel (Art. 7 (1) CISG). Eine andere Möglichkeit wäre es, den Schuldner allein über einen separaten Schadensersatzanspruch gem. Art. 74 CISG vor eventuellen Investitionsschäden zu schützen. Gegen eine Einzelfalllösung spricht das Bedürfnis nach einer vorhersehbaren und dem Gebot der Rechtsicherheit entsprechenden Lösung. Nur ein Ausschluss der Einbeziehung eines vorherigen Deckungsgeschäfts zwingt den Gläubiger, von einseitigen Handlungen abzusehen bzw. den Schuldner zeitnah über seine Intentionen aufzuklären. Die Gewährung eines separaten Schadensersatzanspruchs verhindert nicht die Entstehung unrentabler Investitionen. Sie regelt nur die Frage des Haftungsrisikos. Eine Ausnahme mag für die Fälle in Betracht kommen, in denen, erstens, die Aufhebungserklärung – sei es in Form einer expliziten Erklärung oder in Form der Mitteilung des vorzeitigen Deckungsgeschäfts – in unmittelbarem Abstand zur Vornahme des vorzeitigen Deckungsgeschäfts erfolgt und, zweitens, das Deckungsgeschäft nach Vorliegen der Aufhebungsvoraussetzungen vorgenommen worden ist830. Dies gebietet zum ei826 Dies wird nicht bereits dadurch erreicht, dass der Schuldner seinerseits vom Gläubiger Schadensersatz verlangen kann. Hierzu: Faust, Die Rechtslage nach Ablauf der Nachfrist, S. 254. 827 Für eine solche Lösung in einem obiter dictum: BGH NJW 2003, S. 1526. 828 So zum neuen internen Schuldrecht: Bressler, Nacherfüllungsfrist, in NJW 2004, S. 3385; Finn, Zurückweisungsrecht, in ZGS 2004, S. 36. Staudinger/Otto, § 281, Rn. D 8. 829 Zum internen Recht: Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, S. 106. 830 Staudinger/Magnus, Art. 75, Rn. 14.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
nen das zuvor erwähnte Gebot der Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel. Dies folgt zum anderen mittelbar aus Art. 49 (2) (a) CISG. Hiernach ist der Käufer berechtigt, auch noch nach verspäteter Lieferung innerhalb einer angemessenen Frist die Aufhebung des Vertrags zu erklären und die Ware zurückzuweisen. Die Normierung eines solchen Zurückweisungsrechts zeigt, dass das CISG bei Vorliegen eines Aufhebungsrechts des Gläubigers für eine gewisse Zeitspanne die Gefahr unrentabler Erfüllungsanstrengungen des Schuldners in Kauf nimmt831. Dies ändert jedoch nichts an der Grundregel, derzufolge der Gläubiger nicht berechtigt ist, ein bereits vor Vertragsaufhebung getätigtes Deckungsgeschäft in die spätere Berechnung seines Nichterfüllungsschadens mit einzubeziehen. Insbesondere das Recht des Gläubigers zur sofortigen Aufhebung im Fall einer wesentlichen Vertragsverletzung birgt für den Schuldner ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit. Zum einen ist oftmals unklar, ob eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt. Zum anderen ist es ohne entsprechende Erklärung für den Schuldner nicht ersichtlich, ob der Gläubiger sich entschließen wird, den Vertrag aufzuheben. Die Einräumung des Rechts, zwischen Erfüllung, Schadensersatz und Vertragsaufhebung zu wählen, verpflichtet den Gläubiger zugleich, durch eine rechtzeitige Ausübung dieses Rechts für Rechtssicherheit zu sorgen. Mit anderen Worten: Der Gläubiger trägt sowohl Lasten als auch Nutzen seines Wahlrechts832. Eben diesen Gewinn an Rechtssicherheit bezweckten die Konventionsgeber mit der Aufgabe des Konzepts der ipso facto avoidance und der Stärkung der Pflicht zur Aufhebungserklärung833. Nichts anderes gebietet die von Schlechtriem geforderte Sicherung einer „hinreichenden Flexibilität“ der Regelungen des CISG im Rahmen fluktuierender Märkte834: Auch diese zwingt nicht dazu, auf das Erfordernis einer vorherigen Aufhebungserklärung zu verzichten. In den Zeiten moderner Kommunikationsmittel wie E-Mail, Fax und Mobilfunk ist es dem Gläubiger ohne weiteres zumutbar, den Schuldner vor Vornahme des Deckungsgeschäfts zu informieren. Darüber bestünde die Möglichkeit des Gläubigers, die Nachfristsetzung mit einer antizipierten Ablehnungs- bzw. Aufhebungserklärung zu verbinden. 25 Jahre nach Einführung des CISG ist es zu erwarten, dass sich sowohl der internationale Handel als auch die Praxis anwaltlicher Beratung auf das Erfordernis einer vorherigen Aufhebungserklärung eingestellt haben.
831 Zur Frage eines Zurückweisungsrechts im neuen Schuldrecht: Schroeter, Das Recht zur zweiten Andienung, S. 43 ff. 832 So auch Faust, Rechtslage nach Ablauf der Nachfrist, S. 252 ff. 833 Vgl. Hierzu die Ausführungen auf S. 71 ff. 834 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 18.
4. Kapitel: Der eigene Lösungsansatz
163
Die hier vertretene Lösung erscheint auch im Hinblick auf die vorgenommen Risikoverteilung im Fall der ausbleibenden Vertragsaufhebung gerechtfertigt. Im Fall der Vornahme eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts trägt der Gläubiger das Risiko späterer Erfüllung des Schuldners. Im gleichen Umfang muss der Gläubiger jedoch auch das Risiko sich verändernder Marktpreise tragen. Die prinzipielle Nichtberücksichtigung des vorzeitigen Deckungsgeschäfts stellt den Gläubiger nicht schutzlos. Ihm bleibt stets die Möglichkeit der Berechnung anhand der Marktpreisregel. Der Gläubiger trägt im Fall der Vornahme des vorzeitigen Deckungsgeschäfts nur das Risiko, dass sich der Marktpreis in der Weise zu seinen Lasten verändert, dass der sich ergebene abstrakte Differenzschaden geringer ausfällt als der konkrete. Wirtschaftlich betrachtet wäre es in den Fällen, in denen der Gläubiger auf eine Berechnung anhand eines vorzeitigen konkreten Deckungsgeschäfts angewiesen ist, immer besser gewesen, das Deckungsgeschäft nicht vorzunehmen. Würde man dem Gläubiger gestatten, dieses Geschäft mit einzubeziehen, schüfe man meines Erachtens einen falschen wirtschaftlichen Anreiz. § 5 Die Ausnahmen von der Grundregel der Nichtberücksichtigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts Eine Ausnahme von der Grundregel der fehlenden Möglichkeit zur Berücksichtigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts ist zum einen im Fall einer endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung (I) und zum anderen im Fall eines drohenden höheren Verzugsschadens geboten (II). I. Die ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung Im Fall der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung des Schuldners ist der Gläubiger nach herrschender Meinung berechtigt, der Berechnung seines konkreten Differenzschadens gem. Art. 75 CISG ein vorzeitiges Deckungsgeschäft zu Grunde zu legen835. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Richtige Anspruchgrundlage ist hingegen nicht Art. 75 CISG, sondern Art. 74 CISG836. Die bisher herrschende Meinung sah sich gezwungen, den Anspruch des Gläubigers gem. Art. 75 CISG mittels einer nach Treu und Glauben gebotenen teleologischen Reduktion der Norm zu begründen837. Wie bereits dargelegt, ist dieser Argumentation nicht zu folgen. Wortlaut, Historie, Systematik und Zweck des Art. 75 CISG stehen einer teleologischen Re-
835 OLG Hamburg vom 28.02.1997, CISG-online 261; Schlechtriem/Schwenzer/ Stoll/Gruber, Art. 75, Rn. 5. 836 Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 13. 837 Achilles, Art. 75, Rn. 2.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
duktion der Norm und einem Absehen vom Erfordernis der Aufhebungserklärung entgegen838. In der Sache hingegen ist der Anspruch des Gläubigers auf Ersatz des ihm aus einem vorzeitigen Deckungsgeschäft entstandenen Schadens im Fall der Erfüllungsverweigerung berechtigt. Die Entbehrlichkeit der Aufhebungserklärung ergibt sich daraus, dass der Schuldner, der die eigene Leistung entgegen seiner vertraglichen Verpflichtung ernsthaft und endgültig verweigert, nicht länger schutzwürdig ist839. Das Argument der Gefahr unwirtschaftlicher Dispositionen des Schuldners wiegt daher weniger schwer als in den übrigen Fällen eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts840. Folgende fünf Voraussetzungen sind meines Erachtens zu beachten: Erstens, es liegt eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung des Schuldners vor. Zweitens, der Gläubiger tätigt das Deckungsgeschäft gerade weil er davon ausgeht, dass der Schuldner seine Leistung endgültig nicht mehr erbringen wird. Drittens, der Gläubiger erklärt im Anschluss an das Deckungsgeschäft die Aufhebung des Vertrags. Viertens, diese Erklärung erfolgt in einem angemessenen zeitlichen Abstand zur Tätigung des Deckungsgeschäfts. Fünftens, die vorzeitige Vornahme erschien aus der ex ante Perspektive wirtschaftlich sinnvoll. Im Fall des Vorliegens dieser fünf Voraussetzungen ist an der bisherigen Praxis deutscher Oberlandesgerichte festzuhalten, im Fall der endgültigen Erfüllungsverweigerung des Schuldners ein vorzeitiges Deckungsgeschäft des Gläubigers in die Berechnung eines konkreten Differenzschadens einzubeziehen. Richtige Anspruchgrundlage ist entgegen der bisher herrschenden Ansicht nicht Art. 75 CISG, sondern Art. 74 CISG. Diese Ansicht vertritt seit November 2006 auch der CISG Advisory Council841. II. Der drohende Verzugsschaden Ferner ist es dem Gläubiger im Fall eines drohenden Verzugsschadens gestattet, ein vorzeitiges Deckungsgeschäft in die konkrete Berechnung seines Schadens gem. Art. 74 CISG einzubeziehen. Droht dem Gläubiger infolge des Verzugs des Schuldners ein Schaden, der die Kosten eines Deckungsgeschäfts übersteigt, besteht ausnahmsweise eine Pflicht des Gläubigers gem. Art. 77 CISG, ein vorzeitiges Deckungsgeschäft vorzunehmen. Diese Pflicht entsteht bereits mit Eintritt der Voraussetzungen des Verzugs und nicht erst zum Zeitpunkt der Vertragsaufhebung. Im Umkehrschluss aber ist der Gläubiger dann auch gem.
838 839 840 841
Vgl. die Ausführungen auf S. 71 ff. Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 74, Rn. 5. MK/Huber, Art. 75, Rn. 5. CISG A.C. Opinion No. 6, S. 23.
4. Kapitel: Der eigene Lösungsansatz
165
Art. 74 CISG berechtigt, den ihm aus der Vornahme dieses vorzeitigen Deckungsgeschäfts entstandenen Schaden zu liquidieren. Abweichend von den Lösungsansätzen Schlechtriems842 und Stolls843 ist der Gläubiger berechtigt und verpflichtet, den ihm entstandenen Schaden in Form einer Differenzschadensberechnung unter der Prämisse der Vertragsaufhebung zu berechnen844. Zu vergleichen sind Vertragspreis und Preis des vorzeitigen Deckungsgeschäfts. Mit Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs entfallen die vertraglichen Erfüllungsansprüche beider Parteien. Das Erlöschen der Erfüllungsansprüche ist ausnahmsweise nicht an die formalen Voraussetzungen der Vertragsaufhebung, d.h. an das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung i.S.v. Art. 25 CISG oder den Ablauf einer angemessenen Nachfrist gebunden. Vielmehr begründet die wirtschaftlich und rechtlich zwingend gebotene Vornahme eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts und das hiermit verbundene Entfallen des Leistungsinteresses des Gläubigers ein außerordentliches Recht zur Vertragsaufhebung845. Rechtlich ist dieses direkt auf Art. 74 und 77 CISG zu stützen. Das Prinzip pacta sunt servanda erfährt im Fall eines drohenden hohen Verzugsschadens eine Ausnahme846: Die von Schlechtriem vorgeschlagene Lösung, die den Käufer im Fall des drohenden Ausfallschadens durch die Postulierung einer Schadensminderungspflicht zur Vornahme eines vorzeitigen Deckungskaufs verpflichtet, ihn jedoch zugleich durch die Aufrechterhaltung der Erfüllungsansprüche mit der Pflicht zur doppelten Vertragsdurchführung belastet847, erscheint unbillig. Der Fortfall des Interesses ist nur scheinbar auf das eigene Verhalten des Gläubigers zurückzuführen848. Allein dieses Ergebnis entspricht dem Bedürfnis einer flexiblen und wirtschaftlich vernünftigen Lösung, die zugleich dem Grundsystem der gestuften Rechtsbehelfe im CISG entspricht. § 6 Zusammenfassung Im Rahmen des Art. 74 CISG ist es dem Gläubiger gestattet, seinen Nichterfüllungsschaden in Form eines konkreten Differenzschadens zu berechnen. Art. 75 und 76 CISG entfalten weder im Fall des aufgehobenen Vertrags noch im Fall des fortbestehenden Vertrags eine Sperrwirkung.
842 843 844 845 846 847 848
Schlechtriem, Damages and Performance, S. 6. Schlechtriem/Stoll, Art. 74, Rn. 16. So bereits RGZ 105, 281 zum deutschen Recht. Zum deutschen Recht: Huber, Leistungsstörungen II, § 48 III 3. Zum deutschen Recht: BGH NJW 1989, 1215 f.; MK/Thode, § 286, Rn. 3. So aber Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 6. Dies verkennend Peters, Schadensersatz wegen Nichterfüllung, S. 690.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
Dem Gläubiger ist es jedoch auch im Rahmen von Art. 74 CISG nicht gestattet, eine Art der Schadensberechnung zu wählen, die es ihm ermöglichen würde, die Voraussetzungen der Vertragsaufhebung zu umgehen. Es besteht grundsätzlich weder eine Pflicht des Gläubigers, vor Vertragsaufhebung ein Deckungsgeschäft vorzunehmen, noch eine Pflicht, durch eine möglichst frühzeitige Vertragsaufhebung die rechtlichen Voraussetzungen für die Vornahme eines Deckungsgeschäfts herbeizuführen. Auch unter dem Gesichtspunkt der Pflicht zur Minderung eines drohenden Nichterfüllungsschadens ist der Gläubiger nicht zu einem solchen Vorgehen gezwungen. Hiervon zu trennen ist die Frage, ob eine Pflicht zur Vornahme eines Deckungsgeschäfts vor Vertragsaufhebung besteht, um einen drohenden Verzugsschaden zu verhindern. Sowohl im Fall eines drohenden Betriebsausfall- oder sonstigen Gewinnausfallschadens als auch im Fall eines drohenden Haftungsschadens des Käufers im Verhältnis zu seinen eigenen Abnehmern ist es wirtschaftlich sinnvoll, ein Deckungsgeschäft vorzunehmen. In diesem Fall besteht auch eine rechtliche Pflicht des Gläubigers zur Vornahme eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts gem. Art. 77 CISG. Grundsätzlich besteht also keine Möglichkeit des Gläubigers, sich bei der Berechnung seines Nichterfüllungsschadens gem. Art. 74 CISG auf ein vorzeitiges Deckungsgeschäft zu berufen. Dies gilt unabhängig davon, ob es dem Gläubiger gelingt, sich im weiteren Verlauf wirksam vom Vertrag zu lösen oder nicht. Eine Ausnahme hiervon ist aus den oben angeführten Gründen lediglich im zuvor erwähnten Fall eines drohenden höheren Verzugsschadens sowie aus Gründen von Treu und Glauben im Fall einer endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung geboten.
5. Kapitel: Die Überprüfung des eigenen Lösungsansatzes Fall 1: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts vor Vertragsbruch849 V verpflichtete sich zur Lieferung einer Druckmaschine an K zum Preis von 40.000 €. Vereinbarter Liefertermin war der 01.06.2006. Am 01.04.2006 erfuhr K in der Presse von erheblichen Lieferschwierigkeiten des V im Rahmen gleichartiger Verträge. Ohne sich bei V näher zu erkundigen, erwarb K vorsorglich einen Ersatzdrucker zum damaligen Marktpreis von 50.000 €. Hierbei handelte er in der Absicht, einen im Fall der Nichtlieferung des V drohenden monatlichen Betriebsausfallschaden in Höhe von 40.000 € zu verhindern. Auf die besondere Wichtigkeit einer pünktlichen Lieferung hatte K ausdrücklich hingewiesen. Im weiteren Verlauf stellte sich heraus, dass V tatsächlich nicht in der Lage 849 Zu dieser Fallkonstellation: Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 309. Der Sachverhalt ist dem „Problem“ des 13. Willem C. Vis Arbitration Moot nachgebildet (www.cisg.law.pace.edu/vis.html).
5. Kapitel: Die Überprüfung des eigenen Lösungsansatzes
167
war, seinen vertraglichen Lieferpflichten nachzukommen. K erklärte daraufhin am 01.06.2006 die Aufhebung des Vertrags. K verlangt Ersatz der ihm durch das Deckungsgeschäft entstandenen Mehrkosten iHv. 10.000 €. V beruft sich hingegen auf die Tatsache, dass am 01.06.2006 eine vergleichbare Maschine am Markt nur 45.000 € kostete. Diese Maschine wäre allerdings erst zum 01.07.2006 einsatzbereit gewesen.
Die endgültige Nichtlieferung der Druckmaschine durch V stellt eine wesentliche Vertragsverletzung i.S.v. Art. 25 CISG dar. Die Wirksamkeit der Aufhebung des K gem. Art. 49 (1) (a) CISG steht somit außer Frage. K wäre daher berechtigt gewesen, am 1.06.2006 ein Deckungsgeschäft zu tätigen und seinen Differenzschaden konkret gem. Art. 75 CISG zu berechnen (Mehrkosten des neuen Deckungsgeschäfts). Zudem hat K die Möglichkeit, seinen Schaden vom 1.06.2006 abstrakt gem. Art. 76 CISG zu berechnen (5.000 €). Fraglich ist hingegen, ob K alternativ hierzu die aus dem vor Vertragsbruch getätigten Deckungsgeschäft vom 1.04.2006 entstandenen Mehrkosten iHv. 10.000 € gem. Art. 74 CISG ersetzt verlangen kann. Hierfür könnte sprechen, dass K im Fall eines Lieferverzugs des V ein Schaden drohte, der den nun geltend gemachten Differenzschaden bereits im ersten Monat um das Vierfache übersteigen würde. Da die Lieferung des V tatsächlich ausblieb, stellte sich die Handlung des K ex post betrachtet als wirtschaftlich sinnvoll heraus. Zwar wäre zum Zeitpunkt des Vertragsbruchs ein günstigeres Deckungsgeschäft möglich gewesen, der gleichwohl eingetretene Gewinnausfall für die ersten beiden Wochen iHv. zumindest 20.000 € hätte jedoch in Kombination mit dem Deckungsschaden iHv. 5.000 € den nun geltend gemachten Schaden des K um 15.000 € überstiegen. Entscheidend gegen den Ersatz der Mehrkosten des hypothetischen Deckungsgeschäfts spricht jedoch die Tatsache, dass dieses nicht kausal auf der Vertragsverletzung des V, sondern vielmehr auf den Pressegerüchten über die Lieferschwierigkeiten des V im Rahmen anderer Verträge beruhte. Art. 72 CISG berechtigt den Gläubiger, sich bei einer „offensichtlichen“ Vertragsverletzung des Schuldners vom Vertrag zu lösen und Schadensersatz zu verlangen. Ist diese Schwelle des antizipierten Vertragsbruchs jedoch nicht überschritten, besteht kein Recht des Gläubigers, ein vorheriges Deckungsgeschäft in die Berechnung seines Nichterfüllungsschadens mit einzubeziehen. Die Vornahme des Deckungsgeschäfts erfolgt auf eigenes Risiko. Bietet der Schuldner die vertragliche Leistung ordnungsgemäß an, so muss der Gläubiger diese trotz des vorherigen Deckungsgeschäfts und seines nicht mehr vorhandenen Leistungsinteresses annehmen. Auch im Fall der endgültigen Nichtleistung und einer wirksamen späteren Vertragsaufhebung ist der Gläubiger nicht berechtigt, sich auf das vorherige Deckungsgeschäft zu berufen. Trotz des drohenden hohen Verzugsschadens
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
folgt in dieser Konstellation aus Art. 77 CISG weder eine Pflicht des Gläubigers, ein „vorsorgliches“ Deckungsgeschäft vorzunehmen, noch ein Recht, dieses Geschäft in die spätere Schadensberechnung mit einzubeziehen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 77 CISG, der von „Maßnahmen zur Verringerung des aus der Vertragsverletzung folgenden Verlusts spricht“. Minimalvoraussetzung des Art. 77 CISG ist somit das Vorliegen einer Vertragsverletzung, sei es auch in Form eines antizipierten Vertragsbruchs. Ein vorheriges Deckungsgeschäft lässt sich nicht allein durch eine wirtschaftlich determinierte ex post Betrachtung einer späteren Vertragsverletzung zurechnen. Wären die Preise für Druckmaschinen weiter gestiegen, könnte sich V auch nicht auf das vorherige Deckungsgeschäft des K berufen. K bliebe in vollem Umfang berechtigt, seinen abstrakten oder konkreten Schaden zu liquidieren. Im vorliegenden Fall besteht somit allein ein Schadensersatzanspruch des K iHv. 5000 € gem. Art. 76 CISG. V profitiert insofern vom voreiligen Handeln des K, als ihm der Ersatz des entgangenen Gewinns iHv. 20.000 € erspart bleibt. Auch dies berechtigt K jedoch nicht, die Mehrkosten des Deckungsgeschäfts zu verlangen. K müsste vielmehr zeigen, dass ihm durch die notwendige Verwendung eigener Ware über den Zeitraum von zwei Wochen ein Schaden entstanden ist. In Betracht käme zum Beispiel der Nachweis eines entgangenen Gewinns aufgrund der fehlenden Möglichkeit zur anderweitigen Verwendung der Ware. Fall 2: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts vor Eintritt der Aufhebungsvoraussetzungen Fall 2a) Die Nichtleistung des Verkäufers850 Der russische Verkäufer (V) und der deutsche Käufer (K) einigten sich am 28.04.1992 über den Verkauf von 1000 t Natriumaluminat. Die erste Lieferung von 500 t zum Preis von $ 830 pro Tonne erfolgte wie vereinbart. Die zweite Lieferung von 500 t zum Preis von $ 820 pro Tonne sollte im vierten Quartal des Jahres 1992 erfolgen. Nachdem die Lieferung bis Ende 1992 nicht erfolgt war, forderte K im ersten Quartal 1993 V mehrfach per Fax auf, die Lieferung vorzunehmen. V reagierte nicht. Am 27.05.1993 informierte K den V, dass er ein Deckungskauf zu einem deutlich höheren Preis (100 t zu $ 1.350 pro Tonne und 400 t zu $ 1.280 pro Tonne) getätigt habe und verlangte Ersatz der ihm entstandenen Mehrkosten in Höhe von $ 245.978. Alternativ verlangte K von V weiterhin die Vornahme der vertraglich geschuldeten Leistung.
Fall 2b) Die Nichtleistung des Käufers851 Ein italienischer Verkäufer (V) und ein deutscher Käufer (K) einigten sich über den Verkauf von Schuhen. Der Käufer nahm nur ein Teil der Ware ab und zahlte auch nur einen 850 Tribunal of International Commercial Arbitration at the Russian Federation Chamber of Commerce vom 16.03.1995, CISG-online 205. 851 OLG Düsseldorf vom 22.07.2004, CISG-online 916.
5. Kapitel: Die Überprüfung des eigenen Lösungsansatzes
169
Teil des Kaufpreises. Hieraufhin tätigte der Verkäufer, ohne dem Käufer eine Nachfrist zu setzen, ein Deckungsgeschäft und verlangte Ersatz des ihm hieraus entstandenen Differenzschadens.
Im Unterschied zur vorherigen Fallkonstellation erfolgte das jeweilige Deckungsgeschäft des Gläubigers als unmittelbare Folge der jeweiligen Vertragsverletzung des Schuldners. In beiden Fällen fehlte es jedoch zumindest im Moment der Vornahme an einem Recht des Gläubigers zur Vertragsaufhebung. Weder der deutsche Käufer noch der italienische Verkäufer hatten ihrem jeweiligen Schuldner eine angemessene Frist zur Vertragsaufhebung gesetzt. ebenso wenig konnte die jeweilige Vertragsverletzung als wesentlich qualifiziert werden. Eine Berechnung des Differenzschadens gem. Art. 75 CISG kam folglich in keinem der Fälle in Betracht. Während das russische Schiedsgericht mit keinem Wort auf Art. 75 CISG Bezug nahm, stellte das OLG Düsseldorf die Nichtanwendbarkeit des Art. 75 CISG mit Hinweis auf das fehlende Aufhebungsrecht und die fehlende Aufhebungserklärung des Verkäufers in aller Deutlichkeit fest. Anders als das OLG Düsseldorf, das sich allein mit der Anwendbarkeit von Art. 75 CISG auseinandersetzte und die Klage des Verkäufers folgerichtig abwies, bejahte das russische Schiedsgericht einen Anspruch des Käufers auf Ersatz der Mehrkosten des Deckungsgeschäfts gem. Art. 74 CISG. Entsprechend der hier entwickelten Konzeption ist der Entscheidung des OLG Düsseldorf im Ergebnis zu folgen, nicht dagegen der Entscheidung des russischen Schiedsgerichts: In beiden Fällen fehlte es an einem Recht des jeweiligen Gläubigers zur Vertragsaufhebung. Dies gilt auch für den Zeitraum nach Vornahme der Deckungsgeschäfte. Weder das fehlende Interesse des deutschen Käufers an einem erneutem Erhalt noch die fehlende Kapazität des italienischen Verkäufers zu einer erneuten Lieferung der Ware begründen ein außerordentliches Recht zur Vertragsaufhebung. Diese Umstände waren nicht Folge der Vertragsverletzung des jeweiligen Schuldners, sondern des voreiligen Handelns des jeweiligen Gläubigers. Mangels Vorliegen eines Rechts zur Vertragsaufhebung waren der deutsche Käufer und der italienische Verkäufer zur Vornahme eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts weder verpflichtet noch berechtigt. Im Ergebnis ist daher allein der Entscheidung des OLG Düsseldorf zu folgen. Ein Ersatz des Differenzschadens aus dem vorzeitigen Deckungsgeschäft kommt nicht in Betracht, weder gem. Art. 75 CISG noch gem. Art. 74 CISG.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
Fall 3: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts vor Erklärung der Aufhebung852 Ein portugiesischer Verkäufer (V) und ein deutscher Käufer (K) einigten sich über den Verkauf von Stoffen. V lieferte die von K bestellten Artikel verspätet und nicht in der bestellten Menge. Der Vertrag enthielt einen ausdrücklichen Hinweis des K auf die besondere Bedeutung einer rechtzeitigen Lieferung. Aufgrund der mangelhaften Leistung des V tätigte K einen Deckungskauf. Der Aufforderung des V zur Zahlung des Kaufpreises kam K nicht nach. Im Rahmen der sich anschließenden Klage des V auf Zahlung des Kaufpreises erklärte K die Aufrechnung mit einer Schadensersatzforderung aufgrund der ihm entstandenen Mehrkosten des Deckungskaufs iHv. 694,54 DM und 883,30 DM. Der Marktpreis für vergleichbare Stoffe lag im Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung deutlich unter dem Marktpreis zur Zeit des Deckungskaufs.
Im Unterschied zur vorangegangenen Konstellation stellt in diesem Fall die nicht ordnungsgemäße Lieferung des V aufgrund des vertraglichen Hinweises auf die Dringlichkeit der Lieferung eine wesentliche Vertragsverletzung i.S.v. Art. 25 CISG dar. K wäre daher gem. Art. 49 (1) (a) CISG berechtigt gewesen, sich durch eine entsprechende Aufhebungserklärung vom Vertrag zu lösen. Dieses war im vorliegenden Fall nicht erfolgt, zumindest nicht vor Vornahme des Deckungsgeschäfts. Völlig zu Recht hat daher das OLG Bamberg den Anspruch aus Art. 75 CISG verneint. Im Verlangen des Differenzschadens und der Weigerung zur Zahlung des Kaufpreises ist eine implizite Aufhebungserklärung des K zu sehen. K hätte daher gem. Art. 76 CISG Anspruch auf Ersatz der Differenz zum Marktpreis im Zeitpunkt der Geltendmachung des Schadensersatzes. Aufgrund des mittlerweile gefallenen Marktpreises beinhaltet dieser Anspruch jedoch keinen vollständigen Ersatz der aus der Vornahme des vorzeitigen Deckungsgeschäfts resultierenden Mehrkosten. Fraglich ist somit, ob K einen Anspruch auf Ersatz der Mehrkosten des vorzeitigen konkreten Deckungsgeschäfts gem. Art. 74 CISG geltend machen kann. Aufgrund des Vorliegens einer wesentlichen Vertragsverletzung besteht im vorliegenden Fall nicht die Gefahr einer Umgehung der Aufhebungsvoraussetzungen. Der Vorwurf gegenüber dem Gläubiger besteht vielmehr allein darin, dass er das Deckungsgeschäft vor Erklärung der Vertragsaufhebung getätigt hat. Nach der hier vertretenen Auffassung schließt jedoch auch dies die Geltendmachung des Differenzschadens aus. Andernfalls bestünde die Gefahr unwirtschaftlicher Dispositionen des Schuldners. Bis zur endgültigen Aufhebung des Vertrags bleibt der Schuldner verpflichtet, alle zur Erfüllung notwendigen Anstrengungen und Investitionen zu unternehmen. Diese Investitionen wären jedoch vergeblich, würde man es dem Gläubiger gestatten, sich durch die bloße Vornahme eines Deckungsgeschäfts vom Vertrag zu lösen. Um dies zu verhindern, ist der 852
OLG Bamberg vom 13.01.1999, CISG-online 516 (leicht abgewandelt).
5. Kapitel: Die Überprüfung des eigenen Lösungsansatzes
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Gläubiger verpflichtet, zunächst den Vertrag aufzuheben und erst im Anschluss ein Deckungsgeschäft vorzunehmen. Durch das Erfordernis einer vorherigen Aufhebungserklärung wird der Gläubiger nicht unangemessen belastet. Wie gezeigt kann eine solche Erklärung durchaus auch implizit erfolgen. Zudem bieten bei besonderer Dringlichkeit des Deckungskaufs die Mittel der modernen Informationstechnologie dem Gläubiger ausreichend Möglichkeit, den Schuldner umgehend über sein fehlendes Interesse an einer weiteren Vertragsdurchführung zu unterrichten. Im vorliegenden Fall hatte es K selbst in der Hand, durch eine rechtzeitige Aufhebung des Vertrags die Voraussetzungen für ein ersatzfähiges Deckungsgeschäft zu schaffen. Eine etwaige rechtliche Verpflichtung zu einem solchen Vorgehen gem. Art. 77 CISG bestand nicht. K hatte das Recht, am Erfüllungsverlangen festzuhalten, unabhängig von einer möglichen Veränderung des Marktpreises. Wäre der Marktpreis weiter gestiegen und hätte sich somit zu Lasten des V verändert, wäre K gleichwohl berechtigt, seinen Schaden anhand dieses höheren Marktpreises gem. Art. 76 CISG zu berechnen. V könnte ihn nicht auf das vorzeitige Deckungsgeschäft verweisen. Nichts anderes kann jedoch im umgekehrten Fall gelten, in dem der Marktpreis fällt. Auch hier ist es K nicht möglich, auf ein Geschäft zurückzugreifen, das er während des fortbestehenden Erfüllungsanspruchs getätigt hat. Solange K am Erfüllungsanspruch festhält, trägt er sowohl Chance als auch Risiko eines sich verändernden Marktpreises. Fall 4: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts im Fall des Verlustes des Rechts zur Vertragsaufhebung853 V verpflichtete sich zur Lieferung von Chemikalien an K. Die Lieferung erfolgte nicht zum vertraglich vereinbarten Lieferungszeitpunkt. K hatte im Vertrag ausdrücklich auf die besondere Wichtigkeit der Einhaltung der vertraglichen Lieferpflicht hingewiesen. Ohne den V vorher zu informieren, nahm K einen Deckungskauf zu ungünstigeren Konditionen vor. Im weiteren Verlauf erfolgte die Lieferung durch V. K versäumte es, die Aufhebung des Vertrags innerhalb einer angemessenen Frist zu erklären, nachdem er von der Lieferung erfahren hatte. Die von V angemahnte Zahlung des Kaufpreises verweigerte K gleichwohl unter Hinweis auf das fehlende Interesse am „doppelten Erhalt“ der Ware. Er verlangt stattdessen Ersatz der ihm durch das Deckungsgeschäft entstandenen Mehrkosten, Zug um Zug gegen Rückgabe der von V gelieferten Ware.
Im Unterschied zur vorherigen Konstellation scheidet in diesem Fall nicht nur eine konkrete Berechnung des Schadensersatzes gem. Art. 74 und 75 CISG, sondern auch eine abstrakte Berechnung des Schadensersatzes gem. Art. 76 CISG aus. 853 Zur Fallkonstellation: Schlechtriem/Stoll, Art. 74, Rn. 5. Zum Sachverhalt: Tribunal of Int. Commercial Arbitration at the Russian Federation Chamber of Commerce vom 16.03.1995, CISG-online 205.
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
K kann seinen Differenzschaden weder auf Art. 75 CISG noch auf Art. 76 CISG stützen. Beide Normen setzen eine vorherige Vertragsaufhebung voraus. Zwar bestand ursprünglich ein Aufhebungsrecht des K gem. Art. 49 (1) (a) CISG, jedoch hat K dieses Recht durch die Nichteinhaltung einer angemessenen Frist gem. Art. 49 (2) CISG wieder verloren. In dieser Konstellation besteht auch kein Recht des K, seinen Nichterfüllungsschaden gem. Art. 74 CISG zu berechnen. Eine abstrakte Berechnung scheidet im Rahmen von Art. 74 CISG prinzipiell aus. Aber auch ein etwaiges Recht des K zu einer konkreten Differenzschadensberechnung gem. Art. 74 CISG würde ein fortbestehendes Recht zur Vertragsaufhebung voraussetzen. Entfällt ein ursprünglich bestehendes Aufhebungsrecht aufgrund des Ablaufs der Aufhebungsfrist gem. Art. 49 (2) CISG, ist der Gläubiger nicht länger berechtigt, eine Form der Schadensberechnung zu wählen, die auf der Nichtdurchführung des Vertrags und der Zurückweisung der Ware beruht. Auch eine konkrete Differenzschadensberechnung des K gem. Art. 74 CISG kommt somit vorliegend nicht in Betracht. Fall 5: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts im Anschluss an eine endgültige und ernsthafte Erfüllungsverweigerung Fall 5a) Die Möglichkeit zur konkreten Schadensberechnung854 Im oben geschilderten Eisenmolybdänfall855 hatte der englische Käufer (K) im Anschluss an die ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung des deutschen Verkäufers (V) ein Deckungsgeschäft getätigt, ohne vorher die Aufhebung des Vertrags erklärt zu haben. Gleichwohl gewährte das OLG Hamburg K Ersatz des ihm entstandenen konkreten Differenzschadens.
Fall 5b) Die Möglichkeit zur abstrakten Schadensberechnung856 Im oben geschilderten Möbellederfall857 verweigerte der italienische Verkäufer (V) ernsthaft und endgültig die Erfüllung des Vertrags, ohne dass der deutsche Käufer (K) im Anschluss hieran die Aufhebung des Vertrags erklärte. Anders als im Eisenmolybdänfall verzichtete K jedoch auf die Vornahme eines konkreten Deckungsgeschäfts. Trotz der fehlenden Aufhebungserklärung gewährte das OLG München K Ersatz des ihm entstandenen abstrakten Differenzschadens. Maßgebend für die Berechnung sei der Zeitpunkt der Erfüllungsverweigerung.
Beide Fälle weisen zunächst gewisse Gemeinsamkeiten auf: Es lag eine Vertragsverletzung in Form der Nichtlieferung des Verkäufers vor, es bestand ein Recht des Käufers zur Vertragsaufhebung gem. Art. 49 CISG aufgrund der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung des
854 855 856 857
OLG Hamburg vom 28.02.1997, CISG-online 261. Vgl. die Darstellung auf S. 79. OLG München vom 15.09.2004, CISG-online 1087. Vgl. die Darstellung auf S. 105 f.
5. Kapitel: Die Überprüfung des eigenen Lösungsansatzes
173
Verkäufers, und die Aufhebungserklärung des Käufers war erst in der Geltendmachung des Schadensersatzes zu sehen. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass im Fall des OLG Hamburg (5a) der englische Käufer seinen Differenzschaden konkret anhand eines tatsächlich vorgenommenen Deckungsgeschäfts berechnet und seinen Anspruch daher auf Art. 75 CISG stützt, während im Fall des OLG München (5b) der deutsche Käufer seinen Schaden abstrakt nach der Marktpreisregel gem. Art. 76 CISG berechnet. Auch im Fall einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung des Gläubigers kommt eine Berechnung des Differenzschadens ohne vorherige Aufhebungserklärung weder gem. Art. 75 CISG noch gem. Art. 76 CISG in Betracht. Der eindeutige Wortlaut der Vorschriften und ihre Funktion als bloße Beweiserleichterungs- und Berechnungsregeln gebieten eine grammatikalisch enge Auslegung und stehen einem auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützten Absehen vom Erfordernis der Aufhebungserklärung zwingend entgegen. Erst die dem Verlangen des Differenzschadens zu entnehmende Aufhebungserklärung gewährt dem Gläubiger die Freiheit, seinen Schaden in der erleichterten Form einer Differenzschadensberechnung gem. Art. 75 und 76 CISG zu berechnen. Es stellt sich somit die Frage, ob die beiden Entscheidungen der deutschen Oberlandesgerichte auf Art. 74 CISG hätten gestützt werden können: Zur Entscheidung des OLG Hamburg (5a): Hauptargument gegen die Einbeziehung eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts in die konkrete Differenzberechnung ist die Gefahr unwirtschaftlicher Dispositionen des Schuldners. Der Schuldner aber, der seinerseits vom Vertrag Abstand nimmt, ist nicht länger schutzwürdig. Er kann nicht mehr darauf vertrauen, dass der Gläubiger am Vertrag festhalten wird. Tätigt der Schuldner gleichwohl weitere Dispositionen zur Vertragserfüllung, geschieht dies auf eigenes Risiko. Die Gefahr des Verlusts an objektiver Rechtssicherheit besteht nicht. Durch die Vornahme des Ersatzgeschäfts setzt der Gläubiger ein hinreichendes Zeichen, sich nicht länger vertraglich gebunden zu fühlen. Unter diesen Umständen erscheint eine Ausnahme vom Erfordernis der vorherigen Aufhebungserklärung denkbar, sofern sich das Verhalten des Gläubigers als wirtschaftlich sinnvoll erweist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn bei einem weiteren Festhalten des Gläubigers am Erfüllungsanspruch ein höherer Schaden droht. Entscheidend ist hierbei die ex ante Sicht eines objektiven Dritten. Ob sich diese Befürchtung bestätigt oder ob sich die Marktpreise entgegen der Annahme des Gläubigers zu Gunsten der Parteien entwickeln, ist unerheblich. Zwar besteht keine rechtliche Pflicht des Gläubigers gem. Art. 77 CISG frühzeitig durch das konkrete Deckungsgeschäft vom Vertrag Abstand zu nehmen. Entscheidet der
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
Gläubiger sich jedoch hierzu, so spricht die mangelnde Schutzwürdigkeit des Schuldners dafür, es dem Gläubiger zu gestatten, seinen Differenzschaden gem. Art. 74 CISG zu liquidieren. Es wäre widersprüchlich, wenn ein Schuldner, der sich selbst vom Vertrag lossagt, berechtigt wäre, sich auf die fehlende vorherige Aufhebungserklärung des Gläubigers zu berufen. Anders als im Rahmen des Art. 75 steht der Wortlaut des Art. 74 CISG dieser Lösung nicht entgegen. Ein Rückgriff auf das Verbot des „venire contra factum proprium“ und das Gebot der „Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel“ ist somit möglich. Die Entscheidung des OLG Hamburg war somit sachlich richtig. Der Anspruch des englischen Käufers wäre jedoch auf Art. 74 CISG zu stützen gewesen. Zur Entscheidung des OLG München (5b): Der deutsche Käufer berechnet seinen Schaden abstrakt. Eine abstrakte Form der Berechnung ist im Rahmen des Art. 74 CISG nicht möglich. Allein aus diesem Grund konnte die Entscheidung des OLG München nicht auf Art. 74 CISG gestützt werden. Neben diesem eher formalen Argument ist die Entscheidung des OLG München jedoch auch in der Sache abzulehnen: Die Erklärung der Vertragsaufhebung ist auch im Fall der Erfüllungsverweigerung keine „bloße Förmelei“858. Erst die Aufhebungserklärung verschafft Klarheit darüber, wann die Leistungsansprüche erlöschen. Mangels eines konkreten Deckungsgeschäft fehlte es, anders als im Fall des OLG Hamburg, im vorliegenden Fall an einem objektiv erkennbaren Verhalten des Gläubigers, das hinreichend deutlich gemacht hätte, dass dieser sich nicht mehr an den Vertrag gebunden sah. Die fehlende Schutzwürdigkeit des Schuldners allein reicht nicht aus, über diesen Mangel an objektiver Rechtssicherheit hinwegzugehen. Ferner besteht im Fall abstrakter Berechnung auch kein wirtschaftlicher Anreiz, es dem Gläubiger zu gestatten, trotz fehlender Aufhebungserklärung seinen Nichterfüllungsschaden im Rahmen von Art. 74 CISG zu liquidieren. So verzichtet der Gläubiger nämlich gerade auf die Vornahme eines möglicherweise schadensmindernden vorzeitigen Deckungsgeschäfts. Der wesentliche Unterschied zwischen den hier besprochenen Entscheidungen besteht darin, dass es im Fall des OLG Hamburg der Gläubiger selbst ist, der durch die Vornahme des tatsächlichen Deckungsgeschäfts den Zeitpunkt der Schadensersatzberechnung und damit mittelbar die Höhe des Differenzschadens determiniert. Stellt man hingegen mit dem OLG München auf den Zeitpunkt der Erfüllungsverweigerung ab, so führt dies letztlich dazu, dass indirekt der Vertragsbrüchige Schuldner den Zeitpunkt und die Höhe des Differenzanspruchs bestimmt. Dies erscheint unbillig. 858
OLG München vom 15.09.2004, CISG-online 1087.
5. Kapitel: Die Überprüfung des eigenen Lösungsansatzes
175
Der Entscheidung des OLG München ist somit nicht zuzustimmen. Fall 6: Tätigung eines vorzeitigen Deckungsverkaufs im Fall eines drohenden Verzugsschadens859 V, ein amerikanisches Großunternehmen, verpflichtete sich zur Lieferung und Inbetriebnahme einer Druckmaschine des Typs „Flexometix Mark 8“ an K, eine Druckerei in Singapur. Der Preis der Maschine betrug 40.000 €. Die Inbetriebnahme sollte am 01.06.2006 erfolgen. K hat sich seinerseits verpflichtet, D, einen Schokoladenfabrikanten, ab dem 15.06.2006 vier Jahre lang mit bedrucktem, für die Verpackung von Schokolade benötigtem 8μ m starkem Folienpapier zu beliefern. D hatte sich für den Fall der Nichteinhaltung des Liefertermins ein sofortiges Rücktrittsrecht zusichern lassen. Zum damaligen Zeitpunkt war K die einzige Druckfirma in Singapur, die sich bereit erklärte, auf 8μ m Folienpapier zu drucken. Der Vertrag mit D sah einen monatlichen Gewinn des K iHv. 40.000 € vor. Entgegen der vertraglichen Vereinbarung konnte die von V gelieferte Maschine nicht auf 8 μ m starkes Folienpapier drucken. In der berechtigten Erwartung, D zu einem Festhalten am Vertrag bewegen zu können, setzte K dem V eine einmonatige Nachfrist. Zur Überraschung aller Beteiligten, gelang es einer weiteren Druckerei M, innerhalb weniger Tage eine Druckmaschine zu erlangen, die fähig war, auf 8 μm zu drucken. Daraufhin tätigte auch K noch während der Nachbesserungsversuche des V am 10.6.2006 einen Deckungskauf zum Preis von 50.000 € und erklärte trotz der fortdauernden Verbesserungsversuche des V am 15.06.2006 die Aufhebung des Vertrags. Der Marktpreis für „Flexometix Mark 8“ Maschinen betrug zu diesem Zeitpunkt 40.000 €.
Wie im Rahmen der vorherigen Konstellationen erfolgt das Deckungsgeschäft des Gläubigers vor Vertragsaufhebung. Eine konkrete Schadensberechnung gem. Art. 75 CISG scheidet daher aus. Zwar käme eine abstrakte Schadensberechnung gem. Art. 76 CISG in Betracht, jedoch würde diese den Gläubiger nicht ausreichend finanziell kompensieren, da der Marktpreis zum Zeitpunkt der Vertragsaufhebung unter dem Preis des vorzeitigen Deckungsgeschäfts lag. Mangels einer endgültigen Erfüllungsverweigerung scheint auch eine Differenzschadensberechnung des K gem. Art. 74 CISG auszuscheiden. Insbesondere die Sperre des Art. 47 CISG steht der Berücksichtigung des Differenzschadens des K entgegen. So beruht der Schaden des K nicht auf der endgültig ausgebliebenen Leistung des V, sondern vielmehr auf der eigenen verfrühten Vornahme des Deckungsgeschäfts. Wirtschaftlich betrachtet war allerdings die Vornahme des Deckungsgeschäfts durch K sinnvoll. Auf diesem Wege konnte er den Schaden gering halten. So drohte K vorliegend ein erheblicher Betriebsausfallschaden. Bereits die fehlende Möglichkeit des K, D in der zweiten Junihälfte mit Folien versorgen zu können, hätte zu einem Verzugsschaden des K in Höhe von 20.000 € geführt. Das überraschende Auftreten eines Konkurrenten barg die zusätzliche Gefahr, dass D den lukrativen Vertrag mit K kündigen 859 Der leicht abgewandelte Sachverhalt ist der Aufgabenstellung des 13. Willem C. Vis Arbitration Moot entnommen, .
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3. Teil: Der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG
würde. Der Betriebsausfallschaden des K hätte in diesem Fall 4,8 Mio. € betragen. Der tatsächlich erlittene Differenzschaden iHv. 10.000 € blieb somit bei weitem hinter dem im Fall der Nichtvornahme des Deckungsgeschäfts drohenden Gesamtschaden zurück. Grundsätzlich besteht keine Pflicht des Gläubigers, sich frühzeitig von seinem Erfüllungsverlangen zu lösen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine sich abzeichnende Veränderung der Marktpreise. Etwas anderes muss jedoch in der vorliegenden Konstellation gelten: Der drohende Verzugsschaden des K iHv. bis zu 4,8 Mio. € ließ eine vorzeitige Vornahme des Deckungsgeschäfts aus wirtschaftlichen Gesichtpunkten unausweichlich erscheinen. Es wäre aus gesamtökonomischer Sicht geradezu unsinnig gewesen, „sehenden Auges“ einen Schaden in Millionenhöhe zu riskieren, der sich durch die Investition von 50.000 € vermeiden ließe. Dies gilt unabhängig davon, wer letztendlich haftet. Im ungekehrten Fall, dass K kein Deckungsgeschäft getätigt hätte, D den Vertrag gekündigt hätte und K nun gegenüber V Ersatz seines Betriebsausfallschadens in Höhe von 4,8 Mio. € verlangen würde, würde sich V auf eine Verletzung der Schadensminderungspflicht des K berufen. Die Berücksichtigung des Differenzschadens kommt daher letztendlich auch dem Gläubiger zugute. Folglich kann in dieser Konstellation der Differenzschaden gem. Art. 74 CISG liquidiert werden. Meines Erachtens lässt sich diese Lösung auch rechtlich gut begründen: Der Anspruch auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens entsteht erst im Zeitpunkt des Eintritts der endgültigen Nichtleistung, der Vertragsaufhebung. Der Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens entsteht hingegen bereits im Zeitpunkt des Eintritts der einfachen Vertragsverletzung. Folglich entsteht auch die Pflicht zur Vermeidung eines Verzugsschadens mit Eintritt der Vertragsverletzung. Dies gilt auch, wenn die einzig denkbare Maßnahme in der Vornahme eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts besteht. Im vorliegenden Fall war K bereits ab dem Moment, in dem ihm die Mangelhaftigkeit der gelieferten Druckmaschine bewusst wurde, gem. Art. 77 CISG gezwungen, alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um den späteren Eintritt eines Verzugsschadens zu verhindern. Spätestens in dem Moment, in dem durch das Auftreten eines Mitbewerbers die konkrete Gefahr bestand, den Vertrag mit D zu verlieren, war K verpflichtet, ein Deckungsgeschäft zu tätigen. Dies gilt umso mehr, als die hierfür notwendigen Aufwendungen bei weitem hinter den drohenden Schäden eines Betriebsausfalls zurückblieben. Bestand jedoch eine rechtliche Pflicht des K zur Vornahme des vorzeitigen Deckungsgeschäfts, so wäre es grob unbillig, ihm nicht die Möglichkeit zu eröffnen, die ihm entstandenen Schäden zu liquidieren. Die wirtschaftlich sinnvollste Methode der Berechnung ist die des Differenzscha-
5. Kapitel: Die Überprüfung des eigenen Lösungsansatzes
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dens. Der abweichende Vorschlag860, den Verzugsschaden des K unter Aufrechterhaltung des Vertrags anhand der vollen Kosten des Deckungsgeschäfts abzüglich des aktuellen Restwerts der Ersatzware zu berechnen, überzeugt allein schon deswegen nicht, da diese Methode den Vertragstreuen K mit dem Risiko der wirtschaftlichen Verwertung der Ware belastet. Vielmehr war K berechtigt, sich unmittelbar vom Vertrag zu lösen und die Mehrkosten des Deckungsgeschäfts in Form einer konkreten Differenzschadensberechnung gem. Art. 74 CISG zu liquidieren. Die durch die Vertragsverletzung des V zurechenbar verursachte Vornahme des vorzeitigen Deckungsgeschäfts lässt das Interesse des K an einer weiteren Vertragsdurchführung entfallen. Diesem Interessenfortfall ist durch ein außerordentliches Aufhebungsrecht gem. Art. 74 CISG Rechnung zu tragen.
860
Schlechtriem, Damages and Performance Interest, S. 6.
Zusammenfassung Das Verhältnis von Erfüllung, Schadenersatz und Vertragsaufhebung im CISG ist in hohem Maße durch das unterschiedliche Verständnis der dem CISG zugrunde liegenden Rechtsordnungen des civil law, des common law und des EKG geprägt. Die verschiedenen Konzeptionen und Grundvorstellungen dieser Rechtsordnungen sind somit stets zu berücksichtigen. Das CISG basiert auf einem System gestufter Rechtsbehelfe: Primärer Rechtsbehelf des Gläubigers ist der Erfüllungsanspruch. Im Unterschied zum EKG und zum common law steht der Erfüllungsanspruch im CISG nicht unter dem Vorbehalt der fehlenden Opportunität eines Deckungsgeschäfts. Vielmehr gilt uneingeschränkt der Grundsatz pacta sunt servanda. Der Schuldner ist daher nicht berechtigt, sich von der Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten frei zu kaufen. Sekundärer Rechtsbehelf des Gläubigers ist der Schadensersatzanspruch. Gemäß dem Prinzip der Totalreparation ist der Gläubiger berechtigt, jeden kausal auf der Pflichtverletzung des Schuldners beruhenden und vorhersehbaren Schaden geltend zu machen. Hierbei folgt das CISG dem angloamerikanischen System der Garantiehaftung, das allein durch Art. 79 und 80 CISG eine Einschränkung erfährt. Vornehmlicher Zweck dieses Rechtsbehelfs ist ebenfalls der Schutz des Erfüllungsinteresses. Dritter Rechtsbehelf des Gläubigers ist das Recht zur Vertragsaufhebung. Im Gegensatz zu den beiden vorgenannten Rechtsbehelfen setzt das Recht des Gläubigers zur Vertragsaufhebung das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung oder den Ablauf einer Nachfrist voraus. Die Vertragsaufhebung ist daher nur ultima ratio im System der Rechtsbehelfe des CISG. Ziel der Erschwerung der Vertragsaufhebung ist neben der Vermeidung unwirtschaftlicher Rückabwicklungskosten ebenfalls die Durchsetzung des vertraglichen Leistungsversprechens. Die Interdependenz von Erfüllung, Schadenersatz und Vertragsaufhebung zeigt sich insbesondere am Beispiel des Deckungsgeschäfts und der Frage der Ersatzfähigkeit der hieraus resultierenden Mehrkosten: Das Schadensersatzrecht des CISG lässt sich in drei Abschnitte unterteilen. Art. 74 CISG bildet den Grundtatbestand. Art. 75 und 76 CISG beinhalten besondere Berechnungs- und Beweiserleichterungsregeln, die dem Gläubiger gestatten, seinen Schaden in typisierter Art und Weise zu be-
Zusammenfassung
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rechnen. Art. 77 CISG schließlich verpflichtet den Gläubiger zur Minderung eines ihm entstandenen Schadens. Art. 75 und 76 CISG gewähren dem Gläubiger die Möglichkeit, den ihm entstandenen Schaden anhand eines konkreten oder hypothetischen Deckungsgeschäfts zu berechnen. Sie befreien den Gläubiger von seiner Pflicht zum Nachweis der Vorhersehbarkeit und zur Darlegung der konkreten Schadenshöhe. Diese sowohl im civil law als auch im common law und EKG vorgesehene spezielle Form der Schadensberechnung ist jedoch an das Vorliegen besonderer Voraussetzungen gekoppelt. Eine Auslegung der Art. 75 und 76 CISG anhand ihres Wortlauts, ihrer Entstehungsgeschichte, ihrer Systematik und ihres Zwecks als Beweiserleichterungsnormen zeigt, dass diese eng und wortlautgetreu auszulegen sind. Weder Art. 75 CISG noch Art. 76 CISG bieten Raum für eine Korrektur aufgrund von Treu und Glauben. Entgegen der bisher herrschenden Meinung gilt dies auch für den Fall der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung. Zwingende Voraussetzung der Anwendbarkeit der Art. 75 und 76 CISG ist das Vorliegen einer wirksamen Vertragsaufhebung. Im Rahmen des Art. 75 CISG muss die Aufhebung vor Vornahme des Deckungsgeschäfts erfolgt sein. Im Rahmen des Art. 76 CISG ist sie maßgeblich für die zeitliche Bestimmung des relevanten Marktpreises. Die Koppelung der Art. 75 und 76 CISG an das Vorliegen einer wirksamen Vertragsaufhebung beruht darauf, dass der Gläubiger durch die Berechnung seines Schadens in Form des Differenzschadens faktisch vom Vertrag Abstand nimmt. Er substituiert das ursprüngliche Geschäft durch ein konkretes oder hypothetisches Ersatzgeschäft. Dies ist ihm nur dann möglich, wenn er zuvor seine Dispositionsbefugnis durch eine wirksame Aufhebung des Vertrags wiedererlangt hat. Das zwingende Erfordernis der Vertragsaufhebung verhindert, dass der Gläubiger in der Lage wäre, mittels einer bestimmten Art der Schadensberechnung die erschwerten Voraussetzungen der Vertragsaufhebung zu umgehen. Die Voraussetzung der Aufhebungserklärung bezweckt die Gewährleistung eines höheren Maßes an Rechtssicherheit, die Vermeidung unwirtschaftlicher Dispositionen des Schuldners und die Wahrung der Parteiautonomie im Rahmen der Vertragsabwicklung. Das Konzept der ipso facto avoidance des EKG hat keinen Eingang ins CISG gefunden. Art. 77 CISG normiert das Gebot der Schadensminderung. Der Gläubiger hat die Pflicht, nach wirksamer Vertragsaufhebung ein angemessenes Deckungsgeschäft vorzunehmen, soweit ihm dieses zumutbar ist und zu einer Verringerung des Schadens führen würde. Art. 77 CISG begründet jedoch weder die Pflicht des Gläubigers, bereits vor Vertragsaufhebung ein konkretes Deckungsgeschäft vorzunehmen, noch die Pflicht, durch eine möglichst frühzeitige Vertragsaufhebung die Voraussetzungen eines Deckungsgeschäfts zu schaffen.
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Zusammenfassung
Art. 74 CISG normiert den Grundtatbestand des Schadensrechts und findet im Fall des aufgehobenen und des fortbestehenden Vertrags Anwendung. Auch diese Norm gestattet dem Gläubiger, seinen Schaden anhand eines konkreten Deckungsgeschäfts zu berechnen. Art. 75 CISG entfaltet keine Sperrwirkung. Eine abstrakte Schadensberechnung gestattet Art. 74 CISG hingegen nicht. Eine solche ist allein im Rahmen des Art. 76 CISG möglich. Ferner gestattet Art. 74 CISG dem Gläubiger nicht, eine Art der Schadensberechnung zu wählen, mittels derer er die Voraussetzungen der Vertragsaufhebung umgeht. Grundsätzlich ist der Gläubiger daher auch im Rahmen des Art. 74 CISG nicht berechtigt, einen ihm aus einem vorzeitigen Deckungsgeschäft entstandenen Differenzschaden zu liquidieren, auch nicht im Fall eines sich erkennbar ungünstig entwickelnden Marktpreises. Die Mehrkosten eines vorzeitigen Deckungsgeschäfts können jedoch in zwei Konstellationen liquidiert werden: Zunächst ist eine solche Schadensberechnung dann zulässig, wenn der Gläubiger das vorzeitige Deckungsgeschäft in dem Bestreben tätigt, einen die Kosten des Deckungsgeschäfts übersteigenden Verzugsschaden zu verhindern. Wie gezeigt ist der Gläubiger hierzu gem. Art. 77 CISG sogar verpflichtet. Folgerichtig ist er jedoch dann auch berechtigt, das getätigte Deckungsgeschäft in die Berechnung seines Nichterfüllungsschadens gem. Art. 74 CISG einzubeziehen und sich von seinen ursprünglichen Erfüllungspflichten zu lösen. Ein außerordentliches Aufhebungsrecht ergibt sich mittelbar aus Art. 74 und 77 CISG. Sodann ist eine solche Schadensberechnung zulässig, wenn der Schuldner die Vertragserfüllung endgültig und ernsthaft verweigert hat. Der hier vertretene Ansatz entspricht der dogmatischen Grundstruktur des CISG, dem System abgestufter Rechtsbehelfe, dem Gebot der Rechtssicherheit sowie dem Gebot einer hinreichend flexiblen und gesamtwirtschaftlich angemessenen Lösung.
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Erfüllungsvorrang, S. 3, 116, 136 ff. Ersatzlieferungsanspruch, S. 11 Fallkonstellationen, S. 121 ff. u. 166 ff. force majeure, S. 19 Garantiehaftung, S. 18 f., 26 u. 29 Gestaltungswirkung, S. 43 u. 131 Garantiehaftung, S. 19, 30 u. 184 Gestaltungswirkung, S. 44 u. 133 Haftungsbefreiung (s. Entlastung) Haftungsrisiko, S. 26, 161 Huber (Prof. Dr. Peter), S. 138 ff. Konkurrenzverhältnis –, Art. 75 und 76 CISG, S. 114 ff. –, Art. 74 und 75, 76 CISG, S. 151 Kardinalpflichten, S. 8, 30, 38 f. u. 70 Kausalität, S. 24 f, 51, 123 u. 160 Konsolidierung der Rechtsbehelfe, S. 5 lingua franca, S. 1 Leitbildfunktion, S. 31 u. 36 Marktpreis –, Ort der Ermittlung, S. 50, 54 u. 111 –, Zeitpunkt der Ermittlung, S. 50, 54 u. 107 ff. material breach, S. 32 Minderung, S. 5, 11, 37 u. 166 Nachbesserungsanspruch, S. 11 Nacherfüllungsanspruch, S. 11 ff. Nachfrist, S. 37 ff., 70, 108, 131 ff. Nachlieferungsanspruch, S. 11 ff. Nichtleistung (Nichterfüllung), S. 17 ff. open-price-contract, S. 88 ff. Principles of European Contract Law (PECL), S. 28, 32, 108 u. 152
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Register
Rechtsbehelf –, Systematik, S. 5 ff. Rechtsmangel, S. 10 Recht zur zweiten Andienung, S. 12 ff. Risikozuweisung, S. 20, 26, 83 ff. Rückabwicklung, S. 11, 93 ff., 147 u. 152 f. Rückgewährschuldverhältnis, S. 30 u. 43 Schadensersatz, S. 17 ff. Schadensberechnung –, abstrakte, S. 100 ff. –, konkrete, S. 67 ff. Schadensminderungspflicht, S. 114 ff., 132 ff. u. 155 ff. Sperrwirkung, S. 124 u. 150 ff. Schlechtriem (Prof. Dr. Peter) S. 142 ff. Schönle (Prof. Dr. Herbert), S. 139 ff. specific performance, S. 9 u. 58 Steuerungsnorm, S. 37 teleologische Reduktion, S. 78 f.
Totalreparation, S. 23 ff. u. 135 ff. Treu und Glauben, S. 22 f., 78 f., u. 132 ultima ratio, S. 15, 36 u. 44 Unidroit Principles (PICC), S. 32, 68, u. 111 UNCITRAL, S. 73 Unmöglichkeit, S. 6 u. 9 Unzumutbarkeit, S. 11 US-amerikanisches Recht, S. 52 ff. venire contra factum proprium, S. 21, 27, 42, 145 u. 174 Verschulden, S. 18 ff., 23 u. 29 Vertragsaufhebung, S. 30 ff. Verursachung –, anteilig, S. 21 Verzugsschaden, S. 86, 154 ff. u. 164 ff. Vorhersehbarkeit, S. 25 ff. Wesentliche Vertragsverletzung, S. 30 ff. Wirtschaftlichkeit, S. 132 ff.